129 54 9MB
German Pages 1344 Year 2010
Mues . Eisenbeis . Laber Handbuch Kündigungsrecht
Handbuch Kündigungsrecht von
Werner M. Mues Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Ernst Eisenbeis Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Dr. Jörg Laber Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
2. neu bearbeitete Auflage
2010
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek veiZei.chnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 info®otto-schmidt.de www.otto-schmidt.de
ISBN 978-3-504-42656-9 ©2.010 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen nnd die Einspeicherung nnd Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig nnd wnweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck nnd Verarbeitung: Bercker, Kevelaer Printed in Gerrnany
Vorwort Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung und der Literatur zum Kündigungsschutz seit dem Erscheinen der ersten Auflage sowie neue gesetzliche Regelungen haben eine gründliche Aktualisierung und Überarbeitung des Werkes erforderlich werden lassen. In der zweiten Auflage haben wir neue Fragestellungen beispielsweise aus dem Bereich des Diskriminierungsrechts (AGG) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hierzu ebenso thematisiert wie den Sonderkündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte (Teil 10) und die kündigungsschutzrechtlichen Auswirkungen des Pflegezeit-Gesetzes (Teil 11). Die Darstellung der allgemeinen Grundsätze zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses (Teil 1) einschließlich Abmahnung und Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit, des Kündigungsschutzes für Schwangere und Mütter (Teil 6) sowie für Eltern in der Elternzeit (Teil 7) und die Darstellung der treuwidrigen Kündigung (Teil 5) haben wir völlig neu konzipiert und neu bearbeitet. Im Rahmen der Behandlung anderer Beendigungstatbestände eines Arbeitsverhältnisses haben wir nunmehr auch der Aufhebungsvereinbarung eine eingehende Darstellung gewidmet. Die aktuelle Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist bis Juni 2010 berücksichtigt und verarbeitet. Entsprechend dem Konzept des Werkes steht für uns weiterhin bei allen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung deren praxisrelevante Behandlung im Vordergrund; wir haben deshalb die Darstellung um optisch hervorgehobene Praxistipps und Musterformulierungen ergänzt. Wir danken allen, die durch Anregung und Mitarbeit zum Gelingen der 2. Auflage beigetragen haben. Unser besonderer Dank gilt Herrn Rechtsanwalt Dr. Falk Müller und Herrn Rechtsreferendar David Wagner für ihr Engagement bei der Aktualisierung des Werkes. Köln, im Juli 2010
Werner M. Mues Ernst Eisenbeis Jörg Laber
V
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LIII
Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LXI
Teil 1 Kündigung eines Arbeitsverhältnisses Allgemeines Rz.
Seite
A. Die Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
I. Ausspruch der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
II. Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
27
III. Zugang der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
33
IV. Kündigungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261
47
V. Fristbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
52
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
346
63
VII. Arten der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
385
71
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
79
IX. Rücknahme der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
457
84
X. Rechtsfolgen der wirksamen Kündigung . . . . . . . . . . .
478
88
. . . . . . . . .
486
89
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
500
91
I. Erteilung der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
500
91
II. Angreifbarkeit der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . .
540
105
III. Exkurs: die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung . . .
556
109
C. Aufhebungsvertrag und andere Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
558
110
I. Ausschluss der Kündbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
558
110
II. Andere Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . .
617
123
VI. Zustimmungserfordernisse VIII. Umdeutung der Kündigung
XI. Rechtsfolgen der unwirksamen Kündigung B. Die Abmahnung
VII
Inhaltsübersicht
Teil 2 Betriebsbedingte Kündigung Rz.
Seite
A. Gesetzliche Voraussetzungen des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
215
I. Betrieblicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
215
II. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
248
B. Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
276
. . .
164
276
II. Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit Auslauffrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
278
. . . .
189
285
IV. Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung .
222
301
C. Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung . . . . .
228
306
I. Dringende betriebliche Erfordernisse und Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
306
II. Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung . . . . . . .
338
356
III. Besonderheiten bei Massenentlassungen . . . . . . . . . . .
478
412
IV. Interessenausgleich mit Namensliste . . . . . . . . . . . . .
629
443
V. Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung . . .
671
458
.
723
474
D. Anhörung des Betriebsrats und des Sprecherausschusses der leitenden Angestellten bei der betriebsbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
759
485
I. Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
762
486
. . . . . . . . . . . . . . . .
830
509
III. Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG . . . .
841
511
IV. Anhörung bei vorsorglicher Wiederholungskündigung . . .
862
517
V. Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen . . . . . . . . .
867
518
VI. Anhörung zur betriebsbedingten Kündigung leitender Angestellter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
896
527
VII. Beteiligung des Betriebsrats bei betriebsbedingter Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
905
529
918
534
I. Ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung
III. Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
VI. Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
II. Vorkenntnisse des Betriebsrats
VIII. Anhörung bei Restmandat und Übergangsmandat VIII
. . . . .
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
E. Betriebsbedingte Kündigung von Mandatsträgern der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
931
537
I. Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder . . . . . . . . . .
931
537
II. Betriebsbedingte Kündigung nach Ende des Mandats . . . .
965
549
III. Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
976
553
A. Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
561
I. Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung . . .
2
561
II. Außerordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
59
576
III. Ordentliche personenbedingte Änderungskündigung . . . .
73
582
IV. Außerordentliche personenbedingte Änderungskündigung .
79
584
B. Einzelne Kündigungsgründe in der Person des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
586
I. Eignungsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
586
II. Mangelnde Arbeitsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
618
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214
628
C. Wiedereinstellungsanspruch nach langandauernder Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
675
D. Anhörung des Betriebsrats bei der personenbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
339
679
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
339
679
II. Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe . . .
347
681
375
688
. .
380
689
. .
1
693
B. Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
693
. . . . . . . . . . . . .
6
694
II. Außerordentliche Beendigungskündigung . . . . . . . . . .
13
696
Teil 3 Personenbedingte Kündigung
III. Krankheit
III. Vorlage von Unterlagen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Widerspruchsrecht nach personenbedingter Kündigung
Teil 4 Die verhaltensbedingte Kündigung A. Gesetzliche Voraussetzungen des Kündigungsschutzes I. Ordentliche Beendigungskündigung
IX
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
. . . . . . . . . . . . . .
26
700
IV. Außerordentliche Änderungskündigung . . . . . . . . . . .
28
700
V. Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
700
C. Voraussetzungen der verhaltensbedingten Kündigung . . . .
38
702
III. Ordentliche Änderungskündigung
. . . . . . . . . . . . .
38
702
II. Außerordentliche Beendigungskündigung . . . . . . . . . .
I. Ordentliche Beendigungskündigung
95
718
III. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
730
IV. Ordentliche Änderungskündigung
. . . . . . . . . . . . . .
293
794
V. Außerordentliche Änderungskündigung . . . . . . . . . . .
333
801
VI. Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
804
D. Anhörung des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . .
366
811
I. Gegenstand des Anhörungsverfahrens . . . . . . . . . . . .
368
811
II. Anhörungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
370
812
A. Sittenwidrige Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
815
I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
815
II. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
816
III. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
818
B. Maßregelungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
819
I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
819
II. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
820
III. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
823
C. Treuwidrige Kündigung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
824
I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
824
II. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
826
III. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
836
Teil 5 Sittenwidrige Kündigung, Maßregelungskündigung und treuwidrige Kündigung
X
Inhaltsübersicht
Teil 6 Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter Rz.
Seite
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
837
B. Persönlicher Geltungsbereich des Kündigungsverbots
. . .
2
837
. . . . . . . . . .
4
838
I. Vorliegen einer Schwangerschaft oder Entbindung . . . . .
4
838
II. Kenntnis des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
839
III. Nachträgliche Mitteilung von Schwangerschaft oder Entbindung nach erfolgter Arbeitgeberkündigung . . . . . .
16
841
D. Dauer des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
845
. . . . . . . . . . . . . . . .
36
845
. . . . . . . . . . . . . . . . .
42
847
E. Rechtsfolgen des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . .
46
847
I. Inhalt des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
847
. . . . . . . . . . . . . . .
49
848
III. Verzicht der Arbeitnehmerin auf das Kündigungsverbot . .
50
848
. . . . .
53
848
I. Verfahren der behördlichen Zulassung . . . . . . . . . . . .
54
849
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
I. Beginn des Kündigungsverbots II. Ende des Kündigungsverbots
II. Wirkung des Kündigungsverbots
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung
II. Entscheidung der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
850
III. Wirkung der Zulässigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . .
66
852
IV. Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung der Behörde . . . . .
69
852
G. Besondere Voraussetzungen der Arbeitgeberkündigung
. .
70
852
H. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
853
I. Nichtiger Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
853
II. Befristeter oder auflösend bedingter Arbeitsvertrag . . . . .
77
854
III. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
854
IV. Beendigung durch gerichtliche Entscheidung . . . . . . . .
80
855
V. Eigenkündigung der Arbeitnehmerin . . . . . . . . . . . . .
82
855
I. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz . . . . . . . .
83
855
XI
Inhaltsübersicht
Teil 7 Sonderkündigungsschutz für Eltern in der Elternzeit Rz.
Seite
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
857
B. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
857
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
. . . . . . . . . .
6
858
D. Dauer des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
859
E. Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots . . . .
15
860
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung
18
861
G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
25
862
H. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz . . . . . . . .
26
863
. . . . .
Teil 8 Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
865
B. Voraussetzungen des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . .
3
865
I. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
865
II. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
866
III. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
868
C. Gegenstand des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . .
17
869
I. Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung . . . .
19
869
II. Beteiligungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung . .
41
873
D. Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots . . . .
52
875
E. Beteiligung von Gremien
55
876
F. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
58
877
G. Verhältnis zu anderen Kündigungsschutznormen . . . . . .
59
877
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
879
B. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
. . . . . . . . . .
3
879
C. Rechtsfolgen des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . .
8
880
I. Verbot der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . .
8
880
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 9 Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger und zu Wehrübungen Einberufener
XII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
II. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund . . . .
12
881
III. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
882
Teil 10 Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
883
B. Bestellung des Datenschutzbeauftragten . . . . . . . . . . .
5
884
C. Widerruf der Bestellung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
884
D. Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . .
19
886
E. Nachwirkender Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . .
23
888
F. Besonderheiten bei befristeter Bestellung
26
888
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
891
B. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . .
7
892
1. Anspruchsberechtigte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
892
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
893
3. Pflegebedürftige nahe Angehörige . . . . . . . . . . . . . . .
13
893
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
. . . . . . . . . .
16
893
1. Kündigungsverbot bei kurzzeitiger Arbeitsverhinderung . .
18
894
2. Kündigungsverbot während der Pflegezeit . . . . . . . . . .
25
895
D. Dauer des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
898
E. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Kündigungsverbot . . .
43
899
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung
45
899
G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
47
900
H. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz . . . . . . . .
48
900
. . . . . . . . . . . . . . .
1
901
I. Feststellung des Nichteintritts einer Gestaltungswirkung .
1
901
. . . . . . . . . .
Teil 11 Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
2. Arbeitgeber
. . . . .
Teil 12 Kündigungsschutzprozess A. Ziel der Kündigungsschutzklage
XIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
II. Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage . . . . . . . .
19
908
III. Wiedereinstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
917
B. Klageerhebung und Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
926
I. Beginn der Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
926
II. Fristwahrende Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
945
III. Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung . .
211
966
IV. Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage . . . . . . .
305 1000
V. Verlängerung der Klagefrist bei allgemeiner Feststellungsklage, § 6 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365 1019
C. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
386 1025
I. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
386 1025
II. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für Kündigungssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
396 1028
D. Folgen des Feststellungsurteils
428 1040
. . . . . . . . . . . . . . . .
I. Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung
. . . . . .
428 1040
. . . . . . . . .
433 1041
. . . . . . . . . . . . . . . .
470 1054
IV. Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
494 1063
E. Auflösungsantrag und Auflösungsurteil . . . . . . . . . . .
514 1071
I. Auflösungsantrag des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . .
514 1071
II. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . .
546 1082
III. Beiderseitiger Auflösungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . .
560 1088
IV. Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils
. . . . . . . . .
564 1089
F. Streitwert und Kosten des Prozesses . . . . . . . . . . . . .
600 1103
I. Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG
. . . . . . .
600 1103
II. Ausschluss der Erstattung von Anwaltskosten gemäß § 12a ArbGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
622 1111
II. Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug III. Weiterbeschäftigungsanspruch
III. Beiordnung eines Rechtsanwalts
XIV
. . . . . . . . . . . . . . .
635 1116
Inhaltsübersicht
Teil 13 Sozialversicherungsrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rz.
A. Vorbemerkung
Seite
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1125
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1125
II. Überblick über die Gesetzesentwicklung
. . . . . . . . . .
3 1125
B. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . .
10 1128
I. Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 1129
II. Arbeitslosmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 1136
III. Anwartschaft
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Höhe des Arbeitslosengeldes
. . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs
60 1140 70 1142
. . . . . . . . . . . .
77 1143
. . . . . . . . . . . . . .
83 1145
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 1145
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 1146
III. Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 1165
IV. Dauer der Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 1175
V. Rechtsfolgen der Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191 1180
D. Ruhen von Leistungen bei Entlassungsentschädigungen . .
197 1181
C. Kürzungen beim Arbeitslosengeld I. Vorbemerkung II. Sperrzeitfälle
I. Vorbemerkung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 1181
II. Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III .
213 1185
III. Folgen des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld . .
268 1196
IV. Anspruchsübergang gemäß §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272 1196
V. Zusammentreffen von Sperrzeit und Ruhenszeitraum . . .
286 1200
E. Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit bei Entlassung älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . .
289 1201
F. Beitragsrechtliche Folgen einer Entlassungsentschädigung
292 1201
G. Exkurs: Sozialversicherungsrechtliche Folgen einer Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293 1201
I. Arten der Freistellung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
294 1202
II. Sperrzeit als Folge einer Freistellung . . . . . . . . . . . . .
296 1202
III. Beitragsrechtliche Folgen einer Freistellung . . . . . . . . .
299 1203 XV
Inhaltsübersicht
Teil 14 Steuerrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rz.
Seite
A. Steuerermäßigung nach §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 1207
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 1207
II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 1208
III. Anwendung des § 34 EStG im Lohnabzugsverfahren . . . .
58 1230
IV. „Brutto = Netto“-Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 1230
V. Das Prinzip vom Zufluss der Einnahmen
. . . . . . . . . .
63 1231
B. Auskunft des Betriebsstättenfinanzamtes . . . . . . . . . .
67 1233
C. Nachträgliche Änderung steuerungünstiger Vereinbarungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 1235
D. Lohnsteuernachforderungen nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 1235
E. Steuerfreie Entschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 1238
F. Im Ausland ansässige Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . .
89 1240
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVI
1243
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LIII
Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LXI
Teil 1 Kündigung eines Arbeitsverhältnisses Allgemeines Rz.
Seite
A. Die Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
I. Ausspruch der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
1. Rechtscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
. . . . .
1 12 20 31 63
1 2 4 5 10
2. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
12
a) Grundsatz der Klarheit und Bestimmtheit/Auslegung . b) Anhörung des zu Kündigenden . . . . . . . . . . . . . .
72 91
12 16
3. Sprachliche Anforderungen/Übersetzung . . . . . . . . . . .
98
17
106
18
. . . .
106 112 120 128
18 20 21 22
.
142
25
II. Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
27
a) b) c) d) e)
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsrecht/Wirkung . . . . . . . . Bedingungsfeindlichkeit . . . . . . . . . Allgemeine Regeln über Rechtsgeschäfte Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze .
4. Mitteilung der Kündigungsgründe a) b) c) d)
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruch auf Mitteilung der Kündigungsgründe . . . Nachschieben von Kündigungsgründen . . . . . . . . .
5. Zeitpunkt des Ausspruchs, Verlassen des Machtbereichs
1. Schriftform
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
27
a) Grundsatz der Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anforderungen an die Schriftform nach §§ 623, 126 BGB c) Zusätzliche Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . .
149 162 172
27 29 31
2. Andere Formen der Verkörperung der Kündigungserklärung
175
31
3. Treuwidrigkeit bei Formfehlern . . . . . . . . . . . . . . . .
180
32 XVII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
III. Zugang der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
33
1. Übergabe des Kündigungsschreibens . . . . . . . . . . . . .
191
34
2. Zustellung des Kündigungsschreibens a) Zustellung per Gerichtsvollzieher . b) Einfacher Brief . . . . . . . . . . . . c) Einschreiben Rückschein . . . . . . d) Einschreiben Einwurf . . . . . . . . e) Zustellung per Bote . . . . . . . . .
. . . . . .
196 199 203 212 217 219
35 35 36 38 39 40
3. Zugang bei Vertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Empfangsvertreter und -bote . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erklärungsvertreter und -bote . . . . . . . . . . . . . . .
223 223 232
40 40 42
4. Zugang bei Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237 237 241
43 43 43
5. Zugangsvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
44
6. Nachweis und Beweislastfragen . . . . . . . . . . . . . . . .
253
45
IV. Kündigungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261
47
261
47
. . . . . . . . . . . . . . der Kündi. . . . . . . . . . . . . .
263 263
47 47
269 279
49 51
3. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kündigungsberechtigung in der GbR . . . . . . . . . . . b) Arbeitsverhältnisse mit Drittbezug . . . . . . . . . . . .
280 280 283
51 51 52
V. Fristbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
52
1. Gesetzliche Fristen für den Ausspruch einer Kündigung . . a) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweck des 626 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . bb) Fristbeginn und -berechnung . . . . . . . . . . . . . (a) Person des Kündigungsberechtigten . . . . . . . (b) Zeitpunkt der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . cc) Berechnung und Ablauf der Ausschlussfrist . . . . . dd) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . ee) Auswirkungen der Beteiligung von Gremien für die Ausschlussfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rechtsfolgen bei Fristversäumnis . . . . . . . . . . . b) Mandatsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 289 289 291 291 295 304 306
52 53 53 53 53 54 56 56
307 313 316
57 58 58
1. Person des Arbeitgebers
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Vertreter des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Stellvertretung . . . . b) Fehlende Vollmachtsurkunde bei Ausspruch gung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertreter ohne Vertretungsmacht . . . . . .
XVIII
. . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
c) Massenentlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
61
2. Vertragliche Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
62
3. Fristen aus Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen
. .
345
63
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
346
63
. . . .
. . . . . . .
346 350 355 360 364 365 368
63 64 65 66 67 67 68
2. Betriebsvereinbarungen/Tarifverträge . . . . . . . . . . . . .
370
68
3. Vertragliche Vereinbarungen
. . . . . . . . . . . . . . . . .
378
70
VII. Arten der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
385
71
1. Ordentliche und Außerordentliche Kündigung . . . . . . . a) Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . .
387 387 390
71 71 72
2. Vorsorgliche Kündigung und Vorratskündigung . . . . . . .
392
72
3. Änderungskündigung und Abgrenzung zum Direktionsrecht
396
73
4. Teilkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
401
74
5. Wiederholungskündigung und Trotzkündigung . . . . . . .
403
74
6. Druckkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
409
75
7. Verdachtskündigung und Tatkündigung . . . . . . . . . . .
415
76
8. Diskriminierende Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . .
418
77
9. Arbeitskampfbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . .
421
77
10. Sittenwidrige und rechtsmissbräuchliche Kündigung . . . . a) Sittenwidrige Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Treuwidrige Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
426 426 431
78 78 79
VI. Zustimmungserfordernisse 1. Gesetzliche Regelungen . . a) Schwerbehinderte . . . . b) Schwangere . . . . . . . c) Betriebsräte . . . . . . . d) Weitere Personengruppen aa) Elternzeitberechtigte bb) Pflegezeitberechtigte
VIII. Umdeutung der Kündigung
. . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
79
1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
79
2. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
442
81
3. Zustimmungserfordernisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
450
83
IX. Rücknahme der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
457
84
458
84
1. Rücknahme durch einseitige Erklärung
. . . . . . . . . . .
XIX
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . . . . . .
462
85
3. Rücknahme im Kündigungsschutzprozess . . . . . . . . . .
469
86
X. Rechtsfolgen der wirksamen Kündigung . . . . . . . . . . .
478
88
. . . . . . . . .
486
89
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
500
91
I. Erteilung der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
500
91
1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
500
91
a) § 314 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abmahnung ohne Verschulden . . . . . . . . . . . . . .
503 504
92 92
2. Funktion und Inhalt der Abmahnung . . . . . . . . . . . . .
508
93
a) Dokumentation, Rüge, Warnung . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur Ermahnung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zur Betriebsbuße . . . . . . . . . . . . . . .
508 512 513
93 95 95
3. Ausspruch der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Einvernehmliche Rücknahme durch Vertrag
XI. Rechtsfolgen der unwirksamen Kündigung B. Die Abmahnung
514
95
. . . . .
514 515 516 518 520
95 96 96 97 97
4. Erforderlichkeit und Entbehrlichkeit der Abmahnung . . .
522
98
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 BGB
522 526 526 529
98 100 100 101
5. Rechtsfolgen der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . .
532
102
. . . .
532 536 537 539
102 103 104 104
II. Angreifbarkeit der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . .
540
105
1. Rücknahme/Entfernung bei Unrichtigkeit . . . . . . . . . .
540
105
2. Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
546
107
3. Beschwerde
549
107
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
550
107
5. Prozess und Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . .
552
108
a) b) c) d) e)
Abmahnbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . Formfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhörung des Arbeitnehmers/des Betriebsrats
a) Erforderlichkeit/Anwendungsfälle . . . . . . . b) Entbehrlichkeit der Abmahnung . . . . . . . aa) Grundfall Arbeitnehmer . . . . . . . . . . bb) Übertragung auf Organmitglieder wegen § a) b) c) d)
Kündigungsvorbereitung . . . . . . . Verbrauch von Kündigungsvorwürfen Kündigung nur bei Gleichartigkeit . Wirkungsdauer . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Verwirkung/Präklusion
XX
. . . .
. . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
III. Exkurs: die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung . . .
556
109
C. Aufhebungsvertrag und andere Beendigungstatbestände . .
558
110
I. Ausschluss der Kündbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
558
110
1. Vertragliche Kündigungsbeschränkungen
. . . . . . . . . .
559
110
2. Verwirkung des Kündigungsrechts . . . . . . . . . . . . . .
568
112
3. Gesetzliche Kündigungsbeschränkungen . . . . . . . . . . .
572
113
a) Kündigungsverbote mit Zustimmungsvorbehalt . . . . . b) Kündigungsverbote ohne Zustimmungsvorbehalt . . . .
574 580
114 114
4. Kollektivrechtliche Kündigungsbeschränkungen . . . . . .
597
118
a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kündigungsbeschränkungen und Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kein Ausschluss der außerordentlichen Kündigung
597
118
597 606
118 119
b) Zeitlich befristeter Ausschluss von Kündigungen . . . . c) Altersschutz in Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . .
613 614
121 122
II. Andere Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . .
617
123
1. Nichtigkeit des Arbeitsvertrages
. . . . . . . . . . . . . . .
618
123
a) Beschränkte Geschäftsfähigkeit des Arbeitnehmers, §§ 106 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen Formvorschriften, § 125 BGB . . . . . . . c) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, § 134 BGB . . . . d) Verstoß gegen die guten Sitten/Lohnwucher, § 138 BGB aa) § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
619 623 627 633 634 636
124 124 125 126 126 127
e) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
640
128
2. Anfechtung des Arbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . .
648
130
a) § 119 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung, § 123 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arglistige Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verletzung der Offenbarungspflicht . . . . . (2) Unrichtige Beantwortung zulässiger Fragen . bb) Widerrechtliche Drohung . . . . . . . . . . . . .
. . . .
652 655
130 131
. . . . .
. . . . .
664 665 667 673 691
132 132 133 134 138
d) Anfechtungsfrist; Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
693 699
138 139
3. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
701
140
a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung von Aufhebungsverträgen . . . . . . . . .
701 701
140 140 XXI
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . .
702 706 706
140 141 141
. .
718 721
145 146
. . . . . . . . . .
722 723 737 737 745 745 746 748 755 758
146 146 149 149 150 150 150 151 153 153
. . . . . . . . .
759 763 766 774 780 781 788 789 790 793
154 155 155 157 158 158 160 160 161 161
.
797
162
.
802
163
c) Mögliche Regelungsgegenstände in Aufhebungsverträgen aa) Allgemeine Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) AGB – Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auswirkungen des AGG . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mindestinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Weitere Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Grundvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Sonstige Vergütung . . . . . . . . . . . . . . (i) Bonus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ii) Provision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (iii) Tantieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
806 806 806 808 817 823 824 829 830 832 833 839 841 846 851
164 164 164 164 166 167 167 168 168 168 169 170 171 172 173
bb) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abgrenzung zu anderen Beendigungstatbeständen (1) Abwicklungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kündigung mit Abfindungsangebot nach § 1a KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kündigungsbestätigungsvertrag . . . . . . . . . b) Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zustandekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Angebot/Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ausländische Arbeitnehmer . . . . . . . . (b) Minderjährige und Auszubildende . . . . . (c) Bedingung/Befristung . . . . . . . . . . . . (3) Umdeutung einer Kündigungserklärung . . . . (4) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . cc) Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beendigung auf Initiative des Arbeitnehmers . (2) Beendigung auf Initiative des Arbeitgebers . . (a) Sozialrechtliche Nachteile . . . . . . . . . (b) Steuerrechtliche Nachteile . . . . . . . . . (c) Versorgungsrechtliche Nachteile . . . . . . (d) Kündigungsrechtliche Nachteile . . . . . . (e) Kollektivvertragliche Widerrufsklauseln . (3) Umfang und Inhalt der Hinweispflicht . . . . . (4) Rechtsfolgen bei Verletzung der Hinweispflicht (5) Abdingbarkeit von Hinweis- und Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf Aufhebungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXII
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Seite
. . . . . . . . . .
855 856 865 867 869 876 876 884 891 895
173 174 176 177 177 178 178 180 181 182
. . . . .
899 903 908 911 918
183 183 184 184 185
. . . . . . . .
927 940 950 962 968 970 974 978 981
188 191 192 195 196 196 197 197 198
d) Mängel und Beseitigung von Aufhebungsverträgen . . . aa) Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Inhalts-/Erklärungsirrtum . . . . . . . . . . . . . (2) Arglistige Täuschung/Widerrechtliche Drohung (a) Arglistige Täuschung . . . . . . . . . . . . . (b) Widerrechtliche Drohung . . . . . . . . . . . (aa) Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Drohung mit anderen Mitteln . . . . . . . . cc) Rücktritt und Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . ee) Kündigung während der vereinbarten Auslauffrist .
988 988 991 994 997 997 1001 1004 1015 1023 1028 1034
199 199 200 201 201 201 202 202 204 206 206 208
1036
208
(iv) 1. 2. 3. (c) (d) (e) (f) (g) (h) (i) (j) (k) (l) (m) (n) (o) (p) (q) (r) (s) (t)
Sonderzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . Gratifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . Zusätzliches Monatsgehalt . . . . . . . . . Anwesenheitsprämie . . . . . . . . . . . . Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freistellung und Urlaub . . . . . . . . . . . (aa) Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . Outplacement . . . . . . . . . . . . . . . . „Turbo-Prämie“ . . . . . . . . . . . . . . . Sprachregelung und Verschwiegenheitserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel . . Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse . . . . Erfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebliche Altersversorgung . . . . . . . Dienstwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkwohnung . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitspapiere . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht Sozial- und Steuerrechtliche Konsequenzen Ausgleichsklausel . . . . . . . . . . . . . .
4. Gerichtlicher Vergleich
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Ablauf der Befristung, auflösende Bedingung
. . . . . . . .
1043
209
a) Kündigung bei wirksamer Befristungsabrede . . . . . . . b) Kündigung bei unwirksamer Befristungsabrede . . . . . c) Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1045 1046 1047
210 210 210
6. Verzicht auf Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . .
1053
212 XXIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . . . . . . . . . . .
1059
213
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1063
214
9. Tod einer Vertragspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1064
214
. .
1
215
I. Betrieblicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
215
. . . . .
1 3 28 31 41
215 215 225 226 232
2. Mindestbetriebsgröße, Anzahl der Arbeitnehmer . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG c) Beginn des Arbeitsverhältnisses gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialauswahl zwischen Alt- und Neuarbeitnehmern nach betriebsbedingter Kündigung . . . . . . . . . . . . e) Berechnung des Schwellenwertes . . . . . . . . . . . . . aa) Der Begriff „in der Regel“ . . . . . . . . . . . . . . . bb) Teilzeitbeschäftigte und Aushilfen . . . . . . . . . . cc) Zurechnung von Fremdpersonal . . . . . . . . . . .
51 51 55
236 236 238
65
240
69 72 72 77 82
241 242 242 244 246
3. Darlegungs- und Beweislast im Prozess . . . . . . . . . . . a) Anzahl der in der Regel Beschäftigten: Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . b) Darlegung der Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
246
84
246
87
247
II. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
248
1. Arbeitnehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abhängigkeitskriterien (Weisung, Einbindung, Finanzen) b) Berufsausbildungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zu anderen Personengruppen . . . . . . . . d) Faktisches Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . .
89 95 106 112 119
248 250 255 257 260
2. Ausgeschlossene Personengruppen . . . . . . . . . . a) Organmitglieder von juristischen Personen . . . b) Gesellschafter von Personengesellschaften . . . . c) Familienmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 120 126 127
260 260 262 263
7. Widerspruch nach Betriebsübergang 8. Dauerhafte Erkrankung
Teil 2 Betriebsbedingte Kündigung A. Gesetzliche Voraussetzungen des Kündigungsschutzes 1. Bestimmung des Betriebes im Kündigungsschutzrecht a) Beschäftigungsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung betrieblicher Einheiten . . . . . c) Unternehmen eines Arbeitgebers . . . . . . . . . . d) Gemeinschaftsbetrieb verschiedener Rechtsträger .
XXIV
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . .
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3. Mindestbetriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berechnung der Wartezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterbrechung und Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit von anderweitigen Parteiregelungen – Kündigungsschutz/Anrechnung von Vordienstzeiten durch besondere Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 130 143
263 264 269
156
273
B. Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
276
I. Ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung
. . .
164
276
1. Zumutbarkeit der Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . .
166
277
2. Planbarkeit des betrieblichen Grundes . . . . . . . . . . . .
168
277
3. Zeitliche Relation zwischen Kündigungsgrund und -termin
169
277
II. Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit Auslauffrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
278
1. Anwendungsbereich: Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
279
2. Verfassungsrechtliche Grenzen des Kündbarkeitsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
280
3. Außerordentliche Kündigung bei Betriebs- oder Betriebsteilstilllegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180
282
4. Außerordentliche Kündigung bei Wegfall von einzelnen Arbeitsplätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
283
5. Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
285
. . . .
189
285
1. Aufhebung der bisherigen Arbeitsbedingungen . . . . . . .
190
286
2. Das Änderungsangebot . . . . . . . . . . . a) Änderung des Beschäftigungsvolumens b) Änderung des Leistungs-/Lohngefüges c) Änderung des Arbeitsortes . . . . . . .
. . . .
202 203 209 210
290 291 293 294
3. Zumutbarkeit der geänderten Fortsetzung . . . . . . . . . . a) Zusätzliches Rechtfertigungserfordernis? . . . . . . . . . b) Kritik an der Rechtsprechung zur Änderungskündigung
215 215 218
299 299 300
IV. Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung .
222
301
C. Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung . . . . .
228
306
I. Dringende betriebliche Erfordernisse und Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
306
III. Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
XXV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
236
307
. . . . . . . . .
236 246 249 256 260 271 284 286 293
307 311 313 316 317 324 333 333 337
2. Wegfall personenbezogenen Beschäftigungsvolumens wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
341
a) Änderung von Anforderungsprofilen . . . . . . . . . . . b) Druckkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305 310
341 343
3. Die Unternehmerentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . .
321
347
a) Tatsache der Unternehmerentscheidung . . . . . . . . . b) Freiheit der Unternehmerentscheidung . . . . . . . . . . c) „Kontrolle“ der Unternehmerentscheidung . . . . . . .
321 325 329
347 349 351
4. Das Merkmal „Dringlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
334
353
II. Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung . . . . . . .
338
356
1. Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens . . . . . . . . . a) b) c) d) e) f) g) h) i)
Stellenabbau und Arbeitsverdichtung . . . . . . Umverteilung von Beschäftigungsvolumen . . Arbeitsmangel und Auftragsrückgang . . . . . . Technische Rationalisierung . . . . . . . . . . . Betriebsstilllegung und Betriebseinschränkung Betriebsübergang und Betriebsteilübergang . . . Restrukturierung der Arbeitsorganisation . . . Änderung des Betriebskonzepts . . . . . . . . . Insolvenzabwicklung . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
1. Identifizierung des auswahlrelevanten Personenkreises
. . . . . . . . .
. .
341
357
.
341
357
. . . . . .
350 354 359 364 372 382
360 361 363 364 367 371
2. Auswahlkriterien der Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . .
386
373
. . . . . .
386 387 389 391 396 407
373 374 376 377 380 383
b) Durchführung der Sozialauswahl: individueller Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . c) Auswahlrichtlinien nach § 1 Abs. 4 KSchG . . . . . . .
411 421
384 388
3. Kenntnis und Kennenmüssen auswahlrelevanter Daten . .
439
394
a) Arbeitsplatzbezogene tatsächliche Austauschbarkeit . b) Rechtliche Austauschbarkeit durch Direktionsrechtsausübung, rechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . c) Horizontale Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . d) Voll- und Teilzeitbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . e) Berücksichtigung von Sonderkündigungsschutz . . . . f) Kollision mit § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . g) Überbetriebliche Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . a) Die Sozialindikatoren nach § 1 Abs. 3 Satz aa) Lebensalter . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . cc) Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . dd) Schwerbehinderung . . . . . . . . . . ee) Berücksichtigung sonstiger Umstände
XXVI
1 . . . . .
KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
4. Berechtigtes Unterlassen einer Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444
397
a) Berechtigte betriebliche Interessen . . . . . . . . . . . . b) Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen . . . . . . . . . c) Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur . . . .
445 455 461
398 402 405
5. Konsequenzen der Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . .
469
409
6. Umfang der gerichtlichen Nachprüfung . . . . . . . . . . .
475
411
7. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477
412
III. Besonderheiten bei Massenentlassungen . . . . . . . . . . .
478
412
1. Quantität des § 17 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
480
413
a) Zu berücksichtigende Tatsachen . . . . . . . . . . . aa) Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Entlassungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnis zwischen Arbeitnehmerzahl und Entlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Entlassungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
480 481
413 413
. . . .
486 493
414 416
. . . .
501 503
417 418
b) Freifrist für Durchführung der Entlassung . . . . . . . . c) Sonderfall: Aufhebungsvereinbarung . . . . . . . . . . .
506 515
418 419
. . . . . . . . . . . . . . . . .
517
420
3. Das Verfahren zur Herbeiführung von Interessenausgleich und Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Verhältnis zu § 112a BetrVG
527
422
. . . .
527 532 540 548
422 425 427 428
4. Anzeige an die Agentur für Arbeit gem. § 17 KSchG . . . .
554
429
a) Form und Inhalt der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
555 555 558
429 429 430
b) Stellungnahme des Betriebsrats . . . . . . . . . . . c) Beteiligung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . d) Information der Agentur für Arbeit über die Unterrichtung des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . . e) Zeitpunkt der Anzeige, Sperrfrist und Freifrist . . . f) Rechtsfolgen der Anzeige oder deren Versäumnis .
. . . . . .
564 572
431 433
. . . . . . . . .
598 600 617
436 437 440
IV. Interessenausgleich mit Namensliste . . . . . . . . . . . . .
629
443
633
444
a) b) c) d)
Phase freier Verhandlungen mit dem Betriebsrat Anrufung und Einrichtung der Einigungsstelle . Einigungsstellenverfahren . . . . . . . . . . . . . Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen
1. Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . . . . . . . .
XXVII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
2. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG . . . . . . . . . . . . . .
643
448
a) Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung . . . b) Beschränkung der Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
644
448
647
450
3. Wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
650
451
4. Beteiligung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . .
658
454
5. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
660
455
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insbesondere: Darlegungs- und Vortragslast des Arbeitgebers bei Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG . . . . . . . . . .
660
455
667
457
V. Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung . . .
671
458
1. Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . .
675
460
2. Allgemeiner Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . .
679
462
3. Voraussetzungen des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . .
684
464
. . . .
685 687 701 711
464 465 467 470
. . . . .
714
472
5. Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Folgen . . . . . .
a) b) c) d)
Betriebsbedingte Kündigung . . . Hinweis des Arbeitgebers . . . . . Verstreichenlassen der Klagefrist Ablauf der Kündigungsfrist . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
4. Höhe des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
717
472
. . . . . . . . . . . . . . .
718 719 720
473 473 473
. . . . .
721
474
. . . . .
722
474
.
723
474
1. Voraussetzungen des Wiedereinstellungsanspruches . . . .
727
476
a) Wirksame Beendigung durch Kündigung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrundes . . . . c) Möglichkeit und Zumutbarkeit der Wiedereinstellung d) Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten . . . . . . . . e) Zeitliche Grenzen der Anspruchsentstehung . . . . . f) Rechtliche Hinderungsgründe der Anspruchsentstehung
. . . . .
727 731 734 739 741 748
476 477 478 480 481 483
2. Rechtsfolgen des Wiedereinstellungsanspruchs . . . . . . .
750
484
a) Steuerrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialversicherungsrechtliche Folgen . . . . . . aa) Sperrzeitenregelung des § 144 SGB III . . . bb) Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147a SGB III . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einsetzbares Vermögen bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . .
VI. Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
XXVIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
750 751
484 484
757
485
D. Anhörung des Betriebsrats und des Sprecherausschusses der leitenden Angestellten bei der betriebsbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
759
485
I. Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
762
486
1. Mitteilung der Gründe für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
767
488
767 771 773
488 489 490
777
492
a) Anspruch auf Beschäftigung am alten Arbeitsplatz? . . . b) Vergütungsanspruch und Annahmeverzugslohn . . . . . c) Wegfall des Annahmeverzugs bei verspäteter Geltendmachung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) b) c) d)
Subjektive Determination der Mitteilungspflicht . . . . Konkrete Information zum betroffenen Arbeitsplatz . . Darlegung fehlender anderweitiger Einsetzbarkeit . . . . Mitteilung der Rahmenbedingungen der beabsichtigten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Art der beabsichtigten Kündigung (außerordentlich/ ordentlich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Personal-, Sozial- und Beschäftigungsdaten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Kündigungsfrist und Termin . . . . . . . . . . . . . . . .
781
493
783 787
494 495
2. Information zum Kriterium „Dringlichkeit“ der Gründe . .
792
497
3. Informationen zur Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . .
795
498
796
498
802
500
803
500
804
501
.
806
501
5. Anhörung bei außerordentlicher und vorsorglicher ordentlicher Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
808
502
6. Vorsorgliche Anhörung bei leitenden Angestellten . . . . .
811
503
7. Keine „Anhörung auf Vorrat“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
815
504
8. Anhörung vor Eintritt des Kündigungsschutzes . . . . . . .
818
505
9. Besonderheiten bei Tendenzunternehmen . . . . . . . . . .
822
507
a) Information über Sozial- und Beschäftigungsdaten des Betroffenen und des auswahlrelevanten Personenkreises, Qualifikationsunterschiede und Anforderungsprofile . . b) Informationen über hierarchische Einordnung von Arbeitsplätzen und Abgrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Information über die berechtigten betrieblichen Interessen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . d) Information über Auswahlkriterien, Gewichtung und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Darstellung von Auswirkungen auf andere Arbeitsplätze
XXIX
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
II. Vorkenntnisse des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . .
830
509
1. Verwertbarkeit von früheren Informationen . . . . . . . . .
830
509
2. Anwendung von § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG . . . . . . . . .
833
510
III. Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG . . . .
841
511
. . . . . . . . . .
841
511
2. Anspruch des Betriebsrats auf Fristverlängerung? . . . . . .
852
514
3. Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung (Verlassen des Machtbereichs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
856
515
IV. Anhörung bei vorsorglicher Wiederholungskündigung . . .
862
517
V. Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen . . . . . . . . .
867
518
1. Schweigen des Betriebsrats
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
875
520
. . . . . . . . . . . . . . . . .
879
521
3. Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG .
884
523
VI. Anhörung zur betriebsbedingten Kündigung leitender Angestellter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
896
527
1. Mitteilung der Kündigungsgründe an den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten gem. § 31 Abs. 2 SprAuG
897
528
2. Information des Betriebsrats gem. § 105 BetrVG
. . . . . .
899
528
3. Vorsorgliche Anhörung des Betriebsrats in Zweifelsfällen der Statusbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
904
529
VII. Beteiligung des Betriebsrats bei betriebsbedingter Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
905
529
1. Anhörung zur Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
908
531
2. Zustimmungsaufforderung gem. § 99 BetrVG für Änderungsangebot und rechtliche Auswirkungen des Verfahrens gem. § 99 BetrVG auf die Kündigung . . . . . .
911
532
. . . . .
918
534
. . . . . . . . . . . .
920
535
2. Restmandat bei Stilllegung des Betriebes . . . . . . . . . . .
925
536
E. Betriebsbedingte Kündigung von Mandatsträgern der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
931
537
I. Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder . . . . . . . . . .
931
537
1. Nachbesserung der Betriebsratsanhörung
2. Widerspruch des Betriebsrats
VIII. Anhörung bei Restmandat und Übergangsmandat 1. Übergangsmandat nach § 21a BetrVG
XXX
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
933
538
2. Stilllegung eines Betriebsteils . . . . . . . . . . . . . . . . .
945
542
3. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
955
546
4. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung
. . . . . . .
959
547
II. Betriebsbedingte Kündigung nach Ende des Mandats . . . .
965
549
1. Befristeter Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . .
965
549
2. Kündigung nach Schutzfrist aus zuvor entstandenen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
972
551
3. Kündigung bei Stilllegung von Betrieb oder Betriebsabteilung/außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
974
552
III. Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
976
553
1. Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes . . . . . .
976
553
2. Einwand des Rechtsmissbrauchs? . . . . . . . . . . . . . . .
993
558
A. Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
561
I. Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung . . .
2
561
1. Begriff
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
561
2. Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
564
3. Prüfungsstufen der Sozialwidrigkeit einer personenbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Betriebsstilllegung
Teil 3 Personenbedingte Kündigung
19
566
.
21
566
. . .
25 27 31
567 568 569
c) Ultima-ratio-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überbrückungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . bb) Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz/Weiterbeschäftigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Umschulungs-/Fortbildungsmaßnahmen . . . . . .
36 38
570 571
42 50
572 574
d) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .
52 56
575 576
a) Negative Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsablaufstörungen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirtschaftliche Belastungen . . . . . . . . . . . . .
XXXI
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
II. Außerordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
59
576
III. Ordentliche personenbedingte Änderungskündigung . . . .
73
582
IV. Außerordentliche personenbedingte Änderungskündigung .
79
584
B. Einzelne Kündigungsgründe in der Person des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
586
I. Eignungsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
586
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 93 98 100 103 103 109 114 115 119 120 127 128 132a 133 133 140 141 146 155 161 164 167a 168 169a
587 587 589 590 591 591 592 593 594 595 595 597 598 599 600 600 602 602 603 606 607 608 609 610 610
2. Mangelnde fachliche Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mängel in der physischen und psychischen Eignung . . b) Mängel im für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlichen Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlen gesetzlich vorgeschriebener Qualifikationsnachweise oder Berufsausübungserlaubnisse . . . . . . . . .
170 171
610 611
176
615
178
615
II. Mangelnde Arbeitsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
618
1. Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
618
2. Schwangerschaft
200
625
1. Mangelnde persönliche Eignung . . . . . . . . . . . . a) Arbeits-/Aufenthaltserlaubnis . . . . . . . . . . . b) Ausländischer Wehrdienst . . . . . . . . . . . . . c) Ehrenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Familiäre Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eheschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ehescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Familiäre Verpflichtungen . . . . . . . . . . . e) Gefährdung von Betriebs-/Geschäftsgeheimnissen f) Geschlechtsumwandlung/Transsexualität . . . . g) Gewissensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . h) Mitgliedschaft in einer Scientology-Organisation i) Sicherheitsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Sprachliche Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Stasi-Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes . . . bb) Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft . . . . l) Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Straf-/Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . n) Tendenzbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . p) Verfassungstreue/Politische Tätigkeit . . . . . . q) Vertrauenswürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . r) Wehrdienst/Zivildienst . . . . . . . . . . . . . . . s) Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit . . . . . .
XXXII
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
3. Schwerbehinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
626
4. Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation
210
628
5. Erwerbsminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213
628
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214
628
1. Krankheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216
631
2. Krankheitsbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . .
218
632
a) Das betriebliche Eingliederungsmanagement . . . . . . aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen eines ordnungsgemäß durchgeführten BEM . cc) Folgen eines nicht bzw. nicht ordnungsgemäß durchgeführten BEM . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Häufige Kurzzeiterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Negative Gesundheitsprognose . . . . . . . . . . . . bb) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen . . . . . . (1) Betriebsablaufstörungen . . . . . . . . . . . . . . (2) Wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers . . cc) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ursachen der Erkrankung . . . . . . . . . . . . . (2) Dauer des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Alter des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . (4) Familiäre Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . c) Langzeiterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Negative Zukunftsprognose . . . . . . . . . . . . . . bb) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen . . . . . . cc) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit . . . aa) Negative Zukunftsprognose . . . . . . . . . . . . . . bb) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen cc) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonderfall: Dauernde Fluguntauglichkeit . . . . . .
219a 219b 219s
632 633 638
219v 220 221 239 240 245 255 256
638 641 641 647 648 650 652 653
261 265 268 269 271 279 283 286 287 291 295 296
654 655 655 656 656 658 660 661 661 664 665 665
e) Krankheitsbedingte dauernde Leistungsminderung . . . aa) Negative Zukunftsprognose . . . . . . . . . . . . . . bb) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen cc) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298 299 300 305
666 666 667 668
306 306 315 318 321 322 327
668 668 670 671 673 673 675
III. Krankheit
3. Sonderfälle der Erkrankung . . . . . . . . . . . . a) AIDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alkohol- und Drogensucht . . . . . . . . . . . aa) Negative Zukunftsprognose . . . . . . . . bb) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen cc) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . c) Spielsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
XXXIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
C. Wiedereinstellungsanspruch nach langandauernder Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
675
D. Anhörung des Betriebsrats bei der personenbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
339
679
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
339
679
II. Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe . . .
347
681
1. Mitteilung der Grund- und Sozialdaten
. . . . . . . . . . .
347
681
2. Information über negative Zukunftsprognose . . . . . . . .
351
682
3. Schilderung der betrieblichen Beeinträchtigungen
. . . . .
362
684
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371
687
375
688
. .
380
689
1. Rechtsfolgen der Ausübung des Widerspruchsrechts . . . .
380
689
4. Interessenabwägung
III. Vorlage von Unterlagen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Widerspruchsrecht nach personenbedingter Kündigung
2. Anwendungsbereich der Widerspruchsgründe . . . . . . . .
381
689
a) Unzureichende Sozialauswahl, § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG b) Verstoß gegen Auswahlrichtlinie, § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz, § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Änderung der Vertragsbedingungen, § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
384
690
385
690
386
690
387
691
388
691
. .
1
693
B. Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
693
I. Ordentliche Beendigungskündigung
. . . . . . . . . . . . .
6
694
1. Zumutbarkeit der Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . .
6
694
2. Zeitliche Relation zwischen Kündigungsgrund und Kündigungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
695
II. Außerordentliche Beendigungskündigung . . . . . . . . . .
13
696
1. Fristlose Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
696
Teil 4 Die verhaltensbedingte Kündigung A. Gesetzliche Voraussetzungen des Kündigungsschutzes
XXXIV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
2. Beendigung mit Auslauffrist . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
697
3. Vorsorgliche ordentliche Beendigungskündigung . . . . . .
21
698
. . . . . . . . . . . . . .
26
700
IV. Außerordentliche Änderungskündigung . . . . . . . . . . .
28
700
V. Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
700
C. Voraussetzungen der verhaltensbedingten Kündigung . . . .
38
702
. . . . . . . . . . . . .
38
702
1. Begriff des verhaltensbedingten Grundes . . . . . . . . . . . a) Vertragsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zum personenbedingten Kündigungsgrund .
39 42 50
702 703 705
2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit/Ultima-ratio-Prinzip . a) Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige mildere Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 53 64
706 706 708
3. Zweistufige Prüfung der Sozialwidrigkeit . . . . . . . . . a) Erste Stufe: Objektiver Grund . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses durch die Vertragsverletzung . . . . . . . . . . . . . bb) Negativprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verschulden (= Verantwortlichkeit) . . . . . . . . b) Zweite Stufe: Interessenabwägung . . . . . . . . . . . aa) Schützenswerte Interessen des Arbeitgebers . . . . bb) Schützenswerte Interessen des Arbeitnehmers . .
. .
68 69
710 710
. . . . . .
70 74 76 79 80 81
710 712 712 713 713 714
4. Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
714
5. Keine „Regelausschlussfrist“
. . . . . . . . . . . . . . . . .
84
714
6. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
715
II. Außerordentliche Beendigungskündigung . . . . . . . . . .
95
718
1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit/Ultima-ratio-Prinzip .
96
718
2. Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wichtiger Grund „an sich“ . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses und Negativprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verschulden (= Verantwortlichkeit) . . . . . . . . b) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
97 98
718 719
. . .
101 102 104
719 719 720
3. Einhaltung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB . . . . a) Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hemmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 109 113
721 721 722
III. Ordentliche Änderungskündigung
I. Ordentliche Beendigungskündigung
XXXV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . .
117 121 127 130
723 725 727 727
4. Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
729
5. Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
729
6. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137
729
III. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
730
1. Abkehrwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
730
2. Abwerbung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146
731
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
732
. . . . . . . . . . . . . . . .
154
736
5. Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
739
6. Arbeitsversäumnis/-verweigerung . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigenmächtige(r) Urlaubsantritt oder -überschreitung c) Mehrarbeitsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unentschuldigtes Fehlen . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unpünktlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
163 163 176 181 184 186
740 740 746 748 749 750
7. Außerdienstliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lebenswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schulden/Lohnpfändungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, in Tendenzbetrieben und kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . .
190 192 195 199
750 751 752 753
200
753
8. Ausländerfeindliches, (rechts-)extremistisches Verhalten, politische Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
756
9. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . .
210
758
10. Druckkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213
760
11. Internet und E-Mail-Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . .
214
761
12. Konkurrenztätigkeit
232
766
238 238 241 242 247 248 251
769 769 770 771 772 772 773
c) d) e) f)
Verhältnis zu anderen Vorschriften . . Begriff des Kündigungsberechtigten . . Ablauf der Frist . . . . . . . . . . . . . Nachschieben von Kündigungsgründen
3. Alkohol
4. Anzeige gegen den Arbeitgeber
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anzeige- und Nachweispflichten . . b) Rückmeldung . . . . . . . . . . . . . c) Ankündigung einer Erkrankung . . . d) Vortäuschung einer Krankheit . . . . e) Gesundheitsschädliches Verhalten . f) Unterlassen ärztlicher Untersuchung XXXVI
. . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
14. Mobbing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252
774
15. Nebentätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257
779
16. Schlecht- oder Minderleistung . . . . . . . . . . . . . . . . .
264
782
17. Strafbare Handlungen . . . . . . . . . a) Beleidigungen . . . . . . . . . . . . b) Bestechlichkeit . . . . . . . . . . . c) Eigentums- und Vermögensdelikte d) Tätlichkeiten . . . . . . . . . . . . e) Sexuelle Belästigung . . . . . . . .
. . . . . .
270 271 275 276 282 285
784 784 787 787 790 791
18. Telefonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290
793
IV. Ordentliche Änderungskündigung
. . . . . . . . . . . . . .
293
794
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304
796
2. Rechtfertigung der Aufhebung der bisherigen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhaltensbedingter Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zumutbarkeit der geänderten Fortsetzung . . . . . . . .
324 327 331
800 800 801
V. Außerordentliche Änderungskündigung . . . . . . . . . . .
333
801
1. Unzumutbarkeit der Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . .
336
802
2. Besondere Anforderungen des wichtigen Grundes
. . . . .
337
802
VI. Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
804
1. Dringender Verdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
341
804
2. Zumutbare Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts
350
806
3. Interessenabwägung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
358
808
4. Einhaltung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB . . . .
360
809
D. Anhörung des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . .
366
811
I. Gegenstand des Anhörungsverfahrens . . . . . . . . . . . .
368
811
II. Anhörungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
370
812
A. Sittenwidrige Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
815
I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
815
1. Änderungsangebot
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
Teil 5 Sittenwidrige Kündigung, Maßregelungskündigung und treuwidrige Kündigung
XXXVII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
II. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
816
1. Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme bei Kündigungsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
816
2. Kündigung nach Bekanntwerden einer HIV-Infektion
. . .
12
817
3. Verheimlichung der Unsicherheit des neuen Arbeitsplatzes bei der Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
817
4. Kündigung wegen nicht spezifizierter Leistungsschwäche .
15
817
5. Herausgreifende Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
818
III. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
818
B. Maßregelungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
819
I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
819
II. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
820
1. Kündigung wegen Verweigerung von Arbeitsleistung bei Krankschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
820
2. Kündigung wegen Inanspruchnahme von Entgeltfortzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
820
3. Kündigung wegen Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
821
4. Kündigung wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit . .
33
821
5. Kündigung wegen Vertrauensverlust bei Ablehnung von privatem Geheimnisverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
821
6. Kündigung wegen einer Zeugenaussage gegen den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
822
7. Änderungskündigung wegen Inanspruchnahme des Rechts zur gerichtlichen Überprüfung einer Personalmaßnahme .
41
822
8. Kündigung nach Infektion mit HIV-Virus . . . . . . . . . .
43
823
III. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
823
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
824
I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
824
II. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
826
1. Kündigung wegen unsubstantiierten Vertrauensverlusts . .
59
826
2. Kündigung ohne Angabe jeglicher Gründe . . . . . . . . . .
61
827
3. Kündigung zur Unzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
827
C. Treuwidrige Kündigung
XXXVIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
4. Ungehörige Kündigung wegen Zugangs am Heiligen Abend?
68
828
5. Kündigung sieben Stunden vor Ablauf der Wartezeit nach § 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
828
6. Kündigung trotz anderer Beschäftigungsmöglichkeit . . . .
73
829
7. Kündigung nach fehlerhafter Kündigungsauswahl
. . . . .
76
829
8. Kündigung in der Probezeit wegen Homosexualität . . . . .
86
832
9. Widersprüchliches Verhalten und falsche Versprechungen .
89
833
10. Kündigung wegen Verursachung von Entgeltfortzahlungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
833
11. Kündigung während Krankenhausaufenthalt des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
834
12. Kündigung als Reaktion auf Entfristungsklage
. . . . . . .
97
835
13. Kündigung wegen unsubstantiierter Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
835
. .
100
835
III. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
836
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
837
B. Persönlicher Geltungsbereich des Kündigungsverbots
. . .
2
837
. . . . . . . . . .
4
838
I. Vorliegen einer Schwangerschaft oder Entbindung . . . . .
4
838
II. Kenntnis des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
839
1. Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
839
2. Arbeitgeber
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
840
3. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
840
4. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
841
III. Nachträgliche Mitteilung von Schwangerschaft oder Entbindung nach erfolgter Arbeitgeberkündigung . . . . . .
16
841
1. Anforderungen an die nachträgliche Mitteilung . . . . . . .
17
841
2. Mitteilungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
842
3. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
845
14. Kündigung wegen vorgeschobenen Kündigungsgrundes
Teil 6 Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
XXXIX
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
35
845
. . . . . . . . . . . . . . . .
36
845
. . . . . . . . . . . . . . . . .
42
847
E. Rechtsfolgen des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . .
46
847
I. Inhalt des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
847
. . . . . . . . . . . . . . .
49
848
III. Verzicht der Arbeitnehmerin auf das Kündigungsverbot . .
50
848
. . . . .
53
848
I. Verfahren der behördlichen Zulassung . . . . . . . . . . . .
54
849
II. Entscheidung der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
850
III. Wirkung der Zulässigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . .
66
852
IV. Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung der Behörde . . . . .
69
852
G. Besondere Voraussetzungen der Arbeitgeberkündigung
70
852
73
853
I. Nichtiger Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
853
II. Befristeter oder auflösend bedingter Arbeitsvertrag . . . . .
77
854
III. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
854
IV. Beendigung durch gerichtliche Entscheidung . . . . . . . .
80
855
V. Eigenkündigung der Arbeitnehmerin . . . . . . . . . . . . .
82
855
I. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz . . . . . . . .
83
855
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
857
B. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
857
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
. . . . . . . . . .
6
858
D. Dauer des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
859
E. Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots . . . .
15
860
D. Dauer des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beginn des Kündigungsverbots II. Ende des Kündigungsverbots
II. Wirkung des Kündigungsverbots
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung
. .
H. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
Teil 7 Sonderkündigungsschutz für Eltern in der Elternzeit
XL
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
18
861
G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
25
862
H. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz . . . . . . . .
26
863
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung
. . . . .
Teil 8 Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
865
B. Voraussetzungen des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . .
3
865
I. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
865
II. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
866
III. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
868
C. Gegenstand des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . .
17
869
I. Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung . . . .
19
869
1. Antrag beim Integrationsamt . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
869
2. Entscheidung des Integrationsamts . . . . . . . . . . . . . . a) Zustimmung zur Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ablehnung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 34 40
870 872 873
II. Beteiligungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung . .
41
873
1. Antrag beim Integrationsamt . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
873
2. Entscheidung des Integrationsamts . . . . . . . . . . . . . .
48
874
D. Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots . . . .
52
875
E. Beteiligung von Gremien
55
876
F. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
58
877
G. Verhältnis zu anderen Kündigungsschutznormen . . . . . .
59
877
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
879
B. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
. . . . . . . . . .
3
879
C. Rechtsfolgen des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . .
8
880
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 9 Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger und zu Wehrübungen Einberufener
XLI
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
I. Verbot der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . .
8
880
II. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund . . . .
12
881
III. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
882
Teil 10 Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
883
B. Bestellung des Datenschutzbeauftragten . . . . . . . . . . .
5
884
C. Widerruf der Bestellung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
884
D. Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . .
19
886
E. Nachwirkender Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . .
23
888
F. Besonderheiten bei befristeter Bestellung
26
888
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
891
B. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . .
7
892
1. Anspruchsberechtigte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
892
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
893
3. Pflegebedürftige nahe Angehörige . . . . . . . . . . . . . . .
13
893
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots
. . . . . . . . . .
16
893
1. Kündigungsverbot bei kurzzeitiger Arbeitsverhinderung . .
18
894
a) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
18
894
b) Akut aufgetretene Pflegesituation und erforderliche Hilfeleistungen des Beschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
894
2. Kündigungsverbot während der Pflegezeit . . . . . . . . . .
25
895
a) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
26
895
b) Berechtigte Inanspruchnahme von Pflegezeit . . . . . . . .
29
896
D. Dauer des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
898
E. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Kündigungsverbot
. . .
43
899
. . . . .
45
899
. . . . . . . . . .
Teil 11 Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
2. Arbeitgeber
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung XLII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen
47
900
H. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz . . . . . . . .
48
900
. . . . . . . . . . . . . . .
1
901
I. Feststellung des Nichteintritts einer Gestaltungswirkung .
1
901
1. Feststellung eines Rechtsverhältnisses, gesetzliches Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
901
2. Verhältnis zur Leistungsklage und Inzidentfeststellung
. .
8
903
II. Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage . . . . . . . .
19
908
1. Wirksamkeit einer konkreten Kündigung als punktueller Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
908
2. Einbeziehung weiterer Beendigungstatbestände: Fortsetzungsfeststellungszusatz des Klageantrags . . . . . . . . . .
26
910
3. Objektive Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
914
III. Wiedereinstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
917
1. Abgrenzung zur Sozialwidrigkeit der Kündigung und Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
917
50
920
50
920
55
921
64
924
. . . . . . . .
70
925
B. Klageerhebung und Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
926
I. Beginn der Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
926
1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . .
75 75 80
926 926 928
2. Beginn der Klagefrist: Zugang der Kündigungserklärung . . a) Schriftform der Kündigung, § 623 BGB . . . . . . . . . .
90 90
932 932
Teil 12 Kündigungsschutzprozess A. Ziel der Kündigungsschutzklage
2. Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs und Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hilfsweise Geltendmachung im laufenden Kündigungsschutzprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenüber einem Dritten als Rechtsnachfolger (§ 613a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nach Abschluss eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klageantrag bei Wiedereinstellungsanspruch
XLIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
90 93 98
932 933 934
103
936
112 113 116
938 938 939
133
943
. . . . . . . . . . . . . . .
136
944
II. Fristwahrende Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
945
1. Klageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
945
a) Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Angabe des angerufenen Gerichts und der Parteien, § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klagegrund und -gegenstand sowie bestimmter Antrag, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO . . . . . . . . . . . cc) Eigenhändige Unterzeichnung gemäß §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Abfassung in deutscher Sprache, § 184 GVG . . . .
139
945
140
945
147
948
151 158
948 950
160
951
161
951
172
955
172
955
175
955
180
957
3. Eingang bei einem Arbeitsgericht . . . . . . . . . . . . . . .
181
958
a) Niederschrift bei der Geschäftsstelle/Rechtsantragsstelle des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingang eines Schriftsatzes . . . . . . . . . . . . . . . c) Eingang per Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eingang per Computerfax . . . . . . . . . . . . . . . . e) Eingang beim falschen Gericht . . . . . . . . . . . .
. . . . .
184 187 192 197 200
959 959 961 963 963
III. Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung . .
211
966
1. Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und keine Verlängerungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
966
aa) bb) cc) dd)
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . Wahrung der Schriftform . . . . . Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen erfordernis . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das Schriftform. . . . . . . . . .
b) Zugang der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zugang unter Anwesenden . . . . . . . . . . . . . . bb) Zugang unter Abwesenden . . . . . . . . . . . . . . c) Zugangsvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berechnung der Dreiwochenfrist
b) Materieller Mindestinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag auf Verurteilung zur Beschäftigung, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . 2. Klageantrag
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Feststellungsantrag bei Beendigungskündigung, § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Feststellungsantrag bei Änderungskündigung, § 4 Satz 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortsetzungsfeststellungszusatz (Anforderungen an Rechtsschutzinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLIV
. . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
2. Fiktion der sozialen Rechtfertigung gem. § 7 KSchG . . . .
216
967
a) Reichweite der Fiktionswirkung . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkung außerhalb des Arbeitsverhältnisses . . . . . . .
216 218
967 969
3. Zulässigkeit der Geltendmachung einer Unwirksamkeit aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
970
. .
226 226
971 971
. .
239 249
975 978
. . .
257 263 272
981 983 987
280
989
280
989
282 283 287 287 290 293
990 991 992 992 994 996
296
997
a) Unwirksamkeit einer Kündigung „aus anderen Gründen“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzesverstoß (§ 134 BGB) . . . . . . . . . . . . bb) Unwirksamkeit wegen unterbliebener oder fehlerhafter Gremiumsanhörung . . . . . . . . . . . . . cc) Tarifvertragliche Unwirksamkeit . . . . . . . . . . dd) Vertraglich vereinbarte Kündigungsbeschränkung, Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Unwirksamkeit gem. § 242 BGB . . . . . . . . . . ff) Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) . . . . . . . . . . . .
b) Ausnahmen von der einheitlichen Klagefrist nach § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . aa) Verstoß gegen das Schriftformerfordernis, § 623 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichteinhaltung der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mangelnde/beschränkte Geschäftsfähigkeit . . . . . dd) Vertretungsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fehlende Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . (2) Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB ee) Fehlende Anzeige gemäß §§ 17, 18 KSchG . . . . . ff) Erfordernis der behördlichen Zustimmung, § 4 Satz 4 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage . . . . . . .
305 1000
1. Voraussetzungen einer nachträglichen Zulassung . . . . . .
306 1000
a) Versäumung der Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschuldensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
306 1000 308 1001
2. Einzelfälle mit Beispielen aus der Rechtsprechung . . . . .
310 1002
a) Anwaltsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verspätung durch Übermittlungsart der Klage (Bote, Post, Fax) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abwesenheit bei Kündigungszugang, Urlaub, Krankheit etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verkennung der Kündigungserklärung, inhaltlich und/ oder sprachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verspätung nach Einholung einer Auskunft bei einer hierfür nicht geeigneten Stelle . . . . . . . . . . . . . . .
310 1002 320 1004 326 1007 332 1009 337 1011 XLV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
3. Nachträgliche Zulassung bei unerkannter Schwangerschaft gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . .
338 1011
4. Frist für Antragstellung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
342 1013
a) Fristbeginn ab Beseitigung des Hinderungsgrundes . . . b) Fristwahrender Eingang des Antrags bei Gericht . . . . .
344 1013 350 1015
5. Anforderungen an Antragstellung und verspätete Klage . .
352 1015
a) Formulierung des Zulassungsbegehrens . . . . . . . . . b) Angaben zum Hinderungsgrund und dessen Wegfall . . c) Nachholung der Klageerhebung/Bezugnahme auf verspätet eingegangene Klage . . . . . . . . . . . . . . . . .
353 1016 357 1016 364 1018
V. Verlängerung der Klagefrist bei allgemeiner Feststellungsklage, § 6 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365 1019
1. Voraussetzung: Rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369 1020
2. Geltendmachung der Sozialwidrigkeit oder eines anderen Unwirksamkeitsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
376 1022
3. Fristwahrende Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . .
384 1024
C. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
386 1025
I. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes .
386 1025
1. Arbeitsverhältnis und Arbeitnehmereigenschaft (Organmitglieder, GmbH & Co. KG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
387 1025
2. Betriebsgröße
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
390 1026
3. Wartezeiterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393 1028
II. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für Kündigungssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
396 1028
1. Vortrag der Kündigungsgründe
. . . . . . . . . . . . . . . .
396 1028
a) Substantiierungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . b) Abstufung der Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . .
397 1029 399 1029
2. Anhörung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
409 1033
a) Keine Amtsermittlung: Bestreiten durch den Arbeitnehmer als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfang der Vortragspflicht des Arbeitgebers . . . . . . . c) Konkrete Einlassungspflicht des Arbeitnehmers . . . . .
411 1034 413 1035 415 1035
3. Kongruenz von Information gemäß § 102 BetrVG und Prozessvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
416 1036
XLVI
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
4. Nachschieben von Kündigungsgründen . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren des Nachschiebens und Prozessvortrag . . . .
420 1037 421 1038 426 1039
D. Folgen des Feststellungsurteils
428 1040
. . . . . . . . . . . . . . . .
I. Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung
. . . . . .
428 1040
1. Nichteintritt einer Gestaltungswirkung . . . . . . . . . . .
428 1040
2. Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses . . . . . . .
431 1041
II. Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
. . . . . . . . .
433 1041
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433 1041
2. Voraussetzungen des § 615 BGB
438 1043
. . . . . . . . . . . . . . .
a) Anspruchsentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ordnungsgemäßes Leistungsangebot . . . . . . . bb) Leistungswilligkeit und -fähigkeit . . . . . . . . cc) Nichtannahme der Leistung und Zumutbarkeit b) Anspruchsende: Erfordernis der Arbeitsaufforderung durch Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tarifliche Verfallfristen und Verjährung . . . . . . .
. . . .
. . . .
438 438 439 449
1043 1043 1044 1047
. . . .
451 1047 455 1049
3. Anrechnung von Zwischenverdienst . . . . . . . . . . . . . a) Tatsächlicher Zwischenverdienst . . . . . . . . . . . . . b) Fiktiver Zwischenverdienst (böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs, Rückkehraufforderung des Arbeitgebers, Widerspruch bei § 613a BGB) . . . . . . . c) Besonderheit bei Vergleich im Kündigungsschutzprozess
457 1050 457 1050
III. Weiterbeschäftigungsanspruch
. . . . . . . . . . . . . . . .
1. Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch vor Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsurteils . . . . . . . . . . a) Interessenabwägung und Anspruchsentstehung . . . . b) Ausnahmen und Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Arbeitspflicht bei Weiterbeschäftigungsanspruch (BAG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
462 1051 468 1053 470 1054
. . .
471 1055 471 1055 479 1057
.
481 1058
2. Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch nach Rechtskraft des Feststellungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . .
484 1059
3. Betriebsverfassungsrechtlicher Beschäftigungsanspruch, § 102 Abs. 5 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen (Widerspruch, Klage, Beschäftigungsbegehren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entbindungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
485 1059 485 1059 489 1061 XLVII
Inhaltsverzeichnis Rz.
4. Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs . . . . . IV. Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG
Seite
490 1062 494 1063
1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
494 1063
2. Frist für Lossagung, Form und Inhalt der Erklärung . . . . .
502 1067
3. Differenzvergütung und Anspruchszeitraum gemäß § 12 Satz 4 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509 1069
4. Handlungsoptionen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . .
512 1070
E. Auflösungsantrag und Auflösungsurteil . . . . . . . . . . .
514 1071
I. Auflösungsantrag des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . .
514 1071
1. Voraussetzung: Feststellung der Sozialwidrigkeit . . . . . .
516 1072
2. Beschränkung auf ordentliche Kündigung . . . . . . . . . .
522 1074
3. Begründung des Auflösungsbegehrens . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis von Kündigungsgründen und Auflösungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösungsgründe in der Prozessführung des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
524 1074
4. Auflösung ohne Begründung bei leitenden Angestellten, § 14 Abs. 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Status des leitenden Angestellten im KSchG . . . . . . . b) Eigenständige Klärung der Statusfrage, Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
524 1074 530 1077 533 1079 534 1079 543 1082
II. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . .
546 1082
1. Erforderlichkeit der Begründung
547 1083
. . . . . . . . . . . . . . .
2. Auflösungsantrag bei außerordentlicher Kündigung
. . . .
555 1086
3. Auflösungsantrag bei Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
558 1087
III. Beiderseitiger Auflösungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . .
560 1088
IV. Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils
564 1089
. . . . . . . . .
1. Gestaltungswirkung und Verhältnis zu Rechtskraft
. . . .
564 1089
2. Auflösungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565 1090
3. Abfindungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
568 1091
a) Obergrenzen für Höhe der Abfindung . . . . . . . . . . . b) Bemessungskriterien für Höhe der Abfindung . . . . . .
569 1091 575 1093
XLVIII
Inhaltsverzeichnis
4. Sonstige Folgen der Auflösung a) SGB III: Sperrfrist, Erstattung aa) § 143a SGB III . . . . . . bb) § 144 SGB III . . . . . . cc) § 147a SGB III . . . . . . b) Sozialplanansprüche . . . .
. . . . . . . . . . . . nach § 147a SGB III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
Rz.
Seite
587 587 588 593 595 596
1097 1097 1098 1099 1099 1100
F. Streitwert und Kosten des Prozesses . . . . . . . . . . . . .
600 1103
I. Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG . . . . . . .
600 1103
1. Anwendungsfälle (entsprechende Anwendung im außergerichtlichen Bereich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
600 1103
2. Berechnung des Streitwerts
604 1105
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Kumulation bei Verbindung mit weiteren Anträgen
. . . .
614 1108
II. Ausschluss der Erstattung von Anwaltskosten gemäß § 12a ArbGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
622 1111
1. Belehrungserfordernis und Schadenersatzhaftung bei Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
628 1113
2. Geltung des Erstattungsausschlusses im außergerichtlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
630 1114
3. Ausnahmen: Kostenerstattung bei Zwangsvollstreckung
.
634 1115
III. Beiordnung eines Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . .
635 1116
1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
635 1116
2. Verfahren der Beiordnung und Rechtsfolgen . . . . . . . . .
652 1122
Teil 13 Sozialversicherungsrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses A. Vorbemerkung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1125
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1125
II. Überblick über die Gesetzesentwicklung
. . . . . . . . . .
3 1125
B. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . .
10 1128
I. Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 1129
1. Beschäftigungslosigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 1129
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 1130
2. Eigenbemühungen
XLIX
Inhaltsverzeichnis
3. Verfügbarkeit für die Bundesagentur für Arbeit a) Objektive Verfügbarkeit . . . . . . . . . . . b) Subjektive Verfügbarkeit . . . . . . . . . . . c) Erreichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
II. Arbeitslosmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwartschaft
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Höhe des Arbeitslosengeldes
. . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs
II. Sperrzeitfälle
Seite
21 26 31 43
1131 1131 1133 1135
45 1136 60 1140 70 1142
. . . . . . . . . . . .
77 1143
. . . . . . . . . . . . . .
83 1145
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 1145
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 1146
C. Kürzungen beim Arbeitslosengeld I. Vorbemerkung
Rz.
1. Eigenkündigung des Arbeitnehmers
. . . . . . . . . . . . .
2. Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses
95 1147
. . .
101 1150
3. Hinnahme einer offensichtlich rechtswidrigen personenoder betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung . . . . . . . .
120 1157
4. Kündigung des Arbeitgebers aus verhaltensbedingten Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 1160
5. Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz . . . . . . . . .
143 1164
III. Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 1165
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 1165
2. Anerkannte „wichtige Gründe“ . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsrechtliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 1166 154 1166 161 1170
3. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 1174
IV. Dauer der Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 1175
1. Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 1175
2. Umfang
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181 1177
V. Rechtsfolgen der Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191 1180
D. Ruhen von Leistungen bei Entlassungsentschädigungen . .
197 1181
I. Vorbemerkung L
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 1181
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 1181
2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 1182
II. Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III .
213 1185
1. Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeitpunkt der regulären Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ordentlich kündbarer Arbeitnehmer . . . . . . . . . bb) Fiktive Beendigungsfristen . . . . . . . . . . . . . . (1) Zeitlich unbegrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zeitlich begrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung oder fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . cc) Befristete Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . dd) Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung . . b) Maximaler Ruhenszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . c) Höhe des anrechnungsfähigen Teils der Entlassungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 1185
III. Folgen des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld . .
268 1196
IV. Anspruchsübergang gemäß §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272 1196
1. Gleichwohlgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272 1196
2. Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 1198
3. Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegen den Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
284 1199
V. Zusammentreffen von Sperrzeit und Ruhenszeitraum . . .
286 1200
E. Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit bei Entlassung älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . .
289 1201
F. Beitragsrechtliche Folgen einer Entlassungsentschädigung
292 1201
216 1186 218 1186 223 1187 226 1188 230 1189 239 245 249 253
1190 1192 1192 1193
254 1193
LI
Inhaltsverzeichnis Rz.
G. Exkurs: Sozialversicherungsrechtliche Folgen einer Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Arten der Freistellung
Seite
293 1201
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
294 1202
II. Sperrzeit als Folge einer Freistellung . . . . . . . . . . . . .
296 1202
III. Beitragsrechtliche Folgen einer Freistellung . . . . . . . . .
299 1203
Teil 14 Steuerrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses A. Steuerermäßigung nach §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 1207
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 1207
II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 1208
1. Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen, § 24 Nr. 1a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, § 24 Nr. 1b EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 1208 4 1208 28 1216
2. Außerordentliche Einkünfte (§ 34 EStG) . . . . . . . . . . . a) Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermäßigter Steuersatz – Fünftelungsregelung . . . . . .
33 1218
III. Anwendung des § 34 EStG im Lohnabzugsverfahren . . . .
58 1230
IV. „Brutto = Netto“-Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 1230
V. Das Prinzip vom Zufluss der Einnahmen
34 1219 51 1227
. . . . . . . . . .
63 1231
B. Auskunft des Betriebsstättenfinanzamtes . . . . . . . . . .
67 1233
C. Nachträgliche Änderung steuerungünstiger Vereinbarungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 1235
D. Lohnsteuernachforderungen nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 1235
E. Steuerfreie Entschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 1238
F. Im Ausland ansässige Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . .
89 1240
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LII
1243
Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO ABA ABl. abl. ABM Abs. ADO a.E. ÄArbVtrG AEntG a.F. AFG AFRG AG AGBG AGG AiB AktG a.M. Anh. Anm. AO AOG AP APlFG ArbG ArbGG ArbKrankhG AR-Blattei ArbNErfG ArbPlSchG ArbRB ArbRGegw. ArbSchG ArbStättVO ArbuR ArbVG 92 ArbZG ArbZRG ARS
anderer Ansicht am angeführten Ort Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. Amtsblatt ablehnend Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Absatz Allgemeine Dienstordnung am Ende Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung Arbeitnehmer-Entsendegesetz alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Aktiengesellschaft; Amtsgericht Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz anderer Meinung Anhang Anmerkung Abgabenordnung; Anordnung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Arbeitsrechtliche Praxis Ausbildungsplatzförderungsgesetz Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall Arbeitsrechtsblattei Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsplatzschutzgesetz Der Arbeitsrechtsberater (Zeitschrift) Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeitsschutzgesetz Verordnung über Arbeitsstätten Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeitsvertragsgesetz (Entwurf 1992) Arbeitszeitgesetz Arbeitszeitrechtsgesetz Arbeitsrechtssammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte LIII
Abkürzungsverzeichnis
ARST Art. ASAV ASiG ATZG AuA AÜG AufenthG Aufl. AVR AZO BA BaFin BAG BAGE BAnz. BArbBl. BAT BayObLG BB BBesG BBG BBiG Bd. BDSG BeamtVG BEEG bej. BErzGG BeschFG BeSchuG BeschV BesG betr. BetrAV BetrAVG BetrR BetrVG BfA BFH BGB BGBl. BGG LIV
Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Anwerbestoppausnahmeverordnung Arbeitssicherheitsgesetz Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Auflage Arbeitsvertragsrichtlinien Arbeitszeitordnung Bundesagentur für Arbeit Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger Bundesarbeitsblatt Bundesangestelltentarifvertrag Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Berufsbildungsgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beamtenversorgungsgesetz Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bejahend Bundeserziehungsgeldgesetz Gesetz zur Förderung der Beschäftigung Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Beschäftigungsverordnung Besoldungsgesetz betreffend Betriebliche Altersversorgung (Zeitschrift) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Der Betriebsrat (Zeitschrift) Betriebsverfassungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen
Abkürzungsverzeichnis
BGH BGHZ BGleiG BGSG BKGG BlStSozArbR BNotO BPersVG BRAGO BR-Drucks. BRG BRRG BSG BSHG bspw. BT BT-Drucks. BUrlG BuW BVerfG BVerfGE BVerwG BVG BW bzgl. bzw. DA DB DEVO DGB d. Gr. d.h. Diss. DrittelbG
Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesgleichstellungsgesetz Bundesgrenzschutzgesetz Bundeskindergeldgesetz Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesnotarordnung Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrats-Drucksache Betriebsrätegesetz Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Bundestag Bundestags-Drucksache Bundesurlaubsgesetz Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Bundesversorgungsgesetz Baden-Württemberg bezüglich beziehungsweise
Drucks. DVO
Durchführungsanweisung Der Betrieb (Zeitschrift) Datenerfassungsverordnung Deutscher Gewerkschaftsbund der Entscheidungsgründe das heißt Dissertation Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Drucksache Durchführungsverordnung
EBRG EFZG EG EGBGB EGV Einf. Einl. Erg.-Bd.
Gesetz über Europäische Betriebsräte Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung Ergänzungsband LV
Abkürzungsverzeichnis
ESC EStG etc. EU EuGH EuGRZ EuGVÜ Euro-AS EuZW EV EWR EzA EzAÜG
Europäische Sozialcharta Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Informationsdienst europäisches Arbeits- und Sozialrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
FA f., ff. FFG FGG Fn. FS
Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) folgende(r); fortfolgende Frauenförderungsgesetz Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Fußnote Festschrift
GBl. GefStoffV gem. GemSOGB GenG GeschmMG GewArch GewO GG ggf. GK GmbH GmbHG GS GVBl. GVG GVollzO
Gesetzblatt Gefahrstoffverordnung gemäß Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz Großer Senat Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gerichtsvollzieherordnung
HAG Halbs. HeimG HGB h.M. HRG
Heimarbeitsgesetz Halbsatz Heimgesetz Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Hochschulrahmengesetz
LVI
Abkürzungsverzeichnis
HRGÄndG HwB-AR HwO HzA
Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes Handwörterbuch zum Arbeitsrecht Handwerksordnung Handbuch zum Arbeitsrecht
i.d.R. i.E. IfSG ILO InsO i.S. i.S.d. i.S.v. i.V.m.
in der Regel im Einzelnen Infektionsschutzgesetz International Labour Organisation Insolvenzordnung im Sinne im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit
JArbSchG JurBüro JZ
Jugendarbeitsschutzgesetz Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristenzeitung
Kap. KAPOVAZ KG KO KostO KSchG
Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kammergericht; Kommanditgesellschaft Konkursordnung Kostenordnung Kündigungsschutzgesetz
LAG LAGE LFZG LG LohnFG LPVG Ls. LSG LStR lt.
Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Lohnfortzahlungsgesetz Landgericht Lohnfortzahlungsgesetz Landespersonalvertretungsgesetz Leitsatz Landessozialgericht Lohnsteuerrichtlinien laut
MDR m.E. MgVG
Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) meines Erachtens Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung MindArbbG Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer MitbestErgG Mitbestimmungsergänzungsgesetz Montan-MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie LVII
Abkürzungsverzeichnis
MTV MünchArbR MuSchG MV m.w.N.
Manteltarifvertrag Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Mutterschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen
NachwG NdsRpfl n.F. NJW NJW-RR Nr. n.rkr. NRW n.v. NVwZ NZA NZA-RR NZS
Nachweisgesetz Niedersächsische Rechtspflege (Zeitschrift) neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) Nummer nicht rechtskräftig Nordrhein-Westfalen nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Sozialrecht
OHG OLG OLGR OLGZ OVG OWiG
Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
ParlKSch PersR PersV PersVG PflegeVG PflVG PSVaG
Kündigungsschutz für Parlamentarier Der Personalrat (Zeitschrift) Die Personalvertretung (Zeitschrift) Personalvertretungsgesetz Pflegeversicherungsgesetz = SGB XI Pflichtversicherungsgesetz Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit
RABl. RAG RdA RdErl. Rdschr. RDV RG RGBl. RGRK Rh.-Pf. RIW rkr.
Reichsarbeitsblatt Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit (Zeitschrift) Runderlass Rundschreiben Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsräte-Kommentar Rheinland-Pfalz Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) rechtskräftig
LVIII
Abkürzungsverzeichnis
RL Rpfleger RpflG Rspr. RVO Rz. RzK
Richtlinie Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Randziffer Rechtsprechung zum Kündigungsrecht
S. s.a. Sa.-Anh. SAE
Seite siehe auch Sachsen-Anhalt Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) Europäische Genossenschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Genossenschaft Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Schleswig-Holstein Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Schwerbehindertengesetz Europäische Aktiengesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft See-Berufsgenossenschaft Seemannsgesetz Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgericht Sozialgesetzbuch Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgerichtsgesetz Signaturgesetz Signaturverordnung siehe oben so genannte/r Soldatengesetz Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Die Sozialversicherung (Zeitschrift) Sprecherausschussgesetz Sonderregelungen Bundesangestelltentarifvertrag Strafgesetzbuch siehe unten
SCE SCEAG SCE-VO Schl.-Holst. SchwarzArbG SchwbG SE SEAG SEBG SEEBG SeemG SE-VO SG SGB SGb SGG SigG SigV s.o. sog. SoldG SozPlG; SozplKonkG SozVers SprAuG SR (BAT) StGB s.u.
LIX
Abkürzungsverzeichnis
TOA TVG TV-L TVöD
Tarifordnung für Angestellte Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Tarifvertrag öffentlicher Dienst
u.a. Uabs. uam. UKlaG UmwG UrhG Urt. u.U. UVV
und andere; unter anderem Unterabsatz und andere mehr Unterlassungsklagengesetz Umwandlungsgesetz Urheberrechtsgesetz Urteil unter Umständen Unfallverhütungsvorschriften
VBL VereinsG VerglO VermBG VersR vgl. VO VOBl.
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Vereinsgesetz Vergleichsordnung Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Verordnungsblatt
WahlO; WO wg. WM WRV
Wahlordnung wegen Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung
z.B. ZDG ZfA ZfS
zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für Arbeitsrecht Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht Zuwanderungsgesetz zustimmend Zeitschrift für Zivilprozess
ZIP ZPO z.T. ZTR ZuWG zust. ZZP
LX
Allgemeines Literaturverzeichnis Annuß/Thüsing, Teilzeit- und Befristungsgesetz, 2. Aufl. 2006 APS siehe Ascheid/Preis/Schmidt Ascheid, Urteils- und Beschlussverfahren im Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1998 Ascheid/Bader/Dörner/Leinemann/Mikosch/Schütz/Vossen/Wenzel, Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, Loseblatt (zit. GK-ArbGG/ Bearbeiter) Ascheid/Preis/Schmidt, Großkommentar zum Kündigungsrecht, 3. Aufl. 2007 (zit. APS/Bearbeiter) Bader/Creutzfeldt/Friedrich, Arbeitsgerichtsgesetz, 5. Aufl. 2008 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 8. Aufl. 2007 Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwalts-Formularbuch Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2008 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 67. Aufl. 2009 Däubler/Hjort/Hummel/Wolmerath, Arbeitsrecht, Handkommentar, 2008 Däubler/Kittner/Klebe (Hrsg.), BetrVG – Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung und EBR-Gesetz, 11. Aufl. 2008 DFL siehe Dornbusch/Fischermeier/Löwisch DKK siehe Däubler/Kittner/Klebe Dornbusch/Fischermeier/Löwisch (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2009 (zit. DFL/Bearbeiter) Dorndorf/Weller/Hauck/Kriebel/Höland/Neef, Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 4. Aufl. 2001 Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2009 (zit. DLW/Bearbeiter) Düwell, BetrVG, Handkommentar, 3. Aufl. 2010 Düwell/Lipke, ArbGG, Arbeitsgerichtsgesetz, Kommentar für die Praxis, 2. Aufl. 2005 ErfK siehe Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl. 2008 Etzel, Betriebsverfassungsrecht, 8. Aufl. 2002 Etzel/Bader/Fischermeier/Friedrich/Griebeling/Lipke/Pfeiffer/Rost/Spilger/ Vogt/Weigand/Wolff, KR – Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 9. Aufl. 2009 (zit. KR/Bearbeiter) Fiebig/Gallner/Nägele, Kündigungsschutzrecht, Handkommentar, 3. Aufl. 2007 (zit. HaKo/Bearbeiter) Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 25. Aufl. 2010 (zit. Fitting) Gagel (Hrsg.), SGB III-Arbeitsförderung, Loseblatt Galperin/Löwisch, Betriebsverfassungsgesetz, 6. Aufl. 1982 mit Nachtrag 1985 LXI
Allgemeines Literaturverzeichnis
Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I 1997, Bd. II 2008 Gaul, B., Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, 2002 Germelmann/Binkert, PersVG, 2. Aufl. 2002 Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, Arbeitsgerichtsgesetz, 7. Aufl. 2009 GK-ArbGG siehe Ascheid/Bader u.a. GK-BetrVG siehe Kraft/Wiese u.a. Gräfl/Arnold, TzBfG – Teilzeit- und Befristungsgesetz, 2005 Grunsky, Arbeitsgerichtsgesetz, 7. Aufl. 1995 HaKo siehe Fiebig u.a. Hauck/Helml, Arbeitsgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2006 Hauck/Noftz, SGB III – Arbeitsförderung, Loseblatt Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 4. Aufl. 2010 (zit. HWK/ Bearbeiter) Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 7. Aufl. 2008 von Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, 14. Aufl. 2007 HSWG siehe Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai Hümmerich/Boecken/Düwell, AnwaltKommentar Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010 HWK siehe Henssler/Willemsen/Kalb HzA siehe Leinemann Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, 2007 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, Entgeltfortzahlungsgesetz, 5. Aufl. 2000 Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, herausgegeben von Dr. Stephan Leitherer, Loseblatt (zit. KassKomm/Bearbeiter) Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 7. Aufl. 2008 Kittner/Zwanziger (Hrsg.), Arbeitsrecht, Handbuch für die Praxis, 5. Aufl. 2009 Klebe/Ratayczak/Heilmann/Spoo, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Aufl. 2010 KR siehe Etzel/Bader u.a. Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 9. Aufl. 2010 (zit. GK-BetrVG/Bearbeiter) Küttner (Hrsg.), Personalbuch 2010, 17. Aufl. 2010 Leinemann (Hrsg.), Handbuch zum Arbeitsrecht, Loseblatt (zit. HzA) Löwisch/Spinner, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 9. Aufl. 2004 Löwisch/Kaiser, Betriebsverfassungsgesetz, 6. Aufl. 2010 Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, 2. Aufl. 2004 Meinel/Heyn/Herms, Teilzeit- und Befristungsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2009 Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 5. Aufl. 1999 Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, 2005 Müller/Preis, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 7. Aufl. 2009 Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2010 (zit. ErfK/Bearbeiter) LXII
Allgemeines Literaturverzeichnis
MünchArbR siehe Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, hrsg. von Richardi/Wlotzke/Wissmann/Oetker, 3. Aufl. 2009 (zit. MünchArbR/Bearbeiter) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann/ Rixecker/Säcker, 4. Aufl. 2000 ff. Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, hrsg. von Lüke/Wax, 2. Aufl. 2000 f. Niesel (Hrsg.), SGB III, 5. Aufl. 2010 Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht – EAS, Loseblatt Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl. 2010 Pauly/Osnabrügge, Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung, 2. Aufl. 2007 Preis (Hrsg.), Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl. 2009 Richardi (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz, 12. Aufl. 2010 Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 3. Aufl. 2008 (zit. RDW/ Bearbeiter) Richardi/Wlotzke siehe Münchener Handbuch Schaub/Koch/Linck, Handbuch Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2009 Schaub/Koch/Neef/Schrader/Vogelsang, Arbeitsrechtliches Formular- und Verfahrenshandbuch, 9. Aufl. 2008 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, 11. Aufl. 2008 Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 6. Aufl. 2007 Schüren, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl. 2010 Sievers, Teilzeit- und Befristungsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2010 Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. 1999 ff. Sowka (Hrsg.), Kündigungsschutzgesetz, Kölner Praxiskommentar unter Berücksichtigung sozialrechtlicher Bezüge, 3. Aufl. 2004 Spiegelhalter, Beck’sches Personalhandbuch, Band I: Arbeitsrechtslexikon, Loseblatt Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 10. Aufl. 2010 Staudacher/Hellman/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, 2003 Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearb. 1993 ff.; Neubearb. 2000 ff. Stege/Weinspach/Schiefer, Betriebsverfassungsgesetz, 9. Aufl. 2002 Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2002 ff. Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009 Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 2007 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007 Tschöpe (Hrsg.), Anwalts-Handbuch Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2009 Ulber, AÜG – Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 3. Aufl. 2005 Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 10. Aufl. 2006 Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006 LXIII
Allgemeines Literaturverzeichnis
Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Handbuch der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge, 5. Aufl. 2009 WHSS siehe Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Wiedemann (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, 7. Aufl. 2007 Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 3. Aufl. 2008 (zit. WHSS/Bearbeiter) Wlotzke/Preis, Betriebsverfassungsgesetz, 4. Aufl. 2009 Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 28. Aufl. 2010
LXIV
Teil 1 Kündigung eines Arbeitsverhältnisses Allgemeines A. Die Kündigungserklärung I. Ausspruch der Kündigung 1. Rechtscharakter a) Allgemeines Die Kündigung ist eine rechtsgestaltende einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung zur Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses.1
1
Im Gesetz ist keine Legaldefinition der Kündigung enthalten. Die Kündigung ist jedoch in verschiedenen Normen des BGB als Rechtsinstitut zur Beendigung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ausdrücklich anerkannt und gesetzlich geregelt.2 Zusätzlich setzen die umfangreichen gesetzlichen Kündigungsschutzvorschriften die Kündigung als Anknüpfungspunkt voraus.3
2
Das Kündigungsrecht stellt ein grundlegendes unabdingbares Recht dar, das jedem Dauerschuldverhältnis gem. §§ 314, 624 BGB unabhängig von einer vertraglichen Festlegung innewohnt.4 Es berechtigt jeden Vertragspartner, das gegenseitige Arbeitsverhältnis unter bestimmten vertraglichen oder gesetzlichen Voraussetzungen auch gegen den Willen des anderen Vertragsteils zu beenden.
3
Dieses Kündigungsrecht kann durch vertragliche Vereinbarungen zwar in gewissen Rahmen beschränkt, aber in seinem Kern nicht vollständig ausgeschlossen werden.5
4
So ist nach der unabdingbaren Norm des § 626 BGB ein Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung per Gesetz unmöglich.6
5
Auch das ordentliche Kündigungsrecht kann ggf. nur in bestimmten Grenzen (vertragliche Kündigungsfristen und -termine, Bindungsklauseln, etc.) durch den Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden. So ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die zwingenden Vorschriften des § 15 Abs. 4 TzBfG für Arbeitsverhältnisse und des § 624 BGB für Dienstverhältnisse hinzuweisen. Danach wird dem Arbeitnehmer bei Lebenszeitverträgen und Verträgen über mehr als fünf Jahre ein unabdingbares Kündigungsrecht nach dem Ablauf von fünf Jahren Kraft Gesetzes eingeräumt.7
6
1 Schaub/Linck, § 123 Rz. 1; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 2; APS/Preis, DI Rz. 1 ff.; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 16; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 1. 2 Siehe z.B. §§ 314, 620, 621, 622, 626, 627 BGB. 3 Vgl. z.B. §§ 1 ff. KSchG; § 102 BetrVG. 4 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 31. 5 Vgl. BGH v. 30.1.1964 – VII ZR 5/63, BGHZ 41, 104. 6 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 1. 7 ErfK/Müller-Glöge, TzBfG, § 15 Rz. 16 ff.
Mues
1
Teil 1 Rz. 7
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
7
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass bei einem befristeten Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes nach § 15 Abs. 3 TzBfG und nach allgemeiner Rechtsansicht regelmäßig die ordentliche Kündigung vollständig ausgeschlossen ist. Lediglich wenn zusätzlich eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag vereinbart wurde, ist gem. § 15 Abs. 3 TzBfG bei befristeten Arbeitsverhältnissen eine ordentliche Kündigung möglich. Eine Inbezugnahme auf einen Tarifvertrag ist hierfür ebenfalls ausreichend; nicht jedoch eine Kündigungsregelung in einer Betriebsvereinbarung.1
8
Der Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit gilt selbst dann fort, wenn die Befristung unwirksam ist. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer zwar berechtigt, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, für den Arbeitgeber gilt gem. § 16 Satz 1 TzBfG aber eine gesetzliche Mindestlaufzeit für die vereinbarte Befristungsdauer. Das Arbeitsverhältnis kann daher vom Arbeitgeber in solchen Fällen gem. § 16 Satz 1 TzBfG durch ordentliche Kündigung frühestens zum Ablauf der Befristung gekündigt werden. Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn die Unwirksamkeit allein auf einer fehlenden Schriftform beruht. Hier bleibt eine ordentliche Kündigung sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer möglich.2
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" Praxistipp: Aufgrund der Vorschrift des § 15 Abs. 3 TzBfG sollte der Arbeit-
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Das Kündigungsrecht ist unmittelbar mit dem Vertragsverhältnis verbunden und ein subjektives Recht des Vertragspartners. Das Kündigungsrecht ist daher nicht gesondert vom Vertragsverhältnis ausübbar oder übertragbar.3
11
Es handelt sich hierbei aber nicht um ein höchstpersönliches Recht der Vertragspartner. Eine Kündigung kann daher nicht nur durch den jeweiligen Vertragspartner selbst, sondern auch durch seine Vertreter und Bevollmächtigte erfolgen.4
geber bei befristeten Arbeitsverhältnisses im Arbeitsvertrag unbedingt ein ordentliches Kündigungsrecht vereinbaren, um das Arbeitsverhältnis notfalls auch vor Ablauf der Befristungszeit beenden zu können.
b) Gestaltungsrecht/Wirkung 12
Die Kündigung ist ein einseitiges Gestaltungsrecht, das unmittelbar rechtsvernichtende Wirkung entfaltet.
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Als einseitiges Gestaltungsrecht bewirkt allein die Kündigungserklärung des Kündigenden die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Eine Zustimmung, Mit1 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 432/02, NZA 2004, 222; v. 19.6.1980 – 2 AZR 660/78, BAGE 33, 220; v. 15.12.1955 – 2 AZR 228/54, BAGE 2, 245; ErfK/Müller-Glöge, TzBfG, § 15 Rz. 10. 2 BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 533/08, EzTöD 100 § 30 TVöD-AT Nr. 2. 3 APS/Preis, DI Rz. 4; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 23; a.A. Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 84. 4 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt „Kündigungsberechtigung“, Rz. 266 ff. Siehe auch Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 4; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 23.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 19 Teil 1
wirkung oder sonstige Erklärungen des anderen Vertragspartners sind hierzu nicht erforderlich. Es ist daher unerheblich, ob der Vertragspartner die Beendigung akzeptieren will oder nicht. Auch eine ausdrückliche Ablehnung der Kündigung, die Erhebung von Einwendungen oder ein Widerspruch des Vertragspartners haben keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung.1 Die Kündigung besitzt eine unmittelbare rechtsgestaltende Wirkung in rechtsvernichtender Form. Mit dem Zugang der Kündigungserklärung wird das Arbeitsverhältnis sofort zum vereinbarten Zeitpunkt aufgelöst, ohne dass es weiterer Zwischenschritte oder -maßnahmen bedarf. Vielmehr tritt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses direkt mit dem Wirksamwerden der Kündigung ein.2
14
Durch die Kündigung wird das Arbeitsverhältnis – im Gegensatz zur Anfechtung – immer nur für die Zukunft beendet (ex nunc).3 Eine rückwirkende Kündigung ist nicht möglich.
15
Die Beendigung tritt dabei entweder fristlos mit sofortiger Wirkung mit dem Zugang der Kündigungserklärung (außerordentliche Kündigung) oder zum vertraglich vereinbarten bzw. gesetzlich vorgeschriebenen Kündigungszeitpunkt (ordentliche Kündigung) ein.4 Mit diesem Zeitpunkt erlischt das Arbeitsverhältnis und die beiderseitigen Vertragspflichten enden per Gesetz. Die bereits erbrachten Leistungen bleiben hierbei wirksam, eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses findet nicht statt.5
16
Die Kündigung führt ihre rechtliche Gestaltungswirkung direkt und unmittelbar mit dem Zugang herbei. Eine wirksame Kündigung kann deshalb nach ihrem Zugang nicht mehr einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden.6
17
Eine einseitige Erklärung der „Rücknahme der Kündigung“ führt daher nicht mehr zur automatischen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Parteien, sondern kann nur noch als Angebot an den ehemaligen Vertragspartner zur Fortsetzung des Arbeitsvertrages oder als Vergleichsangebot im Streit über die Wirksamkeit der Kündigung gewertet werden, das von der anderen Vertragspartei ausdrücklich oder konkludent angenommen werden muss.7
18
Gem. § 130 Satz 2 BGB bleibt natürlich der Widerruf der Kündigung möglich, solange die Kündigungserklärung dem Kündigungsempfänger noch nicht zugegangen ist.
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1 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 34. 2 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NJW 1992, 2173; APS/Preis, DI Rz. 3; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 34. 3 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 85; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 16. 4 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NJW 1992, 2173. 5 Palandt/Grüneberg, BGB, Einf. 346 Rz. 12. 6 BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, BAGE 40, 56; v. 21.2.1957 – 2 AZR 410/54, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG; v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NJW 1992, 2173; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 73 ff. 7 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt „Rücknahme der Kündigung“. Siehe auch BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, BAGE 40, 56; v. 21.2.1957 – 2 AZR 410/54, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 73 ff.
Mues
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Teil 1 Rz. 20
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
c) Bedingungsfeindlichkeit 20
Die Kündigung ist als einseitiges Rechtsgeschäft grundsätzlich bedingungsfeindlich, da keine Ungewissheit des Vertragspartners über den Status des Arbeitsverhältnisses eintreten darf. Eine unzulässige Bedingung führt deshalb zur vollständigen Unwirksamkeit der Kündigung.1
21
Es ist daher nicht zulässig, die Kündigung von objektiven Umständen abhängig zu machen, die dem Willen der Vertragsparteien entzogen sind. So kann der Arbeitgeber z.B. keine bedingte Kündigung für den Fall aussprechen, dass er einen Großauftrag nicht erhält oder ein Dauerauftrag des Arbeitgebers gekündigt wird.2
22
Keine unzulässige Bedingung liegt jedoch in einer solchen Konstellation vor, in der der Arbeitgeber vorsorglich eine unbedingte Kündigung ausspricht und dem Arbeitnehmer gleichzeitig für den Eintritt bestimmter Umstände die Wiedereinstellung zusichert.3 Bei dieser Wiedereinstellungszusage tritt mit der Kündigungserklärung keine Ungewissheit über die eventuelle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ein, sondern das Arbeitsverhältnis wird durch die unbedingte Kündigung vollständig beendet und der Arbeitnehmer erhält lediglich einen Anspruch auf Wiedereinstellung, den er im Fall der eingetretenen Umstände geltend machen kann.
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Die Wirksamkeit der Kündigung darf auch nicht von der Bewertung und Entscheidung des Kündigenden oder eines Dritten abhängig sein. Es ist daher unzulässig, die Kündigung eines Arbeitnehmers von der (unbestimmten) Verbesserung der Leistungen des Arbeitnehmers oder von der Änderung seines Verhaltens abhängig zu machen.4
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Unzulässig ist es weiterhin eine Kündigung an eine Bedingung zu knüpfen, die zwar vom Willen des Arbeitnehmers beeinflussbar ist, aber nicht allein im Entscheidungsbereich des Arbeitnehmers liegt, sondern ggf. von weiteren Umständen und Bewertungen abhängig ist. So ist beispielsweise eine Kündigung für den Fall, dass der Arbeitnehmer die Arbeit nicht rechtzeitig aufnimmt oder der Arbeit an einem bestimmten Datum fern bleibt, unwirksam, weil die Abwesenheit auf einem berechtigten Grund beruhen kann, der eine fristlose Kündigung ausschließt.5
1 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, BAGE 97, 1993; v. 27.6.1968 – 2 AZR 329/67, NJW 1968, 2078; Schaub/Linck, § 123 Rz. 3; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 22; APS/ Preis, DI Rz. 13; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 20. 2 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, BAGE 97, 1993; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 8. 3 APS/Preis, DI Rz. 17; BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, BAGE 97, 1993. 4 BAG v. 27.6.1968 – 2 AZR 329/67, NJW 1968, 2078; Schaub/Linck, § 123 Rz. 3. 5 Siehe hierzu die Rechtsprechung des BAG zur Unwirksamkeit von bedingten Aufhebungsverträgen: BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, BAGE 26, 417; BGAG v. 5.12. 1985 – 2 AZR 61/85, NJW 1987, 279.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 31 Teil 1
Zulässig sind jedoch sogenannte Protestativbedingungen, d.h. Kündigungen, deren Wirksamkeit ausschließlich vom Willen des Kündigungsempfängers abhängt.1
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Hauptanwendungsfall einer solchen zulässigen Protestativbedingung ist die Änderungskündigung, bei der das Arbeitsverhältnis in der bestehenden Form gekündigt und in diesem Zusammenhang dem Vertragspartner gleichzeitig die Fortsetzung eines Arbeitverhältnisses zu geänderten Bedingungen angeboten wird.2 Da hier die Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen allein vom Willen des Kündigungsempfängers abhängig ist, ist diese Art der bedingten Kündigung rechtlich zulässig.3
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Eine zulässige Bedingung ist außerdem die Kündigung in Abhängigkeit von Rechtsbedingungen.4
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Den Hauptanwendungsfall bildet hierbei die Verbundkündigung einer außerordentlichen Kündigung mit einer ordentlichen Kündigung. Die ordentliche Kündigung wird in diesem Fall abhängig von der Rechtsbedingung ausgesprochen, dass die erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist.5
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Zulässig ist außerdem die vorsorgliche Kündigung. Hier wird nach dem Ausspruch einer Kündigung für den Fall, dass diese unwirksam sein sollte, vorsorglich eine weitere Kündigung ausgesprochen. Die Rechtsprechung geht in diesem Fall davon aus, das es sich hierbei nicht um eine bedingte, sondern um eine unbedingte Kündigung handelt, weil der Kündigende das Arbeitsverhältnis unbedingt beenden möchte und lediglich der Zeitpunkt der Beendigung von der Wirksamkeit der vorausgehenden Kündigung abhängig ist.6
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" Praxistipp: Aufgrund der sehr strengen Anforderungen der Rechtsprechung
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an die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung empfiehlt es sich für den Arbeitgeber regelmäßig, beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gleichzeitig vorsorglich hilfsweise eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Es besteht häufig die Möglichkeit, dass der Pflichtverstoß des Arbeitnehmers zwar nicht den Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung genügt, jedoch eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung rechtfertigen kann.
d) Allgemeine Regeln über Rechtsgeschäfte Da die Kündigung ein Rechtsgeschäft darstellt, finden auf sie die generellen Vorschriften und Regelungen für Rechtsgeschäfte Anwendung. 1 APS/Preis, DI Rz. 17; Schaub/Linck, § 123 Rz. 3; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 14; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 22; Palandt/Weidenkaff, BGB, Vorb. 620 Rz. 33. 2 § 4 KSchG. 3 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 22; APS/Preis, DI Rz. 14; Schaub/Linck, § 123 Rz. 3; Tschöpe/Schulte, 3A Rz. 149 ff. 4 BAG v. 12.10.1954 – 2 AZR 36/53, BAGE 1, 110; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 22. 5 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 22. 6 BAG v. 12.10.1954 – 2 AZR 36/53, BAGE 1, 110; Schaub/Linck, § 123 Rz. 7; § 129 Rn. 17; ErfK/Müller-Glöge BGB, § 620 Rz. 22; APS/Preis, DI Rz. 17.
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Teil 1 Rz. 32
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
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Es gelten für die Kündigung die Vorschriften des allgemeinen Teils über die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit gem. §§ 104 ff. BGB.
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Nach §§ 104, 105 BGB ist daher die Kündigung eines Geschäftsunfähigen nichtig. Hier kann eine wirksame Kündigung nur durch den Betreuer als gesetzlichem Vertreter im Rahmen seines Aufgabenkreises erfolgen (§ 1902 BGB). Eine Kündigung gegenüber dem Geschäftsunfähigen wird gem. § 131 Abs. 1 BGB erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht.
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Beschränkt geschäftsfähige Minderjährige bedürfen zum Ausspruch einer Kündigung gem. § 107 BGB der Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters, da die Kündigung nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Durch die Kündigung tritt für den Minderjährigen ein Rechtsverlust ein, sodass eine Kündigung – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Bewertung – für den Minderjährigen immer rechtlich nachteilig ist.
35
Zulässig ist jedoch eine Kündigung, die der gesetzliche Vertreter vornimmt, oder eine eigene Kündigung des Minderjährigen, die dieser mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erklärt (§ 107 BGB).
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Da die Kündigung ein einseitiges Rechtsgeschäft darstellt, ist eine ohne vorherige Einwilligung erklärte Kündigung des Minderjährigen gem. §§ 107, 111 BGB unheilbar nichtig, weshalb in diesem Fall selbst eine nachträgliche Genehmigung ausscheidet. Etwas anderes gilt nur, wenn der Kündigungsgegner mit der Kündigung ohne Einwilligung einverstanden ist. In diesem Fall finden die Regelungen für die Genehmigung von Verträgen Minderjähriger Anwendung, sodass eine nachträgliche Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter gem. §§ 108, 109 BGB möglich ist.1
37
Außerdem ist der Kündigungsempfänger gem. § 111 Satz 3 BGB berechtigt, die Kündigung zurückzuweisen, wenn der Minderjährige bei der Kündigung die Einwilligung nicht in schriftlicher Form nachweist.
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Gem. § 131 Abs. 2 BGB wird eine Kündigung gegenüber einem Minderjährigen nur wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht oder der gesetzliche Vertreter seine eine Einwilligung im Voraus erteilt hat. Hierbei ist es gem. § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB ausreichend, dass die Kündigung einem von beiden Elternteilen zugeht. Dabei muss die schriftliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht unbedingt an den gesetzlichen Vertreter adressiert sein. Es genügt für das Wirksamwerden der Kündigung, dass der gesetzliche Vertreter von ihr tatsächlich Kenntnis erlangt.2
39
In diesem Zusammenhang ist auf die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen im Rahmen des Betriebes eines Erwerbsgeschäftes nach § 112 BGB (Handelsmündigkeit) und für das Dienst- und Arbeitsverhältnis gemäß § 113 BGB (Arbeitsmündigkeit) besonders hinzuweisen.
40
Sofern der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen ermächtigt, ein Erwerbsgeschäft zu betreiben (§ 112 BGB), oder ihn ermächtigt, in Dienst oder Arbeit 1 APS/Preis, DV Rz. 70. 2 LAG Hamm v. 20.10.1974 – 3 Sa 881/74, BB 1975, 2.
6
Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 48 Teil 1
zu treten (§ 113 BGB), erlangt der Minderjährige für diesen Bereich eine besondere Teilgeschäftsfähigkeit und wird für solche Geschäfte unbeschränkt geschäftsfähig.1 Diese Teilgeschäftsfähigkeit gilt dabei nicht nur für reine Dienst- oder Arbeitsverträge, sondern auch für die Tätigkeit als selbstständiger Handelsvertreter2 oder für den Eintritt in ein öffentliches Dienstverhältnis.3
41
Keine Anwendung findet die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit dagegen auf Berufsausbildungsverhältnisse, weil bei diesen nicht die Leistung von Diensten und Arbeit, sondern vielmehr der Ausbildungszweck im Vordergrund steht. Hier verbleibt es daher bei der beschränkten Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen.4
42
Ist ein Minderjähriger seitens des gesetzlichen Vertreters nach § 112 oder § 113 BGB ermächtigt, so erlangt er für diesen Bereich die volle Geschäftsfähigkeit. Er kann damit auch eine Kündigung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ohne Hinzuziehung der gesetzlichen Vertreter rechtswirksam aussprechen.5
43
Die Ermächtigung ist formlos gültig und kann somit vom gesetzlichen Vertreter sowohl ausdrücklich als auch durch konkludentes Verhalten erklärt werden.6 Eine bloße gemeinsame Unterzeichnung des Arbeitsvertrages durch den Jugendlichen und seine Eltern enthält jedoch noch keine Ermächtigung. Außerdem ist es möglich die Ermächtigung lediglich eingeschränkt zu erklären. So kann der gesetzliche Vertreter z.B. seine Einwilligung beschränkt auf ein einziges konkretes Arbeitsverhältnis des Minderjährigen erteilen.
44
Auf die Kündigung finden außerdem die Vorschriften über Willenserklärungen nach §§ 116 ff. BGB Anwendung.
45
Eine Kündigung kann daher nach den Grundsätzen des Scheingeschäfts gem. § 117 BGB oder der Scherzerklärung gem. § 118 BGB nichtig sein. Diese Vorschriften besitzen jedoch in der Praxis eine außerordentlich geringe Rolle.
46
Weiterhin unterliegt die Kündigung bei Vorliegen von Willensmängeln der Möglichkeit der Anfechtung durch den Kündigenden entsprechend den gesetzlichen Anfechtungsregeln gem. §§ 119 ff. BGB.7
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Danach kann eine Kündigung z.B. bei Vorliegen eines Inhalts- und Erklärungsirrtums nach § 119 BGB oder bei Übermittlungsfehlern nach § 120 BGB anfechtbar sein. Hierbei muss die Anfechtung gem. § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen. Zu beachten ist jedoch, dass ein interner Motivirrtum über die Folgen der Kündigung oder die Unkenntnis von mit der Kündigung verbundenen Rechtsfolgen nicht zur Anfechtung be-
48
1 2 3 4 5 6 7
ErfK/Preis, BGB, § 113 Rz. 2; APS/Preis, DV Rz. 71. ErfK/Preis, BGB, § 113 Rz. 6. BVerwG v. 6.11.1969 – II C 110.67, BVerwGE 34, 168. ErfK/Preis, BGB, § 113 Rz. 6. ArbG Wilhelmshaven v. 3.5.1965 – Ca 85/65, DB 1965, 1864. ErfK/Preis, BGB, § 113 Rz. 3. BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, NZA 1996, 875; APS/Preis, DVII Rz. 95 ff.; ErfK/ Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 59.
Mues
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Teil 1 Rz. 49
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
rechtigen.1 Daher kann der Arbeitnehmer seine Eigenkündigung z.B. nicht nachträglich mit der Begründung anfechten, er habe von der ihm drohenden Sperrfrist bei Bezug von Arbeitslosengeld keine Kenntnis gehabt. 49
Den wichtigsten Anfechtungsgrund bildet in der Praxis die Anfechtung nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung des Arbeitgebers.2 Eine widerrechtliche Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB setzt dabei objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels durch den Anfechtungsgegner voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird, darunter fällt auch die unberechtigte Androhung einer außerordentlichen Kündigung.3
50
Diese Fallkonstellation tritt insbesondere auf, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch vorausgegangene Gespräche und Erklärungen unter dem Hinweis auf eine zu erwartende Kündigung des Arbeitgebers zur Abgabe einer Eigenkündigung veranlasst. Nach § 123 BGB kann eine solche Androhung einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber den Arbeitnehmer ggf. zur Anfechtung berechtigen, weil diese Kündigungsandrohung für den Arbeitnehmer ein empfindliches Übel darstellt.4 Allerdings ist zu beachten, dass nicht jede Drohung des Arbeitgebers widerrechtlich im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB ist. Eine Anfechtung des Arbeitnehmers ist auch in diesem Falle ausgeschlossen, wenn ein – objektiv gesehen – verständiger Arbeitgeber eine Kündigung ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Es ist dabei nicht erforderlich, dass die angekündigte Kündigung, wenn sie tatsächlich ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess sich als rechtsbeständig erwiesen hätte, denn der Anfechtungsprozess darf nicht wie ein fiktiver Kündigungsschutzprozess behandelt werden.5
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Nach § 124 Abs. 1 BGB ist diese Anfechtung innerhalb eines Jahres nach Wegfall der Zwangslage zu erklären. Die Kündigungserklärung muss dabei gemäß § 143 Abs. 3 BGB gegenüber dem Kündigungsempfänger erfolgen.
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Weiterhin finden auf die Kündigung die gesetzlichen Formvorschriften der §§ 125, 126 ff. BGB Anwendung. Hierbei ist zu beachten, dass für die Kündigungserklärung nach der unabdingbaren Norm des § 623 BGB Kraft Gesetzes zwingend die Schriftform vorgeschrieben ist. Bei Nichteinhaltung dieses Formerfordernisses ist die Kündigung nach § 125 BGB unheilbar nichtig. Gem. §§ 126 ff. BGB scheidet damit eine mündliche Kündigung oder eine Kündigung in Textform ausdrücklich aus.6
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Als Willenserklärung unterliegt die Kündigung der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB, sodass nicht nur der buchstäbliche Wortlaut des Kündigungsschreibens entscheidend ist, sondern vielmehr der wirkliche Wille der Erklärung zu er1 2 3 4 5
BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NJW 1992, 2173. APS/Preis, DVII Rz. 96. BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 832/98; NZA 2000, 27. BAG v. 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77, BAGE 32, 194. BAG v. 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77, BAGE 32, 194; v. 20.11.1969 – 2 AZR 51/69; NJW 1970, 775; v. 30.3.1960 – 3 AZR 201/58, DB 1960, 956. 6 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Punkt „Formerfordernisse“.
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Ausspruch der Kündigung
Rz. 57 Teil 1
forschen ist.1 Bei der Auslegung ist daher nicht allein auf den reinen Wortlaut abzustellen, sondern zur Beurteilung des tatsächlichen Willens des Kündigenden bei Abgabe seiner Erklärung sind vielmehr alle Begleitumstände zu würdigen, die von Bedeutung sein können und dem Erklärungsempfänger bekannt waren.2 Dabei ist nicht der subjektive Standpunkt des Kündigenden oder des Kündigungsempfängers ausschlaggebend, sondern das Verständnis eines objektiven Kündigungsempfängers von Bedeutung. Es kommt darauf an, wie die Erklärung vom Kündigungsempfänger unter Würdigung der ihm bekannten Umstände nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte aufgefasst werden muss. Die Kündigungserklärung muss danach mit der erforderlichen Bestimmtheit und Deutlichkeit klar und zweifelsfrei ausgedrückt worden sein. Der Kündigende braucht aber nicht unbedingt das Wort „Kündigung“ zu gebrauchen, sondern ist in der Wahl des Ausdrucks frei; es genügt jedes Verhalten des Kündigenden, durch das er dem Kündigungsgegner eindeutig den Willen kundgibt, das Arbeitsverhältnis zu lösen.3 Im Bereich des Kündigungsrechts gelten umfangreiche Kündigungsschutzvorschriften, die gemäß § 134 BGB zu einer Unwirksamkeit einer Kündigung führen können.4 Außerdem bestehen zahlreiche spezialgesetzliche Kündigungsschutzvorschriften, die bei Nichteinhaltung unmittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung führen können.5 Die jeweiligen Regeln werden im weiteren Verlauf des Buches umfassend und detailliert erläutert werden. Darüber hinaus finden auch die Generalklauseln nach §§ 138, 242 BGB und das spezielle Maßregelungsverbot nach § 612a BGB auf die Kündigung Anwendung.6 Sie gewährleisten insbesondere zusätzlich zu den spezialgesetzlichen Kündigungsschutzvorschriften den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz der Arbeitnehmer aus Art. 12 GG.7 Daher kann z.B. nach § 138 BGB eine Kündigung wegen Verstoßes gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden sittenwidrig und damit nichtig sein. Auf der Grundlage von § 242 BGB kann außerdem eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben eintreten oder sich die Nichtigkeit der Kündigung aus dem Maßregelungsverbot ergeben. Sofern eine Kündigung rechtsunwirksam ist, kann nach § 140 BGB die Möglichkeit einer Umdeutung in ein wirksames Rechtsgeschäft bestehen.8 1 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Punkt „Inhaltliche Anforderungen“. Siehe auch BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710; v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, BAGE 97, 193; v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, MDR 1956, 394; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 18 ff.; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 56 ff. 2 BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710. 3 BAG v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, MDR 1956, 394. 4 Siehe z.B. § 9 MuSchG, § 19 BEEG, § 85 SGB X. 5 Vgl. § 1 KSchG, § 102 Abs. 1 BetrVG. 6 Siehe hierzu die näheren Ausführungen in Teil 5. 7 BVerfG v. 27.1.1998 – BvL 15/87, BVerfGE 97, 169. 8 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Punkt „Umdeutung der Kündigung“, Rz. 433 ff. Siehe auch BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00; NJW 2002, 2972; ErfK/MüllerGlöge, BGB, § 620 Rz. 60 ff.; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 90 ff.; Schaub/ Linck, § 123 Rz. 73 ff.
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Teil 1 Rz. 58
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
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In diesem Zusammenhang kann z.B. nach § 140 BGB ggf. die Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in ein wirksames Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages in Betracht kommen.1
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Unter den Voraussetzungen des § 140 BGB ist im Zweifel auch die Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung zulässig.2 Dies setzt voraus, dass eine ordentliche Kündigung dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dass dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung erkennbar geworden ist.3 Die Umdeutung einer ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung ist dagegen nicht möglich, weil die außerordentliche Kündigung weitergehende Rechtsfolgen besitzt.4
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Auf die Kündigung finden die gesetzlichen Vertretungs- und Vollmachtsregelungen gem. §§ 164 ff. BGB Anwendung. Die Kündigung kann daher nicht nur durch den Vertragspartner persönlich, sondern auch wirksam durch seine gesetzlichen und rechtsgeschäftlichen Vertreter erklärt werden.5
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Die Bevollmächtigung folgt dabei den gesetzlichen Regelungen und ist damit unabhängig vom Schriftformerfordernis der Kündigung nach § 623 BGB gem. § 167 Abs. 2 BGB auch formfrei erteilbar. Zusätzlich gelten bestimmte Personen bereits aufgrund ihrer Funktion und Stellung im Betrieb (Personalleiter, Dienstvorgesetzter, etc.) als kündigungsbevollmächtigt.6
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Gem. § 180 S. 1 BGB ist die Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht als einseitiges Rechtsgeschäft unzulässig. Hat jedoch der Kündigungsgegner die fehlende Vollmacht nicht beanstandet, so finden gem. § 180 Satz 2 BGB die Regelungen über Verträge Anwendung, sodass in diesem Fall eine Genehmigung der Kündigung durch den Kündigungsberechtigten gem. § 177 BGB möglich ist. In diesem Zusammenhang ist es außerdem notwendig auf § 174 BGB besonders hinzuweisen, der den Kündigungsgegner berechtigt, die Kündigung zurückzuweisen, sofern vom Vertreter bei der Vornahme der Kündigung keine Vollmachtsurkunde im Original vorgelegt wird. e) Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze
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Als Gestaltungsrecht unterliegt die Kündigung nicht der Verjährung.7
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Das Kündigungsrecht kann jedoch verwirkt werden. Das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung ist verwirkt, wenn er in Kenntnis eines Kündi1 Schaub/Linck, § 123 Rz. 74. 2 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00; NJW 2002, 2972; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 61; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 93; Schaub/Linck, § 123 Rz. 77. 3 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00; NJW 2002, 2972. 4 Schaub/Linck, § 123 Rz. 76; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 62. 5 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Punkt „Kündigungsberechtigung“, Rz. 266 ff. Siehe auch Schaub/Linck, § 123 Rz. 13 ff.; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 23 ff.; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 63 ff. 6 BAG v. 6.2.1997 – 2 AZR 128/96, NJW 1997, 1867; v. 30.5.1972 – 2 AZR 298/71, BAGE 24, 273. 7 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 32; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 16.
10
Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 68 Teil 1
gungsgrundes längere Zeit untätig bleibt, d.h. die Kündigung nicht ausspricht, obwohl ihm dies möglich und zumutbar wäre (Zeitmoment), wenn er dadurch beim Arbeitnehmer das berechtigte Vertrauen erweckt, die Kündigung werde unterbleiben und wenn der Arbeitnehmer sich deshalb auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses einrichtet (Umstandsmoment). Eine trotz der vorgenannten Umstände gleichwohl erklärte Kündigung stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar, die nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB rechtsunwirksam ist. Im Rahmen der Verwirkung müssen dabei sowohl das Zeitmoment als auch das Umstandsmoment kumulativ vorliegen. Sofern ein sachlicher Grund für die zeitliche Verzögerung des Arbeitgebers gegeben ist und es damit am Umstandsmoment fehlt, scheidet eine Verwirkung aus.1 Außerdem kann das Recht zur Kündigung in bestimmten Fällen bereits aufgrund des Zeitablaufs erlöschen. Diese zeitliche Begrenzung des Kündigungsrechts ist dadurch begründet, dass selbst bei vollständig berechtigten Kündigungsgründen nach einer entsprechenden Untätigkeit des Kündigungsberechtigten die ursprüngliche Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Berechtigten entfällt und aufgrund des inzwischen vergangenen Zeitablaufs für ihn die Fortsetzung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses wieder zumutbar werden kann.2
65
Der Arbeitgeber darf daher eine ursprünglich berechtigte Kündigung nicht zeitlich unbegrenzt aussprechen Die Lösung des Arbeitsverhältnisses nach längerer Zeit verbietet sich für ihn vielmehr unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens seiner nachfolgenden Untätigkeit. Angesichts des verfassungsmäßig gebotenen Mindestkündigungsschutzes des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG darf der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund nicht beliebig lange zurückhalten, um dann später davon bei willkürlicher ihm gut dünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen, um so das Arbeitsverhältnis zu einem beliebigen Zeitpunkt kündigen zu können.3
66
So kann insbesondere eine Kündigung im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB sehr schnell verfristen, da hier bereits nach dem Verstreichen der Zwei-Wochen-Frist die außerordentliche Kündigung nunmehr Kraft Gesetzes ausgeschlossen ist und damit allenfalls eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt.4
67
Aber auch außerhalb dieser gesetzlichen Norm kann ein Kündigungsgrund allein infolge Zeitablaufs entfallen. Eine feste Zeitgrenze, ab wann keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis mehr gegeben ist, besteht hierbei nicht. Vielmehr bedarf es einer Prüfung, aus welchen Gründen nicht eher gekündigt wurde, sowie einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend für die Bewertung sind dann im Ergebnis immer die konkreten Umstände des Einzelfalls.5
68
1 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BAG v. 28.4.1994 – 8 AZR 157/93, BAGE 76, 334. 3 BAG v. 28.4.1994 – 8 AZR 157/93, BAGE 76, 334; v. 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 Vgl. § 626 Abs. 2 BGB. 5 BAG v. 28.4.1994 – 8 AZR 157/93, BAGE 76, 334.
Mues
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Teil 1 Rz. 69
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
69
Darüber hinaus kann der Kündigungsberechtigte sowohl bei der ordentlichen wie auch bei der außerordentlichen Kündigung auf sein Kündigungsrecht ganz oder teilweise verzichten.1
70
Der Kündigungsverzicht kann hierbei vollständig oder eingeschränkt erklärt werden. So ist es z.B. möglich, dass der Kündigungsberechtigte nur auf einzelne Kündigungsgründe verzichtet oder lediglich ein bestimmtes Verhalten verzeiht. In diesem Fall bleibt das Kündigungsrecht wegen sonstiger Gründe weiterhin bestehen.2
71
Zulässig ist es auch, dass eine Vertragspartei lediglich auf ihr Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet, sich weitere arbeitsrechtliche Schritte aber ausdrücklich vorbehält. Hiernach ist zwar die fristlose Kündigung ausgeschlossen, jedoch bleibt eine ordentliche Kündigung aufgrund des gleichen Kündigungsgrundes weiterhin möglich. Ein Verzicht auf ein entstandenes Kündigungsrecht ist dabei sowohl ausdrücklich als auch konkludent möglich. Ein Verzicht auf das Kündigungsrecht liegt danach in der Regel vor, wenn der Arbeitgeber wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhaltes bereits eine Ermahnung oder Abmahnung ausgesprochen hat, weil er auf diese Weise sein Entscheidungsrecht zur der für ihn notwendigen Art der auf den Pflichtverstoß bereits ausgeübt hat.3 2. Inhaltliche Anforderungen a) Grundsatz der Klarheit und Bestimmtheit/Auslegung
72
In den gesetzlichen Vorschriften sind keine ausdrücklichen Vorgaben an den Inhalt der Kündigungserklärung enthalten. Daher ist der Kündigende in der Wahl der Formulierungen, des Ausdrucks, des Umfangs und der Gestaltung der Aussagen seiner Kündigungserklärung grundsätzlich frei.4
73
Als einseitige Willenserklärung muss die Kündigung aber mindestens dem Grundsatz der Klarheit und Bestimmtheit entsprechen. Der Kündigungsausspruch muss deshalb in der Erklärung mit der erforderlichen Bestimmtheit und Deutlichkeit klar und zweifelsfrei ausgedrückt werden.5 Mit dem Kündigungsschreiben muss für den Gekündigten deutlich erkennbar sein, dass mit dem Erhalt der Erklärung sein Dienst- oder Arbeitsverhältnis endgültig beendet bzw. im Fall der Änderungskündigung abgeändert werden soll.6
74
Dies ergibt sich daraus, dass die Kündigung unmittelbar zur einseitigen Rechtsgestaltung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Die Kündigung muss deshalb so hinreichend bestimmt und deutlich sein, dass der Kündigungsemp1 2 3 4
APS/Preis, DVII Rz. 99; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 30. BAG v. 31.7.1986 – 2 AZR 559/85, AiB 2001, 42. BAG v. 31.7.1986 – 2 AZR 559/85, AiB 2001, 42. BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267; v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Kündigungserklärung. 5 BAG v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Kündigungserklärung. 6 APS/Preis, DIII Rz. 19; Schaub/Linck, § 123 Rz. 2; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 57.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 78 Teil 1
fänger sofort Klarheit über den weiteren Status seines Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses erhält.1 Indes folgt aus diesem Erfordernis nicht, dass die Kündigung von den allgemeinen für Willenserklärungen gegebenen Vorschriften ausgenommen ist. Vielmehr unterliegt auch die Kündigungserklärung den allgemeinen Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGB.2 Nach §§ 133, 157 BGB ist daher nicht der buchstäbliche Wortlaut des Kündigungsschreibens entscheidend, sondern es ist vielmehr im Rahmen der Auslegung der wirkliche Wille der Erklärung zu erforschen.3
75
Diese Auslegung geschieht dabei nicht vom subjektiven Standpunkt des Kündigenden oder von den subjektiven Vorstellungen des Kündigungsempfängers aus, sondern entscheidend ist allein der objektive Empfängerhorizont. Dies gilt selbst dann, wenn der Erklärende seine Erklärung selbst anders verstanden hat. Abzustellen ist somit (abgesehen vom Fall der erkannten Falschbezeichnung) immer allein auf den objektiv ermittelten Erklärungswert. Es kommt daher darauf an, wie die Erklärung von einem objektiven Kündigungsempfänger unter Würdigung der ihm bekannten Umstände nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte aufgefasst werden musste. Im Zweifel ist dabei gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht.4
76
Nach §§ 133, 157 BGB erfolgt die Auslegung einer Kündigung unter Berücksichtigung des Wortlauts und sämtlicher sonstiger für die Verständnismöglichkeit maßgeblichen erkennbaren Umstände.5 Das bedeutet, dass nicht nur auf das reine Kündigungsschreiben abzustellen ist, sondern auch alle sonstigen Begleitumstände, die für die Frage, welchen Willen der Beteiligte bei seiner Erklärung gehabt hat, von Bedeutung sind und dem Erklärungsempfänger bekannt waren, zu würdigen sind.6
77
Dem steht das Schriftformerfordernis der Kündigung nach § 623 BGB nicht entgegen. Auch bei formbedürftigen Erklärungen sind solche Umstände außerhalb der Urkunde mit zu berücksichtigen, die in der Urkunde einen, wenn auch unvollkommenen Ausdruck gefunden haben (Andeutungstheorie).7
78
1 APS/Preis, DIII Rz. 19; Schaub/Linck, § 123 Rz. 2; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 57. 2 BAG v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Kündigungserklärung. 3 BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710; v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, BAGE 97, 193; v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Kündigungserklärung; ErfK/ Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 18 ff.; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 56 ff. 4 BAG v. 25.9.2002 – 10 AZR 7/02, BAGE 103, 1; v. 27.8.1970 – 2 AZR 519/69, BAGE 22, 424; v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Kündigungserklärung; APS/ Preis, DIII Rz. 19; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 18. 5 BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710; v. 25.9.2002 – 10 AZR 7/02, BAGE 103, 1. 6 BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710; v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06; BAGE 119, 311; v. 27.8.1970 – 2 AZR 519/69, BAGE 22, 424. 7 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06; BAGE 119, 311.
Mues
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Teil 1 Rz. 79
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
79
Voraussetzung für eine wirksame Kündigung ist nicht, dass im Kündigungsschreiben ausdrücklich der Begriff „Kündigung“ verwendet wird.1 Vielmehr kann der Erklärende auch eigene, anders lautende Worte verwenden, aus denen sich sein Kündigungsziel für den Empfänger ergibt. Für eine ordentliche Kündigung genügt deshalb jede Formulierung des Kündigenden, durch die er dem anderen Teil eindeutig seinen Willen kundgibt, das Arbeitsverhältnis einseitig lösen zu wollen.2
80
Eine wirksame Kündigung scheidet allerdings dann aus, wenn zwar der Wille des Erklärenden erkennbar ist, das Arbeitsverhältnis zu beenden, diese Erklärung aber trotzdem nicht eindeutig ist. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Erklärung mehrere mögliche Deutungsmöglichkeiten beinhaltet und damit weiterhin mehrere Beendigungsalternativen zulässt. So fehlt es an der notwendigen Deutlichkeit der Kündigung, wenn nach dem Inhalt der Erklärung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nur durch eine Kündigung, sondern auch durch einen anderen Beendigungstatbestand (Ausübung eines Widerrufsrechts, Anfechtung, Dienstentlassung eines Dienstordnungsangestellten oder Beendigungserklärung eigener Art) eintreten kann.3
81
Zu beachten ist, dass an die inhaltliche Formulierung einer außerordentlichen Kündigung besondere Anforderungen zu stellen sind. Will der Kündigende das Arbeitsverhältnis nicht nur ordentlich kündigen, sondern außerordentlich beenden, so muss er dies besonders zum Ausdruck bringen.4
82
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beendet eine Kündigung auch beim Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB das Arbeitsverhältnis nur dann mit außerordentlicher Wirkung, wenn sie gerade als außerordentliche Kündigung erklärt wird. Dies folgt daraus, dass es allein beim Kündigenden liegt, ob er von der ihm durch § 626 Abs. 1 BGB eingeräumten besonderen Rechtsmacht Gebrauch machen oder stattdessen eine andersartige Beendigungserklärung (ordentliche Kündigung, Anfechtung, Geltendmachung der Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags, etc.) abgeben will. Die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung muss deshalb für den Erklärungsempfänger zweifelsfrei den Willen des Erklärenden erkennen lassen, die besondere außerordentliche Kündigungsbefugnis nach § 626 Abs. 1 BGB zu nutzen. Der Wille zur außerordentlichen Kündigung kann sich dabei aber wiederum sowohl aus dem Wortlaut (z.B. ausdrückliche Bezeichnung als fristlose oder außerordentliche Kündigung) aber auch aus sonstigen Umständen (z.B. einer der Kündigung beigefügten Begründung) ergeben.5
83
Allein die Angabe einer zu kurzen oder eine fehlende Kündigungsfrist begründen dagegen noch keine wirksame außerordentliche Kündigung. Dies ist dadurch begründet, dass in diesem Fall nicht zwingend eine fristlose Kündigung 1 BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710. 2 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, BAGE 119, 311; v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267; v. 19.1.1956 – 2 AZR 80/54, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Kündigungserklärung. 3 BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, DB 2009, 1710. 4 BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 21. 5 BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 89 Teil 1
vorliegen muss. Es kann nach dieser Erklärung vielmehr entweder eine außerordentliche/fristlose Kündigung, ggf. mit sozialer Auslauffrist, oder auch nur eine ordentliche Kündigung mit fehlerhaft berechneter oder nicht gewahrter Kündigungsfrist bestehen. Das genaue Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses braucht in der Kündigungserklärung nicht unbedingt angegeben zu werden. Es ist vielmehr auch ausreichend, wenn sich der Beendigungszeitpunkt z.B. aus dem weiteren Inhalt der Erklärung ergibt oder aus den sonstigen Umständen feststellbar ist.1 Eine Kündigung zum „nächst zulässigen Termin“ ist daher möglich.2
84
Wenn in der Kündigungserklärung kein Beendigungstermin genannt wird, so ist im Zweifel eine ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin erfolgt.3 Dies gilt auch, wenn unklar bleibt, ob eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung erklärt werden sollte.4
85
Etwaige am Inhalt der Kündigungserklärung verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Erklärenden, weil es allein in seiner Entscheidungsmacht und in seiner Risikosphäre liegt, die Kündigung klar und eindeutig zu formulieren.5
86
Einer Kündigungserklärung fehlt z.B. dann die erforderliche Bestimmtheit und Eindeutigkeit, wenn in ihr mehrere Termine für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgeführt werden und für den Erklärungsempfänger nicht erkennbar ist, welcher Termin für ihn gelten soll.6
87
Entsprechend den generellen Auslegungsregeln führen vom Kündigungsempfänger erkannte Falschbezeichungen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Nach dem Grundsatz falsa demonstratio non nocet gilt in diesem Fall vielmehr der von beiden Vertragsparteien verstandene wirkliche Inhalt zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.7
88
Etwaige falsch berechnete bzw. falsch bezeichnete Kündigungsfristen führen ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Gleiches gilt für die Erklärung unrichtiger Kündigungstermine. Hier ist im Rahmen der Auslegung der zutreffende Beendigungstermin des Arbeitsverhältnisses zu ermitteln und der Kündigung zu Grunde zu legen. So betrug z.B. in einem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall die vertragliche Kündigungsfrist des Arbeitsvertrags sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres. Die Kündigungserklärung des Arbeitgebers lautete „fristgemäß zum 01.04.“ kündigen zu wollen. Unter diesen Umständen wurde vom Bundesarbeitsgericht im Rahmen einer sehr weit reichenden Auslegung der fälschlicher Weise erklärte Beendigungstermin vom 01.04. dahingehend ausgelegt, dass in Wirklichkeit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.3. erklärt worden sei.8
89
1 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 57. 2 BAG v. 18.4.1985 – 2 AZR 197/84, NZA 1986, 229; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 40; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 57. 3 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 20; APS/Preis, DIII Rz. 20. 4 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 57. 5 Tschöpe/Schulte, 3D I Rz. 20. 6 BAG v. 21.10.1981 – 7 AZR 407/79, nv. 7 Vgl. BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 633/07, DB 2009, 1653. 8 BAG v. 25.9.2002 – 10 AZR 7/02, BAGE 103, 1.
Mues
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Teil 1 Rz. 90 90
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
" Praxistipp: Angesichts der teilweise sehr weit gehenden Auslegung der
Rechtsprechung empfiehlt es sich für den Arbeitnehmer, auch beim Erhalt von unklaren oder falschen Kündigungserklärungen unbedingt rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 KSchG eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben. Anderenfalls besteht für ihn die Gefahr, dass die Kündigungserklärung in Zweifelsfällen ggf. zu seinen Lasten ausgelegt werden könnte und damit nach dem Ablauf der Klagefrist gem. § 7 KSchG auch eine ungenaue oder fehlerhafte Erklärung des Arbeitgebers rechtswirksam werden und auf diese Weise trotzdem zu einer endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen kann.
b) Anhörung des zu Kündigenden 91
Die vorherige Anhörung des Gekündigten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung. Eine fehlende Anhörung begründet auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB. Dies gilt sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung.1
92
Eine ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist daher grundsätzlich vollständig wirksam. Dies ist dadurch begründet, dass die Wirksamkeit einer Kündigung nach der Regelung des § 626 Abs. 1 BGB allein vom dem objektiven Vorliegen der Tatsachen, die den wichtigen Kündigungsgrund und die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bedingen, abhängt. Daher kommt es nicht zusätzlich auf den subjektiven Kenntnisstand und die Anhörung der Parteien an2, weil die Durchführung oder das Fehlen der Anhörung am rein objektiven Tatbestand des wichtigen Grundes nichts zu ändern vermag.3
93
Eine Ausnahme besteht allerdings im Falle der Verdachtskündigung. In diesem Fall ist eine vorherige Anhörung des zu Kündigenden zur Wirksamkeit der Kündigung zwingend erforderlich.4
94
Da hier die Kündigung allein auf der Grundlage eines unbewiesenen Verdachts beruht, muss der Arbeitgeber vor der Kündigung alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben. Er ist deshalb insbesondere verpflichtet, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung die belastenden Umstände mitzuteilen und ihn anzuhören. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet es angesichts der gravierenden Folgen einer fristlosen Verdachtskündigung 1 BAG v. 18.9.1997 – 2 AZR 36/97, NJW 1998, 1508; v. 10.2.1977 – 2 ABR 80/76, BAGE 29, 7; v. 23.3.1972 – 2 AZR 226/71, AP Nr. 63 zu § 626 BGB; v. 14.7.1960 – 2 AZR 64/59, AP Nr. 13 zu § 123 BGB; v. 2.5.1958 – 1 AZR 92/56, AP Nr. 16 zu § 66 BetrVG; APS/Preis, DIII Rz. 32; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 47; Schaub/Linck, § 123 Rz. 69. 2 BAG v. 18.9.1997 – 2 AZR 36/97, NJW 1998, 1508. 3 BAG v. 10.2.1977 – 2 ABR 80/76, BAGE 29, 7. 4 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 283/86, AP Nr. 19 zu § 626 BGB; v. 2.11.1983 – 7 AZR 65/82, BAGE 44, 201; v. 10.2.1977 – 2 ABR 80/76, BAGE 29, 7; v. 30.11.1960 – 3 AZR 480/58, BAGE 10, 207; v. 14.7.1960 – 2 AZR 64/59, AP Nr. 13 zu § 123 BGB; APS/Preis, DIII Rz. 33; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 178; Schaub/Linck, § 123 Rz. 69.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 100 Teil 1
dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und sich gegen den eventuell ungerechtfertigten Vorwurf zu verteidigen, wenn nicht auszuschließen ist, dass diese Stellungnahme zur Entlastung des Arbeitnehmers und damit zum Wegfall des Kündigungsverdachts führen kann.1 Zusätzlich kann sich eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anhörung des Arbeitnehmers vor einer auszusprechenden Kündigung aus dem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung, dem Tarifvertrag oder einer verpflichtenden Selbstbindung des Arbeitgebers (Dienstanweisung, kirchliche Grundordnung, etc.) ergeben. In einem solchen Fall verstößt eine sofortige Kündigung ohne Anhörung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist deshalb unwirksam.2
95
Schließlich kann vor dem Kündigungsausspruch in besonderen Ausnahmefällen ggf. auch eine Anhörung des Arbeitnehmers nach den Umständen des Einzelfalles geboten sein.3
96
" Praxistipp: Für den Arbeitgeber ist es regelmäßig günstig, vor dem Aus-
97
spruch einer außerordentlichen Kündigung den Arbeitnehmer anzuhören. Auf diese Weise vermeidet der Arbeitgeber hinsichtlich einer Verdachtskündigung einen Unwirksamkeitsgrund und erlangt im Falle einer sonstigen außerordentlichen Kündigung unter Umständen durch die (eventuell widersprüchlichen) Aussagen des Arbeitnehmers wichtige weitergehende Informationen und Beweismittel, die er zur Untermauerung seiner Kündigung verwerten kann.
3. Sprachliche Anforderungen/Übersetzung Für die sprachliche Ausgestaltung der Kündigungserklärung bestehen keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen. Insbesondere ist im Gesetz keine bestimmte Sprache zwingend vorgegeben.
98
Nach den generellen Umgangsgewohnheiten im Inland wird die Kündigung regelmäßig in deutscher Sprache in Schriftform (§ 623 BGB) erklärt werden. Dies ist jedoch nicht in jedem Fall zwingend erforderlich. Insbesondere bei internationalen und ausländischen Unternehmen kann die Kündigung – sofern im Unternehmen generell Englisch oder eine andere Sprache verwendet wird – ggf. auch gegenüber deutschen Arbeitnehmern in der üblichen Firmensprache erfolgen.4
99
Die Erklärung in deutscher Sprache ist auch gegenüber Arbeitnehmern, die der Sprache (Sprachbehinderte, Ausländer, etc.) oder der Schrift (Analphabeten) nicht oder nur unzureichend mächtig sind, ausreichend. Insbesondere schuldet der Arbeitgeber nicht die Erstellung des Kündigungsschreibens in der Muttersprache des ausländischen Arbeitnehmers oder die Beifügung einer Überset-
100
1 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 283/86, AP Nr. 19 zu § 626 BGB; v. 2.11.1983 – 7 AZR 65/82, BAGE 44, 201; v. 10.2.1977 – 2 ABR 80/76, BAGE 29, 7; v. 30.11.1960 – 3 AZR 480/58, BAGE 10, 207; v. 14.7.1960 – 2 AZR 64/59, AP Nr. 13 zu § 123 BGB. 2 BAG v. 16.9.1999 – 2 AZR 712/98, AP Nr. 1 zu Art. 4 GrO kath. Kirche; ErfK/MüllerGlöge, BGB, § 626 Rz. 47. 3 BAG v. 10.2.1977 – 2 ABR 80/76, BAGE 29, 7. 4 BAG v. 9.8.1990 – 2 AZR 34/90, nv.
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Teil 1 Rz. 101
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
zung.1 Die richtige Übersetzung und die rechtzeitige Beauftragung des Dolmetschers liegen vielmehr allein in der Verantwortung des sprachunkundigen Arbeitnehmers. 101
Hiervon zu unterscheiden ist die in der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt unter diesen Umständen das Kündigungsschreiben wirksam zugeht.
102
Eine Rechtsansicht verweist diesbezüglich auf die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme ab dem Empfang des Kündigungsschreibens und darauf, dass die Lese- und Sprachfertigkeit allein in der Risikosphäre des Empfängers liege. Hiernach tritt unabhängig von den fehlenden Sprachkenntnissen ein sofortiger Zugang mit dem Erhalt des Kündigungsschreibens ein.2 Die Gegenansicht geht dagegen davon aus, dass der reine körperliche Erhalt der Kündigungsurkunde noch keinen Zugang darstelle, sondern vielmehr der Empfänger auch die realistische Möglichkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme des Inhalts haben müsse. Nach dieser Ansicht tritt der wirksame Zugang erst zum späteren Zeitpunkt nach der erforderlichen angemessenen Frist zur Durchführung der Übersetzung ein.3
103
Auch hinsichtlich der sprachlichen Formulierung der Kündigungserklärung sind im Gesetz keine Vorgaben noch sonstige Eingrenzungen für die Wortwahl enthalten.
104
Der Kündigende ist daher in der Wahl seiner sprachlichen Ausdruckweise und in der Gestaltung seiner Formulierungen grundsätzlich vollkommen frei. Erforderlich ist lediglich, dass seine Aussagen im Kündigungsschreiben die Kündigungsabsicht klar und deutlich zum Ausdruck bringen.
105
Zusätzlich muss der Kündigende beachten, dass er sich gegenüber seinem Vertragspartner korrekt und angemessen auszudrücken hat. Unangebrachte Verleumdungen und verletzende Beleidigungen gegenüber dem Kündigungsempfänger können deshalb unter Umständen nach § 242 BGB zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.4 4. Mitteilung der Kündigungsgründe a) Grundsatz
106
Zur Wirksamkeit der Kündigung ist grundsätzlich keine Mitteilung der Kündigungsgründe erforderlich. Nach den allgemeinen gesetzlichen Regelungen ist eine Begründung der Kündigung regelmäßig nicht vorgeschrieben. Eine ohne Begründung ausgesprochene Kündigung ist daher wirksam, sofern die Kündigungsgründe trotz fehlender Bekanntgabe beim Zugang der Kündigung rein objektiv vorliegen. Dies gilt unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes oder des Betriebsverfassungsgesetzes sowie gleichermaßen beim 1 APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 13, 18. 2 LAG Hamburg v. 6.7.1990 – 1 Ta 3/90, LAGE § 130 BGB Nr. 16; LAG Köln v. 24.3.1988 – 8 Ta 46/88, NJW 1988, 1870. 3 LAG Hamm v. 4.1.1979 – 8 Ta 105/78, NJW 1979, 2488. 4 KR/Friedrich, BGB § 242 Rz. 29.
18
Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 111 Teil 1
Ausspruch einer ordentlichen Kündigung als auch bei einer außerordentlichen Kündigung.1 Auch bei Arbeitsverhältnissen, die der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes unterfallen, ist eine Angabe von Kündigungsgründen im Kündigungsschreiben nicht unbedingt erforderlich. Aus § 1 KSchG folgt nicht die Pflicht des Arbeitgebers zur sofortigen Begründung der Kündigung. Vielmehr besteht die Pflicht zur Begründung und zum Nachweis der sozialen Rechtfertigung erst im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits. Der Arbeitgeber ist daher zur Darlegung der sozialen Rechtfertigung und damit zur Offenlegung seiner Kündigungsgründe auch erst im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses verpflichtet.2
107
Im Rahmen der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Arbeitgeber gem. § 102 Abs. 4 BetrVG im Falle des Widerspruchs des Betriebsrates dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuleiten. Dieser betriebsverfassungsrechtliche Anspruch auf Mitteilung der Stellungnahme des Betriebsrats ist ebenfalls keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung, sondern lediglich eine zusätzliche Pflicht des Arbeitgebers. Ein Fehlen der Übermittlung berührt daher die Wirksamkeit der Kündigung nicht, sondern begründet allenfalls Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers aufgrund des Pflichtverstoßes des Arbeitgebers.3
108
Bei außerordentlichen Kündigungen muss der Kündigende nach § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen. Wie sich aus der Gesetzesnorm ergibt, entsteht diese Auskunftspflicht aber erst auf Verlangen des Gekündigten. Er stellt damit keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung dar, sodass auch eine außerordentliche Kündigung ohne Angabe der Begründung zulässig ist.4
109
Ggf. kann die Treue- und die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers insbesondere beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung die Angabe der Kündigungsgründe erfordern. Nach der Rechtsprechung berührt aber auch unter diesem Gesichtspunkt das Fehlen der Kündigungsbegründung nicht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung, sondern kann nur zu Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen führen.5
110
" Praxistipp: Da eine Begründung der Kündigung zur Wirksamkeit nicht er-
111
forderlich ist, empfiehlt es sich für den Arbeitgeber – insbesondere bei einer ordentlichen Kündigung – die Kündigungserklärung ohne Begründung auszusprechen. Auf diese Weise kann ggf. ein zusätzlicher Streit über die Kündigungsbegründung vermieden werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kündigung bestimmte Vorfälle und eine Zerstörung des Vertrauensver-
1 BAG v. 21.3.1959 – 2 AZR 375/56, BAGE 7, 304; v. 30.6.1959 – 3 AZR 111/58, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 22; APS/Preis, DIII Rz. 23; Schaub/Linck, § 123 Rz. 66; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 35. 2 BAG v. 21.3.1959 – 2 AZR 375/56, BAGE 7, 304. 3 APS/Preis, DIII Rz. 23. 4 BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, BAGE 24, 401; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 233; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 24. 5 BAG v. 30.1.1963 – 30.1.1963, BAGE 14, 65.
Mues
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Teil 1 Rz. 112
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
hältnisses zu Grunde liegen. Der Arbeitnehmer ist hier oftmals bereit, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an sich zu akzeptieren, teilt jedoch nicht die Auffassung zu den Kündigungsursachen. b) Begründungszwang 112
Von dem Grundsatz der Entbehrlichkeit einer Kündigungsbegründung bestehen in bestimmten Fällen gesetzliche und vertragliche Ausnahmen.
113
So ist z.B. für die Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit gem. § 22 Abs. 3 BBiG die Begründung der Kündigung ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben. Eine gleiche Regelung enthält § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG, nach der für Kündigungen während der Schwangerschaft und Mutterschutzzeit die Angabe der Kündigungsbegründung zwingend vorgegeben ist.1
114
Die Angabe der Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben ist in diesen Fällen Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Fehlt es hier an einer formgemäßen Kündigungsbegründung ist die Kündigung insgesamt nach § 125 BGB nichtig.2
115
Darüber hinaus kann sich eine Begründungspflicht aus den einzelvertraglichen Bestimmungen des Arbeitsvertrages sowie aus den Regelungen einer Betriebsvereinbarung oder des Tarifvertrages ergeben.3
116
Im Rahmen solcher Vereinbarungen ist dabei gem. § 125 Satz 2 BGB durch Auslegung zu ermitteln, ob der Begründungszwang eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung darstellt oder lediglich eine Nebenpflicht des Arbeitgebers beinhaltet.4 Sofern es sich bei der vereinbarten Begründung um ein zwingendes Formerfordernis handelt, führt auch in diesen Fällen ein Begründungsverstoß gem. § 125 BGB zur Nichtigkeit der gesamten Kündigung.5
117
Ist eine Mitteilung der Kündigungsgründe vorgeschrieben, muss der Kündigende bereits im Kündigungsschreiben die Tatsachen mitteilen, die für die Kündigung maßgebend sind. Pauschale Schlagworte, wie „Betriebsbedingte Kündigung“ oder Werturteile wie „mangelhaftes Benehmen“ oder „Störung des Betriebsfriedens“ genügen hierbei nicht. Die Kündigungsgründe müssen vielmehr so genau bezeichnet werden, dass der Kündigungsempfänger eindeutig erkennen kann, um welche konkreten Vorfälle es sich handelt. In welchem Umfang die Gründe angegeben werden müssen, bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Der Arbeitnehmer soll erfahren, welche Ursachen zur Kündigung geführt haben. Es hängt vom jeweiligen Einzelfall ab, wie weit die Gründe im Einzelnen ausgeführt werden müssen. Hierbei ist zwar keine eingehende Substantiierung wie im Prozess notwendig, aber die Gründe müssen zumindest 1 ErfK/Müller-Glöge, MuSchG, § 9 Rz. 13. 2 BAG v. 22.2.1972 – 2 AZR 205/71, BAGE 24, 133; v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75, AP Nr. 4 zu § 15 BBiG. 3 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, AP Nr. 3 zu § 54 BMT-G II; APS/Preis, DIII Rz. 28; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 35. 4 APS/Preis, DIII Rz. 28. 5 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, AP Nr. 3 zu § 54 BMT-G II.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 124 Teil 1
so genau bezeichnet sein, dass der Kündigungsempfänger auf Grund des Kündigungsschreibens prüfen kann, ob es sinnvoll ist sich gegen die Kündigung zu wenden oder diese akzeptiert werden sollte.1 Ggf. kann zur Kündigungsbegründung auch eine Bezugnahme auf weitere Schriftstücke ausreichend sein, wenn diese in der Kündigungserklärung konkret bezeichnet werden. Der Verweis auf mündliche Gespräche und die vorausgegangene Erörterung der Kündigungsgründe ist aber wegen der damit verbundenen Beweisunsicherheiten unzulässig.2
118
Bei unzureichender Bezeichnung der Kündigungsgründe ist die Kündigung gem. § 125 BGB wegen Formverstoßes sofort endgültig nichtig. Die mangelnde Angabe der Gründe kann damit nicht mehr durch eine nachträgliche Begründung in folgenden Erklärungsschreiben oder im Kündigungsschutzprozess nachgeholt werden.3
119
c) Anspruch auf Mitteilung der Kündigungsgründe Unabhängig von der Problematik der Wirksamkeit einer Kündigung bei fehlender oder fehlerhafter Begründung besteht für den gekündigten Arbeitnehmer zumindest ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Mitteilung der Kündigungsgründe.4
120
Im Falle einer außerordentlichen Kündigung ergibt sich dieser Anspruch unmittelbar aus dem Gesetz. Hier verpflichtet § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Verlangen unverzüglich die Kündigungsgründe mitzuteilen.
121
Nach § 102 Abs. 4 BetrVG ist der Arbeitgeber im Falle des Widerspruchs des Betriebsrates zusätzlich verpflichtet, dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuleiten. Aus dieser Stellungnahme werden sich im Regelfall – zumindest indirekt – die dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung genannten Kündigungsgründe und die diesbezügliche Bewertung des Betriebsrats ergeben.
122
In anderen Fällen der Kündigung folgt ein Mitteilungsanspruch des Arbeitnehmers über die Kündigungsgründe des Arbeitgebers entweder aus der Treue- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, als vertragliche Nebenpflicht des Arbeitsvertrags oder aus der analogen Anwendung des § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB.5
123
Sofern der Arbeitgeber diesen Mitteilungsanspruch nicht oder nur verspätet erfüllt, macht er sich gegenüber dem Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig. Der Schadensersatzanspruch entsteht dabei in der Höhe des dem Arbeitnehmer durch die fehlende Begründung entstandenen Vertrauensschadens. Dieser be-
124
1 BAG v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75, AP Nr. 4 zu § 15 BBiG; v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, AP Nr. 3 zu § 54 BMT-G II. 2 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, AP Nr. 3 zu § 54 BMT-G II. 3 BAG v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75, AP Nr. 4 zu § 15 BBiG; v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, AP Nr. 3 zu § 54 BMT-G II. 4 APS/Preis, DIII Rz. 26; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 36. 5 Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 36; APS/Preis, DIII Rz. 26.
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Teil 1 Rz. 125
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
steht in der Regel in den Kosten des unnötigen Kündigungsschutzprozesses, den der Kündigungsempfänger bei ordnungsgemäßer Mitteilung der Kündigungsgründe nicht geführt hätte.1 125
" Praxistipp: Sofern der Arbeitnehmer beabsichtigt ggf. gerichtlich gegen die
126
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist der Arbeitgeber außerdem verpflichtet, bei einer betriebsbedingten Kündigung dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die getroffene soziale Auswahl mitzuteilen. Hierbei ist zu beachten, dass diese wichtige Auskunft jedoch nicht automatisch, sondern nur auf ausdrückliche Anforderung des Arbeitnehmers erfolgt.
127
" Praxistipp: Da dem Arbeitnehmer die soziale Auswahl des Arbeitgebers in
Kündigung vorzugehen, empfiehlt es sich für ihn, den Arbeitgeber zur unverzüglichen Auskunft über die Kündigungsgründe aufzufordern, da er hierdurch keinerlei Nachteile, sondern nur erhebliche Vorteile erlangen kann. Durch die Erteilung der Auskunft erlangt der Arbeitnehmer eine nähere Kenntnis über die Gründe und Argumente des Arbeitgebers, die er bei seiner Entscheidung über die Klageerhebung und bei der Durchführung des Prozesses nutzen kann. Falls der Arbeitgeber die Auskunft verweigert, entsteht zugunsten des Arbeitnehmers zumindest ein Schadensersatzanspruch.
der Regel nicht oder zumindest nicht vollständig bekannt sein wird, empfiehlt es sich für den Arbeitnehmer unbedingt, den Arbeitgeber vor bzw. mit der Kündigungsschutzklage zur Offenlegung der Sozialauswahl aufzufordern, um hierzu im weiteren Verlauf des Kündigungsschutzprozesses detailliert vortragen zu können. Dies gilt insbesondere, da die Sozialauswahl für die Bewertung der sozialen Ungerechtfertigkeit und damit für den Erfolg des Kündigungsschutzprozesses oftmals das entscheidende Kriterium darstellt.
d) Nachschieben von Kündigungsgründen 128
Ein Nachschieben von Kündigungsgründen liegt vor, wenn der Kündigende nach dem Ausspruch der Kündigung seine ursprüngliche Begründung um weitere Kündigungsgründe ergänzt und die Kündigung auch auf diese weiteren Gründe stützt.2
129
Ein späteres Nachschieben von Kündigungsgründen, die bereits zum Zeitpunkt der Kündigung objektiv bestanden, ist nach allgemeiner Ansicht materiellrechtlich grundsätzlich uneingeschränkt zulässig. Dies gilt dabei sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung.3 1 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 233; APS/Preis, DIII Rz. 26; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 24; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 36. 2 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 55. 3 BAG v. 18.9.1997 – 2 AZR 36/97, NJW 1998, 1508; v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, BAGE 49, 39; v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, BAGE 34, 309; v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen; v. 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, BAGE 24, 401; v. 30.1.1963 – 30.1.1963, BAGE 14, 65; APS/Preis, DIII Rz. 30; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 626 Rz. 55, 230, KSchG – § 1 Rz. 92; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 71 ff.
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Ausspruch der Kündigung
Rz. 134 Teil 1
Das Nachschieben von Kündigungsgründen, die erst nach der Kündigung entstanden sind, ist dagegen nicht möglich. Solche späteren Gründe können lediglich eine neue Kündigung rechtfertigen. Darüber hinaus können aber die nachträglich entstandenen Kündigungsgründe insofern auch für die ursprüngliche Kündigung von Bedeutung sein, als sie das frühere Verhalten des Gekündigten in einem neuen Licht erscheinen lassen. Sie sind daher unter diesem Gesichtspunkt bei der Bewertung der ursprünglichen Kündigung zu berücksichtigen.1
130
Die Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen ergibt sich daraus, dass es für die Wirksamkeit einer Kündigung nicht auf die Bekanntgabe der Begründung oder die Kenntnis der Parteien, sondern allein auf das tatsächliche Vorliegen der Kündigungsgründe ankommt.2 Da eine wirksame Kündigungserklärung damit nicht die Angabe eines bestimmten Kündigungsgrundes erfordert und materiell-rechtlich mehrere Kündigungsgründe grundsätzlich nur ein Kündigungsrecht ergeben, kann die Kündigung auch nachträglich auf weitere Kündigungsgründe gestützt werden.3 Dem steht § 623 BGB nicht entgegen, da das Schriftformerfordernis lediglich den Ausspruch der Kündigung, nicht jedoch den Begründungszwang umfasst.
131
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht lediglich dann, wenn die Angabe der Kündigungsbegründung kraft Gesetzes oder besonderer Vereinbarung eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung darstellt. In einem solchen Fall führt eine fehlende oder fehlerhafte Begründung unmittelbar und unheilbar zur Unwirksamkeit der Kündigung. Der Arbeitgeber ist deshalb im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits auf die in seiner Kündigungserklärung formgerecht angegebenen Gründe beschränkt.4
132
Die Zulässigkeit des Nachschiebens gilt gleichermaßen für Kündigungsgründe, die der Kündigende beim Ausspruch der Kündigung bereits kannte und lediglich nicht offen legte sowie für solche Tatsachen, die er erst später erfahren hat, denn es kann dem Arbeitgeber nicht vorgeschrieben werden, auf welcher von mehreren zulässigen Ursachen er seine Kündigungsentscheidung treffen möchte.5
133
Es ist für das Nachschieben von Gründen unerheblich, ob die nachgeschobenen Kündigungsgründe mit den ursprünglich geltend gemachten Gründen in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Etwas anderes kann lediglich dann gelten, wenn durch das nachträgliche Auswechseln der Kündigungsgründe die Kündigung einen völlig anderen Charakter erhält. Diesbezüglich ist bisher jedoch noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob auch in einem solchen Fall ein
134
1 BAG v. 15.12.1955 – 2 AZR 228/54, BAGE 2, 245. 2 BAG v. 18.9.1997 – 2 AZR 36/97, NJW 1998, 1508; Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt „Grundsatz“. 3 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, BAGE 49, 39. 4 BAG v. 22.2.1972 – 2 AZR 205/71, BAGE 24, 133; v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75, AP Nr. 4 zu § 15 BBiG Siehe im Übrigen die näheren Ausführungen im Abschnitt „Begründungszwang“. 5 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, BAGE 34, 309; v. 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, BAGE 24, 401.
Mues
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Teil 1 Rz. 135
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Nachschieben während des Rechtsstreits möglich bleibt oder der Kündigende hier eine neue Kündigung aussprechen muss.1 135
Der Kündigende darf die weiteren Gründe, die die ausgesprochene Kündigung ebenfalls rechtfertigen, materiell-rechtlich grundsätzlich zeitlich unbeschränkt bis an die Grenze der Verwirkung vortragen.
136
Der Kündigende ist hierbei insbesondere nicht an die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gebunden. Sinn und Zweck der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist es, im Bereich des Individualrechts Rechtssicherheit und Klarheit für den vom Kündigungsrecht betroffenen anderen Vertragpartner zu schaffen. Hat ein Vertragsteil die Voraussetzung für eine Kündigung aus wichtigem Grunde verwirklicht, darf es nicht unangemessen lange Zeit ungewiss bleiben, ob der andere Teil daraus Folgen zieht und kündigt. Diese Regelung vermeidet durch ihre klare Grenze das sozial unerwünschte Ergebnis, dass der Kündigungsberechtigte den Kündigungsgrund aufsparen kann, um den Vertragsgegner unter Druck zu halten. Ist eine außerordentliche Kündigung jedoch bereits aus anderen Gründen ausgesprochen worden, so verliert dieser Sinn der Vorschrift jedoch völlig an Bedeutung, sodass damit auch die Ausschlussfrist entfällt.2
137
Allerdings können die nachgeschobenen Kündigungsgründe prozessrechtlich im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens ggf. gem. §§ 282 Abs. 1, 296 Abs. 1 u. 2, 530 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden, wenn die Voraussetzungen dieser Verfahrensnormen vorliegen.3
138
Bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Mandatsträgers können im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG anders als beim Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG, nicht nur solche Tatsachen nachgeschoben werden, die bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens bereits vorlagen, sondern vielmehr auch solche Umstände, die erst im Laufe des Verfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss eintreten. Auch können bei Einleitung des Verfahrens vorliegende Tatsachen ohne Rücksicht darauf nachgeschoben werden, ob sie dem Arbeitgeber bekannt waren oder nicht. Der Zweck des Zustimmungsersetzungsverfahrens, die Unbefangenheit der Amtsführung durch den Schutz vor unberechtigten Kündigungen zu gewährleisten, wird durch das nachträgliche Vorbringen weiterer Kündigungsgründe nicht beeinträchtigt. Der Betriebsrat bleibt nach wie vor frei, über seine Zustimmung zu entscheiden und die Wirksamkeit einer Kündigung zu verhindern. Da das gerichtliche Verfahren grundsätzlich nur im Falle der Zustimmungsverweigerung einzuleiten ist, mithin dem betrieblichen Zustimmungsverfahren nachgeordnet ist, muss der Arbeitgeber aber dem Betriebsrat zuvor Gelegenheit geben, seine Stellungnahme im Lichte der neuen Tatsachen zu überprüfen.4 1 BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen. 2 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, BAGE 49, 39; v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen. 3 BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen. 4 BAG v. 23.4.2008 – 2 ABR 71/07, NZA 2008, 1081.
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Mues
Ausspruch der Kündigung
Rz. 142 Teil 1
Eine weitere Einschränkung für das Nachschieben von Kündigungsgründen ergibt sich aus dem Mitwirkungsrecht des Betriebsrats nach § 102 BetrVG.
139
Der Arbeitgeber ist hiernach zur Wirksamkeit der Kündigung zwar im Rahmen der Betriebsratsanhörung nicht verpflichtet, dem Betriebsrat auch solche Gründe mitzuteilen, die er nach seiner Einschätzung nicht zum Anlass für die Kündigung nehmen wollte. Ein Nachschieben von solchen Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber der Kündigung bereits bekannt waren, über die er jedoch den Betriebsrat nicht informierte, ist allerdings unzulässig, mit der Folge, dass diese nicht mitgeteilten Gründe im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden können. Diese Nichtberücksichtigung folgt aus dem Sinn und dem Zweck des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG, der dem Betriebsrat Gelegenheit geben soll, vor Ausspruch der Kündigung auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Diesem Zweck würde es widersprechen, dem Arbeitgeber zu gestatten, sich im späteren Kündigungsschutzprozess auf solche weiteren Kündigungsgründe zu berufen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich mit beeinflusst haben, hinsichtlich der er jedoch dem Betriebsrat keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte.1 Zulässig ist dagegen aber das Nachschieben und damit die Berücksichtigung von Kündigungsgründen, die zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung zwar bereits objektiv vorlagen, dem Arbeitgeber aber subjektiv noch nicht bekannt waren. Allerdings gebietet auch hier der Schutzzweck des § 102 BetrVG dass der Arbeitgeber vor der Geltendmachung solcher weiteren Gründe im Rechtstreit zuvor den Betriebsrat hierzu erneut anhört. Sofern eine solche nachträgliche Information des Betriebsrats unterbleibt, scheidet eine Berücksichtigung der nachgeschobenen Gründe im Prozess aus.2
140
Vom dem Nachschieben von Kündigungsgründen ist die reine Erläuterung (Substantiierung oder Konkretisierung) der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe zu unterscheiden. Diese Erläuterung ist ohne weitere Voraussetzungen im Kündigungsschutzverfahren möglich. Der Arbeitgeber ist daher nicht gehindert, auch ohne erneute Betriebsratsanhörung im Prozess solche Tatsachen nachzuschieben, die ohne wesentliche Veränderung des Sachverhalts lediglich der Begründung und Konkretisierung der dem Betriebsrat bereits ursprünglich mitgeteilten Kündigungsgründe dienen.3
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5. Zeitpunkt des Ausspruchs, Verlassen des Machtbereichs Zur Wirksamkeit der Kündigung sind neben der Fertigung des Kündigungsschreibens auch die Abgabe der Kündigungserklärung durch den Kündigenden und der Zugang an den Kündigungsempfänger erforderlich.4
1 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, BAGE 49, 39; v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, BAGE 34, 309. 2 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, BAGE 34, 309; v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, BAGE 49, 39. 3 LAG Rheinland-Pfalz v. 19.12.2008 – 6 Sa 433/08, n.v. 4 Palandt/Heinrichs, BGB, § 130 Rz. 2.
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Teil 1 Rz. 143
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
143
Eine wirksame Abgabe liegt dabei dann vor, wenn die Kündigungserklärung mit Willen des Kündigenden in Richtung auf den Kündigungsempfänger in den Verkehr gebracht wurde.1 Dies ist bei der persönlichen Übergabe der Kündigung unter Anwesenden regelmäßig mit der unmittelbaren Abgabe des Kündigungsschreibens im Rahmen der Übergabehandlung der Fall. Im Falle der Versendung unter Abwesenden erfolgt die Abgabe mit der Absendung des Kündigungsschreibens in dem Moment, in dem das Kündigungsschreiben den Machtbereich des Kündigenden verlässt.
144
Die Abgabe muss nicht durch den Kündigenden persönlich erfolgen. Es ist vielmehr ausreichend, wenn das Kündigungsschreiben mit Zustimmung des Kündigenden seinen Machtbereich verlässt. Im Rahmen des üblichen Geschäftsbetriebs eines Arbeitgebers wird dies regelmäßig der Fall sein, denn hier erfolgt nach der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens die weitere Versendung des Schreibens durch Angestellte oder Beauftragte (Büropersonal, Boten, etc.).
145
Sofern die Kündigung ohne Willen des Kündigenden in den Verkehr gelangt (irrtümliche Versendung, etc.), fehlt es an einer wirksamen Abgabe. Ggf. kann aber gegenüber dem Kündigungsempfänger eine Schadensersatzpflicht entstehen, sofern der Kündigende die fehlerhafte Abgabe schuldhaft zu vertreten hat.2
146
Abgegeben ist eine Kündigungserklärung außerdem erst, wenn der Kündigende seinen Kündigungswillen endgültig geäußert hat.3 Die bloße Androhung einer Kündigung stellt daher noch keine wirksame Kündigungserklärung dar. Gleiches gilt für ein Informationsschreiben über eine beabsichtigte Kündigung oder Verhandlungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
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" Praxistipp: Angesichts der Wirkung des § 7 KSchG empfiehlt es sich für den
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Für den Arbeitgeber ist zu beachten, dass bei Bestehen eines Betriebsrats zur Vermeidung einer Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG eine Kündigung erst nach dem Abschluss des Anhörungsverfahrens erfolgen darf. Dies ist dadurch begründet, dass der Arbeitgeber vor dem Ausspruch der Kündigungserklärung die Möglichkeit besitzen muss, die Argumente des Betriebsrats zur Kenntnis zu nehmen und sie bei seiner abschließenden Entscheidung zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber darf daher seine Kündigungserklärung erst nach dem Vorliegen der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. nach dem vollständigen Fristablauf des § 102 BetrVG abgeben.4
Arbeitnehmer im Zweifel bei unklaren Schreiben des Arbeitgebers vorsorglich innerhalb der Frist des § 4 KSchG eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben. Anderenfalls besteht für ihn die Gefahr, dass ein solches Schreiben im Nachhinein als endgültige Kündigung ausgelegt werden könnte, welches durch Fristablauf nach § 7 KSchG rechtswirksam wird.
1 BGH v. 18.12.2002 – IV ZR 39/02, NJW-RR 2003, 384; v. 30.5.1975 – V ZR 206/73, BGHZ 65, 13. 2 BGH v. 30.5.1975 – V ZR 206/73, BGHZ 65, 13. 3 Palandt/Heinrichs, BGB, § 130 Rz. 4. 4 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt „Teil 2 III – Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG“.
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Mues
Formerfordernisse
Rz. 153 Teil 1
II. Formerfordernisse 1. Schriftform a) Grundsatz der Schriftform § 623 BGB schreibt für die Beendigung des Arbeitverhältnisses durch Kündigung oder Auflösungsvertrag zwingend die Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB vor.
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Wie sich aus dem Wortlaut „zur Wirksamkeit“ ergibt, begründet § 623 BGB ein konstitutives Schriftformerfordernis. Eine Nichteinhaltung dieser Formvorgabe führt deshalb gem. § 125 Satz 1 BGB zur sofortigen und vollständigen Nichtigkeit der Kündigung.1
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Die formwidrig ausgesprochene Kündigung ist gem. § 125 Satz 1 BGB endgültig nichtig. Sie ist damit nachträglich nicht mehr heilbar, sodass auch eine spätere schriftliche Bestätigung der Kündigung bzw. eine sonstige Beseitigung von Formfehlern nicht mehr zur Wirksamkeit der Kündigung führt. Dem Kündigenden bleibt nur der formgerechte Neuausspruch der Kündigung unter Beachtung der zum Zeitpunkt der Neukündigung geltenden Kündigungsfristen. Hierdurch kann insbesondere bei der außerordentlichen Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB überschritten werden und damit die Kündigung nunmehr aus diesem Grunde unzulässig sein.2
151
Die besondere gesetzliche Formvorschrift des § 623 BGB dient zum einen dem Schutz vor Übereilung (Warnfunktion) und zum anderen der Rechtssicherheit (Klarstellungs- und Beweisfunktion). Durch das Anordnen der schriftlichen Ausfertigung wird der Kündigende gezwungen, die getroffene Kündigungsentscheidung vor dem Ausspruch zunächst schriftlich niederzulegen. Dies gibt ihm die Möglichkeit, spontane Entschlüsse noch einmal zu überdenken und schützt ihn so vor übereilten und unüberlegten Entscheidungen (z.B. bei mündlichen Streitgesprächen, etc.). Die schriftliche Kündigungsurkunde dient außerdem der Rechtsicherheit und Prozesserleichterung, weil auf diese Weise umfangreiche Streitigkeiten und schwierige Beweiserhebungen über mündliche Äußerungen und konkludente Handlungen vermieden werden.3
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Die Formvorschrift ist kraft Gesetzes zwingend. Sie kann damit weder durch einzelvertragliche Regelungen im Arbeitsvertrag noch durch kollektivrechtliche Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge abbedungen werden. Auch ein (nachträglicher) Verzicht der Parteien auf die Einhaltung der Formvorschrift ist nicht möglich.4
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1 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 10; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 3, 11. 2 Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 30; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 14. 3 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521; v. 16.9.2004 – 2 AZR 628/03, BAGE 112, 58; v. 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NJW 2005, 844; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 1; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 2; Schaub/Linck, § 123 Rz. 56. 4 Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 30; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 10; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 11.
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Teil 1 Rz. 154
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
154
Der Schriftformzwang gilt für alle Arten von Arbeitsverhältnissen, einschließlich der Arbeitsverträge für Aushilfskräfte und geringfügig Beschäftigte. Er findet zusätzlich auf Berufsausbildungsverhältnisse sowie auf die Verträge von Praktikanten und Volontären i.S.d. § 26 BBiG Anwendung.1 Für die Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers gilt das Schriftformerfordernis nach § 623 BGB, wenn seine Anstellung als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist.2 Da § 113 InsO keine abweichende Sonderregelung enthält, ist die Formvorschrift des § 623 BGB zudem auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu beachten.3
155
Keine Anwendung findet § 623 BGB dagegen auf sonstige Dienstverträge und arbeitnehmerähnliche Personen.4 Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt die Norm außerdem nicht für Umschulungsverträge.5
156
Die Schriftform des § 623 BGB ist unabhängig von der Art der Kündigung vorgeschrieben. Das Schriftformerfordernis gilt damit für jede Art der Kündigung sowohl für die ordentliche wie für die außerordentliche Kündigung als auch für die Änderungskündigung.6
157
Das Schriftformerfordernis erstreckt sich bei einer Änderungskündigung neben der reinen Kündigungserklärung auch auf das Änderungsangebot. Das Änderungsangebot ist wesentlicher Bestandteil der Änderungskündigung, denn Kündigung und Angebot bilden eine untrennbare Einheit, weshalb es sich hier um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt. Eine Trennung von Kündigung und Angebot ist daher nicht möglich mit der Folge, dass der Arbeitgeber sowohl die Kündigung als auch das Angebot schriftlich abgeben muss. Das Kündigungsschreiben muss in diesem Fall aber nicht unbedingt alle neuen Vertragsbedingungen des Änderungsangebots schriftlich angeben. Es ist vielmehr ausreichend, wenn der Inhalt des Änderungsangebots im Kündigungsschreiben hinreichenden Anklang gefunden hat und sich im Übrigen die Vertragsbedingungen durch zutreffende Auslegung nach §§ 133, 157 BGB aus den sonstigen Umständen (z.B. aus der früheren Arbeitstätigkeit, Lohngruppen, Tarifverträgen, Art der Arbeit, etc.) ermitteln lassen.7
158
§ 623 BGB gilt dagegen nicht für Teilkündigungen, da in diesem Falle die Kündigung nur auf die Ablösung einzelner Vertragsbedingungen, nicht jedoch auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist. Hier findet § 623 BGB bereits nach seinem Wortlaut keine Anwendung.8 Keine Anwendung erfolgt außerdem im Falle der Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses oder bei der Anfechtung eines Arbeitsvertrags, sodass solche Erklärungen auch formfrei erfolgen können.9 1 2 3 4 5 6
ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 2; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 5. BGH v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02, NZA 2003, 439; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 2. BAG v. 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NJW 2005, 1533. ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 2; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 30. BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 638/04, BAGE 117, 20. APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 5; Schaub/Linck, § 123 Rz. 58; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 3. 7 BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 628/03, BAGE 112, 58. 8 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 3; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 5. 9 Schaub/Linck, § 123 Rz. 60; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 5; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 3; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 29.
28
Mues
Formerfordernisse
Rz. 164 Teil 1
Da im Gesetz keine Einschränkung zur Person des Kündigenden enthalten ist, gilt § 623 BGB sowohl für die Kündigung des Arbeitgebers als auch für Eigenkündigung des Arbeitnehmers.1
159
Sofern ein Vertreter die Kündigung ausspricht, muss die Kündigungserklärung des Vertreters der Schriftform des § 623 BGB entsprechen. Bei Schriftsatzkündigungen im Rahmen eines Rechtsstreits muss deshalb dem Kündigungsempfänger eine unterzeichnete Ausfertigung oder Abschrift des Schriftsatzes mit Originalunterschrift zugehen, wobei es ausreichend ist, wenn der Beglaubigungsvermerk vom Prozessvertreter eigenhändig unterschrieben ist.2
160
Nach § 167 Abs. 2 BGB braucht dagegen die Bevollmächtigung nicht unbedingt schriftlich zu erfolgen, sondern die Erteilung der Vollmacht kann auch formlos geschehen. Hiervon unberührt bleibt die Regelung des § 174 BGB, sodass der Kündigungsempfänger bei fehlender Vorlage einer schriftlichen Vollmacht die Kündigung ggf. nach § 174 BGB unverzüglich zurückweisen kann.3
161
b) Anforderungen an die Schriftform nach §§ 623, 126 BGB Schriftform i.S.d. § 623 BGB bedeutet die Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB. Das Kündigungsschreiben muss deshalb vom Kündigenden eigenhändig mit Namensunterschrift oder notariell beglaubigtem Handzeichen unterzeichnet werden.4
162
Die Kündigungserklärung muss somit zu ihrer Wirksamkeit zunächst in einer schriftlichen Urkunde enthalten sein. Die Art der Herstellung des Kündigungsschreibens ist hierbei gleichgültig. Sie kann sowohl handschriftlich als auch maschinengeschrieben oder auf sonstige Weise (fotokopiert, vorgedruckt, etc.) geschehen. Die Ausarbeitung des Textes und die Fertigung des Schreibens müssen dabei nicht vom Kündigenden persönlich erfolgen, sondern können – bis auf die Unterschrift – auch von sonstigen Personen (Sekretärin, Rechtsanwalt, etc.) vorgenommen werden.5
163
Die Unterschrift muss jedoch in jedem Fall vom Aussteller eigenhändig geleistet werden. Dieses Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift kann nicht durch mechanische oder elektronische Vervielfältigung ersetzt werden. Die Verwendung von eingescannten Unterschriften, Stempeln oder sonstigen technischen Hilfsmitteln ist deshalb nicht zulässig.6 Die eigenhändige Unterschrift dient dem Schutz des Kündigungsempfängers, denn es macht den Aussteller der Urkunde erkennbar. Der Erklärungsempfänger erhält auf diese Weise die Möglich-
164
1 Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 29; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 3; Schaub/Linck, § 123 Rz. 58. 2 Schaub/Linck, § 123 Rz. 59; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 17. 3 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 10. 4 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521; v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, AP Nr. 83 zu § 1 KSchG 1969; v. 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NJW 2005, 2572; v. 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NJW 2005, 1533; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 12; Schaub/Linck, § 123 Rz. 57; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 41. 5 APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 13; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 12. 6 LAG Köln v. 19.6.2001 – 13 Sa 1571/00, NZA-RR 2002, 163; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 16.
Mues
29
Teil 1 Rz. 165
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
keit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und kann damit die Echtheit des Schreibens prüfen.1 165
Die Unterschrift braucht nicht unbedingt lesbar zu sein. Vielmehr genügt ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender Schriftzug, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, welche die Nachahmung erschweren. Der Schriftzug muss sich als Wiedergabe eines Namens darstellen und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lassen, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist.2
166
Die Unterzeichnung mit einem Handzeichen (Paraphe) wahrt dagegen die Schriftform nur im Falle der notariellen Beglaubigung. Für die Abgrenzung zwischen Unterschrift und Handzeichen ist das äußere Erscheinungsbild maßgeblich; der Wille des Unterzeichnenden ist nur von Bedeutung, soweit er in dem Schriftzug seinen Ausdruck gefunden.3
167
Die Unterschrift muss durch eine Namensunterschrift geleistet werden. Ausreichend ist hierbei der Familienname des Ausstellers ohne Hinzufügung des Vornamens. Die Unterzeichnung mittels eines tatsächlich geführten Namens (Pseudonym) oder bei Kaufleuten mit Ihrer Firma nach § 17 HGB sind ebenfalls zulässig. Unzulässig ist jedoch die Unterzeinung mit einer Funktionsbezeichnung oder einem Titel (Direktor, Personaleiter, etc.).4
168
Voraussetzung für eine formgültige Unterschrift im Sinne des § 126 BGB ist, dass sie die Urkunde räumlich abschließt, also unterhalb des Textes steht. Eine sonstige Platzierung der Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben oder dem Briefumschlag ist hierfür nicht ausreichend. Auf die zeitliche Ausfertigung der Unterschrift kommt es dagegen nicht an, sodass auch eine Blankounterschrift und die spätere Ausfüllung des Kündigungstextes zulässig sind.5
169
Wenn der Arbeitgeber aus mehreren Personen besteht, müssen sämtliche Personen persönlich oder durch einen Vertreter die Namensunterschrift leisten. Bei einer GbR müssen daher das Kündigungsschreiben alle Gesellschafter unterzeichnen. Es reicht z.B. zur Wahrung der Schriftform nicht aus, wenn lediglich ein Teil der GbR-Gesellschafter ohne weiteren Vertretungszusatz das Kündigungsschreiben handschriftlich unterschreibt.6
170
Die Unterzeichnung der Kündigung durch einen Vertreter ist zulässig. In diesem Fall muss das Vertretungsverhältnis jedoch im Kündigungsschreiben hin1 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521; v. 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NJW 2005, 2572; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 31; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 12. 2 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NJW 2005, 2572; v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 31; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 12; Schaub/Linck, § 123 Rz. 57; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 41. 3 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521. 4 APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 15; Schaub/Linck, § 123 Rz. 57. 5 BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, BGHZ 136, 357; APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 14. 6 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NJW 2005, 2572; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 31; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 38.
30
Mues
Formerfordernisse
Rz. 176 Teil 1
reichend deutlich zum Ausdruck kommen. Dies kann z.B. durch einen das Vertretungsverhältnis anzeigenden Zusatz bei der Unterschrift, wie die Unterzeichnung „i.V.“ oder „i.A.“, geschehen.1 Gem. § 126 Abs. 4 BGB wird die Schriftform durch eine notarielle Beurkundung ersetzt. Nach § 127a BGB wird die Schriftform außerdem durch die Aufnahme der Erklärungen in einen gerichtlichen Vergleich gewahrt. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Gerichtsvergleich ist daher nach § 127a BGB zulässig. Dies gilt auch für den im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossenen Vergleich.2
171
c) Zusätzliche Formerfordernisse Neben der Schriftform können nach Spezialgesetzen strengere Formvorschriften bestehen. So ist z.B. nach § 22 Abs. 3 BBiG und § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG zusätzlich zur Schriftform die Angabe der Kündigungsgründe als Wirksamkeitsvoraussetzung kraft Gesetzes zwingend angeordnet.3
172
Darüber hinaus können nach den Vereinbarungen des Arbeitsvertrags oder den Regelungen der Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge weitergehende Formvorschriften zu beachten sein. So wird nach diesen Regelungen oftmals zusätzlich eine Begründung der Kündigung oder die Kündigung per Einschreiben gefordert.4 In diesen Fällen ist durch Auslegung zu ermitteln, ob diese zusätzliche Formklausel eine konstitutive Wirkung besitzen oder nur der Beweiserleichterung dienen soll.5
173
Zu beachten ist aber immer, dass es sich bei den vertraglich vereinbarten Formvorschriften lediglich um weitergehende zusätzliche Formerfordernisse handelt. Auch in diesen Fällen bleibt daher immer das gesetzliche Schriftformerfordernis bestehen. Ein Absehen von der Schriftform des § 623 BGB oder eine Verringerung der Anforderungen des § 126 Abs. 1 BGB sind deshalb nicht zulässig.
174
2. Andere Formen der Verkörperung der Kündigungserklärung Eine mündliche Kündigung ist entsprechend der eindeutigen Regelung des § 623 BGB unzulässig.
175
Auch eine Kündigung per SMS ist nicht möglich, denn hier mangelt es an der nach § 126 Abs. 1 BGB erforderlichen schriftlichen Verkörperung und der Unterschrift des Ausstellers.6 Gleiches gilt für die Kündigung per Intranetmitteilung oder Computerfax.7
176
1 BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, AP Nr. 83 zu § 1 KSchG 1969; v. 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NJW 2005, 2572; Schaub/Linck, § 123 Rz. 57; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 31. 2 BAG v. 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, BAGE 120, 251. 3 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt Teil 1 A I 2 „Ausspruch der Kündigung – inhaltliche Anforderungen“. 4 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 10; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 39 ff. 5 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 39a. 6 LAG Hamm v. 17.8.2007 – 10 Sa 512/07, K&R 2007, 669; Schaub/Linck, § 123 Rz. 57. 7 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 41.
Mues
31
Teil 1 Rz. 177
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
177
Eine Kündigung per Telegramm1 oder per Telefax2 sind gem. § 126 Abs. 1 BGB ebenfalls nicht möglich. Hier wird die Kündigung zwar schriftlich ausgefertigt und vom Aussteller unterzeichnet. Das unterzeichnete Original der Kündigungserklärung verbleibt in diesen Fällen jedoch beim Kündigenden, sodass damit das Kündigungsschreiben dem Empfänger nicht formwirksam zugeht.3
178
Eine E-Mail genügt nicht zur wirksamen Kündigung, denn gem. § 623 Halbs. 2 BGB ist für die Kündigung die elektronische Form kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen. Damit kann nach § 126 Abs. 3 BGB eine E-Mail selbst mit einer qualifizierten Signatur nicht die lt. §§ 623, 126 Abs. 1 BGB vorgeschriebene Schriftform ersetzen.4
179
Sofern sich aus anderen schriftlichen Erklärungen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 126 Abs. 1 BGB formwirksam ergibt, kann u.U. hierdurch die erforderliche Schriftform nach § 623 BGB gewahrt werden. So kann z.B. die schriftliche Übersendung der Arbeitspapiere als wirksame Kündigung zu werten sein. 3. Treuwidrigkeit bei Formfehlern
180
Die Einhaltung der nach § 623 BGB gesetzlich vorgeschriebenen Form ist grundsätzlich zwingend zu beachten, sodass ein Formverstoß regelmäßig zur vollständigen Nichtigkeit der Kündigung führt.
181
Dies ergibt sich daraus, dass § 623 BGB bewusst die Unwirksamkeit mündlicher Kündigungen in Kauf nimmt und die Formvorschriften des bürgerlichen Rechts nicht ausgehöhlt werden dürfen. Ein Verstoß gegen die Formvorschrift des § 623 BGB kann deshalb allenfalls in Ausnahmefällen als unbeachtlich angesehen werden. Die Rechtsprechung wendet daher die Anerkennung einer Treuwidrigkeit nach § 242 BGB bei Formmängeln sehr restriktiv an, weshalb es im Zweifel bei der Unwirksamkeit verbleibt.5
182
Allein die Tatsache, dass die Kündigung in vollem Ernst ausgesprochen wurde, führt deshalb nicht zur Treuwidrigkeit der Berufung auf die fehlende Schriftform.6 Auch der Umstand, dass der Kündigungsempfänger die formnichtig erklärte Kündigung zunächst widerspruchslos entgegennimmt und sich erst später auf die Formnichtigkeit beruft, begründet noch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben.7
183
Ein Verstoß gegen § 242 BGB kann sich jedoch unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (Grundsatz des „venire contra factum proprium“) ergeben. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Erklärungsgegner 1 BGH v. 27.5.1957 – VII ZR 223/56, BGHZ 24, 297. 2 BGH v. 30.7.1997 – VIII ZR 244/96, NJW 1997, 3169. 3 APS/Preis, BGB, § 623 Rz. 16; Schaub/Linck, § 123 Rz. 57; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 30. 4 Schaub/Linck, § 123 Rz. 57. 5 BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NJW 2005, 844. 6 LAG Hamm v. 17.8.2007 – 10 Sa 512/07, K&R 2007, 669. 7 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 623 Rz. 16.
32
Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 189 Teil 1
einen besonderen Grund hatte, auf die Gültigkeit der Erklärung trotz des Formmangels zu vertrauen und der Erklärende sich mit der Berufung auf den Formmangel zu seinem eigenen vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setzt.1 So hat z.B. das Bundesarbeitsgericht in einem Fall die Berufung auf die Schriftform als treuwidrig angesehen, in dem der Arbeitnehmer seine Beendigungsabsicht – und zwar entgegen den Vorhaltungen der anderen Seite – mit ganz besonderer Verbindlichkeit und Endgültigkeit mehrfach mündlich erklärt und damit einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.2
184
III. Zugang der Kündigung Das Kündigungsschreiben bedarf als empfangsbedürftige Willenserklärung des Zugangs an den Kündigungsempfänger. Erst mit diesem Zugang wird Kündigung gem. § 130 Abs. 1 BGB wirksam.3
185
Zugegangen ist eine Kündigung nach § 130 Abs. 1 BGB, sobald sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis erlangen.4
186
Im Arbeitsvertrag sind darüber hinaus einzelvertragliche Vereinbarungen über den Eintritt des Zugangs unter anderen Voraussetzungen oder Zugangsfiktionen (z.B. Zugang bei Veröffentlichung im Rahmen eines Betriebsaushangs, automatischer Zugang nach einer bestimmten Zeit nach der Absendung, etc.) möglich. Dies kann aber immer nur durch eine Individualvereinbarung und nicht im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschehen. Eine Zugangsfiktion im Rahmen von AGB würde gegen das ausdrückliche Klauselverbot des § 308 Nr. 6 BGB verstoßen. Individuelle Zugangsfiktionen sind jedoch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen sehr ungewöhnlich und spielen damit in der Praxis regelmäßig keine Rolle.5
187
Der Zugang ist der für die die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung maßgebende Zeitpunkt. In diesem Moment müssen die erforderlichen Kündigungsvoraussetzungen (Kündigungsgründe, Formvorschriften, Fristen, abgeschlossene Betriebsratsanhörung, etc.) vollständig vorliegen bzw. eingehalten sein.
188
Zusätzlich knüpfen die Rechtsfolgen der Kündigung an diesen Zeitpunkt an. So wird z.B. das Arbeitsverhältnis bei einer außerordentlichen Kündigung im Moment des Zugangs beendet. Bei einer ordentlichen Kündigung beginnt der Lauf der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist, der zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, ab dem Zugang der Kündigung.6
189
1 BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NJW 2005, 844; v. 4.12.1997 – 2 AZR 799/96, BAGE 87, 200. 2 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 799/96, BAGE 87, 200. 3 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 53. 4 BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, BGHZ 137, 205; v. 3.11.1976 – 11–03 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67, 271. 5 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 53. 6 APS/Preis, BGB, § 622 Rz. 37.
Mues
33
Teil 1 Rz. 190 190
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Auch die der Kündigung nachfolgenden Fristen richten sich nach dem Zeitpunkt des Zugangs. So beginnt z.B. die Klagefrist nach § 4 KSchG für die Erhebung der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 KSchG im Zeitpunkt des Zugangs der schriftlichen Kündigung. 1. Übergabe des Kündigungsschreibens
191
Der Zugang einer Kündigung unter Anwesenden ist im Gesetz nicht geregelt. § 130 Abs. 1 BGB enthält lediglich eine Zugangsregelung unter Abwesenden. Nach allgemeiner Auffassung geht eine verkörperte Willenserklärung wie das Kündigungsschreiben jedoch auch unter Anwesenden dann zu und wird damit entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam, wenn sie in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt und die Kenntnisnahme bei üblichem Verlauf nach der Verkehrsauffassung möglich ist.1
192
Ein Zugang des Kündigungsschreibens unter Anwesenden kann daher entweder durch die direkte Übergabe vom Kündigenden an den Kündigungsempfänger geschehen oder dadurch, dass dem Kündigungsempfänger hinsichtlich der Kündigung (z.B. bei einem auf dem Tisch liegenden Schreiben) die Ansichnahme gestattet wird.2
193
Für den wirksamen Zugang ist es nicht erforderlich, dass das Kündigungsschreiben dauerhaft beim Kündigenden verbleibt. Es ist daher unschädlich, wenn der Kündigungsempfänger den Empfang auf dem beim Kündigenden verbleibenden Originalschreiben quittiert und der Kündigungsempfänger lediglich eine Kopie erhält. Selbst wenn das Kündigungsschreiben dem Kündigungsempfänger lediglich zum Durchlesen überlassen wird und es der Kündigende anschließend herausverlangt, soll nach der Rechtsprechung ein wirksamer Zugang der Kündigung vorliegen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn dem Empfänger die für ein Verständnis des Schreibens nötige Zeit nicht gewährt wird oder er den Inhalt „blind“ unterschreiben soll.3
194
Für den Zugang der Kündigungserklärung unter Anwesenden ist es nicht erforderlich, dass der Kündigungsempfänger das Kündigungsschreiben tatsächlich liest. Auseichend ist vielmehr, dass die Kündigung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und er die Möglichkeit hatte, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Hierbei ist sogar der Zugang des Kündigungsschreibens im Rahmen eines verschlossenen Briefumschlags ausreichend.4
195
Da es allein auf die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt, kann der Kündigungsempfänger den Zugang nicht dadurch verzögern oder verhindern, dass er die Entgegennahme des Schreibens verweigert, den Brief nicht öffnet oder nicht liest. Selbst die Rückgabe des ungeöffneten Briefumschlages 1 BAG v. 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NJW 2005, 1533; BGH v. 21.2.1996 – IV ZR 297/94, NJW-RR 1996, 641. 2 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 52, Schaub/Linck, § 123 Rz. 34; BAG v. 4.11. 2004 – 2 AZR 17/04, NJW 2005, 1533; BGH v. 21.2.1996 – IV ZR 297/94, NJW-RR 1996, 641. 3 BAG v. 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NJW 2005, 1533. 4 BAG v. 7.1.2004 – 2 AZR 388/03, RzK I 2c Nr. 36; Schaub/Linck, § 123 Rz. 34.
34
Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 200 Teil 1
verhindert den Zugang nicht. Bereits mit der Übergabe oder Gestattung der Ansichtnahme entstand für den Empfänger die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme des Inhalts, sodass in diesem Moment der Zugang wirksam erfolgt ist. Diesen vollendeten Zugang kann die Rückgabe des Briefes nicht mehr nachträglich beseitigen.1 2. Zustellung des Kündigungsschreibens Unter Abwesenden geht eine Kündigung gem. § 130 Abs. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Kündigungsschreibens Kenntnis zu nehmen.2
196
Nach dieser Definition trägt der Kündigende im Rahmen der angemessenen Verteilung des Übermittlungsrisikos die Gefahr des Verlustes und der Verspätung des Kündigungsschreibens bis zum Machtbereich des Empfängers. Bei Fehlleitungen der Kündigung infolge falscher oder ungenügender Anschrift oder der Rücksendung infolge ungenügender Frankierung ist deshalb die Kündigung nicht zugegangen. Sobald die Kündigung jedoch in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, trägt der Empfänger das Risiko für ein Abhandenkommen oder eine verspätete Kenntnisname des Kündigungsschreibens.3
197
Für die Übersendung der Kündigung bestehen dabei für den Kündigenden die nachfolgenden Möglichkeiten, die für ihn jeweils mit verschiedenen Vor- und Nachteilen verbunden sind.
198
a) Zustellung per Gerichtsvollzieher Die sicherste Art der Zugangsbewirkung eines Kündigungsschreibens ist die förmliche Zustellung durch den Gerichtsvollzieher. In diesem Fall gilt die Kündigungserklärung gem. § 132 Abs. 1 BGB als zugegangen, sobald die Kündigung durch den Gerichtsvollzieher zugestellt wurde. Der Zugang lässt sich damit für den Kündigenden sicher durch die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers nachweisen, die in einem Prozess nach § 415 ZPO im Urkundenbeweis eingeführt werden kann und dort als öffentliche Urkunde den vollen Beweis erbringt.
199
Die Zustellung des Gerichtsvollziehers erfolgt in diesem Fall nach den gesetzlichen Vorschriften der Zivilprozessordnung gem. §§ 191 ff. ZPO, durch persönliche Zustellung des Gerichtsvollziehers oder durch Aufgabe zur Post. Die Kündigung gilt dabei bereits mit der Benachrichtigung des Empfängers und der Niederlegung bei der Poststelle als zugegangen.
200
1 BAG v. 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NJW 2005, 1533; v. 7.1.2004 – 2 AZR 388/03, RzK I 2c Nr. 36. 2 BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NJW 1989, 2213; v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB. 3 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 93; APS/Preis, DIV Rz. 41.
Mues
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Teil 1 Rz. 201
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
201
Diese Art der Zustellung ist jedoch für den Kündigenden mit den nicht unerheblichen Gerichtsvollzieherkosten verbunden. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Übermittlung der Kündigung an den Gerichtsvollzieher einige Zeit in Anspruch nimmt und die Durchführung der Zustellung durch Gerichtsvollzieher eine weitere zeitliche Verzögerung bedingt. Daher ist bei dieser Art der Zustellung die Einhaltung der geltenden Fristen (§§ 622, 626 Abs. 2 BGB, etc.) nur bei ausreichendem Vorlauf gewährleistet, da die Zugangswirkung erst zum Zeitpunkt der Zustellung beim Empfänger und nicht bereits mit der Erteilung des Zustellungsauftrags beim Gerichtsvollzieher eintritt.
202
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass Behörden und öffentliche Verwaltungen nach den Verwaltungszustellungsgesetzen zwar im Rahmen von öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverfahren selbst eigene Zustellungen vornehmen können. Dies gilt jedoch nicht für das privatrechtliche Handeln der Verwaltung. Daher ist die Zustellungserleichterung der Verwaltungszustellungsgesetze im Rahmen des Arbeitsrechts nicht anwendbar. Vielmehr können auch Behörden arbeitsrechtliche Kündigungen immer nach den allgemeinen Zustellungsregelungen übersenden.1 b) Einfacher Brief
203
Bei der Kündigung durch einfachen Brief gelangt die Kündigung mit dem Einwurf in den Hausbriefkasten des Empfängers in seinen Machtbereich.2 Sofern kein Hausbriefkasten vorhanden ist, kann das Schreiben auch wirksam unter der Wohnungstür des Empfängers durchgeschoben oder an der Wohnungs-/ Haustür, im Flur oder an sonstiger gut sichtbarer Stelle in der Nähe des Eingangs deponiert werden.3 Ein Zugang tritt in diesen Fällen ein, wenn unter gewöhnlichen Verhältnissen mit der Kenntnisnahme der Schreiben durch den Empfänger gerechnet werden kann.4
204
Bei Postfächern ist die Kündigung zugegangen, sobald die Post das Kündigungsschreiben zur Abholung bereithält und üblicherweise mit seiner Abholung durch den Empfänger gerechnet werden kann.5
205
Der Zugangszeitpunkt bestimmt sich danach, wann nach der Verkehrsanschauung der Empfänger seinen Hausbriefkasten leert bzw. den sonstigen Posteingang prüft. Dies wird bei Unternehmen und Geschäftsadressen nur innerhalb der üblichen Geschäftszeiten der Fall sein. Bei Privatpersonen ist davon auszugehen, dass sie ihre Wohnungsbriefkästen in der Regel kurze Zeit nach den allgemeinen Postzustellzeiten zu überprüfen pflegen und damit zu diesem Zeitpunkt der Zugang eintritt. Erreicht eine Willenserklärung die Empfangseinrichtungen 1 BAG v. 30.6.1983 – 2 AZR 10/82, BAGE 43, 148; BGH v. 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67, 271. 2 BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NJW 1989, 2213; v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB. 3 APS/Preis, DIV Rz. 42; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 93. 4 BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NJW 1989, 2213; v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB. 5 Schaub/Linck, § 123 Rz. 38.
36
Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 208 Teil 1
des Adressaten (Hausbriefkasten, Postschließfach, etc.) dagegen erst zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme oder Abholung durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen, sondern der Zugang der Kündigung erfolgt erst am nächsten Tag. Dies ist z.B. der Fall, wenn das Kündigungsschreiben bei Unternehmen außerhalb der Geschäftszeiten und bei Privatpersonen erst am Abend oder zu Nachtzeiten eingeworfen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht bereits ein um 16:30 Uhr bei einer Privatperson eingeworfenes Schreiben erst am nächsten Tag zu, da hier nicht mehr realistisch mit einer Kenntnisnahme am gleichen Tag gerechnet werden kann.1 Für den Zugang reicht die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen eine Kenntnisnahme möglich ist, ist es für die Zugangswirkung unerheblich, ob und wann der Empfänger den Brief tatsächlich liest oder ob er daran durch besondere Umstände zunächst gehindert war.2 Daher geht ein Kündigungsschreiben dem Empfänger selbst dann zu, wenn er sich zum Zeitpunkt des Zuganges in Wirklichkeit nicht zu Hause aufhält. Dies folgt daraus, dass nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen allein die Abwesenheit des Empfängers keine zugangshemmende Wirkung begründet. Dies gilt sogar dann, wenn dem Kündigenden die Abwesenheit des Adressaten bekannt ist und der Kündigungsempfänger unverschuldet an der tatsächlichen Kenntniserlangung gehindert ist. Daher kann ein wirksamer Zugang z.B. auch während der Abwesenheit des Empfängers während des Urlaubs, einer Kur, einer Erkrankung oder sogar während der Untersuchungs- und Abschiebehaft des Empfängers erfolgen.3
206
Sofern der Empfänger aufgrund seiner Abwesenheit jedoch schuldlos an der Kenntnisnahme des Kündigungsinhalts und deshalb an der Einhaltung der Klagefrist nach § 4 KSchG gehindert war, sind aber nach den Grundsätzen der Rechtsprechung dem Gekündigten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und seine Klage gem. § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.4
207
Wenn ein Arbeitnehmer umzieht, ohne dem Arbeitgeber seinen Wohnungswechsel anzuzeigen und auch keinen Nachsendeauftrag stellt, können verlängerte Postlaufzeiten zu seinen Lasten gehen, da ihm hier die Zugangsverzögerung zuzurechen ist.5 Eine ausdrückliche Mitteilung der Adressänderung oder eine besondere Form sind jedoch nicht vorgeschrieben. Daher kann die Mitteilung auch formfrei oder konkludent erfolgen. So hat es z.B. das Bundesarbeitsgericht als ausreichend erachtet, dass die neue Anschrift lediglich auf der dem Arbeitgeber übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingetragen war.6
208
1 BAG v. 8.12.1983 – 2 AZR 337/82, NJW 1984, 1651. 2 BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NJW 1989, 2213; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 44; APS/Preis, DIV Rz. 43; Schaub/Linck, § 123 Rz. 35. 3 BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NJW 1989, 2213; v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, BAGE 58, 9; APS/Preis, DIV Rz. 44 f. 4 BAG v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, BAGE 58, 9; APS/Preis, DIV Rz. 45. 5 BGH v. 13.6.1952 – I ZR 158/51, LM Nr. 1 zu § 130 BGB; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 44. 6 BAG v. 18.2.1977 – 2 AZR 770/75, AP Nr. 10 zu § 130 BGB.
Mues
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Teil 1 Rz. 209
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
209
Wer trotz Umzugs unter seiner früheren Anschrift weiterhin einen Hausbriefkasten beibehält und von diesem Briefkasten seinen Namen nicht entfernt, muss sich so behandeln lassen, als wäre der Zugang unter der alten Adresse tatsächlich erfolgt. Er hat in diesem Fall durch sein Verhalten die Zustellung unter der Altadresse veranlasst.1
210
Ist dagegen im Arbeitsvertrag der Hauptwohnsitz des Arbeitnehmers aufgeführt und unterhält der Arbeitnehmer zusätzlich einen Zweitwohnsitz am Arbeitsort, so kann ein Arbeitgeber ohne besondere Umstände regelmäßig nicht annehmen, dass der Arbeitnehmer auch in der Zweitwohnung die Kündigung erhält. Deshalb muss hier die Kündigung an die Adresse der Hauptwohnung erfolgen.2
211
Problematisch für den Kündigenden ist im Falle der Zusendung per einfachen Brief jedoch der Nachweis des Zuganges. Es gibt hier keine Vermutung dafür, dass ein mit normaler Post versandter Brief den Empfänger bei fehlendem Postrücklauf erreicht haben muss. Allein der Nachweis der Absendung und der ordnungsgemäßen Adressierung und Frankierung können daher noch nicht den Zugang belegen.3 c) Einschreiben Rückschein
212
Ein Einschreiben Rückschein (auch Übergabe-Einschreiben genannt) geht mit der Aushändigung des Schreibens durch den Postboten an den Adressaten zu. In diesem Fall wird die Übergabe einschließlich des Übergabezeitpunkts durch die Unterschrift des Empfängers auf dem Rückschein dokumentiert und kann als Zugangsnachweis verwendet werden.
213
Anders zu beurteilen ist jedoch der Fall, wenn der Postbote beim Zustellungsversuch niemanden antrifft. Ein Einschreiben Rückschein ist hier nicht schon dann zugegangen, wenn der Postbote beim Zustellversuch einen Benachrichtigungszettel für den Empfänger hinterlässt. Da § 132 Abs. 1 BGB angesichts seines klaren Wortlauts nur für förmliche Zustellungen durch den Gerichtsvollzieher gilt, wird der Zugang bei einem Einschreiben nicht durch die Benachrichtigungsmitteilung und die Niederlegung bei der Post ersetzt. Vielmehr geht dem Empfänger hier allein der von der Postzustellerin gefertigte Benachrichtigungsschein zu. Dieser Zettel unterrichtet den Empfänger, dass für ihn eine Einschreibesendung bei der Post zur Abholung bereit liegt. Er enthält keinen Hinweis auf den Absender des Einschreibebriefs und lässt den Empfänger im Ungewissen darüber, welche Angelegenheit die Einschreibesendung zum Gegenstand hat. Durch den Benachrichtigungszettel wird der Empfänger somit lediglich in die Lage versetzt, das Einschreiben in seinen Machtbereich zu bringen, der Empfänger erhält in diesem Moment aber noch nicht das Kündigungsschreiben selbst. Der Benachrichtigungszettel kann deshalb nicht den Zugang des Einschreibebriefs ersetzen. Vielmehr geht die Kündigung per Einschreiben Rückschein im Fall der Niederlegung erst dann und zu dem Zeitpunkt zu, in 1 ArbG Gelsenkirchen v. 10.8.1994 – 4 Ca 778/94, EzA § 130 BGB Nr. 25. 2 LAG Düsseldorf v. 7.12.1995 – 5 Sa 1035/95, LAGE § 130 BGB Nr. 20. 3 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 93.
38
Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 218 Teil 1
dem das Originalschreiben vom Empfänger tatsächlich bei der Post abgeholt wird.1 Es besteht keine Verpflichtung des Empfängers das Einschreiben unverzüglich beim Postamt abzuholen. Der Empfänger ist vielmehr grundsätzlich berechtigt, die Aufbewahrungsfrist bei der Post auszuschöpfen. Damit wird selbst im Fall der verzögerten Abholung kein früherer Zugang fingiert, sondern es verbleibt beim späten Zugangszeitpunkt der tatsächlichen Aushändigung des Einschreibens an den Empfänger.2
214
Ein Adressat, der rechtsmissbräuchlich das Abholen eines Einschreibebriefs gänzlich unterlässt oder rechtsmissbräuchlich seine Aushändigung verhindert, muss sich ggf. nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als wäre ihm die Sendung zugegangen. Dies gilt insbesondere, wenn der Empfänger mit rechtsgeschäftlichen Mitteilungen des Absenders rechnen musste.3
215
Ob im Fall des Erhalts eines Benachrichtigungsscheins für den Adressaten eines Einschreibens ohne besondere Umstände eine Verpflichtung des Empfängers zur Abholung des Einschreibens innerhalb der Aufbewahrungsfrist bei der Post besteht, ist umstritten. Während die eine Ansicht davon ausgeht, dass eine Nichtabholung rechtsmissbräuchlich sei und deshalb in diesem Fall den Zugang fingiert4, verneint die andere Ansicht eine Obliegenheit des Empfängers, Einschreibebriefe abzuholen, und geht deshalb von einem fehlenden Zugang aus.5 Es erscheint richtig, die Verpflichtung zur Abholung eines Einschreibens von dem Vorliegen besonderer Umstände und der Kenntnis des Empfängers von der beabsichtigten Zustellung abhängig zu machen.
216
d) Einschreiben Einwurf Bei einem Einschreiben Einwurf wird das Einschreiben durch den Postboten im Rahmen der üblichen Postzustellung in den Hausbriefkasten des Empfängers eingelegt. Der Postzusteller erfasst hierbei zusätzlich den Einwurf des Einschreibens und den Zeitpunkt des Einwurfs.
217
Die Kündigung per Einschreiben Einwurf gelangt bereits mit dem Einwurf in den Hausbriefkasten in den Machtbereich des Empfängers und geht danach wie ein einfacher Brief zu, sobald nach der Postzustellung gemäß den gewöhnlichen Verhältnissen mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist. Anders als beim Einschreiben Rückschein ist hier somit bei einer Abwesenheit des Empfängers nicht mehr die (ungewisse) Abholung des Schreibens bei der Post erforderlich, sondern der Zugang tritt bereits nach dem Einwurf in den Hausbriefkasten ein. Gegenüber einem einfachen Brief besitzt die Übersendung per Einschreiben Einwurf, den Vorteil, dass der Einwurf zusätzlich durch
218
1 BAG v. 15.11.1962 – 2 AZR 301/62, BAGE 13, 313; v. 25.4.1996 – 2 AZR 13/95, BAGE 83, 73; BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, BGHZ 137, 205. 2 BAG v. 25.4.1996 – 2 AZR 13/95, BAGE 83, 73. 3 LAG Frankfurt v. 6.11.2000 – 10 Sa 1709/99, NZA-RR 2001, 637; BAG v. 15.11.1962 – 2 AZR 301/62, BAGE 13, 313; BGH v. 3.11.1976 – 11–03 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67, 271. 4 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 46 m.w.N. 5 APS/Preis, DI Rz. 54 m.w.N.
Mues
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Teil 1 Rz. 219
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
den Postzusteller dokumentiert wurde, sodass er ggf. mittels des Auslieferungsbeleges und der Zeugenaussage des Postzustellers nachgewiesen werden kann.1 e) Zustellung per Bote 219
Eine sowohl kostengünstige als auch sichere Zustellungsmöglichkeit ist die Übermittlung des Kündigungsschreibens per Bote (Überbringung durch Angestellte des Kündigenden, Kurierdienst etc.).
220
Hier geht die Kündigung entweder bereits im Rahmen der Übergabe durch den Boten unmittelbar mit der persönlichen Aushändigung an den Empfänger oder seine Empfangsvertreter/Empfangsboten zu. Bei Abwesenheit des Empfängers erfolgt nach dem Einwurf in den Hausbriefkasten der Zugang zumindest kurzfristig nach den Regeln über den Zugang eines einfachen Briefes. Im Gegensatz zum einfachen Brief kann in diesem Fall jedoch der Zugang durch die Boten eindeutig bestätigt und im Rahmen eines Rechtstreits ggf. durch die Boten als unmittelbare Augenzeugen nachgewiesen werden.
221
Zur Vermeidung des Einwands der angeblichen Übersendung eines leeren Briefumschlags oder des Vorwurfs, dass der Umschlag keine Kündigung, sondern ein sonstiges Schreiben enthielt, müssen die Boten vor der Überbringung das Kündigungsschreiben persönlich lesen, selbst in den Briefumschlag kuvertieren und anschließend bis zur Übergabe/Einwurf ununterbrochen in ihrem Besitz behalten. Außerdem sollte die Übergabe/Einwurf zur Vermeidung von Erinnerungsschwierigkeiten von den Boten schriftlich dokumentiert und gegengezeichnet werden.2
222
" Praxistipp: Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten des Zugangs empfiehlt sich für den Kündigenden die Übersendung des Kündigungsschreibens per Boten oder die förmliche Zustellung durch den Gerichtsvollzieher.
3. Zugang bei Vertretern a) Empfangsvertreter und -bote 223
Der Zugang einer Kündigung erfordert nicht, dass das Kündigungsschreiben an den Kündigungsempfänger persönlich übergeben wird. Für einen wirksamen Zugang ist es vielmehr ebenfalls ausreichend, wenn das Kündigungsschreiben an einen Empfangsvertreter oder an einen Empfangsboten ausgehändigt wird.
224
Empfangsvertreter ist derjenige, der gem. § 164 Abs. 3 BGB kraft Gesetzes oder aufgrund rechtsgeschäftlicher Vollmacht zur Entgegennahme von Willenserklärungen für den Kündigungsempfänger bevollmächtigt ist.3
225
Hierunter fallen z.B. die gesetzlichen Vertreter, die für einen beschränkt Geschäftsfähigen handeln, oder die Organvertreter juristischer Personen. Weiter1 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 54. Zur Reichweite der Beweiskraft eines Einschreiben Einwurf die näheren Ausführungen im Abschnitt Teil 1 A III 6 „Nachweis und Beweislastfragen“. 2 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 101. 3 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 55.
40
Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 230 Teil 1
hin stellt regelmäßig auch der Prozessbevollmächtigte des Gekündigten im Kündigungsrechtsstreit einen Empfangsvertreter dar. Die Prozessvollmacht, aufgrund derer eine Kündigung mit der Feststellungsklage nach § 256 ZPO angegriffen wird, bevollmächtigt den Prozessbevollmächtigten auch zur Entgegennahme anderer Kündigungen während des Rechtsstreits, die den mit dem Feststellungsantrag verbundenen weiteren Streitgegenstand betreffen.1 Sofern der Kündigungsempfänger von mehreren vertretungsberechtigten Personen im Rahmen einer Gesamtvertretung vertreten wird, genügt für den Zugang regelmäßig die Zustellung der Kündigung an einen Vertreter (§§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB, 125 Abs. 2 HGB, 78 Abs. 2 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG).2
226
Empfangsbote ist diejenige Person, die nach der Verkehrssitte als ermächtigt anzusehen ist, den Empfänger in der Empfangnahme zu vertreten (Empfangsbote) Eine besondere Empfangsvollmacht ist hierfür nicht erforderlich, sondern die Empfangsermächtigung bestimmt sich allein nach der Verkehrssitte.3
227
Die Ermächtigung als Empfangsbote setzt in der Regel ein besonderes Näheverhältnis zum Kündigungsempfänger voraus. So werden z.B. erwachsene Familienangehörige des Empfängers dann nach der Verkehrsauffassung als zur Entgegennahme von Erklärungen für den Empfänger ermächtigt angesehen, wenn sie in seiner Wohnung leben.4 Gleiches gilt für Lebensgefährten, die mit dem Kündigungsempfänger zusammen wohnen.5 Zu den empfangsberechtigten Vertretern gehören nach der Verkehrsauffassung weiterhin die Hausangestellten des Empfängers und sein Vermieter.6 Im Rahmen des Geschäftsbetriebs eines Unternehmens stellten die Büroangestellten Empfangsboten für den Geschäftsinhaber dar.7
228
Nicht als Empfangsboten gelten dagegen minderjährige Kinder und sonstige erwachsene Angehörige, die nicht im Haushalt des Kündigungsempfängers wohnen. Gleiches trifft auf die Nachbarn des Empfängers oder sonstige Hausbewohner zu.8
229
Im Falle der Empfangsvertretung ist für den Zugang der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Kündigung der Person des Vertreters zugeht, da der Vertreter an die Stelle des Vertretenen tritt. Somit folgt bereits unmittelbar aus dem Zugang beim Vertreter sofort die Zugangswirkung gegenüber dem Kündigungsempfänger. Es kommt nicht darauf an, ob und wann die Kündigung auch dem Gekündigten selbst zugeht.9
230
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, BAGE 57, 231. ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 55. BAG v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB; APS/Preis, DIV Rz. 47. BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, AP Nr. 18 zu § 130 BGB; siehe auch LAG Köln v. 7.9.2009 – 2 Sa 210/09, AuA 2010, 117 für Ehegatten. APS/Preis, DIV Rz. 47. BAG v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB; APS/Preis, DIV Rz. 47. BAG v. 13.10.1976 – 5 AZR 510/75, AP Nr. 8 zu § 130 BGB. ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 55. BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, BAGE 57, 231; BGH v. 15.3.1989 – VIII ZR 303/87, NJW-RR 1989, 757.
Mues
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Teil 1 Rz. 231 231
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Handelt es sich dagegen um einen Empfangsboten, bestimmen sich die Voraussetzungen des Zugangs nach der Person des Kündigungsempfängers. Erst wenn dieser bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse die (theoretische) Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, ist die an seinen Empfangsboten abgegebene Kündigungserklärung zugegangen. Dem Kündigungsempfänger geht daher die Kündigung erst nach Ablauf der Zeit, die der Empfangsbote für die Übermittlungstätigkeit normalerweise benötigt, zu.1 b) Erklärungsvertreter und -bote
232
Die Kündigung braucht nicht vom Kündigenden persönlich übergeben zu werden. Er kann sich hierfür vielmehr der Hilfe von Erklärungsvertretern oder Erklärungsboten bedienen.
233
Sofern das Kündigungsschreiben nicht vom Vertragspartner selbst stammt, sondern die Kündigung durch eine andere Person ausgesprochen wurde, liegt ein Fall des Erklärungsvertreters vor. Hierfür gelten die Vorschriften der rechtsgeschäftlichen Vertretung gem. §§ 164 ff. BGB. Die Kündigung muss daher vom Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht in wirksamer Schriftform ausgesprochen werden, wobei zur Vermeidung einer Zurückweisung nach § 174 BGB gegenüber dem Kündigungsempfänger ggf. eine schriftliche Vollmachtsurkunde im Original vorzulegen ist.2
234
Wenn das Kündigungsschreiben dagegen vom Vertragspartner selbst unterschrieben wurde und lediglich die Überbringung durch eine andere Person erfolgt, handelt es sich hierbei um einen Erklärungsboten. An diese Person des Erklärungsboten sind keine besonderen Anforderungen zu stellen. Daher können selbst Minderjährige und Geschäftsunfähige das Kündigungsschreiben als Boten wirksam überbringen. Eine besondere Bevollmächtigung oder Ermächtigung des Boten ist ebenfalls nicht erforderlich. Es reicht vielmehr sein tatsächliches Tätigwerden durch die Überbringung des Schreibens.
235
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Handlungen des Boten in die Risikosphäre des Erklärenden fallen und er daher auf die Auswahl der Boten eine große Sorgfalt verwenden sollte. Falls das Kündigungsschreiben im Risikobereich der Boten bzw. aufgrund ihrer Handlungen abhanden kommt bzw. sich verzögert (z.B. fehlerhafte oder falsche Übermittlung, etc.) tritt kein wirksamer Zugang der Kündigung ein.
236
Sofern eine Kündigungserklärung fälschlicherweise an Personen übergeben wird, die keine Empfangsboten darstellen (Kinder, Nachbarn des Kündigungsempfängers etc.) können diese Personen als Erklärungsboten anzusehen sein. Die Kündigung wird dann in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Kündigungsempfänger das Schreiben von den Erklärungsboten tatsächlich erhält.3 1 BGH v. 15.3.1989 – VIII ZR 303/87, NJW-RR 1989, 757. 2 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Punkt „Kündigungsberechtigung“, Rz. 266 ff. Siehe auch Schaub/Linck, § 123 Rz. 13 ff.; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 23 ff.; Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 63 ff. 3 Vgl. ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 55.
42
Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 243 Teil 1
4. Zugang bei Minderjährigen a) Grundsatz Eine Kündigung gegenüber einem Geschäftsunfähigen oder gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen und damit auch gegenüber einem Minderjährigen wird gem. § 131 Abs. 1 BGB erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht.1
237
Dies sind bei einem Minderjährigen in der Regel die Eltern, die das Kind gemeinschaftlich vertreten (§ 1629 Abs. 1 BGB). Hierbei ist es für eine wirksame Kündigung gem. § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB ausreichend, wenn das Kündigungsschreiben einem Elternteil wirksam zugeht. Es ist hierfür nicht erforderlich, dass das Kündigungsschreiben ausdrücklich an die gesetzlichen Vertreter gerichtet wird, sondern das Schreiben kann auch an den Minderjährigen adressiert werden, solange die gesetzlichen Vertreter hiervon tatsächlich Kenntnis erhalten.2
238
Gem. § 131 Abs. 2 BGB wird eine Kündigung gegenüber einem Minderjährigen außerdem wirksam, wenn der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung im Voraus erteilt hat. In diesem Fall tritt der Zugang bereits im Zeitpunkt des Zugangs an den Minderjährigen ein.
239
Im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses sind bei einer Kündigung des Berufsausbildungsvertrags nach Ablauf der Probezeit nicht nur die reine Kündigungserklärung, sondern auch die Kündigungsgründe nach § 22 Abs. 3 BBiG gegenüber dem gesetzlichen Vertreter mitzuteilen. Es reicht hierfür nicht aus, wenn nur dem Minderjährigen selbst die Kündigungsgründe bekanntgegeben werden.3
240
b) Ausnahmen In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen im Rahmen des Betriebs eines Erwerbsgeschäfts nach § 112 BGB (Handelsmündigkeit) und für das Dienst- und Arbeitsverhältnis gemäß § 113 BGB (Arbeitsmündigkeit) besonders hinzuweisen.
241
Sofern der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen ermächtigt, ein Erwerbsgeschäft zu betreiben (§ 112 BGB), oder ihn ermächtigt, in Dienst oder Arbeit zu treten (§ 113 BGB), erlangt der Minderjährige für diesen Bereich eine besondere Teilgeschäftsfähigkeit und wird für solche Geschäfte unbeschränkt geschäftsfähig.4
242
Ist eine solche Ermächtigung erfolgt, führt die erlangte Teilgeschäftsfähigkeit auch zur vollen Empfangsberechtigung des Minderjährigen in diesem Bereich. Eine Kündigungserklärung kann damit ohne weitere Beteiligung der gesetzlichen Vertreter allein gegenüber dem Minderjährigen ausgesprochen werden.
243
1 2 3 4
BAG v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75, AP Nr. 4 zu § 15 BB. LAG Hamm v. 20.10.1974 – 3 Sa 881/74, DB 1975, 407. BAG v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75, AP Nr. 4 zu § 15 BB. ErfK/Preis, BGB, § 113 Rz. 2; APS/Preis, DV Rz. 71.
Mues
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Teil 1 Rz. 244
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Damit wird die Kündigung auch nach § 130 Abs. 1 BGB mit dem Zugang beim Minderjährigen wirksam.1 244
Keine Anwendung findet die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit dagegen auf Berufsausbildungsverhältnisse, weil bei diesen nicht die Leistung von Diensten und Arbeit, sondern vielmehr der Ausbildungszweck im Vordergrund steht. Hier verbleibt es daher bei der Notwendigkeit des Zugangs der Kündigungserklärung an die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen.2 5. Zugangsvereitelung
245
Eine Zugangsvereitelung liegt vor, wenn der Kündigungsempfänger unberechtigt den Zugang des Kündigungsschreibens verhindert oder verzögert und damit den Nichtzugang bzw. verspäteten Zugang zu vertreten hat. In diesem Fall kann der (rechtzeitige) Zugang der Kündigung ggf. nach § 162 Abs. 1 BGB fingiert werden oder es dem Kündigungsempfänger nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB verwehrt sein, sich auf den fehlenden oder verspäteten Kündigungszugang zu berufen.
246
Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Kündigungsempfänger bewusst und arglistig den Zugang der Kündigungserklärung erschwert. So hat das Bundesarbeitgericht in einem Rechtstreit eine Zugangsvereitelung des Arbeitnehmers angenommen, in dem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber während des gesamten Arbeitsverhältnisses eine Adresse angeben hat, unter der er nicht erreichbar war, und diese Adresse selbst in Erwartung der Kündigung wiederholt hat.3
247
Darüber hinaus muss sich der Empfänger einer Kündigung dann so behandeln lassen, als sei die Kündigung im Zeitpunkt der Annahmeverweigerung zugegangen, wenn er grundlos die Annahme eines Kündigungsschreibens verweigert oder ein niedergelegtes Einschreiben nicht rechtzeitig innerhalb der Aufbewahrungsfrist bei der Post abholt, obwohl er mit rechtserheblichen Mitteilungen des Absenders rechnen musste. Grundsätzlich besteht zwar keine allgemeine Pflicht, Vorkehrungen zum Empfang von Postsendungen zu treffen oder bei einer Benachrichtigung ein bei der Post niedergelegtes Schriftstück zeitnah abzuholen. Eine solche Verpflichtung kann jedoch aus den besonderen Rechtsbeziehungen zum Absender folgen. Dies ist nach der Rechtsprechung z.B. der Fall, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer aufgrund des vorausgegangenen Verfahrens beim Integrationsamt eine Kündigung des Arbeitgebers erwarten musste.4
248
Ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers ist hierbei nicht unbedingt erforderlich. Es kann vielmehr auch ausreichen, wenn die Verzögerung auf Umstände zurückzuführen ist, die zum Einflussbereich des Empfängers gehören, das Zugangshindernis dem Empfänger zuzurechnen ist, der Erklärende nicht da1 2 3 4
BAG v. 18.2.1977 – 2 AZR 770/75, AP Nr. 10 zu § 130 BGB. ErfK/Preis, BGB, § 113 Rz. 6. BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 366/04, AP Nr. 24 zu § 130 BGB. BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 475/01, BAGE 103, 277; v. 3.4.1986 – 2 AZR 258/85, AP Nr. 9 zu § 18 SchwbG; BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, BGHZ 137, 205; v. 27.10.1982 – V ZR 24/82, NJW 1983, 929.
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Mues
Zugang der Kündigung
Rz. 253 Teil 1
mit zu rechnen brauchte und der Absender nach Kenntnis von dem noch nicht erfolgten Zugang unverzüglich erneut eine Zustellung vorgenommen hat.1 Ob bei einer vom Empfänger zu vertretenen Zugangsvereitelung neben dem Fehlschlagen des Zustellversuchs bereits die Nichtzustellung für eine Zugangsfiktion ausreichend ist oder ob darüber hinaus eine Neuzustellung des Kündigungsschreibens erforderlich wird, bestimmt sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. Hierbei sind nicht nur das Fehlverhalten des Empfängers sondern die übrigen Umstände, wie z.B. die örtlichen Verhältnisse, das bisherige Verhalten des Adressaten, die Möglichkeiten des Erklärenden und die Bedeutung der abgegebenen Erklärung zu berücksichtigen. In der Regel wird der Kündigende nach Kenntnis des Nichtzugangs zu einer erneuten Zustellung verpflichtet sein, weil die Wirkungen des Zugangs regelmäßig erst mit dem tatsächlichen Erhalt des Kündigungsschreibens eintreten und nur nach den Grundsätzen der Zugangsvereitelung auf den Zeitpunkt der Vereitelung zurückbezogen werden.2
249
" Praxistipp: Auch bei einer bewussten und arglistigen Zugangsvereitelung
250
Sofern der Empfänger die Annahme der Postsendung dagegen berechtigt ablehnt, liegt keine Zugangsvereitelung vor. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das an den Empfänger gerichtete Schreiben unzutreffend adressiert oder unzureichend frankiert war. Hier kann der Empfänger nicht verpflichtet werden, das Nachporto für den Fehler des Absenders zu zahlen. Er ist deshalb zur Zurückweisung berechtigt.3
251
Der Empfänger hat grundsätzlich nur sein eigenes Verhalten im Rahmen der Zugangsvereitelung zu vertreten. Lehnt ein als Empfangsbote anzusehender Familienangehöriger des abwesenden Empfängers die Annahme eines Kündigungsschreibens ab, so muss der Empfänger die Kündigung daher nur dann als zugegangen gegen sich gelten lassen, wenn er auf die Annahmeverweigerung, etwa durch vorherige Absprache mit dem Angehörigen, Einfluss genommen hat.4
252
des Empfängers empfiehlt es sich für den Kündigenden immer, eine erneute Zustellung zu veranlassen, um den Anforderungen der Rechtsprechung in jedem Fall sicher zu genügen.
6. Nachweis und Beweislastfragen Beweispflichtig für den Zugang der Kündigung ist nach den allgemeinen zivilprozessualen Regelungen diejenige Vertragspartei, die sich auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung beruft.5 Die Beweislast für den wirksamen Zugang trägt damit der Kündigende.6 Dies gilt sowohl für das Ob eines wirksamen Zugangs als auch für den Zeitpunkt dieses Zugangs.7 1 BAG v. 18.2.1977 – 2 AZR 770/75, AP Nr. 10 zu § 130 BGB; v. 3.4.1986 – 2 AZR 258/85, AP Nr. 9 zu § 18 SchwbG. 2 BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, BGHZ 137, 205. 3 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 93. 4 BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, AP Nr. 18 zu § 130 BGB. 5 LAG Hamm v. 22.5.2002 – 3 Sa 847/01, LAGReport 2003, 8. 6 APS/Preis, DIV Rz. 60; Schaub/Linck, § 123 Rz. 15. 7 LAG Bremen v. 5.9.1986 – 4 Ta 47/86, BB 1986, 1992.
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Teil 1 Rz. 254
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
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Der Zugang lässt sich nicht allein durch die Absendung des Kündigungsschreibens bei der Post beweisen, denn es gibt keinen Anscheinsbeweis dafür, dass mit der Post versendete Schreiben den Empfänger bei fehlendem Rücklauf tatsächlich erreicht haben. Im Postzustellungsdienst gehen nach den eigenen Angaben der Post bei gewöhnlichen Sendungen immer wieder Sendungen verloren oder kommen auf sonstige Weise abhanden. Nachweislich tritt sogar bei Einschreibebriefen ein gewisser Prozentsatz von Verlusten ein. Daher kann die Absendung selbst bei Nachweis der ordnungsgemäßen Adressierung und Frankierung keinen Beweis des Zugangs erbringen.1
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Die Absendung beweist darüber hinaus, selbst wenn das Schreiben den Empfänger tatsächlich erreicht hat, noch nicht automatisch den Zeitpunkt des Zugangs. Es gibt vielmehr keinen Beweis des ersten Anscheins dafür, dass eine vom Kündigenden als gewöhnlicher Brief versandte Kündigung den Empfänger binnen 3 Tagen erreicht, sondern der Zeitpunkt des Zugangs bleibt in diesem Fall weiterhin vom Kündigenden zu beweisen.2
256
Einen sicheren Beweis für den Zugang der Kündigung bietet die Zustellung des Kündigungsschreibens durch den Gerichtsvollzieher. In diesem Fall bestätigt der Gerichtsvollzieher den Zugang und den Zugangszeitpunkt auf der Zustellungsurkunde. Diese Zustellungsurkunde stellt gem. § 415 ZPO eine öffentliche Urkunde dar, mit der für den Kündigenden problemlos der volle Beweis des Zugangs erbracht werden kann.
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Eine weitere Beweismöglichkeit ist die Übersendung der Kündigung per Einschreiben Einwurf. Der Auslieferungsbeleg der Deutschen Post über die Auslieferung eines Einwurf-Einschreibens stellt zwar keine öffentliche Urkunde i.S.d. §§ 415 Abs. 1, 418 ZPO dar und die Zeugenaussage des Postzustellers ist angesichts der Routinetätigkeit einer Einschreibenauslieferung problematisch.3 Nach zutreffender Ansicht begründet das Vorliegen des Einwurfnachweises in diesem Fall jedoch einen Anscheinsbeweis für den wirksamen Zugang der Kündigung und den Kündigungszeitpunkt.4
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Auf den verspäteten Zugang einer Kündigungserklärung erst bei der Abholung des Kündigungsschreibens kann sich der Empfänger gegebenenfalls nicht berufen, wenn er die Verzögerung des Zugangs selbst zu vertreten hat. Weiß insbesondere der Empfänger einer Kündigungserklärung aufgrund mündlicher Mitteilung oder sonstiger Vorgänge, dass ein Kündigungsschreiben an ihn unterwegs ist oder mit einem solchen gerechnet werden muss, dann verhält er sich treuwidrig, wenn er die Sendung nach vergeblichem Zustellversuch nicht alsbald bei der Post abholt. In solchen Fällen ist entsprechend dem Rechtsgedan-
1 BAG v. 14.7.1960 – 2 AZR 173/59, NJW 1961, 2132; BGH v. 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24, 308. 2 LAG Bremen v. 5.9.1986 – 4 Ta 47/86, BB 1986, 1992. 3 LAG Hamm v. 22.5.2002 – 3 Sa 847/01, LAGReport 2003, 8; APS/Preis, DIV Rz. 55; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 54. 4 LAG Köln v. 14.8.2009 – 10 Sa 84/09; APS/Preis, DIV Rz. 55; a.A. LG Potsdam v. 27.2. 2000 – 11 S 233/99, NJW 2000, 3722; Schaub/Linck, § 123 Rz. 27.
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Kündigungsberechtigung
Rz. 263 Teil 1
ken aus § 162 BGB vom Zugang der Kündigungserklärung an dem Tag auszugehen, an dem die unverzügliche Abholung möglich war.1 Bei dem Einwurf des Kündigungsschreibens durch Boten können diese in einem Rechtstreit den Einwurf als unmittelbare Augenzeugen bestätigen, womit im Prozess nachgewiesen werden kann, dass und wann das Kündigungsschreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist.
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Wenn bei einer persönlichen Übergabe der Kündigung der Kündigungsempfänger den Empfang schriftlich bestätigt hat oder ein Einschreiben-Rückschein mit der Unterschrift des Kündigungsempfängers oder seiner Empfangsboten quittiert worden ist, kann hierdurch im Prozess der Nachweis des Zugangs geführt werden. Zu beachten ist im Fall der Übersendung per Einschreiben Rückschein jedoch, dass der Zugang hier nicht bereits mit der Einwurfbenachrichtigung, sondern nur mit der persönlichen Aushändigung oder der Abholung des niedergelegten Schreibens bei der Post eintritt.2
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IV. Kündigungsberechtigung 1. Person des Arbeitgebers Berechtigt zum Ausspruch der Kündigung ist nur der „richtige“ Arbeitgeber. Für das Vorliegen der Arbeitgebereigenschaft stellt der Arbeitsvertrag eine Vermutung auf. Diese kann jedoch widerlegt werden, sofern arbeitsrechtliche Beziehungen tatsächlich zu einer anderen Person bestehen. Der Fall des „falschen“ Arbeitgebers tritt in der Praxis häufig in Form der Falschbezeichnung im Kündigungsschreiben auf, so z.B. im Konzern, wenn unter der Firma eines Unternehmens, das nicht Arbeitgeber des Betroffenen ist, kündigt wird. Bei der Erstellung des Kündigungsschreibens ist daher auch auf die Verwendung des richtigen Briefbogens zu achten.
261
Das Kündigungsrecht muss durch den Berechtigten wahrgenommen werden. Eine Übertragung des Kündigungsrechts auf Dritte ist in der Regel unzulässig.3 Etwas anderes kommt nur im Insolvenzverfahren in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter als „Partei kraft Amtes“ Befugnisse des Arbeitgebers ausübt, vgl. § 113 InsO.
262
2. Vertreter des Arbeitgebers a) Voraussetzungen der Stellvertretung Trotz des höchstpersönlichen Charakters der Kündigung besteht die Möglichkeit, sich beim Ausspruch der Kündigung vertreten zu lassen.4 Von gesetzlicher 1 LAG Frankfurt v. 6.11.2000 – 10 Sa 1709/99, NZA-RR 2001, 637. 2 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt Teil 1 A III 2 „Zustellung des Kündigungsschreibens – Einschreiben Rückschein“. 3 Vgl. BAG v. 9.10.1975 – 2 AZR 332/74, DB 1976, 441; ebenso APS/Preis, Grundlagen D Rz. 74; ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 23. 4 St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403.
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Teil 1 Rz. 264
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Stellvertretung spricht man bei der AG, GmbH oder anderen juristischen Personen, sofern diese durch ihre Organe, also den Vorstand der Aktiengesellschaft bzw. die Geschäftsführer der GmbH handeln und von der Möglichkeit der Bevollmächtigung keinen Gebrauch gemacht haben. 264
Während die Kündigung des Arbeitnehmers in aller Regel persönlich erfolgt, ist dies auf Seite des Arbeitgebers die Ausnahme und wird lediglich im Kleinbetrieb vorkommen. In größeren Betrieben und Unternehmen handelt typischerweise jemand anderes für den Arbeitgeber, z.B. die Personalabteilung. Rechtsgeschäftlich kann die Vertretungsmacht nach § 167 Abs. 1 BGB (Vollmacht) erteilt werden. Die Bevollmächtigung ist rechtlich selbständig und nicht mit der späteren Kündigungserklärung verbunden. Sie unterliegt somit auch nicht deren Schriftformerfordernis, vgl. § 167 Abs. 2 BGB.
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" Praxistipp: Obwohl die Vollmacht also grds. keiner besonderen Form bedarf,
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In kaufmännisch eingerichteten Unternehmen besteht die Möglichkeit, eine Vollmacht mit standardisiertem Umfang zu erteilen. Dies gilt sowohl für die Prokura (§ 49 Abs. 1 HGB) als auch für die Handlungsvollmacht (§ 54 Abs. 1 HGB), denn diese erstreckt sich auf alle Geschäfte, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte mit sich bringt, wozu auch Personaldispositionen gehören.1
267
Der Arbeitnehmer muss erkennen können, dass die Kündigung im Namen des vertretenen Arbeitgebers erfolgen soll. Für wen der Vertreter handelt, ist vom Empfängerhorizont unter Berücksichtigung aller Umstände auszulegen.2 Die Kündigung durch einen Bevollmächtigten ist dem Arbeitgeber auch dann zuzurechnen, wenn er bei Ausspruch der Kündigung auf das Vertretungsverhältnis nicht ausdrücklich hingewiesen hat. Denn Willenserklärungen, die in einem Betrieb oder Unternehmen Dritten gegenüber abgegeben werden, sind, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes aus den Umständen ergibt, im Namen dessen abgegeben, der den Betrieb oder das Unternehmen betreibt.3 Daher wird der Arbeitnehmer zumeist bereits aufgrund der Funktion des Kündigenden – z.B. des Betriebs- oder Personalleiters – erkennen können, dass die Kündigung im Namen des Arbeitgebers erfolgen sollte.
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" Praxistipp: Für die Offenlegung der Stellvertretung reicht es aus, wenn die
so ist jedoch daran zu denken, dass nach § 174 Satz 1 BGB bei Ausspruch der Kündigung die Vollmacht in Form einer Vollmachtsurkunde nachzuweisen ist. Daher wird die Erteilung einer Kündigungsvollmacht im Regelfall schriftlich fixiert.
Kündigung „i.V.“ (in Vertretung) unterschrieben wird. Auch wenn das BAG unter Auslegung der Erklärung im Einzelfall den Zusatz „i.A.“ (im Auftrag) genügen lässt4, sollte hierauf aus Gründen der Rechtssicherheit verzichtet
1 APS/Preis, Grundlagen D Rz. 75; KDZ/Däubler, §§ 164–181 BGB Rz. 2. 2 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 180/06, NZA-RR 2007, 571 (n.v.). 3 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 273/95, NZA 1996, 649; ebenso APS/Preis, Grundlagen D, Rz. 75. 4 BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403; krit. LAG Rheinland-Pfalz v. 19.12. 2007 – DB 2008, 821.
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Kündigungsberechtigung
Rz. 274 Teil 1
werden. Aus denselben Gründen ist die Kündigung durch den Vertreter nicht – was nach allgemeiner Ansicht als zulässig angesehen wird1 – mit dem Namen des Vollmachtgebers zu unterschreiben. b) Fehlende Vollmachtsurkunde bei Ausspruch der Kündigung Wird die Kündigung durch einen Bevollmächtigten vorgenommen, so ist die Kündigung unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der Betroffene das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist, vgl. § 174 Satz 1 BGB. Diese in der Praxis sehr bedeutsame Vorschrift findet ausschließlich im Rahmen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht Anwendung, wie sich aus dem Zusammenhang von § 167 BGB und § 172 BGB ergibt.
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Beruht die Vertretungsmacht demgegenüber auf gesetzlicher Grundlage, ist § 174 BGB unanwendbar.2 Der Unsicherheit über die Vertretungsmacht wirkt die Eintragung des Vertreters in das Handelsregister entgegen, aus dem sich die Person des Organs und der Umfang seiner Vertretungsmacht ergeben. § 174 BGB ist jedoch entsprechend anwendbar, wenn ein einzelnes Organmitglied durch die zusammen mit ihm gesamtvertretungsbefugten Organmitglieder zu einer organschaftlichen Alleinvertretungsmacht ermächtigt wird. In diesem Fall besteht für den Kündigungsempfänger dasselbe Unsicherheitsrisiko wie im Fall der Stellvertretung.3
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§ 174 BGB findet auch im öffentlichen Dienst Anwendung.4
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Die Vollmacht ist grds. im Original vorzulegen, eine beglaubigte Abschrift reicht ebenso wenig aus wie ein Fax oder eine Fotokopie.5 Inhaltlich muss die Urkunde das Kündigungsrecht eindeutig bezeichnen. Die Ermächtigung zu „außergerichtlichen Verhandlungen aller Art“ hat das BAG nicht genügen lassen.6 Dieser strengen formellen Anforderungen bedarf es, da der Erklärungsempfänger nur so die Möglichkeit zur Überprüfung der Bevollmächtigung zum Zeitpunkt der Kündigung hat.
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Die Zurückweisung durch den Gekündigten muss nicht ausdrücklich erfolgen; sie muss sich aber aus der Begründung oder aus anderen Umständen eindeutig und für den Kündigenden zweifelsfrei erkennbar ergeben.7
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Will der Arbeitnehmer die Kündigung zurückweisen, so muss dies unverzüglich geschehen, also ohne schuldhaftes Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 BGB. Die Zurück-
274
1 Vgl. APS/Preis, § 623 BGB Rz. 17 m.w.N. 2 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377; v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03, NZA 2005, 1207 (n.v.); ebenso ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 25. 3 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374; ebenso LAG Köln v. 3.5.2002 – 4 Sa 1285/01, NZA-RR 2003, 194. 4 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980. 5 BGH v. 4.2.1981 – VIII ZR 313/79, BB 1981, 1182; ebenso LAG Rheinland-Pfalz v. 4.6. 2008 – 7 SaGa 4/08, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf v. 22.1.1995 – 4 Sa 1817/94, NZA 1995, 994; OLG Hamm v. 26.10.1990 – 20 U 71/90, NJW 1991, 1185. 6 BAG v. 31.8.1979 – 7 AZR 674/77, AP Nr. 3 zu § 174 BGB. 7 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, DB 1981, 1044.
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Teil 1 Rz. 275
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
weisung muss daher nicht sofort erfolgen. Dem Erklärungsempfänger wird vielmehr eine gewisse Zeit zur Überlegung und zur Einholung des Rates eines Rechtskundigen darüber eingeräumt, ob er das einseitige Rechtsgeschäft wegen fehlender Bevollmächtigung zurückweisen soll. Innerhalb welcher Zeitspanne der Erklärungsempfänger das Rechtsgeschäft wegen der fehlenden Bevollmächtigung zurückweisen muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.1 275
Nach dem LAG Düsseldorf soll eine Zurückweisung nach 10 Tagen nicht mehr unverzüglich erfolgen.2 Das BAG hat zunächst eine Frist von einer Woche gebilligt3, später dann konkretisierend festgestellt, eine Zurückweisung nach 9 Tagen sei verspätet.4
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Die Zurückweisung der fehlenden Vollmacht ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte, vgl. § 174 Satz 2 BGB. In diesem Fall ist der Gekündigte nicht schutzwürdig, da für ihn kein Ungewissheitsrisiko besteht. Eine ausdrückliche Information des Arbeitnehmers kann bereits im Arbeitsvertrag enthalten sein.5 Der Arbeitgeber genügt den Vorgaben auch dann, wenn er anlässlich der Amtseinführung eines Angestellten, an der die Belegschaft teilnimmt, auf dessen Kündigungsbefugnis hinweist. Dies gilt selbst gegenüber solchen Arbeitnehmern, die bei der Amtseinführung nicht anwesend waren.6
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Der Arbeitgeber kann den Betroffenen auch konkludent in Kenntnis setzen. Eine ausreichende Information liegt i.d.R. dann vor, wenn der Vertreter eine Stellung bekleidet, mit der üblicherweise eine Vollmacht verbunden ist, die auch eine Kündigung umfasst.7 Dies ist z.B. bei dem Leiter einer Personalabteilung oder einem Generalbevollmächtigten der Fall.8 Auch der Prokurist, dessen Prokura im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht worden ist, bekleidet im Regelfall eine solche Stellung.9 Entscheidend ist eine allgemeine Personalkompetenz der kündigenden Stelle, nicht unbedingt die hierarchische Einordnung. So hat das LAG Berlin einem Niederlassungsleiter, dem 23 Arbeitnehmer unterstehen, die gewöhnliche Kündigungsberechtigung abgesprochen, da das Unternehmen daneben eine Personalabteilung besaß.10
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Die Mitteilung durch den Bevollmächtigten selbst bzw. die Kenntniserlangung auf anderem Wege als durch den Arbeitgeber reicht demgegenüber nicht aus.11
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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St. Rspr. vgl. BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954 m.w.N. LAG Düsseldorf v. 22.2.1995 – 4 Sa 1817/94, NZA 1995, 994. BAG v. 30.5.1978 – 2 AZR 663/76, DB 1978, 2082. BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954. LAG Berlin v. 25.7.2002 – 16 Sa 823/02, NZA-RR 2003, 538. LAG Köln v. 7.7.1993 – 2 Sa 280/93, NZA 1994, 419. BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, DB 2008, 2641; ebenso BAG v. 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, NZA 1998, 699; v. 30.5.1972 – 2 AZR 298/71, DB 1972, 1680. BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980 m.w.N. BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 24/07, NZA 2008, 753 (n.v.). LAG Berlin v. 28.6.2006 – 15 Sa 632/06, DB 2007, 468. BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980; LAG Köln v. 3.5.2002 – 4 Sa 1285/01, NZA-RR 2003, 194.
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Kündigungsberechtigung
Rz. 282 Teil 1
c) Vertreter ohne Vertretungsmacht Spricht eine Person namens des Arbeitgebers eine Kündigung aus, ohne vorher von diesem in ausreichendem Maße bevollmächtigt worden zu sein, so ist die Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft grundsätzlich unwirksam, vgl. § 180 Satz 1 BGB. Eine Genehmigung nach §§ 180 Satz 2 i.V.m. 177 Abs. 1 BGB kommt jedoch dann in Betracht, wenn der Kündigungsempfänger die fehlende Vertretungsmacht nicht beanstandet hat.1 Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Kündigung zurück. Zu den Auswirkungen der nachträglichen Genehmigung auf den Fristbeginn siehe unten Rz. 293.
279
3. Sonderfälle a) Kündigungsberechtigung in der GbR Ist Arbeitgeber eine GbR, so gelten einige Besonderheiten. Trotz Annäherung an die OHG durch die Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit bestehen bei der Kündigungsberechtigung weiterhin Unterschiede. Für die GbR handeln die vertretungsbefugten Gesellschafter. Ob einzelne Personen allein (Einzelvertretung) oder nur zusammen mit anderen oder allen Gesellschaftern (Gesamtvertretung) für die Gesellschaft kündigen können, ergibt sich aus dem jeweiligen Gesellschaftsvertrag.
280
Im Falle der Einzelvertretung ist jeder Gesellschafter zum Ausspruch der Kündigung berechtigt. Der Betroffene kann die Kündigung jedoch nach § 174 Satz 1 BGB zurückweisen, wenn dieser weder eine Vollmacht der anderen Gesellschafter noch der Gesellschaftsvertrag oder eine Erklärung der anderen Gesellschafter beigefügt ist, aus der sich die Befugnis des erklärenden Gesellschafters zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft ergibt. In diesem Fall haben die Gesellschafter eine von dem gesetzlichen Leitbild der GbR abweichende Regelung getroffen. Für den Kündigungsempfänger besteht aber Ungewissheit über die Vertretungsverhältnisse, da diese bei der GbR keinem öffentlichen Register entnommen werden können.2
281
Ermächtigen die gesamtvertretungsbefugten Gesellschafter zusammen einen einzelnen Gesellschafter zur alleinigen Vertretung der GbR, ist § 174 BGB aufgrund der vergleichbaren Situation zu der formlosen Erteilung einer Vollmacht entsprechend zu beachten.3
282
1 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 699/96, AuR 1998, 202; v. 26.3.1986 – 7 AZR 585/84, NJW 1987, 1038; ebenso ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 29; KDZ/Däubler, §§ 164–181 BGB Rz. 26. 2 BGH v. 9.11.2001 – LwZR 4/01, DB 2002, 89. 3 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374; ebenso LAG Köln v. 3.5.2002 – 4 Sa 1285/01, NZA-RR 2003, 194 (Entscheidungen zur organschaftlichen Vertretungsmacht, aber auf die GbR übertragbar).
Mues
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Teil 1 Rz. 283
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
b) Arbeitsverhältnisse mit Drittbezug 283
Bei einem mittelbaren Arbeitsverhältnis, also einem Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und einer Mittelsperson, die zum Zweck der Erfüllung ihrer Arbeitspflichten wiederum ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer begründet, z.B. der Wissenschaftler, der im Rahmen eines Forschungsprojektes im eigenen Namen einen Arbeitsvertrag mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter schließt1, ist nur der Mittelsmann Vertragspartner. Der mittelbare Arbeitgeber ist nicht kündigungsberechtigt.2
284
Bei Leiharbeitsverhältnissen ist lediglich der Verleiher kündigungsbefugt. Ein eigenes Kündigungsrecht des Entleihers besteht nicht.3 Unbenommen bleibt jedoch die Möglichkeit der Stellvertretung.
285
Im Rahmen eines Gruppenarbeitsverhältnisses ist die Kündigungsberechtigung abhängig von der jeweiligen Erscheinungsform der Gruppenarbeit. Stellt der Arbeitgeber eine Arbeitsgruppe aufgrund seines Direktionsrechts aus Arbeitnehmern mit voneinander unabhängigen Arbeitsverträgen zusammen (beispielsweise Montagekolonnen), spricht man von einer sog. Betriebsgruppe, für deren Mitglieder keine kündigungsrechtlichen Besonderheiten gelten.4 Jedes Arbeitsverhältnis kann isoliert gekündigt werden.
286
Die sog. Eigengruppe ist dadurch geprägt, dass sie schon vor Abschluss eines Arbeitsvertrags selbständig gebildet wird und als Gruppe gebündelte Arbeitsverträge mit dem Arbeitgeber abschließt.5 Solche Eigengruppen stellen z.B. Musikkapellen, Bauarbeiterkolonnen oder Hausmeisterehepaare dar.6 Kündigungsberechtigt sind hier nur die jeweiligen Vertragspartner.7 Im Einzelnen hängt die Kündigungsberechtigung von der jeweiligen Vertragskonstellation ab.
V. Fristbindung 1. Gesetzliche Fristen für den Ausspruch einer Kündigung 287
Für den Regelfall der ordentlichen Kündigung sieht das Gesetz keine Frist zum Ausspruch der Kündigung vor. So liegt der Grund für die Kündigung entweder in der Sphäre des Arbeitgebers (betriebliche Gründe) oder des Arbeitnehmers (personen- bzw. verhaltensbedingte Gründe) und der Arbeitgeber unterliegt in den Grenzen von Verzicht und Verwirkung keinen zeitlichen Beschränkungen für die Kündigungserklärung.
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In bestimmten Situationen bestehen jedoch erhöhte Anforderungen an eine zeitnahe Klärung der Verhältnisse. Daher sieht das Gesetz im Einzelfall eine Frist
1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 29.6.1988 – 7 AZR 552/86, DB 1989, 388. APS/Preis, Grundlagen D Rz. 62; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 63. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 59. APS/Preis, Grundlagen D Rz. 64; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 49. ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 169; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 50. Vgl. BAG v. 21.10.1971 – 2 AZR 17/71, DB 1972, 244. APS/Preis, Grundlagen D Rz. 64; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 53.
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Fristbindung
Rz. 292 Teil 1
zur Erklärung der Kündigung vor. Auch die individual- bzw. kollektivvertragliche Vereinbarung einer Kündigungserklärungsfrist ist in Grenzen möglich. a) Außerordentliche Kündigung aa) Zweck des 626 Abs. 2 BGB In besonderen Fällen liegt es im Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis ohne eine Auslauffrist zu beenden. Im Rahmen dieser außerordentlichen Kündigung ordnet § 626 Abs. 2 BGB an, dass die Kündigung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen erfolgen kann. Inhaltlich konkretisiert § 626 Abs. 2 BGB den Grundsatz der Verwirkung, denn nach Ablauf der Frist greift die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung, dass auch ein möglicherweise erheblicher wichtiger Grund nicht mehr zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führen kann.1 Gleichsam ist diese Ausschlussfrist Ausdruck des Gedankens, dass eine solche einschneidende Maßnahme wie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Auslauffrist nur innerhalb enger zeitlicher Grenzen erfolgen darf.
289
§ 626 Abs. 2 BGB will sicherstellen, dass bei erheblichen Störungen des Arbeitsverhältnisses innerhalb kurzer Zeit feststeht, ob von der Möglichkeit zur im Regelfall fristlosen Kündigung Gebrauch gemacht wird oder nicht; die Vorschrift dient also der Rechtssicherheit und wirkt einerseits zugunsten des Arbeitnehmers, der nicht längere Zeit im Unklaren über den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses verbleibt, räumt auf der anderen Seite dem Arbeitgeber auch eine angemessene Überlegungsfrist ein.2
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bb) Fristbeginn und -berechnung (a) Person des Kündigungsberechtigten Nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB beginnt die Kündigungserklärungsfrist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Kündigungsberechtigter ist der Arbeitgeber als natürliche Person bzw. der Vorstand oder die Geschäftsführung einer juristischen Person.3 Auch die Kenntnisnahme von Personen, denen Kündigungsbefugnis z.B. per Prokura, Handlungs- oder einfacher Vollmacht eingeräumt ist, bringt die Frist zum Laufen.
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Sind für den Arbeitgeber nur mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, sind die allgemeinen Grundsätze zur Kenntnis eines Gesamtvertreters bei passiver Stellvertretung anwendbar, vgl. § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 2 GmbHG. Die Ausschlussfrist beginnt also schon dann zu laufen, wenn bereits einer von mehreren Gesamtvertretern den Kündigungsgrund kennt.4
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1 St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, DB 2009, 572 m.w.N.; ebenso KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 313. 2 KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 199; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 312. 3 Zur Person des Arbeitgebers s.o. IV.1. 4 BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237; ebenso MüArbR/Schulte, § 41 Rz. 121; MüKo/Henssler, § 626 BGB Rz. 291.
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Teil 1 Rz. 293
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
293
Eine nur von einem Gesamtvertreter ausgesprochene Kündigung kann von den anderen Vertretern nach § 180 Satz 2 i.V.m. § 177 BGB genehmigt werden, sofern der Arbeitnehmer die Kündigung nicht bei Zugang zurückgewiesen hat. Die Genehmigung wirkt zwar grds. auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zurück (vgl. § 184 BGB). Jedoch sind Sinn und Zweck des § 626 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, wonach alsbald Klarheit über die Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts gelten soll. Daher kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb der Zweiwochenfrist genehmigt werden kann.1
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Grundsätzlich muss sich der Kündigungsberechtigte die Kenntnis nicht kündigungsberechtigter Dritter nicht zurechnen lassen.2 Eine bloße arbeitgeberähnliche Funktion reicht nicht aus. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Stellung des Dritten im Betrieb nach den Umständen erwarten lässt, er werde den Kündigungsberechtigten von dem Kündigungssachverhalt unterrichten. Hinzukommen muss, dass die verspätet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten darauf beruhte, dass die Organisation des Betriebs zu einer Verzögerung des Fristbeginns führt, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar war. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.3 (b) Zeitpunkt der Kenntnis
295
Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt für den Fristbeginn nicht. Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch gegen die Kündigung sprechenden Umstände.4
296
Die Frist beginnt nicht, solange der Arbeitgeber noch nicht alle kündigungsrelevanten Tatsachen zusammengetragen hat. Die zeitliche Begrenzung des § 626 Abs. 2 BGB soll den Arbeitgeber nicht zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben oder ihn veranlassen, ohne genügende Vorprüfung des Sachverhalts oder hinreichende Beweismittel voreilig zu kündigen.5 Der Arbeitgeber kann daher Ermittlungen anstellen – insbesondere den betroffenen Arbeitnehmer zu dem Sachverhalt anhören – ohne dass die Ausschlussfrist zu laufen beginnt. Er kann grds. alle Maßnahmen treffen, die er nach pflichtgemäßem Ermessen für not1 BAG v. 26.3.1986 – 7 AZR 585/84, NJW 1987, 1038; ebenso KDZ/Däubler, §§ 164–181 BGB Rz. 27; KR/Fischermeier, § 626 BGb Rz. 346; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 851; a.A. Palandt/Heinrichs, § 180 BGB Rz. 1, der eine rückwirkende Genehmigung bei Kündigungen generell verneint. 2 Vgl. zuletzt BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, DB 2009, 572 m.w.N. 3 St. Rspr. vgl. nur BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, DB 2009, 572 m.w.N.; ebenso APS/ Dörner, § 626 BGB RZ. 132; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 205; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 355. 4 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, DB 2009, 572 m.w.N.; MüArbR/Schulte, § 41 Rz. 116. 5 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744; v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101 m.w.N.
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Mues
Fristbindung
Rz. 301 Teil 1
wendig hält. Die Hemmung des Fristablaufs setzt aber voraus, dass die Maßnahmen unverzüglich und zeitnah erfolgen und auch tatsächlich geboten sind.1 Für Ermittlungen besteht folglich dann kein Anlass, wenn der Sachverhalt geklärt oder sogar vom Arbeitnehmer zugestanden ist.2 Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine Regelfrist gilt hierfür nicht.3 Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Sachverhaltsermittlung anhören, so muss dies jedoch innerhalb einer relativ kurzen Frist, die regelmäßig nicht länger als eine Woche sein darf, geschehen.4 Ansonsten besteht die Gefahr, dass der durch die Ausschlussfrist intendierte Schutz des Arbeitnehmers durch eine hinausgezögerte Anhörung relativiert wird.
297
Die Ermittlungen beziehen sich ausschließlich auf Tatsachen. Die Einholung von Rechtsrat hemmt den Lauf der Frist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht.5
298
Problematisch ist die Beurteilung des Fristbeginns bei sog. Dauergründen. Hierbei ist zwischen fortdauernden wichtigen Gründen und Tatbeständen zu unterscheiden, die bereits abgeschlossen sind und nur noch fortwirken.6 Letztere stellen keinen Dauertatbestand im hier bezeichneten Sinne dar. Maßgeblich ist bei diesen der Zeitpunkt des Vorfalls.
299
Sind Pflichtverletzungen zu einem Gesamtverhalten zusammenzufassen, beginnt die Ausschlussfrist mit dem letzten Vorfall, der ein weiteres und letztes Glied der Kette der Ereignisse bildet, die zum Anlass für eine Kündigung genommen werden.7 Dabei ist das frühere Verhalten, das länger als zwei Wochen zurückliegt, ebenfalls zu berücksichtigen, und zwar, anders als ein verfristeter Vorfall, nicht nur unterstützend.8 Fehlt der Arbeitnehmer z.B. unentschuldigt, so beginnt die Zwei-Wochen-Frist mit Ende der unentschuldigten Fehlzeit.9
300
Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitnehmer eigenmächtig Urlaub genommen hat. Hier beginnt die Ausschlussfrist mit seiner Rückkehr.10
301
1 BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR57/05, NZA-RR 2006, 440; APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 127; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 209 ff.; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 330 ff. 2 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, DB 2003, 1685. 3 BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 25/88, NZA 1989, 105; MüArbR/Schulte, § 41 Rz. 119; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 840. 4 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211; APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 130; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 331. 5 LAG Hamm v. 1.10.1998 – 8 Sa 969/98, LAGE § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 10; APS/ Dörner, § 626 BGB Rz. 129. 6 BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 127/75, NJW 1976, 1334; KDZ/Däubler Rn. 213 ff.; KR/ Fischermeier Rz. 323 ff. 7 BAG v. 6.7.1972 – 2 AZR 386/71, DB 1972, 2119; APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 134 m.w.N. 8 LAG Düsseldorf v. 29.4.1981 – 22 Sa 82/81, DB 1981, 1731; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 325; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 843. 9 BAG v. 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708. 10 BAG v. 25.2.1983 – 2 AZR 298/81, DB 1983, 1605.
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Teil 1 Rz. 302
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
302
" Praxistipp: Der Arbeitgeber muss die Rückkehr des Arbeitnehmers nicht
303
Ist ein Dauerzustand noch nicht abgeschlossen, wie z.B. bei einer langwierigen Erkrankung, so handelt es sich nach Ansicht des BAG um einen echten Dauerzustand. Dies hat zur Folge, dass die Kündigungserklärungsfrist jeden Tag neu beginnt, weil bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit der Kündigungsgrund jeden Tag neu entsteht.1
abwarten. Es bleibt ihm unbenommen, bereits während des eigenmächtig genommen Urlaubs des Arbeitnehmers zu kündigen.
cc) Berechnung und Ablauf der Ausschlussfrist 304
Die zweiwöchige Ausschlussfrist berechnet sich nach den §§ 187 ff. BGB. Der Tag der Kenntniserlangung wird nach § 187 Abs. 1 BGB nicht mitgezählt, sodass die Ausschlussfrist erst am nächsten Tag beginnt. Hat der Kündigungsberechtigte beispielsweise an einem Montag Kenntnis von den Kündigungsgründen erhalten, so endet die Ausschlussfrist mit dem Ablauf des Montags der übernächsten Woche. Fällt die Ausschlussfrist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, tritt an die Stelle dieses Tages nach § 193 BGB der nächste Werktag.
305
Zur Wahrung der Ausschlussfrist kommt es auf den Zugang beim Kündigungsempfänger an.2 Nicht ausreichend ist, dass die Kündigung den Machtbereich des Kündigungsberechtigten verlassen hat. dd) Darlegungs- und Beweislast
306
Darlegungs- und Beweispflichtig für die Einhaltung der Frist ist derjenige, der die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, also i.d.R. der Arbeitgeber. Er muss im Prozess beweisen, dass er von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen erst innerhalb der letzen zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt hat. Auch für die Hemmung der Ausschlussfrist ist der Kündigende beweispflichtig. Daher muss er in diesem Fall weitergehend darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und daher ermittlungsbedürftig waren, und welche – sei es auch nur aus damaliger Sicht – weiteren Ermittlungen zur Klärung der Zweifel angestellt wurden.3 Je länger die Ermittlungen gedauert haben, desto substantiierter müssen die Darlegungen sein, weshalb eine schnelle Klärung nicht möglich war.4
1 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 399/03, NZA 2004, 1216; v. 21.3.1996 – 2 AZR 455/95, NZA 1996, 871; zust. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 327; krit. APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 136; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 215, nach denen die Auslauffrist ab Kenntnis der maßgebenden Tatsachen laufen soll. 2 BAG v. 9.3.1978 – 2 AZR 529/76, DB 1978, 1405; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 358; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 223. 3 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 331. 4 LAG Niedersachsen v. 16.9.2005 – 16 Sa 225/05, NZA-RR 2006, 131.
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Fristbindung
Rz. 311 Teil 1
ee) Auswirkungen der Beteiligung von Gremien für die Ausschlussfrist Vor der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers ist der Betriebsrat anzuhören, vgl. § 102 BetrVG. Diese Anhörung ist echte Wirksamkeitsvoraussetzung für die ausgesprochene Kündigung. Fehlt sie, ist die Kündigung bereits aus diesem Grund unwirksam, ohne dass es auf weitere Gründe ankäme. Der Betriebsrat muss innerhalb von drei Tagen seine Stellungnahme abgegeben haben. Gleichwohl wird die Auslauffrist nicht um diese drei Tage verlängert, sondern läuft weiter.1
307
" Praxistipp: Der Arbeitgeber muss daher spätestens am 10. Tag nach Kennt-
308
Im öffentlichen Dienst muss der Personalrat nach § 79 Abs. 3 BPersVG beteiligt werden. Im Personalvertretungsrecht der Länder ist teilweise ein weitergehendes Mitbestimmungsverfahren vorgeschrieben, das längere Zeit in Anspruch nimmt. Ist dieses innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eingeleitet, so wird die Auslauffrist gehemmt. Liegt die Entscheidung vor, so ist „unverzüglich“ – also ohne schuldhaftes Zögern – zu kündigen.2
309
Nach § 9 Abs. 1 MuSchG ist auch eine außerordentliche Kündigung grds. unzulässig. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die zuständige Behörde die Kündigung vorher für zulässig erklärt hat, vgl. § 9 Abs. 3 MuSchG. Ein solcher Bescheid ist i.d.R. nicht innerhalb der Ausschlussfrist zu erwirken. Daher ist es zunächst ausreichend, dass der Arbeitgeber innerhalb der Zwei-Wochen-Frist den Zulässigkeitsantrag bei der Behörde stellt. Wird diesem Antrag stattgegeben, so muss der Arbeitgeber die beabsichtigte Kündigung unverzüglich nach Zustellung des Bescheids aussprechen.3
310
Auch für die außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten Arbeitnehmers bedarf es der vorhergehenden Zustimmung, in diesem Fall des Integrationsamts. Die Zustimmung ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen zu beantragen, vgl. § 91 Abs. 2 SGB IX. Für die Berechnung dieser Frist gelten die Grundsätze zu § 626 Abs. 2 BGB.4 Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung, so ist die Kündigung nicht verfristet, wenn sie unverzüglich nach Zugang des positiven Bescheids erfolgt, vgl. § 91 Abs. 5 SGB IX. Abweichend zu § 9 MuSchG gilt die Zustimmung als erteilt, wenn das Integrationsamt nicht innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung keine Entscheidung getroffen hat, vgl. § 91 Abs. 3 SGB IX. Es handelt sich hierbei um eine Zustimmungsfiktion in Form eines Verwaltungsakts durch Unterlassen.5 Der Arbeitgeber kann nach Ablauf der Frist die Kündigung aussprechen, was nach § 91 Abs. 5 SGB IX wiederum unverzüglich erfolgen
311
nis der für die Kündigung maßgebenden Umstände das Verfahren einleiten, will er nach Ablauf der Frist noch am letzten Tag kündigen.
1 BAG v. 18.8.1977 – 2 ABR 19/77, DB 1978, 109; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 847; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGb Rz. 222b. 2 BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 57/05, NZA-RR 2006, 440. 3 BAG v. 11.9.1979 – 6 AZR 753/78, DB 1980, 355; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 79, 112; Stahlhacke, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1404. 4 VG Oldenburg v. 21.1.2003 – 13 A 3791/02, Behindertenrecht 2003, 226. 5 KDZ/Zwanziger, § 91 SGB IX Rz. 12.
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Teil 1 Rz. 312
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
muss. Maßgebend ist nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 3 SGB IX, ob das Integrationsamt die Entscheidung innerhalb der Frist getroffen hat, nicht, ob sie schon zugegangen oder gar zugestellt ist.1 312
" Praxistipp: Für den Arbeitgeber ist wichtig, den Ablauf der Frist für die Ent-
scheidung des Integrationsamts genau bestimmen zu können, da er unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung die Kündigung aussprechen muss. Nach dem Eingang des Antrags und dem Ablauf von zwei Wochen sollte er sich daher bei der Behörde zumindest fernmündlich erkundigen, ob eine Entscheidung ergangen ist und bejahendenfalls alsbald die nächsten Schritte einleiten.
ff) Rechtsfolgen bei Fristversäumnis 313
Ist die Zwei-Wochen-Frist abgelaufen, so ist eine außerordentliche Kündigung verfristet. Nach Ablauf der zwei Wochen greift die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung ein, dass auch ein möglicherweise erheblicher wichtiger Grund nicht mehr geeignet ist, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen.2 Das Recht der außerordentlichen Kündigung ist bzgl. des jeweiligen Vorfalls verwirkt.
314
Bei § 626 Abs. 2 BGB handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist für die Kündigungserklärung.3 Daher ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233 ff. ZPO nicht möglich.4
315
Scheitert die außerordentliche Kündigung an der Frist des § 626 Abs. 2 BGB, so kann der „verfristete“ Kündigungsgrund gleichwohl zum Anlass für eine ordentliche Kündigung genommen werden. Die Ausschlussfrist findet nur Anwendung bei der außerordentlichen Kündigung.5 Auch in Betracht kommt grds. eine Umdeutung der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung. b) Mandatsträger
316
Betriebsrat und Arbeitgeber haben oft verschiedene Ansichten, was die Herangehensweise an betriebliche Angelegenheiten angeht. Das liegt daran, dass der Betriebsrat von den Arbeitnehmern gewählt wird und deren Interessen gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen hat. § 15 KSchG bezweckt daher den Schutz der Organe der Betriebsverfassung, dass diese ihre Tätigkeit möglichst unabhängig ohne Furcht vor Entlassungen ausüben können und sie in ihrer personellen Zusammensetzung für die Dauer ihrer Wahlperiode möglichst unver1 Vgl. BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 720/93, NZA 1994, 1030; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 340. 2 BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, DB 1973, 481; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 313; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 836. 3 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 313; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 224. 4 BAG v. 28.10.1971 – 2 AZR 32/71, DB 1972, 147; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 221; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 836. 5 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, NZA 2003, 795; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 283.
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Mues
Fristbindung
Rz. 322 Teil 1
ändert erhalten bleiben.1 Die Vorschrift dient aber noch weitergehend dem kollektiven Interesse der Arbeitnehmer an der unabhängigen und durch keine willkürliche Maßnahme des Arbeitgebers bedrohten Amtsführung.2 Gewährleistet wird dieser Zweck durch die fehlende Möglichkeit, einem Mitglied des Betriebsrats ordentlich zu kündigen. Dessen ordentliche Kündigung ist unabhängig vom Kündigungsgrund unzulässig und somit nichtig, vgl. § 15 Abs. 1 KSchG.
317
Gegenüber einem Mitglied der Betriebsvertretung ist also nur eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB zulässig. Neben § 15 KSchG ist auch § 103 BetrVG zu beachten, wonach die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats dessen Zustimmung bedürfen. Im Rahmen dieses Verfahrens sind besondere Fristen zu beachten.
318
Zwischen § 626 Abs. 2 BGB und § 103 BetrVG besteht eine Wechselwirkung, es kommt zu einer Verbindung individualrechtlicher und kollektivrechtlicher Elemente.3 Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt grds. auch im Rahmen des § 103 BetrVG. Sie wird weder durch das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat unterbrochen noch um dessen Äußerungsfrist verlängert.
319
Eine außerordentliche Kündigung muss daher im Regelfall innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der relevanten Tatsachen erfolgen. Innerhalb dieser Frist muss der Arbeitgeber den Betriebsrat informieren und zur Zustimmung auffordern. Stimmt der Betriebsrat zu, so muss der Arbeitgeber die Kündigung noch innerhalb der ursprünglichen Frist erklären.4 Zwar ergibt sich aus dem Gesetz keine Äußerungsfrist für den Betriebsrat. Es entspricht aber allgemeiner Ansicht, dass diese Frist im Gleichlauf mit § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG drei Tage beträgt.5
320
Der Arbeitgeber muss die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats beim Arbeitsgericht beantragen, sofern der Betriebsrat die Zustimmung ausdrücklich verweigert oder sich nicht innerhalb der Drei-Tage-Frist äußert, da die Zustimmung in diesem Fall als verweigert gilt.6 Auch der Antrag beim Arbeitsgericht muss innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgen.7 Gibt das Gericht dem Antrag statt, so ist die Kündigung unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft auszusprechen.8
321
" Praxistipp: Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat also spätestens am 10. Tag
322
nach Kenntnis der relevanten Tatsachen informieren und zur Zustimmung auffordern.9 Denn nur dann kann er nach Zustimmung des Betriebsrats ge-
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 17.2.1983 – 2 AZR 481/81, DB 1983, 1551. KDZ/Kittner/Deinert, § 15 KSchG Rz. 1. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 86. KDZ/Kittner/Deinert, § 15 KSchG Rz. 47; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 30. BAG v. 18.8.1977 – 2 ABR 19/77, DB 1978, 109; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 119; KDZ/Kittner/Deinert, § 15 KSchG Rz. 49; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 30. Ganz h.M. vgl. nur v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 121 m.w.N. BAG v. 24.4.1975 – 2 AZR 118/74, DB 1975, 1610. BAG v. 18.8.1977 – 2 ABR 19/77, DB 1978, 109; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 32; KDZ/ Kittner/Deinert, § 15 KSchG Rz. 54. BAG v. 14.10.1996 – 2 AZR 3/96, NZA 1997, 371; KR/Etzel, § 103 BetrVG Rz. 113; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 118.
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Teil 1 Rz. 323
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
mäß § 626 Abs. 2 BGB spätestens am 14. Tag die Kündigung erklären bzw. das Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten. 323
Teilt der Betriebsrat seine Zustimmung nicht innerhalb der dreitägigen Äußerungsfrist aber noch innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB mit, so ist der Arbeitgeber grds. auch dann gehalten, die Kündigung innerhalb der ursprünglichen Zwei-Wochen-Frist auszusprechen. Ist ihm dies jedoch nicht möglich, etwa weil der Betriebsrat seine Zustimmung erst kurz vor Ende der Ausschlussfrist erklärt hat, so ist zur Fristwahrung ausreichend aber auch erforderlich, dass der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich nach Zugang der Zustimmung erklärt.1
324
Der Betriebsrat kann seine Zustimmung auch noch nachträglich erteilen, wenn das Zustimmungsersetzungsverfahren bereits eingeleitet worden ist. Denn der Betriebsrat bleibt trotz eines zwischenzeitlich eingeleiteten Zustimmungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG stets Herr des außergerichtlichen Verfahrens nach § 103 Abs. 1 BetrVG. In diesem Fall wird das laufende Zustimmungsersetzungsverfahren gegenstandslos.2 Der Arbeitgeber kann und muss die Kündigung dann unverzüglich nach Zugang der Zustimmung erklären.3 Überblick zu den Verfahrensschritten:4
325
326
327
328
1. Der Arbeitgeber muss innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen sowohl den Betriebsrat informieren und zur Zustimmung auffordern als auch, wenn die Zustimmung erteilt wird, die Kündigung aussprechen. 2. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung oder äußert er sich nicht innerhalb von drei Tagen ab Information, muss der Arbeitgeber immer noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist Antrag auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht stellen. Nach Rechtskraft des zustimmungsersetzenden Beschlusses muss die Kündigung unverzüglich ausgesprochen werden. 3. Erteilt der Betriebsrat nachträglich seine Zustimmung, wird ein bereits eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren gegenstandslos. Die beabsichtigte Kündigung kann – wie im Fall der Ersetzung – unverzüglich ausgesprochen werden. Versäumt der Arbeitgeber die Ausschlussfrist, so gelten die zu § 626 Abs. 2 BGB aufgestellten Erwägungen. Der Arbeitgeber verwirkt bzgl. der vorgetragenen Gründe sein Kündigungsrecht. Ein späterer Ersetzungsantrag ist unbegründet.5 Eine danach ausgesprochene Kündigung ist nichtig. Da die ordentliche Kündigung im Regelfall nach § 15 Abs. 1 KSchG ausgeschlossen ist, kann sich der Ar-
1 KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 30. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 KSchG Rz. 122. 3 BAG v. 17.9.1981 – 2 AZR 402/79, DB 1982, 2041; KDZ/Kittner/Deinert, § 15 KSchG Rz. 54. 4 Vollständige Darstellung bei v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 87. 5 BAG v. 22.1.1987 – 2 ABR 6/86, NZA 1987, 563; v. 7.5.1986 – 2 ABR 27/85, NZA 1986, 719.
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Fristbindung
Rz. 335 Teil 1
beitgeber aufgrund des in Rede stehenden Vorfalls in der laufenden Wahlperiode nicht mehr von dem Arbeitnehmer trennen. c) Massenentlassung Will der Arbeitgeber eine größere Anzahl von Arbeitnehmern entlassen, entsteht bei der Arbeitsagentur erhöhter Vermittlungsbedarf, sodass zu befürchten steht, dass nicht alle gekündigten Arbeitnehmer sofort eine Anschlussbeschäftigung finden. Die §§ 17 ff. KSchG dienen daher dem Schutz der Arbeitnehmer vor den Folgen von Massenentlassungen.1
329
Zu diesem Zweck besteht für den Arbeitgeber bei Überschreiten der in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG genannten Entlassungen die Pflicht zur Anzeige bei der Agentur für Arbeit. Diese Anzeige setzt gemäß § 18 Abs. 1 KSchG eine Sperrfrist von einem Monat in Gang, innerhalb derer Entlassungen nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam werden. Nach Ablauf der Sperrfrist können Entlassungen ohne Weiteres vorgenommen werden.
330
In diesem Zusammenhang statuiert § 18 Abs. 4 KSchG, dass Entlassungen innerhalb von 90 Tagen nach dem Ende der Sperrfrist bzw. einem früher oder später durch die Agentur für Arbeit zugestimmten Termin durchgeführt werden müssen, da es ansonsten einer erneuten Anzeige bedarf.
331
Zweck dieser sog. „Freifrist“ ist es, sicherzustellen, dass die angezeigten Entlassungen nicht zu unvorhergesehenen Terminen erfolgen und dadurch Unsicherheiten für die Agenturen für Arbeit bei der Planung und Organisation von Vermittlungsmaßnahmen begründet werden.2
332
Ursprünglich wurde der Begriff der „Entlassung“ i.R.d. §§ 17, 18 KSchG so verstanden, dass hierunter die rechtliche Beendigung, also das tatsächliche Ausscheiden des Arbeitnehmers, zu verstehen war.3
333
Die weitere Anwendung des § 18 Abs. 4 KSchG ist unter dem geänderten Verständnis zu den §§ 17, 18 KSchG fraglich. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 27.1.20054 („Junk“) klargestellt, dass in europarechtskonformer Auslegung unter „Entlassung“ die Kündigungserklärung des Arbeitgebers zu verstehen ist. Diese Interpretation, die sich nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt5, vertritt auch das BAG nunmehr seit dem Jahr 2006.6
334
Sieht man in der Entlassung die Kündigungserklärung, so müsste diese dem Arbeitnehmer innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt zugehen, zu dem sie nach § 18 Abs. 1 KSchG wirksam wird, was keinen Sinn ergibt. Daher wird teil-
335
1 KR/Weigand, § 7 KSchG Rz. 7; APS/Moll, vor § 17 KSchG Rz. 10 ff.; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 2. 2 APS/Moll, § 18 KSchG Rz. 37 m.w.N.; Steike DB 1995, 674. 3 Vgl. nur BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766 mit Nachweisen aus der Literatur. 4 EuGH v. 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 213. 5 Vgl. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 6n. 6 Vgl. BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971.
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Teil 1 Rz. 336
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
weise vertreten, die Vorschrift sei gänzlich obsolet geworden.1 Auch sei die Vorschrift nicht mehr erforderlich, da der Information der Agentur für Arbeit mit der Anzeige vor Ausspruch der Kündigungen und der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG genüge getan sei.2 336
Nach anderer Ansicht soll § 18 Abs. 4 KSchG entsprechend dem neuen Verständnis der Entlassung und unter Außerachtlassen des Verweises auf Abs. 1 dahingehend zu verstehen sein, dass der Arbeitgeber die angezeigten Kündigungen innerhalb von 90 Tagen nach der Anzeige an die Agentur für Arbeit erklären müsse.3 Die Vorschrift soll also teleologisch zu reduzieren sein.4 Hierfür spricht, dass dadurch entsprechend dem ursprünglichen Zweck der Vorschrift vermieden werden kann, dass die Vermittlungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit vergeblich erfolgen, da die Kündigungserklärung erst weitaus später als die Anzeige erfolgt.
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" Praxistipp: Bis die Unklarheiten über den verbleibenden Anwendungs-
338
Die 90-Tage-Frist berechnet sich entsprechend § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 ff. BGB. Die Freifrist endet danach mit Ablauf des 90. Tages, der sich an den Tag der Anzeige an die Agentur für Arbeit anschließt.
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Erfolgt die Kündigung erst nach Ablauf der 90-Tage-Frist, so muss der Arbeitgeber erneut eine Anzeige vornehmen, soweit der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht wird.5 Die Anzeige kann bereits während der Freifrist erfolgen.
bereich des § 18 Abs. 4 KSchG ausgeräumt sind, sollten Kündigungen im Zweifel innerhalb der Frist von 90 Tagen ab Anzeige bei der Agentur für Arbeit erklärt werden. Der Zugang der Kündigungserklärung muss in die Freifrist fallen.
2. Vertragliche Fristen 340
Arbeitgeber und Arbeitnehmer steht es im Rahmen der Arbeitsvertragsverhandlungen grundsätzlich frei, abweichende Fristen für den Ausspruch einer Kündigung zu vereinbaren und so das eigene Interesse an Gewissheit über den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses individuell zu fixieren. Die Vereinbarung einer zeitlichen Ausschlussfrist für die Kündigungserklärung des Arbeitgebers ist für den Arbeitnehmer in der Regel eine günstige Vereinbarung, weswegen auch im Hinblick auf den Schutz des Arbeitnehmers als übergeordnete Ratio des Kündigungsrechts keine Bedenken bestehen.
1 KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 34; Dornbusch/Wolff BB 2005, 885 (887); vgl. ebenso die Durchführungsanweisung der Agentur für Arbeit, DA KSchG Stand 06/2005 18.41. 2 MüKo/Hergenröder, § 18 KSchG Rz. 17. 3 APS/Moll, § 18 KSchG Rz. 38; Bauer/Krieger/Powietzka BB 2006, 2023 (2026); Boemke EAS B 7100 Rz. 87; Dzida/Hohenstatt DB 2006, 1897 (1901); HaKo/Pfeiffer § 18 KSchG Rz. 19; MüArbR/Eckhoff, § 47 Rz. 101. 4 Das BAG weist in seiner Entscheidung vom 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971 auf diese Möglichkeit hin; allerdings ohne dies näher zu erläutern. 5 APS/Moll, § 18 KSchG Rz. 40; KDZ/Kittner/Deinert, § 18 KSchG Rz. 19.
62
Mues
Zustimmungserfordernisse
Rz. 346 Teil 1
So ist es Arbeitgeber und Arbeitnehmer z.B. möglich, für die ordentliche Kündigung eine Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen zu vereinbaren. Zu beachten sind hierbei die §§ 305 ff. BGB, sofern die Klausel nicht – wie in der überwiegenden Mehrheit der Fälle – individuell ausgehandelt worden ist. Dann ist darauf zu achten, die Klausel im Hinblick auf die Seltenheit ihres Erscheinens mit einer eindeutigen Überschrift zu versehen und unmissverständlich zu formulieren.
341
Grenzen findet diese Vereinbarungsfreiheit jedoch durch gesetzliche Bestimmungen. So entspricht es allgemeiner Ansicht, dass die gesetzlich normierten Ausschlussfristen beidseitig zwingendes Recht darstellen und nicht disponibel sind.
342
Die 2-Wochen-Frist zur außerordentlichen Kündigung kann daher nicht durch Parteivereinbarung ausgeschlossen oder abgeändert werden.1 § 626 Abs. 2 BGB kommt eine doppelte Schutzfunktion zu; einerseits Schutz vor übereilten Kündigungen und andererseits Schutz des sich durch Zeitablauf bildenden Vertrauens. Würde von der gesetzlichen Regelung abgewichen, könnte sich sowohl eine Verlängerung als auch eine Verkürzung der Frist im konkreten Fall für den Arbeitnehmer nachteilig auswirken.2
343
Auch die Freifrist nach § 18 Abs. 4 KSchG kann – im Unterschied zur Sperrfrist nach Abs. 1 – weder abgekürzt noch verlängert werden.3
344
3. Fristen aus Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen Auch im Rahmen kollektiver Verträge ist es möglich, zeitliche Fristen für den Ausspruch einer Kündigung zu vereinbaren und dadurch eine betriebs- bzw. unternehmenseinheitliche Ausschlussfrist für arbeitgeberseitige Kündigungen festzuschreiben. Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge finden wie individualvertragliche Abreden ihre Grenzen in den übergeordneten gesetzlichen Regelungen. So ist auch die tarifvertragliche Abänderung der Auslauffrist des § 626 Abs. 2 BGB unzulässig.4
345
VI. Zustimmungserfordernisse 1. Gesetzliche Regelungen Im Normalfall der ordentlichen Kündigung ist es die alleinige Entscheidung des Arbeitgebers, ob er einen Arbeitnehmer kündigen möchte. Sofern er sich im Geltungsbereich des KSchG befindet, benötigt er hierfür nur einen Grund, der entweder aus dem betrieblichen, personbedingten oder verhaltensbedingten Be1 BAG v. 12.3.1973 – 2 AZR 116/72, DB 1973, 1258; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 317; MüKo/Henssler, § 626 BGB Rz. 316; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 837. 2 ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 220. 3 APS/Moll § 18 KSchG Rz. 39; KDZ/Kittner/Deinert, § 18 KSchG Rz. 18; v. HoyningenHuene/Linck, § 18 KSchG Rz. 23; Löwisch/Spinner, § 18 KSchG Rz. 16. 4 Vgl. APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 120; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 220; KR/ Fischermeier, § 626 BGB Rz. 318; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 837; a.A. Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 442; MüKo/Henssler § 626 Rz. 316.
Mues
63
346
Teil 1 Rz. 347
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
reich herrührt. Die Wirksamkeit der Kündigung beurteilt sich ansonsten nur nach den allgemeinen Anforderungen. 347
Im Übrigen bedarf es grds. keiner Mitwirkung eines Dritten um der Kündigung zur Wirksamkeit zu verhelfen.
348
In einzelnen Fällen knüpft jedoch das Gesetz an die Kündigung bestimmter Personengruppen einen Zustimmungsvorbehalt, der in den meisten Fällen aus der besonderen Schutzwürdigkeit dieser Arbeitnehmer herrührt. Die Vereinbarung eines Zustimmungserfordernisses ist auch im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder durch kollektive Vereinbarungen in Form einer Betriebsvereinbarung bzw. eines Tarifvertrags möglich.
349
Abzugrenzen sind die in diesem Zusammenhang besprochenen Zustimmungserfordernisse von anderen weniger schneidigen Mitwirkungsrechten Dritter. Anschaulich wird dies an den Rechten des Betriebsrats, dem durch das BetrVG eine Vielzahl von Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten unterschiedlicher Intensität eingeräumt wird. Diese reichen von reinen Informationsrechten (z.B. § 80 Abs. 2 BetrVG) über Widerspruchs- und Zustimmungsverweigerungsrechte (z.B. § 102 BetrVG) bis zu „echten“ Mitbestimmungsmöglichkeiten (z.B. § 87 BetrVG). a) Schwerbehinderte
350
Die Kündigung eines Schwerbehinderten Arbeitnehmers bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamts, vgl. § 85 SGB IX. Diese Zustimmung ist eine öffentlich-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung präventiver Art, die die Ausübung des Kündigungsrechts durch den Arbeitgeber einer vorherigen staatlichen Kontrolle unterwirft, um bereits im Vorfeld der Kündigung die besonderen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen.1 Eine Heilung des Verstoßes durch spätere Genehmigung ist daher nicht möglich. Ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts ist die erklärte Kündigung unheilbar nichtig.2
351
Das Zustimmungserfordernis im Rahmen von § 85 SGB IX gilt für alle Arten von Kündigungen.3 Ob eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung vorliegt, hat lediglich Auswirkungen auf die Fristen für den Antrag des Arbeitgebers an das Integrationsamt, dessen Entscheidung und die sich daran anschließende Kündigungserklärungsfrist.
352
Das Verfahren für die ordentliche Kündigung ist in § 88 SGB IX festgelegt. Das Integrationsamt hat den Antrag im Regelfall innerhalb eines Monats zu bescheiden, vgl. § 88 Abs. 1 SGB IX. Der Arbeitgeber muss sodann ab Zustellung dieses sog. „Negativattests“ nach § 88 Abs. 3 SGB IX innerhalb eines Monats die Kündigung aussprechen.
1 ErfK/Rolfs, § 85 SGB IX Rz. 1. 2 BAG v. 19.1.1983 – 7 AZR 44/81, DB 1983, 1154. 3 KDZ/Zwanziger, § 85 SGB IX Rz. 8; KR/Etzel, § 85–90 SGB IX Rz. 5.
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Mues
Zustimmungserfordernisse
Rz. 357 Teil 1
Beabsichtigt der Arbeitgeber den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, so richtet sich das Zustimmungsverfahren nach § 91 SGB IX. Der Arbeitgeber muss die Zustimmung innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen beantragen, vgl. § 91 Abs. 2 SGB IX. Das Integrationsamt hat dann gemäß § 91 Abs. 3 SGB IX innerhalb von zwei Wochen ab Zugang über den Antrag entscheiden, wobei nach dieser Frist – anders als bei der ordentlichen Kündigung – die Zustimmung fingiert wird. Hat der Arbeitgeber – ggf. auch durch formlose Mitteilung – Kenntnis von der Zustimmung des Integrationsamts erlangt, muss er die Kündigung unverzüglich aussprechen, vgl. § 91 Abs. 5 SGB IX. Die kürzeren Fristen i.R.d. § 91 SGB IX tragen dem Interesse des Arbeitgebers an einer schnellen Entscheidung in den Fällen der außerordentlichen Kündigung Rechnung.1
353
Das Zustimmungserfordernis nach § 85 SGB IX steht nicht in Konkurrenz zu anderen Formen des besonderen Kündigungsschutzes.2 Die Verfahren des MuSchG, des BEEG und § 103 BetrVG können also neben dem Zustimmungsverfahren nach SGB IX betrieben werden.
354
b) Schwangere Für Schwangere gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Dadurch soll die werdende Mutter im eigenen und im Interesse ihres Kindes vor Unsicherheiten des Arbeitsplatzes geschützt werden.3 Diese Ziele verfolgt das MuSchG durch ein temporäres Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt, das sich aus § 9 Abs. 1, 3 MuSchG ergibt.
355
Das Kündigungsverbot nach § 9 Abs. 1 MuSchG umfasst jede Kündigung durch den Arbeitgeber. Erfasst sind deshalb Beendigungs- und Änderungskündigung, ordentliche und außerordentliche Kündigung und Kündigung in der Insolvenz.4 In Ausnahmefällen – die nicht mit der Schwangerschaft an sich in Zusammenhang stehen – kann eine Kündigung jedoch nach § 9 Abs. 3 MuSchG als zulässig erklärt werden. Ein solcher besonderer Fall liegt nur vor, wenn außergewöhnliche Umstände es rechtfertigen, die vom Gesetz als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers zurücktreten zu lassen.5 Solche Gründe können beispielsweise im persönlichen Verhalten der Frau liegen, etwa schwere Pflichtverstöße wie Straftaten im Betrieb oder die beharrliche – wiederholte – Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten.
356
Für den Zustimmungsantrag durch den Arbeitgeber bedarf es – außer im Fall der außerordentlichen Kündigung, vgl. § 626 Abs. 2 BGB – keiner einzuhaltenden Frist. Das ergibt sich bereits daraus, dass regelmäßig nicht die Schwangerschaft
357
1 KDZ/Zwanziger, § 85 SGB IX Rz. 1. 2 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783 zu § 9 MuSchG für das Verhältnis zu § 18 BerzGG; KDZ/Zwanziger, § 85 SGB IX Rz. 45. 3 KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 1. 4 ErfK/Schlachter, § 9 MuSschG Rz. 4; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 69; MüArbR/Schulte, § 42 Rz. 18. 5 BVerwG v. 18.8.1977 – V C 8.77, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968; zum Ausnahmecharakter der Vorschrift siehe ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 12.
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Teil 1 Rz. 358
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Anknüpfungspunkt der Kündigung ist, sondern andere Gründe. Deren Geltendmachung ist innerhalb der Grenzen der Verwirkung möglich. 358
Die Kündigungserklärung ist erst nach positiver Entscheidung der Behörde möglich; fehlt sie, ist die trotzdem ausgesprochene Kündigung unheilbar nichtig.1 Ein bloßes Negativattest – die Mitteilung der Behörde, die Kündigung bedürfe keiner Zustimmung – reicht nicht aus.2 Eine Kündigung unter der Bedingung der nachträglichen Zulässigkeitserklärung ist unzulässig. Zu beachten ist, dass die Kündigung einer Schwangeren nach § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG zusätzlich zur Schriftform (der alle Kündigungen unterliegen, § 623 BGB) der Angabe des Kündigungsgrundes bedarf. Diese Begründungspflicht dient der Information der Arbeitnehmerin, die bereits mit dem Kündigungsschreiben erfahren soll, aufgrund welchen Sachverhalts und aufgrund welcher hierdurch veranlassten Erwägungen des Arbeitgebers ihr gekündigt wird.3
359
§ 9 Abs. 3 MuSchG tritt neben andere Vorschriften des besonderen Kündigungsschutzes.4 c) Betriebsräte
360
Auch zur Kündigung eines Arbeitnehmers, der ein Betriebsratsamt innehat, bedarf der Arbeitgeber einer vorherigen Zustimmung. Der Zustimmungsvorbehalt dient i.R.d. § 103 BetrVG dem Schutz der Amtsführung im Rahmen der Betriebsverfassung und damit der Kontinuität und Funktionsfähigkeit der Tätigkeit der Betriebsverfassungsorgane, dem Schutz der Arbeitnehmer vor der Ausschaltung ihrer gewählten Vertreter und dem Schutz der gewählten Vertreter vor Repressalien des Arbeitgebers wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit.5
361
§ 103 BetrVG ist Bestandteil einer komplexen Gesamtregelung des besonderen Kündigungsschutzes für Betriebsratsmitglieder.6 § 15 KSchG schließt die Möglichkeit des Arbeitgebers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Mandatsträgers durch ordentliche Kündigung außerhalb der Stilllegung des Betriebes oder einer Betriebsabteilung generell aus und beschränkt diese Möglichkeit auf eine eventuelle außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Die materielle Berechtigung dieser außerordentlichen Kündigung wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ergibt sich aus § 626 BGB. Nach § 103 BetrVG ist die Erklärung der außerordentlichen Kündigung an die vorherige Zustimmung des Betriebsrats gekoppelt und legt dem Arbeitgeber auf, sie für den Fall der Verweigerung vor Kündigungsausspruch durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen.
362
Das Zustimmungserfordernis gilt ausnahmslos bei allen fristlosen Kündigungen, also auch für die außerordentliche Änderungskündigung und die fristlose arbeitskampfbedingte Kündigung.7 Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat inner1 BAG v. 29.7.1968 – 2 AZR 363/67, DB 1968, 1632. 2 BAG v. 28.1.1965 – 2 AZR 29/64, DB 1965, 824; KR/Bader § 9 MuSchG Rz. 118; im Ergebnis wohl auch zust. APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 68. 3 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 132c. 4 ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 1; KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 56. 5 Fitting, § 103 Rz. 1; GK-BetrVG/Raab, § 103 Rz. 1. 6 Vgl. DKK/Bachner, § 103 Rz. 1. 7 KDZ/Kittner, § 103 BetrVG Rz. 25.
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Zustimmungserfordernisse
Rz. 367 Teil 1
halb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach Kenntnis aller kündigungsrelevanten Umstände die notwendigen Informationen zuzuleiten und zur Zustimmung aufzufordern. Dem Betriebsrat bleiben dann drei Werktage Zeit, sich zu der Kündigung zu äußern. Tut er das nicht, so gilt die Zustimmung als verweigert. In diesem Fall – und wenn der Betriebsrat die Zustimmung ausdrücklich verweigert hat – muss der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats beim Arbeitsgericht ersetzen lassen, wobei die ursprüngliche ZweiWochen-Frist einzuhalten bleibt.1 Kündigt der Arbeitgeber, ohne die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt zu haben, ist die Kündigung nichtig, nicht nur schwebend unwirksam.2 Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber die Drei-Tages-Frist zur Äußerung des Betriebsrats nicht abgewartet hat.3
363
d) Weitere Personengruppen Auch bei anderen besonders geschützten Personengruppen ist die Wirksamkeit der Arbeitgeberkündigung abhängig von der vorherigen Zustimmung eines Dritten.
364
aa) Elternzeitberechtigte Grundlage für den Sonderkündigungsschutz dieses Personenkreises ist das Gesetz zum Elterngeld und der Elternzeit vom 5.12.2006 (BEEG). Nach § 18 BEEG besteht der Sonderkündigungsschutz unabhängig davon, in welchem Umfang Elternzeit in Anspruch genommen wird. Der besondere Kündigungsschutz gilt daher gleichsam für Personen, die weiterhin in Teilzeit bei demselben Arbeitgeber tätig sind. Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, höchstens jedoch acht Wochen vor Beginn der Elternzeit, und während der Elternzeit nicht kündigen, vgl. § 18 Abs. 1 BEEG.
365
Eine Kündigung ist nach§ 18 Abs. 1 Satz 2, 3 BEEG nur im Ausnahmefall möglich, wenn die Erlaubnis der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde vorliegt. Ein besonderer Fall ist anzunehmen, wenn außergewöhnliche Umstände es verlangen, dass die vom Gesetzgeber grds. als vorrangig angesehenen Interessen des Arbeitnehmers in Elternzeit hinter die Belange des Arbeitgebers zurücktreten.4 Die Voraussetzungen besonderer Fälle sind beispielhaft in der nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit vom 3.1.2007 (AVV) erläutert.5
366
Die Zulässigkeitserklärung ist vom Arbeitgeber bei der Behörde schriftlich und mit Begründung versehen zu beantragen, vgl. § 4 Satz 1 AVV. Die Behörde hat
367
1 2 3 4 5
Vgl. KDZ/Kittner, § 103 BetrVG Rz. 31. BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 163/75, DB 1976, 1337. BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, DB 1997, 1285. VG München v. 29.5.2008 – M 15 K 07.245 (n.v.) zitiert nach juris. Zu finden unter: www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de.
Mues
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Teil 1 Rz. 368
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
ihre Entscheidung unverzüglich zu treffen, nachdem sie den betroffenen Arbeitnehmer und ggf. den Betriebsrat angehört hat, vgl. §§ 5, 7 AVV. bb) Pflegezeitberechtigte 368
Auch der Pflegezeitberechtigte genießt einen besonderen Kündigungsschutz, der ihm die Möglichkeit einräumen soll, unbeeinflusst von der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen.1
369
Der Kündigungsschutz Pflegezeitberechtigter ist ähnlich wie der besondere Kündigungsschutz des Elternzeitberechtigten nach § 18 BEEG ausgestaltet. Während der Pflegezeit ist eine Kündigung des Betroffenen unzulässig, vgl. § 5 Abs. 1 PflegeZG. Die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann eine Kündigung in besonderen Fällen ausnahmsweise für zulässig erklären, § 5 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG. Einen solchen besonderen Fall kann ausweislich der Gesetzesbegründung2 beispielsweise die Betriebsstilllegung während der Pflegezeit darstellen. Eine Verwaltungsvorschrift hierzu gibt es im Unterschied zu § 18 Abs. 4 Satz 4 BEEG (noch) nicht. 2. Betriebsvereinbarungen/Tarifverträge
370
Nicht nur an mehreren Stellen im Gesetz finden sich Regelungen, die eine Kündigung des Arbeitgebers von der Zustimmung eines Dritten abhängig machen. Auch im Rahmen kollektiver Verträge besteht oftmals der Wunsch, Arbeitnehmer, die aus unterschiedlichen Gründen als besonders schutzwürdig erachtet werden, besserzustellen und deren Entlassung an die Zustimmung Dritter zu binden.
371
Die Koppelung von Kündigungen an eine Zustimmung der Arbeitnehmervertretung ist für Arbeitgeber vor allem im Rahmen von Standortsicherungsvereinbarungen, Sozialplänen oder Rationalisierungsschutzabkommen interessant, wenn für ihn die Vereinbarung des völligen Ausschlusses ordentlicher Kündigungen aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verhandlungsmasse gehört. Als Minusmaßnahme kann im Interessenausgleich der Arbeitnehmervertretung ein gewisses Mitspracherecht eingeräumt werden, wenn spätere Kündigungen unvermeidbar erscheinen.
372
Überwiegend für zulässig wird angesehen, dass durch Tarifvertrag die Zulässigkeit von Kündigungen an die Zustimmung des Betriebsrats geknüpft wird.3 Das gilt auch für die außerordentliche Kündigung. Ebenso berechtigt die Tarifautonomie dazu eine nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats zuzulas-
1 MüArbR/Schulte, § 42 Rz. 43. 2 BR-Drs. 718/07 S. 224. 3 St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 28/03, NZA 2004, 371; v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271 m.w.N.; ebenso Fitting, § 102 Rz. 132; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 244; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 370; ablehnend GK-BetrVG/Kraft/ Raab, vor § 92 Rz. 22; HSWGN/Schlochauer, Rz. 198.
68
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Zustimmungserfordernisse
Rz. 376 Teil 1
sen.1 Bei einer außerordentlichen Kündigung muss die Frist für das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat jedoch kürzer sein als die Frist des § 626 Abs. 2 BGB, sodass das Zustimmungsverfahren noch innerhalb der ZweiWochen-Frist abgeschlossen ist. Eine längere Frist würde dem Zweck des § 626 Abs. 2 BGB widersprechen. In diesen Fällen ist die ohne Zustimmung des Betriebsrats erklärte Kündigung zunächst schwebend unwirksam und wird mit Nachholung der Zustimmung rückwirkend wirksam. Dadurch ist eine Wiederholungskündigung entbehrlich. Aufgrund der ungewissen Lage des Arbeitnehmers während der schwebenden Unwirksamkeit ist dieser jedoch so zu stellen, als ob die Kündigung erst im Zeitpunkt der Zustimmung wirksam geworden wäre. Die Frist für die Kündigungsschutzklage beginnt dann in entsprechender Anwendung des § 4 Satz 4 KSchG mit Kenntnis von der Zustimmung des Betriebsrats.2
" Praxistipp: In dieser Konstellation herrscht nicht nur für den Arbeitnehmer
373
Auch in einer Betriebsvereinbarung ist die Vereinbarung eines Zustimmungsvorbehalts für die Wirksamkeit sämtlicher Kündigungen möglich.3 Das ergibt sich aus § 102 Abs. 6 BetrVG. Einschränkend kann festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen der Betriebsrat die Zustimmung nur verweigern kann.4
374
Weiterhin kann in einer Betriebsvereinbarung – wie auch durch Tarifvertrag – die nachträgliche Zustimmung durch den Betriebsrat vereinbart werden.5 Aus den o.g. Gründen ist eine solche Vereinbarung jedoch selten erstrebenswert.
375
Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob das Erfordernis der Zustimmung des Betriebsrats auch ohne Einschaltung der Einigungsstelle vereinbart werden und dem Betriebsrat dadurch ein echtes „Vetorecht“ eingeräumt werden kann. Teilweise wird im Umkehrschluss aus § 102 Abs. 6 BetrVG gefolgert, die Anrufung der Einigungsstelle sei in jedem Fall verbindlich.6 Jedoch ist zu beachten,
376
Unsicherheit. Auch der Arbeitgeber ist in mehrfacher Hinsicht in einer ungewissen Lage. Zunächst ist im Zeitpunkt der Kündigung nicht klar, ob sich der Aufwand für Zusammenstellung und Erstellung des Kündigungsschreibens gelohnt hat, da der Betriebsrat im Nachhinein die Zustimmung verweigern kann. Ebenso wenig sind zu diesem Zeitpunkt Kündigungs- und Klagefrist kalkulierbar, da diese erst ab Zustimmung des Betriebsrats und Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer zu laufen beginnen. Von der Vereinbarung eines nachträglichen Zustimmungserfordernisses ist daher abzuraten.
1 BAG v. 23.11.1955 – 1 AZR 95/55, AP Nr. 1 zu § 184 BGB; zust. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 250; Galperin/Löwisch, Rz. 129. 2 Ausführlich dazu KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 250; Richardi/Thüsing, § 102 Rz. 297 zur Vereinbarung der nachträglichen Zustimmung in einer Betriebsvereinbarung. 3 Fitting, § 102 Rz. 124 m.w.N. 4 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 249a, Matthes, FA 2004, 354. 5 Galperin/Löwisch, § 102 Rz. 129; GK-BetrVG/Raab, § 102 Rz. 206; HaKo/Nägele, § 102 BetrVG Rz. 235; Richardi/Thüsing, § 102 Rz. 296. 6 Fitting, § 102 Rz. 126; GK-BetrVG/Raab, § 102 Rz. 208; Galperin/Löwisch, § 102 Rz. 130; HSWGN/Schlochauer, § 102 Rz. 200; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 252.
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Teil 1 Rz. 377
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
dass die Zustimmungsvereinbarung auf einer freiwilligen Betriebsvereinbarung beruht, durch die noch weitergehende Regelungen – etwa der völlige Ausschluss von ordentlichen Kündigungen – getroffen werden können. Als Minusmaßnahme muss es den Betriebsparteien daher möglich sein, Vereinbarungen zu treffen, inwieweit sie die Einigungsstelle in das Kündigungsverfahren einbinden möchten.1 Aus demselben Grund steht es auch zur Disposition der Vertragsparteien, ob sie für sich den Spruch der Einigungsstelle als verbindlich vereinbaren und das Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht ausschließen. 377
Im Gegensatz zu den Befugnissen des Betriebsrats lassen sich die Beteiligungsrechte des Personalrats grds. nicht erweitern. Dem stehen die §§ 3, 97 BPersVG entgegen, die entsprechende tarifliche Vereinbarungen ausdrücklich untersagen. 3. Vertragliche Vereinbarungen
378
Für die individualvertragliche Vereinbarung eines zusätzlichen Zustimmungserfordernisses gelten im Wesentlichen dieselben Erwägungen, wie für entsprechende Klauseln in Kollektivvereinbarungen.
379
Diese Regelung wirkt regelmäßig günstig für den Arbeitnehmer, da neben dem Arbeitgeber noch eine zusätzliche Instanz die Kündigung und deren jeweiligen Umstände zu beurteilen hat und ggf. vermittelnd tätig werden kann, so dass die Vereinbarung eines solchen vorherigen Zustimmungserfordernisses grds. rechtmäßig ist.2
380
Regelungsgegenstand ist weniger die Bindung der Kündigung an die Zustimmung eines echten Dritten3, sondern es wird zumeist das Einverständnis unternehmensinterner Gremien und Funktionsträger vorausgesetzt.
381
In seiner Entscheidung vom 28.4.19944 hat das BAG die grundsätzliche Vereinbarung eines rechtsgeschäftlichen Zustimmungsvorbehalts gebilligt. Dem Fall zugrunde lag die Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers – zugleich Arbeitnehmer der GmbH – zu dessen Kündigung arbeitsvertraglich die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung erforderlich war.
382
Nicht notwendigerweise muss das Zustimmungserfordernis den offiziellen Organen der Gesellschaft wie der Gesellschafterversammlung oder Teilen des Vorstands/der Geschäftsführung zugewiesen sein. So können auch andere Gremien, wie z.B. Beiräte oder die Eigentümerversammlung eingebunden werden.
383
Unzulässig ist demgegenüber die erst nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) der ordentlichen Kündigung durch einen Dritten. Denn in diesem Fall wäre bei fehlender vorheriger Zustimmung bei Ausspruch der Kündigung völlig 1 So auch KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 371; Richardi/Thüsing, § 102 Rz. 292. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 157; Kramer, Kündigungsvereinbarungen im Arbeitsvertrag 1994, S. 63; v. Hoyningen-Huene, Anm. AR Blattei ES 1020 Nr. 336. 3 Hiergegen hat das BAG in zwei obiter dicta vom 10.11.1994 – 2 AZR 207/94, NZA 1995, 309 und vom 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, NZA 1994, 934 Bedenken angemeldet. 4 BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, NZA 1994, 934.
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Arten der Kündigung
Rz. 388 Teil 1
ungewiss, ob die Kündigung Bestand hat, was jedoch nicht mit dem Gebot der Rechtsklarheit und der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit der Kündigung zu vereinbaren wäre. Individualvertraglich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats nach § 102 BetrVG erweitern oder verkürzen.1 Dies liegt außerhalb ihrer Regelungsbefugnis.
384
VII. Arten der Kündigung Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis einseitig beenden, so bieten sich ihm verschiedene Möglichkeiten, wie er die beabsichtigte Kündigung aussprechen kann. So benennt das BGB die ordentliche und die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Neben diesen Formen der Beendigungskündigung findet sich in § 2 KSchG die Änderungskündigung, die auf die Änderung der vertraglichen Arbeitsbedingungen zielt.
385
Darüber hinaus werden in der Literatur weitere Erscheinungsformen von Kündigungen unterschieden. Hierbei handelt es sich jedoch im Prinzip um keine eigenen Kündigungsarten, sondern um Kündigungen in Bezug auf einen besonderen Sachverhalt. Gleichwohl haben sich im juristischen Sprachgebrauch besondere Termini eingestellt, unter denen die einzelnen Kündigungen im Folgenden betrachtet werden sollen.
386
1. Ordentliche und Außerordentliche Kündigung a) Ordentliche Kündigung Die ordentliche Kündigung ist der gesetzliche Regelfall der Kündigung und findet sich in § 620 Abs. 2 BGB benannt. Inhaltlich knüpft das BGB keine Voraussetzungen an die ordentliche Kündigung. Im Anwendungsbereich des KSchG ist für die Kündigung durch den Arbeitgeber jedoch weitergehend zu beachten, dass diese nur aus Gründen ausgesprochen werden darf, die nicht sozialwidrig sind. Die Kündigung ist dann nur möglich, wenn Gründe aus der betrieblichen Sphäre oder Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers bzw. in seinem Verhalten liegen, dies bedingen. Daneben unterliegt das Kündigungsrecht des Arbeitgebers in zahlreichen Fällen weiteren Beschränkungen, so z.B. aufgrund gesetzlicher Vorgaben bei Schwangeren oder Schwerbehinderten oder im Wege kollektivrechtlicher Vereinbarungen zu Gunsten älterer Arbeitnehmer, so dass in der Praxis von einem freien ordentlichen Kündigungsrecht nicht mehr gesprochen werden kann.
387
Die ordentliche Kündigung wird auch als befristete Kündigung bezeichnet. Denn die ordentliche Kündigung kann regelmäßig nur mit einer gesetzlichen, tarif- oder individualvertraglichen Auslauffrist gekündigt werden, vgl. § 622 BGB.
388
1 LAG Hamm v. 27.10.1975 – 5 Sa 755/75, ARSt 1978, 127.
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Teil 1 Rz. 389 389
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Tarifvertraglich ist es möglich, eine ordentliche Kündigung ohne Kündigungsfrist zu vereinbaren. Man spricht in diesem Fall von einer sog. sofortigen ordentlichen Kündigung.1 Auch wenn in diesem Fall bzgl. der Frist kein Unterschied zu der außerordentlichen Kündigung vorliegt, sind weiterhin die Einschränkungen für die ordentliche Kündigung (z.B. § 1 Abs. 3 KSchG) zu beachten.2 b) Außerordentliche Kündigung
390
Die außerordentliche Kündigung ist in § 626 BGB normiert. Sie ist im Regelfall dadurch gekennzeichnet, dass sie fristlos, also ohne Wahrung einer Auslauffrist erfolgt. Das Arbeitsverhältnis wird dann mit Zugang der Kündigungserklärung sofort beendet. Aufgrund dieser schwerwiegenden Rechtsfolge ist die außerordentliche Kündigung der gesetzliche Ausnahmefall und unterliegt daher weitergehenden Voraussetzungen als die ordentliche Kündigung. So bedarf es gemäß § 626 Abs. 1 BGB eines „wichtigen Grundes“, weswegen es dem Arbeitgeber unter Abwägung der Interessen beider Seiten nicht mehr zuzumuten sein darf, das Arbeitsverhältnis fortzuführen.
391
Zunehmender Bedeutung erfreut sich auch die außerordentliche Kündigung mit einer (sozialen) Auslauffrist, sog. außerordentliche befristete Kündigung. Dies gründet in verbreiteten vertraglichen oder tarifvertraglichen Regelungen über die ordentliche Unkündbarkeit von zumeist älteren Arbeitnehmern. Hierbei sollte jedoch besonders klargestellt werden, dass es sich weiterhin um eine außerordentliche Kündigung handelt. Denn der Bestimmtheitsgrundsatz fordert von der Kündigung als einseitiger Willenserklärung, dass der Kündigungsempfänger erkennen kann, welche Kündigungsart gewählt worden ist.3 2. Vorsorgliche Kündigung und Vorratskündigung
392
Unter einer vorsorglichen Kündigung werden zwei Fälle unterschieden. Zum einen kann die Kündigung „vorsorglich“, also hilfsweise, nur für den Fall erklärt werden, dass eine bereits erklärte Kündigung rechtsunwirksam sein sollte. Eine Kündigung unter diesen Voraussetzungen ist zulässig, da es sich hierbei um eine unbedingte Kündigung handelt.4 Für den Arbeitnehmer besteht kein Zustand von Rechtsunklarheit, denn für ihn ist aus der Kündigung ersichtlich, dass das Arbeitsverhältnis in jedem Fall beendet werden soll.
393
Die vorsorgliche Kündigung steht lediglich unter dem Vorbehalt, dass sie gegenstandslos wird, sofern das Arbeitsverhältnis bereits durch eine vorherige Kündigung aufgelöst worden ist. Sie ist daher nur an den Voraussetzungen des § 1 KSchG zu messen, wenn die zeitlich vorhergehende Kündigung nicht zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt hat.
394
" Praxistipp: Eine vorsorgliche Kündigung sollte erfolgen, wenn nach Ausspruch einer zeitlich vorhergehenden Kündigung neue kündigungsrelevante
1 2 3 4
Siehe hierzu BAG v. 2.8.1978 – 4 AZR 46/77, DB 1978, 2370. BAG v. 4.6.1987 – 2 AZR 416/86, NZA 1988, 52. Preis, in: Stahlhack/Preis/Vossen, Rz. 588. APS/Preis, Grundlagen D Rz. 17; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 169 m.w.N.
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Mues
Arten der Kündigung
Rz. 399 Teil 1
Tatsachen aufgetaucht sind, denn maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der Zeitpunkt des Zugangs beim Empfänger. Auch in einem anderen Fall spricht man von einer vorsorglichen Kündigung. Rechnet der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung damit, dass die ihn zur Kündigung veranlassenden Umstände u.U. noch innerhalb der Kündigungsfrist wegfallen, so besteht für ihn die Möglichkeit, sich bei Ausspruch der Kündigung vorzubehalten, die Kündigung ggf. zurückzunehmen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer sog. Vorratskündigung. Da die Rücknahme jedoch grds. unverbindlich ist, handelt es sich auch in diesem Fall um eine unbedingte Kündigung, die nach den allgemeinen Regeln durch den Arbeitnehmer anzugreifen ist.
395
3. Änderungskündigung und Abgrenzung zum Direktionsrecht Eine Änderungskündigung liegt nach § 2 KSchG vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kündigt und in diesem Zusammenhang die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen anbietet. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich bei der Änderungskündigung um ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Rechtsgeschäft, nämlich um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und das Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzuführen.1 Kündigung und Änderungsangebot müssen in engem Zusammenhang zueinander stehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Kündigung und Angebot in zeitlicher Hinsicht zusammenfallen müssen. So kann das Änderungsangebot vorausgehen und in der nachfolgenden Kündigung hierauf Bezug genommen werden. Andersherum gilt dies jedoch nicht. Erklärt der Arbeitgeber die Kündigung ohne Änderungsangebot, muss im Sinne der Rechtssicherheit von einer Beendigungskündigung ausgegangen werden.2
396
Bei der Änderungskündigung handelt es sich um eine echte Kündigung. Daher muss in der Kündigungserklärung klar zum Ausdruck kommen, dass für den Fall der Ablehnung des Änderungsangebots das Arbeitsverhältnis endet. Weiterhin sind von Arbeitgeberseite alle Voraussetzungen einer normalen Kündigung, beispielsweise die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG oder der gesamte Sonderkündigungsschutz, zu beachten.
397
Für den Fall der ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitnehmers kommt auch eine außerordentliche Änderungskündigung in Betracht, für die § 2 KSchG entsprechend Anwendung findet.3
398
Die Änderungskündigung muss von der Möglichkeit der Ausübung des Direktionsrechts abgegrenzt werden. Unter dem Direktionsrecht des Arbeitgebers versteht man das Recht, die Einzelheiten der vom Arbeitnehmer aufgrund Arbeitsvertrags zu erbringenden Arbeitsleistung näher zu bestimmen, soweit
399
1 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289; ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 6; KR/ Rost, § 2 KSchG Rz. 8 ff. 2 APS/Preis, Grundlagen E Rz. 9. 3 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 161/83, NZA 1985, 62; ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 8 m.w.N.
Mues
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Teil 1 Rz. 400
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
dies im Vertrag selbst nicht abschließend geschehen ist. Dies gilt insbesondere für den Ort, die Zeit und die Reihenfolge der Arbeitsleistung.1 400
Ist bereits im Wege des Direktionsrechts möglich, die gewünschten neuen Arbeitsbedingungen herbeizuführen, so ist eine trotzdem ausgesprochene Änderungskündigung unwirksam.2 In einem derartigen Fall ist die („überflüssige“) Änderungskündigung schon nicht geeignet, das erstrebte Ziel zu erreichen, denn was durch die Änderungskündigung erreicht werden soll, liegt schon vor. 4. Teilkündigung
401
Unter der Teilkündigung versteht man eine Willenserklärung, mit der der Kündigende einzelne Vertragsbedingungen gegen den Willen der anderen Vertragspartner einseitig ändern will. Von der Kündigung unterscheidet sich die Teilkündigung dadurch, dass die Kündigung einschließlich der Änderungskündigung das Arbeitsverhältnis in seinem ganzen Bestand erfasst, während die Teilkündigung unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses im Übrigen nur einzelne Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag beseitigen soll.3 Dies ist jedoch nicht möglich, da das Arbeitsverhältnis als Einheit zu betrachten ist und daher nur als Ganzes gekündigt werden kann. Eine solche Teilkündigung ist also unzulässig.4
402
Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn sich der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrags den Widerruf oder die Änderung einzelner Arbeitsbedingungen vorbehalten hat.5 5. Wiederholungskündigung und Trotzkündigung
403
Von einer Wiederholungskündigung spricht man, wenn der Arbeitgeber, nachdem er bereits eine Kündigung ausgesprochen hat, zeitlich danach liegend eine auf demselben Sachverhalt beruhende Kündigung ausspricht, bevor es im Prozess zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der ersten Kündigung gekommen ist. Durch Ausspruch der zweiten Kündigung will der Arbeitgeber regelmäßig keinen neuen Beendigungstatbestand schaffen, sondern nur die Wirksamkeit der Kündigung überhaupt erst herstellen. Dies kann z.B. erforderlich sein, wenn der Zugang der vorhergehenden Kündigung nicht zweifelsfrei nachweisbar ist.
404
Spricht der Arbeitgeber die auf inhaltlich identischen Gründen beruhende Kündigung erst aus, nachdem bereits rechtskräftig die Unwirksamkeit der ersten Kündigung festgestellt worden ist, so liegt eine sog. Trotzkündigung vor.6 1 2 3 4
Vgl. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 36 m.w.N. BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, BB 2008, 896; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 106a m.w.N. Vgl. BAG v. 22.1.1997 – 5 AZR 658/95, NZA 1997, 711. St. Rspr. vgl. nur BAG v. 14.11.1990 – 5 AZR 509/89, NZA 1991, 377; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 58; KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 9; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 51. 5 Siehe hierzu ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 49. 6 Vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 403.
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Mues
Arten der Kündigung
Rz. 411 Teil 1
Werden abhängig vom Zeitpunkt des Ausspruchs der zweiten inhaltsgleichen Kündigung unterschiedliche Termini verwendet, so bestehen demgegenüber in der Sache keine Unterschiede.
405
Ist in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozess materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, dass sie die Kündigung nicht rechtfertigen können. Der zweiten, rechtzeitig erhobenen Klage ist ohne weiteres stattzugeben. Das Urteil in dem ersten Prozess ist in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren, dass eine erneute materielle – möglicherweise von dem Ergebnis des ersten Prozesses abweichende – Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung vorgetragenen und damit „verbrauchten“ Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf.1
406
Haben jedoch formelle Gründe zur Begründetheit der ersten Kündigungsschutzklage geführt (z.B. § 623 BGB oder § 102 BetrVG), ist eine wiederholende Kündigung unter Beachtung der beim ersten Mal verletzten Vorschrift wirksam möglich.2
407
Der Arbeitgeber kann folglich nur noch kündigen3,
408
– wenn er andere Kündigungsgründe geltend macht, und dabei vielleicht den verbrauchten Kündigungsgrund unterstützend heranzieht. – wenn sich der Sachverhalt wesentlich geändert hat und damit ein neuer Kündigungstatbestand vorliegt. – wenn er nunmehr nicht fristlos, sondern fristgerecht kündigen will. – wenn die Kündigungserklärung aus irgendwelchen formalen Gründen (z.B. Formmangel, fehlerhafte Betriebsratsanhörung) unwirksam war. 6. Druckkündigung Von einer Druckkündigung spricht man, wenn von der Belegschaft, vom Betriebsrat, von einer Gewerkschaft oder von Kunden des Arbeitgebers unter Androhung von Nachteilen (z.B. Androhung von Kündigung, Verweigerung der Zusammenarbeit, Abbruch von Geschäftsbeziehungen) die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangt wird.4
409
Eine Druckkündigung kommt sowohl als ordentliche Kündigung als auch als außerordentliche Kündigung5 in Betracht.
410
Unterschieden wird abhängig von verschiedenen Fallkonstellationen die unechte Druckkündigung und die echte Druckkündigung.
411
1 2 3 4 5
St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207/05, NZA-RR 2007, 272. BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 399/03, NZA 2004, 1216. Vgl. BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 485/02, BB 2003, 1905. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 473. Vgl. die Fallgestaltung in BAG v. 18.9.1975 – 2 AZR 311/74, DB 1976, 634.
Mues
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Teil 1 Rz. 412
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
412
Eine unechte Druckkündigung zeichnet sich dadurch aus, dass das Entlassungsbegehren objektiv gerechtfertigt ist. Der Arbeitnehmer liefert also durch einen Grund in seinem Verhalten oder seiner Person einen Kündigungsgrund. Dann liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er von dem ihm zustehenden Kündigungsrecht Gebrauch macht. In der Sache kündigt der Arbeitgeber dann nicht wegen des Drucks, sondern aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen. Es sind also grds. die Besonderheiten der jeweiligen Kündigungsart zu beachten, wobei die Drucksituation i.R.d. Interessenabwägung berücksichtigt werden kann.1
413
Eine echte Druckkündigung ist im Gegensatz dazu gegeben, wenn keine personen- oder verhaltensbedingten Gründe vorliegen. Dann ist die Kündigung im Ausnahmefall aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt.2
414
Voraussetzung ist jedoch, dass sich der Arbeitgeber zunächst schützend vor den Arbeitnehmer gestellt und alle zumutbaren Mittel eingesetzt hat, um die Belegschaft oder die Personen, von denen der Druck ausgegangen ist, zu einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer zu bewegen.3 7. Verdachtskündigung und Tatkündigung
415
Zur Kündigung eines Arbeitnehmers aus verhaltensbedingten Gründen bedarf es nicht immer einer erwiesenen Pflichtverletzung. Auch bereits der Verdacht, der Arbeitnehmer könne eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, kann u.U. eine Kündigung rechtfertigen.4 Im Regelfall wird es sich hierbei um eine außerordentliche Kündigung handeln, doch ist im Prinzip auch eine ordentliche Kündigung denkbar, etwa wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer durch eine Auslauffrist entgegenkommen möchte.5
416
Da zugunsten des Arbeitnehmers bis zum Beweis der Pflichtverletzung die Unschuldsvermutung gilt, ist die Verdachtskündigung jedoch nur unter engen Voraussetzungen möglich. Eine Verdachtskündigung kommt aus diesem Grund nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.6 1 ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 185; KDZ/Däubler, § 1 KSchG Rz. 209. 2 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21; ebenso APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 521; KR/Griegebling, § 1 KSchG Rz. 586 m.w.N. 3 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 und LAG Düsseldorf v. 21.8.2008 – 5 Sa 240/08. 4 St. Rspr. vgl zuletzt BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 98/07, NZA 2009, 604; ebenso die h.M. in der Literatur, vgl. ErfK/Müller-Glöge, § 626 Rz. 173. 5 Vgl. hierzu APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 369 m.w.N. 6 BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 98/07, NZA 2009, 604.
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Mues
Arten der Kündigung
Rz. 421 Teil 1
" Praxistipp: Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG handelt es sich bei
dem Verdacht gegenüber dem Tatvorwurf um einen eigenständigen Kündigungsgrund.1 Ist die Beweislage unklar und will der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung, um sicher zu gehen, kumulativ als Tat- und Verdachtskündigung aussprechen, so ist im Verfahren nach § 102 BetrVG darauf zu achten, den Betriebsrat sowohl wegen der Tat als auch wegen des Verdachts anzuhören. Erklärt der Arbeitgeber hilfsweise die ordentliche Kündigung, müssen dem Betriebsrat alle vier Gründe mitgeteilt werden, um nicht das Recht zu verlieren, sich auf solche Gründe in einem späteren Prozess berufen zu können.2
417
8. Diskriminierende Kündigung Eine diskriminierende Kündigung liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Kündigung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründen, also wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erklärt.
418
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 6.11.20083 zu dem Verhältnis von AGG und KSchG festgestellt, dass die materiellen Diskriminierungsverbote im Rahmen der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des KSchG, insbesondere zur Konkretisierung der „Sozialwidrigkeit“ einer Kündigung heranzuziehen sind.4 Für Kündigungen außerhalb des KSchG ist dasselbe Ergebnis durch Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 138, 242 BGB) sicherzustellen.
419
Ein Benachteiligungsmerkmal ist also kein Kündigungsgrund und kann daher niemals eine Kündigung sozial rechtfertigen.5 So ist beispielsweise alleine das Alter regelmäßig kein Grund für eine personenbedingte Kündigung. In Ausnahmefällen ist nach den §§ 8–10 AGG die unterschiedliche Behandlung wegen der genannten Merkmale jedoch zulässig, sofern die Ungleichbehandlung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Das BAG billigt z.B. eine Anknüpfung an das Alter bei der Sozialauswahl im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung, da nur hierdurch eine ausgewogene Altersstruktur gesichert bzw. geschaffen werden könne.6
420
9. Arbeitskampfbedingte Kündigung Von einer arbeitskampfbedingten Kündigung spricht man, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigt, weil sich dieser an einem Streik gegen den Arbeitgeber beteiligt.
1 2 3 4 5 6
BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 98/07, NZA 2009, 604 m.w.N. Siehe hierzu ausführlich APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 366 f. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361. Vgl. zum Streitstand ErfK/Schlachter, § 2 AGG Rz. 16 f. MüArbR/Ulrich, § 40 Rz. 34. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361.
Mues
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421
Teil 1 Rz. 422
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
422
Eine solche „Kampfkündigung“ gegenüber einem rechtmäßig streikenden Arbeitnehmer ist unzulässig. Einerseits verstößt der Arbeitnehmer nicht gegen vertragliche Pflichten; denn die Arbeitspflicht wird infolge des rechtmäßigen Streiks suspendiert, wenn sich der Arbeitnehmer dem Streik anschließt.1
423
Andererseits verfügt der Arbeitgeber in Form der lösenden Aussperrung – wenn auch nur unter strengen Voraussetzungen2 – über ein geeignetes Kampfmittel.
424
Liegt jedoch ein rechtswidriger (sog. wilder) Streik vor, ist der Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der sich an dem Streik beteiligt, zulässig. In diesem Fall begeht der Arbeitnehmer einen Vertragsbruch, was i.d.R. nach vorheriger Abmahnung durch den Arbeitgeber eine verhaltensbedingte ordentliche oder außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.3
425
Nach Ansicht des BAG sind im Falle eines rechtswidrigen Streiks sogar unter Außerachtlassen des Gleichbehandlungsgrundsatzes sog. herausgreifende Kündigungen möglich.4 Hierunter ist eine Kündigung zu verstehen, die der Arbeitgeber (willkürlich) gegenüber einzelnen an einer rechtswidrigen Arbeitskampfmaßnahme teilnehmenden Arbeitnehmern ausspricht, wenn diese trotz wiederholter Aufforderung die Arbeit nicht aufnehmen.5 10. Sittenwidrige und rechtsmissbräuchliche Kündigung a) Sittenwidrige Kündigung
426
Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist dann sittenwidrig, wenn entweder die sie tragenden Gründe oder die hinter ihr stehenden Motive oder die Umstände, unter denen sie ausgesprochen worden ist, den allgemeinen Wertvorstellungen grob widersprechen.6
427
Die sittenwidrige Kündigung ist in § 13 Abs. 2 KSchG ausdrücklich genannt, hat aber in der Praxis kaum Bedeutung.7 In der neueren Rechtsprechung wird die Prüfung der Sittenwidrigkeit vor allem herangezogen um festzustellen, dass die Kündigung die Schwelle zur Sittenwidrigkeit nicht übertreten hat.8
428
Dies liegt vor allem an den strengen Voraussetzungen, die für die Feststellung der Sittenwidrigkeit einer Kündigung vorliegen müssen. Wenn die Vorausset1 BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, DB 1977, 824; ErfK/Kiel, § 25 KSchG Rz. 2; KR/ Weigand, § 25 KSchG Rz. 18. 2 Nach Ansicht des BAG kommt die lösende Aussperrung nur als Gegenmaßnahme für einen Streik und unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht; siehe hierzu KR/Weigand, § 25 KSchG Rz. 16 f. 3 BAG v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NZA 1984, 34. 4 BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, DB 1977, 824; v. 21.10.1969 – 1 AZR 93/68, DB 1970, 208. 5 KR/Weigand, § 25 KSchG Rz. 22. Siehe umfassend zur treuewidrigen Kündigung Teil 5. 6 BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 268/96, NZA 1998, 145; v. 23.11.1961 – 2 AZR 301/61, DB 1962, 243. 7 Vgl. KDZ/Däubler, § 138 BGB Rz. 11 m.w.N. 8 KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 120.
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Mues
Umdeutung der Kündigung
Rz. 433 Teil 1
zungen von § 1 KSchG vorliegen, besteht kein Bedürfnis dafür, zusätzlich eine Sittenwidrigkeit der Kündigung festzustellen. Für § 138 BGB müssen daher weitere Umstände hinzutreten.1 Ansonsten würde Arbeitnehmern, die nicht unter den Schutz des KSchG fallen, über den Umweg des § 138 BGB ein entsprechender allgemeiner Kündigungsschutz eingeräumt. Der Vorwurf kann nur in krassen Fällen erhoben werden, in denen die Kündigung, ausgehend von dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, ein „ethisches Minimum“ nicht mehr wahrt.2 Eine Sittenwidrigkeit wird ausscheiden, wenn der Arbeitgeber für sein Verhalten sachlich zu respektierende Gründe anführen kann.3
429
Ausführlich zur sittenwidrigen Kündigung siehe Teil 5.
430
b) Treuwidrige Kündigung Eine Kündigung verstößt gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt.4 Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben im Einzelnen ergeben, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Anerkannte Fallgruppen in der Rechtsprechung sind insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers5, der Ausspruch der Kündigung zur Unzeit6, sowie Kündigungen, die auf ehrverletzenden oder willkürlichen Motiven fußen.7
431
Praktische Bedeutung hat die treuewidrige Kündigung eigentlich nur bei Arbeitsverhältnissen, die nicht dem Anwendungsbereich des KSchG unterliegen. Dann gewährt § 242 BGB in Kleinbetrieben oder zugunsten von Arbeitnehmern, die noch nicht die Wartezeit erreicht haben, einen Mindestschutz des Arbeitsplatzes.8
432
VIII. Umdeutung der Kündigung 1. Grundsatz Da die allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätze des BGB auch für eine Kündigung gelten, kann im Fall der Nichtigkeit einer Kündigung die unwirksame Kündigung ggf. nach § 140 BGB in ein anderes wirksames Rechtsgeschäft umzudeuten sein. Dies gilt sowohl für außerordentliche als auch ordentliche Kündigungen.9 1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 2.4.1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18. BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833. KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 133. BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, NZA 1994, 1080. BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 799/96, NZA 1998, 420. BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, NZA 2001, 890. BAG v. 23.9.1976 – 2 AZR 309/75, DB 1977, 213; hierzu ausführlich APS/Preis, Grundlagen J Rz. 47. 8 Vgl. APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 58. 9 BAG v. 14.10.1975 – 2 AZR 365/74, NJW 1976, 592; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 60 ff.; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 107; Schaub/Linck § 123 Rz. 73.
Mues
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433
Teil 1 Rz. 434
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
434
Dieser Grundsatz der Möglichkeit einer Umdeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass es den Parteien regelmäßig weniger auf die Rechtsform ihres Rechtsgeschäfts, als auf den wirtschaftlichen Erfolg ankommt. Im Zweifel wird ihnen somit jedes zulässige Mittel recht sein, dass ihnen diesen Erfolg, wenn nicht schon in vollem Umfang, so doch wenigstens annähernd vermittelt.1
435
Die grundsätzliche Umdeutungsmöglichkeit wird hierbei weder durch das Kündigungsschutzgesetz, den Sonderkündigungsschutz nach Spezialgesetzen (§ 9 MuSchG, § 19 BEEG, § 85 SGB X, etc.) noch durch das Schriftformerfordernis nach § 623 BGB ausgeschlossen.2
436
Zu beachten ist jedoch, dass eine Umdeutung immer nur dann erfolgen kann, wenn die unwirksame Kündigung den Erfordernissen des Ersatzgeschäfts sowohl hinsichtlich der Form als auch hinsichtlich des Inhalts vollständig entspricht.3
437
Gem. § 140 BGB setzt die Umdeutung zunächst voraus, dass ein unwirksames Rechtsgeschäft, mithin eine unwirksame Kündigung, vorliegt. Diese Umdeutungsmöglichkeit erfordert nicht, dass die Unwirksamkeit auf einem Verstoß gegen die Vorschriften des BGB beruht. Ausreichend sind hierfür neben den Nichtigkeitsgründen des BGB sämtliche Unwirksamkeitsgründe, die zur Nichtigkeit einer Kündigung führen, einschließlich der Unwirksamkeit wegen fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 KSchG, der Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen Spezialgesetze oder die Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen vertragliche oder tarifvertragliche Vereinbarungen. Darüber hinaus kann auch die fehlerhafte Berechnung der Kündigungsfristen bzw. die Kündigung zum falschen Kündigungstermin die Grundlage für eine Umdeutung bilden.4
438
Weiterhin muss die nichtige Kündigung in sämtlichen Voraussetzungen dem umzudeutenden Rechtsgeschäft vollständig genügen. Dies setzt nicht nur voraus, dass die beabsichtigte Kündigung dem Ersatzgeschäft inhaltlich entspricht. Vielmehr müssen mit der unwirksamen Kündigung auch sämtliche Formerfordernisse (z.B. gesetzliche Schriftform gem. § 623 i.V.m. § 126 BGB, vertragliche Schriftform gem. § 127 BGB, vorgeschriebene Begründungen, etc.), Termine und Fristen (z.B. Kündigungsfristen gem. §§ 622, 626 BGB), Beteiligungen und Zustimmungen (z.B. Betriebsratsanhörung gem. § 102 BetrVG, Integrationsamtszustimmung gem. §§ 85, 91 SGB IX, etc.) und alle sonstigen gesetzlichen, tarifvertraglichen und vertraglichen Voraussetzungen des Ersatzgeschäfts vollständig eingehalten sein. Zusätzlich muss die rechtliche Tragweite der nichtigen Kündigung der Tragweite des Ersatzgeschäfts entsprechen. D.h., eine Umdeutung ist immer nur dann zulässig, wenn das umzudeutende Rechtsgeschäft zu gleichen oder weniger weitgehenden Rechtsfolgen führt als die nichtige Kündigung. Das Ersatzgeschäft darf jedoch niemals in seinen Rechtswir-
1 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972. 2 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972; v. 18.9.1975 – 2 AZR 311/74, BAGE 27, 263. 3 Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 107. 4 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 63.
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Umdeutung der Kündigung
Rz. 443 Teil 1
kungen über die Rechtsfolgen des ursprünglich beabsichtigten Geschäfts hinausgehen.1 Außerdem ist es erforderlich, dass das neue Rechtsgeschäft dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht. Dies wird in der Regel der Fall sein. Der Kündigende bringt durch den Ausspruch der Kündigungserklärung deutlich zum Ausdruck, dass er das Arbeitsverhältnis auflösen möchte. Es ist deshalb regelmäßig davon auszugehen, dass er – unabhängig von der Art des Rechtsgeschäfts – im Ergebnis auf jeden Fall die Beendigung des Vertragsverhältnisses erstrebt und damit bei einer nichtigen Kündigung zur Erreichung seines Ziels ggf. auch ein anderes zulässiges Rechtsgeschäft wünscht.
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Prozessual erfordert die Umdeutung keinen besonderen Antrag des Kündigenden im Kündigungsrechtsstreit. Der Kündigende muss sich im Prozess auch nicht ausdrücklich auf die Umdeutung berufen. Dies ergibt sich daraus, dass die Umdeutung nach § 140 BGB materiellrechtlich weder als Einwendung noch als Einrede ausgestaltet ist. Allerdings erfolgt die Umdeutung auch nicht vollkommen automatisch von Amts wegen. Der Kündigende muss im Kündigungsrechtsstreit vielmehr gegenüber dem Gericht diejenigen Tatsachen vortragen und beweisen, die eine Umdeutung ergeben. Sofern diese Tatsachen in das Gerichtsverfahren eingeführt sind, prüft das Gericht dann im weiteren Verlauf des Verfahrens die Möglichkeit einer Umdeutung von Amts wegen.2
440
" Praxistipp: Auch wenn für die Berücksichtigung der Umdeutung im Prozess
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ein formeller Antrag nicht erforderlich ist, empfiehlt es sich, sich im Kündigungsrechtstreit ausdrücklich auf die ggf. mögliche Umdeutung zu berufen und gegenüber dem Gericht einen entsprechenden Hilfsantrag zu stellen. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Prüfung der Umdeutungsmöglichkeit versehentlich unterlassen wird.
2. Einzelfälle Den in der Praxis am häufigsten vorkommenden Fall der Anwendung einer Umdeutung bildet die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine wirksame ordentliche Kündigung. Diese Umdeutung ist grundsätzlich jederzeit möglich.3
442
Bei einer außerordentlichen Kündigung ist in der Regel davon auszugehen, dass derjenige, der das Arbeitsverhältnis fristlos beendigen will, im Zweifel auch die Beendigung zum nächst zulässigen Termin beabsichtigt. Lediglich dann, wenn sich aus der Kündigungserklärung oder den Umständen ergibt, dass der Kündigende ausschließlich eine außerordentliche/fristlose Kündigung bzw. eine Kündigung zu einem genau bestimmten Termin erklären wollte, scheidet eine Umdeutung aus.4
443
1 BAG v. 12.9.1974 – 2 AZR 535/73, AP Nr. 1 zu § 44 TV AL II; v. 14.10.1975 – 2 AZR 365/74, NJW 1976, 592; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 107. 2 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972; Schaub/Linck § 123 Rz. 80. 3 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972. 4 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 61.
Mues
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Teil 1 Rz. 444
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
444
Nicht möglich ist dagegen die Umdeutung einer ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung. Dies folgt daraus, dass sich beide Rechtsgeschäfte in ihren Rechtsfolgen nicht entsprechen. Bei einer außerordentlichen Kündigung wird das Arbeitsverhältnis bereits sofort mit dem Zugang der Kündigung aufgelöst, während es bei einer ordentlichen Kündigung erst nach Ablauf der regulären Kündigungsfrist enden würde. Die Rechtswirkungen einer außerordentlichen Kündigung reichen somit über die Wirkungen einer ordentlichen Kündigung hinaus und verbieten damit die Umdeutung zu Lasten des Kündigungsempfängers.1
445
Die Umdeutung einer unwirksamen ordentlichen Kündigung in eine Anfechtungserklärung ist ebenfalls nicht möglich. Die Anfechtung beendet das Vertragsverhältnis gem. § 142 Abs. 1 BGB rückwirkend bzw. (bei einem in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnis) zumindest mit sofortiger Wirkung. Eine ordentliche Kündigung führt dagegen erst zur Beendigung nach dem Ablauf der Kündigungsfrist. Die Anfechtung entfaltet damit weiterreichende Folgen als die ordentliche Kündigung, sodass aus diesem Grunde eine Umdeutung ausgeschlossen ist.2
446
Ob eine unwirksame außerordentliche Kündigung in eine Anfechtung umgedeutet werden kann, ist rechtlich umstritten. Eine Ansicht hält diese Umdeutung für zulässig, weil die Anfechtung durch ihre sofortige Beendigungswirkung zum gleichen Ergebnis führt wie die fristlose Kündigung.3 Die die zutreffende Gegenmeinung verneint dagegen eine solche Umdeutungsmöglichkeit, da die Anfechtung unabhängig vom Beendigungszeitpunkt weitergehende Rechtsfolgen als die Kündigung entfaltet.4
447
Die Umdeutung einer nichtigen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung in den Abschluss eines Aufhebungsvertrags ist zwar rechtlich generell zulässig. In der Praxis wird es diesbezüglich jedoch häufig an den notwendigen Voraussetzungen für einen wirksamen Aufhebungsvertrag, insbesondere an der Einhaltung der Schriftform nach § 623 BGB, fehlen. Seitens des Kündigenden kann die unwirksame schriftliche Kündigungserklärung regelmäßig als wirksames Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gewertet werden, da ein solcher Aufhebungsvertrag ebenfalls seinem mutmaßlichen Willen entsprechen wird. Schwierig gestaltet sich in diesen Fällen jedoch die wirksame Annahme des Vertragsangebots durch den Kündigungsempfänger. Allein die Hinnahme der rechtsunwirksamen Kündigung begründet hierbei noch keine Zustimmung des Kündigungsempfängers zum Aufhebungsvertrag. Vielmehr ist zum Vertragsschluss eine ausdrückliche Annahme des Angebots erforderlich, die zudem dem Schriftformerfordernis der §§ 623, 126 BGB genügen muss. Eine solche schriftliche Annahme des Aufhebungsvertrags durch den Kündigungsempfänger in der strengen Form des § 126 BGB wird regelmäßig nicht vor-
1 2 3 4
Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 110; Schaub/Link § 123 Rz. 76. BAG v. 14.10.1975 – 2 AZR 365/74, NJW 1976, 592. ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 61; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 117. Schaub/Linck § 123 Rz. 76.
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Mues
Umdeutung der Kündigung
Rz. 453 Teil 1
liegen, sodass mit diesem Formverstoß auch die Umdeutung der Kündigung in einen wirksamen Aufhebungsvertrag scheitert.1 Wurde eine Kündigung zu einem unzulässigen Kündigungstermin oder mit einer zu kurzen Kündigungsfrist ausgesprochen, so kann sich bereits im Wege der Auslegung ergeben, dass eine Kündigung zum nächst zulässigen Termin als ausgesprochen gilt.2
448
Sofern dies nicht der Fall ist, wird in der Regel gemäß § 140 BGB eine Umdeutung in eine Kündigung zum nächst zulässigen Termin möglich sein. Nur dann, wenn sich aus der Kündigungserklärung oder den im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden weiteren Umständen ergibt, dass die Kündigung ausschließlich zu diesem Termin bzw. mit dieser Frist ausgesprochen werden sollte, ist eine Umdeutung ausgeschlossen.3
449
3. Zustimmungserfordernisse Problematisch ist im Falle einer Umdeutung oftmals die für das Ersatzgeschäft erforderliche ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG.
450
Aufgrund der verschiedenartigen Verfahrensausgestaltungen sowie den unterschiedlichen Voraussetzungen und Folgen genügt eine Anhörung des Betriebsrates zu einer außerordentlichen Kündigung nicht der Anhörung zu einer ordentlichen Kündigung. Umgekehrt ersetzt auch die Anhörung des Betriebsrats zu einer ordentlichen Kündigung nicht die Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung. Eine für die nichtige Kündigung durchgeführte Anhörung kann daher für das Ersatzgeschäft unzureichend sein, sodass das umzudeutende Rechtsgeschäft zwar nicht mehr am ursprünglichen Mangel scheitert, dann aber nach § 102 Abs. 1 BetrVG wegen fehlender Betriebsratsanhörung unwirksam ist.4
451
Will der Arbeitgeber deshalb die Möglichkeit der Umdeutung sicherstellen, so muss er im Rahmen des Beteiligungsverfahrens nach § 102 BetrVG den Betriebsrat auf beide mögliche Beendigungsvarianten deutlich hinweisen.5
452
Lediglich, wenn der Betriebsrat einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hat und keine Umstände erkennbar sind, dass der Betriebsrat einer umgedeuteten ordentlichen Kündigung entgegengetreten wäre, genügt das Anhörungsverfahren der außerordentlichen Kündigung auch dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer ordentli-
453
1 BAG v. 13.4.1972 – 2 AZR 243/71, AP Nr. 64 zu § 626 BGB; ErfK Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 60; Schaub/Linck § 123 Rz. 74. 2 BAG v. 25.9.2002 – 10 AZR 7/02, BAGE 103, 1. Siehe hierzu auch die Ausführungen in Teil 1 A I 2 „Inhaltliche Anforderungen – Grundsatz der Klarheit und Bestimmtheit/ Auslegung“. 3 BAG v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, BAGE 116, 336; v. 6.7.2006 – 2 AZR 215/05, NJW 2006, 3513; Schaub/Linck § 123 Rz. 75. 4 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, AP Nr. 217 zu § 626 BGB; v. 12.8.1976 – 2 AZR 311/75, NJW 1976, 2366; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 65. 5 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, AP Nr. 217 zu § 626 BGB; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 115.
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Teil 1 Rz. 454
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
chen Kündigung, sodass in diesem Fall die Umdeutung zulässig ist. Erforderlich ist hierbei aber immer eine ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats. Ein bloßes Verstreichen der Anhörungsfrist erfüllt diese Voraussetzung nicht.1 454
Die gleichen Grundsätze gelten für die sonstigen besonderen Zustimmungserfordernisse, wie z.B. die Beteiligung des Integrationsamts nach § 85, 91 SGB IX bei einer Kündigung von Schwerbehinderten. Auch hier ist es erforderlich, dass die zuständige Behörde ihre Zustimmung nicht lediglich für das nichtige Rechtsgeschäft erteilt hat, sondern zusätzlich auch eine wirksame Zustimmung für das umzudeutende Rechtsgeschäft vorliegt.
455
" Praxistipp: Zur Sicherstellung einer eventuellen Umdeutungsmöglichkeit
456
Gleiches gilt für die Beantragung sonstiger Zustimmungen im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes. Auch hier sollte bei den zuständigen Behörden vorsorglich immer sowohl die Zustimmung zur außerordentlichen als auch hilfsweise zur ordentlichen Kündigung beantragt werden.
empfiehlt es sich für den Arbeitgeber regelmäßig, den Betriebsrat sowohl zur außerordentlichen als auch vorsorglich zur ordentlichen Kündigung anzuhören.
IX. Rücknahme der Kündigung 457
In manchen Fällen besteht für den Arbeitgeber das Bedürfnis, seine Kündigung ungeschehen zu machen. Dadurch will er erreichen, dass das Arbeitsverhältnis wie bisher weiterläuft oder für ihn eventuelle nachteilige Wirkungen der Kündigung nicht eintreten. Dieser Sinneswandel kann unterschiedliche Ursachen haben. Beispielsweise hat sich das schwierige Verhältnis zu dem gekündigten Arbeitnehmer wider erwarten doch verbessert, so dass eine weitere Zusammenarbeit möglich erscheint. Möglicherweise hat der Arbeitgeber auch nach Ausspruch der Kündigung gemerkt, dass seine Argumente doch nicht so stichhaltig sind und er fürchtet, einen Prozess zu verlieren. 1. Rücknahme durch einseitige Erklärung
458
Die einmal zugegangene Kündigung kann nicht mehr einseitig von dem Arbeitgeber zurückgenommen werden.2 Das ergibt sich aus der Rechtsnatur der Kündigung, die mit ihrem Zugang rechtsgestaltende Wirkung entfaltet. Nicht notwendig ist hierbei, dass der Betroffene tatsächlich Kenntnis von der Kündigung erhalten hat. Eine einseitige Rücknahme ist daher bereits dann nicht mehr möglich, wenn die Kündigung durch Einwurf in den Briefkasten zugegangen ist. Selbst wenn der Arbeitnehmer daraufhin den Briefkasten nicht geleert hat, kann der Arbeitgeber am nächsten Tag die Erklärung nicht mehr ungeschehen 1 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, AP Nr. 217 zu § 626 BGB; Schaub/Linck § 123 Rz. 79; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 65. 2 St. Rspr. vgl. BAG v. 29.3.2006 – 3 AZB 69/05, NZA 2006, 693; v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, DB 1983, 663 m.w.N.; ebenso APS/Preis, § 4 KSchG Rz. 126; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 209; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 54 m.w.N.
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Mues
Rücknahme der Kündigung
Rz. 463 Teil 1
machen. Anderes gilt nur, wenn der Widerruf vor oder gleichzeitig mit der Kündigung zugeht, vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Auch wenn die Kündigung an einem Mangel leidet, der zu ihrer Unwirksamkeit im Kündigungsprozess führen würde, etwa weil der wichtige Grund nicht vorliegt oder der Betriebsrat nicht angehört wurde, bleibt der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Klagefrist des § 4 KSchG an seine Erklärung gebunden.1 Denn auch eine unwirksame Kündigung führt zu einer Störung der vertraglichen Austauschbeziehungen und dem Arbeitnehmer soll nicht die Möglichkeit genommen werden, auch eine objektiv unwirksame Kündigung gegen sich gelten und wirksam werden zu lassen.
459
Nichts anderes ergibt sich im Grundsatz für den Fall, dass die Kündigung aus einem der in § 13 Abs. 2, 3 KSchG genannten Gründe nichtig wäre, z.B. bei Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) oder Verstoß gegen ein gesetzliches Gebot (§ 134 BGB). Zusätzlich hat er jedoch die Möglichkeit, innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend zu machen und nach § 9 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen.
460
Der einseitige „Rücknahmeversuch“ kann jedoch als Angebot des Arbeitgebers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgelegt werden.2 Dieses Angebot kann der Arbeitnehmer annehmen oder ablehnen.
461
2. Einvernehmliche Rücknahme durch Vertrag Nachdem die Kündigung durch ihren Zugang beim Empfänger wirksam geworden ist, kann sie also nur noch durch einvernehmlich von den Arbeitsvertragsparteien zurückgenommen werden. Eine solche Vereinbarung ist grds. formfrei möglich, sodass sich die Parteien sowohl ausdrücklich aber auch konkludent über die Fortführung des Arbeitsverhältnisses einig werden können. Die Schriftform des § 623 BGB gilt für eine einvernehmliche Rücknahme jedenfalls nicht.
462
Im Regelfall wird ein Angebot des Arbeitgebers auf Rücknahme der Kündigung vorliegen, sei es ausdrücklich ausgesprochen oder im Wege einer einseitigen Rücknahme, die – wie oben gesehen – als Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verstanden werden kann. Es liegt dann grds. beim Arbeitnehmer, der dieses Angebot entweder ausdrücklich annehmen oder dadurch, dass er mit Kenntnis des Arbeitgebers nach Ablauf der Kündigungsfrist weiterarbeitet (vgl. § 625 BGB), seine Bereitschaft jedenfalls schlüssig erklären kann.3 In der Erhebung der Kündigungsschutzklage alleine liegt noch keine konkludente Annahmerklärung; denn der Arbeitnehmer, der eine Kündigungsschutzklage erhebt, hat zunächst ein Interesse daran, die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festzustellen.4 Um ein Einverständnis in die Rücknahme der Kündigung anzunehmen bedarf es im Einzelfall weitergehender Anhaltspunkte. Die Stellung eines
463
1 BAG v. 17.4.1986 – 2 AZR 308/85, NZA 1987, 17; APS/Preis, Grundlagen Rz. 124; KDZ/ Däubler, Einleitung Rz. 210. 2 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, DB 1992, 1529; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 210; MüArbR/Vossen, § 39 Rz. 38. 3 KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 211. 4 APS/Preis, Grundlagen D Rz. 126.
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Teil 1 Rz. 464
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Auflösungsantrags nach § 9 KSchG bedeutet allerdings eine Ablehnung des Angebots. 464
Möglich ist auch, dass die Initiative zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von dem gekündigten Arbeitnehmer ausgeht, etwa in der Form, dass er die Rücknahme der Kündigung verlangt und sich der Arbeitgeber damit einverstanden erklärt.
465
Im Regelfall wird durch die einvernehmliche Rücknahme der Kündigung kein neues Arbeitsverhältnis begründet, sondern das Arbeitsverhältnis wird mit dem alten Inhalt fortgesetzt.1 Das gilt auch dann, wenn die Kündigungsfrist im Zeitpunkt der einvernehmlichen Rücknahme bereits abgelaufen ist. Folge der Fortführung des Arbeitsverhältnisses ist, dass der Arbeitgeber für die Zeit zwischen Zugang der Kündigung (bei fristloser Kündigung) oder Ablauf der Kündigungsfrist (bei ordentlicher Kündigung) bis zur „Rücknahme“ Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB zu zahlen hat.
466
Die Parteien können jedoch auch abweichende Regelungen treffen und vereinbaren, dass der Arbeitgeber für die Zeit zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und einverständlicher Rücknahme keine Vergütung nachzahlen muss. Für einen solchen Verfahrenswillen bedarf es jedoch im Einzelfall klarer Anhaltspunkte.2
467
Einer eindeutigen Regelung bedarf es auch, wenn die Parteien durch die einvernehmliche Rücknahme ein neues Arbeitsverhältnis begründen wollen.3 Diese Vereinbarung hat nämlich Auswirkung z.B. auf eine spätere Kündigungsfrist, da diese von der Betriebszugehörigkeit abhängt. Auch bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten zum Aufhebungsvertrag.
468
Folge der einverständlichen Klagerücknahme ist weiterhin, dass die Gründe, auf welche die zurückgenommene Kündigung gestützt wurde, verbraucht sind.4 Eine spätere Kündigung kann nicht mehr auf diese Gründe gestützt werden. In Betracht kommt allerdings, die Gründe im Falle einer weiteren Kündigung unterstützend heranzuziehen.5 3. Rücknahme im Kündigungsschutzprozess
469
Die Rücknahme der Kündigung durch den Arbeitgeber erfolgt in vielen Fällen erst, nachdem der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat.
470
Dann ist in der Rücknahme wie vor Erhebung der Kündigungsschutzklage das Angebot auf unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Beseitigung der Kündigungswirkung zu sehen. In der Sache handelt es sich um die Anerkennung des Klageanspruchs.6 Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot nach den allgemeinen Regeln an, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. 1 2 3 4 5 6
BAG v. 17.4.1986 – 2 AZR 308/85, NZA 1987, 17; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 58. KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 213. APS/Preis, Grundlagen Rz. 127; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 213. BAG v. 21.2.1957 – 2 AZR 410/54, SAE 1957, 84. Preis, in Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 239. BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, DB 1981, 2438.
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Mues
Rücknahme der Kündigung
Rz. 476 Teil 1
Ein förmliches Anerkenntnis nach § 307 ZPO ist mit der Rücknahme allerdings noch nicht gegeben.1 Liegen die Voraussetzungen des § 307 ZPO demgegenüber vor, kann der Arbeitnehmer ein Anerkenntnisurteil beantragen.
471
Nimmt der Arbeitnehmer das in der Rücknahme der Kündigung liegende Fortsetzungsangebot an, so gehen die Arbeitsvertragsparteien – sofern keine gegenteilige Abrede besteht – von der Unwirksamkeit der Kündigung aus. Der Arbeitgeber muss für die Zeit zwischen Ende der Kündigungsfrist und Zeitpunkt der einvernehmlichen Rücknahme Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB zahlen.
472
Allein in der Erhebung der Kündigungsschutzklage liegt aber noch kein Angebot des Arbeitnehmers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, das der Arbeitgeber durch die darauf folgende Rücknahme der Kündigung annehmen könnte.2 Nur durch die Rücknahme der Klage durch den Arbeitgeber entfällt nicht bereits das Rechtsschutzinteresse des Arbeitnehmers. Dieser verfolgt nämlich mit der Kündigungsschutzklage oft nicht nur das Ziel, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. In Betracht kommt z.B. weitergehend, dass der Arbeitnehmer daneben einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den §§ 9, 12 KSchG zu stellen beabsichtigt.
473
Insofern gilt es jedoch, zusätzliche Rechtsunsicherheit aus möglichen Motiven des Arbeitnehmers zu vermeiden, die in dem formalen Klagebegehren keinen Ausdruck gefunden haben. Abweichend von der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist es daher richtig anzunehmen, dass das Klagebegehren einer Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung zugleich den Willen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringt und daher der Arbeitgeber diese Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch eine Rücknahme seiner Kündigung abschließend herbeiführen kann, da er hierdurch den Arbeitnehmer klaglos stellt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Klageantrag dahingehend lautet, dass das Arbeitsverhältnis „über den Kündigungszeitpunkt hinaus unbefristet fortbesteht“.3
474
Stellt der Arbeitnehmer im Prozess einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG, so ist darin eine Ablehnung des arbeitgeberseitigen Angebots zu sehen.4
475
Keine einhellige Antwort besteht auf die Frage, wie sich der Arbeitnehmer im Falle der einseitigen Rücknahme durch den Arbeitgeber verhalten muss, wenn er noch keinen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG gestellt hat. Teilweise wird gefordert, der Arbeitnehmer müsse sodann „unverzüglich“ den Antrag nach § 9 KSchG stellen, sonst würde die Fortsetzung des Verfahrens als Annahme des Angebots gewertet.5 Jedoch steht dem Betroffenen grds. bis zur letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz das Recht zu, den Antrag nach § 9
476
1 LAG Hamm v. 9.6.1981 – 13 Sa 69/81, ARSt 1982 Nr. 1033. 2 BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, DB 1983, 663; ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 75; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 215; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 64. 3 APS/Preis, Grundlagen D Rz. 129. 4 BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, DB 1983, 663; ebenso KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 64. 5 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 72 m.w.N.
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Teil 1 Rz. 477
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
KSchG zu stellen. Dieses Recht könnte der Arbeitgeber durch einseitige Rücknahme der Kündigung in unzulässiger Weise beschneiden.1 Ferner kann der Erklärungsinhalt der Klage nicht danach bestimmt werden, zu welchem Zeitpunkt ein zusätzlicher Antrag gestellt wird.2 Somit ist unbeachtlich, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitnehmer den Antrag nach § 9 KSchG stellt. 477
Eine Ablehnung liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist und deswegen einen Antrag nach § 12 KSchG stellt. Der Arbeitnehmer kann sich durch diesen Antrag auch dann von dem Arbeitsverhältnis lösen, wenn der Arbeitgeber ein förmliches Anerkenntnis nach § 307 ZPO abgegeben hat.3
X. Rechtsfolgen der wirksamen Kündigung 478
Mit dem Zugang der wirksamen Kündigung wird das Arbeitsverhältnis unmittelbar und ohne weitere Zwischenschritte beendet. Dies ergibt sich aus dem einseitigen rechtsgestaltenden Charakter der Kündigung.4
479
Das Arbeitsverhältnis endet hiernach mit dem Wirksamwerden der Kündigung automatisch, wobei die Beendigung im Falle der außerordentlichen fristlosen Kündigung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mit sofortiger Wirkung eintritt. Bei der ordentlichen fristgemäßen Kündigung endet das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Ablaufs der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist.5
480
Im Falle der Änderungskündigung wird mit dem Wirksamwerden der Änderungskündigung und der Zustimmung des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis zum vereinbarten Zeitpunkt auf die neuen Arbeitsbedingungen abgeändert. Diese Änderungswirkung tritt gleichfalls ein, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt annimmt und sich im Ergebnis des Rechtsstreits nach § 2 KSchG ergibt, dass die Änderungskündigung sozial gerechtfertigt war. Sofern der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt bzw. nicht fristgemäß annimmt, wird die Änderungskündigung zur Beendigungskündigung. Das Arbeitsverhältnis wird dann entsprechend den vorgenannten Grundsätzen durch die Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist nicht nur abgeändert, sondern insgesamt beendet.6
1 LAG Niedersachsen v. 19.1.1996 – 16 Sa 1726/95, BB 1996, 1119; APS/Preis, Grundlagen D Rz. 132; Fischer, NZA 1999, 461; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 59; HaKo/Gallner, § 4 KSchG Rz. 81. 2 KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 217. 3 LAG Hamm v. 3.3.1982 – 2 (11) Sa 1602/81K, ZIP 1982, 488; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 218; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 73. 4 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NJW 1992, 2173; APS/Preis, DI Rz. 1 ff.; Staudinger/ Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 34; Schaub/Linck, § 123 Rz. 1; Küttner/Eisemann, Kündigung allgemein Rz. 2; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 16; Tschöpe/Schulte, 3D Rz. 1. 5 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NJW 1992, 2173. 6 Küttner/Eisemann, Änderungskündigung Rz. 30 ff.
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Mues
Rechtsfolgen der unwirksamen Kündigung
Rz. 488 Teil 1
Mit dem Wirksamwerden der Kündigung wird das Arbeitsverhältnis zum Beendigungszeitpunkt vollständig und endgültig aufgelöst bzw. im Falle der Änderungskündigung abgeändert. Die Vertragsbeziehungen zwischen beiden Parteien enden zu diesem Zeitpunkt vollständig und unwiderruflich. Eine Fortsetzung oder Neubegründung des Arbeitsverhältnisses ist danach nicht mehr durch eine einseitige Erklärung einer Partei („Widerruf, Rücknahme der Kündigung, Bitte um Weiterarbeit etc.“), sondern nur noch durch eine beiderseitige vertragliche Vereinbarung beider Vertragspartner (Vergleich, Fortsetzungsvereinbarung, Neuberwerbung etc.) möglich.1
481
Die Kündigung wirkt im Gegensatz zur Anfechtung nicht zurück, sondern die Kündigung wirkt immer nur ex nunc und beendet das Arbeitsverhältnis lediglich für die Zukunft.2
482
Mit der Kündigung endet das gesamte Vertragsverhältnis der Parteien. Ab diesem Zeitpunkt erlöschen damit für die Zukunft für beide Vertragspartner die gesamten vertraglichen Leistungspflichten.
483
Bis zum Zeitpunkt der Beendigung erbrachte Leistungen und entstandene Ansprüche (Lohnforderungen, Urlaubsansprüche, unverfallbare Betriebsrentenanwartschaften etc.) bleiben aber uneingeschränkt wirksam. Außerdem bestehen bestimmte Schutz- und Nebenpflichten (Wettbewerbsverbote, Geheimhaltungspflichten etc.) ggf. über die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus fort.
484
Zusätzlich können sich auch weitere Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnis (Zeugnisanspruch gem. § 630 BGB, Abfindungsanspruch gem. § 1a KSchG, Herausgabe von Arbeitsmitteln etc.) ergeben, die nach der wirksamen Kündigung vollständig zu erfüllen sind.
485
XI. Rechtsfolgen der unwirksamen Kündigung Die unwirksame Kündigung ist vollständig nichtig. Sie entfaltet damit keinerlei Rechtswirkungen, sondern das Arbeitsverhältnis besteht auch nach dem Zugang der Kündigung weiterhin zu den unveränderten Bedingungen fort und die Parteien bleiben vollständig zur Erfüllung ihrer vertraglichen Leistungspflichten verpflichtet.
486
Dies gilt gleichermaßen für die außerordentliche als auch für die ordentliche Kündigung oder die Änderungskündigung.
487
Es ist hierfür außerdem unerheblich, auf welchen Gründen die Nichtigkeit beruht. So ist es für die fehlende Rechtsfolge gleichgültig, ob die Nichtigkeit wegen sozialer Ungerechtfertigkeit nach § 1 KSchG, infolge eines Formmangels gem. § 125 BGB, wegen Fehlen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes nach § 626 BGB, wegen Verstoßes gegen ein sonstiges Kündigungsschutzgesetz gem. § 134 BGB, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB, we-
488
1 Siehe hierzu die näheren Ausführungen im Abschnitt „Rücknahme der Kündigung“. Siehe auch BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, BAGE 40, 56; v. 21.2.1957 – 2 AZR 410/54, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 73 ff. 2 Staudinger/Neumann, BGB, Vor § 620 Rz. 85; ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 620 Rz. 16.
Mues
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Teil 1 Rz. 489
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
gen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB oder wegen fehlerhafter Betriebsratsbeteiligung gem. § 102 BetrVG eintritt. 489
Die Kündigung ist mit ihrer Unwirksamkeit grundsätzlich vollständig und endgültig nichtig. Es findet damit weder eine geltungserhaltende Reduktion noch eine automatische Anpassung an eine andere zulässige Kündigungsmöglichkeit statt.
490
Auch durch nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des Kündigenden treten regelmäßig keine Beseitigung der Nichtigkeit und keine Heilung der Unwirksamkeitsgründe ein. Das Arbeitsverhältnis kann vom Kündigenden vielmehr nur durch den Ausspruch einer neuen ordnungsgemäßen Kündigung aufgelöst werden, wobei die Neukündigung keine Rückwirkung entfaltet, sondern für sie alle Voraussetzungen und Fristen zum Zeitpunkt der neuen Kündigung gelten.
491
Möglich bleibt jedoch ggf. die Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in ein wirksames Rechtsgeschäft nach § 140 BGB, sofern die Kündigungserklärung dem wirksamen Rechtsgeschäft entspricht und die sonstigen Voraussetzungen der Umdeutung vorliegen (siehe hierzu oben Rz. 57–59 und Rz. 433 ff.).
492
Zu beachten ist weiterhin, dass die Unwirksamkeit entsprechend § 4 KSchG innerhalb einer Frist von drei Wochen durch Klageerhebung beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden muss. Anderenfalls tritt gem. § 7 KSchG mit Fristablauf eine gesetzliche Heilung der Unwirksamkeitsgründe ein. Die Kündigung wird damit von Anfang an rechtswirksam und entfaltet danach ihre vollständigen Rechtswirkungen.
493
Dies gilt nicht nur für die Sozialwidrigkeit einer Kündigung nach § 1 KSchG, sondern nach § 13 KSchG auch für alle sonstigen Unwirksamkeitsgründe einschließlich des Verstoßes gegen die Vorschriften zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB und der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB sowie des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB.1 Lediglich bei Verstoß gegen das Schriftformerfordernis nach § 623 BGB tritt keine Heilung nach § 7 KSchG ein, da der Lauf der Klagefrist nach § 4 KSchG erst mit dem Zugang der schriftlichen Kündigung beginnt.
494
Auch wenn die nichtige Kündigung keine direkten Rechtswirkungen entfaltet, können durch sie doch indirekt weitergehende Rechtsfolgen ausgelöst werden.
495
So können im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses bei einer sozialwidrigen Kündigung, bei einer außerordentlichen Kündigung oder bei einer sittenwidrigen Kündigung selbst im Falle der Unwirksamkeit der Kündigung sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber gem. §§ 9, 10 KSchG (ggf. in Verbindung mit § 13 KSchG) die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliches Urteil gegen Zahlung einer Abfindung beantragen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist und die sonstigen Voraussetzungen des Auflösungsantrags erfüllt sind.2 1 ErfK/Kiel, KSchG, § 4 Rz. 4, § 13 Rz. 16, 19. 2 Siehe hierzu die näheren Ausführungen in Teil 12, Rz. 514 ff. „Auflösungsantrag und Auflösungsurteil“.
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Erteilung der Abmahnung
Rz. 500 Teil 1
Sofern der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses eine Arbeit aufgenommen hat, kann er gem. § 12 KSchG binnen einer Woche nach Rechtskraft des Urteils die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses verweigern, womit das gekündigte Arbeitsverhältnis trotz Unwirksamkeit der Kündigung schließlich doch beendet wird.1
496
Zusätzlich kann eine unwirksame Kündigung trotz ihrer Nichtigkeit wirksam die Funktion einer Abmahnung erfüllen. Der Arbeitnehmer wird, insbesondere bei unstreitigem Sachverhalt eines Fehlverhaltens, durch die nichtige Kündigung deutlich auf die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens und die ihm bei einer Wiederholung drohenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen hingewiesen. Auf diese Weise schafft die nichtige Kündigung ggf. die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer späteren Kündigung bei neuem Fehlverhalten.2
497
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass mit der Kündigung häufig eine Freistellung des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist verbunden wird bzw. nach dem Ablauf der Kündigungsfrist keine Weiterarbeit stattfindet. Auf diese Weise gelangt der Arbeitgeber im Falle einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, sodass bei einer unwirksamen Kündigung gem. § 615 BGB erhebliche Lohnforderungen des Arbeitnehmers mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen entstehen können.3
498
Schließlich ist zu beachten, dass eine unwirksame Kündigung, selbst wenn sie keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Folgen entfaltet, sich dennoch zumindest faktisch auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Auf der zwischenmenschlichen Ebene wird die Beziehung der Parteien mit einer solchen Kündigung in vielfältiger Weise schwer belastet, unter Umständen völlig zerstört. Nach einer Kündigung mit entsprechendem Kündigungsrechtsstreit ist damit das persönliche Verhältnis der Parteien in der Regel so stark zerrüttet, dass eine künftige Zusammenarbeit auf Dauer unmöglich wird.
499
B. Die Abmahnung I. Erteilung der Abmahnung 1. Rechtliche Grundlagen Mit der Abmahnung bringt der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Leistungs- oder Verhaltensmängel zum Ausdruck und verbindet damit den Hinweis, dass im Wiederholungsfall der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. 1 Siehe hierzu die näheren Ausführungen in Teil 12, Rz. 494 ff. „Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG“. 2 BAG v. 31.8.1989 – 2 AZR 13/89, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 Siehe hierzu die näheren Ausführungen in Teil 12, Rz. 433 ff. „Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug“.
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Teil 1 Rz. 501
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
501
Die Rechtsgrundlage der Abmahnung findet sich in den im Kündigungsschutzrecht geltenden Grundprinzipien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Ultima-ratio-Prinzips.1
502
In der Praxis spielt die Abmahnung vor allem im Bereich der Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen eine Rolle. Bei der personen- oder betriebsbedingten Kündigung ist sie grundsätzlich nicht erforderlich, da sie ihren Zweck (Veranlassung des Arbeitnehmers zu vertragsgemäßem Verhalten) in diesen Fällen nicht erfüllen kann.2 Nur bei der verhaltensbedingten Kündigung hat es der Arbeitnehmer selbst in der Hand, durch eine willentlich gesteuerte Verhaltensänderung der Kündigung zu entgehen. a) § 314 Abs. 2 BGB
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Gemäß § 314 Abs. 2 BGB ist die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund dann, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Vertragspflicht besteht, erst nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Ein solches Abmahnungserfordernis findet sich in § 626 BGB nicht. Daraus, dass § 626 BGB für die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich lex specialis gegenüber der allgemeinen Regelung des § 314 BGB ist, folgt aber nicht, dass eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ohne Abmahnung zulässig ist. Das grundsätzliche Erfordernis einer Abmahnung ergibt sich im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses schon aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.3 b) Abmahnung ohne Verschulden
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Die Abmahnung hat grundsätzlich keinen Strafcharakter, sondern soll den Arbeitnehmer in erster Linie vor weiterem vertragswidrigem Verhalten warnen. Daher ist der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG berechtigt, eine Abmahnung zu erteilen, wenn objektiv ein Pflichtverstoß vorliegt. Es kommt hingegen nicht darauf an, dass das Fehlverhalten dem Arbeitnehmer vorwerfbar ist.4
505
In der Literatur ist umstritten, ob der Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar sein muss. Ein Verhalten ist einem Arbeitnehmer dann subjektiv nicht vorzuwerfen, wenn er z.B. auf Grund seiner Qualifikation oder seines Gesundheitszustandes nicht fähig ist, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Nach einer vertretenen Literaturmeinung soll die Abmahnung geeignet
1 BAG v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, AP Nr. 116 zu § 626 BGB; KR/Fischermeier, § 1 KSchG Rz. 272 ff.; Hunold, NZA-RR 2000, 169, 170. 2 LAG Brandenburg v. 21.3.1994 – 4 (5/4) Sa 369/92, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 12. 3 APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 87 b. 4 BAG v. 12.1.1988 – 1 AZR 219/86, AP Nr. 90 zu GG Art. 9 Arbeitskampf; LAG Rheinland-Pfalz v. 5.11.1982 – 6 Sa 549/82, DB 1982, 1853; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 54.
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Eisenbeis
Erteilung der Abmahnung
Rz. 509 Teil 1
sein, weiter zur Klärung beizutragen, ob ein verhaltens- oder personenbedingter Grund für eine Kündigung gegeben ist.1 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Liegt ein behebbarer Mangel (z.B. nachholbare Qualifikation) vor, so ist es Sache des Arbeitnehmers, diesem abzuhelfen. Tut er dies nicht, riskiert er auf Dauer eine personenbedingte Kündigung. Wird auch in solchen Fällen eine Abmahnung für erforderlich gehalten, verwischt dies die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingter Kündigung.2 Für den Fall, dass einem Arbeitnehmer schließlich ein objektiver Pflichtverstoß wegen eines Rechtsirrtums nicht vorzuwerfen ist, erfüllt die Abmahnung nach dieser Auffassung ihre Funktion, weil sie klarstelle, dass der Arbeitnehmer vertragswidrig handelt und in Zukunft bei gleichartigen Pflichtverstößen mit weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss.3 Für diesen Fall eines Rechtsirrtums wiederum ist der Ansicht beizupflichten. Denn hier handelt es sich um ein steuerbares Verhalten. Gerade weil der Abmahnung kein Strafcharakter zukommt, ist sie in diesen Fällen das probate Mittel, den Mitarbeiter auf sein Fehlverhalten hinzuweisen.
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" Praxistipp: Für die Rechtmäßigkeit einer Abmahnung bedarf es keiner
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schuldhaften Pflichtverletzung.
2. Funktion und Inhalt der Abmahnung a) Dokumentation, Rüge, Warnung Mit einer Abmahnung weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam. Er übt damit seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte aus. Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und droht für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung individualvertragliche Konsequenzen, insbesondere den Ausspruch einer Kündigung an, weil ihm dies angebracht erscheint.4 Die Abmahnung erfüllt dadurch im Wesentlichen folgende Zwecke:
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– Rügefunktion, – Warnfunktion, – Dokumentationsfunktion. Die Rügefunktion der Abmahnung (auch Erinnerungs-, Ermahnungs-, Hinweisoder Beanstandungsfunktion) wird dabei durch das Vorhalten des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens erfüllt. Dadurch soll dem Arbeitnehmer deutlich gemacht werden, dass das gezeigte Verhalten vom Arbeitgeber als vertragswidrig angesehen wird. Es wird zum einen auf den konkreten Verstoß aufmerksam gemacht und zugleich das erwartete vertragsgemäße Verhalten aufgezeigt.5 Dabei 1 2 3 4
KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 273. Wie hier A/P/S/Dörner, § 1 KSchG Rz. 131. v. Hoyningen-Huene, RdA 1990, 201. BAG v. 30.5.1996 – 6 AZR 537/95, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Nebentätigkeit. 5 KR/Fischermeier, § 1 KSchG Rz. 256; Hoß MDR 1999, 333, 335.
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Teil 1 Rz. 510
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
reicht eine nur schlagwortartige Umschreibung der Verfehlung (z.B. „Minderleistung“, „Unpünktlichkeit“, „Unzuverlässigkeit“, „Vertrauensverlust“, „schlechte Zusammenarbeit“, „mangelhafte Leistung“) nicht aus, um den Anforderungen der Rügefunktion gerecht zu werden.1 Dem Arbeitnehmer muss aus der Abmahnung klar werden, was er nach Ansicht des Arbeitgebers tun oder lassen soll.2 510
Durch die Ankündigung von Konsequenzen wird die Warnfunktion (auch Ankündigungs- oder Androhungsfunktion) erfüllt.3 Dem Arbeitnehmer wird deutlich gemacht, dass bei wiederholtem, gleichartigem Fehlverhalten Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. Es ist hierbei nicht erforderlich, dass ausdrücklich die ordentliche oder außerordentliche Kündigung angedroht wird. Nach der Rechtsprechung des BAG ist es ausreichend, wenn „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ angedroht werden.4
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Schließlich soll die Abmahnung die sog. Dokumentationsfunktion erfüllen. Für zukünftige Wiederholungsfälle soll mit der Abmahnung das beanstandete Verhalten für eine gegebenenfalls auszusprechende Kündigung festgehalten werden.5 Die schriftliche Abfassung der Abmahnung ist – außer Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag sehen etwas anderes vor – nicht grundsätzlich zwingend.6 Daher ist die Dokumentationsfunktion für die Abmahnung nicht ebenso charakteristisch wie Rüge- und Warnfunktion. Die Einhaltung der Schriftform ist allerdings die Regel und im Hinblick auf die Beweislast des Arbeitgebers für Tatsachen, auf die er eine eventuelle Kündigung stützen möchte – und damit auch für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Abmahnung7 –, äußerst empfehlenswert. Möglich ist die Abmahnung am Schwarzen Brett des Betriebs oder im Intranet („Abmahnung an den, den es angeht“).8 Zu diesem Mittel wird man dem Arbeitgeber aber nur in außergewöhnlichen Situationen raten können. Auch eine unwirksame9 oder zurückgenommene10 Kündigung kann die Funktion einer Abmahnung erfüllen. Hierfür ist jedoch Voraussetzung, dass die Tatsachen, auf die die Kündigung gestützt wurde, feststehen und sich die Unwirksamkeit aus anderen Gründen ergibt (Schriftformerfordernis missachtet, fehlende Betriebsratsanhörung etc.). Die Erteilung einer Abmahnung stellt keine Bestrafung für ein Fehlverhalten dar. Diese Funktion übernimmt die Betriebsbuße. Durch die Abmahnung soll der Arbeitnehmer lediglich 1 LAG Stuttgart v. 17.10.1990 – 12 Sa 98/89, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 25. 2 BAG v. 23.6.2009 – 2 AZR 283/08, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75. 3 BAG v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633. 4 BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 626/93, AP Nr. 3 zu § 108 BPersVG. 5 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 6 KR/Fischermeier, § 1 KSchG Rz. 271; Tschöpe/Nägele, Teil 3 D Rz. 143. 7 LAG Hessen v. 23.12.1986 – 7 Sa 1084/86, BB 1987, 1463. 8 LAG Köln v. 6.8.1999 – 11 Sa 1085/98, NZA-RR 2000, 24. 9 BAG v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07, DB 2009, 1822; v. 31.8.1989 – 2 AZR 13/89, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Düsseldorf v. 6.3. 1986 – 5 Sa 1224/85, LAGE § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 9. 10 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 10/92, AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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Erteilung der Abmahnung
Rz. 514 Teil 1
zu vertragsgemäßem Verhalten angehalten werden, daher hat sie keinen Sanktionscharakter.1 b) Abgrenzung zur Ermahnung Ermahnung und Abmahnung verfolgen grundsätzlich gleichartige Ziele. Auch im Rahmen der Ermahnung übt der Arbeitgeber eine Gläubigerfunktion aus und rügt eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers. Der wesentliche Unterschied zur Abmahnung liegt darin, dass die bloße Ermahnung keine kündigungsvorbereitende Wirkung hat. Es fehlt also an der Warnfunktion. In der Praxis bietet sich eine Ermahnung regelmäßig für solche Sachverhalte an, bei denen eine Abmahnung unangemessen wäre. Denn der Arbeitgeber muss auch bei der Abmahnung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.2 So kann der Arbeitnehmer bei leichten Pflichtverstößen vor Ausspruch einer Abmahnung zunächst ermahnt werden, wenn eine Abmahnung wegen möglicher Unverhältnismäßigkeit unwirksam sein könnte. Im Wiederholungsfall wird jedoch auch bei Bagatellverstößen eine Abmahnung nach vorhergehender Ermahnung verhältnismäßig sein.
512
c) Abgrenzung zur Betriebsbuße Unter einer Betriebsbuße versteht man kollektivrechtliche Maßnahmen zur Sanktionierung von Verstößen gegen die betriebliche Ordnung.3 Während die Abmahnung den Arbeitnehmer zu pflichtgemäßem Verhalten in der Zukunft anhalten soll, um eine Kündigung zu vermeiden, dient die Betriebsbuße der (i.d.R. finanziellen) Ahndung vergangener Verstöße. Die Festlegung solcher Betriebsbußen unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.4 Auf Grund der Unterschiedlichkeit der Zielrichtung von Abmahnung und Betriebsbuße ist es möglich, dass beim Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen ein und dasselbe Verhalten sowohl Gegenstand einer Abmahnung als auch einer Betriebsbuße ist.5 Die Bezeichnung im Übrigen ist für die rechtliche Einordnung gleichgültig. Soweit die Maßnahme Sanktionscharakter aufweist, ist sie als Betriebsbuße zu qualifizieren, selbst dann, wenn sie als „Abmahnung“ bezeichnet wurde.6
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3. Ausspruch der Abmahnung a) Abmahnbefugnis Abmahnberechtigt ist grundsätzlich derjenige, der auch kündigungsberechtigt ist. Jedoch ist der Kreis der Abmahnungsberechtigten nicht auf diese Personen 1 Schaub/Linck, § 61 Rz. 28. 2 BAG v. 7.11.1979 – 5 AZR 962/77, DB 1980, 550; v. 13.11.1991 – 5 AZR 74/913, DB 1992, 843. 3 BAG v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße. 4 Fitting, BetrVG, § 87 Rz. 76 ff. 5 BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße. 6 BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße.
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Teil 1 Rz. 515
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
beschränkt. Die Abmahnung greift nicht in den Bestand des Arbeitsverhältnisses ein, sondern soll vielmehr eine Verhaltensänderung beim Arbeitnehmer bewirken. Daher ist jeder Mitarbeiter, der auf Grund seiner Aufgabenstellung dazu befugt ist, verbindliche Anweisungen bezüglich des Ortes, der Zeit sowie der Art und Weise der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erteilen, also gegenüber dem Arbeitnehmer das arbeitgeberseitige Direktionsrecht ausüben kann, abmahnungsberechtigt.1 Dies kann auch der vom Arbeitgeber dazu ermächtigte Rechtsanwalt sein.2 b) Formfreiheit 515
Da es – abgesehen von § 314 Abs. 2 BGB – keine gesetzliche Regelung der Abmahnung gibt, besteht grundsätzlich kein besonderes Formerfordernis.3 Die Abmahnung kann daher auch mündlich erfolgen. Ausnahmsweise können Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen besondere Formerfordernisse vorsehen. Ein Erfordernis, eine Abmahnung auch als „Abmahnung“ zu bezeichnen, besteht nicht.4 Erforderlich ist nur, dass die Abmahnung ihrer Rüge-, Warn- und Dokumentationsfunktion gerecht wird. Trotz der grundsätzlichen Formfreiheit sollte eine Abmahnung aus Beweisgründen stets schriftlich erfolgen. c) Frist
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Für die Ausübung des Abmahnungsrechts (Recht auf Abmahnung), sind keine gesetzlichen Fristen vorgeschrieben. Sie ergeben sich auch nicht aus der Rechtsprechung.5 Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist weder unmittelbar noch analog heranzuziehen, da es sich bei einer Kündigung um ein einseitiges Gestaltungsrecht handelt, während es bei einer Abmahnung lediglich um die Ausübung des vertraglichen Rügerechts geht.6 Entsprechend ist der Arbeitgeber auch nicht an tarif- oder einzelvertragliche Ausschlussfristen gebunden, da durch diese nur die Geltendmachung von Ansprüchen begrenzt werden soll.7 Daher ist es grundsätzlich möglich, auch bereits länger zurückliegende Vorfälle abzumahnen.
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Eine zeitliche Einschränkung findet das Recht zur Abmahnung jedoch durch die Verwirkung.8 Die Verwirkung kann jedoch nicht allein an den Ablauf einer bestimmten Zeitspanne (Zeitmoment) geknüpft werden, sondern erfordert darüber hinaus das Vorliegen bestimmter Umstände im Einzelfall (Umstandsmoment), die den Ausspruch einer Abmahnung als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Hier kann u.a. auf die Art und die Schwere der Verfehlung des Arbeitnehmers abgestellt werden. 1 BAG v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; LAG Hamm v. 15.3.1983 – 11(10) Sa 904/82, BB 1983, 1858. 2 BAG v. 15.7.1992 – 7 AZR 466/91, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Abmahnung. 3 Küttner/Eisemann, Personalbuch, Abmahnung Rz. 24. 4 BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, DB 80, 1351. 5 BAG v. 15.1.1986 – 5 AZR 70/84, AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. 6 BAG v. 12.1.1988 – AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 7 BAG v. 14.12.1994 – 5 AZR 137/94, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abmahnung. 8 BAG v. 13.10.1988 – 6 AZR 144/85, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung.
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Erteilung der Abmahnung
Rz. 520 Teil 1
d) Zugang Die Abmahnung wird nur dann ihrer Warn- und Rügefunktion gerecht, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich von ihrem Inhalt Kenntnis genommen hat. Es reicht also nicht aus, dass ihm die Abmahnung gemäß § 130 Abs. 1 BGB tatsächlich zugeht, also in seinen Machtbereich gelangt. Nur bei Kenntnisnahme des Inhalts kann der Arbeitnehmer sein Verhalten auf die vom Arbeitgeber geforderte Weise ändern.
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In seiner Entscheidung vom 9.8.19841 hat das BAG eine schriftliche Abmahnung gegenüber einer griechischen Arbeitnehmerin – die Analphabetin war und zudem kein Deutsch konnte – für unwirksam gehalten. Die ausgesprochene Kündigung hielt das Gericht dennoch für wirksam, da sich die Arbeitnehmerin nach Treu und Glauben nicht auf die fehlende Kenntnis berufen konnte. Vielmehr wäre es ihr zuzumuten gewesen, sich um eine Übersetzung des Schreibens zu kümmern, bei der reinen Entgegennahme des Schreibens durfte es die Arbeitnehmerin hingegen nicht belassen. Entscheidend ist jedoch die Aussage des Gerichts, dass der Arbeitgeber grundsätzlich dafür verantwortlich ist, dafür zu sorgen, dass der abgemahnte Arbeitnehmer Kenntnis vom Inhalt der Abmahnung nehmen kann. Bei der Abmahnung von Mitarbeitern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und/oder unter Leseschwäche leiden, empfiehlt es sich daher grundsätzlich, eine entsprechende Übersetzung in die Muttersprache beizufügen. Gegebenenfalls sollte zusätzlich noch für eine mündliche Übersetzung gesorgt werden. Da der Arbeitgeber im Prozess für das Vorliegen einer wirksamen Abmahnung – und damit auch für die Tatsache des Zugangs – beweispflichtig ist, empfiehlt es sich, wie bei Kündigungen das Abmahnschreiben per Boten oder in sonstiger Art und Weise (z.B. durch einen Mitarbeiter) unter Quittierung zustellen zu lassen.2 In Fällen wie dem o.g. Beispiel sollte das Abmahnungsschreiben nach Übersetzung zusätzlich verlesen und dies ebenfalls vom Arbeitnehmer durch Unterschrift/Zeichen bestätigt werden.
519
e) Anhörung des Arbeitnehmers/des Betriebsrats Der Arbeitnehmer muss vor dem Ausspruch einer Abmahnung grundsätzlich nicht angehört werden, da es sich hierbei nur um die Ausübung des dem Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zustehenden Rügerechts handelt.3 Das Erfordernis einer Anhörung kann sich jedoch ausnahmsweise aus einem Tarifvertrag ergeben.4 Findet eine hiernach vorgeschriebene Anhörung nicht statt, ist die Abmahnung formell unwirksam, und der Arbeitnehmer kann – selbst wenn die Abmahnung ansonsten wirksam wäre – die Entfernung aus der Personalakte fordern.5 Dem Arbeitgeber steht es jedoch frei, die Anhörung nachzuholen und 1 BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 2 So auch Becker-Schaffner, BB 1995, 2526. 3 A. A. Küttner, Personalbuch, Abmahnung Rz. 29. 4 Vgl. z.B. § 13 Abs. 2 BAT, im TVöD findet sich eine entsprechende Regelung jedoch nicht mehr. 5 BAG v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07, DB 2009, 1822; v. 16.11.1989 – 6 AZR 64/88, DB 1990, 841.
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Teil 1 Rz. 521
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
eine erneute Abmahnung auszusprechen. Der Abmahngrund ist insoweit nicht verbraucht.1 Eine nur formell unwirksame Abmahnung behält nach Ansicht des BAG ihre Warnfunktion bei, sodass sich der Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzverfahren hierauf stützen kann.2 521
Ein gesetzliches Erfordernis, den Betriebsrat vor Ausspruch einer Abmahnung zu beteiligen, gibt es bei privatwirtschaftlichen Betrieben nicht. Im öffentlichen Dienst hingegen wird die Anhörung des Personalrats zum Teil durch die entsprechenden Personalvertretungsgesetze vorgesehen.3 Hinsichtlich der Handlungsoptionen des Arbeitgebers bei einer nur wegen unterbliebener Anhörung unwirksamen Abmahnung kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. 4. Erforderlichkeit und Entbehrlichkeit der Abmahnung a) Erforderlichkeit/Anwendungsfälle
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Wegen des im Kündigungsrecht geltenden Ultima-ratio-Prinzips darf in der Regel nicht bereits beim ersten Fehlverhalten gekündigt werden.4 Daher gilt, dass grundsätzlich vor jeder verhaltensbedingten Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist. Das Erfordernis der Abmahnung gilt für alle Bereiche der verhaltensbedingten Kündigung, also sowohl für den Leistungs-, Betriebs- als auch den Vertrauensbereich.5
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Zum Leistungsbereich zählen die gegenseitigen Leistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Dies beinhaltet den Umfang, die Qualität sowie die Art und Weise der Erbringung der Arbeitsleistung. Der klassische Fall einer Pflichtverletzung im Leistungsbereich ist die Nicht- oder Schlechtleistung des Arbeitnehmers (Schlechtleistung durch mangelhafte Erledigung der übertragenen Arbeiten,6 Arbeitsbummelei,7 eigenmächtige Urlaubsverlängerung,8 wiederholte Unpünktlichkeit9 oder der wiederholten Nichtanzeige oder nicht rechtzeitigen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit nach § 5 EFZG10). 1 BAG v. 16.11.1989 – 6 AZR 64/88, DB 1990, 841. 2 BAG v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07, DB 2009, 1822; v. 21.5.1992 – 2 AZR 551/91, NZA 1992, 1028. 3 Vgl. z.B. § 87 Abs. 1 Nr. 20 LPVG Hamburg. 4 Das gilt auch für die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers, vgl. LAG Niedersachsen v. 17.1.2003 – 10 Sa 1034/02, MDR 2004, 218; LAG Hamm v. 18.6.1991 – 11 Sa 527/91, LAGE Nr. 59 zu § 626 BGB. 5 BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, AP Nr. 137 zu § 626 BGB; v. 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, AP Nr. 149 zu § 626 BGB. 6 BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 674/84, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 7 BAG v. 27.1.1988 – 5AZR 604/86, ZTR 1988, 309. 8 BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 9 BAG v. 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, AP Nr. 99 zu § 626 BGB; LAG Berlin v. 12.8.1996 – 9 Sa 47/96, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55. 10 BAG v. 16.8.1991 – 2 AZR 604/90, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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Eisenbeis
Erteilung der Abmahnung
Rz. 525 Teil 1
Als Pflichtverletzungen im Betriebsbereich sind Verstöße gegen solche Vorschriften anzusehen, deren Ziel es ist, das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb und untereinander zu regeln. Eine Störung im Betriebsbereich liegt beispielsweise vor, wenn der Arbeitnehmer sich nicht an ein betriebliches Rauch-,1 oder Alkoholverbot2 hält; ebenso bei provozierender parteipolitischer Betätigung im Betrieb,3 aber auch bei einem Verstoß gegen das Verbot religiöser Bekundungen in einer Schule.4
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In den Vertrauensbereich fallen alle Störungen, die den Glauben des Arbeitgebers an die Gutwilligkeit, Loyalität und Redlichkeit des Arbeitnehmers erschüttern, dass sich der Arbeitnehmer nicht unlauter gegen die Interessen des Arbeitgebers stellt und dass er sich nicht falsch, unaufrichtig oder hinterhältig gegen ihn stellen wird. In Rede steht somit die charakterliche Seite des Arbeitnehmers, nicht notwendigerweise seine Qualifikation.5 Der Vertrauensbereich ist immer dann betroffen, wenn durch ein Verhalten des Arbeitnehmers die Vertrauensgrundlage des Arbeitsverhältnisses in Frage gestellt ist. Dies ist vor allem bei unerlaubten Handlungen und Straftaten wie Diebstahl,6 Unterschlagung7 und Betrug8 der Fall. Nach der Rechtsprechung kommt es dabei auf die Schwere des Delikts (Unterschlagung eines Stücks Bienenstichkuchen durch Buffetkraft9 bzw. Pfandbons durch Kassiererin10, bei Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern11 bzw. gegenüber dem Vorgesetzten12 oder bei sexueller Belästigung13) grundsätzlich nicht an. Jedoch sind in der Rechtsprechung in neuester Zeit Tendenzen erkennbar, bei geringwertigen Vergehen die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu verneinen.14
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1 LAG Düsseldorf v. 17.6.1997 – 16 Sa 346/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 58. 2 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Hamm v. 11.11.1996 – 10 Sa 1789/95, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 56. 3 BAG v. 9.12.1982 – 2 AZR 620/80, AP Nr. 73 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 20.8.2009 – 2 AZR 499/08, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 4. 5 LAG Köln v. 10.6.1994 – 13 Sa 228/94, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 37. 6 BAG v. 13.12.1984 – 2 AZR 454/83, AP Nr. 81 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 6.8.1999 – 11 Sa 1085/98, NZA-RR 2000, 24. 7 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 8 LAG Hamm v. 20.2.1986 – 4 Sa 1288/85, DB 1986, 1338. 9 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 10 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09 („Fall Emmely“); LAG Berlin-Brandenburg v. 24.2. 2009 – 7 Sa 2017/08, NZA-RR 2009, 188. 11 BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR, ZTR 1997, 139; v. 31.3.1993 – AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Niedersachsen v. 5.8.2002 – 5 Sa 517/02, NZA-RR 2003, 75; LAG Köln v. 11.12.2002 – 7 Sa 726/02, NZA-RR 2003, 470. 12 BAG v. 12.1.1995 – 2 AZR 456/94; LAG Niedersachsen v. 27.9.2002 – 10 Sa 626/02, NZA-RR 2003, 76. 13 BAG v. 9.1.1986 – 2 ABR 24/85, AP Nr. 20 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Rheinland-Pfalz v. 24.10.2001 – 9 Sa 853/01. 14 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09 („Fall Emmely“); LAG Baden-Württemberg v. 10.2. 2010 – 13 Sa 59/09; LAG Hamm v. 18.9.2009 – 13 Sa 640/09.
Eisenbeis
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Teil 1 Rz. 526
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
b) Entbehrlichkeit der Abmahnung aa) Grundfall Arbeitnehmer 526
Die Rechtsprechung erkennt ausnahmsweise Konstellationen an, in denen der vorherige Ausspruch einer Abmahnung als entbehrlich angesehen wird. Dies soll beispielsweise dann gelten, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage oder nicht willens ist, sich vertragsgerecht zu verhalten.1 Eine solche Fallgestaltung kann insbesondere angenommen werden bei der hartnäckigen Weigerung, die übertragenen Aufgaben oder sonstige – zulässige – Weisungen des Arbeitgebers auszuführen,2 oder bei uneinsichtiger Nichterfüllung der Arbeitspflicht über einen längeren Zeitraum.3 Der Arbeitnehmer gibt damit zu erkennen, dass er unwillig ist, sich zu ändern.4
527
Auch dann, wenn der Vertragsverstoß so schwerwiegend ist, dass der Arbeitnehmer weiß oder wissen musste, dass der Arbeitgeber sein Verhalten unter keinen Umständen hinnehmen würde, ist die Abmahnung entbehrlich.5 In diesen Fällen ist dem Arbeitgeber der Ausspruch einer Abmahnung unzumutbar. Dies gilt beispielsweise bei vorsätzlich begangenen Straftaten des Arbeitnehmers, soweit sie mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, oder besonders schweren Vertragsverletzungen im Leistungs-, Betriebs- oder Vertrauensbereich.6 Vgl. dazu insbes. die Beispiele unter Rz. 525 (Störung des Vertrauensbereichs).
528
Von einer sog. vorweggenommenen Abmahnung spricht man, wenn der Arbeitgeber für bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Verstoß gegen ein betriebliches Alkohol-/Drogenverbot oder bestimmte Unfallverhütungsvorschriften) ankündigt, ohne vorherige Abmahnung eine Kündigung auszusprechen. Hierbei kann sich der Arbeitgeber eines Aushangs im Betrieb bedienen oder entsprechende Regelungen bereits in den Arbeitsvertrag aufnehmen. Ob in diesen Fällen die Abmahnung tatsächlich entbehrlich ist, ist umstritten. Teilweise wird vertreten, dass die nochmalige Abmahnung in solchen Fällen nicht notwendig sei, weil der Arbeitnehmer aus den Umständen entnehmen könne, dass sein Verhalten kündigungsrelevant ist.7 Dieser Mindermeinung ist nicht zu folgen. Die ganz überwiegende Meinung weist zu Recht darauf hin, dass die vorweggenommene Abmahnung dem Übermaßverbot nicht gerecht wird, weil dem Arbeitnehmer keinerlei Gelegenheit mehr gegeben wird, sein Verhalten zu ändern. Weiterhin wird der Warn- und Rügefunktion nicht Genüge getan. Denn dies würde voraussetzen, dass dem Arbeitnehmer das im konkreten Einzelfall missbilligte Verhalten genau dargelegt und Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis angedroht werden. Dies leistet eine vorweggenommene und abstrakte Andro-
1 2 3 4 5
BAG v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, AP Nr. 116 zu § 626 BGB. BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 626/93, AP Nr. 3 zu § 108 BPersVG. Küttner/Eisemann, Personalbuch, Abmahnung Rz. 18. Hunold, BB 1986, 2050, 2053. BAG v. 12.7.1984 – 2 AZR 320/83, AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972; v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 10.2.1999 – 2 ABR 31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969. 6 Vgl. dazu die Übersicht bei ErfK/Ascheid, § 1 KSchG Rz. 305. 7 LAG Hamm v. 16.12.1982 – 10 Sa 965/82, BB 1983, 1601.
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Erteilung der Abmahnung
Rz. 531 Teil 1
hung aber gerade nicht, da ein konkretes Verhalten nicht für die Zukunft gerügt werden kann.1 bb) Übertragung auf Organmitglieder wegen § 314 BGB? Bislang war nach der ständigen Rechtsprechung des BGH die außerordentliche Kündigung von Organmitgliedern stets ohne vorherige Abmahnung möglich.2 Mit der Schuldrechtsreform ist § 314 Abs. 2 BGB n.F. in das Recht der Schuldverhältnisse mit aufgenommen worden, nach dem bei der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund zu deren Wirksamkeit zunächst fruchtlos eine Frist zu setzen ist bzw. erfolglos eine Abmahnung ausgesprochen werden muss. Dadurch stellt sich die Frage, inwieweit diese Neuregelung auch für die Bewertung der Kündigung von Organmitgliedern Bedeutung hat. Zunächst ist festzustellen, dass § 626 BGB lex specialis für den Fall einer außerordentlichen Kündigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen gegenüber der allgemeinen Regelung des § 314 BGB ist und § 626 BGB deswegen grundsätzlich Anwendungsvorrang vor dem allgemeineren § 314 BGB genießt. Daher gilt bei der Kündigung von Dienst- und Arbeitsverträgen auch die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen gemäß § 626 Abs. 2 BGB und nicht die allgemeine „angemessene Frist“ im Sinne des § 314 Abs. 3 BGB. Ein spezielles Abmahnerfordernis kennt § 626 BGB hingegen nicht.
529
Insoweit wird vertreten, dass dies nicht als „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers gedeutet werden könne mit der Folge der Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung des BGH.3 Vielmehr wird betont, dass der Gesetzgeber mit der Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Grundlage für das Recht der außerordentlichen Kündigung ein Fundament für die spezielleren Regelungen im besonderen Schuldrecht schaffen wollte. Damit diene die Einfügung des § 314 BGB der Vervollständigung des allgemeinen Schuldrechts im Zuge der Reform.4 Folglich sei diese Vorschrift für eine fristlose Kündigung bindend, solange das besondere Schuldrecht nicht eine eindeutige Sonderregelung vorsehe. Aus diesem Grunde sei wegen fehlenden ausdrücklichen Ausschlusses des Abmahnungserfordernisses bei der Kündigung von Dienstverhältnissen gemäß § 626 BGB auf die Regelung des allgemeinen Schuldrechts und damit auf § 314 Abs. 2 BGB zurückzugreifen. Deshalb sei nach neuer Rechtslage vor jeder Kündigung von Organmitgliedern grundsätzlich eine Abmahnung nach dem Vorbild der Abmahnung von Arbeitnehmern erforderlich.5
530
Der BGH ist dieser Auffassung allerdings nicht gefolgt. Mit Urteil vom 2.7.2007 hat der II. Zivilsenat festgestellt, dass es vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses mit einem organschaftlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft keiner Abmahnung bedarf.6 Damit hat das Gericht seine
531
1 v. Hoyningen/Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 288 c; Schaub/Linck, Rz. 60; Zwanziger, Einl. Rz. 139. 2 Vgl. nur BGH v. 14.2.2000 – II ZR218/98, BB 2000, 844. 3 Schmacher/Mohr, DB 2002, 1606; Schneider, GmbHR 2003, 1. 4 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 177. 5 So im Ergebnis Schmacher/Mohr, DB 2002, 1606; Schneider, GmbHR 2003, 1. 6 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, NJW-RR 2007, 1520 f.
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Teil 1 Rz. 532
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
ständige Rechtsprechung aufrechterhalten, wonach entscheidend ist, dass der organschaftliche Vertreter Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt. § 314 n.F. BGB gebe keine Veranlassung, von diesen Grundsätzen abzuweichen, da die genannte Funktionszuweisung ein besonderer Umstand im Sinne von § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB sei, auf den § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB verweise.1 Das OLG Saarbrücken betonte darüber hinaus, dass das Institut der Abmahnung im Arbeitsrecht im Hinblick auf die soziale Schutzbedürftigkeit abhängig Beschäftigter entwickelt worden sei; bei Organmitgliedern von Kapitalgesellschaften hingegen sei diese weit weniger ausschlaggebend. Organmitglieder hätten sich auch ohne Abmahnung und von sich aus im Rahmen ihres Pflichtenkreises dem Standard eines ordentlichen Kaufmanns entsprechend zu verhalten.2 5. Rechtsfolgen der Abmahnung a) Kündigungsvorbereitung 532
Der Ausspruch einer Abmahnung dient für den Fall des wiederholten Verstoßes gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis der Vorbereitung einer verhaltensbedingten Kündigung. Wie viele Abmahnungen erforderlich sind, bevor eine Kündigung tatsächlich ausgesprochen werden kann, ist in der Praxis schwer zu beurteilen. Bei schweren Pflichtverletzungen reicht – soweit die Abmahnung nicht ohnehin entbehrlich ist – im Regelfall eine Abmahnung aus. Das Erteilen weiterer Abmahnungen kann in solchen Fällen sogar dazu führen, dass die Wirkung der Abmahnung in Bezug auf ihre Warnfunktion abgeschwächt würde.3
533
Bei nicht besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen hingegen reicht eine Abmahnung regelmäßig nicht aus. Insbesondere bei langjährig beanstandungsfreien Arbeitsverhältnissen ist dem Arbeitgeber zuzumuten, das gleiche Fehlverhalten mehrfach abzumahnen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG, da ein Arbeitnehmer mit hohem sozialem Besitzstand durch eine lediglich einmalige Abmahnung nicht hinreichend davor gewarnt werde, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel steht.4 Gerade bei leichtestem Fehlverhalten sind mehrmalige Abmahnungen auch erforderlich, da bei erstmaligem Fehlverhalten in der Regel noch keine Negativprognose dahingehend, dass der Arbeitnehmer das Fehlverhalten in Zukunft wiederholen wird, erstellt werden kann.5
534
Hält man jedoch mehrere Abmahnungen für erforderlich, schwächt sich die Warnfunktion mit jeder weiteren Abmahnung ab, was schließlich bei einer Reihe von einschlägigen Abmahnungen ohne weitergehende Konsequenzen zum Verlust des Kündigungsrechts insgesamt führt, weil der Arbeitnehmer davon ausgehen darf, dass das Fehlverhalten nicht zur Kündigung führen wird. Das 1 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, NJW-RR 2007, 1520 f.; vgl. auch OLG Saarbrücken v. 31.7.2006 – 8 U 269/03, WM 2006, 2364 – 2371. 2 OLG Saarbrücken v. 31.7.2006 – 8 U 269/03, WM 2006, 2364 – 2371. 3 Vgl. v. Hoyningen/Huene, RDA 1990, 193, 208. 4 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 609/00, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; LAG Hamm v. 25.9.1997 – 8 Sa 557/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 270. 5 Vgl. v. Hoyningen/Huene, RDA 1990, 193, 208.
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Erteilung der Abmahnung
Rz. 536 Teil 1
BAG verlangt in diesen Fällen von dem Arbeitgeber, der durch zahlreiche Abmahnungen ihre Warnfunktion zunächst abgeschwächt hat, dass er die letzte Abmahnung vor der Kündigung besonders eindringlich gestaltet.1 Dies kann dadurch geschehen, dass die Abmahnung in der Überschrift bereits als „letztmalige Abmahnung“ ausgewiesen wird oder innerhalb der einzelnen Abmahnungen Ton und Inhalt verschärft werden.2
u
Musterformulierung: Letztmalige Abmahnung „Sehr geehrter Herr/sehr geehrte Frau …,
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Sie sind am … erneut erst um 10.00 Uhr und damit erheblich verspätet zur Arbeit erschienen. Arbeitsbeginn ist um 9.00 Uhr. Wir haben Sie wegen verspäteten Arbeitsbeginns in den letzten 12 Monaten bereits dreimal abmahnen müssen, so am 5.3., 22.6. und 10.9.2009. Wir weisen darauf hin, dass wir nicht mehr bereit sind, diese Pflichtverletzung hinzunehmen, und mahnen Sie hiermit letztmalig ab. Sollte sich ein vergleichbarer Vorfall wiederholen, werden wir das Arbeitsverhältnis kündigen. Eine weitere Abmahnung erhalten Sie nicht mehr! Diese letztmalige Abmahnung wird – wie bereits die vorhergegangenen Abmahnungen – in Ihre Personalakte aufgenommen. Mit freundlichen Grüßen ….“
b) Verbrauch von Kündigungsvorwürfen Durch die Abmahnung wird der konkret gerügte Sachverhalt untauglich für eine Kündigung; der Sachverhalt „verbraucht“ sich. Der Arbeitgeber kann den Pflichtverstoß, den er bereits wirksam abgemahnt hat, nicht zusätzlich als Grundlage für eine Kündigung verwenden.3 Der Grundsatz, dass der Arbeitgeber mit dem Ausspruch der Abmahnung zugleich auf das Recht zur Kündigung aus den Gründen verzichtet, wegen derer die Abmahnung erfolgt ist, gilt auch bei einer Abmahnung, die während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochen wird.4 Der Arbeitgeber kann allerdings im umgekehrten Falle einer unwirksamen Kündigung wegen des zur Rechtfertigung einer Kündigung nicht ausreichenden Sachverhalts abmahnen.5 In diesem Falle hat sich der Sachver1 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 609/00, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung. 2 So auch Hoß, MDR 1999, 333, 335: „arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung“, „Kündigung des Anstellungsverhältnisses“, „unausweichlich die sofortige Kündigung“. 3 BAG v. 26.11.2009 – 2 AZR 751/08, DB 2010, 733; v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; LAG Hessen v. 24.2.2000 – 14 Sa 1957/99. 4 BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, EzA BGB § 623 2002 Nr. 9. 5 BAG v. 7.9.1988 – 5 AZR 625/87, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung; ArbG Köln v. 17.12.1993 – 2 Ca 7959/93, BB 1994, 580.
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Teil 1 Rz. 537
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
halt noch nicht „verbraucht“. Treten nach Ausspruch der Abmahnung weitere Pflichtverletzungen hinzu oder werden frühere Pflichtverletzungen erst danach bekannt, können diese wiederum zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden. c) Kündigung nur bei Gleichartigkeit 537
Generell ist eine verhaltensbedingte Kündigung nur damit zu rechtfertigen, dass der Kündigende vor Ausspruch derselben das kündigungsrelevante Fehlverhalten erfolglos abgemahnt hat. Jedoch berechtigt nicht jede Abmahnung bei einer erneuten Pflichtverletzung zur Kündigung. Da durch die Abmahnung das Fehlverhalten im konkreten Fall gerügt und gleichzeitig das vertragsgemäße Verhalten aufgezeigt werden soll, muss eine Vergleichbarkeit zwischen dem abgemahntem Verhalten und eben jenem, das zur Kündigung führen soll, bestehen.1 Mit anderen Worten: Abmahnung und Kündigungsgrund müssen in engem Zusammenhang stehen; die Abmahnung muss „einschlägig“ sein.
538
Es ist jedoch nicht erforderlich, dass der Vorwurf in beiden Fällen identisch ist. Vielmehr reicht es, wenn derselbe Pflichtenkreis betroffen ist, die Verstöße also auf einer Ebene liegen und unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammengefasst werden können.2 Eine Vergleichbarkeit liegt danach beispielsweise vor, wenn eine Abmahnung auf Grund der Nichtanzeige einer Arbeitsunfähigkeit erfolgte, die Kündigung dann aber wegen der Weigerung zur Rücksprache mit dem Arbeitgeber ausgesprochen wurde, da in beiden Fällen eine Missachtung des Direktionsrechts vorliegt.3 Ebenso vergleichbar sind Verletzungen der Arbeitspflicht als geschuldete Hauptleistungspflicht: Daher ist von der Rechtsprechung das Zuspätkommen bzw. frühzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes auch mit dem Kartenspielen während der Arbeitszeit als vergleichbar angesehen worden.4 An der Vergleichbarkeit fehlt es dagegen, wenn wegen verspäteter Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgemahnt wurde, die Kündigung aber wegen Beschwerden der Restaurantgäste und Fehlbeträgen in der Kasse erfolgt.5 d) Wirkungsdauer
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Es gibt keine gesetzliche Frist für den Ausspruch einer Abmahnung, ebenso wenig verliert sie ihre Wirkung (Recht aus der Abmahnung) allein durch Zeit1 2 3 4 5
BAG v. 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023. LAG Hessen v. 7.7.1997 – 16 Sa 2328/96, LAGE § 626 BGB Nr. 115. LAG Hessen v. 7.7.1997 – 16 Sa 2328/96, LAGE § 626 BGB Nr. 115. LAG Berlin v. 18.1.1988 – 9 Sa 118/87, LAGE § 626 BGB Nr. 31. BAG v. 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023 (allerdings wurde hier keine Kündigung ausgesprochen, sondern ein Aufhebungsvertrag geschlossen, der wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 BGB angefochten wurde. Der Senat verwies jedoch darauf, dass eine Drohung mit einer Kündigung bereits dann widerrechtlich sei, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen dürfe. Eine Kündigung durfte aber mangels einschlägiger Abmahnung nicht in Erwägung gezogen werden).
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Angreifbarkeit der Abmahnung
Rz. 540 Teil 1
ablauf. Dies hat das BAG in einem Urteil vom 18.11.19861 ausdrücklich klargestellt. Damit hat es gleichzeitig einer vom LAG Hamm2 vertretenen Auffassung widersprochen, wonach eine Abmahnung in der Regel nach Ablauf von zwei Jahren wirkungslos werde, mit der Folge, dass sie der Arbeitgeber nicht mehr zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung heranziehen könne. Das BAG gestand zwar ein, dass das Recht aus der Abmahnung mit der Zeit zwar tatsächlich seine Wirkung verliere und irgendwann wirkungslos werde. Hierfür könnten aber keine Regelfristen herangezogen werden; erforderlich sei vielmehr eine genaue Betrachtung der Umstände des Einzelfalls. Insbesondere sei dabei auf die Art der Verfehlung und auf das Verhalten des Arbeitnehmers im Anschluss an die Abmahnung abzustellen.3
II. Angreifbarkeit der Abmahnung 1. Rücknahme/Entfernung bei Unrichtigkeit Nach der Rechtsprechung hat ein Arbeitnehmer gegen eine zu Unrecht in seine Personalakte aufgenommene Abmahnung einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Entfernung. Dieser Anspruch leite sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) in Verbindung mit §§ 242, 1004 BGB ab. Die Erforderlichkeit des Entfernungsanspruchs soll sich daraus ergeben, dass eine zur Personalakte genommene Abmahnung geeignet sei, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und in seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen.4 Inzwischen wurden durch die Rechtsprechung mehrere Fallgruppen gebildet, wann eine Abmahnung ungerechtfertigt und damit zu beseitigen ist (jeweils alternativ), nämlich wenn – – – –
sie formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist,5 sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält,6 der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wird,7 das Recht zum Ausspruch der Abmahnung unter Berücksichtigung der verstrichenen Zeit und der Umstände des Einzelfalls verwirkt ist,8 – sie durch ihre Formulierung die Ehre des Arbeitnehmers verletzt, indem sie Unwerturteile beinhaltet, die über das mit einem Tadel notwendige Maß hinausgehen,9
1 BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 674/84, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; ebenso BAG v. 21.5.1987 – 2 AZR 313/86, DB 1987, 2367. 2 LAG Hamm v. 14.5.1986 – 2 Sa 320/86, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 2. 3 BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 674/84, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BAG v. 13.5.1996 – 5 AZB 27/95, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Nebentätigkeit. 5 BAG v. 16.11.1989 – 6 AZR 64/88, AP Nr. 2 zu § 13 BAT. 6 BAG v. 27.11.1985 – AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. 7 BAG v. 13.11.1991 – 5 AZR 74/91, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung; v. 10.11.1993 – 7 AZR 682/92, AP Nr. 4 zu § 78 BetrVG 1972; v. 31.8.1994 – 7 AZR 893/93, AP Nr. 98 zu § 37 BetrVG 1972. 8 Küttner/Eisemann, Personalbuch, Abmahnung Rz. 39. 9 Küttner/Eisemann, Personalbuch, Abmahnung Rz. 39; angedeutet auch von BAG v. 27.11.1985 – 5 AZR 101/84, AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht.
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Teil 1 Rz. 541
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
– sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht.1 541
Bis auf die Verwirkung ist in allen Fallvarianten der Ausspruch der Abmahnung schon von Anfang an ungerechtfertigt. Ein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung soll aber auch dann gegeben sein, wenn die Abmahnung zwar grundsätzlich gerechtfertigt ist, aber auf Grund des Zeitablaufs unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Möglichkeit, eine Kündigung auf das abgemahnte Verhalten zu stützen (Recht aus der Abmahnung), verwirkt ist.2 Besteht der Beseitigungsanspruch des Arbeitnehmers, muss die ungerechtfertigte Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden.
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Weiterhin darf weder die entfernte Abmahnung im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt noch darf das berufliche Fortkommen dadurch erschwert werden.3 Im Rahmen des Entfernungsanspruchs gibt es keine geltungserhaltende Reduktion. Werden in einer Abmahnung mehrere Fehlverhalten gerügt und besteht nur bezüglich eines Sachverhalts ein Entfernungsanspruch, so muss dennoch die Abmahnung insgesamt entfernt werden. Dem Arbeitgeber bleibt es aber unbenommen, eine erneute Abmahnung wegen der verbleibenden wirksamen Verstöße auszusprechen.4
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" Praxistipp: Bei mehreren abmahnungswürdigen Pflichtverstößen sind je-
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Die Aufteilung der zusammengefassten Verstöße in eine Reihe von Einzelabmahnungen kann dann aber problematisch sein, wenn die einzelnen Verstöße für sich genommen jeweils unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit keine Abmahnung rechtfertigen, sondern erst die Gesamtschau ein abmahnungswürdiges Fehlverhalten ergibt.
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Der Beseitigungsanspruch des Arbeitnehmers endet grundsätzlich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da sich die Abmahnung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr negativ auf sein berufliches Fortkommen auswirken kann. Etwas anderes kann für die Fälle gelten, in denen objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch schaden wird.5 Dies ist dann möglich, wenn die Abmahnung in ein vom vormaligen Arbeitgeber zu erstellendes Zeugnis einfließt oder dieser dem Arbeitgeber, bei dem sich der ausgeschiedene Arbeitnehmer beworben hat, entsprechende Auskünfte geben könnte. Für das Vorliegen solcher schädlichen Auswirkungen ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig.6
weils gesonderte Abmahnungen zu erteilen.
1 BAG v. 13.5.1996 – 5 AZB 27/95, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Nebentätigkeit. 2 BAG v. 21.5.1987 – 2 AZR 313/86, DB 1987, 2367; v. 27.1.1988 – 5 AZR 604/86, ZTR 1988, 309. 3 BAG v. 5.8.1992 – 5 AZR 531/91, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Abmahnung; Schaub/Linck, § 61 Rz. 77. 4 BAG v. 13.3.1991 – 5 AZR 133/90, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Abmahnung. 5 BAG v. 14.9.1994 – 5 AZR 632/93, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung. 6 BAG v. 14.9.1994 – 5 AZR 632/93 AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung.
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Angreifbarkeit der Abmahnung
Rz. 550 Teil 1
2. Gegendarstellung § 83 Abs. 2 BetrVG sieht vor, dass der Arbeitnehmer das Recht hat, Erklärungen zum Inhalt der Personalakte in die Personalakte mit aufnehmen zu lassen. Dies umfasst insbesondere die sog. Gegendarstellung, in der der Arbeitnehmer seine abweichende Sicht zur Abmahnung festhalten kann. Diese Rechtsgrundsätze leiten sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers ab und gelten daher auch in betriebsratsunfähigen bzw. betriebsratslosen Betrieben.1
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Die Gegendarstellung ist auch dann in die Personalakte aufzunehmen, wenn der Arbeitgeber sie für unzutreffend hält.2
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In der Praxis ist dem Arbeitnehmer nicht zu empfehlen, gegen eine unberechtigte Abmahnung den Klageweg zu beschreiten, er sollte sich vielmehr auf eine Gegendarstellung beschränken. Eine prozessuale Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber über die Berechtigung einer Abmahnung birgt jedenfalls das Risiko, dass das Klima im Arbeitsverhältnis belastet wird. Diese mögliche Konsequenz lässt sich unschwer durch eine Gegendarstellung vermeiden, ohne dass der Arbeitnehmer hierbei einen Rechtsverlust erleidet.
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3. Beschwerde Ist ein Arbeitnehmer mit einer ausgesprochenen Abmahnung nicht einverstanden kann er überdies seine Beschwerde dem Betriebsrat – soweit vorhanden – gemäß § 85 Abs. 1 Halbs. 1 BetrVG vortragen. Hält der Betriebsrat die Beschwerde für gerechtfertigt, wirkt er gemäß § 85 Abs. 1 Halbs. 2 BetrVG beim Arbeitgeber auf Abhilfe hin. Streiten sich Betriebsrat und Arbeitgeber über die Berechtigung der Beschwerde, ist § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Einleitung eines Verfahrens vor der Einigungsstelle nicht einschlägig. Dies folgt daraus, dass es sich bei dem Recht des Arbeitnehmers auf Entfernung einer ungerechtfertigten Abmahnung um einen Rechtsanspruch im Sinne von § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG handelt. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Rechtmäßigkeit der Abmahnung kann deshalb kein die Einigung ersetzender Spruch der Einigungsstelle herbeigeführt werden.3
549
4. Verwirkung/Präklusion Es besteht grundsätzlich keine festgelegte Frist, innerhalb derer der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Abmahnung geltend machen muss. Insbesondere tritt keine Präklusion ein, wenn sich ein Arbeitnehmer entscheidet, zunächst nicht gegen eine Abmahnung vorzugehen. Nach der Rechtsprechung des BAG kann sich ein Arbeitnehmer auch erst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses darauf berufen, dass die zur Kündigungsvorbereitung erfolgten Abmah-
1 Fitting, BetrVG § 83 Rz. 1. 2 Fitting, BetrVG § 83 Rz. 14. 3 LAG Mainz v. 17.1.1985 – 5 TaBV 36/84, NZA 1985, 190; LAG Hamm v. 16.4.1986 – 12 TaBV 170/85, BB 1986, 1359; LAG Berlin v. 19.8.1988 – 2 TaBV 4/88, LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 11.
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Teil 1 Rz. 551
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
nungen unwirksam waren.1 Erforderlich für den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung ist in jedem Fall jedoch, dass sich die Abmahnung noch negativ auf das berufliche Fortkommen auswirken kann. Das BVerfG hat daher einen Anspruch auf Entfernung einer rechtswidrigen Abmahnung im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde verneint, da nach Ansicht des Gerichts wegen des zwischenzeitlichen (beanstandungsfreien) Zeitablaufs von sechs Jahren von ihr keine für den Arbeitnehmer negativen Wirkungen mehr ausgingen.2 551
Entsprechend wird regelmäßig auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen. Das BAG erkennt einen solchen Anspruch jedoch ausnahmsweise dann an, wenn die Abmahnung auch nach der Beendigung noch schädigende Wirkung entfalten könnte, z.B. weil sie sich auf ein zu erteilendes Zeugnis auswirkt. Hierfür ist der Arbeitnehmer im Prozess jedoch darlegungs- und beweispflichtig.3 Tarifliche Ausschlussfristen gelten für die Geltendmachung des Entfernungsverlangens nach Ansicht des BAG jedoch nicht.4 5. Prozess und Rechtsschutzbedürfnis
552
Will der Arbeitnehmer sein Recht, die Abmahnung aus der Personalakte entfernen zu lassen, gerichtlich durchsetzen, muss er vor dem Arbeitsgericht eine Leistungsklage erheben.5 Unzulässig ist eine Feststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung, dass die Abmahnung unwirksam ist, da nach § 256 ZPO nur die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Rechtsverhältnissen festgestellt werden kann.6 Die Wirksamkeit einer Abmahnung ist jedoch kein Rechtsverhältnis, sondern eine Tatsache. Liegt objektiv die ernsthafte Besorgnis weiterer Störungen des Arbeitsverhältnisses durch zusätzliche ungerechtfertigte Abmahnungen vor, ist eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen den Arbeitgeber zulässig.7 Der Arbeitnehmer ist jedoch nicht daran gehindert, die Unwirksamkeit einer Abmahnung erst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses geltend zu machen, eine Präklusion tritt nicht ein.8 Um im bestehenden Arbeitsverhältnis die Beziehung zum Arbeitgeber nicht noch weiter zu belasten, ist die Geltendmachung der Unwirksamkeit erst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses sogar regelmäßig empfehlenswert.
553
Ein Nachschieben von Abmahngründen ist unzulässig.9 Dies ergibt sich aus der Warn- und Rügefunktion der Abmahnung. Dem Arbeitnehmer soll schließlich mit Hilfe der Abmahnung ein Fehlverhalten vor Augen geführt werden, damit er in Zukunft in der Lage ist, sich pflichtgemäß zu verhalten. Bringt der Arbeit1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 13.3.1987 – 7 AZR 601/85, NZA 1987, 518. BVerfG v. 16.10.1998 – 1 BvR 1685/92, NZA 1999, 77. BAG v. 14.9.1994 – 5 AZR 632/93, NZA 1995, 220. BAG v. 14.12.1994 – 5 AZR 137/94, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abmahnung. BAG v. 22.2.1978 – 5 AZR 801/76, AP Nr. 84 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße. ArbG Bochum v. 17.5.1996 – 4 Ca 250/95, NZA-RR 1997, 82. LAG Hessen v. 23.12.1986 – 7 Sa 1084/86, BB 1987, 1463. Schaub/Linck, § 61 Rz. 41, a.A. LAG Berlin v. 21.8.1989 – 9 Sa 45/89, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 19.
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Exkurs: die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung
Rz. 557 Teil 1
geber dann aber neue Abmahngründe vor, die zunächst nicht Gegenstand der Abmahnung waren, wird dies nicht gewährleistet. Dem Arbeitgeber bleibt unbenommen, wegen der nicht aufgenommenen Gründe innerhalb der Grenzen der Verwirkung erneut abzumahnen. Nach Ansicht des LAG Berlin1 gelte hingegen eine Art „Erst-recht-Schluss“: Wenn schon Kündigungsgründe nachgeschoben werden könnten, müsse dies auch für die Abmahnung als kündigungsvorbereitende Handlung gelten. Diese Ansicht verkennt, dass die Abmahnung auch eine Dokumentationsfunktion erfüllt, die die Kündigung nicht kennt.2
554
Der Streitwert im Rahmen eines Prozesses um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte wird von den Gerichten uneinheitlich festgesetzt. Grundsätzlich soll er bei einem Bruttomonatshalt liegen,3 teilweise wird er bei einem halben Monatsgehalt angesetzt.4 Auch bei mehreren aufeinanderfolgenden Abmahnungen innerhalb kurzer Zeit wurde der Streitwert auf insgesamt ein Monatsgehalt festgelegt,5 was angesichts der Bedeutung mehrfacher, in kurzen Abständen erteilter Abmahnungen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses kaum überzeugt.
555
III. Exkurs: die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung Neben der Frage der individualrechtlichen Abmahnung als Voraussetzung für eine Kündigung eines Arbeitnehmers wird in der Literatur auch die Figur der betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung diskutiert. Eine solche soll der Einleitung eines Ausschlussverfahrens eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner Amtspflichten nach § 23 Abs. 1 BetrVG vorausgehen.6 Als Argument für die Erforderlichkeit dieser Rechtsfigur wird die vergleichbare Interessenlage mit einer Kündigung bemüht. Auch dem Betriebsratsmitglied müsse vor Einleitung des Ausschlussverfahrens Gelegenheit gegeben werden, sein Verhalten zu ändern.7 Rechtsgrundlage für das Erfordernis der „betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung“ soll der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG sein.8
556
Das Rechtsinstitut wird jedoch von der herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung zu Recht abgelehnt.9 Da ein Amtsenthebungsverfahren
557
1 LAG Berlin v. 21.8.1989 – 9 Sa 45/89, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 19. 2 So auch Schaub/Linck, § 61 Rdn. 41. 3 LAG Hamm v. 16.8.1989 – 2 Sa 308/89, DB 1989, 2032; LAG Nürnberg v. 11.11.1992 – 6 Ta 153/92, NZA 1993, 430; LAG Hamburg v. 12.8.1991 – 1 Ta 6/91, LAGE § 12 ArbGG Streitwert Nr. 94. 4 LAG Schleswig-Holstein v. 6.7.1994 – 6 Ta 28/94. 5 LAG Düsseldorf NZA-RR 1996, 391 (bei einem kurzen Abstand [innerhalb von drei Monaten] aufeinanderfolgenden Abmahnungen ist der Streitwert niedriger als ein Monatseinkommen). 6 Kania, NZA 1996, 374; Schleusener NZA 2001, 640; D/K/K/Trittin, § 23 BetrVG Rz. 45; wohl auch ArbG Hildesheim v. 1.3.1996 – 1 BV 10/95, AuR 1997, 336. 7 Schleusener, NZA 2001, 640, 642; Kania NZA 1996, 374, 375 f. 8 Vgl. Kania, NZA 1996, 374, 376. 9 BAG v. 5.12.1975 – 1 AZR 94/74, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße; LAG Berlin DB 1988, 863; Fitting, BetrVG § 23 Rz. 17 a; Richardi/Thüsing, § 23 BetrVG Rz. 11.
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Teil 1 Rz. 558
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
nach § 23 Abs. 1 BetrVG ohnehin nur möglich ist, wenn eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung begangen wurde, kann das pflichtwidrig handelnde Betriebsratsmitglied schon auf Grund des Ausmaßes der Pflichtwidrigkeit von vornherein nicht damit rechnen, dass sein Verhalten nur abgemahnt werde. Bei besonders schweren Verstößen ist aber eine nochmalige Abmahnung in der Regel weder zumutbar noch notwendig. Durch die Schwere des Verstoßes wird deutlich, dass dem Betriebsratsmitglied selbst nicht allzu viel an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gelegen ist. Der Gesetzgeber selbst hat mit der Ausgestaltung des Ausschlussverfahrens in § 23 Abs. 1 BetrVG den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit beachtet: Indem die grobe Pflichtverletzung als Maßstab für die Amtsenthebung eingefordert wird und die unterhalb dieses Niveaus liegenden Pflichtverstöße unbeachtlich sind, wird das Verhältnis von Arbeitgeber und Betriebsrat nicht durch ständige Amtsenthebungsanträge bei geringfügigen Verstößen belastet.
C. Aufhebungsvertrag und andere Beendigungstatbestände I. Ausschluss der Kündbarkeit 558
Nach geltender Gesetzeslage steht es dem Arbeitgeber im Grundsatz frei, seinen Betrieb nach den eigenen Vorstellungen zu organisieren. Dies schließt die Entscheidung ein, mit welchen Arbeitnehmern er diesen Betrieb führen möchte. Die zivilrechtlichen Generalklauseln und das KSchG erschweren die Kündigung durch den Arbeitgeber nur, ohne sie jedoch gänzlich auszuschließen. Zum Schutze einzelner Personengruppen bestehen gleichwohl vereinzelt gesetzliche Regelungen, die die Kündbarkeit dieser Personen an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen bzw. ganz ausschließen. Der Ausschluss der Kündbarkeit einzelner Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern kann jedoch auch Inhalt individualvertraglicher oder kollektivvertraglicher Vereinbarungen sein. 1. Vertragliche Kündigungsbeschränkungen
559
Aufgrund des Grundsatzes der Privatautonomie haben die Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, von den einseitig zwingenden kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften zu Gunsten des Arbeitnehmers abzuweichen. Die Vereinbarung einer zeitlich befristeten oder gar dauerhaften ordentlichen Unkündbarkeit kommt dem Arbeitnehmer zu Gute und ist daher zulässig.1
560
Möglich sind daneben auch die Kündigung erschwerende Regelungen, die nicht so weit gehen wie der völlige Ausschluss des Kündigungsrechts. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an Vereinbarungen, nach denen der allgemeine Kündigungsschutz bereits vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 1 BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 173/01, NZA 2002, 963 (befristeter Ausschluss); v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, NZA 1994, 934; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 11; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 321; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 386.
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Ausschluss der Kündbarkeit
Rz. 564 Teil 1
KSchG gelten soll.1 Ebenso denkbar sind Absprachen über die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben (§ 23 KSchG).2 Der Ausschluss der Kündbarkeit muss in der gemeinsamen Vereinbarung ausreichend angelegt sein. Eine dahingehende gesetzliche Regelung stellt § 15 Abs. 4 TzBfG dar, wonach ein Arbeitsverhältnis für die Lebenszeit einer Person geschlossen werden kann. Dies ist der Fall, wenn auf die Lebensdauer des Arbeitgebers, des Arbeitnehmers oder einer dritten Person abgestellt wird. Eine so weitgehende Bindung muss i.d.R. ausdrücklich zugesagt werden und kann konkludent nur aus ganz besonderen Umständen folgen.3
561
(Auslegungs-)Schwierigkeiten ergeben sich regelmäßig bei der Zusage einer „Lebens-“ oder „Dauerstellung“, da sich diese Formulierungen unterschiedlich deuten lassen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung kommt hier – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen. So besteht die Möglichkeit, dass der Arbeitsplatz lediglich unverbindlich angepriesen werden sollte, denn jedes unbefristete Arbeitsverhältnis ist vom Ansatz her dauerhaft angelegt.4 Auch kann gemeint sein, dass der Kündigungsschutz i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes ohne die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gelten soll.5 Die Zusicherung einer Lebensaufgabe kann auch nur in der Abwägung der beiderseitigen Interessen Berücksichtigung finden.6 Ebenso möglich ist aber auch, dass ein dauerhafter7 oder zumindest befristeter8 vertraglicher Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit gemeint sein soll. Es sind daher immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
562
" Praxistipp: Aufgrund der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten einer „Le-
563
Selbst wenn ausdrücklich eine Anstellung für die Lebenszeit oder für länger als fünf Jahre vereinbart wurde, kann der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nach fünf Jahren mit einer Frist von sechs Monaten kündigen, § 15 Abs. 4 TzBfG. Durch diese Vorschrift wird dem Schutz des Arbeitnehmers Rechnung getragen, den eine über fünf Jahre hinausgehende Bindung übermäßig in seiner persönlichen Freiheit einschränken würde.9 Daneben findet § 624 BGB nur noch Anwendung auf Dienstverhältnisse, die keine Arbeitsverhältnisse sind.10
564
bens-“ oder „Dauerstellung“ sollte daher auf eine solche Formulierung im Arbeitsvertrag verzichtet werden.
1 BAG v. 8.6.1972 – 2 AZR 285/71, DB 1972, 2071; v. 18.2.1967 – 2 AZR 114/66, DB 1967, 603; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 11 m.w.N. 2 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 6; SPV/Preis, Rz. 325; a.A. Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 39. 3 APS/Preis, Grundlagen I Rz. 4; KR/Fischermeier, § 624 BGB Rz. 11. 4 RAG v. 19.12.1928 – ARS 5, 29. 5 BAG v. 18.2.1967 – 2 AZR 114/66, DB 1967, 603; einschränkend aber BAG v. 8.6.1972 – 2 AZR 285/71, DB 1972, 2071 (nur bei Vorliegen besonderer Umstände). 6 BAG v. 21.10.1971 – 2 AZR 17/71, DB 1972, 244. 7 BAG v. 12.10.1954 – 2 AZR 267/54, BAGE 1, 107. 8 BAG v. 7.11.1968 – 2 AZR 397/67, BB 1965, 1426. 9 BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 845/95, NZA 1997, 597; v. 19.12.1991 – 2 AZR 363/91, NZA 1992, 543. 10 ErfK/Müller-Glöge, § 624 BGB Rz. 1.
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Teil 1 Rz. 565
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
565
§ 15 Abs. 4 TzBfG ist allerdings nur einseitig zwingend. Dem Arbeitgeber steht keine entsprechende Kündigungsbefugnis zu, längere Kündigungsfristen oder der Ausschluss der ordentlichen Kündigung sind für ihn bindend. Er kann nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB außerordentlich (ggf. unter Gewährung einer Auslauffrist) kündigen.1
566
Der Ausschluss der Kündbarkeit kann nur für die ordentliche Kündigung vereinbart werden. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB ist demgegenüber für beide Vertragspartner zwingend und unabdingbar.2 Es ist Ausdruck des in § 314 BGB niedergelegten allg. Rechtsgrundsatzes, dass jedes Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zum vereinbarten Endtermin nicht zugemutet werden kann.3 Daher kommen weder ein einzelvertraglicher Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts noch abweichende Regelungen in Bezug auf einzelne Voraussetzungen (z.B. Ausschluss einzelner wichtiger Gründe oder die Verkürzung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB) in Betracht.
567
Ein aufgrund individualvertraglicher Vereinbarung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer kann somit grds. außerordentlich gekündigt werden. Die Rechtsprechung stellt bei einer individualvertraglichen Unkündbarkeitsvereinbarung allerdings höhere Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes, als wenn die Unkündbarkeit auf Tarifvertrag beruht (dazu unter Rz. 597 ff.). An einer individualvertraglichen Vereinbarung müsse sich der Arbeitgeber eher festhalten lassen als an einer pauschalen, für alle Arbeitsverhältnisse einer Branche geltenden Tarifregelung. Denn einer einzelvertraglichen Bindung sei auf Grund ihrer Eigenständigkeit und Individualität größeres Gewicht beizumessen als tarifvertraglichen Bindungen dieser Art.4 Liegt ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB, der sich nicht nur aus betriebsbedingten Gründen ergeben kann,5 vor, so ist die Kündigung ggf. unter Beachtung einer Kündigungsfrist, die üblicherweise der längsten ordentlichen Kündigungsfrist entspricht (sog. „soziale Auslauffrist“), auszusprechen. 2. Verwirkung des Kündigungsrechts
568
Hat der Arbeitgeber sein Kündigungsrecht verwirkt, so ist die Kündigung des Arbeitnehmers ebenso ausgeschlossen. Ein gesetzlicher Verwirkungstatbestand findet sich allerdings nur im Rahmen der außerordentlichen Kündigung. Hier wird nach § 626 Abs. 2 BGB unwiderleglich vermutet, dass nach Ablauf von 1 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 153/03, BB 2004, 2303. 2 BAG v. 15.3.1991 – 2 AZR 516/90, NZA 1992, 452; v. 8.8.1963 – 5 AZR 395/62, NJW 1963, 2341; v. 6.11.1956 – 3 AZR 42/55, NJW 1957, 118. 3 ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 1. 4 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 153/03, DB 2004, 2219; v. 7.3.2002 – 2 AZR 173/01, NZA 2002, 963. 5 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 153/03, DB 2004, 2219 siehe dazu Oetker, ZfA 2001, 287 (332).
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Ausschluss der Kündbarkeit
Rz. 572 Teil 1
zwei Wochen ab Kenntnis von den kündigungsrelevanten Umständen auch ein möglicherweise erheblicher wichtiger Grund nicht mehr geeignet ist, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen.1 Ein somit „verfristeter“ Umstand kann allerdings noch zum Anlass für eine ordentliche Kündigung genommen werden. Eine „Regelausschlussfrist“, innerhalb derer der Arbeitgeber sein Kündigungsrecht ausüben muss, existiert für die ordentliche Kündigung nicht. Allein aus einem Zuwarten des Arbeitgebers mit der Kündigungserklärung kann weder auf eine Verzeihung noch auf einen Verzicht geschlossen werden, denn der Arbeitgeber muss eine ordentliche Kündigung nicht innerhalb einer bestimmten Frist erklären.2 Ein kündigungsrelevanter Vorfall kann allerdings durch Zeitablauf so an Bedeutung verlieren, dass eine ordentliche Kündigung nicht mehr gerechtfertigt wäre.3
569
Wann ein solcher Verwirkungstatbestand vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung verwirkt, wenn er in Kenntnis eines Kündigungsgrundes längere Zeit untätig bleibt, d.h. die Kündigung nicht ausspricht, obwohl ihm dies möglich und zumutbar wäre (sog. Zeitmoment), wenn er dadurch beim Arbeitnehmer das berechtigte Vertrauen erweckt, die Kündigung werde unterbleiben und wenn der Arbeitnehmer sich deshalb auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses einrichtet (sog. Umstandsmoment). Die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Eine dann gleichwohl erklärte Kündigung aus diesem Grund stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar und ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) rechtsunwirksam.4
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" Praxistipp: Selbst wenn noch keine Verwirkung eingetreten ist, kann das
571
längere Zuwarten des Arbeitgebers zu einer Erschwerung der Kündigung führen. Möchte der Arbeitgeber etwa verhaltensbedingt kündigen, so wird es für ihn mit zunehmender Dauer des Prozesses i.d.R. schwieriger darzulegen, weshalb die zurückliegende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jetzt noch unzumutbar machen soll. Eine zügige Rechtsverfolgung ist daher in jedem Fall geboten.
3. Gesetzliche Kündigungsbeschränkungen Neben individual- und kollektivvertraglichen Möglichkeiten, die Kündigung zu erschweren bzw. auszuschließen, hat der Gesetzgeber in verschiedenen Gesetzen temporäre Kündigungsverbote geschaffen, die besonderen Situationen der Arbeitnehmer Rechnung tragen oder einem Arbeitnehmer, der Zusatzaufgaben übernommen hat, erhöhten Bestandsschutz gewähren sollen, damit dieser seine Tätigkeit ausüben kann, ohne eine Entlassung oder andere Nachteile fürchten 1 BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 359/71, DB 1972, 2406; v. 8.6.1972 – 2 AZR 336/71, BB 1972, 1095. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 250. 3 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, NZA 2003, 795. 4 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, NZA 2003, 795; v. 21.2.1957 – 2 AZR 410/54, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG.
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572
Teil 1 Rz. 573
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
zu müssen. Hierbei ist zu differenzieren zwischen „unechten“ Kündigungsverboten, die von der Zustimmung Dritter abhängen und „echten“ Kündigungsverboten ohne Zustimmungsvorbehalt während oder im Nachgang einer Tätigkeit.1 573
Einige Zustimmungserfordernisse wurden bereits im Rahmen der Kündigungserklärung genannt. Daneben werden einzelne Vorschriften in den Teilen 6–9 ausführlich besprochen. Daher soll hier im Rahmen einer allgemeinen Darstellung nur ein Überblick erfolgen. a) Kündigungsverbote mit Zustimmungsvorbehalt
574
aa) § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG: Die Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind mit Zustimmung des Betriebsrats zu bestellen und abzuberufen. Aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Betriebsarztes und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit soll so deren fachliche Unabhängigkeit sichergestellt werden.2
575
bb) § 18 Abs. 1 BEEG: Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, höchstens jedoch acht Wochen vor Beginn der Elternzeit, und während der Elternzeit nicht kündigen, außer die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde erklärt die Kündigung für zulässig. Im Übrigen siehe Teil 7.
576
cc) § 10 BergmannversorgungsscheinG NRW/§ 11 BergmannversorgungsscheinG Saarland: Dem Inhaber des Bergmannsversorgungsscheins darf nur mit vorheriger Zustimmung der Zentralstelle gekündigt werden.
577
dd) § 103 Abs. 1 BetrVG: Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats und anderer betrieblicher Vertretungsorgane bedarf der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats. Die ordentliche Kündigung ist bereits nach § 15 KSchG ausgeschlossen.
578
ee) § 9 Abs. 3 MuSchG: Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn nicht die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde in besonderen Fällen die Kündigung für zulässig erklärt. Im Übrigen siehe Teil 6.
579
ff) § 85 SGB IX: Die ordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 91 SGB IX gilt dies auch für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Im Übrigen siehe Teil 8. b) Kündigungsverbote ohne Zustimmungsvorbehalt
580
aa) § 2 Abs. 3 AbgG i.V.m. Art. 48 Abs. 2 Satz 2 GG: Der Arbeitnehmer darf ab der Aufstellung bis ein Jahr nach Beendigung des Mandats nicht gekündigt wer1 Eine vollständige systematische Darstellung findet sich bei Preis, NZA 1997, 1256. 2 LAG Köln v. 3.4.2003 – 10 (1) Sa 1231/02, NZA-RR 2004, 319.
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Ausschluss der Kündbarkeit
Rz. 587 Teil 1
den. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AbgG jedoch zulässig. Das AbgG gilt jedoch nur für Bundestagsabgeordnete. Mitglieder der Bundesversammlung sind allerdings über § 7 Satz 1 BPräsWahlG i.V.m. Art. 48 Abs. 2 GG ebenfalls geschützt.
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Mehrere Landesverfassungen haben dem Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 GG nachgebildete Vorschriften, z.B. Art. 46 LVerf Nordrhein-Westfalen.1 Im Übrigen haben die einzelnen Länder eigene Abgeordnetengesetze erlassen, die in Anlehnung an die bundesgesetzliche Regelung weitgehend vereinheitlicht sind.
582
Für Bewerber und Mitglieder in Landkreis- und Gemeindeparlamenten sowie in sonstigen kommunalen Vertretungskörperschaften gelten die Grundsätze der Abgeordnetengesetzte hinsichtlich des besonderen Kündigungsschutzes entsprechend,2 soweit nicht spezielle Vorschriften eine ausdrückliche Regelung treffen, wie z.B. § 10 Bezirksverwaltungsgesetz Berlin.
583
bb) § 2 Abs. 1 ArbPlSchG: Das ArbPlSchG enthält Schutzbestimmungen zugunsten von Arbeitnehmern, deren Einberufung durch Maßnahmen veranlasst wurde, die auf der deutschen Wehrgesetzgebung beruhen. Von der Zustellung des Einberufungsbescheides bis zur Beendigung des Grundwehrdienstes sowie während einer Wehrübung darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht (ordentlich) kündigen. Eine außerordentliche Kündigung ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 ArbPlSchG allerdings möglich. Für Zivildienstleistende gilt gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG ebenso wie für Angehörige der Bundespolizei aufgrund § 59 BGSG das ArbPlSchG entsprechend. Im Übrigen siehe Teil 9.
584
cc) § 22 BBiG: Vor Anfang der Probezeit, die von dem vertraglich vereinbarten Beginn der Beraufsausbildung an läuft, kann das Ausbildungsverhältnis ordentlich gekündigt werden, wenn sich nicht aus einer Vereinbarung oder aus den Umständen etwas anderes ergibt.3 Während der Probezeit, die mindestens einen und höchstens vier Monate dauern darf (§ 20 Satz 2 BBiG), ist eine Kündigung jederzeit ohne Angabe eines Kündigungsgrundes und ohne Einhaltung einer Frist möglich, vgl. § 22 Abs. 1 BBiG. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Vertragsparteien einander während der Probezeit prüfen sollen. Nach der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis durch den Ausbilder nur noch aus einem wichtigen Grund (vgl. § 626 BGB) ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden.
585
dd) § 4f Abs. 3 Satz 5, 6 BDSG: Die Kündigung des Datenschutzbeauftragten während der Bestellung oder innerhalb eines Jahres nach deren Beendigung ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche die verantwortliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
586
ee) § 58 Abs. 2 BImSchG: Ist der Immissionsschutzbeauftragte Arbeitnehmer des zur Bestellung verpflichteten Betreibers, so ist die Kündigung des Arbeits-
587
1 Eine Auflistung findet sich bei KR/Weigand, ParlKSch Rz. 6. 2 KR/Weigand, ParlKSch Rz. 57. 3 BAG v. 17.9.1987 – 2 AZR 654/86, NZA 1988, 735.
Laber
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Teil 1 Rz. 588
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
verhältnisses während der Bestellung und innerhalb eines Jahres nach deren Beendigung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Betreiber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Dies gilt nach § 58d BImSchG für den Störfallbeauftragten entsprechend. 588
ff) § 15 KSchG: Nach § 15 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats oder anderer betrieblicher Vertretungsorgane unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen und die vorherige Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats oder eines anderen Vertretungsorgans innerhalb eines Jahres unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Nach § 15 Abs. 2 KSchG kommen auch Mitglieder der Personalvertretung in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes.
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Daneben ist nach § 15 Abs. 3 KSchG die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands ab seiner Bestellung bzw. eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
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Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der o.g. Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung zulässig, es sei denn, dass ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, § 15 Abs. 4 KSchG. Wird eine der o.g. Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen, § 15 Abs. 5 KSchG.
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gg) § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG: Auf das Verhältnis zwischen dem zur Bestellung Verpflichteten und dem Abfallbeauftragten findet § 58 BImSchG entsprechende Anwendung. Siehe hierzu unter Rz. 587.
592
hh) § 5 PflegeZG: Der Arbeitgeber darf das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung einer kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder der Pflegezeit nicht kündigen, es sei denn, die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde erklärt diese für zulässig.
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ii) § 15 Abs. 3 TzBfG: Haben die Parteien des Arbeitsvertrages ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist die ordentliche Kündigung grds. ausgeschlossen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können sich nur durch eine außerordentliche Kündigung unter Wahrung der Voraussetzungen des § 626 BGB wieder voneinander trennen. Etwas anderes gilt nur, wenn ein ordentliches Kündi116
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Ausschluss der Kündbarkeit
Rz. 596 Teil 1
gungsrecht explizit vereinbart worden ist (§ 15 Abs. 3 TzBfG). Soll die Befristung im Sinne einer Höchstdauer verstanden werden, d.h. der Vertrag nach Zeitablauf ohne Kündigung enden und zwischenzeitlich wie jeder andere Arbeitsvertrag auch noch ordentlich gekündigt werden können, so muss der dahin gehende Wille der Parteien eindeutig erkennbar sein.1 jj) § 96 Abs. 3 SGB IX: Die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen im Betrieb und ihre Stellvertreter besitzen gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den gleichen Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz wie ein Mitglied des Betriebsrats. Damit ist die ordentliche Kündigung während und ein Jahr nach der Beendigung der Amtszeit ausgeschlossen und es kommt nur die Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht.
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Streitig ist allerdings, welches Gremium vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen ist. Teilweise wird angenommen, aus der Eigenständigkeit der Schwerbehindertenvertretung folge, dass im Verfahren nach § 103 BetrVG anstatt des Betriebs- bzw. Personalrats der Stellvertreter der Vertrauensperson deren Kündigung zustimmen müsse.2 Dem ist jedoch nicht zu folgen. § 96 Abs. 3 SGB IX gewährt dem Mitglied der Schwerbehindertenvertretung denselben Kündigungsschutz wie einem Mitglied des Betriebs- oder Personalrats. Zu dessen außerordentlicher Kündigung bedarf es der Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats. Durch dieses Zustimmungsbedürfnis wird dem Schutz des Amtsträgers vor willkürlichen außerordentlichen Kündigungen entsprochen. Damit ist alleine die Zustimmung des zuständigen Betriebs- oder Personalrats maßgeblich.3 Jedenfalls sind für Rechtsstreitigkeiten über die Rechtsstellung der Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung – und damit auch über die Ersetzung bei verweigerter Zustimmung – die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren zuständig.4 Auch in Rechtsstreitigkeiten über die Kosten der Schwerbehindertenvertretung, die den Arbeitgeber nach § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX trifft, entscheidet das Arbeitsgericht in entsprechender Anwendung der § 2a Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren.5 Dann kann aber nichts anderes für Streitigkeiten über die Rechtsstellung der Vertrauenspersonen und ihrer Stellvertreter sowie Rechtsstreitigkeiten aus dem Amt gelten.
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kk) § 66 WHG verweist auf § 58 BImSchG; Daraus folgt: Ist der Gewässerschutzbeauftragte Arbeitnehmer des zur Bestellung verpflichteten Betreibers, so ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Bestellung und in-
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1 BAG v. 19.6.1980 – 2 AZR 660/78, NJW 1981, 246; APS/Preis, Grundlagen J Rz. 7; KR/ Lipke, § 620 BGB Rz. 52 f. 2 Dau/Düwell/Haines, SGB IX, § 96 Rz. 27; Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, § 96 Rz. 10. 3 Ebenso die überwiegende Auffassung in der Literatur, vgl. Fitting, § 103 Rz. 6; Neumann/Pahlen/Mayerski-Pahlen, § 96 Rz. 5; Richardi/Thüsing, § 103 Rz. 7; KR/Etzel, § 103 BetrVG Rz. 147; Knittel, § 96 Rz. 42. 4 So auch GMPM/Matthes, § 2a ArbGG Rz. 24; Schwab/Weth, § 2a ArbGG Rz. 85; trotz Annahme des Erfordernisses der Zustimmung durch den Stellvertreter auch Dau/Düwell/Haines, SGB IX, § 96 Rz. 26; Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, § 96 Rz. 10; a.A. Knittel, SGB IX, § 96 Rz. 43 (Verwaltungsgericht). 5 BAG v. 30.3.2010 – 7 AZB 32/09, (juris).
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Teil 1 Rz. 597
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
nerhalb eines Jahres nach deren Beendigung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Betreiber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. 4. Kollektivrechtliche Kündigungsbeschränkungen a) Allgemeine Voraussetzungen aa) Kündigungsbeschränkungen und Ausschluss der ordentlichen Kündigung 597
Auch auf kollektivvertraglicher Ebene kann der gesetzlich vorgegebene Kündigungsschutz modifiziert werden. Wie im Rahmen individueller Vereinbarungen kann dies nur zum Schutz des Arbeitnehmers geschehen, da der Kündigungsschutz ein soziales Minimum darstellt und daher einseitig zu Gunsten der Arbeitnehmer zwingend ist.1
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Für die Arbeitsgerichte unverbindlich ist es daher, im Rahmen der ordentlichen Kündigung, ein bestimmtes Mindestalter für das Eingreifen des KSchG zu vereinbaren oder die Sechs-Monats-Frist des § 1 Abs. 1 KSchG zu verlängern. Ebenso wenig kann auf die tatsächliche Beschäftigung anstatt auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abgestellt werden.2
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Im Rahmen der außerordentlichen Kündigung können z.B. vertragliche Gründe, die die Kündigung stets rechtfertigen sollen (sog. absolute Kündigungsgründe), oder eine Verlängerung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, die Überprüfbarkeit durch die Arbeitsgerichte nicht ausschließen.3
600
Eine verschlechternde kollektive Regelung ist allerdings dort möglich, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. In diesem Sinne tarifdispositiv sind z.B. nach § 622 Abs. 4 BGB die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1–3 BGB.
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Demgegenüber können im Regelungsbereich der ordentlichen Kündigung tarifvertragliche Regelungen zu Gunsten der Arbeitnehmer, die über das gesetzliche Niveau hinausgehen, vereinbart werden.4 Durch Tarifvertrag besteht z.B. die Möglichkeit, die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG bis auf null zu verkürzen, sodass der gesetzliche Kündigungsschutz mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses eingreift.5 Ebenso kann der Geltungsbereich des KSchG auf Kleinbetriebe erstreckt werden.6
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Das Recht zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung kann auch ganz ausgeschlossen werden.7 In diesem Zusammenhang werden in der Praxis häufig 1 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 230/05, NZA 2006, 1092; v. 14.5.1987 – 2 AZR 380/86, DB 1987, 2575; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 9 m.w.N. 2 KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 356 m.w.N. 3 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 10. 4 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 547/95, NZA 1996, 1168; v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858; v. 14.5.1987 – 2 AZR 380/86, DB 1987, 2575. 5 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858; v. 14.5.1987 – 2 AZR 380/86, DB 1987, 2575; v. 16.2.1967 – DB 1967, 603, DB 1967, 603. 6 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858; ebenso KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 34. 7 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771; v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858.
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Ausschluss der Kündbarkeit
Rz. 607 Teil 1
temporäre Kündigungsverbote im Rahmen sog. betrieblicher Bündnisse für Arbeit geschlossen (dazu unter Rz. 613). Daneben finden sich in mehreren Tarifverträgen Regelungen, wonach die ordentliche Kündigung bei älteren Arbeitnehmern ausgeschlossen ist (dazu unter Rz. 614 ff.). Alle Erweiterungen des Kündigungsschutzes, die durch Tarifvertrag möglich sind, können auch durch Betriebsvereinbarung geregelt werden.1 Lediglich gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG darf nicht verstoßen werden. Unschädlich für die Vereinbarung einer Unkündbarkeit durch Betriebsvereinbarung ist, dass Kündigungsfristen regelmäßig in Tarifverträgen vereinbart werden, denn hierbei handelt es sich um verschiedene Regelungsgegenstände.2
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Eine ordentliche Kündigung, die gegen ein tarifliches oder betriebsverfassungsrechtliches Kündigungsverbot verstößt, ist nach § 134 BGB unwirksam.3 Zwar müssen die Voraussetzungen der Unkündbarkeit grds. bereits bei Zugang der Kündigung erfüllt sein. Kündigt der Arbeitgeber jedoch einem Arbeitnehmer, der kurz vor der Unkündbarkeit steht, und soll diese Kündigung erst zu einem späteren als dem nächst zulässigen Zeitpunkt wirksam werden, so soll die Kündigung nach der Rechtsprechung wegen einer Umgehung der kollektivvertraglichen Vereinbarung unwirksam sein.4
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Besteht ein tarifliches Kündigungsverbot für ordentliche Kündigungen, so ist davon auch die ordentliche Änderungskündigung umfasst.5 Eine außerordentliche Änderungskündigung bleibt – sofern die hohen Anforderungen hierfür erfüllt sind – gleichwohl möglich.6
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bb) Kein Ausschluss der außerordentlichen Kündigung Ist das Recht zur ordentlichen Kündigung kollektivrechtlich ausgeschlossen, bleibt die außerordentliche Kündigung gleichwohl möglich. Es gelten die Grundsätze zum individualvertraglichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung entsprechend.
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Allerdings sind darüber hinaus einige Besonderheiten zu beachten. Zur außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung nicht auf die fiktive Frist für die ordentliche Kündigung, sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abzustellen.7 In der Regel darf damit die Weiterbeschäftigung bis zur Altersgrenze für den Arbeitgeber nicht unzumutbar sein.
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Löwisch/Spinner, vor § 1 KSchG Rz. 94. Kania/Kramer, RdA 1995, 290. ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rz. 45. BAG v. 16.10.1987 – 7 AZR 204/87, NZA 1988, 877. BAG v. 27.9.2001 – 6 AZR 404/00, NZA 2002, 407; v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, DB 1982, 1520. 6 BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 757/07, NZA 2009, 481. 7 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, NZA 2002, 232; v. 14.11.1984 – 7 AZR 474/83, NZA 1985, 426.
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Teil 1 Rz. 608
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
608
Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung und die hierdurch in der Regel bedingte langfristige Vertragsbindung stellen Umstände dar, die bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers im Rahmen der einzelfallbezogenen Interessenabwägung entweder zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind.1 Welche Betrachtungsweise im Einzelfall den Vorrang verdient, ist insbesondere unter Beachtung des Sinns und Zwecks des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung sowie unter Berücksichtigung der Art des Kündigungsgrundes zu entscheiden.2
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Die tarifliche Unkündbarkeit kann sich also auch zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken. Liegt etwa ein betriebsbedingter Kündigungsgrund (z.B. eine Betriebsstilllegung) vor, der bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, so kann gerade die lange Bindungsdauer durch die tarifliche „Unkündbarkeit“ dazu führen, dass die Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers (ggf. bis zum Pensionsalter) dem Arbeitgeber unzumutbar ist und eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB deshalb gerechtfertigt wäre.3
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Bei betriebs- und personenbedingten Kündigungsgründen handelt es sich i.d.R. um Dauertatbestände oder Tatbestände mit Wiederholungsgefahr, die dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Eintritt des Arbeitnehmers in den Ruhestand unzumutbar machen können, obgleich sie bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nicht geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.4 Dies gilt bei einer personenbedingten Kündigung insbesondere für den Fall sog. der Langzeiterkrankung. Ist das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer umfassend gestört, weil auf Grund der Erkrankung des Arbeitnehmers auf nicht mehr absehbare Zeit kein Leistungsaustausch mehr erfolgen wird, kann eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt sein.5 Daher ist in solchen Fällen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuräumen.6 Fristlos kann dem Arbeitnehmer nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der „fiktiven“ Kündigungsfrist zumutbar wäre.7 Dies ist bei betriebsbedingten Kündigungsgründen regelmäßig nicht der Fall. Dem Arbeitgeber ist, wenn aus betrieblichen Gründen die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für alle bzw. einzelne Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, wenigs1 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, NZA 2002, 232; v. 14.11.1984 – 7 AZR 474/83, NZA 1985, 426. 2 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, NZA 2002, 232; v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277; v. 14.11.1984 – 7 AZR 474/83, NZA 1985, 426. 3 Beispiel aus BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277. 4 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, NZA 2002, 232. 5 BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 601/02, NZA 2004, 1118. 6 BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 427/98, NZA 1999, 818; v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 7 BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 827/06, NZA-RR 2009, 393; v. 17.1.2008 – 2 AZR 821/06, NZA 2008, 777; v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977; v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, NZA 2003, 44; v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277.
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Ausschluss der Kündbarkeit
Rz. 613 Teil 1
tens die Kündigungsfrist einzuhalten. Wenn dies zu Annahmeverzugslohnansprüchen führt, ohne dass der Arbeitgeber noch Verwendung für die Arbeitskraft der betreffenden Arbeitnehmer hat, so verwirklicht sich hierin sein Unternehmerrisiko.1 Aber auch eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist nur im Ausnahmefall möglich, wenn dem Arbeitgeber sonst die Fortsetzung eines „sinnentleerten Arbeitsverhältnisses“ zugemutet werden würde.2 Ein solches sinnentleertes Arbeitsverhältnis ist anzunehmen, wenn zwar rechtlich noch ein Arbeitsverhältnis besteht, der Arbeitgeber allerdings keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für den Arbeitnehmer hat („Heizer auf der E-Lok“) und er diesen daher unter Fortzahlung der Vergütung womöglich noch mehrere Jahre weiterbeschäftigen müsste. Im Rahmen verhaltensbedingter Kündigungsgründe lehnt das BAG eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist unter Verweis auf die Unterschiede zwischen der betriebsbedingten Kündigung einerseits und der verhaltensbedingten Kündigung andererseits ab.3 Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers ausgeschlossen, kommt also nur eine fristlose außerordentliche Kündigung in Betracht. Auch diese ist nur zulässig, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der „fiktiven“ Kündigungsfrist zumutbar wäre.4 Allerdings muss die ordentliche Unkündbarkeit im Rahmen dieser Interessenabwägung neben dem Alter und der Beschäftigungsdauer nicht erneut zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Denn es besteht kein Bedürfnis dafür, den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer besser zu stellen als einen Arbeitnehmer ohne diesen Sonderkündigungsschutz bei entsprechenden Einzelfallumständen und beiderseitigen Interessen.5
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Auch zu einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist ist der Betriebsrat nach § 102 BetrVG anzuhören. In diesem Fall hat der Arbeitgeber den Betriebsrat wie bei einer ordentlichen Kündigung zu beteiligen.6 Dem Betriebsrat steht also eine Frist von einer Woche zur Stellungnahme zur Verfügung (§ 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
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b) Zeitlich befristeter Ausschluss von Kündigungen Temporäre Kündigungsverbote für die komplette Belegschaft werden oftmals in Krisenzeiten vereinbart. Im Rahmen von Sanierungstarifverträgen oder sog. betrieblichen Bündnissen für Arbeit kommt es regelmäßig zu einem Tausch1 BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, NZA 2003, 44. 2 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, NZA 2006, 512; 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA 2006, 879; v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, NZA 2003, 44. 3 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 821/06, NZA 2008; a.A. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 301b m.w.N. 4 BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 827/06, NZA-RR 2009, 393; v. 17.1.2008 – 2 AZR 821/06, NZA 2008, 777; v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977; v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, NZA 2003, 44; v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277. 5 BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977; v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863. 6 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, NZA 2006, 512; v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, NZA 2001, 219.
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Teil 1 Rz. 614
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
geschäft. Die Arbeitnehmerseite macht Zugeständnisse bei der Arbeitszeitgestaltung oder beim Einkommen und erklärt sich mit arbeitsorganisatorischen Veränderungen einverstanden. Als Gegenleistung verzichtet die Unternehmensleitung für eine gewisse Zeit auf Betriebsverlagerungen oder sagt den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zu. So verpflichtet sich beispielsweise der Pharmakonzern Bayer in einer Ende 2009 geschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung, bis zum 30.12.2012 grds. keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen und erhält hierfür die Möglichkeit zur befristeten Reduzierung oder Ausweitung der Arbeitszeit. In diesem Zusammenhang spielen auch Regelungen in Form von Betriebsvereinbarungen – sofern es sich wegen des Tarifvorrangs des § 77 Abs. 3 BetrVG um eine zulässige Materie handelt – eine große Rolle, da diese unmittelbar für alle Arbeitnehmer des Betriebs gelten und sich dadurch keine Probleme in Bezug auf nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer (sog. Außenseiter) ergeben. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich in der jüngeren Vergangenheit Drei-Parteien-Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber, Gewerkschaft und Betriebsrat. Aufgrund der Rechtsprechung des BAG, das sich am 15.4.20081 mit einem solchen „Standortsicherungsvertrag“ befasst hat, ist allerdings darauf zu achten, dass Regelungen, die Inhalt eines Tarifvertrags sind, und Vereinbarungen, die durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden können, wegen des Grundsatzes der Rechtsquellenklarheit erkennbar getrennt voneinander geregelt werden müssen.2 c) Altersschutz in Tarifverträgen 614
In vielen Tarifverträgen finden sich Vereinbarungen, nach denen die ordentliche Kündigung bei Arbeitnehmern ausgeschlossen ist, denen mit Rücksicht auf die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und/oder ihr Alter nicht mehr gekündigt werden kann (sog. unkündbare Arbeitnehmer). Eine solche Regelung findet sich z.B. für den Bereich der sog. öffentlichen Dienste in § 34 Abs. 2 TVöD.3 Danach darf einem Beschäftigten, der das 40. Lebensjahr vollendet und eine Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren hat, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.
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Aufgrund der Anknüpfung dieser Regelungen an ein Mindestalter bestehen Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Denn durch die Herausnahme ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl können jüngere Arbeitnehmer benachteiligt werden. Allerdings stellt der Bestandsschutz für ältere Arbeitnehmer, die auf dem Arbeitsmarkt in der Regel schlechtere Chancen haben, grds. ein legitimes Ziel dar, das eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann.4 Problematisch ist somit alleine die Angemessenheit der Unkündbarkeit mit dem Erreichen eines bestimmten Lebens1 BAG v. 15.4.2008 – 1 AZR 86/07, NZA 2008, 1074. 2 Vgl. hierzu Grau/Döring, NZA 2008, 1335. 3 Ähnliche Regelungen enthalten die teilweise weiterhin anwendbaren Regelungen der §§ 53 Abs. 3 BAT, 58 MTB II, 58 MTL II. 4 BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361 zur Bildung von Altersgruppen bei betriebsbedingter Kündigung; ebenso KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 365b; Schleusener/ Suchow/Voigt § 10 AGG Rz. 54; Wisskirchen, DB 2006, 1491 (1495 f.).
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 618 Teil 1
jahres. Der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter darf sich im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht in unverhältnismäßiger Weise mindern. Mehrheitlich wird daher zwar grds. an der Zulässigkeit von Unkündbarkeitsvereinbarungen festgehalten, daneben wird allerdings eine Einzelfallkorrektur im Wege einer europarechtskonformen Auslegung anhand des § 10 Satz 3 Nr. 7 a.F. AGG befürwortet, um grob unbillige Ergebnisse zu vermeiden.1 Damit bildet die Betriebszugehörigkeit das entscheidende Merkmal für die Wirksamkeit von Unkündbarkeitsvereinbarungen. Unverhältnismäßig sollen Regelungen sein, die das Merkmal der Betriebszugehörigkeit außer Acht lassen oder dafür nur einen geringen Schwellenwert (z.B. fünf Jahre) vorsehen.2 Als unzulässig angesehen wird etwa § 4.4 MTV Metall Nordwürttemberg/Nordbaden i.d.F. vom 14.6.2005, wonach einem Beschäftigten, der das 53. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann; hier habe das Merkmal der Betriebszugehörigkeit in Relation zum Lebensalter zu geringes Gewicht.3 Zulässig sollen demgegenüber Regelungen sein, in denen dem Lebensalter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit ganz erhebliches Gewicht zukommt; so wird beispielsweise eine fiktive Vereinbarung für wirksam erachtet, wonach die Unkündbarkeit erst nach dem 50. Lebensjahr und einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren einsetzen soll.4
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II. Andere Beendigungstatbestände Die Kündigung ist die häufigste Art der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Daneben kommen allerdings noch andere Beendigungstatbestände in Betracht. Diese unterliegen vielfach anderen Voraussetzungen als die Kündigung. So finden die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen, wie etwa das KSchG oder der besondere Kündigungsschutz einzelner Arbeitnehmer, zumeist keine Anwendung. Im Folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten anderen Beendigungstatbestände erfolgen.
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1. Nichtigkeit des Arbeitsvertrages Von der Kündigung des Arbeitsvertrages ist dessen Nichtigkeit zu unterscheiden. Die Nichtigkeit kann auf verschiedenen Gründen beruhen. In Betracht kommt die fehlende Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters bei dem Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem Minderjährigen (§§ 106 ff. BGB), ein Formverstoß (§ 125 BGB), ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder der Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Auch ein Verstoß ge1 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; Annuß, BB 2006, 326; Bauer/Göpfert/Krieger, § 10 AGG Rz. 49; KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 365c; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 925a; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 665b ff.; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 705. 2 Löwisch, BB 2006, 2582; Schleusener/Suchow/Voigt § 10 AGG Rz. 54. 3 Vgl. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 706 f. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 815.
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Teil 1 Rz. 619
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
gen gesetzliche Formvorschriften führt nach § 125 BGB zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages. a) Beschränkte Geschäftsfähigkeit des Arbeitnehmers, §§ 106 ff. BGB 619
Ist der Arbeitnehmer minderjährig, also noch nicht 18 Jahre alt, ist er in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt. Zur Wirksamkeit eines mit dem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrages, der für den Minderjährigen mit Auferlegung der Arbeitspflicht nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, bedarf es entweder der vorherigen Zustimmung der gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen oder deren nachträglicher Genehmigung, vgl. § 108 Abs. 1 BGB.1 Anderenfalls ist der Arbeitsvertrag als von Anfang an unwirksam anzusehen.
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" Praxistipp: Der gute Glaube des Arbeitgebers an die Volljährigkeit des Min-
621
Etwas Anderes ergibt sich aufgrund § 113 BGB nur, wenn der Minderjährige durch den gesetzlichen Vertreter vorab ermächtigt wurde, in ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu treten. § 113 BGB erweitert die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen, der für Geschäfte, die sich im Rahmen der Ermächtigung halten, unbeschränkt geschäftsfähig ist. Durch diese Ermächtigung erlangt der Minderjährige eine Teilgeschäftsfähigkeit („Arbeitsmündigkeit“), die – solange die Ermächtigung besteht – ein Handeln des gesetzlichen Vertreters für den Minderjährigen in diesem Bereich ausschließt.2
622
" Praxistipp: Bei der Ermächtigung handelt es sich um eine einseitige, form-
derjährigen ist nicht geschützt. Daher sollte bei berechtigten Zweifeln über die Volljährigkeit des Arbeitnehmers vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages ein Nachweis gefordert werden.
freie Erklärung des gesetzlichen Vertreters an den Minderjährigen, damit dieser das Arbeitsverhältnis selbständig eingehen kann.3 Diese Erklärung kann zwar auch konkludent erteilt werden, der Arbeitgeber sollte jedoch aus Beweiszwecken auf eine schriftliche Ermächtigung der Eltern bestehen und sich diese bei Vertragsschluss vorlegen lassen.
b) Verstoß gegen Formvorschriften, § 125 BGB 623
Die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages kann auch nach § 125 BGB auf einem gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Formerfordernis beruhen.
624
Der Arbeitsvertrag kann grds. formfrei geschlossen werden. Das Schriftformgebot besteht im arbeitsrechtlichen Zusammenhang lediglich für die Kündigung und für Aufhebungsverträge, vgl. § 623 BGB. Einzelne gesetzliche Formvorschriften finden sich z.B. in § 11 BBiG für Ausbildungsverträge und in § 11 AÜG für Leiharbeitsverhältnisse. Etwas anderes gilt auch für befristete Arbeitsverträge. Hier muss die Befristungsabrede zu ihrer Wirksamkeit zwingend schriftlich erfolgen, vgl. § 14 Abs. 4 TzBfG. 1 Hierzu ErfK/Pris, § 113 BGB Rz. 1. 2 ErfK/Preis, § 113 BGB Rz. 2. 3 LAG Düsseldorf v. 28.3.1968 – 2 Sa 18/68, DB 1968, 2221.
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 630 Teil 1
Zwar ist der Arbeitgeber durch § 2 NachwG verpflichtet, dem Arbeitnehmer die wichtigsten Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen. Das NachwG stellt nach überwiegender Ansicht allerdings kein Formerfordernis i.S.d. § 125 BGB dar.1
625
Schriftformerfordernisse finden sich vor allem in Tarifverträgen. Hierbei handelt es sich im Zweifel um deklaratorische Formerfordernisse, da die Unwirksamkeit der Vereinbarungen ansonsten zu Lasten der Arbeitnehmer wirkt. Der mündliche oder konkludent abgeschlossene Arbeitsvertrag bleibt wirksam, der Arbeitnehmer hat allerdings einen Anspruch auf schriftliche Fixierung der Vereinbarung.2 Sofern die Auslegung der Klausel ergibt, dass die tarifliche Klausel konstitutiven Charakter hat – was aus den o.g. Gründen lediglich im Einzelfall und nur bei klaren Anhaltspunkten der Fall sein wird – so ist ein gegen sie verstoßender Arbeitsvertrag nach § 125 Satz 1 BGB nichtig.
626
c) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, § 134 BGB Der Arbeitsvertrag kann in Gänze oder nur in einzelnen Klauseln gegen gesetzliche Verbote verstoßen. Nach allgemein anerkannter Definition handelt es sich bei Verbotsgesetzen um Vorschriften, die eine nach unserer Rechtsordnung grundsätzlich mögliche rechtsgeschäftliche Regelung wegen ihres Inhalts oder wegen der Umstände ihres Zustandekommens untersagen.3 Die Arbeitsvertragsparteien können den Arbeitsvertrag also abschließen, dürfen es aber nicht.
627
Verbotsgesetze dienen dem Schutz der Arbeitnehmer. Sie führen in Verbindung mit § 134 BGB zur Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses. Eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Schutzgesetzte enthält solche Verbotsnormen. Beispiele hierfür sind § 5 JArbSchG, der das Verbot der Beschäftigung von Kindern regelt, oder § 4 TzBfG, der die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitarbeitskräften verbietet. Eine Vergütungsabrede, die einen teilzeit- gegenüber einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund benachteiligt, ist daher nichtig.4 Der Arbeitnehmer hat dann nach § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf die übliche Vergütung.
628
Im Einzelfall kann auch ein Verstoß gegen §§ 3, 4 MuSchG zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages führen. Kann die Schwangere nur mit nach § 4 MuSchG verbotenen Arbeiten beschäftigt werden kann, so ist der abgeschlossene Arbeitsvertrag nichtig.5 Besteht dagegen die Möglichkeit, der Schwangeren auch erlaubte Tätigkeiten zuzuweisen, hat diese in Bezug auf verbotene Tätigkeiten ein Zurückbehaltungsrecht.
629
Einstweilen frei.
630
1 Vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 46b, Küttner/Röller, Arbeitsvertrag Rz. 50; Wank, RdA 1996, 24. 2 KDZ/Däubler, §§ 125–127 BGB Rz. 6. 3 Palandt/Heinrichs, § 134 BGB Rz. 5. 4 BAG v. 12.6.1996 – 5 AZR 960/94, NZA 1997, 191. 5 LAG Berlin v. 9.3.1990 – 5 Sa 1/90, LAGE § 4 MuSchG Nr. 1.
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Teil 1 Rz. 631
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
631
Auch Höchstarbeitszeiten nach dem ArbZG gelten zum Schutze des Arbeitnehmers. Damit sind Vereinbarungen über Arbeitszeiten, die über § 3 ArbZG hinausgehen, unwirksam.1 Dies gilt auch für den Fall, wenn durch Kumulation von zwei Arbeitsverhältnissen die Grenze des ArbZG überschritten wird. Die später abgeschlossene Vereinbarung muss entsprechend abgeändert werden.2
632
Zur Unwirksamkeit einer Vereinbarung führt nicht nur der unmittelbare Verstoß gegen eine Verbotsnorm, sondern auch der Versuch, ein Verbotsgesetz im Wege einer vertraglichen Regelung zu umgehen (Umgehungsverbot). Eine Gesetzesumgehung liegt vor, wenn der Zweck der Verbotsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden. Entscheidend ist die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts. Die Parteien müssen weder in Umgehungsabsicht gehandelt haben, noch wird die bewusste Missachtung der Verbotsnorm gefordert. Die Durchsetzung von Sinn und Zweck einer unabdingbar gestalteten Rechtsnorm – so das BAG – gebiete es, ihre Umgehung auch dort zu vereiteln, wo es an einer Umgehungsabsicht oder einem Bewusstsein der Umgehung fehle.3 Zum Beispiel ist ein Vertrag, mit dem ein Handwerksmeister einem Handwerksbetrieb lediglich seinen Meistertitel zur Verfügung stellt, ohne dass er tatsächlich als technischer Betriebsleiter tätig wird, wegen Umgehung des § 7 HwO nach § 134 BGB unwirksam.4 d) Verstoß gegen die guten Sitten/Lohnwucher, § 138 BGB
633
§ 138 BGB versagt Rechtsgeschäften die Wirksamkeit, die den Grundprinzipien unserer Rechts- und Sittenordnung widersprechen. Die Vorschrift markiert ein unumgängliches rechtsethisches Minimum.5 Der Arbeitsvertrag ist nichtig, wenn er gegen die guten Sitten verstößt. Hierunter ist nach allgemeiner Ansicht „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ zu sehen.6 Aufgrund dieser wenig greifbaren Definition sind die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit schwer zu erfassen. Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang zahlreiche Fallgruppen entwickelt, von denen mehrere auch im Arbeitsrecht zur Anwendung kommen. aa) § 138 Abs. 1 BGB
634
– Sittenwidrige Arbeitsverträge und arbeitsvertragliche Abmachungen: In einer älteren Entscheidung ging das BAG davon aus, dass ein Arbeitsvertrag, der die Verpflichtung zur Vorführung des Geschlechtsverkehrs auf einer Bühne zum Inhalt hat, nichtig sei.7 Dahinstehen lassen hat das BAG in der Folgezeit die 1 2 3 4 5 6
BGH v. 28.1.1986 – VI ZR 151/84, NJW 1986, 1486. BAG v. 19.6.1959 – 1 AZR 565/57, BB 1959, 1030. BAG v. 22.3.1995 – 5 AZB 21/94, NZA 1995, 823; v. 12.10.1960 – GS 1/59, DB 1961, 409. BAG v. 18.3.2009 – 5 AZR 355/08, NZA 2009, 663. BAG v. 24.1.1963 – 5 AZR 100/62, BB 63, 473. BGH v. 29.9.1977 – III ZR 118/76, BGHZ 1969, 302; BAG v. 1.4.1976 – 4 AZR 96/75, DB 1976, 1680. 7 BAG v. 1.4.1976 – 4 AZR 96/75, DB 1976, 1680.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 636 Teil 1
Sittenwidrigkeit des Arbeitsverhältnisses als Stiptease-Tänzerin.1 Aufgrund des seit 1.1.2002 geltenden Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG), in dessen Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der Gesetzgeber die bisherige Bewertung als „sittenwidrig“ mit Rücksicht auf veränderte Wertvorstellungen nicht aufrecht erhalten wollte2, wird man jedoch aus heutiger Sicht von einem gültigen Arbeitsvertrag ausgehen können.3 – Überwälzung des Betriebs- oder Wirtschaftsrisikos: Sittenwidrig ist eine Vereinbarung dann, wenn bei einer Verlustbeteiligung des Arbeitnehmers kein angemessener Ausgleich erfolgt.4 Ebenso sittenwidrig ist die Vereinbarung, dass der Arbeitnehmer nur bei einem bestimmten, nicht ohne Weiteres zu erreichenden Mindesterfolg eine Vergütung erhalten soll oder in diesem Fall eine rein erfolgsabhängige Vergütung ohne Fixum vereinbart wird.5 Ein weiteres Beispiel für die sittenwidrige Abwälzung wirtschaftlicher Risiken auf den Arbeitnehmer stellt ein im Voraus erklärter Gehaltsverzicht für den Fall dar, dass die Fördermittel durch die Agentur für Arbeit ausbleiben.6 – Übermäßige Vertragsbindung: Von einer übermäßigen Bindung des Arbeitnehmers geht die Rechtsprechung aus, wenn dem Arbeitnehmer eine übermäßige Verschwiegenheitspflicht auferlegt wird. Eine Verschwiegenheitsvereinbarung ist zwar grds. zulässig; allerdings nur insoweit, wie es die Belange des Betriebs und das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers erfordern.7 Dasselbe gilt, wenn eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe für jeden Fall einer Vertragsverletzung vereinbart wird, Vertragsbedingungen durch Ehrenwort gesichert werden sollen oder sich weibliche Arbeitnehmer zur Einnahme empfängnisverhütender Mittel verpflichten.8 Die objektiv vorliegenden sittenwidrigen Umstände müssen dem sittenwidrig Handelnden auch in subjektiver Hinsicht bekannt gewesen sein. In diesem Zusammenhang werden von der Rechtsprechung keine erhöhten Anforderungen gestellt. Es reicht bereits aus, dass sich der Arbeitgeber der Situation des Arbeitnehmers „böswillig verschließt“. Nicht notwendig ist damit insbesondere das Bewusstsein, sittenwidrig zu handeln.9
635
bb) § 138 Abs. 2 BGB Sittenwidrig kann nach § 138 Abs. 2 BGB auch eine Vereinbarung über die Lohnhöhe sein, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Wann im Einzelfall von einem „sittenwidrigen Lohn1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 7.6.1972 – 5 AZR 512/71, BB 1973, 291. BT-Drucks. 14/5958 S. 4. Vgl. KDZ/Däubler, § 138 BGB Rz. 3. BAG v. 10.10.1990 – 5 AZR 404/89, DB 1991, 659. LAG Hamm v. 16.10.1989 – 19 (13) Sa 1510/88, LAGE § 138 BGB Nr. 4. LAB Berlin v. 17.2.1997 – 9 Sa 124/96, NZA-RR 1997, 371. LAG Hamm v. 5.10.1988 – 15 Sa 1403/88, DB 1989, 783. Schaub/Schaub, § 35 Rz. 4. BAG v. 26.4.2006 – 5 AZR 549/05, NZA 2006, 1354; BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83, BGHZ 94, 268.
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636
Teil 1 Rz. 637
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
wucher“ ausgegangen werden kann, ist allerdings nicht nur anhand der vereinbarten Entgelthöhe zu beurteilen. Der Inhalt der guten Sitten wird auch durch die Wertungen des Grundgesetzes und einfachgesetzliche Regelungen konkretisiert. 637
Ein auffälliges Missverhältnis liegt nach einer Entscheidung des BGH zu der gleich lautenden Vorschrift des § 302a StGB a.F. (§ 291 StGB n.F.) vor, wenn eine Entgeltvereinbarung nur zwei Drittel der tariflichen Vergütung umfasst.1 Dem hat sich das BAG mit Urteil vom 22.4.2009 angeschlossen.2 Die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftsgebietes sind damit Ausgangspunkt zur Feststellung des objektiven Wertes der Arbeitsleistung, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird.
638
Neben der Höhe der Vergütung kann es auch maßgeblich auf die Umstände der Gehaltsberechnung ankommen. So ist nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg3 eine Vergütung i.H.v. Euro 375 pro Monat für ein sog. „Praktikantenverhältnis“ sittenwidrig, wenn der Ausbildungszweck nicht deutlich die für den Betrieb erbrachten Leistungen und Arbeitsergebnisse überwiegt.
639
Wie i.R.d. § 138 Abs. 1 BGB beinhaltet Abs. 2 eine subjektive Komponente. Gleichwohl sind auch hier die Anforderungen in der Rechtsprechung gering. Bei objektivem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sind die subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB zu vermuten.4 Ausreichend ist eine Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass das eigene Handeln für sittenwidrig gehalten wird.5 Es bleibt damit Sache des Arbeitgebers darzulegen, dass der Arbeitnehmer sich nicht nur wegen seiner schwächeren Lage, Rechtsunkundigkeit oder Geschäftsungewandtheit auf den objektiv übermäßig belastenden Vertrag eingelassen hat.6 e) Rechtsfolgen
640
Verstößt der Abschluss eines Arbeitsvertrages gegen ein gesetzliches Verbot, so ist der Vertragsschluss – in Abgrenzung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Kündigung – im Grundsatz als von Anfang an unwirksam anzusehen. Die Rückabwicklung der wechselseitig erfolgten Leistungen eines in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnisses unterliegt jedoch erheblichen praktischen Schwierigkeiten, denn die vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung kann nicht zurückgewährt werden.7
641
Daher ist die Rechtsfigur des sog. faktischen Arbeitsverhältnisses anerkannt; das „faktische“ Arbeitsverhältnis wird im Ergebnis wie ein fehlerfrei zustande 1 BGH v. 22.4.1997 – 1 StR 701/96, NZA 1997, 1166. 2 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837 m.w.N.; noch offen gelassen durch BAG v. 24.3.2004 – 5 AZR 303/03, NZA 04, 971. 3 LAG Baden-Württemberg v. 8.2.2008 – 5 Sa 45/07, NZA 2008, 768. 4 ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 339. 5 BAG v. 10.10.1990 – 5 AZR 404/89, DB 1991, 659. 6 ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 339. 7 Vgl. hierzu BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, DB 1983, 2780.
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 646 Teil 1
gekommenes Arbeitsverhältnis behandelt.1 Die Berufung auf die Nichtigkeit wirkt daher nur für die Zukunft und stellt im Regelfall einen Beendigungstatbestand dar.2 Voraussetzung für die Annahme eines faktischen Arbeitsverhältnisses ist, dass das Arbeitsverhältnis überhaupt in Vollzug gesetzt wurde. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber erschienen ist, seinen Arbeitsplatz zugewiesen bekommen und die Arbeit aufgenommen hat.3
642
Eine Ausnahme vom Rechtsinstitut des faktischen Arbeitsverhältnisses nimmt das BAG im Fall eines besonders schweren Mangels an.4 Hierzu gehören etwa ein bewusster Verstoß beider Vertragsparteien gegen Strafgesetze5 oder krasse Sittenwidrigkeit des Arbeitsvertragsinhalts6. Ein faktisches Arbeitsverhältnis soll aufgrund der Schwere des Gesetzesverstoßes nicht bestehen, wenn dem Arbeitnehmer zur Ausübung eines ärztlichen Berufs die erforderliche Approbation fehlt und sie ihm auch nicht erteilt werden kann.7 Die Rückabwicklung erfolgt in diesen Fällen nach Bereicherungsrecht.
643
Ist der Arbeitsvertrag in Gänze nichtig, so steht sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer ein Lossagungsrecht zu. Auf das Lossagungsrecht findet der allgemeine und besondere Kündigungsschutz keine Anwendung.8
644
Neben der Nichtigkeit des gesamten Arbeitsvertrages können auch nur einzelne Klauseln unwirksam sein. Die Teilnichtigkeit des Arbeitsvertrages aufgrund der Unwirksamkeit einzelner Klausen kommt in der Praxis weit häufiger vor als die Totalnichtigkeit.
645
Der restliche Arbeitsvertrag bleibt im Übrigen entgegen § 139 BGB in der Regel wirksam, da die Verbotsnorm den Schutz des Arbeitnehmers bezweckt und für diesen die Nichtigkeit des gesamten Vertrages nachteilig wäre.9 An die Stelle der unwirksamen Teile treten die entsprechenden gesetzlichen bzw. kollektivrechtlichen Vorschriften.10 Unwirksam sind beispielsweise Vereinbarungen nach dem ArbZG, wonach der Arbeitnehmer über die zulässigen Höchstgrenzen des ArbZG hinaus zur Arbeitsleistung verpflichtet wird. Diese Klauseln sind nach § 134 BGB nichtig, der Arbeitsvertrag bleibt jedoch im Übrigen wirksam. Dem Arbeitnehmer steht ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Arbeitet er, ist die geleistete Arbeit allerdings zu vergüten.11
646
1 St. Rspr., vgl. BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409; v. 20.5.1999 – 2 AZR 320/98, NZA 1999, 975; v. 5.12.1957 – 1 AZR 594/56, AP Nr. 2 zu § 123 BGB. 2 KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 323. 3 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 754/97, NZA 1999, 584. 4 Vgl. BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409; v. 7.6.1972 – 5 AZR 512/71, BB 73, 291. 5 BAG v. 25.4.1963. 6 BAG v. 1.4.1976 – 4 AZR 96/75, DB 1976, 1680 (vgl. aber zu Rechtsprechungsänderungen aufgrund des ProstG die Erläuterungen zu § 138 Abs. 1 BGB). 7 BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409. 8 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 144; ErfK/Müller-Glöge, § 620 Rz. 33. 9 BAG v. 9.9.1981 – 5 AZR 1182/79, DB 1982, 119; v. 4.10.1978 – 5 AZR 886/77, DB 1979, 797; ebenso APS/Preis, Grundlagen K Rz. 20. 10 BAG v. 13.3.1975 – 5 AZR 199/74, DB 1975, 1417. 11 Küttner/Reinecke, Arbeitszeit Rz. 28.
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Teil 1 Rz. 647 647
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Entspricht die verkehrsübliche Vergütung nicht dem Tariflohn und ist ein Fall des Lohnwuchers nach § 138 Abs. 2 BGB anzunehmen, so ist zur Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. An die Stelle des unverhältnismäßig geringen Entgelts tritt nach § 612 Abs. 2 BGB die festgestellte verkehrsübliche Vergütung.1 2. Anfechtung des Arbeitsvertrages
648
Wie jeder schuldrechtliche Vertrag kann auch der Arbeitsvertrag nach den §§ 119 ff. BGB angefochten werden. Die Anfechtung der Willenserklärung kann nur auf einem der im Gesetz genannten Gründe beruhen. In Betracht kommt daher eine Anfechtung aufgrund eines Erklärungs-, Inhalts- oder eines beachtlichen Motivirrtums, § 119 BGB, bzw. die Anfechtung infolge einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung, § 123 BGB.
649
Die Anfechtung kann auch zusätzlich zu oder anstatt einer außerordentlichen Kündigung erklärt werden. Das Anfechtungsrecht wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt. Ein und derselbe Sachverhalt kann sowohl zur Anfechtung als auch zur außerordentlichen und zur ordentlichen Kündigung berechtigen. Dem Anfechtungsberechtigten steht in diesem Fall ein Wahlrecht zu.2
650
Wird die Anfechtung nicht eindeutig genannt, so ist die jeweilige Erklärung nach dem Empfängerhorizont auszulegen. Erklärt eine Seite eine „fristlose Kündigung“, so kann hierin unter Umständen auch eine Anfechtung zu erblicken sein, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. aus Gründen der Täuschung oder Drohung gewollt ist. Anfechtung und außerordentliche Kündigung können grds. nebeneinander ausgesprochen werden, wenn der Anfechtungsgrund seine Bedeutung für das Arbeitsverhältnis noch nicht verloren hat und im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung so stark nachwirkt, dass die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.3
651
Nachfolgende Anfechtungstatbestände sind denkbar: a) § 119 Abs. 1 BGB
652
§ 119 Abs. 1 BGB umfasst zum einen den sog. Inhaltsirrtum, der vorliegt, wenn der Erklärende zwar die Erklärung abgeben wollte, allerdings über deren rechtliche Wirkung irrt.
653
Daneben beinhaltet § 119 Abs. 1 BGB den sog. Erklärungsirrtum, der dann vorliegt, wenn sich der Wille des Erklärenden nicht in der konkreten Erklärung niederschlägt, z.B. der Arbeitgeber sich verschreibt und anstatt dem 1.11. den 1.1. als Beginn des Arbeitsverhältnisses in den Arbeitsvertrag aufnimmt. 1 BAG v. 26.4.2006 – 5 AZR 549/05, NZA 2006, 1354; LAG Bremen v. 3.12.1992 – 3 Sa 304/90, AiB 1993, 834; ebenso ErfK/Preis, § 612 BGB Rz. 4 m.w.N. 2 BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 148/04, NZA 2006, 624. 3 BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 148/04, NZA 2006, 624; v. 21.2.1991 – 2 AZR 449/90, NZA 1991, 719.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 660 Teil 1
Voraussetzung der Beachtlichkeit des Irrtums ist, dass der Irrende die Erklärung so, wie er sie abgegeben hat, bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Demgegenüber kommt eine Anfechtung des Arbeitsvertrages nicht in Betracht, wenn der Erklärende die Erklärung abgegeben hat, die er abgeben wollte. Ein Motiv- oder Kalkulationsirrtum bei der Willensbildung berechtigt nicht zur Anfechtung.1
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b) § 119 Abs. 2 BGB Neben einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum berechtigt eine sonstige Fehlvorstellung grundsätzlich nicht zur Anfechtung. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Arbeitnehmers fehlt. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person bestehen neben ihren körperlichen Merkmalen auch in ihren tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung und die zu leistende Arbeit von Bedeutung und nicht nur vorübergehender Natur sind. Sie müssen sich auf die Eignung der Person für die Arbeit auswirken.2
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Eine weitere Einschränkung besteht in der Beschränkung des Fragerechts des Arbeitgebers auf zulässige Eigenschaften. Ein Irrtum über Eigenschaften, nach denen sich der Arbeitgeber von vornherein nicht erkundigen darf, begründet daher kein Anfechtungsrecht (ausführlich dazu i.R.d. Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung).
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Ein Anfechtungsrecht des Arbeitgebers aufgrund einer fehlenden Eigenschaft kommt damit im Ergebnis nur in Betracht, wenn die Eigenschaften des Arbeitnehmers so erheblich abweichen, dass sie der Arbeitnehmer von sich aus zur Sprache hätte bringen müssen.3
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Die Abgrenzung einer verkehrswesentlichen Eigenschaft von einer nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigenden unerheblichen Eigenschaft gestaltet sich schwierig. Folgende Einzelfälle sind zu unterscheiden:
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Die Leistungsfähigkeit an sich stellt i.d.R. keine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB dar. In diesem Fall macht sich der Arbeitgeber lediglich fehlerhafte Vorstellungen über die Fähigkeiten des Arbeitnehmers, nicht aber über eine konkrete Eigenschaft.4
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Der Gesundheitszustand gehört jedenfalls dann zu den verkehrswesentlichen Eigenschaften, wenn dem Arbeitnehmer deswegen nicht nur vorübergehend die Fähigkeit fehlt, die vertraglich übernommene Arbeit zu verrichten.5 In Abgrenzung zu einer geringen Leistungsfähigkeit muss die objektive Tauglichkeit des Arbeitnehmers durch seinen Gesundheitszustand jedoch erheblich herabgesetzt sein. Eine verkehrswesentliche Eigenschaft kann daher fehlen, wenn
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1 2 3 4 5
BAG v. 21.11.2000 – 3 AZR 13/00, NZA 2002, 618. BAG v. 21.2.1991 – 2 AZR 449/90, NZA 1991, 719. Vgl. KDZ/Däubler, § 119–122 BGB Rz. 11. APS/Preis, Grundlagen K Rz. 33. BAG v. 28.3.1974 – 2 AZR 92/73, BB 1974, 933.
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Teil 1 Rz. 661
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
der Arbeitnehmer wegen eines nicht nur kurzfristig auftretenden Leidens für die übernommene Arbeit nicht oder nicht ausreichend geeignet ist. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Arbeitnehmer durch ein Anfallsleiden (z.B. Epilepsie) in seiner für eine bestimmte Arbeitsaufgabe notwendigen durchschnittlichen Leistungsfähigkeit ständig erheblich beeinträchtigt ist.1 661
Auch die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur dann eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person darstellen, wenn sie dazu führt, dass der Bewerber für die angestrebte Tätigkeit nicht geeignet ist, also auch ohne Befragung eine Offenbarungspflicht bestünde.2 Siehe im Übrigen zur Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft bei der Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung.
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Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin stellt ebenfalls keinen Grund zur Anfechtung wegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft dar. Es fehlt bereits das Merkmal einer dauerhaften Eigenschaft. Vielmehr handelt es sich hierbei nur um einen vorübergehenden Zustand.3 Darüber hinaus wird auch aus dem MuSchG ein Verbot der Anfechtung gefordert.4
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Die Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers stellt nur dann eine verkehrswesentliche Eigenschaft dar, wenn nach dem Arbeitsvertrag eine besondere Vertrauensstellung bekleidet werden soll.5 Gegen die Vertrauenswürdigkeit kann insbesondere eine Vorstrafe sprechen, die allerdings mit der auszufüllenden Position in Zusammenhang stehen muss (z.B. Verschwiegene Verurteilung wegen Untreue bei Anstellung als Fahrer in einer Sicherheitsfirma) und noch nicht aus dem Strafregister getilgt sein darf. Vorstrafen stellen für sich allein dagegen keine verkehrswesentlichen Eigenschaften dar und berechtigen den Arbeitgeber deshalb grds. nicht zu einer Irrtumsanfechtung. c) Arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung, § 123 BGB
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Neben den Irrtumstatbeständen besteht für den Arbeitgeber das Recht zur Anfechtung des Arbeitsvertrages auch dann, wenn er von dem Arbeitnehmer getäuscht wurde oder infolge einer Drohung den Arbeitsvertrag geschlossen hat. aa) Arglistige Täuschung
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Nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann derjenige die Erklärung anfechten, der zu ihrer Abgabe durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Eine Täuschung besteht in der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums bezüglich objektiv nachprüfbarer Umstände, durch die der Erklärungsgegner zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst wird.6 Nicht umfasst sind somit bloße subjektive 1 BAG v. 28.3.1974 – 2 AZR 92/73, BB 1974, 933. 2 ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 351; vgl. neuerdings BAG v. 17.12.2009 – 9 AZR 670/08, NZA 2010, 383. 3 BAG v. 8.9.1988 – 2 AZR 102/88, NZA 1989, 178; v. 24.6.1960 – 1 AZR 99/58, BB 1960, 1168. 4 MünchArbR/Richardi, § 46 Rz. 34. 5 Vgl. BAG v. 12.2.1970 – 2 AZR 184/69, BB 1970, 883. 6 BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 148/04, NZA 2006, 624; v. 5.10.1995 – 2 AZR 923/94, NZA 1996, 371.
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 670 Teil 1
Werturteile und Übertreibungen. Der Bewerber muss positive Kenntnis vom Vorliegen der offenbarungspflichtigen Tatsache haben.1 Es reicht dann regelmäßig aus, dass der Täuschende billigend in Kauf nimmt, dass der Erklärungsempfänger durch die Täuschung beeinflusst werden könnte.2 Die arglistige Täuschung muss kausal zur Abgabe der Willenserklärung geführt bzw. diese zumindest mit verursacht haben.3 Die Täuschung wird in den häufigsten Fällen dadurch begangen, dass dem Vertragspartner entgegen Treu und Glauben bestimmte für ihn wesentliche Dinge nicht mitgeteilt werden oder dass auf eine zulässige Frage des Arbeitgebers nicht richtig geantwortet wird:
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(1) Verletzung der Offenbarungspflicht Das Verschweigen von Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn der Anfechtungsgegner zur Aufklärung verpflichtet war, insofern also eine Offenbarungspflicht bestand.
667
Wann den Arbeitnehmer die Pflicht trifft, dem Arbeitgeber Auskunft über eine Tatsache zu erteilen, ist nicht immer einfach festzustellen. Das BAG differenziert folgendermaßen:
668
Eine Offenbarungspflicht besteht, wenn der Arbeitnehmer bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrags weiß, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die vereinbarte Arbeit aufzunehmen.4 Es muss allerdings eine Erkrankung vorliegen, die es dem Arbeitnehmer weitgehend oder vollständig unmöglich macht, die vereinbarte Tätigkeit auszuüben. Eine bloße Anfälligkeit genügt dann nicht.5 Über ein unmittelbar bevorstehendes Heilverfahren muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber unterrichten, wenn es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt und der Arbeitnehmer für einen erheblichen Zeitrum ausfällt.6
669
Über die Schwerbehinderteneigenschaft als solche muss der Bewerber den Arbeitnehmer grds. nicht aufklären. Etwas anderes gilt auch nach Inkrafttreten des AGG, wenn der Bewerber die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder die Minderung der Leistung und Fähigkeiten für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist.7
670
1 ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 359. 2 BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 320/98, NZA 1999, 975; v. 28.5.1998 – 2 AZR 549/97, NZA 1998, 1054. 3 BAG v. 28.5.1998 – 2 AZR 549/97, NZA 1998, 1054; LAG Hamm v. 12.2.2009 – 8 Sa 1386/08 (juris). 4 BAG v. 27.3.1991 – 5 AZR 58/90, NZA 1991, 895; v. 7.2.1964 – 1 AZR 251/63, DB 1964, 555. 5 LAG Berlin v. 10.10.1977 – 9 Sa 61/77, BB 1978, 1311. 6 LAG Berlin v. 18.4.1978 – 3 Sa 115/77, BB 1979, 1145. 7 BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 380/99, NZA 2001, 315; v. 1.8.1985 – 2 AZR 101/83, NZA 1986, 635; 25.3.1976 – 2 AZR 136/75, DB 1976, 1240; vgl. neuerdings v. 17.12.2009 – AZR 670/08, NZA 2010, 383.
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Teil 1 Rz. 671
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
671
Auf eine bestehende Schwangerschaft muss die Bewerberin nicht von sich aus hinweisen.1 Eine Anfechtung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Beschäftigung in den ersten Monaten des Arbeitsverhältnisses ein Beschäftigungsverbot entgegensteht bzw. wenn die Arbeitnehmerin nur befristet eingestellt wurde und einen Großteil wegen der Schwangerschaft ausfallen wird. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen gewährt einen umfassenden Bestandsschutz gegen Anfechtung und Kündigungen, die mit der Schwangerschaft in Verbindung stehen.2
672
Vorstrafen des Bewerbers müssen dem Arbeitgeber grds. nicht offenbart werden.3 Eine rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe muss der Bewerber dann nicht anzeigen, soweit diese zur Bewährung ausgesetzt oder mit der Einräumung eines Freigängerstatus zu rechnen ist.4 (2) Unrichtige Beantwortung zulässiger Fragen
673
Auch wenn der Bewerber zulässige Fragen des Arbeitgebers unrichtig beantwortet, kann diesem ein Recht zur Anfechtung zustehen. Zulässig sind allerdings nur Fragen, an deren wahrheitsgemäßer Beantwortung der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse hat, und auf Grund dessen die Belange des Bewerbers zurücktreten müssen. Ein solches Interesse ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die Beantwortung der Frage für den angestrebten Arbeitsplatz und die zu verrichtende Tätigkeit selbst von Bedeutung ist.5
674
Der Bewerber begeht somit keine „rechtswidrige“ Täuschung, wenn er eine unzulässige Frage falsch beantwortet. Zwar könnte er in diesem Fall auch die Antwort verweigern. Dies würde sich allerdings ggf. zu seinen Lasten auswirken, da der Arbeitgeber hieraus möglicherweise den Schluss zieht, der Bewerber habe „etwas zu verbergen“. Der Bewerber liefe somit Gefahr, dass der Arbeitgeber ihn bei der Besetzung des freien Arbeitsplatzes nicht berücksichtigt. Daher ist der Bewerber im Regelfall zumindest mittelbar gezwungen, entsprechende Angaben zu machen. In diesem Fall besteht also folgerichtig ein „Recht zur Lüge“.6
675
Besondere Bedeutung kommt dem Fragerecht des Arbeitgebers in Bezug auf Merkmale des AGG zu. An einer diskriminierenden Frage kann kein „berechtigtes Interesse“ des Arbeitgebers bestehen, denn Fragen, die sich auf verbotene Differenzierungsmerkmale des § 1 AGG beziehen, stellen selbst unmittelbare oder mittelbare Benachteiligungen i.S.d. § 7 AGG dar.7
676
Es folgt ein Überblick zu der Zulässigkeit einzelner Fragen: 1 2 3 4 5
BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 621/01, NZA 2003, 848. Vgl. hierzu EuGH v. 4.10.2001 – C-109/00, NZA 2001, 1241. KDZ/Däubler, § 123, 124 BGB Rz. 8. BAG v. 18.9.1987 – 7 AZR 507/86, NZA 1988, 731. BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 148/04, NZA 2006, 624; v. 5.10.1995 – 2 AZR 923/94, NZA 1996, 371; v. 7.6.1984 – 2 AZR 270/83, NZA 1985, 57. 6 KDZ/Däubler, §§ 123, 124 BGB Rz. 11. 7 ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 272; Schleusener/Suckow/Vogt, § 3 AGG Rz. 23 ff.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 681 Teil 1
Der Arbeitgeber darf sich nach der fachlichen Qualifikation des Bewerbers erkundigen. Hierzu gehören auch Angaben bezüglich des bisherigen beruflichen Werdegangs einschließlich der dabei erworbenen Qualifikationen.1 Ist eine befristete Einstellung beabsichtigt, besteht wegen § 14 Abs. 2 TzBfG ein berechtigtes Interesse an der Frage, ob der Bewerber früher schon einmal bei demselben Arbeitgeber oder einem seiner Rechtsvorgänger gearbeitet hat. Die Frage nach der bei dem früheren Arbeitgeber bezogenen Vergütung ist nach Ansicht des BAG jedenfalls dann unzulässig, wenn die bisherige Vergütung für die erstrebte Stelle keine Aussagekraft hat.2
677
Bei Fragen in Bezug auf die Gesundheit oder eine Behinderung ist zu differenzieren. Leidet der Arbeitnehmer unter einer Erkrankung, aufgrund derer er die vereinbarte Tätigkeit nicht ausüben kann, ist er bereits von sich aus zur Offenbarung verpflichtet. Ein Fragerecht besteht hier also ebenso zweifelsfrei.
678
Anders ist dies bei weniger beeinträchtigenden Erkrankungen. Überwundene Krankheiten haben auf das kommende Arbeitsverhältnis keinen Einfluss und müssen daher nicht genannt werden. Auf die Frage nach akuten Erkrankungen muss dann wahrheitsgemäß geantwortet werden, wenn diese im Zusammenhang mit dem einzugehenden Arbeitsverhältnis stehen. Das BAG formuliert folgenden Fragenkatalog:3
679
– Liegt eine Krankheit bzw. eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes vor, durch die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abständen eingeschränkt ist? – Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zwar nicht die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, jedoch die zukünftigen Kollegen oder Kunden gefährden? – Ist zum Zeitpunkt des Dienstantritts bzw. in absehbarer Zeit mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen, z.B. durch eine geplante Operation, eine bewilligte Kur oder auch durch eine zurzeit bestehende akute Erkrankung? Mit Inkrafttreten des AGG erfährt die Frage nach dem Gesundheitszustand weitere Einschränkungen. Nach Ansicht des BAG können Fragen nach Erkrankungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Behinderung diskriminierungsrelevant sein. Aus der Frage nach bestimmten Erkrankungen oder Leiden könne je nach den Einzelfallumständen auch auf eine Erkundigung nach einer Behinderung geschlossen werden. Dies wurde für den Fall angenommen, dass ein medizinisch kundiger Orthopäde nach einer stetig fortschreitenden Erkrankung („Morbus Bechterew“) des Bewerbers fragte, die ab einem bestimmten Stadium den Grad einer Behinderung erreichen kann.4
680
" Praxistipp: Aufgrund dieser Entwicklung gestaltet sich die Frage nach dem
681
Gesundheitszustand des Bewerbers im Bewerbungsgespräch als riskant. Die Krankheit als solche stellt zwar kein verbotenes Diskriminierungsmerkmal dar. Erreicht sie allerdings den Grad einer Behinderung, ist sie vom Diskri-
1 2 3 4
LAG Hamm v. 8.2.1995 – 18 Sa 2136/93, LAGE § 123 BGB Nr. 21. BAG v. 19.5.1983 – 2 AZR 171/81, DB 1984, 298. Vgl. BAG v. 7.6.1984 – 2 AZR 270/83, NZA 1985, 57. BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 670/08, NZA 2010, 383.
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Teil 1 Rz. 682
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
minierungsverbot umfasst. Maßgebliches Unterscheidungsmerkmal ist insoweit die Dauerhaftigkeit.1 Da die Übergänge häufig fließend sind, kann unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Rechtsprechung nur zu äußerster Zurückhaltung bei der Frage nach Krankheiten geraten werden. 682
Nach der Gewerkschaftszugehörigkeit darf im Regelfall nicht gefragt werden. Eine solche Frage würde gegen den verfassungsrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verstoßen.2 Etwas anderes kann allerdings nach der Einstellung des Arbeitnehmers gelten, denn dann dürfte ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers vorliegen, zu erfahren, ob ein bestehender Tarifvertrag auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung findet.3
683
Die Mitgliedschaft in einer Partei ist verfassungsrechtlich geschützt, vgl. Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 21 GG. Damit ist auch die Frage nach der Parteizugehörigkeit im Regelfall unzulässig.4 Etwas anderes folgt nicht aus dem AGG, denn die Parteizugehörigkeit lässt sich nach zutreffender Ansicht nicht unter das Benachteiligungsmerkmal der Weltanschauung fassen.5 Dies mag nur in Tendenzbetrieben anders zu beurteilen sein, wenn die Parteizugehörigkeit wesentlichen Einfluss auf die auszuübende Tätigkeit hat. So darf in einem Bewerbungsgespräch um die Stelle eines Redakteurs in einem Verlag, der Zeitungen der SPD herausgibt, ein Bewerber nach der Parteizugehörigkeit gefragt werden.
684
Auch nach der Religionszugehörigkeit darf im Bewerbungsgespräch nicht gefragt werden. Die Religionsfreiheit ist durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt und in § 1 AGG genannt, sodass eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religionszugehörigkeit unzulässig ist. Eine Ausnahme gilt wiederum für Tendenzbetriebe. Allerdings dürfen kirchliche Arbeitgeber Einstellungen nicht in jedem Fall von der Kirchenzugehörigkeit abhängig machen, sondern nur, wenn sie nach Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt.6 Diese berufliche Anforderung wird z.B. bei der Einstellung eines Hausmeisters durch die katholische Kirche fehlen.
685
Nach gegenwärtiger Rechtsprechung des BAG stellt Scientology keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft dar.7 Die Frage nach der Zugehörigkeit muss daher (noch) als zulässig angesehen werden. Ob BAG und EuGH nach Inkrafttreten des AGG und der Anerkennung von Scientology als Religionsgemeinschaft in anderen europäischen Ländern (z.B. Frankreich) weiterhin so entscheiden werden, ist zurzeit völlig offen. Bis dahin müssen Arbeitgeber eine Risikoabwägung treffen, ob die möglicherweise unzulässige Frage für sie von so großer Bedeutung ist, dass sie Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG in Kauf nehmen.8 1 2 3 4 5 6 7 8
EuGH v. 11.7.2006 – C 14/05, NZA 2006, 839. BAG v. 28.3.2000 – 1 ABR 16/99, NZA 2000, 1294. BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 380/99, DB 2001, 707. MüArbR/Melms, § 7 Rz. 32. Ebenso Bauer/Güpfert/Krieger, § 1 AGG Rz. 57; MüArbr/Melms, § 7 Rz. 32. ErfK/Schlachter, § 9 AGG Rz. 3. BAG v. 22.3.1995 – 5 AZB 21/94, NZA 1995, 823. Kleinebrink, ArbRB 2006, 374.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 689 Teil 1
Nach bisheriger gefestigter Rechtsprechung musste der Bewerber eine anerkannte Schwerbehinderung zwar nicht offenbaren, der Arbeitgeber sollte allerdings nach der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. nach der Gleichstellung fragen dürfen.1 Diese Ansicht ist mit Schaffung des § 81 SGB IX und der Einführung des AGG nicht mehr vertretbar. Ein Arbeitgeber darf nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Die Behinderung stellt des Weiteren ein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG dar. Die Frage nach der Schwerbehinderung ist damit nunmehr unzulässig und berechtigt nicht mehr zur Täuschungsanfechtung.2 Dem Arbeitgeber bleibt allerdings weiterhin unbenommen, nach Beeinträchtigungen zu fragen, die die Eignung für die vereinbarte Tätigkeit gefährden können.
686
Zu differenzieren ist bei dem Fragerecht in Zusammenhang mit HIV. Die bloße Infektion beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit als solche nicht, weswegen der Arbeitgeber hiernach nicht fragen darf. Anders ist es jedoch, wenn die AIDS-Erkrankung bereits ausgebrochen ist oder wenn die Art der Tätigkeit so beschaffen ist, dass eine Übertragung des Erregers möglich erscheint, z.B. bei Pflegeberufen.
687
Die Frage nach der Schwangerschaft ist generell unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn die Frau die vereinbarte Tätigkeit wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes zunächst nicht aufnehmen kann.3 Selbst wenn das Arbeitsverhältnis befristet war und die Bewerberin einen wesentlichen Teil der Zeit aufgrund der Schwangerschaft nicht arbeiten wird, ist der Arbeitgeber nach der aktuelleren Rechtsprechung des EuGH nicht zur Frage nach der Schwangerschaft berechtigt.4 Für Extremfälle wird man aber auf § 8 Abs. 1 AGG abstellen können. Sofern für die gesamte Dauer der befristeten Tätigkeit das Beschäftigungsverbot nach §§ 3, 4 MuSchG besteht, mangelt es der Bewerberin an einer wesentlichen und entscheidenden Anforderung für die vertragliche Tätigkeit. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Arbeitnehmerin, die als Schwangerschaftsvertretung für eine Arbeitnehmerin befristet eingestellt wird, ihrerseits schwanger wird. In diesem Fall muss eine solche Frage zulässig sein.5
688
In Bezug auf Vorstrafen unterscheidet das BAG. Der Arbeitgeber darf nur nach Vorstrafen fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert.6 Nach anderen Vorstrafen darf der Arbeitgeber nicht fragen bzw. eine Frage hierzu wahrheitswidrig verneint werden. Für die Anstellung als LKW-Fahrer darf also beispielsweise nur nach Verkehrsdelikten gefragt werden.
689
1 Vgl. BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 380/99, NZA 2001, 315 m.w.N. 2 Wohl auch BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 670/08, NZA 2010, 383; LAG Hamm v. 19.10. 2006 – 15 Sa 740/06 (juris); ebenso allgemeine Ansicht in der Literatur, vgl. Joussen NZA 2007. 174, Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1149, KDZ/Däubler, §§ 123, 124 BGB Rz. 27 m.w.N. 3 BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 621/01, NZA 2003, 848. 4 Vgl. EuGH v. 4.10.2001 – C-109/00, NZA 2001, 1241. 5 So auch KDZ/Däubler, § 123, 124 BGB Rz. 16a. 6 BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 320/98, NZA 1999, 975; v. 5.12.1957 – 1 AZR 594/56, BAGE 5, 159; LAG Düsseldorf v. 24.4.2008 – 11 Sa 2101/07, LAGE Art. 33 GG Nr. 17.
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Teil 1 Rz. 690 690
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Unzulässig sind demgegenüber grds. Fragen, die sich ausschließlich oder überwiegend auf die Privatsphäre beziehen. So sind Freizeitbeschäftigungen incl. der Trinkgewohnheiten, die Lebensplanung und gegenwärtige Lebensverhältnisse (auch Vermögensverhältnisse) dem Fragerecht des Arbeitgebers entzogen. bb) Widerrechtliche Drohung
691
Nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB kann seine Erklärung auch anfechten, wer hierzu widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Der Drohungsanfechtung kommt in Bezug auf den Abschluss des Arbeitsvertrags allerdings nur eine geringe Bedeutung zu. Nicht ausreichend ist das Ausnützen einer seelischen Zwangslage, denn dieses Verhalten steht der widerrechtlichen Drohung nicht gleich. Schließt der Arbeitgeber also einen Arbeitsvertrag aus Furcht vor einer Strafanzeige gegen einen nahen Angehörigen ab, kann er seine Erklärung nicht nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechten.1 Droht der Bewerber allerdings offen mit einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber, so steht diesem ein Anfechtungsrecht zu.
692
Den größten Anwendungsbereich hat die Anfechtung aufgrund widerrechtlicher Drohung in Fällen, in denen dem Arbeitnehmer eine fristlose Kündigung in Aussicht gestellt wird, wenn er nicht selbst kündigt oder einen Aufhebungsvertrag unterschreibt. Die zuletzt genannte Problematik wird deshalb im Zusammenhang mit der Anfechtung von Aufhebungsverträgen behandelt. d) Anfechtungsfrist; Beweislast
693
Wegen der erheblichen Folgen der Anfechtung eines Arbeitsvertrags haben die Parteien regelmäßig ein besonderes Interesse an Rechtssicherheit. Dem trägt § 121 BGB Rechnung, wonach der Anfechtungsberechtigte die Anfechtung „unverzüglich“ – d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB) – erklären muss, sobald er Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erlangt hat.
694
Entsprechend § 626 Abs. 2 BGB geht die Rechtsprechung davon aus, das die Anfechtung aufgrund eines Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtums nur dann unverzüglich i.S.d. Norm erfolgt ist, wenn zwischen der Kenntniserlangung und dem Zugang der Anfechtungserklärung höchstens zwei Wochen liegen.2 Allerdings betont das BAG ausdrücklich, dass es sich hierbei um keine starre Frist handelt, sondern die Unverzüglichkeit je nach den Umständen des Einzelfalls auch schon vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist nicht mehr gewahrt sein kann. Zu Grunde zu legen ist in diesem Zusammenhang also die Rechtsprechung des BGH, der zur Rechtzeitigkeit einer Irrtumsanfechtung anführt, dass dem Anfechtungsberechtigten jedenfalls das Recht zusteht, sich die Sache zu überlegen und ggf. Rechtsrat einzuholen.3
1 Vgl. BGH v. 7.6.1988 – IX ZR 245/86, BB 1988, 1549 (Zur Abgabe einer Bürgschaftserklärung). 2 BAG v. 21.2.1991 – 2 AZR 449/90; v. 14.12.1979 – 7 AZR 38/78, DB 1980, 739. 3 BGH v. 11.10.1974 – V ZR 25/73, BB 1974, 1552.
138
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 700 Teil 1
Abweichend von den o.g. Grundsätzen kann die Anfechtung im Fall der Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung noch ein Jahr ab Entdecken der Täuschung bzw. dem Ende der durch die Drohung geschaffenen Zwangslage erklärt werden, vgl. § 124 BGB. In diesem Fall ist der Erklärungsempfänger weniger schutzwürdig, da er den Anfechtungsgrund selbst geliefert hat.
695
Für die Unverzüglichkeit genügt die Absendung der Anfechtungserklärung an den Anfechtungsgegner. Da es sich um Mängel in der Willensbildung bei Abschluss des Arbeitsvertrags handelt, sind gesetzliche Kündigungsschutzvorschriften (KSchG, § 9 Abs. 3 MuSchG etc.) nicht anwendbar. Anders als bei einer Kündigung ist der Betriebsrat vor einer Anfechtung nicht nach § 102 BetrVG anzuhören.1
696
Arbeitgeber und Arbeitnehmer können das Recht zur Anfechtung auch verwirken, wenn das Arbeitsverhältnis bereits jahrelang beanstandungsfrei durchgeführt wurde und ein daher an sich vorliegender Anfechtungsgrund keine Auswirkungen mehr auf das Arbeitsverhältnis bzw. seine Bedeutung hierfür verloren hat.2
697
Die Darlegungs- und Beweislast für die zur Anfechtung berechtigenden Umstände trägt der Anfechtende, i.d.R. also der Arbeitgeber.3
698
e) Rechtsfolge Folge der Anfechtung ist nach § 142 BGB die anfängliche Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags. Allerdings bestehen hier ebenso wie im Falle der Nichtigkeit des Arbeitsvertrags erhebliche Probleme in der Rückabwicklung der erhaltenen Leistungen. Die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses gelten daher auch für die Anfechtung. Diese wirkt nur ex-nunc, also für die Zukunft. Dem Arbeitgeber steht im Ergebnis lediglich ein Lossagungsrecht zu.
699
Etwas anderes gilt nur, wenn das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich außer Vollzug gesetzt wurde und die Anfechtung auf diesen Zeitpunkt zurück gerichtet ist, oder aufgrund von Arbeitsunfähigkeit kein Leistungsaustausch stattgefunden hat. In diesem Fall bestehen keine Rückabwicklungsschwierigkeiten. Eine „Außerfunktionssetzung“ bedeutet nach der Rechtsprechung des BAG, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht gearbeitet hat.4 Davon umfasst sind z.B. Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung einvernehmlich suspendiert wurde oder der Arbeitnehmer aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig war. Die Nichtigkeit wirkt in diesem Fall auf den Zeitpunkt des Außer-Funktion-Setzens zurück.5
700
1 ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 346. 2 BAG v. 28.5.1998 – 2 AZR 549/97, NZA 1998, 1052; v. 11.11.1993 – 2 AZR 467/93, NZA 1994, 407. 3 LAG Berlin v. 19.11.1984 – 9 Sa 83/84, LAGE § 123 BGB Nr. 5. 4 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 754/98, NZA 1999, 584. 5 BAG v. 29.8.1984 – 7 AZR 34/83, NZA 85, 58; v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, NJW 84, 446 (außer Funktion gesetzt); v. 3.12.1998 – 2 AZR 754/97, NZA 1999, 584 (Arbeitsunfähigkeit).
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Teil 1 Rz. 701
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
3. Aufhebungsvertrag a) Einleitung aa) Bedeutung von Aufhebungsverträgen 701
Der Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt und stellt damit das Spiegelbild des Arbeitsvertrages dar. Neben der Kündigung hat die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Praxis einen hohen Stellenwert erlangt. Etwa jedes zehnte Arbeitsverhältnis wird einvernehmlich durch einen Aufhebungsvertrag beendet.1 Die große Bedeutung von Aufhebungsverträgen zeigt sich auch im starken Wachstum der Outplacementbranche, die im Auftrag des Arbeitgebers ausscheidenden Arbeitnehmern professionelle Hilfe zur beruflichen Neuorientierung bietet. bb) Vorteile
702
Aufhebungsverträge sind sowohl für den Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer eine attraktive Alternative zu einem risikoreichen Kündigungsverfahren. Für den Arbeitgeber ist vor allem von Vorteil, dass das Arbeitsverhältnis ggf. auch kurzfristig – ohne bestehende Kündigungsfristen einhalten zu müssen – beendet werden kann. Daneben findet weder der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG, noch der besondere Kündigungsschutz einzelner Arbeitnehmergruppen Anwendung.2 So setzt die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsvertrags keine soziale Rechtfertigung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG voraus, und ebenso wenig muss die Zustimmung eines Dritten, etwa nach § 9 Abs. 3 MuSchG, eingeholt werden. Auch die Anhörungs- und Zustimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 102, 103 BetrVG sind nicht einschlägig.3
703
Dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages stehen auch die § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG, § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG und die danach nur eingeschränkte Möglichkeit des Arbeitnehmers, auf bestimmte Rechte wirksam zu verzichten, nicht entgegen.4 Daher kann auch mit ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet werden. Zur Auflösung des Arbeitsvertrags bedarf es auch keiner sachlichen Rechtfertigung, wie bei der wirksamen Befristung oder einer auflösenden Bedingung des Arbeitsverhältnisses.
704
Für den Arbeitnehmer steht zunächst der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses im Vordergrund. Für ihn kann die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch dann von Vorteil sein, wenn sich für ihn kurzfristig die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels ergibt und er diesen unter Einhaltung der Kündigungsfrist nicht oder nur unter der Gefahr, sich wegen Verletzung der Arbeitspflicht schadensersatzpflichtig zu machen, realisieren könnte. Von 1 Siehe die Nachweise bei KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 225. 2 BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761; v. 7.5.1987 – 2 AZR 271/86, NZA 1988, 15. 3 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 6 f.; Demgegenüber ist der Betriebsrat allerdings bei einer verabredeten Kündigung mit anschließendem Abwicklungsvertrag anzuhören, vgl. BAG v. 12.6.2005 – 1 ABR 25/04, NZA 2006, 48. 4 Bauer, Teil I Rz. 10.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 708 Teil 1
Anreiz für den Arbeitnehmer kann auch eine – regelmäßig im Falle betriebsbedingter Gründe – in Aussicht gestellte Abfindung sein. Droht eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung, kann sich der Arbeitnehmer durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags die Offenlegung des Kündigungsgrundes bzw. -termins (im Falle einer außerordentlichen Kündigung) und die sich daraus ergebenden Nachteile für das berufliche Fortkommen ersparen.
705
cc) Abgrenzung zu anderen Beendigungstatbeständen (1) Abwicklungsverträge Abgegrenzt werden müssen Aufhebungsverträge von reinen Abwicklungsverträgen. Bei beiden Vertragsarten handelt es sich um unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis an sich durch übereinstimmende Willenserklärungen, ohne dass es des Ausspruchs einer Kündigung bedarf. Dagegen beendet der Abwicklungsvertrag das Arbeitsverhältnis nicht, sondern regelt nur Folgefragen einer vorausgehenden Kündigung des Arbeitgebers, mit der dieser das Arbeitsverhältnis einseitig auflöst.
706
Welche Vertragsart vorliegt, ist nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Einem Abwicklungsvertrag geht regelmäßig eine nicht zwischen den Parteien abgesprochene Kündigung voraus. Das BAG geht im Zweifel dann von einem Aufhebungsvertrag aus, wenn eine Klageverzichtsvereinbarung in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung getroffen wird.1 Von einem „Auflösungsvertrag“ i.S.d. § 623 BGB geht das BAG auch dann aus, wenn der Vertrag ein zweiseitiges Rechtsgeschäft enthält, das mit materiell-rechtlicher Wirkung den Bestand des Arbeitsverhältnisses beseitigt oder die Kündigung unwirksam ist und der Vertrag die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewirkt.2 Der erforderlichen Schriftform genügt es nicht, wenn nur der Arbeitnehmer den unter der vom Arbeitgeber bereits unterschriebenen Kündigungserklärung enthaltenen Zusatz mit dem Inhalt unterschreibt: „Hiermit bestätige ich den Erhalt der obigen Kündigung und verzichte auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage“.3
707
Die genaue Einordnung des Vertragswerks ist von großer Bedeutung. Beim Aufhebungsvertrag führt die fehlende Schriftform nach § 623 BGB zur Nichtigkeit der Vereinbarung.4 Der Abwicklungsvertrag unterliegt demgegenüber nicht dem Schriftformerfordernis. Hier genügt die Schriftform der vorausgegangenen formgerechten Kündigung.5
708
1 Vgl. BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227; kritisch Bauer/Günther, AP Nr. 9 zu § 623 BGB. 2 Vgl. BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 3 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 4 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 5 BAG v. 23.11.2006 – 6 AZR 638/04, NZA 2007, 97.
Laber
141
Teil 1 Rz. 709
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
709
Da der Abwicklungsvertrag das Arbeitsverhältnis nicht beendet, führt seine Nichtigkeit oder Anfechtung nach einer wirksamen Kündigung auch nicht zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer muss also zusätzlich – wenn er sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zur Wehr setzen will – mit der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG den Beendigungstatbestand angreifen.
710
" Praxistipp: Aufgrund der Rechtsprechung des BAG, die bei einer nicht eindeutigen Regelung eher zur Annahme eines formbedürftigen Aufhebungsvertrags tendiert, ist besondere Sorgfalt bei der Formulierung eines Abwicklungsvertrags zu beachten. Es muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen, dass das Arbeitsverhältnis nicht einvernehmlich durch den Vertrag, sondern bereits zuvor durch die Kündigung beendet worden ist.
u
Musterformulierung:
711
„Der Arbeitgeber hat das Arbeitsverhältnis aus … Gründen am … fristgerecht zum … gekündigt. Die Parteien sind sich einig, dass die am … ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zum … beendet hat/beenden wird. Zur Abwicklung des Arbeitsverhältnisses wird Folgendes vereinbart:“
712
Die Voraussetzungen und Inhalte von Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag sind unterschiedlich. Da dem Abwicklungsvertrag eine Kündigung des Arbeitgebers vorausgeht, ist insoweit der allgemeine und besondere Kündigungsschutz zu beachten, und vor Ausspruch der Kündigung ist der Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG zu beteiligen.1
713
Das Interesse des Arbeitgebers an dem Abschluss eines Abwicklungsvertrags kann z.B. darin bestehen, dass er schon vor Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist Gewissheit haben will, ob der Arbeitnehmer mit der Beendigung einverstanden ist. Inhaltlich werden mit einem Abwicklungsvertrag vor allem die sich aus der Kündigung ergebenden Folgen und das weitere Vorgehen festgehalten.2 Die Kernelemente des Abwicklungsvertrags liegen zumeist darin, dass der Arbeitnehmer auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet oder seine Zusage gibt, eine bereits erhobene Klage zurückzunehmen, und zum Ausgleich dafür regelmäßig Anspruch auf eine Entlassungsentschädigung (Abfindung) erhält. Der Abwicklungsvertrag führt somit zu einer nachträglichen gütlichen Trennung der Parteien. Zusätzlich können im Abwicklungsvertrag noch weitere Fragen geregelt werden, die auch möglicher Inhalt eines Aufhebungsvertrags sind, wie z.B. die Freistellung des Arbeitnehmers oder die Weiternutzung einer Werkwohnung bis zum Ende der Kündigungsfrist.
714
Von „echten“ Abwicklungsverträgen müssen wiederum „unechte“ Abwicklungsverträge unterschieden werden.3 Hier kommen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung überein, dass das Arbeitsverhältnis 1 MüAbrR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 6. 2 Vgl. BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 3 Siehe hierzu Bauer/Krieger, NZA 2006, 306 (307).
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 716 Teil 1
zwar einvernehmlich, aber trotzdem durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet werden soll. Da der Arbeitnehmer nicht im Voraus auf seinen Kündigungsschutz verzichten kann, entfaltet ein solcher „unechter“ Abwicklungsvertrag allerdings keine rechtliche Bindungswirkung. Der Arbeitnehmer kann daher nach Ausspruch der Kündigung immer noch Kündigungsschutzklage erheben. In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ist die Unterscheidung praktisch bedeutungslos. Das BSG unterscheidet nicht zwischen echtem und unechtem Abwicklungsvertrag, sondern nimmt in beiden Fällen – wie auch bei einem Aufhebungsvertrag – eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III an.1 Dies hat regelmäßig – außer für den Fall, dass die Kündigung eindeutig rechtmäßig war – die Verhängung einer Sperrzeit zur Folge.2
715
Um die Unterschiede zu veranschaulichen sollen zunächst Muster eines einfachen Aufhebungs- und eines Abwicklungsvertrags dargestellt werden. Spezielle Klauseln eines Aufhebungsvertrags werden später unter Rz. 829 ff. im Einzelnen erläutert.
716
Aufhebungsvertrag Zwischen … – nachfolgend „Arbeitgeber“ genannt – und Herrn/Frau …, wohnhaft in … 1. Beendigung Herr/Frau … und der Arbeitgeber sind sich darüber einig, dass das am … begründete Arbeitsverhältnis mit Ablauf des … im gegenseitigen Einvernehmen enden wird/geendet hat. optional Die Beendigung geschieht auf Veranlassung des Arbeitgebers aus personen-/verhaltens-/ betriebsbedingten Gründen. Bis zum Beendigungszeitpunkt wird/ist das Arbeitsverhältnis von beiden Parteien ordnungsgemäß abgewickelt/worden. 2. Herr/Frau … erhält zum Beendigungszeitpunkt ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis, das ihm/ihr in seinem/ihrem weiteren beruflichen Fortkommen nicht hinderlich ist. 3. Erledigungsklausel Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, bekannt oder unbekannt, erledigt. optional Von der Erledingungsklausel unberührt bleiben 1 BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661; kritisch: Bauer/Krieger, NZA 2006, 306 (307). 2 Siehe auch DA 144.14 der Bundesagentur für Arbeit zu § 144 SGB III (Stand 12/2009). Ausführlich zur Kündigung mit Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG in Teil 2 C V.
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Teil 1 Rz. 717
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
– Die Ansprüche von Herrn/Frau … auf … – Die Ansprüche des Arbeitgebers auf … … (Ort, Datum) … (Arbeitgeber) … (Arbeitnehmer)
Abwicklungsvertrag 717
Zwischen … (im Folgenden „Arbeitgeber“ genannt) und Frau/Herrn …, wohnhaft in … 1. Beendigung Herr/Frau … und der Arbeitgeber sind sich einig, dass das am … begründete Arbeitsverhältnis durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers vom … fristgerecht mit Ablauf des … enden wird/geendet hat. optional Der Arbeitgeber hat das am … begründete Arbeitsverhältnis fristgerecht aus personen-/ verhaltens-/betriebsbedingten Gründen gekündigt. Herr/Frau … und der Arbeitgeber sind sich einig, dass die am … ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zum … beenden wird/beendet hat. Bis zum Beendigungszeitpunkt wird/ist das Arbeitsverhältnis von beiden Parteien ordnungsgemäß abgewickelt/worden. 2. Weiteres Verfahren Herr/Frau … erhebt keine Kündigungsschutzklage. optional Herr/Frau … verpflichtet sich, die beim Arbeitsgericht …/Landesarbeitsgericht …/Bundesarbeitsgericht anhängige Klage (Az. …) unverzüglich nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung zurückzunehmen. 3. Herr/Frau … erhält zum Beendigungszeitpunkt ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis, das ihm/ihr in seinem/ihrem weiteren beruflichen Fortkommen nicht hinderlich ist. 4. Erledigungsklausel Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, bekannt oder unbekannt, erledigt. … (Ort, Datum) … (Arbeitgeber) … (Arbeitnehmer)
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 720 Teil 1
(2) Kündigung mit Abfindungsangebot nach § 1a KSchG1 Nach § 1a Abs. 1 KSchG hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gekündigt und der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG keine Klage auf Feststellung erhoben hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Der Anspruch setzt den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann. Die Höhe der Abfindung beträgt nach § 1a Abs. 2 Satz 1 KSchG 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.
718
Neben der in § 1a Abs. 1 KSchG genannten Abfindung bleibt es den Vertragsparteien unbenommen, das Arbeitsverhältnis durch einvernehmliche Abrede gegen Zahlung einer geringeren oder höheren Abfindung aufzulösen. Entscheidend ist die Erklärung des Arbeitgebers, die danach auszulegen ist, ob das Verfahren nach § 1a KSchG oder eine vertragliche Abfindungsvereinbarung gewollt ist.2 Will ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit Ausspruch der Kündigung ein Angebot auf Abschluss eines Beendigungsvertrags unterbreiten, ohne jedoch die gesetzliche Abfindung nach § 1a KSchG anbieten zu wollen, so ist er aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung gehalten, dies in der schriftlichen Kündigungserklärung eindeutig und unmissverständlich zu formulieren, insbesondere welche Abfindung er unter welchen Voraussetzungen anbietet.3 Maßgebliches Abgrenzungskriterium stellt nach dem BAG eine deutlich abweichende Höhe der Abfindung von der gesetzlichen Regelung des § 1a Abs. 2 KSchG dar.4
719
Die Kündigung mit Abfindungsangebot ist für den Arbeitnehmer vor allem im Hinblick auf ihre sozialrechtlichen Folgen und hierbei insbesondere wegen der Behandlung des Sperrzeittatbestands nach § 144 SGB III interessant. Denn eine Sperrzeit auslösende Beteiligung des Arbeitnehmers i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer die Klagefrist verstreichen lässt, also schlicht nichts unternimmt. Dieses rein passive Verhalten stellt kein „Lösen“ im Sinne der Vorschrift dar.5 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Arbeitnehmer durch seine Untätigkeit finanzielle Vorteile erlangt.6 Das BSG konnte diese Frage bisher offenlassen. Es hat jedenfalls
720
1 Ausführlich zur Kündigung mit Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG in Teil 2 Rz. 671 ff.; zu den Voraussetzungen der Verhängung einer Sperrzeit siehe Teil 12. 2 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06, NZA 2008, 528; v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357. 3 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07, NZA 2008, 1292; v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06, NZA 2008, 528. 4 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07, NZA 2008, 1292; v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06, NZA 2008, 528. 5 BSG v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06 R, NZA-RR 2008, 383; v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661. 6 ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 10; dies sieht mittlerweile auch die Bundesagentur für Arbeit so, vgl. DA 144 103 zu § 144 SGB III (Stand 12/2009).
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Teil 1 Rz. 721
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
in einem obiter dictum erwogen, seine Rechtsprechung anzupassen und für den Fall, dass die Abfindungshöhe die in § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehene Grenze nicht überschreitet, von einer Sperrzeit abzusehen.1 (3) Kündigungsbestätigungsvertrag 721
Der Aufhebungsvertrag ist auch von einem bloßen Kündigungsbestätigungsvertrag abzugrenzen. Hierbei handelt es sich um eine Mischform zwischen Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag. Er ist darauf gerichtet, alle Einwendungen gegen eine zuvor erklärte Kündigung auszuschließen und hat dadurch die Rechtsnatur eines negativen Schuldanerkenntnisses. Durch den Kündigungsbestätigungsvertrag wird lediglich die Kündigung von beiden Parteien als wirksam erachtet. Ihm kommt somit lediglich deklaratorische Wirkung zu. Eine Bestätigungsvereinbarung, die in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung getroffen wird, ist nach Ansicht des BAG wie ein Aufhebungsvertrag zu behandeln und unterliegt deshalb auch dem Schriftformgebot.2 b) Abschluss
722
Zur Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages sind verschiedene gesetzliche Vorschriften zu beachten. aa) Form
723
Aufhebungsverträge bedürfen zunächst nach § 623 BGB der Schriftform. Dem sachlichen Geltungsbereich der Norm sind allerdings nur Arbeitsverhältnisse unterworfen. Sonstige Dienstverhältnisse, die keine Arbeitsverhältnisse darstellen, sind vom Schriftformgebot daher nicht umfasst. Die Vorschrift findet daher z.B. auf die Aufhebung freier Dienstverträge mit GmbH-Geschäftsführern3 oder auf Umschulungsverträge4 keine Anwendung. Ausbildungsverträge sind demgegenüber von der Vorschrift umfasst.
724
Auch ein Vorvertrag, in dem sich die Arbeitsvertragsparteien zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags verpflichten, bedarf ebenso wie der Aufhebungsvertrag selbst zu seiner Wirksamkeit der zwingenden Schriftform nach § 623 BGB.5
725
Abwicklungsverträge bedürfen grds. nicht der Schriftform, denn das Arbeitsverhältnis wird durch die (zu ihrer Wirksamkeit allerdings zwingend schriftliche) vorgehende Kündigung beendet.6
1 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359; wiederholt in BSG v. 8.7.2009 – B 11 AL 17/08 R, BB 2010, 443. 2 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 3 APS/Rolfs, Aufhebungsvertrag Rz. 17. 4 Vgl. BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 638/04, NZA 2007, 97. 5 BAG v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273. 6 Vgl. BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 731 Teil 1
Das Schriftformgebot dient mehreren Zwecken. Zunächst kommt ihm eine Warnfunktion zu: Die Parteien sollen sich bewusst sein, dass sie mit dem Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis beenden. Der Aufhebungsvertrag hat aber auch eine Klarstellungs- und Beweisfunktion. Durch die schriftliche Niederlegung wird Gewissheit über das Vorliegen eines Aufhebungsvertrags und mit welchem Inhalt dieser zustande gekommen ist geschaffen.1
726
Um die Schriftform zu wahren muss der Aufhebungsvertrag von Arbeitgeber und Arbeitnehmer eigenhändig unterzeichnet werden, vgl. § 126 Abs. 1, 2 Satz 1 BGB. Die Erklärungen können einerseits auf einer Urkunde erfolgen. Es ist daneben auch möglich, zwei Urkunden anzufertigen und untereinander auszutauschen, wobei dem Vertragspartner dann jeweils das Original auszuhändigen ist.2 Demgegenüber reicht ein reiner Briefwechsel, etwa durch die Übersendung eines Vertragsangebots und Rücksendung einer Annahmeerklärung, nicht aus. In diesem Fall ergibt sich die Willensübereinstimmung der Parteien nämlich nicht aus einer Urkunde.3
727
Das Formerfordernis bezieht sich auf den Aufhebungsvertrag als Ganzen. Daher muss die Vertragsurkunde alle wesentlichen Bestandteile des formbedürftigen Vertrags, z.B. die Zahlung einer Abfindung oder der Verzicht auf weitere Ansprüche aber auch alle Nebenabreden, enthalten. Hat eine formlose Nebenabrede wesentliche Bedeutung für den Aufhebungsvertrag, führt dies zur Unwirksamkeit des gesamten Aufhebungsvertrags. Auch die beiden Unterschriften müssen den gesamten Vertrag abdecken.
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" Praxistipp: Deshalb reicht es nicht aus, wenn eine Vertragspartei nur ihre
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Unterzeichnet für eine Vertragspartei ein Vertreter, muss das Vertretungsverhältnis in der Urkunde deutlich zum Ausdruck kommen, etwa durch einen entsprechenden Zusatz („i. V.“) bei der Unterschrift.4
730
Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift verlangt nicht, dass unmittelbar bei Abgabe der schriftlichen Erklärung für den Erklärungsempfänger die Person des Ausstellers feststehen muss. Dieser soll nur identifiziert werden können. Hierzu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Namenszugs. Vielmehr genügt ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender Schriftzug, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, welche die Nachahmung erschweren. Ein lesbarer Zusatz des Namens des Unterzeichnenden wird von § 126 BGB nicht verlangt. Der Schriftzug muss sich als
731
Unterschrift, ggf. auch mit dem Zusatz „einverstanden“, unter das von der anderen Seite vorgelegte schriftliche Angebot auf Vertragsauflösung setzt. Auch die vom Arbeitnehmer bloß gegengezeichnete schriftliche Kündigung durch den Arbeitgeber löst das Arbeitsverhältnis nicht einvernehmlich auf.
1 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; v. 19.1.2006 – 6 AZR 638/04, NZA 2007, 97. 2 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 3 BAG v. 26.7.2006 – 7 AZR 514/05, NZA 2006, 1402. 4 BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403; v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348.
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Teil 1 Rz. 732
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Wiedergabe eines Namens darstellen und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lassen, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist.1 732
Das Schriftformerfordernis aus § 623 BGB kann mit individual- und kollektivvertraglichen Schriftformklauseln konkurrieren. Hierbei ist zu beachten, dass das gesetzliche Schriftformerfordernis konstitutiv ist, also weder durch Arbeitsvertrag noch durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abbedungen werden kann. Dadurch kann die Schriftform nicht durch die Einigung der Arbeitsvertragsparteien darüber beseitigt werden, ihr Aufhebungsvertrag solle auch ohne Einhaltung der Schriftform wirksam sein.2 Die vertragliche Vereinbarung der Schriftform hat somit nur deklaratorische Funktion. Es ist jedoch möglich, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen strengere Formvorschriften vorzusehen.3
733
Umstritten war seit Einführung des Schriftformgebots zum 1.5.2000, ob auch ein konkludent vereinbarter Aufhebungsvertrag die Schriftform des § 623 BGB wahren konnte. Problematisch war dies vor allem im Hinblick auf Geschäftsführerdienstverträge, wenn der Geschäftsführer vorher aufgrund eines Arbeitsvertrags für den Arbeitgeber tätig war. Das BAG geht in diesem Fall regelmäßig davon aus, dass das bis dahin bestehende Arbeitsverhältnis mit Beginn des Geschäftsführerdienstverhältnisses einvernehmlich beendet wird. Der Abschluss des schriftlichen Dienstvertrags für den Geschäftsführer wahrt insoweit das Schriftformerfordernis für den Aufhebungsvertrag.4 Ein daneben „ruhendes“ Arbeitsverhältnis soll nur vorliegen, wenn dies klar und deutlich vereinbart worden ist. Damit hat das BAG nunmehr die bereits in der Instanzrechtsprechung vorherrschende Ansicht5, die Schriftform werde in diesem Fällen durch den schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag gewahrt, ausdrücklich bestätigt.6
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" Praxistipp: Ist somit die konkludente Vereinbarung eines Aufhebungsver-
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Die Schriftform kann nach § 126 Abs. 4 BGB durch notarielle Beurkundung und nach § 127a BGB durch gerichtlichen Vergleich ersetzt werden. Hierbei kann es sich auch um einen Vergleich nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 ZPO handeln.7
trags möglich, muss nunmehr bei Abschluss des Geschäftsführerdienstvertrags ausdrücklich zum Ausdruck kommen, wenn daneben das alte Arbeitsverhältnis bestehen bleiben soll.
1 2 3 4 5
BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521. ErfK/Müller-Glöge, § 623 BGB Rz. 10. APS/Preis, § 623 BGB Rz. 11. BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/07, NZA 2007, 1095. LAG Berlin v. 15.2.2006 – 13 Ta 170/06, NZA-RR 2006, 493, LAG Baden-Württemberg v. 16.11.2006 – 5 Sa 142/05, BB 2007, 333; a.A. LAG Bremen v. 2.3.2006 – 3 Ta 9/06, NZA-RR 2006, 321. 6 BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08, NZA 2009, 669; v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002; v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095; bereits vorher zur nicht ausdrücklichen Benennung als Aufhebungsvertrag: BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227; v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154. 7 BAG v. 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 740 Teil 1
Wird die Schriftform nicht gewahrt, ist der Aufhebungsvertrag wegen Verstoßes gegen § 125 Satz 1 nichtig. Auch die elektronische Einhaltung der Schriftform nach §§ 126a, b BGB reicht nicht aus. Das Arbeitsverhältnis besteht in diesem Fall mit allen Rechten und Pflichten weiter. Die Berufung auf die Formnichtigkeit ist für sich genommen weder arglistig noch treuwidrig. In aller Regel tritt die Nichtigkeitsfolge des § 125 BGB bei Verstößen gegen das Schriftformgebot daher auch dann ein, wenn im Einzelfall einem, mehreren oder gar allen Schutzzwecken des Schriftformerfordernisses auf andere Weise Genüge getan ist.1 Gegen den Formmangel können daher nur in seltenen Einzelfällen und unter bestimmten Umständen die Grundsätze von Treu und Glauben, der unzulässigen Rechtsausübung, des widersprüchlichen Verhaltens oder der Verwirkung eingewandt werden.2
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bb) Zustandekommen (1) Angebot/Annahme Voraussetzung für einen wirksam zustande gekommenen Aufhebungsvertrag ist der übereinstimmende rechtsgeschäftliche Wille der Vertragsparteien, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden.3 Der konkludente Abschluss eines Aufhebungsvertrags kommt damit heute nur noch im Fall der Bestellung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer vor.
737
Im Übrigen sind die grundsätzlichen Regeln zu Antrag und Annahme nach §§ 145, 147 BGB zu beachten. Bietet der Arbeitgeber den Abschluss eines Arbeitsvertrags an, so ist er nach § 145 BGB zunächst an diesen Antrag gebunden. Dieser erlischt, wenn der Arbeitnehmer das Angebot ablehnt oder „nicht rechtzeitig“ annimmt, vgl. § 146 BGB. Hierbei ist zwischen dem Angeboten gegenüber einem anwesendem oder einem abwesenden Arbeitnehmer zu unterscheiden.
738
Das Angebot einem anwesenden Arbeitnehmer gegenüber kann dieser nach § 147 Abs. 1 BGB nur sofort annehmen. Haben sich die Vertragsparteien mündlich über die wesentlichen Punkte des Aufhebungsvertrags geeinigt, kommt dieser im Zweifel erst mit Unterzeichnung der Vertragsurkunde zustande.4
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Hat der Arbeitgeber das Angebot gegenüber einem abwesenden Arbeitnehmer abgegeben, kann dieses „nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“, vgl. § 147 Abs. 2 BGB. Hierbei ist von den Erwartungen des Antragenden, i.d.R. also des Arbeitgebers, auszugehen. Dies umfasst – sofern nach dem Verhandlungsverlauf keine eilige Annahmeerklärung erkennbar gewünscht ist – eine angemessene Überlegungsfrist unter Einschluss einer anwaltlichen Beratung, was auch mehrere Wochen dauern kann.5
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1 2 3 4 5
BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NZA 2005, 162. Siehe im Einzelnen hierzu Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348, (355 f.). Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 38. LAG Köln v. 14.2.1997 – 11 Sa 902/96, NZA-RR 1997, 331. LAG Berlin v. 25.7.1996 – 10 Sa 39/96, NZA-RR 1999, 355.
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Teil 1 Rz. 741
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
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Nimmt der Arbeitnehmer das schriftliche Angebot des Arbeitgebers zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit Einschränkungen schriftlich an, kommt ein wirksamer Auflösungsvertrag wegen § 623 BGB i.V.m. § 150 Abs. 2, § 126 Abs. 2 BGB nur zustande, wenn auch der Arbeitgeber die – veränderte – Vertragsurkunde erneut unterzeichnet.1
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Der Arbeitgeber hat im Regelfall ein besonderes Interesse daran, zeitnah Klarheit darüber zu erlangen, ob der Arbeitnehmer die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitzutragen gewillt ist. In der Praxis wird dieser Unsicherheit dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Frist setzt, innerhalb derer der Arbeitnehmer sein Angebot annehmen kann. Dann kann der Antrag nach § 148 BGB nur innerhalb der gesetzten Frist angenommen werden.
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Der Aufhebungsvertrag kommt nur zustande, wenn sich die Vertragsparteien über alle Punkte des Aufhebungsvertrags geeinigt haben. Probleme entstehen, wenn über einige Punkte, z.B. über die Höhe der Abfindung oder die Rückgabe des Dienstwagens, keine Einigung erzielt wurde. In diesem Fall liegt ein Dissens vor, der unter Umständen zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags führen kann.2
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" Praxistipp: Es kann nicht geraten werden, im Falle teilweiser Uneinigkeit
einen Aufhebungsvertrag über die unstrittigen Punkte aufzusetzen, die umstrittenen Punkte dagegen aufzuschieben. In der Vertragsurkunde sollte daher der Zusatz aufgenommen werden, dass über weitere als die im Vertragstext genannten Fragen keine Regelung getroffen werden und hierdurch im Übrigen die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht berührt werden soll.3
(2) Besonderheiten (a) Ausländische Arbeitnehmer 745
Erhöhte Vorsicht bedarf der Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem Arbeitnehmer, der der Betriebssprache nicht mächtig ist. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall sichergehen, dass der Arbeitnehmer den Inhalt des Vertrags richtig versteht. Ansonsten kann ein wirksamer Aufhebungsvertrag nicht zustande kommen.4 Aus diesem Grund sollte bei zu erwartenden Sprachbarrieren unter Anwesenden ein Dolmetscher hinzugezogen werden bzw. bei einem Aufhebungsangebot unter Abwesenden dem Arbeitnehmer eine Übersetzung des Aufhebungsangebots zugeleitet werden. (b) Minderjährige und Auszubildende
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Der Aufhebungsvertrag des Arbeitgebers mit einem Minderjährigen bedarf nach §§ 107, 108 BGB der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Etwas anderes 1 2 3 4
BAG v. 26.8.2008 – 1 AZR 346/07, NZA 2009, 161. Siehe hierzu Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 41. MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 38 f. LAG Düsseldorf v. 2.11.1971 – 8 Sa 346/71, LAGE § 4 KSchG Nr. 1.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 749 Teil 1
kommt dann in Betracht, wenn der Minderjährige durch den gesetzlichen Vertreter ermächtigt ist, in Dienst oder Arbeit zu treten. Nach § 113 Abs. 1 BGB ist er dann sowohl für die Begründung als auch zur Beendigung solcher Rechtsgeschäfte ermächtigt. Er kann in diesem Fall auch ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters einen Aufhebungsvertrag schließen.1 Eine Ermächtigung liegt jedoch dann nicht vor, wenn der gesetzliche Vertreter den Arbeitsvertrag selbst oder mit dem Minderjährigen gemeinschaftlich unterzeichnet hat. Dann bedarf spiegelbildlich auch der Aufhebungsvertrag der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Keine Anwendung findet § 113 BGB dagegen im Berufsausbildungsverhältnis, denn hier überwiegt der Ausbildungszweck. Eine einvernehmliche Beendigung ist hier grds. in jedem Stadium der Ausbildung möglich.2 Dafür bedarf ein minderjähriger Auszubildender allerdings in jedem Fall der schriftlichen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.
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(c) Bedingung/Befristung Aufhebungsverträge können grds. unter einer auflösenden Bedingung i.S.v. § 158 Abs. 1 BGB wirksam vereinbart werden.3 In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis automatisch mit Eintritt des künftigen ungewissen Ereignisses. Jedoch bedarf die auflösende Bedingung eines Arbeitsvertrages wie seine Befristung eines sachlichen Grundes, da sonst die Gefahr einer Umgehung der zwingenden Kündigungsschutzvorschriften bestünde.4 Dies gilt ebenso für einen auflösend bedingten Aufhebungsvertrag.5
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Damit wird man folgenden Beendigungsgründen eine sachliche Rechfertigung bei Abschluss des Arbeitsvertrags versagen müssen:
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– Eine Vereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis automatisch endet, falls der Arbeitnehmer nach dem Ende des Urlaubs die Arbeit an dem vereinbarten Tag nicht wieder aufnimmt.6 – Eine Vereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis mit Ende des Urlaubs automatisch endet, dem Arbeitnehmer jedoch gleichzeitig die Wiedereinstellung unter Voraussetzungen zugesagt wird, die im Belieben des Arbeitgebers stehen.7 – Eine Vereinbarung, wonach das Berufsausbildungsverhältnis endet, wenn das Zeugnis des Auszubildenden in einem bestimmten Fach die Note „mangelhaft“ aufweist.8 1 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 42; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 50 mit Darstellung abweichender Ansichten. 2 BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 61/85, NZA 1987, 20. 3 BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 890. 4 BAG v. 4.12.1991 – 7 AZR 344/90, DB 1992, 948; v. 15.3.1991 – 2 AZR 516/90, NZA 1992, 452. 5 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 53. 6 BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 890. 7 BAG v. 4.12.1991 – 7 AZR 344/90, DB 1992, 948. 8 BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 61/85, NZA 1987, 20.
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Teil 1 Rz. 750
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
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Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg sind die Anforderungen an auflösende Aufhebungsvereinbarungen im Rahmen eines Prozessvergleichs geringer. Schließen die Parteien in einem Kündigungsschutzprozess, in welchem um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung gestritten wird, einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis ein Jahr lang fortgesetzt wird und dann endet, wenn der Arbeitnehmer im Verlaufe dieses Jahres an mehr als 10 % der in diesen Zeitraum fallenden Arbeitstage krankheitsbedingt fehlen sollte, so soll dieser Vergleich wirksam sein. Dadurch werde der Kündigungsschutz nicht umgangen, sondern das Prozessrisiko durch Vergleich gemildert.1 Anders sei die Rechtslage dagegen bei einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag zu beurteilen, wenn zuvor noch keine Kündigung ausgesprochen worden sei.2
751
Diese Ungleichbehandlung ist abzulehnen. In beiden Fällen sollen die Fehlzeiten des Arbeitnehmers verringert und der Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beigelegt werden. Eine sachliche Rechtfertigung, weswegen für einen Prozessvergleich andere Maßstäbe gelten sollen als für einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag, ist nicht ersichtlich. Richtigerweise sind beide Vereinbarungen als unwirksam anzusehen.
752
In der Praxis besteht auf Seiten des Arbeitgebers häufig das Bedürfnis, die Probezeit eines Arbeitnehmers zu verlängern, weil er noch keinen aussagekräftigen Eindruck von dessen Arbeitsleistung erhalten hat. Ein in diesem Zusammenhang abgeschlossener „Aufhebungsvertrag“, der nicht auf die alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, sondern die Kündigungsfrist um ein Vielfaches überschreitet und damit auf eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, bedarf zu seiner Wirksamkeit eines sachlichen Grundes i.S.v. § 14 Abs. 1 TzBfG.3
753
Für das Eingreifen der Befristungskontrolle ist nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung entscheidend, sondern der Regelungsgehalt der getroffenen Vereinbarung. Maßgebliches Abgrenzungskriterium des BAG war zunächst, ob die vereinbarte Auslauffrist die einschlägige Kündigung um ein Vielfaches überschreitet.4 Mittlerweile unterzieht das BAG die getroffene Vereinbarung jedoch einer Gesamtwürdigung, bei der ebenso zu berücksichtigen ist, ob die Vereinbarung für einen Aufhebungsvertrag typische Regelungen enthält, wie etwa Freistellung, Anrechung von Urlaub, Urlaubsabgeltung, Abfindung oder Zeugnis.5 Damit kommt es nicht mehr alleine maßgebend auf die Länge der Auslauffrist in Relation zu der regelmäßigen Kündigungsfrist an, sondern auch noch die o.g. weiteren Faktoren müssen in die Gesamtabwägung mit eingebracht werden.
1 LAG Baden-Württemberg v. 15.12.1981 – 1 Sa 39/81, DB 1982, 1989. 2 LAG Baden-Württemberg v. 15.10.1990 – 15 Sa 92/90, BB 1991, 209. 3 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; v. 12.1.2000 – 7 AZR 48/99, NZA 2000, 718. 4 BAG v. 12.1.2000 – 7 AZR 48/99, NZA 2000, 718. 5 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; bereits angedeutet in BAG v. 15.2. 2007 – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614.
152
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 758 Teil 1
" Praxishinweis: Soll in einem Aufhebungsvertrag eine deutlich über der re-
gelmäßigen Kündigungsfrist liegende Auslauffrist vereinbart werden, so ist zur Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags in jedem Fall darauf zu achten, weitere typische Inhalte eines Aufhebungsvertrags – wie z.B. die Zahlung einer Abfindung, die Urlaubsabgeltung oder die Zeugniserteilung – in der Vereinbarung zu regeln.
754
(3) Umdeutung einer Kündigungserklärung In Betracht kommt auch die Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Diese Umdeutung hat allerdings zur Voraussetzung, dass die Beendigung mit Auslauffrist oder sofortiger Wirkung dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entsprach und dieser Wille für den Erklärungsempfänger auch erkennbar war. Dazu muss der Wille des Arbeitnehmers deutlich werden, das Angebot des Arbeitgebers anzunehmen. Nach Ansicht des BAG ist dies nicht der Fall, wenn er die Kündigung lediglich akzeptiert. Vielmehr wird auf Seiten des Arbeitnehmers vorausgesetzt, dass er die Unwirksamkeit der Kündigung erkannt hat, diese als Angebot zur Vertragsaufhebung werten kann und diesem mutmaßlichen Willen des Arbeitgebers zu entsprechen bereit ist.1 Danach kann von einem Aufhebungsvertrag ausgegangen werden, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund eine Eigenkündigung mit sofortiger Wirkung oder abgekürzter Frist erklärt und sich der Arbeitgeber mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Termin schriftlich einverstanden erklärt.2
755
Eine wirksame Kündigung kann demgegenüber nicht nach § 140 BGB umgedeutet werden, da sie als einseitige gestaltende Erklärung das Arbeitsverhältnis von Gesetzes wegen auflöst. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers, kommt daher mangels zweier korrespondierender Willenserklärungen kein Aufhebungsvertrag zustande. Eine gegen diese Kündigung erhobene Klage verstößt jedoch gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB und ist unbegründet.3
756
Kündigen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zu einem identischen Beendigungszeitpunkt, kann hierdurch ebenfalls kein Aufhebungsvertrag zustande kommen, da durch den jeweiligen Ausspruch einer Kündigung gerade nicht die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewollt ist.4
757
(4) Darlegungs- und Beweislast Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Partei, die sich auf
1 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 799/96, NZA 1998, 420 (offen lassend); v. 13.4.1972 – 2 AZR 243/71, DB 1972, 1784. 2 LAG Berlin v. 22.3.1989 – 14 Sa 10/89, DB 1989, 1826. 3 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 45. 4 Bauer, Teil I Rz. 14; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 45.
Laber
153
758
Teil 1 Rz. 759
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
das Zustandekommen des Aufhebungsvertrags beruft.1 Macht der Arbeitgeber innerhalb eines Kündigungsschutzprozesses geltend, dass das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beendet worden sei, ist er hierfür beweispflichtig. Der Arbeitnehmer muss sodann den Beweis für Mängel und Unwirksamkeitsgründe führen.2 cc) Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers 759
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann für den Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus weitergehende rechtliche Folgen haben, die für ihn nachteilig sind. So drohen vor allem sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Nachteile (hierzu ausführlich in Teil 13 und 14). Oftmals ist in dieser Hinsicht der Arbeitgeber besser über die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Folgen informiert, weswegen aufgrund des strukturellen Ungleichgewichts der Vertragsparteien an Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB zu denken ist.
760
Ein solches strukturelles Ungleichgewicht liegt allerdings dann nicht vor, wenn dem Arbeitnehmer sachkundiger Rechtsrat durch einen Rechtsanwalt zur Seite steht.3 Ähnlich liegt der Fall, wenn der Aufhebungsvertrag im Rahmen eines Prozessvergleichs geschlossen wird, denn dann kann von einer angemessenen Aufklärung über die Hinweispflichten durch das Arbeitsgericht ausgegangen werden.4
761
Zwar kann der Arbeitnehmer auch ein Betriebsratsmitglied zu einem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags hinzuziehen, wenn das Gespräch nicht lediglich Modalitäten des Ausscheidens, sondern – wie in der Mehrzahl der Fälle – auch Leistungsbeurteilungen und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb zum Inhalt hat.5 Ob dessen Anwesenheit ausreicht, um ein intellektuelles Übergewicht des Arbeitsgebers auszugleichen, ist allerdings abhängig von der Komplexität der jeweiligen Materie. Das BAG bejaht eine Hinweispflicht jedenfalls auch dann, wenn es in der Sache um Fragen eines komplizierten Zusatzversorgungssystems geht. Denn dann könne der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass das Personalratsmitglied das komplizierte Zusatzversorgungssystem ausreichend durchschaue.6
762
Im Übrigen ist zunächst zu unterscheiden, ob die Initiative der Aufhebung des Arbeitsvertrags vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber ausgeht.
1 LAG Sachsen-Anhalt v. 9.3.1995 – 6 Sa 259/94, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 17. 2 MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 70. 3 LAG Berlin v. 13.1.2006 – 13 Sa 1957/05, NZA-RR 2006, 327. 4 Germelmann, NZA 1997, 236 (241); Reufels, ArbRB 2001, 26. 5 BAG v. 16.11.2004 – 1 ABR 53/03, NZA 2005, 416; vgl. auch BAG v. 23.6.2009 – 2 AZR 606/08, NJW 2009, 3115; LAG Berlin-Brandenburg v. 6.11.2009 – 6 Sa 1121/09. 6 BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206.
154
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 767 Teil 1
(1) Beendigung auf Initiative des Arbeitnehmers Geht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Wunsch des Arbeitnehmers zurück, so treffen den Arbeitgeber grds. keine Aufklärungspflichten.1 Möchte der Arbeitnehmer von sich aus das Arbeitsverhältnis beenden, so obliegt ihm auch regelmäßig, sich selbst Klarheit über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verschaffen.2 Den Arbeitgeber trifft dann auch keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass er möglicherweise Ansprüche aus einem Sozialplan verliert.3
763
Eine Aufklärungspflicht kommt nach der Ansicht des BAG nur bei einem erkennbar gesteigerten Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers aufgrund Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht, wobei auch dann noch die übrigen Umstände zu berücksichtigen sind.4 Eine Hinweispflicht ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den rechtlichen Folgen ausdrücklich erkundigt hat.5
764
Für die Beurteilung, von welcher Seite die Beendigung ausgeht, ist nicht alleine maßgeblich, wer letztendlich den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung angeboten hat. Vielmehr ist danach zu fragen, wer zuerst den ernsthaften Wunsch auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses geäußert und damit die Gespräche über einen Aufhebungsvertrag in Gang gesetzt hat.6 So etwa liegt die Beendigungsinitiative auf Seiten des Arbeitnehmers, wenn er dem Arbeitgeber mitteilt, dass er aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen möchte, und der Arbeitgeber als Reaktion hierauf vorschlägt, das Arbeitsverhältnis vorzeitig aufzulösen.7
765
(2) Beendigung auf Initiative des Arbeitgebers In der Praxis kommt der Abschluss eines Aufhebungsvertrags in der Regel auf Betreiben des Arbeitgebers zustande.
766
Ein Aufhebungsvertrag ist z.B. vom Arbeitgeber veranlasst, wenn dieser bei dem Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses komme er einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers nur zuvor.8
767
1 BAG v. 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837. 2 BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150; v. 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837. 3 LAG Schleswig-Holstein v. 29.8.2002 – 4 Sa 105/02, DB 2002, 2552. 4 BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150. 5 BAG v. 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5. zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. 6 BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150; ebenso MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 73; a.A. BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206. 7 Hier hatte das BAG in der o.g. abweichenden Entscheidung vom 17.10.2000 angenommen, das Arbeitsverhältnis sei auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet worden. 8 BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825; ähnlich auch ArbG Hamburg, v. 10.12.1990 – 21 Ca 252/90, BB 1991, 625.
Laber
155
Teil 1 Rz. 768
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
768
Ohne Vorliegen besonderer Umstände bestehen grds. keine Informationspflichten des Arbeitgebers, da sich der Arbeitnehmer, bevor er einen Aufhebungsvertrag abschließt, in der Regel selbst über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klarheit verschaffen muss.1
769
Informationspflichten des Arbeitgebers können jedoch dann entstehen, wenn die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Vereinbarung auf seine Initiative hin und in seinem Interesse zustande kommt oder wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicherweise zu erwartende Aufklärung vor der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bewahrt werden muss, weil er sich durch sie aus Unkenntnis selbst schädigen würde.2
770
Maßgeblich sind die Besonderheiten des Einzelfalls. So kommt ein Vertrauenstatbestand etwa dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber durch das Angebot eines Aufhebungsvertrags den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und ihn vor unbedachten versorgungsrechtlichen Nachteilen bewahren.3
771
In der Instanzrechtsprechung und vereinzelt im Schrifttum wird eine großzügigere Annahme von Hinweis- und Aufklärungspflichten zu Gunsten der Arbeitnehmer gefordert.4 Nach dem ArbG Freiburg5 muss der Arbeitgeber alles dafür tun, eventuelle Schäden abzuwenden, die dem Arbeitnehmer durch Abschluss des Aufhebungsvertrags entstehen können. Auch nach Ansicht des ArbG Wetzlar muss der Arbeitgeber auf alle sozialversicherungsrechtlichen Folgen hinweisen, die aus einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehen können.6 Auf einem ähnlichen Standpunkt steht auch das ArbG Hamburg, da es bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu den vertraglichen Nebenpflichten des Arbeitgebers gehören soll, dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit einzuräumen und ihn auf sozialrechtliche Folgen des Aufhebungsvertrags aufmerksam zu machen, wenn die Initiative zum Aufhebungsvertrag vom Arbeitgeber ergriffen wird.7
772
Einem derart weitgehenden Verständnis von Aufklärungs- und Hinweispflichten ist jedoch entgegenzutreten. Für den Arbeitgeber wäre es schwer einzuschätzen, welchen Kenntnisstand er beim Arbeitnehmer voraussetzen darf und welchen konkreten Informationsbedarf der Arbeitnehmer im Einzellfall hat. Dadurch obläge dem Arbeitgeber eine umfassende Beratungspflicht, die er jedoch zumeist nicht in befriedigendem Rahmen zu leisten vermag und wofür er auch
1 BAG v. 25.6.2002 – 9 AZR 155/01, NZA 2003, 859; v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150; v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 26. 2 Vgl. BAG v. 16.11.2005 – 7 AZR 86/05, NZA 2006, 535 m.w.N. 3 BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150. 4 So vor allem KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 303 ff. 5 ArbG Freiburg v. 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600. 6 ArbG Wetzlar v. 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976. 7 ArbG Hamburg v. 10.12.1990 – 21 Ca 252/90, BB 1991, 625.
156
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 778 Teil 1
grundsätzlich die falsche Stelle darstellt. Die Nebenpflichten des Arbeitgebers würden hierdurch ohne sachlichen Grund erheblich überzeichnet.1 Für die Annahme einer Auskunftspflicht ist daher entscheidend nach der jeweiligen Materie zu unterscheiden.
773
(a) Sozialrechtliche Nachteile Die sozialrechtlichen Folgen gehören zum Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers. Nur wenn er keine Anschlussbeschäftigung findet, können die nachteiligen sozialrechtlichen Folgen wie Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Zahlung einer Abfindung nach § 143a SGB III oder der Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 SGB III eintreten. Ob der Arbeitnehmer aber eine Folgebeschäftigung findet, liegt in seiner Sphäre.
774
Das BAG hat sich in bisherigen Entscheidungen differenziert geäußert. Es beurteilt sozialrechtsrelevante Hinweis- und Aufklärungspflichten nach seiner allgemeinen Formel, wonach sich Informationspflichten des Arbeitgebers aus einer Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Billigkeitsgesichtspunkten ergeben, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.2
775
Eine Aufklärungspflicht wird auch vor allem dann diskutiert, wenn die Parteien übereinkommen, die Kündigungsfrist zu verkürzen und dafür eine höhere Abfindung vereinbaren. Diese „gestaltende“ Aufhebungsvereinbarung weicht erheblich von der normalen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Nimmt der Arbeitgeber in solcher Weise auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Einfluss, so wird ein ausreichender Sachverstand und auch eine Hinweispflicht des Arbeitgebers zu bejahen sein.3 Dieser kann der Arbeitgeber jedoch nachkommen, indem er den Arbeitnehmer auf mögliche Risiken aufmerksam macht und ihn im Übrigen an die fachkundigen Stellen verweist.
776
Eine Aufklärungspflicht dürfte auch dann bestehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Abwicklungsvertrags veranlasst. Dieser führt für den Arbeitnehmer regelmäßig zur Verhängung einer Sperrzeit nach § 144 SGB III.4
777
Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III soll der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung sowie über die Meldepflicht gemäß § 38 SGB III informieren, ihn hierzu freistellen und die Teilnahme an erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen ermöglichen (hierzu ausführlich in Teil 13 Rz. 45 ff.). Ein Verstoß gegen diese Vorschrift
778
1 So auch die überwiegende Ansicht in der Literatur, vgl. MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 75; Hoß/Ehrich, DB 1997, 625; Nägele, BB 1992, 1274 (1277); Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 97; Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, 577 (580). 2 BAG v. 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837. 3 So auch Reufels, ArbRB 2001, 26 (27), Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 101; a.A. MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 79. 4 Vgl. BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661 und DA 144.14 der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de.
Laber
157
Teil 1 Rz. 779
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
soll zwar im Regelfall keinen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber begründen.1 Dies kann uneingeschränkt allerdings nur für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Kündigung oder einer auslaufenden Befristung gelten. Eine Schadensersatzpflicht kann nach der o.g. Formel des BAG zu den Hinweispflichten des Arbeitgebers jedoch dann in Betracht kommen, wenn den Arbeitgeber eine besondere Beratungspflicht trifft, wie dies gerade beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags auf Veranlassung des Arbeitgebers der Fall ist.2 Insofern sollte in einem Aufhebungsvertrag ein entsprechender Hinweis in jedem Fall aufgenommen werden.
u
Musterformulierung:
779
Wir weisen darauf hin, dass Sie nach § 38 SGB III verpflichtet sind, sich spätestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses/innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses [in dem Fall, dass zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als 3 Monate liegen] sich persönlich bei der für Sie zuständigen Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Kommen Sie dieser Pflicht schuldhaft nicht nach, so müssen Sie mit Nachteilen beim Bezug von Arbeitslosengeld rechnen.
(b) Steuerrechtliche Nachteile 780
Im Grundsatz gilt für die Hinweispflichten in steuerlicher Hinsicht das für die sozialrechtlichen Folgen Gesagte. Eine Informationspflicht des Arbeitgebers wurde zur alten Gesetzeslage vor allem in Bezug auf den Freibetrag bei Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG a.F. angenommen. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber allerdings mit Wirkung vom 1.1.2006 ersatzlos gestrichen, weswegen sich die steuerlichen Vorteile einer Abfindung in engen Grenzen halten (siehe hierzu ausführlich Teil 14). In der Praxis spielen Hinweis- und Aufklärungspflichten in steuerlicher Hinsicht somit keine entscheidende Rolle mehr. (c) Versorgungsrechtliche Nachteile
781
Auch in Bezug auf versorgungsrechtliche Folgen gilt im Grundsatz, dass sich der Arbeitnehmer selbst hierüber zu informieren hat. Eine Aufklärungspflicht kann ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände darauf vertrauen darf, der Arbeitgeber werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn redlicherweise von unbeachteten nachteiligen Folgen des vorzeitigen Ausscheidens bei der Versorgung bewahren.3 Ein solcher Vertrauens1 BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 571/04, NZA 2005, 1406. 2 So Kühl/Vogelsang, RdA 2006, 224 (227). 3 BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206; v. 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971.
158
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 786 Teil 1
tatbestand kann etwa daraus folgen, dass die Initiative für den Abschluss des Aufhebungsvertrags vom Arbeitgeber ausgeht und zu einem atypischen Versorgungsfall führt.1 Ähnlich liegt der Fall, wenn der Aufhebungsvertrag in zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang mit dem Eintritt in den Ruhestand geschlossen wird.2 Damit kommt es wiederum auf die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls an.
782
Den Arbeitgeber treffen nach Ansicht des BAG erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorgeschlagen hat, die Arbeitnehmerin – im zu entscheidenden Fall eine Reinemachefrau – offensichtlich mit den Besonderheiten der ihr zugesagten komplizierten Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes nicht vertraut gewesen ist, sich der baldige Eintritt eines Versorgungsfalls (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach längerer Krankheit) bereits abgezeichnet hat und durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses außergewöhnlich hohe Versorgungseinbußen gedroht haben (Versicherungsrente statt Versorgungsrente).3
783
Die Kumulierung dieser Umstände sei für Inhalt und Umfang der Informationspflichten des Arbeitgebers bedeutungsvoll gewesen. Der Arbeitgeber habe zwar nicht die versorgungsrechtlichen Einzelheiten erläutern müssen, sondern habe die Arbeitnehmerin hierfür an die zuständige Zusatzversorgungskasse verweisen können. Die Arbeitnehmerin sei jedoch darauf hinzuweisen gewesen, dass und warum sich ihre Zusatzversorgung durch Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung beträchtlich verringern könne. Der allgemeine Hinweis auf mögliche Versorgungsnachteile und die bloße Verweisung an die Zusatzversorgungskasse unter Einräumung einer Bedenkzeit reiche nicht aus.
784
Ausdrücklich als „Gegenbeispiel“ hat das BAG die Fallgestaltung in seiner Entscheidung vom 11.12.20014 bezeichnet. Hier schied der handlungsbevollmächtigte Kläger auf eigene Initiative hin aus dem Arbeitsverhältnis aus und wechselte in den Ruhestand. Zwar sei die Aufhebungsvereinbarung in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem Ruhestand geschlossen worden, allerdings sei auch die entsprechende Kenntnis des Arbeitnehmers, der die zu erwartende Minderung seiner Betriebsrente unschwer in dem Pensionsvertrag hätte erkennen können, in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, was in diesem Fall zu der Verneinung einer Hinweispflicht führte.
785
Auch Stichtags- und Fristenregelungen scheinen nach Ansicht des BAG keine atypischen Versorgungsregelungen darzustellen, weswegen hier wohl keine Hinweispflicht des Arbeitgebers anzunehmen ist. Das BAG hat jedenfalls eine
786
1 BAG v. 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; v. 18.9.1984 – 3 AZR 118/82, AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. 2 So BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150, das allerdings betont, dieser Umstand alleine könne noch nicht zu einer gesteigerten Informationspflicht des Arbeitgebers führen. 3 Vgl. die Fallgestaltung in BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206. 4 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150.
Laber
159
Teil 1 Rz. 787
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Pflicht des Arbeitgebers zum Hinweis auf den drohenden Verlust einer Anwartschaft in einem Fall verneint, in dem das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30.9. beendet wurde und der Arbeitnehmerin drei Wochen später ab dem 20.10. eine unverfallbare Anwartschaft zugestanden hätte. Der Arbeitnehmerin war die betriebliche Versorgungsordnung ausgehändigt worden, woraus sie nach Ansicht des BAG die weiteren Informationen selbst hätte entnehmen können. Die zeitliche Nähe der Aufhebungsvereinbarung zu der Unverfallbarkeit der Anwartschaft sei demgegenüber nicht in die Abwägung mit einzubeziehen, da es gerade in der Eigenart von Stichtags- und Fristenregelungen liege, dass auch kurze Über- und Unterschreitungen zu Rechtsnachteilen führten.1 787
Auch könne bei jedem Arbeitnehmer grds. die Kenntnis vorausgesetzt werden, dass eine kürzere Dienstzeit zu Nachteilen bei der Berechnung der Rentenansprüche führe. Eine Auskunftspflicht sei allerdings wiederum dann anzunehmen, wenn sich die versorgungsrechtlichen Voraussetzungen komplexer darstellten und nicht ohne Weiteres von einer Kenntnis des Arbeitnehmers ausgegangen werden könne.2 Im konkreten Fall wurde der Arbeitnehmer durch Abschluss des Aufhebungsvertrags einer Versorgungsrente der VBL verlustig und erhielt nur eine wesentlich niedrigere Versicherungsrente. Hierüber sei der Arbeitgeber aufzuklären verpflichtet gewesen. (d) Kündigungsrechtliche Nachteile
788
Der Arbeitgeber ist nach vorzugswürdiger Ansicht Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz gegenüber nicht zum Hinweis darauf verpflichtet, dass sie durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags den besonderen Kündigungsschutz verlieren.3 Denn hierbei handelt es sich um eine unmittelbare Folge des Abschlusses des Vertrags, nicht jedoch, wie bei der Frage der sozialversicherungsrechtlichen Stellung, um eine möglicherweise erst später eintretende Belastung. Im Übrigen kann von den genannten Personengruppen gefordert werden, dass sie sich über die Rahmenbedingungen ihrer Rechte selbst umfassend informieren. In diese Richtung tendiert auch das BAG, nach dessen Ansicht keine Pflicht des Arbeitgebers besteht, eine schwangere Arbeitnehmerin durch eine rechtzeitige Belehrung über die Folgen einer Eigenkündigung vor Ausspruch einer Kündigung abzuhalten.4 (e) Kollektivvertragliche Widerrufsklauseln
789
Vereinzelt beinhalten Tarifverträge Klauseln, wonach der Arbeitnehmer den Abschluss eines Aufhebungsvertrags innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich widerrufen kann (z.B. § 11 Abs. 10 MTV Einzelhandel NRW vom 25.7. 2008). In diesem Fall obliegt es dem Arbeitnehmer, die entsprechenden Informa1 BAG v. 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971. 2 BAG v. 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. 3 So auch Germelmann, NZA 1997, 236 (241); MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 86; Reufels, ArbRB 2001, 26 (27); Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 113; a.A. MüKo/Schwerdtner, Vor § 620 BGB Rz. 15. 4 BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 116/81, DB 1982, 2408.
160
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 795 Teil 1
tionen einzuholen. Den Arbeitgeber trifft keine Pflicht, den Arbeitnehmer über einen baldigen Fristablauf oder die Einhaltung der Schriftform zu informieren.1 (3) Umfang und Inhalt der Hinweispflicht Der Arbeitgeber kann seiner Hinweispflicht in unterschiedlicher Weise nachkommen. In Betracht kommt zunächst, die Frage selbst oder durch einen hinzugezogenen Rechtsbeistand zu beantworten. Der Arbeitgeber kommt seiner Aufklärungspflicht grundsätzlich jedoch auch dadurch nach, dass er die Frage an die zuständige Stelle weiterleitet oder den Arbeitnehmer hierhin verweist.2
790
Erkundigt sich deshalb der Arbeitnehmer selbst vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitgeber nach dem rechtlichen Schicksal seiner Zusatzversorgung, so kann dieser die Frage beantworten oder an den Träger der Versorgung zur Beantwortung weiterleiten.3
791
" Praxistipp: Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Auskünfte, so müs-
792
sen diese richtig und vollständig sein.4 Beantwortet der Arbeitgeber die Frage selbst, macht er sich damit für alle ggf. hieraus ergebenden Fehler schadensersatzpflichtig. Insofern scheint es – auch wenn inhaltlich keine überzogenen Voraussetzungen an den Hinweis des Arbeitgebers zu stellen sind5 – ratsam, dem Arbeitnehmer zur Einholung von Auskünften die zuständige Stelle zu nennen und in der Sache keine Stellung zu nehmen.
(4) Rechtsfolgen bei Verletzung der Hinweispflicht Kommt der Arbeitgeber einer bestehenden Aufklärungspflicht nicht nach, so ist er nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Arbeitnehmer durch die Untätigkeit entstanden ist.
793
Erteilt der Arbeitgeber in der Sache Auskunft und stellt sich später heraus, dass diese falsch, unvollständig oder irreführend war, so ist er auch in diesem Fall dem Arbeitnehmer zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der diesem aus der Pflichtverletzung des Arbeitgebers entstanden ist.6
794
Sofern der Arbeitgeber eine fehlerhafte Auskunft über betriebliche Versorgungsleistungen erteilt, ist er dem Arbeitnehmer zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens nach § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet. Dieser ist regelmäßig auf Geldersatz gerichtet. Einen Versorgungsschaden in der betrieblichen Altersversorgung hat der Arbeitgeber daher auszugleichen.
795
1 LAG Düsseldorf v. 22.6.2001 – 14 Sa 491/01, NZA-RR 2002, 12 (Schriftform); LAG Köln v. 11.4.1990 – 7 Sa 67/90, BB 1990, 2047 (Widerrufsfrist). 2 Vgl. BAG v. 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen.; v. 24.5.1974 – 3 AZR 422/73, AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-VBL. 3 BAG v. 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. 4 St. Rspr. vgl. BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206; v. 23.5.1989 – 3 AZR 257/88, BB 1990, 211; v. 24.5.1963 – 1 AZR 66/62, DB 1963, 1223. 5 Hierzu MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 90 ff. 6 BAG v. 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen.
Laber
161
Teil 1 Rz. 796 796
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Dagegen kann der Arbeitnehmer als Folge der Verletzung der Hinweispflicht nicht etwa die Beseitigung des Aufhebungsvertrags bzw. die Fortführung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Naturalrestitution beanspruchen.1 Hierfür fehlt es im Regelfall an der erforderlichen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden.2 (5) Abdingbarkeit von Hinweis- und Aufklärungspflichten
797
Als Nebenpflicht ist auch die Hinweis- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers grds. abdingbar. Hiervon sollte zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen nach Möglichkeit Gebrauch gemacht werden.
u
Musterformulierung:
798
799
Der Arbeitnehmer verzichtet auf Hinweise des Arbeitgebers zu den möglichen Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch diesen Aufhebungsvertrag.
Allerdings wird der Arbeitnehmer zu einem völligen Verzicht nur schwer zu bewegen sein. Insofern bietet sich eine mildere Klausel dergestalt an, dass der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufklärungspflichten nachgekommen ist.3
u
Musterformulierung:
800
801
Der Arbeitnehmer wurde darüber unterrichtet, dass verbindliche Auskünfte über die steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen dieser Aufhebungsvereinbarung nur das zuständige Finanzamt bzw. die zuständige Agentur für Arbeit erteilen können.
" Praxistipp: Vielfach wird geraten, eine solche Klausel direkt in den Auf-
hebungsvertrag aufzunehmen. Legt der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag bei der Agentur für Arbeit vor, um Arbeitslosengeld zu erhalten, so besteht die Möglichkeit, dass die o.g. Vereinbarung zu seinen Lasten ausgelegt wird. Die Gefahr der Verhängung einer Sperrzeit kann sich dadurch erhöhen. Daher ist von der Aufnahme in den Aufhebungsvertrag abzuraten. Vielmehr sollte hierüber eine eigenständige Vereinbarung getroffen werden (z.B. in Form eines Sideletters zum Aufhebungsvertrag), um in einem möglichen
1 BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206; v. 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811; v. 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; ebenso LAG Köln v. 13.2.2006 – 2 Sa 1271/05, NZA-RR 2006, 463; a.A. KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 313. 2 So auch ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 12; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 116. 3 Siehe Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 1 Rz. 121.
162
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 805 Teil 1
Klageverfahren beweisen zu können, einer etwaigen Hinweispflicht nachgekommen zu sein. dd) Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf Aufhebungsverträge Die Aussichten eines drohenden Kündigungsschutzprozesses können bereits „von außen“ Einfluss auf Zustandekommen und Inhalt von Aufhebungsvereinbarungen haben. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass der Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag einfacher durchsetzen kann, wenn er nach der Rechtslage ohnehin berechtigt wäre, eine Kündigung auszusprechen und unter normalen Umständen auf deren Wirksamkeit vertrauen darf. Je besser die Aussichten des Arbeitgebers in einem möglichen Kündigungsschutzprozess sind, desto geringer wird eine eventuelle Abfindung ausfallen.
802
Ist die Rechtslage dagegen nicht offensichtlich, wird es dem Arbeitnehmer mit einigem Verhandlungsgeschick bzw. einem gutem Rechtsbeistand gelingen, ein für ihn gutes Gesamtpaket – vor allem eine überdurchschnittliche Abfindung – zu erhalten.
803
Daneben sind die kündigungsrechtlichen Vorschriften nur in engen Grenzen anwendbar. Wie bereits weiter oben dargestellt, finden auf den Aufhebungsvertrag Kündigungsfristen, allgemeiner und auch besonderer Kündigungsschutz keine Anwendung.
804
Etwas Anderes ergibt sich jedoch für den Fall einer Massenentlassung i.S.v. § 17 KSchG. Hier sind Aufhebungsverträge, soweit sie zur Vermeidung von Entlassungen geschlossen werden, bei der Berechnung des Schwellenwertes mitzuzählen.1 Das ist allerdings nicht immer der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst wird, sondern nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber veranlasst ist. Die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrags muss also vom Arbeitgeber ausgehen. In diesem Zusammenhang reicht nicht das bloße Inaussichtstellen von betrieblichen Veränderungen. Vielmehr muss der Arbeitgeber den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung im Hinblick auf eine konkrete Kündigungsabsicht bzw. eine unmittelbar bevorstehende Betriebsänderung beabsichtigt haben.2 Eine unterlassene Anzeige des Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit führt nach Übernahme der sog. Junk-Rechtsprechung des EuGH3 durch das BAG4 zur Unwirksamkeit der erklärten Kündigungen. Nichts Anderes kann für den nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG gleichstellten – durch den Arbeitgeber veranlassten – Aufhebungsvertrag gelten.
805
1 BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761; v. 13.11.1996 – 10 AZR 340/96, NZA 1997, 390. 2 Vgl. ausführlich hierzu MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 102 ff. 3 EuGH v. 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 213. 4 BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267 m.w.N.
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163
Teil 1 Rz. 806
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
c) Mögliche Regelungsgegenstände in Aufhebungsverträgen aa) Allgemeine Regeln (1) Auslegung 806
Aufhebungsverträge sind wie alle zweiseitigen Rechtsgeschäfte nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Hierbei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen.1 Daneben können aber auch die Begleitumstände, die Entstehungsgeschichte, der Zweck des Aufhebungsvertrags, die bestehende Interessenlage, Treu und Glauben durch angemessene Berücksichtigung der beiderseitigen Belange sowie die Verkehrssitte in Bezug auf die im Arbeitsleben herrschende tatsächliche Übung zu berücksichtigen sein.2
807
Sind in dem Aufhebungsvertrag bestimmte regelungsbedürftige Punkte nicht genannt und ergibt sich aus der Vereinbarung der Parteien keine bewusst abschließende Regelung, sind Regelungslücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Hierbei ist der hypothetische Wille der Vertragsparteien zu entwickeln. Es gilt herauszufinden, zu welcher Regelung die Vertragspartner gekommen wären, hätten sie den nicht geregelten Fall bedacht. Anstelle der fehlenden Regelung tritt entsprechend §§ 157, 242 BGB der hypothetische Parteiwille. (2) AGB – Kontrolle
808
Aufhebungsvereinbarungen sind nur in eingeschränktem Maße der AGB-Kontrolle zugänglich. Die wichtigste Bestimmung eines jeden Aufhebungsvertrags – die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – unterliegt keiner Angemessenheitskontrolle i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da hierdurch nicht von Rechtsvorschriften abgewichen wird. Sie stellt vielmehr ein selbständiges Rechtsgeschäft dar, bei dem die Hauptleistung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellt.3 Voraussetzung für die Einbeziehung in den Vertrag ist allerdings, dass sie nicht überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB) bzw. klar und eindeutig formuliert (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist. Das Überraschungsmoment kann sich aus dem ungewöhnlichen äußeren Zuschnitt einer Klausel oder ihrer Unterbringung an unerwarteter Stelle ergeben.4 So ist eine Beendigungsvereinbarung für den Arbeitnehmer überraschend, wenn sie in einer „Ergänzung zum Arbeitsvertrag“ als einer von mehreren Punkten formuliert wird.5 Nach § 305c Abs. 1 BGB kann
1 BAG v. 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318 (Auslegung einer Aufhebungsvereinbarung); v. 19.11.2003 – 10 AZR 174/03, NZA 2004, 554 (Konkurrenzklausel); 31.7. 2002 – 10 AZR 558/01, AP Nr. 48 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel. 2 BAG v. 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318 (Auslegung einer Aufhebungsvereinbarung); v. 19.11.2003 – 10 AZR 174/03, NZA 2004, 554 (Konkurrenzklausel); v. 31.7.2002 – 10 AZR 558/01, AP Nr. 48 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel. 3 BAG v. 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148; v. 2.4.2004 – 2 AZR 281/03, NZA 2004, 1295. 4 BAG v. 15.2.2007 – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614; v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324. 5 BAG v. 15.2.2007 – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614.
164
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 814 Teil 1
eine solche Klausel – je nach den Umständen des Einzelfalls – als ungewöhnliche Bestimmung nicht Vertragsinhalt werden.
" Praxishinweis: Die Beendigungsbestimmung sollte aus Klarstellungsgrün-
809
Im Aufhebungsvertrag geregelte Nebenpflichten unterliegen dann der AGBKontrolle, wenn sie für eine Vielzahl von Verträgen vom Arbeitgeber vorformuliert worden sind.1 Da das BAG Arbeitsverträge – und damit auch Aufhebungsverträge als deren Spiegelbild – als sog. „Verbraucherverträge“ i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB einstuft, reicht nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB bereits die einmalige Verwendung aus, soweit der Arbeitnehmer – wie im Regelfall – auf Grund der Vorformulierung auf den Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte.2 Damit sind in der Praxis quasi alle Aufhebungsverträge der AGB-Kontrolle unterworfen.
810
Bei der Formulierung von Nebenpflichten sind somit die Besonderheiten des AGB-Rechts zu beachten. Maßgeblich gilt dies für das Verbot überraschender Klauseln nach § 305c Abs. 1 BGB, die Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB, wonach Auslegungszweifel zu Lasten des Verwenders gehen, sowie die Angemessenheits- und Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB. Des Weiteren dürfen die Klauseln auch nicht gegen §§ 308, 309 BGB verstoßen.
811
Werden einzelne Klauseln wegen Verstoßes gegen §§ 305 ff. BGB nicht Vertragsbestandteil oder sind sie unwirksam, treten an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen, vgl. § 306 Abs. 2 BGB. Der Aufhebungsvertrag bleibt als solcher nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam.
812
Die Vereinbarkeit einzelner Klauseln mit den §§ 305 ff. BGB wird im Zusammenhang mit einzelnen Klauseln unter Rz. 832 ff. erläutert.
813
Die formulierten Nebenpflichten unterliegen ausnahmsweise keiner AGB-Kontrolle, wenn sie von den Parteien ausgehandelt wurden. Das BAG nimmt ein Aushandeln i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB nur unter engen Voraussetzungen an. Es genüge nicht, dass der Vertragsinhalt lediglich erläutert oder erörtert werde und den Vorstellungen des Vertragspartners entspreche. „Ausgehandelt“ i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB sei eine Vertragsbedingung nur, wenn der Verwender die betreffende Klausel inhaltlich ernsthaft zur Disposition stelle und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräume mit der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Das setze voraus, dass sich der Verwender deutlich und ernsthaft zu gewünschten Änderungen der zu treffenden Vereinbarung bereit erkläre.3
814
den stets am Anfang einer Aufhebungsvereinbarung stehen und nach Möglichkeit drucktechnisch hervorgehoben werden.
1 BAG v. 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004; v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111. 2 BAG v. 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004; v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111. 3 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219; v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40; v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111.
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165
Teil 1 Rz. 815
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
815
Erst recht keiner AGB-Kontrolle unterliegt eine Klausel, die vom Arbeitnehmer selbst formuliert oder auf seinen Wunsch hin in den Aufhebungsvertrag einbezogen wurde. Allerdings hat der Arbeitgeber zu beweisen, dass die Klausel auf Veranlassung des Arbeitnehmers aufgenommen wurde, wenn dieser im Kündigungsschutzprozess eine Einbeziehung auf eigenen Wunsch bestreitet.
816
" Praxistipp: Daher sollte im Aufhebungsvertrag klar gekennzeichnet werden, ob eine Klausel ausgehandelt oder auf Veranlassung des Arbeitnehmers aufgenommen wurde, z.B. durch Voranstellen folgender Wendung: „Auf Wunsch des Arbeitnehmers wird Folgendes vereinbart:“
(3) Auswirkungen des AGG 817
Bei der Formulierung eines Aufhebungsvertrags sind auch die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu beachten, denn auch Aufhebungsverträge stellen „Entlassungsbedingungen“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG dar.1 Arbeitnehmer dürfen daher nach § 7 Abs. 1 AGG nicht wegen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (vgl. § 1 AGG) benachteiligt werden.
818
Unter einer „Benachteiligung“ i.S.v. § 7 Abs. 1 AGG sind sowohl unmittelbare als auch nur mittelbare Benachteiligungen zu verstehen. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Benachteiligung ist dann anzunehmen, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, vgl. § 3 Abs. 2 AGG. Abweichend von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG (sog. „Beweislastrichtlinie“) genügt nach der neuen Definition, dass die Vorschriften etc. benachteiligen „können“. Eine potenzielle Benachteiligung reicht also aus.2
819
Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot hat der Wertung des § 15 Abs. 6 AGG entsprechend nicht die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags zur Folge. Allerdings kommen nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Beschäftigten in Betracht.
820
Will deshalb zum Beispiel ein Arbeitgeber mit mehreren männlichen und weiblichen Arbeitnehmern Aufhebungsverträge abschließen und bietet er den weiblichen Arbeitnehmern ohne Anknüpfung an weitere Kriterien, d.h. also nur wegen des Geschlechts, eine niedrigere Abfindung an, so steht diesen ein Scha1 EuGH v. 21.7.2005 – C-207/04, „Vergani“ (juris); v. 16.2.1982 – C-19/81, „Burton“ (juris), jeweils für die RL 76/207/EG; BAG v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, DB 2010, 960; ErfK/Schlachter, § 2 AGG Rz. 8. 2 ErfK/Schlachter, § 3 AGG Rz. 8; Colneric, NZA Beilage zu Heft 2/2008 66 (68).
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 824 Teil 1
densersatzanspruch in Höhe der Differenz zu dem Abfindungsangebot an die männlichen Angestellten zu. Ebenso liegt eine Ungleichbehandlung vor, wenn der Arbeitgeber die Stilllegung eines Betriebes plant und zu dessen Verwirklichung alleine deutschen Arbeitnehmern Aufhebungsverträge mit Abfindungszahlungen anbietet, während er ausländischen Arbeitnehmern gegenüber betriebsbedingte Kündigungen ausspricht, ohne diesen – z.B. unter Verweis auf § 1a KSchG – eine Abfindung anzubieten.
821
Demgegenüber werden ältere Arbeitnehmer, die der Arbeitgeber generell von einem Personalabbau ausnimmt, grundsätzlich auch dann nicht i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar gegenüber jüngeren Arbeitnehmern benachteiligt, wenn der Personalabbau durch freiwillige Aufhebungsverträge unter Zahlung attraktiver Abfindungen erfolgen soll. Es fehlt an einer Benachteiligung der älteren Arbeitnehmer, denn diese stehen nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis und erhalten so bei typisierender Betrachtung aus der ex ante-Perspektive die Chance, bis zum Eintritt in den Ruhestand bzw. bis zum Erreichen der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Altersgrenze erwerbstätig zu bleiben. Auch die subjektive Einschätzung einzelner älterer Arbeitnehmer, es sei für sie wirtschaftlich attraktiver, unter Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden als im Arbeitsverhältnis zu verbleiben – etwa in der Hoffnung oder Erwartung, sich neue Einkommensquellen zu erschließen – stellt unter Schutzgesichtspunkten keine Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG dar.1
822
bb) Inhalt Abgesehen von den Mindestanforderungen – der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – steht die Anzahl der weiteren Regelungen im Belieben der Aufhebungsvertragsparteien. Ein Aufhebungsvertrag, der auf die Regelung weiterer Bereiche verzichtet, kann im Nachhinein jedoch leicht zu Unstimmigkeiten führen. Gerade wenn das Arbeitsverhältnis lange Jahre bestanden hat und viele Zusatzleistungen vereinbart waren, gebietet sich daher eine ausführliche vertragliche Fixierung. Mit wachsender Komplexität des Vertragswerks steigen allerdings auch die Anforderungen an eine saubere und klare Formulierung der einzelnen Klauseln.
823
(1) Mindestinhalt Zwingender Bestandteil jeder einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Einigung der Vertragsparteien, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu einem zukünftigen oder vergangenen Zeitpunkt aufzulösen. Eine rückwirkende Auflösungsvereinbarung ist jedoch nur dann zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis bereits außer Vollzug gesetzt war.2 1 Vgl. BAG v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, DB 2010, 960. 2 BAG v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273; v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422.
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167
824
Teil 1 Rz. 825
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
825
Etwas anderes gilt nur, wenn bereits eine Kündigung ausgesprochen wurde, denn dann können die Parteien im Rahmen eines Vergleichs vereinbaren, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wurde. Dann handelt es sich jedoch rechtlich um einen Abwicklungsvertrag.
826
Darüber hinausgehende Regelungen sind grds. nicht erforderlich. Bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben sich die laufenden wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag. Es ist für den Arbeitgeber allerdings zweckmäßig, eine Erledigungsklausel mit aufzunehmen.
827
" Praxistipp: Auch sollte (allerdings nicht im Aufhebungsvertrag, sondern in
828
Ein Vertragsmuster mit diesem Mindestinhalt findet sich unter Rz. 716.
einer eigenständigen Vereinbarung) schriftlich fixiert werden, dass der Arbeitnehmer auf mögliche sozialrechtliche Folgen hingewiesen wurde.
(2) Weitere Inhalte 829
Im Folgenden werden typische Problemfelder dargestellt, die zur Vermeidung eines späteren Rechtsstreits in Aufhebungsverträgen geregelt werden sollten. (a) Gründe
830
Der Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss nicht zwingend in den Aufhebungsvertrag aufgenommen werden. Allerdings bietet sich häufig an, schriftlich festzuhalten, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer ansonsten notwendigen Kündigung aus dringenden betriebsbedingten oder personenbedingten Gründen geschieht, um so zu signalisieren, dass den Arbeitnehmer für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses keine Verantwortung trifft und er zur einvernehmlichen Lösung des Beschäftigungsverhältnisses einen „wichtigen Grund“ hatte. Dies ist Voraussetzung dafür, dass möglicherweise ausnahmsweise nicht – wie sonst im Regelfall bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags – eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld verhängt wird. Hierzu ausführlich im Rahmen der sozialrechtlichen Folgen in Teil 13.
u
Musterformulierung:
831
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschieht auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer ansonsten notwendigen ordentlichen Kündigung aus dringenden betriebsbedingten/personenbedingten Gründen.
(b) Bezüge 832
Im Aufhebungsvertrag sollten alle vertraglichen Leistungen benannt werden, die der Arbeitnehmer z.B. noch erhalten soll. Dazu gehört zunächst die regelmäßige Grundvergütung bis zu dem einvernehmlich vereinbarten Ende des Ar168
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 835 Teil 1
beitsverhältnisses, aber auch alle zusätzlichen finanziellen Leistungen wie Provision, Bonuszahlungen oder Urlaubsgeld. (aa) Grundvergütung Bis zu dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt gelten weiterhin die arbeitsvertraglichen Pflichten. Der Arbeitgeber muss deshalb das Gehalt an den Arbeitnehmer in voller Höhe weiter zahlen. Eine Herabsetzung ist nur nach Zustimmung des Arbeitnehmers möglich. Dem Arbeitnehmer stehen bis zum Beendigungstermin auch Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG zu. Wird das Arbeitsverhältnis allerdings aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit durch Aufhebungsvertrag beendet, so besteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsprechend § 8 Abs. 1 Satz 1, 2 EFZG über diesen Termin hinaus, allerdings nur längstens für sechs Wochen.1
833
Zur Zahlung der Vergütung ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, wenn er den Arbeitnehmer zunächst gekündigt hat, der Arbeitnehmer daraufhin form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage eingereicht hat und sich die Parteien im Nachhinein gerichtlich oder außergerichtlich verglichen und einen späteren Beendigungstermin vereinbart haben und der Arbeitnehmer von dem in der Kündigung genannten Zeitpunkt bis zu dem vereinbarten Kündigungstermin nicht mehr gearbeitet hat. Denn im Fall einer unwirksamen Kündigung gerät der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des BAG in Annahmeverzug, wenn er dem Arbeitnehmer nicht einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt und Arbeit zugewiesen hat, damit der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung erbringen kann. Ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers nach § 295 BGB ist nicht erforderlich. Die Klageerhebung nach § 4 KSchG ist ausreichend; sie stellt regelmäßig ein konkludentes wörtliches Angebot i.S.d. § 295 BGB dar, die Arbeit fortsetzen zu wollen.2 Der Annahmeverzug wird allein durch eine Rückkehr des Arbeitgebers zu dem Vertragszustand beseitigt, der ohne Kündigung gelten würde. Dies muss mit der Erklärung verbunden sein, dass er die Arbeitsleistung als Erfüllung des fortbestehenden Arbeitsvertrags annimmt. Der Arbeitgeber muss die ursprünglich geschuldete Arbeit anbieten. Das Angebot der Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Aufrechterhaltung der Kündigung reicht nicht aus.3
834
Der Arbeitgeber gerät nur dann nicht in Annahmeverzug, wenn ihm die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers – etwa wegen grober Pflichtverletzungen wie z.B. körperlichen Übergriffen auf den Arbeitgeber – unzumutbar ist. Hierfür gelten allerdings hohe Anforderungen, weshalb dieser Fallgruppe in der Praxis kaum Bedeutung zukommt. Nach Ansicht des BAG muss die Pflichtverletzung schwerwiegender als ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB sein. Es muss sich um einen besonders verwerflichen Eingriff in absolut geschützte Rechts-
835
1 BAG v. 20.8.1980 – 5 AZR 589/79, DB 1981, 221; v. 28.11.1979 – 5 AZR 955/77, DB 1980, 1448. 2 BAG v. 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, BB 1990, 2190. 3 BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348; v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02, DB 2004, 439; v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, AP Nr. 98 zu § 615 BGB.
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Teil 1 Rz. 836
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
güter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer handeln, deren Schutz Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat.1 836
Ein Anspruch des Arbeitnehmers ist auch dann nicht gegeben, wenn und soweit der Arbeitnehmer nicht leistungsfähig oder leistungsunwillig ist, § 297 BGB.2 Hierfür ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig, wobei der Vortrag von Indizien ausreicht, aus denen auf die Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann.3
837
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn besteht nicht in jedem Fall in voller Höhe. Er kann sich insoweit vermindern, als dass sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen muss, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, § 615 Satz 2 BGB. In Betracht kommt vor allem, dass der Arbeitnehmer anderweitig gearbeitet und dadurch Verdienst erzielt hat oder eine anderweitig ihm zumutbare Beschäftigung nicht angenommen hat.4
u
Musterformulierung:
838
Der Arbeitgeber verpflichtet sich, bis zum … die regelmäßige monatliche Vergütung i.H.v. Euro … weiterzuzahlen. Anderweitig erzielter Verdienst ist nach § 615 Satz 2 BGB anzurechnen.
(bb) Sonstige Vergütung 839
Neben der Grundvergütung leistet der Arbeitgeber oft ergänzende Vergütungsbestandteile. In einer Aufhebungsvereinbarung ist dann festzuhalten, ob und inwiefern dem Arbeitnehmer solche zusätzlichen Leistungen zustehen.
840
Zwar sind Boni, Tantiemen, etc. zumeist bereits im Arbeitsvertrag geregelt, jedoch besteht im Rahmen von Aufhebungsvereinbarungen oft das Problem, die Höhe dieser Ansprüche genau zu beziffern. Für die damit in Zusammenhang stehenden Verhandlungen ist die Kenntnis der Rechtsprechung zur Prüfung der Rechtslage unabdingbar. Häufig sind diese Vergütungsbestandteile aufgrund der freiwilligen Gewährung durch den Arbeitgeber mit Widerrufs-, Anrechnungs- oder Rückzahlungsklauseln versehen. Diese unterliegen der Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Die Rechtsprechung setzt in diesem Bereich dem Interesse des Arbeitgebers an möglichst flexiblen Vereinbarungen zum Teil enge Grenzen, die bei der Klauselgestaltung zu beachten sind, um nicht die Unwirksamkeit der Klausel zu riskieren. 1 2 3 4
BAG v. 29.10.1987 – 2 AZR 144/87, NZA 1988, 465. BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348. Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 44. Hierzu ausführlich Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 47 ff.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 845 Teil 1
(i) Bonus Insbesondere Führungskräfte erhalten zu ihrem Grundgehalt häufig einen variablen Bonus, dessen Höhe abhängig von der erbrachten Leistung des Arbeitnehmers ist. Bonusregelungen werden zumeist turnusmäßig in Ergänzung zum Arbeitsvertrag als Zielvereinbarungen für einen gewissen Zeitraum abgeschlossen.
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Hierbei ergeben sich bei der Vereinbarung von flexiblen Klauseln im Arbeitsvertrag unterschiedliche Vorgaben:
842
Nach Ansicht des BAG verstößt eine Regelung, wonach sich der Arbeitgeber zu einer Bonuszahlung verpflichtet und im Widerspruch dazu in einer anderen Vertragsklausel einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Bonuszahlung ausschließt (sog. Freiwilligkeitsvorbehalt) gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. In diesem Fall ist allerdings nicht die gesamte Bonusregelung unwirksam, sondern lediglich der Freiwilligkeitsvorbehalt.1
843
Auch Stichtagsklauseln unterwirft das BAG einer Inhaltskontrolle. Eine Stichtagsregelung, die unabhängig von der Höhe der Bonuszahlung den Arbeitnehmer bis zum 30. September des Folgejahres bindet, benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen i.S.v. § 307 BGB und ist deshalb unwirksam.2 Nicht entscheiden wollte das BAG bislang allerdings die damit im Zusammenhang stehenden Fragen, ob bei der Inhaltskontrolle von Bindungsklauseln zwischen Stichtags- und Rückzahlungsklauseln zu differenzieren ist, ob eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers vorliegt, wenn Bindungsklauseln bei Sonderzahlungen nicht zwischen Kündigungen differenzieren, die in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers fallen, und ob bei Sonderzahlungen, die mindestens 25 % der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers ausmachten, Stichtags- oder Rückzahlungsklauseln zulässig sind.3
844
Haben die Parteien trotz einer verbindlichen Rahmenvereinbarung keine Zielvereinbarung für eine Bonuszahlung geschlossen, so steht dem Arbeitnehmer Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlung zu, wenn aus vom Arbeitgeber zu vertretenden Gründen für das Kalenderjahr keine Zielvereinbarung getroffen wurde. Grundlage für die Schadensermittlung bildet der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus. Allerdings bedarf es, anders als bei einer arbeitsvertraglichen Abrede über Zielvorgaben des Arbeitgebers, der Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Aufstellung der Ziele für die jeweilige Zielperiode. Der Arbeitnehmer verletzt eine vertragliche Nebenpflicht und hat weder einen Anspruch auf den Bonus noch einen Schadensersatzanspruch wegen entgangener Bonuszahlung, wenn allein aus seinem Verschulden eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen ist, weil er z.B. zu einem Gespräch mit dem Arbeitgeber über mögliche Ziele nicht bereit war. Trifft den Arbeitnehmer ein Mitverschulden, ist dieses angemessen zu berücksichtigen.4
845
1 2 3 4
BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40. BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40. BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, NZA 2008, 409.
Laber
171
Teil 1 Rz. 846
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
(ii) Provision 846
Provision wird vor allem für Mitarbeiter im Außendienst gezahlt. Es handelt sich hierbei um eine zusätzliche Leistung für den Abschluss oder die Vermittlung von Geschäften. Soweit nichts anderes vereinbart ist, sind nach § 65 HGB die Vorschriften für Handelsvertreter nach § 87 Abs. 1 und 3 sowie §§ 87a bis 87c HGB anzuwenden.
847
Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Provision verdient, wenn das Geschäft bis dahin abgeschlossen und auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers zurückzuführen ist oder mit einem Dritten abgeschlossen ist, den der Arbeitnehmer als Kunde für Geschäfte der gleichen Art geworben hat (§ 87 Abs. 1 HGB) und der Arbeitgeber das Geschäft bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausführt, § 87a Abs. 1 HGB. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Provision, wenn er das Geschäft vermittelt hat oder es eingeleitet und so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist, und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen worden ist oder vor Beendigung des Vertragsverhältnisses das Angebot des Dritten zum Abschluss eines Geschäfts, für das der Handelsvertreter Anspruch auf Provision hat, dem Handelsvertreter oder dem Unternehmer zugegangen ist, § 87 Abs. 3 HGB.
848
Nach Ansicht des BAG benachteiligt eine vorformulierte Klausel, wonach der Arbeitnehmer für eine bereits erarbeitete aber erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Provision (sog. Überhangprovision) nur die Hälfte der vereinbarten Provision erhalten soll, den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB und ist damit unwirksam. Gleichsam hat das BAG offen gelassen, ob eine solche Überhangprovision von den Arbeitsvertragsparteien abbedungen werden kann, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt.1
849
" Praxistipp: Provisionen werden zumeist erst zeitlich versetzt fällig und stehen so dem Interesse des Arbeitgebers entgegen, die wechselseitigen Ansprüche mit dem Aufhebungsvertrag abzugelten. Zu diesem Zweck bietet es sich an, eine pauschale Abgeltung sämtlicher Provisionsansprüche zu vereinbaren.
u
Musterformulierung:
850
Herr/Frau … erhält einen Betrag in Höhe von Euro … zur Abgeltung aller vertraglichen Provisionsansprüche. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass damit der vertragliche Provisionsanspruch von Herrn/Frau … in vollem Umfang erfüllt worden ist.
1 BAG v. 20.2.2008 – 10 AZR 125/07, NZA 2008, 1124.
172
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 855 Teil 1
(iii) Tantieme Bei der Tantieme handelt es sich um eine Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Sie orientiert sich zumeist am Gewinn oder Umsatz und wird vor allem an Führungskräfte gezahlt. Berechnungsgrundlage ist regelmäßig der jährliche Reingewinn.1 Die Höhe der tatsächlichen Tantieme richtet sich dann nach der vertraglichen Vereinbarung. Die Tantieme wird fällig mit Stellung der Bilanz bzw. sobald diese bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang gestellt sein musste.2 Endet das Arbeitsverhältnis während des Geschäftsjahres ist keine Zwischenbilanz zu stellen, maßgeblich bleibt weiter die Jahresbilanz. Der Anspruch mindert sich sodann um den fehlenden Anteil zum ganzen Kalenderjahr. Dabei können auch Gewinne und Verluste berücksichtigt werden, die eintreten, nachdem der Berechtigte aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Auch die anteilsmäßige Forderung wird grds. erst mit Stellung der Jahresbilanz fällig.3 Dem Arbeitnehmer steht allerdings ein Auskunftsanspruch darüber zu, ob und in welcher Höhe die Tantieme besteht.4
851
" Praxishinweis: Da auch die Tantieme wie die Provision regelmäßig erst
852
Nach vorzugswürdiger Ansicht ist es darüber hinaus möglich – auch durch eine vorformulierte Klausel – die Gewinnbeteiligung des Arbeitnehmers abzubedingen, wenn dieser vor Stellung der Bilanz aus dem Unternehmen ausscheidet.5
853
nach einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird, erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit auch hier vorzugswürdig, in der Aufhebungsvereinbarung eine pauschale Tantieme zu vereinbaren.
u
Musterformulierung:
Herr/Frau … hat für das laufende Geschäftsjahr … Anspruch auf Gewinnbeteiligung. Diese berechnet sich nach … Die Auszahlung erfolgt nach Ende des laufenden Geschäftsjahres und Erstellung der Bilanz.
854
optional Herr/Frau … hat für das laufende Geschäftsjahr … Anspruch auf Gewinnbeteiligung. Diese wird hiermit pauschal mit einem Betrag von Euro … abgegolten.
(iv) Sonderzahlungen Vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags sind Ansprüche der Arbeitnehmer auf Sonderzahlung zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen hierfür vor, sollten die 1 2 3 4 5
MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 130. LAG Berlin v. 7.10.1975 – 4 Sa 62/75, DB 1976, 636. Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 108 m.w.N. Bauer, Teil 4 Rz. 251. So auch Bauer, Teil 4 Rz. 262; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 109; a.A. MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 134.
Laber
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855
Teil 1 Rz. 856
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Ansprüche in der Aufhebungsvereinbarung nach Art und Höhe beziffert werden. Dabei ist vorab Folgendes zu berücksichtigen: 1. Gratifikationen 856
Bei Gratifikationen handelt es sich um Zuwendungen, die der Arbeitgeber aufgrund eines besonderen Anlasses zusätzlich zur regelmäßigen Vergütung des Arbeitnehmers leistet. Aus der Freiwilligkeit der Leistung ergibt sich somit kein allgemeiner Anspruch auf Gratifikationen, vielmehr bedarf es einer besonderen Rechtsgrundlage, etwa in einem Individual- oder Kollektivvertrag.
857
So kann z.B. vereinbart werden, dass die Gratifikation nur an Arbeitnehmer gezahlt wird, deren Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Stichtag besteht. Scheidet der Arbeitnehmer vor Fälligkeit der Gratifikation bzw. vor dem Stichtag aus, ist er von einer solchen Gratifikation ausgeschlossen. Dies gilt auch, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers liegt.1 Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz ist in diesem Fall nicht verletzt.2 Ist die Gratifikation allerdings davon abhängig, ob das Arbeitsverhältnis „ungekündigt“ besteht, so schließt ein vor dem genannten Zeitpunkt geschlossener Aufhebungsvertrag den Anspruch auf die Gratifikation nicht aus.3
858
Es kann ein Rückzahlungsvorbehalt für den Fall vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer innerhalb einer gewissen Frist nach der Gewährung der Gratifikation aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Dieser Vorbehalt muss allerdings klar und verständlich i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und dem Arbeitnehmer spätestens bei Gewährung der Gratifikation bekannt sein.4 Die Klauseln dürfen den Arbeitnehmer allerdings nicht in unzulässiger Weise in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) behindern und unangemessen lange an den Arbeitgeber binden. Die Dauer der zulässigen Bindung hängt nach Ansicht des BAG von der Höhe der Sonderzahlung ab. Das BAG hat hierzu im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB folgende Leitlinien entwickelt: – Bis zu einer Höhe von 100 Euro brutto kann keine Rückzahlungsvereinbarung geschlossen werden.5 – Bei einer Höhe zwischen 100 Euro brutto und einem Monatsverdienst kann eine Bindung bis zum 31.3. des Folgejahres erfolgen.6 Die Rückzahlungsklausel muss das Ausscheiden zum 31.3. dann allerdings auch ermöglichen. Abweichende Kündigungsfristen, die den Arbeitnehmer länger an den Arbeit1 BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 (nur bezweifelt für Bonusregelungen, die mehr als 25 % der Gesamtvergütung ausmachen); v. 28.3.2007 – 10 AZR 261/06, NZA 2007, 687. 2 BAG v. 28.3.2007 – 10 AZR 261/06, NZA 2007, 687. 3 BAG v. 7.10.1992 – 10 AZR 186/91, NZA 1993, 948. 4 Vgl. BAG v. 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032. 5 BAG v. 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875; v. 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032. 6 BAG v. 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875; v. 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032; v. 9.6.1993 – 10 AZR 529/92, NZA 1993, 935 m.w.N.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 860 Teil 1
geber binden, dürfen dem nicht entgegenstehen. Der Arbeitnehmer muss so kündigen können, dass er mit Ablauf des 31.3. ausscheidet.1 – Erreicht die Zuwendung die Höhe eines Monatsgehalts, so ist eine Bindung des Arbeitnehmers über den 31.3. des Folgejahres hinaus zulässig. Hat der Arbeitnehmer bis dahin mehrere Kündigungsmöglichkeiten, so ist es ihm regelmäßig zuzumuten, erst nach dem 31.3. zum nächst zulässigen Kündigungstermin zu kündigen, wenn er die Gratifikation behalten will. Hat er demgegenüber bis zum 31.3. nur eine Kündigungsmöglichkeit, so ist ihm zuzumuten, diese verstreichen zu lassen, wenn er die Gratifikation behalten will.2 – Bei einer Höhe von über einem Monatsgehalt ist eine Bindung jedenfalls dann nicht über den 30.6. des Folgejahres möglich, wenn die Gratifikation den zweifachen Monatsbetrag nicht erreicht und der Arbeitnehmer bis dahin mehrere Kündigungsmöglichkeiten hat.3 Wird als Weihnachtsgratifikation ein Betrag von zwei Monatsgehältern gezahlt, so ist eine auch eine Rückzahlungsklausel zulässig, nach der bei Ausscheiden bis zum 31.3. des folgenden Jahres eineinhalb Monatsgehälter, zum 30.6. ein Monatsgehalt und zum 30.9. ein halbes Monatsgehalt zurückzuzahlen sind (sog. gestaffelte Rückzahlungsverpflichtung).4 Maßgeblich ist das vertraglich geschuldete Monatsgehalt zum Zeitpunkt der Auszahlung. Da durch die Bindungsklausel eine künftige Betriebstreue entlohnt werden soll, muss der zuletzt gezahlte Monatsverdienst als Vergleichsmaßstab herangezogen wird.5 Wird zum Beispiel eine Gratifikation, die – bemessen an der Septembervergütung des Jahres – ein Monatsgehalt beträgt, erst zu einem Zeitpunkt fällig, zu dem das Monatsgehalt bereits gestiegen ist, unterschreitet sie zu diesem Zeitpunkt ein Monatsgehalt und kann demzufolge zulässigerweise keine längere Bindung als drei Monate bewirken.6
859
Die zulässige Bindungsdauer, die durch die Pflicht zur Rückzahlung einer Gratifikation für den Fall des Ausscheidens aus dem Betrieb erreicht werden kann, richtet sich nach der Höhe und dem Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit der Leistung. Dies gilt auch dann, wenn eine als einheitlich bezeichnete Leistung in zwei Teilbeträgen zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig wird. Wird nach dem Arbeitsvertrag eine Gratifikation in Höhe eines Monatsgehalts zu gleichen Teilen zum 30.6. und zum 30.11. ausgezahlt, ist eine Rückzahlungsklausel unwirksam, die den Arbeitnehmer über den 31.3. des Folgejahres an den Betrieb bindet.7
860
1 BAG v. 9.6.1993 – 10 AZR 529/92, NZA 1993, 935. 2 BAG v. 28.4.2004 – 10 AZR 356/03, NZA 2004, 924; v. 10.5.1962 – 5 AZR 353/61, BB 1962, 758 m.w.N. 3 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 145. 4 BAG v. 13.11.1969 – 5 AZR 232/69, BB 1970, 580. 5 BAG v. 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032; v. 28.1.1981 – 5 AZR 846/78, DB 1981, 1419. 6 BAG v. 28.1.1981 – 5 AZR 846/78, DB 1981, 1419. 7 BAG v. 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032.
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Teil 1 Rz. 861
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
861
Auch wenn die Gratifikation vorzeitig ausgezahlt wird – etwa eine Weihnachtsgratifikation im November – soll es nach dem BAG bei den o.g. Grundsätzen verbleiben, obwohl die Bindungsdauer zum 31.3. dann einen längeren Zeitraum umfasst als drei Monate. Auf Rückgewährklauseln bei Urlaubsgratifikationen sind im Grundsatz dieselben Vorgaben wie bei Weihnachtsgratifikationen zu beachten. Erhält der Arbeitnehmer Ende Mai eine Urlaubsgratifikation, die einen Monatsbezug nicht erreicht, so ist ihm regelmäßig zuzumuten, eine bis zum 30.9. desselben Jahres reichende Rückzahlungsklausel einzuhalten.1
862
Werden zu lange Bindungsfristen vereinbart, so ist die Rückzahlungsverpflichtung unwirksam. Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht.2 Lediglich bei Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden, kann die entstandene Lücke durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden.
863
Ist die Bindungsfrist demgegenüber wirksam, so muss der Arbeitnehmer, der vorher aus dem Betrieb ausscheidet, die Gratifikation in voller Höhe zurückzahlen. Ihm steht kein „Sockelbetrag“ i.H.v. 100 Euro zu.3
864
Zu Gratifikationen im weiteren Sinne gehören auch von der individuellen Arbeitsleistung unabhängige Jahresabschlussvergütungen, sowie Treueprämien und Jubiläumszahlungen.4 Die o.g. Grundsätze zu den Bindungsfristen sind auch hier zu beachten. 2. Zusätzliches Monatsgehalt
865
Bei einem 13. bzw. 14. Monatsgehalt handelt es sich regelmäßig um einen Teil der Arbeitsvergütung, mit der die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung unmittelbar abgegolten wird, sodass hier der Gratifikationscharakter fehlt.5 Ein Arbeitnehmer, der vor dem Auszahlungstermin aus dem Betrieb ausscheidet, hat grds. einen zeitanteiligen Anspruch von je einem Zwölftel des 13. oder 14. Monatsgehalts für jeden vollen Monat.6 Entsprechendes gilt für die Zusage einer „Jahresleistung“, die an keine zusätzlichen Voraussetzungen auf Seiten des Arbeitnehmers geknüpft ist.7
u
Musterformulierung:
866
Herr/Frau … erhält für das Jahr … einen Betrag in Höhe von Euro … als anteiliges 13. (bzw. 14.) Monatsgehalt gem. Ziffer … des Arbeitsvertrags vom …
1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 15.3.1973 – 5 AZR 525/72, BB 1973, 663 m.w.N. BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40. BAG v. 11.6.1964 – 5 AZR 472/63. Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 100 f. Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 96. BAG v. 13.6.1991 – 6 AZR 421/89, EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 86. BAG v. 8.11.1978 – 5 AZR 358/77, DB 1979, 505.
176
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 871 Teil 1
3. Anwesenheitsprämie Eine Anwesenheitsprämie wird für den Fall gezahlt, dass der Arbeitnehmer während eines gewissen Zeitraums tatsächlich und ohne Unterbrechung gearbeitet hat. Liegen deren Voraussetzungen vor, sollte auch dieser Anspruch im Aufhebungsvertrag genannt werden.
867
Es besteht die Möglichkeit, bei Krankheits- und Fehlzeiten des Arbeitnehmers eine Kürzung des Anspruchs zu vereinbaren. Allerdings kann eine solche Minderung nur an zukünftige Fehlzeiten anknüpfen. Eine Regelung, die auf Fehltage abstellt, die vor dem Bekanntwerden der Regelung liegen, kann ihren Zweck – die Arbeitnehmer zu motivieren, die Zahl der Fehltage möglichst gering zu halten – nicht erreichen.1 Damit kommt eine Vereinbarung im Rahmen eines Aufhebungsvertrags regelmäßig zu spät.
868
(c) Abfindung Abfindungen werden häufig als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes oder zur Überbrückung bis zum Antritt einer neuen Arbeitsstelle vereinbart. Voraussetzungen und Höhe der Abfindung stehen grds. im Belieben der Arbeitsvertragsparteien.2 Bestehen keine weitergehenden Abreden, so wird eine Abfindung mit Abschluss des Aufhebungsvertrags wirksam.3 Fällig wird der Anspruch – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Vereinbarung – allerdings erst mit rechtlichem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis.4 In der Praxis wird deshalb der Anspruch auch zumeist vererblich gestellt.
869
" Praxistipp: Da Entstehung und Fälligkeit des Abfindungsanspruchs nach
870
Eine gesetzliche Regelung für die Höhe der Abfindung besteht nicht. So können die Parteien einen beliebigen Abfindungsbetrag vereinbaren, ohne etwa an die §§ 1a, 9, 10 KSchG gebunden zu sein.5 Da es sich hierbei um eine Hauptleistungspflicht aus dem Aufhebungsvertrag handelt, unterliegen weder die Vereinbarung, ob eine Abfindung gezahlt wird, noch deren Höhe der AGB-Kontrolle.6
871
dem BAG regelmäßig auseinander fallen, ist diesem Umstand im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung Rechnung zu tragen. So kann, um Rechtsklarheit zu schaffen, eine Klausel formuliert werden, wonach Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs in einem Zeitpunkt zusammen fallen. Zumindest sollten sowohl Entstehungs- als auch Fälligkeitszeitpunkt klar benannt werden.
1 BAG v. 26.10.1994 – 10 AZR 482/93, NZA 1995, 266; v. 15.2.1990 – 6 AZR 381/88, NZA 1990, 601. 2 BAG v. 15.7.2004 – 2 AZR 630/03, NZA 2005, 292; v. 22.5.2003 – 2 AZR 250/02, BB 2004, 894. 3 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 250/02, BB 2004, 894. 4 BAG v. 15.7.2004 – 2 AZR 630/03, NZA 2005, 292. 5 Vgl. BAG v. 7.5.1987 – 2 AZR 271/86, NZA 1988, 15. 6 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 138.
Laber
177
Teil 1 Rz. 872
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
872
Als Faustregel kann die Anzahl der Beschäftigungsjahre x 0,5 Bruttomonatsverdienste dienen. Diese Formel wird in der Rechtsprechung überwiegend für Vergleichsvorschläge im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses herangezogen.
873
Allerdings gilt diese Berechnungsweise vor dem Hintergrund, dass das Prozessrisiko gleichmäßig verteilt ist. Die Höhe der Abfindung bleibt damit reine Verhandlungssache. Wäre der Arbeitgeber auch zum Ausspruch einer wirksamen Kündigung berechtigt, wird sich dies mindernd auf die Höhe der Abfindung auswirken. Gegenteiliges gilt, wenn an der Rechtmäßigkeit einer alternativen Kündigung erhebliche Zweifel bestehen.
874
Gerade in jüngerer Zeit hat sich freilich bei der Beendigung von kürzeren Arbeitsverhältnissen (bis zu fünf Jahre) in der Praxis herauskristallisiert, dass mit der „Faustformel“ nur noch in den wenigsten Fällen eine einvernehmliche Vertragsauflösung erreicht werden kann. Insbesondere bei zweifelhaftem Kündigungsgrund werden insoweit ein oder gar zwei Bruttomonatsgehälter auf Arbeitnehmerseite gefordert und häufig auch in die Vereinbarung mit dem Arbeitgeber dann aufgenommen.
u
Musterformulierung:
875
Der Arbeitgeber zahlt an Herrn/Frau … für den Verlust des Arbeitsplatzes eine bereits entstandene und damit vererbliche Abfindung in Höhe von Euro … brutto in Anlehnung an §§ 9, 10 KSchG. Die Abfindung ist zur Auszahlung fällig am …
(d) Freistellung und Urlaub (aa) Freistellung 876
Wird der Aufhebungsvertrag wie in den meisten Fällen mit einer Auslauffrist (i.d.R. die ordentliche Kündigungsfrist) geschlossen, so können die Parteien vereinbaren, dass der Arbeitnehmer für die gesamte Dauer oder einen Teil dieser Frist unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitspflicht freigestellt wird (sog. einvernehmliche Freistellung). Die Freistellung muss ausdrücklich unwiderruflich erfolgen,1 wenn der Arbeitgeber etwaige restliche Urlaubsansprüche oder eventuelle Zeitguthaben auf die Freistellungsphase anrechnen will. Ansonsten handelt es sich nach dem BAG im Zweifel nur um eine widerrufliche Freistellung, bei welcher der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch behält und der Arbeitgeber diesen mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelten muss.2 Die Freistellung von der Arbeitspflicht alleine ist nach Ansicht des BAG noch nicht als Urlaubsgewährung anzusehen.3
1 Zu den Voraussetzungen siehe Bauer, NZA 2007, 409. 2 BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008. 3 BAG v. 9.6.1998 – 9 AZR 43/97, NZA 1999, 80.
178
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 883 Teil 1
" Praxistipp: Die Parteien können sich aber auch dahingehend einigen, dass
877
Auch ein entstandener Anspruch auf Überstundenvergütung kann nicht durch einseitige, sondern nur durch einvernehmliche Freistellung erfüllt werden. Hierfür bedarf es einer vereinbarten Ersetzungsbefugnis der Parteien.1
878
" Praxistipp: Natürlich können sich die Parteien im Aufhebungsvertrag in
879
Daneben sollte in der Aufhebungsvereinbarung geregelt werden, ob anderweitig erzielter Verdienst anzurechnen ist. Denn fehlt eine solche Vereinbarung, ist der Arbeitgeber regelmäßig nicht zur Anrechnung berechtigt.2
880
alle Urlaubsansprüche in natura gewährt und damit erledigt sind (zulässiger „Verzicht“). In diesem Fall bedarf es keiner unwiderruflichen Freistellung.
gleicher Weise wie beim Urlaubsanspruch auch im Bezug auf Überstundenansprüche darüber einigen, dass diese in vollem Umfang durch Freizeitausgleich in natura bereits vom Arbeitgeber erfüllt worden sind.
u
Musterformulierung:
Herr/Frau … wird bis zu dem genannten Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der Vergütung von seiner/ihrer Arbeitspflicht unwiderruflich freigestellt; anderweitig erworbener Verdienst ist nach § 615 Satz 2 BGB anzurechnen. Durch die Freistellung sind sämtliche Ansprüche auf Freizeitausgleich und/oder Urlaub abgegolten.
881
Fraglich ist, ob der Arbeitgeber bereits durch arbeitsvertragliche Gestaltung Vorsorge treffen und eine Klausel formulieren kann, wonach er für den Fall des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags zur Freistellung des Arbeitnehmers berechtigt ist (sog. Freistellungsklausel).3 Eine solche Klausel benachteiligt den Arbeitnehmer unter Umständen unangemessen i.S.v. §§ 307 Abs. 1 Satz 1, 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit der Folge der Unwirksamkeit.4 Solange eine höchstrichterliche Entscheidung nicht vorliegt, besteht insoweit Rechtsunsicherheit.
882
Ein Anspruch auf Freistellung steht dem Arbeitnehmer nicht zu. Bleibt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags ohne Freistellungsvereinbarung dem Betrieb unentschuldigt fern, verliert er seinen Vergütungsanspruch. Dem Arbeitgeber steht u.U. das Recht zur außerordentlichen Kündigung zu.
883
1 BAG v. 18.9.2001 – 9 AZR 307/00, NZA 2002, 268. 2 BAG v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, NZA 2002, 1055; dazu ausführlich Nägele, BB 2003, 45; a.A. Hoß/Lohr, BB 1998, 2575 (2578). 3 Zu den Voraussetzungen siehe Bauer, NZA 2007, 409 (412) mit Formulierungsvorschlag. 4 So ArbG Berlin v. 4.2.2005 – 9 Ga 1155/05, BB 2006, 559; a.A. Bauer, NZA 2007, 409 (412); wohl auch Küttner/Kania, Beschäftigungsanspruch Rz. 6.
Laber
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Teil 1 Rz. 884
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
(bb) Urlaub 884
Der Arbeitgeber ist auch gegen den Willen des Arbeitnehmers berechtigt, diesem Urlaub während der Auslauffrist zu gewähren, denn nur so kann der Urlaub noch nach seinem ursprünglichen Sinn – der bezahlten Freistellung von der Arbeitspflicht – genommen werden.1 Der Urlaub darf auch umgelegt werden, wenn er beispielsweise vor der Freistellung zu einer Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgesetzt worden ist. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses wird die Festlegung des Urlaubszeitpunkts für einen danach liegenden Zeitraum hinfällig.2
885
Ausnahmsweise darf der Arbeitgeber den Resturlaub dann nicht während der Auslauffrist gewähren, wenn dies für den Arbeitnehmer unzumutbar war.3 Hierfür gelten allerdings hohe Anforderungen. Die Bindung des Arbeitnehmers an eine vorher festgelegte Urlaubsplanung für einen anderen Termin, die mit finanziellen Folgen verbunden ist, reicht jedenfalls dann nicht aus, wenn der Arbeitnehmer eine Umbuchung nicht ernsthaft geprüft hat.
886
Der Arbeitnehmer kann den Urlaub allerdings nicht einseitig ohne Zustimmung des Arbeitgebers nehmen. Ein solcher eigenmächtiger Urlaubsantritt kann den Arbeitgeber zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigen.4
887
Kann der Arbeitgeber den Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewähren, so ist dieser nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Hiervon umfasst ist nicht nur der Mindesturlaub nach §§ 1, 3 BUrlG, sondern der gesamte Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, der bei Beendigung noch nicht erfüllt ist5 Daher sind auch den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigende individual- und tarifvertragliche Urlaubsansprüche abzugelten.6 Sofern der Resturlaub nicht mehr vollständig genommen werden kann, besteht die Möglichkeit, den Urlaub – soweit möglich – tatsächlich in Anspruch zu nehmen und den Rest abzugelten. Dem steht § 7 Abs. 2 BUrlG nicht entgegen, da dieser nur auf fortbestehende Arbeitsverhältnisse Anwendung findet.7
888
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in der Sache SchultzHoff8 müssen Ansprüche des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub selbst im Fall einer dauerhaften Erkrankung und ohne Beschränkung auf das jeweilige Urlaubsjahr oder den Übertragungszeitraum finanziell abgegolten werden.9 Die neuere Rechtsprechung gilt allerdings nur für den gesetzlichen 1 2 3 4 5 6 7 8 9
LAG Köln v. 16.3.2000 – 10 (11) Sa 1280/99, NZA-RR 2001. BAG v. 10.1.1974 – 5 AZR 208/73, DB 1974, 1023. BAG v. 10.1.1974 – 5 AZR 208/73, DB 1974, 1023. BAG v. 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332, v. 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548 m.w.N. BAG v. 22.10.2009 – 8 AZR 865/08, DB 2010, 452; v. 28.2.1991 – 8 AZR 196/90, NZA 1991, 944. BAG v. 22.10.2009 – 8 AZR 865/08, DB 2010, 452. MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 210. EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135. So nunmehr auch BAG v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 und v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09; Vertrauensschutz zugunsten der bisherigen Rechtslage soll nach An-
180
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 893 Teil 1
Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen, vgl. § 3 Abs. 1 BUrlG, sowie den schwerbehindertenrechtlichen Zusatzurlaub von 5 Tagen pro Jahr (§ 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), der sich nach den Regeln des Mindesturlaubs der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG bestimmt.1 Die Abgeltung zusätzlicher individual- oder tarifvertraglicher zusätzlicher Urlaubsansprüche kann demgegenüber vertraglich vereinbart werden.2 Die Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs richtet sich entsprechend § 11 Abs. 1 BUrlG nach dem Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen vor Antritt des Urlaubs.
u
Musterformulierung:
Herr/Frau … wird unter Anrechnung auf etwa noch bestehende Urlaubs- und sonstige Freizeitausgleichsansprüche unwiderruflich von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung freigestellt.
889
890
optional Wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum … konnte Herr/ Frau … den ihm/ihr für das Kalenderjahr … zustehenden Resturlaub von … Tagen nicht nehmen. Daher wird der Urlaub mit einem Betrag von Euro … abgegolten.
(e) Outplacement Neben oder anstatt einer Abfindung kann der Arbeitgeber auch eine Outplacementberatung anbieten. Externe Berater unterstützen dann die ausscheidenden Arbeitnehmer bei Suche und Anbahnung einer neuen Beschäftigung. Outplacementberatung kann eine individuellere und flexiblere Mithilfe als die Agentur für Arbeit gewährleisten und hat daher im Regelfall eine höhere Vermittlungsquote.
891
Die Inanspruchnahme von Outplacement kann vor allem für langjährige Arbeitnehmer von Vorteil sein, da sich diese oft nach vielen Jahren in einem festen Job wieder bewerben müssen und bei der Zusammenstellung der hierfür erforderlichen Unterlagen wichtige Hilfestellung erhalten.
892
Die Outplacementberatung erfolgt regelmäßig nicht im Unternehmen des Arbeitgebers, sondern wird von externen Dienstleistern durchgeführt. Da der Arbeitgeber bzw. seine Mitarbeiter in die weitere Entwicklung des Arbeitnehmers nicht eingebunden sind, wird sich der Arbeitnehmer eher zur Inanspruchnahme einer Outplacementberatung bewegen lassen, als beim sog. Coaching, das oft durch Mitarbeiter des Unternehmens durchgeführt wird und bei dem Interes-
893
sicht des BAG seit dem 24.11.1996 als dem Tag nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die 1. Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG mit Bekanntwerden des Vorlageverfahrens durch das LAG Düsseldorf vom 2.8.2006 nicht mehr zu gewähren sein. 1 BAG v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09 2 BAG v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09.
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Teil 1 Rz. 894
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
senskonflikte auftreten können. Die Kosten der Maßnahme trägt regelmäßig der Arbeitgeber.
u
Musterformulierung:
894
„Der ausscheidende Arbeitnehmer kann die Hilfe eines Outplacementberaters in Anspruch zu nehmen. Die Auswahl des Beraters erfolgt in Absprache mit dem Arbeitgeber. Dieser trägt auch die Kosten. Die Dauer der Beratung beträgt maximal sechs Monate oder bis zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags.“
(f) „Turbo-Prämie“ 895
Oft ist der Arbeitnehmer mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags einverstanden, möchte das Arbeitsverhältnis aber nicht vorzeitig beenden, weil er z.B. noch nach einer neuen Arbeitsstelle sucht.
896
In diesem Fall bietet sich die Vereinbarung einer sog. „Turbo-Prämie“ an. Es wird insoweit zunächst die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit einer der regelmäßigen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist vereinbart. Gleichzeitig wird dem Arbeitnehmer das Recht eingeräumt, zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Wahl, nach entsprechender Vorankündigung vorzeitig auszuscheiden. Für diesen Fall wird regelmäßig weiter vereinbart, dass der Arbeitnehmer das ersparte Entgelt ganz oder teilweise als Abfindung erhält. Diese „Turbo-Prämien-Regelung“ ist für beide Parteien vorteilhaft. Der Arbeitnehmer behält seine Flexibilität im Hinblick auf ein neues Arbeitsverhältnis und den vereinbarten wirtschaftlichen Wert des Aufhebungsvertrags, der Arbeitgeber spart bei Eingreifen der „Turbo-Prämie“ entweder Teile der ansonsten monatlich zu zahlenden Vergütung, jedenfalls die Sozialabgaben hierauf, soweit diese ganz oder teilweise als Abfindung an den Arbeitnehmer gezahlt wird.
897
Dies bedeutet für beide Seiten netto eine Ersparnis, weil so Sozialabgaben erspart werden. Allerdings muss der Arbeitgeber auf die Gegenleistung des Arbeitnehmers verzichten.
u
Musterformulierung:
898
Herrn/Frau … steht das Recht zu, das Arbeitsverhältnis abweichend von dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt mit einer Ankündigungsfrist von zwei Wochen zum Ende des Monats vorzeitig zu beenden. Eine vorzeitige Beendigung ist im Interesse des Arbeitgebers. In diesem Fall erhält Herr/Frau … die dadurch ersparten monatlichen Bezüge abzüglich des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung in voller Höhe/in Höhe von … % als Abfindung. Der Betrag wird im Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig.
182
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 905 Teil 1
(g) Sprachregelung und Verschwiegenheitserklärungen Vor allem im Rahmen von Aufhebungsvereinbarungen mit Führungskräften liegt es zur Wahrung der Außenwirkung im Interesse beider Vertragspartner, Verlautbarungen an die Öffentlichkeit mit dem scheidenden Mitarbeiter abzustimmen. Hierfür bietet sich eine Klausel an, in der das weitere Vorgehen festgehalten wird.
u
Musterformulierung:
899
Pressemitteilungen und andere Stellungnahmen an die Öffentlichkeit werden die Parteien im Vorhinein untereinander inhaltlich abstimmen. Hierfür wird folgender Wortlaut vereinbart: …
900
Der Arbeitgeber möchte auch oft nicht, dass die Modalitäten des Aufhebungsvertrags, insbesondere die aufgewendeten finanziellen Mittel, publik werden. Hierfür kann eine Geheimhaltungs- oder Verschwiegenheitsklausel in den Aufhebungsvertrag aufgenommen werden.
901
u
Musterformulierung:
Herr/Frau … wird hinsichtlich der finanziellen Modalitäten gegenüber jedermann Stillschweigen wahren, außer er/sie ist gesetzlich zur Erteilung von Auskünften verpflichtet oder die Auskunft ist aus sozialversicherungsrechtlichen bzw. steuerrechtlichen Gründen erforderlich.
902
(h) Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel Der Arbeitnehmer ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, dem Arbeitgeber Firmeneigentum herauszugeben. Diese Pflicht ergibt sich aus §§ 861, 985 BGB bzw. §§ 666, 667, 675 BGB und umfasst die zur Verfügung gestellten Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel, also etwa Geschäftspapiere, Akten, Werkzeuge, Schutzkleidung oder den Betriebsausweis.1
903
" Praxishinweis: Zur Klarstellung sollten die herauszugebenden Arbeitsmit-
904
Sofern der Arbeitnehmer seiner Herausgabepflicht nicht nachkommt bzw. Zweifel über das Ausmaß der in seinem Besitz befindlichen Firmenunterlagen bestehen, hat der Arbeitgeber einen einklagbaren Anspruch auf Auskunftserteilung und Abgabe einer eidesstattlich versicherten Vermögensoffenbarung.2 Ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) steht dem Arbeitnehmer an den Arbeitsunterlagen regelmäßig nicht zu.3
905
tel und Unterlagen im Einzelnen im Aufhebungsvertrag aufgeführt werden.
1 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 265. 2 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 266. 3 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 266.
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Teil 1 Rz. 906 906
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
" Praxistipp: Der Hinweis auf das fehlende Zurückbehaltungsrecht sollte zur
Klarstellung explizit in die Aufhebungsvereinbarung mit aufgenommen werden.
u
Musterformulierung:
907
Herr/Frau … wird alle ihm/ihr überlassenen im Eigentum des Arbeitgebers stehende Arbeitsmittel bis zum … herausgeben. Hierbei handelt es sich um: … Ein Zurückbehaltungsrecht steht dem Arbeitnehmer insoweit nicht zu.
(i) Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse 908
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, während und auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Dies gilt unabhängig von einem daneben vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB.1
909
Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind solche Tatsachen, die in Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und nicht offenkundig sind und nach dem Willen des Arbeitgebers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden. Die Verschwiegenheitspflicht verbietet dem Arbeitnehmer jedoch nicht, Kunden seines ehemaligen Arbeitgebers zu umwerben.2 Demgegenüber liegt ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht vor, wenn der Arbeitnehmer von ihm für den früheren Arbeitgeber vorbereitete Kundenaufträge, deren Erteilung nur noch Formsache ist, durch günstigere Preisgestaltungen seinem neuen Arbeitgeber zuführt.3 Darüber hinausgehende Konkurrenztätigkeit kann vom Arbeitgeber allerdings nur mittels eines nachträglichen Wettbewerbsverbots vereitelt werden.
u
Musterformulierung:
910
Herr/Frau … verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über alle ihm/ihr zur Kenntnis gelangten betriebsinternen Vorgänge und hierbei vor allem Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus der Zeit der Beschäftigung bei dem Arbeitgeber Stillschweigen zu wahren.
(j) Erfindungen 911
Hat der Mitarbeiter im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses Erfindungen getätigt, so hat er hierfür Anspruch auf eine Vergütung. Im Zusammenhang mit Auf1 BAG v. 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502. 2 BAG v. 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502 m.w.N. 3 BAG v. 11.12.1967 – 3 AZR 22/67, BB 1968, 504.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 918 Teil 1
hebungsverträgen stellt sich die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe dahingehende Ansprüche noch bestehen. Bei der Verhandlung eines Aufhebungsvertrags ist daher die Kenntnis der Rechtslage zur Arbeitnehmervergütung essentiell. Zwar werden einmal begründete Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags regelmäßig nicht beeinflusst, jedoch sollten diese Ansprüche vorsorglich in der Aufhebungsvereinbarung benannt werden.
912
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat keine Auswirkungen auf Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Arbeitnehmererfindungen, vgl. § 26 ArbnErfG. Darunter fällt auch die einvernehmliche Beendigung durch Aufhebungsvertrag.1 Umfasst sind sog. technische Neuerungen, mithin freie und gebundene Erfindungen im Sinne des § 4 Abs. 2, 3 ArbnErfG sowie qualifizierte technische Verbesserungsvorschläge nach § 20 Abs. 1 ArbnErfG.2 Diese müssen allerdings zeitlich bis zur einvernehmlich vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fertig gestellt sein.3
913
Die Vorschriften des ArbnErfG sind nach § 22 Satz 1 ArbnErfG grds. unabdingbar, sodass nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers hiervon abgewichen werden darf. Nach Satz 2 der Vorschrift sind jedoch Abreden über Diensterfindungen nach ihrer Meldung sowie über freie Erfindungen und technische Verbesserungsvorschläge nach ihrer Mitteilung möglich. Diese unterliegen nach § 23 ArbnErfG einer Unbilligkeitskontrolle.
914
Anderweitige Abweichungen von den gesetzlichen Vorschriften sind im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich. Eine allgemeine Erledigungsklausel kann daher die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Erfindungsvergütung nicht umfassen. Auch eine zugesagte Abfindungsvereinbarung kann nicht als Erfindervergütung i.S.v. §§ 9 ArbnErfG ausgelegt werden.4
915
" Praxistipp: Eine Abfindungsvereinbarung im Aufhebungsvertrag ist daher
916
immer unabhängig von einer eventuellen Vergütungsvereinbarung nach dem ArbnErfG zu berechnen und von dieser räumlich abzugrenzen.
u
Musterformulierung:
Herr/Frau … erhält für seine Diensterfindung vom … eine Vergütung in Höhe von Euro … Hiermit sind sämtliche Ansprüche aus dem ArbnErfG abgegolten.
917
(k) Wettbewerbsverbote Während des laufenden Arbeitsverhältnisses unterliegt der Arbeitnehmer nach § 60 HGB grds. einem Wettbewerbsverbot. Hiernach ist des dem Arbeitnehmer 1 2 3 4
Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungen, Teil 1 Rz. 69. Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungen, Teil 1 Rz. 31. Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungen, Teil 1 Rz. 69. Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 218.
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918
Teil 1 Rz. 919
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
untersagt, bis zur rechtswirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Wettbewerb zu dem Arbeitgeber zu treten. Dieses Verbot gilt entsprechend auch für Auszubildende, vgl. § 10 Abs. 2 BBiG. 919
Durch einen zuvor geschlossenen Aufhebungsvertrag kann hiervon abgewichen werden. Der abweichende Wille muss in der Vereinbarung allerdings auch ausdrücklich zum Ausdruck kommen. Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unwiderruflich unter Vorbehalt der Anrechnung etwaigen anderweitigen Verdienstes von der Arbeitsleistung frei, so kann der Arbeitnehmer nach Ansicht des BAG regelmäßig davon ausgehen, er sei in der Verwertung seiner Arbeitsleistung frei und nicht mehr an das gesetzliche Wettbewerbsverbot gebunden. Wenn der Arbeitgeber durch die Freistellung den Annahmeverzug mit der Möglichkeit der Verdienstanrechnung herbeiführe, mache er deutlich, dass ihn Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers in der Zeit der Freistellung nicht stören.1 Möchte der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer während der Freistellungsphase nicht zu ihm in Wettbewerb tritt, so ist eine dahingehende Klausel explizit in den Arbeitsvertrag aufzunehmen.
u
Musterformulierung:
920
Zwischen den Parteien steht Einigkeit darüber, dass Herrn/Frau … auch während der Dauer der vereinbarten Freistellung untersagt ist, in Wettbewerb zu dem Arbeitgeber zu treten.
921
In der Praxis werden nachvertragliche Wettbewerbsverbote i.d.R. bei Abschluss des Arbeitsvertrags vereinbart. Das Interesse des Arbeitgebers im Zeitpunkt eines Aufhebungsvertrags geht dann zumeist dahin, von dieser Abrede, bzw. vor allem von der Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung, so sie noch bestehen, schnell wieder loszukommen. Dies gelingt in der Praxis regelmäßig nur durch eine Erhöhung der Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, da die Karenzabrede für den Arbeitnehmer einen finanziellen Wert darstellt.
922
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht es dem Arbeitnehmer grds. frei, in Wettbewerb zum Arbeitgeber zu treten. Dem stehen nachvertragliche Verschwiegenheits- oder Treuepflichten nicht entgegen.2 Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach den §§ 74 ff. HGB muss daher ausdrücklich im Arbeitsvertrag oder zumindest im Aufhebungsvertrag vereinbart werden. Das Wettbewerbsverbot muss schriftlich abgeschlossen werden und die Urkunde mit den vereinbarten Bestimmungen – vom Arbeitgeber unterschrieben – muss dem Arbeitnehmer übergeben werden. Unterbleibt die Übergabe, so ist das Wettbewerbsverbot zwar nicht unwirksam i.S.v. § 125 Satz 1 BGB, der Arbeitnehmer hat allerdings ein Wahlrecht, ob er das Wettbewerbsverbot einhal1 BAG v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36; kritisch zu Recht Bauer, NZA 2007, 409 (410). 2 BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200; LAG Köln v. 14.4.2008 – 5 Sa 413/08, DStZ 2009, 346.
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 926 Teil 1
ten will oder nicht. Der Arbeitgeber kann sich in diesem Fall nicht auf die Wirksamkeit des Wettbewerbsverbots berufen.1 Nach Ansicht des BAG kann im Einzelfall eine weitreichende Erledigungsklausel, nach der „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten“ sind, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot und die damit verbundene Karenzentschädigung erfassen, selbst wenn der Zusatz „und seiner Beendigung, seien sie bekannt oder unbekannt“ fehlt. Hierbei soll es sich um alle gegenseitigen Ansprüche handeln, die ihre Grundlage im Arbeitsverhältnis haben und daher „aus dem Arbeitsverhältnis“ stammen sollen. Zu berücksichtigen sind allerdings auch weitere Umstände, wie z.B. das vorprozessuale Verhalten der Parteien. Hat der Arbeitnehmer etwa in der vorherigen Korrespondenz geäußert, er wolle „das Gesamtproblem“ lösen, so spricht dies dafür, dass beide Parteien das Wettbewerbsverbot und seine Folge, die Karenzentschädigung, ebenfalls mit erledigen wollten.2
923
Für die Frage, ob ein nachvertragliches Verbot wirksam ist und daher ggf. bei der Ermittlung der Abfindungshöhe beachtet werden muss, ist die Rechtsprechung des BAG zu arbeitsvertraglich vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverboten zu Grunde zu legen.
924
Von Seiten des Arbeitgebers vorformulierte Wettbewerbsverbote unterliegen grds. der Kontrolle nach den AGB-Vorschriften. Die Reichweite der Überprüfbarkeit wird in der Instanzrechtsprechung allerdings uneinheitlich bewertet. Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg soll, zumindest wenn das Wettbewerbsverbot Gegenstand einer eigenständigen Abrede und nicht Teil eines umfassenden Arbeitsvertrags war, das Wettbewerbsverbot die Hauptleistungspflicht darstellen und daher einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB nicht zugänglich sein.3 Das LAG Niedersachsen unterzieht ein Wettbewerbsverbot, das nicht im Arbeitsvertrag sondern während des laufenden Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde, der Inhaltskontrolle und lehnt eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers ab, wenn der Gegenstand des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses objektiv feststellbar ist.4 Auch das BAG unterzieht Wettbewerbsverbote einer Inhaltskontrolle. Hiernach muss die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung innerhalb der Wettbewerbsabrede klar und verständlich formuliert sein und den Voraussetzungen des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen.5
925
Dieselben Erwägungen sind bei der Vereinbarung einer Vertragsstrafenregelung zugrunde zu legen. Eine Klausel, nach der der Arbeitgeber „für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei durchschnittlichen BruttoMonatseinkommen verlangen“ könne und „im Falle einer dauerhaften Verlet-
926
1 BAG v. 23.11.2004 – 9 AZR 595/03, NZA 2005, 411. 2 BAG v. 24.6.2009 – 10 AZR 707/08, BB 2009, 1805; v. 22.10.2008 – 10 AZR 617/07, NZA 2009, 139; einschränkend v. 8.3.2006 – 10 AZR 349/05, NZA 2006, 854 (nicht, wenn durch die Klausel nur finanzielle Ansprüche erledigt sein sollen); v. 31.7.2002 – 10 AZR 513/01, NZA 2003, 100. 3 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 30.1.2008 – 10 Sa 60/07, NZA-RR 2008, 508. 4 LAG Niedersachen v. 8.12.2005 – 7 Sa 1871/05, NZA-RR 2006, 426. 5 BAG v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157.
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Teil 1 Rz. 927
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
zung der Verschwiegenheitspflicht oder des Wettbewerbsverbotes jeder angebrochene Monat als eine erneute Verletzungshandlung“ gelte, benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 BGB, denn es ist nach Ansicht des BAG nicht erkennbar, wann eine „dauerhafte Verletzung“ vertraglicher Pflichten vorliegen soll, die zu einer monatlich erneut fällig werdenden Vertragsstrafe führt, und wann ein einmaliger Vertragsverstoß gegeben sein soll, für den nur eine einmalige Vertragsstrafe vorgesehen ist.1 (l) Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten 927
Vor allem wenn die Trennung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer ausgeht, hat der Arbeitgeber oftmals ein Interesse daran, in die Aus- und Weiterbildung des Arbeitnehmers investierte Mittel zumindest anteilig zurückzuerlangen. Hierfür werden häufig in Aus- und Weiterbildungsvereinbarungen Rückzahlungsklauseln vereinbart, nach denen der Arbeitnehmer einen gewissen Teil der Ausbildungskosten zu erstatten hat, wenn er vor einem bestimmten Termin aus dem Betrieb ausscheidet.
928
Diese Rückzahlungsvereinbarungen werden entweder bereits im Arbeitsvertrag oder als Zusatz vor einer konkreten Weiterbildungsmaßnahme vereinbart. Im Zusammenhang mit Aufhebungsverträgen stellt sich häufig die Frage, ob die Klausel wirksam ist und der Betrag für eine Fortbildungsmaßnahme mit einer möglicherweise zu vereinbarenden Abfindung verrechnet werden kann oder aber tatsächlich vom Arbeitnehmer zurückgezahlt werden muss. Daher soll ein kurzer Überblick über die Rechtslage bei Rückzahlungsvereinbarungen erfolgen.
929
Eine Kostenbeteiligung ist dem Arbeitnehmer um so eher zuzumuten, je größer der mit der Fortbildung verbundene berufliche Vorteil ist. Die Gegenleistung für die durch eine Rückzahlungsvereinbarung bewirkte Bindung kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer eine Ausbildung erhält, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder im Bereich des bisherigen Arbeitgebers berufliche Möglichkeiten eröffnet, die ihm zuvor verschlossen waren. Auch Fortbildungsmaßnahmen können für den Arbeitnehmer von geldwertem Vorteil sein, der eine Bindung rechtfertigen kann, sei es, dass er bei seinem bisherigen Arbeitgeber die Voraussetzungen einer höheren Vergütung erfüllt oder sich die erworbenen Kenntnisse auch anderweitig nutzbar machen lassen.2
930
Demgegenüber scheidet eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers in der Regel aus, wenn die Fortbildung nur innerbetrieblich von Nutzen ist oder lediglich der Auffrischung vorhandener Kenntnisse bzw. der Anpassung dieser Kenntnisse an vom Arbeitgeber veranlasste neuere betriebliche Gegebenheiten dient.3
931
Klauseln, nach denen sich der Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung beteiligen muss, wenn er vor Ablauf einer be1 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, NZA 2008, 170. 2 BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542; v. 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. 3 BAG v. 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937.
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 934 Teil 1
stimmten Frist aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (sog. Rückzahlungsklauseln) müssen zu ihrer Wirksamkeit ausdrücklich vereinbart werden.1 Sie sind auch unter Berücksichtigung der AGB-Vorschriften grds. zulässig.2 Die Bindungsklauseln dürfen den Arbeitnehmer allerdings nicht in der Wahl seines Arbeitsplatzes als Unterfall der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) unzumutbar beeinträchtigen. Insofern besteht ein Zusammenhang mit der Rückzahlung von Gratifikationen. Die Länge der Fortbildung indiziert nach Ansicht des BAG die Qualität der erworbenen Qualifikation und ist daher regelmäßig Maßstab für die Länge der Bindung an den Arbeitgeber.3 Das BAG hat folgende Leitlinien aufgestellt:
932
– Dauert die Fortbildung nicht länger als einen Monat ist eine Bindung bis zu sechs Monate möglich.4 – Dauert die Fortbildung bis zu zwei Monate, ist eine Bindung bis zu einem Jahr möglich.5 – Dauert die Fortbildung drei bis vier Monate, ist eine Bindung bis zu zwei Jahren möglich.6 – Dauert die Fortbildung sechs Monate bis ein Jahr, ist eine Bindung bis zu drei Jahren möglich.7 – Dauert die Fortbildung länger als zwei Jahre, ist eine Bindung bis zu fünf Jahren möglich.8 Allerdings kann im Einzelfall auch bei kürzerer Fortbildung eine verhältnismäßig lange Bindung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber ganz erhebliche Mittel aufwendet oder die Teilnahme an der Fortbildung dem Arbeitnehmer überdurchschnittlich große Vorteile bringt.9 Hohe Aufwendungen allein können eine verhältnismäßig lange Bindung in aller Regel allerdings nicht rechtfertigen. Unbeachtlich sind damit etwa die vom Arbeitgeber getragenen Reise- und Hotelkosten.10 Maßgeblich ist, in welchem Maße sich die beruflichen Chancen des Arbeitnehmers durch die Fortbildung erhöht haben.11
933
Unerheblich ist, ob die Vereinbarung vor oder nach Durchführung der Fortbildungsveranstaltung getroffen wurde. Kommt eine Rückzahlungsvereinbarung erst nach der Schulungsmaßnahme zu Stande, weil der Arbeitgeber für die Zei-
934
1 BAG v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937 m.w.N. 2 BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042 mit Nachweisen auf die Rechtsprechung vor Inkrafttreten der AGB-Vorschriften. 3 BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542; v. 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. 4 BAG v. 15.9.2009 – 3 AZR 173/08, NZA 2010, 342; v. 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. 5 BAG v. 15.12.1993 – 5 AZR 279/93, NZA 1994, 835. 6 BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. 7 BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. 8 BAG v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. 9 BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542; v. 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. 10 BAG v. 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. 11 BAG v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937.
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Teil 1 Rz. 935
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
ten der Teilnahme an der Fortbildung das Arbeitsentgelt einbehalten hat und sich der Arbeitnehmer im Gegenzug zur Zahlung des Arbeitsentgelts überlang binden musste, liegt keine besondere Situation vor, die dazu führen könnte, dass die allgemeinen Regeln der Überprüfung von Rückzahlungsklauseln bei überlanger Bindungsdauer nicht anzuwenden wären.1 935
Die Rückzahlungsverpflichtung muss des Weiteren an einen sachlichen Grund anknüpfen. Damit ist unzulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an jedes Ausscheiden des Arbeitnehmers zu knüpfen, das innerhalb der in der Klausel vorgesehenen Bleibefrist stattfindet. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden. Eine Klausel, nach der der Arbeitnehmer die Ausbildungskosten zurückzahlen muss, ohne dass es auf den Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ankommt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und ist unwirksam.2
936
Liegt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich in der Sphäre des Arbeitgebers, so ist die Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers ausgeschlossen.3
937
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss also grds. in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen. Das Rückzahlungsbegehren ist dann berechtigt, wenn das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitnehmers einvernehmlich beendet wird. Dazu gehört auch die Konstellation, wenn der Arbeitgeber aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers diesem außerordentlich kündigt. Etwas anderes gilt für den Fall der arbeitnehmerseitigen Kündigung nur dann, wenn die Kündigung auf einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB beruht, den der Arbeitgeber zu vertreten hat.4
938
Darlegungs- und Beweislast für die Tatsache, dass der Arbeitnehmer durch die Aus- oder Fortbildung einen beruflichen Vorteil erlangt hat, liegen beim Arbeitgeber.5
939
Eine Klausel, die der AGB-Kontrolle nicht standhält, ist grds. unwirksam und damit nichtig. Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nach § 306 BGB nicht in Betracht. Ausnahmsweise soll nach Ansicht des BAG die unzulässige Bindungsdauer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf eine zulässige zurückgeführt werden, wenn es wegen der einzelfallbezogenen Betrachtung für den Arbeitgeber objektiv schwierig gewesen sei, die zulässige Bindungsdauer im Einzelfall zu bestimmen. Sonst würde das Festhalten an dem Vertrag für den Arbeitgeber eine unzumutbare Härte darstellen. Wann ein solcher Fall vorliegen soll, lässt das BAG allerdings bedauerlicherweise offen.6
1 BAG v. 15.9.2009 – 3 AZR 173/08, NZA 2010, 342. 2 BAG v. 23.1.2007 – 9 AZR 482/06, NZA 2007, 748; v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042. 3 BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042; v. 6.5.1998 – 5 AZR 535/97, NZA 1999, 79. 4 BAG v. 23.1.2007 – 9 AZR 482/06, NZA 2007, 748; v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042. 5 BAG v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. 6 BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, NZA 2009, 666.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 943 Teil 1
(m) Betriebliche Altersversorgung Im Rahmen eines Aufhebungsvertrags sollte auch schriftlich fixiert werden, wie sich das Ausscheiden des Arbeitnehmers vor dem Versorgungsfall auf eine zugesagte betriebliche Altersversorgung auswirkt.
940
Dabei ist zu unterscheiden, ob der Arbeitnehmer eine verfallbare oder eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erlangt hatte. Wann die Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft eintreten soll, ist i.d.R. Gegenstand der Versorgungszusage oder ansonsten des BetrAVG. Allerdings darf die gesetzliche Mindestvorgabe des § 1b BetrAVG nicht individualvertraglich unterschritten werden. Seit dem 1.1.2009 ist eine Versorgungsanwartschaft nach § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG dann unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles, jedoch nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahre bestanden hat.1 Ist dies der Fall, so bleibt sie auch beim Ausscheiden des Arbeitnehmers vor dem Versorgungsfall zeitanteilig bestehen. Sind die Voraussetzungen für eine gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft beim Ausscheiden des Arbeitnehmers noch nicht erfüllt, behält der Arbeitnehmer die Versorgungsanwartschaft nur, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer dies abweichend von § 1b BetrAVG vereinbart haben, was z.B. durch Abrede im Arbeitsvertrag möglich ist.
941
" Praxistipp: Ist die Anwartschaft noch nicht unverfallbar geworden, so kann
942
Die Abfindung einer gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft ist nach § 3 BetrAVG nur in engen Grenzen und unter den Voraussetzungen der Abs. 2 bis 6 für sog. „geringfügige Vesorgungsanwartschaften“ möglich.2 Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG kann der Arbeitgeber eine Anwartschaft ohne Zustimmung des Arbeitnehmers abfinden, wenn der Monatsbetrag der aus der Anwartschaft resultierenden laufenden Leistung bei Erreichen der vorgesehenen Altersgrenze 1 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 4 SGB IV nicht übersteigen würde. Hierbei handelt es sich um das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr. Bezogen auf das Jahr 2009 können damit in Westdeutschland Monatsrenten i.H.v. Euro 25,20 und in Ostdeutschland i.H.v. Euro 21,35 aufgrund einseitigen Abfindungsverlangens des Arbeitgebers abgefunden werden. Bei jährlichen Kapitalleistungen liegt die Obergrenze bei 120 % der Bezugsgröße, bezogen auf das Jahr 2009 in Westdeutschland bei bis zu Euro 3 024 und in Ostdeutschland bei bis zu Euro 2 562. Der Arbeitnehmer kann allerdings von seinem Recht auf Übertragung der Anwartschaft (§ 4 Abs. 3 BetrAVG) Gebrauch machen und so das einseitige Abfindungsrecht des Arbeitgebers beseitigen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG.
943
von einer Benennung im Aufhebungsvertrag ganz abgesehen werden. Zweckmäßig erscheint zur Klarstellung ein Hinweis darüber, dass die Anwartschaft verfallbar war.
1 Für Altfälle gelten gestuft abweichende Regelungen, abhängig davon, ob die Versorgungsanwartschaft bis zum 31.12.2000 oder bis zum 31.12.2008 zugesagt wurde. Siehe hierzu § 30f Satz 1 BetrAVG. 2 Siehe hierzu Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 286 ff.
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Teil 1 Rz. 944
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
944
Auf Wunsch des Arbeitnehmers hin kann die Anwartschaft abgefunden werden, nachdem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden sind, vgl. § 3 Abs. 3 BetrAVG.
945
Nach § 3 Abs. 4 BetrAVG kann der Teil der Anwartschaft, der während eines Insolvenzverfahrens erdient worden ist, ohne Zustimmung des Arbeitnehmers abgefunden werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird.
946
Die Abfindung ist nach § 3 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 BetrAVG zu berechnen. Sie entspricht damit bei einer unmittelbar über den Arbeitgeber oder über eine Unterstützungskasse durchgeführten betrieblichen Altersversorgung dem Barwert der nach § 2 bemessenen künftigen Versorgungsleistung im Zeitpunkt der Übertragung. Soweit die betriebliche Altersversorgung über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt worden ist, entspricht die Abfindung dem gebildeten Kapital im Zeitpunkt der Übertragung.
947
§ 3 Abs. 6 BetrAVG regelt die Modalitäten der Auszahlung. Hiernach ist die Abfindung gesondert auszuweisen und einmalig zu zahlen.
948
Durch die zusätzlichen Voraussetzungen soll gewährleistet werden, dass dem Arbeitnehmer die Leistungen bei Eintritt des Versorgungsfalls auch tatsächlich zur Verfügung stehen.1 Daher sind auch Teilabfindungen von dem Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG umfasst.2 Ein Verstoß gegen das gesetzliche Verbot des § 3 BetrAVG führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der getroffenen Verrechnungsabrede im Aufhebungsvertrag.3 Der Arbeitnehmer kann im Versorgungsfall seine Betriebsrente ungekürzt verlangen. Die gezahlte Abfindung darf der Arbeitgeber allerdings nach Bereicherungsrecht zurückfordern. Dem steht § 817 Satz 2 BGB nicht entgegen.4
949
Eine Erledigungsklausel im Aufhebungsvertrag erfasst vertraglich vereinbarte Versorgungsansprüche und -anwartschaften nur dann, wenn diese ausdrücklich und unmissverständlich bezeichnet sind.5 Eine nach § 1b BetrAVG unverfallbare gesetzliche Anwartschaft kann jedoch nicht abbedungen werden, denn § 3 BetrAVG verbietet nicht nur eine Abfindung, sondern auch den entschädigungslosen Erlass einer unverfallbaren Anwartschaft.6 (n) Dienstwagen
950
Vor allem bei Führungskräften gehört ein Dienstwagen zu den freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers. Probleme ergeben sich im Zusammenhang mit Auf1 Langohr-Plato/Teslau, NZA 2004, 1297 (1298 f.). 2 BAG v. 20.11.2001 – 3 AZR 28/01, DB 2002, 2333. 3 BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 7/00, NZA 2001, 963; v. 24.3.1998 – 3 AZR 800/96, DB 1998, 1340. 4 BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 7/00, NZA 2001, 963. 5 BAG v. 9.12.1997 – 3 AZR 661/96, NZA 1998, 1173; v. 27.2.1990 – 3 AZR 213/88, NZA 1990, 689. 6 BAG v. 14.8.1990 – 3 AZR 301/89, NZA 1991, 174.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 956 Teil 1
hebungsverträgen, wenn der Arbeitgeber sofort die Rückgabe des PKW verlangt, ohne den Arbeitnehmer freizustellen oder das Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt enden soll und der Arbeitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt von der Arbeitsleistung freigestellt ist. Wurde der Dienstwagen dem Arbeitnehmer ausschließlich zu dienstlichen Zwecken überlassen, kann der Arbeitgeber mit der Freistellung die Herausgabe des Wagens verlangen. Denn in diesem Fall hat die Überlassung keinen Vergütungscharakter.1 Der Arbeitnehmer kann kein Zurückbehaltungsrecht wegen eventueller rückständiger Vergütungsforderungen geltend machen.2
951
Ist der Arbeitnehmer allerdings berechtigt, den Dienstwagen auch privat vollumfänglich zu nutzen, handelt es sich bei der Nutzung regelmäßig um einen Vergütungsbestandteil, den der Arbeitgeber nicht einseitig kürzen darf.3 Der Arbeitgeber ist daher grds. nicht nur verpflichtet, dem Arbeitnehmer während der Freistellung sein Gehalt weiterzuzahlen, sondern ihm auch die Nutzung des Firmenfahrzeugs zu Privatzwecken weiter zu ermöglichen.
952
Aber auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer den PKW privat nutzen durfte, liegt es im Interesse des Arbeitgebers, den PKW vorzeitig zurück zu erlangen. Sieht eine Dienstwagenregelung die vorzeitige Rückgabe des PKW vor, so schuldet der Arbeitgeber Ersatz des Nutzungsausfallschadens i.S.v. §§ 249, 251 BGB. Dieser Anspruch beträgt auf der Grundlage der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) monatlich 1 % des Listenpreises des Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung.4
953
Für die Frage, ob der Arbeitgeber aufgrund eines Widerrufsvorbehalts die sofortige Herausgabe verlangen kann und inwiefern er in diesem Fall Nutzungsersatz zu leisten hat, ist die Rechtsprechung des BAG zur Wirksamkeit solcher Klauseln im Zusammenhang mit den §§ 305 ff. BGB zu Grunde zu legen:
954
Ein arbeitgeberseitig vorformulierter Dienstwagenüberlassungsvertrag unterliegt der AGB-Kontrolle. Eine Vertragsklausel die den Arbeitnehmer verpflichtet, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen ihm zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagen zurückzugeben und dennoch für die restliche Laufzeit des Leasingvertrags die anfallenden Raten in einem Einmalbetrag zu zahlen, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 BGB und ist unwirksam.5
955
Behält sich der Arbeitgeber in einem solchen vorformulierten Vertrag den Widerruf der Nutzungsmöglichkeit vor, so muss das Widerrufsrecht an einen sachlichen Grund gebunden sein. Verwendet der Arbeitgeber in einem Dienstwagenvertrag eine Vorbehaltsbestimmung, die ihn jederzeit und aus jedem Anlass zum Widerruf der Privatnutzung des Dienstwagens berechtigt, so benachteiligt
956
1 BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809. 2 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 236. 3 BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809; v. 5.9.2002 – 8 AZR 702/01, NZA 2003, 973. 4 BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809; v. 27.5.1999 – 8 AZR 415/98, NZA NZA 1999, 1038. 5 BAG v. 9.9.2003 – 9 AZR 574/02, NZA 2004, 484.
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Teil 1 Rz. 957
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
dies den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 BGB. Auch aus Gründen des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist eine Widerrufsklausel so zu fassen, dass der Arbeitnehmer weiß, in welchen Fällen er mit der Ausübung des Widerrufs rechnen muss.1 Dem wird eine Klausel, wonach der Arbeitgeber die Überlassung des Dienstwagens aus wirtschaftlichen Gründen widerrufen kann, nicht gerecht. Hierin liegt eine unzumutbare Benachteiligung des Arbeitnehmers i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB, weil für diesen nicht erkennbar ist, wann der Arbeitgeber die wirtschaftlichen Gründe als gegeben ansieht.2 957
Als sachlicher Grund kommt im Zusammenhang mit Aufhebungsverträgen die berechtigte Freistellung des Arbeitnehmers in Betracht.3
958
Darüber hinaus ist der Widerruf nur zulässig, wenn der geldwerte Vorteil der Privatnutzung weniger als 25 % der Gesamtvergütung beträgt. Anderenfalls kommt lediglich einer Änderungskündigung in Betracht. Der Widerruf muss des Weiteren billigem Ermessen i.S.v. § 315 Abs. 3 BGB entsprechen.4
959
Entzieht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Dienstwagen, obwohl dieser zur weiteren Nutzung berechtigt ist, macht er sich schadensersatzpflichtig.5 Auch insoweit hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Nutzungsausfallschaden i.S.v. §§ 249, 251 BGB zu ersetzen. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall. Gibt der Arbeitnehmer den Dienstwagen trotz entsprechender Verpflichtung nicht zurück, macht er sich schadenersatzpflichtig und ggf. sogar strafbar nach § 248b StGB.6 Von einer Strafanzeige ist allerdings solange abzuraten, bis gesicherte Erkenntnisse vorliegen, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, den Dienstwagen zurückzugeben.
960
" Praxistipp: Aufgrund der vielfältigen Probleme, die sich in Bezug auf die
weitere Nutzung eines Dienstwagens stellen, sollten die Modalitäten der weiteren Nutzung und Herausgabe vollumfänglich und abschließend im Aufhebungsvertrag festgelegt werden. Der Übergabetermin sollte mit zeitlicher und örtlicher Angabe gesondert vermerkt werden.
u
Musterformulierung:
961
Herr/Frau … verpflichtet sich, den ihm/ihr überlassenen Dienstwagen der Marke … mit dem Kennzeichen … einschließlich der Wagenpapiere sofort/bis spätestens zum … an den Arbeitgeber zurückzugeben.
optional Der Arbeitgeber verpflichtet sich, Herrn/Frau … für die vorzeitige Rückgabe eine Nutzungsentschädigung i.H.v. Euro … zu zahlen, die zum … fällig wird.
1 2 3 4 5 6
BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/07, NZA 2007, 809. BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 113/09 (juris). BAG v. 17.9.1998 – 8 AZR 791/96, ArbuR 1999, 111. BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/07, NZA 2007, 809. Zur Berechnung siehe Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 252. Siehe hierzu Bauer, Teil IV Rz. 200.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 967 Teil 1
(o) Werkwohnung Sofern der Arbeitnehmer eine Werkwohnung gemietet hat, sind die damit zusammenhängenden Modalitäten im Aufhebungsvertrag zu regeln.
962
Bei der Werkwohnung handelt es sich um Wohnraum, der dem Arbeitnehmer und seinen Angehörigen mit Rücksicht auf ein bestehendes Arbeitsverhältnis überlassen wird, vgl. §§ 576, 576a, 576b BGB. Zu unterscheiden ist zwischen Werkmiet- und Werkdienstwohnung.
963
Werkmietwohnungen sind nach § 576 Abs. 1 BGB Wohnungen, die mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis vermietet werden. Hier bestehen Arbeits- und Mietvertrag selbständig nebeneinander, sodass die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses nicht automatisch zur Beendigung des Mietverhältnisses führt. Hierfür bedarf es einer separaten Kündigung bzw. Aufhebungsvereinbarung.
964
" Praxistipp: Im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung sollten vor allem
965
Werkdienstwohnungen hingegen werden im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses überlassen, § 576b Abs. 1 BGB. Es liegt hier ein einheitlicher Vertrag mit überwiegend arbeitsrechtlichen Elementen vor. Die Überlassung der Wohnung ist hier Teil der Vergütung.1 Ein eigenständiger Mietvertrag wird nicht geschlossen. Damit verliert der Arbeitnehmer mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses grds. das Nutzungsrecht an der Wohnung. Einer gesonderten Aufhebungsvereinbarung bedarf es nicht.
966
der Auszugstermin und Fragen bzgl. Renovierungsarbeiten festgelegt werden. Bei der Vereinbarung einer Vertragsstrafe ist § 571 Abs. 1, 3 BGB zu beachten, wonach eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers oder Vereinbarungen unwirksam sind, die dem Arbeitnehmer das Recht nehmen, sich gegenüber dem Schadensersatzanspruch auf Billigkeitsgründe zu berufen.
u
Musterformulierung:
Herr/Frau … wird die Werkwohnung in der …straße in … bis zum … räumen und dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. optional
Die bisher als Werkwohnung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zwischen Herrn/ Frau … und dem Arbeitgeber genutzte Wohnung in der …straße in … wird mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum … zu den nachstehenden Bedingungen weitervermietet:
1 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2 Rz. 266.
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967
Teil 1 Rz. 968
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
(p) Arbeitspapiere 968
Wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet, so hat der Arbeitgeber die in seinem Besitz befindlichen Arbeitspapiere ordnungsgemäß ausgefüllt an den Arbeitnehmer herauszugeben. Hiervon umfasst sind vor allem das Zeugnis (vgl. § 109 GewO), die Lohnsteuerkarte (§ 39, 41b EStG), die Arbeitsbescheinigung (§ 312 SGB III) sowie die Urlaubsbescheinigung (§ 6 Abs. 2 BUrlG). Die zu übergebenden Papiere sollten im Aufhebungsvertrag aufgezählt werden.
u
Musterformulierung:
969
Der Arbeitgeber wird Herrn/Frau … eine Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III ausstellen. Als Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird … angegeben.
(q) Zeugnis 970
Auch wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst wurde, hat der Arbeitnehmer nach § 109 GewO einen Anspruch auf Zeugniserteilung.1 Dieser wird spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist oder bei tatsächlichem Ausscheiden des Arbeitnehmers fällig.2
971
Der Inhalt des Zeugnisses, zumindest aber die Bewertung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber sollte, um späteren Streit zu vermeiden, bereits in der Aufhebungsvereinbarung so weit wie möglich festgelegt werden. So kann der Arbeitgeber verpflichtet werden, ein „gutes“ Zeugnis zu erstellen, oder es können stichwortartig die Inhalte benannt werden. Soweit dies zeitlich möglich ist, erscheint es zweckmäßig, den Text des Zeugnisses als Anlage zum Aufhebungsvertrag anzuhängen.
972
In der Praxis wird auch häufig vereinbart, dass der Arbeitnehmer das Zeugnis formuliert und dieses dem Arbeitgeber vorlegt, der dann nur noch aus besonderen Gründen von der Formulierung des Arbeitnehmers abweichen darf.
u
Musterformulierung:
973
Der Arbeitgeber wird Herrn/Frau … ein gutes, qualifiziertes Endzeugnis einschließlich Dank- und Bedauernsformel und Ehrlichkeitsvermerk erteilen, das ihn/sie in ihrem beruflichen Fortkommen nachhaltig fördert. optional Der Arbeitgeber wird Herrn/Frau … das in Anlage beigefügte Zeugnis ausstellen.
1 Hierzu ausführlich Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 2.II.2.n). 2 BAG v. 27.2.1987 – 5 AZR 710/85, NZA 1987, 628.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 979 Teil 1
optional Herr/Frau … ist berechtigt, einen Zeugnis-Entwurf zu fertigen, von dem der Arbeitgeber nur noch aus erheblichen Gründen abweichen darf.
(r) Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht Der Arbeitgeber kann mit eigenen Geldforderungen gegen Ansprüche des Arbeitnehmers aufrechnen, vgl. §§ 387 ff. BGB. Hierbei sind allerdings nach § 394 Satz 1 BGB die Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff. ZPO zu beachten. Um die wechselseitige Geltendmachung von Ansprüchen zu vermeiden kann im Aufhebungsvertrag ein Aufrechnungsverbot vereinbart werden.1
974
Der Arbeitgeber kann sich gegenüber arbeitnehmerseitigen Ansprüchen aus dem Aufhebungsvertrag auf sein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB berufen, soweit ihm ein erfüllbarer und fälliger Gegenanspruch zusteht. Kein Zurückbehaltungsrecht besteht allerdings in Bezug auf die Arbeitspapiere.2
975
Auch die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts kann im Aufhebungsvertrag abbedungen werden.
976
u
Musterformulierung:
Die Aufrechnung mit gegenüber der anderen Partei bestehenden Ansprüchen ist ausgeschlossen. Ein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen besteht ebenfalls nicht.
977
(s) Sozial- und Steuerrechtliche Konsequenzen Um etwaige Schadensersatzforderungen wegen Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten zu vermeiden, wird Arbeitgebern vielfach geraten, im Aufhebungsvertrag festzuhalten, dass Hinweise auf etwaige sozial- oder steuerrechtliche Folgen erfolgt sind oder dass dem Arbeitnehmer mitgeteilt wurde, dass verbindliche Auskünfte nur die zuständigen Stellen erteilen können.
978
Zwar sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die zuständige Stelle verweisen. Das folgt bereits aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.V.m. § 38 Abs. 1 SGB III. Allerdings empfiehlt es sich m.E. nicht, diesen Hinweis in die Aufhebungsvereinbarung selbst aufzunehmen. Insoweit besteht nämlich die Gefahr, dass „schlafende Hunde geweckt“ werden, soweit der Aufhebungsvertrag der Agentur für Arbeit vorgelegt wird. Sinnvoller erscheint es deshalb, diesen Hinweis oder den Hinweis auf eine bereits erfolgte Belehrung in einem Sideletter zum Aufhebungsvertrag aufzunehmen, der Dritten nicht vorgelegt wird.
979
1 Bauer, Teil 4 Rz. 372. 2 BAG v. 20.12.1958 – 2 AZR 336/56, DB 1959, 175.
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Teil 1 Rz. 980 980
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Ausführlich zu den Hinweis- und Aufklärungspflichten unter Rz. 759 ff. und zu den steuer- und sozialrechtlichen Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Teilen 13 und 14. (t) Ausgleichsklausel
981
Um eine sichere und endgültige Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten, wird in der Praxis häufig eine sog. Erledigungsklausel in den Aufhebungsvertrag aufgenommen. Hierbei handelt es sich um eine wechselseitige Erklärung der Vertragspartner, dass mit Erfüllung der Aufhebungsvereinbarung sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung – bekannt oder unbekannt – vollständig ausgeglichen und endgültig erledigt sind und dass keine der Vertragsparteien im Nachhinein weitere Ansprüche als die anlässlich des Ausscheidens geregelten Ansprüche geltend machen wird (sog. „große“ Ausgleichsklausel).1
982
Im Interesse klarer Verhältnisse sind Ausgleichsklauseln grds. weit auszulegen, da die Parteien in einem Aufhebungsvertrag in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen wollen, gleichgültig ob sie daran dachten oder nicht.2
u
Musterformulierung:
983
984
Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, bekannt oder unbekannt, erledigt. Durch eine Ausgleichsklausel kann eine Vielzahl von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis als erledigt erklärt werden. Dagegen umfasst eine allgemeine Ausgleichsklausel folgende Ansprüche nicht:
– – – –
Anspruch auf Arbeitnehmererfindervergütung. Anspruch auf Herausgabe der Arbeitspapiere. Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. Ansprüche auf gesetzlichen Mindesturlaub bzw. gesetzliche Urlaubsabgeltung. – Tarifliche Rechte und Rechte aus einer Betriebsvereinbarung, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG bzw. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG. Ein Verzicht ist nur mit Zustimmung des Kollektivvertragspartners möglich. Auch auf eine Sozialplanabfindung i.S.v. § 112 BetrVG kann im Wege einer Erledigungsklausel nicht verzichtet werden. Der Sozialplan hat nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung, weswegen auch auf Ansprüche aus einem 1 MünchArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 276. 2 BAG v. 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318; v. 22.10.2008 – 10 AZR 617/07, NZA 2009, 139.
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Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 989 Teil 1
Sozialplan nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats verzichtet werden kann. – Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses.1 Vorformulierte Ausgleichsklauseln im Aufhebungsvertrag unterliegen zwar grds. der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB.2 Ausgleichs- und Abgeltungsklauseln sind allerdings typischerweise Inhalt von Aufhebungsverträgen und stellen damit keine überraschenden Klauseln i.S.v. § 305c BGB dar.3 Eine allgemeine Ausgleichsklausel, nach welcher sämtliche Ansprüche „gleich nach welchem Rechtsgrund sie entstanden sein mögen, abgegolten und erledigt sind“, wird allerdings dann nicht Vertragsinhalt, wenn der Verwender sie in eine Erklärung mit falscher oder missverständlicher Überschrift ohne besonderen Hinweis oder drucktechnische Hervorhebung einfügt.4
985
Nach Ansicht des BAG stellt der ohne Gegenleistung erklärte, formularmäßige Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.5 Eine dahingehende Vereinbarung ist unwirksam mit der Folge, dass der Arbeitnehmer entgegen der Vereinbarung Kündigungsschutzklage erheben kann.
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" Praxistipp: Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist darauf zu ach-
987
ten, dass der Arbeitnehmer durch den Verzicht auf seine Ansprüche eine „kompensatorische Gegenleistung“ erhält, etwa durch Zahlung einer Abfindung oder eine verlängerte Auslauffrist. Dann handelt es sich bei einer solchen Vereinbarung um eine Hauptabrede (und zwar unabhängig davon, welche Höhe die Gegenleistung hat), die nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur auf ihre Transparenz hin kontrollierbar ist.6
d) Mängel und Beseitigung von Aufhebungsverträgen aa) Unwirksamkeit Aufhebungsverträge können wie alle Rechtsgeschäfte unter Entstehungsmängeln leiden. Um eine Unwirksamkeit nach § 105 BGB annehmen zu können, reicht es allerdings nicht aus, wenn der Arbeitnehmer nach seinen Angaben vollkommen oder erheblich verwirrt ist.7
988
Neben dem Fehlen der nach § 623 BGB vorgeschriebenen Schriftform, die nach § 125 BGB zur Nichtigkeit der Aufhebungsvereinbarung führt, kommt in der Praxis dem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB eine große Bedeutung zu. Hier sind insbesondere Vereinbarungen zu nennen, die gesetzliche Vorschriften zu umgehen versuchen. Unwirksam ist beispielsweise eine
989
1 MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 280. 2 BAG v. 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318; v. 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, NZA 2005, 1193. 3 BAG v. 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318. 4 BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, NZA 2005, 1193. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219. 6 Bauer/Günther, NJW 2008, 1617; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGb Rz. 77. 7 BAG v. 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91.
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Teil 1 Rz. 990
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Abrede, wonach das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Arbeitnehmer nach dem Ende seines Urlaubs die Arbeit an dem vereinbarten Tag nicht wieder aufnimmt.1 Eine Umgehung von § 613a Abs. 4 BGB liegt vor, wenn der Arbeitgeber im Zuge einer Betriebsveräußerung einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer abschließt und zugleich ein neues Arbeitsverhältnis zum Betriebsübernehmer vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wird.2 Allerdings wenden sich die allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzbestimmungen, beispielsweise des KSchG, MuSchG oder des SGB IX nicht gegen die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses an sich, weswegen der Aufhebungsvertrag nicht per se wegen Umgehung der Kündigungsnormen unwirksam ist.3 990
Zur Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages nach § 138 BGB bedarf es eines Verstoßes gegen die guten Sitten bzw. eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ein Aufhebungsvertrag ist jedenfalls nicht deshalb sittenwidrig, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine Bedenkzeit oder kein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, um die Annahme zu rechtfertigen, das Geschäft sei nach seinem Gesamtcharakter gemäß § 138 BGB als sittenwidrig und damit als nichtig anzusehen.4 Diese hohen Voraussetzungen werden in der Praxis kaum erfüllt werden. Soweit ersichtlich, gibt es bisher keine höchstrichterliche Entscheidung, nach der ein Aufhebungsvertrag gegen die guten Sitten verstoßen hat. bb) Anfechtung
991
Aufhebungsverträge können von den beteiligten Parteien nach den §§ 119, 123 BGB angefochten werden. Liegt einer der in diesen Vorschriften genannten Gründe vor, so ist der Aufhebungsvertrag nach § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig.
992
Da das Anfechtungsrecht von Gesetzes wegen besteht, hat ein im Aufhebungsvertrag vereinbarter Verzicht auf das Anfechtungsrecht keine rechtliche Wirkung.5
993
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen liegt grds. beim Anfechtenden.6 Dies wird in der Regel der Arbeitnehmer sein. Bei einer Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass der Arbeitgeber als verständiger Arbeitgeber nicht annehmen durfte, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei un1 BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 1890. 2 BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144; v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866; v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198. 3 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 3 Rz. 4. 4 BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. 5 Bauer, Teil 1 Rz. 192. 6 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; v. 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 997 Teil 1
zumutbar und deshalb die Kündigung gerechtfertigt. Da es sich dabei jedoch um einen Negativbeweis handelt, genügt hierfür zunächst eine entsprechende pauschale Behauptung. Wegen der Schwierigkeiten des Negativbeweises ist von dem Arbeitgeber als Anfechtungsgegner nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positive sprechenden Tatsachen und Umstände zu verlangen. Der Arbeitgeber hat damit im Einzelnen darzulegen, dass er in vertretbarer Weise einen Kündigungsgrund annehmen durfte. Nur die von dem Arbeitgeber in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände braucht der beweispflichtige Arbeitnehmer dann zu widerlegen.1 (1) Inhalts-/Erklärungsirrtum Arbeitnehmer und Arbeitgeber können einen Aufhebungsvertrag wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn sie sich bei der Unterzeichnung über Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung geirrt haben. Hierfür trägt der Irrende auch die Darlegungs- und Beweislast.2
994
Eine werdende Mutter kann sich nicht mit der Behauptung auf § 119 Abs. 1 BGB berufen, sie habe bei Abschluss des Aufhebungsvertrags ihre Schwangerschaft nicht gekannt. Hierbei handelt es sich lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt.3 Nicht anderes gilt für einen schwerbehinderten Menschen, der einen Aufhebungsvertrag in Unkenntnis seiner Schwerbehinderung unterzeichnet hat. Um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt es sich auch, wenn sich der Arbeitnehmer über die aus dem Abschluss des Aufhebungsvertrags ergebenden Nachteile, wie den Eintritt einer Sperrfrist für den Bezug von Arbeitslosengeld, irrt.4
995
Von einem bloßen Rechtsirrtum, der ebenfalls nicht zur Anfechtung berechtigt, ist auszugehen, wenn sich der Arbeitnehmer im Unklaren darüber ist, dass er durch Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags den besonderen Kündigungsschutz nach dem MuSchG oder dem KSchG verliert.5
996
(2) Arglistige Täuschung/Widerrechtliche Drohung (a) Arglistige Täuschung Der Aufhebungsvertrag kann wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB dann angefochten werden, wenn der Arbeitnehmer zur Abgabe seiner Willenserklärung durch bewusstes Vorspiegeln falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen seitens des Arbeitgebers veranlasst worden ist.
1 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 2 Vgl. LAG Düsseldorf v. 22.6.2001 – 14 Sa 491/01, NZA-RR 2002, 12. 3 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NZA 1992, 790 (zur Eigenkündigung der Arbeitnehmerin); ebenso KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 153 m.w.N. 4 BAG v. 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811. 5 BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NZA 1992, 790 (allerdings in anderem Zusammenhang).
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201
997
Teil 1 Rz. 998
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
998
Erklärt etwa der Arbeitgeber wider besseres Wissen, der Abschluss eines Aufhebungsvertrags beeinträchtige den allgemeinen oder besonderen Kündigungsschutz nicht und unterzeichnet der Arbeitnehmer dadurch den Aufhebungsvertrag, so liegt eine arglistige Täuschung durch den Arbeitgeber vor. Demgegenüber führt das bloße Verschweigen dieser Tatsache nicht zur Anfechtungsberechtigung, da den Arbeitgeber keine Pflicht zur Aufklärung über das Eingreifen von allgemeinem oder besonderem Kündigungsschutz trifft.1
999
Eine arglistige Täuschung ist auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erklärt, er müsse den Betrieb stilllegen, obwohl tatsächlich ein Betriebsübergang geplant ist oder bereits feststeht, und er den Arbeitnehmer hierdurch zur Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag verleitet.2
1000
Wahrheitswidrige Angaben des Arbeitgebers über mögliche sozialversicherungsrechtliche Sperr- und Ruhenszeiten führen allenfalls zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers, nicht jedoch zu einem Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung.3 (b) Widerrechtliche Drohung
1001
Eine Anfechtung kommt auch dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer durch eine widerrechtliche Drohung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags veranlasst worden ist. Eine widerrechtliche Drohung i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird.4
1002
Für die Beurteilung, ob eine Drohung vorliegt, ist nicht allein auf das Gespräch abzustellen, in Zuge dessen es zum Abschluss des Aufhebungsvertrags kommt, sondern auf die gesamten Umstände, die zur Abgabe einer Willenserklärung führten. Die Drohung muss nicht ausgesprochen werden und kann auch durch ein schlüssiges Verhalten erfolgen.5
1003
Eine widerrechtliche Drohung kann der Arbeitgeber mit Hilfe verschiedener, im Folgenden genannter „Mittel“ aussprechen. (aa) Kündigung
1004
Das in der Praxis häufigste Drohmittel ist die Drohung mit einer Kündigung. Die Androhung des Arbeitgebers, etwa, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einen Aufhebungsvertrag abschließe, stellt die Ankündigung eines
1 2 3 4 5
Bauer, Teil 1 Rz. 195; Ehrich, DB 1992, 2239 (2240); Meisel/Sowka, § 9 MuSchG Rz. 74. BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. BAG v. 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811. BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841. BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841; v. 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 1011 Teil 1
zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt.1 Allerdings reicht die alleinige Drohung mit der Kündigung nicht aus, vielmehr muss die Drohung widerrechtlich i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB sein. Das ist der Fall, wenn ein verständiger Arbeitgeber in vergleichbarer Situation eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.2 Ein verständiger Arbeitgeber muss allerdings kein „Idealarbeitgeber“ mit ganz hervorragenden Arbeitsrechtskenntnissen und außergewöhnlichem sozialem Engagement sein.3
1005
Für einen „verständigen“ Arbeitgeber ist es nicht erforderlich, dass sich die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von dem Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung generell die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen.4
1006
Damit gelten für eine in Aussicht gestellte ordentliche Kündigung andere Voraussetzungen als für die außerordentliche Kündigung.
1007
Für die Drohung mit einer ordentlichen Kündigung gilt Folgendes:
1008
Möchte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden und stützt er dies auf verhaltensbedingte Gründe, welche regelmäßig einer vorherigen Abmahnung bedürfen, so darf er eine ordentliche Kündigung nur dann androhen, wenn er den Arbeitnehmer bereits wegen eines gleichartigen Vertragsverstoßes abgemahnt hat.5
1009
Plant der Arbeitgeber, das Arbeitsverhältnis aufgrund personenbedingter Gründe einvernehmlich zu beenden, so ist das In-Aussicht-Stellen einer ordentlichen Kündigung nur dann zulässig, sofern nach seinem objektiv möglichen und hypothetischen Wissensstand die Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung gegeben sind.6
1010
Etwas anderes muss nach Einführung des § 84 Abs. 2 SGB IX über die Vorschriften des sog. betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) für Krankheitsfälle gelten. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist zwar nicht per se unwirksam, wenn kein BEM durchgeführt worden ist. Allerdings führt ein unterlasse-
1011
1 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841; v. 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731. 2 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841; v. 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731. 3 BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030. 4 BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841; v. 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731. 5 BAG v. 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023. 6 MüArbR/Bengelsdorf, § 46 Rz. 328; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 3 Rz. 43.
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Teil 1 Rz. 1012
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
nes BEM zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitgeber darf sich im Kündigungsschutzprozess nicht darauf beschränken pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine „freien Arbeitsplätze“, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr einer umfassenden, konkreten Darlegung des Arbeitgebers, dass und warum der Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist und warum auch eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann.1 Ob deshalb allein die Drohung mit einer personenbedingten – krankheitsbedingten – Kündigung heute noch zulässig ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Das BAG hat – soweit ersichtlich – dazu noch nicht Stellung genommen. 1012
Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen betriebsbedingter Gründe beenden, so darf er dem Arbeitnehmer für den Fall der fehlenden Einigung nur dann eine ordentliche Kündigung in Aussicht stellen, wenn dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen, die eine Weiterbeschäftigung auf einem vergleichbaren freien Arbeitsplatz nicht ermöglichen und vom Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 KSchG ausreichend berücksichtigt sind.2
1013
Demgegenüber gilt für die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung:
1014
Mit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung für den Fall, dass der Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag nicht unterschreibt, darf nur gedroht werden, wenn der Arbeitnehmer einer strafbaren Handlung überführt ist oder nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten gegen den Arbeitnehmer ein dahingehender schwerwiegende Verdacht besteht.3 (bb) Drohung mit anderen Mitteln
1015
Bloßer Zeitdruck infolge Drängens auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags berechtigt den Arbeitnehmer nicht zur Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung. Ebenso unschädlich ist es, wenn der Arbeitgeber erbetene Bedenkzeit seitens des Arbeitnehmers ablehnt.4
1016
Die Drohung des Arbeitgebers, er werde dem Arbeitnehmer ein „schlechtes“ Zeugnis ausstellen, wenn dieser einen Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnet, kann eine widerrechtliche Drohung darstellen.5
1 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015. 2 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 3 Rz. 45. 3 BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597; siehe für eine Auflistung der Fälle, in denen der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 3 Rz. 47. 4 BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. 5 BAG v. 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77, DB 1980, 1450.
204
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 1022 Teil 1
Im entgegengesetzten Fall, also wenn der Arbeitgeber androht, er werde kein „gutes Zeugnis“ ausstellen, ist die Drohung nicht in jedem Fall widerrechtlich. Vielmehr müssen die entsprechenden „guten“ Leistungen des Arbeitnehmers auch tatsächlich vorgelegen haben, um den Anspruch auf ein gutes Zeugnis zu begründen. Es besteht nämlich nicht per se ein Anspruch auf ein „gutes“ Zeugnis, sondern nur auf ein wohlwollendes, wahrheitsgemäßes – qualifiziertes – Zeugnis gem. § 630 BGB.1 Damit ist eine Drohung des Arbeitgebers, er werde kein gutes Zeugnis ausstellen, nur dann widerrechtlich, wenn der Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf ein gutes Zeugnis hatte.
1017
Soweit dem Arbeitnehmer kein gesetzlicher Abfindungsanspruch zusteht, ist die Drohung des Arbeitgebers, eine Abfindung nur bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu zahlen, nicht als widerrechtlich anzusehen.2
1018
Mit einer Betriebsratsanhörung darf der Arbeitgeber in jedem Fall drohen. Da diese gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung und damit notwendiger Bestandteil einer eventuellen Kündigung ist, kann die Androhung nicht widerrechtlich sein.3
1019
Mit einer Schadensersatzforderung darf der Arbeitgeber nur drohen, wenn der geplante Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit der angedrohten Geltendmachung von Schadensersatz in einem inneren Zusammenhang steht.4 Es gelten die Grundsätze zur Drohung mit einer Strafanzeige entsprechend.
1020
Mit einer Strafanzeige darf nicht in jedem Fall gedroht werden. Sind die Verdachtsmomente völlig haltlos, so ist die Drohung widerrechtlich.5 Dagegen darf bei einem bestehenden Anfangsverdacht mit einer Strafanzeige gedroht werden, solange keine unwahren oder verfälschenden Angaben gegenüber den Strafverfolgungsbehörden in Aussicht gestellt werden.6 Die Widerrechtlichkeit der Strafanzeige beurteilt sich in erster Linie danach, ob ein verständiger Arbeitgeber eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen würde.
1021
Die Drohung mit einer Strafanzeige ist auch nur dann rechtmäßig, wenn das Begehren des Drohenden mit einer Straftat in einem inneren Zusammenhang steht. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein arbeitsunfähig krankgeschriebener Arbeitnehmer während des Entgeltfortzahlungszeitraums bei einem anderen Arbeitgeber tätig ist und sich dieses Fehlverhalten für seinen Arbeitgeber als Verletzung der Arbeitspflicht sowie als Entgeltfortzahlungsmissbrauch darstellt.7
1022
1 2 3 4 5 6 7
LAG Brandenburg v. 16.10.1997 – 3 Sa 196/97, NZA-RR 1998, 248. LAG Brandenburg v. 16.10.1997 – 3 Sa 196/97, NZA-RR 1998, 248. LAG Baden-Württemberg v. 6.12.1973 – 7 Sa 63/73, BB 1974, 185. BAG v. 22.10.1998 – 8 AZR 457/97, NZA 1999, 417. LAG Baden-Württemberg v. 29.12.1966 – 4 Sa 85/66, DB 1967, 290. LAG Köln v. 4.5.1998 – 11 Ta 15/98, NZA-RR 1999, 12. BAG v. 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91.
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Teil 1 Rz. 1023
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
cc) Rücktritt und Widerruf 1023
Damit die Vertragsparteien von einem Aufhebungsvertrag zurücktreten oder diesen widerrufen können, bedarf es eines entsprechenden gesetzlichen, kollektiv- oder individualvertraglich eingeräumten Rechts.
1024
Ein gesetzliches Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1 Satz Nr. 1 BGB zu Gunsten des Arbeitnehmers besteht nicht, da es sich bei dem Aufhebungsvertrag nicht um ein Haustürgeschäft handelt. Der Arbeitnehmer wird nur am Arbeitsplatz mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags konfrontiert werden. Es fehlt damit an der „Überrumpelungssituation“ die der gesetzlichen Regelung des § 312 BGB zugrunde liegt.1
1025
Ein gesetzliches Rücktrittsrecht besteht im Grundsatz ebenso wenig. Ein Rücktritt nach § 323 BGB kommt für den Arbeitnehmer höchstens dann in Betracht, wenn eine Abfindung vereinbart wurde, der Arbeitgeber mit der Zahlung in Verzug geraten ist und der Arbeitnehmer eine Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt hat.2 Dies ist aber nur in den seltensten Fällen im Interesse des Arbeitnehmers, da mit der Erklärung des Rücktritts der Anspruch auf die Abfindung erlischt. In Betracht kommt lediglich, dass der Arbeitnehmer doch nachträglich ein Interesse an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hat. Ein wirksamer Rücktritt vom Aufhebungsvertrag führt allerdings nicht zu dessen Unwirksamkeit, denn die Rücktrittserklärung bewirkt lediglich ein gesetzliches Rückgewährschuldverhältnis, im Rahmen dessen die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben sind. Allerdings kann der Rücktritt vom Aufhebungsvertrag einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers begründen, so dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, einen neuen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer abzuschließen.3
1026
Daneben beinhalten vereinzelt Tarifverträge unter besonderen Voraussetzungen ein Recht des Arbeitnehmers zum Widerruf des Aufhebungsvertrags, z.B. § 11 Abs. 10 MTV Einzelhandel NRW.
1027
Individualvertraglich vereinbarte Widerrufsrechte werden häufig im Rahmen einer gerichtlichen Aufhebungsvereinbarung (Prozessvergleich) geschlossen. Ist der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären, kann er im Zweifel nicht wirksam gegenüber dem Prozessgegner ausgesprochen werden. Gegen die Versäumung der Vergleichswiderrufsfrist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich.4 dd) Wegfall der Geschäftsgrundlage
1028
In einigen Fällen kommt die Anpassung des Aufhebungsvertrags aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht.
1 BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597. 2 Bauer, NZA 2002, 169 (170 f.). 3 LAG Düsseldorf v. 19.3.2010 – 9 Sa 1138/09 (juris). 4 BAG v. 22.1.1998 – 2 AZR 367/97, NZA 1998, 637.
206
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 1033 Teil 1
Voraussetzung einer Vertragsanpassung ist, dass die gemeinsame Vorstellung der Vertragsparteien auf die Auflösung des Arbeitverhältnisses gerichtet war. Will der Arbeitnehmer etwa in Zukunft bei einem anderen Arbeitgeber tätig sein und geht die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrags alleine von ihm aus, so kann er eine Anpassung bzw. Rückgängigmachung des Aufhebungsvertrags nicht verlangen, wenn der Arbeitgeberwechsel unvorhergesehen scheitert. In diesem Fall liegt das Motiv für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise in seinem Risikobereich.1
1029
Eine Vertragsanpassung bzw. Wiedereinstellung kommt nur solange in Betracht, wie das Arbeitsverhältnis noch fortbesteht. Eine Anpassung kann daher nicht mehr erfolgen, wenn der Beendigungsgrund nach Ablauf des Auflösungszeitpunkts wegfällt.2 Dann sind die vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer endgültig beendet. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt somit nur bei Aufhebungsvereinbarungen mit Auslauffrist in Betracht.
1030
Kommt es auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, ist dieser Vertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen, wenn sich in der Zeit zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem vereinbarten Vertragsende unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer ergibt. Die Vertragsanpassung kann dabei auch in einer Wiedereinstellung liegen.3 Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.4
1031
Wird aufgrund personenbedingter Gründe ein Aufhebungsvertrag geschlossen, so kommt ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht, wenn die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers resultiert und die darauf beruhende Erkrankung noch bis zur tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses endgültig ausheilt.5
1032
Ein nachträglicher Wegfall des Aufhebungsgrundes kommt bei verhaltensbedingten Gründen dann in Betracht, wenn der Aufhebungsvertrag wegen des Verdachts einer Pflichtverletzung geschlossen wurde und sich im Nachhinein die Unschuld des Arbeitnehmers herausstellt. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO alleine reicht allerdings nicht aus.6
1033
1 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 3 Rz. 95. 2 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZA 2001, 1135; v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254. 3 BAG v. 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148, v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757. 4 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757. 5 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZA 2001, 1135. 6 BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340.
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Teil 1 Rz. 1034
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
ee) Kündigung während der vereinbarten Auslauffrist 1034
Der Aufhebungsvertrag steht in der Regel unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), dass das Arbeitsverhältnis bis zum vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird. Löst eine außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis vor dem vorgesehenen Auflösungszeitpunkt auf, wird der Aufhebungsvertrag – einschließlich einer darin vereinbarten Abfindung – gegenstandslos.1 Teilweise oder schon vollständig ausgetauschte Leistungen, z.B. eine bereits ausgezahlte Abfindung sind zurückzugewähren.
1035
Bei einer ordentlichen Kündigung, die nach Abschluss des Aufhebungsvertrags erklärt wird, ist zu differenzieren. Soweit die ordentliche Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt wirksam werden soll, gelten die o.g. Ausführungen entsprechend mit der Folge der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags. Wird die Kündigung allerdings zu demselben Auflösungszeitpunkt ausgesprochen, wie im Aufhebungsvertrag genannt, so sind sowohl Kündigung als auch Aufhebungsvertrag wirksam. Eine überholende Kausalität oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage kann für diese Fallkonstellation nicht festgestellt werden.2 Haben die Parteien aufgrund betriebsbedingter Gründe einen Aufhebungsvertrag mit Abfindungszusage geschlossen, so kann ein Entstehen der Abfindungsansprüche im Fall einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung zu dem selben Auflösungszeitpunkt nur dadurch vermieden werden, dass allein das betriebsbedingte Ausscheiden zum Gegenstand des Aufhebungsvertrags und damit zur Grundlage der Abfindungszahlung gemacht wird.3 4. Gerichtlicher Vergleich
1036
Das Arbeitsverhältnis kann auch durch Prozessvergleich beendet werden. Der Abschluss eines Vergleichs bietet sich an, wenn sich während des gerichtlichen Verfahrens ein Sachverhalt herauskristallisiert, der zu seiner Aufklärung viel Zeit und Ressourcen benötigen würde. Dann kann eine einvernehmliche Lösung viel Kosten und Mühen sparen. In der Praxis hat der gerichtliche Aufhebungsvertrag eine große Bedeutung. Der überwiegende Teil aller Kündigungsschutzprozesse wird in der ersten Instanz verglichen. Im Jahre 2008 endeten rund 200 000 Klagen mit einem Vergleich, nur 30 000 dagegen durch streitiges Urteil.
1037
Der Vergleich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses bedarf zu seiner Wirksamkeit nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 ZPO der Aufnahme in das Sitzungsprotokoll bzw. in eine hierzu genommene Anlage und muss danach den Prozessparteien vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und genehmigt werden. Dies ist nach § 162 ZPO im Sitzungsprotokoll zu vermerken und hiernach vom Vorsitzenden und vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben, vgl. § 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
1 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813. 2 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813. 3 Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Teil 3 Rz. 91.
208
Laber
Andere Beendigungstatbestände
Rz. 1043 Teil 1
Daneben besteht nach § 278 Abs. 6 ZPO die Möglichkeit, den Prozessvergleich im schriftlichen Verfahren zu schließen. Das Gericht kann einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten, den die Parteien innerhalb einer vom Arbeitsgericht gesetzten Frist durch schriftliche Erklärung annehmen können. In der Praxis teilen die Prozessparteien dem Gericht häufig zuvor mit, welchen Vergleichsvorschlag sie akzeptieren wollen. Das Gericht übernimmt dann den von den Prozessparteien vorbereiteten Vorschlag als gerichtlichen Vergleichsvorschlag. Haben beide Prozessparteien den Vergleichsvorschlag angenommen, ist der geschlossene Vergleich durch Beschluss nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO festzustellen.
1038
Ein in Schriftform geschlossener Vergleich, der die o.g. Formalien nicht einhält, führt nicht zur Prozessbeendigung. Er kann allerdings als außergerichtlicher Vergleich wirksam sein.1
1039
Ein gerichtlicher Vergleich hat gegenüber der außergerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses als Titel den Vorteil, dass er bzgl. der Vollstreckbarkeit einem Urteil gleich steht. Hält sich eine der Parteien nicht an den Inhalt des Prozessvergleichs, kann die andere Partei dessen Einhaltung unmittelbar im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen.
1040
Für den Arbeitnehmer hat die Auflösung durch einen Prozessvergleich noch einen weiteren Vorteil. Verhängt die Bundesagentur für Arbeit bei einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag regelmäßig nach § 144 SGB III eine Sperrzeit, durch die der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld ruht, ist dies bei einer Beendigung durch gerichtlichen Vergleich nicht der Fall.2 Der gerichtliche Vergleich stellt in diesem Fall einen „wichtigen Grund“ i.S.v. § 144 SGB III dar, soweit betriebsbedingte Gründe vorliegen und die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten wurde.
1041
Etwas anderes kann sich nur ergeben, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass zwischen den Vertragsparteien eine vorausgegangene Absprache darüber bestand, dass die Sperrzeit umgangen werden sollte, indem sich die Parteien über eine rechtswidrige Arbeitgeberkündigung prozessual vergleichen wollten.3
1042
5. Ablauf der Befristung, auflösende Bedingung Ein befristeter Arbeitsvertrag endet mit Ablauf der vereinbarten Zeit, ohne dass es einer gesonderten Willenserklärung von Seiten des Arbeitgebers bedarf, wie § 15 Abs. 1 TzBfG zu entnehmen ist. Dem gleichgestellt ist nach § 15 Abs. 2 TzBfG ein zweckbefristeter Vertrag. Dieser endet mit Erreichen eines bestimmten vereinbarten Zwecks, beispielsweise der Erledigung eines Auftrags.
1 APS/Rolfs, Aufhebungsvertrag Rz. 34. 2 Vgl. 144.19 der Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit mit Stand v. 18.12.2009, abrufbar unter www.arbeitsagentur.de. 3 DLW/Hoß, D Rz. 2372.
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1043
Teil 1 Rz. 1044 1044
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Auch wenn eine auflösende Bedingung vereinbart wurde, endet das Arbeitsverhältnis mit Eintritt dieser Bedingung durch den Verweis in § 21 TzBfG auf § 15 Abs. 2 TzBfG automatisch. a) Kündigung bei wirksamer Befristungsabrede
1045
Während eines wirksam befristeten oder auflösend bedingten Arbeitsverhältnisses ist die ordentliche Kündigung für beide Vertragsparteien ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nach § 15 Abs. 3 TzBfG nur, sofern eine ordentliche Kündigung während der Dauer der Befristung individual- oder kollektivvertraglich vereinbart wurde. b) Kündigung bei unwirksamer Befristungsabrede
1046
Notwendig ist allerdings die Vereinbarung der Befristungsabrede in schriftlicher Form, vgl. § 14 Abs. 4 KSchG. Rechtsfolge einer formunwirksamen Befristung ist nach § 16 TzBfG, dass das Arbeitsverhältnis als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Der Arbeitgeber kann frühestens zum vereinbarten Ende ordentlich kündigen, sofern nicht nach § 15 Abs. 3 TzBfG die ordentliche Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich im Arbeitsvertrag oder in einem anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist. In jedem Fall finden die Regeln des KSchG Anwendung. Sofern die Kündigung keines sozial rechtfertigenden Grundes bedarf, z.B. weil die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht erreicht ist oder es sich um einen Kleinbetrieb i.S.v. § 23 KSchG handelt, ist die Kündigung nicht wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB oder wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unwirksam. Vielmehr handelt es sich bei der Kündigung um ein rechtlich zulässiges Mittel, mit dem der ungewünschte Fortbestand des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit verhindert werden soll.1 Auch die Kündigung des Arbeitnehmers als Reaktion auf eine erfolgreiche Befristungskontrollklage i.S.d. § 17 TzBfG ist weder treuwidrig noch verstößt sie gegen das Maßregelungsverbot, denn der Arbeitgeber macht damit nur von seiner allgemeinen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch.2 c) Altersgrenzen
1047
Eine Altersgrenze in individualvertraglichen oder kollektiven Vereinbarungen, etwa die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer Anspruch auf Regelaltersrente hat (zurzeit 67 Jahre, vgl. § 35 SGB VI), wird vom BAG als Befristung angesehen.3 Entscheidend sei, ob die Vertragsparteien den Eintritt als gewiss oder ungewiss ansehen. Das Erreichen einer Altersgrenze würden sie als gewiss beurteilen, sodass nicht von einer auflösenden Bedingung, sondern von einer Höchstbefristung des Arbeitsverhältnisses auszugehen sei. Dieser Unterscheidung kommt gleichwohl keine besondere Be1 BAG v. 6.11.2003 – 2 AZR 690/02, NZA 2005, 218. 2 BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429. 3 St. Rspr. vgl. BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302; v. 19.11.2003 – 7 AZR 296/03, NZA 2004, 1336; v. 14.8.2002 – 7 AZR 469/01, NZA 2003, 1397.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 1052 Teil 1
deutung mehr zu. Durch das TzBfG wurden die Voraussetzungen von Befristung und Bedingung größtenteils angeglichen. So bedarf es sowohl für die Höchstbefristung als auch für die auflösende Bedingung gleichermaßen eines sachlichen Grundes. Problematisch sind Altersgrenzen wegen der Anknüpfung an das Alter im Hinblick auf die Vorschriften des AGG. Durch die Altersgrenzen werden Arbeitnehmer wegen ihres Alters ungleich behandelt. Das BAG sieht sowohl individualvertragliche als auch tarifliche Altersgrenzen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Arbeitnehmer Anspruch auf Regelaltersrente haben, bislang als rechtmäßig an, wenn der Arbeitnehmer auf Grund der Beschäftigung eine gesetzliche Altersrente erwerben kann. In diesem Fall diene die Altersgrenze zumindest auch allgemeinen beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Zielen. Die Nachteile, die die von der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer durch die Altersgrenze erführen, seien gegenüber der dadurch bewirkten Förderung der Beschäftigungspolitik und der Entlastung des Arbeitsmarkts als angemessen und erforderlich anzusehen.1
1048
Beim EuGH ist zurzeit eine Vorlage des ArbG Hamburg vom 2.2.2009 über die Vereinbarkeit einer tariflichen Altersgrenze zum 65. Lebensjahr mit dem Gemeinschaftsrecht anhängig.2 Nach dem Schlussantrag der EuGH-Generalanwältin vom 28.4.2010 spricht vieles dafür, dass auch der EuGH die Zulässigkeit tariflicher Altersgrenzen feststellen wird.
1049
Die Befristung auf ein früheres als das 67. Lebensjahr ist unter Geltung des AGG noch strenger als bisher auf ihre sachliche Berechtigung zu prüfen. Allgemeine Voraussetzung ist, dass das Alter auf Grund der beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt.3 Die Vereinbarung einer unter 67 liegenden Altersgrenze ist demzufolge dann nicht ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit nicht nur eine unverminderte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit erfordert, sondern darüber hinaus mit besonderer Schwierigkeit und Verantwortung verbunden ist.4
1050
In Betracht kommen daher niedrigere Altersgrenzen insbesondere für Piloten oder Chirurgen. Die tarifliche Regelung einer Altersgrenze für Piloten zum 60. Lebensjahr hat das BAG mit Beschluss vom 17.6.20095 dem EuGH vorgelegt.6
1051
Für das Bordpersonal hat das BAG demgegenüber eine Altersgrenze von 60 Jahren als unzulässig angesehen.7 Ein mögliches altersbedingtes Nachlassen der
1052
1 BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302; ebenso LAG Düsseldorf v. 29.4. 2009 – 4 Sa 1764/08 (juris); vor Inkrafttreten des AGG bereits: BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 443/04, NZA 2006, 37 (Individualvereinbarung). 2 C-45/09 – „Rosenbladt“. 3 BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945. 4 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rz. 57. 5 BAG v. 17.6.2009 – 7 AZR 112/08. 6 Anhängig unter dem Aktenzeichen C-447/09. 7 BAG v. 16.10.2008 – 7 AZR 253/07, NZA 2009, 378.
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Teil 1 Rz. 1053
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
Leistungsfähigkeit von Mitgliedern des Kabinenpersonals führe nicht zu einer Gefährdung für die Flugzeuginsassen und Personen in den überflogenen Gebieten, sodass die Altersgrenze eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könne. 6. Verzicht auf Kündigungsschutz 1053
Aus der einseitig zwingenden Wirkung des Kündigungsschutzrechts folgt, dass ein Verzicht des Arbeitnehmers auf den allgemeinen Kündigungsschutz weder vor noch nach Beginn des Arbeitsverhältnisses für eine künftige Kündigung möglich ist. Eine dahingehende Abrede ist unwirksam.1 Davon umfasst ist nicht nur der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG, sondern auch der besondere Kündigungsschutz, etwa aus § 9 MuSchG.
1054
Demgegenüber kann der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung auf den Kündigungsschutz verzichten.2 Die Zulässigkeit eines solchen Verzichts ergibt sich bereits daraus, dass das Kündigungsschutzgesetz im Gegensatz zu anderen Gesetzen, die einen Verzicht auf bestimmte Rechte für unzulässig erklären (vgl. § 4 Abs. 4 TVG, § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 77 Abs. 4 BetrVG), keine Regelung getroffen hat, die dem Arbeitnehmer den Verzicht auf den Kündigungsschutz untersagt. Hinzu kommt, dass der Arbeitnehmer aus Rechtsgründen nicht gehalten ist, eine ihm ausgesprochene schriftliche Kündigung mit der Kündigungsschutzklage anzugreifen, sondern untätig bleiben und die Kündigung hinnehmen kann mit der Folge, dass diese wirksam wird (§ 7 KSchG).3
1055
Dem Arbeitnehmer steht es somit frei, eine Kündigung gegen sich gelten zu lassen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kündigung begründet ist, sodass ein Verzicht auch bei einer sozialwidrigen oder aus anderen Gründen an sich unwirksamen Kündigung möglich ist. Denn dem Arbeitnehmer steht es grds. jederzeit frei, sein Arbeitsverhältnis – etwa durch einen Aufhebungsvertrag – aufzulösen.4
1056
Der Arbeitnehmer kann nach erfolgter Kündigung auch vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichten; anderenfalls würde seine Entscheidungsfreiheit ohne zwingenden Grund eingeschränkt.5 Erhält der Arbeitnehmer für den Klageverzicht eine Abfindung, muss er allerdings u.U. mit einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 3 SGB III rechnen (hierzu ausführlich in Teil 13). 1 BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 890; 6.6.1958 – 1 AZR 514/57, AP Nr. 18 zu Art. 44 Truppenvertrag; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 18 m.w.N. 2 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219; v. 3.5.1979 – 2 AZR 679/77, DB 1979, 1465; ebenso die h.M. in der Literatur, vgl. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 297; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 15; SPV/Preis, Rz. 1253. 3 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219. 4 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219; v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219; v. 3.5.1979 – 2 AZR 679/77, DB 1979, 1465.
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Andere Beendigungstatbestände
Rz. 1061 Teil 1
" Praxistipp: Die Erklärung des Arbeitnehmers, auf Kündigungsschutz zu
1057
Zu beachten sind daneben die Vorschriften für allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), denn Kündigungsverzichtsvereinbarungen werden in der Regel standardisiert verwendet und sind nicht zwischen den Parteien ausgehandelt. In diesem Zusammenhang nimmt das BAG bei einem formularmäßigen Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ohne Gegenleistung eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB an.2 Eine solche Vereinbarung ist also unwirksam.
1058
verzichten, ist auslegungsbedürftig und kann je nach Lage des Falls ein Aufhebungsvertrag, ein Vergleich, ein Klageverzichtsvertrag (sog. pactum de non petendo) oder ein vertragliches Klagerücknahmeversprechen sein, sofern eine Kündigungsschutzklage bereits rechtshängig ist.1 In der Verzichtsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollte somit klar zum Ausdruck kommen, um welches Rechtsgeschäft es sich handelt. Handelt es sich um einen Aufhebungsvertrag, so ist die Schriftform des § 623 BGB zu wahren. Die schriftliche Form gebietet sich jedoch aufgrund der Konfliktträchtigkeit der Kündigung und damit einhergehenden Beweisfragen für alle anderen Arten Vereinbarungen im Nachgang der Kündigung.
7. Widerspruch nach Betriebsübergang Nach § 613a Abs. 6 BGB kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses im Wege des Betriebsübergangs auf einen neuen Arbeitgeber widersprechen. Dies folgt nach allgemeiner Ansicht aus der freien Wahl des Arbeitsplatzes als besondere Ausprägung der des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 GG).3 Diese Möglichkeit besteht bei einer den Voraussetzungen des Abs. 5 entsprechenden Unterrichtung innerhalb eines Monats ab Zugang. Genügt die Unterrichtung diesen Vorgaben nicht oder unterbleibt sie ganz – was insbesondere der Fall sein kann, wenn Betriebsveräußerer und Betriebserwerber fälschlicherweise nicht vom Vorliegen eines Betriebsübergangs und dem Eintritt der Rechtsfolgen des § 613a BGB ausgehen – so ist der Arbeitnehmer bis zu den Grenzen der Verwirkung berechtigt, den Widerspruch auszuüben.4
1059
Der Widerspruch bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf den neuen Arbeitgeber übergeht.5 Vertragspartner des Arbeitnehmers bleibt damit der Veräußerer. Wurde der Widerspruch nach Durchführung des Betriebsübergangs ausgesprochen, wirkt er auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück (ex tunc). Das Arbeitsverhältnis geht nicht – auch nicht vorübergehend – auf den Erwerber über.6
1060
Annahmeverzugsvergütung kann nach § 615 BGB gegenüber dem Veräußerer geltend gemacht werden. Das Angebot der Arbeitsleistung kann nach § 162
1061
1 2 3 4
BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219 unter Bezug auf SPV/Preis, Rz. 1254. BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219. Vgl. KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 109 m.w.N. Zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Unterrichtung und den Rechtsfolgen bei deren unterbleiben ausführlich BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 755/07, NZA-RR 2009, 294. 5 KDZ/Däubler/Zwanziger, § 613a BGB Rz. 49a. 6 Vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 m.w.N.
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Teil 1 Rz. 1062
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – Allgemeines
BGB entbehrlich sein, wenn die unterbliebene oder fehlerhafte Unterrichtung zur verspäteten Ausübung des Widerspruchs und zum Unterlassen eines Angebots geführt hat.1 1062
Durch den Widerspruch besteht jedoch für den Arbeitnehmer das Risiko einer betriebsbedingten Kündigung, sofern beim Veräußerer durch den Betriebsübergang die Beschäftigungsmöglichkeit wegfällt. 8. Dauerhafte Erkrankung
1063
Die anfängliche Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung – etwa aufgrund einer dauerhaften Erkrankung – steht der Wirksamkeit des Arbeitsvertrags nach § 311a Abs. 1 BGB nicht entgegen (vgl. allerdings § 306 BGB a.F. für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Gesetztes zur Modernisierung des Schuldrechts zum 1.1.2002). Eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung scheidet also aus. Allerdings stellt die Unmöglichkeit regelmäßig einen Grund zur ordentlichen oder zur außerordentlichen Kündigung dar.2 9. Tod einer Vertragspartei
1064
Aufgrund des höchstpersönlichen Charakters des Arbeitsvertrags (vgl. § 613 BGB) beendet der Tod des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis.3 Im Zeitpunkt des Todes fällige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind – sofern sie nicht von höchstpersönlicher Art sind – vererblich. Etwas anderes gilt nur, wenn sich dies aus anderweitigen Abreden ergibt. Zu den fälligen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gehört nicht der Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG. Denn dieser Anspruch entsteht erst mit Ablauf der Kündigungsfrist. Endet das Arbeitsverhältnis vorher durch Tod des Arbeitnehmers, kann der Anspruch deshalb nicht auf den Erben übergehen.4
1065
Demgegenüber wird das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitgebers in der Regel nicht aufgelöst. Besteht keine Abrede über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – zu nennen wäre beispielhaft die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf die Lebenszeit des Arbeitgebers5 – geht die Arbeitgeberstellung auf die Erben über. Allerdings ist nur noch in Kleinbetrieben oder in seltenen Fällen der Arbeitgeber eine natürliche Person. Mit zunehmender Betriebsgröße wird dies eine juristische Person sein.
1 Vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 m.w.N. 2 BAG v. 31.1.1990 – 2 Sa 1672/89, NZA 1990, 482 (Unmöglichkeit aus gesundheitlichen Gründen); KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 335; HWK/Schmalenberg, § 620 Rz. 27. 3 BAG v. 16.5.2000 – 9 AZR 277/99, NZA 2000, 1236; ebenso KDZ/Däubler, Einleitung Rz. 332 m.w.N. 4 BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 45/06, NZA 2007, 1043; v. 26.8.1997 – 9 AZR 227/96, NZA 1998, 643. 5 Vgl. zu dieser Konstellation BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 153/03, BB 2004, 2303.
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Teil 2 Betriebsbedingte Kündigung
A. Gesetzliche Voraussetzungen des Kündigungsschutzes I. Betrieblicher Geltungsbereich 1. Bestimmung des Betriebes im Kündigungsschutzrecht Gem. § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt dieser allgemeine Kündigungsschutz mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG nicht für Betriebe, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufbildung Beschäftigten beschäftigt werden. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, findet der allgemeine Kündigungsschutz mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 KSchG und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG darüber hinausgehend auch dann keine Anwendung, wenn in dem Betrieb regelmäßig 10 oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG.1
1
Bereits aus diesen Beispielen wird deutlich, dass die Anwendbarkeit des KSchG zunächst – völlig unabhängig von anderen Fragen, wie z.B. dem Einhalten der Wartezeit (siehe dazu Rz. 129 ff.), dem Arbeitnehmerstatus (siehe dazu Rz. 89 ff.) oder der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer (siehe dazu Rz. 51 ff.) – vom Vorhandensein eines Betriebes abhängig ist. Das KSchG ist insofern betriebsbezogen, als es voraussetzt, dass der Arbeitnehmer in einem „Betrieb“ beschäftigt wird.
2
a) Beschäftigungsbetrieb Die Frage, wann ein Betrieb i.S.d. KSchG vorliegt und wie er ggf. von weiteren Betrieben des Unternehmens/Konzerns abzugrenzen ist, ist nicht nur als Voraussetzung des KSchG relevant, sondern darüber hinaus z.B. auch im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG bei einer betriebsbedingten Kündigung. In die Sozialauswahl werden alle miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer eines Betriebes einbezogen, sie ist also grundsätzlich auch betriebsbezogen.2
1 Zu den unterschiedlichen Schwellenwerten seit dem 1.1.2004 vgl. unter Rz. 58 f. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33; v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175 (n.v.); v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332.
Mues
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Teil 2 Rz. 4
Betriebsbedingte Kündigung
4
Seit dem Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerfReformgesetz) vom 23.7.20011 stellen sich hier zudem sehr aktuelle Probleme. Insbesondere durch die gem. § 3 BetrVG eingeführte Möglichkeit, vom Gesetz abweichende Arbeitnehmervertretungsstrukturen zu schaffen, deren Zuständigkeitsbereiche nach § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG als Betriebe im Sinne des BetrVG gelten, ist auf den Betriebsbegriff des BetrVG Einfluss genommen worden. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit dies auf das KSchG übertragen werden muss.
5
Der Betriebsbegriff ist im KSchG nicht näher definiert, sondern wird vom Gesetzgeber vorausgesetzt. Zur Auslegung des dem KSchG zugrunde liegenden Betriebsbegriffs werden in ständiger Rechtsprechung die allgemeinen Grundsätze herangezogen, wie sie insbesondere im Bereich des BetrVG entwickelt worden sind. Der kündigungsschutz- und der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff werden deckungsgleich verwendet.2 Im Bereich des öffentlichen Dienstes entspricht dem Betrieb die Dienststelle.3
6
Danach ist als Betrieb die organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb deren der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen.4
7
Das Unternehmen stellt in Abgrenzung dazu die von einem einheitlichen Rechtsträger geleitete organisatorische Einheit dar, mit der ein Unternehmer seine, hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes liegenden, wirtschaftlichen oder ideellen Ziele fortgesetzt verfolgt.5 Betrieb und Unternehmen sind daher beides organisatorische Einheiten, die sich durch ihre Zwecksetzung unterscheiden. Bei dem Betrieb handelt es sich um die Arbeitsorganisation eines Unternehmens. Unternehmen und Betrieb können identisch sein, wenn ein Unternehmen nur aus einem Betrieb besteht. Hier ist eine Unterscheidung von Unternehmen und Betrieb rechtlich bedeutungslos. Ein Unternehmen kann aber auch aus mehreren Betrieben bestehen, wenn der im Unternehmen verfolgte Zweck in mehreren Einheiten verfolgt wird, die jeweils für sich selbständige Betriebe bilden.
8
Für die Frage, wann eine von der Unternehmensleitung gesonderte, als „Betrieb“ zu qualifizierende Arbeitsstätte vorliegt, kommt es betriebsverfassungsrechtlich darauf an, ob eine sachgerechte Wahrnehmung der Beteiligungsrechte für die Arbeitnehmer gewährleistet ist. Entscheidendes Kriterium ist daher in erster Linie die Einheitlichkeit der Entscheidung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten. Ein Betrieb liegt vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird, der die typischen mitbestimmungspflichtigen 1 2 3 4
BGBl. I S. 1852. Ausführlich hierzu BAG v. 8.6.1999 – 1 AZR 831/98, NZA 1999, 1168 m.w.N. BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32. St. Rspr. vgl. BAG v. 13.8.2008 – 7 ABR 21/07, NZA-RR 2009, 255–260 (n.v.); v. 19.2. 2002 – 1 ABR 26/01, NZA 2002, 1300 m.w.N. 5 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861; v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, DB 2001; v. 7.8.1986 – 6 ABR 57/85, NZA 1987, 131.
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Mues
Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 10 Teil 2
Entscheidungen, insbesondere in sozialen und personellen Angelegenheiten, trifft. Es ist nicht erforderlich, dass die Leitung der einzelnen Arbeitsstätte die Kompetenz für alle betriebsverfassungsrechtlich relevanten Maßnahmen hat, sondern es genügt, dass die Unternehmensleitung die Entscheidung in personellen/sozialen Angelegenheiten im Wesentlichen der Leitung der einzelnen Produktionsstätte überlässt.1 Für das Vorliegen eines Betriebes kann auch die Verfolgung eines einheitlichen Zwecks sprechen. Dies ist allerdings nicht zwingend. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG können mit und in einem Betrieb gleichzeitig verschiedene arbeitstechnische Zwecke verfolgt werden, ohne dass dadurch die Einheitlichkeit oder die Betriebseigenschaft an sich beeinträchtigt werden.2 Die Übertragung des Betriebsbegriffs aus dem BetrVG in das KSchG ist sachund interessengerecht.
9
Dafür spricht, dass durch den Begriff des Betriebes der Repräsentationsbereich des Betriebsrats bestimmt wird. Nur innerhalb dieses Betriebes ist er zuständig und kann die ihm nach dem BetrVG zustehenden Rechte und Pflichten wahrnehmen. Würde man im Kündigungsschutz den Betrieb anders definieren, käme es u.U. zu Überschneidungen mit den Aufgaben, die der Betriebsrat nach dem KSchG und anderen Gesetzen wahrzunehmen hat. So kann gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a KSchG der Betriebsrat bei einer Kündigung, die gegen eine mit seiner Zustimmung abgeschlossene Richtlinie nach § 95 BetrVG verstößt, aus diesem Grund innerhalb einer Woche schriftlich widersprechen. Gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen freien Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat aus diesem Grund der Kündigung widerspricht. Diese Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz stellt i.d.R. gleichzeitig eine Versetzung i. S. von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dar, die gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Würden die Betriebsbegriffe der Betriebsverfassung und des KSchG nicht übereinstimmen, könnte es zu unauflösbaren Widersprüchen kommen. Auch außerhalb des KSchG kann es zu Überschneidungen mit dem BetrVG kommen. Gem. § 322 Abs. 2 UmwG kann bei einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung mit dem Betriebsrat gem. § 112 BetrVG ein Interessenausgleich geschlossen werden, in dem u.a. die Arbeitnehmer namentlich bezeichnet werden, die nach der Umwandlung einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden. Diese Zuordnung kann Auswirkungen auf die Sozialauswahl in Zusammenhang mit Betriebsübergängen und § 613a BGB haben und ist für zugeordnete Arbeitnehmer nur sehr eingeschränkt angreifbar. Auch für diese Situation ist bei der bestandsschutzrechtlichen Beurteilung der Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates entscheidend.
10
1 BAG v. 14.5.1997 – 7 ABR 26/96, NZA 1997, 1245; v. 29.1.1992 – 7 ABR 27/91, NZA 1992, 894; v. 29.5.1991 – 7 ABR 54/90, NZA 1992, 74. 2 BAG v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190; v. 6.9.1986 – 6 ABR 68/84, NZA 1987, 708; v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, NZA 1984, 88; v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, DB 1983, 1498.
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Teil 2 Rz. 11
Betriebsbedingte Kündigung
11
Dies findet schließlich auch seine Bestätigung in Sinn und Zweck der Vorschriften im KSchG, etwa betreffend den Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder bei Betriebsstilllegung.1 Gem. § 15 Abs. 4 KSchG sind Betriebsratsmitglieder im Fall der Stilllegung eines Betriebes frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung kündbar, es sei denn, dass ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG ist ein Betriebsratsmitglied, das in einer stillgelegten Betriebsabteilung beschäftigt wird, in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Durch diese Vorschriften soll die Funktionsfähigkeit der Organe der Betriebsverfassung aufrechterhalten sowie die unbefangene Amtsausübung der Organmitglieder gewährleistet werden.2 Wenn zwei selbständige Unternehmen mit nicht identischer wirtschaftlicher Zielrichtung einen einheitlichen Betrieb bilden und damit von der in ständiger Rechtsprechung anerkannten3 Möglichkeit Gebrauch machen, einen gemeinsamen Betrieb zu bilden, der im Sinne des BetrVG als betriebsratsfähige Einheit gilt, stellt sich die Frage, ob es sich bei der Stilllegung der Produktion eines der beiden am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen wegen des Betriebsbegriffs nach dem BetrVG lediglich um die Stilllegung einer Betriebsabteilung oder um die Stilllegung eines ganzen Betriebs handelt. Im ersten Fall käme der Kündigungsschutz des § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG zum Tragen, im letzteren Fall würde § 15 Abs. 4 KSchG greifen. Das BAG hat auch hier zu Recht den Betriebsbegriff des BetrVG (Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen) auf das KSchG übertragen und mit Sinn und Zweck der Vorschrift des § 15 KSchG argumentiert.
12
Legt man bei § 15 KSchG einen anderen Betriebsbegriff als den betriebsverfassungsrechtlichen zugrunde, so könnte das dazu führen, im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne einen einheitlichen Betrieb mit einem einheitlichen Betriebsrat anzunehmen, im Sinne von § 15 KSchG hingegen von zwei selbständigen Betrieben auszugehen und bei den im stillgelegten Betrieb beschäftigten Betriebsratsmitgliedern nach § 15 Abs. 4 KSchG ohne Rücksicht auf Beschäftigungsmöglichkeiten im fortgeführten Betrieb die Kündigung zuzulassen. Der Zweck des § 15 KSchG ist jedoch bei Vorliegen eines einheitlichen Betriebes (im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn) nur dann gewährleistet, wenn das von allen Arbeitnehmern des gemeinsamen Betriebes gewählte Betriebsratsmitglied sein Amt ausüben kann, solange für ihn in dem gemeinsamen Betrieb eine Beschäftigungsmöglichkeit besteht.
13
Die Argumente, die für eine grundsätzliche Übernahme des Betriebsbegriffs des BetrVG in das KSchG sprechen, gelten in gleicher Weise für die durch das BetrVerfReformgesetz eingeführten Neuerungen, auch wenn grundsätzlich weiterhin der von der Rechtsprechung entwickelte Betriebsbegriff zugrunde zu legen ist. Eine wichtige Änderung enthält aber § 3 BetrVG. Durch diese Norm soll den Tarif- bzw. Betriebsparteien die Möglichkeit gegeben werden, von dem Gesetz abweichende, moderne und anpassungsfähige Betriebsratsstrukturen zu 1 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32. 2 BAG v. 17.2.1983 – 2 AZR 481/81, DB 1983, 1551. 3 Ausführlich zur Rechtsfigur des Gemeinschaftsbetriebes verschiedener Rechtsträger und den Neuerungen durch das BetrVerfReformgesetz siehe unten unter Rz. 41 ff.
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Mues
Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 16 Teil 2
schaffen, damit sie mit Hilfe von Vereinbarungslösungen Arbeitnehmervertretungen schaffen können, die auf die besondere Struktur des jeweiligen Betriebs, Unternehmens oder Konzerns zugeschnitten sind.1 Gem. § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gelten die aufgrund eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten als Betriebe im Sinne des BetrVG. Sie sind daher maßgebend z.B. für die Zahl der Betriebsratsmitglieder (§ 9), die Größe der Ausschüsse (§§ 27, 28) und die Zahl der Freistellungen (§ 38).2 Überträgt man diesen Betriebsbegriff in das KSchG, gelten die durch Tarifvertrag/Betriebsvereinbarung gebildeten Organisationseinheiten auch als Betrieb in diesem Sinne, mit der Konsequenz, dass dies z.B. bei der Betriebsgröße (§ 23 KSchG) oder der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) zu beachten ist.3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ermöglicht zwei Formen einer vom Gesetz abweichenden Bildung von Betriebsräten in einem Unternehmen mit mehreren Betrieben. Nach Nr. 1a) kann ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gebildet werden und nach Nr. 1b) können Betriebe zusammengefasst werden. Beide Regelungsmöglichkeiten stehen unter dem Vorbehalt, dass „dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient“.
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Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 können, soweit ein Unternehmen oder Konzern nach produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereichen (Sparten) organisiert ist und die Leitung der Sparte auch Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten trifft, durch Tarifvertrag in diesen Sparten Betriebsräte gebildet werden (Spartenbetriebsräte), wenn dies der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats dient. Je nach Ausgestaltung der Spartenorganisation können z.B. ein oder mehrere Betriebsräte je Sparte, betriebsübergreifende Spartenbetriebsräte oder mehrere Spartenbetriebsräte für ein als Betrieb anzusehendes Werk errichtet werden. Gehören einer Sparte mehrere Unternehmen an, können auch unternehmensübergreifende Spartenbetriebsräte und Spartengesamtbetriebsräte gebildet werden.4
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Die den Tarifvertragsparteien in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten können von den Betriebsparteien durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung nur wahrgenommen werden, wenn keine tarifliche Regelung besteht und auch kein anderer Tarifvertrag gilt (§ 3 Abs. 2 BetrVG). Dies bedeutet, dass jede Vereinbarungslösung durch Betriebsvereinbarung bereits ausscheidet, wenn in dem Unternehmen überhaupt ein Tarifvertrag gilt, also auch ein Tarifvertrag, der für die Vereinbarungslösung überhaupt keine Regelung trifft. Praktisch entfällt damit die Möglichkeit der Flexibilisierung für
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1 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 14/5741, A.III 1, B zu Nr. 3 (§ 3). 2 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 14/5741, B zu Nr. 3 (§ 3). 3 Ablehnend zu einer Übertragung DKK/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 152, der für die Anwendungszusammenhänge des KSchG eine Betriebsabgrenzung nach dem herkömmlichen Betriebsbegriff vornehmen will; für eine Übertragung DKK/Wedde, Einl. Rz. 96 sowie Hümmerich/Boecken/Düwell-v. Steinau-Steinbrück, Anwaltkommentar Arbeitsrecht 2008, Bd. II, § 1 SprAuG, Rz. 3. 4 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 14/5741, B zu Nr. 3 (§ 3).
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Teil 2 Rz. 17
Betriebsbedingte Kündigung
Betriebsparteien, sobald der Arbeitgeber, und sei es nur durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung, an einen Tarifvertrag gebunden ist.1 Nach der Gesetzesbegründung soll damit erreicht werden, dass z.B. für einen Arbeitgeber, in dessen Unternehmen Tarifverträge über Entgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen gelten, auch für die Vereinbarung über betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstrukturen der Tarifvertrag das maßgebliche Regelungsinstrument ist.2 17
Insbesondere durch § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG können Probleme entstehen, wenn z.B. nicht der gesamte Betrieb in produkt- oder projektbezogene Geschäftsbereiche aufgegliedert ist, sondern es Arbeitnehmer gibt, die keiner Sparte zugeordnet werden können oder bei anderen Sparten tätig sind. Neben den Spartenbetriebsräten müssten dann „normale“ Betriebsräte gebildet werden, die die Interessen dieser Arbeitnehmer vertreten.3 Dass dies zur Überschneidung von Aufgabenbereichen und Kompetenzen führen kann, ist leicht vorstellbar. Noch unübersichtlicher wäre die Situation, wenn man die neu gewählten Organisationsstrukturen, die gem. § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG als Betriebe im Sinne des BetrVG gelten, nicht auch als Betriebe im Sinne des KSchG anerkennen würde. Eine Übertragung der neugebildeten Betriebsstrukturen in das KSchG ist deshalb schon aus diesem Grund interessengerecht.
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Auch die Verkennung des Betriebsbegriffs kann Auswirkungen auf die Definition des Betriebes im KSchG haben, wenn bei der Wahl des Betriebsrats der Betriebsbegriff falsch ausgelegt worden ist, also z.B. ein Betriebsteil als Betrieb i.S. des BetrVG angesehen worden ist, obwohl er die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht erfüllt. Gleiches gilt auch, wenn ein einheitlicher Betrieb zu Unrecht als mehrere Betriebe angesehen wurde und dementsprechend mehrere Betriebsräte gewählt worden sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG führt allein ein solcher Fehler i.d.R. nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl, sondern nur zu deren Anfechtbarkeit.4 Wird die Wahl nicht angefochten, so bleibt der Betriebsrat nach dem BAG mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt und gilt dann konsequenterweise die Annahme, dass die Einheit, für die der Betriebsrat gewählt worden ist, einen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne darstellt. Eine andere Sichtweise würde der in § 19 BetrVG enthaltenen Wertung widersprechen, nach der ein Rechtsverstoß, der die Wahlanfechtung begründet, unbeachtlich wird, wenn eine Anfechtung unterbleibt. Dies wäre zudem mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit, dem § 19 BetrVG dient, nicht zu vereinbaren.5 1 Zur Kritik an diesem Tarifvorrang z.B. Buchner, Betriebsverfassungs-Novelle auf dem Prüfstand, NZA 2001, 633; Richardi, Veränderungen in der Organisation der Betriebsverfassung, NZA 2001, 346; Diringer, Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, AuA 2001, 172; offen lassend Teusch, J., Organisationstarifverträge nach § 3 BetrVG, NZA 2007, 124 f. 2 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 14/5741, B zu Nummer 3 (§ 3). 3 Zu der Frage, ob einen solche „Doppelstruktur“ überhaupt möglich ist oder ob Spartenbetriebsräte an die Stelle von schon bestehenden Betriebsräten treten, siehe Däubler, Eine bessere Betriebsverfassung? Der Reformentwurf zur Reform des BetrVG, AuR 2001, 1; Diringer, Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, AuA 2001, 172. 4 BAG v. 7.12.1988 – 7 ABR 10/88, NZA 1989, 731; v. 27.6.1995 – 1 ABR 62/94, NZA 1996; v. 13.11.1996 – 10 AZR 804/94, NZA 1997, 509. 5 BAG v. 27.6.1995 – 1 ABR 62/94, NZA 1996, 164.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 21 Teil 2
Auch diese Argumentation lässt sich auf die Anwendung des fehlerhaften Betriebsbegriffs im KSchG übertragen. Ob anlässlich eines betriebsverfassungsrechtlichen oder eines kündigungsrechtlichen Rechtsproblems über die Abgrenzung des Betriebs gestritten wird, ist ohne Bedeutung. In beiden Fällen sind Wertungswidersprüche zu vermeiden. Wurde also in einem nicht selbständigen Betriebsteil i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ein eigener Betriebsrat gewählt und diese Wahl nicht innerhalb der Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten, ist der Betriebsteil auch kündigungsschutzrechtlich als Betrieb anzusehen. Konsequenzen hätte dies z.B. im Rahmen der Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung. Da diese nur betriebs- und nicht unternehmensbezogen ist, könnten Arbeitnehmer im Hauptbetrieb nicht in die Auswahl einbezogen werden.
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Allerdings gelten diese Überlegungen nicht für einen Betriebsteil. Betriebsteile sind gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch unselbständig und nehmen eine Teilfunktion von dessen arbeitstechnischem Zweck wahr. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie über einen eigenen Arbeitnehmerstamm, eigene technische Hilfsmittel und eine durch die räumliche und funktionale Abgrenzung vom übrigen Betrieb bedingte relative Selbständigkeit verfügen. Andererseits fehlt ihnen in der Regel aber ein Leitungsapparat, um insbesondere in personellen oder sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbständig treffen zu können.1 Betriebsteile können kündigungsrechtlich als ein Betrieb anzusehen sein, so dass sich z.B. die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG nur auf die Arbeitnehmer dieses Betriebsteils begrenzt. Sie können aber auch nur unselbständige Bereiche eines selbständigen Betriebes sein.
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Wie diese Abgrenzung vorzunehmen ist, richtet sich für den Bereich des BetrVG nach § 4. Gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gelten Betriebsteile als selbständige Betriebe, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen (Beschäftigung von mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern) und entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind.2 Diese gesetzliche Fiktion kann – anders als die oben genannten Beispiele – nicht ohne weiteres in das KSchG übertragen werden. Bedenken ergeben sich insbesondere bei einer Übernahme der Abgrenzung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Nach dieser Regelung gilt ein Betriebsteil alleine dann bereits als selbständiger Betrieb, wenn er räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist. Im Gegensatz zur allgemeinen Betriebsdefinition wird hier nicht auf die Ausübung der Arbeitgeberfunktionen im Bereich der personellen und sozialen Mitbestimmung oder sonstige organisatorische Gesichtspunkte abgestellt, sondern alleine auf lokale Gegebenheiten. Dies hängt mit dem Zweck dieser Vorschrift zusammen, in Fragen des BetrVG eine ordnungsgemäße, persönliche, unkomplizierte und damit erfolgrei-
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1 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33; v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14 (n.v.). 2 Da sich an dieser Regelung durch das BetrVerfReformG nichts geändert hat, kann die bisher dazu ergangene Rechtsprechung uneingeschränkt berücksichtigt werden; ausführlich zum Begriff des Betriebsteils vgl. Rieble/Klebeck, Festschrift für Reinhard Richardi 2007, S. 693–709 m.w.N.
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Teil 2 Rz. 21
Betriebsbedingte Kündigung
che Zusammenarbeit unter den Arbeitnehmern und mit dem gemeinsamen Betriebsrat zu garantieren. Eine solche ist z.B. nicht gegeben, wenn wegen der räumlichen Entfernung und der schlechten Verkehrsanbindung sich die Kontaktaufnahme zwischen Belegschaft und Betriebsrat im Wesentlichen auf Telefongespräche beschränkt.1 Dieser Gesetzeszweck ist dagegen für das KSchG nicht maßgebend. Hier ist die organisatorische Einheit ausschlaggebend, weil der Arbeitgeber in diesem Rahmen sein Direktionsrecht ausübt und die Arbeit organisiert, was insbesondere für die soziale Auswahl von Bedeutung ist. Die räumliche Einheit der Betriebsstätte ist dagegen für einen einheitlichen Betrieb nicht notwendig. Das KSchG differenziert nicht zwischen dem Betrieb und dem räumlich entfernten Betriebsteil, der als selbständiger Betrieb gilt.2 Es wird deshalb in der Rechtsprechung und auch in der Literatur zu Recht einheitlich so gehandhabt, dass die Fiktionswirkung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG im Rahmen des KSchG keine Anwendung findet. Ein Betriebsteil, der alleine durch seine weite Entfernung vom (Haupt)betrieb eine gewisse räumliche Selbständigkeit besitzt, ist dem Hauptbetrieb zuzuordnen.3 Anders ist dies dagegen mit der Fiktion nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG. Hier kommt es darauf an, dass der Betriebsteil in Aufgabenbereich und Organisation selbständig ist. Da die organisatorische Einheit für das KSchG maßgebend ist, wird diese Regelung übernommen. Ist der Betriebsteil selbständig i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG, gilt er als Betrieb nach dem BetrVG und nach dem KSchG.4 Damit ein Betriebsteil nach Nr. 2 selbständig ist, bedarf er keines umfassenden eigenständigen Leitungsapparates, der insbesondere in sozialen und personellen Angelegenheiten wichtige Entscheidungen selbst treffen kann. Der Begriff der eigenständigen Organisation erfordert jedoch, dass eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende eigene Leitung auf der Ebene des verselbständigten Teils eines Betriebes besteht, insbesondere in personellen und sozialen Angelegenheiten, die dem Mitbestimmungsrecht unterliegen, und auch ausgeübt wird.5 Indizien gegen die Selbständigkeit von Betriebsteilen können daher ein einheitliches Personalwesen und gemeinsame soziale Einrichtungen sein.6 Indizien für die Selbständigkeit sind institutionelle Zuständigkeiten im Personalbereich der Leitungskräfte in einem jeweiligen Betriebsteil.7 Der Aufgabenbereich muss relativ selbständig sein. Der Betriebsteil wird zumeist fachfremde Hilfsfunktionen für den Gesamtbereich erfüllen, z.B. Verpackungsmaterial für das eigentliche Produkt herstellen, die Reparaturwerkstatt, der Fuhrpark. Allerdings lässt eine räumliche Nähe und organisatorische Verbindung zu einem Betrieb des Unternehmens 1 Siehe dazu generell Küttner/Kreitner, Betriebsteil Rz. 4. 2 BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14; ebenso KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 139; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 9. 3 BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14; ebenso KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 139; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 9; APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 11; Stahlhacke/Preis/Vossen Rn. 888, 1056. 4 So auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 139; APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 11; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 15. 5 BAG v. 28.6.1995 – 7 ABR 59/94, NZA 1996, 276 (= DB 1996, 687). 6 BAG v. 17.2.1983 – 6 ABR 64/81, DB 1983, 2039. 7 BAG v. 29.5.1991 – 7 ABR 54/90, NZA 1992, 74 (= DB 1992, 231); v. 25.11.1993 – 2 AZR 517/93, AP Nr. 3 zu § 14 KSchG 1969.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 25 Teil 2
mit anderen Aufgaben noch nicht auf die mangelnde Eigenständigkeit schließen.1 Ist der Begriff des Betriebs i.S. des KSchG geklärt, muss der Arbeitnehmer, um dessen Kündigungsschutz es geht, diesem Betrieb zugeordnet sein. Im Normalfall ist dies unproblematisch. Der Arbeitnehmer wird dem Betrieb zugeordnet, dem er angehört und in dem er tatsächlich seiner Leistungspflicht nachkommt (sog. Beschäftigungsbetrieb).
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Für die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einem bestimmten Betrieb können aber auch andere Kriterien als die tatsächliche Beschäftigung relevant werden.
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Ein solcher Fall kann z.B. eintreten, wenn das Unternehmen, in dem der Arbeitnehmer gearbeitet hat, durch eine Verschmelzung (§§ 2–122 UmwG), eine Spaltung (§§ 123–173 UmwG) oder durch eine Vermögensübertragung (§§ 174–189 UmwG) eine Änderung erfährt. Stellt sich diese Umwandlung zugleich als Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG dar, können die Arbeitnehmer von dem Unternehmer und dem Betriebsrat in einem Interessenausgleich gem. § 112 BetrVG namentlich einem bestimmten Betrieb/Betriebsteil der neuen Betriebe zugeordnet werden. Gem. § 323 Abs. 2 UmwG kann die Zuordnung der Arbeitnehmer durch das Arbeitsgericht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Hier wird der Arbeitnehmer somit durch kollektivrechtliche Vereinbarung einem bestimmten Betrieb zugeordnet, der dann für seine weitere – auch kündigungsschutzrechtliche – Rechtsposition entscheidend ist. Durch diese Vorschrift soll die Zuordnung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Umwandlungen nach dem UmwG übergehen, erleichtert werden. Da gem. § 324 UmwG § 613a Abs. 1 und 4 BGB durch die Wirkung der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt bleibt, wird deutlich, dass § 323 Abs. 2 UmwG den Betriebspartnern kein selbständiges Gestaltungsrecht gibt. Grundsätzlich bleiben für die Zuordnung der Arbeitnehmer die Kriterien maßgeblich, die auch ohne den Interessenausgleich gelten würden, also die zu § 613a BGB entwickelten. § 323 Abs. 2 UmwG ist keine Sonderregel zu § 613a BGB. Ist der Arbeitnehmer eindeutig einem bestimmten Betriebsteil zuzuordnen, so steht gem. § 324 UmwG i.V.m. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Rechtsträger fest. Rechtliche Bedeutung hat § 323 Abs. 2 UmwG nur, wenn das Arbeitsverhältnis nicht ohne weiteres einem Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden kann, z.B. weil der betreffende Arbeitnehmer in mehreren Betriebsteilen eingesetzt worden ist.2
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Im Rahmen der Umwandlung von Unternehmen und kündigungsschutzrechtlichen Folgen kann schließlich auch Abs. 1 des § 323 UmwG Bedeutung erlangen. Gem. § 323 Abs. 1 UmwG ist eine Verschlechterung der kündigungsrechtlichen Stellung eines Arbeitnehmers, der vor dem Wirksamwerden einer Spaltung oder Teilübertragung nach dem UmwG zu dem übertragenden Rechtsträger in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, auf Grund der Spaltung/
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1 Fitting, § 4 Rz. 21 ff. 2 Düwell, Umwandlung von Unternehmen und arbeitsrechtliche Folgen, NZA 1996, 393; KDZ/Zwanziger, § 323 UmwG Rz. 16 f.
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Teil 2 Rz. 26
Betriebsbedingte Kündigung
Teilübertragung für die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ausgeschlossen. Der Eintritt der Wirkungen einer dieser Umwandlungsformen wird, soweit dies die kündigungsrechtliche Stellung der betroffenen Arbeitnehmer betrifft, um zwei Jahre hinausgeschoben. 26
Problematisch ist die Bewertung der Reichweite des Wortes „kündigungsrechtliche“ Stellung. Zumindest soll dadurch der Wegfall des Kündigungsschutzes nach dem KSchG verhindert werden. Sinkt z.B. in dem Betrieb, in dem der Arbeitnehmer arbeitet, auf Grund einer Betriebsspaltung die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer auf nicht mehr als fünf Arbeitnehmer (= bis zum 31.12.2003 begründete Arbeitsverhältnisse) bzw. nicht mehr als zehn Arbeitnehmer (= seit dem 1.10.2004 begründete Arbeitsverhältnisse) ab, wird die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG auf das Arbeitsverhältnis nicht angewendet. Dem Arbeitnehmer bleibt für zwei Jahre sein bisheriger Kündigungsschutz erhalten.1
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Darüber hinaus soll § 323 Abs. 1 UmwG nicht nur den Kündigungsschutz, sondern auch die restlichen kündigungsbezogenen Regelungen für die Dauer von zwei Jahren aufrechterhalten.2 Dies ergibt sich aus dem weitgefassten Wortlaut der Gesetzesvorschrift. Kündigungsrechtliche Stellung ist mehr als kündigungsschutzrechtliche Stellung. Unter Kündigungsrecht werden die Bestimmungen verstanden, die die Kündigung betreffen. Kündigungsschutzrecht erfasst nur diejenigen Regelungen, die den Adressaten der Kündigung, den Arbeitnehmer schützen, den allgemeinen und den besonderen Kündigungsschutz. Der Wortlaut spricht also dafür, dass nicht nur die kündigungsschutzrechtlichen Regelungen im engeren Sinne des KSchG, sondern alle vertraglichen und tarifvertraglichen Kündigungsregelungen, die bisher auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, gemeint sind.3 Es bleibt also nicht nur das KSchG anwendbar, sondern es kommt z.B. bei der Prüfung der betriebsbedingten Kündigung bei der Frage der Betriebsbedingtheit (§ 1 Abs. 2 KSchG) auf den bisherigen Betrieb an. Bestünde im Betrieb ohne Spaltung/Teilübertragung eine Weiterbeschäftigungs- oder Versetzungsmöglichkeit, ist die Kündigung für zwei Jahre ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Sozialauswahl. Ein evtl. bestehender tarifvertraglicher Kündigungsschutz bleibt dem Arbeitnehmer ebenfalls erhalten, auch wenn im „neuen“ Betrieb gar kein Tarifvertrag oder ein anderer Tarifvertrag gilt.
1 BT-Drucks. 12/6699; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 16 m.w.N. 2 KR/Friedrich, §§ 322–324 UmwG, Rz. 38; Düwell, Umwandlung von Unternehmen und arbeitsrechtliche Folgen, NZA 1996, 393; Bachner, Individualarbeits- und kollektivrechtliche Auswirkungen des neuen Umwandlungsgesetzes, NJW 1995, 2881; 14. Auflage, 2002 § 23 Rz. 17 m.w.N.; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 193; Dehmer, UmwG 2. Auflage, 1996, § 323 Rz. 6; a.A. Willemensen, Arbeitsrecht im Umwandlungsgesetz – Zehn Fragen aus der Sicht der Praxis, NZA 1996, 791; Kreßler, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsgesetzes, BB 1995, 925; Wlotzke, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DB 1995, 40. 3 Zu dem Argument siehe v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 17; KR/Friedrich, §§ 322–324 UmwG Rz. 38.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 30 Teil 2
b) Zusammenfassung betrieblicher Einheiten Probleme bereitet es häufig, Arbeitnehmer, die in betrieblichen „Kleinsteinheiten“ mit nur wenigen Angestellten arbeiten (Filialen, Geschäftsstellen, Zweigstellen), für eine rechtliche Prüfung im Rahmen des KSchG einem bestimmten Betrieb zuzuordnen. Dies spielt unter anderem bei der sozialen Auswahl eine entscheidende Rolle. Wird diese „Kleinsteinheit“ für sich betrachtet, findet – sofern das KSchG angewendet werden kann, § 23 KSchG – eine Auswahl nur zwischen den dort Beschäftigten statt. Wird sie dagegen zum Hauptbetrieb gezogen, erhöht sich die Zahl der vergleichbaren Arbeitnehmer und damit die Chance des Arbeitnehmers auf ein für ihn günstiges Ergebnis der Auswahl nicht unbeträchtlich.
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Wie oben dargelegt (siehe unter Rz. 3 ff.), ist für den Betriebsbegriff des KSchG die räumliche Einheit der Betriebsstätte kein entscheidendes Abgrenzungskriterium. Es kommt vielmehr auf die organisatorische Einheit an, die anzunehmen ist, wenn ein einheitlicher Leitungsapparat vorhanden ist, der die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Gesamtzwecks eingesetzten Mittel lenkt. Führt ein Unternehmen neben einer Hauptzentrale viele kleine, über eine größere räumliche Distanz verteilte Filialen, steht dies der rechtlichen Zuordnung der Filialen zur Zentrale und damit der Bildung eines einzigen Betriebes nicht entgegen. Werden die Filialen von dem Hauptbetrieb durch einen einheitlichen Leitungsapparat gelenkt, und sind bei ihnen selbst keine wesentlichen arbeitsrechtlichen Befugnisse angesiedelt, sind die Filialen als unselbständige Betriebsteile der Zentrale zuzuordnen.1 Es schadet auch nicht, wenn die Filialen sich nicht in der gleichen Stadt befinden, sondern über das ganze Bundesgebiet verteilt sind, sofern die Distanz noch eine zentrale Lenkung erlaubt.2 Besteht dagegen in der Zweigstelle eine einheitliche Leitungsfunktion, können dort also z.B. eigenständige Entscheidungen im Bereich des Personalund Sozialwesens getroffen werden, ist sie als selbständiger Betrieb anzusehen.
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Selbst wenn eine solche Kleinsteinheit eine eigenständige Organisation hat, also einen eigenen Betrieb bildet, kann es unter dem Gesichtspunkt des § 4 Abs. 2 BetrVG angebracht sein, sie rechtlich als zum Hauptbetrieb zugehörig zu betrachten. Gem. § 4 Abs. 2 BetrVG sind Betriebe, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 (ständige Beschäftigung von mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern) nicht erfüllen, dem Hauptbetrieb zuzuordnen. Unterhält der Arbeitgeber neben dem nicht betriebsratfähigen Betrieb mehrere weitere Betriebe und wird die Leitung des nicht betriebsratsfähigen Betriebs in personellen und sozialen Angelegenheiten von der Leitung eines der anderen Betriebe beratend unterstützt, ist dieser Betrieb Hauptbetrieb i.S.v. § 4 Abs. 2 BetrVG.3 Durch die Vorschrift soll sichergestellt werden, dass die in Kleinstbetrieben eines Unternehmens tätigen Arbeitnehmer nicht von einer kollektiven Interessenvertretung ausgeschlossen sind, sondern vom Betriebsrat des Hauptbetriebes
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1 BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969; v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, AP Nr. 6 zu § 23 KSchG 1969; v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190 (= DB 1989, 127). 2 BAG v. 25.11.1993 – 2 AZR 517/93, NZA 1994, 837. 3 BAG v. 17.1.2007 – 7 ABR 63/05, NZA 2007, 703.
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Teil 2 Rz. 31
Betriebsbedingte Kündigung
mitvertreten werden.1 Diese Arbeitnehmer wirken bei der Wahl zum Betriebsrat des Hauptbetriebes mit und werden von diesem vertreten. Ggf. mit dem Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarungen und/oder Richtlinien, wie z.B. Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG) wirken auch für sie. Würde man diese Zuordnung nicht in das KSchG übernehmen, sondern den Kleinstbetrieb dort als eigenständigen Betrieb betrachten, führte dies zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmer gar nicht in den „Genuss“ ihrer betriebverfassungsrechtlichen Rechte kämen. Sie würden in der Regel mangels Überschreiten der Schwellenwerte nach § 23 Abs. 1 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG nicht unter das KSchG fallen. Die auch für sie wirkenden Auswahlrichtlinien würden bei einer Kündigung deshalb nicht berücksichtigt. Die Arbeitgeberpflichten und Mitwirkungsrechte des Betriebsrats nach § 17 BetrVG beträfen sie ebenfalls nicht, da sie als eigenständiger Betrieb rechtlich getrennt von evtl. Entlassungen im Hauptbetrieb zu betrachten wären. Allein diese Beispiele machen schon deutlich, dass man die Zuordnung des Kleinstbetriebes nach § 4 Abs. 2 BetrVG auch auf kündigungsschutzrechtliche Problematiken übertragen muss, sofern man nicht Widersprüche in Kauf nehmen will. c) Unternehmen eines Arbeitgebers 31
Grundsätzlich ist der allgemeine Kündigungsschutz betriebs- und nicht unternehmensbezogen.2 So kommt es für die Anwendbarkeit des KSchG gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG auf die Mindestgröße des Betriebes an. Auch für die Anzeigepflicht des Arbeitgebers bei Massenentlassungen gem. § 17 KSchG kommt es als Bezugspunkt auf die Größe des Betriebes an. Besonders deutlich wird dies aber bei der betriebsbedingten Kündigung. Gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung u.a. sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegensteht. Unabhängig davon, welche Umstände im Einzelfall zum Wegfall des Arbeitsplatzes und damit zur Kündigung geführt haben (dazu unten unter Rz. 228 ff.), können jedenfalls nur Ursachen herangezogen werden, die einen konkreten Bezug zum Betrieb haben. Arbeitsmarkt-, beschäftigungs- oder sozialpolitische Faktoren sind nicht zu berücksichtigen.3 Gleiches gilt für die bei der betriebsbedingten Kündigung vom Arbeitgeber gem. § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmende soziale Auswahl. Einzubeziehen sind alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes, nicht zu berücksichtigen sind dagegen Arbeitnehmer aus anderen Betrieben des Unternehmens oder aus anderen Unternehmen des Konzerns.4
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Das Kündigungsschutzgesetz ist aber auch unternehmensbezogen.5 Es gibt insbesondere zwei Gesichtspunkte, bei denen der Grundsatz der Betriebsbezogen1 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 14/5741, B. zu Nummer 4. 2 BAG v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, NZA 1987, 125 (= DB 1986, 2547); v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381 (= DB 1983, 2635). 3 BAG v. 13.3.1987 – 7 AZR 724/85, NZA 1987, 629 (= DB 1987, 1443). 4 BAG v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, NZA 1987, 125 (= DB 1986, 2547); v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, NZA 1990, 226 (= DB 1990, 380). 5 Siehe zur Definition des Unternehmens oben unter Rz. 3 ff.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 34 Teil 2
heit durchbrochen ist. Für die sechsmonatige Wartezeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG, von deren Ablauf die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes abhängt, ist die Zugehörigkeit zum Unternehmen maßgebend. Die Wartezeit ist z.B. auch dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer ununterbrochen in mehreren Betrieben desselben Unternehmens beschäftigt worden ist.1 Auf das Unternehmen kommt es weiterhin bei den Widerspruchstatbeständen des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b und Nr. 2b KSchG an. Dort wird bei der Frage der anderweitigen Weiterbeschäftigung auf die Unternehmensebene bzw. den Verwaltungszweig am selben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebietes abgestellt. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten sind aber generell unternehmensbezogen zu prüfen, unabhängig davon, ob ein Betriebsrat vorhanden ist oder ob dieser von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht. Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist arbeitgeberbezogen zu sehen. Arbeitgeber können aber alle Rechtsträger sein, gleich in welcher Rechtsform sie sich im Arbeitsvertrag verpflichtet haben. Der Arbeitgeber (das Unternehmen, die Gesellschaft) muss im Bereich seiner/ihrer rechtlichen Möglichkeiten eine Kündigung durch Versetzung auf einen freien Arbeitsplatz abwenden.2 Von dem Begriff des Unternehmens als einem Rechtssubjekt ist der des Konzerns abzugrenzen. Wie schon beim Betriebs- und beim Unternehmensbegriff gibt es auch hier keinen eigenen arbeitsrechtlichen Konzernbegriff. In arbeitsrechtlichen Gesetzen wird deshalb meist auf § 18 Abs. 1 AktG Bezug genommen, so z.B. §§ 8 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, § 5 MitbestG sowie § 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wonach ein Konzernbetriebsrat nur errichtet werden kann, wenn das herrschende Unternehmen seinen Sitz im Inland hat oder über eine im Inland ansässige Teilkonzernspitze verfügt.3 Gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG bilden ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst einen Konzern (sog. Unterordnungskonzern). Ein Gleichordnungskonzern liegt demgegenüber nach § 18 Abs. 2 AktG vor, wenn rechtlich selbständige Unternehmen, ohne dass das eine Unternehmen von dem anderen abhängig ist, unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind. Zu beachten ist dabei, dass die Errichtung eines Konzernbetriebsrates aufgrund des Territorialitätsprinzips des AktG nur in Betracht kommt, wenn nicht nur die unter eine einheitliche Leitung zusammengefassten Unternehmen, sondern auch die Konzernobergesellschaft ihren Sitz im Inland hat.4
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Die Konzernunternehmen sind rechtlich selbständig. Der Konzern selber kann als bloße Unternehmensverbindung kein Rechtssubjekt sein. Der Arbeitsvertrag wird deshalb zwischen dem Arbeitnehmer und dem/den Konzernunternehmen geschlossen. Die Konzernverbundenheit der einzelnen Unternehmen wirkt sich auf den Arbeitsvertrag nicht aus. Die Konzernleitungsmacht in ei-
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1 Zur Wartezeit ausführlicher unten Rz. 129 ff. 2 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 607/02; v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, NZA 1985 (= DB 1985, 1190), 489; v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94, NZA 1995, 413 (= DB 1995, 878). 3 BAG v. 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, NZA 2007, 999; zustimmend Junker, SAE 2008, 41–45 m.w.N. 4 BAG v. 16.5.2007 – 7 ABR 63/06, NZA 2008, 320.
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Teil 2 Rz. 35
Betriebsbedingte Kündigung
nem Unterordnungskonzern etwa richtet sich an die Geschäftsführung oder den Vorstand der Untergesellschaft, begründet aber keine Rechtsposition in dem zwischen abhängiger Konzerngesellschaft und Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag.1 Wegen der formal getrennten Rechtspersönlichkeit der Konzernunternehmen hat die Konzernzugehörigkeit im Kündigungsrecht nur in wenigen Fällen Bedeutung. Der Bestandsschutz nach dem KSchG ist grundsätzlich nicht konzernbezogen.2 Diskutiert wird ein konzernbezogener Kündigungsschutz allein für die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz entsprechend § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b) KSchG.3 35
Hierbei ist zu unterscheiden, ob ein Arbeitsverhältnis mit Konzernbezug oder ein „normales“ Arbeitsverhältnis ohne Konzernbezug vorliegt.
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Liegt nur ein Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit einem Konzernunternehmen vor und ist der Arbeitnehmer vertraglich keine Verpflichtung zur Versetzung/Entsendung in ein anderes Konzernunternehmen eingegangen, ist eine konzernbezogene Versetzungspflicht für den Regelfall abzulehnen. Die Kündigung ist deshalb nicht unwirksam, weil die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in einem anderen Konzernunternehmen besteht.4 Etwas anderes ist denkbar, wenn ein anderes als das kündigende Unternehmen sich ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt hat, der Arbeitgeber sich verpflichtet hat, zunächst eine Unterbringung des Arbeitnehmers in einem anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb zu versuchen, bevor er aus betriebsbedingten Gründen kündigt oder wenn der Arbeitgeber die Übernahme durch einen anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb gegenüber dem Arbeitnehmer in Aussicht stellt. Auch eine solche aufgrund formloser Zusage oder eines vorangegangenen Verhaltens erzeugte Selbstbindung (z.B. in Form einer Selbstbindung der Konzernobergesellschaft) kann den Arbeitgeber verpflichten, vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine anderweitige Unterbringung des Arbeitnehmers in einem Konzernbetrieb zu versuchen.5 Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Verschaffung eines Arbeitsvertrages gegen die Konzernmuttergesellschaft wird auch dann diskutiert, wenn sich zu Lasten des Arbeitnehmers konzernspezifische Beschäftigungsrisiken realisiert haben. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein abhängiges Unternehmen, bei dem der Arbeitnehmer angestellt ist, nur formell rechtlich selbständig ist, tatsächlich jedoch keine autonomen wirt1 Küttner/Röller, Konzernarbeitsverhältnis Rz. 3. 2 St. Rspr. vgl. BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06; v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30; v. 18.9.2003 – 2 AZR 607/02; v. 27.11.1991 – 2 AZR 255/92, NZA 1992, 644 (= DB 1992, 1247). 3 So zuletzt BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 607/02; v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, EBE/BAG Beilage 2004, LS 55/04. 4 BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30; v. 27.11.1991 – 2 AZR 255/92, NZA 1992, 644 (= DB 1992, 1247); v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, NZA 1987, 125 (= DB 1986, 2547); v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381 (= DB 1983, 2635). 5 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 607/02; v. 27.11.1991 – 2 AZR 255/92, NZA 1992, 644 (= DB 1992, 1247); v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381 (= DB 1983, 2635), hier nahm das BAG bei einem Betriebsratsmitglied im Falle einer Betriebsstilllegung eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht aufgrund einer entsprechenden Selbstbindung der Konzernmutter gegenüber einem abhängigen Konzernunternehmen an; Küttner/Röller, Konzernarbeitsverhältnis Rz. 7.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 38 Teil 2
schaftlichen Entscheidungen treffen darf und aus konzernstrategischen Gründen angewiesen wird, ein bestimmtes Betätigungsfeld zugunsten eines anderen Konzernunternehmens aufzugeben. Gleiches gilt ebenfalls für den Fall, dass ein Konzernunternehmen stillgelegt wird und gleichzeitig ein Konzernunternehmen mit identischen arbeitstechnischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen gegründet wird. Zwar gilt auf Konzernebene ebenfalls der Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung.1 Das unternehmerische Ermessen unterliegt aber auch hier einer Missbrauchskontrolle. Ist die Entscheidung unsachlich, unvernünftig oder willkürlich, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abordnung an dasjenige Konzernunternehmen, in dem die von seinem Konzernarbeitgeber verfolgten unternehmerischen und arbeitstechnischen Zielsetzungen fortgeführt werden. Dabei ist es gleich, ob ein solcher Anspruch auf eine entsprechende Anwendung von § 1 Abs. 2 KSchG2 oder auf die Grundsätze der Vertrauenshaftung, der Fürsorgepflicht und des Gleichbehandlungsgrundsatzes gestützt wird.3 In der Praxis erschwerend bleibt es für den Arbeitnehmer stets, dass er für die einem Verschaffungs- bzw. Einstellungsanspruch zugrundeliegenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet ist. Er muss also vortragen und ggf. beweisen, dass sich ein besonderes Konzernrisiko realisiert hat. Ist der Arbeitgeber einem anderen Konzernunternehmen durch Beherrschungsvertrag (§§ 291, 308 AktG) unterstellt oder besteht ein Eingliederungskonzern (§§ 319 AktG) oder ein qualifiziert faktischer Konzern, muss die Konzernmuttergesellschaft nach den Grundsätzen der sog. sekundären Behauptungslast darlegen, dass sie keinen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers genommen hat oder die Entscheidung für das abhängige Unternehmen im Hinblick auf dessen Tätigkeit am Markt sachlich gerechtfertigt war. Anderes gilt bei einem Arbeitsverhältnis mit vertraglich vereinbartem Konzernbezug. Für die Möglichkeit eines kündigungsrechtlich relevanten Konzernbezugs im Arbeitsverhältnis kommen mehrere Vertragsmöglichkeiten in Betracht.
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Zunächst kann ein Konzernarbeitsverhältnis in der Form abgeschlossen werden, dass zwischen dem Arbeitnehmer und mehreren Konzernunternehmen gleichzeitig arbeitsvertragliche Beziehungen bestehen. Es ist rechtlich zulässig, dass Arbeitsverhältnisse mit mehreren Konzernunternehmen nebeneinander begründet werden. Es liegt dann u.U. ein einheitliches Arbeitsverhältnis vor. Für die Annahme eines solchen Arbeitsverhältnisses ist nicht Voraussetzung, dass die Arbeitgeber zueinander in einem bestimmten – insbesondere gesellschaftsrechtlichen – Rechtsverhältnis stehen, einen gemeinsamen Betrieb führen oder den Arbeitsvertrag gemeinsam abschließen. Erforderlich ist vielmehr ein rechtlicher Zusammenhang zwischen den arbeitsvertraglichen Beziehungen des Arbeitnehmers zu den einzelnen Arbeitgebern, der es verbietet, diese Beziehungen rechtlich getrennt zu behandeln.4 Ein solches Vertragsverhältnis kann
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1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 540. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 542; Konzen, Arbeitsverhältnis im Konzern, ZHR 151 (1987), 566, 601; Konzen, Arbeitsrechtliche Drittbeziehungen, ZfA 1982, 259, 307. 3 Martens, Das Arbeitsverhältnis im Konzern, Festschrift für 25 Jahre BAG, S. 367. 4 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 648/97, NZA 1999, 539 (= DB 1999, 806); v. 27.3.1981 – 7 AZR 523/78, NJW 1984, 1703 (= DB 1982, 1569).
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Teil 2 Rz. 39
Betriebsbedingte Kündigung
auch nachträglich durch Vertragsbeitritt begründet werden. Liegt eine solche Vertragsform vor, kann sie im Regelfall nur von und gegenüber allen gekündigt werden. Dabei müssen die Kündigungsvoraussetzungen grundsätzlich im Verhältnis zu jedem der Beteiligten gegeben sein. Allerdings kann sich das Vorliegen eines Kündigungsgrundes auch im Verhältnis zu den übrigen Beteiligten auswirken. Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn für den betroffenen Arbeitnehmer in keinem der nach dem Arbeitsvertrag verpflichteten Unternehmen weitere Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen.1 39
Möglich ist auch der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem Konzernunternehmen, in dem ein konzernweiter Entsendungs- oder Versetzungsvorbehalt vereinbart worden ist. Unter Entsendung wird dabei die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung verstanden. Erfolgt zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG vorübergehend eine Arbeitnehmerüberlassung, ist das AÜG gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht anwendbar (erlaubnisfreie, nichtgewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, sog. echte Leiharbeit).2 Versetzung ist der Wechsel des Arbeitgebers innerhalb des Konzerns. Der Arbeitgeberwechsel kann sich vollziehen, indem das ursprüngliche Arbeitsverhältnis unter Auswechslung der Arbeitgeberpartei fortgesetzt wird oder indem ein neues Arbeitsverhältnis begründet und das alte beendet wird. Ggf. kann diese Vertragsgestaltung mit einer Rückkehr- oder Wiedereinstellungsklausel beim alten Arbeitgeber verbunden werden. Fehlen solche Klauseln, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm der frühere Arbeitsplatz freigehalten wird. Hat das (frühere) Arbeitgeberunternehmen eine entsprechende Zusage gegeben, kann es sich nach Beendigung z.B. einer Entsendung nicht darauf berufen, ein vor und während der Abordnung zur Verfügung stehender unbefristeter Arbeitsplatz sei zwischenzeitlich anderweitig besetzt worden.3 Ein arbeitsvertraglich vereinbarter Konzernvorbehalt kann die Einwilligung des Arbeitnehmers enthalten, als Leiharbeitnehmer eingesetzt zu werden bzw. an einem späteren Arbeitgeberwechsel mitzuwirken.4 Ein Konzernversetzungs- oder Entsendungsvorbehalt hat kündigungsschutzrechtliche Auswirkungen. Ist der Arbeitnehmer für den Konzernbereich eingestellt, darf er darauf vertrauen, dass dieser Verpflichtung ein entsprechender Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen gegenübersteht. Eine Versetzungsklausel kann daher einen Anspruch auf Verschaffung eines freien und geeigneten Arbeitsplatzes bei einem konzernangehörigen Schwesterunternehmen begründen, das selbst nicht Arbeitgeber ist. Ein solches Vertrauen ist aber nicht schon dann begründet, wenn Arbeitnehmer in einem Konzernunternehmen, ohne versetzt/abgeordnet zu werden, bestimmten fachlichen Weisungen durch ein anderes Konzernunternehmen unterstellt werden und dadurch noch kein Vertrauenstatbestand begründet wird, der einem vereinbarten oder in der Vertragsabwicklung konkludent durchgeführten Versetzungsvorbehalt gleichgestellt werden kann.5 Es besteht jedoch 1 2 3 4 5
BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 648/97, NZA 1999, 539 (= DB 1999, 806). KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 590. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 592. Küttner/Röller, Konzernarbeitsverhältnis Rz. 5. BAG v. 27.11.1991 – 2 AZR 255/92, NZA 1992, 644 (= DB 1992, 1247); v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381 (= DB 1983, 2635).
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 40 Teil 2
nur dann ein uneingeschränkter Anspruch, wenn der Arbeitgeber die Einstellung des Arbeitnehmers (kraft gesellschaftsrechtlicher Mehrheitsbefugnisse oder Arbeitsvertrages) rechtlich durchsetzen kann (bestimmender Einfluss).1 Ist dies nicht der Fall, ist das arbeitgebende Konzernunternehmen nur verpflichtet, eine Unterbringung des Arbeitnehmers in einem anderen Unternehmensoder Konzernbetrieb zu versuchen, bevor es dem Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen kündigt.2 Erfüllt der Arbeitgeber dagegen trotz rechtlicher Durchsetzungsmöglichkeit den Anspruch des Arbeitnehmers nicht, ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung im Konzern nicht überprüft hat, bewirkt noch nicht die Unwirksamkeit der Kündigung. Versäumt es der Arbeitnehmer nämlich, sich auf eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu berufen oder zeigt er nach einem Bestreiten des Arbeitgebers nicht auf, wie er sich eine Beschäftigung vorstellt, ist die Kündigung wirksam.3 Beruft sich der Arbeitnehmer dagegen auf die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in einem anderen Konzernunternehmen, muss der Arbeitgeber nach allgemeinen Grundsätzen die fehlende Einsatzmöglichkeit bei anderen zum Konzern gehörenden Unternehmen darlegen und beweisen. Dem Arbeitgeber obliegt eine gesteigerte Darlegungslast. Die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers sind dagegen geringer. An seinen Vortrag dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Er wäre in der Regel überfordert, wenn er konkret freie Arbeitsplätze in einem anderen Konzern benennen müsste.4 Bei Konzernversetzungsklauseln in Formulararbeitsverträgen ist daran zu denken, dass sie anhand §§ 307 ff. BGB nach der Allgemeinen Geschäftsbedingungskontrolle überprüft werden können. Entgegen § 23 AGBG5, wonach das AGBG unter anderem bei Verträgen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts keine Anwendung findet, sind Arbeitsverträge in der Bereichsausnahmeregelung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht mehr genannt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass jedwede Klausel an Hand der §§ 307 ff. BGB nach der Allgemeinen Geschäftsbedingungskontrolle überprüft werden kann. Wird beispielsweise in einer Klausel in einem Formulararbeitsvertrag eines tarifgebundenen Arbeitgebers der einschlägige Tarifvertrag, welcher bestimmte Kündigungsmöglichkeiten modifiziert, in Bezug genommen, so findet selbst dann keine Transparenzkontrolle dieser Bestimmung nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB statt, wenn der Arbeitnehmer nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist.6 Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden nämlich die §§ 305–310 BGB keine Anwendung auf Tarifverträge und aus der Vorschrift lässt sich auch keine Einschränkung dahin gehend ablei1 BAG v. 23.11.2004 – 2 AZR 24/04, DB 2005, 1174 (= ZIP 2005, 1044). 2 BAG v. 27.11.1991 – 2 AZR 255/92, NZA 1992, 644 (= DB 1992, 1247); v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381 (= DB 1983, 2635). 3 BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 489/93, NZA 1994, 653 (= DB 1994, 1627). 4 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 648/97, NZA 1999, 539 (= DB 1999, 806). 5 Das AGBG wurde gleichzeitig mit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes aufgehoben, Art. 6 des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, BGBl. I 2001, 3187. 6 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049.
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Teil 2 Rz. 41
Betriebsbedingte Kündigung
ten, dass unter „Tarifverträge“ nur solche Verträge zu verstehen sind, die Kraft Tarifbindung unmittelbar und zwingend gelten (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Auch der gesetzliche Gesamtzusammenhang spricht gegen eine Inhaltskontrolle einschlägiger tarifvertraglicher Normen, auf welche im Arbeitsvertrag Bezug genommen wird. Gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB stehen Tarifverträge Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB gleich. Jedenfalls mit einer uneingeschränkten Verweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag erlangen die tarifvertraglichen Bestimmungen bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern erst Geltung im Arbeitsverhältnis. Die Verweisung führt damit nicht zu einer Außerachtlassung von Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, sondern zu deren Anwendbarkeit. Folglich hat in diesem Fall eine Inhaltskontrolle nicht zu erfolgen, da sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsnormen stattfindet.1 Die Bereichsausnahme gilt allerdings für Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Gem. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB ist jedoch bei Arbeitsverträgen die Kontrolle eingeschränkt. Danach sind bei der Anwendung auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Nach der Begründung des Rechtsausschusses soll damit den Besonderheiten spezifischer Bereiche des Arbeitsrechts wie z.B. des kirchlichen Arbeitsrechts angemessen Rechnung getragen werden können.2 Nach der Gesetzesbegründung sollen die besonderen Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) im Arbeitsrecht nicht zwingend uneingeschränkt zu Anwendung kommen. Es sollen vielmehr hier die besonderen Bedürfnisse eines Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden.3 Bei einer Konzernversetzungsklausel kommt daher nur eine Kontrolle anhand von §§ 307 und 308 BGB in Betracht, wobei bei einer AGB-Kontrolle in § 308 BGB die Besonderheiten des Arbeitsrechts über die in der Norm selbst vorgesehenen Wertungsmöglichkeiten einfließen. Besondere Bedeutung kommt dabei § 308 Nr. 4 BGB zu, wonach die Wirksamkeit einseitiger Änderungsvorbehalte unter den Vorbehalt der Zumutbarkeit für den anderen Vertragsteil gestellt wird. Eine Überprüfung anhand dieser Norm kann eine Einschränkung der Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konzern-Versetzungsklauseln jedenfalls nicht generell begründen.4 d) Gemeinschaftsbetrieb verschiedener Rechtsträger 41
Eine Sonderform des Betriebes, die sowohl im Rahmen des BetrVG als auch des KSchG5 anerkannt ist, ist der Gemeinschaftsbetrieb mehrerer verschiedener Rechtsträger. Führen mindestens zwei selbständige Unternehmer einen gemeinsamen Betrieb, muss dies von vornherein als solches erkannt werden, da sich sonst bei der Beurteilung des Falles, insbesondere in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht, verschiedene Fehlerquellen eröffnen. Zu beachten ist, dass für Betriebe verschiedener Rechtsträger kein gemeinsamer Gesamtbetriebs1 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, MDR 2007, 1202; vgl. auch Joost, Festschrift für Ulmer 2003, S. 1199 (1205). 2 BT-Drucks. 14/6040 zu § 310 IV. 3 BT-Drucks. 14/6857, S. 53/54 zu Nr. 5. 4 Siehe Lingemann, Allgemeine Geschäftsbedingungen, NZA 2000, 181. 5 BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, NZA 1984, 88 (= DB 1984, 1684).
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 45 Teil 2
rat errichtet werden kann. Dies gilt grundsätzlich auch für Gemeinschaftsbetriebe.1 Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen ist in ständiger Rechtsprechung des BAG, die durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vom Gesetzgeber bestätigt wurde, an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gebunden.
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Ausreichend ist nicht allein die Tatsache, dass mehrere Unternehmen wirtschaftlich zusammenarbeiten oder dass sie eine betriebliche Tätigkeit in den gleichen Räumen und/oder mit den gleichen Mitteln durchführen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist es immer noch denkbar, dass jedes Unternehmen den von ihm verfolgten Betriebszweck unabhängig von dem anderen verfolgt und somit mehrere selbständige Betriebe vorliegen.
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Erforderlich ist vielmehr, dass die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft aufgrund einer zumindest stillschweigenden Vereinbarung zur gemeinsamen Führung der beteiligten Unternehmen von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird.2
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Es müssen also zwei Punkte vorliegen:
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– Der Betrieb unterliegt einem einheitlichen Leitungsapparat, der im Wesentlichen alle für die Erreichung des verfolgten arbeitstechnischen Zwecks eingesetzten personellen, technischen und immateriellen Mittel lenkt. Es ist insbesondere erforderlich, dass die Arbeitgeberfunktionen im Bereich der sozialen und personellen Angelegenheiten (§§ 87 ff. und §§ 92 ff. BetrVG) sowie die unternehmerischen Funktionen im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 111 ff. BetrVG) von einer gemeinsamen Führung wahrgenommen werden. Dagegen ist für das Vorliegen eines Betriebes keine Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung erforderlich. Maßgebend ist in erster Linie die Einheit der Organisation. Die Annahme eines gemeinsamen Betriebes ist daher nicht schon ausgeschlossen, wenn die beteiligten Unternehmen unterschiedliche arbeitstechnische Zwecke verfolgen, sofern dies im Rahmen einer Organisationseinheit geschieht. Die arbeitstechnischen Zwecke müssen weder identisch sein, noch zueinander in einem funktionellen Zusammenhang (etwa in Form einer Hilfsfunktion) stehen. – Zweitens muss die einheitliche Organisation auf einer rechtlichen Vereinbarung der beteiligten Unternehmen beruhen (sog. Führungsvereinbarung). Erst bei Vorliegen einer Führungsvereinbarung wird die Einheitlichkeit der Leitung nachvollziehbar.3 Ein gemeinsamer Betrieb liegt aber nicht nur vor, wenn die Unternehmen sich ausdrücklich zur gemeinsamen Führung des Betriebes zusammengeschlossen haben, sondern auch, wenn sich eine solche Vereinbarung konkludent aus den näheren Umständen des Einzelfalles er1 BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825. 2 BAG v. 13.8.2008 – 7 ABR 21/07 (n.v.); v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06 (n.v.); v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, DB 2007, 2843; v. 21.2.2001 – 7 ABR 9/00, EzA-SD 2001, Nr. 18, 11. 3 BAG v. 21.2.2001 – 7 ABR 9/00, EzA-SD 2001, Nr. 18, 11; v. 12.11.1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590 (= DB 1999, 965).
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Teil 2 Rz. 46
Betriebsbedingte Kündigung
gibt.1 Der rechtliche Zusammenschluss kann insbesondere auch im Rückschluss aus der vereinheitlichten Betriebsführung abgeleitet werden, da eine gemeinschaftliche Betriebsführung ohne entsprechende Verabredung nicht vorstellbar ist. 46
Da es auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, hat die Rechtsprechung eine Reihe von Indizien festgestellt, die auf eine gemeinsame Leitung/Führungsvereinbarung hindeuten. Generell lässt sich sagen, dass um so eher ein gemeinsamer Betrieb angenommen werden muss, je mehr betriebliche Gemeinsamkeiten und Organisationsverflechtungen bestehen. Überwiegen dagegen die Trennungselemente, muss eher von zwei selbständigen Betrieben ausgegangen werden.2
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Als Indizien für das Vorliegen einer konkludenten Leitungsvereinbarung wurden z.B. vom BAG die gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln und Räumen3, der Austausch von Arbeitskräften4, die Koordination der Urlaubsplanung der Arbeitskräfte5, die organisatorische, personelle und technische Verknüpfung von Arbeitsabläufen6 und Personenidentität bei den Geschäftsführern bzw. leitenden Angestellten7 bzw. Personalunion in der Vorstandsebene8 angesehen. Haben zwei Unternehmen in der Form eines Gemeinschaftsbetriebs Bauleistungen erbracht, so muss nicht notwendigerweise die bisher ausgeübte einheitliche personelle Leitung wegfallen, wenn sich in Zukunft das eine dieser Unternehmen auf Bauträgerleistungen konzentriert oder bloße Bauplanungen ausführt und die gewerblichen Bauaufgaben dem anderen Unternehmen überlässt9
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Mit dem Gemeinschaftsbetrieb nicht zu verwechseln ist das Gemeinschaftsunternehmen. Ein solches liegt vor, wenn an einem Unternehmen gesellschaftsrechtlich zwei oder mehrere Unternehmen beteiligt sind und eine gemeinsame Zielsetzung verfolgen. Kündigungsschutzrechtlich ergeben sich hier keine Besonderheiten. Es handelt sich nicht um den gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, sondern um den Betrieb eines eigenen Unternehmens, des Gemeinschaftsunternehmens. Vom Gemeinschaftsbetrieb ist weiterhin der Fall abzugrenzen, dass verschiedene Unternehmen mit einem Unternehmen einen Dienstvertrag abschließen und ihm dadurch die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe übertragen, die für ihre wirtschaftliche Zielsetzung von Bedeutung ist. Auch hier ist das beauftragte Unternehmen kein Gemeinschaftsbetrieb der anderen Unternehmen, sondern kündigungsschutzrechtlich selbständig zu betrachten. 1 BAG v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, DB 1989, 127. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 24. 3 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32 (= DB 1987, 2362); v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190 (= DB 1989, 127); v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110 (= DB 1996, 2131). 4 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32 (= DB 1987, 2362); v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190 (= DB 1989, 127). 5 BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110 (= DB 1996, 2131). 6 BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110 (= DB 1996, 2131). 7 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32 (= DB 1987, 2362). 8 BAG v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190 (= DB 1989, 127). 9 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06 (n.v.).
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 49 Teil 2
Steht das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes fest, werden alle weiteren Voraussetzungen des KSchG auf den Gemeinschaftsbetrieb bezogen. – Für die Arbeitnehmerzahl nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG zählen alle in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer, unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer die beteiligten Unternehmen beschäftigen.1 Das KSchG kann daher auch in einem Kleinbetrieb gelten, wenn er Teil eines Gemeinschaftsbetriebes ist. – Hinsichtlich der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b) KSchG (absolute Gründe der Sozialwidrigkeit) kommt es nicht nur auf die Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung im Unternehmen2 des Rechtsträgers, der dem Arbeitnehmer gekündigt hat, sondern auch auf den gemeinsamen Betrieb an. Es ist daher zu prüfen, ob in dem gemeinsamen Betrieb ein vergleichbarer, d.h. hierarchisch auf der bisherigen Beschäftigungsebene liegender, und verfügbarer, d.h. freier Arbeitsplatz mit dem Arbeitnehmer besetzt werden kann. Rechtlich irrelevant ist dabei, ob dieser Arbeitplatz einem anderen als dem kündigenden Rechtsträger zugeordnet werden kann. Notfalls muss mit dem beteiligten Unternehmen ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen werden.3 Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erstreckt sich dagegen nicht auf etwaige weitere Betriebe der Rechtsträger, die an dem gemeinsamen Betrieb beteiligt sind. Dies folgt daraus, dass durch die Führungsvereinbarung nur ein gemeinsamer Betrieb, nicht aber ein gemeinsames Unternehmen geschaffen wurde.4 – Bei der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung sind alle, in diesem gemeinsamen Betrieb beschäftigten vergleichbaren Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einzubeziehen. Auch hier ist rechtlich unbeachtlich, ob die fraglichen Arbeitnehmer arbeitsvertraglich an verschiedene Unternehmen gebunden sind.5 Besteht der Gemeinschaftsbetrieb zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr, scheidet eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl aus.6 – Liegt ein gemeinsamer Betrieb vor, gilt dieser auch als Betrieb i.S.v. § 17 KSchG. Für die Frage, wann der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit Anzeige erstatten muss, kommt es daher auf die Anzahl der entlassenen Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl im gemeinsamen Betrieb an.7 1 BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969; v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, EzA § 23 KSchG Nr. 9; LAG Schleswig-Holstein v. 22.4.1997 – 1 Sa 384/96 (LS) DB 1997, 1980. 2 Zum Unternehmensbezug der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit siehe BAG v. 17.5. 1984 – 2 AZR 109/83, NZA 1985, 489. 3 KR/Friedrich, §§ 322–324 UmwG Rz. 50; BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969; v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG Nr. 23 Soziale Auswahl; LAG Düsseldorf v. 26.5.1997 – 18 (8) Sa 234/97, LAGE § 23 KSchG Nr. 14. 4 Ebenso KR/Friedrich, §§ 322, 323, 324 UmwG Rz. 51 m.w.N. 5 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759; v. 24.2.2005 – 2 AZR 214/04, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 59; v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600 (= DB 1986, 1287). 6 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 607/02; v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, AP Nr. 72 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 7 KDZ/Kittner/Deinert, § 17 KSchG Rz. 5.
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Teil 2 Rz. 50
Betriebsbedingte Kündigung
– Der Gemeinschaftsbetrieb ist ebenfalls im Rahmen des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmervertretungsmitglieder gem. § 15 Abs. 5 KSchG zu berücksichtigen. Wird eine zum geschützten Personenkreis gehörende Person in einer Betriebsabteilung eines Gemeinschaftsbetriebes beschäftigt, ist sie bei Stilllegung ihrer Abteilung in eine andere Betriebsabteilung des Gemeinschaftsbetriebes zu übernehmen, und zwar auch dann, wenn die Abteilung nicht dem Unternehmen zuzuordnen ist, dem der Arbeitnehmer angehört.1 50
Die Problematik des gemeinsamen Betriebes kann auch nach einer Spaltung/ Teilübertragung gem. §§ 123, 174 Abs. 2 UmwG entstehen. Eine solche hat nämlich nicht notwendigerweise auch die Spaltung des Betriebes zur Folge. Die an der Spaltung/Teilübertragung beteiligten Rechtsträger können den Betrieb als gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen fortführen. Dieser Fall ist in § 322 UmwG (bisheriger § 322 Abs. 2 UmwG) geregelt. Führen danach die an der Spaltung/Teilübertragung beteiligten Rechtsträger einen Betrieb gemeinsam, gilt dieser als Betrieb im Sinne des KSchG. Es wird klargestellt, dass alle oben genannten Rechtsfolgen auch hier gelten. Diese Vorschrift, die die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze wiederholt, hat lediglich klarstellende Funktion. Ob tatsächlich eine gemeinsame Betriebsführung gegeben ist, ist nach den oben genannten Voraussetzungen im Einzelnen zu prüfen. 2. Mindestbetriebsgröße, Anzahl der Arbeitnehmer a) Allgemeines
51
Nach der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG sind die den allgemeinen Kündigungsschutz betreffenden Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG nur in Betrieben anwendbar, die eine bestimmte, an der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer zu bemessende Betriebsgröße (sog. Schwellenwert) überschreiten. Durch diese Privilegierung soll der Eigenheit eines Kleinbetriebs Rechnung getragen werden, in dem der Arbeitgeber typischerweise noch selbst mitarbeitet und daher einen engeren persönlichen Kontakt zu seinen Arbeitnehmern hat. Zudem soll der in der Regel wirtschaftlich schwächere Arbeitgeber vor dem ihn stärker belastenden Verwaltungsaufwand eines Kündigungsschutzprozesses geschützt werden.2 Zu beachten ist allerdings, dass im Falle einer Betriebsveräußerung nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der dem Arbeitnehmer des Betriebsveräußerers aufgrund der Anzahl der Beschäftigten nach § 23 Abs. 1 KSchG eingeräumte Kündigungsschutz nicht auf den Betriebserwerber übergeht, wenn in dessen Betrieb die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG nicht vorliegen.3 Außerdem erfasst § 23 Abs. 1 nur Betriebe, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen.4 Wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung 1 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32 (= DB 1987, 2362); siehe dazu auch das Beispiel oben unter a). 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470 (= DB 1998, 826) und 1 BvL 22/93, NZA 1998, 469 (= DB 1998, 829). 3 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739. 4 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 902/06 (n.v.) sowie BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 3 = EzA KSchG § 23 Nr. 27.
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Mues
Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 53 Teil 2
vom 27.1.1998 – 1 BvL 15787 – ausgeführt hat, ist den Arbeitnehmern in Kleinbetrieben das größere rechtliche Risiko eines Arbeitsplatzverlustes angesichts der schwerwiegenden und grundrechtlich geschützten Belange der Arbeitgeber zwar grundsätzlich zuzumuten. Sie sind aber nicht völlig schutzlos gestellt. Wo die Bestimmungen des KSchG nicht greifen, sind Arbeitnehmer durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt (§ 242 und § 138 BGB). Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte z.B. aus Art. 12 Abs. 1 GG zu beachten. Das BAG hat deshalb ausgeführt, dass dann, wenn bei einer Kündigung eine Auswahl unter mehreren Arbeitnehmern zu erfolgen hat, auch der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, auf den das KSchG keine Anwendung findet, ein durch Art. 12 GG gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme wahren muss und ein durch langjährige Mitarbeit verdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt lassen darf.1 Dies führt aber nicht dazu, dass damit im Kleinbetrieb die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 KSchG über die Sozialauswahl analog anwendbar wären. Die Nichtberücksichtigung des Kleinbetriebs im KSchG trägt ihrerseits den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belangen des Kleinunternehmers Rechnung, dessen Kündigungsrecht in hohem Maße schutzwürdig ist.2 Der Gesetzgeber differenziert in § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG bei der Festlegung des Schwellenwertes nach solchen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 31.12.2003 begonnen hat und solchen, die erst am 1.1. 2004 oder später eingestellt worden sind. Während für die „Alt“-Arbeitnehmer weiterhin der bisherige Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern gilt, ist für die ab dem 1.1.2004 neu eingestellten Arbeitnehmer der Schwellenwert auf zehn Arbeitnehmer angehoben worden.3 Neueinstellungen kommen somit nur dann in den Genuss des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem ersten Abschnitt des KSchG, wenn der Schwellenwert von 10 Arbeitnehmern im Betrieb überschritten ist. Ansonsten sind sie für die Berechnung der Relevanzschwelle nicht zu berücksichtigen.4 Durch die geänderte Schwellenwertregelung, die im wesentlich eine Rückkehr zu der zwischen dem 1.10.1996 und dem 31.12.1998 bestehenden Rechtslage bedeutet, soll nach dem Willen des Gesetzgebers kleinen Unternehmen die Entscheidung zu Neueinstellungen erleichtert werden, ohne jedoch zugleich den bereits Beschäftigten einen bereits bestehenden Kündigungsschutz zu nehmen.5
52
Eine weitere Neuerung gegenüber der bisherigen Regelung besteht darin, dass gemäß § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG die Bestimmungen der §§ 4 bis 7
53
1 BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 672/01, BAGE 97, 92. 2 LAG Bremen v. 12.7.2007 – 3 Sa 308/06 verb. m. 3 Sa 45/07, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 14. 3 Demgegenüber hatte der Gesetzesentwurf der Koalition zunächst vorgesehen, dass bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG bis zu 5 Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsverhältnis nicht zu berücksichtigen sein sollten (Regierungsentwurf v. 24.6.2003, Art. 1 Nr. 7b), BT-Drucks. 15/1204). 4 Wolff, FA 2004, 40. 5 Vgl. auch Kock, ArbRB 2004, 83 (85).
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Teil 2 Rz. 54
Betriebsbedingte Kündigung
KSchG sowie des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG unabhängig von der Betriebsgröße für alle Kündigungen gelten. 54
Einstweilen frei. b) Die Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG
55
Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gelten die Vorschriften des ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG sieht darüber hinaus vor, dass in Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, die Vorschriften des ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG nicht für Arbeitnehmer gelten, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat. Diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG bis zur Beschäftigung von in der Regel 10 Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen.
56
Der Gesetzgeber unterscheidet damit zwei unterschiedliche Schwellenwerte: Für Altarbeitnehmer, die bereits vor dem 31.12.2003 in einem Betrieb mit mehr als fünf Arbeitnehmern beschäftigt waren, findet, sofern sie die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt haben, auch weiterhin der allgemeine Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des KSchG Anwendung. Dies gilt auch für solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zwar vor dem 31.12.2003 begonnen hat, die aber erst nach dem 1.1.2004 die für das Eingreifen des allgemeinen Kündigungsschutzes erforderliche Wartezeit erfüllt haben.1 Beispiel:
57
Der in einen Betrieb mit regelmäßig 5 beschäftigten Arbeitnehmern zum 1.12.2003 zusätzlich eingestellte Arbeitnehmer genießt gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG mit Erfüllung der Wartezeit ab dem 1.6.2004 allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des KSchG.
58
Für ab dem 1.1.2004 neu eingestellte Arbeitnehmer gilt demgegenüber ein Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern. Solange dieser nicht überschritten wird, greift der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG nicht ein.
59
Der nach der alten Rechtslage erworbene Kündigungsschutz für Altarbeitnehmer gilt grds. uneingeschränkt fort; eine zeitliche Begrenzung findet – anders als dies in der vom 1.10.1996 bis 31.12.1998 geltenden Fassung des § 23 Abs. 1 KSchG der Fall war, der die Besitzstandswahrung auf drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes beschränkte – nicht statt.2 Der Bestandsschutz gilt jedoch nur so lange, wie der Altbestand der Arbeitnehmer weiterhin über dem Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG liegt. Sinkt die Zahl der beschäftigten Altarbeitnehmer im Betrieb auf unter 5,25, verliert die Besitzstandswahrung ihre 1 Löwisch, BB 2004, 154 (161); KFA-ArbR/Leschnig, § 23 Rz. 15. 2 KFA-ArbR/Leschnig, § 23 Rz. 15.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 63 Teil 2
Wirkung.1 Daran ändert sich auch dann nichts, wenn durch Neueinstellungen der Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG erneut überschritten wird. Denn gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. KSchG sind die nach dem 31.12.2003 neu eingestellten Arbeitnehmer bei der Bestimmung des Schwellenwertes des nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG bestehenden „Altbetriebes“ nicht zu berücksichtigen – sofern nicht insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt werden und damit der neu eingeführte Schwellenwert überschritten ist.2 Beispiel: In einem Betrieb sind am 31.12.2003 regelmäßig 6 Arbeitnehmer beschäftigt, von denen einer zum 1.6.2004 wegen Eigenkündigung aus dem Betrieb ausscheidet. An seiner Stelle wird am 1.6.2004 ein Arbeitnehmer neu eingestellt. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt in diesem Fall bis zum 1.6.2004 der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG für alle Arbeitnehmer des Betriebes. Nach dem Ausscheiden des Altarbeitnehmers kann sich dagegen trotz gleichbleibender Betriebsgröße keiner der Arbeitnehmer auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen, da der „Altbestand“ die Schwelle von 5 Arbeitnehmern nicht mehr überschreitet. Erst wenn es durch weitere Neueinstellungen zu einer regelmäßigen Beschäftigung von mehr als 10 Arbeitnehmern kommt, kommen die Arbeitnehmer gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG in den Genuss des allgemeinen Kündigungsschutzes.
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Nicht eindeutig geregelt ist die Frage, ob ein Anwachsen des Arbeitszeitvolumens von Altarbeitnehmern nach dem 31.12.2003 im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu berücksichtigen ist.
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Beispiel: In einem Betrieb sind am 31.12.2003 insgesamt 10 Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden beschäftigt. Diese sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG mit einem Faktor von jeweils 0,5 zu berücksichtigen, entsprechen also rechnerisch einer unter der Relevanzschwelle des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG n.F. liegenden Beschäftigtenzahl von 5 Arbeitnehmern. Zum 1.1.2004 wird die Arbeitszeit eines der Altarbeitnehmer auf 38 Stunden erhöht, wodurch die Betriebsgröße auf 5,5 Arbeitnehmer anwächst.
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Richtigerweise ist anzunehmen, dass die Altarbeitnehmer durch einen Anstieg ihres Arbeitszeitvolumens über die Relevanzschwelle des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG hinaus auch nach dem Stichtag des 31.12.2003 noch in den allgemeinen Kündigungsschutz nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG „hineinwachsen“ können. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. KSchG, wonach bei der Berechnung des Schwellenwertes des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur solche Arbeitnehmer außer Betracht bleiben, die nach dem 31.12.2003 eingestellt worden sind. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Arbeitnehmer, die bereits am 31.12.2003 in dem betreffenden Betrieb beschäftigt waren, in vollem Umfang, d.h. mit ihrem aktuellen Arbeitszeitvolumen, zu berücksichtigen sind. Auch das vom Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgte Ziel, das gerade nicht in der Steigerung des Arbeitsvolumens bereits
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1 Bader, NZA 2004, 65 (67); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184). 2 BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 790/07, NZA 2009, 484 (n.v.); v. 23.10.2008 – 2 AZR 131/07, AP Nr. 43 zu § 23 KSchG 1969 (n.v.); v. 21.9.2006 – 2 AZR 840/05, BAGE 119, 343; Bader, NZA 2004, 65 (67).
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Teil 2 Rz. 64
Betriebsbedingte Kündigung
beschäftigter Arbeitnehmer besteht, sondern in der Förderung der Einstellung neuer Arbeitnehmer, spricht für die hier vertretene Sichtweise.1 Für den oben beschriebenen Beispielsfall bedeutet dies, dass mit der Umstellung der Arbeitszeit eines der zehn teilzeitbeschäftigten Altarbeitnehmer auf Vollzeit alle zum 31.12.2003 in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer allgemeinen Kündigungsschutz nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG genießen. 64
Sind in einem Betrieb am 31.12.2003 lediglich fünf Arbeitnehmer dauerhaft beschäftigt, greift die Bestandsschutzregelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht ein. Der allgemeine Kündigungsschutz gilt dann – sofern nicht das Arbeitszeitvolumen der Altarbeitnehmer im Nachhinein über die Relevanzschwelle des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG hinaus ansteigt – erst bei Überschreiten des neu eingeführten Schwellenwertes von zehn Arbeitnehmern nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG. c) Beginn des Arbeitsverhältnisses gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG
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Ob sich der Kündigungsschutz nach dem Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 oder des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG richtet, hängt entscheidend davon ab, ob das Arbeitsverhältnis des betroffenen Arbeitnehmers vor oder nach dem Stichtag des 31.12.2003/1.1.2004 begonnen hat.
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Nach dem Verständnis des Gesetzgebers ist für den „Beginn“ des Arbeitsverhältnisses der vereinbarte Tag der Arbeitsaufnahme maßgebend.2 Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund (z.B. Unfall, Krankheit) an der Arbeitsaufnahme gehindert ist und deshalb die Arbeit tatsächlich erst später aufnimmt.3 Ausnahmsweise kann allerdings für den Arbeitsbeginn auch die tatsächliche Arbeitsaufnahme zugrundezulegen sein, etwa dann, wenn der Arbeitnehmer zum vereinbarten Arbeitsbeginn aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht erscheint.4 Auch dann, wenn ein Zeitpunkt für die Arbeitsaufnahme überhaupt nicht vereinbart wurde oder die tatsächliche Arbeitsaufnahme vor dem vereinbarten Arbeitsbeginn liegt, wird auf den tatsächlichen Arbeitsbeginn abzustellen sein.5 Auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses kommt es dagegen nicht an.6
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Offen gelassen hat der Gesetzgeber, inwiefern bei der Feststellung des Arbeitsbeginns Vorbeschäftigungen des „neu eingestellten“ Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber zu berücksichtigen sind. Es stellt sich somit die Frage, ob der erhöhte Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG auch dann gilt, wenn dem am 1.1.2004 begonnenen Arbeitsverhältnis ein zum 31.12.2003 (etwa 1 So auch Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (360). 2 So die Begründung des Regierungsentwurfs zur ursprünglich vorgesehenen Regelung der befristet neu eingestellten Arbeitnehmer, BT-Drucks. 15/1204, S. 14. 3 Kock, ArbRB 2004, 83 (84). 4 Insofern gilt die gleiche Wertung wie bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, deren späterer Beginn in diesen Fällen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gerechtfertigt wird; vgl. dazu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 100. 5 Kock, ArbRB 2004, 83 (84). 6 Gaul/Bonanni, ArbRB 2004, 48; Kock, ArbRB 2004, 83 (84).
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 71 Teil 2
durch Kündigung oder Befristungsablauf) beendetes Arbeitsverhältnis bei demselben Arbeitgeber vorausgegangen ist, oder ob in diesem Falle eine Neueinstellung nicht anzunehmen ist mit der Folge, dass der niedrigere Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG Anwendung findet. Zur Beantwortung dieser Frage sind nach zutreffender Ansicht die zur Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG entwickelten Grundsätze1 entsprechend heranzuziehen.2 Danach sind Zeiten eines früheren, rechtlich beendeten Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber auf das neue Arbeitsverhältnis anzurechnen, wenn sich das neue Arbeitsverhältnis entweder ohne zeitliche Unterbrechung an das bisherige Arbeitsverhältnis anschließt3 oder aber (lediglich) kurzfristig zeitlich unterbrochen ist und in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht.4 Die teilweise vertretene Ansicht, wonach im Rahmen des § 1 Abs. 1 KSchG die anzurechnenden Vorbeschäftigungszeiten nach anderen Maßstäben zu beurteilen seien als im Rahmen des § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG5, ist im Hinblick auf die damit verbundenen Widersprüche abzulehnen. Es kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, dem Arbeitnehmer durch Zusammenrechnung mehrerer aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse zwar die Erfüllung der Wartezeit zuzuerkennen, ihm dann aber unter Hinweis auf den formalen Neubeginn des Arbeitsverhältnisses die Einbeziehung in den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG zu versagen.6
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d) Sozialauswahl zwischen Alt- und Neuarbeitnehmern nach betriebsbedingter Kündigung Durch die zwei unterschiedlichen Schwellenwerte kann es dazu kommen, dass es bezüglich der Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes zu einer Spaltung des Betriebes in Alt- und Neuarbeitnehmer kommt.
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Beispiel: In einem Betrieb sind am 31.12.2003 regelmäßig 6 Arbeitnehmer beschäftigt. Zum 1.1. 2004 werden 4 neue Arbeitnehmer eingestellt. In diesem Fall findet der erste Abschnitt des KSchG wie bisher auf die 6 Altarbeitnehmer Anwendung. Für die 4 neuen Arbeitnehmer gilt der allgemeine Kündigungsschutz mangels Überschreitens der Schwelle von insgesamt 10 Arbeitnehmern dagegen nicht.
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Unklar ist, wie sich eine solche Zweiteilung des Betriebes auf die bei betriebsbedingten Kündigungen durchzuführende Sozialauswahl auswirkt. So stellt
71
1 Vgl. hierzu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 99 ff., 108 ff. 2 So auch Bader, NZA 2004, 65 (67); Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (359); a.A. Kock, ArbRB 2004, 83 (84 ff.), der nach dem Normzweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG n.F. differenziert. 3 Gemäß BAG v. 23.9.1976 – 2 AZR 309/75, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 4 So BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 76/98, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit m.w.N., das einen Zusammenhang zweier durch die Schulferien unterbrochener Lehrer-Arbeitsverhältnisse bejaht. 5 Vgl. Kock, ArbRB 2004, 83 (84 ff.). 6 So auch Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (359).
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Teil 2 Rz. 72
Betriebsbedingte Kündigung
sich insbesondere die Frage, ob beide Arbeitnehmergruppen gleichermaßen in die Sozialauswahl einzubeziehen sind oder eine getrennte Sozialauswahl stattzufinden hat. Den Lösungsansatz gibt die Entscheidung des BAG vom 25.4.1985 vor.1 Dort wird ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer, der wegen Nichterfüllung der nach § 1 Abs. 1 KSchG erforderlichen Wartezeit (noch) keinen Kündigungsschutz genießt, innerhalb der Sozialauswahl einem Arbeitnehmer mit Kündigungsschutz nicht vorgezogen werden darf, es sei denn, es bestünde hierfür ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Begründet wird dies zu Recht damit, dass das dringende betriebliche Bedürfnis i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG und die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG einen einheitlichen Kündigungsgrund bilden, auf den sich der Arbeitnehmer ohne individuellen Kündigungsschutz – im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, deren Wartezeit bereits erfüllt ist – nicht berufen kann. Die vorgenannten Erwägungen gelten nach zutreffender Auffassung auch für den hier vorliegenden Fall. Eine gemeinsame Sozialauswahl zwischen kündigungsgeschützten Altarbeitnehmern und nicht-kündigungsgeschützten Neuarbeitnehmern kommt deshalb nach zutreffender Ansicht nicht in Betracht. Vielmehr sind letztere – sofern sie nicht ausnahmsweise als „Leistungsträger“ gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG aus der Sozialauswahl herauszunehmen sind – selbst bei größerer sozialer Schutzbedürftigkeit vorrangig zu entlassen.2 e) Berechnung des Schwellenwertes aa) Der Begriff „in der Regel“ 72
Bevor eine genaue Prüfung der Kündigung unter dem Gesichtspunkt des KSchG vorgenommen wird, ist zunächst die regelmäßige Beschäftigtenzahl des Betriebes, dem der Arbeitnehmer zuzuordnen ist, festzustellen. Liegt diese unter den Schwellenwerten des § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG, erübrigt sich eine weitere Untersuchung.
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Der Begriff „in der Regel“ macht diese Feststellung nicht ganz unproblematisch. Er besagt, dass nicht einfach auf die Zahl der zum Kündigungszeitpunkt im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt werden kann. Es kommt vielmehr auf die normale Betriebsgröße an, also darauf, welche Personalstärke für den Betrieb im Allgemeinen bei regelmäßiger Auslastung kennzeichnend ist. Sinn der gesetzlichen Regelung ist es nämlich, auf die Beschäftigungslage abzustellen, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Für die Feststellung der regelmäßig vorhandenen Arbeitsplätze kann auf einen Vergleichszeitraum von zwölf Monaten abgestellt werden, denn „in der Regel“ beschäftigt sind nur die Personen, die während des größten Teils des Jahres normalerweise in einem Betrieb beschäftigt sind. Dabei darf der Begriff „in der Regel“ allerdings nicht im Sinne einer Durchschnittsberechnung („rechnerischer Jahresdurchschnitt“) verstanden werden. Vielmehr kommt es auf die Zahl der regelmäßig vorhandenen Arbeitsplätze im Betrieb an. Plötzliche Schwankungen in der Be1 BAG v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 2 So auch Kock, ArbRB 2004, 83 (86); Bauer, NZA 2004, 195; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184).
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 75 Teil 2
schäftigtenzahl sind zu ignorieren. Liegt der Personalbestand im Kündigungszeitpunkt also zufällig unter dem maßgeblichen Schwellenwert, ist dies unerheblich.1 Um die regelmäßige Beschäftigtenzahl festzustellen, nimmt man einen Rückblick auf die bisherige Personalstärke und eine Einschätzung der künftigen Entwicklung vor.2 Die Personalplanung und ein Stellenplan können dazu bedeutsame Indizien hergeben.3 Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zugang der Kündigungserklärung, nicht der Ablauf der Kündigungsfrist.4 Ergibt sich aus diesen Überlegungen, dass der Beschäftigungsstand zum Zeitpunkt des Zugangs nicht typisch für den Betrieb ist, ist darauf abzustellen, mit wie vielen Arbeitnehmern der Betrieb regelmäßig in Zukunft seine Aufgaben erfüllen wird. In Saisonbetrieben kommt es z.B. auf die Zahl der in der Saison Beschäftigten an.5 Ein künftiger Stellenabbau ist dagegen bei der Berechnung des Schwellenwertes nicht mit zu berücksichtigen. Will der Arbeitgeber seinen Betrieb planmäßig einschränken, ist nach der neueren Rechtsprechung des BAG für die Zahl der regelmäßig Beschäftigten nicht auf den zukünftigen (niedrigeren) Beschäftigungsstand, sondern auf den (höheren) Beschäftigungsstand der Vergangenheit abzustellen, d.h. der gekündigte Arbeitnehmer ist bei der Berechnung des Schwellenwertes auch dann mit zu berücksichtigen, wenn der Kündigungsgrund in der unternehmerischen Entscheidung besteht, den betreffenden Arbeitsplatz nicht neu zu besetzen.6 Das BAG begründet dies zu Recht damit, dass die Unternehmerentscheidung, den Betrieb stillzulegen oder durch Abbau von Arbeitsplätzen einzuschränken, lediglich dazu führt, dass künftig eine andere regelmäßige Arbeitnehmerzahl besteht. Im Kündigungszeitpunkt ist dagegen für den Betrieb noch die bisherige Belegschaftsstärke kennzeichnend.7
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In die Arbeitnehmerzahl werden grundsätzlich alle Arbeitnehmer miteinbezogen, die zu dem Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis stehen. Ruht ein Arbeitsverhältnis, etwa wegen Mutterschutz, Elternzeit, Wehr- oder Zivildienst, ändert sich dadurch die Beschäftigtenzahl grundsätzlich nicht, wenn der Betrieb vor und nach dem Ruhenszeitraum unverändert mit der gleichen Beschäftigtenzahl ausgestattet ist. Es gilt der Rechtsgedanke des § 21 Abs. 7 BErzGG, wonach eine Doppelzählung zu vermeiden ist. Der Arbeitnehmer im ruhenden Arbeitsverhältnis wird daher nicht mitgezählt, sofern und solange für ihn eine Ersatzkraft eingestellt ist.8 Leitende Angestellte i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG werden
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1 BAG v. 31.1.1991 – 2 AZR 356/90, NZA 1991, 562 (= DB 1992, 48); LAG Berlin v. 18.6. 1984 – 9 Sa 40/84, NZA 1985, 159; LAG Hamm v. 3.4.1997 – 4 Sa 693/96, DB 1997, 881; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.2.1996 – 3 Sa 870/95, NZA 1997, 315. 2 BAG v. 31.1.1991 – 2 AZR 356/90, NZA 1991, 562 (= DB 1992, 48); v. 22.2.1983 – 1 AZR 260/81, NJW 1984, 323 (= DB 1983, 1447). 3 LAG Hamm v. 3.4.1997 – 4 Sa 693/96, DB 1997, 881. 4 BAG v. 31.1.1991 – 2 AZR 356/90, NZA 1991, 562 (= DB 1992, 48); LAG Hamm v. 8.10. 1985 – 7 Sa 1240/85, LAGE Nr. 2 zu § 23 KSchG. 5 Küttner/Eisemann, Personalbuch 2007, Kündigungsschutz, Rz. 55. 6 So BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 237/03; entgegen der Rechtsprechung des LAG RheinlandPfalz v. 16.2.1996 – 3 Sa 870/95, NZA 1997, 315. 7 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 237/03. 8 BAG v. 31.1.1991 – 2 AZR 356/90, NZA 1991, 562 (= DB 1992, 48); LAG Hamm v. 3.4. 1997 – 4 Sa 693/96, DB 1997, 881.
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Teil 2 Rz. 76
Betriebsbedingte Kündigung
ebenso mitberücksichtigt, wie Familienangehörige, sofern sie aufgrund eines Arbeitsvertrages im Betrieb mitarbeiten.1 76
Gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG sind die Arbeitnehmer ausgenommen, die zu ihrer Berufsbildung beschäftigt werden. Das KSchG legt dabei die Begriffsbestimmung des BBiG zugrunde.2 Es handelt sich um die zu in § 1 Abs. 1 BBiG genannten Zwecken Beschäftigten, d.h. Auszubildende, Fortbildende und Umschüler. Gem. § 26 BBiG sind Personen, die eingestellt werden, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben (z.B. Praktikanten und Volontäre) den Auszubildenden gleichzustellen, soweit nicht ein Arbeitsverhältnis vereinbart wurde. Entscheidend ist danach, dass der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses bei der Vermittlung von Erfahrungen, Fertigkeiten und Kenntnissen liegt und nicht der Gesichtspunkt der Arbeitsleistung gegen Entgelt prägend ist.3 Ein Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses kann auch die Höhe der Vergütung sein (z.B. Zahlung des für Arbeitnehmer vorgesehenen Tariflohns).4 Werden sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt, sind sie bei der Ermittlung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen. bb) Teilzeitbeschäftigte und Aushilfen
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Teilzeitbeschäftigte werden nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG (bisher: § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG) mitgezählt. Danach sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Arbeitnehmer mit mehr als 30 Wochenstunden zählen voll. Da die Geltung des KSchG, wie oben dargelegt, bei mehr als fünf (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG) bzw. mehr als zehn (§ 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG) Arbeitnehmern beginnt, ist nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG die Relevanzschwelle bei einer Beschäftigtenzahl von 5,25 bzw. 10,25 Arbeitnehmern überschritten.5
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Ausgangspunkt für die Bestimmung der Arbeitszeit der Teilzeitkräfte ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit. Diese ergibt sich meist aus der Vereinbarung im Arbeitsvertrag. Kurzfristige Schwankungen bleiben auch hier unberücksichtigt. Es kann jedoch auch die im Jahr durchschnittlich pro Woche geleistete tatsächliche Arbeitszeit maßgebend werden, wenn es an einer Vereinbarung über die regelmäßige Wochenarbeitszeit fehlt oder wenn von der im Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitszeit dauernd und über einen längeren Zeitraum abgewichen wurde.6
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Eine besondere Form des Teilzeitarbeitsverhältnisses ist die Arbeit auf Abruf („KAPOVAZ“, kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit). Eine solche liegt 1 LAG Hamm v. 8.10.1985 – 7 Sa 1240/85, LAGE Nr. 2 zu § 23 KSchG; LAG Berlin v. 26.6.1989 – 9 Sa 41/89, LAGE § 23 KSchG Nr. 5. 2 KR/Weigand, § 23 KSchG Rz. 43. 3 APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 28; Pahde-Syrbe, AuR 1997, 195 (196). 4 KR/Weigand, § 23 KSchG Rz. 43. 5 APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 30; Wolff, FA 2004, 40. 6 KR/Weigand, § 23 KSchG Rz. 35.
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Mues
Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 81 Teil 2
vor, wenn vereinbart wird, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat. Arbeitsanfall heißt, dass der Arbeitgeber meint, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu benötigen. Seit in Kraft treten des TzBfG1 ist sie in § 12 TzBfG geregelt. Danach muss bei Vorliegen von KAPOVAZ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festgelegt werden. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 10 Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen. Die nach § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG erforderliche Feststellung ist leicht zu treffen, wenn die Vertragsparteien entsprechend § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG eine Vereinbarung über die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit getroffen haben. Dann ist diese maßgebend. Schwierig wird es, wenn eine solche Vorgabe fehlt. Entspricht die arbeitsvertragliche Vereinbarung nicht den gesetzlichen Vorgaben, ist sie nicht unwirksam, sondern es treten grundsätzlich die in § 12 Abs. 1 Satz 3 und 4 TzBfG fingierten Vertragsinhalte ein. In der Literatur ist es allerdings umstritten, ob auch für den Bereich des § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG die Fiktion der wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden zugrundegelegt werden soll.2 Da jedoch schon bei § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG 12 Monate als Zeitraum für das Regelmaß angesehen werden und es auf die tatsächlichen Verhältnisse in dieser Zeitspanne ankommt, muss auch hier darauf abgestellt werden, welche Arbeitszeit je Woche sich tatsächlich durchschnittlich im Kalenderjahr ergibt. Es ist deshalb richtig, auf § 2 Abs. 1 Satz 2 TzBfG abzustellen.3 § 12 Abs. 1 Satz 3 und 4 TzBfG stehen dem nicht entgegen, da sie als Arbeitnehmerschutzvorschrift nicht für die Berechnung von Arbeitszeitvolumina gelten.
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Bei zur Aushilfe eingestellten Arbeitnehmern ist zu differenzieren. Wird der Arbeitnehmer als Ersatz für einen Arbeitnehmer im ruhenden Arbeitsverhältnis eingestellt, kann er nicht zusätzlich zu dem ruhenden Arbeitsverhältnis gezählt werden, da es sich nur um einen regelmäßigen Arbeitsplatz handelt. Entsprechend § 21 Abs. 7 BEEG dürfen Vertreter und Arbeitnehmer nicht kumulativ gezählt werden. Ausnahmsweise erhöhen sie nach dem BAG die Beschäftigtenzahl, wenn im Betrieb regelmäßig ein dauernder Bestand solcher, der Ergänzung von „Stammarbeitnehmern“ dienenden Beschäftigungsverhältnisse vorhanden ist. Ist ein solcher Bestand vorhanden, so sind die ihn bildenden Arbeitsverhältnisse als in der Regel vorhanden mitzuzählen, sofern der aus ihnen zusammengesetzte Bestand als kontinuierlich und nicht etwa nur als vorübergehend anzusehen ist.4 Im Übrigen werden nur vorübergehend eingestellte Arbeitnehmer grundsätzlich nicht mitgezählt. Wie oben dargelegt, kommt es nur auf die normalerweise und regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer an. Wird die Personalstärke vorübergehend infolge eines regelmäßigen/außergewöhnlichen Arbeitsanfalls erhöht, bzw. im umgekehrten Fall verringert (z.B. aufgrund Ausverkauf, Inventur, Oster-
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1 2 3 4
V. 21.12.2000, BGBl. I 1966. So v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 42. So APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 32. BAG v. 29.5.1991 – 7 ABR 27/90, NZA 1992, 182 zu § 17 BPersVG.
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Teil 2 Rz. 82
Betriebsbedingte Kündigung
oder Weihnachtsgeschäft), ist dies bei § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG. nicht zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt nur, wenn eine bestimmte Anzahl regelmäßig mindestens sechs Monate im Kalenderjahr beschäftigt wird und mit einer derartigen Beschäftigung auch in Zukunft zu rechnen ist.1 Die Orientierung an dem Sechsmonatszeitraum ergibt sich dabei aus der Wartezeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG. cc) Zurechnung von Fremdpersonal 82
Handelt es sich nicht um beim Arbeitgeber angestellte Arbeitnehmer, sind sie grundsätzlich bei der Beschäftigtenzahl nicht zu berücksichtigen.
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Leiharbeitnehmer scheiden bei der Berechnung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl aus. Insofern bleibt die betriebsverfassungsrechtlich nach § 7 Satz 2 BetrVG je nach Lage des Einzelfalles abweichende Behandlung von Leiharbeitnehmern kündigungsschutzrechtlich ohne Auswirkungen. Bei Leiharbeitsverhältnissen besteht im Normalfall das Arbeitsverhältnis alleine zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer. Zum Entleiher besteht kein Vertragsverhältnis. Anders ist dies für den Fall der unzulässigen gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Ist der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer mangels nach § 1 AÜG vorhandener Erlaubnis des Verleihers unwirksam (§ 9 Nr. 1 AÜG), so gilt gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zustande gekommen. Da der Arbeitnehmer jetzt in einem arbeitsrechtlichen Vertragsverhältnis zu dem Arbeitgeber des Betriebes, in dem er arbeitet, steht, ist er bei der Beschäftigtenzahl zu berücksichtigen.2 Unabhängig vom Vorhandensein einer Erlaubnis nach § 1 AÜG ist allerdings nicht jeder drittbezogene Arbeitseinsatz eine Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG. Eine solche ist vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher geprägt.3 3. Darlegungs- und Beweislast im Prozess a) Anzahl der in der Regel Beschäftigten: Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers
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Im Prozess muss jede Partei grundsätzlich die für sie günstigen Gesichtspunkte vortragen und beweisen. Den Arbeitnehmer trifft daher die Darlegungs- und Beweislast für die Anwendbarkeit des ersten Abschnitts des KSchG. Dies gilt grundsätzlich auch für die erforderliche Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG.4 1 2 3 4
BAG v. 12.10.1976 – 1 ABR 1/76, DB 1977, 356. KR/Weigand, § 23 KSchG Rz. 41; APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 27. BAG v. 10.10.2007 – 7 AZR 487/06 AP Nr. 20 zu § 10 AÜG. St. Rspr. des BAG: v. 23.10.2008 – 2 AZR 131/07; v. 26.6.2008 – 2 AZR 264/07; v. 15.3. 2001 – 2 AZR 151/00, EzA § 23 KSchG Nr. 23; aus der Literatur: v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 23 Rz. 48 ff.; APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 48.
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Betrieblicher Geltungsbereich
Rz. 87 Teil 2
Die entgegenstehende Ansicht, wonach der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG wegen seiner Formulierung als Ausnahmeregelung vom Arbeitgeber nachzuweisen sei1, ist im Hinblick darauf, dass es sich bei der Überschreitung des Schwellenwertes um eine klagebegründende Tatsache handelt, abzulehnen. Die praktischen Auswirkungen des Meinungsstreits sind allerdings gering. Denn selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Ausnahmevorschrift trifft, nach der das KSchG keine Anwendung findet, bleibt es Sache des Arbeitnehmers, der gerade in kleinen Einheiten aufgrund seiner Tätigkeit Einblick in die personelle Entwicklung und den zeitlichen Umfang der Beschäftigung der einzelnen Kollegen hat, sich zu den Angaben des Arbeitgebers substantiiert einzulassen.2
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Wenn danach grundsätzlich der Arbeitnehmer die Beweislast trägt, gilt auch insofern eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer hat zunächst darzulegen, dass nach der Kopfzahl die als Grenzwert angegebene Arbeitnehmerzahl, der sog. Schwellenwert, überschritten ist. Dann ist es aufgrund der Sachnähe Aufgabe des Arbeitgebers, dazulegen, dass aufgrund der geringen wöchentlichen Arbeitszeit ein oder mehrere Arbeitnehmer nicht voll mitzählen und deshalb der erste Abschnitt des KSchG nicht anwendbar ist.3
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b) Darlegung der Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebes Da der Arbeitnehmer grundsätzlich die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des ersten Abschnitts des KSchG darlegen und beweisen muss, trifft ihn auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass von mehreren Unternehmen ein Gemeinschaftsbetrieb geführt wird.4 Nach dem BAG müssen dabei allerdings Einschränkungen vorgenommen werden. Der Arbeitnehmer hat in der Regel keine bzw. nur sehr ungenaue Kenntnisse von zwischen den beteiligten Unternehmen getroffenen Leitungsvereinbarungen. An seine Darlegungslast dürfen daher keine strengen Anforderungen gestellt werden. Ausreichend ist die schlüssige Darlegung der Umstände für die Annahme eines gemeinsamen Betriebes unter einheitlicher Leitung anhand von Merkmalen wie die gemeinsame Nutzung der technischen und immateriellen Betriebsmittel, die gemeinsame räumliche Unterbringung, die personelle, technische und organisatorische Verknüpfung der Arbeitsabläufe, eine unternehmensübergreifende Leitungsstruktur zur Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke, insbesondere zur Wahrnehmung der sich aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers ergebenden Weisungsbefugnisse. Hat der Arbeitnehmer derartige Umstände schlüssig dargelegt, so hat der Arbeit1 LAG Berlin v. 28.10.1994 – 6 Sa 95/94, LAGE § 23 KSchG Nr. 11; LAG Hamm v. 6.2. 2003 – 8 Sa 1614/02, ArbuR 2003, 317; ErfK/Kiel, § 23 KSchG Rz. 20; HWK/Pods/Quecke § 23 KSchG Rz. 17; GMPM/Prütting, § 58 Rz. 91 unter „Kündigungsschutz“; Löwisch/Spinner, § 23 Rz. 25; Bader, NZA 1997, 905, 910; Bepler, AuR 1997, 54, 56; Berkowsky, MDR 1998, 82, 84. 2 Vgl. APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 48. 3 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 264/07; LAG Hamm v. 3.4.1997 – 4 Sa 693/96, DB 1997, 881 (LS); LAGE § 23 KSchG Nr. 13. 4 BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, NZA 1984, 88 (= DB 1984, 1684); v. 7.11.1996 – 2 AZR 648/95, RzK I 4c Nr. 24; v. 18.10.2006 – 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552.
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Teil 2 Rz. 88
Betriebsbedingte Kündigung
geber darauf gem. § 138 Abs. 2 ZPO zu erwidern, welche rechtserheblichen Umstände im Einzelnen gegen einen gemeinsam geführten Betrieb sprechen.1 Wurde ein Beschlussverfahren gem. § 18 Abs. 2 BetrVG durchgeführt und rechtskräftig festgestellt, dass zwei Unternehmen keinen gemeinsamen Betrieb bilden, so wirkt dieses Urteil nach dem BAG auch im Verhältnis zwischen den Unternehmen und ihren Arbeitnehmern.2 Diese Feststellung kann sich auch auf § 23 KSchG erstrecken.
II. Persönlicher Geltungsbereich 88
Neben den Voraussetzungen, die das KSchG an den Betrieb stellt3, hängt die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes auch von bestimmten, im Zusammenhang mit der Person des gekündigten Arbeitnehmers festzustellenden Kriterien ab. 1. Arbeitnehmereigenschaft
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Eine Grundvoraussetzung ist dabei zunächst, dass die Person, um deren allgemeinen Kündigungsschutz es im konkreten Fall geht, Arbeitnehmer im Sinne des KSchG ist, siehe § 1 Abs. 1 KSchG. Außer der Regelung des § 14 KSchG, wonach der Anwendungsbereich sich nicht auf leitende Angestellte, Organmitglieder und Gesellschafter erstreckt, gibt es im KSchG keine weiteren Bestimmungen hinsichtlich des erfassten Personenkreises. Grundsätzlich fallen daher alle Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des KSchG.
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Das KSchG selber enthält – wie auch die anderen arbeitsrechtlichen Gesetze – keine Definition des Arbeitnehmerbegriffs, so dass auf die allgemein im Arbeitsrecht übliche und herrschende Begriffsdefinition zurückgegriffen werden muss. Danach ist ein Arbeitnehmer eine auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages oder eines ihm gleichgestellten Rechtsverhältnisses im Dienst eines anderen zur abhängigen und weisungsgebundenen Arbeit verpflichtete Person.4
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Die Voraussetzung des privatrechtlichen Vertrages oder gleichgestellten Rechtsverhältnisses dient dazu, den Arbeitnehmer von anderen Personengruppen zu unterscheiden, die ebenfalls abhängige Arbeit leisten, aber nicht unter die Regeln des Arbeitsrechts fallen. Dazu zählt z.B. der Beamte, der seine Leistung aufgrund eines durch Verwaltungsakt begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses erbringt, das durch das BBG, BeamtStG und die Beamtengesetze der Länder geregelt wird oder die DRK-Schwester, soweit sie ihre Arbeitsleistung aufgrund ihrer vereinsrechtlichen Mitgliedschaft in der Schwestern1 BAG v. 7.11.1996 – 2 AZR 648/95, RzK I 4c Nr. 24; v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977 (= DB 1991, 500); v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, NZA 1984, 88 (= DB 1984, 1684); LAG Köln v. 22.11.1996 – 11 Sa 560/96, LAGE § 23 KSchG Nr. 12. 2 BAG v. 9.4.1991 – 1 AZR 488/90, AP Nr. 8 zu § 18 BetrVG 1972. 3 Siehe oben I. 4 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 125/04, EZA § 626 BGB 2002 Nr. 8; v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, AP Nr. 104 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 7.2.1990 – 5 AZR 89/89, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 31.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 94 Teil 2
schaft erbringt.1 Ebenso wenig sind Helfer in einem freiwilligen sozialen Jahr Arbeitnehmer.2 An diesem Punkt scheitert auch häufig die Arbeitnehmereigenschaft von mitarbeitenden Familienmitgliedern (siehe dazu noch unten Rz. 127 f.). Die Voraussetzung des gleichgestellten Rechtsverhältnisses dient dazu, den Arbeitnehmer von denjenigen Personen zu unterscheiden, die aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses zur Arbeitsleistung verpflichtet sind. Dies trifft auf Strafgefangene, in Sicherungsverwahrung Genommene oder in einer Heil- und Pflegeanstalt Untergebrachte zu, wenn sie ihre Arbeit im Rahmen der Anstaltsgewalt leisten.3 Arbeitnehmer sind in der Regel auch nicht diejenigen, bei denen die Zahlung einer öffentlichen Unterstützung davon abhängig gemacht wird, ob sie gemeinnützige Arbeit verrichten. Bei den im Rahmen der Sozialhilfe Beschäftigten kommt es darauf an, ob ein echtes Arbeitsverhältnis oder ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis begründet wurden (§ 19 BSHG). In einem Arbeitsverhältnis stehen dagegen solche Beschäftigten, die bei Trägern von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen arbeiten (§ 260 SGB III).4
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Die in der Praxis bedeutsamste und auch umstrittenste Voraussetzung für Arbeitnehmerschaft ist nach ständiger Rechtsprechung – im Verhältnis zum Selbständigen – die persönliche Abhängigkeit der zur Dienstleistung Verpflichteten.5
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Ausgangspunkt für die Feststellung, wann ein solches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, ist § 84 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HGB, worin eine Unterscheidung zwischen einem selbständigen und einem angestellten Handelsvertreter legaldefiniert wird. Danach ist selbständiger Handelsvertreter, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Nach Absatz 2 gilt als Angestellter, wer nicht selbständig im Sinne des Abs. 1 Satz 2 ist. Obwohl mit dieser Regelung direkt nur ein spezieller Bereich des Rechts des Handelsvertreters betroffen ist, sieht das BAG in dieser Regelung eine über den unmittelbaren Anwendungsbereich hinausgehende allgemeine gesetzgeberische Wertung, die für die Abgrenzung von selbständiger und unselbständiger Arbeit von Bedeutung ist.6 Ausgehend von dieser Legaldefinition ist persönliche Abhängigkeit gegeben, wenn statt der freien Tätigkeitsbestimmung eine Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation vorliegt. Diese zeigt sich z.B. durch ein Weisungsrecht des Arbeitgebers bezüglich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit, Eingliederung in den Betrieb und Kontrolle durch den Unternehmer, eine umfassende Berichtspflicht, die Verpflichtung, alle Aufträge anzunehmen, das Verbot eigene Kunden zu akquirieren, eigene Mitarbeiter einzustellen oder für andere zu arbeiten und die fehlende Übernahme von
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BAG v. 6.7.1995 – 5 AZB 9/93, NZA 1996, 33 (= DB 1995, 2612). BAG v. 12.2.1992 – 7 ABR 42/91, NZA 1993, 334. Siehe dazu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 83. Generell Schaub, § 8 Rz. 19 f. St. Rspr. vgl. BAG v. 29.5.2002 – 5 AZR 161/01, NZA 2002, 1232; v. 4.12.2002 – 5 AZR 667/01, NZA 2003, 1112; anders Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 1988, S. 32 ff.; Wank, Die „neue Selbständigkeit“, DB 1992, 90. 6 BAG v. 30.9.1998 – 5 AZR 563/97, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 74.
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Teil 2 Rz. 95
Betriebsbedingte Kündigung
Kosten und Unternehmerrisiko.1 Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Arbeitsverhältnisse ist es nach dem BAG allerdings nicht möglich, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien aufzustellen. Ausgehend vom Normalfall kann der Begriff in Form eines Typs beschrieben werden. Zur Erfüllung des Arbeitnehmerbegriffs müssen nicht sämtliche Kriterien, die den „Normalfall“ charakterisieren, vorliegen. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei ist stets die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen.2 a) Abhängigkeitskriterien (Weisung, Einbindung, Finanzen) 95
Im Rahmen dieser Darstellung sind nur die wichtigsten Kriterien zur Feststellung einer persönlichen Abhängigkeit und damit dem Vorliegen von Arbeitnehmereigenschaft darzulegen.
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Dabei ist zunächst auf den bedeutsamsten Gesichtspunkt persönlicher Abhängigkeit, die Weisungsgebundenheit einzugehen. Das Weisungsrecht, das aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers resultiert, wird teilweise sogar als einziges Kriterium zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft herangezogen. Wie schon oben angedeutet, ist zwischen einem Weisungsrecht hinsichtlich des Arbeitsortes, der Arbeitszeit und der „Arbeit an sich“ zu unterscheiden. Das Weisungsrecht zu Letzterem beinhaltet das Recht, den Arbeitnehmer anzuweisen, die von ihm erbrachten Arbeitsleistungen zu dokumentieren, soweit Arbeitsvertrag, Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ihm hierzu Spielraum lassen. Der Arbeitgeber kann nämlich im Einzelfall auf die Tätigkeitsaufzeichnungen angewiesen sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn auf ein Arbeitsverhältnis die Vergütungsordnung des BAT Anwendung findet. Um eine zutreffende Eingruppierung zu gewährleisten, muss der Arbeitgeber gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BAT wissen, welche Tätigkeitsmerkmale der Arbeitnehmer erfüllt. Weigert sich der Arbeitnehmer, geforderte detaillierte Tätigkeitsnachweise zu erstellen, ist diese schwerwiegende Pflichtverletzung an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung zu bilden.3 Der Weisungsumfang kann in allen drei Bereichen unterschiedlich ausgeprägt sein. Generell kann gesagt werden, dass je eher ein Arbeitsverhältnis anzunehmen ist, je stärker die Weisungsbindung ist.4 Besteht neben der Weisungsgebundenheit nach Ort und Zeit der Arbeitsleistung auch ein fachliches Weisungsrecht, sind in der Regel die persönliche Abhängigkeit und damit die Arbeitnehmereigenschaft zu bejahen.5 Fehlt es dagegen an jedem Weisungsrecht, liegt in der Regel kein Arbeitsverhältnis vor.6
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Der örtlichen Weisungsgebundenheit kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu. Besteht die Verpflichtung, die Arbeitsleistung an einem bestimmten Ort 1 BAG v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, NZA 1995, 622 (= DB 1995, 1767); Schaub, § 8 Rz. 29. 2 St. Rspr. vgl. BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 173/01, NZA 2002, 963; v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, NZA 1999, 983; v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, NZA 1995, 622. 3 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 78/06, PersR 2007, 472. 4 BAG v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, NZA 1995, 622 (= DB 1995, 1767). 5 BAG v. 9.3.1977 – 5 AZR 110/76, AP Nr. 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 6 BSG v. 21.4.1993 – 11 RAr 67/92, AP Nr. 67 zu § 611 BGB Abhängigkeit.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 99 Teil 2
zu erbringen, deutet dies meist auf das Vorliegen eines Arbeitsvertrages hin.1 Nicht zu verwechseln ist die örtliche Weisungsgebundenheit mit der Eingliederung in den Betrieb. Auch Mitarbeiter im Außendienst (z.B. Monteure, Kundenberater) können hinsichtlich des Arbeitsortes engen Bindungen unterliegen, selbst wenn sie nicht unmittelbar in den Betrieb eingegliedert sind.2 Eine zeitliche Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten besteht dann, wenn der Dienstberechtigte im Rahmen des Arbeits- oder Tarifvertrages die Dauer und die zeitliche Lage der zu erbringenden Leistung bestimmen kann.3 Erforderlich ist dabei nicht, dass der Arbeitgeber den zeitlichen Arbeitseinsatz im Einzelfall bestimmen kann. Eine zeitliche Gebundenheit des Arbeitnehmers kann sich z.B. auch aus einer ständigen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers ergeben, so etwa bei einer Einbindung in Dienstpläne, wenn der Beschäftigte die Wahrnehmung einzelner Termine faktisch nicht ablehnen kann.4 Wie generell beim Weisungsrecht so kann auch hier die Gebundenheit des Dienstverpflichteten unterschiedlich stark ausgestaltet sein. Eine besonders enge Bindung ist bei der Arbeit auf Abruf gegeben (siehe jetzt § 12 TzBfG), bei der der Beschäftigte in mehr oder weniger großem Umfang ständig zur Arbeitsleistung auf Anforderung durch den Arbeitgeber bereit sein muss. Gleiches gilt für die Arbeits- oder Rufbereitschaft und den Bereitschaftsdienst.5 Typisch für eine starke zeitliche Einbindung und damit für Arbeitnehmerschaft ist die Einteilung in Dienstplänen. Selbst wenn sich der Arbeitnehmer darin selber eintragen kann, ändert dies nichts an der zeitlichen Weisungsgebundenheit, sofern der Arbeitgeber vertraglich zur einseitigen Zuweisung befugt ist.6 Ist er dies nicht, findet sein Weisungsrecht die Grenze im Arbeitsvertrag. Ist hierin die Lage der täglichen Arbeitszeit vereinbart, sind die Parteien hieran gebunden.7 Etwas weiter und damit flexibler für den Arbeitnehmer ist das zeitliche Weisungsrecht bei Einführung einer Gleitzeitregelung.
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Ein weiteres Kriterium kann schließlich die fachliche Weisungsgebundenheit sein. Gerade bei Berufen einfacher Art ist dieses ein typisches Zeichen für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Allerdings bedeutet die Möglichkeit, fachlich Weisungen geben zu können, nicht automatisch, dass ein unselbständiges Dienstverhältnis besteht. Auch einem Selbständigen können Weisungen erteilt werden, wie z.B. durch das dem Besteller gegenüber dem Unternehmer im Rahmen eines Werkvertrages gem. § 645 BGB zustehenden Anweisungsrecht. Inhaltlich unterscheiden sich die Weisungen jedoch. Die einem Selbständigen
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1 BAG v. 13.1.1983 – 5 AZR 149/82, AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 2 BAG v. 6.5.1998 – 5 AZR 347/97, AP Nr. 94, zu § 611 BGB Abhängigkeit (= DB 1998, 794). 3 APS/Preis, Grundlagen C Rz. 26. 4 KR/Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen, Rz. 16a. 5 BAG v. 12.6.1996 – 5 AZR 960/94, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Werkstudent; LAG Köln v. 28.6.1989 – 2 Sa 1270/88, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 10; LAG Düsseldorf v. 5.12.1988 – 4 Sa 1288/88, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 8. 6 BAG v. 12.6.1996 – 5 AZR 960/94, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Werkstudent; v. 16.3.1994 – 5 AZR 447/92, NZA 1994, 1132 (= DB 1994, 2504); v. 16.2.1994 – 5 AZR 402/93, NZA 1995, 21 (= DB 1994, 2504). 7 BAG v. 17.7.2007 – 9 AZR 819/06, NZA 2008, 118.
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Teil 2 Rz. 100
Betriebsbedingte Kündigung
erteilten Weisungen dienen der Auftragskonkretisierung und sind sach- und ergebnisbezogen (so z.B. die Weisung, bei der Renovierung eines Hauses bestimmte Materialien zu verwenden). Die Ausführung selber verbleibt bei dem Unternehmer. Anders dagegen bei einer fachlichen Weisung innerhalb eines Arbeitsverhältnisses. Hier müssen die Weisungen geeignet sein, ein „funktionales Abhängigkeitsverhältnis“ zu begründen. Sie beziehen sich nicht nur auf das Ergebnis, sondern beinhalten auch – je nach Ausbildung des Arbeitnehmers – mehr oder weniger detailreiche Anleitungen zur genaueren Vorgehensweise.1 Ggf. kann das fachliche Weisungsrecht auch ganz fehlen oder zumindest nur so schwach ausgestaltet sein, dass es als solches kaum ausgeübt wird, ohne dass dies gegen das Vorhandensein eines Arbeitsverhältnisses spräche. Für bestimmte Arbeiten ist es sogar erforderlich, dass der Beschäftigte sie aus eigener Initiative und fachlich selbständig ausüben kann. Dies trifft zumeist auf Dienste höherer Art, wie z.B. bei Ärzten, Wissenschaftlern oder Künstlern zu. In solchen Fällen muss die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis aufgrund anderer Gesichtspunkte getroffen werden.2 100
Besteht ein Weisungsrecht des Arbeitgebers, übt er dieses aber über einen längeren Zeitraum nicht aus, so ändert dies nichts an der Arbeitnehmereigenschaft des Dienstverpflichteten. Durch Nichtausübung des Weisungsrechts wird das Arbeitsverhältnis nicht zu einem freien Mitarbeiterverhältnis.3
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Ein weiteres Zeichen für persönliche Abhängigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG neben der Weisungsgebundenheit die Eingliederung des Dienstverpflichteten in den Betrieb des Arbeitgebers.4 Die Eingliederung in die Betriebsorganisation und die Erteilung von arbeitsrechtlichen Weisungen stellen auch die wesentlichen Abgrenzungskriterien zwischen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und Dienstvertrag dar.5 Der Begriff der Eingliederung ist zunächst räumlich zu verstehen. Der Arbeitnehmer ist in den Betrieb eingegliedert, wenn er für seine Arbeit organisatorisch von den Einrichtungen des Arbeitgebers abhängig ist und mit anderen Mitarbeitern des Betriebes eng zusammenarbeiten muss. Ein Indiz für die organisatorische Eingliederung des Arbeitnehmers ist die Einordnung in Organisations-, Dienst- und Produktionspläne. Insoweit wird auch von organisatorischer Weisungsgebundenheit gesprochen, da der Leistungsempfänger den Leistenden durch sein Weisungsrecht in eine bestehende betriebliche Organisation eingliedern, also das organisatorische Zusammenwirken mit den bereits bestehenden betrieblichen Gegebenheiten bestimmen kann.6 1 BAG v. 30.1.1991 – 7 AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG; v. 1.12.1992 – 1 ABR 30/92, EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 110. 2 BAG v. 13.1.1983 – 5 AZR 149/82, AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 16.3.1994 – 5 AZR 447/92, NZA 1994, 1132 (= DB 1994, 2504); v. 20.7.1994 – 5 AZR 627/93, NZA 1995, 161 (= DB 1994, 2502); v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, NZA 1995, 622 (= DB 1995, 1767); KR/Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rz. 16a (a.E.). 3 BAG v. 12.9.1996 – 5 AZR 1066/94, NZA 1997, 194 (= DB 1996, 2083). 4 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, AP Nr. 104 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 22.4.1998 – 5 AZR 191/97, DB 1998, 2276; v. 19.11.1997 – 5 AZR 21/97, NZA 1998, 595. 5 LAG Düsseldorf v. 10.3.2008 – 17 Sa 856/07 (n.v.). 6 Kasseler Handbuch Worzalla 1.1 Rz. 167, 168.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 103 Teil 2
Eine Eingliederung ist allerdings nicht nur möglich, wenn der Arbeitnehmer in den Diensträumen des Arbeitgebers mitarbeitet, sondern auch wenn er z.B. ausschließlich in seiner eigenen Wohnung tätig ist. Dieses Problem stellt sich aktuell bei den Telemitarbeitern.1 Telearbeit bedeutet, dass Arbeiten in der Wohnung des Telearbeiters ausgeführt werden, wobei eine kommunikationstechnische Anbindung des Arbeitsplatzes an das zentrale Büro vorhanden ist.2 Ob ein Telearbeiter Arbeitnehmer oder selbständiger Dienstleister ist, hängt davon ab, wie seine Tätigkeit konkret im Einzelfall ausgestaltet ist. Vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses wird man in der Regel ausgehen können, wenn der Arbeitsplatz zu Hause mit dem Zentralrechner im Betrieb online verbunden ist. Dann ist eine ständige Kontrolle durch den Arbeitgeber möglich und der Arbeitnehmer ist genauso wie bei direkter Anwesenheit im Betrieb auf die Zusammenarbeit mit den anderen Mitarbeitern angewiesen. Zudem besteht auch hier eine zeitliche Weisungsgebundenheit. Die Datenübermittlung ist meist nur innerhalb eines begrenzten Zeitraumes möglich.3 Besteht keine online-Verbindung, hängt die Eigenschaft als Arbeitnehmer davon ab, inwieweit der Arbeitgeber auf die Arbeit Einfluss nehmen oder ihre Ausführung überwachen kann. Für ein zeitliches Weisungsrecht und damit für ein Arbeitsverhältnis spricht z.B., wenn der Dienstverpflichtete Arbeit auf Abruf leistet oder ansonsten kürzere Erledigungsfristen bestehen.4 Indiz für die Einbindung in den Betriebsablauf des Dienstberechtigten kann in solchen Fällen auch sein, dass der Arbeitnehmer mit Formularen des Arbeitgebers bzw. mit dessen Software arbeitet.
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Als ein weiterer Gesichtspunkt in der Abgrenzung zum Selbständigen kann die Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung und damit korrespondierend das Fehlen von unternehmerischen Chancen und Risiken angesehen werden. Für einen Arbeitnehmer charakteristisch ist, dass er seine Arbeitskraft „nicht – wie ein Unternehmer – nach selbst gesetzten Zielen unter eigener Verantwortung und mit eigenem Risiko am Markt verwerten“ kann, sondern darauf angewiesen ist, die Arbeitsleistung dem Plan des Arbeitgebers zu überlassen.5 Wird dem Arbeitenden eigenes Risiko zugewiesen, kann dies alleine noch nicht über die Qualifizierung als selbständiges/unselbständiges Vertragsverhältnis entscheiden, da mit der Abgrenzung zum Arbeitsverhältnis gerade die Frage beantwortet werden soll, ob die Risikozuweisung gerechtfertigt ist. Fehlt allerdings jegliche Zuweisung unternehmerischen Risikos und erhält der Dienstverpflichtete sein Entgelt unabhängig von der Marktlage, liegt in der Regel ein Arbeitsverhältnis vor.6
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1 Siehe allgemein zu Rechtsproblemen bei der Telearbeit, Fenski, Außerbetriebliche Arbeitsverhältnisse, 2. Auflage, 2002, Rz. 355 ff.; Herb, Telearbeit – Chancen, Risiken und rechtliche Einordnung des Computerarbeitsplatzes zu Hauses, DB 1986, 1823; Kilian/ Borsum/Hoffmeister, Telearbeit und Arbeitsrecht, NZA 1987, 401; Kramer, Gestaltung arbeitsvertraglicher Regelungen zur Telearbeit, DB 2000, 1329; Simon/Kuhne, Arbeitsrechtliche Aspekte der Telearbeit, BB 1987, 201; Wank, NZA 1999, 225. 2 Fenski, Außerbetriebliche Arbeitsverhältnisse, Rz. 340 ff. 3 Fenski, Außerbetriebliche Arbeitsverhältnisse, Rz. 361; KR/Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rz. 4a. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 53. 5 So bereits BAG v. 15.3.1978 – 5 AZR 819/76, AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 6 Kasseler Handbuch,Worzalla 1.1 Rz. 177.
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Teil 2 Rz. 104
Betriebsbedingte Kündigung
Die Zuweisung von Risiken spricht dann für Selbständigkeit, wenn damit größere Freiheiten und größere Verdienstmöglichkeiten verbunden sind, die nicht bereits in der Sache angelegt sind, und der Arbeitnehmer tatsächlich, auch zeitlich, die Möglichkeit hat, über seine Arbeitskraft zu disponieren.1 Bekommt ein Leistender im Rahmen eines „Unternehmervertrages“ sein „Betriebskapital“ in Form eines Lkw gegen Mietzins vom „Auftraggeber“ gestellt, arbeitet er in zeitlicher und örtlicher Hinsicht weisungsgebunden, ist er in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden und kann er auf dem Markt – sei es aus zeitlichen oder aus vertraglichen Gründen (Wettbewerbsverbot) – nicht noch zusätzlich als Unternehmer auftreten, handelt es sich um einen Fall der Scheinselbständigkeit. Tatsächlich ist die zwischen den Parteien begründete vertragliche Beziehung als Arbeitsverhältnis einzuordnen.2 104
Kein taugliches Kriterium zur Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit ist in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Abhängigkeit.3 Zwar ist in der Regel ein Arbeitnehmer nicht nur persönlich, sondern auch wirtschaftlich von seinem Arbeitgeber abhängig. Dies trifft aber gleichfalls auf einen Selbständigen zu, der zwar für mehrere Auftraggeber tätig sein kann, jedoch seit längerer Zeit im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber arbeitet und für den das daraus fließende Einkommen existenzentscheidend ist. Seine wirtschaftliche Abhängigkeit ändert nichts an seiner Stellung als Unternehmer. Ist er allerdings zusätzlich einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzwürdig, handelt es sich nach der Legaldefinition des § 12a Abs. 1 TVG um sog. arbeitnehmerähnliche Personen.4 Andererseits ist es nicht erforderlich, dass ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig ist. So kann ein Arbeitsverhältnis gegeben sein, wenn der Arbeitende nur nebenberuflich tätig ist und tatsächlich auf das Entgelt zu seiner wirtschaftlichen Absicherung nicht angewiesen ist. Gleiches gilt für eine Teilzeitbeschäftigung oder ein befristetes Arbeitsverhältnis.5
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Neben den oben genannten Kriterien gibt es weitere Gesichtspunkte, die bei der Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Selbständigem eine Rolle spielen können (z.B. die Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall oder im Urlaub, die Abführung von Lohnsteuer und Sozialabgaben oder das Führen einer Personalakte). Es müssen alle Gesichtspunkte des Einzelfalles in einer Gesamtbetrachtung abgewogen werden.6 Die zusätzlichen, eher formalen Kriterien sind jedoch 1 BAG v. 13.8.1980 – 4 AZR 592/78, AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145 (= DB 1996, 2033); BSG v. 12.12.1990 – 11 RAr 73/90, NZA 1991, 907. 2 LG München I v. 15.5.1997 – 17 HKO 759/97, NZA 1997, 943. 3 Siehe z.B. BAG v. 30.9.1998 – 5 AZR 563/97, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 74. 4 Siehe dazu unten c). 5 BAG v. 30.10.1991 – 7 ABR 19/91, NZA 1992, 407 (= NJW 1992, 2110); v. 24.6.1992 – 5 AZR 384/91, NZA 1993, 174 (= NJW 1993, 1156); v. 20.7.1994 – 5 AZR 627/93, NZA 1995, 161 (= DB 1994, 2502). 6 Siehe z.B. BAG v. 19.11.1997 – 5 AZR 653/96, DB 1998, 624; v. 6.5.1998 – 5 AZR 347/97, DB 1998, 2275 (= AP Nr. 94, zu § 611 BGB Abhängigkeit); v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, AP Nr. 104 zu § 611 BGB Abhängigkeit.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 107 Teil 2
nicht entscheidend, sondern nur als Hilfskriterien zu Gunsten eines Mitarbeiters zu werten. Hat der Arbeitgeber z.B. das Vertragsverhältnis falsch als freies Mitarbeiterverhältnis eingeordnet und zieht er daraus formale Konsequenzen wie z.B. keine Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, kann dies nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers gewertet werden.1 Haben die Parteien umgekehrt ein „Arbeitsverhältnis“ vereinbart, so ist dies so lange als solches einzuordnen, wie eine Gesamtbetrachtung nichts anderes ergibt.2 b) Berufsausbildungsverhältnis Auszubildende i.S.v. § 1 BBiG zählen zu den Arbeitnehmern und fallen daher prinzipiell unter den Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG, der die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten ausdrücklich bei der Berechnung der Mindestgröße des Betriebes ausnimmt, also davon ausgeht, dass diese Personengruppe grundsätzlich zu den Arbeitnehmern i.S. des Kündigungsschutzgesetzes zählt.3 Personen, deren Berufsausbildung oder Beschäftigung selbst Gegenstand des Betriebszwecks der betriebsverfassungsrechtlichen Einheit ist, sind allerdings keine Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und gem. § 7 BetrVG nicht wahlberechtigt, da sie nicht in die Betriebsorganisation eingegliedert sind. Für die Eingliederung der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten kommt es nur darauf an, ob ihr Ausbildungsberuf von den betriebsangehörigen Arbeitern und Angestellten ausgeübt wird. Ist dies nicht der Fall, fehlt es an einer betrieblichen Eingliederung.4 Gem. § 10 Abs. 2 BBiG sind auf den Berufsausbildungsvertrag allerdings, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und aus dem BBiG selber nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden.
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Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG für Auszubildende nicht zur Anwendung kommt, da die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses in §§ 20–23 BBiG abschließend geregelt ist.5 Gem. § 22 Abs. 1 BBiG kann das Ausbildungsverhältnis während der Probezeit jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Nach Ablauf der Probezeit ist von Seiten des Ausbilders eine ordentliche Kündigung nicht mehr möglich. Es bleibt ihm lediglich die fristlose Kündigung gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, die gem. § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntwerden der der Kündigung zugrundeliegenden Tatsachen erhoben werden muss. Der Auszubildende kann dagegen nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG das Berufsausbildungsverhältnis ordentlich mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen kündigen, wenn er die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen will.6
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1 BAG v. 20.7.1994 – 5 AZR 627/93, NZA 1995, 161 (= DB 1994, 2502); v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, AP Nr. 104 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 2 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 125/04, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 8. 3 BAG v. 26.1.1999 – 2 AZR 134/98, DB 1999, 1408; Schaub, § 16 Rz. 5. 4 BAG v. 13.6.2007 – 7 ABR 44/06, NZA-RR 2008, 19. 5 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 67; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 10. 6 Siehe zur Beendigung und Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses näher z.B. KR/Weigand, §§ 21, 22 BBiG, Rz. 39 f.
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Teil 2 Rz. 108
Betriebsbedingte Kündigung
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Problematischer ist jedoch die Anwendbarkeit sonstiger Vorschriften des KSchG auf das Ausbildungsverhältnis. Am meisten diskutiert wird dabei die Anwendbarkeit der Vorschriften über die fristgebundene Klageerhebung bei außerordentlicher Kündigung gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Nach wie vor ungeklärt ist, ob der nach dem Gesetzeswortlaut nur den Arbeitsvertrag betreffende § 4 Satz 1 KSchG nach den Grundsätzen des § 10 Abs. 2 BBiG auf das Ausbildungsverhältnis übertragbar und die dreiwöchige Kündigungsfrist auch von dem Auszubildenden nach einer fristlosen Kündigung seines Ausbilders gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG einzuhalten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des zweiten Senats des BAG muss § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf das Berufsausbildungsverhältnis angewendet werden, sofern nicht gemäß § 111 Abs. 1 Satz 5 ArbGG eine Verhandlung vor einem zur Beilegung von Streitigkeiten aus einem Berufsausbildungsverhältnis gebildeten Ausschuss stattfinden muss, d.h. bei einer fristlosen Kündigung des Vertragsverhältnisses gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG sind die §§ 4 KSchG (Dreiwochenfrist für Erhebung der Kündigungsschutzklage) und 5 bis 7 KSchG zu beachten.1 Begründet wird dies neben der Arbeitnehmereigenschaft der Auszubildenden u.a. mit Sinn und Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses. Dem Auszubildenden sollen in einem fest umrissenen Zeitraum eine breit angelegte berufliche Grundausbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden. Dies spricht dafür, dass eine schnelle Klärung, ob eine fristlose Kündigung ein Berufsausbildungsverhältnis beendet hat oder nicht, hier noch dringender notwendig ist als in einem normalen, auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnis. Ein möglicherweise monatelanger Schwebezustand nach einer fristlosen Kündigung, während dessen wegen der Ungewissheit über die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses keine Ausbildung stattfindet, ist in besonderer Weise geeignet, den Ausbildungserfolg zu gefährden.2
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Bei der fristlosen Kündigung eines Ausbildungsvertrages muss daher Folgendes beachtet werden: – Besteht bei der zuständigen Stelle ein Schlichtungsausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden, enthält § 111 Abs. 2 ArbGG eine in sich abgeschlossene besondere Verfahrensregelung, die die kündigungsschutzrechtlichen Verfahrensregeln verdrängt (§ 10 Abs. 2 BBiG). Für ein sich ggf. an das Verfahren vor dem Ausschuss anschließendes Kündigungsschutzverfahren gilt nicht die Dreiwochenfrist des KSchG.3 Wird der vom Ausschuss gefällte Spruch nicht innerhalb einer Woche von beiden Parteien anerkannt, so kann binnen zwei Wochen nach ergan1 BAG v. 16.1.1999 – 2 AZR 134/98, DB 1999, 1408 (= AP Nr. 43 zu § 4 KSchG n.F.); v. 5.7. 1990 – 2 AZR 53/90, DB 1991, 2679(= EzA Nr. 39 zu § 4 KSchG n.F.); v. 13.4.1989 – 2 AZR 441/88, DB 1990, 586 (= EzA Nr. 4 zu § 13 KSchG n.F.); ebenso ein Großteil der Lehre, siehe z.B. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 13 Rz. 27; APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 17 und § 22 BBiG Rz. 31–33; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 36; siehe zur anderen Ansicht LAG Brandenburg v. 10.1.1997 – 5 Sa 367/97, LAGE § 4 KSchG Nr. 39 (aufgehoben durch die o.g. Entscheidung des BAG v. 26.1.1999); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 877. 2 BAG v. 16.1.1999 – 2 AZR 134/98, DB 1999, 1408 (= AP Nr. 43 zu § 4 KSchG n.F.). 3 BAG v. 13.4.1989 – 2 AZR 441/88, AP Nr. 21 zu § 4 KSchG 1969.
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Mues
Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 113 Teil 2
genem Spruch Klage beim zuständigen Arbeitsgericht erhoben werden (§ 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG). Es handelt sich dabei um eine prozessuale Ausschlussfrist. Eine verspätet erhobene Klage ist als unzulässig abzuweisen. Bei Versäumung der Zweiwochenfrist ist in entsprechender Anwendung von § 233 ZPO eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich.1 – Besteht bei der zuständigen Stelle kein Schlichtungsausschuss, muss der Auszubildende – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des KSchG – die Dreiwochenfrist von § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG einhalten. Bei Versäumung der Dreiwochenfrist kann sich der Auszubildende nicht mehr darauf berufen, es habe kein wichtiger Grund vorgelegen oder die für eine fristlose Kündigung erforderliche Zweiwochenfrist des § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG sei nicht eingehalten (§ 7 KSchG). Unstrittig ist in diesem Zusammenhang, dass die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers nach unwirksamer fristloser Arbeitgeberkündigung auf das Berufsausbildungsverhältnis nicht anwendbar ist.2 Die Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses durch Gerichtsurteil nach fristloser Kündigung des Ausbildenden auf Antrag des Auszubildenden ist mit Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrages und dem nach dem BBiG bestehenden verstärkten Bestandsschutz nicht zu vereinbaren und daher nach § 10 Abs. 2 BBiG ausgeschlossen.
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Für Volontäre und Praktikanten gelten wegen der Verweisnorm des § 26 BBiG die §§ 20–23 BBiG und – im oben dargelegten Umfang das KSchG – entsprechend.3 Werden die beruflichen Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses vermittelt, gilt das KSchG ohne weiteres.
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c) Abgrenzung zu anderen Personengruppen Nicht zu den Arbeitnehmern und damit nicht zum Schutzbereich des KSchG zählen zum einen die Selbständigen, also die Personen, die – in Abgrenzung zu dem oben unter a) Dargelegten – persönlich unabhängig und weisungsfrei sind. Sie werden für den Auftraggeber im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages tätig. Dazu zählt z.B. der selbständige Handelsvertreter gem. § 84 Abs. 1 HGB. Ausnahmsweise gilt er unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ArbGG als Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG, untersteht also prozessrechtlich der Arbeitsgerichtsbarkeit. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er kein Arbeitnehmer ist. Materiellrechtlich finden auch bei einer Verhandlung vor den Arbeitsgerichten Arbeitnehmerschutzgesetze keine Anwendung.
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Eine andere Personengruppe, die von den Arbeitnehmern abgegrenzt werden muss, ist die der arbeitnehmerähnlichen. Wie oben schon angedeutet, enthält § 12a TVG zu den arbeitnehmerähnlichen Personen eine umfassende Legaldefinition. Zusammengefasst ist danach eine arbeitnehmerähnliche Person, wer,
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1 Siehe dazu näher z.B. APS/Biebl, § 111 ArbGG Rz. 16 ff. 2 BAG v. 29.11.1984 – 2 AZR 354/83, AP Nr. 6 zu § 13 KSchG 1969 (= EzA Nr. 19 zu § 9 KSchG n.F.); siehe aus der Literatur v. Hoyningen-Huene/Linck, § 13 Rz. 18 m.w.N. 3 Siehe dazu KR/Weigand, §§ 21, 22 BBiG Rz. 13.
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Teil 2 Rz. 114
Betriebsbedingte Kündigung
ohne Arbeitnehmer zu sein, aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages oder eines ähnlichen Rechtsverhältnisses in wirtschaftlicher Abhängigkeit Dienstoder Werkleistungen persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringt und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig ist.1 Maßgebend für die Abgrenzung zum Arbeitnehmer ist dabei der Grad der persönlichen Abhängigkeit. Die arbeitnehmerähnlichen Personen sind i.d.R. wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als ein Arbeitnehmer.2 Statt der persönlichen Abhängigkeit kommt die wirtschaftliche Abhängigkeit dazu. Außerdem muss die Person ihrem gesamten sozialen Status nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein. So mögen Subunternehmer als arbeitnehmerähnliche Personen anzuerkennen sein, weil sie wirtschaftlich unabhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind (vgl. § 12a TVG). Das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit ist aber nach ständiger Rechtsprechung des BAG – entgegen einer bei Rechtsuchenden weit verbreiteten Meinung – nicht maßgeblich für die Beurteilung der Frage der persönlichen Abhängigkeit im Sinne einer Unterstellung unter ein umfassendes Arbeitgeberweisungsrecht. Die wirtschaftliche Abhängigkeit und die sich hieraus ergebende soziale Schutzbedürftigkeit der arbeitenden Bevölkerung war historisch zwar die Ursache für die Entstehung von arbeitsrechtlichen Vorschriften. Gleichwohl spielt sie bei der Abgrenzung des Arbeitnehmers vom freien Mitarbeiter keine Rolle.3 114
Wirtschaftliche Abhängigkeit liegt vor, wenn der Beschäftigte im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig geworden ist und die hieraus fließende Vergütung seine Existenzgrundlage darstellt.4 Gewisse Anhaltspunkte für diesen Gesichtspunkt gibt auch die Definition in § 12a TVG, wonach ein Dienstleistender arbeitnehmerähnlich ist, wenn er überwiegend für eine Person tätig ist oder ihm von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihm für seine Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht. Auf jeden Fall kann von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit erst bei einer gewissen Dauerbeziehung des Dienstleistenden zum Auftraggeber gesprochen werden. Nur dann kann das Vertragsverhältnis eine wesentliche Existenzgrundlage des Dienstleistenden darstellen.5 Die soziale Schutzbedürftigkeit liegt vor, wenn der Beschäftigte unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und der Art seiner Dienste in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände einem Arbeitnehmer gleichkommt. Es handelt sich dabei um einen aufgrund einer Einzelfallentscheidung abwägungsbedürftigen Begriff, wobei es auch auf die Verkehrsanschauung ankommt.6 1 KR/Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen, Rz. 9. 2 BAG v. 8.9.1997 – 5 AZB 3/97, EzA § 5 ArbGG 1979, Nr. 25; v. 16.7.1997 – 5 AZB 29/96, EzA § 5 ArbGG 1979, Nr. 24; v. 11.4.1997 – 5 AZB 32/96, EzA § 5 ArbGG Nr. 23; v. 14.1.1997 – 5 AZB 22/96, EzA § 5 ArbGG 1979, Nr. 16. 3 Vgl. statt vieler BAG v. 25.1.2007, NZA 2007, 580 m.w.N. 4 BAG v. 2.10.1990 – 4 AZR 106/90, EzA Nr. 1 zu § 12a TVG. 5 BAG v. 6.12.1974 – 5 AZR 418/74, EzA Nr. 18 zu § 611 BGB. 6 KR/Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rz. 24.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 117 Teil 2
Wie schon bei der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft kommt es auch hier nicht auf die Vertragsbezeichnung, sondern auf die tatsächliche Durchführung an. Auf dieses Kriterium ist insbesondere bei der Abgrenzung zwischen einem Arbeitnehmer und einem freien Mitarbeiter zu achten, wozu es gerade im journalistischen oder künstlerischen Bereich zahlreiche Entscheidungen des BAG gibt.1
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Da es sich bei der Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Personen nicht um Arbeitnehmer handelt, sind die Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht anwendbar. Ihre Rechtsverhältnisse bestimmen sich nach den für den jeweiligen Vertragstypus geltenden Rechtsvorschriften, wie z.B. Dienstvertrags-, Werkvertrags- oder Werklieferungsvertragsrecht. In einigen Gesetzen werden arbeitnehmerähnliche Personen zwar den Arbeitnehmern gleichgestellt (so z.B. in §§ 5 ArbGG, 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG, 2 BurlG, 1 Abs. 2 BeschäftigtenschutzG und 12a TVG), dies gilt aber nicht für das KSchG. Arbeitnehmerähnliche Personen genießen daher keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG.
116
Eine weitere Sondergruppe, die im Wesentlichen den arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten zugerechnet werden2, stellen die in Heimarbeit Beschäftigten dar, also die Heimarbeiter und die Hausgewerbebetreibenden und die ihnen Gleichgestellten (§ 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 und Abs. 2, § 1 Abs. 2 HAG). Mangels persönlicher Abhängigkeit liegt kein Arbeitsverhältnis vor.3 Da im KSchG eine Gleichstellung nicht erfolgt ist (wie z.B. in §§ 1 Nr. 2 MuSchG oder 7, 2 ArbPlSchG) findet das KSchG keine Anwendung.4 Über die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses eines Heimarbeiters finden sich vielmehr in §§ 29, 29a HAG Sonderregelungen, die allerdings keinen dem KSchG vergleichbaren Kündigungsschutz enthalten. Zu beachten ist, dass die Heimarbeiter gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG als Arbeitnehmer i.S.d. BetrVG gelten, also auch wahlberechtigt und wählbar bei der Betriebsratswahl sind. Besteht im Betrieb ein Betriebsrat, ist er daher auch vor jeder Kündigung eines Heimarbeiters gem. § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören.5 Ist ein in Heimarbeit Beschäftigter Mitglied eines Betriebsrats, ist auf den besonderen Kündigungsschutz des § 29a HAG zu achten, der hier – vergleichbar mit § 15 KSchG – die freie und unbeeinflusste Ausübung des Betriebsratsamts sichern will.6
117
1 BVerfG v. 13.1.1982 – 1 BvR 848/77, AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Rundfunkfreiheit; BAG v. 20.7.1994 – 5 AZR 627/93, AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 30.11. 1994 – 5 AZR 704/93, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 22.4.1998 – 5 AZR 191/97, AP Nr. 96 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 26.5.1998 – 5 AZR 469/98, AP Nr. 104 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 2 KR/Rost, §§ 29, 29a HAG Rz. 1 3 BAG v. 3.4.1990 – 3 AZR 258/88, AP Nr. 11 zu § 2 HAG. 4 KR/Rost, §§ 29, 29a HAG Rz. 73; Fenski, Außerbetriebliche Arbeitsverhältnisse, Rz. 276 ff.; Mehrle, AR-Blattei SD 910 Rz. 140. 5 Siehe nur DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 9 und 7. 6 Die Existenz dieser Vorschrift spricht im Übrigen auch dafür, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Heimarbeiter nicht unter das KSchG fallen. Fände das KSchG, und damit § 15 KSchG, ohnehin Anwendung, so wäre § 29a HAG überflüssig, so z.B. KR/Rost, §§ 29, 29a HAG Rz. 73.
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Teil 2 Rz. 118 118
Betriebsbedingte Kündigung
Eine weitere Sondergruppe von Arbeitnehmern sind die sog. Fremdarbeitnehmer. Dies sind Arbeitnehmer, die in einem fremden Betrieb für ihren jeweiligen Arbeitgeber Aufgaben erfüllen. Sie werden – selbst wenn es sich bei den von ihnen ausgeführten Aufgaben um Betriebsaufgaben handelt – als Erfüllungsgehilfen für die von ihrem Arbeitgeber dem Betriebsinhaber geschuldeten Dienstleistungen, also im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages tätig und stehen nicht im Dienst des Betriebsinhabers.1 Sie gehören nicht zur Belegschaft des Betriebes, in dem sie in diesem Rahmen tätig sind und sind dort keine Arbeitnehmer. Ob sie allgemeinen Kündigungsschutz gem. KSchG genießen, bestimmt sich nach ihrem Vertragsverhältnis zum Arbeitgeber und den weiteren Umständen in seinem Betrieb. Vom drittbezogenen Arbeitseinsatz auf Basis eines Werkoder Dienstvertrages ist die Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG zu unterscheiden.2 Diese ist gekennzeichnet durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher.3 Notwendiger Bestandteil eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem Arbeitnehmer zum Einsatz in dessen Betrieb zur Verfügung zu stellen.4 Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat.5 d) Faktisches Arbeitsverhältnis
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Ist das mit dem Arbeitnehmer abgeschlossene Vertragsverhältnis nichtig, z.B. wegen Verstoßes gegen §§ 134, 138 BGB oder wegen Anfechtung, liegt ein sog. fehlerhaftes oder faktisches Arbeitsverhältnis vor, das für die Vergangenheit wie ein wirksamer Arbeitsvertrag behandelt wird. Für die Zukunft kann die Nichtigkeit des Vertrages von beiden Seiten jederzeit ohne besondere Fristbindung geltend gemacht und so der Arbeitsvertrag beendet werden. Bei dieser Lossagung handelt es sich nicht um eine Kündigung. Dem Arbeitnehmer steht daher auch nicht der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG zu.6 2. Ausgeschlossene Personengruppen a) Organmitglieder von juristischen Personen
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Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG gelten die Vorschriften des ersten Abschnittes, also der gesamte allgemeine Kündigungsschutz, nicht in Betrieben einer juristi1 BAG v. 5.3.1991 – 1 ABR 39/90, AP Nr. 90 zu § 99 BetrVG 1972; v. 9.7.1991 – 1 ABR 45/90, AP Nr. 94 zu § 99 BetrVG 1972. 2 vgl. ausführlich hierzu Rz. 83. 3 BAG v. 19.3.2003 – 7 AZR 267/02, BAGE 105, 317. 4 BAG v. 19.1.2000 – 7 AZR 699, BAGE 87, 186. 5 BAG v. 10.10.2007 – 7 AZR 487/06 (n.v.). 6 Allgemeine Ansicht: KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 47; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 71; KDZ/Däubler, §§ 119–122 BGB, Rz. 15.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 125 Teil 2
schen Person für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. Zur Vertretung einer juristischen Person kraft Gesetzes befugt sind z.B. die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, § 78 AktG, einer Genossenschaft, § 24 GenG, oder eines eingetragenen Vereines, § 26 Abs. 2 BGB. Dazu zählt auch der Geschäftsführer einer GmbH, § 35 GmbHG. Handelt es sich bei der GmbH um den Komplementär einer KG, so ist der Geschäftsführer der GmbH gleichzeitig gem. §§ 170, 125 HGB, 35 GmbHG zur Vertretung der KG berechtigt.1
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Im Normalfall hat § 14 Abs. 1 KSchG lediglich klarstellende Funktion. Der dort aufgeführte Personenbereich steht meist nicht in einem Arbeitsverhältnis zur juristischen Person, da es an der für ein Arbeitsverhältnis charakteristischen persönlichen Abhängigkeit fehlt. Mangels Arbeitnehmereigenschaft fallen Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer daher auch ohne besondere Regelung nicht unter den Geltungsbereich des KSchG.
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Eine eigenständige Bedeutung kommt der Vorschrift zu, wenn das Rechtsverhältnis zu der juristischen Person ausnahmsweise nicht als Dienstverhältnis, sondern als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. § 14 Abs. 1 KSchG enthält insoweit eine negative Fiktion. Die dort aufgeführten Personen sollen allein wegen ihrer organschaftlichen Stellung aus dem Genuss des allgemeinen Kündigungsschutzes herausgenommen werden, auch wenn dies im Einzelfall aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse ungerechtfertigt wäre.2 Dies hängt damit zusammen, dass sie als gesetzliche Vertreter der juristischen Person auch Arbeitgeberfunktionen ausüben und daher der Arbeitgeberseite zugerechnet werden.3
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Problematisch ist die Arbeitnehmereigenschaft und damit die Anwendbarkeit des KSchG in den Fällen, in denen ein Angestellter einer GmbH zum Geschäftsführer bestellt und nach seiner Abberufung entlassen wird. Eindeutig geregelt ist dieser Fall, wenn die Parteien über den Verbleib des Arbeitsverhältnisses eine ausdrückliche Regelung treffen. Die kann auch dahin gehen, dass das bisherige Arbeitsverhältnis als sog. ruhendes Arbeitsverhältnis fortbesteht und nach Beendigung der Organstellung wieder auflebt.
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Fehlt eine Regelung über diesen Gesichtspunkt, so besteht mit dem Abschluss eines Dienstvertrages, der Grundlage für eine Bestellung zum Geschäftsführer ist, die Vermutung für eine Auflösung des zuvor begründeten Arbeitsverhältnisses.4 Diese Richtung hat das BAG auch für den Fall bestätigt, dass ein leitender Angestellter zum Geschäftsführer einer neu gegründeten GmbH bestellt wird, die wesentliche Teilaufgaben des Betriebes seines bisherigen Arbeitgebers über-
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1 Näher zu den möglichen Vertretungsorganen und dabei auftretenden Problemfällen KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 8 ff. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 14 Rz. 3; KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 6. 3 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, AP Nr. 1 zu § 14 KSchG 1969. 4 Jetzt st. Rspr. vgl. BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08 (n.v.) – DB 2009, 907; v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06; 24.11.2005 – 2 AZR 614/04 – BAGE 116, 254; 19.7.2007 – 6 AZR 774/06 – NJW 2007, 3228; v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06 – NZA 2008, 168.
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Teil 2 Rz. 126
Betriebsbedingte Kündigung
nimmt.1 Des Weiteren verwandelt sich mit dem Verlust der Organstellung der zugrunde liegende Anstellungs- bzw. Geschäftsführerdienstvertrag nicht (wieder) in einen Arbeitsvertrag. Ein wirksam aufgehobenes früheres Arbeitsverhältnis lebt durch die Abberufung als Geschäftsführer nicht – jedenfalls nicht ohne Weiteres – wieder auf, ebenso wenig entsteht ein neues Arbeitsverhältnis.2 Etwas anderes kann nur gelten, wenn weitere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass entweder neben dem Geschäftsführerdienstvertrag noch ein Arbeitsvertrag – ruhend – fortbestanden hat und nach der Abberufung wieder aufleben soll oder dass nach der Abberufung ein Arbeitsverhältnis neu begründet worden ist.3 Man kann daher davon ausgehen, dass der allgemeine Kündigungsschutz nach § 1 KSchG mit der Ernennung zum GmbH-Geschäftsführer gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG wegen Beendigung des vorher bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht mehr anwendbar ist.4 Das Schriftformerfordernis des § 623 BGB für den Auflösungsvertrag wird durch den schriftlichen Geschäftsführer-Dienstvertrag gewahrt; denn aus diesem ergibt sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinreichend deutlich, soweit nicht etwas anderes vereinbart wird.5 b) Gesellschafter von Personengesellschaften 126
Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 KSchG sind ebenfalls vom allgemeinen Kündigungsschutz ausgenommen in Betrieben einer Personengesamtheit die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit berufenen Personen. Da in einer offenen Handelsgesellschaft gem. § 125 HGB jeder Gesellschafter zur Vertretung ermächtigt ist, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag etwas anderes vorsieht, umfasst dies alle Gesellschafter einer OHG. Gleiches gilt gem. §§ 161 Abs. 2 i.V.m. 125, 170 HGB auch die persönlich haftenden Gesellschafter einer KG, die Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (§ 714 BGB) und die Vorstandsmitglieder eines nichtrechtsfähigen Vereines. Von dieser Regelung werden jedoch nur die sog. organschaftlichen Vertreter erfasst, nicht dagegen Vertreter, deren Vertretungsmacht auf einer besonderen Bevollmächtigung beruht, wie z.B. Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte.6 1 BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 207/99, NZA 2000, 1013; ähnlich BAG v. 28.9.1995 – 5 AZB 4/95, NZA 1996, 143 (= DB 1996, 484); v. 18.12.1996 – 5 AZB 25/96, EzA Nr. 35 zu § 2 ArbGG 1979. 2 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06; v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 36 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 37; v. 18.12.1996 – 5 AZB 25/96 – BAGE 85, 46; Roth/ Altmeppen GmbHG 5. Aufl. § 6 Rz. 111. 3 BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08; v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05 – BAGE 118, 278, 282 f., m.w.N.; v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96. 4 Ebenso auch die ganz h.M. in der Literatur: ErfK/Ascheid, § 14 KSchG Rz. 6; Bauer, Kündigung und Kündigungsschutz vertretungsberechtigter Organmitglieder, BB 1994, 855, 857; Hümmerich, Grenzfall des Arbeitsrechts, Kündigung des GmbH-Geschäftsführer, NJW 1995, 1177, 1181; Kaiser, AR-Blattei, SD 70.2 Rz. 68; Löwisch/Spinner, § 14 Rz. 10; KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 6a. 5 BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08; v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06 – AP GmbHG § 35 Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 623 Nr. 7. 6 APS/Biebl, § 14 KSchG Rz. 8.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 129 Teil 2
c) Familienmitglieder Wenn Familienangehörige im Betrieb mitarbeiten, steht dies der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Leistet der Verwandte seine Arbeit aufgrund eines Arbeitsvertrages, ist er „normaler“ Arbeitnehmer und fällt unter den Geltungsbereich des KSchG, sofern dessen sonstige Voraussetzungen erfüllt sind.1 Auch wenn der Familienangehörige in einer Personengesellschaft, wie z.B. einer KG, an der nur sonstige Verwandte als Gesellschafter beteiligt sind, arbeitet, kann er im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig sein.2 In diesen Fällen muss jedoch die Arbeitnehmereigenschaft besonders kritisch überprüft werden. Wird der Dienstleistende nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages, sondern aufgrund von familienrechtlichen Verpflichtungen (§§ 1353, 1356 Abs. 2, 1619 BGB) oder gesellschaftsrechtlicher Mitarbeit tätig, arbeitet er nicht aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages bzw. eines gleichgestellten Rechtsverhältnisses und damit nicht als Arbeitnehmer. Das KSchG (und auch alle anderen Gesetze, die Arbeitnehmereigenschaft voraussetzen) findet keine Anwendung.3
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Die Feststellung der Arbeitnehmerschaft erfolgt wie sonst auch aufgrund einer Abwägung der besonderen Umstände des Einzelfalles nach den oben genannten Kriterien. In Zweifelsfällen spricht für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses, dass dem Verwandten regelmäßig eine Vergütung gezahlt wird, und dass er wie andere Mitarbeiter die betriebsüblichen Arbeitszeiten einhalten muss und dem Direktions- und Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Handelt es sich nur um einen weitläufigen Verwandten, wird im Regelfall ein Arbeitsverhältnis vorliegen, insbesondere, wenn die Arbeitsstelle vorher mit einem Arbeitnehmer besetzt war.4
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3. Mindestbetriebszugehörigkeit Neben der Arbeitnehmereigenschaft ist erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis des zu kündigenden Arbeitnehmers in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat (sog. Wartezeit). Wird dem Arbeitnehmer vorher gekündigt, greift der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG nicht, es gilt der Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Dem Arbeitnehmer soll erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit der Betriebszugehörigkeit das Recht auf besonderen Schutz seines Arbeitsplatzes zuerkannt werden.5 Sinn dieser Regelung ist es, eine Art gesetzlicher Probezeit einzuführen. Dem Arbeitgeber wird Gelegenheit gegeben, den Arbeitnehmer kennen zu lernen, ohne dass er ihm nur unter den erschwerten Voraussetzungen des KSchG kündigen kann.6 Da es jedoch auf den sechsmonatigen rechtlichen Bestand des Ar1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 48. 2 BAG v. 20.7.1993 – 3 AZR 99/93, NZA 1994, 121 (= DB 1994, 151). 3 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 48; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 59; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 14. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 48. 5 BAG v. 16.2.1995 – 8 AZR 714/93, AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage II zu Kap. VI zu B I 2. 6 BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24 (= DB 1995, 1984).
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Teil 2 Rz. 130
Betriebsbedingte Kündigung
beitsverhältnisses und nicht die ununterbrochene Beschäftigung an sich ankommt, kommt dem Erprobungszweck nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Zu beachten ist, dass die sechsmonatige Frist des § 1 Abs. 1 KSchG ohne Rücksicht auf die Art der geschuldeten Tätigkeit läuft; eine einzelfallbezogene Prüfung ihrer Angemessenheit findet nicht statt. Auch die Vorschriften über den Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen gelten unabhängig von den Umständen des Einzelfalles nicht, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).1 a) Berechnung der Wartezeit 130
Die Wartezeit berechnet sich gem. §§ 187, 188 BGB. Für ihren Beginn kommt es auf den (rechtlichen) Beginn des Arbeitsverhältnisses an. Dies bezeichnet den Zeitpunkt, an dem nach den getroffenen Vereinbarungen das Arbeitsverhältnis beginnen, d.h. der Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitgebers stehen soll.2 Das ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Der Vertragsschluss ist jedoch maßgeblich, wenn der Arbeitsantritt sich unmittelbar anschließen soll.3 Wurde der Arbeitsvertrag schon vorher geschlossen und soll der Arbeitnehmer erst später seine Tätigkeit aufnehmen, ist der Tag des Beginns der Arbeitsaufnahme das relevante Ereignis i.S.v. § 187 Abs. 2 BGB.
131
Das Ende der sechsmonatigen Wartezeit bestimmt sich nach § 188 Abs. 2 BGB. Da nach § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB der erste Tag der Frist mitzählt, endet die sechsmonatige Wartezeit mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher dem Tag vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. Ist vertraglich eine Arbeitsaufnahme zum 1. April vereinbart, endet die gesetzliche Wartezeit am 30. September. Der Arbeitnehmer genießt daher ab 1. Oktober allgemeinen Kündigungsschutz. Wird dem Arbeitnehmer vorher gekündigt, greift das KSchG nicht.
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Der maßgebliche Zeitpunkt für die Erfüllung der Wartezeit ist der Tag des Zugangs der Kündigung. Die sechsmonatige Wartezeit muss bereits im Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigungserklärung abgelaufen sein. Es reicht nicht, wenn die Dauer des Arbeitsverhältnisses erst während/mit Ablauf der Kündigungsfrist sechs Monate erreicht.4
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Für Kündigungen während der Wartezeit ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des BAG die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG jedenfalls bei ordentlichen Kündigungen gilt. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG, der insoweit keine Einschränkung erhält. Die zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Fassung des § 4 Satz 1 KSchG verlangt dem Arbeitnehmer nicht nur ab, innerhalb der Drei-Wochen-Frist die fehlende soziale Rechtfertigung geltend zu machen, er muss vielmehr auch innerhalb von drei Wochen nach Zugang 1 2 3 4
BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 99. APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 30. Allgemeine Ansicht, so bereits BAG v. 20.7.1977 – 4 AZR 142/76, NJW 1978, 69; aus der Literatur KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 102 m.w.N.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 133 Teil 2
der schriftlichen Kündigung Kündigungsschutzklage erheben, wenn er geltend machen will, die Kündigung sei aus anderen Gründen rechtsunwirksam. Damit werden auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes liegende Unwirksamkeitsgründe von der Drei-Wochen-Frist erfasst. Das entspricht dem Zweck der Neuregelung des § 4 Satz 1 KSchG. Nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist soll darüber Klarheit bestehen, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Allein die mangelnde Schriftform kann noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist geltend gemacht werden, weil § 4 Satz 1 KSchG nur für schriftliche Kündigungen gilt.1 Dasselbe gilt allerdings auch, wenn der Arbeitgeber innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG außerordentlich kündigt. Die vom BAG zu der bis zum 31.12. 2003 geltenden Fassung des KSchG vertretene Auffassung, § 1 Abs. 1 und § 14 KSchG regelten den persönlichen Geltungsbereich für den ersten Abschnitt des KSchG in der Weise, dass § 14 KSchG eine bestimmte Personengruppe, nämlich die Angestellten in leitender Stellung, allgemein ausschließe und § 1 Abs. 1 KSchG für den dann verbleibenden Kreis der Arbeitnehmer nochmals diejenigen ausschließe, die noch nicht länger als sechs Monate beschäftigt seien, ist durch die zum 1.1.2004 in Kraft getretene Neufassung des KSchG überholt und mit Urteil des BAG vom 28.6.20072 aufgegeben worden. Es gibt im Übrigen keinen nachvollziehbaren Grund dafür, Arbeitnehmer, die noch nicht die Wartezeit erfüllt haben, von dem Erfordernis der Einhaltung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG freizustellen. Fände die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht auch auf außerordentliche Kündigungen innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG Anwendung, könnte der kurzzeitig beschäftigte Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung (§ 242 BGB) geltend machen. Damit aber wären Arbeitnehmer, die innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gekündigt werden, gegenüber den Arbeitnehmern besser gestellt, die schon lange Jahre beschäftigt sind und deshalb gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG innerhalb der Frist von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben müssen, um den Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu verhindern. Für diese unterschiedliche Behandlung gibt es keinen sachlichen Grund.3 Ausnahmsweise findet auch bei einer Kündigung kurz vor Ablauf der sechs Monate das KSchG in Analogie zu § 162 BGB Anwendung, wenn der Arbeitgeber unter Verstoß gegen Treu und Glauben deshalb vor Ablauf der Wartezeit kündigt, um den Kündigungsschutz zu vereiteln. Hätte eine solche Gesetzesumgehung Erfolg, würde dies den Grundsätzen des KSchG widersprechen. Der Arbeitnehmer wird dann so behandelt, als wäre die Wartezeit bereits erfüllt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nicht jede Kündigung vor Ablauf der Wartezeit einen Rechtsmissbrauch darstellt. Der Rechtsgedanke des § 162 BGB greift nicht schon dann ein, wenn der Arbeitgeber bereits während der Wartezeit kündigt, obwohl dies zur Wahrung der nach Gesetz oder Vertrag zu beachtenden Kündigungsfrist nicht erforderlich gewesen wäre. Dass gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber kurz vor Ablauf der Wartezeit kündigt, um einen Rechtsstreit 1 BAG v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, EzA KSchG § 4 n.F. Nr. 73. 2 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NJW 2007, 2716. 3 Vgl. APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 14; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 18; v. HoyningenHuene/Linck, § 4 Rz. 14.
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Teil 2 Rz. 134
Betriebsbedingte Kündigung
über die Sozialwidrigkeit der Kündigung zu vermeiden. Er übt in diesem Fall lediglich die ihm zustehende Kündigungsfreiheit aus.1 Damit sich eine solche Kündigung als Gesetzesumgehung darstellt, müssen noch weitere Umstände hinzukommen2, wofür der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist.3 134
Wie oben bereits dargelegt, kommt es für die Berechnung der Wartezeit nur auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Die Frist wird daher nicht hinausgeschoben, wenn der Arbeitnehmer zwischenzeitlich aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen tatsächlich nicht gearbeitet hat. Gleiches gilt für den Beginn der Wartefrist. Ist der Arbeitnehmer wegen Krankheit, Unfall oder Kuraufenthalt an dem Beginn der Arbeitsaufnahme verhindert, ist dies für den Beginn der Wartezeit ohne Einfluss.4 Nimmt der Arbeitnehmer dagegen schuldhaft die Arbeit nicht zum vereinbarten Termin auf (z.B. wegen Urlaub oder Arbeitsunlust), kann diese Zeit (bis zur tatsächlichen Arbeitsaufnahmen) nicht angerechnet werden. Überwiegend wird dies mit einem Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben begründet. Die Anrechnung solcher Zeiten, in denen der Arbeitgeber infolge Verschuldens des Arbeitnehmers dessen Eignung nicht überprüfen konnte, würde Treu und Glauben widersprechen.5
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In die Wartezeit eingerechnet werden nur Zeiten, die im Betrieb/Unternehmen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zurückgelegt wurden. Der Bestand einer anders gearteten rechtlichen Beziehung ist unmaßgeblich. Beschäftigungen aufgrund eines freien Dienstvertrages, eines Geschäftsbesorgungsvertrages als Geschäftsführer oder auf Grund der Mitgliedschaft zu einer Genossenschaft werden nicht angerechnet.6 Gleiches gilt für Beschäftigungen als Familienangehöriger in Erfüllung familienrechtlicher Verpflichtungen oder als freier Mitarbeiter. Eine frühere Beschäftigung als Leiharbeitnehmer wird, wenn später zum Entleiher ein Arbeitsverhältnis begründet wird, nicht angerechnet. Bei der erlaubten gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung besteht nur ein Arbeitsverhältnis zum Verleiher, es liegt daher formal ein Wechsel des Arbeitgebers vor.7
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Anders ist dies bei Beschäftigungszeiten als Auszubildender. Wird einmal ein Arbeitsverhältnis begründet und besteht dies sechs Monate fort, ist es egal, in welcher Eigenschaft und mit welchen Tätigkeiten der Arbeitnehmer für den Ar1 BAG v. 18.8.1982 – 7 AZR 437/80, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 48 (= AuR 1982, 1984, 121). 2 BAG v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41 (= AuR 1997, 30) zur Kündigung kurz vor Eintritt des besonderen tariflichen Kündigungsschutzes; v. 5.3. 1987 – 2 AZR 187/86, RzK I 4d Nr. 7; v. 18.8.1982 – 7 AZR 437/80, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 48 (= AuR 1982, 1984, 121). 3 LAG Schleswig-Holstein v. 3.3.1983 – 2 (3) Sa 566/82, DB 1983, 2260; v. 14.4.1998 – 3 Sa 541a/97, NZA-RR 1999, 191. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 100; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 99; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 30. 5 So z.B. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 100; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 100. 6 BAG v. 16.2.1995 – 8 AZR 714/93, AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage II zu Kap. VI zu B I 2b; LAG Bremen v. 24.10.1997 – 4 Sa 71/97, BB 1998, 223 zu GmbH-Geschäftsführern. 7 ArbG Bochum v. 14.1.1982 – 2 Ca 495/81, DB 1982, 1623; BAG v. 8.12.1988 – 2 AZR 308/88, NZA 1989, 459 (= DB 1989, 1756).
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 140 Teil 2
beitgeber im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses tätig wird. Zeiten beruflicher Ausbildung werden daher auch bei der Berechnung der Wartezeit mitberücksichtigt.1 Dafür spricht u.a. § 10 Abs. 2 BBiG, wonach auf den Berufsausbildungsvertrag grundsätzlich die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden sind.2 Ein betriebliches Praktikum zur beruflichen Fortbildung (§ 53 BBiG) ist nur dann anzurechnen, wenn es im Rahmen eines Arbeitsvertrages abgeleistet wird.3 Dies hängt u.a. damit zusammen, dass das BBiG in § 1 Abs. 3 und Abs. 4 zwischen Berufsausbildung und beruflicher Fortbildung unterscheidet und gem. § 10 Abs. 2 BBiG die für das Arbeitsverhältnis geltenden Vorschriften nur auf Berufsausbildungsverhältnisse anzuwenden sind.4 Ähnlich ist die Beurteilung bei von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Fortbildungsmaßnahmen. Auch diese können nur bei ausdrücklicher Vereinbarung der Parteien auf das Arbeitsverhältnis angerechnet werden, weil zwischen dem Unternehmen als Träger der Maßnahme und dem Teilnehmer keine arbeitsvertragliche Beziehung bestehen.5 Eine Tätigkeit im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gem. §§ 260 ff. SGB III ist andererseits auf die Wartezeit anzurechnen, zumindest wenn sich an die Beschäftigung im Rahmen einer befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unmittelbar anschließt.6 Anders als bei den Fortbildungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsrecht besteht hier zwischen dem Unternehmer und dem Beschäftigten ein Arbeitsvertrag.
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Einstweilen frei.
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Die oben dargelegten Berechnungsgrundsätze gelten auch für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, unabhängig davon, wie viel sie arbeiten oder wie ihre Arbeitszeit liegt. Eine Teilzeitkraft, die nur an wenigen Tagen in der Woche beschäftigt ist, erwirbt daher ebenfalls nach sechsmonatigem ununterbrochenem Bestand des Arbeitsverhältnisses den allgemeinen Kündigungsschutz. Wie schon oben dargelegt, kommt es auch hier nur auf den sechsmonatigen rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses, nicht aber auf eine sechsmonatige tatsächliche Beschäftigung an. Gleiches gilt für die Arbeit auf Abruf (KAPOVAZ) und das sog. Job-sharing.7 Das Arbeitsverhältnis besteht ebenfalls einheitlich fort, wenn ein als Vollarbeitsverhältnis begründeter Arbeitsvertrag in ein Teilzeitarbeitsverhältnis umgewandelt wird. Die unmittelbar vorangehenden Arbeitszeiten als Vollarbeitnehmer werden deshalb auf die gesetzliche Wartezeit angerechnet.8
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Zu beachten ist schließlich, dass die Wartezeit nicht nur betriebs- sondern auch unternehmensbezogen ist. Sie kann daher auch zurückgelegt werden, wenn der Arbeitnehmer während der sechs Monate aufgrund eines rechtlich ununterbro-
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1 2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 139/99, AP Nr. 57 zu § 622 BGB. Ebenso KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 107. BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 89/99, NZA 2000, 529. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 104. BAG v. 8.4.1988 – 2 AZR 684/87, RzK I 4d Nr. 10. BAG v. 12.2.1981 – 2 AZR 1108/78, EzA § 611 BGB Probearbeitsverhältnis Nr. 5. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 104. APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 35.
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Teil 2 Rz. 141
Betriebsbedingte Kündigung
chenen Arbeitsverhältnisses in verschiedenen Betrieben eines Unternehmens beschäftigt wird. Wird der Arbeitnehmer erst nach der rechtlichen Unterbrechung seines Arbeitsvertrages in einem anderen Betrieb des Unternehmens beschäftigt, ist dies unbeachtlich, sofern die Voraussetzungen des engen sachlichen Zusammenhangs gegeben sind, also u.a. ein enger Zusammenhang zu der vorher ausgeführten Arbeit besteht. Unter Umständen kann auch die Beschäftigung in verschiedenen Unternehmen während der Wartezeit unschädlich sein, wenn der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer jetzt arbeitet und der Betrieb, in dem er zuerst gearbeitet hat, zu Beginn des Arbeitsverhältnisses demselben Unternehmen angehört haben. Liegt ein Fall der Unternehmensspaltung vor, ergibt sich das aus § 323 Abs. 1 UmwG. Wird z.B. ein aus mehreren Betrieben bestehendes Unternehmen in mehrere Unternehmen gespalten und wird der Arbeitnehmer dabei in einen anderen Betrieb übernommen, so kann sich nach § 323 Abs. 1 UmwG seine kündigungsrechtliche Stellung aufgrund der Spaltung für die Dauer von zwei Jahren seit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens nicht verschlechtern. Wird dagegen der Betrieb- oder Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer bis jetzt tätig war, an einen anderen Unternehmer veräußert, ergibt sich dies aus § 613a Abs. 1 BGB. Danach tritt der Erwerber mit dem Betriebsübergang in die Rechte und Pflichten aus den übergegangenen Arbeitsverhältnissen ein. Dies bezieht sich auf die gesamte Rechtsstellung des Arbeitnehmers, also auch insoweit, als diese in einem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag ihren Ausdruck findet. An dessen Inhalt ist der neue Betriebsinhaber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gebunden. Nur in Fällen normativer Geltung eines Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis der Parteien vor dem Betriebsübergang kommt dessen Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch für beide Parteien des Arbeitsverhältnisses normativ geltende tarifliche Regelungen in Betracht.1 Auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer bleibt dem Arbeitnehmer beim Erwerber erhalten. Sie begründet zwar für sich allein kein Recht, sie sichert jedoch Rechte und wird daher entsprechend behandelt.2 Bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB sind demnach die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Betriebsübernehmer ausgesprochene Kündigung zu berücksichtigen.3 141
Die Wartezeit ist dagegen nicht konzernbezogen ausgestaltet.4 Wurde der Arbeitnehmer während der ersten sechs Monate bei verschiedenen Unternehmen eines Konzerns beschäftigt, können die Arbeitszeiten nur zusammengerechnet werden, wenn die Vertragsparteien im Rahmen der Versetzung eine ausdrückliche oder zumindest konkludente Anrechnungsvereinbarung abgeschlossen haben. Ansonsten werden Beschäftigungszeiten innerhalb eines Konzerns bei 1 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, ZTR 2007, 672; v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, BAGE 103, 9. 2 BAG v. 20.7.1993 – 3 AZR 99/93, NZA 1994, 121; v. 8.2.1983 – 3 AZR 229/81, NJW 1984, 1254 jeweils für die Betriebszugehörigkeit im Rahmen von § 1 I 1 BetrAVG. 3 BAG v. 5.2.2004 – 8 AZR 639/02 (n.v.); v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 4 Siehe zum Konzernbezug im Rahmen der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b) KSchG oben unter Rz. 31 ff.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 145 Teil 2
verschiedenen Konzernunternehmen nicht zusammengerechnet.1 Zum Schutz des Arbeitnehmers werden von der Literatur hier verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten diskutiert. So ist z.B. nach einer Meinung die bei einem 100%igen Tochterunternehmen zurückgelegte Beschäftigungszeit auch ohne Anrechnungsvereinbarung zu berücksichtigen, da insofern wegen der Gefahr der Umgehung des § 1 KSchG eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu gelten hat.2 Nach anderer Ansicht soll die Vereinbarung über die Versetzung nach Treu und Glauben dahin auszulegen sein, dass der Arbeitnehmer durch sie hinsichtlich des Kündigungsschutzes nicht geschädigt wird, dass ihm also die im früheren Unternehmen verbrachten Zeiten in allen Fällen, in denen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit Rechte abhängen, angerechnet werden.3
" Praxistipp: In Fällen eines Arbeitsverhältnisses mit einem deutlichen Be-
zug zu einem konzernweiten Einsatz oder einer „Shared Service Function“ sollte eine klare Regelung der Anrechnung eines wechselnden Einsatzes bei unterschiedlichen Konzernunternehmen aufgenommen werden, soweit nicht ohnehin konzernweite Regelungen bestehen.
142
b) Unterbrechung und Sonderfälle Voraussetzung für den Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit ist grundsätzlich, dass das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitraum ohne rechtliche Unterbrechungen bestanden hat. Tatsächliche Unterbrechungen, z.B. durch Krankheit, beeinträchtigen den Ablauf der Wartezeit nicht.4 Liegt dagegen eine rechtliche Unterbrechung vor, wurden die arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer also beendet und später ein neues Vertragsverhältnis zwischen den Parteien begründet, werden die früheren Beschäftigungszeiten beim selben Arbeitgeber für die Wartezeit grundsätzlich nicht berücksichtigt. Es muss vielmehr, von der Neueinstellung an gerechnet, eine neue Wartezeit von sechs Monaten ablaufen, ehe der Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des KSchG fällt.5
143
Von diesem Grundsatz sind jedoch sowohl durch die Rechtsprechung als auch durch das Gesetz Ausnahmen ermöglicht worden. Die Parteien selber können durch eine sog. Anrechnungsvereinbarung einen neuen Ablauf der Wartefrist verhindern (siehe dazu unten unter Rz. 156 ff.
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Eine Ausnahme besteht zum einen dann, wenn das neue Arbeitsverhältnis nahtlos, d.h. ohne zeitliche Unterbrechung an das alte anschließt. Dies ist z.B. der Fall, wenn mehrere befristete Arbeitsverhältnisse unmittelbar aufeinan-
145
1 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 94; MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 132 Rz. 77; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 48. 2 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 45; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 118; KDZ/Kittner/Deinert, § 1 KSchG Rz. 26. 3 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 94 m.w.N. 4 Siehe dazu bereits oben unter Rz. 130 ff.). 5 Nach dem BAG ist der Einfluss von rechtlichen Unterbrechungen hier nicht anders zu beurteilen als z.B. im Fall des § 622 Abs. 2 BGB oder § 4 BUrlG, ständige Rechtsprechung des BAG seit BAG v. 23.9.1976 – 2 AZR 309/75, NJW 1977, 1311; siehe daher dazu z.B. auch APS/Linck, § 622 BGB Rz. 56 ff.
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Teil 2 Rz. 146
Betriebsbedingte Kündigung
der folgen oder wenn direkt nach einem befristeten Arbeitsverhältnis ein unbefristetes abgeschlossen wird.1 Kraft Gesetzes ist dieser Fall in § 24 BBiG geregelt. In diesem Fall entsteht automatisch nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses durch Weiterarbeit im Betrieb ohne ausdrückliche anderweitige Vereinbarung ein Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Ausbilder. In all diesen Fällen werden die Beschäftigungszeiten zusammengerechnet, d.h. die Dauer des ersten Arbeitsverhältnisses wird auf die Wartezeit angerechnet. Es kommt dabei weder darauf an, aus welchem Grund das vorherige Arbeitsverhältnis beendet wurde, noch mit welchen Aufgaben der Mitarbeiter im Rahmen des neuen Arbeitsverhältnisses beschäftigt wird. Selbst wenn ihm ein völlig anderes Aufgabengebiet übertragen wurde, liegt keine rechtlich relevante Unterbrechung vor. Eines sachlichen Zusammenhangs zwischen dem alten und dem neuen Arbeitsverhältnis bedarf es hier nicht.2 Außer in den oben genannten Beispielen wird ein solcher Fall praktisch jedoch nur sehr selten eintreten. Meist wird man, selbst wenn eine wesentliche Veränderung des Arbeitsplatzes, der Tätigkeit oder sonstiger Arbeitsbedingungen beabsichtigt ist, den Arbeitsvertrag ändern oder z.B. eine Kündigung zurücknehmen oder einen Aufhebungsvertrag annullieren.3 146
Nach ständiger Rechtsprechung ist aber selbst dann, wenn das neue Arbeitsverhältnis nicht nahtlos, sondern in einem gewissen zeitlichen Abstand nach Beendigung des früheren abgeschlossen wurde, eine Anrechnung der vorherigen Beschäftigungsdauer auf die Wartezeit möglich. Voraussetzung dafür ist, dass zwischen dem vorangegangenen beendeten und dem neuen Arbeitsverhältnis ein enger sachlicher Zusammenhang besteht.4 Ob ein solcher sachlicher Zusammenhang vorliegt, lässt sich nicht anhand von starren Grenzen festlegen. Es kommt vielmehr auf eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände an. Ein wichtiges Indiz für einen sachlichen Zusammenhang ist ein geringer zeitlicher Abstand zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen. Der Dauer der Unterbrechung kommt zwar eine wichtige, aber nicht allein maßgebende Bedeutung zu. Eine längere zeitliche Unterbrechung spricht daher nicht automatisch gegen einen Zusammenhang. Je länger die rein zeitliche Unterbrechung dauert, desto gewichtiger müssen allerdings die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein.5 Zu berücksichtigen sind daher ferner der Anlass der Unterbrechung sowie die Art der Weiterbeschäftigung, insbesondere, ob der Beendigungsanlass nicht vom Arbeitnehmer zu ver1 2 3 4
BAG v. 12.2.1981 – 2 AZR 1108/78, EzA § 611 BGB Probearbeitsverhältnis Nr. 5. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 114. Siehe dazu v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 109. BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103; v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 16 zu § 242 BGB Kündigung; v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; v. 10.5.1989 – 7 AZR 450/88, NZA 1990, 221 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Wartezeit; v. 4.4.1990 – 7 AZR 310/89, RzK I 4d Nr. 15; v. 20.8.1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481; v. 20.8.1998 – 2 AZR 83/98, NZA 1999, 314. 5 BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 83/98, NZA 1999, 314; v. 20.8.1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481; a.A. LAG Hamm v. 13.12.1997 – 18 Sa 1445/97, NZA-RR 1999, 26: „Durch die längere Dauer der Unterbrechung zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen wird in aller Regel auch der enge sachliche Zusammenhang gelöst.“ bei einer Unterbrechung von 8 Monaten.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 150 Teil 2
treten war und ob die neue Beschäftigung des Arbeitnehmers seiner früheren Stellung entspricht.1 Da die Rechtsprechung zu dieser Problematik sehr kasuistisch ist, kann vorab als Grundsatz festgestellt werden, dass nur kurzfristige Unterbrechungen von einigen Tagen oder wenigen Wochen meist als unschädlich angesehen werden, wogegen bei langfristigen rechtlichen Unterbrechungen eine Anrechnung nicht in Betracht kommt.
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Eine zu lange Unterbrechung wurde vom BAG z.B. – unter jeweiliger Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles – bejaht bei einem Zeitraum von fünf Wochen2, zwei Monaten3, 2 2/3 Monaten4 und 4 Monaten.5 In diesen Fällen ist das BAG davon ausgegangen, dass ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den Arbeitsverhältnissen schon wegen der Dauer der Unterbrechung nicht mehr gegeben ist.
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Ein enger sachlicher Zusammenhang wurde für den Fall bejaht, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber wegen Arbeitsmangel entlassen wurde und vier Tage später zwischen den vorherigen Arbeitsvertragsparteien ein neues Arbeitsverhältnis begründet wurde.6 Auch für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund einer vom Betriebsveräußerer erklärten Kündigung für zwei Tage (Sonnabend und Sonntag) rechtlich unterbrochen war und mit dem Betriebserwerber danach in demselben Betrieb ohne Anrechnung der früheren Beschäftigungszeiten fortgesetzt wurde, hat das BAG anerkannt, dass die vor dem Betriebsinhaberwechsel liegenden Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind.7
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In einer Entscheidung vom 20.8.19988, in der es um zwei befristete Lehramtsarbeitsverhältnisse ging, hat das BAG eine vertragsfreie Zeit von ca. 1 1/ 2 Monaten zwar als einen verhältnismäßig erheblichen Zeitraum angesehen, aber einen sachlichen Zusammenhang aufgrund anderer Gesichtspunkte dennoch bejaht. Als Indiz für einen engen sachlichen Zusammenhang wurden dabei u.a. angesehen, dass der Unterbrechungszeitraum bis auf den Tag genau den offiziellen Schulferien in Nordrhein-Westfalen entsprach, so dass die Arbeitnehmerin in diesem Zeitraum nicht hätte beschäftigt werden können, dass sie in beiden Arbeitsverhältnissen an dem gleichen Schultyp beschäftigt worden war und dass im ersten befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit nach dessen Ablauf eine bevorzugte Berücksichtigung bei der Besetzung von Dauerarbeitsplätzen zugesagt war. In einer Parallelentscheidung des BAG vom gleichen Tag9, in der es eben-
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1 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 16 zu § 242 BGB Kündigung; v. 10.5.1989 – 7 AZR 450/88, NZA 1990, 221; v. 20.8.1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481; v. 16.3.2000 – 2 AZR 828/98, AP Nr. 2 zu § 67 LPVG Sachsen-Anhalt. 2 BAG v. 4.4.1990 – 7 AZR 310/89, RzK I 4d Nr. 15. 3 BAG v. 10.5.1989 – 7 AZR 450/88, NZA 1990, 221. 4 BAG v. 11.11.1982 – 2 AZR 552/81, NJW 1983, 1443. 5 BAG v. 18.1.1979 – 2 AZR 254/77, DB 1979, 1754. 6 BAG v. 6.12.1976 – 2 AZR 470/75, DB 1977, 587. 7 BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; zum engen sachlichen Zusammenhang bei Betriebsübergang vgl. auch BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 330/02, NZA 2004, 319 (= EzA § 622 BGB 2002 Nr. 2). 8 BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481. 9 BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 83/98, NZA 1999, 314.
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Teil 2 Rz. 151
Betriebsbedingte Kündigung
falls um zwei mit Unterbrechung aneinander anschließende Lehramtsarbeitsverhältnisse ging, wurde dagegen bei einem vergleichbaren Unterbrechenszeitraum (knapp acht Wochen) aufgrund der weiteren Sachumstände ein Zusammenhang verneint. In diesem Fall betraf die zeitliche Unterbrechung nicht nur die Zeit der offiziellen Schulferien, sondern außerdem noch den in die erste Ferienwoche fallenden Projektunterricht. Außerdem unterrichtete der Arbeitnehmer in verschiedenen Schulformen mit jeweils einem anderen Unterrichtsumfang. Wenn das Arbeitsverhältnis allerdings ausschließlich für die Dauer der offiziellen Schulferien, in welchen keine Arbeitsleistung anfällt, unterbrochen wird, so besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen vorangegangenem und neuem Arbeitsverhältnis. Dann werden beide Beschäftigungszeiten zusammengerechnet und bei der Frage nach der Dauer der Wartezeit und damit nach der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG entsprechend berücksichtigt.1 151
Wenn ein sachlicher Zusammenhang bejaht werden kann, bedeutet dies, dass die Beschäftigungszeiten der beiden Arbeitsverhältnisse zusammengerechnet werden. Die Unterbrechenszeit selbst wird nicht auf die Wartezeit angerechnet.2 Etwas anderes gilt nur, wenn die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich vereinbaren, dass auch die Zeit, in der das Arbeitsverhältnis unterbrochen war, als Arbeitszeit und damit als Wartezeit gilt.
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Selbst bei einer langfristigen rechtlichen Unterbrechung ist eine Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten auf die Wartefrist möglich, wenn sie sich aus gesetzlichen Vorschriften ergibt.
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Eine solche Ausnahmeregelung ergibt sich z.B. aus § 10 Abs. 2 Satz 1 MuSchG. Kündigt eine Frau gem. § 10 Abs. 1 MuSchG während der Schwangerschaft oder während der Schutzfrist nach der Entbindung (§ 6 Abs. 1) und wird sie innerhalb eines Jahres nach der Entbindung in ihrem bisherigen Betrieb wieder eingestellt, ohne dass sie zwischenzeitlich bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt war, so gilt – soweit Rechte aus dem Arbeitsverhältnis von der Dauer der Beschäftigungs- oder Dienstzeit abhängen – nach § 10 Abs. 2 Satz 1 MuSchG das Arbeitsverhältnis als nicht unterbrochen (auf bestimmte Arbeitsbedingungen begrenzte gesetzliche Fiktion). Dies bedeutet, dass bei der Berechnung der Wartezeit nicht von „null“ zu beginnen ist, sondern dass die vor dem Ende der Schutzfrist liegende und die nach dem neuen Abschluss zurückgelegte Arbeitszeit zusammengerechnet werden.3 Nimmt der Arbeitnehmer nach der Geburt gem. § 15 BEEG Elternzeit, ruht während dieses Zeitraums das Arbeitsverhältnis, besteht also rechtlich noch fort, auch wenn tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht wird. Da es für die Wartezeit alleine auf den rechtlichen Bestand
1 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103. 2 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 330/02; v. 17.6.2003 – 2 AZR 507/02; v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 1 Rz. 119; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 110a; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 911; ErfK/Ascheid, § 1 KSchG Rz. 39; a.A. APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 41. 3 Zu dem Streit, ob auch die beschäftigungslose Zwischenzeit („Unterbrechungszeit“) mitzurechnen ist, siehe KR/Bader, § 10 MuSchG Rz. 51 (verneinend) einerseits und KDZ/Kittner/Deinert, § 1 KSchG, Rz. 30 (bejahend) andererseits, jeweils m.w.N.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 156 Teil 2
des Arbeitsverhältnisses ankommt, unterbricht die Elternzeit den Ablauf der Wartefrist nicht. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG wird die Zeit des Grundwehrdienstes oder einer Wehrübung auf die Berufs- und Betriebszugehörigkeit angerechnet. Nach Satz 2 gilt sie als Dienst- und Beschäftigungszeit im Sinne der Tarifordnungen und Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Da gem. § 1 Abs. 1 ArbPlSchG das Arbeitsverhältnis während des Grundwehrdienstes oder einer Wehrübung ruht, wird der Lauf der Wartefrist nicht unterbrochen. Für anerkannte Kriegsdienstverweigerer gilt diese Regelung entsprechend (§ 78 ZDG). Vergleichbare Regelungen finden sich in §§ 59 Abs. 1 BundesgrenzschutzG, 10, 16a ArbPlSchG, 1 EignungsübungsG, 8 Abs. 3 SoldatenversorgungsG und 13 ZivilschutzG.
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Für Staatsangehörige eines EG-Mitgliedstaates, die in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sind, gelten gem. Art. 7 EWG-VO Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft1 die Vorschriften entsprechend. Bei anderen ausländischen Arbeitnehmern findet § 6 Abs. 2 ArbPlSchG keine – auch keine analoge – Anwendung. Nur, wenn sie in ihrem Heimatland einen verkürzten Grundwehrdienst ableisten (z.B. der verkürzte Grundwehrdienst von zwei Monaten in der Türkei), führt dies nicht zu einer rechtlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses, da in diesem Zeitraum das Arbeitsverhältnis ruht. Die Zeit des verkürzten Grundwehrdienstes ist deshalb auf die Wartezeit anzurechnen.2
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c) Zulässigkeit von anderweitigen Parteiregelungen – Kündigungsschutz/ Anrechnung von Vordienstzeiten durch besondere Vereinbarungen Bei der Regelung des ununterbrochenen sechsmonatigen Bestands des Arbeitsverhältnisses handelt es sich grundsätzlich um zwingendes Recht, d.h. die Parteien können keine vom geltenden Recht abweichenden Vereinbarungen treffen. Die Wartezeit ist allerdings – wie generell der gesamte allgemeine Kündigungsschutz3 – nur einseitig zwingend. Vereinbarungen, die von der gesetzlichen Ausgangslage zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichen, sind unzulässig. Abweichungen zugunsten des Arbeitnehmers sind dagegen möglich.4 Dieses Verbot erfasst sowohl einzelvertragliche Vereinbarungen, als auch kollektivrechtliche Regelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen.5 Eine Vereinbarung, wonach die Wartefrist z.B. länger als sechs Monate dauert oder nicht von dem ununterbrochenen rechtlichen Bestand, sondern von der tatsächlichen Beschäftigung abhängt, ist deshalb unzulässig. Als unzulässige Umgehung sind auch Vereinbarungen anzusehen, die die aus gesetzli1 VO v. 15.10.1968, ABl. L 257/1, geändert durch die Verordnung EWG Nr. 312/76 v. 9.2. 1976, ABl. L 39/2. 2 BAG v. 22.2.1982 – 2 AZR 282/82, NJW 1983, 2782 (= EzA § 123 BGB Nr. 20); v. 7.9. 1983 – 7 AZR 433/82, NJW 1984, 575 (= EzA § 626 BGB n.F. Nr. 87). 3 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 9 ff. 4 HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 9. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 31.
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Teil 2 Rz. 157
Betriebsbedingte Kündigung
chen Vorschriften folgende Anrechnung anderweitiger Zeiten auf die Wartezeit ausschließen.1 157
Da Erweiterungen des Kündigungsschutzes zulässig sind, kann vertraglich die Wartezeit verkürzt oder sogar völlig ausgeschlossen werden. In letzterem Fall beginnt der Kündigungsschutz bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages. Bestand zwischen den Parteien vorher bereits ein Arbeitsverhältnis und kommt eine Anrechnung der Dauer dieses Arbeitsverhältnisses bei der Berechnung der Wartezeit mangels engem sachlichen Zusammenhangs nicht in Frage (siehe dazu oben), können die Parteien eine Anrechnungsvereinbarung treffen, nach der das jetzige Arbeitsverhältnis als Fortsetzung des vorherigen gewollt ist und damit die bereits zurückgelegte Wartezeit auf das neue Arbeitsverhältnis übertragen wird.
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Eine Erweiterung des Kündigungsschutzes kann zum einen durch eine individualrechtliche Vereinbarung zwischen den Parteien bewirkt werden, die auch stillschweigend geschlossen werden kann. Letzteres wird insbesondere bei der Zusage einer Lebens- oder Dauerstellung diskutiert. Allein darin kann allerdings noch keine Vereinbarung eines vorzeitigen Kündigungsschutzes gesehen werden. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, deren Auslegung es im Einzelfall gestattet, ein auf Dauer angelegtes Arbeitsverhältnis mit einer solchen stillschweigenden Einigung über vorzeitigen Kündigungsschutz zu verbinden.2 Solche besonderen Umstände können darin liegen, dass der Arbeitnehmer bei den Vertragsverhandlungen ausdrücklich betont hat, dass er nur an einer Dauerstellung interessiert sei, der Arbeitgeber wusste, dass der Arbeitnehmer einen sicheren Arbeitsplatz mit Kündigungsschutz aufgeben wird und er dem nicht widersprochen hat.3
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Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein einer Vereinbarung über den Ausschluss/die Verkürzung der Wartezeit trägt der Arbeitnehmer, da es sich dabei um die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes handelt, wofür generell der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist. Gleiches gilt für das Zustandekommen von ausdrücklichen oder stillschweigenden Anrechnungsvereinbarungen.4
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Eine Verbesserung des Kündigungsschutzes kann auch durch einen öffentlichrechtlichen Vertrag geschlossen werden, wenn eine der Vertragsparteien eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Vom LAG Brandenburg5 wurde dies in einem Fall bejaht, in dem zwischen einem Arbeitgeber und dem Land Brandenburg durch öffentlich-rechtliche Vereinbarung der auswahlrelevante Per-
1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 94. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 82; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 326 f. 3 BAG v. 8.6.1972 – 2 AZR 285/71, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 24. 4 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 51 m.w.N.; zur Beweislast des Arbeitnehmers bei den persönlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes, Ascheid, Beweislastfragen, S. 52 ff. 5 LAG Brandenburg v. 29.10.1998 – 3 Sa 229/98, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 29; vgl. auch BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 163 Teil 2
sonenkreis nach § 1 Abs. 3 KSchG beschränkt wurde. Für die Beschränkung der Wartezeit kann nichts anderes gelten. Zum anderen kann auch durch eine kollektivrechtliche Regelung der Kündigungsschutz erweitert werden. Gerade bei Tarifverträgen ist jedoch in jedem Einzelfall durch Auslegung aufgrund der systematischen Stellung der Norm innerhalb des Tarifvertrages und weiterer Umstände zu ermitteln, ob eine Tarifvorschrift, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Anrechnung von früheren Beschäftigungszeiten auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit vorsieht, auch auf die gesetzliche Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anwendbar ist.1 Für Nr. 4.3 des MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom 9.4.19872 wurde dies z.B. in einer Entscheidung des BAG v. 28.2.19903 verneint. Die Anrechnungsvorschrift bezieht sich in diesem Fall nur auf andere Regelungen in dem Tarifvertrag, in denen ebenfalls von der Dauer der Betriebszugehörigkeit bestimmte Leistungen abhängig gemacht werden, wie z.B. die Kündigungsfristen oder die Sozialleistungen bei Sterbefällen (sog. tarifimmanente Bedeutung). Soll in einem Tarifvertrag die Wartezeit nach dem KSchG bei einem neuen Arbeitgeber abbedungen werden, müssen dafür besondere Anhaltspunkte vorliegen, da damit die Dispositionsfreiheit der dem Tarifvertrag unterworfenen Arbeitgeber, nämlich der Grundsatz der Kündigungsfreiheit in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses, in besonderem Maße eingeschränkt wird.4
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Anders hat das BAG dies in einer Entscheidung vom 14.5.19875 für § 15 des Bundesrahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau vom 20.6.19856 beurteilt. Dabei handelt es sich um eine Tarifvorschrift, in der die Tarifvertragsparteien die Berechnung der Betriebszugehörigkeit für alle Rechtspositionen geregelt haben, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen. Dazu gehört nach § 1 Abs. 1 KSchG auch der Kündigungsschutz.
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Bejaht hat das BAG die Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten auf die Wartezeit trotz langfristiger Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses auch für die Regelung des § 12 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe in der Bundesrepublik Deutschland (BRTV-Bau), der unter der Überschrift „Verlängerte Kündigungsfrist für ältere Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit“ die Zusammenrechnung von Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit vorschreibt.7 Besteht eine solche Vereinbarung, sind allerdings nur die tatsächlich zurückgelegten Zeiten der Betriebszugehörigkeit anzurechnen; die Zeiten der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses sind nicht zu berücksichti-
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1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 97. 2 Nr. 4.3 lautet: „Arbeitnehmer, die nachweislich unmittelbar vor ihrer Einstellung bei einem Betrieb des Wach- und Sicherheitsgewerbes beschäftigt waren, wird die dortige Zeit der Betriebszugehörigkeit beim neuen Arbeitgeber voll angerechnet.“ 3 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858. 4 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858. 5 BAG v. 14.5.1987 – 2 AZR 380/86, DB 1987, 2575. 6 § 15 Satz 1 lautet: „Auf die Betriebszugehörigkeit sind alle Beschäftigungszeiten im Betrieb anzurechnen, sofern die Betriebszugehörigkeit im Einzelfall nicht länger als sechs Monate unterbrochen war.“ 7 So zu § 12 Nr. 1 Nr. 1.2 BRTV-Bau: BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 257/02, NZA 2004, 1240.
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Teil 2 Rz. 164
Betriebsbedingte Kündigung
gen. Der räumliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes wird auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt.1 Bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zur Ermittlung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl gemäß § 23 KSchG sind daher nur die in dem deutschen Betrieb tätigen Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Mitarbeiter, die in einem Unternehmen im Ausland arbeiten, sind bezüglich des Geltungsbereichs nach § 23 KSchG selbst dann nicht mitzuzählen, wenn das deutsche und das ausländische Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden.2
B. Kündigungsarten I. Ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung 164
Bei einer betriebsbedingten Kündigung sind verschiedene Kündigungsarten möglich. Fällt wegen dringender betrieblicher Erfordernisse ein Arbeitsplatz weg, kann dies sowohl eine ordentliche, als auch – unter besonders strengen Voraussetzungen – eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Ebenso kann es sich je nach dem gegebenen Sachverhalt anbieten, statt der Beendigungskündigung nur eine ordentliche oder außerordentliche Änderungskündigung auszusprechen.3
165
Die Frage, wann welche Kündigungsart angewendet werden kann, hängt im Wesentlichen von dem vorliegenden Sachverhalt ab. Die Übergänge sind dabei fließend. Ordentliche und außerordentliche Kündigung stehen zueinander in einem Stufenverhältnis. Beide ermöglichen den Arbeitsvertragsparteien zwar gleichermaßen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Das Recht zur ordentlichen Kündigung kann jedoch, z.B. gegenüber älteren, bereits länger beschäftigten Arbeitnehmern ausgeschlossen werden, das fristlose Kündigungsrecht nicht. Zudem erlaubt nur die außerordentliche Kündigung die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wogegen bei der ordentlichen Kündigung die Kündigungsfrist eingehalten werden muss. Wegen der gravierenderen Folgen ergibt sich, dass für die außerordentliche Kündigung strengere Voraussetzungen vorliegen müssen. Dies zeigt sich u.a. dadurch, dass für eine fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB ein wichtiger Grund gegeben sein muss gegenüber dem einfachen Kündigungsgrund der sozialen Rechtfertigung gem. § 1 KSchG bei einer ordentlichen Kündigung. Der zur Kündigung berechtigende Sachverhalt muss also bei einer außerordentlichen Kündigung gravierender sein, als bei einer ordentlichen Kündigung.
1 So zu § 12 Nr. 1 Nr. 1.2 BRTV-Bau: BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 257/02, NZA 2004, 1240. 2 LAG Hannover v. 28.9.2007 – 16 Sa 1900/06, ZInsO 2008, 222. 3 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431.
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Ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung
Rz. 169 Teil 2
1. Zumutbarkeit der Kündigungsfrist Bei betriebsbedingten Gründen steht die ordentliche Kündigung im Vordergrund. Dies resultiert aus dem Stufenverhältnis und der höheren Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses durch einen fristlosen Kündigungsgrund. Eine außerordentliche Kündigung kommt gem. § 626 Abs. 1 BGB nur in Frage, wenn der wichtige Grund derart schwerwiegend ist, dass – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Bei betrieblichen Kündigungsgründen ist die Einhaltung der Kündigungsfrist jedoch im Regelfall zumutbar. Solche Gründe, wie z.B. Betriebs(teil)stilllegungen oder Absatzmangel gehören zum Betriebs- und Wirtschaftsrisikos, dass der Arbeitgeber trägt und dass er nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen darf.1 Zu dem vom Arbeitgeber zu tragenden Unternehmerrisiko zählt auch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist.2
166
Eine Unzumutbarkeit wegen dringender betrieblicher Erfordernisse wird von der Rechtsprechung nur in seltenen Ausnahmefällen angenommen. Die Weiterbeschäftigung kann dem Arbeitgeber insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist und der Arbeitgeber deshalb dem Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hin sein Gehalt weiterzahlen müsste, obwohl er etwa wegen Betriebsstilllegung für dessen Arbeitskraft überhaupt keine Verwendung mehr hat.3
167
2. Planbarkeit des betrieblichen Grundes Typisch für eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ist meist auch, dass der Personalabbau, selbst wenn er auf außerbetrieblichen Ursachen beruht, mittels Unternehmerentscheidung planbar ist. Dies trifft insbesondere auf Betriebs(teil)stilllegungen zu, bei denen eine größere Anzahl von Kündigungen ausgesprochen wird. Hierbei kommt es unter den Voraussetzungen von § 111 BetrVG zu Beratungen mit dem Betriebsrat. Es werden sowohl Interessenausgleich wie auch Sozialplan abgeschlossen. Die Kündigungen finden nach einem vorher auf einen längeren Zeitraum festgelegten Ablauf statt, sie sind also in einem hohen Maße planbar. Deshalb ist es auch meist für den Arbeitgeber zumutbar, die Kündigungsfrist, selbst wenn es sich um eine deutlich verlängerte Frist handelt, einzuhalten. Eine Ausnahme kann auch hier für den Fall des ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers gelten.
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3. Zeitliche Relation zwischen Kündigungsgrund und -termin Das Stufenverhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung wird auch aus dem Verhältnis zwischen Kündigungsgrund und Kündigungster1 Allgemeine Ansicht, siehe nur KDZ/Zwanziger/Däubler, § 626 BGB Rz. 160. 2 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 3 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771; v. 12.7.1995 – 2 AZR 762/94, NZA 1995, 1100; v. 22.7.1992 – 2 AZR 84/92, EzA Nr. 141 zu § 626 BGB n.F.; v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, NZA 1985, 559.
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Teil 2 Rz. 170
Betriebsbedingte Kündigung
min, also dem Zeitpunkt, zu dem gekündigt werden kann, deutlich. Gem. § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen erfolgen. Gem. Satz 2 beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Wurde die Ausschlussfrist versäumt, ist zwar eine fristlose Kündigung ausgeschlossen, allerdings kann der „verfristete außerordentliche Kündigungsgrund“ noch zum Anlass für eine ordentliche Kündigung genommen werden, weil die Ausschlussfrist nur im Regelungsbereich des § 626 BGB eingreift.1 Das gilt nicht nur für eine weitere ordentliche Kündigung, sondern auch dann, wenn eine unwirksame außerordentliche in eine ordentliche Kündigung umzudeuten ist. Ein fristloser Kündigungsgrund kann also immer gleichzeitig ein Grund für eine ordentliche Kündigung sein. Im Umkehrschluss kann ein Sachverhalt, der schon keine ordentliche Kündigung rechtfertigen kann, erst recht keine fristlose Kündigung ermöglichen.2
II. Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit Auslauffrist 170
Die meisten betriebsbedingten Kündigungsgründe fallen unter das vom Arbeitgeber zu tragende Unternehmer- und Wirtschaftsrisiko. Dies gilt z.B. für Absatzmangel, Betriebsstilllegungen und Betriebsteilstilllegungen oder sonstige unternehmerische Entscheidungen. Grundsätzlich rechtfertigen diese Kündigungsgründe nur eine ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung bzw. Änderungskündigung, soweit dieser keine tarifvertraglichen Regelungen wie beispielsweise § 55 BAT entgegenstehen.3 Zu dem zu tragenden Unternehmerrisiko zählt nämlich auch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist (siehe dazu unten Rz. 228 ff.).
171
Es gibt jedoch einige Ausnahmefälle, in denen eine außerordentliche fristlose/ befristete Beendigungskündigung aus betriebsbedingten Gründen wirksam sein kann.
172
Der häufigste Fall einer betriebsbedingten Beendigungskündigung aus wichtigem Grund ist aber der Fall, dass die ordentliche Kündigung – aufgrund tarifvertraglicher, gesetzlicher oder einzelvertraglicher Grundlage – ausgeschlossen ist. Hier kann der Ausschluss der außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber zu einer unzumutbaren Belastung werden, insbesondere wenn der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag nicht in einen anderen Betrieb des Unternehmens versetzt werden kann und/oder einer Versetzung nicht zustimmt. An die Zulässigkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund ist jedoch ein besonders strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.4
1 2 3 4
KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 315. BAG v. 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, NZA 2000, 592. BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 416. St. Rspr. vgl. z.B. BAG v. z.B. 26.3.2009 – 2 AZR 879/07; v. 2.3.2006 – 2 AZR 64/05, NZA 2006, 985 sowie z.B. BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771.
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Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit Auslauffrist Rz. 175 Teil 2
1. Anwendungsbereich: Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass das Wirtschaftsrisiko nicht auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden darf, ist nur gerechtfertigt, wenn die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung wirksam ausgeschlossen ist.
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Ein Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts ist vor allem in kollektivrechtlichen Normen verbreitet. Dies gilt sowohl für Tarifverträge wie auch für Betriebsvereinbarungen.1 Alle Erweiterungen des Kündigungsschutzes, die durch Tarifvertrag möglich sind, können auch durch Betriebsvereinbarung vorgenommen werden, sofern der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht betroffen ist, die regelungsbedürftige Frage also nicht bereits in einem Tarifvertrag aufgegriffen oder in der betreffenden Branche üblicherweise tariflich geregelt ist.2 Eine Verbesserung des Kündigungsschutzes kann allerdings nur im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung erfolgen. Ein Mitbestimmungsrecht besteht in diesem Bereich nicht.3
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Praktisch besonders bedeutsame tarifliche Regelungen betreffen den Ausschluss/die Beschränkung der ordentlichen Kündigung von älteren Arbeitnehmern, den tariflichen Rationalisierungsschutz durch Rationalisierungsschutzabkommen, den Schutz gewerkschaftlicher Vertrauensleute und die Kündigungseinschränkung für Auszubildende. Letztere ist beispielsweise in § 8 Tarifvertrag Beschäftigungsbrücke für die Metall- und Elektronindustrie Nordrhein-Westfalen vom 28.3.2000 vorgesehen. Durch die Vorschrift wollen die Tarifvertragsparteien verhindern, dass der Auszubildende im unmittelbaren Anschluss an seine Berufsausbildung arbeitslos wird. Die Vermeidung einer solchen Anschlussarbeitslosigkeit dient zwei Zwecken. Zum einen soll sie dem Auszubildenden ermöglichen, im Anschluss an das Ausbildungsverhältnis zumindest für 12 Monate Berufspraxis zu erwerben, um hierdurch bessere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung der 12-monatigen Beschäftigungsdauer arbeitslos wird, soll zum anderen durch § 8 Nr. 1 Tarifvertrag Beschäftigungsbrücke gewährleistet werden, dass der Berechnung des Arbeitslosengeldes der in dem 12-monatigen Arbeitsverhältnis erzielte Verdienst und nicht die niedrigere Ausbildungsvergütung zugrunde gelegt wird.4 Im Rahmen von Kündigungsbeschränkungen durch Betriebsvereinbarungen ist insbesondere an die Auswahlrichtlinien für Kündigungen gem. § 95 BetrVG und an die Möglichkeit, durch § 102 Abs. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Kündigungen festzulegen, zu denken. Zu beachten ist, dass der tarifvertragliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung zu den Unwirksamkeitsgründen einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung zählt und daher prozessual rechtzeitig geltend gemacht werden muss. Beruft sich der Arbeitnehmer erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf einen tariflichen
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1 BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 58/05, NZA 2006, 868; v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 35. 3 KDZ/Däubler, Einl. Rz. 385. 4 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 587/05, NZA 2007, 167.
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Teil 2 Rz. 176
Betriebsbedingte Kündigung
Alterskündigungsschutz, so ist dieser Unwirksamkeitsgrund nicht rechtzeitig nach § 6 Satz 1 KSchG geltend gemacht und daher unbeachtlich.1 176
Ein Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit ist auch durch Einzelarbeitsvertrag möglich. Dies gilt insbesondere bei befristeten Verträgen. Haben die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen, beinhaltet dies gleichzeitig, dass für beide Vertragsseiten während der Dauer des Arbeitsverhältnisses das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen ist.2 Dieser Grundsatz wird durch § 620 Abs. 2 BGB verdeutlicht, wonach regelmäßig nur unbefristete Dienstverhältnisse gekündigt werden können. Auch § 15 Abs. 3 TzBfG setzt dies stillschweigend voraus.3 Durch Vereinbarung der Befristung haben die Parteien gleichzeitig das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen. In Bezug auf die fristgemäße Kündigung können die Parteien eines Einzelarbeitsvertrages nämlich durch – ausdrückliche oder konkludente – Kündigungsvereinbarungen das Recht zur ordentlichen Kündigung mit unmittelbarer Wirkung ausschließen oder einschränken. Möglich sind auch schuldrechtliche Kündigungsbeschränkungen, durch die zwar das Kündigungsrecht selbst unberührt bleibt, sich die Parteien aber zur Unterlassung der Kündigung verpflichten.4 2. Verfassungsrechtliche Grenzen des Kündbarkeitsausschlusses
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Der allgemeine Kündigungsschutz ist in der Regel einseitig zwingend. Für den Arbeitnehmer soll ein Mindestkündigungsschutz garantiert werden. Es ist deshalb möglich, wirksam mit dem Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen abzuschließen. Dies gilt sowohl durch Einzelarbeitsvertrag als auch durch kollektivrechtliche Regelungen. So kann beispielsweise die Wartefrist des KSchG bis auf null verkürzt werden5 oder die Kleinbetriebsklausel des § 23 Absatz 1 KSchG „ausgeschaltet“ und Kündigungsschutz auch in Betrieben mit weniger als den dort vorgesehenen Arbeitnehmern zugelassen werden.6 Es ist schließlich möglich, das ordentliche Kündigungsrecht des Arbeitgebers durch Kollektivvertrag völlig auszuschließen, was meist von einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit und/oder einem bestimmten Lebensalter abhängig gemacht wird.7 Verfassungsrechtliche Rechte des Arbeitgebers – Berufsfreiheit des Unter1 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 314/06, NJW 2008, 1336. 2 Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, Kapitel 4 Rz. 134; KR/Spilger, § 622 BGB Rz. 117; APS/Preis, Grundlagen J, Rz. 7; BAG v. 19.6.1980 – 2 AZR 660/78, EzA § 620 BGB Nr. 47 (= NJW 1981, 246). 3 KDZ/Däubler, § 15 TzBfG Rz. 1. 4 KR/Spilger, § 622 BGB Rz. 116; APS/Preis, Grundlagen J, Rz. 4; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 325 m.w.N.; BAG v. 22.7.1992 – 2 AZR 84/92, EzA § 620 BGB n.F. Nr. 141; bei dem Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung durch Einzelarbeitsvertrag ist darauf zu achten, dass der Ausschluss nicht nur einseitig zu Lasten des Arbeitnehmers vereinbart wird. Dies ergibt sich aus § 622 Abs. 6 BGB, der einen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthält, wonach die Bindung des Arbeitnehmers an den Arbeitsvertrag nicht stärker sein darf als die des Arbeitgebers, APS/Preis, Grundlagen J, Rz. 4. 5 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 547/95, NZA 1996, 1168. 6 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 859. 7 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 859; v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771.
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Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit Auslauffrist Rz. 179 Teil 2
nehmers, Art. 12 GG – werden dabei nicht verletzt. Die Interessen der Arbeitgeberseite werden bei Abschluss eines solchen Tarifvertrages durch die Beteiligung des Arbeitgeberverbandes an den Verhandlungen gewährleistet. Ist eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen, beinhaltet dies auch den Ausschluss einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Als „Minus“ zum völligen Ausschluss der Kündigung ist es weiterhin möglich, die ordentliche Kündigung von der Zustimmung eines Dritten abhängig zu machen. Meist handelt es sich um die Zustimmung des Betriebsrats. Die Möglichkeit, die Kündigung an die Zustimmung des Betriebsrats zu koppeln, ist zum einen durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung möglich, § 102 Abs. 6 BetrVG. Zum anderen kann auch durch Tarifverträge das Mitwirkungsrecht des Betriebsrats erweitert werden, also auch die Zulässigkeit der Kündigung an die Zustimmung des Betriebsrats geknüpft werden.1 Dabei können die Tarifvertragsparteien auch regeln, dass die Zustimmung des Betriebsrats als erteilt gilt, wenn er sich nicht innerhalb einer Stellungnahmefrist – mindestens in der Wochenfrist nach § 102 Abs. 2 BetrVG – äußert. Dies folgt aus der Befugnis der Tarifvertragsparteien, gemäß § 1 Abs. 1 TVG betriebsverfassungsrechtliche Fragen zu regeln.2 Eine tarifvertragliche Regelung, nach der die ordentliche Kündigung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht wird und bei Nichtzustimmung die Einschaltung der Arbeitsgerichte vorgesehen ist, verstößt nicht gegen die Berufsfreiheit des Unternehmers nach Art. 12 GG. Art. 12 GG schließt allenfalls Regelungen aus, die die „eigentliche“ Unternehmerfreiheit beschränken. Dies ist bei derartigen Regelungen nicht der Fall, da die Kündigung nur bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts hinausgezögert wird.3 Hingegen ist eine Vereinbarung unzulässig, die die vereinbarte Zustimmung eines Dritten zur ordentlichen Kündigung auch noch nachträglich zulässt. Denn dann wäre – bei fehlender vorheriger Zustimmung – beim Ausspruch der Kündigung völlig ungewiss, ob die Kündigung Bestand hat, was mit dem Grundsatz der Rechtsklarheit, der für die Kündigung gilt, unvereinbar ist.4
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Eine Grenze für den Ausschluss/die Beschränkung der Kündigung zugunsten des Arbeitnehmers ist jedoch die Möglichkeit zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund, § 626 BGB. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund kann nicht ausgeschlossen werden.5 Das Gleiche gilt für Beschränkungen. Dies ergibt sich u.a. auch schon aus verfassungsrechtlichen Überlegungen. Zu den Freiheitsrechten privatautonomen Handelns gehört das der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG immanente Grundrecht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse privatautonom zu begründen, aber auch zu
179
1 BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271; v. 10.2.1988 – 1 ABR 70/86, DB 1988, 1397; LAG Köln v. 24.11.1983 – 3 Sa 755/83, DB 1984, 670. 2 BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271. 3 BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 157. 5 Ganz h.M. in Rechtsprechung und Literatur, BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 890; v. 22.7.1992 – 2 AZR 84/92, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 14; v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 57; KDZ/Zwanziger/ Däubler, § 626 BGB Rz. 238; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 831; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rz. 560; Schaub, § 127 Rz. 10.
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Teil 2 Rz. 180
Betriebsbedingte Kündigung
beenden. Da der Arbeitgeber prinzipiell die Möglichkeit haben muss, sein Unternehmen aufzugeben, muss er wirksam kündigen können. Er muss auch das Recht haben, darüber zu entscheiden, welche Größenordnung sein Unternehmen haben soll. Kündigungsbeschränkungen, die diese Entscheidungsfreiheit beseitigen, sind verfassungsrechtlich angreifbar. Art. 12 GG schließt es ebenso aus, vom Arbeitgeber zu verlangen, ein unzumutbares Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten. Tarifnormen, die vom Arbeitgeber Unmögliches bzw. evident Unzumutbares verlangen und damit in dessen unternehmerische Freiheit eingreifen, sind insoweit verfassungswidrig.1 3. Außerordentliche Kündigung bei Betriebs- oder Betriebsteilstilllegung 180
Eine der anerkannten Ausnahmen, in denen ein betriebsbedingter Kündigungsgrund eine wichtige Kündigung gem. § 626 BGB rechtfertigen kann, ist die Betriebsstilllegung oder auch Betriebsteilstilllegung. Eine außerordentliche Kündigung ist gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist und – im Fall der Betriebsteilstilllegung – eine Versetzung in einen anderen Betrieb des Unternehmens nicht möglich ist. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung wird dann zur unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers, wenn dieser die Dienste wegen der Stilllegung nicht mehr in Anspruch nehmen kann, andererseits aber über Jahre hinweg zur Zahlung des vereinbarten Entgelts verpflichtet bleibt und das Arbeitsverhältnis zu einem inhaltsleeren Vertragsverhältnis würde.2
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Problematisch bleibt in diesen Fällen die Anwendung der Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB. Würde man diese Vorschrift entsprechend ihrem Wortlaut anwenden, müsste der Arbeitgeber dem tariflich nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer binnen zwei Wochen kündigen, nachdem er von den Kündigungstatsachen Kenntnis erlangt hat. Dies würde zu einem Wertungswiderspruch führen. Dem tariflich besonders geschützten Arbeitnehmer müsste vor allen anderen Arbeitnehmern gekündigt werden. Im Falle der Betriebsstilllegung etwa müsste der Arbeitgeber nur dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer binnen zwei Wochen ab Kenntniserlangung von der drohenden Betriebstilllegung kündigen, während er allen anderen Arbeitnehmern ohne diesen tariflichen Sonderschutz gestaffelt nach ihren Kündigungsfristen erst mit Wirkung zum Termin der tatsächlichen Betriebsstilllegung kündigen könnte. Die Anwendung der Ausschlussfrist hat hier keine Berechtigung. Auch wenn der Arbeitgeber die Zweiwochen-Frist versäumt hätte, würde dies an der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des sinnentleerten Arbeitsverhältnisses nichts ändern. Die rechtliche Situation ist vielmehr vergleichbar mit einer dauernden krankheitsbedingten Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Es handelt sich um einen Dauerstörtatbestand und nicht um einen 1 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 2 BAG v. 29.3.2007 – 8 AZR 538/06; v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759; v. 17.9. 1998 – 2 AZR 419/97, NZA 1999, 258 jeweils m.w.N.; LAG Kiel v. 24.10.2001 – 2 Sa 190/01, (n.v.); ArbG Hamm v. 19.6.2001 – 4 Ca 1414/01 L, NZA-RR 2001, 612; ArbG Bremen v. 5.4.2000 – 5 Ca 517/99, AiB 2001, 303; aus der Literatur siehe z.B. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 158 m.w.N.
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Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit Auslauffrist Rz. 185 Teil 2
abgeschlossenen Tatbestand. Mit jeder weiteren Gehaltszahlung, der keine Gegenleistung entgegensteht, tritt eine weitere Störung des Arbeitsverhältnisses ein und wächst das Maß der Unzumutbarkeit.1 Auch wenn die außerordentliche Kündigung danach zulässig ist, hat der Arbeitgeber die längste gesetzliche oder tarifvertragliche Kündigungsfrist einzuhalten, die gelten würde, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre. Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, den Arbeitnehmer mit besonderem tariflichen Kündigungsschutz durch eine fristlose Kündigung schlechter zu stellen als den Arbeitnehmer, dem gegenüber eine ordentliche Kündigung zulässig ist und dem aus demselben Kündigungsgrund nur ordentlich gekündigt werden könnte.2
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4. Außerordentliche Kündigung bei Wegfall von einzelnen Arbeitsplätzen Vergleichbar ist die rechtliche Situation, wenn nicht der ganze Betrieb oder ein Betriebsteil stillgelegt werden soll, sondern wenn nur ein einzelner Arbeitsplatz wegfallen wird.3 Auch hier kann für den Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung unzumutbar sein, wenn eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen ist und der Arbeitgeber deshalb dem Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hin, notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze4, sein Gehalt weiterzahlen müsste, obwohl er für dessen Arbeitskraft keine Verwendung mehr hat (Stichwort: „Heizer auf der E-Lok“).5 Allerdings sind hier – wegen der besonders strengen Anforderungen, die insoweit an eine Kündigung aus wichtigem Grund zu stellen sind – höhere Anforderungen an die Unzumutbarkeit des Arbeitgebers zu stellen.6
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Fällt nur ein Arbeitsplatz weg und wird der Betrieb im Übrigen noch weitergeführt, ist der Arbeitgeber entsprechend § 1 Abs. 3 KSchG zu einer sozialen Auswahl verpflichtet. Da die außerordentliche Kündigung in derartigen Fällen nur die tariflich ausgeschlossene ordentliche Kündigung ersetzt, würde es einen Wertungswiderspruch darstellen, wollte man zugunsten des besonders geschützten Arbeitnehmers nicht zumindest die Kündigungsschranken beachten, die ihn im Fall einer ordentlichen Kündigung schützen würden.7
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Außerdem sind verschärfte Anforderungen an die Pflicht des Arbeitgebers zu stellen, mit allen ihm zumutbaren Mitteln eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb bzw. im Unternehmen, ggf. nach entsprechender Um-
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1 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771 unter Abänderung seiner vorherigen Rechtsprechung; v. 22.7.1992 – 2 AZR 84/92, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 141; v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969. 2 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771; v. 6.11.1997 – 2 AZR 253/97, NZA 1998, 833; v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, NZA 1985, 559; v. 11.3.1999 – 2 AZR 427/98, NZA 1999, 818; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 767; Löwisch/Spinner, vor § 1 Rz. 122; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 304. 3 Vom BAG z.B. entschieden im Fall BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 4 BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, FA 2003, 311. 5 BAG v. 13.5.2002 – 2 AZR 391/01, 2 AZR 391/01, AP Nr. 97 zu § 615 BGB. 6 Vgl. BAG v. 15.2.2006 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759. 7 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771.
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Teil 2 Rz. 186
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Betriebsbedingte Kündigung
schulung, zu versuchen.1 Ggf. ist sogar an eine Umorganisation, die Inkaufnahme einer gewissen Einarbeitungszeit oder an die vorrangige Kündigung vergleichbarer, aber ordentlich kündbarer Arbeitnehmer zu denken.2 Dem aus der Unkündbarkeit resultierenden hohen sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers ist bei der im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmenden Interessenabwägung Rechnung zu tragen.3 Bei der Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen gegenüber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer zulässig ist, ist stets die besondere Ausgestaltung des tariflichen Sonderkündigungsschutzes zu berücksichtigen. Stellt die tarifliche Regelung des Sonderkündigungsschutzes für betriebsbedingte Kündigungsgründe bereits Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es dem Arbeitgeber jedenfalls im Regelfall ermöglichen, sich von unzumutbar gewordenen Arbeitsverhältnissen zu lösen, so hat der Arbeitgeber zunächst von diesen tariflichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Erst wenn feststeht, dass sie versagen, kann überhaupt eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem tariflich sonst ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer in Betracht kommen. Regeln etwa die Tarifpartner im Einzelnen, unter welchen Voraussetzungen gegenüber dem sonst tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer eine Beendigungs- oder Änderungskündigung aus betriebsbedingten Gründen zulässig ist, so lässt dies regelmäßig erkennen, dass nach dem Willen der Tarifpartner in erster Linie diese Kündigungsmöglichkeiten in Betracht kommen sollen, wenn aus betrieblichen Gründen eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr möglich ist.4 Im Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9.1.1987 (TV-RAT) sind beispielsweise Mindestvoraussetzungen festgelegt, die eine – außerordentliche – betriebsbedingte Kündigung mit notwendiger Auslauffrist rechtfertigen. Durch Abschluss des TV-RAT haben die Tarifvertragsparteien Wertungsmaßstäbe für vergleichbare Fälle aufgestellt, die auch bei der Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB nicht unbeachtet bleiben dürfen.5 Dementsprechend trägt der Arbeitgeber die Darlegungslast für die Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung und seiner mindestens den Anforderungen des TV-RAT entsprechenden Bemühungen. Ihn trifft die Pflicht, mit allen zumutbaren Mitteln, ggf. auch durch eine entsprechende Umorganisation und das Freimachen geeigneter, gleichwertiger Arbeitsplätze, eine Weiterbeschäftigung – möglicherweise auch bei anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes – zu versuchen. Das Fehlen jeglicher, auch anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten zählt bei einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung mit notwendiger Auslauffrist schon zum wichtigen Grund i.S.v. § 626 BGB und ist deshalb vom Arbeitgeber darzulegen.6 1 BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, AP Nr. 97 zu § 615 BGB. 2 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 158; LAG Hannover v. 27.4.2001 – 16 Sa 2125/00, EzBAT § 54 BAT Unkündbare Angestellte Nr. 13. 3 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 4 BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 626/05, NZA 2007, 1278; v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, FA 2003, 311. 5 BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 416. 6 BAG v. 30.9.2004 – 2 AZR 184/03, EzA BGB 2002, § 613a Nr. 28; Gusek, Die Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer, S. 66.
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Mues
Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 189 Teil 2
Ist die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt, gilt auch hier, dass die längste gesetzliche oder tarifvertragliche Kündigungsfrist einzuhalten ist, die gelten würde, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre.
187
5. Formelle Anforderungen
" Praxistipp: Bei einer außerordentlichen betriebsbedingten Beendigungs-
kündigung mit Auslauffrist, die der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist entspricht, ist zu beachten, dass durch einen geeigneten Hinweis klargestellt wird, dass es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt. Im Kündigungsschreiben ist daher die Art der Kündigung anzugeben. Da der Regelfall der außerordentlichen Kündigung die fristlose Kündigung ist, darf der Arbeitnehmer ansonsten annehmen, dass ihm – unter Nichtbeachtung des Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts – ordentlich gekündigt wurde.1
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III. Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung Eine weitere Form der Kündigung, die bei Vorliegen betrieblicher Erfordernisse praxisrelevant ist, ist die ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung. Sie bietet sich z.B. bei Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes in Form der Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz oder im Fall der Änderung der Arbeitszeitregelung aus betrieblichen Erfordernissen an. Gem. § 2 KSchG ist die Änderungskündigung eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung, mit welcher der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zugleich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen anbietet. Die Änderungskündigung stellt ein zweigliedriges Rechtsgeschäft dar. Es besteht aus der Kündigung des Arbeitsverhältnisses und dem damit verbundenen Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber muss vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer grundsätzlich eine Beschäftigung auch zu geänderten Bedingungen anbieten, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz frei ist. Eine diesbezüglich ggf. erforderliche Änderungskündigung darf nur in „Extremfällen“ unterbleiben, was z.B. dann der Fall ist, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des neuen Vertragsangebotes durch den Arbeitnehmer rechnen konnte und ein derartiges Angebot beispielsweise beleidigenden Charakter gehabt hätte, wenn also der betroffene Arbeitnehmer durch Annahme des Änderungsangebotes so weit in der Personalhierarchie zurückgestuft würde, dass viele seiner bisher Untergebenen ihm nunmehr Weisungen erteilen könnten und deshalb erhebliche Konflikte zu erwarten sind.2 Lediglich erheblich schlechtere Arbeitsbedingungen erlauben dem Arbeitgeber hingegen nicht, entsprechende Änderungsangebote zu unterlassen. Grundsätzlich soll der Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht. Ins1 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 30. 2 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431–435.
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Teil 2 Rz. 190
Betriebsbedingte Kündigung
besondere darf der Arbeitgeber ein erheblich verschlechterndes Angebot nicht mit der Begründung unterlassen, mit dem im Angebot enthaltenen geänderten Einkommen könne der Arbeitnehmer seine Familie nicht ernähren oder er verdiene weniger, als er Sozialleistungen erhalten würde, wenn das Änderungsangebot die einzige Alternative zu einer Beendigungskündigung ist.1 1. Aufhebung der bisherigen Arbeitsbedingungen 190
Bei der Kündigung handelt sich um eine echte Kündigung, gerichtet auf die Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses. Nimmt der Arbeitgeber das Änderungsangebot nicht an, endet das Arbeitsverhältnis zum jeweiligen Kündigungstermin.2
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Die Kündigung kann unbedingt ausgesprochen werden. Dies ist der vom Gesetz vorgesehene „Normalfall“.3 Notwendig ist dies für die Anwendbarkeit des § 2 KSchG aber nicht. Es ist auch möglich, eine bedingte Änderungskündigung auszusprechen, wobei die aufschiebende Bedingung in der Ablehnung des Änderungsangebotes durch den Arbeitnehmer liegt. Dem steht die grundsätzliche Bedingungsfeindlichkeit der Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft nicht entgegen. Eine Kündigung kann unter einer Bedingung ausgesprochen werden, wenn der Eintritt der Bedingung vom Willen des Kündigungsempfängers abhängig ist (sog. Potestativbedingung). Dann besteht für den Kündigungsempfänger keine Ungewissheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.4
192
Der Arbeitnehmer kann das Änderungsangebot ohne Vorbehalt annehmen. Dann wird die Änderung des bisherigen Arbeitsvertrages entsprechend dem Angebot zu dem im Angebot genannten Zeitpunkt wirksam. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses steht nicht mehr zur Diskussion, sodass diese Variante kündigungsrechtlich irrelevant ist.
193
Gem. § 2 Satz 1 KSchG kann der Arbeitnehmer das Änderungsangebot auch unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Die soziale Rechtfertigung sowie die Rechtswirksamkeit der Änderung aus anderen Gründen kann er anschließend im Wege einer Änderungsschutzklage überprüfen lassen, § 4 Satz 2 KSchG. Bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung muss der Arbeitnehmer unter vorläufiger Akzeptanz der neuen vertraglichen Arbeitsbedingungen im Betrieb arbeiten.5 Stellt das Gericht die soziale Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen und deren sonstige Wirksamkeit fest, weist es die Änderungsschutzklage ab. Der Vorbehalt des Arbeitnehmers erlischt und das Arbeitsverhältnis setzt sich zu den geänderten Arbeitsbedingungen fort. Hält das Gericht die Änderung der Arbeitsbedingungen dagegen für sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen für unwirksam, gibt es der Klage statt. Die Änderungskündigung ist dann gemäß § 8 KSchG von Anfang an rechtsunwirksam. Mit 1 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431–435. 2 BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157; v. 27.5.1982 – 2 AZR 96/80, DB 1984, 620. 3 Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 16; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 Rz. 16. 4 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 15. 5 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 194 Teil 2
Rechtskraft des Urteils ist das Arbeitsverhältnis zu den früheren Arbeitsbedingungen fortzusetzen.1 Sofern der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses nicht beschäftigt worden ist, steht ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ein Entgeltanspruch nach Maßgabe der § 11 KSchG, § 615 BGB zu.2 Nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt bei gerichtlich entschiedenem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er die Annahme eines zumutbaren Arbeitsangebots nicht böswillig unterlassen hätte. Dies ist beispielsweise. der Fall, wenn ein Änderungsangebot ausgeschlagen wird, in welchem einem Spielbankangestellten seine bisherige Leitungstätigkeit neben der Übernahme von Aufsichts- und Kassierertätigkeiten erhalten bliebe.3 Unterbreitet der Arbeitgeber anstelle eines „Arbeitsangebots“ ein „Vertragsangebot“, so steht dies der Annahme eines böswilligen Unterlassens nicht entgegen. Auch das in Verbindung mit einer Änderungskündigung erklärte Angebot kann die Obliegenheit zur Annahme einer zumutbaren Arbeit auslösen.4 Es ist nicht auf eine endgültige Vertragsänderung gerichtet, auf die sich der Arbeitnehmer sowieso nicht einlassen müsste.5 Der Arbeitgeber räumt dem Arbeitnehmer vielmehr eine – vorläufige – Arbeitsmöglichkeit ein, da der Arbeitnehmer das Angebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG annehmen kann mit der Folge des § 8 KSchG, wenn er den Kündigungsschutzprozess gewinnt. Der Arbeitgeber muss die Vorläufigkeit im Angebot auch nicht eigens zum Ausdruck bringen. Sie ergibt sich hinreichend deutlich aus dem Gesetz. Wird die Änderungskündigung von einer Beendigungskündigung überholt, in welcher der Arbeitgeber die in der Änderungskündigung angebotene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht mehr anbietet, endet das böswillige Unterlassen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG mit Ablauf der Kündigungsfrist.6 Schließlich kann der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnen bzw. es nicht innerhalb der Frist des § 2 Satz 2 KSchG annehmen. Dann kann er zwar nicht mehr die Änderungsschutzklage erheben. Er kann aber immer noch gegen die Kündigung im Wege der normalen Kündigungsschutzklage vorgehen, sofern nicht die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG abgelaufen ist. Hier riskiert der Arbeitnehmer allerdings seinen Arbeitsplatz. Verliert er den Kündigungsschutzprozess, ist sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet worden.7 Setzt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben dadurch eine kurze Frist zur Annahme des Änderungsangebots, dass er „um umgehende Annahme“ bittet, so bemisst sich die Frist zur Annahme des Änderungsangebots nach § 2 Satz 2 KSchG. Dies ergibt sich aus § 148 BGB.8 Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu auffordert, das Änderungsangebot „innerhalb von zwei Wochen“ anzunehmen. Auch hier führt die zu 1 2 3 4 5 6 7 8
APS/Künzl, § 2 KSchG Rz. 339. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 177. BAG v. 26.9.2007 – 5 AZR 870/06, EzA § 615 BGB 2002, Nr. 21. BAG v. 16.6.2004 – 5 AZR 508/03, BAGE 111, 123. BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, BAGE 116, 359. BAG v. 26.9.2007 – 5 AZR 870/06, EzA § 615 BGB 2002 Nr. 21. Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 34. BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 44/06, NZA 2007, 925.
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Teil 2 Rz. 195
Betriebsbedingte Kündigung
kurze Bestimmung der Annahmefrist nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern diese setzt vielmehr die gesetzliche Frist des § 2 Satz 2 KSchG in Lauf.1 195
Auch bei der Änderungskündigung müssen grds. alle Unwirksamkeitsgründe innerhalb von drei Wochen geltend gemacht werden. Geschieht dies nicht, erlischt der vom Arbeitnehmer erklärte Vorbehalt und die Änderung der Arbeitsbedingungen wird gemäß §§ 4 Satz 2, 7 2. Halbs. KSchG wirksam. Um zu vermeiden, dass sonstige Unwirksamkeitsgründe nicht in die gerichtliche Prüfung einbezogen werden, sollte dementsprechend der Antrag der Änderungsschutzklage gemäß dem Wortlaut des § 4 Satz 2 KSchG auf die Feststellung gerichtet werden, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung vom … zum … sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.2 Die (wenigen) Unwirksamkeitsgründe, die nach wie vor außerhalb der Frist von § 4 KSchG geltend gemacht werden können (z.B. die fehlende Schriftform), sind wegen des umfassenden Streitgegenstandes ebenfalls im Rahmen einer nach § 4 Satz 2 KSchG bereits erhobenen Änderungsschutzklage geltend zu machen. Insoweit gilt nichts anderes als für die Geltendmachung dieser Gründe im Rahmen einer nach § 4 Satz 1 KSchG erhoben Kündigungsschutzklage.3
196
Eine Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt kommt nach der neuen Rechtslage auch für Arbeitnehmer in Betracht, für die wegen einer unter den Schwellenwerten des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG liegenden Betriebsgröße oder auf Grund einer noch nicht erfüllten Wartezeit nach § 1 KSchG lediglich die §§ 4–7 KSchG, nicht aber die übrigen Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes gelten. Zwar können diese Arbeitnehmer mangels Anwendbarkeit des § 1 KSchG nicht die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend machen. Der Wortlaut des § 2 Satz 1 KSchG, der nach wie vor lediglich von der Annahme unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung ausgeht, scheint deshalb zunächst darauf hinzuweisen, dass das Verfahren nach §§ 2, 4 Satz 2, 7 2. Halbs. lediglich auf Arbeitnehmer anzuwenden ist, die sich wegen Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG zumindest auch auf die Sozialwidrigkeit berufen können. Da die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG in vollem Umfang auf §§ 4–7 KSchG verweist, die die Änderungsschutzklage betreffenden Vorschriften der §§ 4 Satz 2, 7 2. Halbs. KSchG also gerade nicht ausnimmt, ist indessen nach zutreffender Ansicht davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer auch bei fehlendem Kündigungsschutz im Kleinbetrieb die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen unter dem Vorbehalt ihrer Wirksamkeit aus sonstigen (d.h. nicht die soziale Rechtfertigung betreffenden) Gründen annehmen kann. Es wäre auch widersprüchlich, den Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz einerseits zu verpflichten, die Unwirksamkeit der Änderungskündigung aus sonstigen Gründen nach Maßgabe der §§ 4–7 KSchG, also insbesondere unter Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist, geltend zu machen, ihm andererseits aber nicht die Möglichkeit einer Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt zuzugestehen.4 1 2 3 4
BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 230/05, NZA 2006, 1092. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 147–156; Bader, NZA 2004, 65 (68). KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 147–156. So auch KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 7a f., der in diesen Fällen zumindest eine entsprechende Anwendung des § 2 KSchG für geboten hält.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 199 Teil 2
Vorbehaltsannahme und Ablehnung sind die kündigungsrechtlich relevanten Varianten, da hier im Streitfall die aufschiebend bedingte bzw. unbedingte Beendigungskündigung von den Arbeitsgerichten überprüft werden muss. Der Prüfungsmaßstab ist in beiden Fällen identisch. Es wird bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgestellt, sondern auf das Änderungsangebot und seine soziale Rechfertigung. Das Änderungsangebot und dessen soziale Berechtigung stehen im Mittelpunkt. Dies ergibt sich für die Annahme unter Vorbehalt eindeutig aus dem Wortlaut von § 4 Satz 2 KSchG.1 Es gilt jedoch nach zutreffender Ansicht auch für den Fall der Ablehnung des Änderungsangebots.2 Auch hier kann das Änderungsangebot nicht außer Betracht gelassen und alleine auf die Beendigungskündigung abgestellt werden. Die vom Arbeitgeber beabsichtigte Verbindung zwischen Kündigung und Änderungsangebot wird durch die Ablehnung nicht zerstört. Insbesondere bei der betriebsbedingten Änderungskündigung wird dies deutlich. Bei der Prüfung, ob eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz als milderes Mittel in Betracht gezogen werden kann, muss das dem Arbeitnehmer unterbreitete Änderungsangebot berücksichtigt werden.3 Zudem hat der Arbeitnehmer eine ihm vom Arbeitgeber angebotene Alternative zu seiner Kündigung selbst ausgeschlagen. Er muss deshalb eher hinnehmen, dass er seinen Arbeitsplatz verliert.4
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Gem. §§ 2, 4 Satz 2 KSchG bestimmt sich der Prüfungsmaßstab in beiden Fällen der Änderungskündigung nach § 1 KSchG. Sozial ungerechtfertigt ist eine betriebsbedingte Änderungskündigung nur dann nicht, wenn die Änderung durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen entgegenstehen, begründet ist. Es gelten daher auch alle zu § 1 KSchG entwickelten Grundsätze.5 Ob ein betriebliches Erfordernis für eine Änderung der Arbeitsbedingungen besteht ist daher ebenso zu beurteilen, wie das Vorliegen eines betrieblichen Erfordernisses für eine Beendigungskündigung (siehe dazu unten C. Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung, Rz. 228 ff.). Es kommt darauf an, ob eine gestaltende Unternehmerentscheidung vorliegt, die sich in einer qualitativen Veränderung der Arbeitsbedingungen, zu denen die Arbeitnehmer tätig sind, auswirkt. Irrelevant ist auch hier, ob das gestaltende Konzept durch externe Umstände oder durch unternehmensinterne Maßnahmen erfolgt, sofern dadurch tatsächlich ein Bedürfnis für Änderungen der Arbeitsbedingungen entstanden ist.6
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Aus der Verweisung in § 2 KSchG auf § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG folgt weiterhin, dass auch eine Sozialauswahl durchzuführen ist. Die allgemeinen Grundsätze zur Sozialauswahl sind daher auch hier zu beachten. Da die Ände-
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1 So z.B. auch KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 85; Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 81; BAG v. 15.3.1991 – 2 AZR 582/90, NZA 1992, 120. 2 BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 Rz. 133; Schaub, 12. Auflage 2007, § 137 Rz. 37 ff.; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 92. 3 So z.B. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 91. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 126. 5 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 99. 6 Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 48.
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Teil 2 Rz. 200
Betriebsbedingte Kündigung
rungskündigung aber nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzielt, sondern auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter geänderten Arbeitsbedingungen, sind im Vergleich zur Beendigungskündigung einige Unterschiede zu beachten.1 200
Bei der Prüfung, welche Arbeitnehmer für die Sozialauswahl überhaupt in Frage kommen (Vergleichbarkeit), ist nicht nur darauf abzustellen, ob sie nach ihrem bisher innegehabten Arbeitsplatz vergleichbar sind, sondern auch, ob sie für die Tätigkeit, welche Inhalt des Änderungsangebotes ist, wenigstens annähernd gleich geeignet sind.2
201
Im nächsten Schritt, bei dem festgestellt wird, welchem der vergleichbaren Arbeitnehmer die Änderungskündigung ausgesprochen werden soll, ist wiederum nicht darauf abzustellen, welchen Arbeitnehmer der Verlust des Arbeitsplatzes am härtesten trifft, sondern, wem die Änderung der Arbeitsbedingungen unter sozialen Gesichtspunkten am ehesten zumutbar ist.3 Bei der Sozialauswahl sind auch hier die Grunddaten Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Lebensalter zu beachten. Da die Abwägung sich an dem Änderungsangebot orientiert, kommt den Grunddaten jeweils unterschiedliches Gewicht zu, je nach den angestrebten neuen Arbeitsbedingungen. So wird z.B. der Aspekt der Unterhaltspflichten nur relevant, wenn die Änderung zu finanziellen Einbußen führt.4 Auch das Argument, dass der gekündigte Arbeitnehmer bereits die Altersgrenze von 50 Jahren überschritten habe und damit eine für den Arbeitsmarkt wichtige Altersgrenze, spielt für sich allein bei der Gewichtung der Sozialdaten keine entscheidungserhebliche Rolle.5 Die Änderungskündigung verfolgt ja gerade nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern die Fortsetzung unter geänderten Bedingungen. Neben den Grunddaten können noch weitere soziale Daten relevant werden.6 Bei der Änderungskündigung sind dies z.B. Faktoren wie Wendigkeit, schnelle Auffassungsgabe, Anpassungsfähigkeit und der Gesundheitszustand. Durch diese Eigenschaften wird dem Arbeitnehmer die Umstellung auf einen anderen Arbeitsplatz erleichtert.7 2. Das Änderungsangebot
202
Die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebotes (in Kombination mit der Kündigung) richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen zur betriebsbeding1 Vgl. BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, DB 2007, 2097; zur Sozialauswahl bei der Beendigungskündigung siehe im Übrigen unten Rz. 338 ff. 2 BAG v. 13.6.1986 – 7 AZR 623/84, NZA 1987, 155; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 103; APS/ Künzl, § 2 KSchG Rz. 284; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 Rz. 174; Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 64; Becker-Schaffner, Änderungskündigung aus materiell-rechtlicher und prozessualer Sicht, BB 1991, 129, 135; kritisch Boewer, BB 1996, 2618, 2621; Stahlhacke/ Preis/Vossen, Rz. 1281a. 3 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, DB 2007, 2097; v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075; v. 13.6.1986 – 7 AZR 623/84, NZA 1987, 155. 4 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 103b. 5 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, DB 2007, 2097. 6 Siehe unten C II.4.d). 7 BAG v. 13.6.1986 – 7 AZR 623/84, NZA 1987, 155; APS/Künzl, § 2 KSchG Rz. 290.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 203 Teil 2
ten Kündigung, mit dem Unterschied, dass die Unternehmerentscheidung bei der Änderungskündigung dazu führt, dass sich entweder die Arbeitsbedingungen bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf dem gleichen Arbeitsplatz verändern, z.B. Verkürzung der Arbeitszeit, oder dass der Arbeitsplatz wegfällt und eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz möglich ist.1 Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist wirksam, wenn sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Im Rahmen der §§ 1, 2 KSchG ist dabei zu prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist.2 Der Arbeitgeber ist allerdings nicht verpflichtet, mit dem Änderungsangebot zugleich eine Änderungs- oder ggf. eine Beendigungskündigung aussprechen zu müssen, um eine gerichtliche Prüfung der sozialen Rechtfertigung der erstrebten Änderung des Beschäftigungsumfangs nach § 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG zu ermöglichen.3
" Praxistipp: Einer Änderungskündigung bedarf es nicht, wenn der Arbeitnehmer sein Einverständnis mit den neuen Bedingungen erklärt hat. Zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen empfiehlt es sich daher, dass der Arbeitgeber zunächst ein einfaches Änderungsgebot abgibt, bevor er eine Änderungskündigung ausspricht.
202a
a) Änderung des Beschäftigungsvolumens Ergebnis einer gestaltenden Unternehmerentscheidung kann z.B. die Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen sein. Entsteht infolge von Rationalisierung ein Arbeitskräfteüberhang, liegt es in der unternehmerischen – vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbaren – Entscheidungsfreiheit, ob der Arbeitgeber darauf mit mehreren Änderungskündigungen oder entsprechend weniger Beendigungskündigungen reagiert. Spricht der Arbeitgeber z.B. bei Wegfall eines Vollzeitarbeitsplatzes gegenüber zwei Arbeitnehmern Änderungskündigungen mit dem Ziel einer Halbtagsbeschäftigung aus, statt einer Beendigungskündigung, so ist die Änderung durch ein betriebliches Erfordernis gerechtfertigt, sofern dem eine entsprechende Organisationsentscheidung des Arbeitgebers zugrunde lag. Der Entschluss des Arbeitgebers, von Vollzeit- auf Teilzeitarbeitsplätze überzugehen, ist eine nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung.4
1 Siehe ausführlich zu der betriebsbedingten Änderungskündigung Fischermeier, Die betriebsbedingte Änderungskündigung, NZA 2000, 737; Berkowsky, Die betriebsbedingte Änderungskündigung und ihr Streitgegenstand, NZA 2000, 1129; Berkowsky, Die betriebsbedingte Änderungskündigung, 1999; Brenneis, Sozialauswahl bei betriebsbedingter Änderungskündigung, FA 2000, 147. 2 st. Rspr., zuletzt BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, DB 2006, 1114. 3 BAG v. 13.3.2007 – 9 AZR 588/06, DB 2007, 2096 4 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; LAG Chemnitz v. 6.4.1993 – 1 Sa 10/93, LAGE § 2 KSchG Nr. 13; LAG Hamm v. 22.3.1996 – 10 Sa 141/95, LAGE § 2 KSchG Nr. 22.
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Teil 2 Rz. 204
Betriebsbedingte Kündigung
204
Der Arbeitgeber hat in einem Fall der Änderungskündigung mit dem Ziel der Verkürzung der Arbeitszeit den Umfang der Verringerung des Arbeitsanfalls darzulegen. Die Gerichte prüfen die behauptete Verringerung der Arbeitsmenge nach. Nicht von den Gerichten überprüfbar ist dagegen der Entschluss, statt weniger Beendigungskündigung mehrere Änderungskündigungen auszusprechen.1
205
Eine Änderungskündigung zum Zwecke der Herabsetzung der Arbeitszeit ist daher nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Bedarf an der geschuldeten Arbeitsleistung nicht zurückgegangen ist. Etwas anderes gilt, wenn organisatorische Veränderungen zu einer Änderung von Lage oder Dauer der Arbeitszeit geführt haben.2
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" Praxistipp: Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Weigerung
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Liegt ein entsprechendes betriebliches Erfordernis vor, ist also auch eine Änderungskündigung zur Erhöhung der Arbeitszeit möglich. Dabei darf im Geltungsbereich von Tarifverträgen allerdings nicht gegen tarifvertraglich festgelegte Arbeitszeitgestaltungen verstoßen werden. Die Änderungskündigung zur Erhöhung des Beschäftigungsvolumens ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch Änderungskündigung die tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden auf 38,5 Stunden bei einer Lohnerhöhung von 3 % erhöhen will. Eine solche Kündigung ist bereits gem. §§ 13 Abs. 3 KSchG, 4 TVG, 134 BGB unwirksam.4 Der vom Arbeitgeber bezweckte Erfolg, die Einführung einer tarifwidrigen Arbeitszeit für das betreffende Arbeitsverhältnis, verstößt gegen die zwingende Wirkung der die Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers regelnden tariflichen Arbeitszeitnorm. Trifft der Arbeitgeber die Entscheidung, statt einer Teilzeitkraft wegen der Ausdehnung des Beschäftigungsvolumens eine Vollzeitkraft einzusetzen, hat er der bislang beschäftigten Teilzeitkraft zunächst eine Vertragsänderung zur Ausdehnung der Arbeitszeit anzubieten. Ohne ein solches Änderungsangebot ist die gegenüber der Teilzeitkraft ausgesprochene Kündigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sozialwidrig, es sei denn, es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Teilzeitkraft dieses Änderungsangebot auch unter dem Druck der bevorstehenden Kündigung nicht angenommen hätte.5
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" Praxistipp: Eine Herabsetzung der Arbeitszeit ist unwirksam, wenn die
des Arbeitnehmers, von einem Vollzeit- in einen Teilzeitarbeitsplatz oder umgekehrt zu wechseln ist gem. § 11 TzBfG unzulässig. Eine aus anderen Gründen erfolgte Änderungskündigung zur Veränderung der Arbeitszeit, z.B. wegen Arbeitsmangels, steht dem allerdings nicht entgegen.3
neue Arbeitszeit nicht verbindlich festgelegt wird, sondern in einem sog. „flexiblen Teilzeitarbeitsverhältnis“ nach kurzer Ankündigungsfrist monatlich variabel im Umfang von 53 bis 169 Stunden vom Arbeitgeber festgelegt wird. Eine solche Vertragsgestaltung, die insoweit dem Arbeitgeber
1 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075; LAG Hamm v. 22.3.1996 – 10 Sa 141/95, LAGE § 2 KSchG Nr. 22. 2 LAG Rheinland-Pfalz v. 26.5.1981, AuR 1982, 91. 3 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 112. 4 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 422/98, NZA 1999, 657. 5 LAG Berlin v. 10.9.1996 – 12 Sa 66/96, LAGE § 2 KSchG 1969 Nr. 20.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 209 Teil 2
ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewährt, stellt sich als eine objektive Umgehung des Kündigungsschutzes dar und ist gem. § 134 BGB nichtig.1 b) Änderung des Leistungs-/Lohngefüges Grundsätzlich gilt, dass einmal geschlossene Verträge einzuhalten sind, und zwar unabhängig von finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners. Eine Änderungskündigung zur isolierten Reduzierung der vereinbarten Vergütung, d.h. ohne gleichzeitige Änderung der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers ist deshalb nur unter äußerst eingeschränkten Voraussetzungen möglich. So ist die Dringlichkeit eines schwerwiegenden Eingriffs in das Leistungs-/Lohngefüge, wie es die Änderungskündigung zur Durchsetzung einer erheblichen Lohnsenkung darstellt, ausnahmsweise begründet, wenn bei Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstehen, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebes führen.2 Dem Arbeitgeber kann allerdings keine Frist vorgeschrieben werden, die er einhalten muss, bevor er zu einschneidenden Maßnahmen wie dem Ausspruch von Änderungskündigungen zum Zwecke der Entgeltreduzierung greifen darf.3 Ist eine Änderungskündigung zur Entgeltsenkung ausgesprochen, so ist diese indes nicht allein deshalb sozial gerechtfertigt, weil eine neue gesetzliche Regelung die Möglichkeit vorsieht, durch Parteivereinbarung einen geringeren (tariflichen) Lohn festzulegen, als er dem Arbeitnehmer bisher gesetzlich oder vertraglich zustand.4 Nicht um eine Lohnsenkung bei unverändertem Inhalt der Arbeitspflicht, sondern um eine Anpassung der Arbeits- und Vergütungsbedingungen nach einer Änderung der Tätigkeit im Rahmen eines Vergütungssystems handelt es sich beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer als (Vertretungs-)Lehrkraft beschäftigt war, nach Ablauf der Kündigungsfrist aber als pädagogischer Mitarbeiter bei geringerer Vergütung tätig werden soll.5Regelmäßig hängt die Wirksamkeit der Änderungskündigung aber vom Vorliegen eines umfassenden Sanierungsplans ab, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft.6 Inhalt eines solchen Konzepts kann auch das Erfordernis eines Sanierungsbeitrags der Arbeitnehmer in Form der Hinnahme einer Kürzung des Weihnachtsgelds sein. Diese Leistungsreduzierung stellt nach der Rechtsprechung des BAG einen betrieblichen Grund zur Änderungskündigung i.S.v. §§ 1 Abs. 2, 2 KSchG dar.7
1 2 3 4
LAG Potsdam v. 24.10.1996 – 3 Sa 393/96, NZA-RR 1997, 127. BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587. BAG v. 29.1.2007 – 2 AZR 789/06 (n.v.). BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 – Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) durch das erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4607). 5 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 388/06. 6 BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, AP Nr. 127 zu § 102 BetrVG 1972. 7 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 789/06 (n.v.).
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Betriebsbedingte Kündigung
c) Änderung des Arbeitsortes 210
Eine Änderungskündigung kommt auch zur Versetzung des Arbeitnehmers, also zur Änderung des Arbeitsortes, in Betracht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der jetzige Arbeitsplatz weggefallen ist, aber im Betrieb/Unternehmen des Arbeitgebers noch ein Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer vorhanden ist.
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Hierbei ist eine Abgrenzung zum Direktionsrecht des Arbeitgebers vorzunehmen, da eine Versetzung des Arbeitnehmers u.U. auch auf der Grundlage des Direktionsrechts vorgenommen werden kann. Unter dem Direktions- oder Weisungsrecht des Arbeitgebers ist das Recht zu verstehen, die Einzelheiten der vom Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages zu erbringenden Arbeitsleistungen näher zu bestimmen, soweit dies im Vertrag selbst nicht abschließend geschehen ist. Dies gilt insbesondere für den Ort, die Art, die Zeit und die Reihenfolge der Arbeitsleistungen.1 Das Direktionsrecht hat seine Grundlage unmittelbar im Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich zur Erbringung der Arbeitsleistung nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Es findet seine Grenzen in den Gesetzen, Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und im Arbeitsvertrag.2 Entscheidend ist insbesondere die Grenze des Direktionsrechts durch den Arbeitsvertrag. Die Reichweite des Direktionsrechts hängt dabei von der engeren oder weiteren Beschreibung der Arbeitspflicht im Arbeitsvertrag und den diesen gestaltenden Bestimmungen in Tarifverträgen/Betriebsvereinbarungen ab. Je weniger konkret die arbeitsvertraglichen Regelungen sind, desto weiter reicht das Weisungsrecht; je konkreter der Arbeitsvertrag gefasst ist, desto weniger Weisungsbefugnisse verbleiben dem Arbeitgeber.3 Soweit Arbeitsvertrag, Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ihm Spielraum für Weisungen lassen, muss der Inhalt einer Weisung billigem Ermessen entsprechen.4 Demgemäß ist der Arbeitgeber in Ausübung des ihm zustehenden Direktionsrechts beispielsweise grundsätzlich dazu berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, die von ihm erbrachten Arbeitsleistungen zu dokumentieren, soweit ihm die aufgeführten Rechtsquellen hierzu Spielraum lassen.5 Für den Ort der Arbeitsleistung entspricht es billigem Ermessen, dass – wenn nur eine Arbeitsstätte im Arbeitsvertrag vereinbart ist – insoweit für die Ausübung des Direktionsrechts kein Raum bleibt. Da der Arbeitgeber mittels seines Direktionsrechts nicht einseitig in den Arbeitsvertrag eingreifen oder ihn ändern kann, ist in diesem Fall eine Änderung des Arbeitsortes nur mittels Änderungskündigung möglich.6 Ohne konkrete Vereinbarung eines bestimmten Arbeitsortes oder bei vereinbarter Erbringung der Arbeitsleistung an mehreren Betriebsstätten kann der Arbeitgeber den jeweiligen Arbeitsort durch sein Direktionsrecht konkretisieren, wobei er auch dabei – wie allgemein bei der Ausübung des Direktionsrechts7 – billiges Ermessen gem. § 315 BGB beachten 1 2 3 4 5 6 7
KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 36. Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 64. EL Dezember 2007, § 1 KSchG Rz. 165. APS/Künzl, § 2 KSchG Rz. 52. BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 78/06, ZTR 2007, 564. BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 78/06, ZTR 2007, 564. Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 64. EL Dezember 2007, § 1 KSchG Rz. 168. BAG v. 23.6.1993 – 5 AZR 337/92, NZA 1993, 1127; v. 24.4.1996 – 5 AZR 1031/94, NZA 1996, 1088.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 212 Teil 2
muss. Bei der Billigkeitsprüfung im Zusammenhang mit einem dauerhaften Ortswechsel sind vom Arbeitgeber alle wesentlichen Umstände des Falles abzuwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Im Rahmen der Prüfung sind zugunsten des Arbeitnehmers insbesondere soziale Belange zu berücksichtigen. In Betracht kommen Kriterien wie der Familienstand, das Vorhandensein und die Anzahl schulpflichtiger Kinder, die Berufstätigkeit des Partners, die Ortsbindung durch Immobiliareigentum und die Dauer der Betriebszugehörigkeit.1 Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann durch kollektivrechtliche Regelungen, aber auch durch den Einzelarbeitsvertrag sowie durch Ergänzungs- bzw. Änderungsverträge erweitert werden, die einseitige Leistungsbestimmungsrechte i.S.v. § 315 BGB bezüglich Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung enthalten können. So enthält § 1 Abs. 3 Satz 1 des Änderungsvertrags des Freistaats Sachsen zur Regelung des Beschäftigungsumfangs von Lehrkräften in Altersteilzeit eine bedarfsbedingte Arbeitszeitaufstockung.2 Typisch für eine Erweiterung in Bezug auf den Tätigkeitsort sind örtliche Flexibilitätsklauseln. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich darin, auch an einem anderen Ort zu arbeiten, wenn der Arbeitgeber von der Klausel Gebrauch macht. Auch hier hat die Ausübung dieses Rechts durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB zu erfolgen. Häufig berechtigt die Klausel zur konzernweiten Versetzung (Konzernversetzungsklausel). Zu beachten ist jedoch, dass allein die Vereinbarung einer solchen Klausel im Arbeitsvertrag keine unternehmensübergreifende Beschäftigungspflicht begründet. Nach der Rechtsprechung des BAG ist hierfür vielmehr Voraussetzung, dass der Beschäftigungsbetrieb bzw. der vertragsschließende Unternehmer einen bestimmenden Einfluss auf die „Versetzung“ hat.3 Die Entscheidung darüber darf grundsätzlich nicht dem zur Übernahme bereiten Unternehmen vorbehalten worden sein.4 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Möglichkeit der Einflussnahme aufgrund eindeutiger rechtlicher Regelungen (z.B. aufgrund eines Beherrschungsvertrages) oder eher nur faktisch besteht.5 Zu beachten ist, dass örtliche Flexibilitätsklauseln anhand §§ 307 ff. BGB überprüfbar sind. Gem. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB ist allerdings bei Arbeitsverträgen die Kontrolle eingeschränkt. Danach sind bei der Anwendung auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen.6 Nach der Begründung des Rechtsausschusses soll damit den Besonderheiten spezifischer Bereiche des Arbeitsrechts angemessen Rechnung getragen werden können.7 Nach der Gesetzesbegründung sollen die besonderen Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) im Ar1 BAG v. 2.4.1996 – 1 ABR 39/95, NZA 1997, 219; LAG Berlin v. 29.11.1999 – 9 Sa 1277/99, NZA-RR 2000, 131. 2 BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 59/07, ZTR 2008, 150. 3 BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30. 4 BAG v. 23.11.2004 – 2 AZR 24/04, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 539. 5 BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, EzA KSchG § 1 Wiedereinstellungsanspruch Nr. 7 sowie BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, BAGE 107, 318. 6 BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, AP BGB 307 Nr. 17 = EzA BGB 2005, § 308 Nr. 5; vgl. auch Fliss, NZA-RR 2008, 225. 7 BT-Drucks. 14/6040 zu § 310 IV.
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Teil 2 Rz. 212
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beitsrecht nicht zwingend uneingeschränkt zu Anwendung kommen. Es sollen vielmehr hier die besonderen Bedürfnisse eines Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden.1 Bei einer Konzernversetzungsklausel kommt daher nur eine Kontrolle anhand von §§ 307 und 308 BGB in Betracht, wobei bei einer AGBKontrolle in § 308 BGB die Besonderheiten des Arbeitsrechts über die in der Norm selbst vorgesehenen Wertungsmöglichkeiten einfließen. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Zur Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen.2 Stets ist zu prüfen, ob die Geschäftsbedingung bei der in Rede stehenden Art des Rechtsgeschäfts generell unter Berücksichtigung der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners ergibt.3 Das ist in einem Arbeitsvertrag beispielsweise der Fall, wenn hierin eine Klausel verankert ist, wonach die gerichtliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von weniger als drei Monaten erfolgen muss.4 Gleiches gilt für den formularmäßigen Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ohne Gegenleistung.5 Auch eine vorformulierte Vorbehaltsklausel, wonach der Arbeitgeber das Recht hat, von ihm vorgegebene Arbeitsbedingungen einseitig abändern zu können, wird als unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 BGB angesehen.6 Hingegen liegt kein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, wenn in einer Klausel bestimmt ist, dass das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers aus betriebsbedingten Gründen zu einem in der Klausel genau festgelegten Zeitpunkt im gegenseitigen Einvernehmen sein Ende finden wird.7 Soweit es um die Frage nach der Wirksamkeit von Versetzungsklauseln geht, wird unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) ein arbeitsvertraglich vereinbartes Recht zur Zuweisung eines anderen Arbeitsortes den Interessen beider Vertragsparteien jedenfalls dann gerecht, wenn die Zuweisung kraft vertraglicher Vereinbarung nur entsprechend den Leistungen und Fähigkeiten des Arbeitnehmers erfolgen darf.8 Nach § 308 Nr. 4 BGB sind einseitige Änderungsvorbehalte nur wirksam, wenn sie für den anderen Vertragsteil zumutbar sind.9 Bei einer Inhaltskontrolle kommen im Wesentlichen dieselben Kriterien für die Beurteilung der Inanspruchnahme örtlicher Flexibilität durch den Arbeitgeber zum Tragen, die auch im 1 BT-Drucks. 14/6857, S. 53/54 zu Nr. 5. 2 BAG v. 11.4.2006, a.a.O. 3 BAG v. 11.4.2006, a.a.O.; vgl. auch Preiß/Roloff, ZfA 2007, 43 sowie Löwisch, Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 1403. 4 BAG v. 28.11.2007 – 5 AZR 992/06, NZA 2008, 293. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219; vgl. aber BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 6 LAG Nürnberg v. 22.2.2008 – 3 Sa 333/07, EzA-SD 2008 Nr. 9, 10. 7 Vgl. BAG v. 10.1.2007 – 5 AZR 84/06, NZA 2007, S. 384 m.w.N.; LAG Düsseldorf v. 29.6.2007 – 9 Sa 447/07, EzA-SD 2007, Nr. 23, 9. 8 Vgl. LAG Köln v. 24.1.2008 – 6 Sa 1281/07. EzA-SD 2008, Nr. 12, 10. 9 BAG v. 13.3.2007 – 9 AZR 422/06, DB 2007, 1985 sowie BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 55/05, AP BGB § 307 Nr. 17 = EzA BGB 2002, § 308 Nr. 5.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 213 Teil 2
Rahmen einer Überprüfung der Ermessensausübung gem. § 315 BGB für maßgeblich gehalten worden sind.1 Dies sind bei der Überprüfung der Zumutbarkeit des Inhalts einer Versetzungsklausel neben Entfernung und Erreichbarkeit vom Wohnort Kriterien wie familiäre Ortsbindung, Berufstätigkeit des Ehepartners am bisherigen Einsatzort, Versorgung von Kindern und evtl. pflegebedürftige Familienangehörige oder auch besondere außerberufliche Teilnahme am sozialen Leben. § 308 Nr. 4 BGB erfasst allerdings nur einseitige Bestimmungsrechte hinsichtlich der Leistung des Verwenders. Das folgt aus den Gesetzesmaterialien zum AGB-Gesetz, die ausschließlich Beispiele für Änderungen der Verwenderleistungen nennen (BT-Drucks. 7/3919 S. 25). Die Versetzungsklausel ist damit nicht auf das Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers als Verwender im Hinblick auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzuwenden.2 Eine Inhaltskontrolle kann daher nur nach der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB erfolgen. Die in der Vorschrift manifestierte Transparenzklausel (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) verfolgt den Zweck der Sicherstellung einer Informationsgrundlage für den Vertragspartner, bei Arbeitsverträgen also für den Arbeitnehmer, damit dieser seine Markt- und Verhandlungschancen wahrnehmen kann. Inhaltlich reicht es aus, dass der Arbeitnehmer der Klausel entnehmen kann, welche Rechte und Pflichten er im Fall der Vertragsunterzeichnung hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG scheidet selbst bei einer allgemein gehaltenen Versetzungsklausel eine Verletzung des Transparenzgebotes aus.3 Die Rechtsprechung räumt dem Arbeitgeber einen denkbar großen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung einer Versetzungsklausel ein. Er kann es bei der Konkretisierung der Arbeitspflicht dabei belassen, den Inhalt, wenn nicht gar den Wortlaut des § 106 GewO wiederzugeben.4 Das gesetzliche Weisungsrecht des § 106 GewO erlaubt es insoweit beispielweise einer Produktionsfirma für Spielfilme, die ursprünglich einer Schauspielerin im Drehbuch zugedachte Rolle zu ändern und die Schauspielerin anzuweisen, eine andere zu übernehmen.5 Für das Verhältnis zwischen Direktionsrecht und Änderungskündigung gilt grundsätzlich, dass durch das Direktionsrecht nicht einseitig die Arbeitsvertragsbedingungen geändert werden können. Soll dies bewirkt werden, muss eine Änderungskündigung ausgesprochen werden.6 Umgekehrt bedarf es, soweit das Direktionsrecht reicht, nicht des Ausspruchs einer Änderungskündigung. Können die Arbeitsbedingungen durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers geändert werden, ist eine Änderungskündigung nicht nur überflüssig, sie gefährdet überdies durch die in ihr enthaltene Beendigungskündigung unnö1 Vgl. Lingemann, NZA 2002, 191; Annuß, BB 2002, 462; BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, DB 2005, 669 zum Widerrufsvorbehalt von Entgeltbestandteilen. 2 BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, AP BGB § 307 Nr. 17 = EzA BGB 2002, § 308 Nr. 5; vgl. auch Hromadka/Schmidt-Rolfes, Die AGB-Rechtsprechung zu Tätigkeit, Entgelt und Arbeitszeit m.w.N. 3 BAG v. 13.6.2007 – 5 AZR 564/06, NZA 2007, 974; v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05 – AP BGB 307 Nr. 17 = EzA BGB 2005, § 308 Nr. 5. 4 BAG v. 13.6.2007 – 5 AZR 564/06, WZA 2007, 974. 5 BAG v. 13.6.2007 – 5 AZR 564/06, WZA 2007, 974. 6 Zur Abgrenzung zwischen Änderungskündigung und Direktionsrecht vgl. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 36 ff.
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Teil 2 Rz. 214
Betriebsbedingte Kündigung
tig den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Die überflüssige Änderungskündigung ist deshalb von der Rechtsprechung des BAG im Grundsatz zu Recht als unverhältnismäßig und damit als unwirksam angesehen worden.1 Dies gilt jedoch nur, wenn der Arbeitnehmer das in der Änderungskündigung enthaltene Angebot abgelehnt hat und die Beendigungskündigung tatsächlich zum Tragen kommt. Hat der Arbeitnehmer dagegen das Angebot unter Vorbehalt angenommen, ist mit der Änderungskündigung keine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses mehr verbunden, denn Streitgegenstand einer Änderungsschutzklage nach § 2 KSchG ist nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern der Inhalt der geänderten Arbeitsbedingungen. Die Klage zielt auf die Feststellung, dass für das Arbeitsverhältnis nicht die Arbeitsbedingungen gelten, die in dem mit der Kündigung verbundenen Änderungsangebot des Arbeitgebers enthalten sind. Die Frage, ob diese Arbeitsbedingungen gerade infolge der mit der Änderungskündigung angebotenen Vertragsänderung gelten, oder ob die angebotenen Arbeitsbedingungen bereits ohnehin Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind, ist nur ein Element der Begründetheitsprüfung. Die unter Vorbehalt angenommene Änderungskündigung stellt die gleichen Arbeitsbedingungen her wie eine entsprechende Weisung aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers. Die Möglichkeit, eine Änderung der aktuellen Arbeitsbedingungen durch Ausübung des Direktionsrechts zu bewirken, führt deshalb bei Annahme des mit der Änderungskündigung verbundenen Angebots unter Vorbehalt nicht zur Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen aus dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Unwirksam wäre allenfalls das Element der Kündigung, welches jedoch wegen der Annahme unter Vorbehalt gegenstandslos wurde.2 Die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung ist allerdings nicht auf Fälle ausdehnbar, in denen der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen nicht unter Vorbehalt angenommen, sondern endgültig abgelehnt hat. Dabei geht es nämlich nicht um Inhaltsschutz, sondern um die Frage nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.3 214
" Praxistipp: Kann der Arbeitgeber sich im Einzelfall nicht entscheiden, ob er
eine Änderung der Arbeitsbedingungen durch Ausübung des Direktionsrechts herbeiführen kann, oder ob dieses wegen des Arbeitsvertrages unwirksam wäre und er eine Änderungskündigung aussprechen muss, kommt für ihn die Möglichkeit einer vorsorglichen Änderungskündigung in Betracht. Dabei spricht der Arbeitgeber zunächst eine Weisung aus. Rein vorsorglich, für den Fall, dass die geänderten Arbeitsbedingungen sich nicht im Rahmen des Arbeitsvertrages halten, spricht er gleichzeitig die Kündigung
1 BAG v. 26.8.2008 – 1 AZR 353/08; v. 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, BB 2008, 896 m.w.N.; so auch LAG Berlin v. 29.11.1999 – 9 Sa 1277/99, NZA-RR 2000, 131, wonach allerdings eine aus diesem Grund unwirksame Änderungskündigung gem. § 140 BGB in die Ausübung des Direktions- bzw. Weisungsrechts umgedeutet werden kann. 2 So auch die Rechtsprechung des BAG: BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, BB 2008, 896; v. 26.1.1995 – 2 AZR 371/94, NZA 1995, 626; v. 9.7.1997 – 4 AZR 635/95, NZA 1998, 494; LAG Chemnitz v. 12.5.1993 – 6 Sa 36/92, LAGE Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 25; ebenso Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 122; Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 64. EL Dezember 2007, § 2 KSchG Rz. 6; a.A. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 106b–106c; APS/Künzl, § 2 KSchG Rz. 119.; v. HoyningenHuene/Linck, § 2 Rz. 55. 3 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, BB 2008, 896.
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Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 216 Teil 2
des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem Angebot zur Fortsetzung zu geänderten Arbeitsbedingungen aus. Eine solche Kündigung ist zulässig, da es sich dabei lediglich um eine zulässige Rechtsbedingung handelt.1 Notwendig ist dieses Vorgehen, da eine Umdeutung einer unwirksamen Änderungskündigung in eine wirksame Ausübung des Direktionsrechts i.d.R. nicht möglich ist.2 Will der Arbeitnehmer die vorsorgliche Änderungskündigung nicht hinnehmen, muss er sich binnen drei Wochen entscheiden, ob er das Angebot unter Vorbehalt annimmt und Klage erhebt. Auch vor Ausspruch der vorsorglichen Änderungskündigung ist der Betriebsrat unter Darstellung des vorsorglichen Charakters der Maßnahme anzuhören.3 3. Zumutbarkeit der geänderten Fortsetzung a) Zusätzliches Rechtfertigungserfordernis? Nach der Rechtsprechung des BAG ist zusätzlich zu dem dringenden betrieblichen Erfordernis und der Sozialauswahl bei der Änderungskündigung ein weiteres Rechtfertigungserfordernis vom Arbeitgeber zu beachten. Bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung ist danach vor der Sozialauswahl eine zweistufige Prüfung vorzunehmen, wonach das Änderungsangebot nicht nur daran zu messen ist, ob dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG das Änderungsangebot bedingen, sondern auch daran, ob der Arbeitgeber sich bei einem an sich anerkennenswerten Anlass zur Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die dem Arbeitnehmer zumutbar sind und dieser billigerweise hinnehmen muss. Der Arbeitnehmer braucht die Umsetzung einer Unternehmerentscheidung nicht hinzunehmen, wenn die Folgen für ihn unbillig bzw. unangemessen sind.4 Was ein Arbeitnehmer billigerweise bzw. angemessener Weise hinzunehmen hat, muss in einem Vergleich mit den Vertrags- und Arbeitsbedingungen der anderen Arbeitnehmer der gleichen Arbeitsgruppe ermittelt werden. Allerdings muss der Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung zu erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht, wenn er für die Weiterbeschäftigung mit verändertem Anforderungsprofil geeignet ist.5
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Das BAG erkennt also die Freiheit der Unternehmerentscheidung an und billigt dem Arbeitgeber eine nur auf Willkürlichkeit zu prüfende Entscheidung zu, mit der er auf außerbetriebliche Ursachen reagiert oder betriebswirtschaftliche Entscheidungen der Rationalisierung etc. umsetzt. Gleichzeitig wird in einem nächsten Schritt das auf dieser Entscheidung beruhende Konzept einer umfas-
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1 Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 64. EL Dezember 2007, § 2 KSchG Rz. 7; Löwisch/Spinner, § 2 Rz. 122; Löwisch/Spinner in NZA 1988, 633, 641. 2 LAG Köln v. 1.8.2007 – 3 Sa 906/06, ArbuR 2008, 160. 3 Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 64. EL Dezember 2007, § 2 KSchG Rz. 7. 4 BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 879/07; v. 26.6.2008 – 2 AZR 139/07; v. 21.2.2002 – 2 AZR 556/00, (n.v.).; v. 18.11.1999 – 2 AZR 77/99, NZA 2000, 484; v. 1.7.1999 – 2 AZR 826/98, NZA 1999, 1336. 5 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, EzA § 2 KSchG Nr. 62 = NZA 2007, 341.
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Teil 2 Rz. 217
Betriebsbedingte Kündigung
senden Billigkeitsüberprüfung unterzogen. Diese Prüfung ist nach dem BAG kein Vorgriff auf die im Falle der Betriebsbedingtheit weiter zu prüfende Frage einer ausreichenden sozialen Auswahl oder auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern ein bei betriebsbedingten Änderungskündigungen zusätzlich zu beachtender eigenständiger Prüfungspunkt.1 217
Nach dem BAG wird die Änderungskündigung damit faktisch einer Billigkeitskontrolle unterworfen.2 b) Kritik an der Rechtsprechung zur Änderungskündigung
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Diese Entwicklung der Rechtsprechung ist abzulehnen.3 Eine allgemeine Billigkeitsprüfung bei Änderungskündigungen führt zu nicht vorhersehbaren Entscheidungen der Gerichte und damit zur Unvorhersehbarkeit des Ausgangs von Änderungskündigungsschutzprozessen.
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Außerdem setzt das BAG sich damit in Widerspruch zu dem von ihm in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung, die nur auf offenbare Willkür und Unsachlichkeit überprüft werden kann. Dadurch, dass die Unternehmerentscheidung und die daraus durch ein Konzept umgesetzten Folgen für den Arbeitnehmer anschließend einer unbegrenzten Billigkeitskontrolle unterworfen werden, wird die Unternehmerentscheidungsfreiheit entwertet.
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Im Vergleich zu einer Beendigungskündigung, bei der nach der Feststellung des Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht weiter die Billigkeit dieses Wegfalls für den Arbeitnehmer überprüft wird, sondern sich unmittelbar die Sozialauswahl anschließt, erfordert die Änderungskündigung nach dem BAG einen weiteren Prüfungsschritt, obwohl die Folgen für den Arbeitnehmer bei letzterer nicht so gravierend sind, wie bei einer Beendigungskündigung. Dadurch entsteht zwischen dem Prüfungsmaßstab bei der Beendigungskündigung und der Änderungskündigung ein Wertungswiderspruch.4 Auch dies spricht gegen die Lösung des BAG.
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Schließlich ist – entgegen den Ausführungen des BAG – die Abgrenzung zur Sozialauswahl nicht eindeutig durchzuführen. Bei der Billigkeitsprüfung wird ein Vergleich mit den anderen Arbeitnehmern und ihren Arbeitsbedingungen getroffen. Ähnliches gilt für die Sozialauswahl, bei der unter mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern geprüft wird, wem die Änderung der Arbeitsbedingungen am ehesten zugemutet werden kann. Es ist wahrscheinlich, dass es hierbei zu sich überschneidenden Überlegungen kommt. 1 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, DB 2007, 2097 sowie ausdrücklich BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047 unter II.2.b) cc). 2 Stahlhacke, DB 1994, 1361, 1368. 3 Ebenso Anmerkung Henssler zu BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, EzA § 2 KSchG Nr. 26; vgl. auch KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 98; APS/Künzl, § 2 KSchG Rz. 195, die das BAG so verstehen, dass das Änderungsangebot dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen muss; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 Rz. 129a; Hromadka, NZA 1996, 1, 12. 4 Ähnlich auch Anmerkung Henssler zu BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, EzA § 2 KSchG Nr. 26.
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Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 223 Teil 2
IV. Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung1 Eine Änderungskündigung kann nicht nur ordentlich – unter Einhaltung der gesetzlichen/tariflichen Kündigungsfrist – ausgesprochen werden, sondern auch außerordentlich, sofern ein wichtiger Grund vorliegt und die Änderung der Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden soll.2
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An den wichtigen Grund der Kündigung gem. § 626 BGB sind besondere Anforderungen zu stellen. Es kommt nicht darauf an, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses insgesamt unzumutbar geworden ist, sondern es ist auch hier das Änderungsangebot zu berücksichtigen. Dies gilt – wie bei der ordentlichen Änderungskündigung – auch dann, wenn der Arbeitnehmer das Angebot abgelehnt hat. Ein wichtiger Grund zu einer außerordentlichen Änderungskündigung setzt auf Seiten des Kündigenden voraus, dass ihm die Fortsetzung derjenigen bisherigen Bedingungen, deren Änderung er erstrebt, jeweils unzumutbar geworden ist, d.h. dass deren alsbaldige Änderung unabweisbar notwendig ist. Da die Änderung der Arbeitsbedingungen aus betrieblichen Gründen vor Ablauf der Kündigungsfrist selten unabweisbar notwendig sein wird, kommt die außerordentliche Änderungskündigung aufgrund betrieblicher Gründe, z.B. Rationalisierungsmaßnahmen/Umstrukturierungen in der Regel nur in Betracht, wenn der gekündigte Arbeitnehmer ordentlich unkündbar, eine ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung also ausgeschlossen ist.3 Im Falle der außerordentlichen Änderungskündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist entscheidender Gesichtspunkt, ob ein geändertes unternehmerisches Konzept die vorgeschlagene Änderung erzwingt oder ob es im Wesentlichen auch ohne oder mit weniger einschneidenden Änderungen im Arbeitsvertrag des Gekündigten durchsetzbar bleibt. So kann beispielsweise die Errichtung eines Heimarbeitsplatzes unter bestimmten Voraussetzungen mit dem unternehmerischen Konzept des Arbeitgebers vereinbar sein und als Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in Betracht kommen.4 Zusätzlich müssen nach der Rechtsprechung des BAG die neuen Bedingungen, also auch eine Heimarbeit, dem Gekündigten zumutbar sein.5 Stehen mehrere Möglichkeiten der Änderung der Arbeitsbedingungen zur Verfügung, so fordert es der für das gesamte Kündigungsrecht maßgebliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer diejenige auch ihm zumutbare Änderung anbietet, die den Gekündigten am wenigsten belastet.6
223
1 Zur außerordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigung bei Mandatsträgern siehe Rz. 963. 2 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 64/05 NZA 2006, 985sowie KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 198 m.w.N. 3 Siehe zum Fall einer außerordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigung (allerdings bei ordentlicher Unkündbarkeit wegen Betriebsratseigenschaft) BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157. 4 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 64/05, NZA 2006, 985. 5 BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157; v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; zum Kriterium der Zumutbarkeit bei der betriebsbedingten Änderungskündigung siehe bereits oben Rz. 215. 6 BAG v. 17.3.2005 – 2 ABR 2/04, NZA 2005, 949.
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Teil 2 Rz. 224 224
Betriebsbedingte Kündigung
Da es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt, kann die Unwirksamkeit bei Anwendbarkeit des KSchG nur nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 und §§ 5 bis 7 KSchG geltend gemacht werden. Problematisch hierbei ist, dass § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG keine Verweisung auf §§ 2, 4 Satz 2 KSchG enthält. In der Norm ist auch sonst kein besonderes Verfahren für das Vorgehen gegen eine außerordentliche Änderungskündigung vorgesehen. Die Vorschrift des § 2 KSchG ist jedoch entsprechend anzuwenden. Dies ergibt sich schon aus gesetzestechnischen Gründen. Die Möglichkeit, gegen eine Änderungskündigung Änderungsschutzklage zu erheben, ist erst nach der Schaffung des Kündigungsschutzgesetzes 1951 in der Literatur entwickelt und von der Rechtsprechung1 gebilligt worden. Nach der gesetzlichen Konzeption des Kündigungsschutzgesetzes 1951, das allein die Erhebung einer Kündigungsschutzklage geregelt hat, war deshalb eine Regelung des Inhalts, dass auch gegen eine außerordentliche Änderungskündigung Änderungsschutzklage erhoben werden könne, ausgeschlossen. Dies änderte sich mit der Normierung der Änderungskündigung und der Änderungsschutzklage in den §§ 2 und 4 Satz 2 KSchG 1969. Es wäre deshalb folgerichtig gewesen, die Möglichkeit der Änderungsschutzklage auch auf die von der Rechtsprechung anerkannte außerordentliche Änderungskündigung zu erstrecken. Eine solche Regelung ist ferner sachlich deshalb geboten, weil in zunehmendem Umfang gerade ältere Arbeitnehmer aufgrund tariflicher Regelungen „unkündbar“ geworden sind und weiterhin ihren Arbeitsplatz gefährden müssten, wenn sie gegen eine außerordentliche Änderungskündigung gerichtlich vorgehen wollten, ihnen aber die Möglichkeit der Änderungsschutzklage verwehrt wäre. Es spricht deshalb alles dafür, dass der Gesetzgeber von 1969 die Änderungsschutzklage in diesen Fällen nicht ausschließen wollte, sondern nur übersehen hat, auch § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG an die Vorschriften des § 2 und § 4 Satz 2 KSchG 1969 anzupassen, und insoweit lediglich ein Redaktionsversehen vorliegt.2 Gleiches gilt im Hinblick auf die ab dem 1.1.2004 in Kraft getretene Fassung des § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der Arbeitnehmer ist also berechtigt, das Angebot unter dem Vorbehalt der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung anzunehmen. Die Unwirksamkeit der Änderung gemäß § 626 BGB muss er dann gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 2 KSchG innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend machen. Zu beachten ist, dass die dreiwöchige Klagefrist sowohl für die Geltendmachung des Fehlens eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB als auch für die Berufung auf sonstige Unwirksamkeitsgründe i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG (z.B. eine fehlende Betriebsratsanhörung) gilt.3 Unabhängig davon reicht es zur Fristwahrung des § 4 Satz 1 KSchG aus, wenn ein Arbeitnehmer nur einmal rechtzeitig im Sinne der Vorschrift Klage erhebt, wenn er zuvor zwei Kündigungsschreiben erhalten hatte und eine Auslegung ergibt, dass der Arbeitgeber lediglich eine (doppelt verlautbarte) Kündigungserklärung abgegeben hat, deren Zugang er auf zwei Wegen sicherstellen wollte. Dies gilt auch dann, wenn beide
1 BAG v. 25.4.1963 – 2 AZR 435/62, AP Nr. 17 zu § 620 BGB Änderungskündigung, zu 1 der Gründe. 2 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 161/83, AP Nr. F3 zu § 55 BAT. 3 KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 61.
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Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 226 Teil 2
Kündigungsschreiben an zwei aufeinanderfolgenden Tagen abgeschickt werden und deshalb unterschiedliche Daten tragen.1 Eine weitere Schwierigkeit bei der entsprechenden Anwendbarkeit des § 2 KSchG stellt die Frage dar, innerhalb welcher Frist das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen werden kann. Da es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt – eine Kündigungsfrist daher an sich nicht zu beachten ist – kann § 2 Satz 2 KSchG keine direkte Anwendung finden. Bei dem hier vorliegenden Fall der außerordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigung ist die Rechtslage jedoch relativ eindeutig § 2 Satz 2 KSchG anzupassen.2 Da die außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung in der Regel nur in Betracht kommt, da der fragliche Arbeitnehmer ordentlich unkündbar ist, muss aus Wertungsgesichtspunkten die ansonsten geltende tarifliche/vertragliche/gesetzliche Kündigungsfrist als sog. Auslauffrist eingehalten werden.3 Es reicht daher aus, wenn der Arbeitnehmer die Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt bis zum Ende der Auslauffrist, spätestens entsprechend § 2 Satz 2 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklärt.4
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Ein besonderer Fall der außerordentlichen Änderungskündigung aus dienstlichen Gründen ist bei Anwendbarkeit des BAT zu beachten. Nach § 53 Abs. 3 BAT ist ein Angestellter nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens nach Vollendung des 40. Lebensjahres, unkündbar. Für die gem. § 53 Abs. 3 BAT unkündbaren Angestellten bestimmt § 55 BAT in Absatz 1 zunächst, dass auch einem solchen Angestellten aus einem in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden Grund fristlos gekündigt werde kann. In Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 BAT ist dann ausgeführt, dass andere wichtige Gründe den Arbeitgeber nicht zur Kündigung berechtigen, wobei dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Angestellten entgegenstehen, ausdrücklich als Beispiel eines solchen zur fristlosen Kündigung nicht ausreichenden wichtigen Grundes bezeichnet werden. Eine fristlose Kündigung eines unkündbaren Angestellten aus betrieblichen Gründen wegen Betriebsstilllegung/Umstrukturierungen etc. ist deshalb bei Geltung des BAT nicht möglich. So hat bereits dass LAG Hannover entschieden, dass eine Gemeindeverwaltung im Rahmen einer Rationalisierungsmaßnahme (Schließung einer Musikschule) im Hinblick auf die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist eines nach §§ 53, 55 BAT unkündbaren Angestellten in ihrem Bereich nicht nur freie Arbeitsplätze anzubieten hat, sondern vielmehr verpflichtet ist, im gesamten Bereich der Gemeindeverwaltung zu prüfen, inwieweit Arbeitsplätze vorhanden sind, die angeboten werden können und die noch zumutbar sind. Sie muss hierbei ggf einen anderen geeigneten Arbeitsplatz
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1 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 264/06, NJW 2008, 1097. 2 Siehe zur Problematik bei außerordentlichen betriebsbedingten Kündigungen aus anderen Gründen BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, NZA 1988, 737; v. 19.6.1986 – 565/85, NZA 1987, 94; Zirnbauer, Die Änderungskündigung, NZA 1995, 1073, 1075; BeckerSchaffner, Änderungskündigung aus materiell-rechtlicher und prozessualer Sicht, BB 1991, 129, 131. 3 Siehe dazu bereits oben Rz. 180 ff. 4 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 33; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 200.
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Teil 2 Rz. 227
Betriebsbedingte Kündigung
freikündigen.1 Das BAG hat eine Freikündigungspflicht allerdings bisher nur im Rahmen des § 15 Abs. 5 KSchG anerkannt und auch dort bisher offen gelassen, ob nicht eine Abwägung zwischen den Interessen des unkündbaren und des betroffenen kündbaren Arbeitnehmers vorgenommen werden müsse.2 Auch in der Literatur wird eine Abwägung überwiegend befürwortet und eine generelle Freikündigungspflicht abgelehnt.3 Einer generellen Pflicht zur Freikündigung steht entgegen, dass sie stets einen Eingriff in die Rechte eines Dritten mit sich brächte, der an sich von den betrieblichen Kündigungsgründen nicht betroffen ist. Das gilt jedenfalls, wenn es sich um Arbeitnehmer handelt, die Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießen. Eine generelle Freikündigungspflicht dürfte zudem die personalwirtschaftliche Flexibilität von Arbeitgebern mit zahlreichen unkündbaren Arbeitnehmern erheblich beeinträchtigen, was mit einer effizienten öffentlichen Verwaltung nicht zu vereinbaren wäre. Es ist nicht Sinn und Zweck des § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 BAT, den öffentlichen Arbeitgeber daran zu hindern, das aus dienstlichen Gründen Gebotene bei der Gestaltung der Arbeitsplätze zu veranlassen, vielmehr soll die Tarifnorm Letzteres gerade ermöglichen.4 Vor diesem Hintergrund dürfte eine Freikündigungspflicht jedenfalls dann nicht bestehen, wenn der unkündbare Arbeitnehmer den freigekündigten Arbeitsplatz nicht innerhalb der für einen geeigneten Stellenbewerber ausreichenden Einarbeitungszeit ausfüllen kann. Der Schutzzweck des § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 BAT rechtfertigt es nicht, dem Arbeitgeber auf dem Umweg über die Auslegung von § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 eine unterqualifizierte Besetzung von Arbeitsstellen aufzubürden.5 Ebenso wenig folgt aus der Tarifnorm, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, eine Mehrfachbesetzung vorzunehmen. Entweder auf das eine oder auf Letzteres liefe es aber hinaus, wenn der Arbeitgeber beispielsweise gezwungen wäre, zur Vermeidung einer Entgeltsenkung in Form der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe eine Stelle entweder mit einem ungeeigneten unkündbaren Arbeitnehmer zu besetzen oder sie so lange freizuhalten, bis der unkündbare Arbeitnehmer eine unter Umständen mehrjährige Qualifizierungsmaßnahme absolviert hat, deren Erfolg im Übrigen auch nicht von vornherein garantiert wäre.6 227
Von dem Verbot der fristlosen Kündigung eines unkündbar Angestellten aus betrieblichen Gründen wegen Betriebsschließung oder Umorganisation enthält Unterabsatz 1 Satz 2 eine Ausnahmeregelung. Danach kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jedenfalls dann zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe kündigen, und zwar unter Einhaltung der in Unterabsatz 3 bestimmten Frist, wenn eine Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen nachweislich nicht möglich ist. Bei dieser Kündigungs1 LAG Hannover v. 27.4.2001 – 16 Sa 2125/00, EzBAT § 55 BAT Nr. 10. 2 BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, BAGE 96, 78. 3 vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 280; KR/Griebeling, § 15 KSchG Rz. 126; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1634; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 185; a.A. KDZ/Kittner/Deinert, § 15 KSchG, Rz. 77a – alle m.w.N.; jegliche Freikündigungspflicht verneinend Schleusener, DB 1998, 2368. 4 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207/05, BB 2007, 668. 5 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207, 05, BB 2007, 668. 6 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207, 05, BB 2007, 668.
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Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung
Rz. 227 Teil 2
möglichkeit handelt es sich um eine im BAT ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit der außerordentlichen Änderungskündigung aus wichtigem Grund, die mit der in Unterabsatz 3 festgelegten Frist ausgesprochen werden muss.1 Vor einer außerordentlichen Änderungskündigung nach § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 2 BAT muss der Arbeitgeber allerdings prüfen, ob der unkündbare Arbeitnehmer durch Versetzung auf einen freien und gleichwertigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann. Dabei muss er auch absehbare Überbrückungszeiträume einbeziehen (Umsetzungen, Änderung der Arbeitsverteilung).2 Auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Untersatz 1 Satz 2 BAT kann jedoch eine außerordentliche Beendigungskündigung mit Auslauffrist nach §§ 626 BGB, 54 Abs. 1 BAT ausnahmsweise zulässig sein. Angesichts der hohen Voraussetzungen bereits für ordentliche Änderungskündigungen, gelten für die in Extremfällen nach § 55 Abs. 2 BAT zulässigen außerordentlichen Änderungskündigungen erheblich verschäfte Maßstäbe, da anderenfalls der vereinbarte Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit wirkungslos wäre. Der besonderen Bindung muss der Arbeitgeber insbesondere bei Prüfung der Frage, welche Vertragsänderungen er dem Arbeitnehmer mit dem Änderungsangebot zumutet, gerecht werden. Nicht jede mit dem Festhalten am Vertragsinhalt verbundene Last kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Änderungskündigung bilden. Entscheidender Gesichtspunkt ist, ob das geänderte unternehmerische Konzept die vorgeschlagenen Änderungen erzwingt, ob diese unabweisbar notwendig und dem Arbeitnehmer zumutbar sind oder ob es im Wesentlichen auch ohne oder mit weniger einschneidenden Änderungen durchsetzbar bleibt.3 Hiervon ausgehend kann ein wichtiger Grund an sich im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, §§ 55, 54 BAT für eine außerordentliche Änderungskündigung zur Reduzierung des Entgelts eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers nach Rechtsprechung des BAG dann vorliegen, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen das Ziel verfolgt, der konkreten Gefahr einer Betriebsschließung wegen Insolvenz zu begegnen. Dies gilt auch für Entgeltreduzierungen in Form des Entfallens einer Jahressondervergütung (Weihnachtsgeld), wenn diese zur Insolvenzvermeidung unabweisbar notwendig ist.4 Ebenso ist ein wichtiger Grund bei einer Verlegung des Sitzes des Arbeitgebers und einer daran anknüpfenden Änderungskündigung zum Zwecke der Änderung des Arbeitsortes denkbar.5
1 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 161/83, AP Nr. 3 zu § 55 BAT; v. 25.10.2001 – 2 AZR 216/00, NZA 2002, 1000; v. 1.3.2007 – 2 AZR 580/05, MDR 2007, 1082; v. 17.10.2007 – 4 AZR 812/06, BB 2008, 1121; LAG Hannover v. 27.4.2001 – 16 Sa 2125/00 EzBAT § 55 BAT Nr. 10; Bredemeier/Neffke, BAT/.O, § 55 Rz. 7. 2 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207/05, BB 2007, 668. 3 BAG v. 28.5.2009 – 2 AZR 844/07; v. 1.3.2007 – 2 AZR 580/05 – BAGE 121, 347; v. 2.3. 2006 – 2 AZR 64/05 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 84 = EzA KSchG § 2 Nr. 58; v. 18.5.2006 – 2 AZR 207/05 – AP BAT § 55 Nr. 5 = EzA KSchG § 2 Nr. 60. 4 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 580/05. MDR 2007, 1082. 5 BAG v. 28.5.2009 – 2 AZR 844/07.
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Teil 2 Rz. 228
Betriebsbedingte Kündigung
Auch gegen die außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung kann sich der Arbeitnehmer wegen entsprechender Anwendung des § 4 Satz 2 KSchG mit der Änderungsschutzklage wehren.1
C. Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung I. Dringende betriebliche Erfordernisse und Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit 228
Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.
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Das betriebliche Erfordernis für die Kündigung setzt einen Überhang an Arbeitskräften voraus. Durch einen solchen Überhang entfällt unmittelbar oder zumindest mittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines/mehrerer Arbeitnehmer/s. Der betriebliche Beschäftigungsbedarf ist geringer, als die hierfür zur Verfügung stehende Zahl vertraglich gebundener Arbeitnehmer.2
230
Die Ursachen für diese betriebliche Situation werden nach der Rechtsprechung traditionell in innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen gesehen.3
231
Außerbetriebliche Ursachen sind Umstände, die von der internen Betriebsorganisation und der Betriebsführung unabhängig sind, die aber einen konkreten Bezug zum Betrieb haben und sich deshalb auf die Arbeitsverhältnisse auswirken, wie z.B. Auftrags- oder Umsatzrückgang, Rohstoff- oder Energiemangel, Streichung von Drittmitteln, Stellenstreichungen im Haushalt.4
232
Der Arbeitgeber wird in der Regel versuchen, auf diese für ihn nachteilige Situation im betriebswirtschaftlichen Sinne angemessen zu reagieren. So können z.B. Auftragsrückgänge den Arbeitgeber dazu veranlassen, den dadurch entstandenen Beschäftigungsüberhang abzubauen. Er kann aber auch versuchen, für seinen Betrieb weitere Marktbereiche zu erschließen, um neue Kunden zu gewinnen. Der Arbeitgeber reagiert also auf die äußere betriebliche Situation mit einer gestaltenden unternehmerischen Entscheidung.5 Je nach dem Ergebnis dieser Entscheidung kann dies dazu führen, dass in bestimmten Aufgabenbereichen der Beschäftigungsbedarf für einen/mehrere Arbeitnehmer entfällt.
1 Bredemeier/Neffke/Cerff/Weizenegger-Weizenegger TvöB/TVV-L, 3. Auflage 2007, vor § 34, Rz. 52. 2 BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, EzA § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung Nr. 144; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 477. 3 BAG v. 20.2.1986 – 2 AZR 212/85, NZA 1986, 823; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181; v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098; v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 475. 5 BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 365/04 (n.v.) sowie BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05 (Parallelentscheidung), BB 2006, 1575.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 236 Teil 2
Innerbetriebliche Ursachen sind dagegen alle internen betrieblichen Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichen Gebiet, durch die der Arbeitgeber seine Entscheidung über die der Geschäftsführung zugrundeliegende Unternehmenspolitik im Hinblick auf den Markt oder die Organisation des Betriebes verwirklicht und die sich auf den Beschäftigungsbedarf im Betrieb auswirken. Diese Ursachen fallen regelmäßig mit einer unternehmerischen Entscheidung zusammen.1
233
Die Unterscheidung, die sich aus dem KSchG nicht ergibt, dient im Wesentlichen der Systematisierung und Verdeutlichung des Kündigungssachverhalts in einem Prozess. Sie erfordert von einem Unternehmer eine genaue Analyse des Sachverhalts.2 Durch die Unternehmerentscheidung kann es zum Wegfall von Beschäftigungsvolumen kommen. Dabei ist zwischen dem Wegfall neutralen und dem Wegfall personenbezogenen Beschäftigungsvolumens zu unterscheiden. Die Kürzung neutralen Beschäftigungsvolumens bedeutet den Abbau des Arbeitskräfteüberhangs im Allgemeinen, ohne Bezug zu einer bestimmte Person oder einem bestimmten Arbeitsplatz. Dies ist der „Normalfall“ der betriebsbedingten Kündigung. Beim Wegfall personenbezogenen Beschäftigungsvolumens besteht dagegen unmittelbar ein Bezug zu einer bestimmten, wegfallenden Stelle. Dies ist z.B. im Fall der Druckkündigung gegeben, bei der der Arbeitgeber auf Verlangen Dritter zur Kündigung eines bestimmten Arbeitgebers gezwungen wird.
234
Im Fall des Wegfalls neutralen Beschäftigungsvolumens steht mit der Entscheidung des Arbeitgebers zur Streichung von Arbeitsplätzen noch nicht fest, welchen Personen gekündigt werden soll. Soll in einem bestimmten Arbeitsbereich gekürzt werden und gibt es mehrere Arbeitnehmer, die für eine Kündigung in gleicher Weise in Betracht kommen, ist gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG unter ihnen eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten zu treffen.3 Anders als bei der verhaltens- oder personenbedingten Kündigung, die sich unmittelbar auf einen bestimmten Arbeitnehmer bezieht, wird der Personenbezug eines Wegfalls neutralen Beschäftigungsvolumens im Betrieb erst durch die Sozialauswahl hergestellt.
235
1. Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens a) Stellenabbau und Arbeitsverdichtung Zum Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens kommt es typischerweise durch Stellenabbau. Häufig geschieht dies im Zusammenhang mit einem vom Arbeitgeber beschlossenen Konzept zur Rationalisierung des Betriebes. So kann er sich z.B. entschließen, vorher bei ihm angefallene Arbeiten an Fremdfirmen zu vergeben und den dadurch entstehenden Arbeitskräfteüberhang abzubauen oder er kann sich für einen verstärkten Einsatz von Maschinen entscheiden, wodurch ebenfalls der Beschäftigungsbedarf für mehrere Arbeitnehmer entfallen würde.
1 Hillebrecht, ZfA 1991, 94. 2 Ascheid, DB 1987, 1144, 1148. 3 Siehe dazu unten Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung, Rz. 338 ff.
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Teil 2 Rz. 237
Betriebsbedingte Kündigung
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Von einem Stellenabbau in Verbindung mit Arbeits- oder Leistungsverdichtung spricht man aber erst, wenn der Arbeitgeber beschließt, dass er die bei ihm ohne Änderung vorhandene Arbeit mit weniger Arbeitskräften effektiver bewältigen will, dass also die Arbeit von weniger Mitarbeitern durch erhöhte oder anders organisierte Arbeitsleistung pro Arbeitnehmer erledigt werden soll.1
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Die Entscheidung dazu stellt eine freie Unternehmerentscheidung dar. Entfällt durch die Umsetzung eines solchen Entschlusses das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer, kann dies eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen. Eine Unternehmerentscheidung kann nämlich auch darin liegen, auf Dauer mit weniger Personal zu arbeiten. Innerhalb der durch gesetzliche, tarifvertragliche und betriebliche Normen sowie durch die Vereinbarungen des Arbeitsvertrages gesetzten Grenzen kann der Arbeitgeber frei entscheiden, wie er die Arbeitnehmer zur Erfüllung des Betriebszwecks am effektivsten einsetzt. Es gehört zur Organisation und Gestaltung eines Betriebes, neben der Anschaffung von Maschinen, Gerätschaften sowie Vorrichtungen und der Gestaltung der Arbeitsabläufe die Stärke der Belegschaft, mit der das Betriebsziel erreicht werden soll, festzulegen. Soweit dadurch eine Leistungsverdichtung eintritt, wird sie als Konzept gewollt. Dadurch notwendig werdende Änderungen sind zu akzeptieren.2 Allerdings besteht auch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit nicht um ihrer selbst willen. Ihre Ausübung darf den dem Arbeitnehmer gesetzlich gewährten Bestandsschutz nicht wirkungslos machen.3 Die freie Unternehmerentscheidung ist nicht selbst Kündigungsgrund, sondern sie beschreibt den Rahmen, in dem der Arbeitgeber frei ist, die Beschäftigung und das Zusammenwirken seiner Arbeitnehmer zu ordnen und aus dieser Ordnung dann den Bedarf an Arbeitskräften abzuleiten und durch den Abschluss und die Ausgestaltung von Verträgen oder durch Kündigungen zu realisieren. Die Kündigung muss sich an dieser vom Arbeitgeber selbst geschaffenen und von ihm im Kündigungsschutzprozess darzulegenden Arbeitsorganisation messen lassen. Besteht nach ihr der Beschäftigungsbedarf für Arbeitnehmer fort, so ist die Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.4 Wenn also beispielsweise. ein Arbeitgeber nach eigener Aussage nur den Vertretungsbedarf durch rechtlich zulässig gestaltete Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern abdeckt, denen er durch „Rahmenverträge“ verbunden ist, so ist das durch den Vertretungsbedarf beschriebene Beschäftigungsvolumen nicht „frei“. Wenn sich ein Arbeitgeber hierauf beruft, genügt es den Anforderungen an seine Darlegungs- und Beweislast, 1 MünchArbR/Berkowsky, § 138 Rz. 117. 2 BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095; v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 1157; auch BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00 zur Änderungskündigung; LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, NZA-RR 1998, 160; v. 15.8.1997 – 11 (10) Sa 137/97, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44; LAG Bremen v. 3.5.1996 – 4 Sa 259/95, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 16; aus der Literatur siehe z.B. KR/Griebeling, § 1 Rz. 561 m.w.N.; Zepter, Freie Unternehmerentscheidung bei Personalabbau, DB 2000, 474, 475; eingeschränkt Quecke, Unternehmerentscheidung und Personalabbau, NZA 1999, 1247, 1249; vgl. auch BAG v. 20.3.1986 – 2 AZR 294/85, DB 1986, 2442, wonach allein der Entschluss, Lohnkosten zu senken, keine bindende Unternehmerentscheidung sein soll. 3 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, BAGE 92, 79. 4 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 240 Teil 2
wenn er den durchschnittlichen Umfang des Vertretungsbedarfs und eine hiermit dauerhaft verbundene Vertragspraxis aufzeigt. Dabei muss ausgeschlossen sein, dass – auch nicht – vertretungsbedingter Beschäftigungsbedarf in nennenswertem Umfang durch die „Rahmenverträge“ abgedeckt wird. Denn dann entspräche die Kündigung nicht dem vom Arbeitgeber dargelegten und im Rahmen der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit liegenden Betriebskonzept. Dann wäre die Kündigung nicht durch das Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten begründet und ein dringendes betriebliches Bedürfnis läge nicht vor.1 Eine solche Unternehmerentscheidung ist von den Gerichten nur beschränkt überprüfbar.2 Das Arbeitsgericht darf zwar prüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und ob durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung selbst nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (sog. Missbrauchskontrolle).3
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Eine Grenze für die Unternehmerentscheidung ergibt sich hier aus der Realisierbarkeit einer bei den übrigen Arbeitnehmern eintretenden Leistungsverdichtung. Mit der Arbeitsintensivierung dürfen den verbleibenden Arbeitnehmern keine überobligatorischen Leistungen abverlangt werden. Ein Arbeitnehmer schuldet diejenige Arbeitsleistung, die er bei angemessener Anspannung seiner individuellen Kräfte und Fähigkeiten erbringen kann. Verlangt der Arbeitgeber als Folge des Leistungsverdichtungskonzepts wesentlich darüber hinausgehende Arbeitsleistungen, ist die Entscheidung des Arbeitgebers offenbar unsachlich und für die Gerichte unbeachtlich. Die deshalb ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.4 Eine offenbare Unsachlichkeit der Unternehmerentscheidung kann sich z.B. auch aus dem Verstoß gegen Tarifverträge ergeben. Dies hat das BAG z.B. für den Verstoß einer Unternehmerentscheidung gegen eine durch Tarifvertrag geregelte Maschinenbesetzungsvorgabe in der Druckindustrie entschieden. Nach der quantitativen Besetzungsregel war den Fachkräften mindestens eine Hilfskraft beizustellen.5 Der Unternehmer hatte sich in diesem Fall entschieden, die Stellen der Hilfskräfte abzubauen. Nach dem BAG bezweckt die tarifvertragliche Regelung zwar nicht unmittelbar den Arbeitsplatzschutz der gekündigten Hilfskraft. Diese kann sich aber anlässlich einer betriebsbedingten Kündigung, die auf die unternehmerische Maßnahme zur dauerhaften Stellenreduzierung zurückgeführt wird, im Wege der Reflexwirkung darauf berufen, die Unternehmerentscheidung sei offensichtlich unsachlich, wenn die Weiterbeschäftigung der Fachkraft ohne den Schutz vor einer physischen oder psychischen Überlastung durch Zuordnung einer Hilfskraft nach dem anwendbaren Tarifvertrag nicht zulässig ist.
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1 Vgl. BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154. 2 Siehe zu der Unternehmerentscheidung ausführlich unter Rz. 321 ff. 3 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 740/00, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 117; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095. 4 So z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 561. 5 BAG v. 17.9.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 1157.
Mues
309
Teil 2 Rz. 241
Betriebsbedingte Kündigung
241
Besonderheiten ergeben sich im Fall der Unternehmerentscheidung in Form eines Arbeitsverdichtungskonzeptes auch bei der Darlegungs- und Beweislast im Prozess.
242
Im Allgemeinen gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG muss der Arbeitgeber die Kündigungstatsachen beweisen. Er muss – sofern nicht ausnahmsweise auf Grund der Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG die Betriebsbedingtheit der Kündigung vermutet wird1 – bei einer betriebsbedingten Kündigung darlegen und beweisen, dass dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung bedingen. Er darf sich dabei nicht mit schlagwortartigen Formulierungen begnügen. Seine Angaben müssen so substantiiert sein, dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht auf ihr tatsächliches Vorliegen und die Unsachlichkeit überprüft werden können. Für das Gericht muss insbesondere erkennbar sein, ob und weshalb das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen ist. Bei Kündigung aus innerbetrieblichen Gründen muss der Arbeitgeber z.B. darlegen, welche organisatorischen oder technischen Maßnahmen er angeordnet hat und wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirken.2 Ist die Unternehmerentscheidung tatsächlich durchgeführt, wird im Prozess zunächst angenommen, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist. Diese Vermutung beruht auf dem Erfahrungssatz, dass sich im Normalfall niemand ohne Not selbst schädigen wird. Ein „offensichtlich nicht unvernünftiger Arbeitgeber“ wird nur diejenigen unternehmerischen Entscheidungen treffen, die der Erhaltung und Verbesserung des Unternehmens dienen. Die Beweislast für die Unsachlichkeit obliegt dem Arbeitnehmer. Er hat im Prozess die Umstände darzulegen und im Streitfall zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass eine innerbetriebliche Maßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.3
243
Diese Vermutung lässt sich aber nicht mehr aufrechterhalten, wenn – wie in den Fällen der Arbeitsverdichtung – die weitgehend gerichtsfreie Organisationsentscheidung zur Personalreduzierung sich praktisch auf die kontrollbedürftige Kündigung reduziert. Dann können die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne eine nähere Konkretisierung nicht voneinander getrennt werden. Würde auch in diesem Fall die Vermutung der Sachlichkeit gelten, könnte der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auch ohne sachlichen Grund „loswerden“, indem er die Kündigung einfach mit der Begründung Personalabbau ausspricht.4 Hier muss der Arbeitgeber sein Konzept vortragen, als dessen Folge ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer
1 Hierzu unter Rz. 629 ff. (Interessensausgleich mit Namensliste). 2 Siehe ausführlich zur Darlegungslast des Arbeitgebers BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 1157; v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, EzA Nr. 35 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 3 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, NZA 1987, 776; v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 57; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095; v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098; aus der Literatur z.B. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 463. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 557–559.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 246 Teil 2
entfallen ist.1 Er muss z.B. darlegen, in welchem Umfang die Arbeiten des gekündigten Arbeitnehmers zukünftig anfallen und wie diese Arbeiten von dem verbliebenen Personal ohne überobligatorische Leistungen erledigt werden können.
" Praxistipp: Aus dem Konzept des Arbeitgebers muss sich konkret ergeben,
244
Im Wege der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ist es dann Sache des Arbeitnehmers, hierauf – soweit ihm dies, z.B. aus seiner bisherigen Arbeit möglich ist – zu erwidern und Tatsachen vorzutragen, die auf offenbare Sachwidrigkeit oder Willkür schließen lassen. Danach muss sich der Arbeitgeber konkret auf den Vortrag des Arbeitnehmers einlassen.2
245
wie die Bewältigung der betrieblichen Arbeitsabläufe künftig ohne den gekündigten Arbeitnehmer sichergestellt ist. Der Arbeitgeber muss im Ergebnis dieselben organisatorischen Entscheidungen treffen, die erforderlich sind, wenn der Arbeitnehmer gegen seinen Willen etwa durch einen schweren Unfall ausscheidet und nicht durch einen Nachfolger ersetzt werden soll. Für ein überzeugendes Konzept kann es erforderlich sein, die ständigen Arbeitsaufgaben des gekündigten Arbeitnehmers zu atomisieren und die einzelnen Teile konkret anders zu organisieren, z.B. durch ersatzlosen Wegfall oder durch Übertragung auf andere Arbeitnehmer zur zusätzlichen Miterledigung. Dieses Konzept i.S. einer „Vorher-Nachher-Betrachtung“ kann zur schlüssigen Darstellung der Unternehmensentscheidung einer innerbetrieblichen Organisationsmaßnahme gefordert werden, da die Entscheidung für einen Verzicht auf den gekündigten Arbeitnehmer ohne ein solches Konzept – abgesehen vom Ausnahmefall des schon bisher völlig beschäftigungslos untätigen Arbeitnehmers – nicht zu verantworten und damit unsachlich wäre.
b) Umverteilung von Beschäftigungsvolumen Im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit kann der Arbeitgeber sich nicht nur dazu entschließen, den Personalbestand zu reduzieren und eine Arbeitsverdichtung hinzunehmen, sondern er kann sich auch dafür entscheiden, das vorhandene Beschäftigungsvolumen aufzulösen und die Aufgaben neu zu verteilen. Auch in diesem Fall kann es zu einer Arbeitsverdichtung kommen, z.B. wenn Arbeitsvorgänge, die bisher von einem bestimmten Arbeitsplatz aus erledigt wurden, auf andere Arbeitnehmer zur Miterledigung umverteilt werden. Entfällt aufgrund der Umverteilung ein Arbeitsplatz völlig, rechtfertigt dies eine betriebsbedingte Kündigung des dort beschäftigten Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber ist – von Fällen der Willkür und des Missbrauchs abgesehen – 1 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154. 2 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 740/00; v. 17.6.1999 – 2 AZR 1999, NZA 1999, 1095; v. 17.6. 1999 – 2 AZR 456/99, NZA 1999, 1157; v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098; aus der Literatur z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 557; Schrader, Die geänderte Rechtsprechung des BAG zur Unternehmerntscheidung, NZA 2000, 401, 404; Bitter, Der kündigungsrechtliche Dauerbrenner: Unternehmerfreiheit ohne Ende?, DM 1999, 1214, 1216; APS/Kiel, § 1 Rz. 465; kritisch zu den Entscheidungen des BAG Quecke, Unternehmerentscheidung und Personalabbau, NZA 1999, 1247, 1250, 1251.
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Teil 2 Rz. 247
Betriebsbedingte Kündigung
frei, die betrieblichen Abläufe so zu organisieren, wie er es für zweckmäßig hält. Das dadurch beschriebene betriebliche Erfordernis berechtigt ihn zur Auflösung oder Umgestaltung der vorhandenen Arbeitsverhältnisse in eben dem Maße, in dem es zur Anpassung an die neue Organsiation notwendig ist, allerdings unter Beachtung der weiteren, sich aus dem Gesetz ergebenden Maßgaben (z.B. Berücksichtigung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten, Sozialauswahl). Dem gemäß ist ein verändertes, betriebliches Gesamtkonzept, das den Ausspruch von Beendigungs- und Änderungskündigungen umfasst, nicht zu beanstanden, welches die bisherigen Tätigkeitszuweisungen an Spezialarbeitsplätze aufgibt und die Zuweisung aller anfallenden Arbeiten an alle Arbeitnehmer vorsieht. Daran ändert auch die mit einer solchen Konzeptänderung einhergehende Reduzierung der für die betrieblichen Aufgaben zur Verfügung gestellten Arbeitskapazität und die damit verbundene Zielsetzung, zukünftig die bisherigen Tätigkeiten nur noch in dem Umfang ausführen zu lassen, in dem die vom Arbeitgeber festgelegte Kapazität dies ermöglicht, nichts.1 247
Beachtung verdient hier jedoch die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber muss den Gerichten substantiiert darlegen, weshalb aufgrund der Umverteilung das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entfallen ist. Er muss schlüssig und nachvollziehbar ausführen, was mit den vom bisherigen Arbeitsplatzinhaber wahrgenommenen Aufgaben zukünftig geschieht, wie sie also entweder ganz entfallen oder ganz oder teilweise auf die verbleibende Belegschaft verteilt werden.2 Der Arbeitgeber muss konkret regeln, was aus der bisher von dem zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer wahrgenommenen Arbeitsvorgängen werden soll. Er muss als dauerhafte Regelung dieselben Entscheidungen treffen, die er treffen müsste, wenn der Arbeitnehmer als Folge eines unerwarteten Unfalls nicht mehr zur Verfügung steht und auch nicht ersetzt werden kann oder soll. Erst wenn geregelt ist, was mit der bisher durchgeführten Arbeit werden soll, kann der Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer verzichten. Diese konkrete Neuregelung der Arbeitsvorgänge ist das Konzept, das den Kern der unternehmerischen Etnscheidung im Hinblick auf die Kündigung ausmacht.
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" Praxistipp: Um der Darlegungslast des Arbeitgebers gerecht werden zu kön-
nen, hat es sich in der Praxis bewährt, die einzelnen Arbeitsvorgänge des wegfallenden Arbeitsplatzes konkret und vollständig in einer Spalte einer Tabelle einzeln aufzulisten und in der benachbarten Spalte darzustellen, wie, durch wen und an welchem Arbeitsplatz die einzeln aufgeführten Arbeitsvorgänge zukünftig miterledigt werden oder eratzlos entfallen. Eine derartige Aufstellung ermöglicht es dem Arbeitgeber sowohl, die Umverteilung genau zu durchdenken, als auch einen substantiierten Vortrag vor Gericht vorzubereiten und dies zugleich zur eventuell erforderlichen Infromation an den Betriebsrat zu verwenden.
1 BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 365/04 (n.v.) sowie BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05 (Parallelentscheidung), BB 2006, 1575. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 715.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 251 Teil 2
c) Arbeitsmangel und Auftragsrückgang Zu einem Arbeitsmangel, d.h. zu einem Rückgang des Arbeitsanfalles, kommt es neben anderen, betriebsinternen Ursachen, wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen auch durch Auftrags- oder Umsatzrückgang. Nicht schon jeder – geringfügige – Auftragsrückgang berechtigt allerdings zu einer betriebsbedingten Kündigung. Kurzfristige Auftragslücken sind generell nicht geeignet, eine betriebsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen.1 Erforderlich ist vielmehr, dass die Verminderung des Umsatzes im Betrieb dazu führt, dass der Arbeitsanfall so zurückgeht, dass für einen oder mehrere Arbeitnehmer auf Dauer ein Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt.2
249
Da es sich bei dem Umsatzrückgang um eine externe Ursache handelt, rechtfertigt dieser noch nicht unmittelbar eine betriebsbedingte Kündigung. Wie bei allen außerbetrieblichen Gründen ist auch hier eine gestaltende unternehmerische Entscheidung notwendig. Die betriebswirtschaftliche Situation eines Unternehmens als solche führt in keinem Fall zu einem Wegfall eines Arbeitsplatzes. Der Arbeitgeber kann selbst entscheiden, wie er auf eine rückläufige Auftragslage reagiert und welches Konzept er dafür entwickelt. Er muss nicht zwangsläufig einen/mehrere Arbeitnehmer entlassen, sondern kann z.B., insbesondere, wenn er berechtigte Hoffnungen hat, dass der Auftragsrückgang nur von kurzer Dauer sein wird, Kurzarbeit einführen und auf Kündigungen vorläufig verzichten, beispielsweise bei witterungsabhängigem Beschäftigungsrückgang. Unterliegt in einem Betrieb der Arbeitsanfall je nach Jahreszeit erheblichen, witterungsbedingten Schwankungen und haben die Tarifvertragsparteien und die Betriebspartner für dieses Problem durch die Festlegung einer flexiblen Jahresarbeitszeit eine Lösung geschaffen, die betriebsbedingte Kündigungen vermeiden soll, so ist ein dringendes betriebliches Erfordernis zu einer Beendigungskündigung regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber diese Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung ausgenutzt hat und trotzdem noch ein Beschäftigungsüberhang besteht.3
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Entscheidet er sich jedoch für ein neues Betriebskonzept, durch das im Betrieb Beschäftigungsbedarf entfällt, kann dies ein betriebliches Erfordernis zur Kündigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer darstellen.4 Von dieser Regel, dass der Auftragsrückgang zunächst innerbetrieblich umgesetzt werden muss, gibt es keine Ausnahmen. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb so organisiert hat, dass er die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar aus dem Auftragsvolumen errechnet. In diesem Fall erfolgt zwar nach dem Umsatzrückgang keine gestaltende Unternehmerentscheidung mehr. Der Personalbedarf berechnet sich vielmehr unmittelbar nach der verringerten Arbeitsmenge, die sich wiederum aus dem Rückgang des Umsatzes er1 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 412/05, RdA 2007, 176 sowie bereits LAG Köln v. 10.12.1998 – 6 Sa 493/98, NZA 1999, 991. 2 BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, NZA 1986, 155; v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65; v. 22.9.2005 – 2 AZR 365/04 (n.v.) sowie v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05 (Parallelentscheidung), BB 2006, 1575. 3 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 418/06, EzA – SD 2008 Nr. 5, 6. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 484.
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Teil 2 Rz. 252
Betriebsbedingte Kündigung
gibt, so dass ein Umsatzrückgang automatisch den Wegfall von Arbeitsplätzen bewirkt.1 Auch in diesem Fall liegt jedoch eine Unternehmerentscheidung vor, die vom BAG als „verdeckte Unternehmerentscheidung“2 oder als „Selbstbindung des Arbeitgebers“3 bezeichnet wird. Der Entschluss, den Personalbedarf von konkreten Umsatzzahlen oder von den – entsprechend den erteilten Aufträgen – tatsächlich vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten abhängig zu machen, stellt eine vorweggenommene Unternehmerentscheidung dar, die später automatisch zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt.4 252
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast im Prozess gelten die allgemeinen Grundsätze. Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Im Fall des Auftragsrückgangs als Kündigungsursache genügt er seiner Darlegungs- und Beweislast nicht schon dann, wenn er die rückläufigen Umsatz- oder Auftragszahlen vorträgt. Er muss vielmehr substantiiert und für das Gericht nachvollziehbar darlegen und beweisen, dass durch den Auftragsrückgang mangels ausreichenden Arbeitsanfalles ein Arbeitskräfteüberhang entsteht.5 Im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung entsteht ein entsprechender Überhang an Leiharbeitnehmern, wenn der Einsatz von Leiharbeitnehmern endet, ohne dass der Arbeitnehmer wieder bei anderen Entleihern oder im Betrieb des Verleihers sofort oder auf absehbare Zeit eingesetzt werden kann. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf einen auslaufenden Auftrag und auf einen fehlenden Anschlussauftrag regelmäßig nicht aus, um einen – dauerhaften – Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss anhand der Auftrags- und Personalplanung vielmehr darstellen, warum es sich nicht nur um eine – kurzfristige – Auftragsschwankung, sondern um einen dauerhaften Auftragsrückgang handelt und ein anderer Einsatz des Arbeitnehmers bei einem anderen Kunden bzw. in einem anderem Auftrag – auch ggf. nach entsprechenden Anpassungsfortbildungen – nicht in Betracht kommt.6 Liegt eine sog. Selbstbindung des Arbeitgebers vor, berechnet er also den Personalbedarf unmittelbar nach der Arbeitsmenge, so genügt er seiner Vortragslast, wenn er die Richtigkeit des Berechnungsmodus so darlegt, dass aus der Verringerung des Umsatzes auf die Veränderung der Beschäftigungsmöglichkeiten geschlossen werden kann.7 Die Gerichte unterstellen dabei offensichtlich, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der strittigen Kündigungen ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet hat. In der Praxis stellt dies jedoch oft ein Problem dar. Viele Arbeitgeber beschränken sich nur darauf, den sich aus dem Auftragsrückgang und dem entsprechenden verringerten Arbeitsanfall ergebenden Personalbedarf mehr oder weniger grob und deshalb mehr oder weniger ungenau zu schätzen. Die meisten Probleme der Arbeitgeber bei Prozessen über betriebsbedingte Kündigungen ergeben sich dann aus der Diskre1 2 3 4 5
BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65. BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, NZA 1986, 155. BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 518; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 227. BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 412/05, RdA 2007, 176; v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, NZA 1986, 155. 6 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 412/05, RdA 2007, 176. 7 BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65.
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Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 254 Teil 2
panz zwischen ihrer ungenauen Schätzung und den Erwartungen der Gerichte an einen exakten Sachvortrag.1 Die Nachprüfung des Gerichts ist im Streitfall beschränkt. Die Unternehmerentscheidung, die der Arbeitgeber trifft, um seinen Betrieb an die veränderte Auftragslage anzupassen, unterliegt der beschränkten Missbrauchskontrolle, kann also nur darauf überprüft werden, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.2 Die Arbeitsgerichte prüfen nur, ob durch einen außerbetrieblichen Grund – Auftragsrückgang – ein Überhang an Arbeitskräften entstanden ist, durch den unmittelbar oder mittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen ist. Bei dieser Prüfung ist nicht auf einen „bestimmten räumlich fixierten Arbeitsplatz“ abzustellen, weil Art und Ort der Tätigkeit eines Arbeitnehmers oft wechseln und es wegen des Gebots der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG bei mehreren vergleichbaren Arbeitsplätzen kündigungsrechtlich unerheblich ist, welcher bestimmte Arbeitsplatz entbehrlich geworden ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob unter Respektierung einer etwa bindenden Unternehmerentscheidung mit einem geringeren oder veränderten Arbeitsanfall auch das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung für die gekündigten Arbeitnehmer entfallen oder innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer gesunken ist. So hat beispielsweise ein Arbeitgeber, der ein Bauunternehmen betreibt und drei Maurern gekündigt hat, schlüssig dargelegt, die Kündigungen seien aus dringenden betrieblichen Gründen erfolgt, wenn er in nachvollziehbarer Weise ausgeführt hat, aus einem bestimmten Auftragsrückgang in Verbindung mit dem Auslaufen einer bestimmten Zahl von Baustellen ergebe sich, dass für drei von zehn Maurern kein Beschäftigungsbedürfnis mehr bestehe. Unerheblich für die Betriebsbedingtheit der Kündigung ist, ob gerade auf der Baustelle, auf der die gekündigten Maurer beschäftigt wurden, noch Arbeit vorhanden ist. Welchen drei der zehn Maurern gekündigt werden kann, ist eine Frage der sozialen Auswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG.3
253
Hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzungen ist – wie allgemein für die Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung4 – der Zugang der Kündigungserklärung der maßgebliche Zeitpunkt.5 Es ist auf die im Zeitpunkt des Zugangs bestehenden betrieblichen Verhältnisse abzustellen, wozu auch eine Prognose für die Zeit nach dem Kündigungstermin gehört. Es ist daher nicht erforderlich, dass bereits bei der Kündigungserklärung der Arbeitsanfall zurückgegangen ist. Wird eine Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände konkrete und greifbare Formen angenommen haben. Davon ist aus-
254
1 Zepter, DB 2000, 474, 475. 2 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145; v. 26.9.1996 – 2 AZR 200/96, NZA 1997, 202; v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566. 3 BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, NZA 1986, 155; v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65. 4 St. Rspr. vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, EzA KSchG § 1 Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1 EzA m.w.N. 5 BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, NZA 1986, 155; LAGE Köln v. 10.12.1998 – 6 Sa 493/98, NZA 1999, 991.
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Teil 2 Rz. 255
Betriebsbedingte Kündigung
zugehen, wenn aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung bei Ausspruch der Kündigung absehbar ist, zum Zeitpunkt des Vertragsendes werde mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erfordernden betrieblichen Grundes gegeben sein.1 Dies gilt auch bei Kündigung, die durch außerbetriebliche Gründe, wie z.B. Auftragsrückgang, veranlasst sind, so z.B. wenn im Zeitpunkt der Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist, dass bei Ablauf der Kündigungsfrist bei einem Unternehmen ein Großauftrag gekündigt werden wird.2 255
Umgekehrt gehört zu der Prognose auch die Berücksichtigung bereits konkret absehbarer künftiger Erhöhung von Beschäftigungsvolumen wie etwa durch bereits abgeschlossene neue Aufträge oder Expansion des Betriebes oder Unternehmens. d) Technische Rationalisierung
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Zu einem Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens und damit zu betriebsbedingten Kündigungen kommt es häufig auch durch technische Rationalisierungsmaßnahmen.
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Unter dem Begriff technischer Rationalisierung versteht man innerbetriebliche Veränderungen im technischen oder organisatorischen Bereich, die mit dem Ziel durchgeführt werden, Arbeitsabläufe zu optimieren und so die betriebliche Ertragslage zu verbessern.3 Besonders durch Rationalisierungsmaßnahmen technischer Art, wie z.B. die Einführung arbeitssparender Maschinen, durch die die vorher beim Arbeitnehmer anfallenden Arbeitsvorgänge anderweitig technisch erledigt oder zumindest beschleunigt werden, wird der Arbeitsanfall im Betrieb nicht unerheblich reduziert.4 In vielen Fällen folgt danach eine organisatorische Rationalisierung, bei der die Arbeitsabläufe gestrafft oder völlig neugeordnet werden. Kommt es zu einem Überhang an Arbeitskräften und entfällt dadurch die Beschäftigungsmöglichkeit für den betroffenen Arbeitnehmer bzw. ist das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer gesunken, kann die Rationalisierungsmaßnahme eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen.
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Der Entschluss zur Durchführung der Rationalisierungsmaßnahme selber stellt eine freie Unternehmerentscheidung dar. Er ist daher nur eingeschränkt gerichtlich im Rahmen der Missbrauchskontrolle dahin zu überprüfen, ob sie offen-
1 St. Rspr. des BAG, vgl. BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, EzA BGB § 613a Nr. 80; v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70; v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 87; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, EzA KSchG § 1 Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1; v. 3.9. 1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147. 2 LAG Hannover v. 16.2.2001 – 3 Sa 1487/00, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 58. 3 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 598. 4 So z.B. in BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075, wo der Arbeitgeber elektronische Hilfsmittel mit einbezogen und dadurch den Arbeitsanfall reduziert hat.
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Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 260 Teil 2
sichtlich unsachlich oder willkürlich ist.1 Als sachlicher Grund wurde z.B. anerkannt, dass die Rationalisierungsmaßnahme aus Kostengesichtspunkten erfolgte.2 Zusätzlich gilt hier die für den Arbeitgeber günstige Vermutung, dass eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte Rationalisierungsmaßnahme aus sachlichen Gründen erfolgte, Rechtsmissbrauch also die Ausnahme ist.3 Wie immer können die Gerichte jedoch überprüfen, ob die vom Arbeitgeber behauptete technische Maßnahme auf betrieblicher Ebene tatsächlich umgesetzt wurde und wie sie sich auf die Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer ausgewirkt hat.4 Deshalb muss der Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess Art, Zeitpunkt und Umfang einer technischen Rationalisierungsmaßnahme darlegen und aufzeigen, wie sie sich auf die konkret betroffenen Arbeitsplätze ausgewirkt hat.5 Im Fall der Einführung einer kombinierten technischen/organisatorischen Rationalisierungsmaßnahme ist der Arbeitgeber beispielsweise seiner Darlegungslast nachgekommen, wenn er im Einzelnen vorträgt, inwiefern durch die zeitlich genau aufgeführten Maßnahmen – anderweitige Verteilung der Arbeit, Einbeziehung von technischen Hilfsmitteln und Wegfall bzw. Einschränkung von Aufgaben – eine Reduzierung der Dienstleistungen erreicht wird.6 Dieser Vortrag wird dem Arbeitgeber regelmäßig auch möglich und zumutbar sein. Bei Unternehmerentscheidungen, die sich auf die Änderung des Betriebsablaufs bzw. die Organisation beziehen, hat der Arbeitgeber schon wegen der finanziellen Investition in der Regel genaue Vorstellungen vom Rationalisierungseffekt, d.h. davon, mit welcher Anzahl von Arbeitnehmern in bestimmten Bereichen der Produktion oder der Verwaltung er künftig seine Betriebszwecke verfolgen kann.7
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e) Betriebsstilllegung und Betriebseinschränkung Unter einer Betriebsstilllegung versteht man die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Er muss entschlossen sein, seinen Betrieb endgültig einzustellen.8 Solange der Arbeitgeber den Stilllegungsbeschluss lediglich erwo1 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, NZA 1987, 776; v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075 zu weiteren Entscheidungen siehe oben Rz. 238, 239. 2 BAG v. 26.4.1990 – 2 AZR 390/89, BAGE 64, 354, 367; v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075. 3 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145. 4 BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65; v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 553. 6 Zu einem insoweit ausreichenden Arbeitgebervortrag siehe BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075. 7 Zepter, DB 2000, 474, 475. 8 St. Rspr., z.B. so bereits schon BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 873; v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212; v. 7.7.2005 – 2 AZR 447/04, NJW 2006, 2508.
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Teil 2 Rz. 261
Betriebsbedingte Kündigung
gen, aber noch nicht endgültig gefasst hat, kommt ein Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens, d.h., ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht in Betracht.1 Im Regelfall gehört dazu die tatsächliche und vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit, die Auflösung der dem Betriebszweck dienenden Organisation, die Kündigung aller Arbeitsverhältnisse und die Herauslösung der Produktionsmittel aus dem Produktionsprozess, was im Wesentlichen durch deren getrennte Veräußerung an verschiedene Erwerber geschehen kann.2 Einer Betriebsstilllegung steht die Weiterführung von Kundenbeziehungen durch andere, ausländische Gesellschaften nach betriebsbedingten Kündigungen nicht zwingend entgegen. Sie kann vielmehr nach einer differenzierten Gesamtbetrachtung als eine Zerschlagung der bisherigen betrieblichen Organisation bewertet werden.3 Eine Betriebsstilllegung kann auch dann vorliegen, wenn die Auflösung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft unter Aufgabe des Betriebszwecks zwar nicht von unbestimmter Dauer ist, sondern für eine im Voraus festgelegte, aber relativ lange Zeit erfolgt. Werden nach Einstellung der Produktion die Arbeitsverhältnisse der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gekündigt, so liegt in der Regel eine Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft (Betriebsstilllegung) vor, wenn im Kündigungszeitpunkt davon auszugehen ist, dass eine eventuelle Wiederaufnahme der Produktion erst nach einem längeren, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum erfolgen kann, dessen Überbrückung mit weiteren Vergütungszahlungen dem Arbeitgeber nicht zugemutete werden kann. Andererseits spricht eine alsbaldige Wiedereröffnung gegen eine ernsthafte Stilllegungsabsicht.4 261
Eine Betriebsstilllegung stellt den klassischen Fall eines dringenden betrieblichen Erfordernisses dar und rechtfertigt eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung.5 Zu beachten ist dabei, dass die Grundsätze für die soziale Rechtfertigung von Kündigungen wegen Betriebsstilllegung auch uneingeschränkt für gemeinnützige, am Markt teilnehmende Unternehmen gelten.6 Ist die Möglichkeit der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung durch Tarifvertrag oder Einzelarbeitsvertrag ausgeschlossen, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in diesem Fall – allerdings unter strengen Voraussetzungen – außerordentlich kündigen. Er muss u.a. die auf das Arbeitsverhältnis anwendbare gesetzliche oder tarifvertragliche Kündigungsfrist einhalten, die gelten würde, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre, und er muss die Grundsätze der Sozialauswahl beachten.7 1 2 3 4 5
BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 75/06 (n.v.). KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 63. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 722/05, EzA § 551 ZPO 2002 Nr. 6. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212. BAG v. 23.11.2004 – 2 AZR 24/04, DB 2005, 1174 (= ZIP 2005, 1044); v. 7.6.1984 – 2 AZR 602/82, NZA 1985, 121; v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891; v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94, NZA 1995, 413; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 230, 277; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 579; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 808; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 328. 6 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 75/06 (n.v.). 7 BAG v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, DB 1985, 1743; v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771.
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Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 264 Teil 2
Die Stilllegung des Betriebes stellt eine unternehmerische Entscheidung dar. Sie kann vom Gericht nicht auf ihre Zweckmäßigkeit oder betriebswirtschaftliche Notwendigkeit überprüft werden. Die Motive, aus denen der Arbeitgeber seinen Betrieb stilllegt (z.B. Aufgabe aus Altersgründen oder aus schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen) sind in einem evtl. Kündigungsschutzprozess ohne Bedeutung. Es findet auch keine Abwägung zwischen den vom Arbeitgeber durch die Stilllegung erhofften Vorteilen und den den Arbeitnehmern durch die Kündigung entstehenden Nachteilen statt. Der Entschluss des Arbeitgebers ist nur darauf zu überprüfen, ob er unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.1
262
" Praxistipp: Es liegt im unternehmerischen Ermessen, wie die Stilllegung
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Erfolgt die Betriebsstilllegung durch eine juristische Person oder eine Personengesellschaft, muss zwar auch eine ernsthafte und endgültige Entscheidung zur Stilllegung getroffen und ein Konzept ausgearbeitet worden sein, es ist aber nicht unbedingt erforderlich, dass das für die Auflösung zuständige Organ einen formellen Auflösungsbeschluss fasst. Zwar kann ein solcher Beschluss ein starkes Indiz für eine Unternehmerentscheidung zur Betriebsstilllegung sein, jedoch reichen, da eine Unternehmerentscheidung keiner besonderen Form unterliegt, auch andere Indizien aus, um eine diesbezügliche, ernsthafte und endgültig gefasste Entscheidung nach außen deutlich werden zu lassen. Der
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des Betriebes ablaufen soll. Das Stilllegungskonzept des Arbeitgebers kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Beabsichtigt er eine möglichst schnelle Stilllegung, kann er allen Arbeitnehmern gleichzeitig kündigen. Weil die Arbeitnehmer wegen unterschiedlicher Beschäftigungsdauer verschieden lange Kündigungsfristen haben, scheiden sie über einen längeren Zeitraum aus dem Betrieb aus. Die Durchführung der Rest- und Abwicklungsarbeiten kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmern übertragen, die am längsten im Betrieb verbleiben.2 Er kann die Kündigungen auch so aussprechen, dass die Kündigungsfristen alle zum selben Zeitpunkt ablaufen.3 Allerdings stehen die gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–7 BGB vorgegebenen Kündigungstermine bei länger bestehenden Arbeitsverhältnissen nicht weiter zur Disposition des Arbeitsverhältnisses der Vertragsparteien. Deshalb kann mit einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer auch kein Kündigungstermin vereinbart werden, der nicht auf ein Monatsende fällt.4 Der Arbeitgeber kann sich schließlich für eine etappenweise Stilllegung des Betriebes entscheiden, also den Arbeitnehmern entsprechend dem Abbau der betrieblichen Aufgaben kündigen. In diesem Fall muss er jedoch eine Sozialauswahl durchführen. Zunächst ist den sozial stärksten Arbeitnehmern zu kündigen. Die sozial schwächeren Arbeitnehmer scheiden als letzte aus dem Betrieb aus und können mit den Restarbeiten beauftragt werden.5
1 BAG v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, NZA 1987, 125; v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, NZA 1987, 776. 2 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 554/05 (n.v.); v. 7.3.2002 – 2 AZR 147/01. 3 BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 651/95, NZA 1997, 92. 4 BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 699/05 (n.v.) sowie BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 448/05 (Parallelentscheidung), EzA – SD 2008 Nr. 2, 4. 5 BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 271/80, DB 1983, 504; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 Rz. 975.
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Teil 2 Rz. 265
Betriebsbedingte Kündigung
Aufgabe des Geschäftsbetriebes muss zudem nicht zeitgleich die Auflösung folgen. Auch im Liquidationsstadium kann die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb im Sinne einer bestmöglichen Verwertung ihres Vermögens unter Umständen noch geraume Zeit fortführen und sogar beschließen, sich wieder in eine werbende Gesellschaft zurückzuverwandeln. Andererseits kann der Betrieb zum Erliegen kommen, ehe noch ein Auflösungsbeschluss gefasst ist. Wann eine Stilllegungsabsicht greifbare Formen angenommen hat, wann also aller Voraussicht nach ein Beschäftigungsbedarf für die betroffenen Arbeitnehmer entfällt, kann damit aus dem Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft regelmäßig nicht hergeleitet werden. Ebenso wenig macht das Fehlen eines formellen Auflösungsbeschlusses ohne Weiteres einen Stilllegungsbeschluss unwirksam. Das BAG hat daher zu Recht auf einen formellen Auflösungsbeschluss verzichtet. Gleiches gilt für einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss bei Personengesellschaften.1 265
Will der Arbeitgeber nicht den ganzen Betrieb stilllegen, sondern nur einzelne Betriebsteile, liegt eine sog. Betriebseinschränkung vor. Als Beispiel sind die Schließung von unselbständigen Niederlassungen des Arbeitgebers2, die Stilllegung von bestimmten Betriebsabteilungen3 oder die Verlagerung von bisher betriebseigenen Tätigkeiten auf Fremdfirmen (sog. Fremdvergabe).4 Die Betriebseinschränkung stellt ebenfalls eine unternehmerische Entscheidung dar. Trifft der Arbeitgeber eine solche Entscheidung, so ist diese deshalb nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist.5 Die Betriebseinschränkung kann ebenso wie die Betriebsstilllegung eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen.6 Die Schließung einer Betriebsabteilung rechtfertigt aber nicht ohne weiteres eine betriebsbedingte Kündigung der in der Abteilung beschäftigten Arbeitnehmer. Besteht die unternehmerische Entscheidung im Wesentlichen darin, eine Abteilung des Betriebes zu schließen und die dort bisher erledigten Arbeiten nach einer Umorganisation des Arbeitsablaufs einer anderen Abteilung zuzuordnen, so macht dies allein noch keine betriebsbedingte Kündigung der in der geschlossenen Abteilung bisher beschäftigten Arbeitnehmer erforderlich. Bei einer derartigen Verlagerung von Arbeiten fällt überhaupt kein Beschäftigungsvolumen weg. Die bisher geleisteten Arbeiten fallen nach wie vor an, und es besteht ein entsprechender Beschäftigungs1 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99, NZA 2001, 949; v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 879; KR/Griebeling, § 1 Rz. 579; HK-KSchG/Dorndorf/Weller, § 1 KSchG Rz. 972; kritisch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 492; a.A. LAG Berlin v. 10.8.1987 – 9 Sa 59/87, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13. 2 Z.B. im Fall BAG v. 19.12.1991 – 2 AZR 402/91, RzK I 5c Nr. 41; v. 22.1.1998 – 8 AZR 243/95, NZA 1998, 536. 3 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701 (Schließung der Glockenmesserfertigung); v. 5.10.1995 – 2 AZR 269/95, NZA 1996, 524 (Schließung des Unternehmensbereiches Druck in einem Druck- und Verlagshaus). 4 Siehe z.B. LAG Köln v. 28.1.1994 – 13 Sa 453/93, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 25. 5 BAG v. 5.10.1995 – 2 AZR 269/95, NZA 1996, 524. 6 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 570 ff.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 267 Teil 2
bedarf für die in der geschlossenen Abteilung freigesetzten Arbeitnehmer. Die Unternehmerentscheidung, die Arbeiten mit dem Ziel einer Kosteneinsparung nach einer Umgestaltung des Arbeitsablaufs in eine andere Abteilung zu verlagern, hindert den Arbeitgeber nicht, die bisherigen Arbeitsplatzinhaber – soweit sie damit einverstanden sind – einfach in die neue Abteilung zu versetzen und sie dort ihre Arbeit verrichten zu lassen.1 Ein Arbeitskräfteüberhang kann aber beispielsweise hinsichtlich der jeweiligen Leiter zweier Betriebsstätten dann entstehen, wenn einer der beiden Betriebsstätten geschlossen und dieses Betriebsteil in das andere eingegliedert wird. Für die Annahme eines dringenden betrieblichen Bedürfnisses reicht es aus, wenn das betriebliche Beschäftigungsbedürfnis für eine Gruppe von Mitarbeitern wie der zweier Betriebsleiter entfällt. Die Sozialauswahl hat dann die Funktion, zu bestimmen, welchen von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs die Kündigung trifft.2 Will der Arbeitgeber wegen Betriebsstilllegung/Betriebseinschränkung betriebsbedingt kündigen, braucht er nicht die Stilllegung/Einschränkung selber abzuwarten. Eine ordentliche Kündigung ist – wie allgemein bei der betriebsbedingten Kündigung – schon dann sozial gerechtfertigt, wenn die entsprechende unternehmerische Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat und eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass der Arbeitnehmer nach dem Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr beschäftigt werden kann.3 Dafür genügt es z.B., wenn das zuständige Organ einer juristischen Person beschließt, die werbende Tätigkeit des Unternehmens sofort und das operative Geschäft wenig später vollständig einzustellen, allen Arbeitnehmern zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu kündigen und den Stellenplan jeweils entsprechend dem Ausscheiden der Arbeitnehmer zu reduzieren. Dann hat die Unternehmerentscheidung in dem Protokoll über die Beschlussfassung bereits greifbare Formen angenommen. Für einen endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung spricht auch die Tatsache der Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan.4 Gleiches gilt für die Bekanntgabe einer Liquidationsentscheidung gegenüber Lieferanten, Kunden und Banken. Führt der Betriebsinhaber allerdings im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch Gespräche mit einem Interessenten über die Übernahme der Gesellschaftsanteile und die Fortführung des Betriebes, handelt es sich noch nicht um eine endgültige und abschließende Planung. Eine betriebsbedingte Kündigung kann darauf nicht gestützt werden.5
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Beruht die betriebsbedingte Kündigung auf der Prognose des Arbeitgebers, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer wegen der dann vollzogenen Betriebsstilllegung nicht mehr weiterbeschäftigen, und erweist sich die Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch (z.B. weil
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1 2 3 4
BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566. BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70. BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 147/01; v. 18.1.2001 – 2 AZR 167/00, SAE 2001, 287; ähnlich BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, NZA 2001, 719. 5 BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, NZA 1997, 251.
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Teil 2 Rz. 268
Betriebsbedingte Kündigung
es doch zu einem Betriebsübergang kommt), so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.1 268
" Praxistipp: Der Arbeitgeber trägt gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG für die Tat-
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Problematisch ist die Abgrenzung zwischen Betriebsstilllegung/Beschränkung und Betriebs-/-teil-Veräußerung. Wichtig ist diese Abgrenzung für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Eine Betriebsveräußerung allein rechtfertigt gem. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB gerade keine betriebsbedingte Kündigung. Eine Betriebsstilllegung ist dagegen ein dringendes betriebliches Erfordernis, das eine ordentliche Kündigung erlaubt. Um ein Zusammenwirken von Veräußerer und Erwerber und damit eine Umgehung des Kündigungsschutzes des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB zu verhindern, muss eine klare Grenze zwischen den beiden Tatbeständen gezogen werden können. Dies ist schwieriger geworden, seit es für die Frage des Betriebs-/-teilübergangs nach den Vorgaben des durch die EG-Richtlinie 98/50/EG neu gefassten Art. 1 Abs. 1 lit. b Richtlinie 77/187/ EWG auf den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit ankommt, die als organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit definiert wird.3 Ein Betriebs-/-teilübergang liegt danach vor, wenn eine beim Veräußerer vorhandene wirtschaftliche Einheit auch bei dem Erwerber fortbesteht. Für die Feststellung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, sind sämtliche, den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen, so z.B. die Art des betreffenden Unternehmens, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva, wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch der Erwerber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.4 In einer auf die Stilllegung folgenden Übernahme von
sache der Betriebsstilllegung als betriebliches Erfordernis die Darlegungsund Beweislast. Er muss z.B. darlegen, dass bereits zum Zeitpunkt der Kündigung ein ernsthafter und endgültiger Stilllegungsbeschluss gefasst war, dass die geplante Maßnahme bereits greifbare Formen angenommen hatte und dass der Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist wegen der Stilllegung nicht mehr beschäftigt werden kann.2 Darauf alleine erstreckt sich wegen der Freiheit der Unternehmerentscheidung auch nur die Prüfungskompetenz der Gerichte.
1 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 490a; KR/ Griebeling, § 1 KSchG Rz. 552, 729 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 229; LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE Nr. 1 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch; siehe dazu ausführlich unten Rz. 629 ff. 2 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 497. 3 Siehe zur EuGH-Rechtsprechung und der darauf beruhenden Rechtsprechung des BAG unten Rz. 271 ff. 4 Ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. EuGH v. 18.3.1986, 24/85, EuGHE 1986, 1119; EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95 („Ayse Süzen“), NZA 1997, 433.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 270 Teil 2
Betriebsmitteln und/oder Arbeitnehmern kann daher schon ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang liegen. Besonders relevant wird die Abgrenzung bei Betriebseinschränkungen, bei denen eine bisher betriebseigene Tätigkeit auf Fremdfirmen verlagert wird, z.B. wenn die bisher in einer eigenen Betriebsabteilung durchgeführten Produktionsaufgaben eingestellt und stattdessen die Produktion auf eine andere Firma verlagert und die dort hergestellten Produkte aufgekauft werden (sog. Fremdvergabe oder Inhouse-Outsourcing). Das gleiche gilt für bisher in einem Betriebsteil ausgeführte Dienstleistungen, wie Kundendienst oder Reinigungsaufgaben, wenn sie ab sofort von einer Fremdfirma geleistet werden sollen. Die o.g. Definition der Stilllegung hilft hier nicht weiter, da nicht nur bei einer Stilllegung die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgehoben wird, sondern auch bei einem Betriebs-/-teilübergang, da in letzterem Fall die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen den Arbeitnehmern und dem Erwerber fortbesteht.1 Die Abgrenzung muss daher anhand des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit im Sinne der Definition der EGRichtlinie getroffen werden. Übernimmt bei einer erstmaligen Fremdfirmenvergabe der Aufragnehmer lediglich die vorher vom Auftraggeber selbst ausgeführte Tätigkeit, ohne zusätzlich Betriebsmittel und/oder einen wesentlichen Teil des Personals des Auftragsgebers zu übernehmen, handelt es sich nicht um einen Betriebsteilübergang, sondern nur um eine Funktionsnachfolge.2 Die vorher gegebene wirtschaftliche Einheit aus Betriebsmitteln und Belegschaft bleibt nicht bei der in der Tätigkeit nachfolgenden Firma erhalten, sondern wird seitens des Auftraggebers stillgelegt. Übernimmt der Auftragnehmer dagegen die Tätigkeit mit einem Großteil der Belegschaft und/oder Betriebmitteln, bleibt die wirtschaftliche Einheit gewahrt. Der Betriebsteil wird nicht vom Auftraggeber stillgelegt, sondern es liegt vielmehr ein Betriebsteilübergang vor. Eine solche Abgrenzung hatte das BAG in dem Fall einer Fremdvergabe des technischen Kundendienstes eines Kaufhauses vorzunehmen. Ein Übergang einer wirtschaftlichen Einheit wurde dort verneint, da das Fremdunternehmen weder die Arbeitsorganisation des Kaufhauses, noch dessen Räume, Werkzeuge und sonstigen Gerätschaften, noch die früher mit dieser Aufgabe beschäftigten Arbeitnehmer des technischen Kundendienstes übernommen hat, sondern die ihm vom Kaufhaus zugeteilten Reparaturaufträge in eigenen Räumlichkeiten mit eigenem Gerätschaften und Arbeitnehmern ausgeführt. hat.3 Dieselbe Problematik stellt sich nicht nur bei der erstmaligen Fremdvergabe einer Tätigkeit, sondern auch bei jeder Auftragneuvergabe. Übernimmt der neue Auftragnehmer die bisher vom alten Auftragnehmer eingesetzten Arbeitnehmer zu einem Großteil und setzt sie bei der Erfüllung des neuen Auftrages ein, liegt im Verhältnis alter und neuer Auftragnehmer ein Betriebsübergang vor. Die Über-
1 Ebenso RGRK/Ascheid, 12. Auflage, § 613a BGB Rz. 92; KDZ/Däubler/Zwanziger, § 613a BGB Rz. 117; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 62. 2 Zur Abgrenzung Funktionsnachfolge/Betriebsteilübergang EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95 („Ayse Süzen“), NZA 1997, 433. 3 BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 243/95, NZA 1998, 36.
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Teil 2 Rz. 271
Betriebsbedingte Kündigung
nahme eines Hauptteils der Belegschaft stellt eine Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit dar.1 f) Betriebsübergang und Betriebsteilübergang 271
Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser nach Maßgabe des § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Das ist aber nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang gem. § 613a Abs. 6 wirksam widersprochen hat, denn der Widerspruch bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis nicht übergeht. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Abs. 5 schriftlich erfolgen. Das Widerspruchsrecht ist verwirkt, wenn der Arbeitnehmer den Übergang des Arbeitsverhältnisses zumindest konkludent bestätigt hat. Nimmt ein Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung des Betriebserwerbers nach dessen Zusage einer Abfindung zurück, so bringt er mit der Klagerücknahme zum Ausdruck, dass er den neuen Erwerber als Vertragspartei akzeptiert, weil dieser ihm eine Abfindung zugesagt hat. Die in der Klagerücknahme zu erblickende Bestätigung des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses kann als eine Bestätigungserklärung i.S.d. § 144 BGB (analog) angesehen werden.2 Der Betriebsübergang tritt mit dem Wechsel in der Person des Inhabers des Betriebs ein. Voraussetzung ist, dass der bisherige Inhaber seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb einstellt und der Übernehmer die wirtschaftliche Einheit im Wesentlichen unverändert fortführt. Maßgebliches Kriterium für den Übergang ist die tatsächliche Weiterführung oder Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit. Einer besonderen Übertragung einer irgendwie gearteten Leitungsmacht bedarf es wegen des Merkmals der Fortführung des Betriebs nicht.3 An einem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität fehlt es, wenn die Aufgabe künftig im Rahmen einer wesentlich anderen, deutlich größeren Organisationsstruktur durchgeführt wird, deren Aufgabenumfang zudem um ein Vielfaches größer ist.4 Die wirtschaftliche Einheit kann auch ein Betriebsteil sein. Bei übertragenen sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln muss es sich dann um eine organisatorische Untergliederung des gesamten Betriebs handeln, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird, auch wenn es sich nur um eine untergeordnete Hilfsfunktion handelt.5 § 613a BGB setzt für den Teilbetriebsübergang voraus, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils hatten, also der entsprechende Bereich beim Veräußer organisatorisch verselbständigt ist.6 Bei Auslagerung der Lokalredaktion einer Zeitung ist es zur Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit nicht er1 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95 („Ayse Süzen“), NZA 1997, 433 zu einer Funktionsnachfolge in einen Reinigungsauftrag. 2 LAG Düsseldorf v. 10.10.2007 – 7 Sa 577/07 (n.v.). 3 BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 926/06 (n.v.); v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, BAGE 117, 349. 4 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431; vgl. auch Melot de Beauregard, BB 2007, 2746 f. m.w.N. 5 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, AP Nr. 313 zur § 613a BGB. 6 NZA-RR 2007, 566.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 271 Teil 2
forderlich, dass der wesentliche Teil der Belegschaft übernommen wird. Es reicht bereits aus, wenn ein Drittel der Redakteure übernommen worden ist.1 Zu beachten ist, dass Rechtsgeschäfte, welche die Rechtsfolgen eines gegebenen Betriebsübergangs umgehen sollen, z.B. das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, unwirksam sind. Allerdings ist das Tatbestandsmerkmal des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB „übergehend durch Rechtsgeschäft“ weit zu verstehen. Es kommt nicht darauf an, ob das Rechtsgeschäft, das Grundlage für den Betriebsübergang ist, bedingt oder mit einem Rücktrittsrecht versehen ist. Ein Betriebsübergang setzt auch nicht die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts voraus. Für die Annahme eines Betriebsübergangs sind der tatsächliche Übergang und die Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel entscheidend.2 Mit dem Verbot von Umgehungsgeschäften lässt sich jedoch keine Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB begründen. § 613a BGB enthält kein Verbot der Gestaltung von wirtschaftlichen Prozessen der Art, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Betriebsübergangs vermieden werden. Aufgrund der verfassungsrechtlich gewährleisteten Privatautonomie ist der Arbeitgeber grundsätzlich befugt, Rechtsgeschäfte so zu gestalten, dass § 613a BGB nicht eingreift. Die Neuvergabe eines Dienstleistungsauftrags kann demgemäß so gestaltet werden, dass eine bloße Funktionsnachfolge und kein Betriebsteilübergang vorliegt.3 § 613a BGB ist allerdings auf Betriebsübergänge, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes vollzogen werden, unanwendbar.4 Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber allein wegen des Übergangs eines Betriebes oder eines Betriebsteils ist allerdings unwirksam, § 613a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 BGB. Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen bleibt unberührt, § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB. Da im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang häufig betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, ist es wichtig, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Kündigung gerade wegen des Betriebsübergangs oder aus anderen Gründen erfolgte. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB stellt dabei ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG, 134 BGB dar. Er soll deutlich machen, dass ein Betriebsübergang als solcher kein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG ist. Deshalb können sich auch Arbeitnehmer, die nicht unter den Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes fallen, auf die Unwirksamkeit ihrer Kündigung wegen Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB berufen.5 Das Kündigungsverbot ist dann nicht einschlägig, wenn es neben dem Betriebsübergang einen sachlichen Grund gibt, der „aus sich heraus“ die Kündigung zu rechtfertigen vermag.6 Allerdings muss 1 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 24.5.2007 – 11 Sa 55/07, NZA-RR 2007, 566. 2 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 920/06 (n.v.); v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, EzA-SD 2008, Nr. 8, 10. 3 BAG v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, ZIP 2008, 801. 4 BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, BB 2006, 1339. 5 BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NZA 1985, 593; v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522; v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 503; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 153; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 983; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 819; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 573, 574; KR/ Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 178, 179, 180 ff.; a.A. Löwisch/Spinner, vor § 1 Rz. 69. 6 BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668.
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Teil 2 Rz. 272
Betriebsbedingte Kündigung
die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB innerhalb von drei Wochen geltend gemacht werden, § 4 Satz 1 KSchG.1 272
Eine Kündigung wegen des Betriebsübergangs ist nur gegeben, wenn der Betriebsübergang der tragende Beweggrund und nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung war. § 613a Abs. 4 BGB hat gegenüber § 613a Abs. 1 BGB Komplementärfunktion.2 Bei der Überprüfung des tragenden Beweggrundes wird zum einen auf das objektive Merkmal des Betriebsübergangs abgestellt, zum anderen auf das subjektive Kriterium des Kündigungsmotivs. Wegen des Übergangs erfolgt eine Kündigung in jedem Fall dann, wenn der Betriebsübergang der alleinige Beweggrund war. Ausreichend ist angesichts Wortlaut und Schutzzweck aber auch, dass der Betriebsübergang für den Ausspruch der Kündigung die wesentliche Ursache war. Gab es neben dem Betriebsübergang einen anderen sachlichen Grund, der „aus sich heraus“ geeignet gewesen war, die Kündigung zu rechtfertigen, so dass sich der Betriebsübergang nur als äußerlicher Anlass für die Kündigung darstellt, ist das Kündigungsverbot nicht einschlägig. Entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln trägt der Arbeitnehmer bezüglich der erforderlichen Kausalität zwischen Betriebsübergang und Kündigung die Beweislast, wenn er die Unwirksamkeit der Kündigung geltend macht.3 Es genügt als erstes Indiz der Hinweis auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang. Zur Widerlegung dieses Indizes reicht jede nachvollziehbare Begründung, die einen sachlichen Grund dafür enthält, dass die Kündigung nur äußerlich formal mit dem Betriebsübergang verbunden ist, nicht aber materiell wegen des Betriebsübergangs erfolgt.4 Wenn ein Betriebsveräußerer als Kündigungsgrund angibt, er sei mit den Leistungen eines mehr als 17 Jahre in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers nicht einverstanden, so fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.5
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§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB soll nicht vor Risiken schützen, die sich auch unabhängig von einem Betriebsübergang ergeben können. Die Norm soll vielmehr als spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen Umgehungsverbots verhindern, dass der in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB angeordnete Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird.6 Der neue wie der alte Betriebsinhaber sind dementsprechend nicht gehindert, als notwendig erachtete unternehmerische Maßnahmen durchzuführen, die auch völlig unabhängig von dem Übergang hätten durchgeführt werden können. So kann der Betriebsübernehmer grundsätzlich freiwillige Lohnerhöhungen vornehmen und dabei differenzieren zwischen seiner Stammbelegschaft und den aufgrund des Betriebsübergangs übernommenen Arbeitnehmern. Dabei hat er allerdings den allgemeinen Gleichbehand1 2 3 4
KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 180. BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387. BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866–870 (n.v.). BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866–870 (n.v.); LAG Bremen v. 12.7. 2007 – 3 Sa 308/06 verb. m. 3 Sa 45/07, 3 Sa 308/06 sowie 3 Sa 45/07, EzA-SD 2007, Nr. 21, 5–6. 5 LAG Bremen v. 12.7.2007 – 3 Sa 308/06 verb. m. 3 Sa 45/07, 3 Sa 308/06, 3 Sa 45/07. 6 BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147; v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148; v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461; Staudinger/Richardi/Annuß, § 613a BGB Rz. 249.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 274 Teil 2
lungsgrundsatz zu beachten.1 Zwar ergibt sich ein Kündigungsgrund nicht schon daraus, dass ein Interessent den Erwerb des Betriebes von der Kündigung abhängig macht. Doch ist der Betriebsinhaber durch § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nicht gehindert, im Zusammenhang mit einer Veräußerung des Betriebes organisatorische oder technische Rationalisierungen zur Verbesserung des Betriebes und dessen Verkaufschancen durchzuführen und zu diesem Zweck betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.2 Ein eigenes Sanierungskonzept des Veräußerers zur Verbesserung des Betriebs kann einen sachlichen Grund darstellen, der aus sich heraus die Kündigung zu rechtfertigen vermag.3 § 613a BGB steht einer betriebsbedingten Kündigung auch dann nicht entgegen, wenn einem Arbeitnehmer gekündigt wird, weil durch den Übergang anderer Betriebsteile, denen er nicht angehört, der Beschäftigungsbedarf für ihn zurückgeht oder entfällt.4 Zwar ist die betriebsbedingte Kündigung hier mittelbar Folge des Betriebsübergangs, eigentlicher Kündigungsgrund ist jedoch nicht der Betriebsteilübergang, sondern der (darauf beruhende) Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit in dem fortgeführten Betriebsteil. Die dargelegten Grundsätze gelten nicht nur für eine Rationalisierung aufgrund eines eigenen Konzepts, sondern auch bei der Kündigung aufgrund einer Rationalisierung nach einem Erwerberkonzept, d.h. wenn der Veräußerer mit seiner unternehmerischen Maßnahme lediglich die Vorgaben des Erwerbers realisiert. Keineswegs aber ist die Möglichkeit des Ausspruchs von Kündigungen mit beabsichtigten Betriebsübernahmen auf das Vorliegen eines Erwerberkonzepts beschränkt, wie vereinzelt angenommen.5 Sinn des § 613a Abs. 1, 4 BGB ist es nämlich nicht, den Erwerber auch bei an sich bereits fehlender Beschäftigungsmöglichkeit zu verpflichten, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer noch einmal künstlich um die bei einer durch ihn auszusprechenden Kündigung einzuhaltenden Frist zu verlängern. Voraussetzung ist allerdings, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine wirksame Vereinbarung zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber über den Betriebsübergang sowie konkrete Pläne über die Durchführung der vom Erwerber beabsichtigten Betriebsänderung vorliegen. Die abgesprochene Umstrukturierung muss schon zu diesem Zeitpunkt greifbare Formen angenommen haben, damit vom Gericht überprüft werden kann, ob die Beschäftigungsmöglichkeit mit dem Übergang des Betriebes tatsächlich wegfällt oder nicht.6 Nach einer älteren Entscheidung des BAG steht dem Veräußerer in diesen Fällen eine betriebsbedingte Kündigung nur dann zu, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit für bestimmte Arbeitnehmer aufgrund eines Konzeptes des Erwerbers wegfällt, das auch der bisherige Arbeitgeber bei einer Fortführung des Betriebes ebenfalls hätte durchführen können (sog. Fortführungskonzept). Das Kündigungsrecht des Veräußerers dürfe nicht um Gründe erweitert werden, die allein in der Sphäre des Erwerbers liegen und 1 BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 420/06, NZA 2007, 862. 2 BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148; v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, EzA § 613a BGB Nr. 34. 3 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387. 4 BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 134/02, EzA-SD 2004, Nr. 6, 5. 5 Vgl. BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387. 6 So z.B. BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, EzA § 613a BGB Nr. 34.
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Teil 2 Rz. 275
Betriebsbedingte Kündigung
von diesem erst mit dem Betriebsübergang aufgrund einer weitergehenden, betriebsübergreifenden unternehmerischen Planung verwirklicht werden könne.1 Auf diese zusätzliche Voraussetzung darf es jedoch nicht ankommen. Die Kündigungsmöglichkeit des Veräußerers hängt nicht davon ab, ob er selbst das Konzept des Erwerbers hätte durchführen können. Dadurch würde er zu sehr eingeschränkt.2 Auch bei einer Kündigung aufgrund eines Erwerberkonzeptes erfolgt die Kündigung wegen betrieblicher Dispositionen und nicht wegen des Betriebsübergangs. Eine Umgehung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht zu befürchten. Die Zulässigkeit einer Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts lässt sich auch aus §§ 125 ff. InsO schließen. Die §§ 125–127 InsO enthalten Modifikationen des allgemeinen Kündigungsschutzes für den Fall, dass eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG geplant ist und zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande kommt, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind. Gem. § 128 Abs. 1 InsO gelten diese Modifikationen auch dann, wenn die geplante Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll, also in dem Fall der Veräußererkündigung mit Erwerberkonzept. Gem. § 128 Abs. 2 InsO erstreckt sich die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO auch darauf, das die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt. Weil diese Vermutung, wie aus § 128 Abs. 1 InsO ersichtlich ist, auch den Fall der Veräußererkündigung mit Erwerberkonzept erfasst, kann eine hierauf gestützte Kündigung nicht gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB verstoßen, da ansonsten die o.g. Vermutung stets widerlegt wäre.3 275
" Praxistipp: Ob eine Kündigung wegen des Übergangs eines Betriebes oder
aus einem anderen Grund erfolgte, beurteilt sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Zu diesem Zeitpunkt muss der Betriebsübergang jedoch nicht schon erfolgt sein. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt den Betriebsübergang bereits geplant und dieser bereits greifbare Formen angenommen hat, so dass die Kündigung aus der Sicht des Arbeitgebers ausgesprochen wird, um den geplanten Betriebsübergang vorzubereiten und zu ermöglichen.4 Diese Ansicht hat zur Konsequenz, dass eine Kündigung auch dann gem. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam ist, wenn ausschlaggebend für die Kündigung ein geplanter, sodann aber nicht vollzogener Betriebsübergang gewesen ist. Nach Kündigungszugang eintretende Ereignisse sind für die Wirksamkeit bzw. hier für die Unwirksamkeit einer Kündigung ohne Belang. Es kommt alleine darauf an, ob die Kündigung im Zeitpunkt des Zugangs wesentlich durch einen, wenn auch noch nicht vollzogenen Betriebsinhaberwechsel bedingt gewesen ist.5 Umgekehrt wird eine Kündigung nicht unwirksam, wenn es nach
1 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, EzA § 613a BGB Nr. 34; offengelassen in BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148 unter II.2c. 2 KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 189; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 980; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 432 ff.; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 506. 3 KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 189; Hanau, ZIP 1998, 1817, 1820. 4 St. Rechtsprechung, z.B. BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147; v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251; v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891. 5 BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/97, NZA 1989, 461.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 277 Teil 2
Zugang der Kündigungserklärung entgegen der ernsthaften und endgültigen Absicht des Arbeitgebers, den Betrieb stillzulegen, doch noch zu einem Betriebsübergang kommt. Dies dient der Praktikabilität, da sonst sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist nicht sicher weiter planen könnten. In Betracht kommt aber ein Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers gegenüber dem Betriebserwerber.1 Prozessual muss der Arbeitgeber, der eine im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ausgesprochene Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse stützt – wie bei allen betriebsbedingten Kündigungen – die entsprechenden Tatsachen gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegen und im Bestreitensfall beweisen. Der Arbeitnehmer muss dagegen darlegen und beweisen, dass hinsichtlich seiner Kündigung die Voraussetzungen des Kündigungsverbotes nach § 613a Absatz 4 Satz 1 BGB vorliegen.2
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Problematisch und in den letzten Jahren Ansatzpunkt für kontroverse Diskussionen ist im Rahmen des § 613a BGB der Begriff des Betriebs(teil)übergangs. § 613a BGB in seiner jetzigen Fassung beruht auf der EG-Richtlinie 77/187/EWG.3 Weil § 613a BGB auf EG-Recht beruht, ist die Regelung in Zweifelsfragen im Sinne der Richtlinien auszulegen. Dies folgt aus dem Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung innerstaatlichen Rechts, wonach nationale Gesetze, die Gegenstände des europäischen Rechts betreffen, so auszulegen sind, dass sie den europäischen Anforderungen gerecht werden.4 Der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung des Begriffs des Betriebs-/-teilübergangs kommt daher besondere Bedeutung zu. Das BAG hat diesen Hintergrund zum Anlass genommen und dargelegt, dass im Bereich des KSchG der allgemeine kündigungsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich sei.5 In dem Rechtsstreit ging es u.a. um die Frage, ob der auf einen Franchise-Nehmer übertragene Markt ein Betrieb i.S.v. § 1 KSchG war. Da der kündigungsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich sei, stehe nach Auffassung des Gerichts auch eine mögliche betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsteile einer betriebsteilübergreifenden Sozialauswahl nicht entgegen.6 Die Beantwortung der Frage, ob es sich im Einzelfall um mehrere selbständige Betriebe oder nur um unselbständige Teile eines einheitlichen Betriebes handele, hinge von dem Bestehen oder Nichtbestehen einer Einheit der auf die Verfolgung der arbeitstechnischen Zwecke gerichteten Organisation ab. Eine Einheit liege vor, wenn ein einheitlicher Leistungsapparat vorhanden sei, der die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Gesamtzweckes eingesetzten Mittel lenke. Die Leitungsmacht sei dadurch geprägt, dass der Kern der Arbeitgeber-
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1 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251; v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891; zum Wiedereinstellungsanspruch siehe unten Rz. 723 ff. 2 v. Hoyingen-Huene/Linck, § 1 Rz. 707. 3 ABl. EG v. 5.3.1977, Nr. L 61/26 (= RdA 1977, 162). 4 EuGH v. 10.4.1998 – 14/83, NZA 1984, 157. 5 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33–39; ErfK/Eisemann/Koch, § 3 BetrVG Rz. 12; Fitting, § 3 Rz. 76. 6 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33–39 unter Berufung auf BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03.
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Teil 2 Rz. 278
Betriebsbedingte Kündigung
funktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbständig ausgeübt werde. Es komme nach Auffassung des BAG entscheidend darauf an, wo über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden würde und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen würden.1 Wenn ein Marktleiter zwar einfaches Personal, nicht aber den stellvertretenden Marktleiter, den Substituten, die Gruppenleiter und sämtliche Erste Kräfte einstellen kann, hat er keine personelle Leitungsmacht in personellen Angelegenheiten inne, die aber Voraussetzung für einen eigenständigen Betrieb ist. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen im Übrigen sämtliche, den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden. Dazu gehören insbesondere die Art des Betriebes, der Übergang oder Nichtübergang materieller Aktiva, insbesondere der beweglichen und unbeweglichen Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme eines Hauptteils der Belegschaft, der Eintritt in Kundenbeziehungen, die Ähnlichkeit der Tätigkeit des Betriebes vor und nach dem fraglichen Übergang und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.2 Ein nach § 613a BGB selbständig übergangsfähiger Betriebsteil setzt voraus, dass innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird. Die Wahrnehmung eines Teilzwecks führt nur dann zu einer selbständigen übergangsfähigen Einheit, wenn eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen vorliegt. Diese Voraussetzungen eines übergangsfähigen Betriebsteils sind von demjenigen darzulegen und zu beweisen, der sich auf einen Betriebsteilübergang beruft. Wird mit einzelnen, bislang nicht teilbetrieblich organisierten Betriebsmitteln ein Betrieb oder Betriebsteil gegründet, kann dies einen Betriebsteilübergang nicht begründen.3 278
Für den Betriebs(teil)übergang ist daher auf den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit, die beim Erwerber im Vergleich zum Veräußerer möglichst identisch fortgeführt werden soll, abzustellen. Dabei sind die o.g. Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen, wobei nicht in jedem Einzelfall jedes Kriterium relevant werden muss. Es kommt vielmehr darauf an, welches der einzelnen Kriterien die Eigenart des Betriebes bestimmt. Es ist nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, zu differenzieren.4
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So kommt bei der Übertragung einer öffentlichen Verwaltung der vorhandenen Organisation große Bedeutung zu. Eine „Wahrung der Identität“ der Verwaltung ist bei Fortführung der Aufgaben innerhalb einer gänzlich andersartigen Arbeits1 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33–39; v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380. 2 EuGH v. 14.4.1994 – C-392/95 („Chistel Schmidt“), NZA 1994, 433; EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, („Ayse Süzen“), NZA 1997, 433; EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, Allen ./. Amalgamated Construction, EzA zu § 613a BGB Nr. 186; aus der Rechtsprechung des BAG z.B. BAG v. 5.2.2004 – 8 AZR 639/02 (n.v.); v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050; v. 26.6.1997 – 8 AZR 426/95, NZA 1997, 1228. 3 BAG v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, ZIP 2008, 801. 4 BAG v. 26.6.1997 – 8 AZR 426/95, NZA 1997, 1228.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 281 Teil 2
organisation der übernehmenden Verwaltung nicht denkbar.1 Bei einem Produktionsbetrieb kommt es in stärkerem Maße auf die sachlichen Betriebsmittel, wie Gebäude, Maschinen, Produktionsanlagen, Werkzeuge, Rohstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, Fahrzeuge und Transportgeräte an. Mit deren Hilfe können regelmäßig nach Übertragung dieselben Produkte wie vor der Übertragung hergestellt werden, wodurch die wirtschaftliche Identität gewahrt bleibt.2 In anderen Branchen sind die Betriebsmittel dagegen nicht prägend für die Identität. z.B. sind für Handels- und Dienstleistungsbetriebe, deren Betriebsvermögen hauptsächlich aus Rechtsbeziehungen besteht, in erster Linie die immateriellen Betriebsmittel wie Kundenstamm, Kundenlisten, die Geschäftsbeziehungen zu Dritten, das „know-how“ und der „good-will“, ebenso die Einführung des Unternehmens auf dem Markt, ggf. auch Geschäftsräume und Geschäftslage, sofern diese Bestandteile des Betriebes es ermöglichen, den bisherigen Kundenkreis zu halten und auf den neuen Betriebsinhaber überzuleiten, bedeutsam.3 Insoweit bedarf es auch bei diesen Unternehmensformen einer Gesamtbetrachtung, die das Personal, welches diese Tätigkeit verrichtet hat, deren Führungskräfte und deren Arbeitsorganisation, die Betriebsmethoden und ggf. auch die zur Verfügung stehenden Betriebsmittel mit berücksichtigt. Dabei erfüllt eine bloße Funktionsnachfolge nicht die Voraussetzungen des Betriebsübergangs.4
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Sind materielle oder auch immatrielle Betriebsmittel nicht identitätsprägend, kann ein Betriebsübergang auch völlig ohne Übertragung materieller Aktiva in Betracht kommen. Nach heutiger Rechtsprechung ist eine Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals ein im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigendes Kriterium, das für eine Fortführung einer betrieblichen Einheit sprechen kann. In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Eine solche Einheit kann ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Funktionsnachfolger keinen Betriebs(teil)übergang dar.5 Die Übernahme des Personals ist in diesem Falle nicht
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1 BAG v. 26.6.1997 – 8 AZR 426/95, NZA 1997, 1228. 2 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 26. 3 BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668; v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612. 4 BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668. 5 EuGH v. 20.11.2003 – Rs C-340/01 (Sodexho), AP Nr. 34 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; BAG v. 5.2.2004 – 8 AZR 639/02); v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, NZA 1998, 534; v. 11.12.1997 – 8 AZR 426/94, NZA 1998, 532; BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 775/96, NZA 1998, 638; v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420.
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Teil 2 Rz. 282
Betriebsbedingte Kündigung
mehr nur Rechtsfolge eines Betriebsübergangs1, sondern Tatbestandsvoraussetzung.2 282
Es ist nicht mehr erforderlich, dass durch den übernommenen Teil der Arbeitnehmerschaft ein besonderes Fachwissen repräsentiert wird. Genügt für eine auf dem Markt angebotene Dienstleistung ein geringer Qualifikationsgrad der Arbeitnehmer und sind diese leicht austauschbar, kommt deren „Know-how“ keine entscheidende Bedeutung für die Identität der wirtschaftlichen Einheit zu. Solche Tätigkeitsbereiche sind vielmehr geprägt von ihrer Arbeitsorganisation, der sich daraus ergebenden Aufgabenzuweisung an den einzelnen Arbeitnehmer und dem in der Organisationsstruktur verkörperten Erfahrungswissen. Die Identität einer solchen wirtschaftlichen Einheit wird gewahrt, wenn der neue Auftragnehmer die Arbeitnehmer an ihren alten Arbeitsplätzen mit unveränderten Aufgaben weiter beschäftigt. Er hat dann eine bestehende Arbeitsorganisation übernommen und keine neue aufgebaut. Es hängt von der Struktur eines Betriebs oder Betriebsteils ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um die Rechtsfolgen des § 613a BGB auszulösen. Haben die Arbeitnehmer einen geringen Qualifikationsgrad, muss eine hohe Anzahl von ihnen weiterbeschäftigt werden, um auf einen Fortbestand der vom Konkurrenten geschaffenen Arbeitsorganisation schließen zu können. Ist ein Betrieb stärker durch das Spezialwissen und die Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt, kann neben anderen Kriterien ausreichen, dass wegen ihrer Sachkunde wesentliche Teile der Belegschaft übernommen werden.3 Bei einfachen Tätigkeiten kann selbst ein Anteil von 75 % der früheren Beschäftigten nicht genügen, um die Übernahme der Hauptbelegschaft feststellen zu können. Dies hat das BAG für den Fall der Neuvergabe eines Holund Bringdienstes eines Krankenhauses entschieden. Der neue Auftragnehmer stellte von dem früheren Auftragnehmer 75 % der früher Beschäftigten ein. Der alte Organisations- und Ablaufplan wurde nicht übernommen, ebenso wenig Materialien, Reinigungsgeräte oder sonstige Betriebsmittel. Da es sich hierbei um eine einfache Tätigkeit handelt und außer einigen Arbeitnehmern nichts übernommen wurde, hat das BAG einen Betriebsübergang zwischen dem früheren und dem neuen Auftragnehmer verneint.4 Es lag nur eine Tätigkeits- oder Funktionsnachfolge vor. Sie führt – für sich genommen – nicht zum Vorliegen eines Betriebsübergangs.5
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Spiegelbildlich zum Betriebsübergang durch Übernahme eines wesentlichen Teils des Personals ohne Übertragung materieller Aktiva kommt nach der neueren EuGH-Rechtsprechung ein Betriebsübergang auch dann in Betracht, wenn zwar kein Personalübergang stattfindet, der Betriebsübernehmer jedoch die
1 So z.B. BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612; v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170; v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612 zum „Know-how-Träger“. 2 BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/95, NZA 1997, 1050. 3 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, NZA 1998, 534. 4 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420. 5 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95 („Ayse Süzen“), NZA 1997, 433; BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420; v. 22.1.1998 – 8 AZR 234/95, NZA 1998, 36.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 287 Teil 2
vom Betriebsveräußerer benutzten und beiden nacheinander vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten wesentlichen materiellen Betriebsmittel benutzt.1 g) Restrukturierung der Arbeitsorganisation Im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit kann der Arbeitgeber auch organisatorische Veränderungen in seinem Betrieb durchführen. Dies geschieht häufig im Rahmen organisatorischer Rationalisierung. Dadurch sollen die Arbeitsabläufe optimiert und die betriebliche Leistungsfähigkeit verbessert werden. Als Beispiele lassen sich die Straffung von Arbeitsvorgängen2, die Neuordnung der Hierarchieebene3, die Kürzung von „Berichtswegen“, die Zusammenfassung betrieblicher Einheiten unter einer Leitung oder die Einführung und Auflösung von Stabsfunktionen nennen. Bei einer Betriebsspaltung kann der Arbeitgeber entscheiden, wie er Verwaltung und Personalabteilung (sog. Overhead) verteilen will.
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Entfällt aufgrund von Neustrukturierungen das Bedürfnis zur Beschäftigung eines/mehrerer Arbeitnehmer, rechtfertigt dies eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen.4
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h) Änderung des Betriebskonzepts Eine Unternehmerentscheidung, die zu einem Überhang an Arbeitskräften führt und damit eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen kann, kann in der Änderung des Betriebskonzepts liegen. Eine die Arbeitsgerichte bindende Unternehmerentscheidung, die auf einer Änderung des Betriebskonzepts beruht, ist z.B. die Vergabe von bisher im Betrieb durchgeführten Arbeiten an einen Unternehmer zur selbständigen Durchführung (sog. Inhouse-Outsourcing).5 In der Praxis kommen zwei weitere Varianten besonders häufig vor. Dies ist zum einen die Entscheidung des Arbeitgebers, in Zukunft betriebliche Aufgaben nicht mehr durch angestellte Arbeitskräfte, sonder durch Selbstständige zu erbringen (z.B. durch selbständige Handelsvertreter, Franchisenehmer, Dienst- oder Werkvertragsnehmer) und zum anderen der Entschluss, die Arbeiten statt durch eigene Arbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer ausführen zu lassen.
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Will der Arbeitgeber die bisher von seinen Arbeitnehmern verrichteten Tätigkeiten nur noch unter den Bedingungen einer selbständigen Tätigkeit freien Mitarbeitern übertragen, ist dies als eine die Kündigung der Arbeitnehmer bedingende unternehmerische Entscheidung anzusehen und daher von den Arbeitsgerichten grundsätzlich hinzunehmen, weil die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer als solche tatsächlich weggefallen sind und stattdessen Selbständige
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1 EuGH v. 20.11.2003 – Rs C-340/01 (Sodexho), AP Nr. 34 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187. 2 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075. 3 BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566; v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157. 4 So z.B. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 546. 5 Siehe dazu und zu der Abgrenzung zwischen Betriebseinschränkung und Betriebsteilübergang oben Rz. 260 ff.
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Teil 2 Rz. 288
Betriebsbedingte Kündigung
die Arbeit durchführen.1 Dies gilt allerdings nur, soweit die Unternehmerentscheidung tatsächlich und konsequent umgesetzt wurde, die Verträge mit den freien Mitarbeitern also weder in der Vertragsgestaltung noch in der Durchführung „verschleierte Arbeitsverhältnisse“ sind.2 Vom BAG wurde dies z.B. für den Fall entschieden, dass der Arbeitgeber, der ein gruppendynamisches Trainingsprogramm zur kontrollierten Gewichtsabnahme anbot, die vorher durch eigene Arbeitnehmer durchgeführte Tätigkeit der Gruppenleiterin als Folge einer Umstellung des Vertriebskonzepts durch freie Mitarbeiter durchführen ließ. Da die den früheren Arbeitnehmern angebotenen Partnerschaftsverträge keine verschleierten Arbeitsverträge waren, das Konzept also wirklich umgesetzt worden war, waren die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer entfallen und eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt.3 Auch kann die unternehmerische Entscheidung, Plakatklebearbeiten künftig nicht mehr von eigenen Arbeitnehmern, sondern von Subunternehmern ausführen zu lassen, ein dringendes betriebliches Erfordernis darstellen und eine Kündigung aus innerbetrieblichen Gründen rechtfertigen.4 Es muss dem Unternehmer überlassen bleiben, wie er sein Unternehmensziel möglichst kostengünstig am Markt erreichen will. Da für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte Unternehmerentscheidung die Vermutung spricht, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgte5, muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass die innerbetriebliche Strukturmaßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ist die Einführung einer neuen Vertriebsart kostengünstiger, ist die Umstellung jedenfalls nicht als offensichtlich sachwidrig oder willkürlich anzusehen.6 Die Umstellung von Arbeits- auf selbständige Dienstverträge ist aber offensichtlich sachwidrig und willkürlich, wenn die Maßnahme keine Kostenersparung bewirkt oder durch andere nachvollziehbare wirtschaftliche oder unternehmenspolitische Überlegungen begründet wird, sondern alleine dem Ziel dient, den Kündigungsschutz zu unterlaufen.7 So läge eine unzulässige Austauschkündigung vor, wenn die bislang von den Arbeitnehmern des Betriebs ausgeführten Tätigkeiten nicht tatsächlich zur selbständigen Erledigung auf einen Dritten übertragen worden wären.8 288
Dies gilt nicht nur für die Übertragung der Tätigkeit auf freie Mitarbeiter, sondern in gleicher Weise für andere Formen der Selbständigkeit, wie z.B. bei der Übertragung auf Franchisenehmer oder Handelsvertreter.
1 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 314/06, DB 2008, 707. 2 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996 1145; LAG Köln v. 28.6.1996 – 11 (12) Sa 296/96, NZA-RR 1997, 130; aus der Literatur siehe z.B. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 525 ff. 3 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996 1145. 4 LAG München v. 20.10.2006 – 11 Sa 979/05 (n.v.). 5 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, NZA 1987, 776; v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 57; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095; v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098. 6 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996 1145. 7 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075. 8 BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 556/00 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung, Nr. 136.
334
Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 291 Teil 2
Nicht jede Vergabe von bisher im Betrieb durchgeführten Arbeiten auf Dritte stellt jedoch eine zur Kündigung berechtigende Unternehmerentscheidung dar. Es ist insbesondere danach zu differenzieren, ob durch die Umsetzung des neuen Betriebskonzepts tatsächlich und nachvollziehbar die Arbeitsplätze für die bisherigen Arbeitnehmer entfallen sind, oder ob nur eine unzulässige Austauschkündigung und damit keine hinnehmbare Unternehmerentscheidung vorliegt. Letzteres war in der sog. „Ausflaggungs“-Entscheidung1 der Fall. Dort wurden die bisher unter deutscher Flagge bereedeten Schiffe ausgeflaggt und im Zuge der Ausflaggung den vorherigen Besatzungsmitgliedern gekündigt. Die Anheuerung wurde auf einen Dritten, eine ausländische Crewing-Firma übertragen, bei der dieselbe Besatzung anheuern konnte. Die unter ausländischer Flagge fahrenden Schiffe wurden aber weiterhin vom „alten Arbeitgeber“ bereedet. Ihm oblag auch weiterhin die Koordination des Schiffsbetriebs, die Bestimmung der Ladung und der Einsatz des Schiffes in Bezug auf den Terminplan. Die Crewing-Firma sollte lediglich das Personal stellen. Das BAG sah hierin keine Übertragung der von eigenen Arbeitnehmern verrichteten Tätigkeit auf Dritte zur selbständigen Erledigung. Der frühere Arbeitgeber hatte nur formal seine Arbeitgeberstellung aufgegeben. Tatsächlich hatte er gegenüber den Besatzungsmitgliedern dieselbe Stellung inne. Der Entschluss, die formale Arbeitgeberstellung aufzugeben, ist keine die Kündigung bedingende Unternehmerentscheidung, wenn der Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten im Wesentlichen weiterhin selbst die für die Durchführung der Arbeit erforderlichen Weisungen erteilt. In einem solchen Fall entfällt nicht die Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb. Es liegt vielmehr eine unzulässige Austauschkündigung vor, die gem. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt ist.
289
Problematisch ist angesichts der Ausflaggungs-Entscheidung des BAG, wie der Einsatz von Leiharbeitnehmern anstelle von eigenem Personal zu bewerten ist.
290
Im Anschluss an die o.g. Entscheidung des BAG hat z.B. das LAG Bremen2 die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern anstelle von eigenen Arbeitnehmern als unzulässige Austauschkündigung gewertet. Dem kann allerdings nicht zugestimmt werden. Die sog. „Ausflaggungs“-Entscheidung kann hier nicht als Maßstab herangezogen werden, da es sich dabei um einen Fall der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat. Entscheidend muss sein, dass bei dem Einsatz von Leiharbeitnehmern der Arbeitgeber nicht nur formal, sondern auch in rechtlich zulässiger Weise und tatsächlich seine Arbeitgeberstellung aufgibt. Zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer kommt gerade kein Arbeitsverhältnis zustande. Es kann für die Zulässigkeit der Unternehmerentscheidung keinen Unterschied machen, ob der Arbeitgeber sich entschließt, in Zukunft Arbeiten durch freie Mitarbeiter oder durch Leiharbeitnehmer durchführen zu lassen.3 Auch eine Änderung des Betriebskonzepts vom Einsatz eigener Arbeitnehmer auf Leiharbeitnehmereinsatz kann daher die Kündigung
291
1 BAG v. 26.9.1996 – 2 AZR 200/96, NZA 1997, 202; ähnlich BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 636/01. 2 LAG Bremen v. 2.12.1997 – 1 Sa 88/97, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47. 3 Ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 836; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 523.
Mues
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Teil 2 Rz. 292
Betriebsbedingte Kündigung
von Arbeitsverhältnissen betriebsbedingt sozial rechtfertigen. Dies muss grundsätzlich auch dann gelten, wenn dieselben Arbeitnehmer bei der Verleiherfirma ein Arbeitsverhältnis aufnehmen und auch an ihren alten Arbeitgeber verliehen werden. Der Unterschied zur „Ausflaggungs“-Entscheidung liegt in der Anerkennung der Leiharbeit als eigenständige und legale Beschäftigungsform überbetrieblichen Arbeitseinsatzes, der nicht ausschließlich oder primär auf einen bestimmten Entleihereinsatz ausgerichtet ist. Zu beachten ist jedoch, dass es sich nach der Rechtsprechung des BAG beim Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb um eine Einstellung i.S.v. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt, da Leiharbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert sind, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Auf das Rechtsverhältnis, in dem diese Personen zum Betriebsinhaber stehen, kommt es nicht an.1 Mitbestimmungspflichtig nach § 14 Abs. 3 AÜG, § 99 Abs. 1 BetrVG ist aber erst der tatsächliche Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb, selbst wenn es sich um eine nur kurz andauernde Beschäftigung handelt.2 Dies gilt auch, wenn der jeweils befristeten Eingliederung eine Rahmenvereinbarung zugrunde liegt. Das folgt aus Sinn und Zweck des § 99 Abs. 1 BetrVG, die ihren Niederschlag in den Zustimmungsverweigerungsgründen des § 99 Abs. 2 BetrVG gefunden haben und in erster Linie der Wahrung der Interessen der vom Betriebsrat vertretenen Belegschaft dienen.3 Die im Interesse der Belegschaft bestehenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Einstellung von Arbeitnehmern würden leerlaufen und wären nicht interessengerecht wahrzunehmen, wenn sie sich auf die Aufnahme eines Leiharbeitnehmers in einem Stellenpool oder seinen erstmaligen Einsatz beschränken würden und völlig offen wäre, wie oft, wie lange und in welchem zeitlichem Umfang er künftig eingesetzt werden wird.4 292
" Praxistipp: Die Differenzierung des BAG zwischen einem nachvollziehbar
umgesetzten Konzept, durch das die Arbeitsplätze weggefallen sind und einer unzulässigen Austauschkündigung wirkt sich auch prozessual auf die Anforderungen, die an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers zu stellen sind, aus. Im Prozess unterliegt zwar die Unternehmerentscheidung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung, aber die Arbeitsgerichte dürfen prüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und ob durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für die Arbeitnehmer entfallen ist.5 Damit die Arbeitsgerichte im Falle der Änderung der Vertriebsmethode überprüfen können, ob eine zulässige Organisationsentscheidung oder ein unzulässiges Konzept, das auf eine unwirksame Austauschkündigung hinausläuft, vorliegt, muss der Arbeitgeber entsprechend substantiiert zu diesem Punkt vortragen. Er muss daher sein neues
1 BAG v. 23.1.2008 – 1 ABR 74/06, EzA-SD 2008, Nr. 7, 19–20; ausführlich hierzu vgl. Kleinebrink, FA 2007, 293–297. 2 Vgl. Hamann in Schüren/Hamann, § 14 Rz. 149. 3 BAG v. 2.10.2007 – 1 ABR 60/06, NZA 2008, 244. 4 BAG v. 23.1.2008 – 1 ABR 74/06, EzA-SD 2008, Nr. 7, 19–20. 5 Siehe z.B. BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095 und Rz. 239.
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Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 296 Teil 2
Betriebskonzept einschließlich sämtlicher wirtschaftlicher und unternehmenspolitischer Überlegungen nachvollziehbar darlegen und ggf. beweisen. Nur dann ist den Gerichten eine entsprechende Überprüfung möglich.1 i) Insolvenzabwicklung Wird über das Unternehmen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, so bedeutet dies selbstverständlich nicht ohne weiteres die Beendigung der mit dem Insolvenzschuldner als Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsverhältnisse und die Entlassung der gesamten Belegschaft. Nach der InsO kann die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger des Insolvenzschuldners nicht nur durch die Verwertung seines Vermögens und die Verteilung des Erlöses erfolgen, sondern auch durch die Fortführung des Unternehmens unter geänderten Konditionen und die Erwirtschaftung von Gewinn. Die Gläubigerversammlung kann dazu dem Insolvenzverwalter die Ausarbeitung eines Insolvenzplanes zur Fortführung des Unternehmens aufgeben.
293
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist damit nicht mit der Betriebsstilllegung gleichzusetzen und stellt aus diesem Grund auch nicht per se ein dringendes betriebliches Erfordernis gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar.2
294
Der Insolvenzverwalter kann sich aber nach „Übernahme“ des Unternehmens (s. § 80 InsO) zu verschiedenen Rettungsmaßnahmen veranlasst sehen, wie z.B. zur Rationalisierung, zum Personalabbau oder zu einer grundsätzlichen Änderung des Betriebskonzepts, durch die ein Überhang an Arbeitskräften entsteht und die daher eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen können. Die InsO eröffnet dem Insolvenzverwalter erweiterte Kündigungsmöglichkeiten. Dabei ist nach den verschiedenen Stadien zu differenzieren, in denen sich das Insolvenzverfahren befindet.
295
Im Insolvenzeröffnungsverfahren, also in dem Zeitraum bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach §§ 13–15 InsO, kann das Insolvenzgericht gem. § 21 InsO Sicherungsmaßnahmen treffen, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Legt das Gericht dem Insolvenzschuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auf und bestellt es einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis, § 21 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO, so geht die Arbeitgeberfunktion schon zu diesem Zeitpunkt auf den Insolvenzverwalter über, der dadurch berechtigt ist, Kündigungen zu erklären und gegen den evtl. Kündigungsschutzklagen zu richten sind (siehe § 22 InsO). Macht ein Arbeitnehmer geltend, sein durch den Insolvenzverwalter ordentlich gekündigtes Arbeitsverhältnis sei durch einen Betriebsübergang – im konkreten Fall auch mangels Widerspruchs – vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Erwerber übergegangen, ist eine Kündigungsschutzklage gegen den Insolvenzverwalter unschlüssig, da wegen der strukturellen Streitgegenstandstheorie im Kündigungszeitpunkt kein Arbeitsverhältnis mehr bestand.3
296
1 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 529. 2 So z.B. FK-InsO/Eisenbeis, Vor §§ 113 ff. Rz. 5, 8; KR/Weigand, §§ 113, 120–124 InsO Rz. 70. 3 BAG v. 21.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668.
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Teil 2 Rz. 297
Betriebsbedingte Kündigung
Spricht das Gericht dagegen kein allgemeines Verfügungsverbot aus, sondern stellt z.B. bestimmte Verfügungsbefugnisse unter einen Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters, behält der Insolvenzschuldner gegenüber seinen Arbeitnehmern die Arbeitgeberfunktion.1 297
Unabhängig davon, wer die Kündigung ausspricht, hat das Insolvenzverfahren in diesem Stadium noch keine Auswirkungen auf die arbeitsvertraglichen und auch auf die kündigungsrechtlichen Rechte und Pflichten. Das Arbeitsrecht gilt noch uneingeschränkt, § 113 InsO findet im Insolvenzeröffnungsverfahren keine Anwendung.2
298
Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, d.h. zwei Tage nach öffentlicher Bekanntmachung des Beschlusses über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 27, 30, 9 InsO) finden die Sonderregelungen der InsO uneingeschränkt Anwendung. Zu beachten ist dabei, dass die Insolvenzeröffnung zur Unterbrechung eines anhängigen Kündigungsschutzprozesses führt, vgl. § 240 ZPO. Das gilt auch im Falle eines nach § 343 InsO anerkannten ausländischen Insolvenzverfahrens.3 Zwar bleibt auch im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Arbeitsverhältnis unverändert mit allen Rechten und Pflichten bestehen, aber der Insolvenzschuldner verliert spätestens jetzt gem. § 80 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse und damit seine Arbeitgeberfunktion an den Insolvenzverwalter. Ab diesem Zeitpunkt kann nur noch der Insolvenzverwalter Kündigungen aussprechen. Dabei hat er nach wie vor, soweit im Betrieb die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG vorliegen, die allgemeinen Kündigungsvorschriften des KSchG zu beachten. Der Insolvenzverwalter kann also auch ordentliche, betriebsbedingte Kündigungen ausspreche, sofern ein dringendes betriebliches Erfordernis gegeben ist. Dies ist z.B. in der Regel gegeben, wenn der Insolvenzverwalter beschließt, den gesamten Betrieb oder einen Teil stillzulegen.4 Soll der gesamte Betrieb stillgelegt werden, hat der Insolvenzverwalter meist auch die §§ 111 ff. BetrVG und die Anzeigepflicht gem. §§ 17 ff. KSchG zu beachten. Der Insolvenzverwalter muss weiterhin den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern nach § 15 KSchG5 und den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte6 beachten. Gleiches gilt für den Sonderkündigungsschutz für Schwangere und Eltern in der Erziehungszeit.7 Auch Berufsausbildungsverhältnisse können nur nach Maßgabe des § 22 BBiG gekündigt werden, wobei der Fall der Insolvenz mit der damit verbundenen Stilllegung des Betriebes infolge wirtschaftlichen Rückgangs in der Regel einen wichtigen Grund gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG zur vorzeitigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses darstellt.8 1 KR/Weigand, §§ 113, 120–124 InsO Rz. 4. 2 Kübler/Prütting/Pape, Insolvenzordnung, 1998, § 22 InsO Rz. 1; FK-InsO/Schmerbach, 4. Auflage, 2006, § 22 Rz. 23; ErfK/Müller-Glöge, § 113 InsO Rz. 5; Schaub, DB 1999, 217, 220; a.A. z.B. Kübler/Prütting/Moll, § 113 InsO Rz. 24 ff. 3 BAG v. 27.2.2007 – 3 AZR 618/06, NZA 2008, 122. 4 Es gilt dabei das oben unter e) zur Betriebsstilllegung dargelegte. 5 FK-InsO/Eisenbeis, § 113 InsO Rz. 33; KR/Weigand, §§ 113, 120–124 InsO Rz. 48. 6 FK-InsO/Eisenbeis, § 113 InsO Rz. 56. 7 KR/Weigand, §§ 113, 120–124 InsO Rz. 61 f. 8 KR/Weigand, §§ 21–23 BBiG Rz. 69.
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Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 302 Teil 2
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehen dem Insolvenzverwalter zusätzlich die besonderen Kündigungsmöglichkeiten nach der InsO offen. § 113 InsO für Individualkündigungen und §§ 125 ff. InsO für kollektive Kündigungsverfahren beschränken die allgemeinen Regelungen über Kündigungsfristen und Kündigungsschutz als lex specialis.
299
Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO kann ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis, bei dem der Insolvenzschuldner der Dienst- oder Arbeitsberechtigte ist, vom Insolvenzverwalter und vom anderen Teil ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Die Vorschrift enthält allerdings keinen selbständigen Kündigungsgrund der Insolvenz oder Sanierung. Das KSchG ist auch bei einer Kündigung nach § 113 InsO zu beachten, wenn es nach seinem persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich Anwendung findet.1 Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Dadurch gilt also im Insolvenzverfahren eine Höchstfrist zur Kündigung von längstens drei Monaten. Diese Höchstfrist ist dann nicht anwendbar, wenn eine gesetzliche, tarifvertragliche oder einzelvertragliche Kündigungsfrist maßgeblich ist, die kürzer als die Höchstfrist ist. Die drei Rechtsquellen Gesetz, Tarifvertrag und Einzelarbeitsvertrag stehen dabei in keinem hierarchischen Verhältnis. Anwendbar ist alleine die auf das Arbeitsverhältnis nach der Rechtsquellenlehre zutreffende Kündigungsfrist, sofern sie kürzer ist als die Höchstfrist des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO.2
300
" Praxistipp: Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO werden im Insolvenzver-
301
Wird in einem Tarifvertrag der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht, handelt es sich nicht um einen tarifvertraglichen Ausschluss einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung oder um eine tarifvertragliche Verlängerung der Kündigungsfrist. Dadurch wird alleine der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung determiniert. Ohne erforderliche Zustimmung kann eine Kündigung nicht rechtswirksam erklärt werden. Diese Regelung ähnelt Bestimmungen wie § 103 BetrVG oder § 9 Abs. 3 MuSchG. Der allgemeine und besondere Kündigungsschutz ist in der Insolvenz aber auch vom Insolvenzverwalter zu beachten. Dies gilt in gleicher Weise für gesetzliche Anhörungserfordernisse, wie die Betriebsratsanhörung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG. Für ein tarifvertragliches Zustimmungserfordernis kann daher nichts anderes gelten. Dass ein solcher Tarifvertrag im Ergebnis wie eine zeitlich befristete Kündigungssperre wirkt, ist lediglich ein Reflex der Bestimmung. Der Insolvenzverwalter muss daher in einem solchen Fall das
302
fahren auch Unkündbarkeitsklauseln verdrängt. Dies gilt sowohl für tarifvertragliche als auch für einzelarbeitsvertragliche Unkündbarkeitsklauseln. § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO geht daher z.B. auch einer tarifvertraglich vereinbarten Unkündbarkeit für ältere Arbeitnehmer mit längerer Betriebzugehörigkeit vor.3 Der Insolvenzverwalter kann hier mit dreimonatiger Höchstfrist kündigen.
1 BAG v. 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, MDR 2006, 159–160. 2 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 425/98, NZA 1999, 425. 3 BAG v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, NZA 2000, 658.
Mues
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Teil 2 Rz. 303
Betriebsbedingte Kündigung
Arbeitsverhältnis betriebsbedingt nach Zustimmung des Betriebsrats unter Einhaltung der dreimonatigen Höchstfrist kündigen. Allerdings sind solche Tarifverträge dahin einschränkend auszulegen, dass jedenfalls dann, wenn im Fall der Insolvenz allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wegen Betriebsstilllegung gekündigt werden muss, die Zustimmung des Betriebsrats zu diesen betriebsbedingten Kündigungen nicht erforderlich ist.1 303
In den §§ 125–128 InsO wird ein kollektives Kündigungsverfahren geregelt. Dadurch wird der individuelle Kündigungsschutz nach § 1 KSchG zugunsten einer kollektivrechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebsparteien Insolvenzverwalter und Betriebsrat eingeschränkt. § 125 InsO ist insoweit lex specialis zu § 1 KSchG. Voraussetzung ist dabei ein Interessenausgleich im Rahmen einer geplanten Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG. Liegt dieser vor und sind die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll in dem Interessenausgleich namentlich bezeichnet, so wird vermutetet, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die gesetzliche Vermutungsregelung bewirkt eine Beweislastumkehr zugunsten des Insolvenzverwalters. Er hat im Streitfall nur die Vermutungsbasis zu beweisen, also darzulegen und ggf. zu beweisen, dass eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vorliegt und ein rechtswirksamer Interessenausgleich mit Namensliste zustandegekommen ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass tatsächlich keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vorgelegen haben, trägt der Arbeitnehmer.2
304
Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann in diesem Fall nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Bei Anwendung des § 125 InsO ist die Sozialauswahl also – wie dies seit Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt jetzt auch bei der insoweit angepassten allgemeinen Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG der Fall ist – nur anhand der im Gesetz genannten Grunddaten durchzuführen. Dadurch wird die Durchführbarkeit vereinfacht und die Rechtssicherheit erhöht. Ähnlich dem Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG, sowie der in einer Betriebsvereinbarung getroffenen Auswahlrichtlinie gem. §§ 95 BetrVG, 1 Abs. 4 KSchG kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Der Begriff der groben Fehlerhaftigkeit ist dabei in allen Fällen der gleiche.3 Danach ist die Gewichtung der Grunddaten grob fehlerhaft, wenn sie jede Ausgewogenheit vermissen lässt, d.h. wenn z.B. einzelne der gesetzlich vorgeschriebenen Sozialdaten überhaupt nicht, eindeutig unzureichend oder mit überhöhter Bedeu1 BAG v. 19.1.2000 – 4 AZR 911/98, n.v. 2 KR/Weigand, § 125 InsO Rz. 20; BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97 n.v.; LAG Düsseldorf v. 16.2.1998, BB 1998, 1268; v. 9.10.1997, DB 1998, 926; a.A. LAG Düsseldorf v. 4.3. 1998, BB 1998, 1268. 3 Näher zu § 125 I 1 Nr. 2 InsO KR/Weigand, § 125 InsO Rz. 21 ff.
340
Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 306 Teil 2
tung berücksichtigt wurden.1 Bei der Gewichtung der Sozialdaten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Dienstalter und Unterhaltspflichten besteht keine Rangfolge zugunsten eines dieser Kriterien2, wenngleich sich in der Literatur eine Tendenz dahingehend abzeichnet, der Betriebszugehörigkeitsdauer bei der Sozialauswahl ein entscheidendes Gewicht beizumessen.3 Zu beachten ist, dass der eingeschränkte Prüfungsmaßstab des § 125 InsO sich auf die Sozialauswahl insgesamt bezieht, also nicht nur die Sozialindikatoren und ihre Gewichtung, sondern auch die Nichteinbeziehung anderer Arbeitnehmer wegen fehlender Vergleichbarkeit oder wegen berechtigter betrieblicher Interessen umfasst.4 2. Wegfall personenbezogenen Beschäftigungsvolumens wegen a) Änderung von Anforderungsprofilen Die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbare unternehmerische Entscheidungsfreiheit umfasst auch die Festlegung der Anforderungsprofile an eingerichtete Arbeitsplätze. Soweit die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen für die sachgerechte Erledigung der Arbeitsaufgaben nach der Auffassung des Arbeitgebers erforderlich ist, kann die unternehmerische Entscheidung nur auf offenbare Unsachlichkeit überprüft werden. So ist z.B. die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitgebern mit besonderen Qualifikationen ausführen zu lassen, grundsätzlich zu respektieren. Beispiele sind insbesondere Sprachkenntnisse, spezielle EDV- oder Produktkenntnisse. Entscheidend ist dabei, dass die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben.5
305
Kündigungsrechtlich relevant wird dieser Gesichtspunkt, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer innerbetrieblichen Entscheidung einen bestimmten Arbeitsplatz inhaltlich ändert, indem er das erforderliche Qualifikationsniveau steigert und ergänzt. Auch dies ist eine freie Unternehmerentscheidung. Der Arbeitgeber kann nicht nur das Anforderungsprofil erstmals frei definieren, sondern er kann es auch ändern.6 Da durch eine Änderung des Anforderungsprofils die von dem Arbeitnehmer bisher verrichtete Arbeit nicht wegfällt, stellt dies für sich genommen kein betriebliches Erfordernis dar, um dem Arbeitnehmer zu kündigen. Etwas anderes gilt aber, wenn der Arbeitnehmer dem neu definierten Profil, etwa durch eine Zusammenlegung von zwei bisher eigenständigen Arbeitsplätzen mit ähnlichen Aufgaben, nicht mehr entspricht. In diesem Fall
306
1 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866 zu dem damals noch zu berücksichtenden § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG; vgl. hierzu auch unter Rz. 629 ff. (Interessensausgleich mit Namensliste) und Rz. 421 ff. (Betriebsvereinbarung mit Auswahlrichtlinie). 2 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387. 3 Vgl. APS/Kiel § 1 Rz. 727; KFA/Kaiser 2008, § 1 KSchG Rz. 195; Löwisch NZA 1996, 1009. 4 KR/Weigand, § 125 InsO Rz. 22. 5 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312 (n.v.); v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266 (n.v.); v. 24.6.2004 – 2 AZR 326/03, NZA 2004, 1268 (n.v.). 6 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 563.
Mues
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Teil 2 Rz. 307
Betriebsbedingte Kündigung
kann die Kündigung des Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sozial gerechtfertigt sein.1 307
" Praxistipp: Nichts anderes gilt, wenn der Arbeitgeber unter Beibehaltung
308
Diese Grundsätze sind insbesondere anwendbar, wenn es sich um einen drittfinanzierten Arbeitsvertrag handelt. Bei solchen Arbeitsverträgen wird das Anforderungsprofil oft bereits durch den Drittmittelgeber festgelegt. Es ist anerkannt, dass sich auch bei drittfinanzierten Arbeitsverträgen ein dringendes betriebliches Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb des Drittmittelempfängers entgegensteht, schon aus der Entscheidung des (meist öffentlichen) Drittmittelgebers ergeben kann, die Fördermittel zu streichen bzw. zu kürzen. Führt der Drittmittelempfänger die bisher geförderte Maßnahme nicht – etwa aus eigenen Mitteln – fort, so liegt darin für die dort beschäftigten Arbeitnehmer an sich ein Grund für eine betriebsbedingte Kündigung.3
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Auch soweit der Drittmittelgeber versucht, auf die Besetzung der finanzierten Arbeitsplätze im Betrieb des Drittmittelempfängers Einfluss zu nehmen und dabei insbesondere eine bestimmte Qualifikation der Arbeitnehmer durchzusetzen, haben sich die unternehmerischen Entscheidungen des Drittmittelempfängers stets an dem Recht des Drittmittelgebers zu orientieren, die Fördermittel zu streichen und ggf. andere Institutionen zu fördern. Selbst wenn der Drittmittelempfänger die Anforderungen des Drittmittelgebers an die Qualifikation der betreffenden Arbeitnehmer für überzogen hält, wird er letztlich Qualifikationsanforderung Folge leisten müssen. Es kann von ihm dann lediglich verlangt werden, dass er zunächst alle zumutbaren Mittel einsetzt, um eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen. Bleiben seine Bemühungen erfolglos, fehlt es an einem geeigneten Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer
bisheriger Arbeitskapazitäten den Arbeitsplatz zu einer Beförderungsstelle umgestaltet. Der kündigungsschutzrechtliche Bestandsschutz gewährt dem Arbeitnehmer zwar regelmäßig keinen Anspruch auf Beförderung. Hat der Arbeitgeber hingegen für eine bestimmte Tätigkeit eine Einstellungsentscheidung getroffen und bleibt die Tätigkeit im Wesentlichen bestehen, liegen allein aufgrund einer Umwidmung dieser Stelle in eine Beförderungsstelle keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor. Sonst hätte es der Arbeitgeber in der Hand, einem missliebigen Arbeitnehmer betriebsbedingt mit der Begründung zu kündigen, auf eine Beförderung auf seinen inzwischen aufgewerteten Arbeitsplatz habe er keinen Anspruch und andere Arbeitsmöglichkeiten seien nicht vorhanden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitnehmer seinen Fähigkeiten und seiner Vorbildung nach geeignet ist, die Arbeitsleistung auf dem umgestalteten Arbeitsplatz zu erbringen. Ist dies nicht der Fall, kann ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung vorliegen.2
1 So z.B. BAG v. 7.11.1996 – 2 AZR 811/95, NZA 1997, 253; vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 563, der eine personenbedingte Kündigung wegen fehlender fachlicher Qualifikation für gegeben hält. 2 BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566; v. 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, NZA 2001, 437. 3 BAG v. 30.10.1987 – 7 AZR 138/87, RzK I, 5c Nr. 24.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 311 Teil 2
beschäftigt werden könnte, und ist die Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber nicht zumutbar.1 b) Druckkündigung Eine Druckkündigung liegt vor, wenn Dritte (Kunden, Arbeitskollegen, Untergebene) unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen.2 Der Begriff der Druckkündigung sagt für sich aber noch nichts darüber aus, um welche Art der Kündigung – verhaltens-/personenbezogener oder betriebsbezogener Kündigungsgrund – es sich handelt. Die rechtsdogmatische Einordnung der Druckkündigung ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. In der Praxis wurde sie teils als betriebsbedingte Kündigung eingeordnet3, in der Literatur geht man überwiegend – je nach der Schuldhaftigkeit des Verhaltens des Arbeitnehmers – von einer verhaltens-/personenbezogenen Kündigung aus.4 Dieser Meinungsstreit kann jedoch offen bleiben, da feststeht, dass eine vom Arbeitgeber als Kündigungsgrund angeführte Drucksituation in jedem Fall zunächst nach ihrer Hauptstörquelle zu untersuchen und damit alternativ als verhaltens-/personenoder betriebsbedingter Kündigungsgrund zu prüfen ist.5
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Es sind damit bei einer sog. Druckkündigung zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
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– Das Verlangen des Dritten kann gegenüber dem Arbeitgeber durch ein Verhalten des Arbeitnehmers oder einen personenbedingten Grund objektiv gerechtfertigt sein. In diesem Fall liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er eine personen- oder eine verhaltensbedingte Kündigung – entweder gem. § 626 Abs. 1 BGB oder gem. §§ 1, 2 KSchG – ausspricht.6 Unabhängig von bzw. neben der Drucksituation kann sich der Arbeitgeber auf einen personenoder verhaltensbedingten Grund stützen, wobei bei einer auf diese Gründe gestützten Kündigung die allgemeinen Voraussetzungen zu beachten sind. So können z.B. autoritärer Führungsstil und mangelnde Fähigkeit zur Menschenführung bei einem sog. unkündbaren Arbeitnehmer eine außerordentliche personenbedingte (Änderungs-)Druckkündigung nach § 55 Abs. 1 BAT rechtfertigen.7 1 BAG v. 7.11.1996 – 2 AZR 811/95, NZA 1997, 253. 2 St. Rspr. vgl. BAG v. 26.6.1997 – 2 AZR 502/96, RzK I 5i Nr. 126 (n.v.); v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581; ebenso LAG Düsseldorf v. 28.6.2000 – 12 Sa 851/99, n.v.; LAG Hamm v. 4.5.1999 – 4 Sa 1298/98, BuW 1999, 920; aus der Literatur KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 586, 473; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 204; APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 336 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 318. 3 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21; offengelassen in BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 521; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 323; Stahlhacke/ Preis/Vossen, Rz. 747. 5 Ständige Rechtsprechung, LAG Hamm v. 4.5.1999 – 4 Sa 1298/98, BuW 1999, 920. 6 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21; v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581. 7 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581.
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Teil 2 Rz. 312
Betriebsbedingte Kündigung
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Fehlt es dagegen an einer objektiven Rechtfertigung der Drohung, ist also ein objektiver Kündigungsgrund nicht gegeben, kann eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht kommen. Das bloße Verlangen Dritter, einem bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen, ist allerdings nicht ohne weiteres geeignet, eine Kündigung sozial zu rechtfertigen. An die Zulässigkeit einer objektiv nicht gerechtfertigten Druckkündigung sind vielmehr besonders strenge Anforderungen zu stellen.1 Dies hängt damit zusammen, dass sich der Arbeitgeber aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer stellen und alles Zumutbare tun muss, um den Dritten von seiner Drohung abzubringen. Er darf nicht ohne weiteres dem Verlangen des Dritten nachgeben, um evtl. Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen.2
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Voraussetzung ist zunächst, dass dem Arbeitgeber von Dritten ein erheblicher Nachteil angedroht wird. Die Drohung kann dabei z.B. von der Belegschaft, einer Gewerkschaft, dem Betriebsrat3 oder Außenstehenden, wie Kunden oder Lieferanten ausgehen.4 Die in Aussicht gestellten Nachteile können darin liegen, dass die Belegschaft oder zumindest ein Großteil der Belegschaft ernsthaft die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Arbeitnehmer verweigert5 bzw. mit Streik droht6 oder dass Kunden des Arbeitgebers die Entlassung des Arbeitnehmers unter Androhung des Abbruchs von Geschäftsbeziehungen verlangen.7 Durch die angedrohten Nachteile muss es für den Arbeitgeber zu schweren wirtschaftlichen Schäden kommen. Lehnen z.B. wichtige Geschäftspartner eine weitere Zusammenarbeit mit einem Verkaufsleiter aus nachvollziehbaren Gründen ab, so kann dies ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des betreffenden Verkaufsleiters begründen, wenn es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, für die gleiche Aufgabe praktisch zwei Arbeitnehmer einzusetzen.8
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Aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht ist der Arbeitgeber weiterhin zunächst verpflichtet, sich schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen und alle zumutbaren Mittel einzusetzen, um die Belegschaft bzw. sonstige Personen, von denen der Druck ausgeht, von der Drohung abzubringen.9 Die letztlich aus § 242 BGB hergeleitete Fürsorgepflicht hatte der Gesetzgeber für den Fall der sexuellen Belästigung eines Beschäftigten in § 3 Abs. 2 BSchutzG ausdrücklich klargestellt. Danach war der Arbeitgeber verpflichtet, erforderliche und geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Fortsetzung einer festgestellten Belästigung zu unterbinden. Gleichzeitig konkretisierte § 4 Abs. 1 Nr. 1 Beschäftigungsschutzgesetz diese Verpflichtung des Arbeitgebers dahingehend, 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Grundlegend, BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21. BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21. § 104 BetrVG, siehe dazu noch unten Rz. 316. APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 337. BAG v. 10.12.1992 – 2 AZR 271/92, NZA 1993, 593; im Fall ablehnend LAG Düsseldorf v. 28.6.2000 – 12 Sa 851/99, n.v. BAG v. 4.10.1990 – 2 AZR 201/90, NZA 1991, 468. BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21. BAG v. 26.6.1997 – 2 AZR 502/96, RzK I 5 i Nr. 126. BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 316 Teil 2
dass er im Einzelfall angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen hat. Mit Inkrafttreten des AGG hat der Gesetzgeber für den Fall der Benachteiligung eines Arbeitnehmers aus den in § 1 AGG genannten Gründen die diesbezüglichen Pflichten des Arbeitgebers weiter konkretisiert. Nach § 12 Abs. 3 AGG muss der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten Maßnahmen ergreifen, wenn Arbeitnehmer gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen. Hierzu zählen Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung.1 Eine Kündigung ist nur gerechtfertigt, wenn sie das einzige in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden. Vor Ausspruch einer Beendigungskündigung ist daher auch an eine Änderungskündigung zu denken. Kann der dem Betrieb drohende Schaden bereits durch eine Änderungskündigung abgewendet werden, ist eine Beendigungskündigung nicht erforderlich und deshalb rechtsunwirksam.2 Eine Versetzung zur Abwendung der Drucksituation ist ebenfalls als milderes Mittel einer Kündigung vorzuziehen. Ist eine Versetzung arbeitsvertraglich nicht ohne weiteres möglich, muss der Arbeitnehmer u.U. bereit sein, in eine Versetzung einzuwilligen, wenn dadurch die Lage entspannt werden kann. Auch der Arbeitnehmer muss nämlich in einer Drucksituation versuchen, unzumutbare Nachteile von seinem Arbeitgeber abzuwenden.3 Zu beachten ist allerdings, dass eine arbeitnehmerseitige Einwilligung zu einer Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz nur dann in Frage kommt, wenn ein solcher Arbeitsplatz im Unternehmen vorhanden ist. Das gilt insbesondere für den Fall, dass ein Arbeitnehmer aufgrund Mobbings einen anderen, gleichwertigen Arbeitsplatz beansprucht, an welchem er nicht mehr den Weisungen des bisherigen Vorgesetzten untersteht.4 Die (außerordentliche) Druckkündigung erfordert jedoch keine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers. Vergleiche zur Verdachtskündigung können hier nicht gezogen werden. Der Arbeitgeber stützt sich auf einen feststehenden Sachverhalt, der allein durch das drohende Verhalten des/der Dritten geprägt wird. Zwar kann es im Rahmen der dem Arbeitgeber obliegenden Pflicht, alles ihm Zumutbare zu versuchen, um z.B. die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen, auch darauf ankommen, die Gründe für ihre Weigerung zu erfahren, mit dem Arbeitnehmer weiter zusammenzuarbeiten. Aufschluss hierüber können jedoch in erster Linie die betreffenden Arbeitnehmer und, im Gegensatz zur Verdachtskündigung, eben nicht der Arbeitnehmer geben, dessen Entlassung gefordert wird.5 Der Arbeitgeber kann sich schließlich nicht auf eine die Kündigung herbeiführende Drucksituation berufen, wenn er die Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat.6
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" Praxistipp: In Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, ist eine Entlas-
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sung betriebsstörender Arbeitnehmer gem. § 104 BetrVG möglich. Danach kann der Betriebsrat, wenn ein Arbeitnehmer durch gesetzeswidriges Ver-
1 2 3 4 5 6
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223. BAG v. 4.10.1990 – 2 AZR 201/90, NZA 1991, 468. APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 340. BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223. BAG v. 4.10.1990 – 2 AZR 201/90, NZA 1991, 468. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 321.
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Teil 2 Rz. 317
Betriebsbedingte Kündigung
halten oder grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört hat, vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. 317
Durch diese Vorschrift erhält der Betriebsrat die Möglichkeit, die Vorschrift des § 75 Abs. 1 und des § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG praktisch durchzusetzen.1 Voraussetzung des Kündigungs-/Versetzungsverlangens ist ein gesetzeswidriges Verhalten oder eine grobe Verletzung der Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG2, wobei letzterem größere Bedeutung zukommt. Es reicht nicht schon ein einmaliges Fehlverhalten des Arbeitnehmers, sondern es muss sich um eine wiederholte und ernstliche Störung des Betriebsfriedens handeln, also um mindestens zweimalige Verstöße.3 Etwas anderes gilt nur, wenn ein einmaliges Fehlverhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass den übrigen Arbeitnehmern eine weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden kann. Weiterhin muss das Fehlverhalten besonders schwer sein („grob“). Der betreffenden Arbeitnehmer muss z.B. andere Arbeitnehmer in besonders auffälliger Weise diskriminiert haben, obwohl er sich über die Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens ohne weiteres hätte im Klaren sein können.4 Als in Frage kommende Sachverhalte ist hier u.a. an Mobbing gegenüber älteren oder behinderten Arbeitnehmern, ausländerfeindliche Äußerungen5, Diebstähle unter Arbeitskollegen oder Tätlichkeiten zu denken. Bloße Ungefälligkeit oder verschlossenes Wesen reichen nicht aus.6
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Liegen die Voraussetzungen des § 104 BetrVG vor, kann der Betriebsrat oder ein dazu gem. §§ 27, 28 BetrVG ermächtigter Ausschuss verlangen, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers gekündigt wird. Dabei hat der Arbeitgeber die „normalen“ Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung zu beachten, also auch die Einhaltung der Kündigungsfrist, es sei denn, es kommt eine fristlose Kündigung in Betracht.7 Der Arbeitgeber muss den Sachverhalt, den der Betriebsrat seinem Kündigungs-/Versetzungsverlangen zugrunde legt, in eigener 1 Fitting, § 104 Rz. 3. 2 Siehe im Einzelnen zu § 75 Abs. 1 BetrVG in Fitting, § 75 Rz. 1–100. 3 LAG Köln, v. 15.10.1993 – 13 TaBV 36/93, NZA 1994, 431; LAG Hamm v. 11.11.1994 – 10 (19) Sa 100/94, LAGE § 626 BGB Nr. 82; zu den Anforderungen einer Störung des Betriebsfriedens vgl. BAG v. 16.11.2004 – 1 ABR 48/03, AP Nr. 44 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung (= EzA § 99 BetrVG 2001 Einstellung Nr. 3). 4 DKK/Kittner/Bachner, § 104 Rz. 2b. 5 BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 676/98, NZA 1999, 1270; LAG Niedersachsen v. 9.12.1993 – 14 Sa 941/93, BB 1993, 1220; LAG Hamm v. 12.4.1994 – 6 Sa 1839/93, LAGE § 123 BGB Nr. 19; v. 11.11.1994 – 10 (19) Sa 100/94, LAGE § 626 BGB Nr. 82; LAG Rheinland-Pfalz v. 10.6.1997 – 6 Sa 309/97, NZA 1998, 118. 6 Fitting, § 104 Rz. 5. 7 DKK/Kittner/Bachner, § 104 Rz. 6.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 322 Teil 2
Verantwortung prüfen. Das Initiativrecht des Betriebsrats schafft keinen neuen Kündigungs- oder Versetzungsgrund, sondern setzt einen solchen voraus.1 Kommt der Arbeitgeber im Rahmen seiner Prüfung zu dem Ergebnis, dass das Verlangen des Betriebsrats gerechtfertigt ist, kann er die Kündigung aussprechen. Kommt er aber zu dem Ergebnis, dass das Verlangen unbegründet ist, muss er sich aufgrund seiner Fürsorgepflicht schützend vor den Arbeitnehmer stellen und alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um einer Beeinträchtigung der Rechtsposition des betroffenen Arbeitnehmers zu begegnen. Kann der Arbeitgeber dem Druck des Betriebsrats und/oder der Belegschaft nicht entgehen, kann auch eine an sich aus verhaltensbedingten Gründen nicht gerechtfertigte Kündigung betriebsbedingt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sein.2
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Verliert der Arbeitnehmer durch eine solche Druckkündigung seinen Arbeitsplatz, ohne dass die Voraussetzungen des § 104 BetrVG vorgelegen haben, so steht ihm ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB zu, da das Recht am Arbeitsplatz ein absolutes Recht im Sinne dieser Bestimmung ist.
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3. Die Unternehmerentscheidung a) Tatsache der Unternehmerentscheidung Unabhängig davon, ob die Kündigung im weiteren Sinne auf inner- oder auf außerbetrieblichen Gründen beruht, ist in jedem Fall eine gestaltende unternehmerische Entscheidung erforderlich. Bei einer Kündigung wegen innerbetrieblicher Ursachen fällt die Unternehmerentscheidung regelmäßig mit der Ursache zusammen. Selbst wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb so organisiert hat, dass er die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar aus dem Auftragsvolumen errechnet, so dass sich bei Umsatzrückgang automatisch der Personalbedarf reduziert, liegt eine Unternehmerentscheidung in Form der sog. verdeckten Unternehmerentscheidung vor.3 Durch die Realisierung der Unternehmerentscheidung entfällt auf Dauer der Beschäftigungsbedarf für einen/mehrere Arbeitnehmer im Betrieb.
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Obwohl die Unternehmerentscheidung daher entscheidend für die betriebsbedingte Kündigung ist, bedarf sie grundsätzlich keiner besonderen Form. Sie muss z.B. nicht schriftlich festgehalten werden. Selbst wenn eine juristische Person oder eine Personengesellschaft eine Unternehmerentscheidung trifft, z.B. den Entschluss, den Betrieb stillzulegen, ist hierzu kein gesellschaftsrechtlich formell wirksamer Stilllegungsbeschluss erforderlich.4 Das BAG hat dies in einem Fall der Betriebsstilllegung durch eine GmbH entschieden. Dort hatte
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1 Fitting, BetrVG, § 104 Rz. 10. 2 DKK/Kittner/Bachner, § 104 Rz. 9; Fitting, § 104 Rz. 10; BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21. 3 BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, NZA 1986, 155. 4 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99, NZA 2001, 949; v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 879; KR/Griebeling, § 1 Rz. 579; HK-KSchG/Dorndorf/Weller, § 1 KSchG Rz. 972; kritisch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 492; a.A. LAG Berlin v. 10.8.1987 – 9 Sa 59/87, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13.
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Teil 2 Rz. 323
Betriebsbedingte Kündigung
nur der Geschäftsführer den Entschluss zur Stilllegung getroffen, anstatt darüber einen gem. § 49 Abs. 2 GmbHG erforderlichen Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Nach dem BAG ist zwischen der Wirksamkeit der Unternehmerentscheidung zur Stilllegung unter gesellschaftsrechtlicher Betrachtung und unter kündigungsrechtlichen Aspekten zu differenzieren. Die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit ist eine Frage des internen Dürfens. Die Überschreitung des gesellschaftsrechtlichen internen Dürfens durch das die Betriebsstilllegung betreibende Gesellschaftsorgan könne nur dann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, wenn die Rechtsordnung dies zum Schutz der Arbeitnehmer vorsehe. § 49 Abs. 2 GmbHG bezwecke jedoch nur den Schutz der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter, nicht jedoch den der Arbeitnehmer.1 323
Obwohl im Prozess die unternehmerische Entscheidung von den Arbeitsgerichten nur begrenzt überprüfbar ist, dürfen sie jedoch prüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und ob durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist.2 Für die Tatsache der Unternehmerentscheidung obliegt gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Er muss im Prozess konkret und substantiiert darlegen und ggf. beweisen, aus welchen inner- und außerbetrieblichen Gründen er welche Unternehmerentscheidung getroffen hat und wie sich dies auf die Arbeitsmenge auswirkt. Bei Kündigungen aus innerbetrieblichen Gründen muss der Arbeitgeber z.B. darlegen, dass er eine Unternehmerentscheidung getroffen hat, welche organisatorischen/technischen Maßnahmen er im Rahmen dieser Entscheidung angeordnet hat und wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar/mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirken.3 Es ist richtig, von dem kündigenden Arbeitgeber zu verlangen, dass er die Tatsache und den Inhalt der Unternehmerentscheidung im Streitfall substantiiert vortragen muss. Dies ergibt sich aus der weitreichenden kündigungsrechtlichen Relevanz der Unternehmerentscheidung für den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses des Unternehmers und ist die Kehrseite von Freiheit und eingeschränkter Überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung: Wenn der Arbeitnehmer schon kaum etwas gegen eine korrekte Unternehmensentscheidung machen kann, kann er wenigstens verlangen, dass ihm konkret dargestellt wird, wer wann welche konkrete Entscheidung getroffen hat. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers sind insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Sonst hätte der Arbeitgeber die naheliegende Möglichkeit, unter Berufung auf eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung eine missbräuchliche Umgehung des Kündigungsschutzes des betreffenden Arbeitnehmers dadurch zu erreichen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Vorbildung des betreffenden Arbeitsplatzinhabers ver1 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99, NZA 2001, 949. 2 BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, BB 2006, 1575; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095. 3 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 57.
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Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 325 Teil 2
schärft (z.B. perfekte Kongolesisch-Sprachkenntnisse, um mit ein oder zwei Kunden fremdsprachlich zu korrespondieren). Bei einer auf Änderung des Betriebskonzepts basierenden Anhebung des Stellenprofils muss der Arbeitgeber außerdem konkret darlegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere Umschulung oder Fortbildung des Arbeitnehmers, zu vermeiden war.1 Gesteigerte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers sind nach ständiger Rechtsprechung auch zu stellen, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf eine Unternehmerentscheidung stützt, welche lediglich in der Abschaffung einer Hierarchieebene besteht. Läuft die unternehmerische Entscheidung letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene hinaus, verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bislang zugeteilten Aufgaben, bedarf es der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offenbar unsachlich oder willkürlich ist.2 Der Arbeitgeber muss insbesondere konkret nachweisen, in welchem Maße die zuletzt vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen.
" Praxistipp: Aufgrund der relativ strengen Anforderungen der Gerichte an
die Substantiierungspflicht des Arbeitgebers erhöhen sich indirekt auch die Anforderungen an die Festlegung der Unternehmerentscheidung. Wichtig ist eine genaue und nachvollziehbare Niederlegung und Bekanntgabe z.B. auch bei der Betriebsstilllegung. Dort ist eine Kündigung schon möglich, wenn die entsprechende unternehmerische Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat. Dafür genügt es z.B., wenn das zuständige Organ einer juristischen Person beschließt, die werbende Tätigkeit des Unternehmens sofort einzustellen. Dann hat die Unternehmerentscheidung in dem Protokoll über die Beschlussfassung bereits greifbare Formen angenommen.3 Unabhängig von der Formfreiheit der Unternehmerentscheidung empfiehlt es sich jedoch, schon im Hinblick auf einen möglichen Kündigungsschutzprozess, die Entscheidung inhaltlich zu fixieren und für Außenstehende nachvollziehbar zu machen, also z.B. festzuhalten, wer, wann, wie und wo die Entscheidung getroffen und bekannt gemacht hat.
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b) Freiheit der Unternehmerentscheidung Die Unternehmerentscheidung ist Bestandteil der durch Art. 12 GG verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit des Arbeitgebers. Es ist grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, wie er seinen Betrieb führen will und mit welchen Arbeitnehmern er arbeiten will. Der Arbeitgeber entscheidet dabei genauso über schwerwiegende betriebliche Veränderungen wie über technische Rationalisierungsmaßnahmen sowie darüber, in welcher Form er eine Personalakte führen 1 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266. 2 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 1050/06 (n.v.) sowie BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 598/01, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 87. 3 BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 167/00, SAE 2001, 287; ähnlich BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, NZA 2001, 719.
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Teil 2 Rz. 326
Betriebsbedingte Kündigung
will.1 Zusätzlich fällt das Unternehmen verfassungsrechtlich unter den Schutz von Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Allerdings schützt Art. 12 GG auf der anderen Seite auch zugunsten des Arbeitnehmers die freie Wahl des Arbeitsplatzes, die neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch den Willen des Einzelnen umfasst, den Arbeitsplatz zu behalten. Diese beiden Grundrechtspositionen müssen durch das KSchG und die Gerichte in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.2 Auf Arbeitgeberseite geschieht dies u.a. dadurch, dass die unternehmerische Entscheidungsfreiheit durch die Gerichte nur in einem sehr begrenzten Umfang überprüfbar ist. Eine gerichtliche Überprüfung kann sich nur darauf erstrecken, ob die Entscheidung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (sog. Missbrauchskontrolle). Diese Ansicht hat auch im Schrifttum ganz einhellig Zustimmung gefunden.3 326
Was genau unter die freie Unternehmerentscheidung fällt, ist begrifflich nicht für alle Fälle konkret festzulegen. Das unternehmerische Ermessen ist ein normativer Begriff, der keinen für alle Fälle feststehenden Inhalt hat. Das, was kündigungsschutzrechtlich mit „unternehmerischem Ermessen“ gemeint ist, kann als „Bestimmung der der Geschäftsführung zugrunde liegenden Unternehmenspolitik“ bezeichnet werden. Dementsprechend können die Gerichte diese Entscheidungen des Unternehmers über die Leitung des Unternehmens nicht auf ihre Zweckmäßigkeit überprüfen. Eine solche Überprüfung, z.B. auf die Wirtschaftlichkeit einer Organisationsentscheidung oder die Art der Kostenersparnis, würde zudem die Richter überfordern. Dies gilt sowohl für Entscheidungen, die der Unternehmer im Hinblick auf den Markt trifft, also etwa über die Hereinnahme oder Nichthereinnahme eines Auftrags. Es gilt aber auch für die Entscheidungen, welche er unternehmensintern trifft, also etwa über die Fortführung oder Stilllegung des Betriebes oder die Änderung des Produktions- und Investitionsprogramms. Zur freien unternehmerischen Entscheidung gehört schließlich die Freiheit zur Wahl des betrieblichen Standorts, z.B. bei der Verlagerung eines Betriebsteils.4
327
Die Freiheit der Unternehmerentscheidung ist andererseits nicht unbegrenzt, was sich aus der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit des Arbeitnehmers ergibt. So ist z.B. nach dem Sinn des KSchG die arbeitgeberseitige Kündigung selbst keine Unternehmerentscheidung. Anderenfalls würde das KSchG keinen Bestandschutz gewähren, vielmehr der Arbeitgeber stets die ausgespro1 Vgl. BAG v. 16.10.2007 – 9 AZR 110/07, NZA 2008, 367. 2 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154: KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 16. 3 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 1157; v. 22.9.2005 – 2 AZR 365/04 (n.v.); v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05 (Parallelentscheidung) BB 2006, 1575; LAG Düsseldorf v. 27.9.2001 – 11 Sa 782/01, LAG Report 2002, 125, 1075; LAG Köln v. 24.8.1999 – 13 Sa 427/99, AiB 2000, 694; Bitter, Der kündigungsrechtliche Dauerbrenner: Unternehmerfreiheit ohne Ende?, DB 1999, 1214, 1217; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 522; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 699; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 265; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 945. 4 BAG v. 20.2.1986 – 2 AZR 212/85, NZA 1986, 823 unter B II.2; v. 27.9.2001 – 2 AZR 246/00, EzA-SD 2002, Nr. 7, 7–9.
350
Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 330 Teil 2
chene Kündigung erfolgreich mit dem Hinweis verteidigen können, die Kündigung sei eine nicht zu überprüfende Unternehmerentscheidung.1 Das Kündigungsrecht des Arbeitgebers darf allerdings nicht dadurch beschränkt werden, dass er seiner Beratungs- oder Begründungspflicht aus § 92a Abs. 2 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist. Eine solche Rechtsfolge würde zu einem unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit führen. Denn ein in irgendeiner Form verbindlicher Vorschlag des Betriebsrats würde dazu führen, dem Arbeitgeber eine bestimmte Anzahl von zu beschäftigenden Arbeitnehmern vorzugeben. Es fällt aber unter die freie Unternehmerentscheidung, selbst zu bestimmen, mit welcher Anzahl von Arbeitnehmern der Arbeitgeber die verbleibende Arbeitsmenge nach Durchführung einer innerbetrieblichen Umstrukturierung durchführen lässt.2 Allerdings ist die Unternehmerfreiheit durch die Missbrauchskontrolle selber Einschränkungen unterworfen. Die Gerichte können weiterhin die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen. So können sie zum einen untersuchen, ob die behauptete Unternehmerentscheidung überhaupt zum Kündigungszeitpunkt vorlag. Zum anderen können sie prüfen, ob die Entscheidung im Betrieb umgesetzt wurde und ob durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist.3 Aus dem Grundsatz der Freiheit der Unternehmerentscheidung ergibt sich, dass der Arbeitgeber nicht an bestimmte betriebswirtschaftliche Gründe für eine kündigungsrelevante Entscheidung gebunden ist. Er kann beispielsweise auch die Entscheidung treffen, ein floriendes und gewinnbringendes Unternehmen stillzulegen, etwas aus Gründen der Konzernpolitik oder wegen einer Änderung seiner persönlichen Lebensplanung. Die Freiheit der Unternehmerentscheidung manifestiert sich darin, dass der Unternehmer nicht zueinem bestimmten, betriebswirtschaftlich sinnvollen Verhalten gezwungen werden kann.
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c) „Kontrolle“ der Unternehmerentscheidung Die Unternehmerentscheidung ist nur einer Willkürkontrolle zu unterziehen und daraufhin zu prüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.4 Auch hier hat das Gericht jedoch keinen Einfluss auf die Unternehmerentscheidung selber, selbst wenn sie sich als unvernünftig oder willkürlich erweisen würde. Eine Abänderung der Unternehmerentscheidung findet nicht statt. Eine unsachliche Entscheidung ist vielmehr von den Gerichten als Kündigungsgrund nicht zu beachten, mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam ist.5
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Offenbar unsachlich ist eine Unternehmerentscheidung z.B. dann, wenn sie mittelbar oder unmittelbar gegen Gesetz oder Tarifvertrag verstößt oder einer
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1 2 3 4
Grundlegend BAG v. 20.2.1986 – 2 AZR 212/85, NZA 1986, 823 unter B II.2. BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552. Siehe z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 553 ff. St. Rspr., vgl. BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06; v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06; 18.1. 2007 – 2 AZR 796/05, DB 2007, 2097 m.w.N. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 561.
Mues
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Teil 2 Rz. 331
Betriebsbedingte Kündigung
Gesetzesumgehung dient.1 Ein Arbeitgeber, der langfristig die Stilllegung seines Betriebes plant und umsetzt und zeitlich ein neues Unternehmen im selben Geschäfts- und Marktbereich mit den selben Zulieferern und Kunden aufbaut, um sich auf diese Weise ohne oder mit nur geringem Kostenrisiko von langjährig bei ihm beschäftigten oder unliebsamen Arbeitnehmern trennen zu können, umgeht die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes und handelt offensichtlich unsachlich und willkürlich.2 Gleiches gilt für ein geändertes Betriebskonzept, mit dem der Arbeitgeber lediglich dem deutschen Arbeits- und Sozialrecht entfliehen will.3 Rechtsmissbräuchlich handelt auch der Arbeitgeber, der durch die Bildung einer unselbständigen Organgesellschaft seinen Betrieb in mehrere Teile aufspaltet mit dem Ziel, den betroffenen Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu nehmen und den nach wie vor bestehenden Beschäftigungsbedarf mit von der Organgesellschaft neu einzustellenden Arbeitnehmern zu decken.4 Es stellt auch einen Gestaltungsmissbrauch dar, wenn sich der Arbeitgeber dazu entschließt, den Personalbestand zu reduzieren, weil er den betroffenen Arbeitnehmer für ungeeignet hält, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, obwohl die – insoweit erforderlichen – Voraussetzungen für eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung nicht vorliegen. In diesem Fall liegt zwischen der Unternehmerentscheidung und dem mit ihr verfolgten Zweck eine sachwidrige Zweck-Mittel-Relation vor. Es handelt sich dann nämlich um eine unsachliche Organisationsentscheidung, da in diesem Fall die Ausübung des Kündigungsrechts als Vorwand für die Erreichung von Zwecken erfolgt, für die ein schutzwürdiges arbeitgeberseitiges Eigeninteresse fehlt.5 331
Offenbar unvernünftig kann die Unternehmerentscheidung sein, wenn sie für den Betrieb, das Unternehmen oder den Unternehmer keinen erkennbaren wirtschaftlichen, unternehmensstrategischen oder sonstigen Sinn aufweist.6 Offenbar willkürlich sind Unternehmerentscheidungen, denen außer dem bloßen Wollen keinerlei sachliche Erwägungen zugrunde liegen. Dies wurde etwa für den Fall gelten, dass ein Arbeitgeber eine unternehmerische Entscheidung allein aus dem Grund trifft, um damit die Kündigung eines bestimmten Arbeitnehmers oder einer Gruppe von Arbeitnehmern begründen zu können.7 Hingegen handelt es sich nicht um ein willkürliches Organisationskonzept, wenn ein Bundesland aufgrund seiner angespannten Finanzlage bei kurzfristig ausfallendem Unterricht keine (examinierten) Vertretungskräfte mehr einsetzt, die eigenständigen Vertretungsunterricht erteilen, sondern die Schüler und Schülerinnen dann von pädagogischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen betreuen lässt.8
1 BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, NZA 2006, 92; v. 18.12.1997 – 2 AZR 709/96, NZA 1998, 304; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 467a; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 523. 2 ArbG Berlin v. 17.2.2000 – 4 Ca 32471/99, AuA 2000, 438. 3 BAG v. 26.9.1996 – 2 AZR 200/96, NZA 1997, 202 (sog. „Ausflaggungs“-Entscheidung). 4 BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 636/01, NZA 2003, 549 (= DB 2003, 946). 5 LAG Frankfurt, Urteil v. 12.1.2007 – 3 Sa 571/06, PersR 2007, 362. 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 469. 7 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 470. 8 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 388/06 (n.v.).
352
Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 334 Teil 2
" Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast für die offenbare Unsachlich-
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Die Missbrauchskontrolle wirkt sich je nach dem vorliegenden Fall auch auf die Substantiierungspflicht des Arbeitgebers vor Gericht aus. Dies gilt z.B. für den Fall der Unternehmerentscheidung in Form der Änderung des Betriebskonzepts. Damit die Arbeitsgerichte überprüfen können, ob eine zulässige Organisationsentscheidung oder ein unzulässiges Konzept vorliegt, das auf tarifwidrige Situationen oder auf unwirksame Austauschkündigungen hinausläuft, muss der Arbeitgeber entsprechend substantiiert zu diesem Punkt vortragen. Er muss daher sein neues Betriebskonzept einschließlich sämtlicher wirtschaftlicher und unternehmenspolitischer Überlegungen nachvollziehbar darlegen und ggf. beweisen.3 Nur dann ist den Gerichten eine entsprechende Überprüfung möglich.4
333
keit oder Unvernunft einer unternehmerischen Entscheidung trifft den Arbeitnehmer. Er hat im Prozess entsprechende Umstände darzulegen und im Streitfall zu beweisen.1 Dies ergibt sich daraus, dass für eine Unternehmerentscheidung, die tatsächlich durchgeführt worden ist oder durchgeführt wird, die Vermutung spricht, dass sie auf sachlichen Gründen beruht. Die Vermutung beruht auf dem Erfahrungssatz, dass sich im Normalfall niemand selbst schädigen wird. Ein „offensichtlich nicht unvernünftiger Arbeitgeber“ wird nur diejenigen Entscheidungen treffen, die der Erhaltung und Verbesserung des Unternehmens dienen.2
4. Das Merkmal „Dringlichkeit“ Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG können nur dringende betriebliche Erfordernisse eine betriebsbedingte Kündigung sozial rechtfertigen. Eine Kündigung kommt also nur in Frage, wenn das im Interesse des Betriebes wirklich notwendig ist.5 Dies verlangt vom Arbeitsgericht eine Prüfung, ob der betrieblichen Notwendigkeit durch weniger belastende Mittel auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet entsprochen werden kann. Eine Kündigung kommt im Ergebnis nur in Betracht, wenn die vom Arbeitgeber getroffene Entscheidung alleine durch Ausspruch einer Kündigung umgesetzt werden kann.6 Das Merkmal der „Dringlichkeit“ der betrieblichen Erfordernisse konkretisiert insoweit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Ultima-ratio-Prinzip). Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der Abbau von Leiharbeit eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne des Ultima-ratio-Grundsatzes ist oder ob der Arbeitgeber sich insoweit auf eine die Arbeitsgerichte bindende unternehmerische
1 BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06; v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98. 2 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, NZA 1987, 776; v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 57; v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095; v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098. 3 Vgl. BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 64/05, NZA 2006, 985. 4 So auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 483 sowie KFA-ArbR/Kaiser, § 1 KSchG Rz. 121. 5 BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65. 6 BAG v. 26.6.1997 – 2 AZR 494/96, NZA 1997, 1286.
Mues
353
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Teil 2 Rz. 334
Betriebsbedingte Kündigung
Entscheidung zum Einsatz von Leiharbeitnehmern berufen kann.1 Wenn im Zeitpunkt der Kündigung keine hinreichende Grundlage für die Einschätzung besteht, bei Ablauf der Kündigungsfrist werde ein zusätzlicher Beschäftigungsbedarf bestehen, wenn also im Zeitpunkt der Kündigung lediglich die Möglichkeit eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern besteht, ohne dass eine konkrete Bedarfsermittlung hat vorliegen können, räumt dieser Umstand das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse und damit die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht aus.2 Wenn aber ein Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung nach wie vor mit seinem Direktionsrecht unterstehenden Leiharbeitnehmern arbeitet, sind diese von Leiharbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze nach Auffassung des LAG Hamm als anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne des Ultima-ratio-Prinzips zu bewerten und infolge dessen als milderes Mittel zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung bei der Frage nach der sozialen Rechtfertigung der Kündigung zu berücksichtigen.3 Der Ultima-ratio-Grundsatz gebietet es ferner, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer grundsätzlich eine Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten muss. Ein unterlassenes Änderungsangebot mit dem Inhalt des Angebots eines freien, wenngleich die bisherige Position des Arbeitnehmers in der Personalhierarchie nicht mehr würdigenden Arbeitsplatzes führt allerdings dann nicht zur Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Kündigung, wenn sich der gekündigte Arbeitnehmer erst später im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens auf das verschlechternde Angebot beruft, er mithin selbst von einer unzumutbaren Situation im Betrieb ausgeht, welche einer Weiterbeschäftigung entgegenstehe. Grundsätzlich darf eine Änderungskündigung aber nur in „Extremfällen“ unterbleiben, beispielsweise, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des neuen Vertragsangebotes durch den Arbeitnehmer rechnen konnte und ein derartiges Angebot vielmehr beleidigenden Charakter gehabt hätte. Ein beleidigender Charakter kann gegeben sein, wenn der betroffene Arbeitnehmer so weit in der Personalhierarchie zurückgestuft würde, dass viele seiner bisherigen Untergebenen ihm nunmehr Weisung erteilen könnten und deshalb erhebliche Konflikte zu erwarten sind.4 Als Alternativen zu einer betriebsbedingten Kündigung ist z.B. an den Abbau von Überstunden, eine Streckung der Arbeit, die Einführung von Kurzarbeit, eine Arbeitszeitverkürzung oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen zu denken.5 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind als „frei“ grundsätzlich solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, 1 Grundlegend hierzu vgl. BAG v. 9.5.1996 („Weight Watchers“) – 2 AZR 438/95 – AP KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 79 und v. 26.9.1996 („Crewing“) – 2 AZR 200/96 – AP KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 80. 2 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 4/04 – AP KSchG 1969, § 1 Soziale Auswahl Nr. 71. 3 LAG Hamm v. 5.3.2007 – 11 Sa 1338/06, BB 2007, 2642. 4 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. 5 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154; siehe dazu im Einzelnen z.B. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 561 ff.
354
Mues
Betriebliche Erfordernisse/Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
Rz. 337 Teil 2
wenn der Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird.1 Nicht „frei“ ist ein Arbeitsplatz, der aufgrund einer Erkrankung des Arbeitnehmers vorübergehend unbesetzt ist, selbst wenn nicht feststeht, ob der erkrankte Arbeitnehmer zurückkehren wird.2 Alternativen zu einer betriebsbedingten Beendigungskündigung können in einer Betriebsvereinbarung festgelegt sein. Eine Erweiterung des Kündigungsschutzes durch Betriebsvereinbarung setzt allerdings bereits aus Gründen der Rechtssicherheit voraus, dass sich aus der Norm selbst die Drittwirkung auf die betroffenen Arbeitnehmer sowie deren Voraussetzungen klar ablesen lassen.3 Auf eine fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kann sich der Arbeitgeber nicht berufen, wenn er diesen Zustand selbst treuwidrig herbeigeführt hat. Dies folgt aus § 162 Abs. 1 und 2 BGB und gilt nicht nur in den Fällen, in denen der Arbeitgeber eine Beschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Platz treuwidrig vereitelt hat, sondern insbesondere dann, wenn die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit betroffen ist.4 Lässt sich eine Kündigung nicht vermeiden, kann sie allerdings erst ausgesprochen werden, wenn die betriebliche Situation auch in zeitlicher Hinsicht „dringend“ geworden ist. Eine Kündigung kommt nicht erst in Betracht, wenn die Arbeitsplätze aufgrund der Stilllegung tatsächlich weggefallen sind, was wegen der häufig längeren Kündigungsfristen unpraktikabel wäre. Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis schon kündigen, wenn er die Stilllegung beabsichtigt. Er muss sich fest entschlossen haben, den Betrieb stillzulegen, er muss ein entsprechendes schlüssiges Konzept ausgearbeitet und die Stilllegungsabsicht muss bereits konkrete und greifbare Formen angenommen haben. Es muss bereits jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit die Prognose gerechtfertigt sein, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Betrieb stillgelegt worden ist. An einem endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es dagegen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung noch in Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes steht und dennoch wegen Betriebsstilllegung kündigt.5
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" Praxistipp: Ändern sich nach Zugang der Kündigung die tatsächlichen Ver-
336
Dieselben Grundsätze gelten auch bei einer betriebsbedingten Kündigung wegen Rationalisierungsmaßnahmen. Auch hier kann eine Kündigung schon vor Durchführung der Rationalisierungsmaßnahme ausgesprochen werden, aber erst wenn die Maßnahmen bereits greifbare Formen angenommen hat.7
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hältnisse und führt der Arbeitgeber entgegen seiner vorherigen Absicht den Betrieb fort oder findet er überraschend einen Käufer, ändert das an der Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung nichts. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer aber möglicherweise einen Anspruch auf Wiedereinstellung.6
1 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154. 2 BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 144 m.w.N. 3 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 4/04, DB 2005, 1390. 4 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 710/05, ZMV 2007, 265 = EzA – SD 2007 Nr. 14, 3–5. 5 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB; siehe dazu ausführlich auch unter Rz. 260 ff. 6 Siehe ausführlich zum Wiedereinstellungsanspruch Rz. 723 ff. 7 Siehe dazu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 600; oben Rz. 256 ff. technische Rationalisierung.
Mues
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Teil 2 Rz. 338
Betriebsbedingte Kündigung
II. Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung 338
Beruht die Kündigung eines Arbeitnehmers auf dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG, so ist die Kündigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG dennoch sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die soziale Auswahl dient der personellen Konkretisierung der zur Kündigung führenden dringenden betrieblichen Erfordernisse, wenn die Anzahl der Arbeitnehmer die vorhandenen Arbeitsplätze übersteigt.1 Durch Berücksichtigung der sozialen Schutzbedürftigkeit der für die Kündigung in Betracht kommenden (vergleichbaren) Arbeitnehmer soll der Arbeitsplatzverlust sozial gerecht gestaltet werden. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers zu mehr Rechtssicherheit für die Arbeitsvertragsparteien bei betriebsbedingten Kündigungen führen.2 Durch das Arbeitsmarktreformgesetz wurde die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG i.d.F. des sog. Korrekturgesetzes3 (1.1.1999 bis 31.12.2003) modifiziert und konkretisiert: Während die nach dem Korrekturgesetz geltende Fassung lediglich die Berücksichtigung „sozialer Gesichtspunkte“ im Rahmen der Sozialauswahl voraussetzte, ohne erkennen zu lassen, wie dieser unbestimmte Rechtsbegriff auszufüllen war, welche Kriterien der Arbeitgeber mithin bei der Sozialauswahl im Einzelnen zu berücksichtigen hatte, legt § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nunmehr ausdrücklich die vier Sozialindikatoren fest, die in jedem Falle bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer Berücksichtigung finden müssen. Dabei übernimmt die Regelung mit den Kriterien „Dauer der Betriebszugehörigkeit“, „Lebensalter“ und „Unterhalt“ zunächst die sozialen Gesichtspunkte, die bereits das Beschäftigungsförderungsgesetz vorgesehen hatte und die nach der Rechtsprechung auch im Rahmen der Neufassung durch das Korrekturgesetz unabdingbar zu beachten waren.4 Zusätzlich ist während des Gesetzgebungsverfahrens entsprechend der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft das Kriterium der Schwerbehinderung in die Regelung aufgenommen worden.5 Damit hat der Gesetzgeber auf verfassungsrechtliche Bedenken reagiert, die zu § 1 Abs. 3 KSchG i.d.F. des Beschäftigungsförderungsgesetzes angestellt worden waren und die auf der Überlegung beruhten, dass Art. 3 Abs. 2 GG neben einem bloßen Benachteiligungsverbot auch eine Schutzpflicht für schwerbehinderte Menschen statuiert.6
339
Der Arbeitgeber muss dementsprechend, wenn er eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen will, aus einer Gruppe von für die Kündigung in Frage kom1 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 300. 2 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 3 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843). 4 Vgl. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl m.w.N. 5 Vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, BT-Drucks. 15/1587. 6 Vgl. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 728 m.w.N.
356
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 341 Teil 2
menden Arbeitnehmern (sog. auswahlrelevanter Personenkreis) demjenigen kündigen, der unter Berücksichtigung der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, seines Lebensalters, der von ihm zu erfüllenden Unterhaltspflichten und einer etwaigen Schwerbehinderung am wenigsten schutzbedürftig ist. Beachtet er die sozialen Gesichtspunkte nicht und trifft er eine falsche Auswahlentscheidung, ist die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Eine Sozialauswahl kommt allerdings nicht in Betracht, wenn allen Arbeitnehmern gekündigt wird, denn die Verpflichtung des Arbeitgebers zur sozialen Auswahl dient dem Zweck, bei unvermeidbaren Kündigungen aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer den sozial stärksten Arbeitnehmer ausfindig zu machen. Dies ist grundsätzlich derjenige Arbeitnehmer, der aufgrund seiner Sozialdaten am wenigsten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist. Die Beantwortung der Frage, welcher Arbeitnehmer insoweit am wenigsten auf den Erhalt seines Arbeitsplatzes angewiesen ist, kann aber dahinstehen, wenn alle Arbeitsplätze zum gleichen Zeitpunkt wegfallen.1 Etwas anderes gilt nur bei tarifvertraglichem oder einzelvertraglichem Ausschluss einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. In diesem Fall können Arbeitgeber – wenngleich unter strengen Voraussetzungen – außerordentlich kündigen. Dabei müssen die Grundsätze der Sozialauswahl beachtet werden.2 Neben der Schutzfunktion, die durch die Sozialauswahl eintritt, wird dadurch außerdem eine Beziehung zwischen dem im Betrieb herrschenden Kündigungsbedarf und dem zu kündigenden Arbeitnehmer hergestellt. Anders als z.B. bei einer verhaltensbedingten Kündigung ergibt sich diese nicht ohne weiteres. Fällt durch ein dringendes betriebsbedingtes Erfordernis ein Teil des Beschäftigungsvolumens weg, steht damit lediglich fest, dass im Betrieb mehr Arbeitnehmer angestellt sind, als Bedarf besteht. Welcher von mehreren Arbeitnehmern entlassen werden muss, ist damit noch nicht geklärt. der Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens wird erst durch die Sozialauswahl personenbezogen zugeordnet.
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1. Identifizierung des auswahlrelevanten Personenkreises a) Arbeitsplatzbezogene tatsächliche Austauschbarkeit Bevor der Arbeitgeber die eigentliche Sozialauswahl vornehmen kann, ist der Personenkreis von Arbeitnehmern auszuwählen, die für eine Kündigung infrage kommen. Die soziale Auswahl erstreckt sich innerhalb des Betriebes nur auf sog. vergleichbare Arbeitnehmer. An der „Vergleichbarkeit“ fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig im Rahmen seines Direktionsrechts auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann. Wenn Mitarbeiter nicht in der Lage sind, die Tätigkeiten eines Arbeitnehmers zu verrichten, welcher vom Wegfall seines Arbeitsplatzes bedroht ist, so steht dies einer Mitberücksichtigung dieser Mitarbeiter in die Sozialauswahl nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr umgekehrt, ob der kündigungsbedrohte Arbeitneh1 BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668. 2 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771.
Mues
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Teil 2 Rz. 342
Betriebsbedingte Kündigung
mer dazu fähig ist, die Tätigkeiten eines anderen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz nicht wegfällt, ordnungsgemäß zu verrichten.1 342
Grundsätzlich sind Arbeitnehmer vergleichbar, die austauschbar sind, was sich in erster Linie nach objektiven, arbeitsplatzbezogenen Merkmalen bestimmt, d.h. nach der bislang ausgeübten Tätigkeit.2 Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, ob die Arbeitnehmer bei gleicher Tätigkeit und entsprechender Vertragsgestaltung einen Berufsabschluss vorweisen können. Im Rahmen der Sozialauswahl kann das Vorliegen eines Berufsabschlusses für die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer untereinander nur maßgeblich sein, wenn der fehlende Berufsabschluss einer Austauschbarkeit des betreffenden Arbeitnehmers mit einem Arbeitnehmer mit Berufsabschluss auch tatsächlich oder vertraglich entgegensteht.3
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Zunächst ist daher zu bestimmen, welche Arbeitsplätze durch die Umstrukturierung oder sonstige inner- oder außerbetriebliche Maßnahmen weggefallen sind. Dann ist in einem zweiten Schritt zu ermitteln, ob andere Arbeitsplätze mit vergleichbarem Aufgabenbereich vorhanden sind, ob also der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, die Funktion des anderen Arbeitnehmers wahrnehmen kann. Ob ein Arbeitsplatz einen vergleichbaren Aufgabenbereich aufweist, wird durch die auszuübende Tätigkeit und die dafür erforderlichen Qualifikationen festgelegt.4
344
Eine Austauschbarkeit ist aber nicht nur bei völliger Identität des Anforderungsprofils des Arbeitsplatzes zu bejahen, sondern auch bei einer teilweisen Übereinstimmung. Entscheidend für die Frage, ob der gekündigte Arbeitnehmer auf dem teilweise identischen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, ist nämlich nicht nur seine bisherige Tätigkeit und Erfahrung im Betrieb (aktueller Stand der Kenntnisse), sondern auch seine aufgrund der Berufausbildung erworbenen Kenntnisse. Vergleichbarkeit ist daher auch dann zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten/bisherigen Aufgaben im Betrieb und angesichts seiner beruflichen Qualifikationen – gegebenenfalls nach einer kurzen Einarbeitungszeit – dazu in der Lage ist, die andersartige, aber gleichwertige Arbeit eines Kollegen zu verrichten (sog. „qualifikationsmäßige Austauschbarkeit“).5
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" Praxistipp: Die Tatsache alleine, dass der gekündigte Arbeitnehmer einer
kurzen Einarbeitungszeit bedarf, um auf dem anderen Arbeitsplatz einsetz-
1 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; LAG Köln v. 28.9.2007 – 11 Sa 744/07 (n.v.). 2 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06: BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 298; v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 144; v. 17.9. 1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332; v. 4.2.1993 – 2 AZR 463/92, n.v.; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181. 3 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 618. 5 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06; v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, AP Nr. 46 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181.
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Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 349 Teil 2
bar zu sein, steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen.1 Die Frage, wie lang eine Einarbeitungszeit sein darf, um eine Austauschbarkeit anzunehmen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von der Art der erforderlichen Aus- und Weiterbildung (betrieblich, außerbetrieblich) sowie von den sozialen Daten des betroffenen Arbeitnehmers, insbesondere der Betriebszugehörigkeit und dem Alter.2 So wurde vom LAG Bremen z.B. ein 50 Jahre alter Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren als in diesem Sinne vergleichbar angesehen mit einem Arbeitnehmer, der eine Betriebszugehörigkeit von 21/2 Jahren bei einem Lebensalter von 28 Jahren aufweist, wenn er eine betriebliche Einarbeitungs- bzw Ausbildungszeit von 31/2 Monaten – bei einer Kündigungsfrist von 6 Monaten – benötigt, um den Arbeitsplatz des sozial wesentlich besser gestellten Arbeitnehmers ausfüllen zu können.3
346
Vom BAG wird ausdrücklich eine „alsbaldige Substituierbarkeit“ gefordert.4 Bei der Einarbeitungszeit kommt dem aktuellen Kenntnisstand sowie betrieblichen Spezialisierungen eine verstärkte Bedeutung zu. Eine gleiche berufliche Ausbildung und damit die gleiche Berufsbezeichnung (hier „Maschinenbauingenieur“) ist für eine Vergleichbarkeit nicht mehr aussagekräftig, wenn der zu vergleichende Arbeitnehmer ein an seinem Arbeitsplatz eingearbeiteter Spezialist ist und der gekündigte Arbeitnehmer – obwohl er dieselbe Berufsausbildung hat – weder über diese betriebliche Spezialisierung verfügt noch sein aktueller Kenntnisstand eine schnelle Einarbeitung ermöglicht.5 In der Literatur wird teilweise als äußerste Grenze für eine Einarbeitungszeit die im Betrieb übliche oder einschlägige tarifliche Probezeit angesetzt.6
347
Die tarifliche Eingruppierung von Arbeitnehmern kann für die Frage der Austauschbarkeit in engen Grenzen herangezogen werden.7 Handelt es sich bei der fraglichen Tätigkeit um eine Hilfstätigkeit, kommt der identischen Eingruppierung von Arbeitnehmern ein ausreichender Indizwert zu.8 Mit höherer beruflicher Qualifizierung der Tätigkeit verliert eine gemeinsame Eingruppierung an Bedeutung, da betriebliche Spezialisierungen einer Austauschbarkeit entgegenstehen.
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Gesundheitliche Leistungsmängel, die die Leistungsfähigkeit und damit die Einsetzbarkeit des gekündigten Arbeitnehmers auf einem gleichwertigen Arbeitsplatz beeinträchtigen, stehen einer Vergleichbarkeit nicht entgegen. Sie
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1 BAG v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64; v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023. 2 LAG Bremen v. 3.5.1996 – 4 Sa 259/95, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 16. 3 LAG Bremen v. 3.5.1996 – 4 Sa 259/95, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 16. 4 BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023. 5 BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023; zu der Vergleichbarkeit eines weder allgemein mit PC-Technik, noch speziell mit CAD-Techniken vertrauten Arbeitnehmer mit einem eingearbeiteten Spezialisten. 6 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 887; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 683. 7 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 8 BAG v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64.
Mues
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Teil 2 Rz. 350
Betriebsbedingte Kündigung
können allenfalls eine personenbedingte Kündigung wegen dauernder Unmöglichkeit der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung rechtfertigen. Reicht der Mangel nicht für eine personenbedingte Kündigung, würde eine Berücksichtigung bei der Vergleichbarkeit im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung den personenbedingten Kündigungsschutz unterlaufen.1 Je nach dem vorliegenden Einzelfall kann der Leistungsunterschied aber als berechtigtes betriebliches Bedürfnis gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bewertet werden und so der gesundheitlich leistungsfähigere Arbeitnehmer von einer Sozialauswahl ausgenommen werden.2 b) Rechtliche Austauschbarkeit durch Direktionsrechtsausübung, rechtliche Grenzen 350
Damit Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer besteht, muss außerdem neben der Austauschbarkeit aufgrund (zumindest teilweise) identischen Aufgabenbereiches eine rechtliche Austauschbarkeit bestehen, d.h. es muss dem Arbeitgeber nach dem Arbeitsvertrag möglich sein, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, kraft Direktionsrechts einseitig auf den anderen, vergleichbaren Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen (sog. „arbeitsvertragliche Austauschbarkeit“).3 Inwieweit beispielsweise durch eine Formulierung im Arbeitsvertrag, wonach der Arbeitnehmer als „Reinigungskraft“ beschäftigt wird, ein entsprechendes Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Versetzung auf genau diese Arbeitsplätze begrenzt wird, ist im Streitfall durch Auslegung zu ermitteln.4 Eine Austauschbarkeit entfällt danach, wenn eine anderweitige Beschäftigung nur aufgrund einer Vertragsänderung oder einer Änderungskündigung in Betracht kommt, selbst wenn der Arbeitnehmer mit beidem einverstanden wäre.5
351
So wurde z.B. vom BAG entschieden, dass bei einer Redakteurin/Layouterin eines großen Verlagshauses, die nach dem Arbeitsvertrag nur innerhalb des Arbeitsbereiches der Redaktion der von ihr betreuten Zeitschrift versetzt werden kann, im Falle des Wegfalls des gesamten Arbeitsbereiches keine Sozialauswahl unter Einbeziehung der Redakteure anderer Zeitschriften des Verlages vorzunehmen ist, unabhängig davon, ob die Tätigkeitsfelder vergleichbar sind oder nicht.6
352
Dies wird vom BAG mit der Systematik der Prüfung der betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG und mit der Unzulässigkeit eines Vertrages zu Lasten Dritter begründet. Würde die Frage der Austauschbarkeit an die 1 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 910; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 619; KDZ/Kittner/Deinert, § 1 KSchG Rz. 458. 2 Siehe dazu z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 637. 3 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06; v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 93 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 76; v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04 – BAGE 115, 92. 4 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 23/05, NZA 2006, 1350. 5 St. Rspr. vgl. BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, NZA 2000, 822; v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 27. 6 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, NZA 2000, 822.
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Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 355 Teil 2
erklärte Bereitschaft des Arbeitnehmers geknüpft, die mit dem Einsatz auf dem anderweitig besetzten Arbeitsplatz bewirkte Vertragsänderung hinzunehmen, berücksichtigt das nicht im hinreichenden Maße, dass durch eine Vertragsänderung, die erst im Zusammenhang mit der Kündigung vorgenommen wird, Rechte Dritter berührt werden.
" Praxistipp: Den Vertragspartnern bleibt es unbenommen, dem Arbeitgeber
durch eine weit gefasste Beschreibung der zu leistenden Arbeit einen flexiblen Personaleinsatz zu gestatten und ihm hierfür im Gegenzug eine ausgedehnte Sozialauswahl aufzuerlegen. Umgekehrt steht einer einschränkenden Regelung der geschuldeten Arbeit – aus Sicht des Arbeitnehmers – der Nachteil einer nur begrenzten Austauschbarkeit im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG gegenüber. Außerdem würde dadurch die Systematik der betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG verwischt. Die erste Stufe der sozialen Rechtfertigung einer auf betriebsbedingte Gründe gestützten Entlassung, d.h. die Prüfung des dringenden betrieblichen Erfordernisses einschließlich des Fehlens einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz des Unternehmens, betrifft allein Umstände in der Sphäre des Arbeitgebers. Im Rahmen der zweiten Stufe lässt eine fehlerhafte Sozialauswahl das dringende betriebliche Erfordernis nicht entfallen, vielmehr hat die Sozialauswahl funktional die Aufgabe einer personellen Konkretisierung des dringenden betrieblichen Erfordernisses. Es ist nur noch zu prüfen, welchem Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitgeber das ihm aus betrieblichen Gründen zustehende Kündigungsrecht ausüben darf. Müsste zunächst das Einverständnis des von der Entlassung bedrohten Arbeitnehmers zur Um- oder Versetzung eingeholt werden, bliebe der auswahlrelevante Personenkreis entgegen der gesetzlichen Konzeption nicht auf den von dem betrieblichen Erfordernis unmittelbar betroffenen betrieblichen Bereich beschränkt, sondern würde durch eine subjektive Entscheidung des Arbeitnehmers auf andere Bereiche ausgedehnt. Für den verdrängten Beschäftigten würde erst durch diese Entschließung und nicht durch den betrieblichen Umstand ein Kündigungsgrund. Die Vereinbarung der entsprechenden Vertragsänderung wäre letztlich ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter.1
353
c) Horizontale Vergleichbarkeit Die Austauschbarkeit der Arbeitnehmer ist auch unter dem Aspekt horizontaler und vertikaler Vergleichbarkeit zu bewerten.
354
Prüft man für den auswahlrelevanten Personenkreis nur die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern auf derselben Ebene der Betriebshierarchie, z.B. innerhalb der Sachbearbeiter oder der Facharbeiter, erfolgt eine horizontale Vergleichbarkeit. Bezieht man dagegen auch Arbeitnehmer auf verschiedenen Ebenen der Betriebshierarchie in die soziale Auswahl mit ein, handelt es sich um vertikale Vergleichbarkeit. Letzterer Fall kommt in Betracht, wenn sich der höher qualifizierte Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, bereit erklärt, auf einer
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1 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, NZA 2000, 822.
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Teil 2 Rz. 356
Betriebsbedingte Kündigung
niedrigeren Ebene der Betriebshierarchie weiterzuarbeiten, um so die Vergleichbarkeit auf diese Ebene zu erstrecken, also wenn z.B. der Facharbeiter sich nach Wegfall seines Arbeitsplatzes bereit erklärt, auch auf einem Arbeitsplatz für angelernte Arbeiter eingesetzt zu werden. 356
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und dem überwiegenden Teil der Lehre können allerdings zu Recht Arbeitnehmer auf verschiedenen Ebenen der Betriebshierarchie als Vergleichspersonen nicht herangezogen werden. Dies würde eine mit dem geltenden Recht nicht vereinbare Erweiterung des auswahlrelevanten Personenkreises darstellen.1 Begründet wird dies meist mit der dem Sinn des KSchG nicht entsprechenden Gefahr eines „Verdrängungswettbewerbs nach unten“ und der Möglichkeit mehrerer Kündigungsprozesse, wenn der unmittelbar betroffene Arbeitnehmer eine höherrangige Stelle in der Betriebshierarchie einnimmt. Erklärt sich der unmittelbar betroffene Arbeitnehmer mit dem Einsatz auf einem hierarchisch niedriger eingestuften Arbeitsplatz einverstanden, müsste man konsequenterweise auch dem auf diese Weise in den auswahlrelevanten Personenkreis einbezogenen Arbeitnehmer das Recht einräumen, vom Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung auf einem geringwertigen, von einem sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz zu fordern. Dies könnte im Extremfall dazu führen, dass wegen des Wegfalls eines Arbeitsplatzes in der Buchhaltung schließlich der Pförtner gekündigt wird, weil sich jeder Arbeitnehmer der dazwischenliegenden Ebenen jeweils bereit erklärt hat, geringwertigere Tätigkeiten auszuüben. Die gleichen Bedenken bestehen gegen die Einbeziehung von Arbeitnehmern auf höherer Ebene der Betriebshierarchie in den auswahlrelevanten Personenkreis. Es könnte ebenfalls zu einem Kündigungsprozess mit den anstelle des unmittelbar betroffenen Arbeitnehmers gekündigten Arbeitnehmern und zu einem „Verdrängungswettbewerb nach oben“ sowie zu mehreren Kündigungsprozessen kommen, wenn dem unmittelbar Betroffenen auf mehreren Ebenen höherrangige Arbeitnehmer vorgesetzt sind.2
357
Da nach dem Arbeitsvertrag das Direktionsrecht des Arbeitgebers und damit auch der Einsatzbereich des Arbeitnehmers in den seltensten Fällen mehr als eine Ebene umfasst, müsste der Arbeitnehmer sich schließlich mit dem Einsatz auf einer anderen Ebene der Betriebshierarchie einverstanden erklären, der Arbeitsvertrag müsste vertraglich erweitert werden. Hiergegen spricht dieselbe Argumentation, die bereits oben bei den rechtlichen Hinderungsgründen der Austauschbarkeit durch die Grenzen des Direktionsrechts erläutert wurden. Auch würde erst durch das Einverständnis des Arbeitnehmers, auf dem hierarchisch geänderten Arbeitsplatz zu arbeiten, der auswahlrelevante Personenkreis über den vom betrieblichen Erfordernis unmittelbar betroffenen Bereich auf andere Bereiche ausgedehnt.3
1 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181; v. 7.2.1985 – 2 AZR 91/84, NZA 1986, 260; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 623 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 901; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 357; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1070. 2 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181. 3 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181.
362
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 362 Teil 2
Richtigerweise kann daher eine soziale Auswahl nur auf horizontaler Ebene erfolgen.
358
d) Voll- und Teilzeitbeschäftigung Grundsätzlich sind bei der Kündigung von vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern auch Teilzeitbeschäftigte in die Sozialauswahl mit einzubeziehen und bei der Kündigung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern Vollzeitbeschäftigte.1 So ist eine Teilzeitkraft, deren Arbeitsplatz weggefallen ist, mit ihrer bisherigen Stundenzahl auf dem Arbeitsplatz einer vergleichbaren Vollzeitkraft einzusetzen und der Vollzeitkraft mit einem entsprechenden Angebot auf Teilzeitarbeit eine Änderungskündigung auszusprechen.2 Denn aus § 4 TzBfG ergibt sich, dass die Teilzeitbeschäftigung bei der Sozialauswahl nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigt werden darf.
359
Nach der Rechtsprechung des BAG3 ist für die Austauschbarkeit von Voll- und Teilzeitarbeitsplätzen allerdings nach der betrieblichen Organisation des Arbeitgebers zu differenzieren.
360
– Hat der Arbeitgeber eine Organisationsentscheidung getroffen, aufgrund derer für bestimmte Arbeiten Vollzeitkräfte vorgesehen sind, so kann diese Entscheidung als sog freie Unternehmerentscheidung nur darauf überprüft werden, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Liegt danach eine bindende Unternehmerentscheidung vor, sind bei der Kündigung einer Teilzeitkraft die Vollzeitkräfte nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. – Will der Arbeitgeber dagegen in einem bestimmten Bereich lediglich die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden abbauen, ohne dass eine Organisationsentscheidung im oben genannten Sinne vorliegt, sind sämtliche in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf ihr Arbeitszeitvolumen in die Sozialauswahl einzubeziehen. Ist unter sozialen Gesichtspunkten der vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zu kündigen und wird dadurch zuviel Arbeitskapazität frei, muss er die jetzt freien Arbeitskapazitäten dem bisher vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer anbieten und ihm gegenüber gegebenenfalls als milderes Mittel eine entsprechende Änderungskündigung aussprechen. Diese Grundsätze gelten auch im öffentlichen Dienst.4
361
" Praxistipp: Beschäftigt der Arbeitgeber Teilzeitbeschäftigte mit unter-
362
schiedlicher Wochenstundenzahl und/oder Lage der Arbeitszeit, kommt es für die Austauschbarkeit – wie oben unter Rz. 354 ff. dargelegt – darauf an, ob der Arbeitgeber die Teilzeitbeschäftigten kraft seines Direktions-
1 BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05; v. 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, NZA 2000, 30. 2 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431; v. 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, NZA 2000, 30; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.4.2007 – 6 Sa 926/06 (n.v.); ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rz. 327 m.w.N. 3 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431. 4 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, NZA 2000, 30.
Mues
363
Teil 2 Rz. 363
Betriebsbedingte Kündigung
rechts versetzen kann, ob er also kraft Direktionsrechts die Dauer bzw. Lage der Arbeitszeit an die der vergleichbaren Arbeitnehmer anpassen kann. Ist eine Änderung des Arbeitsvertrages erforderlich, fehlt es an der Austauschbarkeit. So sind nach zutreffender Ansicht z.B. bei einem Reinigungsunternehmen die Reinigungskräfte nicht austauschbar im Sinne von § 1 Abs. 3 KSchG, wenn sie mit einem erheblich unterschiedlichen Arbeitsaufwand beschäftigt werden (einerseits sechs Stunden pro Tag, anderseits 2 Stunden pro Tag). In diesem Fall sind der Zeitaufwand und damit die Verdienstmöglichkeit so unterschiedlich, dass eine Austauschbarkeit alleine aufgrund des Direktionsrechts nicht möglich ist.1 363
An dieser Rechtsprechung hat auch das Inkrafttreten des TzBfG, insbesondere der Anspruch des Arbeitnehmers nach § 8 Abs. 1 TzBfG auf Verringerung der Arbeitszeit, nichts geändert. Dem Anspruch können nämlich vom Arbeitgeber gem. § 8 Abs. 4 TzBfG betriebliche Gründe entgegengehalten werden, wozu auch die Arbeitsorganisation zählt. Auch nach dem TzBfG ist die Organisation des Arbeitsbereiches/der Arbeitsabläufe also eine freie Unternehmerentscheidung.2 e) Berücksichtigung von Sonderkündigungsschutz
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In die Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sind nur solche Arbeitnehmer einzubeziehen, die aus demselben dringenden betrieblichen Erfordernis ebenfalls hätten entlassen werden können.3 Aus diesem Grund sind aus dem auswahlrelevanten Personenkreis ohne weiteres – auch bei im Übrigen bestehender Austauschbarkeit – die Arbeitnehmer auszunehmen, bei denen eine ordentliche Kündigung von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.4 Der besondere gesetzliche Kündigungsschutz ist gegenüber der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG lex specialis.5 Dies trifft z.B. auf die Mandatsträger der Betriebsverfassung, § 15 KSchG6, oder Mitglieder einer Personalvertretung7 zu, sofern nicht ein Fall von § 15 Abs. 4 oder 5 KSchG vorliegt. Weiterhin gilt dies für Betriebsbeauftragte für Immissionsschutz und Abfall nach § 58 Abs. 2 BimSchG und § 58 Abs. 2 BimSchG i.V.m. § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG sowie für Wehr- und Zivildienstleistende, §§ 2, 10 ArbPlSchG, 2 EignungsübungsG, 78 ZDG oder befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung während der Laufzeit des Arbeitsverhältnisses nicht ausdrücklich vereinbart haben.8 Auch in letzterem Fall ist die Möglichkeit zur ordentlichen 1 So zu Recht LAG Köln v. 18.10.2000 – 7 Sa 71/00, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 34, aufgehoben jedoch von BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 15/01, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 47. 2 So v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 855 m.w.N. 3 LAG Köln v. 29.9.1993 – 7 Sa 241/93, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 7. 4 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 77/99, NZA 2000, 484; v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 1157; aus der Literatur z.B. MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 92. 5 MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 92. 6 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, NZA 1999, 1157. 7 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 77/99, NZA 2000, 484. 8 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 664; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 917; MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 98.
364
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 367 Teil 2
Kündigung kraft Gesetzes ausgeschlossen, da gem. § 15 Abs. 1 TzBfG das befristete Arbeitsverhältnis grundsätzlich mit Zeitablauf endet und nach Abs. 3 nur dann durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, wenn dies einzelvertraglich oder tariflich vereinbart wurde. Differenzierter ist die Rechtslage bei Arbeitnehmern, deren (ordentliche) Kündbarkeit zwar nicht von vornherein ausgeschlossen ist, aber von der Zustimmung Dritter abhängig ist. Dies gilt z.B. für unter den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz fallende Arbeitnehmerinnen (§ 9 MuSchG, Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle), Arbeitnehmer unter dem besonderen Kündigungsschutz von § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG oder Schwerbehinderte (§§ 85 ff. SGB IX, Zustimmung durch das Integrationsamt). Uneinheitlich beurteilt wird der Fall, dass zwar die Zustimmung noch nicht vorliegt, aber die Umstände des Falles es zulassen, dass der Arbeitgeber sie einholt, bevor die Kündigung ausgesprochen wird. Teilweise wird eine entsprechende Obliegenheit des Arbeitgebers gefordert1, teilweise abgelehnt.2 Diese Arbeitnehmer sind sicher dann in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn im konkreten Fall die behördliche Zustimmung zur Kündigung bereits vorliegt. Andererseits scheiden sie sicher aus dem auswahlrelevanten Personenkreis aus, wenn eine ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde vorliegt auch ohne dass der Arbeitgeber zur Einlegung von Rechtsmitteln verpflichtet wäre.3
365
Richtig ist es, dass nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Schwerbehinderten nicht von vornherein generell aus der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten ausgenommen werden können. Anderenfalls würde die Erwähnung der Schwerbehinderung als Auswahlkriterium im Gesetz keinen Sinn machen. Für die Fälle von aufhebbarem Sonderkündigungsschutz aus anderen Gründen gilt, dass diese Arbeitnehmer nur dann in den auswahlrelevanten Personenkreis einzubeziehen sind, wenn das Verfahren zur Einholung der Zustimmung durchgeführt worden ist und die Zustimmung erteilt wurde. Insofern hat die Erstreckung der Fiktionswirkungen aus § 7 KSchG im Falle unterbliebener Klageerhebung innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG auch auf die Verletzung des Sonderkündigungsschutzes keine Rückwirkung auf die korrekte Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises bei der Sozialauswahl.
366
Ein Sonderkündigungsschutz liegt schließlich vor, wenn Arbeitnehmer durch Tarifvertrag ordentlich unkündbar sind. Zu bedenken ist allerdings, dass tarifvertragliche Regelungen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen Änderung durch Tarifvertrag in sich tragen. Dies gilt auch für Regelungen über einen Sonderkündigungsschutz. Ist bisher die ordentliche Kündigung nach entsprechender
367
1 MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 95, der allerdings eine weitergehende Verpflichtung des Arbeitgebers, gegen einen ablehnenden Bescheid den Rechtsweg einzuschreiten, ablehnt. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 664; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 359; Ascheid, RdA 1997, 335. 3 MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 95; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 919; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 664 jeweils m.w.N. auch zu der in der Literatur vereinzelt vertretenen Mindermeinung.
Mues
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Teil 2 Rz. 368
Betriebsbedingte Kündigung
Beschäftigungszeit und ab Erreichung eines bestimmten Lebensalters tarifvertraglich nicht ausnahmslos ausgeschlossen, sondern bleibt bei bestimmten, aus Sicht des Arbeitgebers notwendigen Betriebsänderungen eine ordentliche Kündigung zulässig, so sind die Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht gehindert, diesen Sonderkündigungsschutz durch eine tarifliche Regelung zu modifizieren, d.h. die Voraussetzungen für den Sonderkündigungsschutz an geänderte Verhältnisse anzupassen. Hat ein Arbeitnehmer nach ursprünglicher Vereinbarung die Voraussetzungen für einen Sonderkündigungsschutz erfüllt, so kann er sich nicht hierauf berufen, wenn dieser Unkündbarkeitsstatus durch eine tarifliche Neuregelung nachträglich wegfällt. Nachträgliche Änderungen der Voraussetzungen für den tarifvertraglichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung unterliegen keinen, insbesondere keinen verfassungsrechtlichen, Bedenken.1 Erfüllt ein Arbeitnehmer die Voraussetzungen eines tarifvertraglich vereinbarten Sonderkündigungsschutzes, so stellt sich dennoch die Frage, ob er in den auswahlrelevanten Personenkreis für eine Sozialauswahl einzubeziehen ist. 368
Nach zutreffender und überwiegender Ansicht2 sind diese Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Sie sind tariflich gegen jede ordentliche und damit auch gegen jede ordentliche betriebsbedingte Kündigung geschützt und nicht mit den übrigen Arbeitnehmern vergleichbar. Die Wirksamkeit solcher Tarifregelungen wird nicht in Frage gestellt. Ein tarif- (oder auch einzel)vertraglicher Kündigungsausschluss stellt keinen Vertrag zu Lasten Dritter dar.3 Es wird ausschließlich der Zweck verfolgt, den Arbeitnehmer vor ordentlichen Kündigungen zu schützen, wobei regelmäßig an die besonderen Situationen des Beschäftigten angeknüpft wird. Wenn sich solche Regelungen später bei evtl. betriebsbedingten Kündigungen zu Lasten anderer Arbeitnehmer auswirken können, handele es sich lediglich um einen hinzunehmenden Reflex.4 Als Konsequenz dieser Ansicht bezieht sich die Sozialauswahl nur auf die vergleichbaren Arbeitnehmer, die „normal“ kündbar sind, unabhängig davon, wie die „besonders geschützten“ Arbeitnehmer nach den sozialen Gesichtspunkten des § 1 Abs. 3 KSchG einzuordnen wären. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ausnahmsweise eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht gezogen werden kann.5 Zu beachten ist ferner, dass sich der ordentlich betriebsbedingt Gekündigte nicht auf einen tarifvertraglichen Ausschluss, beispielsweise auf einen tariflichen Alterskündigungsschutz, berufen kann, wenn er diesen Unwirksamkeitsgrund nicht rechtzeitig i.S.d. §§ 4, 6 KSchG geltend macht.6 1 BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 58/05, BB 2006, 1388. 2 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 (allerdings einschränkend im Hinblick auf das Verbot der Altersdiskriminierung, wenn die Herausnahme der ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer zu einer grob fehlerhaften Auswahl führen würde); LAG Brandenburg v. 29.10.1998 – 3 Sa 229/98, NZA-RR 1999, 360; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 666; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1074. 3 LAG Brandenburg v. 29.10.1998 – 3 Sa 229/98, NZA-RR 1999, 360. 4 So z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 666. 5 Siehe zur außerordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung bei tariflichem/ vertraglichem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit oben Rz. 170 ff. 6 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 314/06.
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Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 372 Teil 2
Nach anderer Meinung sind die tariflich unkündbaren Arbeitnehmer mit in die Sozialauswahl einzubeziehen.1 Die Kollision zwischen gesetzlichen und tarifvertraglichen Normen werde zugunsten der gesetzlichen Vorschrift des § 1 Abs. 3 KSchG gelöst, da deren Schutzniveau durch einen Tarifvertrag nicht abgesenkt werden könne. Das Ziel der sozialen Auswahl, nämlich unter mehreren in der Erfüllung einer Arbeitsaufgabe funktionell vergleichbaren Arbeitnehmern denjenigen zur Kündigung auszuwählen, den der Verlust des Arbeitsplatzes unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte am wenigsten belastet2, werde verfehlt, wenn tarifvertraglich unkündbare Arbeitnehmer nicht in den auswahlrelevanten Personenkreis einbezogen würden. Dann erfolge die Verbesserung des Bestandsschutzes für die tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmer zu Lasten der nicht geschützten Arbeitnehmer.3
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Wegen des Verstoßes der tariflichen Unkündbarkeitsklausel gegen zwingendes Gesetzesrecht wird der Ausschluss von einigen Autoren als insoweit unwirksam angesehen, als er zur Kündigung eines an sich sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers führt, der ohne die tarifliche Unkündbarkeitsklausel nicht zur Kündigung angestanden hätte (sog. relative Unwirksamkeit des Ausschlusses der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit in Bezug auf sozial schutzbedürftigere vergleichbare Arbeitnehmer). Dagegen soll der tarifvertragliche Kündigungsausschluss für alle Fälle der verhaltens- und personenbedingten Kündigung uneingeschränkt wirksam bleiben.4 Nach anderer Ansicht bleibt die tarifvertragliche Regelung zwar wirksam, ist aber insoweit nicht anwendbar.5
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" Praxistipp: Die gleiche Problematik stellt sich, wenn der Ausschluss der or-
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dentlichen Kündigung einzelvertraglich vereinbart wurde. Teilweise wird auch darin eine Einschränkung des auswahlrelevanten Personenkreises und damit ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter gesehen, so dass auch die einzelvertraglich unkündbaren Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einbezogen werden sollen6, teilweise wird dies mit den bereits oben genannten Argumenten abgelehnt, und so eine Beteiligung an der sozialen Auswahl verneint.7
f) Kollision mit § 613a BGB Zum Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen kann es auch im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang kommen. Insbesondere wenn der Er1 ArbG Cottbus v. 17.5.2000 – 3 Ca 38/00, NZA-RR 2000, 580 mit ausführlichen Nachweisen zu beiden Ansichten; v. Hoyningen-Huene/Link, § 1 Rz. 917; MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 106; Gaul, NZA 1992, 673, 675; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 360. 2 In diesem Sinne z.B. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 3 ArbG Cottbus v. 17.5.2000 – 3 Ca 38/00, NZA-RR 2000, 580. 4 So z.B. MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 104. 5 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 921. 6 Siehe z.B. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 922. 7 Z.B. LAG Brandenburg v. 29.10.1998 – 3 Sa 229/98, NZA-RR 1999, 360; dazu BAG v. 2.6. 2005 – 2 AZR 480/04, Pressemitteilung 36/05.
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Teil 2 Rz. 373
Betriebsbedingte Kündigung
werber bereits einen eigenen Betrieb hat und der übergegangene Betrieb oder Betriebsteil in diesen eingegliedert wird, stellt sich hinsichtlich der Sozialauswahl die Frage, welche Arbeitnehmer in den auswahlrelevanten Personenkreis einzubeziehen sind. 373
Es ist dabei nach dem Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zu differenzieren. Kündigt der bisherige Arbeitgeber nach Abschluss eines Vertrages über einen Betriebsteilübergang wegen eines eigenen Veränderungskonzepts für den bei ihm verbleibenden Betriebsteil, kann er Arbeitnehmer aus einer Sozialauswahl herausnehmen, wenn sich zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung konkret und greifbar abzeichnet, dass diese Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist auf den Erwerber übergegangen sein werden und deshalb dann nicht mehr zu seinem Betrieb gehören.1
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Kündigt der bisherige Arbeitgeber vor Abschluss des Übernahmevertrages, muss er die soziale Auswahl auf die Arbeitnehmer des zu veräußernden Betriebes beschränken. Weil der Betriebsveräußerer mit den Arbeitnehmern des Erwerbers in keinem Vertragsverhältnis steht, wäre es ihm rechtlich schon nicht möglich, diesen Arbeitnehmern zu kündigen.2
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Umstritten ist die Variante, dass der „alte“ Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen nach Abschluss des Übernahmevertrages, aber vor dessen Wirksamwerden ausspricht, um ein auf den Betrieb bezogenes unternehmerisches Konzept des Erwerbers zu verwirklichen. Soll der zu übertragende Betrieb(steil) beim Erwerber in einen eigenen Betrieb eingegliedert werden, stellt sich hier die Frage, ob schon bei der Kündigung durch den Veräußerer die Arbeitnehmer des aufnehmenden Betriebes in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Konsequenterweise ist dies aus rechtlichen Gründen nicht ohne weiteres möglich. Würde sich bei der Sozialauswahl herausstellen, dass ein beim Erwerber beschäftigter Arbeitnehmer sozial am stärksten gestellt ist, wäre es dem Veräußerer mangels Arbeitgeberstellung dennoch nicht möglich, das Arbeitsverhältnis mit diesem Arbeitnehmer zu kündigen. Aus diesem Grund wird teilweise eine solche Lösungsmöglichkeit völlig abgelehnt.3 Dieses rechtliche Problem lässt sich jedoch genau so wie das tatsächliche Problem der fehlenden Kenntnis des Veräußerers vom Personalbestand des Erwerbers dadurch lösen, dass Erwerber und Veräußerer schon in diesem Stadium des Übernahmevertrages eng zusammenarbeiten. Sie müssten gemeinsam eine Liste vergleichbarer Arbeitnehmer erstellen, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt wird. Die dadurch notwendig werdenden Kündigungen sind jeweils von dem Arbeitgeber auszusprechen, der rechtsgeschäftlich Vertragspartner des zu kündigenden Arbeitnehmers ist, sofern nicht die Voraussetzungen der Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB vorliegen.4
1 LAG Hamm v. 5.5.2004 – 2 Sa 2182/03; a.A. BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285 (= DB 2005, 673; EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 56). 2 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 674. 3 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 824; Vossen, BB 1984, 1557, 1560. 4 So z.B. auch APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 194; APS/Kiel, 7, § 1 KSchG Rz. 674.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 378 Teil 2
" Praxistipp: Erfolgt die betriebsbedingte Kündigung nach Vollzug des Be-
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Ein weiteres Problem bei der Sozialauswahl im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang tritt auf, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Übernehmer des Betriebes oder Betriebsteils widerspricht, das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund nicht auf den Erwerber übergeht2 und es deshalb bei dem Veräußerer zu einer betriebsbedingten Kündigung kommt. Vor Geltung des § 1 Abs. 3 KSchG konnten sich nach der Rechtsprechung des BAG auch Arbeitnehmer, die dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Übernehmer des Betriebes oder Betriebsteils nach § 613a BGB widersprochen hatten, bei einer nachfolgenden, vom Betriebsveräußerer erklärten betriebsbedingten Kündigung auf eine fehlerhafte Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG berufen. Bei der Prüfung der sozialen Auswahlgesichtspunkte sollten die Gründe für den Widerspruch berücksichtigt werden.3 Unter Geltung des § 1 Abs. 3 KSchG in der seit 1.1.2004 in Kraft getretenen Fassung war die bis dahin geltende Rechtsprechung allerdings nicht mehr aufrechtzuerhalten. Seitdem muss der Widerspruch eines Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang bzw. dessen Begründung im Rahmen der Sozialauswahl unberücksichtigt bleiben. Einer Berücksichtigung der Widerspruchsgründe im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG steht der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen.4
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Die Widerspruchserklärung ist grundsätzlich nach §§ 142, 119 ff. BGB anfechtbar. Mit dem Widerspruch wird ein Gestaltungsrecht durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt, die anfechtbar ist. Eine Anfech-
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triebsübergangs durch den neuen Arbeitgeber, kommt es darauf an, wie der übernommene Betrieb fortgeführt werden soll. Wird der Betrieb getrennt von den anderen des Erwerbers fortgeführt, sind nur die in dem übergegangenen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen. Wird der Betrieb dagegen in einen der Betriebe des Übernehmers eingegliedert, sind alle jetzt dort beschäftigten Arbeitnehmer, also auch schon die vorher dort tätigen Arbeitnehmer, in die Sozialauswahl einzubeziehen. Ansonsten würde der Grundsatz der Betriebsbezogenheit der sozialen Auswahl verletzt, da an die Stelle der in § 1 Abs. 3 KSchG geforderten betriebsbezogenen Sozialauswahl eine betriebsteilbezogene Auswahl träte. Das Kündigungsrisiko der betroffenen Arbeitnehmer würde sich erhöhen. Eine derartige Verschlechterung der kündigungsrechtlichen Situation als Konsequenz eines Betriebsübergangs würde zudem gegen die Bestandsgarantie in § 613a BGB verstoßen.1
1 Löwisch/Spinner, KSchG, vor § 1 Rz. 71; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 675; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 193. 2 Zum Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers und die dadurch eintretenden Rechtsfolgen siehe z.B. APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 218 ff. 3 Vgl. BAG v. 7.4.1993 – 2 AZR 449/91 (B) – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 22 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 30, zu II 5 b der Gründe; v. 18.3.1999 – 8 AZR 190/98, DB 1999, 1805; Meyer NZA 2005, 9 (12); Nicolai BB 2006, 1162 (1165); Gaul NZA 2005, 730 (732). 4 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 218/06 (n.v.) sowie BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06 (Parallelentscheidung), NZA 2008, 33.
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Teil 2 Rz. 379
Betriebsbedingte Kündigung
tungserklärung setzt allerdings voraus, dass in ihr zum Ausdruck kommt, dass der Arbeitnehmer nicht an der Widerspruchserklärung festhalten will.1 379
Einstweilen frei.
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Bei Kündigungen vor einem geplanten Betriebsteilübergang ist der auswahlrelevante Personenkreis bei einer Sozialauswahl aus Anlass einer betriebsbedingten Beendigungskündigung auf Arbeitnehmer des Betriebes beschränkt, die zum Zeitpunkt des die Kündigung rechtfertigenden Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit dem Betrieb noch angehören. Hierzu gehören nicht diejenigen Arbeitnehmer, für die bereits im Zeitpunkt der Kündigung geplant ist, dass deren Arbeitsverhältnisse gem. § 613a Abs. 1 BGB im Rahmen einer Betriebsteilveräußerung vor dem Ablauf der Kündigungsfrist auf einen anderen Arbeitgeber übergehen. Arbeitnehmer, für die bereits bei Ausspruch der Kündigung feststeht, dass sie ebenfalls ausscheiden werden, sind nicht mehr in die soziale Auswahl einzubeziehen, in deren Rahmen es um den Fortbestand einer Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb des kündigenden Arbeitgebers geht. Bei dem absehbaren Ausscheiden von Arbeitnehmern gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB im Rahmen eines Betriebsteilübergangs kommt es für die Beurteilung des auswahlrelevanten Peersonenkreises im Rahmen der Sozialauswahl nicht formal auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung an, sondern auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist. Ist für diesen Zeitpunkt bereits absehbar, dass die Arbeitnehmer des übergegangenen Betriebsteils für einen Austausch nicht mehr zur Verfügung stehen, sind sie deshalb in eine soziale Auswahl nicht einzubeziehen.2
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" Praxistipp: Erfolgt der Betriebsübergang im Rahmen einer Umwandlung
nach dem Umwandlungsgesetz, so ist die Regelung des § 323 Abs. 1 UmwG zu beachten. Danach gilt in den Fällen der Spaltung oder Vermögensteilübertragung nach dem UmwG, dass sich die kündigungsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nicht verschlechtert. Soweit also der Arbeitnehmer durch die Umwandlung aus einer für ihn günstigeren gesetzlichen/kollektivrechtlichen Regelung herausfällt, steht dem § 323 Abs. 1 UmwG entgegen. Dies wirkt sich nicht nur auf die Anwendung des KSchG in einem nach der Betriebsspaltung übriggebliebenen Kleinbetrieb aus, sondern auch auf die Sozialauswahl. Im Anwendungsbereich von § 323 Abs. 1 UmwG muss die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG auf den bisherigen Gesamtbetrieb ausgedehnt werden, als ob eine Betriebsspaltung nicht stattgefunden hätte.3
1 Vgl. BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759. 2 So zutreffend LAG Hamm, Urt. v. 5.5.2004 – 2 Sa 1863/03, LAGE Report 2005, 17, anders BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285 (= DB 2005, 673). 3 Siehe dazu bereits oben A.I.1.a); so z.B. auch v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 Rz. 16 m.w.N.; a.A. u.a. KR/Friedrich, §§ 322–324 UmwG Rz. 42 (nur vergleichbare Arbeitnehmer im abgespaltenen Betrieb).
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 383 Teil 2
g) Überbetriebliche Sozialauswahl Das KSchG ist grundsätzlich betriebsbezogen ausgerichtet.1 Dies gilt auch für die Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises zur Sozialauswahl. Einzubeziehen sind alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes, nicht zu berücksichtigen sind dagegen Arbeitnehmer aus anderen Betrieben des Unternehmens oder aus anderen Unternehmen des Konzerns.2 Die Sozialauswahl hat grundsätzlich auch dann betriebsbezogen zu erfolgen, wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat.3 Würde man die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ganz oder teilweise auf den Unternehmensbereich ausdehnen, so würde dies notwendigerweise zur Austauschkündigung führen.4
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Eine Ausnahme wird z.B. gemacht, wenn mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führen. Bei der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG sind alle in diesem gemeinsamen Betrieb beschäftigten vergleichbaren Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einzubeziehen, unabhängig davon, an welchen Arbeitgeber/Unternehmen sie arbeitsvertraglich gebunden sind. Nach der Rechtsprechung des BAG ist der von mehreren Unternehmen gebildete einheitliche Betrieb oder Gemeinschaftsbetrieb Bezugspunkt für den Umfang des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG bei der betriebsbedingten Kündigung einschließlich der sozialen Auswahl. Bei Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs kommt es damit für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, für die anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG) und für die soziale Auswahl auf die Verhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb an.5 Wenn ein gemeinsamer Betrieb vorliegt, ist auch ein einheitlicher Leitungsapparat inklusive gemeinsamer Personalleitung gegeben, durch den die Möglichkeit der Kündigung eines in dem einen Unternehmen beschäftigten sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmers anstelle eines sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers aus dem anderen Unternehmen im Verhältnis zu den unterschiedlichen Arbeitgebern geregelt ist.6 Ist der Gemeinschaftsbetrieb zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr existent, weil einer der beiden Einzelbetriebe stillgelegt worden ist, ist allerdings eine auf den früheren Gemeinschaftsbetrieb bezogene Sozialauswahl nicht mehr vorzunehmen.7 Gleiches gilt, wenn im Zeitpunkt der Kündigung einer der beiden Betriebe zwar noch nicht stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird.8 Wird lediglich der Betriebszweck geändert, ist dies allerdings nicht ohne weiteres mit einer Betriebsstilllegung gleichzusetzen, welche zur Auflösung des Ge-
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1 Siehe BAG v. 23.11.2004 – 2 AZR 24/04, ZIP 2005, 1044; oben unter Rz. 1 ff. 2 BAG v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, NZA 1987, 125 (= DB 1986, 2547); v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, NZA 1990, 226 (= DB 1990, 380). 3 BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 199/05, NJW 2006, 1757. 4 BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 1658/04, NZA 2005, 1175. 5 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759. 6 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600 (= DB 1986, 1287). 7 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06 (n.v.). 8 BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03; v. 18.9.2003 – 2 AZR 607/02.
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Teil 2 Rz. 384
Betriebsbedingte Kündigung
meinschaftsbetriebs geführt hätte. Haben beispielsweise zwei Unternehmen in der Form eines Gemeinschaftsbetriebs Bauleistungen erbracht, so muss nicht notwendigerweise die bisher ausgeübte einheitliche personelle Leitung wegfallen, wenn sich in Zukunft das eine dieser Unternehmen auf Bauträgerleistungen konzentriert oder bloße Bauplanungen ausführt und die gewerbliche Bauaufgabe dem anderen Unternehmen überlässt. Hintergrund einer derartigen unternehmerischen Entscheidung kann das Ziel sein, dass die Bauträgergesellschaft nunmehr das andere Teilunternehmen des Gemeinschaftsbetriebes verstärkt als Subunternehmen einsetzt, so dass sich an der praktischen Abwicklung der Bauaufträge im Wesentlichen nur die Art und Weise ändert, wie und über welches Unternehmen die einzelnen Bauaufträge abgerechnet werden. In einem derartigen Fall lässt die Fortführung der beiden Betriebsteile auch nach Änderung des Betriebszwecks des einen Unternehmens keineswegs auf den Wegfall des Gemeinschaftsbetriebs bzw. der bisher ausgeübten einheitlichen personellen Leitung schließen.1 Selbst im Falle einer Betriebsstilllegung bedarf es nach der Rechtsprechung des BAG stets der konkreten Überprüfung des Fortbestehens der einheitlichen personellen Leitung, die als „gemeinsame Klammer“ eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl ermöglicht.2 Wenn nach eingehender Überprüfung feststeht, dass zusammen mit der Änderung des Betriebszwecks beide Firmen auch tatsächlich getrennt worden sind und der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst wurde, ist darüber hinaus nach der Rechtsprechung des BAG zu prüfen, ob die unternehmerische Entscheidung der Beklagten willkürlich war, weil sie darauf abzielte, den Kündigungsschutz zu vereiteln.3 384
Problematisch für die Identifizierung des auswahlrelevanten Personenkreises ist auch der Fall, dass ein Unternehmen, das neben einem Hauptbetrieb betriebliche „Kleinsteinheiten“ (wie z.B. kleine Filialen oder Geschäftsstellen) unterhält, eine von diesen Einheiten schließen muss. Hier hängt es vom Betriebsbegriff ab, ob man diese Filiale im Rahmen der Sozialauswahl für sich betrachtet, oder ob man alle Filialen zum Hauptbetrieb „zieht“ und eine filialübergreifende Sozialauswahl vornehmen kann. Für den Betriebsbegriff des KSchG kommt es nicht auf die räumliche Nähe an.4 Es ist vielmehr auf die organisatorische Einheit abzustellen, die anzunehmen ist, wenn ein einheitlicher Leitungsapparat vorhanden ist, der die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Gesamtzwecks eingesetzten Mittel lenkt. Führt ein Unternehmen neben einer Hauptzentrale viele kleine, über eine größere räumliche Distanz verteilte Filialen, steht dies der rechtlichen Zuordnung der Filialen zur Zentrale und damit der Bildung eines einzigen Betriebes nicht entgegen. Werden die Filialen von dem Hauptbetrieb durch einen einheitlichen Leitungsapparat gelenkt, und sind bei ihnen selbst keine wesentlichen arbeitsrechtlichen Befugnisse angesiedelt, sind die Filialen als unselbständige Betriebsteile der Zentrale zuzu-
1 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06 (n.v.). 2 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06 (n.v.); v. 24.2.2005 – 2 AZR 214/04, NZA 2005, 867–869 (n.v.) m.w.N. 3 BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 636/01, BAGE 103, 31. 4 Siehe dazu bereits oben unter Rz. 28 ff.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 386 Teil 2
ordnen.1 Die Sozialauswahl ist dann unter allen vergleichbaren Arbeitnehmern aller Filialen vorzunehmen. Für den Arbeitnehmer hat dies den Vorteil, dass er unter Schutzwürdigkeitsgesichtspunkten die Möglichkeit hat, seinen Arbeitsplatz, wenn auch in einer anderen Filiale, zu behalten. Nachteilig ist jedoch, dass er, gerade bei über ganz Deutschland verteilten Geschäftsstellen, damit rechnen muss, über weite Entfernungen versetzt zu werden.2 Wie immer bei der Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises muss jedoch auch hier das Direktionsrecht des Arbeitgebers beachtet werden. Beschränkt der Arbeitsvertrag des potentiell kündigungsbetroffenen Arbeitnehmers dessen Einsatzbereich auf die konkrete Filiale, so erstreckt sich auch der Bereich der Sozialauswahl nicht über diese hinaus. Ein Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Versetzung bleibt hier – wie auch in den anderen Fällen – unbeachtlich.3 Handelt es sich dagegen bei den Filialen um selbständige Kleinsteinheiten mit eigenständiger Organisation, liegt an sich ein eigener Betrieb im Sinne des KSchG vor, innerhalb dessen die Sozialauswahl vorgenommen werden müsste. Handelt es sich jedoch um Filialen mit fünf oder weniger bzw. zehn oder weniger Arbeitnehmern, besteht wegen Unterschreitung der Grenzwerte in § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG kein Kündigungsschutz. Auch im KSchG muss jedoch die Regelung des § 4 Abs. 2 BetrVG angewandt werden4, so dass diese Kleinbetriebe dem Hauptbetrieb zugeordnet werden müssen. Dies gilt dann auch für die Sozialauswahl.
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2. Auswahlkriterien der Sozialauswahl a) Die Sozialindikatoren nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG Hat der Arbeitgeber den Personenkreis derjenigen Arbeitnehmer, die für eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht kommen, ausgewählt, muss er sich entscheiden, gegenüber welchem Arbeitnehmer er die Kündigung aussprechen soll. Dabei muss er gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des zu kündigenden Arbeitnehmers ausreichend berücksichtigen. Die Beachtung der vier Grunddaten ist zwingende Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung der Kündigung. Daneben kann der Arbeitgeber im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums fakultativ weitere soziale Kriterien in die von ihm angestellten Auswahlüberlegungen einbeziehen.
1 BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969; v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, AP Nr. 6 zu § 23 KSchG 1969; v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190 (= DB 1989, 127). 2 Kritisch dazu z.B. MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 78. 3 Siehe z.B. Gaul, Wechselbeziehungen zwischen Direktionsrecht und Sozialauswahl, NZA 1992, 673, 674; siehe zu der Vertragsklausel „Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, bei Bedarf auch andere zumutbare Tätigkeiten zu übernehmen.“ MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 79. 4 Siehe oben unter Rz. 28 ff.
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Teil 2 Rz. 387
Betriebsbedingte Kündigung
aa) Lebensalter 387
Mit zunehmendem Lebensalter steigt im Allgemeinen die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers.1 Dies hängt zum einen damit zusammen, dass ein älterer Beschäftigter – gerade bei den über 50-jährigen – erfahrungsgemäß schwerer einen Arbeitsplatz findet als jüngere Arbeitnehmer. Die besondere Schutzwürdigkeit älterer Arbeitnehmer wird aber auch in verschiedenen Gesetzen zum Ausdruck gebracht. So steigt gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG die vom Gericht festzusetzende Abfindung mit dem Lebensalter des Arbeitnehmers.
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Dennoch ist das Lebensalter eine ambivalente Größe, dessen Bedeutung sich nicht allgemein festlegen lässt, sondern die in Bezug zu anderen Faktoren (Qualifikation, Berufserfahrung, Arbeitsmarktsituation, Gesundheitszustand usw.) steht. So kann einerseits ein höheres Lebensalter mit längerer Berufserfahrung und daraus möglicherweise resultierender besserer Qualifizierung verbunden sein, andererseits fällt älteren Arbeitnehmern ein erforderlich gewordener Arbeitsplatzwechsel weniger leicht als jüngeren. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit einem Arbeitsplatzwechsel ein Wohnortwechsel einhergeht, ältere Menschen sind jedenfalls durch Wohneigentum und familiäre Bindungen häufiger an einen bestimmten Wohnort gebunden als jüngere. Die Ambivalenz dürfte aber erst ab Erreichung eines bestimmten Lebensalters Bedeutung erlangen und bei einer Sozialauswahl von Gewicht sein. Nach der Rechtsprechung des BAG ist dies in der Altersgruppe bis etwa 40 Jahre noch nicht der Fall, jedenfalls sei ein Lebensaltersunterschied von 10 Jahren in der Altersgruppe der 25bis 35-Jährigen grundsätzlich nicht relevant.2 Vor diesem Hintergrund wird daher zu Recht immer häufiger gefordert, dass das Lebensalter bei der Sozialauswahl keine Berücksichtigung mehr finden sollte.3 Ohnehin kann im Rahmen der Sozialauswahl ein hohes Lebensalter auch zu Lasten eines Gekündigten berücksichtigt werden, wenn sich hieraus eine bessere soziale Sicherung (längeres Arbeitslosengeld, baldiger Rentenbezug) ergibt.4 Hinzu kommt, dass das Kriterium des Lebensalters sinnvollerweise bei der Sozialauswahl nur heranzuziehen sein dürfte, wenn es mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit korrespondiert, wenn also ein älterer Arbeitnehmer schon länger in einem Betrieb beschäftigt ist. Dann aber reicht es völlig aus, allein auf das Kriterium der Betriebszugehörigkeitsdauer zurückzugreifen, welchem nach vermehrter Ansicht bei der Sozialauswahl insoweit zu Recht ein entscheidendes Gewicht beigemessen wird.5
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Mit Inkrafftreten des AGG ist die Berücksichtigung des Lebensalters i.R.d. Sozialauswahl problematisch geworden. Dazu stellt sich zunächst die Vorfrage, inwieweit das AGG im Kündigungsrecht Anwendung findet. Das AGG setzt vier EU-Richtlinien in nationales Recht um: die Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG vom 29.6.20006, die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG vom 1 2 3 4 5
Siehe z.B. KR/Griebeling, § 1 Rz. 673 m.w.N. BAG v. 19.1.1999, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Namenliste. Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 938 m.w.N. Landesarbeitsgericht Köln v. 17.9.2007 – 2 Sa 729/07 (n.v.). Vgl. APS/Kiel § 1 Rz. 727; KFA/Kaiser 2008, § 1 KSchG Rz. 195; Löwisch NZA 1996, 1009. 6 ABl. EG L 180, S. 22.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 388b Teil 2
27.11.20001 sowie die Gleichbehandlungsrichtlinien 2002/73/EG vom 23.9. 20022 und 2004/113/EG vom 13.12.2004.3 Ziel des Gesetzes ist ausweislich § 1 der Schutz vor Diskriminierung aufgrund Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität. Gemäß § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Die Reichweite dieser sog. „Bereichsausnahme“ war lange unklar, zumal nach den Richtlinienvorgaben der Diskriminierungsschutz auch auf Entlassungsbedingungen und damit Kündigungen zu erstrecken ist.4 Welche Bedeutung der gesetzlichen Anordnung im Einzelnen zukommt, ist daher umstritten.5 Stimmen reichen von der Unanwendbarkeit des § 2 Abs. 4 AGG bei Kündigungen6, bis zur vollständigen Beachtung der Norm.7 Nach zutreffender Ansicht – der sich nun auch das BAG angeschlossen hat – sind die nationalen Kündigungsbestimmungen europarechtskonform auszulegen.8 Hierbei bildet der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG den Sinn der Vorschrift nicht vollständig ab. Der Gesetzgeber hat durch die Einbeziehung der „Entlassungsbedingungen“ in den sachlichen Geltungsbereich des AGG jedoch zu verstehen gegeben, dass Kündigungen an den Diskriminierungsverboten des AGG zu messen sind. Der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG besteht darin, sicherzustellen, dass durch das AGG nicht ein „zweites Kündigungsrecht“ eingeführt wird; denn es wurde befürchtet, neben das Kündigungsschutzrecht könnte ein durch § 134 BGB i.V.m. den Vorschriften des AGG vermittelter weiterer Bestandsschutz treten.9 Für diese Ansicht spricht auch das ähnliche Verständnis des § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG, der das Verhältnis des AGG zum Betriebsrentengesetz regelt.10 § 2 Abs. 4 AGG dient also der Verbindung der auf 1 2 3 4 5
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ABl. L 303, S. 16. ABl. EG L 269, S. 15. ABl. EG L 373, S. 37. EuGH v. 11.6.2006 – C-13/05, NZA 2006, 839. Zum Streitstand vgl. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rz. 103 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2. Aufl. § 2 Rz. 55 ff.; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 2 Rz. 28 ff.; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 2. Aufl. § 2 Rz. 256 ff.; ErfK/Schlachter § 2 AGG Rz. 16 f.; HWK/Annuß/Rupp, § 2 AGG Rz. 12 ff.; Adomeit/Mohr, KommAGG, § 2 Rz. 199 ff.; KDZ/Zwanziger, § 2 AGG Rz. 23 ff.; AnwK-ArbR/v. Steinau-Steinrück/Schneider § 2 AGG Rz. 19 ff. Hiernach intendiere § 2 Abs. 4 AGG einen vollständigen Ausschluss der Antidiskriminierungsrichtlien. Bei diesem Verständnis ist § 2 Abs. 4 AGG jedoch europarechtswidrig und nicht anwendbar. Siehe dazu: Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 2 Rz. 28 ff.; ähnlich AnwK-ArbR/v. Steinau-Steinrück/Schneider § 2 AGG Rz. 21; Bayreuther DB 2006, 1842; Wenckebach AuR 2008, 70, 71; Thüsing BB 2007, 1506, 1507; Düwell FA 2007, 107, 109; Däubler/Bertzbach/Däubler, § 2 AGG Rz. 256 ff. Löwisch, BB 2006, 2189 (2190). BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361; ebenso Vorinstanz LAG Niedersachsen v. 13.7.2007 – 16 Sa 269/07; LAG Düsseldorf v. 16.4.2008 – 2 Sa 1/078 (n.v.); so auch ErfK-Schlachter, § 2 AGG Rz. 16; HWK/Annuß/Rupp § 2 AGG Rz. 13; Adomeit/Mohr, NJW 2009, 2255 f.; Nicolai, AGG 2006, Rz. 194; Mohr, ZfA 2007, 361, 368; KDZ/Zwanziger, § 2 AGG Rz. 23 ff. m.w.N. AnwK-ArbR/v. Steinau-Steinrück/Schneider § 2 AGG Rz. 19; vgl. auch Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rz. 56 f. BAG v. 11.12.2007 – 3 AZR 249/06 – AP AGG § 2 Nr. 1 = EzA AGG § 2 Nr. 1.
Mues
375
388b
Teil 2 Rz. 388c
Betriebsbedingte Kündigung
gleicher gesetzeshierarchischer Ebene stehenden Vorschriften des AGG und des Kündigungsrechts. Die im nationalen Kündigungsrecht vorgesehenen Rechtsfolgen gewährleisten abschließend einen ausreichenden Diskriminierungsschutz und tragen den Richtlinienvorgaben in genügendem Maße Rechnung.1 388c
Außerhalb des KSchG können die §§ 138, 242 BGB im Sinne des Gemeinschaftsrechts ausgelegt werden, denn Diskriminierung ist typischer Tatbestand einer treuewidrigen Kündigung.2 Kündigungen, die gegen die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität verstoßen, sind also treuewidrig und damit nichtig. Dadurch sichern die Generalklauseln den nach den Richtlinien notwendigen Mindestschutz.3 Im Geltungsbereich des KSchG sind die Wertungen der Richtlinien bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale zu beachten.
388d
Von den vorstehenden Grundsätzen ausgehend hat das BAG in Übereinstimmung mit seinen Entscheidungen vom 19.6.20074 und vom 6.9.20075 bestätigt, dass das Lebensalter auch unter Berücksichtigung des durch §§ 1, 10 AGG konkretisierten Verbots einer Diskriminierung wegen des Alters im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigt werden kann. Zwar stelle die Berücksichtigung des Lebensalters bei der sozialen Auswahl eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung dar. Diese sei jedoch gemessen an § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt, denn sie verfolge ein legitimes Ziel das darin bestehe, ältere Arbeitnehmer, die wegen ihres Alters typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, etwas besser zu schützen. Das Gesetz lege in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG für die unterschiedliche Behandlung auch objektive und angemessene Kriterien fest, indem es das Lebensalter als eines von vier gleichgewichtig zu berücksichtigenden Merkmalen der sozialen Auswahl vorschreibe.6 bb) Betriebszugehörigkeit
389
Die Betriebszugehörigkeit bzw. die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein wichtiger Gesichtspunkt unter den vier von Gesetzes wegen zu berücksichtigenden Sozialindikatoren.7 Teilweise wird ihr sogar unter den sozialen Grunddaten ein entscheidendes Gewicht beigemessen.8 Je länger ein Arbeitnehmer in einem Be1 BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361. 2 BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 511/03 – AP Nr. 142 zu § 102 BetrVG 1972 (n.v.); v. 25.4.2001 – 5 AZR 360/99 – AP BGB § 242 Kündigung Nr. 14 = EzA BGB § 242 Kündigung Nr. 4; v. 21. Februar 2001 – 2 AZR 15/00 – BAGE 97, 92. 3 LAG Baden-Württemberg v. 18.6.2007 – 4 Sa 14/07 (n.v.); ErfK-Schlachter, § 2 AGG Rz. 17; Hamacher/Ulrich, NZA 2007, 657; Hanau ZIP 2006, 2189, 2192; siehe dazu ausführlich auch Teil 5 A II 3. 4 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405. 6 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07 (n.v.); v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – DB 2009, 626; ebenso ErfK/Schlachter, § 10 AGG Rz. 9. 7 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729. 8 BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 623/01 EzA Nr. 51 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl; LAG Berlin-Brandenburg v. 26.7.2007 – 14 Sa 508/07, AE 2008, 38; z.B. MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 158 (zu der Rechslage vor Inkrafttreten des Arbeitsmarktreformgesetzes).
376
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 392 Teil 2
trieb arbeitet, umso mehr vertraut er auf den Fortbestand dieses Arbeitsverhältnisses. Sein Vertrauen wird bei der Sozialauswahl berücksichtigt. Dies stimmt mit der gesetzlichen Wertung überein. Auch der Gesetzgeber hat die Länge der Betriebszugehörigkeit als einen zu beachtenden Gesichtspunkt angesehen. So ist gem. § 1 Abs. 1 KSchG die Dauer der Betriebszugehörigkeit ein Kriterium für das Eingreifen des Kündigungsschutzes, und nach § 10 KSchG wird die Höhe der festzusetzenden Abfindung auch davon abhängig gemacht, wie lange das Arbeitsverhältnis bestanden hat.
" Praxistipp: Für die Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit gelten
dieselben Grundsätze wie für die Berechnung der Wartezeit im Rahmen des § 1 Abs. 1 KSchG.1 Ebenso wie diese ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht allein von der Zeitspanne abhängig, die der Arbeitnehmer ununterbrochen in demselben Betrieb arbeitet. Entscheidend ist vielmehr die Dauer der Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber, auch wenn sie in verschiedenen Betrieben erfolgt.2 Auch frühere Arbeitszeiten bei demselben Arbeitgeber können berücksichtigt werden, wenn sie in engem sachlichen Zusammenhang mit dem jetzigen Arbeitsverhältnis stehen.3 Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruhte, sind ebenfalls auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen (z.B. Wehr- und Ersatzdienst oder Elternzeit). Arbeitnehmer und Arbeitgeber können frühere Beschäftigungszeiten, die nach den allgemeinen Grundsätzen nicht angerechnet werden, durch vertragliche Vereinbarung zu der aktuellen Beschäftigungsdauer hinzurechnen.4 Eine sich zu Lasten anderer Arbeitnehmer auswirkende Individualvereinbarung darf jedoch nicht rechtsmissbräuchlich sein, d.h., die Umgehung der Sozialauswahl bezwecken. Für eine Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Betriebszugehörigkeitsdauer muss ein sachlicher Grund vorliegen. Ein solcher ist anzunehmen, wenn der Berücksichtigung früherer Beschäftigungszeiten ein arbeitsgerichtlicher Vergleich wegen eines streitigen Betriebsübergangs zugrunde liegt.5
390
cc) Unterhaltspflichten Der dritte stets zu berücksichtigende Gesichtspunkt sind die Unterhaltsverpflichtungen.
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Dabei ist als Ausgangspunkt auf die gesetzlichen Pflichten nach §§ 1360 ff., 1569 ff. und §§ 1601 ff. BGB abzustellen, also die Unterhaltspflichten gegenüber dem Ehegatten, den Kindern sowie pflegebedürftigen Eltern, aber auch gegenüber einem gleichgeschlechtlichen Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Leistungen ohne gesetzliche Verpflichtung – beispielsweise an Stiefkinder oder Schwiegereltern – sind nach dem Gesetzeswortlaut weniger ge-
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1 BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 623/01, NZA 2003, 1295; Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (184). 2 BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 623/01, NZA 2003, 1295. 3 BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; v. 20.8.1998 – 2 AZR 83/98, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 4 Siehe zu allem oben A II.3. Mindestbetriebszugehörigkeit, Rz. 129. 5 BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, NZA 2006, 207.
Mues
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Teil 2 Rz. 393
Betriebsbedingte Kündigung
wichtig zu bewerten, als die auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhenden Leistungen, auch wenn sie der Anstand gebietet.1 Dies gilt auch für Leistungen im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gegenüber dem/der Lebenspartner/in, während das nichteheliche Kind gegenüber dem leiblichen Vater nach dem Gesetz unterhaltsberechtigt ist (§§ 1615a, 1601 ff. BGB). 393
Es geht aber nicht nur um die Frage, ob der Arbeitnehmer überhaupt Unterhaltspflichten zu erfüllen hat, sondern es spielen auch noch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle, z.B. in welcher Höhe dies der Fall ist, wie vielen Personen Unterhalt gezahlt werden muss oder ob auch noch Unterhalt von Dritten gezahlt wird.2 Die Unterhaltsverpflichtung ist insoweit ebenfalls eine „ambivalente Größe“. Es ist nur aufgrund ihrer konkreten Auswirkungen zu ermitteln, ob sich aus den Unterhaltsverpflichtungen eine unterschiedliche soziale Schutzbedürftigkeit ergibt. Ohne individuellen Vergleich zwischen dem gekündigten Arbeitnehmer und den einzelnen, in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmern ist es nicht möglich, dem Alter, der Betriebszugehörigkeit, den Unterhaltsverpflichtungen oder der – nach der neuen Rechtslage ebenfalls zwingend zu berücksichtigenden – Schwerbehinderung des Arbeitnehmers den entscheidenden Stellenwert zu geben.3
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An dieser Stelle wird die Problematik des sog. Doppelverdienstes aktuell. nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG ist auch das Einkommen des Ehegatten im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigungsfähig, da sich dieses ggf. mindernd auf die Unterhaltsverpflichtung des Arbeitnehmers gegenüber seinem Ehegatten auswirken kann.4 Dabei ist zu differenzieren, ob der Ehegatte überhaupt erwerbstätig ist, zu den Geringverdienern zählt oder aus eigener Arbeit so viel verdient, dass sein Ehepartner insoweit keine Unterhaltspflichten hat. Wie immer muss auch hier eine Einzelfallbetrachtung stattfinden. Wenn der Doppelverdienst notwendig ist, um die Existenzgrundlage der Familie des Arbeitnehmers aufrechtzuerhalten, dann ist er für die Sozialauswahl unerheblich. Das gilt auch dann, wenn der in die soziale Auswahl einzubeziehende Arbeitnehmer der Haupternährer der Familie ist, während der Verdienst des Ehegatten zum Unterhalt der Familie nicht ausreicht. Andererseits kann nach Ansicht des BAG der Arbeitnehmer jedoch als Doppelverdiener gerade wegen seiner geringeren Unterhaltsverpflichtungen und der Möglichkeit, den Lebensunterhalt mit dem Einkommen seiner Ehefrau zu bestreiten, durchaus sozial weniger schutzwürdig sein, als jüngere Alleinverdiener mit einer geringeren Dauer der Betriebszugehörigkeit.5 Der Rechtsprechung des BAG ist zuzustimmen, soweit sie den Doppelverdienst lediglich unter dem Gesichtspunkt der Minderung eigener Unterhaltsverpflichtungen im Rahmen der Sozialauswahl für berücksichtigungsfähig hält. Geht es hingegen darum, dass der Arbeitnehmer durch das 1 2 3 4
LAG Köln v. 7.4.1995 – 13 Sa 1258/94, NZA-RR 1996, 46. LAG Hamm v. 21.8.1997 – 4 Sa 166/97, BB 1998, 165. BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679. BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679; LAG Hamm v. 21.8.1997 – 4 Sa 166/97, BB 1998, 165; siehe zur Kritik daran, weil dies zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen bei der Kündigung führen könnte: v. Hoyningen-Huene, Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG bei so genannten Doppelverdienern, NZA 1986, 449. 5 BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679.
378
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 395 Teil 2
Einkommen seines Ehepartners anderweitig versorgt ist, darf dies nach zutreffender Ansicht für die Sozialauswahl keine Rolle spielen. Denn darin läge eine nach § 611a BGB und Art. 1 EWG-Richtlinie Nr. 76/207 unzulässige mittelbare Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer, da Männer statistisch gesehen ein erheblich höheres Arbeitseinkommen erzielen als Frauen und sich Arbeitnehmerinnen im Rahmen der Sozialauswahl deshalb häufiger das höhere Einkommen ihres Ehemanns entgegenhalten lassen müssten.1 Die hier vertretene Auffassung, wonach der Doppelverdienst ausschließlich im Zusammenhang mit der Bewertung von Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers, nicht jedoch im Zusammenhang mit einer möglichen anderweitigen Versorgung berücksichtigt werden kann, wird auch durch die gesetzgeberische Begründung des neuen § 1 Abs. 3 KSchG bestätigt. Danach sind über die vier Grunddaten hinaus gehende Gesichtpunkte nur dann zu beachten, wenn sie mit den jeweiligen Grunddaten in einem „spezifischen unmittelbaren Zusammenhang“ stehen.2 Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Möglichkeit einer anderweitigen Versorgung durch das Ehegatteneinkommen und dem Grundkriterium „Unterhaltspflicht“ liegt jedoch nicht vor, sodass die anderweitige Versorgung als Sozialkriterium nicht herangezogen werden kann. Hinzuweisen ist darauf, dass das BAG mit seinem Urteil vom 5.12.20023 der Berücksichtigung des Doppeleinkommens als die soziale Schutzbedürftigkeit mindernden Faktor zu Recht enge Grenzen gesetzt und entschieden hat, dass dem Arbeitgeber hinsichtlich des Umstandes des Doppelverdienstes keine abstrakten Vorgaben gemacht werden könnten. Dieser sei zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, den Doppelverdienst zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Denn mit dem Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG sei es unvereinbar, § 1 Abs. 3 KSchG dahin gehend auszulegen, dass der Arbeitgeber im Ergebnis verpflichtet würde, einem verheirateten Arbeitnehmer nur wegen seiner familiären Bindung zu kündigen.4 An dieser Betrachtungsweise hat sich auch durch die Neufassung des § 1 Abs. 3 KSchG nichts Wesentliches geändert. Im Gegenteil macht der in der Gesetzesbegründung enthaltene Hinweis, wonach über die vier Grunddaten hinaus gehende Gesichtspunkte nur dann bei der Sozialauswahl Berücksichtigung finden können, wenn sie in einem unmittelbaren spezifischen Zusammenhang mit den jeweiligen Grunddaten stehen, einmal mehr deutlich, dass der Doppelverdienst zwar im Zusammenhang mit der Bewertung von Unterhaltspflichten freiwillig berücksichtigt werden kann, aber keinen eigenständigen, im Rahmen der Sozialauswahl zwingend zu berücksichtigenden Gesichtspunkt darstellt.5
1 So auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678n (a.E.); APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 724 m.w.N. 2 Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 3 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 4 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; zustimmend: Zimmer, FA 2004, 34 f. 5 Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204; so im Ergebnis auch KFA-ArbR/Kaiser, 2008, § 1 KSchG, Rz. 213; a.A. Schaub, 12. Auflage 2007, § 135 Rz. 36.
Mues
379
395
Teil 2 Rz. 396
Betriebsbedingte Kündigung
dd) Schwerbehinderung 396
Neben den drei bereits nach alter Rechtslage von der Rechtsprechung1 anerkannten Sozialindikatoren der Betriebsseniorität, des Lebensalters sowie der Unterhaltspflichten wurde im Zuge der Neuregelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt auch das Kriterium der Schwerbehinderung mit in die gesetzliche Vorschrift aufgenommen. Der Gesetzgeber hat damit verfassungrechtlichen Bedenken zu § 1 Abs. 3 KSchG i.d.F. des ArbRBeschFG Sorge getragen, die von der Überlegung ausgegangen waren, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG neben dem Benachteiligungsverbot auch eine besondere Schutzpflicht für schwerbehinderte Menschen enthalte, die durch das Verfahren vor dem Integrationsamt nach §§ 85 ff. SGB IX alleine nicht ausreichend gewährleistet sei.2 Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist der Arbeitgeber allerdings nur in Form einer Generalklausel verpflichtet, bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen. Die Generalklausel lässt es durchaus zu, nicht nur eine festgestellte Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch besondere Behinderungen, die einer weiteren Arbeitsvermittlung erheblich entgegenstehen, in die Prüfung der Sozialauswahl einzubeziehen.3 Zu bedenken ist ferner, dass das Kündigungsrecht des Arbeitgebers im Falle der arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Schwerbehinderten nicht durch § 84 SGB IX eingeschränkt ist. Die Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung mit der Folge, dass eine Kündigung unwirksam wäre, wenn ein Präventionsverfahren vor ihrem Ausspruch nicht durchgeführt worden ist.4 Das Gesetz ordnet diese Rechtsfolge nicht an. § 84 SGB IX steht nicht im Kapitel „Kündigungsschutz“, das erst mit § 85 SGB IX beginnt, sondern im Kapitel „Sonstige Pflichten der Arbeitgeber“. Auch der Zweck des § 84 Abs. 1 SGB IX fordert diese Rechtsfolge nicht ein. Durch die dem Arbeitgeber dort auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Ziel der gesetzlichen Prävention ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen.5 Die Nichtdurchführung eines Präventionsverfahrens i.S.d. § 84 Abs. 1 und 2 SGB IX vor Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Schwerbehinderten verstößt auch nicht gegen § 242 BGB. Die Auslegung dieser Norm muss im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG erfolgen. Durch Art. 12 Abs. 1 GG sollen sowohl die Grundsrechtsposition schwerbehinderter Arbeitnehmer als auch der Schutz des Arbeitgebers 1 So z.B. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl m.w.N. 2 Vgl. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 728a m.w.N. 3 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 4/04, DB 2005, 1390. 4 BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 182706, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 56 = EzA SGB IX § 84 Nr. 1; v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5. 5 BAG v. 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, BAGE 116, 121.
380
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 397 Teil 2
in einem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Maße bewirkt werden, indem der Gesetzgeber den besonderen Kündigungsschutz gem. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX erst nach sechs Monaten eingreifen lässt. Das ist angemessen, weil auch bei schwerbehinderten Arbeitnehmern der Arbeitgeber Gelegenheit haben muss, die Einsatzmöglichkeiten weitgehend frei von Kündigungsbeschränkungen zu erproben. Zu Recht weist auch das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass bei einer Wartezeitkündigung das Vertrauen des Arbeitnehmers in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses dadurch beschränkt ist, dass der Arbeitnehmer hier mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne den Nachweis von Gründen rechnen muss, erst recht, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Probezeit vereinbart haben. Umgekehrt hat der Arbeitgeber bei der Einstellung eines Arbeitnehmers regelmäßig ein berechtigtes Interesse daran, prüfen zu können, ob der neue Mitarbeiter seinen Vorstellungen entspricht.1 Auch unter Berücksichtigung der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG vom 27.11. 2000 (ABl. EG Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16) ergibt sich kein anderes Ergebnis. Das Gemeinschaftsrecht fordert angemessene Vorkehrungen zum Schutz Schwerbehinderter vor Entlassungen. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist dabei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Erprobung des neu eingestellten Mitarbeiters haben muss. Der geltende besondere Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX wird dem gerecht, indem der Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen erst nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses einsetzt (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Die Annahme kündigungsrechtlicher Konsequenzen bei einer unterbliebenen Durchführung des Präventionsverfahrens oder des betrieblichen Eingliederungsmanagements (§ 84 Abs. 1 und 2 SGB IX) in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses hätte demgegenüber nicht nur für den Arbeitgeber unangemessene Folgen. Sie würde vielmehr auch zu einem Einstellungshindernis führen, weil der Arbeitgeber nicht mehr frei wäre, die konkreten Einsatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers in seinem Betrieb zu erproben.2 Der Begriff der Schwerbehinderung ist in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht eigenständig definiert. Es muss daher auf die Legaldefinition des § 2 Abs. 2 SGB IX zurückgegriffen werden, wonach das Vorliegen einer Schwerbehinderung einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 voraussetzt. Dabei ist es für die Feststellung der Schwerbehinderung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG irrelevant, ob der betreffende Arbeitnehmer, wie in § 2 Abs. 2 2. Halbs. SGB IX vorgeschrieben, seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Geltungsbereich des SGB IX hat, da es insofern allein auf den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ankommt.3 Das neue Kriterium der Schwerbehinderung erfasst nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung auch die den schwerbehinderten Menschen Gleichgestellten
1 BVerfG v. 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913. 2 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA-SD 2008, Nr. 8, 3–5. 3 Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (112).
Mues
381
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Teil 2 Rz. 398
Betriebsbedingte Kündigung
i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB IX.1 Denn nicht anders als die Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung sind auch sie auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und bedürfen deshalb eines besonderen Schutzes. Zudem gelten für sie auch die kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften des SGB IX.2 398
Bevor die eigentliche Sozialauswahl erfolgen und damit im Rahmen des Abwägungsvorgangs auch das Kriterium der Schwerbehinderung Berücksichtigung finden kann, muss zunächst geklärt werden, ob der schwerbehinderte Arbeitnehmer überhaupt in den auswahlrelevanten Personenkreis einzubeziehen ist.3 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer – abgesehen von den Ausnahmefällen des § 90 SGB IX – den besonderen Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX genießt, eine Kündigung ihm gegenüber also nur (wirksam) ausgesprochen werden kann, wenn das Integrationsamt zuvor seine Zustimmung hierzu erteilt hat. Dementsprechend ist eine Vergleichbarkeit des schwerbehinderten mit anderen zu kündigenden Arbeitnehmern nur dann zu bejahen, wenn die erforderliche behördliche Zustimmung zu seiner Kündigung vorliegt. Solange dies nicht der Fall ist, scheidet der schwerbehinderte Arbeitnehmer aus dem auswahlrelevanten Personenkreis aus.4 Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers einzuholen und damit eine Vergleichbarkeit zwischen diesem und den zu kündigenden Arbeitnehmern herzustellen, besteht nicht.5
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" Praxistipp: Liegt einer der Ausnahmetatbestände des § 90 SGB IX vor,
greift der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX nicht ein mit der Folge, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer, sofern die allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz KSchG erfüllt sind6, unmittelbar, d.h. ohne vorherige Einschaltung des Integrationsamtes, in die Sozialauswahl mit einzubeziehen ist.7 Die Schwerbehinderung ist in diesem Fall im Rahmen des Abwägungsvorgangs zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Zu beachten ist ferner, dass nach Auffassung des BAG kein Ausnahmetatbestand nach § 90 Abs. 2a SGB IX vorliegt, wenn der Antrag auf Anerkennung vor Kündigungsausspruch abschlägig beschieden wurde, unabhängig davon, ob auf Widerspruch oder Klage später die Anerkennung erfolge.8
400–406
Einstweilen frei.
1 So auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 730; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (347); Bader, NZA 2004, 65 (74); Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (185); a.A. Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (112). 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678a. 3 Vgl. hierzu bereits unter Teil 2 Rz. 364 ff. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 728; Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (112); MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 95; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 946; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 664 jeweils m.w.N. 5 So zur Rechtslage vor dem 1.1.2004 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 664; zur neuen Rechtslage Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (347); FA-ArbR/Kaiser 2008, Rz. 220; Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (112). 6 Diese liegen im Falle des § 90 Nr. 1 SGB IX mangels Erfüllung der Wartezeit nicht vor. 7 Vgl. hierzu ausführlich Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (113 f.). 8 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, EzA-SD 2008, Nr. 6, 13–14.
382
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 409 Teil 2
ee) Berücksichtigung sonstiger Umstände Mit Inkrafttreten des Arbeitsmarktreformgesetzes ist die Sozialauswahl auf die vier in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG aufgezählten Sozialindikatoren begrenzt worden. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, im Rahmen der Sozialauswahl weitere Kriterien zu berücksichtigen. Fraglich bleibt dagegen, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber weitere soziale Gesichtspunkte in die Abwägung mit einbeziehen darf. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Arbeitsmarktreformgesetz1 wird hierzu ausgeführt, dass die Beschränkung auf vier Grunddaten „die Beachtung unbilliger Härten im Einzelfall“ nicht ausschließt. Zusätzlich erfassbare Tatsachen sollen jedoch „in einem unmittelbar spezifischen Zusammenhang mit den Grunddaten stehen oder […] sich aus solchen betrieblichen Gegebenheiten herleiten, die evident einsichtig sind.“ Die Bezugnahme auf betriebliche Gegebenheiten zeigt, dass Aspekte, die aus dem privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers stammen, grds. nicht berücksichtigungsfähig sind. Keine Rolle kann daher beispielsweise der allgemeine Gesundheitszustand des Arbeitnehmers spielen2, sofern dieser nicht ausnahmsweise an einer Berufskrankheit oder einer durch einen nicht verschuldeten Arbeitsunfall erlittenen Verletzung leidet.3 Aus dem gleichen Grund kommt – anders als nach der bisherigen Rechtslage – auch die allgemeine Vermittelbarkeit des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt als Auswahlkriterium grds. nicht in Betracht.4
407
Insgesamt ist festzustellen, dass sonstige Kriterien im Vergleich zu der bisher geltenden Rechtslage nach § 1 Abs. 3 KSchG nur in eingeschränktem Maße für die Sozialauswahl herangezogen werden können. Die Umstände, die schon nach der bisherigen Rechtslage nicht berücksichtigungsfähig waren (z.B. die Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers), sind dies auch nach der jetzigen Rechtslage nicht, während die nach alter Rechtslage berücksichtigungsfähigen Sachverhalte zusätzlich in einem unmittelbaren spezifischen Zusammenhang zu den vier Grunddaten stehen oder auf evident einsichtigen betrieblichen Gegebenheiten beruhen müssen, um zulässigerweise in die Sozialauswahl mit einbezogen werden zu können.
408
Wann ein unmittelbarer Zusammenhang mit den vier gesetzlich vorgesehenen Sozialindikatoren vorliegt, ist in Literatur und Rechtsprechung bisher nicht eindeutig geklärt. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit den nach § 1 Abs. 3 KSchG zu berücksichtigenden Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers wird aber nach zutreffender Ansicht beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn der Arbeitnehmer auf Grund der Pflegebedürftigkeit unterhaltsberechtigter Personen besondere Kostenbelastungen zu tragen hat.5 Denn durch die mit der Pflege verbundenen Kosten steigen auch die im Rahmen der Unterhaltspflicht zu zahlenden Beträge. Die mit der Pflege naher Familienangehöriger verbunde-
409
1 Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 2 So auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178); a.A. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678o. 3 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 4 Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178); a.A. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678o. 5 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 725.
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Teil 2 Rz. 410
Betriebsbedingte Kündigung
nen Zusatzkosten sind daher – wie bereits nach der alten Rechtslage – weiterhin im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigungsfähig. Auch der Arbeitsplatzverzicht des Vaters für seinen Sohn kann wegen des Unterhaltsbezugs im Rahmen der Sozialauswahl zu Gunsten des Sohnes berücksichtigt werden, zumal dieser im Verhältnis zu seinem (dann arbeitslosen) Vater sogar vorrangig zum Unterhalt verpflichtet ist.1 Gleiches gilt für das die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers mindernde Ehegatteneinkommen.2 Dieses ist im Rahmen der Unterhaltspflichten nicht berücksichtigungspflichtig3, kann jedoch wegen der unmittelbaren Auswirkungen auf die Unterhaltspflicht des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber optional für die Sozialauswahl herangezogen werden.4 410
" Praxistipp: Bis zur Klärung der rechtlichen Unsicherheiten ist in der
Rechtspraxis eine grds. Beschränkung der Sozialauswahl auf die vier in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG aufgeführten Kriterien anzuraten: Stützt der Arbeitgeber die Sozialauswahl auf zusätzliche Kriterien, läuft er Gefahr, dass die Arbeitsgerichte den betrieblichen Bezug oder den unmittelbarem spezifischen Zusammenhang zu einem der vier Grunddaten verneinen und die Sozialauswahl deshalb scheitert. Unterlässt er hingegen die Einbeziehung eines zusätzlichen, berücksichtigungsfähigen Kriteriums, macht dies allein die Sozialauswahl noch nicht fehlerhaft, da der Arbeitgeber nur die im Gesetz genannten vier Kriterien zwingend in seine Auswahlüberlegungen mit einbeziehen muss.
b) Durchführung der Sozialauswahl: individueller Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers? 411
Der Arbeitgeber muss aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer den am wenigsten sozial schutzwürdigen auswählen. Dabei hat er nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen.
412
Wie die unterschiedlichen Kriterien zueinander ins Verhältnis zu setzen sind, ist ebenso wie in der Vorgängerregelung gesetzlich nicht festgelegt. Die neue Regelung verzichtet im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG5 bewusst darauf, dem Arbeitgeber hierzu schematische Vorgaben zu machen. Bereits die zu § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG a.F. getroffenen höchstrichterlichen Entscheidungen waren davon ausgegangen, dass dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Auswahlkriterien keine abstrakten Vorgaben gemacht werden könnten, etwa dergestalt, dass einem der Sozialindikatoren immer Priorität vor 1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678o. 2 Die Berücksichtigung einer anderweitigen Versorgung durch das Ehegatteneinkommen scheidet dagegen nach zutreffender Ansicht aus; vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678o; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 724 m.w.N. 3 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 4 Vgl. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 724; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 944 f.; a.A. KFAArbR/Kaiser 2008, § 1 KSchG Rz. 212. 5 Vgl. nur BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 415 Teil 2
dem anderen eingeräumt werden müsste. Vielmehr sei eine einzelfallbezogene Abwägung vorzunehmen, bei der jedes der Kriterien grundsätzlich gleiches Gewicht zukomme.1 An diese Rechtsprechung knüpft der Gesetzgeber an, indem er in der Begründung zum Regierungsentwurf nunmehr ausdrücklich klarstellt, dass die im Gesetz genannten Sozialkriterien untereinander gleichwertig sind.2 Nach dem Willen des Gesetzgebers scheidet somit eine Bestimmung des Gewichts der jeweiligen Grunddaten anhand eines objektiven, allgemeinverbindlichen Bewertungsmaßstabes aus. Die vier Grunddaten sind einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen, wobei nach zutreffender Ansicht die konkrete Gewichtung auch von der aktuellen arbeitsmarktpolitischen oder wirtschaftlichen Lage abhängen kann.3
" Praxistipp: Bei der Abwägung der Kriterien ist nicht nur die aktuelle Le-
413
Das Merkmal der ausreichenden Berücksichtigung der sozialen Grunddaten ist im Übrigen nicht so zu verstehen, dass die Rechtsunwirksamkeitsfolge bereits dann eintritt, wenn der Arbeitgeber keine Abwägung vorgenommen hat, sondern nur dann, wenn sie auch im Ergebnis unzutreffend ist. Das bedeutet umgekehrt, dass eine betriebsbedingte Kündigung nicht sozialwidrig ist, wenn sich die Sozialauswahl im Ergebnis als zutreffend erweist, obwohl der Arbeitgeber tatsächlich eine Abwägung der sozialen Gesichtspunkte überhaupt nicht vorgenommen hat.5 Selbst wenn der Arbeitgeber eine Abwägung der sozialen Gesichtspunkte durch Vollzug einer zulässigen Auswahlrichtlinie (hierzu sogleich) vornimmt und die Sozialauswahl vom Arbeitgeber als nicht ordnungsgemäß beanstandet wird, kann der Arbeitgeber auf diese Rüge mit Erfolg einwenden, der gerügte Auswahlfehler habe sich auf die Kündigungserklärung nicht ausgewirkt, weil der Arbeitnehmer nach dem Punkteschema (hierzu sogleich) auch bei Vorliegen des Auswahlfehlers zur Kündigung angestanden hätte, sich mithin die Sozialauswahl im Ergebnis als zutreffend erwiesen hat.6
414
Berücksichtigt der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl die Grunddaten des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG in jeweils gleichem Maße, ist seine Auswahlentscheidung für den Arbeitnehmer unangreifbar.7 Zu beachten ist jedoch, dass alle vier in § 1
415
benssituation des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch im Zeitpunkt der Kündigung sich abzeichnende Entwicklungen, sofern sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft zu sozialen Entlastungen (z.B. der unterhaltsberechtigte Sohn des Arbeitnehmers steht vor dem Abschluss seiner Berufsausbildung) oder Belastungen (z.B. die Ehefrau des Arbeitnehmers ist hochschwanger) führen werden.4
1 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; vgl. auch BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679; v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729. 2 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 3 So BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 1335 (= AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178). 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678j. 5 MünchArbR/Berkowsky, 2. Auflage, § 139 Rz. 169. 6 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. 7 BAG v. 18.1.1990 – 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; vgl. auch Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (346).
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Teil 2 Rz. 416
Betriebsbedingte Kündigung
Abs. 3 Satz 1 KSchG aufgeführten Grunddaten in den bei der Sozialauswahl vorzunehmenden Abwägungsvorgang mit einbezogen werden müssen. Wird eines der Kriterien übergangen, ist die Sozialauswahl bereits aus diesem Grunde fehlerhaft.1 416
Die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG verlangt wie ihre Vorgängerregelung lediglich eine „ausreichende“, keine „perfekte“ Sozialauswahl. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird dementsprechend ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Auswahlkriterien ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht.2 Auch damit orientiert sich der Gesetzgeber an der bisherigen Rechtsprechung des BAG. Dieses hatte entschieden, dass die Auswahlentscheidung lediglich vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen muss, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen.3 Der vom Gesetzgeber eingeräumte Beurteilungsspielraum hat zur Folge, dass geringfügig fehlerhafte Einordnungen in der sozialen Schutzbedürftigkeit durch den Arbeitgeber rechtlich unbeachtlich bleiben und vor Gericht geltend gemacht werden können. Nur deutlich schutzbedürftigere Arbeitnehmer als die vom Arbeitgeber ermittelten können vor Gericht die Sozialauswahl erfolgreich als fehlerhaft rügen.4 Zu beachten ist, dass anders als bei Vorliegen einer kollektiv-rechtlich legitimierten Auswahlrichtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG die Sozialauswahl nicht auf den Prüfungsmaßstab der „groben Fehlerhaftigkeit“ beschränkt ist. Denn wollte man den reduzierten gerichtlichen Prüfungsrahmen generell auf die Sozialauswahl übertragen, würde die gesetzlich vorgesehene Privilegierung des § 1 Abs. 4 KSchG ad absurdum geführt. Abgesehen von dem arbeitgeberseitigen Beurteilungsspielraum ist somit die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers grds. voll gerichtlich überprüfbar.5
417
Werden neben den im Gesetz genannten Kriterien weitere soziale Gesichtspunkte in die Auswahlentscheidung mit einbezogen, was – wie bereits festgestellt (vgl. hierzu unter Rz. 407 f.) – grds. immer dann möglich ist, wenn diese entweder in einem unmittelbaren spezifischen Zusammenhang mit den Grunddaten stehen oder aber auf evident einsichtigen betrieblichen Gegebenheiten beruhen, ist darauf zu achten, dass diese als zusätzliche (optionale) Kriterien jedenfalls nicht höher bewertet werden dürfen als die vier zwingend zu beachtenden Sozialindikatoren.6 Andernfalls wäre eine „ausreichende“ Berücksichtigung der im Gesetz aufgeführten Grunddaten nicht gewährleistet.7 Mit der Berufung auf 1 2 3 4
Vgl. auch Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (346). Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 34; v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64; v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, NZA 1990, 226; v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. 5 So auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 737; a.A. LAG Köln v. 3.5.2000 – 2 Sa 272/00, LAGE Nr. 33 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678h. 6 Schiefer/Worzalla, NZA 2204, 345 (346). 7 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678p ff. hält die vorgeschriebenen Sozialdaten dann für ausreichend berücksichtigt, wenn in einem Punktesystem 34 der Punkte auf sie entfallen.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 418 Teil 2
weitere soziale Gesichtspunkte tritt eine Selbstbindung des Arbeitgebers ein mit der Folge, dass die gekündigten Arbeitnehmer sich auf die vom Arbeitgeber herangezogenen zusätzlichen Kriterien berufen und diese zur Begründung ihrer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit geltend machen können.1 Bei Durchführung der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG kann der Arbeitgeber – unabhängig von der förmlichen Vereinbarung einer kollektiven Auswahlrichtlinie (hierzu sogleich) – zur Objektivierung und besseren Durchschaubarkeit seiner Auswahlentscheidung die sozialen Gesichtspunkte mit einem Punktesystem bewerten. Anhand der von den einzelnen Arbeitnehmern jeweils erreichten Punktzahlen kann der Arbeitgeber sodann eine Rangfolge der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer erstellen und die zu kündigenden Arbeitnehmer nach dieser Rangfolge bestimmen. Entfallen z.B. 50 von 500 Arbeitsplätzen, so sind bei Anwendung eines solchen Punktesystems grundsätzlich die 50 Arbeitnehmer mit den geringsten Punktzahlen zu kündigen. Unterläuft bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler mit der Folge, dass auch nur einem Arbeitnehmer, der bei richtiger Ermittlung der Punktzahlen zur Kündigung angestanden hätte, nicht gekündigt wird, so wurden nach der bisherigen Rechtsprechung die Kündigungen aller gekündigten Arbeitnehmer als unwirksam angesehen.2 Dies galt, obwohl bei fehlerfreier Erstellung der Rangfolge nur ein Arbeitnehmer von der Kündigungsliste zu nehmen gewesen wäre. Diese Rechtsprechung hat das BAG aufgegeben. Kann der Arbeitgeber in Fällen der beschriebenen Art im Kündigungsschutzprozess aufzeigen, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch bei richtiger Erstellung der Rangliste anhand des Punktesystems zur Kündigung angestanden hätte, so ist die Kündigung nunmehr nicht mehr wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Der Fehler ist für die Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers nicht ursächlich geworden und die Sozialauswahl jedenfalls im Ergebnis ausreichend. Das Schema zur Gewichtung der Sozialdaten muss nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG keine abschließende Einzelfallbetrachtung vorsehen.3 Der Arbeitgeber ist aber nach wie vor gehalten, die Punktetabelle nur zur Vorauswahl zu verwenden und im Anschluss an die Vorauswahl aufgrund der Punktetabelle eine individuelle Abschlussprüfung der Auswahl vorzunehmen.4 Die Einzelfallbetrachtung entspricht sowohl der gesetzlichen Wertung in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG als auch der bei einer generellen betrieblichen Regelung nach § 75 BetrVG stets vorzunehmenden Billigkeitskontrolle.5 Diesen gesetzlichen Vorgaben würde man nicht gerecht, wenn man den Wertungsspielraum des Arbeitgebers und die Möglichkeit, durch eine „Handsteuerung“ in Form einer Einzelfallabwägung zu sachgerechten Lösungen zu kommen, durch die starre Festlegung abstrakter Kriterien gänzlich ersetzen würde. Anderes gilt angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Wertung des § 1 Abs. 4 KSchG für ein im Rahmen einer kollektivrechtlichen
1 2 3 4
KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678q. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423. BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729. 5 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.
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Teil 2 Rz. 419
Betriebsbedingte Kündigung
Richtlinie vereinbartes Punktschema, bei dessen Vorliegen eine Einzelfallabwägung i.d.R. verzichtbar ist (vgl. hierzu unter Rz. 421 ff. [Auswahlrichtlinie]). 419
Gebilligt hat das BAG in seiner Entscheidung vom 6.11.20081 beispielsweise die folgende Punktetabelle: Punkteschema für die Gewichtung der Kriterien Kriterien
Punkte
1. Lebensalter
Für jedes vollendete Jahr nach dem 18. Lebensjahr
2. Dauer der Betriebszugehörigkeit
Für jedes Beschäftigungsjahr
1,5 Punkte
3. Unerhaltspflichten
Ehegatten/eingetragene Lebenspartner Je Kind (nachweisbar)
5,0 Punkte 7,0 Punkte
4. Schwerbehinderte oder Gleichgestellte
420
1,0 Punkte je Lebensjahr
11,0 Punkte 9,0 Punkte
Das BAG hat in dieser Entscheidung weitergehend klargestellt, worauf bei der Aufstellung eines Punkteschemas zu achten ist, um vor den Arbeitsgerichten zu bestehen. Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten sozialen Gesichtspunkte müssen ausreichend berücksichtigt sein und die in der Punktezuteilung zum Ausdruck kommende Gewichtung der Sozialdaten muss die Möglichkeit eröffnen, dass jedes der Abwägungselemente – nicht allein das Lebensalter – den Ausschlag geben kann. In der o.g. Entscheidung sah das BAG diese Grundsätze als gegeben an, da die Beschäftigungszeit mit dem Faktor 1,5 stärker als das Lebensalter gewichtet war und die mit der Zuteilung von 7 Punkten je unterhaltsberechtigtem Kind und 5 Punkten für den unterhaltsberechtigten Ehepartner auch die typischen Interessen junger Familien berücksichtigt seien. c) Auswahlrichtlinien nach § 1 Abs. 4 KSchG
421
Nach § 1 Abs. 4 KSch können die Betriebspartner in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach Personalvertretungsrecht festlegen, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Liegt eine den Anforderungen des § 1 Abs. 4 KSchG entsprechende Auswahlrichtlinie vor, kann die darin erfolgte Bewertung der Sozialkriterien nur im Hinblick auf grobe Fehlerhaftigkeit gerichtlich überprüft werden.
422
Einstweilen frei.
423
Unter Auswahlrichtlinien i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG sind Grundsätze zu verstehen, die allgemein festlegen, wie die nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu berücksichtigenden Sozialdaten bei der Durchführung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Dies geschieht i.d.R. durch Punkteschemata, in denen die zu berücksichtigenden Sozialdaten genannt und die Wertigkeit jedes Kriteriums festgelegt wird (vgl. 1 BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 425 Teil 2
Punkteschema unter Rz. 419). Die Beurteilung der sozialen Schutzbedürftigkeit der in die Sozialauswahl einbezogenen vergleichbaren Arbeitnehmer richtet sich in diesem Fall nach der Höhe der auf Grund des Punkteschemas erreichten Punktzahl. Die Vorschrift des § 1 Abs. 4 KSchG erfasst nur Betriebsvereinbarungen, die den formalen Anforderungen von § 77 Abs. 2 BetrVG genügen. Mehrere Unternehmen bzw. Arbeitgeber eines Konzerns können nach einer Entscheidung des LAG München mit mehreren Betriebsräten, die in Betrieben der Konzernunternehmen gebildet sind, gleichlautende, in einer einheitlichen Urkunde zusammengefasste und von den Vertretern der jeweiligen Betriebsräte unterzeichnete Betriebsvereinbarungen schließen. Diese Betriebsvereinbarungen wirken gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG allerdings nur in den jeweiligen Betrieben normativ, deren Betriebsparteien die Urkunde unterzeichnet haben.1 Die Entscheidung erhält dann Bedeutung, wenn streitig ist, welches Unternehmen für die Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer aus einem von mehreren Unternehmen und Betriebsräten beschlossenen Sozialplan haftet. Formlose Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat können die Einschränkung des gerichtlichen Kontrollrahmens auf grobe Fehlerhaftigkeit nicht auslösen.2 Zwar hat das BAG in seinem Urteil vom 5.12.20023 angenommen, dass ein vom Arbeitgeber in Abstimmung mit der gewählten Arbeitnehmervertretung vereinbartes Punkteschema in Form der Regelungsabrede jedenfalls eine größere Gewähr für eine sachlich ausgewogene Berücksichtigung der Sozialdaten darstellt als eine vom Arbeitgeber allein aufgestellte Regelung. Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass die formlose Regelungsabrede zu der Prüfungsprivilegierung des seinem Wortlaut nach eindeutig eine Betriebsvereinbarung voraussetzenden § 1 Abs. 4 KSchG führt. Auch die Regelung eines Punkteschemas in einem Interessenausgleich löst den eingeschränkten Prüfungsmaßstab nur dann aus, wenn der Interessenausgleich in Form einer förmlichen Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde.4
424
Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 4 KSchG ist also zunächst das Zustandekommen einer wirksamen Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG. Dies setzt neben der Zuständigkeit der beteiligten Arbeitnehmervertretung (i.d.R. der örtliche Betriebsrat) voraus, dass die Betriebsvereinbarung von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam beschlossen, schriftlich niedergelegt und – sofern nicht die Einigungsstelle entscheidet, was gemäß § 95 Abs. 1 BetrVG auf Antrag des Arbeitgebers, in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern gemäß § 95 Abs. 2 BetrVG auch auf Antrag des Betriebsrats geschehen kann – von beiden Seiten unterzeichnet ist, § 77 Abs. 2 BetrVG. Der Betriebsrat hat bei jeder Aufstellung von Auswahlrichtlinien für den Ausspruch von Kündigungen gemäß § 95 Abs. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, auch wenn der Arbeit-
425
1 LAG München v. 19.7.2007 – 3 Sa 729/06 (m. v.) 2 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 776; Bader, Das Kündigungsschutzgesetz in neuer (alter) Fassung, NZA 1999, 64, 69; Preis, RdA 1999, 320. 3 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 4 So auch Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (186); nach Meinung von KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 695 wird dagegen das in einem Interessenausgleich vereinbarte Punkteschema von vornherein nicht von § 1 Abs. 4 KSchG erfasst.
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Teil 2 Rz. 426
Betriebsbedingte Kündigung
geber diese Richtlinien nur in einem konkreten Fall des Ausspruchs mehrerer betriebsbedingter Kündigungen zur Auswahl der Arbeitnehmer anwenden will.1 Wenn der Betriebsrat einen gegebenen Verstoß gegen eine nach § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Betriebsvereinbarung in Form einer Auswahlrichtlinie (Punkteschema) nicht geltend macht, ist es dem Arbeitgeber nicht verwehrt, sich auf das Punkteschema zu berufen.2 Nach § 1 Abs. 4 KSchG kann bei mitbestimmten Auswahlrichtlinien die Bewertung der sozialen Gesichtspunkte nur auf grobe Fahrlässigkeit hin überprüft werden. Zu beachten ist, dass das Punkteschema „in“ der Betriebsvereinbarung festgelegt, mithin Bestandteil derselben sein muss. Wird die Auswahlrichtlinie in einer Anlage zur Betriebsvereinbarung geregelt, muss sie deshalb i.d.R. entweder durch entsprechende Bezugnahme und gesonderte Unterzeichnung der Betriebspartner mit in die Betriebsvereinbarung einbezogen worden oder aber mit der Betriebsvereinbarung fest zu einer einheitlichen Urkunde verbunden sein.3 Zu beachten ist auch, dass die Betriebsvereinbarung für die Anwendung des § 1 Abs. 4 KSchG nicht wirksam gekündigt worden sein darf. Dies gilt auch für die Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung. Deren Zulässigkeit setzt neben der Selbständigkeit des Regelungskomplexes nicht zusätzlich den erkennbaren Willen der Betriebsparteien voraus, ein rechtlich eigenständiges Schicksal der Regelungskomplexe zu ermöglichen. Vielmehr ist es umgekehrt Sache der Betriebsparteien, welche die Teilkündigung von selbständigen Regelungen zu unterschiedlichen Angelegenheiten in einer Betriebsvereinbarung verhindern wollen, dies in der Betriebsvereinbarung klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen. Soweit in den Entscheidungen des Senats vom 17.4.1959 – 1 AZR 83/584 – und vom 29.5.1964 – 1 AZR 281/635 – etwas anderes entnommen werden konnte, hat das Gericht hieran nicht mehr festhalten wollen.6 426
Auf die nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegten Richtlinien sind die für Betriebsvereinbarungen nach § 95 BetrVG dargelegten Grundsätze entsprechend anwendbar. Auch hier gilt, dass die Wirkungen des § 1 Abs. 4 KSchG nicht durch eine formlose Abrede, sondern nur durch schriftliche Dienstvereinbarung ausgelöst werden können.7 Den Anforderungen des § 1 Abs. 4 KSchG genügt es deshalb nicht, wenn die Auswahlrichtlinie von der obersten Dienststelle auf Grund ihrer Letztentscheidungskompetenz nach §§ 70 Abs. 2, 69 Abs. 3 BPersVG ohne Mitwirkung der zuständigen Arbeitnehmervertretung beschlossen wird.8
427
Ist die Auswahlrichtlinie in einem Tarifvertrag enthalten, so gilt sie nach § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist, betrifft also alle dort beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Tarifbindung. Denn 1 BAG v. 20.7.2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005, 1372; vgl. auch Rz. 805. 2 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. 3 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste; v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00, ZIP 2001, 1825. 4 BAGE 7, 340. 5 BAGE 16, 58. 6 BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 826/06, NZA 2008, 422. 7 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 695; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 777. 8 Fischermeier, NZA 1997, 1089 (1095); a.A. Bader, NZA 1999, 64 (70).
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 430 Teil 2
Gegenstand der Richtlinie ist eine einheitliche Verfahrensweise bei betriebsbedingten Kündigungen und damit eine betriebliche Frage i.S.d. § 3 Abs. 2 TVG.1 Liegt eine rechtswirksam zustande gekommene Richtlinie i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG vor, so führt dies dazu, dass die in dem Punkteschema vorgenommene Bewertung der vier nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zwingend zu berücksichtigenden Grunddaten lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann.
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Durch die Beschränkung des Prüfungsmaßstabs im Rahmen des § 1 Abs. 4 KSchG soll der Beurteilungsspielraum der Betriebspartner bei der Auswahlentscheidung gegenüber dem Beurteilungsspielraum, der dem Arbeitgeber bei einer Auswahl ohne Richtlinie zustünde, erweitert werden.2 Unklar ist allerdings, was unter einer groben Fehlerhaftigkeit i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG zu verstehen ist. Von den Gerichten ist diese Frage bisher nicht eindeutig entschieden worden. Die bis jetzt vorliegenden Entscheidungen sind meist zur Regelung des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG i.d.F. des ArbRBeschFG3, betreffend die soziale Auswahl der namentlich in einem Interessenausgleich bezeichneten Arbeitnehmer, ergangen. So hat das LAG Köln4 in einer Entscheidung aus dem Jahre 1998 die Definition der groben Fehlerhaftigkeit an die Verwendung des Wortes „grob“ im allgemeinen Schuldrecht, § 277 BGB, angelehnt. Danach sei die Sozialauswahl dann grob fehlerhaft, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt sei und schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und das nicht beachtet wurde, was jedem einleuchten musste.
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Das BAG als Revisionsinstanz zu dem Urteil des LAG Köln hat sich in seiner Entscheidung an der Gesetzesbegründung5 zu § 1 Abs. 5 KSchG i.d.F. des ArbRBeschFG orientiert. Danach soll die Auswahl nur dann grob fehlerhaft sein, wenn der Arbeitnehmer darlegt und im Bestreitensfall nachweist, dass die Gewichtung der Kriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Dies bedeutet, dass nur eine Gewichtung, die jegliche Ausgewogenheit vermissen lässt, dem Verdikt der groben Fehlerhaftigkeit verfällt.6 Diese Definition hat der Gesetzgeber für die ab 1.1.2004 geltende Fassung des § 1 Abs. 5 KSchG übernommen.7 Sie ist von der Interessenlage auch auf die Bewertung der Sozialkriterien nach § 1 Abs. 4 KSchG n.F. übertragbar, weil hier ebenso wie in § 1 Abs. 5 KSchG n.F. der gerichtliche Prüfungsmaßstab die grobe Fehlerhaftigkeit ist.8
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1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 695; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 778; Fischermeier, NZA 1997, 1089 (1095). 2 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 779. 3 Arbeitsrechtliches Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Beschäftigungsförderungsgesetz) v. 25.9.1996, BGBl. I 1996, 1476; diese Regelung wurde durch das sog. KorrekturG, „Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998, in Kraft seit dem 1.1.1999, BGBl. I S. 3843 abgeschafft. 4 LAG Köln v. 26.5.1998 – 9 Sa 143/98 n.v. 5 BT-Drucks. 13/4612, S. 9. 6 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06; v. 21.1.1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866; bestätigend BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 757/98, DB 2000, 1338. 7 Begründung des Gesetzesentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 8 Zur groben Fehlerhaftigkeit vgl. auch unter Rz. 629 ff. (Interessenausgleich mit Namensliste).
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Teil 2 Rz. 431
Betriebsbedingte Kündigung
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Anknüpfend an o.g. Definition wird eine grobe Fehlerhaftigkeit beispielsweise dann angenommen, wenn nicht alle vier gesetzlich vorgeschriebenen Grunddaten in der Richtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG Beachtung finden1 oder aber im Rahmen des Punkteschemas eine eklatant falsche Bewertung erfolgt, etwa indem eines der Kriterien eindeutig unzureichend oder mit einer völlig überhöhten Bedeutung berücksichtigt wird.2 Letzteres ist jedenfalls für den Fall zu verneinen, dass die Richtlinie alle vier Sozialkriterien gleichgewichtig berücksichtigt.
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" Praxistipp: Nicht grob fehlerhaft ist es, wenn die Richtlinie neben den un-
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Als Anhaltspunkt für die Ausgewogenheit der Bewertung der Sozialkriterien können beispielhaft die in der Vergangenheit von der Rechtsprechung als sozial ausgewogen anerkannten Punkteschemata5 herangezogen werden.
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Der eingeschränkte Überprüfungsrahmen des § 1 Abs. 4 KSchG bezieht sich nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 KSchG auf die „Bewertung“ der Sozialkriterien zueinander. Die weitergehende Auffassung zu § 1 Abs. 5 KSchG und zu § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist angesichts des unterschiedlichen Wortlauts, der den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit auf „die soziale Auswahl“ insgesamt bezieht, nicht auf § 1 Abs. 4 KSchG übertragbar. Wie bereits nach der alten Rechtslage weitgehend anerkannt, ist folglich der Prüfungsmaßstab des § 1 Abs. 4 KSchG weder auf die Festlegung des auswahlrelevanten Personenkreises noch auf die Bewertung von Ausnahmen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG in einer Auswahlrichtlinie anzuwenden. Die genannten Aspekte unterliegen vielmehr – trotz kollektivrechtlicher Regelung – in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung.6
erlässlichen Sozialkriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG keine weiteren sozialen Gesichtpunkte enthält, da der Arbeitgeber zur Berücksichtigung solcher Umstände nach der Neuregelung nicht verpflichtet ist.3 Eine grobe Fehlerhaftigkeit liegt nach zutreffender Auffassung auch dann nicht vor, wenn eine Auswahlrichtlinie die Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer gegenüber den Ehegatten nur numerisch berücksichtigt, ohne darauf einzugehen, ob der Ehepartner eigenes Vermögen besitzt/tatsächlich berufstätig ist.4
1 Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (184). 2 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2007, 504; zur falschen Bewertung der Sozialkriterien im Rahmen eines Interessenausgleichs mit Namensliste vgl. im Übrigen unter Rz. 647 f. 3 Vgl. unter Rz. 407 f. (Berücksichtigung sonstiger Umstände). 4 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 21.1.1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866. 5 So z.B. das unter Rz. 419 bereits angeführte Punkteschema nach BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; zu weiteren vom BAG anerkannten Punkteschemata vgl. Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (188). 6 So die überwiegende Auffassung: KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 696; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 779; Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (185 f.); Bader, NZA 2004, 65 (75); Däubler, NZA 2004, 177 (182); Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1676), der allerdings de lege ferenda eine eingeschränkte Überprüfung der Vergleichsgruppenbildung für wünschenswert hält; ebenso wie APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 771a m.w.N.; a.A. hinsichtlich der Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (351), dessen Verweis auf die zur alten Rechtslage ergangene Entscheidung des LAG
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 437 Teil 2
Nicht eindeutig geregelt ist die Frage, ob zusätzliche, über die Grunddaten des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG hinausgehende soziale Gesichtpunkte mit den Wirkungen des § 1 Abs. 4 KSchG in die Auswahlrichtlinie aufgenommen werden können. Nach der Entwurfsbegründung soll auf Grund der Änderung des von § 1 Abs. 4 KSchG in Bezug genommenen § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der nunmehr statt allgemeiner „sozialer Gesichtspunkte“ vier konkrete bei der Sozialauswahl zu berücksichtigende Grunddaten benennt, künftig in tariflichen oder betrieblichen Auswahlrichtlinien nur noch festgelegt werden können, wie die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG aufgeführten Kriterien in ihrem Verhältnis zueinander zu bewerten sind.1 Dem widerspricht es allerdings, dass der Gesetzgeber an anderer Stelle die Berücksichtigung zusätzlicher Sozialkriterien, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Grunddaten stehen oder sich aus evident einsichtigen betrieblichen Gegebenheiten herleiten, im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ausdrücklich für zulässig erklärt hat. Im Ergebnis dürfte daher davon auszugehen sein, dass die Auswahlrichtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG auch zusätzliche soziale Gesichtspunkte enthalten kann, soweit diese im Einklang mit den gesetzgeberischen Vorgaben (unmittelbarer spezifischer Zusammenhang mit den Grunddaten oder evident einsichtige betriebliche Gegebenheiten) stehen. Bis zur eindeutigen Klärung der Zulässigkeit einer Aufnahme weiterer Sozialkriterien in die Auswahlrichtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG ist es für die Praxis jedoch zu empfehlen, lediglich die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten (unerlässlichen) Grunddaten zu vereinbaren.
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" Praxistipp: Liegt eine Auswahlrichtlinie i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG vor, ist der
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Dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 KSchG nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, über die bloße Anwendung der in der Richtlinie vereinbarten Bewertungsvorgaben hinaus in einer abschließenden Abwägung auch die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Bereits für § 1 Abs. 4 KSchG i.d.F. des Korrekturgesetzes ist die Notwendigkeit einer Einzelfallabwägung allerdings überwiegend verneint worden mit der Begründung, der Gesetz-
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Arbeitgeber an die darin getroffenen Festlegungen gebunden. Er ist demnach verpflichtet, die Richtlinie bei einer betriebsbedingten Kündigung anzuwenden und kann hierüber nicht etwa nach Belieben entscheiden.2 Eine unter Verstoß gegen die vereinbarten Vorgaben zustande gekommene Kündigung ist unwirksam.3 Nimmt der Arbeitgeber die Sozialauswahl durch Vollzug einer zulässigen Auswahlrichtlinie vor und wird diese Sozialauswahl vom Arbeitnehmer als nicht ordnungsgemäß beanstandet, so kann der Arbeitgeber auf diese Rüge allerdings mit Erfolg einwenden, der gerügte Auswahlfehler habe sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt, weil der Arbeitnehmer nach dem Punkteschema auch bei Vorliegen des Auswahlfehlers zur Kündigung angestanden hätte.4
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Hamm (v. 26.9.2001 – 3 Sa 916/01, AP Nr. 40 zu § 95 BetrVG 1972) jedoch angesichts des geänderten Wortlauts der Neufassung nicht überzeugen kann. Begründung des Gesetzesentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (351). KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 700 m.w.N. BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, BB 2007, 1393.
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Teil 2 Rz. 438
Betriebsbedingte Kündigung
geber habe durch die Einschränkung des Prüfungsrahmens auf grobe Fehlerhaftigkeit die Sozialauswahl im Vergleich zum Prüfungsmaßstab des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erleichtern und einfache Fehler in der Auswahlentscheidung in Kauf nehmen wollen.1 Der Gesetzesneufassung ist nicht zu entnehmen, dass an dieser Wertung etwas geändert werden sollte. Vielmehr entspricht es gerade dem Willen des Reformgesetzgebers, die betriebsbedingte Kündigung rechtssicherer und berechenbarer zu machen, dass eine Auswahlentscheidung, die sich im Rahmen einer zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarten Auswahlrichtlinie hält, nicht im Nachhinein durch eine Einzelfallentscheidung noch umgestoßen werden kann. Eine Einzelfallabwägung wird daher lediglich ausnahmsweise in Betracht kommen, etwa dann, wenn zwei Arbeitnehmer nach dem vereinbarten Punkteschema die gleiche Punktzahl erzielen oder wenn das Vorliegen einer besonderen Härte (z.B. schwere dauerhafte Schäden des zu kündigenden Arbeitnehmers auf Grund Arbeitsunfalls) im Hinblick auf eine verfassungskonforme Anwendung der Betriebsvereinbarung ausnahmsweise ein Abweichen von der Richtlinie gebietet.2 Zur Erfassung solcher Ausnahmefälle – und nur hierzu – werden die Betriebsparteien ausnahmsweise auch bereits in der Auswahlrichtlinie Regelungen dazu treffen dürfen, unter welchen Umständen eine Einzelfallabwägung erfolgen muss und welche Kriterien hierbei zu berücksichtigen sind.3 Die von dem vereinbarten Punkteschema abweichende Einzelfallabwägung bleibt jedoch in jedem Fall voll gerichtlich überprüfbar.4 438
Ist die Auswahlrichtlinie unwirksam oder in ihrer Bewertung der sozialen Gesichtspunkte grob fehlerhaft ausgestaltet, so kann sie für die soziale Auswahl nicht herangezogen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit bereits die Sozialwidrigkeit einer darauf gestützten Kündigung feststünde. Vielmehr ist in diesem Falle zu prüfen, ob die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zufälligerweise trotz der fehlerhaften Richtlinie ausreichend berücksichtigt worden sind.5 Diese Prüfung unterliegt dann allerdings in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle.6 3. Kenntnis und Kennenmüssen auswahlrelevanter Daten
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Ob die vier Sozialkriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorliegen oder nicht, beurteilt sich nach den objektiven Verhältnissen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung.7 Es kommt also grds. nicht auf die Kenntnis des Arbeitgebers, sondern darauf an, dass die sozialen Gesichtspunkte objektiv eingreifen. Da die Berücksichtigung der vier zwingend zu beachtenden Grunddaten für eine ordnungsgemäß durchgeführte Sozialauswahl unerlässlich ist, ist der Arbeit1 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 971; Preis, RdA 1999, 311 (320 ff.); Hoß, MDR 2000, 304 (312). 2 So auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 781. 3 Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (188). 4 So auch Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (188); a.A. wohl APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 781. 5 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 782; Fischermeier, NZA 1997, 1096. 6 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 700 m.w.N. 7 Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (113); APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 654, 655,
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 441 Teil 2
geber grds. verpflichtet, sich vor Ausspruch der Kündigung von ihnen Kenntnis zu verschaffen.1 Unproblematisch ist die Kenntniserlangung über das Lebensalter des Arbeitnehmers und die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit. Diese Punkte ergeben sich aus der Personalakte des Arbeitnehmers. Über die Art der Personalaktenführung entscheidet der Arbeitgeber aber grundsätzlich allein.2 Die Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers ergeben sich grundsätzlich auch aus der Personalakte und/oder aus der Steuerkarte. Daher wird teilweise die Ansicht vertreten, dass der Arbeitgeber sich darauf beschränken kann, die Unterhaltspflichten „laut Steuerkarte“ zu berücksichtigen, zumal die dort erfassten Daten vom Arbeitgeber zügig ermittelt werden können.3 Damit sind aber die tatsächlich zu leistenden Unterhaltspflichten nicht immer korrekt erfasst. So lässt sich aus der Lohnsteuerkarte lediglich die Zahl der Unterhaltsberechtigten, nicht aber die Höhe der jeweiligen Unterhaltsverpflichtungen und damit die eigentliche Belastung des Arbeitnehmers durch die Unterhaltsverpflichtungen erkennen. Auch fehlen Unterhaltsansprüche des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehepartners sowie des Partners einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, sich vor Durchführung der Sozialauswahl beim Arbeitnehmer nach seinen tatsächlichen Unterhaltsverpflichtungen zu erkundigen.4 Auch im Rahmen von Massenentlassungen ist eine solche Befragung in Form von vom Arbeitnehmer auszufüllenden Fragebögen relativ schnell durchführbar. Der Arbeitnehmer ist aufgrund seiner Treuepflicht zu einer wahrheitsgemäßen Antwort verpflichtet.5
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Auch hinsichtlich des Kriteriums der Schwerbehinderung ist grds. entscheidend, ob es bei Kündigungszugang objektiv vorlag, und nicht, ob der Arbeitgeber von ihm Kenntnis hatte. Ergibt sich die Schwerbehinderung nicht bereits aus den Personalakten, muss sich der Arbeitgeber deshalb auch hier bei den von der Sozialauswahl betroffenen Arbeitnehmern nach dem Vorliegen des Kriteriums erkundigen.6 Probleme treten auf, wenn im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers noch nicht feststeht, weil z.B. das Anerkennungsverfahren vor dem Versorgungsamt noch nicht abgeschlossen ist. Für den Arbeitgeber birgt diese Sachlage erhebliche Risiken, weiß er doch nicht, ob der Anerkennungsantrag des Arbeitnehmers sich
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1 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 734. 2 BAG v. 16.10.2007 – 9 AZR 110/07, NZA 2008, 367. 3 LAG Hamm v. 21.8.1997 – 4 Sa 166/97, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 21; MünchArbR/Berkowsky, § 139 Rz. 180; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 380. 4 Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (187); KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678d; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 735; LAG Hamm v. 29.3.1985 – 2 Sa 560/85, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 1; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 948. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678d. 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 735; a.A. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678a, der im Rückgriff auf die zum Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX geltenden Grundsätze davon ausgeht, dass die Schwerbehinderung nur dann im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen ist, wenn entweder die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig ist oder vor Zugang der Kündigung ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft ergangen oder ein entsprechender Antrag gestellt worden ist und der Arbeitgeber hierüber innerhalb eines Monats nach Kündigungszugang informiert wurde.
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Teil 2 Rz. 442
Betriebsbedingte Kündigung
im Nachhinein als begründet oder unbegründet herausstellen wird und sich in der Folge die vom Arbeitgeber getroffene Auswahlentscheidung wegen Nichtberücksichtigung einer vorhandenen oder Berücksichtigung einer nicht vorhandenen Schwerbehinderung als fehlerhaft und die Kündigung als unwirksam erweist. Wäre hier die Schwerbehinderung bereits auf Grund eines entsprechenden Anerkennungsantrages – und damit gleichsam fiktiv – im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen, hätte dies die Konsequenz, dass im Falle der Ablehnung des Antrags durch das Versorgungsamt die Auswahlentscheidung einen objektiven Fehler enthielte. Andere Arbeitnehmer könnten ihre Kündigung unter Berufung auf die fehlerhafte Sozialauswahl anfechten. Dies würde jedoch der gesetzgeberischen Intention zuwiderlaufen, mehr Rechtssicherheit im Rahmen der Sozialauswahl zu gewährleisten.1 Der Grundsatz des objektiven Vorliegens der Schwerbehinderung bei Kündigungszugang muss deshalb, nicht zuletzt auch im Hinblick auf das Ziel der Neuregelung, die Sozialauswahl für die Arbeitsvertragsparteien rechtssicherer und berechenbarer zu machen2, eingeschränkt werden. Danach kann und muss die Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl nur dann berücksichtigt werden, wenn sie bei Kündigungszugang bereits nach § 69 SGB IX festgestellt wurde oder aber offenkundig ist. Ist dies nicht der Fall, ist sie in die Auswahlüberlegungen des Arbeitgebers nicht einzubeziehen.3 Unabhängig hiervon bleibt allerdings nach § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX bei bestehender Schwerbehinderung der Sonderkündigungsschutz trotz fehlenden Nachweises bestehen, wenn der Antrag so frühzeitig vor dem Kündigungszugang gestellt worden ist, dass eine Entscheidung vor Ausspruch der Kündigung bei ordnungsgemäßer Mitwirkung des Antragstellers binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX möglich gewesen wäre. Der Antrag muss also mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt sein. Ist dies der Fall und beruht das Fehlen des Nachweises nicht auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers, so bleibt der Sonderkündigungsschutz erhalten.4 442
Soziale Gesichtspunkte, die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht ausdrücklich erwähnt werden, die aber in unmittelbarem Zusammenhang mit den genannten vier Grunddaten oder mit betrieblichen Gegebenheiten stehen, kann der Arbeitgeber optional im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigen, wenn und soweit sie ihm bekannt sind. Er ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, entsprechende Erkundigungen einzuholen.5
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" Praxistipp: Verweigert der Arbeitnehmer auf die Frage nach einem für die
Sozialauswahl maßgebendem Umstand die Auskunft und kommt es deshalb zu einer fehlerhaften Abwägung, hat dies zur Folge, dass der Arbeitnehmer sich im Prozess nicht mehr auf die Tatsachen berufen kann, die er dem
1 Vgl. Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (113). 2 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 3 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 731; Bader, NZA 2004, 65 (74); Kleinebrinck, ArbRB 2004, 112 (113). 4 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 613/06; v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06; v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, DB 2007, 1702. 5 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 732.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 444 Teil 2
Arbeitgeber verschwiegen hat.1 Dies betrifft lösgelöst von der Bewertung entsprechender Fragen im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren auch die Frage nach einer Schwerbehinderung.2 Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer versehentlich für ihn ungünstige Angaben gemacht hat und der Arbeitgeber diese bei der Sozialauswahl zugrunde gelegt hat.3 Führen die unzutreffenden Angaben des Arbeitnehmers zur Kündigung eines anderen, sozial schwächeren Arbeitnehmers, ist der Arbeitnehmer, der die unzutreffenden Angaben gemacht hat, dem Arbeitgeber zum Schadensersatz verpflichtet. Dazu gehört auch der Ersatz der Kosten eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses und des Annahmeverzugslohns.4 Darüber hinaus können die falschen Angaben des Arbeitnehmers den Arbeitgeber unter Umständen zu einer verhaltensbedingten Kündigung berechtigen.5 4. Berechtigtes Unterlassen einer Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG In die soziale Auswahl sind gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Durch die Neuregelung der sog. Leistungsträgerklausel, die nun nach ihrem Wortlaut wieder der zwischen dem 1.10.1996 bis zum 31.12.1998 geltenden Regelung6 entspricht, wurde mit Wirkung vom 1.1.2004 die auf Grund des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte7 bestehende Gesetzesfassung (1.1.1999 bis 31.12.2003) abgelöst. Während die bisherige Fassung vorsah, dass eine Sozialauswahl nicht durchzuführen ist, soweit betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche „Bedürfnisse“ die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer „bedingen“ und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten „entgegenstehen“8, genügt es nach der seit 1.1.2004 geltenden Fassung bereits, dass die Weiterbeschäftigung der betreffenden Arbeitnehmer im „berechtigten betrieblichen Interesse liegt“. Durch die deutlich verringerten gesetzlichen Anforderungen soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Weiterbeschäftigung von Leistungsträgern erleichtert und der betriebliche Aspekt zu Gunsten des Arbeitgebers gestärkt werden.9 Für den Prüfungsaufbau ergeben sich durch die Neufas1 LAG Köln v. 3.5.2000 – 2 Sa 272/00, NZA-RR 2001, 247; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 736; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (347); unzulässige Rechtsausübung v. HoyningenHuene/Linck, § 1 Rz. 951 und KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678e. 2 Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (187). 3 LAG Köln v. 3.5.2000 – 2 Sa 272/00, NZA-RR 2001, 247, APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 736. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678e. 5 Gaul/Lunk, NZA 2004, 184 (187). 6 Vgl. Arbeitsrechtliches Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Beschäftigungsförderungsgesetz) v. 25.9.1996, BGBl. I 1996, 1476. 7 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998, BGBl. I 1998, S. 3843. 8 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843). 9 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204: „Die Neuregelung macht deutlicher machen als bisher, dass bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialaus-
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Teil 2 Rz. 445
Betriebsbedingte Kündigung
sung des Gesetzes keine Änderungen. Die zur wortlautgleichen Gesetzesfassung des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes1 teilweise vertretene Auffassung, wonach die eigentliche Sozialauswahl erst erfolgen soll, nachdem unter den vergleichbaren Arbeitnehmern die Leistungsträger ausgeklammert worden sind, ist durch die neuere Rechtsprechung des BAG überholt.2 Es bleibt somit bei der schon nach der alten Rechtslage geltenden Prüfungsreihenfolge, wonach zunächst der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer festzustellen, innerhalb dieses Kreises eine soziale Auswahl vorzunehmen und erst im Anschluss daran ggf. zu entscheiden ist, ob auf Grund betrieblicher Interessen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG von dem gefundenen Ergebnis ausnahmsweise abgewichen werden kann.3 a) Berechtigte betriebliche Interessen 445
Will der Arbeitgeber einen sozial stärkeren Arbeitnehmer behalten und stattdessen das Arbeitsverhältnis mit einem sozial schwächeren Arbeitnehmer beenden, muss er vortragen, dass berechtigte betriebliche Interessen für die Weiterbeschäftigung des favorisierten Arbeitnehmers vorliegen.4 Die im Gesetz aufgeführten Gründe – Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers oder Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur – sind hierfür lediglich Beispiele („insbesondere“). Die Aufzählung ist nicht abschließend. Trotz der Änderungen im Wortlaut können auch die in der Gesetzesfassung bis zum 31.12.2003 ausdrücklich genannten Gesichtspunkte des betriebstechnischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Interesses weiterhin im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berücksichtigt werden.5 Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der neuen gegenüber der bisher geltenden Regelung war vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigt; im Gegenteil sollten die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers durch die Neuregelung gerade gestärkt werden.6
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Weiterhin Geltung haben somit insbesondere die vom BAG zu § 1 Abs. 5 KSchG a.F. aufgestellten Grundsätze betreffend das betriebliche Interesse bei Massenkündigungen.7 Danach können Betriebsablaufstörungen, die darauf beruhen, dass im Rahmen einer Massenkündigung (etwa nach Stilllegung einer Betriebsabteilung) in den verbleibenden Betriebsabteilungen zahlreiche Arbeitnehmer ausgewechselt werden müssen, eine Begrenzung der Anzahl der aus-
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wahl herausgenommen werden können, wenn ihre Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.“ Arbeitsrechtliches Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung v. 25.9. 1996, BGBl. I 1996, 1476. Vgl. BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl (zu der zwischen dem 1.10.1996 und dem 31.12.1998 geltenden Gesetzesfassung); a.A. aber nach wie vor Bader, NZA 2004, 65 (73); Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (349 f.). So auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178); APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759 ff. BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460. BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460 sowie Bauer/Krieger, Kündigungsrecht Reformen 2004, Rz. 44 f.; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178). Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. KFA-ArbR/Kaiser 2008, § 1 KSchG Rz. 191 sowie Schaub, 12. Auflage 2007, Rz. 50.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 448 Teil 2
zutauschenden Arbeitnehmer und somit eine Herausnahme von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl rechtfertigen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Arbeitgeber völlig von einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten absehen könnten. So reicht es nicht aus, wenn der Arbeitgeber betriebsweit den größeren Teil der Arbeitnehmer (hier: 70 %) aus betrieblichen Gründen generell von der Austauschbarkeit ausnimmt und die Sozialauswahl auf den kleineren verbleibenen Teil der Restbelegschaft (hier: 30 %) beschränkt.1 Er muss vielmehr zunächst ermitteln sowie darlegen und ggf. unter Beweis stellen, wie viele Arbeitnehmer der unterschiedlichen Qualifikationsstufen zwischen den verschiedenen Betriebsteilen ausgetauscht werden können, ohne dass dadurch der Arbeitsprozeß ernsthaft gefährdet würde.2 Im Rahmen des so bestimmten Austauschvolumens kann er dann die sozial schutzbedürftigsten Arbeitnehmer aus der stillgelegten Betriebsabteilung ermitteln und gegen die gleiche Anzahl der sozial am wenigsten schutzwürdigsten Arbeitnehmer aus der fortgeführten Betriebsabteilung austauschen, d.h. statt ihrer weiter beschäftigen.3 Unklar ist, von welchem Gewicht das betriebliche Interesse des Arbeitgebers sein muss, um die Herausnahme eines Leistungsträgers aus der Sozialauswahl zu rechtfertigen. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird zu der Frage der Intensität des betrieblichen Interesses lediglich festgestellt, dass der Arbeitgeber einen Leistungsträger, der sich für den Betrieb unentbehrlich gemacht hat, trotz mangelnder Schutzbedürftigkeit nicht entlassen muss.4 Genauere Aussagen zum Prüfungsmaßstab des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG werden vom Gesetzgeber nicht getroffen.
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Bereits nach der vor 30.9.1996 und zwischen 1.1.1999 bis 31.12.2003 geltenden Rechtslage wurde uneinheitlich bewertet, wie gravierend der Leistungs- und Wissensunterschied zwischen den Arbeitnehmern sein muss, damit die Weiterbeschäftigung des sozial stärkeren Arbeitnehmers durch betriebliche Belange bedingt ist. Nach der Rechtsprechung sollten die Leistungsunterschiede so erheblich sein, dass auf den leistungsstärkeren Arbeitnehmer im Interesse eines geordneten Arbeits- oder Betriebsablaufs nicht verzichtet werden konnte.5 Diese Ansicht wurde zu Recht als zu weitgehend angesehen. Denn wäre ein Arbeitnehmer z.B. aufgrund seiner Qualifikation und/oder Erfahrung im Betrieb tatsächlich unverzichtbar für den Arbeitgeber, stünde dies bereits der Vergleichbarkeit und damit der Austauschbarkeit der beiden Arbeitnehmer entgegen. Der von der Kündigung unmittelbar betroffene, sozial schwächere Arbeitnehmer könnte aufgrund des hohen Leistungsunterschiedes die Tätigkeit des sozial stärkeren Arbeitnehmers nicht übernehmen. Ein für den Betrieb in dem Maße
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1 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 2 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 3 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; vgl. hierzu auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 763. 4 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 5 BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP KSchG 1969, § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 12; v. 18.10.1984 – 2 AZR 61/83, EzA § 1KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33.
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Teil 2 Rz. 449
Betriebsbedingte Kündigung
„wichtiger“ Arbeitnehmer würde schon alleine aus diesem Grund nicht an der Sozialauswahl teilnehmen, ohne dass die Frage einer Ausklammerung aus der Sozialauswahl sich überhaupt stellen würde. Schon nach der damaligen Auffassung sollte es deshalb ausreichen, dass der vergleichbare Arbeitnehmer im Vergleich zu dem sozial schwächeren Kollegen über eine nicht unerheblich höhere Qualifikation verfügt, die für einen geordneten Arbeits- und Betriebsablauf erforderlich ist.1 449
" Praxistipp: Auch nach der seit 1.1.2004 geltenden Rechtslage bedarf die He-
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Umstritten ist allerdings, ob die nach Nützlichkeitsgesichtspunkten festgestellten betrieblichen Interessen des Arbeitgebers im Einzelfall hinter den Interessen des sozial schwächeren Arbeitnehmers zurücktreten müssen, ob also im Rahmen der Herausnahmeentscheidung ein Abwägungsvorgang zwischen dem betrieblichen Interesse des Arbeitgebers und dem sozialen Interesse der zu kündigenden Arbeitnehmer stattzufinden hat.
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Von einigen Autoren wird die Ansicht vertreten, die Leistungsträger seien nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung „nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen“ und dementsprechend vorab, außerhalb des eigentlichen Auswahlvor-
rausnahme eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. nicht notwendigerweise der Unverzichtbarkeit dieses Arbeitnehmers für den Betriebsablauf. Die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers trotz geringerer sozialer Schutzbedürftigkeit muss lediglich aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein.2 Angesichts der aus der Begründung zum Regierungsentwurf erkennbaren deutlich geringeren Anforderungen der neuen im Vergleich zur bisherigen Leistungsträgerregelung3 kann nach zutreffender Ansicht ein berechtigtes betriebliches Interesse im Einzelfall bereits dann anzunehmen sein, wenn es für den Betrieb einen nicht nur unerheblichen Nutzen bringt, bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen.4 Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer erheblich überdurchschnittliche Spezialkenntnisse/Fähigkeiten/Leistungen aufweist oder besonders vielseitig und flexibel einsetzbar ist. Es kommt aber immer entscheidend darauf an, ob der „Leistungsträger“ dem Betrieb erhebliche Vorteile vermittelt. Eine Weiterbeschäftigung muss für den Betrieb von besonderer Bedeutung sein.5
1 So auch APS/Kiel, 2. Auflage 2004, § 1 KSchG Rz. 741; HK-KSchG/Dorndorf, 4. Auflage, 2001, § 1 Rz. 1102; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung und soziale Auswahl, BB 1983, 2057, 2061. 2 So zur wortlautgleichen Regelung nach dem ArbRBeschFG Preis, NZA 1997, 1073 (1087); zur aktuellen Rechtslage vgl. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759. 3 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1204: „Die Neuregelung macht deutlicher als bisher, dass bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausgenommen werden können, wenn ihre Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.“ 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1675); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178 f.). 5 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, DB 2007, 2210.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 452 Teil 2
gangs, zu bestimmen.1 Eine Interessenabwägung im Einzelfall sei daher weder erforderlich noch zulässig.2 Dem kann angesichts der eindeutig entgegenstehenden neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zugestimmt werden. So hat das BAG mit Urteil vom 31.5.2007 entschieden, dass die Anwendung der Leistungsträgerregelung nicht lediglich am Vorliegen eines berechtigten betrieblichen Interesses gemessen werden könne, sondern eine Abwägung des Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des Leistungsträgers bedürfe.3 Die vom BAG vertretene Auffassung überzeugt auch sachlich: So gibt der Gesetzgeber durch die Einschränkung der Leistungsträgerregelung auf „berechtigte“ betriebliche Interessen zu verstehen, dass ein vorhandenes betriebliches Interesse auch „unberechtigt“ sein kann, dass es also der Herausnahme von Leistungsträgern entgegenstehende Interessen gibt, die bei der Entscheidung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu beachten sind. Bei diesen gegenläufigen Interessen kann es sich aber angesichts des Umstandes, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Ausnahme vom Gebot der Sozialauswahl statuiert, aber nur um die Belange des sozial schwächeren Arbeitnehmers handeln.4 Hinzu kommt, dass ohne die vom BAG geforderte Einschränkung der Leistungsträgerregelung die Gefahr eines Leerlaufens des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG und damit der Aushöhlung des Kündigungsschutzes bestünde. Der Arbeitgeber könnte sog. Leistungsträger unter Berufung auf bloße betriebliche Vorteile von vornherein aus der Sozialauswahl ausklammern, bräuchte also in Wahrheit überhaupt keine Sozialauswahl vorzunehmen.5 Der teilweise vorgebrachte Einwand, betriebliche und soziale Interessen könnten nicht zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, verfängt nicht. Denn trotz der Verschiedenartigkeit der Rechtsgüter ist sehr wohl ein qualitativer Vergleich der Art möglich, dass das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes bei lediglich geringen betrieblichen Nachteilen Vorrang haben muss, während es bei schweren Nachteilen für den Betrieb ggf. zurückzutreten hat.6 Es hat somit im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Abwägung zwischen betrieblichen und sozialen Interessen stattzufinden.7 Je schwerer dabei das soziale Interesse des zu kündigenden Arbeitnehmers wiegt, umso gewichtiger
1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 656; Bader, NZA 1996, 1125 (1129); von Hoyningen-Huene/Linck, DB 1997, 41; KFA-ArbR/Kaiser 2008, § 1 KSch Rz. 186. 2 Im Ergebnis gegen eine Einzelfallabwägung auch: Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (178 f.); Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1675); Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (348); Bader, NZA 2004, 65 (73 f.), die beiden letztgenannten wollen jedoch eine generelle Interessenabwägung vornehmen. 3 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, DB 2007, 2210; vgl. auch schon BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = NZA 2003, 42–44. 4 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 5 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 6 Vgl. auch Däubler, NZA 2004, 177 (181 f.). 7 Ebenso: APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759; Zimmer, FA 2004, 34 (35); Däubler, NZA 2004, 177 (181).
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Teil 2 Rz. 453
Betriebsbedingte Kündigung
müssen die Gründe des Arbeitgebers für die Ausklammerung des von ihm vorgesehenen Leistungsträgers sein.1 453
Die Geltendmachung berechtigter betrieblicher Interessen stellt eine Ausnahmevorschrift zugunsten des Arbeitgebers dar. Sie kann nur von demjenigen geltend gemacht werden, der Träger dieser Interessen ist, also vom Arbeitgeber selber. Es steht dabeiin seinem freien Ermessen, ob er sich gegenüber dem Vortrag des Arbeitnehmers, er sei sozial schutzwürdiger als ein anderer, nicht gekündigter Arbeitnehmer, mit der Ausnahme des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG verteidigt oder nicht. Die Berufung auf die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG stellt lediglich eine Option des Arbeitgebers dar. Eine Verpflichtung, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Leistungsträgerregelung anzuwenden, besteht nicht.2
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Die Regelung begründet grds. keinen individuellen Schutz der Arbeitnehmer, auf die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zutreffen.3 Der einzelne Arbeitnehmer kann sich daher grds. nicht auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berufen und eine Herausnahme aus der Sozialauswahl verlangen.4 Anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber in Bezug auf andere Arbeitnehmer bestimmte betriebliche Interessen geltend macht, die bei dem zu kündigenden Arbeitnehmer ebenfalls vorliegen. In diesem Falle kann der betreffende Arbeitnehmer sich ausnahmsweise auf die vom Arbeitgeber angeführten betrieblichen Interessen berufen und geltend machen, dass er diesen ebenso oder besser entspricht als die aus der Sozialauswahl herausgenommenen Arbeitnehmer.5 Denn mit der Festlegung auf bestimmte betriebliche Interessen begründet der Arbeitgeber eine entsprechende Selbstbindung.6 Besteht ein Weiterbeschäftigungsinteresse lediglich für eine bestimmte Anzahl von vergleichbaren Leistungsträgern, hat der Arbeitgeber unter ihnen eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorzunehmen und den Leistungsträgern mit den im Vergleich stärksten Sozialdaten zu kündigen.7 b) Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen
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Durch die Neuregelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG im Zuge des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt8 ist die Herausnahme von besonders leistungsfähigen Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl – anders als in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung9 – nunmehr ausdrücklich als berechtigtes betriebliches Interesse in den Gesetzestext aufgenommen worden. Eine wesentliche Neuerung ist mit 1 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, DB 2007, 2210; vgl. auch schon BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 2 Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (347). 3 Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (347); MünchArbR/Berkowsky, § 139 Rz. 276 ff. 4 Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (347); MünchArbR/Berkowsky, § 139 Rz. 276 ff. 5 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759; Bader, NZA 2004, 65 (74); Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (348). 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759. 7 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 759. 8 Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003, BGBl. I 2003, S. 3002 ff. 9 Vgl. Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843).
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 457 Teil 2
der ausdrücklichen Nennung nicht verbunden. Denn obwohl im Gesetz nicht unmittelbar aufgeführt, konnten bereits nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Rechtslage die besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten oder Leistungen des vom Arbeitgeber favorisierten Arbeitnehmers bei der Entscheidung über die Ausklammerung dieses Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl berücksichtigt werden.1 § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bezieht sich lediglich auf die Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen vergleichbarer Arbeitnehmer. Setzt bereits der Arbeitsplatz als solcher bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten voraus, die auf einem anderen Arbeitsplatz nicht gefordert werden, kommt eine Sozialauswahl zwischen den betreffenden Arbeitnehmern schon wegen fehlender Vergleichbarkeit nicht in Betracht.2
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Unter Kenntnissen des Arbeitnehmers i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind besondere, etwa durch die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen oder langjährige Berufstätigkeit erworbene Qualifikationen/Spezialwissen zu verstehen, die den Arbeitnehmer dazu befähigen, u.U. nur selten anfallende, aber für die Aufrechterhaltung/Fortsetzung der Arbeitsabläufe notwendige Spezialarbeiten durchzuführen.3 Im Gegensatz dazu beziehen sich die in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG genannten Leistungen nicht auf Spezialqualifikationen des Arbeitnehmers, sondern auf darauf, von welcher Güte die für die betreffende Tätigkeit vorausgesetzten Grundkenntnisse des Arbeitnehmers im Vergleich zu den Grundkenntnissen vergleichbarer Arbeitnehmer sind, welche besonderen Leistungen er also im Vergleich zu seinen Arbeitskollegen erbringt. Ein möglicherweise zu beachtender Gesichtspunkt kann hier der besondere persönliche Kontakt sein, den der Arbeitnehmer zu wichtigen Kunden hat4 oder die im Vergleich zu seinen Kollegen besonders guten Kenntnisse einer Fremdsprache, die ihn in die Lage versetzen, auch schwierige Verhandlungen mit ausländischen Gesprächspartnern zu führen.5 Fähigkeiten i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG betreffen schließlich sonstige persönliche Qualifikationen des Arbeitnehmers. Dazu gehören vor allem soziale und fachliche Kompetenzen wie die Flexibilität/vielseitige Verwendbarkeit des Arbeitnehmers, seine Fähigkeit zur Wahrnehmung von Führungsaufgaben oder zur Schlichtung von Konflikten unter Arbeitskollegen. Ein Mitarbeiter, der für künftige Führungsaufgaben eingeplant ist, kann aus diesem Grund für den Betriebsablauf von Bedeutung sein.6 Berechtigte betriebliche Interessen liegen auch vor, wenn der Arbeitgeber im Fall einer etappenweisen Betriebsstilllegung eingearbeitete Fachkräfte mit der Ausführung verbleibender Arbeiten beschäftigt, um Einarbeitungszeiten zu vermeiden.7
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1 So die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Korrekturgesetz, in der festgestellt wird, dass „Spezialkenntnisse oder erhebliche Leistungsunterschiede das Bedürfnis nach Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer bedingen“ können, ZIP 1998, 2032, 2036. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 634. 3 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 750. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 957. 5 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 751. 6 LAG Hamm v. 5.2.1987 – 10 Sa 1500/86, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 2. 7 BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 489/93, NZA 1994, 653 (= DB 1994, 1627; EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 74).
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Teil 2 Rz. 458
Betriebsbedingte Kündigung
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Zu den Fähigkeiten des Arbeitnehmers gehören auch die körperlichen Grundvoraussetzungen für die Wahrnehmung der ihm übertragenen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang wird schon seit mehreren Jahren in Rechtsprechung und Literatur diskutiert, unter welchen Voraussetzungen die erheblich geringere Krankheitsanfälligkeit eines sozial stärkeren Arbeitnehmers ein berechtigtes betriebliches Interesse des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung begründen kann. Nach einem Großteil der Lehre stellt es schon ein „berechtigtes“ betriebliches Interesse für die Weiterbeschäftigung des „gesünderen“ Arbeitnehmers dar, wenn ein ihm vergleichbarer Arbeitnehmer sehr viel häufiger krank wird, selbst wenn dieser Gesichtspunkt für sich keine krankheits-, d.h. personenbedingte Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers rechtfertigen würde.1 Auch hiernach wird aber nicht schematisch auf das Überschreiten einer bestimmten Krankheitsquote abgestellt, sondern es ist aufgrund einer Prognose im Einzelfall zu prüfen, ob objektiv eine Wiederholungsgefahr für die Krankheit besteht und es deshalb die betrieblichen Interessen rechtfertigen, dass diesem Arbeitnehmer anstelle eines sozial stärkeren gekündigt wird. Eine deutlich geringere Fehlzeitenquote allein reicht jedenfalls nicht aus.2 Zu Recht berücksichtigt das BAG krankheitsbedingte Fehlzeiten als betrieblichen Belang nur, wenn sie für sich betrachtet eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen. Ansonsten könnten man einen Umstand, der zur Kündigung des betreffenden Arbeitnehmers nicht ausreicht, indirekt „gegen“ ihn verwenden und so im Ergebnis entgegen dem durch die Voraussetzungen der personenbedingten Kündigung garantierten Arbeitnehmerschutz seine Entlassung bewirken.3 Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn bei besonderen Arbeitsaufgaben oder Tätigkeitsbereichen ein kurzfristiger Ersatz anderer Arbeitnehmer nicht oder nur mit sehr großen Schwierigkeiten organisiert werden kann. Auch kann die Weiterbeschäftigung bestimmter sozial stärkerer Arbeitnehmer erforderlich sein, wenn im Betrieb nach einer Sozialauswahl nach allein sozialen Kriterien bzw. im Wesentlichen nur noch Arbeitnehmer mit hohen Fehlzeiten verbleiben. Betriebliche Belange im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eignen sich aber nicht dazu, die – unverschuldete – Krankheitsanfälligkeit eines Arbeitnehmers bei der erforderlichen Abwägung unberücksichtigt zu lassen. Ansonsten würde der durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsmäßig gewährleistete Bestandsschutz des vom allgemeinen Kündigungsschutz erfassten Arbeitsverhältnisses leerlaufen.4
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Aus den o.g. Gründen können auch bestimmte Verhaltensweisen die Kündigung eines sozial schützenswerteren Arbeitnehmers zu Gunsten eines leis1 Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (348); MünchArbR/Berkowsky, § 139 Rz. 251; U. Preis, Der Kündigungsschutz nach dem Korrekturgesetz, RdA 1999, 311, 319; Löwisch/ Spinner, § 1 Rz. 392; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 637. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, DB 2007, 2210. 3 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, DB 2007, 2210; v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP KSchG 1969, § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 12; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 755; Preis, NZA 2004, 1073 (1084); Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 387. 4 KFA-ArbR/Kaiser 2008, § 1 KSch Rz. 190; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 959 sowie Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (348); vermittelnd APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 755, der es mit § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG n.F. für vereinbar hält, wenn der Arbeitgeber die Kündigung des sozial schwächeren Arbeitnehmers in diesen Fällen zumindest ernsthaft in Betracht ziehen dürfte.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 462 Teil 2
tungsstärkeren Arbeitnehmers grds. nur dann rechtfertigen, wenn die aus der Sphäre des leistungsschwächeren Arbeitnehmers stammenden Gründe eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen würden.
" Praxistipp: Anders als bei unverschuldeter Krankheitsanfälligkeit können bestimmte negative oder störende Verhaltensweisen mit Bezug auf das Arbeitsverhalten eines sozial stärker schutzbedürftigen Arbeitnehmers zu seinen Lasten und zugunsten eines Leistungsträgers bei der Auswahlentscheidung ergänzend berücksichtigt werden, ohne dass diese die Qualität eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes erreichen müssen. Allerdings erfordert dies im Streitfall eine konkrete Substanziierung der Verhaltensvorwürfe.
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c) Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur Als berechtigtes betriebliches Interesse wird vom Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes anerkannt. Dieses Tatbestandsmerkmal war bereits in der vom 1.10.1996 bis 31.12.1998 geltenden Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG enthalten, durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (sog. Korrekturgesetz)1 aber zum 1.1.1999 wieder gestrichen worden. Mit seiner Neueinführung zum 1.1.2004 hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass insbesondere bei Massenentlassungen die soziale Auswahl anhand der im Gesetz genannten Kriterien zu einer Verschlechterung der Personalstruktur des Betriebes, z.B. durch Überalterung, führen kann2 und ermöglicht dem Arbeitgeber dadurch, die bisherige Leistungsstärke seiner Belegschaft aufrechtzuerhalten.
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Der Begriff der „Personalstruktur“ wird gesetzlich nicht näher definiert. Bereits zu Zeiten der Geltung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes ist darunter jedenfalls die Altersstruktur eines Betriebes verstanden worden.3 Eine ausgewogene Altersstruktur zählt als Unterfallgruppe zur ausgewogenen Personalstruktur.4 An der Anerkennung des Erhalts einer ausgewogenen Altersstruktur als berechtigtes betriebliches Erfordernis hat sich – trotz des anderslautenden Wortlauts der Vorschrift – auch auf Grund des Korrekturgesetzes nichts geändert.5 Angesichts der zu der gleich lautenden Gesetzesfassung ergangenen BAG-Entscheidung ist anzunehmen, dass der Erhalt einer ausgewogenen Alters-
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1 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843). 2 In diesem Sinne zur gleichlautenden Fassung des ArbRBeschFG: BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 3 So zur vom 1.10.1996 bis 31.12.1998 geltenden gleich lautenden Fassung BAG v. 23.11. 2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 4 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861. 5 Vgl. Materialien zum sog. Korrekturgesetz, BT-Drucks. 14/45, S. 54, in denen der Gesetzgeber deutlich macht, dass der Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur auch weiterhin als berechtigtes betriebliches Erfordernis gelten soll. In diesem Sinne auch BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung LAG Düsseldorf v. 17.3.2000 – 9 (6) Sa 84/00, NZA-RR 2000, 421; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 640 ff.; MünchArbR/Berkowsky § 139 Rz. 251; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 389 f.
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Teil 2 Rz. 463
Betriebsbedingte Kündigung
struktur nach dem Willen des Gesetzgebers auch von der seit 1.1.2004 geltenden Gesetzesfassung mit umfasst sein soll.1 Ein Verstoß der Bestimmung gegen Art. 2a der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 liegt angesichts der insoweit eindeutigen Auslegung nicht vor. Denn der Gesetzgeber hat nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie die Befugnis, eine sachgerechte unterschiedliche Behandlung wegen Alters zuzulassen.2 463
Über die bloße Altersstruktur des Betriebes hinaus umschreibt der Begriff der Personalstruktur allgemein die Zusammensetzung der Belegschaft nach jeweils bestimmten Eigenschaften. Eine Einschränkung auf die Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, sodass auch andere Kriterien grds. im Rahmen der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur berücksichtigt werden können.3 Zu berücksichtigen ist aber, dass die meisten in Betracht kommenden Unterscheidungskriterien auf Grund grundgesetzlich oder spezialgesetzlich geregelter Diskriminierungsverbote engen Schranken unterliegen. So wird eine Vergleichsgruppenbildung nach dem Merkmal der Schwerbehinderung, der Staatsangehörigkeit, des Glaubens (jeweils Art. 3 Abs. 3 GG) oder der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft (Art. 9 Abs. 3 GG) kaum jemals zulässig sein.4 Darüber hinaus dürften nach zutreffender Ansicht dem Wandel unterliegende Unterscheidungskriterien wie Leistungsfähigkeit oder vertragsgerechtes Verhalten auf Grund einer nicht typisierbaren Dynamik als Strukturmerkmale ausscheiden.5
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Wie bisher dürfte daher vor allen Dingen die Sicherung der Altersstruktur im Vordergrund stehen, also der Erhalt des Verhältnisses zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern.6 Um diesen zu erreichen, kann der Arbeitgeber innnerhalb der zur Sozialauswahl stehenden Personenkreise Altersgruppen bilden und aus diesen Gruppen prozentual jeweils gleich viele Arbeitnehmer entlassen. Die Sozialauswahl ist dann innerhalb der einzelnen Gruppen vorzunehmen.7
464a
Die Bildung von Altersgruppen ist auch mit §§ 1, 10 AGG, sowie mit den entsprechenden Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar.8 Zwar bringt es die Altersgruppenbildung bei Arbeitnehmern mit ansonsten identischen Sozialdaten mit sich, dass derjenige mit dem höheren oder geringeren Lebensalter letztlich wegen seiner Zugehörigkeit zu einer anderen Altersgruppe gekündigt werden kann und der andere nicht, so dass die Altersgruppenbildung zu einer allein auf das Alter zurückzuführenden unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern führen kann. Gleichwohl kann diese unterschiedliche Behandlung 1 2 3 4 5 6 7 8
So auch Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (349). APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 765 m.w.N. Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (179). APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 766; vgl. aber Däubler, NZA 2004, 177 (182), der eine Vergleichsgruppenbildung auf Grund des Geschlechts für zulässig hält, wenn dies etwa bei einem Friseur- oder Massagebetrieb deutlichen Kundenpräferenzen entspricht. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 767; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 647. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 642, 645. BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06; sowie BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, EzA-SD 2007, Nr. 5, 4–5 = DB 2007, 861; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 645; KFA-ArbR/Kaiser 2008, § 1 KSch Rz. 196. Vgl. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361.
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Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 466 Teil 2
nach § 10 Satz 1, 2 AGG gerechtfertigt sein Die Erhaltung einer altersgemischten Belegschaft liegt sowohl im Interesse der Gesamtheit der Belegschaft als auch im Wettbewerbsinteresse des einzelnen Arbeitgebers und stellt dadurch ein legitimes Ziel dar.1 Ob die Altersgruppenbildung im Einzelfall als Mittel zur Erreichung dieses Ziels erforderlich und angemessen ist, hängt von den jeweils im Betrieb aufgrund der geschuldeten Tätigkeit erforderlichen Bedürfnissen ab.2 Der Arbeitgeber kann die Altersgruppen dementsprechend zusammenstellen. Handelt es sich um eine Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer mit einfacherer Tätigkeit, hat er naturgemäß ein erhöhtes Interesse an jüngeren und damit körperlich leistungsstärkeren Arbeitnehmern, während er bei qualifizierteren Tätigkeiten wegen des notwendigen Erfahrungs- und Wissensaustauschs zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern darauf achten wird, möglichst Arbeitnehmer verschiedener Generationen zu beschäftigen.
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Wiederholt als sachgerecht anerkannt hat das BAG die Bildung von Altersgruppen in Schritten von je zehn Lebensjahren mit einer engeren Staffelung kurz vor Eintritt des Rentenalters.3
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Die Herausnahme eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl muss nach dem Gesetzeswortlaut der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur dienen. Dies wirft die Frage auf, ob die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bereits eine ausgewogene Personalstruktur voraussetzt. Von einigen Autoren wird das unter Verweis auf den Wortlaut der Regelung bejaht.4 Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar kann die genannte Auffassung sich auf den – unglücklich formulierten – Gesetzeswortlaut stützen. Sie entspricht aber nicht dem gesetzgeberischen Ziel des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, den Betrieb (insgesamt) vor einer nachteiligen Verschiebung der bestehenden (auch unausgewogenen) Personalstruktur zu schützen und und so die bisherige Leistungsfähigkeit des Betriebes zu erhalten.5 Eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auf Grund einer Änderung der Personalstruktur ist eben nicht nur im Falle einer ausgewogenen, sondern auch im Falle einer unausgewogenen Grundstruktur denkbar. Es ist daher im Einklang mit der mehrheitlich vertretenen Auffassung6 davon auszugehen,
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1 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07 (n.v.); v. 6.11.2008– 2 AZR 523/07 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 82; v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405; ebenso Voigt in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 10 Rz. 17; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 10 Rz. 20; Adomeit/Mohr, KommAGG, § 10 Rz. 14. 2 Siehe hierzu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 646 ff. 3 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07 (n.v.); v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – DB 2009, 626; v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05 – BAGE 120, 115; v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06 – AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 16 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 13; ähnlich auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 645. 4 Wlotzke, BB 1997, 414 (418); Kittner, AuR 1997, 182 (189); Zwanziger, BB 1997, 626 (627); vgl. auch Bader, NZA 1996, 1125 (1129), der mittlerweile allerdings die gegenteilige Ansicht vertritt (NZA 2004, 65, 74). 5 Vgl. Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1675 f.). 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 769; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1675 f.); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (179); Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (349); so jetzt auch Bader, NZA 2004, 65 (74).
Mues
407
Teil 2 Rz. 467
Betriebsbedingte Kündigung
dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG neben der Sicherung einer bereits ausgewogenen Personalstruktur auch (und erst recht) die Sicherung einer unbefriedigenden Personalstruktur vor einer (weiteren) Verschlechterung erlaubt. 467
Fraglich ist, ob neben der im Gesetz ausdrücklich erwähnten Sicherung auch die Herstellung einer ausgewogenen Personalstruktur die Ausklammerung bestimmter Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl rechtfertigen kann. In der Literatur wird diese Auffassung vereinzelt vertreten und vor allem damit begründet, dass die Aufzählung der berechtigten betrieblichen Interessen in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht abschließend sei.1 Die ganz überwiegende Auffassung lehnt es dagegen ab, die Herstellung einer ausgewogenen Personalstruktur als berechtigtes betriebliches Interesse anzuerkennen.2 Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Sie entspricht nicht nur den Gesetzeswortlaut, sondern auch dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat trotz Kenntnis der insoweit bereits zur wortlautgleichen Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG in Form des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes bestehenden Diskussion3 die „Herstellung“ einer ausgewogenen Personalstruktur gerade nicht in den Gesetzestext aufgenommen.4 Auch in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs ist ausdrücklich nur davon die Rede, die Personalstruktur „so wie sie aufgebaut ist, zu erhalten“.5 Für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Ausnahmeregelung auf die Sicherung der vorhandenen Personalstruktur spricht weiterhin der Umkehrschluß zu der Regelung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, die (nur) für den Fall der Existenznot eines insolventen Unternehmens ausdrücklich neben dem Erhalt auch die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur vorsieht.6 Schließlich ist nicht einzusehen, dass der Arbeitgeber unter Berufung auf die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur etwaige Versäumnisse in seiner Personalpolitik zu Lasten der sozial schwächeren Arbeitnehmer korrigieren können soll.7 Hat der Arbeitgeber also z.B. durch seine frühere Einstellungspolitik Fehler gemacht, durch die es zu einer unausgewogenen Alterszusammenstellung im Betrieb gekommen ist, muss er warten, bis diese durch die natürliche Personalfluktuation ausgeglichen worden ist.8
468
Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG geht nicht hervor, dass der Ausnahmetatbestand der ausgewogenen Personalstruktur nur bei einer Vielzahl von Kündigungen eingreifen soll. Praktisch relevant wird der Erhalt der ausgewogenen Altersstruktur jedoch i.d.R. nur bei Massenentlassungen. Denn nur wenn 1 In diese Richtung tendierend etwa Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (349). 2 So bereits zu der gleichlautenden Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; vgl. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 768; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1675); Zimmer, FA 2004, 34 (35); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (179); Bader, NZA 2004, 65 (74); Däubler, NZA 2004, 177 (182). 3 Nachweise hierzu bei APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 768. 4 Vgl. Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (349). 5 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 768; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1675). 7 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 768 m.w.N.; Däubler, NZA 2004, 177 (182). 8 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 768 m.w.N.
408
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 470 Teil 2
einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern betriebsbedingt gekündigt wird, besteht die in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG vorausgesetzte Gefahr, dass es auf Grund der mit der Sozialauswahl verbundenen überproportionalen Entlassung von jüngeren Arbeitnehmern ohne Unterhaltspflichten zu einer Überalterung und damit einer Schwächung der Leistungsfähigkeit des Betriebes kommt. Beruft der Arbeitgeber sich bei einer nur geringen Anzahl betriebsbedingter Kündigungen auf den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, sind dementsprechend an die Darlegungslast des Arbeitgebers erhöhte Anforderungen zu stellen.1 5. Konsequenzen der Sozialauswahl Als Ergebnis der Sozialauswahl steht fest, welchem/welchen Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt gekündigt werden kann. Anders als bei verhaltens- oder personenbedingte Kündigungen, die sich unmittelbar auf einen bestimmten Arbeitnehmer konzentrieren, um dessen kündigungsrelevantes Fehlverhalten oder dessen fehlende Eignung es geht, ist mit dem Wegfalls neutralen Beschäftigungsvolumens im Betrieb noch nicht automatisch klar, welchem Arbeitnehmer tatsächlich gekündigt werden soll. Da bei betriebsbedingten Kündigungen der Kündigungsgrund in der Sphäre des Arbeitgebers liegt, ist es auch nicht gerechtfertigt, in jedem Fall dem Arbeitnehmer zu kündigen, dessen konkreter Arbeitsplatz weggefallen ist.2 Deshalb vollzieht sich nach der Systematik des KSchG bei der betriebsbedingten Kündigung die Prüfung der Sozialwidrigkeit in zwei Abschnitten. Gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG wird zunächst geprüft, ob durch dringende betriebliche Erfordernisse das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers entfallen ist. Erst durch die soziale Auswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG wird das dringende betriebliche Erfordernis zur Kündigung von Arbeitskräften personell konkretisiert. Soll z.B. in einem bestimmten Arbeitsbereich gekürzt werden, und gibt es mehrere Arbeitnehmer, die für eine Kündigung in gleicher Weise in Betracht kommen, ist gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG unter ihnen eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten zu treffen.3
469
Problematisch ist die Frage, wie der Arbeitgeber vorgehen kann, wenn sich nachträglich, also nach Ausspruch der betriebsbedingten Kündigungen z.B. in einem Kündigungsschutzprozess, herausstellt, dass er bei der Sozialauswahl einen Auswahlfehler gemacht hat, die Sozialauswahl also fehlerhaft ist. Fest steht insoweit, dass die Kündigung des Arbeitnehmers, der sich gewehrt hat und dessen Kündigung nicht nach §§ 4, 7 KSchG wirksam geworden ist, unwirksam ist. Die Rechtsfolgen sind die gleichen, wie wenn der Kündigung ein rechtfertigender Grund überhaupt fehlt.4 Gravierende Folgen mit zum Teil erheblichen wirtschaftlichen Ausmaßen hat diese, vom Gesetz vorgesehene Lösung bei Massenkündigungen. Wenn nur eine einzelne Sozialauswahl in Bezug auf einen Arbeit-
470
1 2 3 4
KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 643. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 867. BAG v. 7.2.1985 – 2 AZR 91/84, NZA 1986, 260. Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 405.
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409
Teil 2 Rz. 470a
Betriebsbedingte Kündigung
nehmer fehlerhaft ist, hat dies u.U. zur Folge, dass die Kündigung aller anderen vergleichbaren Arbeitnehmer ebenfalls fehlerhaft wird. 470a
Die Rechtsprechung ging früher davon aus, dass wenn auch nur ein vergleichbarer sozial stärkerer Arbeitnehmer von der betriebsbedingten Kündigung ausgenommen worden sei, ohne dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG vorlagen, sich beliebig viele sozial schwächere zur gleichen Zeit gekündigte Arbeitnehmer auf den Auswahlfehler berufen konnten, sog. „DominoTheorie“.1 Der Arbeitgeber verfügte über keine Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur, selbst wenn ihm der Auswahlfehler versehentlich unterlaufen war, z.B. durch einen Schreib- oder Übermittlungsfehler in der Liste der Sozialdaten. Er musste insoweit für alle Arbeitnehmer, die sich auf diesen Auswahlfehler beriefen, Annahmeverzugslohn zahlen, was für ein Unternehmen, dessen wirtschaftliche Lage schon vor Ausspruch der Kündigungen problematisch war, fatale Folgen hatte.2
470b
Das BAG hat sich in seiner Entscheidung vom 9.11.20063 mit der in der Literatur überwiegend vorgebrachten Kritik auseinandergesetzt und seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Nehme der Arbeitgeber nunmehr die Sozialauswahl allein durch Vollzug eines zulässigen Punktesystems vor, so könne er auf die Rüge nicht ordnungsgemäßer Sozialauswahl mit Erfolg einwenden, der gerügte Auswahlfehler habe sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt, weil der Arbeitnehmer nach der Punktetabelle auch bei Vorliegen des Auswahlfehlers zur Kündigung angestanden hätte. In diesen Fällen ist der Fehler für die Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers nicht ursächlich geworden und die Sozialauswahl im Ergebnis ausreichend.4 Die fehlerhafte Nichtberücksichtigung eines Arbeitnehmers bewirkt zukünftig also nicht mehr die Unwirksamkeit weiterer Kündigungen (ausführlich hierzu vgl. Rz. 418).
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" Praxistipp: Beruht der Fehler darauf, dass der Arbeitgeber soziale Gesichts-
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Eine Korrektur ist jedoch im Prinzip nicht mehr möglich, wenn der Arbeitgeber – in Kenntnis und unter Berücksichtigung aller Tatsachen – bei der Sozialauswahl bestimmte Punkte nur fehlerhaft gewertet hat. Um hier dem Arbeitgeber entgegenzukommen, neigt die Rechtsprechung dazu, dem Arbeitgeber die Möglichkeit einzuräumen, den Fehler in der sozialen Auswahl nachträglich zu korrigieren, indem er den weniger hart betroffenen Arbeitnehmern kündigt und
punkte, die zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vorlagen, nicht beachtet hat, ist es ihm u.U. noch während des Prozesses möglich, diese Gesichtspunkte nachzuschieben. In Betrieben mit Betriebsrat scheitert das Nachschieben allerdings häufig daran, dass der Arbeitgeber diese sozialen Kriterien dem Betriebsrat nicht gem. § 102 BetrVG mitgeteilt hat.5
1 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – BAGE 64, 34; v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423; ausführlich zur Domino-Theorie: Bitter/Kiel, RdA 1994, 333 (358) und Walk/ Burger, „Massenentlassung und Dominotheorie“, AuA 2007, 465. 2 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 782; BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423. 3 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549 mit ausführlichem Referat des Streitstandes. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 782. 5 Siehe allgemein zum Nachschieben von Kündigungsgründen Teil 11 Rz. 420 ff.
410
Mues
Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 475 Teil 2
einer entsprechenden Anzahl von Arbeitnehmern die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbietet. Das BAG nimmt es dabei in Kauf, dass dies eine systemwidrige Einschränkung des Grundsatzes bedeutet, die Sozialwidrigkeit der Kündigung nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu beurteilen. Angesichts der Schwierigkeiten, denen eine korrekte soziale Auswahl bei einer Massenkündigung begegnet, erscheine ein starres Festhalten an einer dogmatisch sauberen Lösung in diesen Fällen kaum vertretbar.1 Wegen der Systemwidrigkeit dieser Lösung wird sie in der Lehre überwiegend abgelehnt.2
473
Die Schwierigkeiten einer nachträglichen Korrektur lassen sich jedoch vermeiden, wenn man zur Lösung des Problems systematisch einen Schritt weiter vorne ansetzt und schon die Möglichkeit verneint, dass sich alle gekündigten Arbeitnehmer auf die fehlerhafte Sozialauswahl berufen können. Selbst wenn der Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl eines Arbeitnehmers einen Fehler begangen hat, bedeutet dies im Ergebnis nicht, dass er keinem der gekündigten Arbeitnehmer hätte wirksam kündigen können. Meist wird sich die Tatsache, dass der Arbeitgeber einen sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einbezogen hat, nur zugunsten des sozial schutzwürdigsten gekündigten Arbeitnehmers auswirken. Die anderen Arbeitnehmer hätten auch bei fehlerfreier Sozialauswahl des Arbeitgebers entlassen werden können. Es erscheint daher gerechtfertigt, von vornherein nur dem Arbeitnehmer, zu dessen Lasten sich der Auswahlfehler des Arbeitgebers ausgewirkt hat, die Berufung auf die fehlerhafte Sozialauswahl zu ermöglichen (sog. eingeschränkte Kausalitätsprüfung). Die Kündigungen aller anderen Arbeitnehmer würden dann – sofern nicht ein davon unabhängiger anderer Unwirksamkeitsgrund vorliegt – ihre Wirksamkeit behalten.3
474
6. Umfang der gerichtlichen Nachprüfung Der Arbeitgeber muss gem. § 1 Absatz 3 Satz 1 KSchG bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigen. Dadurch ist ihm zwar kein Ermessensspielraum eingeräumt worden, zumal ein Ermessen schon normlogisch nicht in Betracht kommt, da es bei der sozialen Auswahl nicht um Rechtfolgenfragen bzw. ein einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers geht, sondern um ein Tatbestandsmerkmal für die sozial ungerechtfertigte Kündigung. Ihm ist damit aber vom Gesetzgeber bei der Sozialauswahl ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt worden (zum individuellen Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers vgl. ausführlich unter Rz. 411). Da ein verbindlicher Bewertungsmaßstab dazu, wie die einzelnen Sozialdaten zueinander in Verhältnis zu setzen sind, nicht vorhanden ist, genügt es für eine ord1 BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 994; Löwisch/Spinner, § 1 Rz. 406; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 785; MünchArbR/Berkowsky, § 155 Rz. 49; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1147. 3 So auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 783; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1144; LAG Hamm v. 31.8.1994 – 10 (19) Sa 1907/93, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 13.
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411
475
Teil 2 Rz. 476
Betriebsbedingte Kündigung
nungsgemäße Sozialauswahl, wenn jedes sozial beachtliche Kriterium überhaupt in nicht unbeachtlichem Umfang berücksichtigt wird, wobei den soziale Grunddaten ein besonderes Gewicht zukommen muss. In Grenzfällen können mehrere Entscheidungen rechtmäßig sein.1 § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG fordert dabei nicht ein irgendwie geartetes Vorgehen des Arbeitgebers. Deshalb kann auch eine unrichtige oder unvollständige Berücksichtigung sozialer Daten sich nicht auswirken, wenn sie zufällig zu einer im Ergebnis zutreffenden Sozialauswahl geführt hat.2 476
Den Gerichten ist nach § 1 Abs. 3 KSchG eine uneingeschränkte Kontrolle der Sozialauswahl durch den Arbeitgeber möglich. Sie können die sozialen Belange vergleichbarer Arbeitnehmer selbst bewerten und abwägen. Im Vergleich zu § 1 Abs. 4 KSchG im Fall von Auswahlrichtlinien ist der gerichtliche Prüfungsrahmen hier nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit reduziert.3 Dabei müssen sie jedoch berücksichtigen, dass sie ihre Wertung nicht an die Stelle der vom Arbeitgeber vorgenommenen Wertung setzen. Wegen des dem Arbeitgeber eingeräumten Wertungsspielraums kann die Sozialauswahl von den Arbeitsgerichten nur dann als fehlerhaft eingestuft werden, wenn Arbeitnehmerinteressen nicht berücksichtigt wurden, die deutlich schutzbedürftiger als die vom Arbeitgeber ermittelten sind.4 Inwieweit sich praktisch ein Unterschied zum Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit nach § 1 Abs. 4 KSchG ergibt, also ein Unterschied zwischen einer bloß fehlerhaften und einer grob fehlerhaften Gewichtung gezogen werden kann, bleibt abzuwarten.5 7. Darlegungs- und Beweislast
477
Die Darlegungs- und objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, liegt nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG grundsätzlich beim Arbeitnehmer.6 Zur Darlegungs- und Beweislast bei der Sozialauswahl vgl. im Übrigen die Ausführungen in Teil 12 Rz. 399 ff.
III. Besonderheiten bei Massenentlassungen 478
Ein Sonderfall, der jedoch bei betriebsbedingten Kündigungen häufig vorkommt, wenn Betriebsteile oder ganze Betriebe stillgelegt werden, ist die Massenentlassung. 1 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729; v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, NZA 1990, 226; v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 432; v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64. 2 BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 167/99, NZA 2000, 764. 3 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 779; Bitter/Kiel, RdA 1994, 333, 358. 4 BAG v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64. 5 Zweifelnd z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678g-i, der deshalb in der Praxis sowohl bei Absatz 3 als auch bei Absatz 4 von einem Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit ausgeht; allgemein zum Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit bei § 1 Absatz 4 KSchG im Rahmen von kollektivrechtlichen Auswahlrichtlinien siehe oben Rz. 421 ff. 6 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP-Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 7.7.2005 – 2 AZR 447/04, NJW 2006, 2508.
412
Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 483 Teil 2
Hierbei hat der Arbeitgeber zusätzlich zu den Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung die besonderen Regelungen der §§ 17 ff. KSchG zu beachten. Mit diesen Regelungen soll erreicht werden, dass die Arbeitsverwaltung über zu erwartende Entlassungen großen Umfangs rechtzeitig informiert wird. Sie kann dann zügig entsprechende Maßnahmen vornehmen, um entweder diese Entlassungen ganz oder teilweise zu vermeiden oder um rechtzeitig neue Arbeitsplätze nachzuweisen. §§ 17 ff. KSchG dienen daher nicht dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern verfolgen vielmehr einen arbeitsmarktpolitischen Zweck.1
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1. Quantität des § 17 KSchG a) Zu berücksichtigende Tatsachen Der Arbeitgeber hat beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen der Agentur für Arbeit beabsichtigte Massenentlassungen anzuzeigen (sog. anzeigepflichtige Entlassungen). Die relevanten Parameter sind dabei der Betriebsbegriff, der Begriff des Arbeitnehmers, die Zahl der Entlassungen und das Verhältnis der Entlassungen zur Betriebsgröße sowie der Entlassungszeitraum.
480
aa) Betrieb Das KSchG ist betriebsbezogen ausgerichtet. Die Zahl der anzeigepflichtigen Entlassungen bestimmt sich daher ebenfalls nach dem Betrieb und nicht nach dem Unternehmen. Zeitlich zusammenhängende Entlassungen in verschiedenen Betrieben eines Arbeitgebers müssen gesondert erfasst werden. Die zahlenmäßigen Vorgaben des § 17 KSchG beziehen sich auf einen Betrieb. Der Betriebsbegriff entspricht auch hier dem zu den §§ 1, 4 BetrVG entwickelten allgemeinen Betriebsbegriff.2 Betriebsteile, die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG als selbständige Betriebe anzusehen sind3, müssen daher Massenentlassungen anzeigen, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen des § 17 KSchG erfüllen.
481
Nicht unter die Anzeigepflicht fallen Saison- und Kampagnebetriebe, wenn die Entlassungen durch die Eigenart des Betriebes bedingt sind (§ 22 Abs. 1 KSchG).
482
Ein Saisonbetrieb ist ein Betrieb, in dem über das ganze Jahr hindurch gearbeitet wird, dessen Beschäftigtenzahl aber von saisonalen Schwankungen geprägt ist. Aber nicht jede Schwankung des Beschäftigtenbedarfs macht einen Betrieb zu einem Saisonbetrieb. Dieser muss vielmehr durch einen erkennbaren Zuwachs an Beschäftigten während einer Saison geprägt sein. Mischbetriebe sind Betriebe, bei denen ein konkret abgrenzbarer Betriebsteil die Eigenschaft eines Saisonbetriebes aufweist, der Betrieb im Übrigen jedoch nicht. Entlassungen, die nur den saisonabhängigen Teil des Betriebes betreffen, fallen nicht unter die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG. Kampagnebetriebe sind Betriebe, in denen regelmäßig nur einige Monate im Jahr gearbeitet wird. Entscheidend für den Begriff
483
1 KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 7; BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 272. 2 BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 272; siehe allgemein dazu oben Rz. 3 ff. 3 Zur Übertragung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG in das KSchG siehe oben Rz. 3 ff.
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Teil 2 Rz. 484
Betriebsbedingte Kündigung
des Kampagnebetriebes ist, dass der eigentliche Betriebszweck außerhalb der Kampagne nicht weiterverfolgt wird. Unschädlich für eine Qualifizierung als Kampagnebetrieb ist es hingegen, wenn während der Ruhezeiten Stammarbeiter beschäftigt werden, die lediglich die betriebsnotwendigen Erhaltungsarbeiten durchführen.1 Entlassungen in Saisonbetrieben und Kampagnebetrieben, die nicht durch die Eigenart dieser Betriebe bedingt sind, fallen dagegen unter die Bestimmungen der §§ 17 ff. KSchG. 484
Ebenfalls werden Kleinbetriebe, bei denen in der Regel bis zu 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden, nicht von § 17 KSchG erfasst, da Abs. 1 Nr. 1 als niedrigste Stufe bereits die Einbeziehung von Betrieben mit in der Regel mehr als 20 beschäftigten Arbeitnehmern vorsieht. Damit sind selbst Entlassungen in einer Größenordnung, die in anderen Betrieben anzeigepflichtig wäre, wie z.B. bei mehr als 5 Arbeitnehmern, hier nicht anzeigepflichtig.
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Gem. § 23 Abs. 2 KSchG sind außerdem Seeschiffe und ihre Besatzung sowie Betriebe und Verwaltungen der öffentlichen Hand, soweit sie nicht wirtschaftliche Zwecke verfolgen, von der Anzeigepflicht nicht betroffen. bb) Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer
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Maßgebender Zeitpunkt für die Ermittlung der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ist der Zeitpunkt der Entlassungen.2
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Der Begriff „in der Regel“ entspricht dem in § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG verwendeten Begriff.3 Er umfasst die Zahl der Beschäftigten, die bei regelmäßigem Geschäftsgang erforderlich ist. Ein außergewöhnlicher Geschäftsanfall wie z.B. Schlussverkauf oder Weihnachtsgeschäft muss dabei ebenso unberücksichtigt bleiben, wie die Zeiten einer kurzfristigen, sehr schwachen Beschäftigungslage. Keineswegs ist die rechnerisch durchschnittliche Beschäftigtenzahl oder die Zahl der im Zeitpunkt der Entlassung tatsächlich Beschäftigten als Grundlage zu nehmen. Es muss vielmehr ein Rückblick auf die bisherige Personalstärke des Betriebes und eine Einschätzung der künftigen Entwicklung vorgenommen werden.4
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Bei Entlassungen im Rahmen einer Betriebseinschränkung oder Betriebsstilllegung ist nur noch ein Rückblick auf die einstige Betriebsstärke möglich. Bei diesem Sonderfall ist daher zu differenzieren. Entscheidend ist, wann der Arbeitgeber noch eine regelmäßige Betriebstätigkeit entwickelt und wie viele Arbeitnehmer er hierfür eingesetzt hat. Hatte der Arbeitgeber vor dem Kündigungstermin zunächst eine Betriebseinschränkung geplant und den Betrieb mit entsprechend verminderter Belegschaft weitergeführt, so stellt diese die normale, den Betrieb kennzeichnende Belegschaftsstärke dar. Entschließt er sich später, den 1 MünchArbR/Berkowsky, § 156 Rz. 7. 2 BAG v. 31.7.1986 – 2 AZR 594/85, NZA 1987, 587. 3 BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 272; v. 22.3.2001 – 8 AZR 565/00, EzA § 17 KSchG Nr. 10; siehe dazu bereits ausführlich Rz. 72 f. 4 BAG v. 8.6.1989 – 2 AZR 624/88, NZA 1990, 224; v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 272; v. 22.3.2001 – 8 AZR 565/00, EzA § 17 KSchG Nr. 10.
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Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 492 Teil 2
Betrieb endgültig stillzulegen, so ist diese Belegschaftszahl maßgebend, auch wenn der Arbeitgeber nachher das Personal nur stufenweise entlässt. Deshalb kann die Rückschau nicht auf einen festen Zeitraum (etwa zwei Monate) begrenzt werden. Entschließt sich der Arbeitgeber schon früher zur Stilllegung des Betriebes und entlässt er danach stufenweise, aber in größeren Zeitabständen Personal, so handelt es sich hierbei um eine langfristige und endgültige Festlegung der Arbeitnehmerzahl. Daher ist hier von der jeweiligen Beschäftigtenzahl im Zeitpunkt der Anzeigepflicht auszugehen. Der Betriebszweck und die Zahl der zu seiner Verwirklichung regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer ist nicht allein von objektiven betrieblichen Kriterien abhängig, sondern insbes. von der (subjektiven) unternehmerischen Bestimmung durch den Arbeitgeber. Es ist deswegen möglich und geboten, bei der Bestimmung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl zwischen einer Betriebseinschränkung und einer in Stufen geplanten Stilllegung zu unterscheiden. Im ersten Fall geht es um eine auf unbestimmte Zeit vorgesehene Fortführung des Betriebes, im zweiten hingegen um eine befristete Abwicklung, die hinsichtlich der jeweiligen Beschäftigungszahl nicht mehr durch den regelmäßigen Gang des Betriebes gekennzeichnet ist.1 Der Begriff des Arbeitnehmers i.S.d. § 17 KSchG stimmt mit dem Arbeitnehmerbegriff i.S.d. § 1 KSchG überein (siehe dazu oben Rz. 89 ff.). Zu erfassen sind bei der Anzeige somit neben Arbeitern und Angestellten auch Auszubildende und Volontäre, Praktikanten (soweit das Praktikum nicht Bestandteil schulischer Ausbildung ist), Umschüler, Teilzeitbeschäftigte und Kurzarbeiter. Mitarbeitende Familienangehörige sind zu berücksichtigen, wenn sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses und nicht nur wegen familienrechtlicher Mitarbeitspflicht mitarbeiten.2
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Bei den Arbeitnehmern wird nicht zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigen unterschieden. Die anteilige Berücksichtigung von Teilzeitarbeitnehmern gem. § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG gilt hier nicht. Teilzeitkräfte werden pro Kopf berücksichtigt.3
490
" Praxistipp: Die §§ 17 ff. KSchG sehen keine Unterscheidung der Arbeitneh-
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Arbeitnehmerähnliche Personen, wie z.B. Heimarbeiter, arbeitnehmerähnliche Handelsvertreter, freie Mitarbeiter in pädagogischen, künstlerischen, schriftstellerischen oder journalistischen Berufen sind wie Franchisenehmer des Betriebes (keine Scheinselbständigkeit) nicht mitzurechnen.4 Als Arbeitnehmer i.S.d. § 17 KSchG gelten ferner nicht die vertretungsberechtigten Personen i.S.v. § 14 Abs. 1 KSchG und die leitenden Angestellten i.S.v. § 14 Abs. 2 KSchG.
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mer nach der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit vor. Daher sind auch Arbeitnehmer, die die Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG von sechs Monaten noch nicht erfüllt haben, bei der Feststellung der Betriebsgröße und der Zahl der Entlassungen mitzuzählen.
1 BAG v. 8.6.1989 – 2 AZR 624/88, NZA 1990, 224; v. 31.7.1986 – 2 AZR 594/85, NZA 1987, 587. 2 KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 29; Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 22. 3 Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 23. 4 KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 30.
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Teil 2 Rz. 493
Betriebsbedingte Kündigung
cc) „Entlassungen“ 493
Die Anzeigepflicht gem. § 17 Abs. 1 KSchG umfasst Entlassungen, die innerhalb eines Zeitraumes von 30 Kalendertagen durchgeführt werden sollen. Unter „Entlassung“ i.S.d. §§ 17, 18 KSchG ist der Ausspruch der Kündigung, nicht erst die mit einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen ordentlichen Kündigung beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zu verstehen. Das ergibt sich aus der europarechtskonformen Auslegung der §§ 17, 18 KSchG.1 Maßgeblich für die Anzeigepflicht ist deshalb der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs, nicht erst die tatsächliche Vollziehung der Entlassung durch Ablauf der Kündigungsfrist. Der Grund der Kündigung ist nicht relevant. Zumeist wird es sich um betriebsbedingte Kündigungen handeln. Erfasst werden jedoch auch verhaltens- und personenbedingte Kündigungen. Dies resultiert aus dem Zweck der Anzeigepflicht. Die Belastung des Arbeitsmarktes durch eine plötzlich entlassene, größere Anzahl von Arbeitnehmern wird nicht geringer, wenn diese – alle oder teilweise – aus verhaltensbedingten Gründen entlassen wurden.
494
Unter die Anzeigepflicht fallen nur „Entlassungen“, also Beendigungen des Arbeitsverhältnisses aufgrund von Kündigungen durch den Arbeitgeber. Eigenkündigungen des Arbeitnehmers lösen daher grundsätzlich keine Anzeigepflicht aus. Sind die Eigenkündigungen jedoch vom Arbeitgeber veranlasst worden, sind sie nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG mitzuerfassen. Kündigt z.B. ein Arbeitnehmer, weil ihm der Arbeitgeber mitgeteilt hat, er würde ihm anderenfalls zum selben Zeitpunkt kündigen, so ist diese Kündigung tatsächlich allein vom Arbeitgeber verursacht worden. Die arbeitsmarktpolitischen Folgen entsprechen denen einer ordentlichen Kündigung. Der Zweck des § 17 KSchG wäre bei Nichterfassung dieser Kündigung umgangen worden.2
495
Ebenfalls unter die Anzeigepflicht fallen Arbeitnehmer, die vorläufig im Rahmen des § 102 Abs. 5 BetrVG weiterbeschäftigt werden. Da ihre Weiterbeschäftigung nur vorläufig ist und sie jederzeit mit ihrem endgültigen Ausscheiden rechnen müssen, besteht bei ihnen ein Interesse an einem neuen Arbeitsplatz. Sie belasten damit den Arbeitsmarkt zusätzlich. Maßgebender Zeitpunkt für die Anzeige bleibt der vorgesehene Entlassungstermin.3
496
Nicht mitgerechnet werden gem. § 17 Abs. 4 KSchG fristlose Entlassungen. Obwohl das Gesetz in diesem Zusammenhang nicht von außerordentlichen Kündigungen spricht, sind darunter jedoch nur Entlassungen aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers gem. § 626 BGB zu verstehen. In diesen Fällen tritt der arbeitsmarktpolitische Zweck der §§ 17 ff. KSchG hinter die Interessen des Arbeitgebers zurück, sich in besonderen Fällen vom Arbeitnehmer zu trennen.4 Nicht zu den fristlosen Entlassungen zählen die durch sog. entfristeten Kündigungen erfolgten Entlassungen. Hier handelt es sich um ordent1 Siehe hierzu EuGH v. 27.1.2005 – Rs C-188/03 (Irmtraud Junk), übernommen in BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 492/05, NZA 2008, 476 (n.v.); v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05. NZA 2006, 971. 2 KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 39–40. 3 Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 27; ErfK/Kiel § 17 KSchG Rz. 17; KDZ/Kittner/Deinert, § 17 KSchG Rz. 15; APS/Moll, § 17 KSchG Rz. 27. 4 KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 33.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 501 Teil 2
liche Kündigungen, bei denen nach § 622 Abs. 4 und Abs. 5 BGB durch Tarifvertrag oder Einzelvertrag eine Kündigungsfrist nicht einzuhalten ist. Diese Entlassungen müssen bei der Anzeige miterfasst werden. Die Anzeigepflicht entfällt außerdem gem. § 25 KSchG bei fristlosen Entlassungen in Arbeitskämpfen.
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Grundsätzlich nicht mitzurechnen ist auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge einer Vorruhestandsvereinbarung sowie eines Aufhebungsvertrages. Die Aufhebung des Vertrages darf jedoch nicht deswegen vereinbart worden sein, weil sonst der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum selben Zeitpunkt gekündigt hätte (Einzelheiten siehe nachstehend unter Rz. 515 f.).
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Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Befristung und Eintritt einer auflösenden Bedingung ist ebenfalls nicht anzeigepflichtig.1 Teilweise wird dies an die Bedingung geknüpft, dass die Beendigungsform durch Bedingung oder Befristung nicht zur Umgehung der §§ 17 ff. KSchG führen dürfe. Eine derartige Umgehung sei anzunehmen, wenn die Bedingung oder der Zeitablauf gerade auf eine Betriebseinstellung oder Betriebsstilllegung abstelle.2 Dieser Einschränkung kann nicht zugestimmt werden. Wie sich aus dem in der Entlassung enthaltenen Kündigungstatbestand und den nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG gleichgestellten Beendigungstatbestände ergibt, geht das Gesetz davon aus, dass ein auf Dauer ausgerichtetes Arbeitsverhältnis, d.h. ein Arbeitsvertrag der nicht schon durch Bedingung/Befristung den Beendigungstatbestand in sich enthält, vorliegt. Bei Bedingungen/Befristungen, die aufgrund von außerhalb der §§ 17 ff. KSchG bestehenden Voraussetzungen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden, ist dies nicht der Fall. Eine Umgehung des Schutzzwecks der §§ 17 ff. BGB ist daher nicht gegeben.3
499
" Praxistipp: Für Änderungskündigungen gilt, dass nicht die Kündigung, son-
500
dern nur die Entlassung des Arbeitnehmers für die Anzeigepflicht entscheidend ist. Erst wenn eine entsprechende Anzahl von Arbeitnehmern das Änderungsangebot abgelehnt hat und ihre Arbeitsverhältnisse tatsächlich beendet werden, fallen sie unter die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG.4
dd) Verhältnis zwischen Arbeitnehmerzahl und Entlassungen § 17 Abs. 1 KSchG stellt auf die Anzahl der Entlassungen sowie ihr Verhältnis zur Arbeitnehmerzahl ab. Eine Anzeigepflicht besteht, wenn – in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer, – in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 von Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer, 1 ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 14; HK-KSchG/Hauck, § 17 Rz. 19; APS/Moll, § 17 KSchG Rz. 35; Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 31; KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 44. 2 Z.B. Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 31; KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 44. 3 Ebenso APS/Moll, § 17 KSchG Rz. 35. 4 Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 32.
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Teil 2 Rz. 502
Betriebsbedingte Kündigung
– in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden. 502
Bei der Ermittlung der Zahlen ist die Zahl der tatsächlich entlassenen Arbeitnehmer anzusetzen. ee) Entlassungszeitraum
503
Nach § 17 Abs. 1 KSchG sind alle Entlassungen, die innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen erfolgen und die zusammengerechnet die vorgegebenen Mindestzahlen überschreiten, anzeigepflichtig. Entscheidend ist der Tag des Aussprechens der Kündigung.
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Als Fristbeginn ist jeder der jeweiligen Tage des Kündigungsausspruchs anzusehen. Die Frist für die Ermittlung der 30-Tage-Frist beginnt also immer neu mit dem Tag, an dem eine Kündigung ausgesprochen wird. Eine plötzliche Überlastung des Arbeitsmarktes soll vermieden werden.1
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Werden die Entlassungen durch Ausspruch von Kündigungen zeitlich so durchgeführt, dass die vorgegebene Mindestzahl jeweils innerhalb des beliebig gewählten Zeitraums nicht erreicht wird, brauchen alle Entlassungen ohne Rücksicht auf ihre Gesamtzahl nicht angezeigt werden. Entlässt der Arbeitgeber aber gegen Ende eines Berechnungszeitraums weitere Arbeitnehmer und überschreitet damit die nach § 17 KSchG vorgegebene Mindestzahl oder veranlasster weitere Eigenkündigungen, müssen alle in diesem Berechnungszeitraum vorgenommenen Entlassungen nachträglich angezeigt werden.2 b) Freifrist für Durchführung der Entlassung
506
Nach Ablauf der Sperrfrist bleiben 90 Tage Zeit, in der Kündigungen wirksam werden können. Durch diese sog. Freifrist soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber die Entlassungen hinauszögert und so die arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten der Agentur für Arbeit ins Leere laufen. Nach den Entscheidungen des EuGH von 2005 und 2006 entfaltet § 18 Abs. 4 KSchG keine praktische Bedeutung mehr, sofern die Kündigung innerhalb der Freifrist ausgesprochen worden ist.3 Kündigungen, deren Fristen über die Dauer der Entlassungssperre und Freifrist hinaus andauern, erfordern keine erneute Anzeige bei der Agentur für Arbeit, da eine erneute Mitteilung lediglich eine Wiederholung des bereits ermittelten Sachverhalts darstellen und daher der ratio legis einer rechtzeitigen Unterrichtung der Agentur für Arbeit zur Einleitung von arbeitsmarkpolitischen Maßnahmen nicht mehr gerecht werden würde.4
1 2 3 4
ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 17. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 53, 54. Vgl. KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 34; KDZ/Kittner/Deinert, § 18 KSchG Rz. 17. KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 34; ebenso Merkblatt 5 der Agentur für Arbeit v. 28.10. 2005, Ziffer 6.4.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 515 Teil 2
Werden die Kündigungen jedoch bis zum Ablauf der Freifrist nicht ausgesprochen, so muss erneut Anzeige erstattet werden.1
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" Praxistipp: Der Arbeitgeber kann nach der Erstattung der ersten Anzeige
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Die Freifrist beginnt mit dem Ablauf der Sperrfrist, die gem. § 18 Abs. 1 KSchG einen Monat nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit beträgt, auf Antrag des Arbeitgebers und mit Zustimmung der Agentur für Arbeit aber auch bis auf den Tag der Antragstellung zurück verlegt oder bis zu zwei Monaten nach Eingang der Anzeige verlängert werden kann.
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Die Berechnung der Freifrist erfolgt in gleicher Weise wie die der Sperrfrist. Die 90-Tage-Frist läuft mithin gem. § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 90. Tages ab, der sich an den letzten Tag der Sperrfrist (§ 187 Abs. 1 BGB) anschließt.3 Im Gegensatz zu der Sperrfrist ist bei der Freifrist eine Abkürzung oder Verlängerung nicht vorgesehen.
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z.B. an der Kündigung gehindert sein, weil sich nach der Anzeige eine vorübergehende Beschäftigungsmöglichkeit bietet, die sich über die Dauer der Freifrist hinaus erstreckt. Will der Arbeitgeber in einem solchen Fall den Eintritt einer zweiten Sperrfrist vermeiden, so ist dies unter den Voraussetzungen der Wirksamkeit nach dem TzBfG im Rahmen einer befristeten Weiterbeschäftigung möglich, die ausdrücklich und schriftlich vereinbart werden muss. Dieses Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf der Frist. Eine Entlassung i.S.d. § 17 KSchG liegt dann nicht vor.2
Einstweilen frei.
511–514
c) Sonderfall: Aufhebungsvereinbarung Auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgrund eines Aufhebungsvertrages fällt unter § 17 KSchG, wenn die einverständliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses erfolgt, weil sonst der Arbeitgeber zum gleichen Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aufgelöst hätte, da dieser Vorgang einer Entlassung i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG entspricht.4 Daran ändert sich auch nichts, wenn der Aufhebungsvertrag mit einer Abfindung verbunden ist, da auch eine Abfindung die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt, und daher der Zweck der §§ 17 ff. weiterhin einschlägig ist.5 Die vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Vertragsaufhebung gilt auch dann als Entlassung i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG, wenn der Arbeitnehmer in der Auflösungsvereinbarung durch ausdrückliche Erklärung auf den Kündigungsschutz gem. § 17 KSchG verzichtet, indem er sich verpflichtet, die Überprüfung der Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages zu unterlassen. Ein Verzicht in der Aufhebungsvereinbarung selbst liefe im Ergebnis darauf hinaus, den Arbeitgeber von vornherein 1 2 3 4 5
v. Hoyningen-Huene, Linck, § 18 Rz. 23. Löwisch/Spinner, § 18 Rz. 15. APS/Moll, § 18 KSchG Rz. 38. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 43. Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 28; Bauer/Röder, Aufhebungsverträge bei Massenentlassungen und bei Betriebsänderungen, NZA 1997, 1125, 203; a.A. v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 17 Vorbem. 20.
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Teil 2 Rz. 516
Betriebsbedingte Kündigung
von seiner gesetzlichen Anzeigepflicht zu befreien. Der im öffentlichen Interesse verankerte Massenentlassungskündigungsschutz würde unterlaufen. Dieser steht aber nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien. Ein Verzicht des Arbeitnehmers kann allenfalls nach Abschluss der Aufhebungsvereinbarung wirksam erklärt werden.1 516
Das Ausscheiden aufgrund von Vorruhestandsvereinbarungen ist ebenfalls nicht anzeigepflichtig. Der Arbeitnehmer tritt hier mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Ruhestand oder Vorruhestand und wird nicht arbeitslos. Arbeitsmarkbelange werden nicht berührt. Anders ist dies bei Vereinbarungen, bei denen der Arbeitnehmer mit Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis arbeitslos wird und den Arbeitsmarkt belastet, bevor er Rente in Anspruch nimmt. Hätte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ohne diese Vereinbarung zum selben Zeitpunkt gekündigt, liegt daher eine Entlassung i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor.2 2. Verhältnis zu § 112a BetrVG
517
Die Regelungen der §§ 17 ff. KSchG verfolgen einen arbeitsmarkpolitischen Zweck. Damit soll nicht ein Schutz des einzelnen Arbeitnehmers, sondern eine frühzeitige und umfassende Information der Arbeitsverwaltung erreicht werden. Diese kann dann entsprechend Schritte zur Verringerung bzw. zur Vermeidung der Entlassungen vornehmen.
518
Anzeigepflichtige Entlassungen, die nach § 17 KSchG erfasst werden müssen, belasten aber in der Regel nicht nur den Arbeitsmarkt erheblich, sondern es treten auch für die betroffenen Arbeitnehmer selbst beträchtliche Nachteile auf, die durch einen Sozialplan gemildert werden können.3
519
Hierfür gelten die Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG, die die Beteiligung des Betriebsrates bei geplanten Betriebsänderungen mit wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft oder für einen erheblichen Teil der Belegschaft vorsehen. Der Unternehmer hat den Betriebsrat über die Planungen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und sie mit ihm zu beraten. Er ist verpflichtet, zu versuchen, einen Interessenausgleich über die vorgesehenen Maßnahmen herbeizuführen. Außerdem hat er für die betroffenen Arbeitnehmer einen Sozialplan zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.
520
Als Anhaltspunkt, ob ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer betroffen ist, dienen die Zahlen und Prozentsätze des § 17 Abs. 1 KSchG, jedoch ohne den dort vorgegebenen Zeitraum von 30 Kalendertagen.4
521
Besteht die geplante Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, ohne dass zugleich eine der als Betriebsänderung definierten technischen oder betriebsorganisatorischen Änderungen realisiert werden soll, werden durch § 112a BetrVG die im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Sozialplans vorgesehenen Maßnahmen einge1 2 3 4
BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761. APS/Moll, § 17 KSchG Rz. 29. Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 4. BAG v. 22.1.1980 – 1 ABR 28/78, DB 1980, 1402.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 524 Teil 2
schränkt. Diese Einschränkung gilt nicht auch für die Verpflichtung zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs, für den es vielmehr auch im Anwendungsbereich des § 112a BetrVG nur auf die Realisierung der Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG ankommt.1 Gemäß § 112a BetrVG gilt die nach § 112 Abs. 4 und Abs. 5 BetrVG vorgesehene Regelung, dass die Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplanes entscheidet, wenn sich Unternehmer und Betriebsrat nicht freiwillig über einen Sozialplan einigen können, nur dann, wenn 1. in Betrieben mit in der Regel weniger als 60 Arbeitnehmern 20 vom Hundert der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens 6 Arbeitnehmer, 2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 250 Arbeitnehmern 20 vom Hundert der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder mindestens 37 Arbeitnehmer, 3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 250 und weniger als 500 Arbeitnehmern 15 vom Hundert der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder mindestens 60 Arbeitnehmer, 4. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens 60 Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollen. Die Staffelung der Zahlen und Prozentsätze des § 112a BetrVG richtet sich damit ebenfalls nach den Werten des § 17 KSchG, jedoch ohne Anwendung des 30-Kalendertage-Zeitraums. Die dort vorgegebenen Grenzen sind aber in unterschiedlicher Weise höher gelegt worden. Die 1. Staffel schließt alle Betriebe mit weniger als 60 Arbeitnehmern ein, also auch die, die bis zu 20 Arbeitnehmer haben. Damit wird erreicht, dass auch größerer Unternehmen mit zahlreichen kleinen Betrieben (bis zu 20 Arbeitnehmer) nach wie vor von der Sozialplanpflicht bei reinem Personalabbau erfasst werden. Betriebe mit bis zu 5 Arbeitnehmern liegen unter dem Mindestwert der 1. Stufe und sind daher von der Regelung des § 112a BetrVG nicht betroffen.2
522
Wird der Personalabbau stufenweise durchgeführt, so ist gem. § 112a BetrVG für die Erreichung der Schwellenwerte von einer einheitlichen Betriebsänderung auszugehen, wenn sich alle Entlassungen als Umsetzung einer auf demselben Planungssachverhalt beruhenden Unternehmensentscheidung darstellen.3
523
Bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahlen sind gem. § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur die Arbeitnehmer zu erfassen, die aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollen. Dazu zählen gem. Satz 2 auch das vom Arbeitgeber veranlasste Ausscheiden eines Arbeitnehmers aufgrund eines Aufhebungsvertrages sowie die von ihm veranlassten Eigenkündigungen.4 Nicht gezählt wer-
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1 2 3 4
Vgl. HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 2. Löwisch/Kaiser, § 112a Rz. 1. LAG Düsseldorf v. 20.3.1996 – 12 (8) (6) Sa, DB 1996, 2498. BAG v. 23.8.1988 – 1 AZR 276/87, NZA 1989, 31; v. 4.7.1989 – 1 ABR 35/88, DB 1990, 485.
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Teil 2 Rz. 525
Betriebsbedingte Kündigung
den im Unterschied zu § 17 KSchG Arbeitnehmer, denen aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen gekündigt werden soll. 525
Beschränkt sich die geplante Betriebsänderung nicht nur auf Personalabbau, sondern werden gleichzeitig auch Betriebsmittel außer Dienst genommen (z.B. Verkauf von wichtigen Maschinen) ist § 112a BetrVG nicht anzuwenden.1 Es gelten dann wieder die Zahlen und Prozentsätze des § 17 KSchG.
526
" Praxistipp: Nach § 112a Abs. 2 BetrVG sind auch in einem neugegründeten
Unternehmen in den ersten vier Jahren seiner Gründung Sozialpläne nicht gem. § 112 Abs. 4, Abs. 5 BetrVG erzwingbar. Voraussetzung für diese Ausnahmereglung ist ausschließlich, dass das Unternehmen noch nicht länger als vier Jahre besteht. Art und Umfang der Betriebsänderung sind nicht entscheidend. Dieses Neugründungsprivileg soll nach der Rechtsprechung auch gelten, wenn ein neu gegründetes Unternehmen einen „alten“ Betrieb eines schon länger bestehenden Unternehmens nach § 613a BGB erwirbt und fortführt.2 Diese an dem Wortlaut der Norm des § 112a Abs. 2 BetrVG anknüpfende Rechtsprechung ist sozialpolitisch verfehlt, da die Unkalkulierbarkeit des Unternehmerrisikos einer Neugründung bei einer solchen Übernahme eines durchkalkulierten „alten“ Betriebes nicht gegeben ist.3
3. Das Verfahren zur Herbeiführung von Interessenausgleich und Sozialplan a) Phase freier Verhandlungen mit dem Betriebsrat 527
Gem. § 111 Satz 1 BetrVG hat in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern der Unternehmer den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. In Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern kann der Betriebsrat zu diesen Gesprächen gem. § 111 Satz 2 BetrVG zu seiner Beratung einen Berater ohne vorherige Zustimmung durch den Unternehmer hinzuziehen. Bei Unternehmen, die die Zahl von 300 Arbeitnehmern nicht erreichen, kann der Betriebsrat nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber einen Sachverständigen hinzuziehen.
528
Als Themen der Verhandlungen gibt § 112 BetrVG das Zustandekommen eines Interessenausgleichs sowie die Erstellung eines Sozialplans vor.
529
Dabei ist zu unterscheiden, dass der Unternehmer einen Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung mit dem Betriebsrat nur zu versuchen hat, 1 Löwisch/Kaiser, § 112a Rz. 5. 2 BAG v. 27.6.2005 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106; v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, AP Nr. 110 zu § 112 BetrVG 1972; v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94 und 10 ABR 23/94, AP Nr. 7 und AP Nr. 8 zu § 112a BetrVG 1972; v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88, AP zu § 112a BetrVG 1972; zustimmend HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 7 m.w.N. 3 Gegen die BAG-Rechtsprechung auch DKK/Däubler, §§ 112, 112a Rz. 35, der den Grundgedanken des § 613a BGFB verletzt sieht, weil den betroffenen Beschäftigten die Aussicht auf einen Sozialplan genommen wird.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 531 Teil 2
den Sozialplan aber – bei Nichteinigung durch Entscheidung der Einigungsstelle – vereinbaren muss. Beide Verfahren – Interessenausgleich und Erstellung des Sozialplans – laufen häufig parallel, da sie in einem systematischen Zusammenhang stehen.1 In der Regel ist die im Interessenausgleich festgelegte Betriebsänderung die Grundlage des Sozialplans. Aufgabe eines Interessenausgleichs ist es, die Interessen des Arbeitgebers und des Betriebsrats durch Regelung von „ob“ und „wie“ der geplanten Betriebsänderung in Einklang zu bringen. Dabei sollen Nachteile für die Arbeitnehmer in einem angemessenen Ausgleich mit den wirtschaftlichen Erfordernissen vermieden oder gemildert werden. Der Arbeitgeber wird in den Verhandlungen auf einer möglichst kostengünstige Realisierung der Betriebsänderung bestehen, die Gegenstand des Verfahrens nach §§ 111, 112 BetrVG ist. Der Betriebsrat wird auf eine Erhaltung der Arbeitsplätze, eine Verdienstsicherung und eine menschengerechte Arbeitsgestaltung dringen.2 Wird von den Verhandlungspartnern ein Interessenausgleich erreicht, ist er gem. § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und Betriebsrat zu unterzeichnen.
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Gem. § 112 Abs. 1 BetrVG ist der Sozialplan eine Einigung über den Ausgleich und die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderungen entstehen. Die Betriebspartner sind bei der Aufstellung des Plans unter Beachtung von Recht und Billigkeit (insbesondere Gleichbehandlungsgrundsatz und § 75 BetrVG) frei, darüber zu entscheiden, welche Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer sie in welchem Umfang ausgleichen oder mildern wollen. So kann in einem Sozialplan vorgesehen werden, dass ausscheidenden Arbeitnehmern eine Abfindung gezahlt werden muss, deren Höhe sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass unter Betriebszugehörigkeit nach allgemeinem Sprachgebrauch und der Rechtsterminologie der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist. Der Begriff verlangt, dass der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit dem Betrieb des Arbeitgebers angehörte. Das schließt die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber bei der Festlegung der Höhe der Abfindung aus. Auch – frühere – Beschäftigungszeiten beim selben Arbeitgeber sind bei der Berechnung der Abfindung dann nicht zu berücksichtigen, wenn zwischen ihnen und dem letzten Arbeitsverhältnis kein enger sachlicher Zusammenhang besteht.3 Des Weiteren sind Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Aufstellung von Sozialplänen nicht wie die Einigungsstelle an die Voraussetzungen des § 112 Abs. 5 BetrVG gebunden.4 Zweck des Sozialplans ist es, durch Entschädigungen für Nachteile aus Anlass der Betriebsänderung den betroffenen Arbeitnehmern die notwendige Umstellung zu erleichtern. Der Sozialplan hat daher eine Überbrückungs- und Vorsorgefunktion.5 Bietet der Arbeitgeber Arbeitnehmern in ei-
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1 2 3 4 5
BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, DM 1982, 1727. Vgl. Fitting, §§ 112, 112a Rz. 19 f. BAG v. 13.3.2007 – 1 AZR 262/06, NZA 2008, 190. BAG v. 11.8.1993 – 10 AZR 558/92, NZA 1994, 139. St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07; 13.3.2007 – 1 AZR 262/06, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 183 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 22; 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – BAGE 103, 321, zu III 1 der Gründe.
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Teil 2 Rz. 531
Betriebsbedingte Kündigung
nem wirksam vereinbarten Sozialplan das freiwillige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gegen Abfindungszahlung an, stellt es keine unzulässige Benachteiligung dar, wenn er Teilzeitbeschäftigten nur eine Abfindung nach dem Grundsatz „pro rata temporis“ (§ 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG) zusagt.1 Zu beachten ist jedoch, dass Abfindungsansprüche nicht nur der Höhe nach variiert werden können, sondern im Sozialplan auch wirksam ausgeschlossen werden können. Nach der Rechtsprechung des BAG ist es grundsätzlich weder unzulässig, in einem betrieblichen Sozialplan Abfindungsansprüche für den Fall auszuschließen, dass das Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen Betriebs- oder Betriebsteilerwerber übergeht, noch Mitarbeiter von Sozialplanansprüchen auszuschließen, die das Arbeitsverhältnis auf einen Betriebsoder Betriebsteilerwerber – ohne anerkennenswerte Gründe – durch Widerspruch verhindern.2 Sozialplanansprüche können auch durch Tarifverträge mit sozialplanähnlichen Inhalten festgelegt werden. Die Befugnis hierzu wird durch §§ 111, 112 BetrVG nicht eingeschränkt. Ist in einem tariflichen Sozialplan geregelt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung dann entfällt, wenn der gekündigte Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage gem. § 4 Satz 1 KSchG erhebt und weist der Arbeitgeber hierauf vorher hin, so verstößt der Abfindungsausschluss weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen § 612a BGB.3 Zulässig ist auch eine Höchstbegrenzung der mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigenden Sozialplanabfindung. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG und stellt keine altersmäßige Benachteiligung nach dem AGG dar. Durch eine Höchstbetragsklausel, die ihrerseits nicht nach dem Alter differenziert, werden Arbeitnehmer wegen ihres Lebensalters unmittelbar weder bevorzugt noch benachteiligt. Es liegt auch keine mittelbare Altersdiskriminierung vor. Dies gilt auch dann, wenn von der in einem Sozialplan vorgesehenen Höchstbegrenzung der Abfindung typischerweise mehr ältere als jüngere Arbeitnehmer betroffen sind.4 Ebenso wenig ist es mit Blick auf das AGG zu beanstanden, wenn in einem Sozialplan die Reduzierung oder gar der völlige Ausschluss von Leistungen bei den Arbeitnehmern vereinbart wird, die vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen können. Die damit verbundene unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist durch § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gedeckt.5 Die Verpflichtung zur Aufstellung eines Sozialplanes besteht im Übrigen unabhängig davon, ob der Unternehmer einen Interessenausgleich mit dem Betriebs1 2 3 4
BAG v. 13.2.2007 – 9 AZR 729/05, NZA 2007, 860. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 448/05, NZA 2008, 425. BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, NZA 2007, 821. Wie schon die Rspr. vor Einführung des AGG vgl. BAG v. 2.10.2007 – 1 AZN 793/07, DB 2008, 69; LAG Köln v. 7.11.2007 – 3 Sa 203/07; in der Literatur werden solche Klauseln zumindest als nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG als gerechtfertigt angesehen, vgl. Däubler/ Bertzbach/Broers, § 10 AGG Rz. 135; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 24; Bauer/Göpfert/Krieger, § 10 AGG Rz. 54. 5 BAG v. 26.5.2009 – 1 AZR 198/08, NZA 2009, 849; v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495(n.v.); v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210; v. 30.9.2008 – 1 AZR 684/07, NZA 2009, 386; ebenso Thüsing, AGG Rz. 450; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 24.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 537 Teil 2
rat versucht oder erreicht hat. Sie besteht auch noch nach Durchführung der Betriebsänderung.1 Kommt eine Einigung über den Sozialplan zustande, so ist der Sozialplan wie der Interessenausgleich gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und Betriebsrat zu unterschreiben. b) Anrufung und Einrichtung der Einigungsstelle Kommt bei den Verhandlungen über einen Interessenausgleich bzgl. der geplanten Betriebsänderung oder über den Sozialplan keine Einigung zustande, die schriftlich niedergelegt und sowohl vom Unternehmer als auch vom Betriebsrat unterschrieben worden ist, so können Unternehmer oder Betriebsrat gem. § 112 Abs. 2 BetrVG den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen.
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" Praxistipp: Die Einschaltung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit ist
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freiwillig und keine Bedingung für das Verfahren bei der Einigungsstelle.2 Auch die Seite, die nicht um Vermittlung gebeten hat, ist gehalten, sich an dem Vermittlungsversuch zu beteiligen.3 Das Vermittlungsgesuch an die Bundesagentur ist daher geeignet, eine taktische Verzögerung des Verfahrens herbeizuführen.
Wird der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit nicht eingeschaltet oder bleibt sein Vermittlungsversuch erfolglos, können Unternehmer und Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Einrichtung und Organisation der Einigungsstelle werden durch § 76 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG festgelegt. Sie ist bei Bedarf zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat zu bilden. Durch Betriebsvereinbarung kann auch eine ständige Einigungsstelle vereinbart werden.
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Gem. § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG wird die Einigungsstelle in den Fällen, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt auf Antrag einer Seite tätig. Im Übrigen wird die Einigungsstelle nach Abs. 6 nur tätig, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind. Dann ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im Voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben.
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Die Einigungsstelle setzt sich aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern des Arbeitgebers und des Betriebsrats und einem unparteiischen Vorsitzenden zusammen. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen sich auf die Person des Vorsitzenden sowie auf die Zahl der Beisitzer einigen.
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Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht zustande, so bestellt ihn gem. §§ 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, 98 ArbGG auf Antrag einer Seite das
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1 BAG v. 15.10.1979 – 1 ABR 49/77, DB 1980, 550. 2 Hess in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, § 112 Rz. 152; Fitting, §§ 112, 112a Rz. 29. 3 GK-BetrVG/Fabricius, § 112 BetrVG Rz. 130.
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Teil 2 Rz. 538
Betriebsbedingte Kündigung
Arbeitsgericht. Dieses entscheidet auch, wenn kein Einverständnis über die Zahl der Beisitzer erzielt wird, §§ 76 Abs. 2 Satz 3 BetrVG, 98 ArbGG. Sobald der Beschluss des Arbeitsgerichts in diesem Fall rechtskräftig ist, ist die Einigungsstelle eingerichtet und hat ihre Tätigkeit unverzüglich aufzunehmen, was in der Regel einen Beginn der Beratungen nach spätestens zwei Wochen erfordert.1 538
Wird die Zuständigkeit der Einigungsstelle bestritten, so z.B. wenn vorgetragen wird, eine Angelegenheit unterliege nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 BetrVG, so braucht die Einigungsstelle nicht das Verfahren einzustellen oder auszusetzen, bis das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren entschieden hat, sondern sie kann in der Sache selbst entscheiden, wenn sie die Zuständigkeit für gegeben hält. Sie hat also die Vorfragenkompetenz. Jede Seite kann aber während des Einigungsverfahrens das Arbeitsgericht anrufen, um im Beschlussverfahren klären zu lassen, ob die Einigungsstelle zuständig ist.2 Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle i.S.v. § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist im Rahmen des erzwingbaren Einigungsverfahrens nur gegeben, wenn unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Zuständigkeit der Einigungsstelle als möglich erscheint, weil sich die beizulegende Streitigkeit erkennbar nicht unter einen Mitbestimmungstatbestand fassen lässt.3 Es genügt nicht, dass das Mitbestimmungsrecht nach Einschätzung des erkennenden Gerichts nicht besteht, sondern es ist erforderlich, dass es nicht bestehen kann. Der Prüfungsmaßstab der Offensichtlichkeit, den § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG beinhaltet, ist nicht auf die Frage begrenzt, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht. Wie der derzeitigen Fristenregelung in § 98 Abs. 1 Satz 5 ArbGG zu entnehmen ist, umfasst der Maßstab auch solche Fragen, die sich im weitesten Sinne als Vorfragen der Zuständigkeit der Einigungsstelle erweisen.4 Selbst bei einer kompletten Übertragung eines Betriebes und einer damit verbundenen Aufgabe der betrieblichen Organisation durch den Betriebsveräußerer, wodurch eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG ausscheidet, kann ein Mitbestimmungsrecht des antragstellenden Betriebsrates nicht als undenkbar und offensichtlich nicht bestehend verneint werden. Wenn § 613a Abs. 6 BGB nunmehr ausdrücklich ein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers anerkennt, so scheidet nicht offensichtlich die Pflicht des alten Betriebsinhabers aus, für widersprechende Arbeitnehmer ggf. nach den §§ 111 ff. BetrVG angesichts des Widerspruchs einer Vielzahl von Arbeitnehmern einen Sozialplan aufstellen zu müssen, dessen Abschluss auch Regelungsgegenstand einer Einigungsstelle sein kann.5
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Die Kosten der Einigungsstelle trägt gem. § 76a BetrVG der Arbeitgeber.
1 Vgl. Mues, Neue Geschwindigkeit für die Einigungsstelle – die Unverzügglichkeit des Tätigwerdens, ArbRB 2002, 371. 2 BAG v. 3.4.1979 – 6 ABR 29/77, DB 1979, 2186. 3 LAG Rheinland-Pfalz v. 23.8.2005 – 2 TaBV 40/05, EzA-SD 2005, Nr. 21, 15. 4 Schwab/Weth/Walker, ArbGG, 2. Auflage 2007, § 98 Rz. 36 m.w.N. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 23.8.2005 – 2 TaBV 40/05, EzA-SD 2005, Nr. 21, 15.
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Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 545 Teil 2
c) Einigungsstellenverfahren Die Einigungsstelle fasst nach § 76 Abs. 3 BetrVG ihre Beschlüsse nach mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit. Bei der Beschlussfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten. Kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, so nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der erneuten Beschlussfassung teil. Benennt der Unternehmer oder der Betriebsrat keine Mitglieder oder bleiben die von einer Seite genannten Mitglieder trotz rechtzeitiger Einladung der Sitzung fern, so entscheiden gem. § 76 Abs. 5 Satz 2 BetrVG der Vorsitzende und die erschienenen Mitglieder nach Maßgabe des Abs. 3.
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Die Einigungsstelle fasst nach§ 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen. Die Überschreitung der Grenzen des Ermessens kann nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Zuleitung des Beschlusses an gerechnet, beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden.
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Die Beschlüsse der Einigungsstelle sind schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten.
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Bei den Beratungen sollen nach § 112 Abs. 3 BetrVG Unternehmer und Betriebsrat der Einigungsstelle Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über den Interessenausgleich und den Sozialplan machen. Eine bloße Ablehnung der Maßnahmen des Unternehmers durch den Betriebsrat z.B. ist nicht förderlich. Dieser hat vielmehr seine Gründe darzulegen und konstruktive Vorschläge zur Überbrückung der Unterschiede zu machen. Aufgabe der Einigungsstelle ist es gem. § 112 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, eine Einigung der Parteien zu versuchen. So hat sie insbesondere einen sachlichen Gedankenaustausch zwischen den beiden Seiten herzustellen, um Missverständnisse und Streitpunkte auszuräumen. Zur Klärung von Sachverhalten kann die Einigungsstelle von jeder Seite auch entsprechende Unterlagen anfordern.
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Erreichen die Parteien von sich aus eine Einigung, so ist sie nach § 112 Abs. 3 Satz 3 BetrVG schriftlich niederzulegen und von den Parteien und vom Vorsitzenden der Einigungsstelle zu unterschreiben. Wird sowohl über den Interessenausgleich als auch über den Sozialplan eine Einigung erzielt, ist es wegen der unterschiedlichen Gegebenheiten und rechtlichen Auswirkungen zweckmäßig, getrennte Urkunden auszufertigen.1
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Wird von den Parteien vor der Einigungsstelle kein Interessenausgleich erreicht, so hat dies der Vorsitzende der Einigungsstelle festzustellen.2 Der Interessenausgleich ist dann gescheitert. Der Unternehmer kann dann die von ihm geplante Maßnahme durchführen. Ein evtl. Spruch der Einigungsstelle über einen Interessenausgleich ist unverbindlich.3
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1 Die Niederlegung in einer Urkunde ist allerdings ebenfalls möglich, vgl. Fitting, §§ 112, 112a Rz. 27. 2 LAG Düsseldorf v. 14.11.1983 – 12 TaBV 88/83, DB 1984, 511. 3 BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 23/91, NZA 1992, 227.
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Teil 2 Rz. 546
Betriebsbedingte Kündigung
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Erreichen die Betriebspartner aus eigenem Willen selbst mit Hilfe der Einigungsstelle keine Einigung über den Sozialplan, so entscheidet gem. § 112 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Einigungsstelle hat bei ihrer Entscheidung sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Sie hat sich dabei im Rahmen billigen Ermessens von den im § 112 Abs. 5 Nr. 1–3 BetrVG vorgegebenen Grundsätzen leiten zu lassen.
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§ 112a BetrVG schränkt die nach § 112 Abs. 4 und Abs. 5 BetrVG vorgesehene Entscheidung der Einigungsstelle über die Aufstellung des Sozialplans ein. Sie gilt nur, wenn die geplante Betriebsänderung allein in Entlassungen von Arbeitnehmern besteht und die unter § 112a Ab. 1 Satz 1 Nr. 1–4 BetrVG angegebenen Entlassungszahlen erreicht werden. Außerdem gilt sie nicht in Betrieben eines Unternehmers in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung (Einzelheiten siehe oben unter Rz. 517 ff.). d) Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen
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Gem. § 113 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG können Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen, weil der Unternehmer von einem Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht, und sie infolge dieser Abweichung entlassen werden. Erleidet ein Arbeitnehmer infolge einer Abweichung nach Absatz 1 andere wirtschaftliche Nachteile, so hat der Unternehmer ebenfalls diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen.
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Diese Regelungen gelten nach § 113 Abs. 3 BetrVG auch, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchgeführt hat, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder anderer wirtschaftliche Nachteile erleiden.
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Mit den Regelungen nach Abs. 1 und Abs. 2 soll ein vereinbarter Interessenausgleich geschützt werden. Es soll vermieden werden, dass ohne zwingenden Grund von der festgesetzten Betriebsänderung abgewichen wird. Anders ausgedrückt, kann der Unternehmer die Geltendmachung von Nachteilsausgleichsansprüchen bei Abweichung von einem Interessenausgleich nur vermeiden, wenn die Abweichung durch zwingende Gründe gerechtfertigt ist.
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Der Unternehmer ist bei Abweichungen darlegungs- und beweispflichtig. Nicht zwingend im Sinne des § 113 Abs. 1 BetrVG sind die zur Betriebsänderung selbst führenden Gründe, da diese bereits beim Interessenausgleich berücksichtigt worden sind. Zwingend sind daher nur nachträglich entstandene oder nachträglich erkennbar gewordene Umstände, die die Betriebspartner, wären sie bei Abschluss des Interessenausgleichs bekannt gewesen, berücksichtigt hätten. Die Gründe für die Abweichung können z.B. rechtlicher, wirtschaftlicher, arbeitstechnischer oder organisatorischer Art sein. So können z.B. plötzlich auf428
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 555 Teil 2
tretender Rohstoffmangel, Kreditschwierigkeiten, gesetzgeberische Maßnahmen, behördliche Anordnungen, Absatzkrisen, Einfuhrbeschränkungen, Störungen der Betreibseinrichtungen ebenso wie Wettbewerbsrücksichten oder nachträgliche Veränderungen der Marktlage den Unternehmer zwingen, vom Interessenausgleich abzuweichen.1 Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer sind dann nicht gegeben.
" Praxistipp: § 113 Abs. 3 BetrVG dient dem Schutz des Verhandlungs-
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Der Unternehmer muss also mit der Geltendmachung von Ansprüchen auf Nachteilsausgleich durch seine Arbeitnehmer rechnen, wenn er im Zusammenhang mit dem Interessenausgleich das Einigungsverfahren – einschließlich des Verfahrens vor der Einigungsstelle – nicht voll ausschöpft.2
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anspruchs des Betriebsrats zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs und beinhaltet eine finanziell nicht abschließend kalkulierbare Bestrafung des Arbeitgebers, der sich nicht hinreichend um die Herbeiführung eines Interessenausgleichs bemüht hat. Im Fall des Abs. 3 wird die vom Unternehmer ohne versuchten Interessenausgleich durchgeführte Betriebsänderung nicht unwirksam. Sie bewirkt nur, dass die Arbeitnehmer, die infolge dieser Maßnahme entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden, Nachteilsausgleichsansprüche erwerben.
4. Anzeige an die Agentur für Arbeit gem. § 17 KSchG Der Arbeitgeber hat gem. § 17 KSchG der Agentur für Arbeit Entlassungen anzuzeigen, wenn die dort vorgegebenen Voraussetzungen hinsichtlich Betriebsbegriff, Arbeitnehmerbegriff, Entlassungszahl, Verhältnis der Entlassungen zur Betriebsgröße und Entlassungszeitraum gegeben sind (Einzelheiten hierzu siehe unter Rz. 480 ff.).
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a) Form und Inhalt der Anzeige aa) Form Die Anzeige muss nach § 17 Abs. 1 KSchG vom Arbeitgeber erstattet werden. Er kann dies aber auch einem Bevollmächtigten, wie z.B. einem Prokuristen oder Rechtsanwalt übertragen.3 Auch wenn der Arbeitgeber von einem herrschenden Unternehmen abhängig ist, ist er nach wie vor zur Abgabe der Anzeige verpflichtet und kann sich nicht darauf berufen, dass ihm das verantwortliche Unternehmen die erforderlichen Auskünfte nicht übermittelt hat.4 Bei einem Betriebsübergang behält die abgegebene Anzeige ihre Wirksamkeit. Im Insolvenzfall ist der Insolvenzverwalter zur Anzeige verpflichtet. Nicht zur Anzeige berechtigt sind Dritte, wie z.B. der Betriebsrat. Gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 ist die Anzeige schriftlich zu erstatten und vom Anzeigenden eigenhändig zu unter1 2 3 4
Löwisch/Kaiser, § 113 Rz. 3. BAG v. 18.12.1984, AP Nr. 11 zu L§ 113 BetrVG 1972. BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 683/85, RzK I 8b Nr. 8 unter I.6. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 17 Rz. 80.
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Teil 2 Rz. 556
Betriebsbedingte Kündigung
zeichnen. Zulässig sind ferner Anzeigen durch Telebrief/Telefax1 und gem. § 126 Abs. 3 BGB auch Anzeigen mittels elektronischer Übermittlungsformen, wie z.B. E-mails. Mündliche Anzeigen sind unwirksam. 556
Die Anzeige ist an die Agentur für Arbeit zu richten, in deren Bezirk der Betrieb liegt. Entscheidend ist der Betrieb und nicht etwa ein ggf. abweichender Sitz des Unternehmens. Eine an eine nicht zuständige Agentur für Arbeit übersandte Anzeige ist unwirksam und bewirkt nicht den Lauf der Sperrfrist. Erst nach Weiterleitung an die örtlich zuständige Agentur für Arbeit kann die Anzeige wirksam werden.2
557
Gem. § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG hat der Arbeitgeber eine Abschrift der Anzeige dem Betriebsrat zuzuleiten. Damit ist dem Betriebsrat möglich, festzustellen, in welchem Ausmaß der Arbeitgeber seine Forderungen und Vorschläge in der Anzeige an die Agentur für Arbeit aufgenommen hat.3 bb) Inhalt der Anzeige
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Der Inhalt der Anzeige wird im § 17 Abs. 3 Satz 4 (Muss-Inhalt) und Satz 5 (Soll-Inhalt) festgelegt.
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Nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG müssen der Name des Arbeitgebers, der Sitz und die Art des Betriebes, die Gründe für die geplante Entlassung, die Zahl und die Berufsgruppe der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer angegeben werden. Diese Aufzählung ist abschließend und zwingend.4 Sinn der Angaben ist es, der Agentur für Arbeit einen umfassenden Überblick zu geben, damit sie rechtzeitig entsprechende Maßnahmen zur Verhinderung der Massenentlassungen oder zur schnelleren Unterbringung der betroffenen Arbeitnehmer durchführen kann. Außerdem werden die Angaben für die Entscheidung der Agentur für Arbeit über eine Abkürzung oder Verlängerung der Sperrfrist benötigt.5
" Praxistipp: Die Bundesagentur für Arbeit verlangt die Verwendung des von
ihr auch im Internet zur Verfügung gestellten Formulars „Anlage 2 zur Anzeige von Entlassungen gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz“ als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Anzeige. Dies bezieht sich auf die Angaben zu den dort aufgelisteten 99 Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer.
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Fehlt auch nur eine der Angaben des Abs. 3 Satz 4 ist die Anzeige unwirksam. Erst durch das Nachreichen der entsprechenden Angaben durch den Arbeitgeber wird die Anzeige wirksam und die Sperrfrist beginnt zu laufen.6
1 2 3 4 5 6
BAG v. 24.9.1986 – 7 AZR 669/84, NZA 1987, 106. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 74; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 17 Rz. 82. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 25. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 28. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 82. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 83.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 564 Teil 2
Nach Abs. 3 Satz 5 sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Es reicht aus, diese Angaben gruppenbezogen zusammen zustellen.1 Der Agentur für Arbeit wird dadurch die Einleitung individueller Maßnahmen ermöglicht. Problematisch sind diese Angaben jedoch besonders in mittleren und kleinen Betrieben, weil dadurch u.U. die zu entlassenden Arbeitnehmer personenmäßig festgelegt und die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auf diese Weise belastet werden. Die Angaben sind daher vom Gesetzgeber nur als Soll-Inhalt festgelegt worden und sie sollen nur gemacht werden, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat übereinstimmen, ob sie überhaupt gemacht werden und ggf. welchen Inhalt sie enthalten sollen.2 Der Arbeitgeber kann allerdings diese Angaben auch ohne Einvernehmen mit dem Betriebsrat in die Anzeige aufnehmen. Der Betriebsrat wird in diesem Fall durch die ihm gem. Abs. 3 Satz 6 vom Arbeitgeber zuzuleitende Abschrift der Anzeige informiert.3
561
Ein Fehlen der Soll-Angaben macht die Anzeige nicht unwirksam. Gem. § 20 Abs. 3 KSchG kann die Agentur für Arbeit allerdings Auskünfte, die sie zur Beurteilung des Falles für erforderlich hält, vom Arbeitgeber und Betriebsrat nachfordern.
562
Der Arbeitgeber ist an die von ihm gem. § 17 Abs. 3 Satz 4 und 5 KSchG gemachten Angaben gebunden. Hat er in seiner Anzeige z.B. nur eine bestimmte Art von Arbeitnehmern zur Entlassung angemeldet, so darf er andere Arten von Arbeitnehmern nicht in die Massenentlassung einbeziehen. Die Agentur für Arbeit soll durch diese Regelung davor bewahrt werden, ihre Maßnahmen in die falsche Richtung zu lenken. Durch einen entsprechenden Vorbehalt in der Anzeige kann der Arbeitnehmer diese Festlegung umgehen.4
563
b) Stellungnahme des Betriebsrats Ein unverzichtbarer Bestandteil der Anzeige und damit notwendig für ihre Wirksamkeit ist die Stellungnahme des Betriebsrats, dem der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtzeitig zweckdienstliche Auskünfte zu erteilen und den er schriftlich zu unterrichten hat, wenn er anzeigepflichtige Entlassungen vornehmen will.5 Auch nach der Entscheidung des EuGH6 vom 27.1. 2005 ist der Abschluss des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG vor Abgabe der Anzeige eine Wirksamkeitsvoraussetzung.
1 2 3 4
BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 683/85, RzK I 8b Nr. 8. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 17 Rz. 85 m.w.N. zum Gesetzgebungsverfahren. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 29. So BAG v. 6.10.1960 – 2 AZR 47/59, AP Nr. 7 zu § 15 KSchG; Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 56; KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 86 bezieht die Bindung nur auf die Sollangaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG. 5 BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761; Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 47. 6 Urteil v. 27.1.2005 – Rs C-188/03 (Irmtraud Junk), NZA 2005, 213 (= DB 2005, 453; EzA § 17 KSchG Nr. 13); siehe auch Rz. 600.
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564
Teil 2 Rz. 565
Betriebsbedingte Kündigung
565
Die Stellungnahme des Betriebsrats ist für die Agentur für Arbeit vor allem wichtig, wenn es über eine evtl. Abkürzung oder Verlängerung der Sperrfrist entscheiden muss. Der Betriebsrat kann auf diese Weise erheblichen Einfluss auf die Entscheidung der Agentur für Arbeit nehmen.
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Reicht der Arbeitgeber die Stellungnahme des Betriebsrats nachträglich ein, wird von diesem Zeitpunkt an die Anzeige wirksam und die Sperrfrist beginnt zu laufen.1 Das Nachreichen der Stellungnahme muss aber vor Ablauf der Kündigungsfrist geschehen sein, da die Anzeige an die Agentur für Arbeit grundsätzlich vor der Entlassung erstattet werden muss.2
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Gem. § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist die Anzeige auch wirksam, wenn eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vorliegt, der Arbeitgeber aber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat und er den Stand der Beratungen darlegt. Der Arbeitgeber muss daher einen Zeitraum von zwei Wochen zwischen der Unterrichtung des Betriebsrates über die vorgesehene Massenentlassung und der Abgabe der Anzeige an die Agentur für Arbeit verstreichen lassen, wenn der Betriebsrat nicht in der Zwischenzeit seine Stellungnahme abgegeben hat. Zweckmäßigerweise wird der Arbeitgeber daher den Betriebsrat möglichst frühzeitig über die vorgesehenen Entlassungen unterrichten, so dass er bei solchen Verzögerungen nicht in Zeitdruck hinsichtlich der zu beachtenden Sperrfrist und der Freifrist, in der die Entlassungen vorgenommen werden müssen, gerät. Mahnungen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat sieht § 17 KSchG nicht vor. Die Glaubhaftmachung wird im Regelfall mit einem „Doppel“ der Mitteilung an den Betriebsrat erreicht, ggf. aber auch durch eine eidesstattliche Erklärung.3
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Absicht dieser Regelung ist es, zu verhindern, dass der Betriebsrat durch Nichtabgabe einer Stellungnahme die Wirksamkeit der Anzeige verzögert. Außerdem erhalten damit die Entscheidungsträger für anzeigepflichtige Entlassungen (§ 20 Abs. 1 und Abs. 4 KSchG) die Möglichkeit, die Wirksamkeit einer Anzeige schnell und einfach festzustellen.4
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Übersendet der Betriebsrat seine Stellungnahme unmittelbar der Agentur für Arbeit, so wird die Anzeige erst mit dem Eingang bei der Agentur für Arbeit wirksam. Entsprechend beginnen auch die Fristen des § 18 KSchG zu laufen. Wichtig ist hier, dass es sich um die erste Stellungnahme des Betriebsrats nach seiner Unterrichtung durch den Arbeitgeber handelt und nicht um eine der weiteren Stellungnahmen i.S.d. § 17 Abs. 3 Satz 7 KSchG.5 Im Fall der unmittelbaren Übersendung der Stellungnahme des Betriebsrats hat der Arbeitgeber in seiner Anzeige gleichwohl den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG darzustellen. Fehlt diese Angabe, ist seine Anzeige nicht wirksam.6 1 2 3 4 5 6
Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 47; KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 92. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 92. Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 48. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 17 Rz. 90. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 91a. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 17 Rz. 92.
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Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 575 Teil 2
Eine gesonderte Stellungnahme des Betriebsrats muss nicht eingeholt werden, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen einer Massenentlassung einen Interessenausgleich vereinbart haben, in dem die Arbeitnehmer, denen zu kündigen ist, namentlich bezeichnet sind. Da in diesem Fall der Interessenausgleich gemäß § 1 Abs. 5 KSchG die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG grds. erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats ersetzt, reicht es aus, wenn der Arbeitgeber seiner Anzeige an die Agentur für Arbeit den Interessenausgleich beifügt (hierzu näher unter Rz. 629 ff.). Auch im Insolvenzfall wird bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs statt der Stellungnahme des Betriebsrates gem. § 125 Abs. 2 InsO lediglich ein Interessenausgleich mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer beigefügt.
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Ist in dem betreffenden Betrieb kein Betriebsrat vorhanden, so hat der Arbeitgeber die Agentur für Arbeit in seiner Anzeige darauf hinzuweisen. Das Beifügen einer Stellungnahme entfällt dann natürlich.
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c) Beteiligung des Betriebsrats Beabsichtigt der Arbeitgeber anzeigepflichtige Entlassungen nach § 17 Abs. 1 KSchG vorzunehmen, hat er gem. § 17 Abs. 2 KSchG den Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere über
572
1. 2. 3. 4. 5.
die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden soll, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und 6. die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien
zu unterrichten. Die Auskunftserteilung sowie die Unterrichtung hat hiernach durch den Arbeitgeber, also durch den Inhaber des Betriebes, den Vorstand oder den Geschäftsführer bei einer AG und GmbH zu erfolgen. Sie kann auch jeweils durch einen Bevollmächtigten vorgenommen werden.
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Diese Auskunfts- und Unterrichtungspflicht ist gem. § 17 Abs. 3a KSchG auch dann vom Arbeitgeber wahrzunehmen, wenn der Arbeitgeber von einem Unternehmen beherrscht wird. Keineswegs kann sich der Arbeitgeber darauf berufen, dass ihm das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen nicht die notwendigen Auskünfte übermittelt hat.1
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Der Betriebsrat ist schriftlich zu unterrichten. Eine mündliche Unterrichtung ist also nicht ausreichend. Beanstandet der Betriebsrat die mündliche Unterrichtungsform nicht und erstellt die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG der Anzeige des Arbeitgebers beizufügende Stellungnahme, so ergeben sich aus der mündli-
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1 MünchArbR/Berkowsky § 156 Rz. 39.
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Teil 2 Rz. 576
Betriebsbedingte Kündigung
chen Unterrichtung keine Konsequenzen. Die Wirksamkeit der Anzeige des Arbeitgebers wird nicht beeinträchtigt. 576
Hat der Betriebsrat vom Arbeitgeber nicht die erforderlichen Auskünfte erhalten und ist er auch nicht pflichtgemäß unterrichtet worden, so kann er nicht die gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG vorgegebene Stellungnahme zu den einzelnen Punkten abgeben. Die Stellungnahme des Betriebsrates ist jedoch Teil der Anzeige und damit Voraussetzung für ihre Wirksamkeit.1
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Die Auskunftserteilung und die Unterrichtung des Betriebsrats haben rechtzeitig zu erfolgen. § 17 KSchG gibt in diesem Zusammenhang keine Frist vor. Er legt jedoch in Abs. 3 Satz 3 fest, dass, wenn eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vorliegt, die Anzeige wirksam ist, wenn der Arbeitgeber deutlich macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Abs. 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratung darlegt. Danach muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat also mindestens zwei Wochen vor Absendung der Anzeige die zweckdienlichen Auskünfte erteilen und ihn entsprechend unterrichten. Nur so kann er eine wirksame Anzeige – also eine Anzeige mit einer beigefügten Stellungnahme des Betriebsrats oder eine Anzeige mit dem Nachweis, dass er den Betriebsrat rechtzeitig unterrichtet hat, dieser aber keine Stellungnahme abgegeben hat – erstatten.
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Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist ebenfalls eine rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrates vorgesehen.
579
Der Arbeitgeber kann durch die frühe Information Vorschläge und Bedenken des Betriebsrates rechtzeitig bei seiner Planung berücksichtigen und gerät nicht in Zeitdruck, wenn entsprechende Vorschläge erst bei den Beratungen gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG vorgetragen werden.
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Zuständig für die Entgegennahme der Auskünfte und der Unterrichtung ist gem. § 26 Abs. 2 BetrVG der Betriebsratsvorsitzende.
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Den Inhalt der Unterrichtung des Betriebsrats legt § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG in sechs Punkten fest.
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Bei der Beantwortung der einzelnen Punkte ist zu berücksichtigen, dass der Zweck des Verfahrens bei Massenentlassungen nicht der Schutz des einzelnen Arbeitnehmers ist.2
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In Punkt 1 sind die Gründe für die geplanten Entlassungen anzugeben. In der Regel werden dies die wirtschaftliche Lage sowie geplante unternehmerische oder betriebliche Maßnahmen sein, die eine Verringerung der Arbeitskräfte bewirken. Individuelle Kündigungsgründe sind nicht anzugeben.
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Unter Punkt 2 ist die Zahl der Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer und unter Punkt 3 die Zahl der Berufsgruppen der in der Regel beschäftigen Arbeitnehmer aufzuführen. Unter Berufsgruppen sind dabei nicht die einzelnen Ausbildungsberufe, sondern Tätigkeitsgruppen, innerhalb derer die Arbeitneh1 BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 683/85, RzK I 8b Nr. 8 unter I.3. 2 BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 683/85, RzK I 8b Nr. 8 unter I.4.a und b.
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Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 592 Teil 2
mer austauschbar sind, also z.B. Schlosser, Elektriker, Schreibkräfte, Verkäufer, Reinigungskräfte und Kantinenpersonal.1 Punkt 4 betrifft den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen. Hier sind die jeweiligen Entlassungstermine einzutragen.
585
In Punkt 5 sind die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer anzugeben. Dazu gehören fachliche, betriebliche, persönliche, aber auch soziale Gesichtspunkte, wie z.B. Lebensalter, Dauer der Betriebsangehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen.2
586
Punkt 6 betrifft die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Hier können ggf. Grundsätze, wie sie zur Abfindungsberechnung gem. § 10 KSchG entwickelt wurden, in Betracht kommen.3
587
Zugleich mit der Übersendung der schriftlichen Unterrichtung an den Betriebsrat hat der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG ein Doppel dieser Mitteilung an den Betriebsrat der Agentur für Arbeit zuzuleiten. Sie muss zumindest die ein Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Agentur für Arbeit kann sich daher sehr früh auf die Auswirkungen der Maßnahmen auf den Arbeitsmarkt einstellen und entsprechende Vorbereitungen treffen.
588
Zusätzlich zur Auskunfts- und Unterrichtungspflicht sieht § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG noch eine Beratungspflicht vor. Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Auch bei der Beratung ist zu berücksichtigen, dass der Zweck des Verfahrens bei Massenentlassungen nicht der Schutz des einzelnen Arbeitnehmers ist, sondern sich vielmehr auf die Gesamtheit der betroffenen Arbeitnehmer bezieht.4
589
" Praxistipp: Die Beratung hat gemäß der Formulierung des § 17 Abs. 2 Satz 2
590
Außerdem braucht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG bei der Beratung keine Übereinstimmung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erzielt werden. Der Arbeitgeber kann daher unabhängig vom Verlauf der Beratung selbst entscheiden, welche Schritte er unternehmen will.
591
Kommt der Arbeitgeber dieser Beratungspflicht nicht nach, so beeinflusst das nicht die Wirksamkeit der Anzeige. Die Unterlassung der Beratung kann die Agentur für Arbeit jedoch später bei Entscheidung nach §§ 18 ff. KSchG im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen.5
592
KSchG mit dem gesamten Betriebsrat oder ggf. nach §§ 27, 28 BetrVG mit dem entsprechenden Ausschuss zu erfolgen. Nicht ausreichend wäre deshalb eine Beratung mit einzelnen Betriebsratsmitgliedern.
1 2 3 4 5
Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 38. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 20; KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 62. KR/Weigand, § 17 KSchG Rz. 62. BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 683/85, RzK I 8b Nr. 8 unter I.4.a und b. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 22.
Mues
435
Teil 2 Rz. 593
Betriebsbedingte Kündigung
593
Aufgrund der Beratungsgespräche mit dem Arbeitgeber hat der Betriebsrat eine schriftliche Stellungnahme zu erstellen, die der Arbeitgeber zusammen mit der Anzeige über die Massenentlassungen der Agentur für Arbeit zuzuleiten hat. Die Stellungnahme des Betriebsrates ist eine wichtige Information für die Agentur für Arbeit zur Festlegung der Sperrfrist und für die Ergreifung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Sie sollte daher ausführlich auf die Folgen der Entlassungen, insbesondere auf die Folgen für die Arbeitnehmer, eingehen und nicht nur aus einer Zustimmung oder Ablehnung bestehen.
594
Eine weitere Mitwirkung des Betriebsrats besteht im Zusammenhang mit der Sollangabe gem. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG. Danach sollen in die Anzeige im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsanghörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Da es sich hier um eine Sollbestimmung handelt, treten keine rechtlichen Folgen wie z.B. Unwirksamkeit der Anzeige, auf, wenn die Bestimmung nicht beachtet wird. (Siehe ausführlich auch oben unter Rz. 558 ff.)
595
Nach § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat wird auf diese Weise darüber informiert, in wie weit der Arbeitgeber seine Vorschläge in die Anzeige eingebracht hat. Soweit er es für erforderlich hält, kann der Betriebsrat nach § 17 Abs. 3 Satz 7 KSchG weitere Stellungnahmen abgeben. Davon hat er nach Abs. 3 Satz 8 KSchG dem Arbeitgeber jeweils eine Abschrift zuzuleiten.
596
" Praxistipp: Die Beteiligungsrechte gem. § 17 Abs. 2 KSchG berühren an-
597
In Betrieben ohne Betriebsrat entfällt eine Beteiligung.
dere Mitwirkungsrechte des Betriebsrats wie §§ 92 Abs. 1, 102 Abs. 2 Satz 1, 106 Abs. 3 Nr. 6, 111 und 112 BetrVG oder gar das Anhörungsrecht nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht. Das Vorhandensein unterschiedlicher Mitwirkungsrechte bedeutet nicht, dass jeweils formell getrennte Mitwirkungsverfahren durchgeführt werden müssen. Wenn der Betriebsrat klar erkennbar mit den einzelnen Komplexen seiner Zuständigkeit befasst wird und ihm jeweils die dafür notwendigen Tatsachen mitgeteilt werden, kann der Arbeitgeber ein einheitliches Verfahren durchführen.1
d) Information der Agentur für Arbeit über die Unterrichtung des Betriebsrates 598
Gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG hat der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit gleichzeitig mit der Unterrichtung des Betriebsrates über die geplante Massenentlassung – also erheblich vor der Erstattung der Anzeige – eine Abschrift dieser Unterrichtung zuzuleiten. Sie muss zumindest die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 KSchG vorgeschriebenen Angaben enthalten. Hierdurch wird eine sehr frühe Information der Agentur für Arbeit erreicht.
599
Da § 17 KSchG in Abs. 3 Satz 2 und 3 ausdrücklich und abschließend festlegt, dass nur eine nicht beigefügte Stellungnahme des Betriebsrates grundsätzlich die Anzeige unwirksam macht, kann geschlossen werden, dass eine nicht über1 ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 24.
436
Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 600 Teil 2
sandte Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrates keine Rechtsfolgen hat. Die Wirksamkeit der späteren Anzeige wird daher nicht berührt.1 e) Zeitpunkt der Anzeige, Sperrfrist und Freifrist Die Anzeige ist gem. § 17 Abs. 1 KSchG vor der Entlassung der Arbeitnehmer, also vor den tatsächlichen Beendigungen der Arbeitsverhältnisse zu erstatten. Dies führt zu einer erheblichen zeitlichen Vorverlegung der vom Arbeitgeber im Zuge einer Massenentlassung zu erfüllenden Pflichten. Er muss bereits im Vorfeld der auszusprechenden Kündigungen tätig werden und die Agentur für Arbeit informieren. Umstritten ist in diesem Zusammenhang die Wirkung des § 18 Abs. 1 Halbs. 1 KSchG. Nach dieser Vorschrift werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit deren Zustimmung wirksam. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine Kündigung zwar schon vor Ablauf der Sperrfrist ausgesprochen werden kann, Rechtswirkung aber erst nach Ablauf der Sperrfrist entfalte. Folglich beginne die Kündigungsfrist erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen.2 Nach richtiger Ansicht, der sich nunmehr auch das BAG angeschlossen hat, stellt die Sperrfrist jedoch nur eine Art „Mindestkündigungsfrist“ dar. Die Kündigung kann mit gestaltender Wirkung unmittelbar nach der Massenentlassungsanzeige ausgesprochen werden. Sofern die Kündigungsfrist vor Ablauf der Sperrzeit endet, führt dies lediglich zu einer entsprechenden Verlängerung bis zum Ende der Sperrzeit.3 Für eine abweichende Auslegung des § 18 Abs. 1 KSchG – im Vergleich zu § 17 KSchG – spricht, dass man bei Verabschiedung des Kündigungsschutzgesetzes von einer abweichenden Situationsgrundlage ausging, nämlich von der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber dem Ausspruch der Kündigung als „Entlassung“. Auch Sinn und Zweck der Anzeigepflicht sprechen für eine derartige Auslegung. Hiernach soll die Anzeige bei der Agentur für Arbeit zum Schutze des Arbeitnehmers einen Zeitraum zur Vorbereitung der Vermittlung des Mitarbeiters auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Damit soll die Regelung einen Mindestzeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährleisten, nicht jedoch über diesen hinaus eine Verlängerung der Kündigungsfrist oder eine Verschiebung von deren Beginn. Dieses Verständnis entspricht auch den europarechtlichen Vorgaben. So betont der EuGH, dass nach Art. 4 Abs. 1 RL 98/59/EG die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen unberührt bleiben.4 Eine Addition von Sperr- und Kündigungsfrist wird vor diesem
1 APS/Moll, § 17 KSchG Rz. 93. 2 So LAG Berlin-Brandenburg v. 21.12.2007 – 6 Sa 1846/07; Ferme/Lipinksi, NZA 2006, 937; Küttner/Kreitner, Personalhandbuch 2007, Kap. 300, Rz. 27. 3 BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07; DZida/Hohenstatt, DB 2006, 1897; ErfK/Kiel, § 18 KSchG, Rz. 2; Ascheid/Kiel, § 18 KSchG, Rz. 33. 4 EuGH v. 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 212.
Mues
437
600
Teil 2 Rz. 601
Betriebsbedingte Kündigung
Hintergrund gerade nicht verlangt.1 § 18 Abs. 1 KSchG behält dadurch ausschließlich bei kurzen Kündigungsfristen einen Anwendungsbereich.2 601
Werden vom Arbeitgeber im Rahmen einer sich länger hinziehenden Betriebseinschränkung stufenweise Entlassungen vorgenommen, reicht eine Anzeige nicht aus, da nach § 17 Abs. 2 KSchG die angezeigten Kündigungen jeweils in einem Zeitraum von 30 Kalendertagen durchgeführt werden müssen. Es entsteht deshalb nach Ablauf von 30 Kalendertagen jeweils eine neue Anzeigepflicht. Dieser Zeitraum kann sich aber auf bis zu 3 Monate hinausschieben, wenn die Sperrfrist nach § 18 Abs. 2 KSchG verlängert worden ist und die Entlassungen anschließend innerhalb der Freifrist gem. § 18 Abs. 4 KSchG vollzogen werden.3
602
Die Anzeige kann vom Arbeitgeber vorsorglich erstattet werden, wenn er bei einer wirtschaftlich unsicheren Lage die Notwendigkeit von Entlassungen bzw. die Höhe der erforderlichen Entlassungen nicht sicher erkennen kann. Auch bei einer solchen vorsorglichen Anzeige beginnt die Sperrfrist gem. § 18 Abs. 1, 2 KSchG und damit die Freifrist gem. § 18 Abs. 4 KSchG zu laufen.4
603
Eine Anzeige kann jederzeit zurückgenommen werden. Die Wirkungen der Anzeige werden dadurch aufgehoben.5
604
Nach § 18 Abs. 1 Halbs. 1. KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Anzeige eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit deren Zustimmung wirksam. Diese Sperrfrist beginnt mit Eingang der Anzeige bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit unter der Voraussetzung, dass die Anzeige gem. § 17 KSchG wirksam ist. Die Berechnung der Sperrfrist ist gem. §§ 187 ff. BGB durchzuführen. Sie beginnt mit dem auf den Eingang der Anzeige folgenden Tag und endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des nächsten Monats, der durch seine Zahl dem Tage entspricht, an dem die Anzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Ist die Anzeige an eine unzuständige Agentur für Arbeit gesandt worden, fängt die Frist erst nach der Weiterleitung an die zuständige Agentur für Arbeit an zu laufen.6
605
Gem. § 18 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 2 KSchG kann die Agentur für Arbeit die vorgesehene normale Sperrfrist von einem Monat bis zum Tag der Antragstellung verkürzen oder bis zur längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige verlängern. Bestätigt die Agentur für Arbeit nur den Eingang der Anzeige des Arbeitgebers oder äußert sie sich gar nicht, endet die Sperrfrist nach Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit.7
606
" Praxistipp: Die Agentur für Arbeit kann den Entlassungen auch rückwir-
kend, ggf. sogar bis zum Tage der Antragstellung zustimmen. Ein entsprechender Antrag des Arbeitgebers zur Verkürzung der Sperrfrist wird in der
1 2 3 4 5 6 7
vgl. APS/Kiel, § 18 KSchG Rz. 33. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07; v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 33. Löwisch/Spinner, § 17 Rz. 53. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 34. KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 7. KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 9.
438
Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 611 Teil 2
Regel konkludent durch die Anzeige zur Massenentlassung ausgesprochen.1 Genehmigt die Agentur für Arbeit den Antrag, ohne ein entsprechendes Datum anzugeben, endet die Sperrfrist mit dem Tag der Bekanntgabe an den Arbeitgeber.2 Normalerweise teilt die Agentur für Arbeit ihre Entscheidung nur dem Arbeitgeber mit. Dieser muss dann den Arbeitnehmern, deren Kündigungsfristen bereits abgelaufen sind, in einer Erklärung eröffnen, dass die Agentur für Arbeit ihren Antrag auf rückwirkende Festsetzung der Sperrfrist zugestimmt hat und dass sie nunmehr rechtswirksam entlassen sind. Arbeitnehmern, die in der Sperrfrist vor Eingang der Entscheidung der Agentur für Arbeit bereits entlassen wurden, und die deshalb die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht hatten, ist die Entscheidung der Agentur für Arbeit auch mitzuteilen, damit sie wissen, dass der „Schwebezustand“ hinsichtlich der Wirksamkeit der Entlassung beendet ist.3
607
Die rückwirkende Zustimmung ist durch § 18 Abs. 1 Halbs. 2 KSchG auf den Tag der Antragstellung begrenzt. Sie kann notwendig werden, wenn die Ereignisse, die die Massenentlassungen bewirkt haben, unvorhersehbar waren, oder, wenn zunächst vorgenommene Entlassungen nachträglich unwirksam wurden, weil im nach § 17 Abs. 1 KSchG vorgegebenen Zeitraum von 30 Kalendertagen die Zahl der anzeigepflichtigen Entlassungen noch erreicht wurde.4
608
Die Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Verkürzung der Sperrfrist beseitigt jedoch nur ein zusätzliches Hindernis für die Kündigung, die im Übrigen nach allgemeinen Grundsätzen wie z.B. nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtswirksam sein muss.5
609
Gem. § 18 Abs. 2 KSchG kann die Sperrfrist auf höchstens 2 Monate nach Eingang der Anzeige verlängert werden. Diese Maßnahme wird von der Agentur für Arbeit veranlasst. Ein besonderer Antrag vom Arbeitgeber oder vom Betriebsrat ist nicht erforderlich.
610
Eine Verlängerung ist auch nur im Einzelfall vorgesehen. Der nach § 20 KSchG zuständige Ausschuss muss für jede Anzeige gesondert prüfen, ob die Verlängerung erforderlich ist, um den arbeitsmarkpolitischen Zweck des § 17 KSchG zu erreichen. Dies setzt voraus, dass sich die Verhältnisse des zu entscheidenden Falles deutlich von anderen Fällen der Massenentlassung unterscheiden und atypische Besonderheiten aufweisen. § 18 KSchG ist keine Schutzvorschrift für die Bundesagentur für Arbeit zur Vermeidung von Leistungen an Arbeitslose; sie dient vielmehr dazu, eine Klärung des Sachverhalts sowie Hilfsmaßnahmen zur Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen oder aber
611
1 MünchArbR/Berkowsky, § 156 Rz. 44; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 18 Rz. 6; a.A. KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 11; ErfK/Kiel, § 18 KSchG Rz. 5. 2 KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 12. 3 ErfK/Kiel, § 18 KSchG Rz. 5; KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 13. 4 ErfK/Kiel, § 18 KSchG Rz. 6; KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 14, 15. 5 BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144; v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, NZA 2001, 719.
Mues
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Teil 2 Rz. 612
Betriebsbedingte Kündigung
auch die alsbaldige Unterbringung von Arbeitnehmern zu ermöglichen. Nur zur Erreichung dieser Ziele darf daher die Sperrfrist verlängert werden.1 612
Die Anordnung auf Verlängerung der Sperrfrist muss vor Ablauf der einmonatigen Frist des § 18 Abs. 1 Halbs. 1 KSchG oder vor einer ggf. später endenden Kündigungsfrist beim Arbeitgeber eingetroffen sein. Eine später dem Arbeitgeber zugehende Entscheidung der Agentur für Arbeit ist wirkungslos. Inzwischen vorgenommene Entlassungen sind bereits rechtswirksam. Eine einmal angelaufene Frist kann also nicht nachträglich verlängert werden.2
613
Die Zustimmung der Agentur für Arbeit zu vorzeitigen Entlassungen kann mit der Erfüllung bestimmter Auflagen, wie z.B. Zahlung von Abfindungen, Urlaubsgeld oder Wiedereinstellung bei Verbesserung der wirtschaftlichen Lage abhängig gemacht werden. Der Arbeitgeber kann dann keine Entlassungen während der Sperrfrist vornehmen, wenn er diese Auflagen nicht erfüllt hat. Es besteht jedoch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Auflagen zu erfüllen. Er muss dann die normale Sperrfrist von einem Monat abwarten und kann anschließend die Entlassungen vornehmen.3
614
Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf die Einhaltung der Auflage der Agentur für Arbeit besteht nicht.4
615
Die Agentur für Arbeit kann eine Verkürzung und Verlängerung der Sperrfrist auch nur für bestimmte Gruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer festlegen.5
616
Nach Ablauf der Sperrfrist beginnt die Freifrist, in der die Entlassungen nach § 17 KSchG wirksam vorgenommen werden können. Gem. § 18 Abs. 4 KSchG bedarf es unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG einer erneuten Anzeige, soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach den Absätzen 1 und 2 des § 18 zulässig sind, durchgeführt werden (Näheres siehe oben unter Rz. 506 ff.). f) Rechtsfolgen der Anzeige oder deren Versäumnis
617
Die Anzeige der Massenentlassungen nach § 17 KSchG bei der Agentur für Arbeit bewirkt den Lauf der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG und nachfolgend den der Freifrist gem. § 18 Abs. 4 KSchG.
618
Bei einer wirksamen Anzeige werden nach Ablauf der normalerweise einmonatigen Sperrfrist, die mit Zustimmung der Agentur für Arbeit auch bis auf den Tag der Antragstellung verkürzt oder von der Agentur für Arbeit bis auf höchstens zwei Monate verlängert werden kann, die beabsichtigten Entlassungen wirksam. Sie müssen dann in der auf die Sperrfrist folgenden Freifrist innerhalb von 90 Tagen durchgeführt werden (Näheres siehe oben unter Rz. 506 ff.).
619
Einstweilen frei. 1 2 3 4 5
LSG München v. 8.8.1985 – L 9/Al 133/83, NZA 1986, 654. KR/Weigand, § 18 KSchG Rz. 23. Löwisch/Spinner, § 18 Rz. 6. Löwisch/Spinner, § 18 Rz. 6. APS/Moll, § 18 KSchG Rz. 31.
440
Mues
Besonderheiten bei Massenentlassungen
Rz. 623 Teil 2
Fraglich ist, wie sich die fehlende oder fehlerhafte Anzeige auf die Wirksamkeit der Kündigung auswirkt.
620
In seiner früheren Rechtsprechung ging das BAG davon aus, dass eine unterlassene Massenentlassungsanzeige auf das individualrechtliche Verhältnis keine Auswirkungen habe. Hiernach sollte das Arbeitsverhältnis nicht zu dem genannten Termin enden. Eine fehlende Anzeige sollte also lediglich zu einer Entlassungssperre führen.1 Nach der geänderten Rechtsprechung des BAG, wonach die §§ 17, 18 KSchG richtlinienkonform dahingehend auszulegen sind, dass der Begriff der „Entlassung“ dem der „Kündigung“ gleichzusetzen ist2, ist dieses Ergebnis nicht mehr vertretbar. Vielmehr setzt eine wirksame Kündigung voraus, dass der Arbeitgeber zuvor eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet hat. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht, ist die Kündigung unwirksam und dadurch nichtig.3 Eine Heilung durch nachträgliche Anzeige ist nicht möglich.
621
Der Ausspruch der Kündigung darf erst nach dem Ende des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG) und nach der Anzeige bei der Agentur für Arbeit erfolgen (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KSchG). § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG verlangt jedoch auch unter europarechtlichen Aspekten nicht, dass vor Durchführung der Massenentlassungen eine Einigung erziehlt worden sein muss. Unterrichtung und Beratung sind ausreichend. Ein vor der „Entlassung“ abgeschlossener Interessenausgleich erfüllt jedenfalls die Beratungspflicht und ersetzt die Stellungnahme des Betriebrats.4 Einen vom BAG mit der Rechtsprechungsänderung zu § 18 KSchG eingeräumten Vertrauensschutz bei Altfällen5 bezüglich der Reihenfolge von Anzeige und Kündigung zugunsten des Arbeitgebers wird man nicht mehr annehmen können. Dieser ist mit der Bekanntgabe der bindenden internen Handlungsempfehlung der Bundesagentur für Arbeit vom 21.2.2005 entfallen.6
622
Beabsichtigt der gekündigte Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ab einer korrekten Anzeige berechneten Kündigungsfrist an seinem Arbeitsverhältnis festzuhalten, so muss er seinen Arbeitgeber innerhalb einer angemessenen Frist7 in irgendeiner Weise davon verständigen, z.B. durch Anzeige seiner Leistungsbereitschaft, und ihn dabei auf die Unwirksamkeit der Entlassungen hinweisen. In dem Augenblick, in dem er seine Arbeitskraft nach der Entlassung anbietet,
623
1 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, AP Nr. 14 zu § 17 KSchG 1969; v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969. 2 In Reaktion auf EuGH v. 25.1.2005 – C-188/08 (Irmtraud Junk) nunmehr BAG v. 23.3. 2006 – 2 AZR 343/05, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969; so bereits Appel, DB 2005, 1002; Dornbusch/Wolff, BB 2005, 885, 886. 3 Nicht ganz eindeutig BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 84/07 (n.v.); da jedenfalls Vertrauensschutz eingreifen sollte noch offen gelassen in BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05; dafür klar die Literatur ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 35, 36; MünchArbR//Boewer, 2. Auflage 2009, § 45 Rz. 6. 4 BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 84/07, NZA 2008, 753 (n.v.). 5 vgl. BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971. 6 ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 37. 7 BAG v. 23.10.1959 – 2 AZR 181/56, AP Nr. 5 zu § 15 KSchG: kurze Überlegungsfrist.
Mues
441
Teil 2 Rz. 624
Betriebsbedingte Kündigung
zeigt er, dass er mit der Entlassung zu diesem Zeitpunkt nicht einverstanden ist, das Arbeitsverhältnis also nicht als aufgelöst ansieht. Das Arbeitsverhältnis besteht in diesem Fall solange weiter, bis die Zustimmung der Arbeitsverwaltung vorliegt oder die Sperrfrist abgelaufen ist. 624
Der Vergütungsanspruch bis zum Ablauf der ab einer korrekten Anzeige berechneten Kündigungsfrist geht gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit über, wenn sie Leistungen des Arbeitslosengeldes erbracht hat und kann auch von der Bundesagentur gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Bei der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Entlassung gegenüber dem Arbeitgeber ist der Arbeitnehmer nach zutreffender Auffassung nicht an die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG gebunden. Wie zuvor festgestellt, ist die Verletzung der §§ 17 ff. KSchG kein Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG. Hinzu kommt, dass der Arbeitnehmer i.d.R. gar nicht wissen kann, ob der Arbeitgeber die Massenentlassung ordnungsgemäß angezeigt hat. Denn die Anzeige muss nach § 17 KSchG zwar vor dem Entlassungstermin erfolgen.1 Der Arbeitnehmer wird jedoch hierüber nicht informiert und daher grds. innerhalb angemessener Frist auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist die Unwirksamkeit der Entlassung geltend machen können, z.B. indem er Feststellungklage nach § 256 ZPO oder Klage auf Annahmeverzugslohn gegen den Arbeitgeber erhebt.2
626
In der Klage reicht es nicht, dass er sich nur auf die Unterlassung der Anzeige beruft. Der Arbeitnehmer ist vielmehr beweispflichtig dafür, dass eine Anzeigepflicht des Arbeitgebers bestand. Er muss daher auch die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und die Zahl der entlassenen Arbeitnehmer darlegen und beweisen.3
627
Beabsichtigt der Arbeitnehmer, nicht an seinem Arbeitsverhältnis festzuhalten, kann er auf den „Kündigungsschutz“ gem. §§ 17 ff. KSchG verzichten. Er kann ausdrücklich darauf verzichten oder die Kündigung einfach hinnehmen und jeweils nach Ablauf der Kündigungsfrist seinen Arbeitsplatz verlassen. Ob seine Ansprüche aus Annahmeverzug bis zum Ablauf der durch eine korrekte Anzeige in Gang gesetzten Kündigungsfrist erhalten bleiben und gemäß § 115 Abs. 1 SGB X von der Bundesagentur gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden können, richtet sich nach § 615 BGB. Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer „nach Hause“ schickt und seiner Mitwirkungsverpflichtung zur Zuweisung einer Tätigkeit nicht nachkommt, wird dies regelmäßig der Fall sein.
628
" Praxistipp: Stimmt die Agentur für Arbeit im Fall einer nicht formgerech-
ten und damit unwirksamen Anzeige den nach § 17 KSchG anzeigepflichtigen Entlassungen gem. § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zu und stellt damit inzident fest, dass eine wirksame Massenentlassungsanzeige vorliegt, so sind danach durch-
1 Schaub/Linck, § 142 Rz. 21. 2 Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (363). 3 BAG v. 22.3.2001 – 8 AZR 565/00, EzA § 17 KSchG Nr. 10; v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 879.
442
Mues
Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 630 Teil 2
geführte Entlassungen als wirksam zu betrachten. Die Arbeitsgerichte sind durch die Bestandskraft des Verwaltungsaktes gehindert, in einem Kündigungsschutzprozess die Entscheidung der Agentur für Arbeit nachzuprüfen. Eine Ausnahme ist nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nur gerechtfertigt, wenn der Bescheid offensichtlich unwirksam und damit nichtig ist.1
IV. Interessenausgleich mit Namensliste Mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt2 hat der Gesetzgeber die bereits nach dem Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz3 (ArbRBeschFG) bestehende, zwischenzeitlich aber durch das Korrekturgesetz4 aufgehobene Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG wieder eingeführt. Wie schon die wortlautgleiche Vorgängervorschrift sieht auch die Neuregelung vor, dass bei betriebsbedingten Kündigungen auf Grund von Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, von Arbeitgeber und Betriebsrat in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet werden können. Liegt ein solcher Interessenausgleich mit Namensliste vor, wird zu Gunsten des Arbeitgebers vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist; die Überprüfung der Sozialauswahl ist in diesem Fall auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt. Die nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG eingreifende Vermutung der Betriebsbedingtheit umfasst grundsätzlich auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens.5
629
Ziel des § 1 Abs. 5 KSchG ist es, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern, z.B. im Falle der Stilllegung eines Betriebsteils, die Sozialauswahl für alle Beteiligten rechtssicherer zu gestalten.6 Bedenken in der Literatur, die zu Lasten des Arbeitnehmers bestehende und von diesem zu widerlegende Vermutung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung stelle eine in Bezug auf Art. 12 GG bedenkliche Beschränkung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes dar, ist das BAG nicht gefolgt. Der Gesetzgeber habe keine unüberwindlichen Hindernisse im Bereich des Prozessrechts für Arbeitnehmer aufgerichtet. Denn es obliege zunächst dem Arbeitgeber, die Voraussetzungen einer Betriebsänderung darzulegen und dass die Kündigung aus Anlass der Betriebsänderung erfolgt sei. Ein weiterer Schutz der Rechtsposition des Arbeitnehmers liege darin, dass der gekündigte Arbeitnehmer namentlich in dem mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Interessenausgleich aufgeführt werden müsse; durch die Verfahrensbeteiligung des Betriebsrats als das vom Arbeit-
630
1 BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 895/95, NZA 1997, 373. 2 Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003, BGBl. I 2003, 3002. 3 Arbeitsrechtliches Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung v. 25.9. 1996, BGBl. I 1996, 1476. 4 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998, BGBl. I 1998, S. 3843. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, BB 2008, 727. 6 So die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204.
Mues
443
Teil 2 Rz. 631
Betriebsbedingte Kündigung
nehmer gewählte Vertretungsgremium im Betrieb würden die Arbeitnehmerinteressen bereits vor Ausspruch der Kündigung stärker als bei anderen Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 5 KSchG berücksichtigt. Weiterhin stehe dem Arbeitnehmer die Möglichkeit des Gegenbeweises nach § 292 ZPO gegen die widerlegbare gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG für das Vorliegen dringender betrieblicher Interessen offen. Bei fehlender Kenntnis und fehlender Kenntnismöglichkeit des Arbeitnehmers treffe den Arbeitgeber regelmäßig eine sekundäre Darlegungslast.1 Verfassungsrechtliche Zweifel lassen sich also durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast überwinden.2 631
Für den Schwellenwert von 20 Arbeitnehmern ist nach § 111 BetrVG auf das Unternehmen abzustellen mit der Folge, dass auch in kleineren Betrieben solcher Unternehmen eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung und damit verbunden die Möglichkeit der Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit Namensliste vorliegen kann.3
632
Da § 1 Abs. 5 KSchG n.F. mit der von 1996 bis 1998 bestehenden Vorschrift identisch ist, kann im wesentlichen auf die bereits zu § 1 Abs. 5 KSchG i.d.F. des ArbRBeschFG entwickelten, nachfolgend dargestellten Grundsätze zurückgegriffen werden. 1. Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG
633
Voraussetzung für das Eingreifen des § 1 Abs. 5 KSchG ist das Vorliegen eines formwirksamen, mit dem zuständigen Organ der Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat) abgeschlossenen, auf Grund einer geplanten Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG zu Stande gekommenen Interessenausgleichs. Das Vorliegen einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 5 KSchG Tatbestandsmerkmal, sodass die Wirkungen der Vorschrift nur eintreten, wenn die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfüllt sind. Durch einen außerhalb des Geltungsbereichs von § 111 BetrVG abgeschlossenen freiwilligen Interessenausgleich können die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG nicht ausgelöst werden.4 Keine Anwendung findet die Regelung daher auf Unternehmen, die den nach § 111 BetrVG erforderlichen Schwellenwert von 20 Beschäftigten nicht überschreiten und deshalb nicht interessenausgleichspflichtig sind sowie in betriebsratslosen Betrieben oder Unternehmen. Auch in Tendenzbetrieben (§ 118 Abs. 1 BetrVG), kirchlichen Einrichtungen (§ 118 Abs. 2 BetrVG) und im öffentlichen Dienst (§ 130 BetrVG) scheidet ein Interessenausgleich mit Namensliste aus, da § 111 BetrVG dort nach den vorgenannten Vorschriften nicht gilt. 1 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633. 2 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 793. 3 Löwisch, NZA 2003, 689 (692); Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (352); Kappenhagen, FA 2004, 37 (38). 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (180); Schiefer/ Worzalla, NZA 2004, 345 (352); a.A. Kappenhagen, FA 2004, 37 (37); Schiefer DB 1997, 2176.
444
Mues
Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 636 Teil 2
Darüber hinaus findet § 1 Abs. 5 KSchG keine Anwendung auf solche Arbeitnehmer, die vom Betriebsrat nicht repräsentiert werden. Für leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG kommt deshalb die (freiwillige) Aufstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste ebenfalls nicht in Betracht.1
634
Die Kündigung muss auf Grund einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG ausgesprochen worden sein, muss also kausal auf dieser beruhen. Die Kündigung eines von der Betriebsänderung nicht betroffenen Arbeitnehmers löst die Vermutungswirkung auch dann nicht aus, wenn er in der Namensliste aufgeführt ist.2 Als Betriebsänderung nach § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG gelten dabei sowohl die Einschränkung und Stillegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen als auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel. Bei einem Personalabbau müssen jedoch erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sein. Hierfür sind nach der Rechtsprechung des BAG die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG entsprechend heranzuziehen3, mit dem Unterschied, dass über die Werte des § 17 Abs. 1 KSchG hinaus bei Großbetrieben eine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG ein Personalabbau von mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft vorliegen muss.4 Zu beachten ist, dass ein zeitlich gestreckter Personalabbau in mehreren „Wellen“ über wenige Wochen oder Monate hinweg i.d.R. als eine einheitliche unternehmerische Maßnahme gilt mit der Folge, dass der innerhalb dieses Zeitraums erfolgte Personalabbau als zusammenhängende Betriebsänderung anzusehen ist.5 Da eine Betriebsänderung auch durch bloßen Personalabbau nach § 111 BetrVG stets zur Voraussetzung hat, dass durch sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft entstehen können, umfasst die Darlegungslast des Arbeitgebers, der sich auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG beruft, in einem derartigen Fall jedenfalls die Darlegung, dass die Maßnahme, die zur Kündigung geführt hat, erhebliche Teile der Belegschaft betroffen hat. Dies erfordert vor allem den substantiierten Vortrag, wie der Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne (§§ 1, 3, 4 BetrVG) abzugrenzen ist, indem die geltend gemachte Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vorgenommen worden ist.6
635
Seinem Wortlaut nach betrifft die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG lediglich die im Rahmen eines Interessenausgleichs verhandelte Namensliste. Darüber hinaus kann nach zutreffender Ansicht ausnahmsweise aber auch die namentliche Bezeichnung der zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Sozialplan die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG auslösen. Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Einigkeit darüber besteht, dass die benannten Arbeitnehmer zu entlassen sind. In diesem Fall handelt es sich nämlich in Wahrheit nicht um einen – durch Sozialplan zu regelnden – Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile der entlassenen Arbeitnehmer, sondern um eine die
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Vgl. auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (180). BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02; Kappenhagen, FA 2004, 37 (38). BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02. BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02. BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 254/06, DB 2007, 2376.
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Teil 2 Rz. 637
Betriebsbedingte Kündigung
Durchführung der Betriebsänderung betreffende Interessenausgleichsregelung, sodass trotz falscher Bezeichnung von einem Interessenausgleich mit Namensliste auszugehen ist.1 Zu beachten ist allerdings, dass die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG nicht eintreten können, wenn die inhaltlich unzutreffend als Sozialplan bezeichnete Regelung durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommen ist.2 Denn da die Einigungsstelle nicht befugt ist, verbindlich über einen Interessenausgleich zu entscheiden3, kann dieser im Hinblick auf § 1 Abs. 5 KSchG keine Wirkung entfalten. 637
Der die Namensliste enthaltende Interessenausgleich muss rechtswirksam sein. Dies setzt voraus, dass er schriftlich niedergelegt (§§ 125, 126 BGB) und vom Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG), nach Einschaltung einer Einigungsstelle zusätzlich von deren Vorsitzenden, unterzeichnet ist. Da die Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG in den Interessenausgleich aufzunehmen ist, bezieht sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste selbst. Diese muss zusammen mit dem Interessenausgleich zu einer einheitlichen Urkunde i.S.d. § 126 BGB verbunden sein. Dies erfordert nach der Rechtsprechung des BGH nicht notwendigerweise eine körperliche Verbindung der einzelnen Blätter einer Urkunde, sofern sich die Einheitlichkeit der Urkunde aus fortlaufender Paginierung, fortlaufender Numerierung der einzelnen Bestimmungen, einheitlicher graphischer Gestaltung, inhaltlichem Zusammenhang des Textes oder vergleichbaren Merkmalen zweifelsfrei ergibt.4 Ist die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt und diesem als Anlage beigefügt, reicht es deshalb aus, wenn sie von den Betriebspartnern unterzeichnet und im Interessenausgleich auf sie Bezug genommen wird.5 Die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten auch dann ein, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer in einer nicht unterschriebenen Namensliste benannt ist, die mit dem Interessenausgleich, der auf die Namensliste als Anlage ausdrücklich Bezug nimmt, mittels Heftmaschine körperlich derart zu einer einheitlichen Urkunde verbunden ist, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung möglich ist.6 Ist dem Interessenausgleich hingegen lediglich eine nicht unterschriebene Namensliste beigefügt, die keine feste Verbindung mit dem Interessenausgleich aufweist, liegt keine dem Schriftformerfordernis genügende Gesamturkunde vor.7
638
" Praxistipp: Weitere Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit des Interessenausgleichs mit Namensliste ist das Vorliegen eines ordnungsgemäßen
1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703j; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (352); Fischermeier, NZA 1997, 1089 (1097). 2 Vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703d; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 792. 3 Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (352). 4 BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, NJW 1998, 58 ff. 5 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 594/06 (n.v.); v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06 (Parallelentscheidung), NZA 2008, 103; siehe auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703g. 6 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste; v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00, ZIP 2001, 1825. 7 BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 422/00, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 9; LAG Rheinland-Pfalz v. 17.10.1997 – 9 Sa 401/97, LAGE Nr. 2 zu § 1 KSchG Interessenausgleich.
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Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 640 Teil 2
Betriebsratsbeschlusses. Gibt der Vorsitzende des Betriebsrats im Alleingang eine Namensliste frei, ohne dass das Gremium dem zuvor zugestimmt hat, können die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG – vorbehaltlich einer späteren Genehmigung – mangels ordnungsgemäßer Beschlussfassung nicht eintreten.1 Zu beachten ist allerdings, dass nach ständiger Rechtsprechung des BAG eine gesetzliche Vermutung dafür spricht, der Vorsitzende habe auf Grund eines ordnungsgemäßen Beschlusses gehandelt.2 Die Darlegungsund Beweislast für ein unbefugtes Handeln des Betriebsratsvorsitzenden bei Vereinbarung und Unterzeichnung des Interessenausgleichs liegt daher beim Arbeitnehmer.3 Die von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer sind nach § 1 Abs. 5 KSchG in dem Interessenausgleich namentlich zu bezeichnen. Erforderlich ist, dass die Arbeitnehmer unzweifelhaft identifiziert werden können. Hierzu sollten die Arbeitnehmer grds. mit Vor- und Nachnamen sowie im Falle von Namensgleichheiten mit weiteren Identifikationsmerkmalen (z.B. Geburtsdatum) aufgeführt werden. Auch die Nennung des Nachnamens oder eines Kosenamens kann ausreichen, sofern eine Verwechslung ausgeschlossen ist.4 Die generelle Bezeichnung der zu schließenden Betriebsabteilung genügt den Anforderungen des § 1 Abs. 5 KSchG nicht, ebenso wenig wie es ausreicht, in einem Interessenausgleich lediglich die Zahl der zu kündigenden Arbeitnehmer anzugeben und ein Punkteschema festzulegen, nach dem diese auszuwählen sind.5 Eine sog. Negativliste, in der die nicht zu kündigenden Arbeitnehmer aufgeführt sind, genügt ebenfalls nicht den Anforderungen. Denn sie steht Sinn und Zweck des Interessenausgleichs entgegen, wonach sich die Betriebspartner mit jedem einzelnen zu kündigenden Arbeitnehmer auseinandersetzen sollen.6 Für die Praxis ist es am sichersten, die zu kündigenden Arbeitnehmer im Interessenausgleich einzeln zu benennen.
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Nach § 1 Abs. 5 KSchG sind grds. alle zu kündigenden Arbeitnehmer in der Namensliste abschließend aufzuführen.7 Denn nur dann, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf die namentliche Nennung der zu kündigenden Arbeitnehmer endgültig geeinigt haben, ist es zu rechtfertigen, die Überprüfung der Sozialauswahl zu beschränken, weil nur so die Gewähr besteht, dass sich die Betriebspartner im einzelnen Gedanken darüber gemacht haben, welche Arbeitnehmer als vergleichbar in Betracht kommen, welche soziale Rangfolge zwischen ihnen besteht und wer aus der Sozialauswahl auszunehmen ist.8
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1 Schaub/Linck, 12. Auflage 2007, § 136 Rz. 3. 2 BAG v. 17.2.1981 – 1 AZR 290/78, AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; v. 24.2.2000 – 8 AZR 180/99, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Namensliste. 3 BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 180/99, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Namensliste; v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Interessenausgleich; vgl. auch Schaub/Linck, 12. Auflage 2007, § 135 Rz. 3. 4 Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (180). 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703i. 6 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 362; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 687h; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 796; a.A. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703c. 7 BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 422/00, EzA Nr. 9 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 8 In diesem Sinne BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, das jedoch bei mehreren zeitlich gestaffelten Entlassungswellen die Vereinbarung verschiedener, im Hinblick auf die be-
Mues
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Teil 2 Rz. 641
Betriebsbedingte Kündigung
641
Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG setzt weiterhin voraus, dass die namentliche Bezeichnung der Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, vor Ausspruch der Kündigung bereits vorlag.1 Dazu reicht es aus, wenn ein bestehender Interessenausgleich vor Abgabe der Kündigungserklärung durch eine weitere Betriebsvereinbarung um eine Namensliste ergänzt wird2, nicht hingegen, wenn der Interessenausgleich zwar vor Kündigungsausspruch abgeschlossen und unterzeichnet, die Namensliste jedoch erst nach diesem Zeitpunkt in den Interessenausgleich aufgenommen wird.3 Im letztgenannten Falle steht es dem Arbeitgeber jedoch frei, nach Vereinbarung der Namensliste erneut zu kündigen.4
642
Im Gegensatz zu einem Sozialplan, der auch für Maßnahmen aufgestellt werden kann, die noch nicht geplant, aber in groben Umrissen abschätzbar sind, ist der Interessenausgleich nur wirksam, wenn er sich auf konkret geplante Betriebsänderungen bezieht.5 Ein lediglich vorsorglich für den Fall eines Betriebsübergangs vereinbarter Interessenausgleich ist unzulässig; eine in ihm enthaltene Namensliste im Rahmen des § 1 Abs. 5 KSchG unbeachtlich.6 2. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG
643
Liegen die in § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG genannten Voraussetzungen vor, ist also der zu kündigende Arbeitnehmer in einem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat aufgrund einer Betriebsänderung vereinbarten Interessenausgleich namentlich bezeichnet, treten die in § 1 Abs. 5 Sätze 1 und 2 KSchG bestimmten Rechtsfolgen ein. Diese bestehen zum einen in der gesetzlichen Vermutung, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (hierzu unter a), zum anderen darin, dass die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann (hierzu unter b). a) Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung
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Befindet sich ein Arbeitnehmer auf der Namensliste, so wird gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 292 ZPO vermutet, dass seine Kündigung durch dringende be-
1 2
3 4 5 6
treffende Maßnahme jeweils vollständiger Namenslisten zulässt; v. 6.12.2001 – 2 AZR 422/00, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 9 (beide Entscheidungen zu § 1 Abs. 5 KSchG 1996). ArbG Offenburg v. 18.6.1997 – 3 Ca 694/96, DB 1998, 926. So BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02 (zur Vorgängerregelung des § 1 Abs. 5 KSchG 1996), wonach es jedenfalls als ausreichend angesehen wird, wenn die zeitlich nach dem Interessenausgleich vereinbarte Namensliste am selben Tag wie der Interessenausgleich unterzeichnet wird; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703h; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (353); a.A. LAG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 17 (4) Sa 1788/97, LAGE Nr. 9 zu § 1 KSchG. LAG Rheinland-Pfalz v. 17.10.1997 – 9 Sa 401/97, LAGE Nr. 2 zu § 1 KSchG Interessenausgleich (zur Vorgängerregelung des § 1 Abs. 5 KSchG 1996); KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703h; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (353). Kappenhagen, FA 2004, 37 (38). BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 342/98, AP Nr. 37 zu § 113 BetrVG 1972. Vgl. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 797.
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Mues
Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 646 Teil 2
triebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Die Vermutungswirkung erstreckt sich sowohl auf den Wegfall der bisherigen Beschäftigung als auch auf das Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb sowie – ausweislich § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG – in anderen Betrieben des Unternehmens.1 Die Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG gilt auch für betriebsbedingte Änderungskündigungen.2 Denn zum einen verweist § 1 Abs. 5 KSchG auf den gesamten § 1 Abs. 2 KSchG und damit auch auf den die Änderung der Arbeitsbedingungen betreffenden § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG, auf den wiederum der die Änderungskündigung betreffende § 2 KSchG Bezug nimmt.3 Zum anderen spricht der Gesetzeswortlaut in § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG lediglich von einer „Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung“, differenziert also gerade nicht zwischen einer Änderungs- und einer Beendigungskündigung. Angesichts dessen ist es aber nicht einsichtig, warum die in der Regelung vorausgesetzte Betriebsänderung nicht auch in einer Änderungskündigung bestehen können soll. Für die Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG spricht auch folgende Überlegung: Wenn auf Grund der gesetzlichen Vermutung eine erleichterte Kündigungsmöglichkeit (sogar) für den Fall gelten soll, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt gekündigt wird, muss dem Arbeitgeber diese Privilegierung erst recht bei einer bloßen Änderung des Arbeitsvertragsinhalts zukommen.4 Andernfalls käme man zu dem widersinnigen Ergebnis, dass die für den Arbeitnehmer weniger einschneidende Möglichkeit einer Änderungskündigung mit größeren Hemmnissen verbunden wäre als die einer Beendigungskündigung. Auf Grund der vorgenannten Erwägungen ist davon auszugehen, dass der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 KSchG die betriebsbedingte Änderungskündigung mit umfasst.5
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" Praxistipp: Die Vermutung des Vorliegens dringender betrieblicher Erfor-
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dernisse führt im Kündigungsschutzprozess zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers.6 Im Streitfall hat dieser darzulegen und zu beweisen, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung vorliegen, d.h. dass entweder sein Arbeitsplatz nicht weggefallen ist oder eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen – ggf. nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen oder zu geänderten Arbeitsbedingungen – besteht.7
1 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, BB 2008, 727; v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387; so auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 365. 2 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103; bestätigt durch BAG v. 28.5.2009 – 2 AZR 844/07. 3 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 800. 4 Kappenhagen, FA 2004, 37 (38). 5 So zu der Vorgängerregelung auch Giesen, ZfA 1997, 145 (161 f./174 f.); Löwisch, RdA 1997, 80 (81); Zwanziger, BB 1997, 626 f.; Fischermeier, NZA 1997, 1089 (1100); für eine Erstreckung auf die Änderungskündigung auch Richardi, DB 2004, 486 (488); a.A. Preis, NZA 1997, 1073 (1087 f.); Kittner, AuR 1997, 182 (190). 6 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 7 Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (353); näher hierzu unter 5. (Darlegungs- und Beweislast).
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Teil 2 Rz. 647
Betriebsbedingte Kündigung
b) Beschränkung der Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit 647
Das Vorliegen einer den Anforderungen des § 1 Abs. 5 KSchG entsprechenden Namensliste bewirkt zudem, dass die Überprüfung der sozialen Auswahl der bezeichneten Arbeitnehmer auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung1 gilt die Beschränkung des Prüfungsmaßstabes für die Richtigkeit der Sozialauswahl insgesamt („in jeder Hinsicht“), betrifft also – weitergehend als die Regelung des § 1 Abs. 4 KSchG – nicht nur die Gewichtung der Sozialindikatoren selbst (= eigentliche Sozialauswahl), sondern auch die Vergleichbarkeit der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer sowie die Herausnahme bestimmter „Leistungsträger“ aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG.2
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Als grob fehlerhaft anzusehen ist die soziale Auswahl i.S.d. § 1 Abs. 3 und § 1 Abs. 5 KSchG dann, wenn die Gewichtung der sozialen Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten (und Schwerbehinderung) jede Ausgewogenheit vermissen lässt.3 Eine grobe Fehlerhaftigkeit ist danach anzunehmen, wenn eines der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgegebenen Kriterien Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten oder Schwerbehinderung entweder überhaupt nicht berücksichtigt oder aber evident falsch gewichtet worden ist.4 Letzeres ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein nach dem Gesetz unerlässliches Sozialkriterium derart in den Hintergrund gerät, dass es auf die Auswahlentscheidung praktisch keinen Einfluss hat, aber auch dann, wenn einer der in § 1 Abs. 3 KSchG aufgeführten Gesichtspunkte gegenüber den anderen Sozialindikatoren mit einer völlig überhöhten Bedeutung berücksichtigt wurde.5 Auch die Berücksichtigung grundgesetzwidriger oder sachfremder Erwägungen kann zu einer groben Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung führen, so beispielsweise wenn auf Grund einer entsprechenden Namensliste lediglich „betriebsratsfeindliche“ Arbeitnehmer entlassen werden.
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Da sich weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung konkrete Anhaltspunkte für die Gewichtung der Kriterien entnehmen lassen, ist nach der Rechtsprechung des BAG den Betriebsparteien im Hinblick auf die Richtigkeit der Auswahl ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen.6 Eine feststehende Regel dergestalt7, dass einem der Kriterien – etwa der Dauer der Betriebszugehörigkeit – gegenüber den anderen stets Priorität einzuräumen wäre, existiert nicht. Das BAG hat es deshalb nicht als grob fehlerhaft bewertet, bei der Ge1 Vgl. BT-Drucks. 15/1204. 2 So auch die ganz h.M. in der Literatur.: APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 801; Kappenhagen, FA 2004, 37 (38); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (180 f.); Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673 (1676); Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (354). 3 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07 (n.v.); v. 3.4.2008 – 2 AZR 879/06 – AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 15; v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06. 4 Vgl. Bader, NZA 2004, 65 (75). 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 697; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (354). 6 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07 (n.v.). 7 So zu der vor Inkrafttreten des ArbRBeschFG geltenden Rechtslage noch BAG v. 18.1. 1990 – 2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.
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Mues
Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 651 Teil 2
wichtung der Sozialkriterien den Schwerpunkt auf die Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer zu legen, und hat im konkreten Fall eine Sozialauswahl, die einem seit acht Jahren im Betrieb beschäftigten 30-jährigen Arbeitnehmer mit drei unterhaltsberechtigten Kindern den Vorzug vor einem seit 24 Jahren beschäftigten 53 Jahre alten Arbeitnehmer ohne unterhaltsberechtigte Kinder gibt, als noch vertretbar angesehen.1 Eine grobe Fehlerhaftigkeit bejaht hat das BAG dagegen in seinem Urteil vom 12.4.2002.2 Dort hatte der Arbeitgeber mit einem nicht näher begründeten Hinweis auf betriebliche Interessen einen 41 Jahre alten verheirateten Arbeitnehmer mit zwei Kindern entlassen und an seiner Stelle eine 27-jährige unverheiratete Arbeitnehmerin ohne Kinder weiter beschäftigt. Das BAG entschied hier, dass der gekündigte Arbeitnehmer bei Betrachtung der Sozialdaten in jeder Hinsicht „eklatant schutzbedürftiger“ sei als die weiter beschäftigte Arbeitnehmerin und stufte die Sozialauswahl deshalb als grob fehlerhaft ein. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl abgesehen von der evident falschen Gewichtung der Sozialkriterien auch dann, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist, sowie wenn der Arbeitgeber bei der Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG seine betrieblichen Interessen offensichtlich überdehnt hat.3 Letzteres ist nach der Rechtsprechung des BAG insbesondere dann anzunehmen, wenn das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers gegen die sozialen Belange des zu kündigenden Arbeitnehmers überhaupt nicht abgewogen worden ist.4 3. Wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG Die Richtigkeitsvermutung hinsichtlich der betriebsbedingten Notwendigkeit der Kündigung und die Beschränkung der Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat, § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG Die soziale Rechtfertigung der Kündigung richtet sich in diesem Falle allein nach § 1 Abs. 2 bis 4 KSchG.
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Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass nicht jede sondern nur eine wesentliche nach Abschluss des Interessenausgleichs eintretende Änderung der Sachlage die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG entfallen lässt. Die Frage, unter welchen Umständen eine solche „wesentliche“ Änderung der Sachlage vorliegt, ist allerdings – ebenso wie in der wortlautgleichen Vorgängerfassung nach dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz – im Gesetzeswortlaut nicht eindeutig geregelt.
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BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 757/98, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (354); Bader, NZA 2004, 65 (75). BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.
Mues
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Teil 2 Rz. 652
Betriebsbedingte Kündigung
652
Eine „wesentliche Änderung der Sachlage“ ist nur unter den Voraussetzungen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu bejahen.1 Eine wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage kommt danach grds. nur dann in Betracht, wenn die Betriebspartner den Interessenausgleich ohne ernsthaften Zweifel nicht oder in einem entscheidungserheblichen Punkt nicht so abgeschlossen hätten2, so etwa, wenn sich nachträglich ergibt, dass nun gar keine oder eine andere Betriebsänderung durchgeführt oder die Anzahl der mit ihr verbundenen Kündigungen erheblich verringert werden soll.3 Die geringfügige Erhöhung oder Verringerung der Anzahl der Kündigungen reicht demgegenüber nicht aus, ebenso wenig wie eine nur unerhebliche Abweichung von der im Interessenausgleich vereinbarten Betriebsänderung. Diesen Grundsätzen entsprechend hat die Rechtsprechung eine wesentliche Änderung der Sachlage beispielsweise für den Fall verneint, dass die Streichung von Arbeitsplätzen nicht wie im Interessenausgleich geplant durch die Auslagerung auf ein Fremdunternehmen, sondern durch Verteilung der von den zu kündigenden Arbeitnehmern wahrgenommenen Funktionen auf die im Unternehmen verbliebenen Arbeitnehmer erfolgt ist.4
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Einstweilen frei.
654
Die Privilegierung des § 1 Abs. 5 KSchG bleibt i.d.R. bestehen, wenn der Arbeitgeber nach Abschluss des Interessenausgleichs freiwillig einzelne Arbeitnehmer aus der Namensliste herausnimmt und nur den auf der Namensliste verbleibenden Mitarbeitern kündigt. Da die Vermutungswirkung des Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG sich auf das individuelle Arbeitsverhältnis jedes einzelnen der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer bezieht, kann die Herausnahme eines der Arbeitnehmer aus der ordnungsgemäß zustande gekommenen Namensliste die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG für die übrigen in der Liste genannten Arbeitnehmer grds. nicht aufheben. Anderes gilt lediglich für den Fall, dass auf Grund einer nachträglichen Reduzierung des im Interessenausgleich vorgesehenen Personalabbaus eine ganz erhebliche Anzahl der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer von der Kündigung ausgenommen wird und deshalb ausnahmsweise eine wesentliche Änderung der Sachlage anzunehmen ist. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die Angreifbarkeit der arbeitgeberseitigen Kündigungsentscheidung bei Vorliegen einer mit dem Betriebsrat vereinbarten Namensliste zurückzuschrauben und nur bei erheblichen Änderungen der Sachlage die Privilegierung des § 1 Abs. 5 KSchG entfallen zu lassen. 1 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07; zur gleichlautenden Regelung des § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG a.F.: BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02 – AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11; v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00 – EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 8. 2 LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 3 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07; v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02. 4 LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich; kritisch zu dieser Entscheidung: Zwanziger, DB 1997, 2178 f.; zweifelnd auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (181), der nicht auf die Betriebsänderung abstellen will, sondern auf die Frage, inwieweit auf Grund der Veränderung der Sachlage der Interessenausgleich im Einzelfall die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG noch tragen kann.
452
Mues
Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 657 Teil 2
Wird durch arbeitsgerichtliches Urteil die Unwirksamkeit der Kündigung eines der namentlich bezeichneten Arbeitnehmer wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl festgestellt, hat dies für die Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 5 KSchG bezüglich der anderen in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer ebenfalls keine Auswirkung. Denn die Rechtskraft der die grobe Fehlerhaftigkeit bejahenden Entscheidung wirkt gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 325 ZPO lediglich zwischen den Prozessparteien1, ist also auf die weiteren in der Namensliste genannten Arbeitnehmer nicht übertragbar. Hinzu kommt, dass der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage sich nach ganz h.M. darauf beschränkt, ob das Arbeitsverhältnis durch die konkrete mit der Klage angegriffene Kündigung aufgelöst ist (sog. punktuelle Streitgegenstandstheorie)2, weitere Kündigungen – zumal anderer Arbeitnehmer – also nicht mit umfasst. Trotz der Feststellung einer groben Fehlerhaftigkeit im Kündigungsschutzurteil kommen deshalb dem Arbeitgeber gegenüber den anderen in der Namensliste genannten Personen auch weiterhin die Prozesserleichterungen des § 1 Abs. 5 KSchG zu Gute. Eine wesentliche Änderung der Sachlage wird durch das stattgebende Kündigungsschutzurteil nicht begründet.
655
" Praxistipp: Um zu verhindern, dass die Namensliste bei einer wesentlichen
656
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob nach Abschluss des Interessenausgleichs eine wesentliche Änderung der Sachlage eingetreten ist, ist der Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer.5 Nur vor diesem Zeitpunkt eingetretene Änderungen können die Wirkung des § 1 Abs. 5 KSchG beseitigen. Spätere Änderungen bleiben unberücksichtigt, können aber unter Umständen einen Wiedereinstellungsanspruch begründen.6
657
Änderung der Sachlage wertlos wird, können die Betriebspartner bereits im Interessenausgleich vorbeugende Regelungen treffen, etwa indem sie durch entsprechende Reihung der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer bestimmen, welche namentlich zu bezeichnenden Arbeitnehmer eine Kündigung erhalten, wenn der geplante Personalabbau nur in verringertem Umfang stattfindet.3 Zulässig ist auch eine im Interessenausgleich getroffene Vereinbarung, wonach bestimmten namentlich bezeichneten Arbeitnehmern nur dann betriebsbedingt zu kündigen ist, wenn sie einem Betriebsübergang nach § 613a BGB widersprechen.4
1 Zöller/Vollkommer, 26. Auflage 2007, § 325 ZPO Rz. 3. 2 So st. Rspr. des BAG; zuletzt BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 141/00, AP Nr. 46 zu § 4 KSchG 1969; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 225. 3 Vgl. Kleinebrinck, ArbRB 2003, 338 (341); vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 704. 4 So BAG v. 24.2.2001 – 2 AZR 39/00, EzA Nr. 8 zu § 1 KSchG Interessenausgleich zum ArbRBeschFG. 5 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 807; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 434; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1098. 6 So zur Vorgängerregelung BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00, EzA Nr. 8 zu § 1 KSchG Interessenausgleich; Löwisch, RdA 1997, 80 (82); Fischermeier, NZA 1997, 1089 (1098).
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Teil 2 Rz. 658
Betriebsbedingte Kündigung
4. Beteiligung des Betriebsrats 658
Gemäß § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG ersetzt der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarte Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats, die der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG bei einer Massenentlassung seiner Anzeige an die Agentur für Arbeit beizufügen hat. Statt der Stellungnahme ist deshalb der Agentur für Arbeit zusammen mit der Massenentlassungsanzeige lediglich der Interessenausgleich mit Namensliste zuzuleiten.1
659
Eine Einschränkung der Mitteilungsrechte des Betriebsrats nach § 102 BetrVG ist demgegenüber mit der Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit Namensliste im Rahmen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG nicht verbunden.2 Der Arbeitgeber ist vielmehr ungeachtet der Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG gehalten, neben der Person des zu kündigenden Arbeitnehmers und die Art und den Zeitpunkt der Kündigung dem Betriebsrat die tatsächlichen betrieblichen Gründe für die konkret ausgesprochenen Kündigungen mitzuteilen und diesen insbesondere auch darüber zu informieren, wie er den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer gebildet hat. Die schlichte namentliche Benennung des zu Kündigenden in einem Interessenausgleich (§ 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG) indiziert weder den Tatbestand einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, noch läßt sie dieses Erfordernis gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entfallen.3 Unbenommen bleibt es dem Arbeitgeber allerdings, mit den Verhandlungen über Interessenausgleich und Namensliste zugleich die Betriebsratsanhörung im Hinblick auf die einzelnen anstehenden Kündigungen zu verbinden. Auch kommt zu seinen Gunsten zum Tragen, dass die tatsächlichen Informationen im Zusammenhang mit den Interessenausgleichsverhandlungen als Kenntnisstand des Betriebsrats i.d.R. nicht nochmals gesondert im Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG vorgetragen werden müssen.4 Dass der Betriebrat derartige Vorkenntnisse hat, muss der Arbeitgeber allerdings im Prozess hinreichend darlegen und ggf. beweisen.5
659a
" Praxistipp: Der späteren Rüge einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats
bei Ausspruch der Kündigung eines betroffenen Arbeitnehmers kann in einer Protokollnotiz zum Interessenausgleich dadurch vorgebeugt werden, dass die dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung vermittelten Daten und Informationen konkret bezeichnet und gegebenenfalls sogar die maßgeblichen Unterlagen als Anlage zur Protokollnotiz beigefügt werden. Aus dem so bezeichneten Informationsmaterial, welches dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung gemäß § 102 BetrVG zur Verfügung gestellt worden
1 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 2 BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 377/02, ZInsO 2004, 288 (zum Interessenausgleich nach § 125 InsO); v. 20.5.1999 – 2 AZR 148/99, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste m.w.N. 3 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07; LAG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 17 (4) Sa 1788/97, LAGE Nr. 9 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 4 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02; v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Interessenausgleich; LAG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 17 (4) Sa 1788/97, LAGE Nr. 9 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 5 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02; v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste.
454
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Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 662 Teil 2
ist, muss sich auch der konkrete Bezug auf den jeweils einzelnen Arbeitsplatz bis zur Kündigung des vorgesehenen Arbeitnehmers ergeben. 5. Darlegungs- und Beweislast a) Allgemeines Ist eine Kündigung aufgrund eines nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vereinbarten Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochen worden, beschränkt sich die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers auf die sog. „Vermutungsbasis“, d.h. die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG.1
660
Um seiner Darlegungslast zu genügen, muss der Arbeitgeber daher lediglich ausführen und ggf. nachweisen, dass
661
– eine Betriebsänderung vorliegt;bei einem bloßen Personalabbau nach § 111 BetrVG umfasst die Darlegungslast des Arbeitgebers, der sich auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG beruft, konkrete überprüfbare Ausführungen dazu, dass die Maßnahme, die zur Kündigung geführt hat, erhebliche Teile der Belegschaft betroffen hat. Dies erfordert auch einen substantiierten Vortrag, wie der Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne (§§ 1, 3, 4 BetrVG) abzugrenzen ist, in dem die geltend gemachte Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vorgenommen worden ist.2 – der Interessenausgleich wegen einer bestimmten Betriebsänderung rechtswirksam zustande gekommen ist (insbesondere: Einhaltung der Schriftform, Unterzeichnung durch Arbeitgeber und zuständigen Betriebsrat), – der Arbeitnehmer wegen der diesem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsänderung entlassen worden ist (die Vermutungswirkungen eines Interessenausgleichs mit namentlicher Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer gilt nicht, wenn die Arbeitnehmer nicht auf Grund der dem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsänderung, sondern wegen anderer betrieblicher Gründe entlassen werden sollen)3, – der gekündigte Arbeitnehmer in diesem Interessenausgleich namentlich bezeichnet ist und – die Kündigung erst nach Zustandekommen des Interessenausgleichs ausgesprochen wurde. Liegen die vom Arbeitgeber darzulegenden und ggf. zu beweisenden Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vor, d.h. eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG sowie ein Interessenausgleich nebst Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer, kehrt sich im Kündigungsschutzprozess, in dem der Arbeitgeber im Allgemeinen gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG für das Vorliegen von dringenden betrieblichen Erfordernissen darlegungs- und beweispflichtig ist, die Darlegungs- und Beweislast gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu Lasten des Arbeitneh-
1 LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 254/06, DB 2007, 2376 = NZA 2007, 1307. 3 LAG Hamm v. 2.9.1999 – 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352.
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662
Teil 2 Rz. 663
Betriebsbedingte Kündigung
mers um.1 Der Arbeitnehmer muss den bei widerleglichen Vermutungen i.S.v. § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 292 Satz 1 ZPO offenen Beweis des Gegenteils als Hauptbeweis führen und im Falle der Beendigungskündigung nachweisen, dass – sein Arbeitsplatz trotz der durchgeführten Betriebsänderung noch vorhanden ist oder – eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens – ggf. nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen oder zu geänderten Arbeitsbedingungen – besteht. Hierzu ist substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt.2 663
Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer geltend machen, die Sachlage habe sich nach Zustandekommen des Interessenausgleichs und vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG wesentlich geändert mit der Folge, dass die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 KSchG nicht eingreife. Auch das Vorliegen einer wesentlichen Änderung vor Ausspruch der Kündigung muss der Arbeitnehmer ggf. nachweisen.3
664
Die Widerlegung der Vermutung durch Beweis des Gegenteils ist ihrer Natur nach Hauptbeweis, also erst dann geführt, wenn die Unwahrheit der behaupteten Tatsache, aus der sich die Betriebsbedingtheit der Kündigung ergibt, voll bewiesen ist.4 Eine bloße Erschütterung der nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG bestehenden Vermutung genügt daher nicht5, ebenso wenig wie ein bloßer Anscheinsbeweis.6 Bei der Führung des Gegenbeweises sind jedoch mit Blick auf eine verfassungskonforme, den Erfordernissen des Art. 12 GG entsprechende Auslegung, zu Gunsten des Arbeitnehmers allgemeine Beweiserleichterungen zu berücksichtigen.7 Dementsprechend ist der Arbeitgeber im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden sog. sekundären Behauptungslast trotz Vorliegens der gesetzlichen Vermutung verpflichtet, bei einfachem Bestreiten des Arbeitnehmers diesem nähere Angaben zu den in seinen Wahrnehmungsbereich gehörenden Tatsachen mitzuteilen.8 Der Arbeitnehmer hat daraufhin den vollen Beweis des Gegenteils zu erbringen.
665
Verbleibende Zweifel an der Betriebsbedingtheit der Kündigung gehen zu Lasten des Arbeitnehmers. An seinen Vortrag sind die gleichen Maßstäbe anzulegen, die die Rechtsprechung für die Substantiierung des Arbeitgebervorbringens 1 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02; v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (zu § 1 Abs. 5 KSchG 1996). 2 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02. 3 LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich; Bader, NZA 2004, 65 (75). 4 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 5 LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 6 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 7 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 799; Preis, NZA 1997, 1073 (1086). 8 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 799; Preis, NZA 1997, 1073 (1086).
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Interessenausgleich mit Namensliste
Rz. 669 Teil 2
zum Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 1 und 4 KSchG aufgestellt hat.1 Entsprechendes gilt für die nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbare Sozialauswahl. Der hinsichtlich der sozialen Kriterien nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG ohnehin beweisbelastete Arbeitnehmer muss daher darlegen und ggf. nachweisen, dass entweder
666
– die Festlegung der auswahlrelevanten Vergleichsgruppe oder – die Gewichtung der sozialen Grunddaten oder – die Berücksichtigung betrieblicher Interessen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG grob fehlerhaft gewesen ist.2 b) Insbesondere: Darlegungs- und Vortragslast des Arbeitgebers bei Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG Zu beachten ist, dass auch der in eine Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG aufgenommene Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG verlangen kann, dass der Arbeitgeber die Gründe angibt, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Kommt der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nicht nach, kann der Arbeitnehmer sich diesbezüglich auf ein pauschales Bestreiten beschränken. Die streitige Kündigung ist dann als sozialwidrig anzusehen, ohne dass es auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl noch ankäme.3 Erteilt dagegen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die verlangte Auskunft, gelten die Vermutungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 KSchG Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, diese zu widerlegen. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert an der Verteilung der Darlegungslast nichts.4
667
Fraglich ist, in welchen Umfang der Arbeitgeber bei einem entsprechendem Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers Auskunft über die auf Grund der Auswahlrichtlinie durchgeführte Sozialauswahl erteilen muss.
668
Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer über sämtliche Umstände Auskunft zu erteilen hat, die Bestandteil der sozialen Auswahl sind. Dazu gehört neben der Angabe der für ihn maßgeblichen sozialen Gesichtspunkte auch die Mitteilung darüber, wie die Kriterien zueinander gewichtet worden sind sowie die Benennung sämtlicher nach seiner Meinung zum auswahlrelevanten Personenkreis gehöriger Arbeitnehmer und ihrer Sozialdaten.5 Die sich aus der Mitteilungspflicht ergebende Vortragslast ist allerdings auf die subjektiven, vom Arbeitgeber tatsächlich angestellten Überlegungen be-
669
1 LAG Hamm v. 2.9.1999 – 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352. 2 LAG Köln v. 13.8.2002 – 12 Ta 244/02, NZA-RR 2003, 249; vgl. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 801; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (354). 3 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02; v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Kappenhagen, FA 2004, 37 (39). 4 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02; v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Interessenausgleich. 5 BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.
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Teil 2 Rz. 670
Betriebsbedingte Kündigung
schränkt, sodass von ihm nicht die vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer verlangt werden kann.1 Darüber hinaus erstreckt sich die Mitteilungspflicht grds. auch auf die Darlegung der betrieblichen Interessen, die den Arbeitgeber zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG veranlasst haben, sowie auf die Benennung dieser Arbeitnehmer.2 670
Ob die o.g. Grundsätze zur Auskunftspflicht des Arbeitgebers ohne Einschränkung auch dann anzuwenden sind, wenn die streitige Sozialauswahl auf Grund eines nach § 1 Abs. 5 KSchG vereinbarten Interessenausgleichs mit Namensliste durchgeführt wurde, ist zweifelhaft.3 U.E. muss die Pflicht des Arbeitgebers zur Auskunftserteilung entsprechend der auf grobe Fehlerhaftigkeit reduzierten gerichtlichen Kontrolle ebenfalls eingeschränkt werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch die Neuregelung des § 1 Abs. 5 KSchG die Sozialauswahl für alle Beteiligten rechtssicherer gestaltet werden.4 Dementsprechend ist nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG der die Sozialauswahl betreffende Prüfungsmaßstab zu Gunsten einer erleichterten Prozessführung des Arbeitgebers auf eine grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt worden. Für das gesetzgeberische Ziel, die Prozessführung für den Arbeitgeber unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG zu vereinfachen, wäre aber nichts gewonnen, wenn zwar die gerichtliche Prüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt, der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aber dennoch zur Mitteilung aller die Sozialauswahl betreffenden Umstände verpflichtet wäre. Es würde keine wesentliche Entlastung für den Arbeitgeber eintreten, da dieser nach wie vor in vollem Umfang auskunftspflichtig wäre. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Umstände darlegen sollte, die gerichtlich ohnehin nicht überprüfbar und daher für den Arbeitnehmer wertlos sind. Hierdurch würde lediglich ein unnötiger zusätzlicher Aufwand verursacht, der durch die Neuregelung gerade verhindert werden soll. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab muss daher uE auch in einer eingeschränkten Darlegungs- und Vortragslast des Arbeitgebers im Prozess zum Ausdruck kommen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber sich bei der Auskunftserteilung auf solche Gesichtspunkte beschränken kann, die für die Beurteilung einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl relevant sind.
V. Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung 671
Mit § 1a KSchG hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.20035 eine neue gesetzliche Abfindungsregelung in das KSchG aufgenommen. Diese bietet dem Arbeitgeber die Möglichkeit, im Falle einer be1 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 681. 3 So aber LAG Düsseldorf v. 16.2.1998 – 5 Sa 2029/97 m.w.N.; APS/Kiel, § 3 1 KSchG Rz. 801. 4 Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 5 BGBl. I 2003, 3002.
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Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 672 Teil 2
triebsbedingten Kündigung dem Arbeitnehmer freiwillig eine nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Abfindung anzubieten für den Fall, dass dieser sich nicht innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich gegen die Kündigung wehrt. Ziel dieser Regelung ist es, eine „einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative“ zum Kündigungsschutzprozess schaffen. Die formalisierten Voraussetzungen für den Abfindungsanspruch und die gesetzlich festgesetzte Abfindungshöhe sollen es nach Auffassung des Gesetzgebers den Arbeitsvertragsparteien erleichtern, die außergerichtliche Option wahrzunehmen und eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden.1 Will der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit Ausspruch der Kündigung ein Angebot auf Abschluss eines Vertrags in Anlehnung an das gesetzliche Modell des § 1a KSchG unterbreiten, ohne jedoch dabei die gesetzliche Abfindung anbieten zu wollen, so ist aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung erforderlich, dass sich aus der schriftlichen Kündigungserklärung eindeutig und unmissverständlich ergibt, welche Abfindung der Arbeitgeber anbietet.2 Der Arbeitnehmer muss nach Erhalt des Kündigungsschreibens innerhalb von drei Wochen entscheiden, ob er gegen Zahlung der angebotenen Abfindung aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet oder ob er eine Kündigungsschutzklage erhebt. Zudem muss der Arbeitnehmer in der Situation des Zugangs der Kündigung klar erkennen können, ob der Arbeitgeber ihm ein Angebot nach § 1a KSchG oder ein von § 1a KSchG losgelöstes bzw. abweichendes Angebot unterbreitet hat. Er muss wissen, auf welche Rechtsfolgen er sich einlässt. Andernfalls könnte sich erst bei Zahlung der Abfindung nach Ablauf der Kündigungsfrist herausstellen, dass der Arbeitgeber ein von § 1a Abs. 2 KSchG abweichendes Angebot unterbreitet haben wollte. Der Arbeitnehmer hätte dann wegen § 4 KSchG häufig keine oder eine nur sehr begrenzte Handhabe, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich überprüfen zu lassen. Damit verbunden wären dann, soweit es um den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses geht, unumkehrbare Fakten zu Lasten des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer müsste im Übrigen die Abfindungssumme zur vollständigen Disposition stellen: Mit der Klageerhebung würde er die Voraussetzung jedweden Abfindungsanspruchs selbst rechtswirksam ausräumen.3
" Praxistipp: Ob die an die Regelung geknüpften Erwartungen (Verringerung
des Prozessrisikos, Entlastung der Gerichte) erfüllt werden, ist fraglich. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist angesichts ihres lediglich freiwilligen Charakters und der auch weiterhin möglichen vertraglichen Regelung von Abfindungsansprüchen4 in der Praxis äußerst begrenzt. Ein nicht unerheblicher Bedeutungsverlust folgt auch daraus, dass der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG – anders als ein gerichtlich protokollierter Vergleich – nicht unmittelbar vollstreckt werden kann, sondern zu seiner praktischen
1 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 2 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07 (n.v.); v. 13.12.2007 – 2 AZR 807/06, EzA-SD 2007, Nr. 26, 3–4; vgl. auch Preis, DB 2004, 70, 73. 3 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07 (n.v.); v. 10.5.2007 – 2 AZR 45/06, AP KSchG 1969 § 1a Nr. 3 = EzA KSchG § 1a Nr. 1. 4 Diese wird vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204.
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Teil 2 Rz. 673
Betriebsbedingte Kündigung
Durchsetzung zunächst vor Gericht eingeklagt werden muss, sodass trotz der außergerichtlichen Abfindungsregelung in vielen Fällen doch eine Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte stattfinden wird. Hinzu kommt, dass der Anspruch nach § 1a KSchG im Insolvenzverfahren lediglich eine einfache Insolvenzforderung darstellt, während eine Abfindungsvereinbarung mit dem Insolvenzverwalter im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses eine Masseforderung begründet. Der gut beratene Arbeitnehmer wird deshalb zumindest im Falle der drohenden Insolvenz des Arbeitgebers unabhängig von dem arbeitgeberseitigen Hinweis gemäß § 1a KSchG. rechtzeitig Kündigungsschutzklage erheben. Entgegen der gesetzgeberischen Intention ist daher wohl auch künftig nicht mit einem nennenswerten Rückgang der Kündigungsschutzprozesse zu rechnen.1 673
Noch dazu ist die Vorschrift des § 1a KSchG äußerst unglücklich gestaltet: So muss man § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG auf den ersten Blick so verstehen, dass der Abfindungsanspruch allein dadurch entsteht, dass der Arbeitnehmer im Falle der betriebsbedingten Kündigung nicht fristgerecht Kündigungsschutzklage erhebt. Erst in § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG erfährt der Rechtssuchende, dass der Abfindungsanspruch von weiteren Voraussetzungen abhängig ist. Dies kann jedenfalls für den rechtlich nicht beratenen Arbeitnehmer gefährliche Konsequenzen haben, etwa wenn er in der (falschen) Meinung, einen Abfindungsanspruch zu erwerben, auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet.2
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Einstweilen frei. 1. Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs
675
Nach nicht unumstrittener Ansicht handelt es sich bei dem Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG nicht um einen rechtsgeschäftlichen3 sondern um einen gesetzlich begründeten Anspruch, dessen Einzelelemente – der Hinweis des Arbeitgebers sowie das Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer – jeweils gesetzlicher Natur sind.4 Bereits der Gesetzeswortlaut gibt nichts für die Annahme einer rechtsgeschäftlichen Erklärung durch den Arbeitgeber her. So wird in § 1a KSchG für die Entstehung des Abfindungsanspruchs ausdrücklich lediglich ein „Hinweis“, also eine tatsächliche Handlung, vorausgesetzt, dessen Rechtsfolgen sich dann unabhängig vom Willen des Arbeitgebers aus dem Gesetz ergeben.5 Ebenso wenig lässt sich aus der Gesetzesbegründung entnehmen, dass es für die Entstehung des Abfindungsanspruchs neben den ob1 In diesem Sinne Gaul, ArbRB 2004, 50; kritisch auch KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 11 ff. mit einer Liste der Vor- und Nachteile der neuen Regelung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 2 Vgl. dazu auch Richardi, DB 2004, 486 (488). 3 So aber Preis, DB 2004, 70 ff.; Wolff, BB 2004, 378 (378); Löwisch, NZA 2003, 689 (694); APS/Ascheid, § 1a KSchG Rz. 5. 4 So auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182). 5 Vgl. Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); für einen rechtsgeschäftlichen Charakter des Hinweises dagegen: Preis, DB 2004, 70 ff.; Wolff, BB 2004, 378 (378); Löwisch, NZA 2003, 689 (694); APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 5; wohl auch Däubler, NZA 2004, 177 (180).
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Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 677 Teil 2
jektiven, gesetzlich festgeschriebenen Voraussetzungen auch auf subjektive Elemente, d.h. den Willen der Parteien ankommen soll. Vielmehr heißt es dort ausdrücklich: „Der Abfindungsanspruch ist lediglich an die formale Voraussetzung des Verstreichenlassens der Klagefrist des § 4 Satz 1 gebunden. Eine ausdrückliche Erklärung des Arbeitnehmers, dass er die gesetzliche Abfindung beanspruchen will, wird nicht gefordert.“1 Für einen rechtsgeschäftlichen Charakter des Verstreichenlassens der Klagefrist findet sich im Gesetz sowie in der Gesetzesbegründung ebenfalls keine Stütze. Auch Sinn und Zweck des § 1a KSchG sprechen nicht für eine solche Deutung.2 Würde man die unterlassene Klageerhebung als Willenserklärung ansehen, käme es zudem zu zahlreichen Ungereimtheiten: So ist unklar, wie eine „Annahmeerklärung“ für die Fälle konstruiert werden soll, in denen der Arbeitnehmer vom „Angebot“ des Arbeitgebers keine Kenntnis hat, beispielweise, wenn er während des Kündigungszugangs und der darauffolgenden 3 Wochen bis zum Ablauf der Klagefrist verreist ist.3 Abgesehen davon besteht überhaupt kein Bedürfnis, aus dem Verstreichenlassen der Klagefrist eine Willenserklärung des Arbeitnehmers zu konstruieren. In den Fällen, in denen die (fingierte) rechtsgeschäftliche Erklärung des Arbeitnehmers unwirksam oder anfechtbar wäre, z.B. wenn der Arbeitgeber die von ihm angegebenen betriebsbedingten Gründe lediglich vorgetäuscht und der Arbeitnehmer auf Grund dieser Täuschung die Klagefrist verstreichen lassen hat, ist dem Arbeitnehmer mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage gemäß § 5 KSchG geholfen, ohne dass Anlass für die Anwendung rechtsgeschäftlicher Regelungen (etwa §§ 104 ff. oder §§ 119 ff. BGB) bestünde.4 Einstweilen frei.
676
Entsprechend den obigen Ausführungen muss – anders als bei der vertraglichen Abwicklungsregelung – im Falle des § 1a KSchG keine rechtsgeschäftliche Einigung zwischen den Parteien getroffen werden; der Abfindungsanspruch entsteht vielmehr automatisch mit Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Dies entspricht auch dem Sinn der gesetzlichen Regelung des § 1a KSchG, durch die formalisierten – also durch das Gesetz vorgegebenen und somit gerade nicht auf Parteivereinbarung beruhenden – Voraussetzungen des Abfindungsanspruchs den Arbeitsvertragsparteien die außergerichtliche Streitschlichtung zu erleichtern.5 Denn durch den gesetzlichen Anspruch werden etwaige Unklarheiten im Zusammenhang mit rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen (etwa über den Inhalt oder Bestand von Willenserklärungen) vermieden.6 Würde man den Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG rechtsgeschäftlich beurteilen, verbliebe zudem kein eigener Anwendungsbereich des § 1a KSchG n.F., da ebenso gut ein „normaler“ Abwicklungsvertrag abgeschlossen werden könnte. Die Regelung des § 1a KSchG wäre in diesem Falle überflüssig.
677
1 2 3 4 5 6
Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (185). Vgl. Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182). So auch Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (185). Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. Siehe hierzu Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182).
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Teil 2 Rz. 678 678
Betriebsbedingte Kündigung
Aus alledem folgt, dass der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG insgesamt als gesetzlich begründeter Anspruch zu beurteilen ist. 2. Allgemeiner Anwendungsbereich
679
Der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG ist Bestandteil der Regelungen zum Allgemeinen Kündigungsschutz. Demgemäß kann er nur dann zur Anwendung kommen, wenn die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Geltung des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes, d.h. die Erfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG sowie die Überschreitung des Schwellenwertes nach § 23 KSchG, vorliegen.1
680
Nach dem Wortlaut des § 1a KSchG kommt der Abfindungsanspruch nur dann in Betracht, wenn die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gestützt wird. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass in diesem Falle – anders als bei der personen- oder verhaltensbedingten Kündigung – der Kündigungsgrund der Späre des Arbeitgebers zuzurechnen ist.2 Wird dem Arbeitnehmer unter Berufung auf personen- oder verhaltensbedingte Gründe gekündigt, greift § 1a KSchG nicht ein, es sei denn, es werden zugleich auch betriebsbedingte Kündigungsgründe geltend gemacht und der Arbeitnehmer erhebt – nach entsprechendem Hinweis gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG – insgesamt keine Kündigungsschutzklage.3
681
§ 1a KSchG gilt grds. nur für ordentliche Kündigungen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, der für die Entstehung des Abfindungsanspruchs auf den „Ablauf der Kündigungsfrist“ Bezug nimmt. Auch nach der Gesetzesbegründung4 soll der Anspruch auf ordentliche Kündigungen beschränkt sein. Eine entsprechende Anwendung des § 1a KSchG auf außerordentliche Kündigungen ist daher grds. abzulehnen.5 Eine Ausnahme wird man allerdings hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers mit sozialer Auslauffrist6 machen müssen: Zum einen hat die Rechtsprechung die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist inzwischen weitgehend der ordentlichen Kündigung angenähert, sodass kein Grund besteht, ausgerechnet beim Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG eine Differenzierung zwischen den beiden Kündigungsarten vorzunehmen.7 Zum anderen erfolgt die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist im Gegensatz zur eigentlichen außerordentlichen Kündigung nicht fristlos, sondern mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist, deren Erreichen dem gesetzlich vorausgesetzten „Ablauf der Kündigungsfrist“ i.S.d. § 1a KSchG entspricht.8 Schließlich wäre es mit der eigent1 APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 4; Maschmann, AuA 2003, 6 (7); Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (186). 2 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 3 APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 4. 4 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 5 KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 24, a.A. aber Grobys, DB 2003, 2174 (2174). 6 Vgl. hierzu BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 367/01, AP Nr. 4 zu § 55 BAT. 7 So auch Bader, NZA 2004, 65 (71); Däubler, NZA 2004, 177 (178). 8 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (186).
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Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 683 Teil 2
lich bezweckten Privilegierung des unkündbaren Arbeitnehmers unvereinbar, wenn er im Vergleich zum kündbaren Arbeitnehmer schlechter gestellt würde, indem man ihm den Erwerb des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG versagt.1 Es ist somit trotz des fehlenden Hinweises auf § 1a KSchG durch § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG von einer Geltung des gesetzlichen Abfindungsanspruchs auf die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist auszugehen.2 § 1a KSchG findet grds. auch auf die ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung Anwendung, wenn der Arbeitnehmer die ihm angebotene Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen nicht annimmt. In diesem Fall geht es um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sodass nichts anderes gilt als das zur ordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung Gesagte.3 Voraussetzung für die Anwendung des § 1a KSchG ist allerdings, dass der Arbeitgeber auf die dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Änderungskündigung sowie darauf hinweist, dass für den Fall der Ablehnung des Änderungsangebots bei Verzicht auf eine Kündigungsschutzschutzklage eine Abfindung nach § 1a KSchG gezahlt wird.4 Nicht ausreichend für die Entstehung des Abfindungsanspruchs ist es, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot gemäß § 2 KSchG unter Vorbehalt annimmt und dann die Frist für eine Änderungsschutzklage verstreichen lässt. Ein solches Vorgehen hat zur Folge, dass gemäß § 7 KSchG die Wirksamkeit der Kündigung unter Erlöschen des Vorbehalts fingiert wird und es damit nicht mehr um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht, sondern um seinen Fortbestand zu geänderten Bedingungen. Die gesetzliche Regelung stellt aber, wie sich aus der Bezugnahme des § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG auf den „Ablauf der Kündigungsfrist“ entnehmen lässt, ausdrücklich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab und nicht etwa auf die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch wirksame Änderungskündigung.5 Sie kann deshalb bei einer Annahme unter Vorbehalt keine Anwendung finden.
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" Praxistipp: Ist der vorstehend beschriebene Anwendungsbereich nicht er-
683
öffnet, greift § 1a KSchG nicht ein. Den Arbeitsvertragsparteien bleibt es in diesem Falle allerdings unbenommen, eine vertragliche Abfindungsregelung zu treffen.6
1 KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 25. 2 So auch Preis, DB 2004, 70 (73); Maschmann, AuA 2003, 6 (7 f.); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Nägele, ArbRB 2004, 80 (81) weitergehend Grobys, DB 2003, 2174 (2174), der den Anwendungsbereich generell auf außerordentliche Kündigungen ausdehnen will. 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06; v. Hoyningen-Huene/Linck § 1a Rz. 4, Maschmann, AuA, 2003, 6 (8); APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 4. 4 Vgl. Musterformulierung bei Nägele, ArbRB 2004, 80 (81). 5 KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 27. 6 So der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers; vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204.
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Teil 2 Rz. 684
Betriebsbedingte Kündigung
3. Voraussetzungen des Abfindungsanspruchs 684
Nach § 1a KSchG setzt der Abfindungsanspruch neben der Anwendbarkeit des Allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG voraus, dass – der Arbeitgeber betriebsbedingt i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt (hierzu unter a), Rz. 685 ff.), – der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben ausdrücklich auf die Betriebsbedingtheit der Kündigung sowie darauf hinweist, dass er mit Ablauf der Kündigungsfrist die im Gesetz vorgesehene Abfindung beanspruchen kann (hierzu unter b), Rz. 687 ff.), – der Arbeitnehmer die dreiwöchige Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage verstreichen lässt (hierzu unter c), Rz. 701 ff.) und – die Kündigungsfrist abgelaufen ist (hierzu unter d), Rz. 711 ff.). a) Betriebsbedingte Kündigung
685
Zunächst verlangt die gesetzliche Regelung, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gekündigt hat. Der Verweis auf § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG könnte dabei zunächst den Schluss nahe legen, dass die Kündigung tatsächlich auf Grund betriebsbedingter Gründe sozial gerechtfertigt sein muss. Diese Deutung würde indessen dem Ziel des Gesetzgebers nicht gerecht, den gesetzlichen Abfindungsanspruch als „eine einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess“ zu regeln1 und eine zügige außergerichtliche Streitschlichtung zu ermöglichen.2 So müsste bei einem späteren Rechtsstreit über den Abfindungsanspruch inzident eine Prüfung der Sozialwidrigkeit der Kündigung vorgenommen werden, was wiederum zu einem umfangreichen Prozess anstelle zu der vom Gesetzgeber beabsichtigten Entlastung der Gerichte führen würde.3 Zudem würde die Reduzierung des § 1a KSchG auf die Fälle, in denen die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, die Vorschrift nahezu überflüssig machen, da nicht anzunehmen ist, dass der Arbeitgeber bei Wirksamkeit der Kündigung überhaupt eine Abfindung gewährt. In der Literatur4 geht man daher zu Recht einhellig davon aus, dass es für den Abfindungsanspruch nicht darauf ankommt, ob die für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung erforderlichen dringenden betrieblichen Erfordernisse tatsächlich materiell-rechtlich vorliegen; der Arbeitgeber muss sich zur Rechtfertigung seiner Kündigung lediglich auf solche berufen.5
1 2 3 4
So die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. Vgl. auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182). So auch Nägele, ArbRB 2003, 274 (275). Vgl. ErfK/Oetker, § 1a KSchG Rz. 3 m.w.N. sowie KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 31; Wolff, BB 2004, 378 (379); Preis, DB 2004, 70 (73); Bader, NZA 2004, 65 (71); Nägele, ArbRB 2004, 80 (80); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Grobys, DB 2004, 2174 (2176). 5 KR/Spilger, § 1aKSchG Rz. 31; KDZ/Zwanziger, § 1a KSchG Rz. 3.
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Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 689 Teil 2
In der Praxis werden sich Schwierigkeiten vor allem dann ergeben, wenn der Arbeitgeber unter Berufung auf betriebsbedingte Gründe dem Arbeitnehmer eine Abfindung nach § 1a KSchG anbietet, nach Verstreichen der Kündigungsfrist dann aber die Auszahlung der Abfindung mit der Begründung verweigert, in Wirklichkeit sei die Kündigung aus anderen (z.B. personen- oder verhaltensbedingten) Gründen erfolgt. Da nach den zuvor gemachten Ausführungen der schlichte Hinweis des Arbeitgebers auch auf tatsächlich nicht existente betriebsbedingte Gründe für die Entstehung des Anspruchs nach § 1a KSchG ausreicht, ist der Arbeitgeber nach richtiger Ansicht selbst dann an seine Angaben gebunden und zur Zahlung der gesetzlichen Abfindungssumme verpflichtet, wenn er den betriebsbedingten Grund nur vorgeschoben hat.1 Bis zur abschließenden Klärung dieses Problemkreises durch die Rechtsprechung wird dem Arbeitnehmer in dieser Konstellation allerdings zu empfehlen sein, neben der Klage auf Zahlung der Abfindungssumme hilfsweise die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 KSchG zu beantragen.2
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b) Hinweis des Arbeitgebers Das Entstehen des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG setzt weiterhin voraus, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben ausdrücklich auf die Betriebsbedingtheit der Kündigung sowie darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist mit Ablauf der Kündigungsfrist die im Gesetz vorgesehene Abfindung beanspruchen kann.
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Der Hinweis des Arbeitgebers auf den Kündigungsgrund und auf die nach Verstreichenlassen der Klagefrist zu beanspruchende Abfindung muss gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG „in der Kündigungserklärung“ erfolgen. Dies setzt einerseits voraus, dass er dem Schriftformgebot des § 623 BGB entspricht, andererseits, dass er zusammen mit der Kündigungserklärung, also im gleichen Schriftstück, erfolgt. Der separat von der Kündigung erfolgte (schriftliche) Hinweis auf § 1a KSchG genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.3 Allerdings dürfte es dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich gegenüber einem vom Arbeitnehmer geltend gemachten Abfindungsanspruch auf das Schriftformerfordernis zu berufen, wenn er nachweislich mündlich eine Abfindung nach § 1a KSchG angeboten und der Arbeitnehmer daraufhin auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet hat.4
688
Nach der Begründung des Regierungsentwurfs reicht es aus, wenn der Arbeitgeber die Kündigung als betriebsbedingt bezeichnet. Eine genauere Begründung ist nicht erforderlich.5 Ebenso wenig bedarf es einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die gesetzliche Terminologie, solange nur aus dem Hinweis des Ar-
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1 KDZ/Zwanziger, § 1a KSchG Rz. 4. 2 Vgl. hierzu auch Nägele, ArbRB 2004, 80 (80); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Bader, NZA 2004, 65 (71) Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (186). 3 Bader, NZA 2004, 65 (71); Däubler, NZA 2004, 177 (178). 4 APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 6, wonach bei einem Verstoß gegen das Schriftformerfordernis zu prüfen sei, ob durch konkludentes Handeln eine Abfindungsvereinbarung auf rechtsgeschäftlicher Basis zustande gekommen sei. 5 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204.
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Teil 2 Rz. 690
Betriebsbedingte Kündigung
beitgebers inhaltlich erkennbar wird, dass dieser seine Kündigung auf betriebsbedingte Gründe stützt.1 Ausreichend ist deshalb beispielsweise auch die Angabe des Arbeitgebers, er kündige aus „wirtschaftlichen Gründen“, „wegen Betriebsschließung“ oder „weil keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind“. 690
Auch die Höhe der Abfindung braucht in dem Hinweis nicht rechnerisch angegeben zu sein. Es genügt der bloße Hinweis auf Zahlung einer Abfindung nach § 1a KSchG.2 Die Berechnung des Anspruchs erfolgt dann nach §§ 1a Abs. 2, 10 Abs. 3 KSchG.3
691
Fraglich ist, was geschieht, wenn der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung bewusst oder auf Grund falscher Berechnung eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Abfindungssumme angibt.
692
In einem solchen Fall ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Arbeitgeber lediglich einen Hinweis auf die Berechnung der Abfindung nach § 1a Abs. 2 KSchG geben wollte (so z.B. wenn das Kündigungsschreiben ausdrücklich auf § 1a KSchG oder dessen Voraussetzungen Bezug nimmt oder sich aus den sonstigen Umständen ergibt, dass eine Abfindung nach § 1a KSchG gezahlt werden soll), oder ob über die gesetzliche Regelung hinaus ein Angebot auf niedrigere oder höhere Abfindung unterbreitet werden sollte.4 Ist Letzteres der Fall, liegt ein von den Vorgaben des § 1a KSchG unabhängiges Angebot auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages vor, der bei Annahme durch den Arbeitnehmer in der vom Arbeitgeber angegebenen Höhe – sei diese höher oder niedriger als die Abfindung nach § 1a KSchG – zustande kommt.5 Die teilweise vertretene Auffassung, wonach der § 1a KSchG als „Mindestabfindungsanspruch“ zu beurteilen sei, der auch im Rahmen von rechtsgeschäftlichen Abfindungsvereinbarungen nicht unterschritten werden dürfe6, ist unzutreffend.7 Demgemäß können die Arbeitsvertragsparteien bei betriebsbedingter Kündigung eine höhere oder geringere als die vom Gesetzgeber vorgesehene Abfindung vereinbaren.8
693
Bei der Auslegung darf allerdings nicht vorschnell auf ein solches Angebot geschlossen werden. Aus dem Kündigungsschreiben muss sich der Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, eindeutig und unmissverständlich ergeben. Enthält das Kündi-
1 So auch Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (186); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182 f.); KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 32. 2 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, AP Nr. 4 zu § 1a KSchG 1969; auch Maschmann, AuA 2003, 6 (10); Däubler, NZA 2004, 177 (178); APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 6. 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 807/06 (n.v.); APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 6. 4 Vgl. Nägele, ArbRB 2004, 80 (81); Däubler, NZA 2004, 177 (179). 5 So auch Grobys, DB 2003, 2174 (2176). 6 So insbesondere Meinel, DB 2003, 1438 (1439). 7 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07; v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06 – EzA KSchG § 1a Nr. 3 und 2 AZR 807/06. 8 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07; v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, AP KSchG 1969 § 1a Nr. 4 = EzA KSchG § 1a Nr. 2.
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Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 702 Teil 2
gungsschreiben einen vollständigen Hinweis nach § 1a KSchG, so spricht dies für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach dieser Norm.1 Will ein Arbeitgeber hiernach dem Arbeitnehmer mit Ausspruch der Kündigung ein Angebot auf Abschluss eines Beendigungsvertrages unterbreiten, ohne jedoch die gesetzliche Abfindung nach § 1a KSchG anbieten zu wollen, so ist er aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung gehalten, dies in der schriftlichen Kündigungserklärung eindeutig und unmissverständlich zu formulieren, insbesondere welche Abfindung er unter welchen Voraussetzungen anbietet.2 Der Arbeitnehmer muss nach Erhalt des Kündigungsschreibens innerhalb von drei Wochen nämlich entscheiden, ob er gegen die Zahlung der angebotenen Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet oder ob er eine Kündigungsschutzklage erheben will. Zusätzlich muss er bei Zugang der Kündigung klar erkennen können, ob der Arbeitgeber ihm ein Angebot nach § 1a KSchG oder ein davon abweichendes Angebot unterbreitet hat. Er muss wissen, worauf er sich einlässt. Andernfalls könnte sich erst bei Zahlung der Abfindung nach Ablauf der Kündigungsfrist3 herausstellen, dass der Arbeitgeber ein von § 1a Abs. 2 KSchG abweichendes Angebot unterbreiten wollte. Der Arbeitnehmer hätte dann wegen § 4 KSchG häufig keine oder eine nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeit, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich überprüfen zu lassen. Es wären dann – soweit es den Bestandsschutz angeht – zu Lasten des Arbeitnehmers unumkehrbare Fakten geschaffen. Der Arbeitnehmer müsste im Übrigen die Abfindung zur vollständigen Disposition stellen, denn mit der Klageerhebung würde er die Voraussetzung für jeden möglichen Abfindungsanspruch selbst beseitigen. Einstweilen frei.
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695–700
c) Verstreichenlassen der Klagefrist Der Abfindungsanspruch nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG setzt weiterhin voraus, dass der Arbeitnehmer die Frist des § 4 Satz 1 KSchG verstreichen lässt, ohne Kündigungsschutzklage zu erheben. Eine ausdrückliche Erklärung des Arbeitnehmers, dass er die gesetzliche Abfindung beanspruchen will, wird nicht gefordert.4 Ausreichend ist das ungenutzte Verstreichenlassen der Frist.
701
Hat der Arbeitnehmer fristgerecht gegen die Kündigung geklagt, können die Wirkungen des § 1a KSchG nicht mehr eintreten. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer im Laufe des von ihm initiierten Kündigungsschutzprozesses die Klage zurücknimmt. Zwar ist im Falle einer Klagerücknahme die Klage gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO grds. als nicht anhängig geworden anzusehen mit der Folge, dass – sofern nicht erneut innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Klage
702
1 BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07; v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06 DB 2007, 2600; vgl. auch Preis DB 2004, 73. 2 BAG 10.7.2008 – 2 AZR 209/07; v. 13.12.2007 – 2 AZR 807/06; vgl. auch Preis DB 2004, 70, 73. 3 vgl. hierzu BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 45/06, AP KSchG 1969 § 1a Nr. 3 = EzA KSchG § 1a Nr. 1. 4 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204.
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Teil 2 Rz. 703
Betriebsbedingte Kündigung
erhoben wird – die angegriffene Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt. Die gesetzliche Fiktion einer nicht erfolgten Klageerhebung führt jedoch nach zutreffender Ansicht nicht zu einer rückwirkenden Entstehung des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG.1 Zum einen ist nach § 1a KSchG das Verstreichenlassen der Klagefrist zwingende Voraussetzung für den gesetzlichen Abfindungsanspruch. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt und stattdessen Klage erhoben worden, kann der Abfindungsanspruch nicht – auch nicht rückwirkend – entstehen.2 Zum anderen würde es dem Sinn und Zweck der Abfindungsregelung, eine außergerichtliche Lösung für die Arbeitsvertragsparteien zu erreichen und dadurch die Gerichte zu entlasten, zuwiderlaufen, wenn es dem Arbeitnehmer möglich wäre, im Kündigungsschutzprozess zunächst den Versuch zu unternehmen, weitergehende Rechte (z.B. eine höhere als die gesetzlich geregelte Abfindung) durchzusetzen, um dann – etwa weil er im Laufe des Prozesses die Aussichtslosigkeit seiner Klage erkannt hat – die Klage zurücknehmen und doch noch die gesetzliche Abfindung zu beanspruchen.3 703
Umgekehrt hat das Verstreichenlassen der Klagefrist nicht zwingend zur Folge, dass es auf Dauer bei dem einmal entstandenen Abfindungsanspruch bleibt. Auch eine nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage hindert die Entstehung des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG. Es kommt nicht darauf an, ob die Klage mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung i.S.d. § 5 KSchG verbunden ist.4 Zwar sieht der Gesetzgeber diese Rechtsfolge nicht ausdrücklich vor. Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die gerichtliche Auseinandersetzung und den damit verbundenen Zeitund Kostenaufwand zu vermeiden, ergibt sich jedoch, dass der Anspruch auf Abfindung nur im Falle einer dauerhaften außergerichtlichen Streitschlichtung bestehen soll.5 Wird dieses Ziel nicht erreicht, was bereits bei Einreichen eines (nicht notwendigerweise erfolgreichen) Zulassungsantrags nach § 5 KSchG anzunehmen ist6, ist der Anspruch nach § 1a KSchG hinfällig. Eine bereits gezahlte Abfindung kann in diesem Falle nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden.7
704
Einstweilen frei.
1 So die überwiegende Literaturmeinung, vgl. z.B. Preis, DB 2004, 70 (74 f.); Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (188); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Bader, NZA 2004, 65 (71). 2 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (188). 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 971/06 (n.v.); vgl. auch KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 80 sowie KFA-ArbR/Kaiser 2008, § 1a KSch Rz. 11. 4 BAG v. 20.8.2009 – 2 AZR 267/08 (n.v.); v. 13.12.2007 – 2 AZR 971/06, NZA 2008, 696 (n.v.); APS/Ascheid/Hesse, § 1a KSchG Rz. 8; Preis, DB 2004, 70 (74); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Löwisch, NZA 2003, 689 (694). 5 Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182). 6 Siehe Preis, DB 2004, 70 (74); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Löwisch, NZA 2003, 689 (694); a.A. Däubler, NZA 2004, 177 (178); Bader, NZA 2004, 65 (71); Grobys, DB 2003, 2174 (2175); die auf die Zulassung der Klage abstellen. 7 Hierzu Grobys, DB 2003, 2174 (2175).
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Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 707 Teil 2
Erhebt der Arbeitnehmer innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist zwar keine Kündigungsschutzklage, macht aber im Rahmen einer Klage auf Vergütungszahlung oder Weiterbeschäftigung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist incidenter die Unwirksamkeit der Kündigung gerichtlich geltend, kann der Arbeitnehmer nach Sinn und Zweck des § 1a KSchG ebenfalls keine Abfindung verlangen. Denn von einer klaglosen Hinnahme der betriebsbedingten Kündigung, wie sie in § 6 KSchG für den Abfindungsanspruch vorausgesetzt wird, ist angesichts der – mittelbaren – Berufung auf die Unwirksamkeit der Kündigung nicht auszugehen.1 Gegen die Anwendung des § 1a KSchG auf diese Sachverhalte sprechen zudem die folgenden Erwägungen: Die h.M.2 wendet in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus der Unwirksamkeit der Kündigung Ansprüche herleitet und diese innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG im Wege der Leistungsklage geltend macht, § 6 KSchG a.F. entsprechend an mit der Folge, dass der Arbeitnehmer die durch § 4 Satz 1 KSchG grds. ausgeschlossenen Unwirksamkeitsgründe über die Klagefrist hinaus noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend machen kann. An der Gesetzesanalogie wird auch nach der im Zuge der Vereinheitlichung der Klagefristen erfolgten Anpassung des § 6 KSchG festzuhalten sein, da hierdurch keine inhaltliche Änderung der Vorschrift erfolgt ist.3 Die binnen Dreiwochenfrist erhobene Leistungsklage hätte demnach zur Folge, dass der Arbeitnehmer sich noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen könnte. Dies widerspricht jedoch dem Ziel des § 1a KSchG, wonach dem Arbeitgeber ja gerade die – durch Zahlung der Abfindung erkaufte – Garantie geboten werden soll, dass der Arbeitnehmer nach Ablauf der Dreiwochenfrist nicht doch noch gegen die betriebsbedingte Kündigung vorgeht. Die fristgerecht erhobene Leistungsklage schließt daher nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung die Entstehung des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG aus.4
705
Fraglich ist, ob auch dann von einem Verstreichenlassen der Klagefrist i.S.d. § 1a KSchG auszugehen ist, wenn der Arbeitnehmer zwar fristgerecht Kündigungsschutzklage einreicht, diese aber mit der Bitte verbindet, die Klageschrift dem Arbeitgeber zunächst nicht zuzustellen.
706
Die rechtzeitige Klageerhebung setzt neben dem fristgerechten Eingang der Klage bei Gericht gemäß § 253 i.V.m. § 167 ZPO voraus, dass die Klage dem Arbeitgeber „demnächst“, d.h. innerhalb einer angemessenen Frist ohne von der Partei oder ihrem Vertreter zu vertretende Verzögerung5 zugestellt wird. Der BGH hat dabei in ständiger Rechtsprechung eine durch (leichte) Fahrlässigkeit
707
1 Wolff, BB 2004, 378 (380); Bader, NZA 2004, 65 (71). 2 BAG v. 30.11.1961 – 2 AZR 295/61, AP Nr. 3 zu § 5 KSchG; KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 23a; vgl. hierzu auch Teil 11 B V. 3 APS/Ascheid/Hesse, § 6 KSchG Rz. 14; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (183). 4 Vgl. auch Preis, DB 2004, 70 (75); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (183); Bader, NZA 2004, 65 (71); KFA-ArbR/Kaiser 2008, § 1a KSch Rz. 11 a.E.; a.A. Grobys, DB 2003, 2174 (2175 f.); Löwisch, NZA 2003, 689 (694), wonach der Abfindungsanspruch trotz Erhebung der Leistungsklage zunächst entsteht und erst mit Erhebung der Kündigungsschutzklage (rückwirkend) entfällt. 5 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 140.
Mues
469
Teil 2 Rz. 708
Betriebsbedingte Kündigung
des Arbeitnehmers oder seines Vertreters verursachte Verzögerung der Zustellung um bis zu 14 Tage nach Ablauf der maßgeblichen Frist als geringfügig angesehen und für unschädlich gehalten.1 Ob dies dem Arbeitnehmer allerdings die Möglichkeit eröffnet, über die Klagefrist hinaus die Zustellung vorsätzlich über zwei weitere Wochen hinweg zurückzuhalten, dürfte mehr als zweifelhaft und im Ergebnis zu verneinen sein. Verfügt der Arbeitnehmer die Zustellung einer bereits eingereichten Klageschrift erst nach Ablauf der Klagefrist, ist daher grds. von einer Fristversäumung auszugehen. Einen Abfindungsanspruch löst dies jedoch trotz Verstreichenlassens der Klagefrist nicht aus. Denn auch die verspätet zugestellte Klage verursacht beim Arbeitgeber den nach der gesetzlichen Regelung eigentlich zu vermeidenden Prozessaufwand und kann deshalb nach Sinn und Zweck des § 1a KSchG nicht noch mit einer Abfindung „belohnt“ werden. 708
Anderes gilt, wenn nach Einreichung der Klage die Zustellung endgültig unterbleibt. In diesem Falle entsteht dem Arbeitgeber keinerlei Zeit- und Kostenaufwand, sodass das Abfindungsverlangen des Arbeitnehmers nach Sinn und Zweck der Abfindungsregelung als gerechtfertigt anzusehen ist.
709
Kein Anspruch auf Abfindung besteht, wenn der Arbeitnehmer spätestens am letzten Tag der Klagefrist die bereits bei Gericht eingegangene Klage zur Zustellung „freigibt“. Da hier letztendlich nichts anderes gelten kann als wenn die Klage am letzten Tag der Frist eingegangen und danach ohne Verzögerung zugestellt worden wäre, kann in diesem Fall – vorausgesetzt, die Zustellung wird nicht weiter verzögert – keine Fristversäumung mit den Rechtsfolgen des § 1a KSchG angenommen werden.
710
" Praxistipp: Macht der Arbeitnehmer nach Kündigungszugang, aber vor Ablauf der Kündigungsfrist erfolgreich einen Wiedereinstellungsanspruch geltend und beschäftigt der Arbeitgeber ihn auf Grund dessen wie bisher weiter, entfällt nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG Eine bereits geleistete Abfindung ist in diesem Falle vom Arbeitnehmer nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB zurückzuzahlen.2
d) Ablauf der Kündigungsfrist 711
Anders als im Falle des nicht gesetzlich geregelten Abwicklungsvertrages, bei dem der Arbeitnehmer die Auszahlung der vereinbarten Abfindungssumme i.d.R. bereits mit Abschluss des Vertrages verlangen kann, entsteht der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG erst mit Ablauf der Kündigungsfrist und wird auch erst zu diesem Zeitpunkt zur Zahlung fällig. Dies ergibt sich nicht nur aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung, wonach dem Arbeitnehmer erst „mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine 1 BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 327/93, NJW-RR 1995, 254 f.; v. 1.12.1993 – XII ZR 177/92, NJW-RR 1994, 1073 f. 2 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (188); a.A. Preis, DB 2004, 70 (74); Rolfs, ZIP 2004, 333 (339), wonach die Abfindung nach den Grundsätzen des § 346 BGB zurückzugewähren ist.
470
Mues
Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 713 Teil 2
Abfindung“ zusteht, sondern auch aus der Begründung des Gesetzgebers zu der Regelung des § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG.1 Der Abfindungsanspruch des § 1a KSchG gelangt dementsprechend nicht zur Entstehung, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist endet, etwa weil das Arbeitsverhältnis vor diesem Zeitpunkt außerordentlich fristlos gekündigt wird2 oder weil der Arbeitnehmer verstirbt.3 Strittig ist, zu welchem Zeitpunkt der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG entsteht, wenn der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist gewählt hat, die den gesetzlichen oder tariflichen Vorgaben nicht entspricht. Der Gesetzeswortlaut enthält keine konkreten Hinweise auf eine bestimmte Kündigungsfrist. Einige Autoren gehen deshalb davon aus, dass in jedem Falle die in der Kündigung genannte, rechtlich unzutreffende Frist für die Entstehung des Anspruchs maßgebend sei. Dafür spreche insbesondere, dass eine ohne Einhaltung der richtigen Kündigungsfrist ausgesprochene Kündigung seit der Gesetzesänderung von § 4 Satz 1 KSchG erfasst werde und deshalb das Arbeitsverhältnis nach Verstreichenlassen der Klagefrist zu dem Zeitpunkt ende, auf den es gekündigt wurde.4 Diese Ansicht ist abzulehnen. Die Angabe einer unzureichenden Kündigungsfrist ist kein sonstiger Unwirksamkeitsgrund, auf den die Vorschriften der §§ 4 Satz 1, 7 KSchG Anwendung fänden.5 Denn nach allgemeiner Ansicht macht sie die Kündigungserklärung selbst nicht unwirksam, sondern schiebt deren Wirkung lediglich bis zum nächst zulässigen Kündigungszeitpunkt hinaus.6 Hat der Arbeitgeber mit unzureichender Frist gekündigt, entsteht der Anspruch daher erst mit Ablauf der zutreffenden Kündigungsfrist.7 Anderes gilt, wenn der Arbeitgeber in zulässiger Weise zu einem späteren als dem gesetzlich oder tariflich vorgesehenen Kündigungstermin kündigt. Da hier die Kündigungsfrist im Ergebnis frei gewählt ist, entsteht der Abfindungsanspruch erst mit Ablauf des angegebenen Kündigungstermins.8
712
Hat der Arbeitgeber wegen eines tarif- oder einzelvertraglich bestehenden Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts eine außerordentliche Kündigung
713
1 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 2 So ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/1204; vgl. auch Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (186); KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 121; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (181); Nägele, ArbRB 2004, 80 (82); a.A. Rolfs, ZIP 2004, 333 (339), wonach der Abfindungsanspruch erhalten bleiben soll, wenn die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar nach Ablauf der Klagefrist aber vor Ablauf der Kündigungsfrist eintritt. 3 BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 45/06; NZA 2007, 1043; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (181); Nägele, ArbRB 2004, 80 (82). Anders ist die Rechtslage bei dem in einem Abfindungsvergleich vereinbarten Abfindungsanspruch. Dieser geht, sofern dieParteien nichts anderes vereinbart haben, grds. auf die Erben über, wenn der Arbeitnehmer vor dem im Vergleich festgelegten Auflösungszeitpunkt verstirbt: BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 250/02, SAE 2004, 79. 4 So z.B. Nägele, ArbRB 2004, 80 (81), wohl auch Bader, NZA 2004, 65 (72). 5 Gegen die Unwirksamkeit einer Kündigung auf Grund zu kurz bemessener Kündigungsfrist wohl auch BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969. 6 Vgl. Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362 f.) m.w.N. 7 KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 88; a.A. Nägele, ArbRB 2004, 80 (81). 8 KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 88.
Mues
471
Teil 2 Rz. 714
Betriebsbedingte Kündigung
unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist ausgesprochen entsteht der Abfindungsanspruch mit Ablauf der bei einer derartigen Kündigung zu wahrenden Auslauffrist.1 4. Höhe des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG 714
Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 KSchG beträgt die Höhe der Abfindung 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Sie entspricht damit dem durchschnittlichen Abfindungsbetrag, den die Arbeitsgerichte bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den §§ 9, 10 KSchG zugrunde legen und an dem sich auch gerichtliche und außergerichtliche Abfindungsvergleiche orientieren.2 Bei der Berechnung des Monatsverdienstes ist gemäß § 1a Abs. 2 Satz 2 KSchG die Vorschrift des § 10 Abs. 3 KSchG entsprechend anzuwenden. Danach gelten als Monatsverdienst alle Geld- und Sachbezüge, die der Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, normalerweise – also bei Weiterführung des Arbeitsverhältnisses – erhalten hätte.3 Erfasst sind neben der Grundvergütung und den regelmäßigen Zulagen auch Zuwendungen mit Entgeltcharakter (z.B. ein 13. Monatsgehalt), wobei letztere – sofern sie für einen längeren Zeitraum gewährt wurden – anteilig auf die einzelnen Monate umzulegen sind.4 Maßgebend für die Bestimmung der Abfindungshöhe ist nach § 10 Abs. 3 KSchG der monatliche Bruttoverdienst.5
715
Anders als die mittels Auflösungsurteil festgesetzte Abfindung unterliegt der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG nicht den in § 10 Abs. 2 KSchG vorgesehenen Höchstgrenzen, da ein Verweis auf diese Vorschrift fehlt.
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Nach § 1a Abs. 3 Satz 2 KSchG ist bei der Feststellung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden. Dadurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt werden, dass auch diejenigen Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen können, die nach Ablauf der für den Kündigungsschutz maßgeblichen sechsmonatigen Wartezeit aber vor Ablauf des ersten Beschäftigungsjahres ausscheiden.6 5. Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Folgen
717
Wie der Abfindungsanspruch des § 1a KSchG in steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zu behandeln ist, ist gesetzlich nicht geregelt.
1 KR/Spilger, § 1a KSchG Rz. 90. 2 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204. 3 Zur Berechnung der Abfindungshöhe siehe KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 27 ff.; vgl. auch Teil 12 Rz. 658 ff. 4 KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 33. 5 KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 27. 6 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1204.
472
Mues
Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
Rz. 720 Teil 2
a) Steuerrechtliche Folgen Klarheit herrscht bezüglich der steuerrechtlichen Konsequenzen: Der Freibetrag für Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG ist seit 1.1.2006 entfallen. Abfindungen sind nunmehr wie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG zu voll zu versteuern. Dies dürfte den Anreiz für einen Klageverzicht erheblich verringern und läuft damit dem mit § 1a KSchG verfolgten Ziel des Gesetzgebers zuwider.
718
b) Sozialversicherungsrechtliche Folgen Nicht eindeutig gesetzlich geregelt ist die Frage, wie sich die Inanspruchnahme der Abfindung nach § 1a KSchG in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht auswirkt. Die Abfindungsregelung des § 1a KSchG ist mit den sozialversicherungsrechtlichen Tatbeständen nicht abgestimmt.1
719
aa) Sperrzeitenregelung des § 144 SGB III In Bezug auf die Sperrzeitenregelung des § 144 SGB III bleibt das bloße Unterlassen der Klageerhebung sperrzeitunschädlich. Denn zur Annahme des arbeitgeberseitigen Angebots auf die Abfindung genügt es, dass der Arbeitnehmer die Kündigungsfrist des § 4 KSchG ungenutzt verstreichen lässt, also schlicht nichts unternimmt. Dieses passive Verhalten stellt keine „Lösung“ im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III dar.2 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Arbeitnehmer durch seine Untätigkeit finanzielle Vorteile erlangt.3 Auch die Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit schreibt mittlerweile vor, dass ein Sperrzeittatbestand nicht vorliegt, wenn die nicht offensichtlich rechtswidrige arbeitgeberseitige Kündigung auf betriebsbedingte Gründe gestützt wird und eine Abfindung gemäß § 1a KSchG gezahlt wird.4 Angesichts der aktuellen BSG-Rechtsprechung und der neuen Weisungslage der BA ist deshalb zumindest im Regelfall davon auszugehen, dass eine Abfindungszahlung nach § 1a KSchG nicht zum Eintritt einer Sperrzeit führt. Eine Sperrzeit kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung mit dem Arbeitgeber Absprachen über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses selbst mit herbeigeführt hat.5
1 Siehe dazu Preis, DB 2004, 70, 76 f.; Preis/Schneider, NZA 2006 1297, 1302 f. 2 BSG v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06 R, BSGE 99, 154–162; BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, BSGE 92, 74–82; ebenso Erfk/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 10; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 189. 3 v. Steinau/Steinrück/Hurek, ZIP 2004, 1486, 1488 ff.; Rolfs, 50 Jahre BAG 2004, 445, 455. 4 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.18. 5 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 (189); Nägele, ArbRB 2004, 80 (83).
Mues
473
720
Teil 2 Rz. 721
Betriebsbedingte Kündigung
bb) Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147a SGB III1 721
Die Inanspruchnahme der Abfindung durch den Arbeitnehmer hat grds. keinen Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147a SGB III.2 Insbesondere lässt sich der Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach der Rechtsprechung des BSG nicht als sozial gerechtfertigte Arbeitgeberkündigung i.S.d. § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III werten.3 Es wird daher in jedem Einzelfall durch die Arbeitsverwaltung bzw. die Sozialgerichte zu klären sein, ob die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers sozial gerechtfertigt war und damit die Erstattungspflicht des Arbeitgebers entfällt.4 Der vom Gesetzgeber beabsichtigten Vereinfachung des Verfahrens bei der betriebsbedingten Kündigung entspricht dies nicht. cc) Einsetzbares Vermögen bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe
722
In Übereinstimmung mit den im arbeitsrechtlichen Schrifttum überwiegenden Auffassungen5 geht das BAG6 davon aus, dass für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindungen Vermögen i.S.v. § 115 Abs. 3 ZPO, § 11a Abs. 3 ArbGG sind. Im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 1 SGB XII als Vermögen einsetzbar, was verwertbar ist. Das ist bei Abfindungen allerdings erst dann der Fall, wenn sie tatsächlich gezahlt wurden. Ist dies der Fall, kann dies zur nachträglichen Änderung der Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen nach § 120 Abs. 4 ZPO führen. Wenn die Abfindung nach einem Kündigungsschutzprozess aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs gezahlt worden ist, steht dies ihrem Einsatz als Vermögen grundsätzlich nicht entgegen. Aus § 120 Abs. 4 ZPO folgt, dass auch durch Prozesserfolg erworbenes Vermögen einzusetzen ist, wenn der Abfindungsbetrag dem Antragsteller tatsächlich zugeflossen ist.7
VI. Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung 723
Die aus Gründen der Rechtssicherheit unverzichtbare Fixierung des Beurteilungszeitpunktes für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung kann bei kurzfristiger nachträglicher Änderung des Kündigungssachverhalts zu unvertretbaren Ergebnissen führen und Bedarf an Korrektur auslösen. Diese Korrektur kann nur durch einen Anspruch auf nachträgliche Wiedereinstellung erfolgen. 1 2 3 4
Vgl. hierzu Teil 13 Rz. 289 ff. So auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (183). BSG v. 2.9.2004 – B 7 AL 78/03 R, BSGE 93, 159–164; v. 20.9.2001 – B 11 AL 30/01 R. Vgl. auch Nägele, ArbRB 2004, 80 (83); Bader, NZA 2004, 65 (72); Löwisch, NZA 2003, 689 (694). 5 Vgl. statt vieler GK-ArbGG/Bader (Stand: Dezember 2007) § 11a Rz. 87; Schwab-Weth/ Vollstädt, 2. Auflage 2007, § 11a Rz. 46; ArbGG-Wolmerath 2. Auflage § 11a Rz. 12; GMPM/Müller Glöge § 11a Rz. 49; ErfK/Koch § 11a ArbGG Rz. 28. 6 BAG v. 24.4.2006 – 3 AZB 12/05; NZA 2006, 751. 7 BGH v. 22.8.2001 – XII Z.B. 67/01, FamRZ 2002, S. 1704.
474
Mues
Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
Rz. 726 Teil 2
Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung eines Wiedereinstellungsanspruchs nach einer rechtswirksamen Kündigung. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass es unter bestimmten Voraussetzungen einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers gibt.1 Es muss eine Kündigung des Arbeitgebers ausgesprochen worden sein, die im Zeitpunkt ihrer Erklärung aufgrund des aktuellen Kündigungssachverhalts gerechtfertigt war, deren Gründe sich jedoch im Lauf der Kündigungsfrist wegen veränderter Umstände als nicht mehr zutreffend erweisen und die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber möglich und zumutbar werden lassen.2
724
Rechtsgrundlage ist grundsätzlich § 242 BGB, wobei die genaue Ausformung unterschiedlich hergeleitet wird. Teilweise wird das Verbot des rechtsmissbräuchlichen und widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) herangezogen3, wonach sich der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich verhält, wenn er nach Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes noch während der Kündigungsfrist den geänderten Umständen nicht Rechnung trägt und den Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigt, teilweise wird allgemein auf den Vertrauensschutz des Arbeitnehmers abgestellt, wonach dieser darauf vertrauen dürfe, seinen Arbeitsplatz nur dann zu verlieren, wenn im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Kündigungsgrund noch vorliege. Richtigerweise werden aus § 242 BGB allgemeine Nebenleistungspflichten hergeleitet, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer treffen. Dabei gehören zu den Nebenpflichten des Arbeitgebers die Fürsorge- und Interessenwahrungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Diese Pflichten führen nach dem Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes dazu, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet ist, diesen wieder einzustellen. Sollte es nach einer betriebsbedingten Kündigung zu einem Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB kommen, so wird ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebserwerber in richtlinienkonformer4 Auslegung aus dem Schutzzweck des § 613a Abs. 1 und Abs. 4 BGB hergeleitet.5 Der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber tritt danach ipso iure ein und ist nicht vom Willen des Betriebserwerbers abhängig. Die bereits gekündigten Arbeitnehmer haben daher einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrages zu unveränderten Bedingungen und unter Wahrung des Besitzstandes.
725
Aus der Herleitung aus § 242 BGB ergibt sich bereits, dass ein Wiedereinstellungsanspruch nur dann in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer sich auf allgemeinen oder besonderen Kündigungsschutz berufen kann.6 Handelt es
726
1 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, BB 2007, 861; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 826 ff.; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 729. 2 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1129; Beckschulze, DB 1998, 417, 418. 3 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757. 4 Richtlinie 77/187/EWG des Rates v. 14.2.1977, ABl. EG v. 5.3.1977, Nr. L 61/26 (= RdA 1977, 162) und 98/50/EG des Rates v. 29.6.1998, ABl. EG v. 17.7.1998, Nr. L 201 S. 88 (= NZA 1998, 1211). 5 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251. 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 827.
Mues
475
Teil 2 Rz. 727
Betriebsbedingte Kündigung
sich dagegen um eine ordentliche Kündigung gemäß § 622 BGB, die keinen Kündigungsgrund erfordert, so besteht von vornherein kein Vertrauensschutz des Arbeitnehmers über den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses. Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt dann nicht in Betracht.1 1. Voraussetzungen des Wiedereinstellungsanspruches a) Wirksame Beendigung durch Kündigung des Arbeitgebers 727
Voraussetzung für einen Wiedereinstellungsanspruch ist zunächst, dass das Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung wirksam beendet worden ist.
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Für die Beurteilung der Wirksamkeit knüpft das Gesetz an objektive Gegebenheiten an. Im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber daher die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu beachten. Hat der Arbeitgeber bei der Kündigung eine fehlerhafte Sozialauswahl getroffen, so ist die Kündigung bereits gem. § 1 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam. Das alte Arbeitsverhältnis findet dann seinen unveränderten Fortgang, ohne dass es überhaupt eines Wiedereinstellungsanspruches bedarf. Es ist daher stets zu prüfen, ob der Arbeitgeber eine wirksame Kündigung ausgesprochen hat oder nicht.2 Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer zunächst die Kündigung hingenommen hat und erst aufgrund nachträglicher Umstände einen Wiedereinstellungsanspruch geltend macht. Insoweit kann für den Arbeitnehmer das Problem entstehen, dass die ursprüngliche Kündigung aufgrund einer falschen Sozialauswahl bereits unwirksam war, so dass er im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses erfolgreich die Kündigung hätte anfechten können. Hat der Arbeitgeber dann die Drei-Wochen-Frist der §§ 4, 7 KSchG versäumt, so kann er nicht mehr wirksam gegen die Kündigung vorgehen. Der Wiedereinstellungsanspruch stellt aber letztlich eine Art Fortsetzung des Kündigungsschutzes aus dem KSchG dar. Steht dem Arbeitnehmer aber nicht mehr der ursprüngliche Schutz des KSchG zu, weil er eine sozialwidrige Kündigung durch Verstreichen lassen der Drei-Wochen-Frist der §§ 4, 7 KSchG nicht mehr angreifen kann, so steht ihm auch kein Wiedereinstellungsanspruch mehr zu.3 Dieser setzt eine ursprünglich wirksame Kündigung voraus. Der Arbeitnehmer ist in diesem Fall sowohl mit einer Kündigungsschutzklage als auch mit einem Wiedereinstellungsanspruch ausgeschlossen. Verzichtet der Arbeitnehmer also auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage, weil er die Kündigung zunächst für sozial gerechtfertigt hält, so trägt er das Risiko, dass sich diese doch als von vornherein sozialwidrig und damit unwirksam herausstellt.
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Die Frage der Wirksamkeit einer Kündigung darf sich jedoch nicht auf eine Überprüfung der Sozialwidrigkeit beschränken. Vielmehr sind sämtliche Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung zu berücksichtigen.4 1 2 3 4
KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 731. Boewer, Der Wiedereinstellunganspruch, NZA 1999, 1121, 1129. Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1131. Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121.
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Mues
Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
Rz. 731 Teil 2
Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung wird auf die objektiven Umstände zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abgestellt.1 Eine zu diesem Zeitpunkt wirksame Kündigung bleibt auch dann wirksam, wenn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Veränderungen eintreten, die den Kündigungsgrund entfallen lassen. Dies dient der Rechtssicherheit und Praktikabilität, da sonst sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist nicht sicher weiter planen könnten. Im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung, also aus Gründen, die Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers führen, kann der Arbeitgeber auf die künftige Entwicklung des Betriebes abstellen, soweit diese im Rahmen einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung greifbare Formen angenommen hat.2 Dem Arbeitgeber wird zu seinen Gunsten eine Prognoseentscheidung gestattet, die auf nachvollziehbaren und überprüfbaren Erwägungen beruhen muss. Er muss nicht bis zum tatsächlichen Eintritt des Kündigungsgrundes abwarten. Dies würde dazu führen, dass er aufgrund der gesetzlichen Kündigungsfristen Arbeitnehmer teilweise über mehrere Monate hinweg noch bezahlen müsste, obwohl er diese aufgrund der betrieblichen Entwicklung nicht mehr sinnvoll beschäftigen kann. Er ist vielmehr schon dann zum Ausspruch der Kündigung berechtigt, wenn die Prognose dazu führt, dass zum Zeitpunkt des Kündigungstermins der Eintritt eines diese erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben ist.3 Die besonderen Risiken des gekündigten Arbeitnehmers aus dieser zeitlichen Vorverlagerung des Beurteilungszeitpunkts einer Kündigung gegenüber dem tatsächlichen Eintritt des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit sind Anknüpfungspunkte des Wiedereinstellungsanspruchs.
730
b) Nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrundes Weitere Voraussetzung für einen Weiterbeschäftigungsanspruch ist, dass der Kündigungsgrund nach Zugang der Kündigung weggefallen ist.4 Dies kann u.a. darauf beruhen, dass sich herausgestellt hat, dass sich der Arbeitgeber bezüglich seiner Prognose über die künftige Entwicklung geirrt hat, obwohl im Zeitpunkt des Kündigungszugangs die Prognose als nachvollziehbar und damit wirksam angenommen werden durfte. Eine solche Prognose wird sich normalerweise jedoch nicht ohne weitere Umstände, allein aufgrund einer unbeeinflussten, weiteren Entwicklung als unzutreffend herausstellen. Vielmehr werden neue Rahmenbedingungen den Kündigungsgrund wegfallen lassen. Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers wird nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als Korrektiv zum kündigungsrechtlichen Prognoseprinzip verstanden, wie es nach h.M. in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG und § 626 Abs. 1 BGB normiert ist.5 1 BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461; v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, NZA 1997, 251; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 729; Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1123. 2 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1123. 3 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1124. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 832. 5 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 4.3.2008 – 3 Sa 775/07 (n.v.) m.w.N.
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Teil 2 Rz. 732
Betriebsbedingte Kündigung
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Die nachträgliche Änderung kann auch darauf beruhen, dass der Arbeitgeber eine neue Unternehmerentscheidung trifft, also z.B. eine Betriebsstilllegung revidiert und den Betrieb nunmehr doch fortführt.1 Es kommen aber auch sonstige unvorhersehbare Änderungen der Verhältnisse in Betracht.2 Dabei kann es sich um eine plötzliche allgemeine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage handeln, so dass der Arbeitgeber insgesamt wieder in verstärktem Umfang seine Produkte herstellen und absetzen kann. Häufiger wird aber eher z.B. die unvorhergesehene Erteilung eines Großauftrages in Betracht kommen, so dass der Arbeitgeber die bereits gekündigten Arbeitnehmer doch beschäftigen kann.3 Schließlich kann der Kündigungsgrund dadurch entfallen, dass innerhalb der Kündigungsfrist ein Dritter als Rechtsnachfolger den Betrieb gemäß § 613a BGB erwirbt.4 Wird die beabsichtigte Betriebsstilllegung durch eine Betriebsübernahme hinfällig, so hat der Arbeitnehmer – soweit der Betrieb noch nicht übertragen wurde – sowohl eine Wiedereinstellungsanspruch gegen den bisherigen Arbeitgeber, als auch direkt aus § 613a Abs. 1 und Abs. 4 BGB gegen den Betriebserwerber.5
733
Zu beachten ist dabei, dass sich die ursprüngliche Prognose erwiesenermaßen durch eine Veränderung der Umstände als unzutreffend herausgestellt haben muss.6 Zweifel allein an der ursprünglich zutreffenden Prognose reichen dagegen nicht aus. c) Möglichkeit und Zumutbarkeit der Wiedereinstellung
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Der Wiedereinstellungsanspruch setzt weiter voraus, dass die Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber möglich sein muss. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber vor Eintritt der veränderten Umstände noch nicht über den Arbeitsplatz disponiert hat.7 Da der Kündigung eine erst nachträglich unzutreffende Prognoseentscheidung zugrunde lag, ist der Arbeitgeber bis zum Eintritt der veränderten Umstände grundsätzlich befugt, über den Arbeitsplatz zu disponieren. Seine Dispositionsinteressen haben grundsätzlich Vorrang vor dem Wiedereinstelllungsinteresse des Arbeitnehmers. Allerdings ist im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung zu beachten, dass eine Disposition über den gekündigten Arbeitsplatz erst nach einer Veränderung der Umstände, die der Kündigung zugrunde lagen, in Betracht kommen kann. In diesem Fall hat die Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers jedoch hinter die Interessen des Arbeitnehmers zurückzutreten. Der Arbeitgeber würde seine Fürsorgepflichten gegenüber dem Arbeitnehmer verletzen, besetzte er aufgrund der veränderten Umstände den Arbeitsplatz mit einem 1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 736. 2 BAG v. 16.5.2007 – 7 AZR 621/06, 7 AZR 621/06, AP 00 Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 3 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 736. 4 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 833. 5 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 737; Oetker, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes, ZIP 2000, 643, 647. 6 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1130. 7 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1131.
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Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
Rz. 738 Teil 2
neuen Arbeitnehmer, anstatt den bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Er wird sich daher bei einer betriebsbedingten Kündigung im Regelfall nicht auf schutzwürdige Interessen berufen können, da deren Natur im Regelfall zwischenzeitliche andere personelle Dispositionen verbietet.
" Praxistipp: Das Arbeitgeberinteresse überwiegt auch dann, wenn die Mög-
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Ebenso haben die Dispositionen des Arbeitgebers Vorrang, wenn dieser sich nach wiedererlangter Beschäftigungsmöglichkeit dazu entschließt, die bisherige Vertragsform umzugestalten, in dem er anstelle von fest angestellten Arbeitnehmern nunmehr auf freie Mitarbeiterverhältnisse umstellt.2
736
Schließlich kann jedenfalls die unbegrenzte Wiedereinstellung für den Arbeitgeber unzumutbar sein. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die veränderten Umstände nur von vorübergehender Natur sind. Dies kann daran liegen, dass sich die Rationalisierungsmaßnahmen des Arbeitgebers verzögern, weil die Maschinen oder Computer, durch die der Arbeitsplatz überflüssig geworden ist, erst später angeliefert werden. Dann ist es dem Arbeitgeber nur zumutbar, den Arbeitnehmer zeitlich begrenzt bis zur Anlieferung der Maschinen weiter zu beschäftigen. Gleiches gilt, wenn sich aufgrund eines neuen Auftrages die Beschäftigungsmöglichkeiten lediglich vorübergehend verbessern. Auch in diesem Fall ist dem Arbeitgeber nur eine befristete Wiedereinstellung zumutbar, da sich die Prognose nicht als vollständig falsch herausgestellt hat, sondern sich die prognostizierte Entwicklung lediglich verschiebt.3
737
Eine Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG kommt nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht bei der Reintegration des Arbeitnehmers aufgrund eines Wiedereinstellungsanspruchs grds. nicht in Betracht.4 Eine mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG liegt nur dann vor, wenn Personen aufgrund einer freien Entscheidung des Arbeitgebers in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den bereits beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes durch wei-
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lichkeit, den Betrieb zu veräußern, von dem Erwerber von der vorherigen Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen oder einer Änderung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer abhängig gemacht wird. Eine Wiedereinstellung kann dann, jedenfalls zu den bisherigen Arbeitsbedingungen, für den Arbeitgeber unzumutbar sein, wenn dadurch die Betriebsveräußerung letztlich scheitern würde und die geplante Betriebsstilllegung doch durchgeführt werden müsste. In diesem Fall ist dem Arbeitgeber allenfalls eine Weiterbeschäftigung zu veränderten Arbeitsbedingungen zumutbar.1
1 2 3 4
Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 11211, 1131. Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 11211, 1132. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 735; Beckschulze, DB 1998, 417, 419. LAG Rostock v. 11.1.1996 – 1 Sa 62/95, NZA 1997, 51; Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1177, 1181; Beckschulze, Der Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung, DB 1998, 417, 420 f.; Fitting, § 99 Rz. 46 ff.; Matthes, MünchHBArbR/§ 344 Rz. 21; a.A. Langer, Anspruch auf Wiedereinstellung?, NZA 1991, Beil. 3, S. 23, 29; Brahm/Rühl, Praktische Probleme des Wiedereinstellungsanspruchs nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung, NZA 1990, 753, 758.
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Teil 2 Rz. 739
Betriebsbedingte Kündigung
sungsgebundene Arbeit zu verwirklichen.1 Im Rahmen des Wiedereinstellungsanspruchs unterliegt der Arbeitgeber jedoch einem Kontrahierungszwang, so dass er die Eingliederung des Arbeitnehmers nicht verhindern kann. Es fehlt damit an einem Bestimmungsrecht des Arbeitgebers, an dem der Betriebsrat in der nach § 99 Abs. 2 Nr. 1–6 BetrVG vorgesehenen Weise mitwirken kann. Aus diesem Grund ist eine Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG abzulehnen. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Wiedereinstellungsanspruch prinzipiell den durch § 1 KSchG geregelten Bestandsschutz absichern soll, so dass ein der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung vergleichbarer Sachverhalt vorliegt.2 Eine mitbestimmungspflichtige (Wieder-)Einstellung liegt nach richtiger Ansicht aber dann vor, wenn nicht alle gekündigten Arbeitnehmer wiedereingestellt werden können.3 Dann ist nämlich der Arbeitgeber in der Auswahl der wiedereinzustellenden Arbeitnehmer nicht frei, sondern hat soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen.4 d) Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten 739
Bei betriebsbedingten Kündigungen ist häufig eine Mehrzahl von Arbeitnehmern betroffen. Ändern sich die der Kündigung zugrunde liegenden Umstände innerhalb der Kündigungsfrist, können grundsätzlich sämtliche gekündigten Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch geltend machen. Führen die veränderten Umstände jedoch nicht dazu, dass der Arbeitgeber sämtliche entlassenen Arbeitnehmer wieder einstellen kann, so ist ihm dies nicht zumutbar. Der Wiedereinstellungsanspruch einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern ist damit unbegründet. In diesem Fall hat der Arbeitgeber bei der Auswahl der wiedereinzustellenden Arbeitnehmer die in § 1 Abs. 3 KSchG vorgeschriebenen sozialen Gesichtspunkte Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung zu berücksichtigen.5 Dies ergibt sich daraus, dass der Wiedereinstellungsanspruch den durch § 1 KSchG geregelten Bestandsschutz absichern soll, sodass eine Parallele zu § 1 Abs. 3 KSchG gerechtfertigt erscheint. Dabei kann es dahin stehen, ob für dieses Ergebnis § 1 Abs. 3 KSchG analog angewendet oder auf §§ 315, 242 BGB zurückgegriffen wird. Es ist jedoch zu beachten, dass sich die danach erforderliche Sozialauswahl lediglich auf die bereits gekündigten Arbeitnehmer erstreckt, die grundsätzlich einen Wiedereinstellungsanspruch haben können. Von der Sozialauswahl werden die noch nicht gekündigten Arbeitnehmer dagegen nicht umfasst.
1 BAG v. 18.10.1994 – 1 ABR 9/94, NZA 1995, 281; v. 22.4.1997 – 1 ABR 74/96, NZA 1997, 1297; v. 28.4.1998 – 1 ABR 63/97, NZA 1998, 1352. 2 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1177, 1182. 3 Fitting, § 99 Rz. 46 m.w.N. 4 So die Rechtsprechung des BAG: BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 5 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701 (= NJW 1998, 2379).
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Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
Rz. 743 Teil 2
Soweit der Arbeitgeber eine Wiedereinstellungsentscheidung als Ergebnis einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten zu treffen hat, wird die Beteiligung des Betriebsrats diskutiert.1 Der Betriebsrat könnte bei einer aus seiner Sicht mangelhaften Sozialauswahl eine Zustimmungsverweigerung zur Einstellung entsprechend § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG erklären. Der Arbeitgeber kann dann unter den Voraussetzungen des § 100 Abs. 1 BetrVG eine vorläufige Einstellung vornehmen und ein Zustimmungsersetzungsverfahren gegen den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG einleiten. Er kann aber auch von der geplanten Maßnahme der Betriebsfortführung ganz Abstand nehmen.2
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e) Zeitliche Grenzen der Anspruchsentstehung Ist der Kündigungsgrund innerhalb der laufenden Kündigungsfrist weggefallen, so besteht ein Wiedereinstellungsanspruch, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Nur in diesem Zeitraum trifft den Arbeitgeber grundsätzlich die Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer, die ihn verpflichtet, diesen bei Veränderung der Umstände weiter zu beschäftigen. Mit Ablauf der Kündigungsfrist sind die Vertragsbeziehungen beendet. Die Fürsorgepflichten erstrecken sich dann lediglich noch auf eine ordnungsgemäße Abwicklung des Vertrages.3
741
Umstritten ist, ob ein Wiedereinstellungsanspruch auch nach Ablauf der Kündigungsfrist noch gegeben sein kann. Dies ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Kündigungszeitpunkt überhaupt nicht absehbar war, dass ein Arbeitsplatz nach Ablauf der Kündigungsfrist erneut zur Verfügung steht, und zwar selbst dann, wenn ein vom Arbeitnehmer angestrengtes Kündigungsschutzverfahren andauert. Der Vertrauensschutz des Arbeitnehmers kann nur bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses reichen, da auch der Bestandsschutz des § 1 KSchG nur bis zu diesem Zeitpunkt reicht. Mit Ablauf der Kündigungsfrist sind die gegenseitigen Vertragsbeziehungen und die Pflichten beendet.4
742
Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn der Arbeitgeber die der Kündigung zugrunde liegende Unternehmerentscheidung nach Ablauf der Kündigungsfrist aufhebt oder ändert.5 Gerade bei einer Massenentlassung aufgrund einer Betriebsstilllegung, die zeitlich gestuft durchgeführt wird, bräuchte der Arbeitgeber, wenn er sich doch zur Betriebsfortführung entschließt, ansonsten nur die Arbeitnehmer wieder einzustellen, deren Kündigung im Zeitpunkt des geänderten Entschlusses noch nicht abgelaufen war.6 Bei Massenentlassungen, die zeitlich in Etappen durchgeführt werden, ist daher wohl von einer einheitlichen
743
1 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1177, 1182; BAG v. 2.4.1996 – 1 ABR 39/95, NZA 1997, 219; Amerkung dazu Däubler, EWiR 1997, 99 und Kania SAE 1998, 96. 2 So z.B. Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1177, 1182. 3 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1009, 701; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 825 ff. 4 BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 832; KR/ Griebeling, § 1 KSchG Rz. 733. 5 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701, der dies insoweit offen gelassen hat. 6 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 835.
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Teil 2 Rz. 744
Betriebsbedingte Kündigung
Maßnahme auszugehen, so dass für den Wegfall des Kündigungsgrundes innerhalb der laufenden Kündigungsfrist auf den letzten zu entlassenden Arbeitnehmer abzustellen, auch wenn bei anderen, zuvor entlassenen Arbeitnehmern die Kündigungsfrist bereits abgelaufen ist.1 744
Im Übrigen ist ein Wiedereinstellungsanspruch bei einem Wegfall des Kündigungsgrundes nach Ablauf der Kündigungsfrist abzulehnen, da es keinerlei dogmatische Rechtfertigung dafür gibt. Der Wiedereinstellungsanspruch wird aus einem erweiterten Bestandsschutz des § 1 Abs. 2 KSchG hergeleitet, so dass dieser dem Arbeitnehmer auch nur in gleichem Umfang Rechte verleihen kann. Fällt der Kündigungsgrund jedoch erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, und damit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weg, so steht dem Arbeitnehmer auch nicht mehr die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage offen. Dann kann er aber keinen Wiedereinstellungsanspruch mehr haben, zumal sich die nachvertraglichen Nebenpflichten der Vertragsparteien auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Arbeitsverhältnisses beschränken.
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Findet nach Zugang der Kündigung wegen ursprünglich beabsichtigter Betriebsstilllegung noch während des Laufs der Kündigungsfrist ein zuvor aufgrund der Prognoseentscheidung nicht vorhergesehener Betriebsübergang statt, so besteht gegen den bisherigen Arbeitgeber kein Wiedereinstellungsanspruch. Ein sog. „Fortsetzungsanspruch“ kann jedoch gegenüber dem Betriebserwerber geltend gemacht werden.2 Dies ergibt sich aus § 613a BGB i.V.m. der Richtlinie 2001/23/EG. Während die vom bisherigen Arbeitgeber nicht gekündigten Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes (§ 613a BGB) auf den Erwerber übergehen, haben die gekündigten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrages zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Wahrung ihres Besitzstandes.3
745a
Erfolgte der Betriebsübergang erst nach abgelaufener Kündigungsfrist, so kommt ein Fortsetzungsanspruch gegen den Erwerber nicht in Betracht (siehe hierzu ausführlich Teil 12 Rz. 55 ff.). Denn der Erwerber tritt lediglich in bestehende Arbeitsverhältnisse, nicht aber in nachvertragliche Pflichten des Veräußerers, die einen Weiterbeschäftigungsanspruch begründen könnten, ein.
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Der Arbeitnehmer muss im Interesse der Rechtssicherheit des Betriebserwerbers den Fortsetzungsanspruch „unverzüglich“ nach Kenntniserlangung der den Betriebsübergang ausmachenden Umstände geltend machen, wobei entsprechend der Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB auch das Fortsetzungsverlangen binnen einer Frist von einem Monat geltend gemacht werden muss.4
1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 737. 2 BAG 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, DB 2004, 2107; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 833. 3 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 833; Boewer, NZA 1999, 1177 (1179); Oberhofer, RdA 2006, 92 (96). 4 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; LAG Hamm v. 27.3.2003, LAGE § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 5; ebenso Oberhofer, RdA 2006, 92.
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Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
Rz. 749 Teil 2
" Praxistipp: Haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem gericht-
lichen oder außergerichtlichen Vergleich über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und eine Abfindung geeinigt, so steht dies einem Wiedereinstellungsanspruch nicht entgegen. Der spätere Wegfall des Kündigungsgrundes stellt einen Wegfall der Geschäftsgrundlage des Vergleichs dar. Diese Geschäftsgrundlage lag darin, dass beide Parteien bei Abschluss des Vergleichs davon ausgingen, dass sich die die Kündigung rechtfertigenden Umstände nicht verändern würden und die Kündigung daher auch bei Ablauf der Kündigungsfrist noch rechtmäßig ist.1
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f) Rechtliche Hinderungsgründe der Anspruchsentstehung Ein Wiedereinstellungsanspruch kann auch bei Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen sein, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen entsprechenden Verzicht vereinbart haben. Dies kann bereits im Anstellungsvertrag erfolgen, in dem eine Klausel eingefügt wird, dass eine rechtswirksam ausgesprochene Kündigung auch bei späterem Wegfall des Kündigungsgrundes vollzogen wird, ohne dass dem Arbeitnehmer ein Wiedereinstellungsanspruch zusteht. Gleiches gilt, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine Aufhebungsvereinbarung aufgelöst wird, in der ein Wiedereinstellungsanspruch ausdrücklich ausgeschlossen wird. Diese könnte sonst bei einer späteren Veränderung der Umstände aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage hinfällig sein, so dass dem Arbeitnehmer doch ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen könnte.2 Selbst wenn in der Aufhebungsvereinbarung kein Verzicht auf einen Einstellungs-(Fortsetzungs-)Anspruch vereinbart wurde, entfällt ein solcher Anspruch bei einem Betriebsübergang gegen den Betriebsübernehmer solange, wie die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grunde beseitigt worden ist.3 Eine Vereinbarung, in welcher der Arbeitnehmer auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage und damit auf einen Wiedereinstellungsanspruch verzichtet, wertet das BAG als formbedürftigen Auflösungsvertrag im Sinne des § 623 BGB, wenn die Klageverzichtsvereinbarung im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung getroffen wurde.4
748
Ebenso wenig führt ein Prozessvergleich im Kündigungsschutzprozess allein zu einem Ausschluss des Wiedereinstellungsanspruchs. Auch hier können nachträgliche Veränderungen zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage des Vergleichs führen. Der Wiedereinstellungsanspruch kann hier nur dann endgültig ausgeschlossen werden, wenn dies ausdrücklich in den Prozessvergleich mit aufgenommen wird. Es empfiehlt sich daher stets eine Klausel, dass der Vergleich zur endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen wird
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1 Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch, NZA 1999, 1121, 1127; Beckschulze, DB 1998, 417, 422; BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. 2 Hierzu BAG v. 8.5.2008 – 6 AZR 517/07; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96 – BAGE 85, 194, 202; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98 – BAGE 95, 171, 181 ff. 3 BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. 4 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227.
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Teil 2 Rz. 750
Betriebsbedingte Kündigung
und auch spätere Veränderungen der Umstände den Vergleich nicht hinfällig machen und einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nicht begründen können. 2. Rechtsfolgen des Wiedereinstellungsanspruchs a) Anspruch auf Beschäftigung am alten Arbeitsplatz? 750
Der Wiedereinstellungsanspruch dient letztlich der Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit den gleichen Konditionen wie zuvor. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer aufgrund dieses neuen Arbeitsvertrages jedenfalls einen Anspruch auf Beschäftigung gegenüber dem Arbeitgeber hat. Da es jedoch um die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses geht, dürfte der Arbeitnehmer grundsätzlich auch einen Anspruch auf Beschäftigung an seinem alten Arbeitsplatz haben.1 Dies setzt allerdings voraus, dass dieser Arbeitsplatz aufgrund der nachträglichen Umstände unverändert fortbesteht. Ist eine Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber nur zu anderen Bedingungen zumutbar, so kann sich dies auch auf den Einsatzbereich des Arbeitnehmers beziehen. b) Vergütungsanspruch und Annahmeverzugslohn
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Für die Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt des Entstehens seines Wiedereinstellungsanspruchs einen Vergütungsanspruch oder aber bei Nichtannahme der Arbeitsleistung einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 BGB hat, wenn der Arbeitgeber den Wiedereinstellungsanspruch zu Unrecht zurückweist.
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Findet sich keine gütliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Wiedereinstellung, muss der Arbeitnehmer Klage erheben, die auf Abgabe einer Willenserklärung des Arbeitgebers über den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu unveränderten Konditionen gerichtet ist. Gibt das Gericht diesem Anspruch statt, so gilt die Willenserklärung gemäß § 894 ZPO mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben.
753–754
Einstweilen frei.
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Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber damit zu einem rückwirkenden Abschluss des Arbeitsvertrags verurteilt werden soll. Die anfängliche Unmöglichkeit führt nicht zur Nichtigkeit des Vetrages, sondern gewährt dem Arbeitnehmer nach § 311a Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch, der auf das Erfüllungsinteresse gerichtet ist (siehe hierzu ausführlich Teil 12 Rz. 50 ff.).
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Der Arbeitnehmer hat daher grundsätzlich einen Vergütungsanspruch ab diesem Zeitpunkt. Hat der Arbeitgeber den Wiedereinstellungsanspruch zurückgewiesen, wird er den Arbeitnehmer im Regelfall nicht beschäftigen. Dies führt dazu, dass er sich für die Vergangenheit in Annahmeverzug befunden und grundsätzlich daher Annahmeverzugslohn gemäß § 615 BGB zu zahlen hat. 1 Vgl. BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07; v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, EzA-SD 2008, Nr. 5, 7–11.
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Mues
Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung
Rz. 760 Teil 2
c) Wegfall des Annahmeverzugs bei verspäteter Geltendmachung? Eine Ausnahme kann sich ergeben, wenn der Arbeitnehmer den Wiedereinstellungsanspruch nicht schon während der laufenden Kündigungsfrist, sondern erst nach deren Ablauf geltend gemacht hat. Dann ist bereits ein gewisser Zeitraum verstrichen, in dem eine Weiterbeschäftigung rein tatsächlich nicht möglich war, da dem Arbeitgeber der Anspruch des Arbeitnehmers nicht bekannt war.
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Es ist daher einschränkend davon auszugehen, dass das neue Arbeitsverhältnis erst mit der Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs begründet wird. Dabei ist zu beachten, dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis durch die Kündigung tatsächlich beendet worden ist und der Arbeitgeber darauf zunächst vertrauen durfte. Es ist daher Sache des Arbeitnehmers, eine Weiterbeschäftigung zu verlangen. Dem Arbeitgeber kann das Entgeltrisiko daher erst ab dem Zeitpunkt auferlegt werden, ab dem der Arbeitnehmer einen Antrag nach § 894 ZPO gestellt hat. Liegt dieser Zeitpunkt nach dem Ablauf der Kündigungsfrist, so kann er für den Zeitraum zwischen der Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses und der Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs durch einen Antrag nach § 984 ZPO einen Annahmeverzugsanspruch nur im Wege einer Schadensersatzklage geltend machen. Da der Arbeitgeber bis zur Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs jedoch von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehen durfte, dürfte es in diesen Fällen regelmäßig an einem Verschulden seinerseits fehlen. Der Schadenersatzanspruch würde letztlich daran scheitern.
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D. Anhörung des Betriebsrats und des Sprecherausschusses der leitenden Angestellten bei der betriebsbedingten Kündigung Gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung – also auch vor einer betriebsbedingten Kündigung – anzuhören. Gleiches gilt gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 SprAuG hinsichtlich des Sprecherausschusses vor jeder Kündigung eines leitenden Angestellten. Ihm sind dabei die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§§ 102 Abs. 1 Satz 2, 31 Abs. 2 Satz 2 SprAuG).
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Durch diese Vorschriften wird der individuelle Kündigungsschutz mit den betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen bzw. den Regelungen nach dem SprAuG verbunden. Folge einer fehlenden Anhörung ist in beiden Fällen, dass die Kündigung irreversibel unwirksam ist, ohne dass es noch auf die Gründe für die Kündigung ankäme, §§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, 31 Abs. 2 Satz 3 SprAuG. Nach ständiger Rechtsprechung ist zudem – in analoger Anwendung dieser Vorschriften – davon auszugehen, dass die Kündigung nicht nur dann unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat zuvor überhaupt beteiligt zu haben, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung seiner Unterrichtungspflicht nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Die Einschaltung des Betriebsrats vor einer Kündigung hat nämlich über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn,
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485
Teil 2 Rz. 761
Betriebsbedingte Kündigung
ihm Gelegenheit zu geben, seine Meinung zu der Kündigungsabsicht mitzuteilen. Dies ist nur möglich, wenn dem Betriebsrat der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt näher bekannt ist.1 761
Bei der Anhörung des Betriebsrats ergibt sich zusätzlich noch die Besonderheit, dass ein frist- und ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses auslöst (§ 102 Abs. 5 BetrVG), von dem der Arbeitgeber nur unter besonderen Voraussetzungen entbunden werden kann. Handelt es sich um eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung gem. § 1 KSchG und hat der Betriebsrat nach der Anhörung begründet aus einem der Gründe aus § 102 Abs. 3 Nr. 2–5 BetrVG widersprochen, ist die Kündigung schon aus diesem Grund sozialwidrig, ohne dass es einer weiteren Prüfung bedürfte (sog. absoluter Sozialwidrigkeitsgrund, § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3 KSchG).
I. Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse 762
Wie oben schon dargelegt, treten die Rechtsfolgen der §§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, 31 Abs. 2 Satz 3 SprAuG nicht nur bei gänzlich fehlender Anhörung des Betriebsrats zu der Kündigung ein, sondern auch bei nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung des Betriebsrats. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die vom Gesetz verlangte Anhörung in der Rangordnung der Beteiligungsrechte mehr ist als die bloße Mitteilung über eine bevorstehende Kündigung, wie sie etwa in § 105 BetrVG vorgesehen ist. Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens ist es vielmehr, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen.
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Um dem zu entsprechen, werden von der Rechtsprechung an die Informationspflicht des Arbeitgebers strenge Anforderungen gestellt. Er hat dem Betriebsrat den für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt näher zu umschreiben, insbesondere die Tatsachen anzugeben, aus denen er seinen Kündigungsentschluss herleitet. Die die Kündigung tragenden Gründe sind von ihm so detailliert darzulegen, dass der Betriebsrat beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken oder Widerspruch gem. § 102 Abs. 3 BetrVG zu erheben. Der Betriebsrat ist dabei so zu informieren, dass er sich über die Person des Arbeitnehmers und über die Kündigungsgründe ohne eigene Nachforschungen für seine Stellungnahme ein Bild machen kann. Daher hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat insbesondere die Personalien des zu kündigenden Arbeitnehmers, die Kündigungsabsicht, die Kündigungsart (z.B. ordentliche oder außerordentliche Kündigung), ggf. auch den Kündigungstermin und die Kündigungsfristen sowie deutlich genug die Kündigungsgründe mitzuteilen. Nur bei Mitteilung dieser Tatsachen kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von einer wirk-
1 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813 (= DB 1997, 1411); v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, NZA 1994, 311 (= DB 1994, 381); vgl. ausführlich hierzu Schoof, Die Rechte des Betriebsrats bei Kündigung, AiB 2007, 596.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 766 Teil 2
samen Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgegangen werden.1 Die danach maßgeblichen Tatsachen muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat substantiiert mitteilen. Es genügt in der Regel nicht, dass er sie nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig vorträgt oder bloße Werturteile mitteilt, wie z.B. „Auftragsmangel“, „Umsatzrückgang“, „schwierige wirtschaftliche Lage“ oder „Rationalisierung“.2 Bei einer betriebsbedingten Kündigung bedeutet dies, dass dem Betriebsrat die Tatsachen mitgeteilt werden, aufgrund derer der Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers wegfällt (inner- und/oder außerbetriebliche Gründe und unternehmerische Organisationsentscheidung). Erforderlich ist weiterhin die Mitteilung, dass kündigungsvermeidende mildere Mittel (fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit) ausscheiden und – wenn es auf die soziale Auswahl unter mehreren Arbeitnehmern ankommt – die Angabe der hierfür wesentlichen Gesichtspunkte, der „Sozialdaten“.3 Formell sind an das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG keine besonderen Anforderungen zu stellen. Es kann sowohl schriftlich wie auch mündlich erfolgen.4 Um den späteren Beweis in einem Kündigungsschutzprozess zu erleichtern, empfiehlt es sich jedoch, dem Betriebsrat die Informationen schriftlich mitzuteilen und sich den Eingang bestätigen zu lassen.5 Nach § 26 Abs. 2 S. 2 BetrVG ist der Vorsitzende oder sein Stellvertreter zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigt.6 Der Betriebsrat kann auch einzelne seiner Mitglieder zum Empfang bevollmächtigen. Er kann auch Erklärungsboten bestellen.7 Eine Vorlage von Beweismitteln durch den Arbeitgeber ist bei der Anhörung nicht erforderlich. Erst bei Bestreiten im Prozess vor dem Arbeitsgericht ist zu klären, ob die Kündigungsgründe zutreffend und nachweisbar sind. Stellt sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren heraus, dass die Umstände, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlasst hatten, nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisbar sind, so berührt das die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung des Betriebsrats nicht. Hielte man den Arbeitgeber generell für verpflichtet, auch solche Umstände mitzuteilen, die Zweifel an der Beweiskraft seiner Beweismittel begründen könnten, so würde dies zu einer mit § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht beabsichtigten Vermengung der formellen Wirksamkeitsvoraussetzung der Anhörung mit der Überprüfung der Kündigungsgründe aufgrund der Prozesssituation und damit zu einer Vorverlagerung des Kündigungsschutzprozesses in das Anhörungsverfahren führen.8 1 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 386/94, NZA 1995, 672 (= DB 1995, 1134); v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, NZA 1994, 311 (= DB 1994, 381). 2 BAG v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, NZA 1996, 1556; v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363; v. 11.7.1991 – 2 AZR 119/91, NZA 1992, 38. 3 Siehe dazu die Übersicht bei DKK/Kittner, § 102 Rz. 90. 4 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, BB 2001, 2115; v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, NZA 1997, 656 (= DB 1997, 1284). 5 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 45. 6 BAG v. 27.5.1985 – 2 AZR 412/84, BAGE 49, 136. 7 BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990. 8 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 386/94, NZA 1995, 672 (= DB 1995, 1134); v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363 (= DB 1995, 477).
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1. Mitteilung der Gründe für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit a) Subjektive Determination der Mitteilungspflicht 767
Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss der Betriebsrat zunächst darüber informiert werden, wieso die bisher vorhandene Beschäftigungsmöglichkeit weggefallen ist. Bei der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers zu diesem Punkt – wie auch zu allen weiteren – sind nach ständiger Rechtsprechung des BAG nur diejenigen Gründe mitzuteilen, die aus der subjektiven Sicht des Kündigenden die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (sog. subjektive Determinierung der Unterrichtungspflicht).1 Trotz subjektiver Determinierung ist ein Betriebsrat nur ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner, des Arbeitgebers Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat.2 Teilt der Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung (zunächst) nicht stützen will oder weil er sie bei seinem Kündigungsentschluss für unerheblich oder entbehrlich hält, dann ist die Anhörung selbst ordnungsgemäß. Die in objektiver Hinsicht unvollständige Anhörung verwehrt es aber dem Arbeitgeber, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen.3 Eine objektiv unvollständige Unterrichtung des Betriebsrats hat demgemäß nur mittelbar dann die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, wenn der verwertbare Sachverhalt die Kündigung nicht trägt, d.h., wenn es der sachlichen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 KSchG oder § 626 BGB bedarf und dazu der mitgeteilte Kündigungssachverhalt nicht ausreicht. Eine Kündigung ist allerdings wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, wenn der Arbeitgeber es unterlässt, dem Betriebsrat mitzuteilen, dass er den gekündigten Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht für in der Lage hielt, im Betrieb weiterbeschäftigt zu werden.4 In einem derartigen Fall liegt keine objektiv unzureichende, aber nach subjektiven Gesichtspunkten ordnungsgemäße Anhörung vor, denn der Arbeitnehmer hat dann den aus seiner Sicht die Kündigung tragenden Gesichtspunkt nicht zum Gegenstand der Betriebsratsanhörung gemacht.
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Die subjektive Determination wird abgeleitet aus dem Wortlaut und dem Zweck des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Die „Grunde für die Kündigung“ meint die Beweggründe des Arbeitgebers, die ihn zur Kündigung veranlasst haben. Allein auf diese soll der Betriebsrat Einfluss nehmen können.5
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Der Arbeitgeber kommt seiner Pflicht zur Unterrichtung des Betriebsrats nicht nach, wenn er aus seiner subjektiven Sicht bewusst unrichtige oder unvollstän1 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266; v. 11.12.2003 – 2 AZR 536/02; v. 24.2. 2000 – 8 AZR 167/99, NZA 2000, 764; v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24; v. 11.7.1991 – 2 AZR 119/91, NZA 1992, 38. 2 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266 m.w.N.; LAG Hamm v. 24.5.2007 – 16 Sa 1173/06, ArbuR 2007, 364. 3 BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 536/02; siehe dazu ausführlich unten Rz. 856 ff. 4 LAG Hamm v. 24.5.2007 – 16 Sa 1173/06, ArbuR 2007, 364. 5 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 74.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 771 Teil 2
dige Sachdarstellungen unterbreitet oder einen für die Entschließung des Betriebsrates wesentlichen Umstand vorenthält. Der Arbeitgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Richtigkeit dokumentierter Daten zu überprüfen.1 Er kann daher durchaus von den Eintragungen der Lohnsteuerkarte ausgehen, muss dies aber dem Betriebsrat deutlich machen.2 Verschweigt der Arbeitgeber somit dem Betriebsrat bewusst ihm bekannte und seinen Kündigungsentschluss bestimmende Tatsachen, die nicht nur eine Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhalts darstellen, sondern diesem erst das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben oder weitere eigenständige Kündigungsgründe beinhalten, dann ist das Anhörungsverfahren fehlerhaft und die Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber den Sachverhalt bewusst irreführend schildert oder so „aufbereitet“, dass sich die Kündigungsgründe als möglichst überzeugend darstellen oder wenn er gegen die Kündigung sprechende, den Arbeitnehmer entlastende Gründe weglässt.3 Der Arbeitgeber verletzt durch eine derartige Darstellung nicht nur die im Anhörungsverfahren geltende Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach §§ 2 Abs. 1, 74 BetrVG, sondern er setzt den Betriebsrat auch außerstande, sich ein zutreffendes Bild von den Gründen für die Kündigung zu machen.4 Eine bewusst irreführende und fehlerhafte Information des Betriebsrats über die betriebsbedingten Gründe für den Ausspruch einer Kündigung wurde vom LAG Thüringen für den Fall bejaht, dass bei der Anhörung – im Vergleich zum Prozessvortrag – fehlerhafte Angaben über die wegfallenden Arbeitsstellen und die Verteilung der Arbeit auf die verbleibenden Arbeitnehmer gemacht wurden und die vom Arbeitgeber später vorgetragene allgemeine unternehmerische Entscheidung, zum Zwecke der Leistungsverdichtung Arbeitsstellen ohne konkrete organisatorische Änderungen in den einzelnen Betriebsteilen einzusparen, in der Anhörung keinerlei Erwähnung fand.5
" Praxistipp: Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht für unbewusste Fehlinformationen. Die Darlegungsund Beweislast für die nicht bewusste Irreführung des Betriebsrats trägt der Arbeitgeber, wenn die objektiven Daten mit der Information des Betriebsrates nicht übereinstimmen.6
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b) Konkrete Information zum betroffenen Arbeitsplatz Will der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, muss er dem Betriebsrat im Einzelnen mitteilen, aus welchen Gründen der Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers weggefallen ist. Die inner- oder außer1 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665. 2 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266. 3 Vgl. BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; v. 9.3.1995 – 2 AZR 461/94, NZA 1995, 678; v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363; v. 11.7.1991 – 2 AZR 119/91, NZA 1992, 38; LAG Baden-Württemberg v. 24.6.1997 – 7 Sa 120/96, NZA-RR 1997, 484; LAG Schleswig-Holstein v. 12.7.1987 – 5 Sa 459/87, BB 1987, 2300. 4 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363. 5 LAG Thüringen v. 20.4.1998 – 8 Sa 739/96, NZA-RR 1999, 189. 6 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 461/94, NZA 1995, 678.
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betrieblichen Ursachen für den Wegfall sind dabei genau zu beschreiben. Gleiches gilt für die unternehmerische Entscheidung und die Kausalität zwischen der Entscheidung und dem Wegfall des betroffenen Arbeitsplatzes. Mit pauschalen Hinweisen wie z.B. Auftragsmangel, Arbeitsmangel oder Rationalisierungsmaßnahmen genügt der Arbeitgeber seiner Mitteilungspflicht nicht.1 772
Beschließt der Arbeitgeber z.B. neue Maschinen anzuschaffen und fällt dadurch eine Beschäftigungsmöglichkeit weg, sind die Grundzüge der Auswirkungen der Technik sowie der Ablauf der Tätigkeit der davon betroffenen Arbeitnehmer zu erläutern und es ist zu erklären, inwieweit die weggefallene Tätigkeit jetzt technisch erledigt wird.2 Will der Arbeitgeber das Beschäftigungsvolumen umverteilen und entfällt durch die Erhöhung der Arbeitsdichte ein Arbeitsplatz, muss er dem Betriebsrat genau seine dazu gemachten Vorüberlegungen mitteilen.3 Er muss also im Einzelnen erläutern, wie der weggefallene Arbeitsplatz in einzelne Arbeitsvorgänge „atomisiert“ wurde und wie er alle Arbeitsvorgänge auf die bereits vorhandenen Arbeitsplätze verteilt hat, so dass als Konsequenz der Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeitsvorgänge auf andere Arbeitnehmer entfallen ist. Stützt der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung darauf, dass durch eine Kombination von externer Vergabe der bisherigen Arbeitsaufgaben des Arbeitnehmers und einer internen Umverteilung die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfallen ist, so hat er den Betriebsrat hierüber vollständig zu unterrichten. Es ist nicht ausreichend, wenn der Betriebsrat zwar seine Motive für die geplante Umorganisation – größtmögliche Kosteneinsparung – ausführlich übermittelt, die geplante organisatorische Maßnahme selbst dem Betriebsrat jedoch nur vage und ohne die erforderliche Konkretisierung schildert.4 c) Darlegung fehlender anderweitiger Einsetzbarkeit
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Da der Wegfall eines Arbeitsplatzes allein noch nicht zur sozialen Rechtsfertigung einer betriebsbedingten Kündigung führt, sondern immer vom Arbeitgeber vor jeder Beendigungskündigung die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung im Unternehmen (siehe § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG) geprüft und dem Arbeitnehmer ggf. ein entsprechendes Änderungsangebot gemacht werden muss, ist auch der Betriebsrat über diesen Gesichtspunkt zu informieren. Dies gilt umso mehr, als ein Verstoß dagegen den Betriebsrat gem. § 102 Abs. 3 Nr. 3 bis 5 BetrVG zum Widerspruch gegen die ordentliche Kündigung berechtigt. Ist z.B. bei einem Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes eines Arbeitnehmers die Versetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz zu erwägen, dann spricht es für die Kündigung, wenn der Arbeitgeber die Versetzung unterlässt, weil der Arbeitnehmer für die andere Tätigkeit nicht geeignet ist, oder er auch diesen den Arbeitsplatz einsparen möchte. Die für oder gegen eine der-
1 Löwisch/Kaiser, § 102 Rz. 13. 2 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 91. 3 Siehe dazu Rz. 246 ff. Wegfall neutralen Beschäftigungsvolumens wegen Auflösung und Umverteilung von Beschäftigungsvolumen („Fadenkreuz“). 4 LAG Hamm v. 30.9.1999 – 16 Sa 2598/98, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 73.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 776 Teil 2
artige Versetzung sprechenden Gründe sind damit unmittelbarer Bestandteil der für die Kündigung maßgeblichen Gründe, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat jedoch nicht von sich aus auf jede denkbare bzw. nicht vorliegende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hinweisen. Wie ausführlich der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Kündigungsgründe zu informieren hat, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Besteht aus der Sicht des Arbeitgebers keine Möglichkeit, den zu kündigenden Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, so genügt er seiner Anhörungspflicht in der Regel schon durch den ausdrücklichen oder konkludenten Hinweis auf fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Auch im Kündigungsschutzprozess ist der Arbeitgeber zu weiterer Darlegung nur verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer angibt, wie er sich eine Weiterbeschäftigung vorstellt. Die Darlegungspflicht im Rahmen der Betriebsratsanhörung geht regelmäßig nicht weiter als die Darlegungslast im späteren Prozess.1 Gibt sich der Betriebsrat mit dieser Information zufrieden, ist er ordnungsgemäß angehört worden.
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Eine weitergehende Mitteilungspflicht des Arbeitgebers besteht allerdings dann, wenn der Betriebsrat schon vor Einleitung des Anhörungsverfahrens darauf aufmerksam gemacht hat, dass ein konkreter Arbeitsplatz unbesetzt ist und dass dort eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den zu kündigenden Arbeitnehmer besteht. Auf einen solchen gezielten Hinweis hin ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Betriebsrat konkrete Auskünfte über diesen Arbeitsplatz zu geben. Er muss im Einzelnen darlegen, weshalb eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf dem genannten Arbeitsplatz aus seiner Sicht nicht in Frage kommt.2 Dazu kann z.B. die Information zählen, dass der Arbeitnehmer nicht dem Anforderungsprofil des freien Arbeitsplatzes entspricht, er also nicht geeignet ist. Der Arbeitnehmer hat nämlich keinen Anspruch auf Beförderung auf einen besseren Arbeitsplatz zur Vermeidung der Kündigung.3 Da die Weiterbeschäftigungspflicht unternehmens- (siehe § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG), aber nicht konzernbezogen ist, können auch diesbezügliche Abgrenzungskriterien zur Mitteilungspflicht des Arbeitsgebers gehören. Kommt der Arbeitgeber diesem Verlangen nicht nach, macht dies die Anhörung und damit auch die Kündigung unwirksam. Entsprechend dem Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens kann sich der Betriebsrat in diesem Fall ohne die geforderte Information kein eigenes Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe und über ein Widerspruchsrecht gem. § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG machen. Das gleiche gilt, wenn der Betriebsrat über die bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zunächst falsch unterrichtet wurde, dies aber noch innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG substantiiert und zutreffend rügt.4
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" Praxistipp: Diese erweiterte Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gilt dann
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nicht, wenn das Verlangen des Betriebsrats, über Weiterbeschäftigungsmög-
1 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 29. 2 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761. 3 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 780 m.w.N. 4 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761.
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Teil 2 Rz. 777
Betriebsbedingte Kündigung
lichkeiten auf einem konkreten Arbeitsplatz informiert zu werden, nicht gerechtfertigt ist, z.B. weil der Betriebsrat entsprechende Kenntnisse schon besitzt.1 d) Mitteilung der Rahmenbedingungen der beabsichtigten Kündigung 777
Gerade bei betriebsbedingten Gründen wird häufig eine Kündigung nicht isoliert ausgesprochen, sondern es werden z.B. im Rahmen einer Massenentlassung oder als Folge einer Betriebsänderung mehrere Kündigungen gleichzeitig ausgesprochen. Die Kündigung kann aber auch unter eine zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat/Konzernbetriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung oder eine für diesen Fall bestehende tarifliche Regelung fallen, die für den Gekündigten bestimmte Rechte oder andere besondere Bedingungen enthält. Dies sind „Rahmenbedingungen“ der eigentlichen Kündigungen, die mit dieser zwar nicht unmittelbar zusammenhängen, aber Einfluss auf die Rechtsstellung des gekündigten Arbeitnehmers haben. Sie können für den Betriebsrat, der sich durch die Anhörung ein eigenes Bild von der Kündigung machen will, von Bedeutung sein.
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Die Frage, inwieweit der Betriebsrat davon unterrichtet werden muss, dass bei der zu beurteilenden Kündigung solche zusätzlichen Umstände hinzukommen, ist für den Fall der Massenentlassung durch § 17 KSchG geregelt. Gem. § 17 Abs. 2 KSchG muss der Arbeitgeber, wenn er beabsichtigt, anzeigenpflichtige Entlassungen nach § 17 Abs. 1 KSchG vorzunehmen, dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte erteilen und ihm z.B. die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, den Zeitraum der Entlassung, die Kriterien für die Auswahl und die Kriterien für eine etwaig vorgesehene Abfindung mitteilen. Ansonsten gelten für die Betriebsratsanhörung bei Massenentlassungen grundsätzlich keine Besonderheiten. Probleme kann es häufig mit den nach § 102 Abs. 2 BetrVG einzuhaltenden Fristen geben. Dann ist an die Möglichkeit der einvernehmlichen Fristverlängerung zu denken (siehe dazu unten Rz. 852 ff.). Ggf. kann die Betriebsratsanhörung für die geplanten Kündigungen in einem „Sammelanhörungsverfahren“ durchgeführt werden.
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In anderen Fällen, z.B. wenn der Gekündigte nach Meinung des Arbeitgebers unter ihm besondere Rechte verschaffende tarifliche oder betriebliche Regelungen fällt (einen Sozialplan oder andere die Folgen einer Kündigung regelnde Betriebsvereinbarungen) ist eine differenzierte Lösung vorzuziehen. Keine entscheidende Rolle kann bei dieser Beurteilung spielen, dass es sich dabei um eine Rechtsfrage handelt, die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers sich aber in erster Linie auf Tatsachen bezieht. Eine Mitteilungspflicht bei Rechtsfragen ist in ständiger Rechtsprechung auch für andere Fälle anerkannt, so z.B. für die im konkreten Fall anwendbare Kündigungsfrist.2 Man wird eine Hinweispflicht 1 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761. 2 Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die für den betroffenen Arbeitnehmer geltenden tariflichen oder individualvertraglichen Kündigungsfristen mitteilen, es sei denn, die Frist ist dem Betriebsrat bekannt. Als „bekannt“ gilt eine Frist nach dem BAG nicht schon dann, wenn er sich die Daten aus irgendwelchen Unterlagen heraussuchen und
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 782 Teil 2
des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat bejahen müssen, wenn die fragliche Betriebsvereinbarung nicht von diesem Organ oder einem Vorgänger abgeschlossen worden ist. Es besteht daher eine Mitteilungspflicht bei tariflichen Regelungen oder Betriebsvereinbarungen, die der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat im Rahmen seiner Zuständigkeit abgeschlossen hat. Zwar entsendet der Betriebsrat jeweils Mitglieder in den Gesamt- und damit auch in den Konzernbetriebsrat (§§ 47 Abs. 2, 55 Abs. 1 BetrVG), so dass die entsprechenden Regelungen dem Betriebsrat bekannt sein müssten bzw. er sich Kenntnis verschaffen könnte. Im Rahmen des § 102 BetrVG soll sich der Betriebsrat jedoch gerade nicht selber Informationen beschaffen müssen.1 Wurde die Regelung allerdings von dem Betriebsrat selber abgeschlossen, kann Kenntnis vorausgesetzt werden.
" Praxistipp: Hält der Arbeitgeber eine solche Regelung im konkreten Fall
nicht für anwendbar, muss er dies dem Betriebsrat nicht miteilen. Dies hängt mit dem Grundsatz der subjektiven Determinierung zusammen, wonach der Arbeitgeber nur Umstände mitteilen muss, die aus seiner Sicht für den Fall relevant sind.
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e) Art der beabsichtigten Kündigung (außerordentlich/ordentlich) Der Betriebsrat muss weiterhin nach ständiger Rechtsprechung über die Art der Kündigung informiert werden, also ob der Arbeitgeber ordentlich, fristlos außerordentlich oder außerordentlich mit Auslauffrist kündigen will.2
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Wie oben schon dargelegt3, rechtfertigen dringende betriebliche Erfordernisse zwar im Regelfall nur eine ordentliche Kündigung, im Fall einer Betriebsstilllegung können aber Konstellationen auftreten, bei denen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber unzumutbar i.S.v. § 626 BGB ist, insbesondere wenn die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausgeschlossen oder eine längere Kündigungsfrist vereinbart wurde. Gerade in letzteren Fällen kann es – zur Vermeidung von Widersprüchen im Vergleich zu den ordentlich kündbaren Arbeitnehmern – auch zu einer außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen/tariflichen Kündigungsfrist für die ordentliche Kündigung kommen. Hier muss der Betriebsrat ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um eine ordentliche Kündigung handelt, die wegen Verstoßes gegen den Ausschluss unwirksam wäre, sondern um eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist. Dies ist insbesondere wichtig, weil dem Betriebsrat bei einer solchen Kündigung andere Möglichkeiten zustehen, als bei einer „normalen“ außerordentlichen Kündigung. So kann er nicht nur analog § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen, sondern der Widerspruch hat auch entsprechend § 102 Abs. 5 BetrVG zur Folge, dass ein Weiterbeschäftigungs-
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selbst erschließen muss. BAG v. 29.3.1990, EzA § 102 BetrVG Nr. 79; siehe dazu ausführlicher unten g). 1 Siehe zu diesem allgemeinen Grundsatz des Anhörungsverfahrens oben Rz. 762 ff. 2 BAG v. 29.8.1991 – 2 AZR 59/91, NZA 1992, 416 m.w.N. 3 Siehe unter Rz. 164 ff.; siehe auch BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 173/01, AP Nr. 6 zu § 620 BGB Schuldrechtliche Kündigungsbeschränkung.
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Teil 2 Rz. 783
Betriebsbedingte Kündigung
anspruch besteht, da die befristet außerordentliche Kündigung an die Stelle einer ansonsten auszusprechenden ordentlichen Kündigung tritt.1 f) Personal-, Sozial- und Beschäftigungsdaten des Arbeitnehmers 783
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Person des Arbeitnehmers nennen, dem er kündigen will, es sei denn, er beabsichtigt, allen Arbeitnehmern des Betriebes zum gleichen Zeitpunkt zu kündigen und teilt dies dem Betriebsrat entsprechend mit.2 Im Normalfall genügt dafür die Nennung von Vor- und Nachname. Die Anschrift des zu kündigenden Arbeitnehmers gehört bei der Betriebsratsanhörung nicht zu den notwendigen Angaben.3 In Großbetrieben ist es üblich, ergänzende Informationen, wie z.B. Geburtsdatum, Personalnummer und Arbeitsbereich anzugeben, damit der gekündigte Arbeitnehmer vom Betriebsrat zweifelsfrei bestimmt werden kann.4 Zudem kann der Betriebsrat nur dann, wenn er weiß, welche Tätigkeit der Arbeitnehmer im Betrieb ausübt, beurteilen, ob eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer in Betracht kommt und er deshalb der Kündigung gem. § 102 Abs. 3 Nr. 3 oder Nr. 5 BetrVG widersprechen soll.
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Will der Arbeitgeber aus einer feststehenden Gruppe von Arbeitnehmern einem/mehreren Arbeitnehmern kündigen, muss er den/die zu Kündigenden selbst benennen. Es genügt nicht, dass er dem Betriebsrat eine größere Zahl von Arbeitnehmern nennt, aus deren Kreis eine bestimmte Anzahl zu entlassen ist, und ihm die Auswahl überlässt.5
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Im Gegensatz zu anderen Kündigungsgründen, bei denen nicht eindeutig feststeht, ob und in welchem Umfang zusätzlich zur Person Sozialdaten des Arbeitnehmers mitgeteilt werden müssen6, steht bei einer betriebsbedingten Kündigung fest, dass der Arbeitgeber, sofern er eine Sozialauswahl durchgeführt hat, von sich aus die Sozialdaten der vergleichbaren Arbeitnehmer mitteilen muss. Dazu gehören zunächst die Sozialdaten des gekündigten Arbeitnehmers.7 Unter die Sozialdaten fallen zum einen die Grunddaten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung8, wobei bei einer betriebsbedingten Kündigung im Regelfall die Mitteilung des Lebensalters und der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers selbst dann unverzicht-
1 BAG v. 4.2.1993 – 2 AZR 469/92, EzA § 626 BGB Nr. 144; Fitting, § 102 Rz. 105. 2 LAG Hamm v. 6.4.1995 – 4 Sa 1902/94, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 52. 3 LAG Hamm v. 27.2.1992 – 4 (9) Sa 1437/90, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10. 4 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 396. 5 LAG Berlin v. 14.9.1981 – 9 Sa 63/81, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 46. 6 Siehe den Überblick von Oppertshäuser, Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung und Mitteilung der Sozialdaten, NZA 1997, 920, 921. 7 BAG v. 29.3.1984 – 2 AZR 429/83, NZA 1984, 169; v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521; v. 26.10.1995 – 2 AZR 1026/94, NZA 1996, 703; v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101; v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; zur weiteren Informationspflicht im Rahmen der Sozialauswahl siehe unten Rz. 795. 8 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 93; Fitting, § 102 Rz. 30.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 787 Teil 2
bar ist, wenn der Arbeitgeber keine Sozialauswahl vorgenommen hat.1 Zu den Grunddaten gehören aber auch besondere soziale Umstände wie z.B. eine arbeitsbedingte Erkrankung, besondere Arbeitsmarktaspekte, Pflegebedürftigkeit naher Angehöriger, Höhe des Ehegatteneinkommens oder Alleinerziehung, sofern der Arbeitgeber diese in sein Auswahlerwägungen mit einbezogen hat. Entsprechend dem Grundsatz der sozialen Determinierung muss der Arbeitgeber nur die Umstände mitteilen, die ihm bisher bekannt sind und auf die er aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung stützen will. Bestehen weitere objektiv kündigungserhebliche Umstände, die der Arbeitgeber bei der Kündigung nicht berücksichtigen will, und teilt er diese dem Betriebsrat nicht mit, macht dies die Anhörung nicht unwirksam. Die Kündigung ist dann gem. § 1 Abs. 2 oder 3 KSchG, nicht aber gem. § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Dieser Umstand kann allerdings Auswirkungen auf das Nachschieben von Kündigungsgründen in einem Kündigungsschutzprozess haben.2
" Praxistipp: Der Arbeitgeber muss nur Sozialumstände mitteilen, die ihm
zur Zeit der Kündigung aktuell bekannt sind. Er kann sich dabei auf die ihm vom Arbeitnehmer gemachten Angaben verlassen.3 Wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Änderung von Sozialdaten nicht mitteilt und der Arbeitgeber auch nicht aus anderen Gründen von der Änderung Kenntnis erlangt, geht die unrichtige Mitteilung der Sozialdaten nicht zu Lasten des Arbeitgebers. Ist der Arbeitgeber auch nach Heranziehung anderer Umstände über den Familienstand und die Kinderzahl im Unklaren, so muss er dem Betriebsrat gegenüber die Angabe machen: „Kinderanzahl nicht bekannt“ oder „Kinder laut Lohnsteuerkarte: keine“, damit der Betriebsrat im Rahmen seiner Anhörungspflicht den Arbeitnehmer über die noch offenen Sozialdaten selbst befragen kann. Bei ausländischen Arbeitnehmern kann wegen der Besonderheiten des Einkommensteuerrechts niemals zuverlässig von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte auf die tatsächliche Kinderzahl geschlossen werden.4
786
g) Kündigungsfrist und Termin Mit der Anhörung des Betriebsrats vor jeder Kündigung soll auch eine zeitliche Konkretisierung der beabsichtigten Kündigung bewirkt werden.5 Zu einer ordnungsgemäßen Anhörung gehört es deshalb, dass der Betriebsrat das ungefähre 1 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. 2 Siehe dazu unten IV.3; BAG v. 16.1.1987 – 7 AZR 495/85, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 48; Fitting, § 102 Rz. 25; Löwisch/Kaiser, § 102 Rz. 13; a.A. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 93, wonach der Arbeitgeber über alle weiteren Gesichtpunkte informieren muss, die für die Berechtigung der Kündigung entscheidend sein können. Würde er wegen der subj. Determinierung von vornherein derartige Besonderheiten nicht berücksichtigen wollen, gäbe er zu erkennen, dass er nicht gewillt ist, eine angemessene Bewertung der sozialen Gesichtspunkte vorzunehmen und die Kündigung wäre schon aus diesem Grunde unwirksam. 3 Hümmerich, Verfestigte Rechtsprechung zur Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG, RdA 2000, 345, 352. 4 ArbG Stuttgart v. 31.10.1991 – 6 Ca 2171/91, AiB 1992, 360. 5 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521.
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Teil 2 Rz. 787a
Betriebsbedingte Kündigung
Vertragsende und die zwischen Ausspruch der Kündigung und Entlassungstermin liegende Zeitdauer in etwa abschätzen kann.1 Aus diesem Grund sind ihm die einzuhaltende (gesetzliche/tarifliche) Kündigungsfrist und im Regelfall auch der beabsichtigte Kündigungstermin (Endtermin, zu dem die Kündigung wirksam werden soll) mitzuteilen.2 787a
Eine Besonderheit ergibt sich bei der Berechnung der Kündigungsfristen von Arbeitnehmern, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den Betrieb eingetreten sind. Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sind bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit nur die Zeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Diese Regelung begegnet mit Blick auf den in Richtlinie 2000/78/EG konkretisierten Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung erheblichen Bedenken.3 Die Altersgrenze behandelt Personen, die die gleiche Betriebszugehörigkeitsdauer aufweisen, unterschiedlich, je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind. Der EuGH hat in Fortführung seiner Mangold-Rechtsprechung4 mit Urteil vom 19.1.20105 folgerichtig entschieden, dass § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt und von den nationalen Gerichten nicht mehr angewendet werden darf. Zwar stelle die Zielsetzung der Norm, dem Arbeitgeber eine größere personalwirtschaftliche Flexibilität zu verschaffen, indem seine Belastung im Zusammenhang mit der Entlassung jüngerer Arbeitnehmer verringert werde, denen eine größere berufliche und persönliche Mobilität zugemutet werden könne, eine rechtmäßige arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Zielsetzung im Sinne der Richtlinie dar. Jedoch sei § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB im Hinblick auf die Erreichung dieses Zieles nicht angemessen, weil er für alle Arbeitnehmer, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den Betrieb eingetreten sind, unabhängig davon gelte, wie alt sie zum Zeitpunkt ihrer Entlassung sind.
787b
" Praxistipp: Bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsvertrag noch eine auf § 622
788
Die Kenntnis des Betriebsrats von der Kündigungsfrist ist besonders wichtig, da erst dann deren Einhaltung überprüft werden kann. Häufig lässt sich auch erst dadurch die Tragweite der geplanten personellen Maßnahme (z.B. Reduzierung des Weihnachtsgeldes bei einer Änderungskündigung) ermitteln und abschät-
Abs. 2 Satz 2 BGB verweisenden Bestimmung enthält, ist die Norm bei der Berechnung der Kündigungsfrist für den Ausspruch der Kündigung nunmehr außer Acht zu lassen. Solange der nationale Gesetzgeber nicht nachgebessert hat, sollte im Rahmen der Betriebsratsanhörung auf die verlängerte Frist hingewiesen werden.
1 BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 895/95, NZA 1997, 373; v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521. 2 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 420/89, NZA 1990, 894; v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, NZA 1994, 311; v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521. 3 So bereits vor der Entscheidung des EuGH: LAG Berlin-Brandenburg v. 24.7.2007 – 7 Sa 561/07; LAG Schleswig-Holstein v. 28.5.2008 – 3 Sa 31/08; ebenso Annuß, BB 2006, 325, 326; Preis, NZA 2006, 401, 408; Hamacher/Ulrich, NZA 2007, 657, 663. 4 EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345. 5 EuGH v. 19.1.2010 – C-555/07, NZA 2010, 85.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 793 Teil 2
zen, ob die Gründe für die Kündigung im Entlassungszeitpunkt tatsächlich bestehen.1 Angaben über die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist sind nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat über die tatsächlichen Umstände für die Berechnung der maßgeblichen Frist unterrichtet ist.2 Ist ihm z.B. bekannt, dass der Arbeitgeber auf alle Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeiter die einschlägigen tariflichen Regelungen aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen uneingeschränkt zur Anwendung bringt, ist der Arbeitgeber in bezug auf eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats nicht gehalten, ihm die einschlägigen tariflichen Kündigungsfristen für die beabsichtigte ordentliche Beendigungskündigung eines konkreten Arbeitsverhältnisses gesondert mitzuteilen.3 Gleiches gilt, wenn der Konkursverwalter dem Betriebsrat nach bereits erfolgter Stilllegung des Betriebes mitteilt, er wolle das Arbeitsverhältnis gemäß § 22 KO i.V.m. § 113 InsO zum nächst möglichen Termin kündigen und dem Betriebsrat aufgrund eines zuvor abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste das Alter und die Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer bekannt waren.4
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" Praxistipp: Hat der Arbeitgeber die Kündigung mit anderer Kündigungsfrist
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Eine exakte Angabe des Endtermins ist nicht erforderlich, wenn nicht sicher ist, wann die Kündigung dem Arbeitnehmer zugeht.6 Nach dem BAG muss der Arbeitgeber jedenfalls dann keine besonderen Angaben zu diesem Punkt machen, wenn er die Kündigung alsbald nach Abschluss des Anhörungsverfahrens zum nächstmöglichen Termin aussprechen will.7
791
erklärt, als sie dem Betriebsrat zuvor mitgeteilt worden war (z.B. Kündigung mit längerer gesetzlicher Kündigungsfrist anstelle einer dem Betriebsrat mitgeteilten kürzeren tariflichen Kündigungsfrist) hat dies alleine nicht die Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung zur Folge.5
2. Information zum Kriterium „Dringlichkeit“ der Gründe Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch ein dringendes betriebliches Erfordernis bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
792
Nach dem BAG sind betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung nur dann dringend, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als durch Kündigung zu entsprechen. Durch das Erfordernis der
793
1 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 420/89, NZA 1990, 894. 2 BAG v. 29.1.1986 – 7 AZR 257/84, NZA 1987, 32; v. 24.10.1993 – 2 AZR 895/95, NZA 1997, 373. 3 LAG Hamm v. 15.7.1993 – 17 Sa 428/93, ZTR 1994, 85. 4 LAG Hamm v. 16.8.2000 – 2 Sa 1859/99, BB 2000, 2472. 5 LAG Kiel v. 23.2.1995 – 4 Sa 506/94, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 45. 6 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521; v. 29.1.1986 – 7 AZR 257/84, NZA 1987, 32. 7 BAG v. 29.1.1986 – 7 AZR 257/84, NZA 1987, 32.
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Teil 2 Rz. 794
Betriebsbedingte Kündigung
Dringlichkeit wird dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen. Trotz Bindung an die Entscheidung der Unternehmensleitung ist zu kontrollieren, ob nur der Entschluss zur Kündigung in den Rahmen der (umgestaltenden) Betriebsorganisation passt oder ob diese nicht auch ohne Kündigung verwirklicht werden kann (so z.B. durch Kurzarbeit). Es ist danach nicht ausreichend, dass die dem unternehmerischen Grundkonzept entsprechende Maßnahme an sich geeignet ist, den erstrebten Zweck zu erreichen, es muss vielmehr unter mehreren geeigneten Mitteln dasjenige gewählt werden, das den Betroffenen am wenigsten belastet.1 794
Da die Dringlichkeit Voraussetzung der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung ist, muss der Arbeitgeber auch hierzu den Betriebsrat anhören und ihm dementsprechende Informationen mitteilen. Es gilt hier allerdings dasselbe, wie bei der Darlegung zur anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (s.o.). Sieht der Arbeitgeber keine Möglichkeit, der Kündigung mit anderen organisatorischen Maßnahmen entgegenzuwirken, genügt ein entsprechender Hinweis. Erst wenn der Betriebsrat Auskunft über eine konkrete Maßnahme verlangt, muss der Arbeitgeber hierzu ausführlich vortragen. 3. Informationen zur Sozialauswahl
795
Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat weiterhin – sofern im konkreten Fall eine Sozialauswahl durchzuführen war – die Gründe mitzuteilen, die ihn gerade zur Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers veranlasst haben. Die Sozialauswahl ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des nach § 102 Abs. 1 BetrVG mitzuteilenden Kündigungsgrundes und erst wenn der Arbeitgeber seiner entsprechenden Mitteilungspflicht nachgekommen ist, kann regelmäßig der Betriebsrat sachgerecht entscheiden.2 Die Kriterien für die Auswahl sind dabei ohne eine entsprechende Aufforderung des Betriebsrats von sich aus vom Arbeitgeber mitzuteilen.3 a) Information über Sozial- und Beschäftigungsdaten des Betroffenen und des auswahlrelevanten Personenkreises, Qualifikationsunterschiede und Anforderungsprofile
796
Das wichtigste Abwägungskriterium, das der Arbeitgeber offenbaren muss, sind die Sozialdaten. Mitzuteilen sind zum einen die Sozialdaten des von der Kündigung tatsächlich Betroffenen (siehe dazu oben Rz. 783 ff.). Zum anderen muss der Arbeitgeber den Betriebsrat auch über die Daten der Arbeitnehmer informieren, die er für vergleichbar gehalten und bei der Sozialauswahl berücksichtigt hat. Erst dann kann der Betriebsrat die für und gegen den betroffenen Arbeitnehmer sprechenden Gesichtspunkte denen vergleichbarer, bei dem Arbeitgeber verbleibender Arbeitnehmer gegenüberstellen und so die Abwägung nachvoll1 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734; v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181. 2 BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101. 3 BAG v. 29.3.1984 – 2 AZR 429/83, NZA 1984, 169; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 62 f., 62g.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 800 Teil 2
ziehen.1 Hinsichtlich der Sozialdaten gilt dabei das oben zum betroffenen Arbeitnehmer Ausgeführte. Grenzen ergeben sich auch hier aus der subjektiven Determination des Anhörungsverfahrens. Da sich die Mitteilungspflicht auf die Gründe beschränkt, die den Arbeitgeber aus seiner subjektiven Sicht zur Kündigung veranlasst haben, braucht er dementsprechend bei der Sozialauswahl nur seine subjektiven, d.h. die von ihm tatsächlich angestellten Auswahlüberlegungen mitzuteilen. Die Daten von vergleichbaren Arbeitnehmern müssen daher nicht mitgeteilt werden, wenn der Arbeitgeber eine – objektiv erforderliche – Sozialauswahl unterlassen hat, weil er keinen anderen Arbeitnehmer für vergleichbar hielt.2 In diesem Fall müssen nach dem BAG aber zumindest die Grunddaten des zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmers angegeben werden.3
797
Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber die Auswahl nicht nach sozialen, sondern nach Leistungsgesichtspunkten getroffen hat. In diesem Fall muss er dem Betriebsrat nur die Leistungsgesichtspunkte angeben; dann hat er seine Unterrichtungspflicht erfüllt. Hat z.B. der Arbeitgeber eine Sozialauswahl vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung wegen Widerspruchs des Arbeitnehmers gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses für überflüssig gehalten, bedarf es im Rahmen der Betriebsratsbeteiligung keiner „vorsorglichen Sozialauswahl“. Über eine abstrakt mögliche, aber unterbliebene Auswahl muss nicht unterrichtet werden. Diese ist für den Kündigungsentschluss gerade nicht maßgeblich gewesen. Das Unterbleiben einer Sozialauswahl indiziert in diesem Falle nicht die ungenügende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte, wenn der gesamte Bereich ausgegliedert wurde und dem Arbeitnehmer anerkennenswerte Gründe für den Widerspruch nicht zur Seite standen.4
798
Die Daten von (objektiv) vergleichbaren Arbeitnehmern müssen ebenfalls nicht mitgeteilt werden, wenn der Arbeitgeber deren Vergleichbarkeit verneint und sie deshalb nicht in die Sozialauswahl einbezogen hat.5
799
Hat der Arbeitgeber bei der Kündigung keine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten getroffen, will der Betriebsrat aber von sich aus ein Bild darüber machen, ob die Kündigung unter Berücksichtigung von sozialen Daten gerechtfertigt ist, kann er vom Arbeitgeber verlangen, dass dieser ihm die entsprechenden Daten aller mit den zu kündigenden vergleichbaren Arbeitnehmern mitteilt, soweit sie dem Betriebsrat unbekannt sind. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dieser Aufforderung nachzukommen. Da es sich hierbei aber nicht um eine auf § 102 Abs. 1 BetrVG beruhende Pflicht handelt (Rechtsgrundlage ist vielmehr § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG), hat eine Verletzung dieser Pflicht nicht automatisch die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.6
800
1 BAG v. 26.10.1995 – 2 AZR 1026/94, NZA 1996, 703; v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101. 2 BAG v. 16.1.1987 – 7 AZR 495/85, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 48. 3 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521. 4 BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 167/99, NZA 2000, 764. 5 BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, NZA 1987, 601. 6 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 62k m.w.N.
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Teil 2 Rz. 801 801
Betriebsbedingte Kündigung
Bei einer betriebsbedingten Kündigung kann schließlich die Mitteilung der Sozialdaten von Arbeitnehmern erforderlich werden, wenn der Arbeitgeber von der ihm durch § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eingeräumten Möglichkeit, bestimmte Arbeitnehmer wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im betrieblichen Interesse von der Sozialauswahl auszunehmen, Gebrauch gemacht hat. Da auch im Rahmen der Herausnahmeentscheidung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ein Abwägungsprozess stattfinden muss, sind dem Betriebsrat, damit er sich von dem Abwägungsvorgang ein Bild machen kann, i.d.R. die Sozialdaten sowohl der zu kündigenden als auch der von der Sozialauswahl ausgenommenen Arbeitnehmer mitzuteilen. Berücksichtigt der Arbeitgeber z.B. Arbeitnehmer bestimmter Altersgruppen bei der Sozialauswahl nicht, um die ausgewogene Personalstruktur des Betriebes zu sichern, so muss der Betriebsrat auch hierüber und über die entsprechenden Sozialdaten zu informiert werden.1 b) Informationen über hierarchische Einordnung von Arbeitsplätzen und Abgrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises
802
Der Betriebsrat benötigt aber nicht nur Informationen über die vom Arbeitgeber für vergleichbar gehaltenen Arbeitnehmer. Es muss für ihn auch erkennbar sein, wie der Arbeitgeber die mit dem betroffenen Arbeitnehmer vergleichbaren Arbeitnehmer ermittelt hat. Da eine Sozialauswahl nur unter Arbeitnehmern auf derselben Ebene der Betriebshierarchie möglich ist (sog. horizontale Vergleichbarkeit) (siehe oben Rz. 354 ff.) und die Vergleichbarkeit weiterhin nach arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogenen Kriterien vorgenommen wird (tatsächliche und rechtliche Austauschbarkeit) (siehe oben Rz. 341 ff.), muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat Informationen darüber zukommen lassen, wie die Arbeitsplätze der in die Sozialauswahl einbezogenen Arbeitnehmer hierarchisch einzuordnen sind und wie er den Personenkreis von dem nicht berücksichtigten abgegrenzt hat. c) Information über die berechtigten betrieblichen Interessen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG
803
Zu den nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilenden Gründen gehören nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch die vom Arbeitgeber für die Ausklammerung bestimmter Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl ins Feld geführten berechtigten betrieblichen Interessen (Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der betreffenden Arbeitnehmer oder Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes). Nur wenn der Betriebrat über die aus sicht des Arbeitgebers maßgebenden Gründe für die Anwendung des Ausnahmetatbestandes informiert wird, kann er beurteilen, ob die Weiterbeschäftigung der betreffenden Personen tatsächlich im betrieblichen Interesse liegt.2 Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht entsprechend informiert, dann kann er sich zur Begründung der betriebs1 Oppertshäuser, Anhörung des Betriebsrats zu Kündigung und Mitteilung der Sozialdaten, NZA 1997, 920, 922. 2 Fitting, § 102 Rz. 35.
500
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 807 Teil 2
bedingten Kündigung nicht auf die Ausnahme des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berufen.1 Wie generell bei der Mitteilung der Kündigungsgründe, genügen auch hier keine pauschalen Angaben oder Schlagworte, sondern die betrieblichen Interessen sind umfassend darzustellen.2 d) Information über Auswahlkriterien, Gewichtung und Entscheidung Damit der Betriebsrat die Auswahlentscheidung nachvollziehen und beurteilen kann, genügt schließlich nicht nur die Kenntnis der oben genannten Tatsachen. Selbst wenn der Betriebsrat alle Informationen über die auf derselben hierarchischen Ebene vergleichbaren Arbeitnehmer besitzt, weiß er damit noch nicht, welche Auswahlkriterien der Arbeitgeber herangezogen hat (nur die Grunddaten oder auch weitere soziale Gesichtspunkte) und wie er diese zueinander gewichtet hat. Wie oben schon dargelegt, steht dem Arbeitgeber bei der Bewertung der verschiedenen Gesichtspunkte zueinander ein Beurteilungsspielraum zu.3 So kann er z.B. für die Sozialdaten ein Punkteschema entwickeln. Damit der Betriebsrat die „ausreichende Berücksichtigung“ der sozialen Gesichtspunkte überprüfen und ggf. Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG einlegen kann, muss er vom Arbeitgeber auch über diese Kriterien ausreichend informiert werden.
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Das Gleiche gilt, wenn die sozialen Kriterien für die Sozialauswahl in Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG festgelegt sind. Auch dann muss der Betriebsrat darüber unterrichtet werden, dass und wie die Abwägung anhand der Richtlinie durchgeführt wurde.4 Um eine nach § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Auswahlrichtlinie handelt es sich auch dann, wenn sie der Arbeitgeber nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende anwenden will. Verletzt der Arbeitgeber in einem solchen Fall das Mitbestimmungsrecht, kann ihm auf Antrag des Betriebsrats die Wiederholung des mitbestimmungswidrigen Verhaltens auf der Grundlage des allgemeinen Unterlassungsanspruchs gerichtlich untersagt werden.5
805
4. Darstellung von Auswirkungen auf andere Arbeitsplätze Eine Umstrukturierung innerhalb des Betriebes, die zur Umverteilung von Arbeitsvorgängen und damit zum Wegfall eines Arbeitsplatzes und zur Kündigung des entsprechenden Arbeitsnehmers führt, kann indirekt auch noch Auswirkungen auf andere Arbeitsplätze haben. Zu denken ist dabei an den Fall, dass dem Chef einer Abteilung gekündigt wird und damit automatisch der Arbeitsplatz seiner Sekretärin mitentfällt.
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Über solche Auswirkungen der Kündigung besteht jedoch im Rahmen von § 102 BetrVG keine Mitteilungspflicht. Dies kann man aus einem Vergleich
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1 2 3 4 5
LAG Berlin v. 20.8.1996 – 12 Sa 54/96, LAGE § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 19. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 95. Siehe z.B. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 678g–i. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 93. BAG v. 20.7.2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005, 1372.
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Teil 2 Rz. 808
Betriebsbedingte Kündigung
der Formulierung in § 99 Abs. 1 und § 102 Abs. 1 BetrVG schließen. Während der Arbeitgeber dem Betriebsrat bei Einstellungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen und Versetzungen unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen auch Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme geben muss, muss er bei § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nur die Gründe für die Kündigung mitteilen. Die Auskunftspflicht in § 99 BetrVG ist also weitreichender. Im Umkehrschluss kann daraus geschlossen werden, dass bei § 102 BetrVG Auswirkungen der geplanten Kündigung auf andere Bereiche des Betriebes und auf andere Arbeitsplätze nicht mitgeteilt werden müssen. 5. Anhörung bei außerordentlicher und vorsorglicher ordentlicher Kündigung 808
Besonderheiten bei der Anhörung des Betriebsrats müssen für den Fall beachtet werden, dass der Arbeitgeber außerordentlich kündigen, aber gleichzeitig vorsorglich (hilfsweise) eine ordentliche Kündigung für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen erklären will. Die gleichen Gesichtspunkte gelten, wenn die unwirksame außerordentliche Kündigung in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden soll.
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Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat alleine zu der außerordentlichen Kündigung an, ersetzt dies nicht die Anhörung zu der ordentlichen Kündigung. Die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung wäre in diesem Fall gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam bzw. eine Umdeutung mangels Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, in das umgedeutet werden soll, nicht möglich. Der Arbeitgeber muss vielmehr bei der Anhörung darauf hinweisen, dass die geplante Kündigung aus wichtigem Grund hilfsweise als ordentliche gelten soll. Er muss also den Betriebsrat vorsorglich auch zu der ordentlichen Kündigung anhören.1 Hinsichtlich der Anhörung zur ordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber grundsätzlich die hierfür geltende Äußerungsfrist von einer Woche (§ 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) einhalten. Nach allgemeinen Grundsätzen braucht der Arbeitgeber den Ablauf der Äußerungsfrist jedoch dann nicht abzuwarten, wenn das Anhörungsverfahren vorher beendet worden ist. Das ist der Fall, wenn der Betriebsrat eine Erklärung abgegeben hat, aus der sich ergibt, dass er eine weitere Erörterung des Falles nicht wünscht und keine weitere Erklärung mehr abgeben will, es sich also um eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats handelt. Hat der Betriebsrat somit innerhalb der für die außerordentliche Kündigung geltenden Drei-Tage-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG eine solche abschließende Stellungnahme auch zu einer vorsorglich erwogenen ordentlichen Kündigung abgegeben und der Arbeitgeber nach Ablauf dieser Frist die außerordentliche Kündigung erklärt, so ist die Anhörung auch zu der umgedeuteten ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß.2
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" Praxistipp: Eine Ausnahme zu der vorsorglichen Anhörung wird vom BAG
nur für den Fall zugelassen, dass der Betriebsrat, der lediglich zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gehört wurde, dieser ohne Vor-
1 BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 633/82, NZA 1985, 286; v. 16.3.1978 – 2 AZR 424/76, NJW 1979, 76. 2 BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 633/82, NZA 1985, 286.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 812 Teil 2
behalt zugestimmt hat und auch aus den sonstigen Umständen geschlossen werden kann, dass er für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der dann verbleibenden ordentlichen Kündigung keinesfalls entgegengetreten wäre.1 Die Beweislast hierfür trägt der Arbeitgeber.2 Eine dementsprechende Unterstellung ist z.B. nicht möglich, wenn der Betriebsrat der fristlosen Kündigung ausdrücklich nicht zugestimmt, Bedenken oder Widerspruch erhoben oder sich einer Stellungnahme völlig enthalten hat.3 Wurde der Betriebsrat nur zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung angehört, ersetzt dies nicht die Anhörung wegen einer später tatsächlich ausgesprochenen, auf zusätzliche Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung.4 6. Vorsorgliche Anhörung bei leitenden Angestellten Die Anhörungspflicht gegenüber dem Betriebsrat entfällt grundsätzlich, sobald es sich um einen leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG handelt. Dann hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Kündigung nur gem. § 105 BetrVG mitzuteilen, ohne dass er ihn über seine Gründe unterrichten oder sich mit ihm beraten müsste. Besteht im Betrieb ein Sprecherausschuss der leitenden Angestellten, so ist dieser gem. § 31 Abs. 2 SprAuG zusätzlich zu hören (siehe dazu unten Rz. 896 ff. Anhörung zur betriebsbedingten Kündigung leitender Angestellter).
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Für den Arbeitgeber empfiehlt es sich jedoch, in Zweifelsfällen – also wenn der Rechtsstatus des Gekündigten als leitender Angestellter nicht eindeutig festgestellt werden kann – vorsorglich noch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durchzuführen. Dabei ist zu beachten, dass selbst die arbeitsvertragliche Formulierung „der Dienstnehmer ist leitender Angestellter“ nicht alle Zweifel über den tatsächlichen rechtlichen Status des Beschäftigten auszuräumen vermag. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Beschäftigte leitender Angestellter i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG ist, kommt es entscheidend darauf an, dass der Arbeitnehmerkreis, der von der Einstellungs- und Entlassungsbefugnis des gekündigten Arbeitnehmers erfasst wird, von einer besonderen Bedeutung für das Unternehmen sein muss.5 So lässt beispielsweise. die Ausübung der in § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 genannten Einstellungs- und Entlassungsbefugnisse gegenüber noch nicht einmal 1% der Gesamtbelegschaft den Chefarzt einer medizinischen Abteilung eines Krankenhauses schwerlich als Repräsentanten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat, d.h., als leitenden Angestellten, erscheinen.6 Stellt sich nachträglich in einem Kündigungsschutzprozess heraus, dass der vermeintlich leitende Angestellte tatsächlich Arbeitnehmer gewesen war, kann die Information nach § 105 BetrVG nicht ohne wei-
812
1 BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 633/82, NZA 1985, 286; v. 16.3.1978 – 2 AZR 424/76, NJW 1979, 76. 2 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 65. 3 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 102. 4 Fitting, § 102 Rz. 63. 5 BAG v. 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, DB 2008, 590. 6 BAG v. 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, DB 2008, 590.
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Teil 2 Rz. 813
Betriebsbedingte Kündigung
teres in eine Anhörung nach § 102 BetrVG umgedeutet werden. Selbst wenn dem Betriebsrat die Kündigungsgründe bekanntgegeben wurden oder bereits bekannt waren, kann der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass eine Umdeutung regelmäßig Erfolg hat.1 Vielmehr ist die Erklärung des Kündigenden gegenüber dem Betriebsrat im Einzelfall auszulegen.2 813
" Praxistipp: Dies gilt auch, wenn sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat
814
Will der Arbeitgeber aus diesen Gründen zumindest vorsorglich neben der Mitteilung nach § 105 BetrVG gleichzeitig das Anhörungsverfahren einleiten, muss er dies dem Betriebsrat eindeutig zu erkennen geben. Es ist aber nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber wörtlich zur Stellungnahme auffordert, vielmehr genügt es, wenn der Betriebsrat der Mitteilung des Arbeitgebers entnehmen kann, dass damit auch ein Anhörungsverfahren nach BetrVG § 102 Abs. 1 eingeleitet werden soll.4
und/oder der Gekündigte sich über den Rechtsstatus einig waren. Es kommt hier nicht auf eine Einigung über diesen Punkt an, sondern auf das objektive Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG.3
7. Keine „Anhörung auf Vorrat“ 815
Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber nur wirksam angehört werden, wenn der konkrete Kündigungsgrund, auf den er die Kündigung stützen will, im Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens zumindest nach seiner Meinung tatsächlich vorgelegen hat. Eine (gleichsam gutachterliche) Stellungnahme zu einem abstrakten, in der Zukunft möglicherweise eintretenden Kündigungsgrund kann im Rahmen von § 102 BetrVG vom Betriebsrat nicht verlangt werden. Besonders häufig tritt dieser Fall bei verhaltensbedingten Kündigungen ein, wenn der Arbeitnehmer z.B. androht, an einem bestimmten Zeitpunkt „krank zu werden“ und der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht zu einer fristlosen Kündigung wegen der Androhung an sich, sondern wegen des in der Zukunft möglicherweise eintretenden „Krankfeierns“ anhört.5
816
Der Betriebsrat kann bei einer solchen „vorsorglichen Anhörung“ zu dem Kündigungsgrund im Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens noch nicht sachgemäß Stellung nehmen. Nach Sinn und Zweck des § 102 Abs. 1 BetrVG soll der Betriebsrat – wie oben dargelegt – durch seine Stellungnahme zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers nicht nur seine Meinung dazu kundtun, ob die vom Arbeitgeber mitgeteilten Tatsachen zutreffen und ob sie eine Kündigung rechtlich rechtfertigen, sondern insbesondere auch auf die Willensentscheidung des Arbeitgebers Einfluss nehmen können, ob die vom Arbeitgeber als gegeben angesehene Kündigungsbefugnis tatsächlich ausgeübt werden sollte, oder ob es – trotz möglichen Vorliegens eines Kündigungsgrundes – etwa aus sozialen Er1 2 3 4
BAG v. 19.8.1975 – 1 AZR 565/74, DB 1975, 2231. BAG v. 7.12.1979 – 7 AZR 1063/77, DB 1980, 742. DKK/Kittner/Bachner, § 105 Rz. 10. BAG v. 7.12.1979 – 7 AZR 1063/77, DB 1980, 742; v. 26.5.1977 – 2 AZR 135/76, DB 1977, 1852. 5 BAG v. 19.1.1983 – 7 AZR 514/80, NJW 1983, 2047.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 818 Teil 2
wägungen bzw. aus Zweckmäßigkeitsgründen richtiger wäre, von einer Kündigung Abstand zu nehmen. Zu dieser Einflussnahme ist der Betriebsrat sachgerecht nur dann in der Lage, wenn die Voraussetzungen der vom Arbeitgeber angenommenen Kündigungsbefugnis zumindest nach Auffassung des Arbeitgebers bereits tatsächlich vorliegen. Denn ist das Entstehen der Kündigungsbefugnis schon deshalb ungewiss, weil der sie tragende Kündigungsgrund noch in der Zukunft liegt, so hat der Arbeitgeber noch keinen Anlass, sich endgültig über die Ausübung seines Gestaltungsrechts zu entscheiden. Eine Anhörung des Betriebsrats bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgt deshalb nicht, wie es dem Zweck des § 102 Abs. 1 BetrVG entspricht, im maßgeblichen Stadium der endgültigen Willensbildung des Arbeitgebers, sondern in einem Vorstadium, in dem noch alle Überlegungen zwangsläufig unter dem Vorbehalt der Unvorhersehbarkeit der tatsächlichen Entwicklung stehen. Gegen eine Anhörung auf Vorrat sprechen auch praktische Gesichtspunkte. Durch die Einleitung eines Anhörungsverfahrens schon vor Eintritt des Kündigungssachverhalts kann der Betriebsrat nicht nur gehindert sein, in sachgerechter Weise Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung zu erheben (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1 und 3 BetrVG) oder im Falle einer ordentlichen Kündigung Widerspruch einzulegen (vgl. § 102 Abs. 3 BetrVG), da die künftige Entwicklung bis zum tatsächlichen Eintritt des Kündigungsgrundes noch schwer absehbar ist. Ebenfalls ist nicht gewährleistet, dass der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG den betroffenen Arbeitnehmer vor Abgabe seiner eigenen Stellungnahme in sinnvoller Weise anhören kann, wenn dieser eine ihm vorgeworfene Pflichtverletzung überhaupt noch nicht begangen hat. Vorteilhaft kann zwar sein, dass eine solche frühzeitige Anhörung durch den Betriebsrat den betroffenen Arbeitnehmer möglicherweise davon abhalten könnte, sich zu einem späteren Zeitpunkt pflichtwidrig zu verhalten. Der Anhörung des Arbeitnehmers durch den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG kommt jedoch eine derartige Präventionsfunktion, die einer Abmahnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber vergleichbar wäre, hinsichtlich künftigen pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers nicht zu.1
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8. Anhörung vor Eintritt des Kündigungsschutzes Unterfällt ein Arbeitnehmer (noch) nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz, bedeutet dies nicht, dass vor einer Kündigung der Betriebsrat nicht anzuhören ist. Vielmehr trifft auch hier den Arbeitgeber eine betriebsverfassungsrechtliche Mitteilungspflicht, deren Anforderungen nicht geringer sind, als bei Arbeitnehmern, die unter das KSchG fallen.2 Der Wortlaut von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist insoweit eindeutig. Dass der Arbeitgeber bei einer ordentlichen Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Kündigungsfreiheit genießt und auch im Prozess nicht – jedenfalls nicht primär – gehalten ist, die Kündigung zu begründen, schließt eine kollektivrechtliche 1 Siehe ausführlich BAG v. 19.1.1983 – 7 AZR 514/80, NJW 1983, 2047. 2 St. Rspr. vgl. BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 234/98, NZA 1999, 477; v. 12.11.1998 – 2 AZR 687/97 (n.v.); v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24.
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Teil 2 Rz. 819
Betriebsbedingte Kündigung
Pflicht zur Angabe der Kündigungsgründe gegenüber dem Betriebsrat nicht aus. § 102 BetrVG knüpft die Beteiligung des Betriebsrats nicht an das Bestehen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG. Auch wenn ein individueller Kündigungsschutz nicht oder noch nicht besteht, soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, auf den Arbeitgeber einzuwirken, um ihn gegebenenfalls mit besseren Argumenten von seinem Kündigungsentschluss abzubringen. Dafür muss der Betriebsrat aber die Gründe kennen, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen.1 819
In einem solchen Fall gibt es jedoch noch keine gesetzlichen Anforderungen an die Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung. Insbesondere die Vorraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes sind (noch) nicht zu beachten. Inhaltlich ist die Mitteilungspflicht gegenüber dem Betriebsrat daher nicht an den objektiven Merkmalen der (noch) nicht erforderlichen Kündigungsgründe nach § 1 KSchG, sondern daran zu messen, welche konkreten Umstände oder subjektiven Vorstellungen zum Kündigungsentschluss geführt haben. Hat der Arbeitgeber keine Gründe oder wird sein Kündigungsentschluss allein von subjektiven, durch Tatsachen nicht belegbaren Vorstellungen bestimmt, so reicht die Unterrichtung über diese Vorstellungen aus. Er handelt dann aus seiner subjektiven Sicht konsequent, indem er trotz konkreter Anhaltspunkte seinen Kündigungsentschluss nur aus subjektiven Werturteilen herleitet.2 Auch hier gilt jedoch, dass der Arbeitgeber diese Gründe genau mitteilen muss. Eine pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Bezeichnung reicht nicht.3 Aus diesem Grund hat z.B. der Arbeitgeber, der bei der Auswahl zu kündigender Heimarbeiter soziale Gesichtspunkte berücksichtigt, dem Betriebsrat die entsprechenden Daten aller Heimarbeiter mitzuteilen, die er in die Auswahlentscheidung einbezogen hat.4
820
Der Arbeitgeber verletzt seine Unterrichtungspflicht, wenn er auch aus seiner subjektiven Sicht dem Betriebsrat bewusst unrichtige oder unvollständige Sachdarstellungen unterbreitet oder wenn er bewusst ihm bekannte, genau konkretisierbare Kündigungsgründe nur pauschal vorträgt, obwohl sein Kündigungsentschluss auf der Würdigung konkreter Kündigungssachverhalte beruht.5
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" Praxistipp: Ist der allgemeine Kündigungsschutz mangels Überschreitens
des Schwellenwertes nicht anwendbar, sind jedoch bestimmte, vom BVerfG näher definierte allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen zu beachten.6 So darf eine Kündigung im Kleinbetrieb nicht willkürlich sein oder auf sachfremden Motiven beruhen. Ist unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zutreffen, ist der Arbeitgeber zu einem gewissen Maß an sozialer
1 2 3 4 5 6
BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 234/98, NZA 1999, 477. BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24. BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 687/97 (n.v.). BAG v. 7.11.1995 – 9 AZR 268/94, NZA 1996, 380. BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 47; siehe dazu aus der Literatur Link, Die treuwidrige Kündigung, FA 2000, 382; Gragert, Kündigungsschutz in Kleinbetrieben, NZA 2000, 961; Löwisch, Grenzen der ordentlichen Kündigung in kündigungsschutzfreien Betrieben, BB 1997, 782.
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Mitteilung der Kündigungsgründe: dringende betriebliche Erfordernisse
Rz. 824 Teil 2
Rücksichtnahme verpflichtet.1 Schließlich darf der Arbeitgeber bei der Kündigung ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt lassen.2 Für die Betriebsratsanhörung bedeutet dies, dass ihm die Tatsachen mitzuteilen sind, die für die Beachtung der vorgenannten Regeln sprechen.3 9. Besonderheiten bei Tendenzunternehmen Auf Besonderheiten bei der Anhörung des Betriebsrats ist zu achten, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer einem Tendenzunternehmen angehört, also einem Unternehmen, das unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dient, § 118 Abs. 1 BetrVG. Grundsätzlich sind die Vorschriften des BetrVG, also auch die Regelungen über die Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen, hier nicht anwendbar, „soweit die Eigenart des Unternehmens dem entgegensteht“.
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Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kommt es für die Anwendung der „Eigenartsklausel“ darauf an, ob die Einschränkung der Beteiligungsrechte im Hinblick auf die Tendenz erforderlich ist, weil sonst deren Verwirklichung durch Beteiligungsrechte des Betriebsrats ggf. verhindert oder ernstlich beeinträchtigt werden könnte. Es ist in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit die Eigenart des Unternehmens der Beteiligung des Betriebsrats entgegensteht.4
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Im Ergebnis wird eine ernstliche Beeinträchtigung der Tendenzverwirklichung vom BAG nur dann bejaht, wenn die Maßnahme Arbeitnehmer betrifft, für deren Tätigkeit die Bestimmungen und Zwecke der in § 118 Abs. 1 BetrVG genannten Unternehmen und Betriebe prägend sind, die sog. Tendenzträger. Die Abgrenzung des Personenkreises und die Einordnung des zu kündigenden Arbeitnehmers sind aus diesem Grund praxisrelevant. Tendenzträger sind Arbeitnehmer, deren Arbeitsleistung unmittelbar der Tendenzverwirklichung dient.5 Sie nehmen einerseits tendenzbezogene Aufgaben wahr, andererseits wirken sie aber auch kraft ihrer Stellung und ihres Vertrages an der Verwirklichung der geistig-ideellen Zielsetzung wesentlich mit.6 Diese Einflussmöglichkeit wurde von der Rechtsprechung im Bereich der Presse und des Rundfunks/Fernsehens z.B. allen Redakteuren, also auch Lokal- oder Sportredakteuren zugebilligt7, so-
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1 2 3 4
BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 672/01, AP Nr. 61 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 333/02, ArbuR 2004, 117. Fitting, § 102 Rz. 48. BAG v. 21.9.1993 – 1 ABR 28/93, NZA 1994, 375; v. 11.2.1992 – 1 ABR 49/91, NZA 1992, 705; v. 30.1.1990 – 1 ABR 1101/88, NZA 1990, 693. 5 BAG v. 11.2.1992 – 1 ABR 49/91, NZA 1992, 705. 6 DKK/Wedde, § 118 Rz. 47. 7 Siehe aus der umfangreichen Rechtsprechung des BAG z.B. BAG v. 19.5.1981 – 1 ABR 109/78, DB 1981, 2384; v. 31.5.1983 – 1 ABR 57/80, DB 1984, 995; v. 1.9.1987 – 1 ABR 23/86, NZA 1988, 97; v. 1.9.1987 – 1 ABR 22/86, NZA 1988, 99; v. 8.5.1990 – 1 ABR 33/89, NZA 1990, 901; v. 11.2.1992 – 1 ABR 49/91, NZA 1992, 705; zur Abgrenzung des Personenkreises der Tendenzträger DKK/Wedde, § 118 Rz. 47–55.
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Teil 2 Rz. 825
Betriebsbedingte Kündigung
fern sie nicht als leitende Angestellte generell aus dem Anwendungsbereich des § 102 BetrVG herausfallen. 825
Aber auch für Tendenzträger werden die Mitbestimmungsrechte nur soweit ausgeschlossen, wie ihnen die Eigenart des Unternehmens oder Betriebes entgegensteht. Dies ist nicht bei allen Maßnahmen der Fall, von denen Tendenzträger betroffen sind. Es muss sich zusätzlich um eine tendenzbezogene Maßnahme handeln.1
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Übertragen auf das Anhörungsrecht des Betriebsrats nach § 102 BetrVG bei Kündigung bedeutet dies, dass die Vorschrift uneingeschränkt Anwendung findet, sofern einem Arbeitnehmer gekündigt wird, dessen Arbeit nichts mit der jeweiligen Tendenz des Betriebes zu tun hat, die also auch in jedem anderen Betrieb erbracht werden könnte.
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Aber auch bei der ordentlichen/außerordentlichen Kündigung eines Tendenzträgers – selbst wenn sie aus tendenzbedingten Gründen erfolgte – ist der Betriebsrat in jedem Fall anzuhören. Ihm sind alle Kündigungsgründe mitzuteilen, nicht nur die tendenzfreien. Die Anhörung des Betriebsrats nach BetrVG § 102 Abs. 1 hat nämlich nicht zur Folge, dass sie auf Inhalt und Ausgestaltung eines Tendenzunternehmens Einfluss nehmen könnte. Sie dient dem sozialen Schutz aller im Betriebe beschäftigten Arbeitnehmer. Die Alleinentscheidung des Arbeitgebers über die Kündigung des Tendenzträgers wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat nicht nur die tendenzfreien, sondern auch die tendenzbedingten Kündigungsgründe vollständig mitteilen muss. BetrVG § 118 Abs. 1 dient nicht der Geheimhaltung tendenzbedingter Motive für personelle Maßnahmen. Unterlässt der Arbeitgeber diese Mitteilung, ist die Kündigung ohne weiteres unwirksam.2 Der Betriebsrat kann auch gem. § 102 Abs. 2 BetrVG Bedenken gegen die Kündigung vorbringen, wie z.B. soziale Gesichtspunkte. Er kann jedoch bei einer tendenzbedingten Kündigung nicht gem. § 102 Abs. 3 BetrVG sein Widerspruchsrecht ausüben.3
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Handelt es sich um eine Kündigung gegenüber einem Tendenzträger aus nicht tendenzbedingten Gründen, gilt § 102 BetrVG ohne Einschränkung. Dieser Fall trifft regelmäßig auf betriebsbedingte Kündigungen zu, die aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ohne Bezug zum Tendenzzweck getroffen werden.4 Der Betriebsrat kann also in diesem Fall ohne weiteres der Kündigung aus einem der Gründe des § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen, mit der Folge, dass der Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG durchsetzen kann.
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Geht es um eine außerordentliche tendenzbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers, der gleichzeitig Betriebsratsmitglied ist, wurde vom BAG bis jetzt offengelassen, ob eine Zustimmung des Betriebsrat gem. § 103 Abs. 1 BetrVG erfor-
1 BAG v. 21.9.1993 – 1 ABR 28/93, NZA 1994, 375; v. 30.1.1990 – 1 ABR 101/88, NZA 1990, 693. 2 BAG v. 7.11.1975 – 1 AZR 282/74, DB 1976, 585; Fitting, § 118 Rz. 38. 3 Fitting, § 118 Rz. 38. 4 DKK/Wedde, § 118 Rz. 96; Fitting, § 118 Rz. 39.
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Vorkenntnisse des Betriebsrats
Rz. 831 Teil 2
derlich ist.1 Teilweise wird dies von den unterinstanzlichen Gerichten und Ansichten in der Literatur abgelehnt, da die Zubilligung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrats die Freiheit des Unternehmers zur Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung ernsthaft beeinträchtigen würde. Danach muss das Mitbestimmungsrecht in einem solchen Fall gemäß § 118 Abs. 1 BetrVG entfallen und lediglich die Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 BetrVG erfolgen.2 Durch die Mitbestimmung und das sich gegebenenfalls anschließende Verfahren gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG wäre dem Betriebsrat ein zumindest mittelbarer Einfluss auf die Verwirklichung der Tendenz eröffnet und dem Unternehmer die Freiheit seiner Entscheidungsbildung genommen. Die Schutzfunktion des § 103 BetrVG stünde dem nicht entgegen, denn diese habe, was § 118 Abs. 1 BetrVG als gesetzgeberische Entscheidung zu entnehmen sei, zurückzutreten, sofern der Tendenzschutz dies erfordere.3 Teilweise wird auch in diesem Fall ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG angenommen, da die Schutzfunktion dieser Vorschrift auch gegenüber Betriebsratsmitgliedern, die Tendenzträger sind, unverzichtbar sei. Zudem ergebe sich dies aus § 15 KSchG. Da das KSchG keine § 118 BetrVG entsprechende Vorschrift kennt, werde er nicht durch § 18 Abs. 1 BetrVG eingeschränkt.4
II. Vorkenntnisse des Betriebsrats 1. Verwertbarkeit von früheren Informationen Verfügt der Betriebsrat bereits vor der Einleitung des Anhörungsverfahrens über den erforderlichen Kenntnisstand, um über die konkret beabsichtigte Kündigung eine Stellungnahme abgeben zu können, bedarf es nicht mehr der genauen und umfassenden Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber.5 Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bereits vor Beginn des Anhörungsverfahrens aufgrund bestimmter Umstände erschöpfend über die Kündigungsgründe unterrichtet, z.B. bestimmte Rationalisierungsmaßnahmen ausgiebig mit dem Betriebsrat beraten hat. In solchen Fällen genügt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Mitteilung der Kündigungsgründe, wenn er im Anhörungsverfahren pauschal auf die bereits mitgeteilten Kündigungsgründe verweist.6
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Die pauschale Mitteilung muss allerdings in Verbindung mit der Bezugnahme auf die beim Betriebsrat vorhandenen Vorkenntnisse zumindest erkennen lassen, um welchen Kündigungssachverhalt es sich handelt.7
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1 2 3 4
BAG v. 3.11.1982 – 7 AZR 5/81, DB 1983, 830. Fitting, § 118 Rz. 40. LAG Berlin v. 20.7.1998 – 18 Sa 28/98, n.v.; Löwisch/Kaiser, § 118 Rz. 36. LAG Hamm v. 1.7.1992 – 3 TaBV 30/92, LAGE § 118 BetrVG 1972 Nr. 17 (= BB 1992, 2507 LS); aus der Literatur z.B. DKK/Wedde, § 118 Rz. 100 m.w.N. 5 BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 412/84, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60. 6 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969. 7 ArbG Wetzlar v. 12.11.1986 – 2 Ca 376/86, BB 1987, 686.
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Teil 2 Rz. 832 832
Betriebsbedingte Kündigung
Die umfassende Mitteilungspflicht des Arbeitgebers entfällt nur dann, wenn der Betriebsrat tatsächlich die notwendigen Kenntnisse besitzt. Nimmt der Arbeitgeber irrtümlicherweise an, dem Betriebsrat sei der Kündigungssachverhalt schon bekannt, und unterrichtet ihn deshalb nicht ausreichend über die Kündigungsgründe, geht dies daher zu seinen Lasten. Es liegt dann keine ordnungsgemäße Einleitung des Anhörungsverfahrens vor.1 2. Anwendung von § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG
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Im Rahmen des Anhörungsverfahrens muss sich der Betriebsrat nur die Kenntnis derjenigen Betriebsratsmitglieder zurechnen lassen, die gemäß § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigt sind oder hierzu ausdrücklich seitens des Betriebsrates ermächtigt worden sind.2
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Informationen über den Kündigungssachverhalt, die dem nach § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG empfangsberechtigten Betriebsratsvorsitzenden bzw. – im Falle seiner Abwesenheit – seinem Stellvertreter gegenüber bekanntgegeben worden sind, sind dementsprechend dem Gremium Betriebsrat als eigenes Wissen zuzuschreiben. Ist ein besonderer Ausschuss gebildet worden, dem der Betriebsrat die Mitbestimmung bei Kündigungen übertragen hat (Personalausschuss), gilt dieser entsprechend dann als unterrichtet, sobald die Erklärung des Arbeitgebers über die Kündigungstatsachen dem Vorsitzenden des Ausschusses zugegangen sind.3
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Zudem können Betriebsrat bzw. Personalausschuss auch andere Betriebsratsmitglieder zur Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers ermächtigen4, deren Wissen dann dem entsprechenden Gremiums zugerechnet wird.
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" Praxistipp: Zieht der Arbeitgeber bei der Ermittlung des Kündigungssach-
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Im Übrigen findet eine Zurechnung des Wissens einzelner Betriebsratsmitglieder an den Betriebsrat nicht statt.6
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Denn zum einen besteht keine sich aus dem Betriebsratsamt ergebende Pflicht des einzelnen Betriebsratsmitglieds, sein Wissen dem Gremium Betriebsrat weiterzugeben. Auch das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Ar-
verhalts ein einfaches Betriebsratsmitglied hinzu, das zur Entgegennahme solcher Erklärungen nicht ermächtigt worden ist, so sind dessen Kenntnisse dem Wissen des Betriebsrats nur dann zuzurechnen, wenn es sie vor oder bei Einleitung des Anhörungsverfahrens einem zum Empfang ermächtigten Mitglied des Betriebsrates oder eines zuständigen Ausschusses mitgeteilt hat.5
1 BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste; v. 27.6. 1985 – 2 AZR 412/84, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60. 2 BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 412/82, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60. 3 Bitter, NZA 1991, Beilage 3, S. 16 (21). 4 Galperin/Löwisch, § 102 BetrVG Rz. 33; Richardi/Thüsing, § 102 BetrVG Rz. 79; KR/ Etzel, § 102 BetrVG Rz. 83. 5 LAG München v. 11.5.1988 – 5 Sa 1193/87, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 24. 6 So BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 412/82, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60, das damit ausdrücklich die frühere Rechtsprechung des 2. Senats – BAG v. 6.7.1978 – 2 AZR 810/76, AP Nr. 16 zu § 102 BetrVG 1972 – aufgibt.
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Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG
Rz. 843 Teil 2
beitgeber und Betriebsrat (§ 2 BetrVG) gebietet keine andere Beurteilung, da es nicht die Verpflichtung enthält, dem anderen betriebsverfassungsrechtlichen Organ dessen gesetzliche Pflichten abzunehmen, also in diesem Falle dem Arbeitgeber die Pflicht zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates.1 Zum anderen wäre es mit § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG unvereinbar, das Wissen des einzelnen Betriebsratsmitgliedes, dessen sich der Arbeitgeber als Erklärungsbote bedient, als Wissen des Betriebsrates einzustufen, da diese Vorschrift – auch aus Gründen der Rechtssicherheit – die Berechtigung zur Entgegennahme von Erklärungen für den Betriebsrat ausdrücklich auf den Betriebsratsvorsitzenden und seinen Stellvertreter beschränkt.2
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Unerheblich ist, auf welche Weise der Betriebsrat seine Kenntnisse erlangt hat, ob also das Gremium oder empfangsberechtigte Mitglieder vom Arbeitgeber unterrichtet worden sind, oder ob einfache Mitglieder dem Betriebsrat oder seinen Vertretern ihr Wissen mitgeteilt haben. Es ist allerdings im Streitfall Sache des Arbeitgebers, substantiiert darzulegen und nachzuweisen, dass er sich wegen eines bereits vorhandenen Kenntnisstandes mit einer knappen Mitteilung begnügen durfte.3
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III. Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG 1. Nachbesserung der Betriebsratsanhörung Will der Arbeitgeber seine Ausführungen vor dem Betriebsrat verbessern, also z.B. Überlegungen und Gründe nachtragen, die für ihn erst später bedeutsam wurden oder die er erst später erfahren hat, kommt es darauf an, ob er die Kündigung schon ausgesprochen hat.
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Vor Ausspruch der Kündigung kann der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG seine Informationen gegenüber dem Betriebsrat jederzeit ergänzen4, unabhängig davon, ob die neuen Informationen dem Betriebsrat bereits vor der ersten Anhörung bekannt waren oder ob er sie erst danach erfahren hat. Voraussetzung für die Verwertbarkeit der nachträglich mitgeteilten Kündigungsgründe im später durchgeführten Prozess ist lediglich, dass der Betriebsrat zu diesen neuen Gründen vor Ausspruch der Kündigung i.S.d. § 102 BetrVG nochmals ordnungsgemäß angehört wurde. Dazu gehört auch, dass dem Betriebsrat erneut die in § 102 Abs. 2 BetrVG vorgeschriebene Frist zur Stellungnahme eingeräumt wird.
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Komplizierter ist die Rechtlage, wenn der Arbeitgeber die bereits ausgesprochene Kündigung nachträglich mit neuen – zusätzlichen – Tatsachen begründen will (Problematik des „Nachschiebens von Kündigungsgründen“).
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BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 412/82, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60. Vgl. BAG v. 25.11.1981 – 7 AZR 447/79, n.v. BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 412/82, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60. BAG v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 96; GK-BetrVG/Kraft, § 102 BetrVG Rz. 142.
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Teil 2 Rz. 844
Betriebsbedingte Kündigung
844
Stützt der Arbeitgeber seine Kündigung nach deren Ausspruch auf neue kündigungsrelevante Tatsachen, zu denen der Betriebsrat nicht angehört worden ist, so können diese nicht ohne weiteres im Rahmen eines späteren Kündigungsschutzprozesses berücksichtigt werden. Zwar ist materiell-rechtlich ein Nachschieben von Kündigungsgründen im Kündigungsschutzprozess uneingeschränkt zulässig.1 Davon kann der Arbeitgeber aber nur Gebrauch machen, wenn kein Betriebsrat besteht. In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht können aufgrund der Anhörungspflicht des § 102 BetrVG nur solche Tatsachen zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden, die dem Betriebsrat auch mitgeteilt worden sind.2 Deshalb ist der Betriebsrat i.d.R. auch über die Kündigungstatsachen zu informieren, auf die der Arbeitgeber sich nachträglich zur ergänzenden Rechtfertigung der Kündigung beruft.
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Die Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen im Einzelnen ist nach wie vor umstritten.3 Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass diejenigen Kündigungsgründe, die dem Arbeitgeber bereits bei Anhörung des Betriebsrats bekannt waren, und über die er diesen vor Abgabe der Kündigungserklärung nicht informiert hat, auch nach erneuter Anhörung des Betriebsrats nicht nachgeschoben werden können.4 In Übereinstimmung mit Sinn und Zweck des in § 102 BetrVG geregelten Anhörungsverfahrens ist dem Betriebsrat in diesem Fall die Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht gegeben. Der Arbeitgeber hat seine Kündigungsabsicht bereits verwirklicht5 und zwar unter Berücksichtigung der dem Betriebsrat nicht mitgeteilten, ihm aber bekannten Kündigungstatsachen. Selbst für den Fall, dass der Betriebsrat der Kündigung aufgrund der ihm mitgeteilten Gründe zugestimmt hat, kommt ein Nachschieben neuer kündigungsrelevanter Tatsachen nicht in Betracht6, da nicht auszuschließen ist, dass die Reaktion des Betriebsrats bei Kenntnis des gesamten Kündigungssachverhalts anders ausgefallen wäre als bei Kenntnis nur des ihm bekannt gegebenen Kündigungsgrundes.7
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Kündigungsgründe, die bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind, können im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden, wenn und soweit der Betriebsrat hierzu erneut angehört wurde. Die Vorschrift des § 102 BetrVG ist dabei analog anzuwenden.8 Wegen des Ausnahmecharakters dieser Möglichkeit muss der Ar1 2 3 4
5 6 7 8
BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, AP Nr. 1 zu § 626 BGB. BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972. Zum Meinungsstand vgl. den Überblick bei KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 185 ff. BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 536/02; v. 1.4.1981 – 7 AZR 1003/78, AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972; v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972; a.A. z.B. Schlochauer in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, § 102 BetrVG Rz. 47, der in diesen Fällen ein Nachschieben der Kündigungsgründe für zulässig hält, sofern nur der Betriebsrat nachträglich über sie unterrichtet wurde. BAG v. 1.4.1981 – 7 AZR 1003/78, AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 1.4.1981 – 7 AZR 1003/78, AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 1.4.1981 – 7 AZR 1003/78, AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 28.2.1990, EzA § 1 KSchG Personenebedingte Kündigung Nr. 5; v. 11.10.1989, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 64; v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, EzA
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Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG
Rz. 851 Teil 2
beitgeber den Betriebsrat unverzüglich nach Bekanntwerden informieren, sonst ist er unter prozessualen Gesichtspunkten damit ausgeschlossen, § 61a Abs. 5 ArbGG. Bei einer außerordentlichen Kündigung wird nicht verlangt, dass nachträglich bekannt gewordene Gründe innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nachgeschoben werden.1 Die Anerkennung des Nachschiebens von Kündigungsgründen in diesen Fällen bietet den Vorteil, dass unnötige zusätzliche Kündigungen durch den Arbeitgeber und damit einhergehende Kündigungsschutzprozesse vermieden werden.
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Andererseits kann das Nachschieben neuer Kündigungstatsachen aber auch nicht ohne eine nachträgliche Anhörung des Betriebsrats erfolgen, wie einige Autoren es befürworten.2 Denn der Sinn des Anhörungsverfahrens, das dem Betriebsrat Gelegenheit geben soll, durch seine Stellungnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken, würde ins Leere laufen, wenn der Arbeitgeber ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats einfach neue Kündigungsgründe nachschieben könnte.3
848
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die kündigungsrelevanten Tatsachen, die der Arbeitgeber nach erneuter Anhörung des Betriebsrats nachschieben will, ihm vor Ausspruch nicht bekannt waren, trägt im Bestreitensfall der Arbeitgeber.4
849
" Praxistipp: Kündigungsgründe, die sich erst nach Ausspruch der Kündigung
850
Die Problematik des Nachschiebens von Kündigungsgründen mit den oben erwähnten Einschränkungen wird dagegen nicht relevant, wenn der Arbeitgeber während des Kündigungsschutzprozesses lediglich die dem Betriebsrat bereits mitgeteilten Kündigungsgründe erläutert oder konkretisiert, ohne dass der Kündigungssachverhalt dadurch wesentlich verändert wird.6 Eine derartige Konkre-
851
ergeben haben, können i.d.R. nicht im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden. Das ergibt sich schon aus dem materiellrechtlichen Grundsatz, dass man eine Kündigung nur auf Gründe stützen kann, die im Zeitpunkt der Kündigung bereits existent waren. Ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn sie in engem Zusammenhang mit den Kündigungsgründen, die vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind, stehen.5 Soweit dies ausnahmsweise zutrifft, ist auch hier eine erneute Anhörung des Betriebsrats zu den nachzuschiebenden Tatsachen erforderlich. Ansonsten kann der Arbeitgeber die neuen Kündigungsgründe nur zur Rechtfertigung einer weiteren Kündigung verwenden.
1 2 3 4 5 6
§ 102 BetrVG 1972 Nr. 62; v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, DB 1980, 1350. So z.B. Galperin/Löwisch, § 102 BetrVG Rz. 30a; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 240; GK-BetrVG/Kraft, § 102 Rz. 80; Meisel, Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten, Rz. 418. BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 62. BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 62. Vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 177. BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 62; v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972.
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Teil 2 Rz. 852
Betriebsbedingte Kündigung
tisierung des kündigungsrelevanten Sachverhalts kann jederzeit auch ohne erneute Anhörung des Betriebsrats zulässigerweise in den Prozess eingeführt werden. Nicht um erläuternde oder ergänzende Angaben, sondern um ein Nachschieben von Kündigungsgründen handelt es sich hingegen, wenn der Arbeitgeber während des Kündigungsschutzprozesses Tatsachen vorträgt, die dem bisherigen Vortrag erst das Gewicht eines kündigungsrechtlich erheblichen Grundes geben. 2. Anspruch des Betriebsrats auf Fristverlängerung? 852
Der Betriebsrat hat binnen der in § 102 Abs. 2 BetrVG niedergelegten Anhörungsfristen zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, also innerhalb einer Woche bei einer ordentlichen und innerhalb von drei Tagen bei einer außerordentlichen Kündigung. Die Fristen beginnen am Tag nach Zugang der Mitteilung des Arbeitgebers beim Betriebsrat zu laufen (§ 187 Abs. 1 BGB); das Fristende bestimmt sich nach § 188 BGB.1 Äußert sich der Betriebsrat innerhalb der vorgesehenen Fristen nicht, gilt seine Zustimmung zu der Kündigung als erteilt.
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Sowohl für den Betriebsrat als auch für den Arbeitgeber besteht die Möglichkeit, die o.g. Fristen – sei es im Voraus, sei es bezogen auf den jeweiligen konkreten Anhörungsfall – durch gegenseitige Vereinbarung zu verlängern bzw. zu verkürzen.2 Den von der Gegenansicht vorgebrachten Bedenken, wonach die einvernehmliche Verkürzung der Anhörungsfrist einen unzulässigen Verzicht auf gesetzlich garantierte Mitwirkungsrechte des Betriebsrats bedeute3, steht entgegen, dass es dem Betriebsrat ohnehin selbst überlassen bleibt, ob er die Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG ausnutzt oder nicht.
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Eine einseitige Verlängerung oder Verkürzung der gesetzlichen Anhörungsfristen durch den Betriebsrat bzw. den Arbeitgeber ist indessen grds. unzulässig. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber auch in sog. Eilfällen – insbesondere in Fällen einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund – verpflichtet ist, die in § 102 Abs. 2 BetrVG bestimmten Fristen einzuhalten und den Betriebsrat nicht gegen dessen Willen dazu veranlassen kann, seine Stellungnahme bereits vor Ausschöpfung der Fristen abzugeben.4 Eine andere Beurteilung kann nach Ansicht des BAG allenfalls bei betriebsbedingten Kündigungen gerechtfertigt sein, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Betriebes plötzlich und unvorhergesehen derart verschlechtert, dass der sofortige Ausspruch von Kündigungen unabweisbar notwendig ist.5
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Umgekehrt steht auch dem Betriebsrat kein Anspruch auf einseitige Verlängerung der Anhörungsfrist zu.6 Selbst dann, wenn im Falle einer Massenentlas1 2 3 4
BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 515/02, ArbRB 2003, 298. APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 131 f. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 89; Galperin/Löwisch, § 102 Rz. 51. BAG v. 29.3.1977 – 1 AZR 46/75, AP Nr. 11 zu § 102 BetrVG 1972; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 88; DKK/Kittner, § 102 BetrVG Rz. 174. 5 BAG v. 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972. 6 APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 132; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 87.
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Zeitlicher Ablauf des Verfahrens gem. § 102 BetrVG
Rz. 857 Teil 2
sung der Betriebsrat zu mehreren Kündigungen gleichzeitig angehört werden soll, verlängert sich die einwöchige Anhörungsfrist nicht automatisch um einen bestimmten, für angemessen anzusehenden Zeitraum.1 Allerdings kann die Berufung des Arbeitgebers auf die Einhaltung der Anhörungsfrist im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Betriebsrat erkennbar in der Wahrnehmung seines Beteiligungsrechtes beeinträchtigt wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer Abwicklung des Anhörungsverfahrens innerhalb der Frist besteht.2 Dieser Missbrauchseinwand kann jedoch nicht allein mit objektiven Umständen wie der Zahl der beabsichtigten Kündigungen und die sich hieraus für den Betriebsrat ergebenden Schwierigkeiten begründet werden. Es ist vielmehr auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen. Insbesondere muss der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist vom Arbeitgeber die Verlängerung der Frist um einen bestimmten Zeitraum verlangt haben. Zu berücksichtigen ist auch das Verhalten der Betriebspartner vor Einleitung des Anhörungsverfahrens: Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat bereits im Vorfeld ausführlich über die geplante Massenentlassung unterrichtet, kann ihm der Einwand des Missbrauchs dR nicht entgegengehalten werden.3 3. Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung (Verlassen des Machtbereichs) Durch die Anhörung soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Bild vom Kündigungssachverhalt zu machen und ggf. Einfluss auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers zu nehmen.4 Letzteres ist aber nur möglich, wenn die Anhörung erfolgt ist, bevor der Arbeitgeber seine Kündigungsabsicht verwirklicht hat. Aus diesem Grund muss die Anhörung vor Ausspruch der Kündigung stattgefunden haben. Eine erst nachträglich eingeholte Stellungnahme des Betriebsrats stellt keine ordnungsgemäße Anhörung i.S.d. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mehr dar, so dass die betreffende Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist.5
856
Hat der Arbeitgeber die beabsichtigte Kündigung vor Ablauf der Anhörungsfristen des Abs. 2 Satz 1 und 3 erklärt6, hängt ihre Wirksamkeit nach BetrVG davon ab, ob zu diesem Zeitpunkt bereits eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt.7 Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn der Betriebsrat, ohne im Einzelnen sachlich zu der Kündigungsabsicht Stellung zu
857
1 BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, AP Nr. 43 zu § 102 BetrVG 1972; a.A. Bösche, Die Rechte des Betriebsrats bei Kündigungen 1979, Rz. 32 und 76, der aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit eine Verpflichtung des Arbeitgebers herleitet, dem Betriebsrat nicht mehr Kündigungen vorzulegen, als dieser ordnungsgemäß beraten kann und – entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut – bei Massenentlassungen eine entsprechende Verlängerung der Anhörungsfrist befürwortet. 2 Vgl. hierzu KDZ/Kittner, § 102 BetrVG Rz. 175. 3 Zu alledem BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, AP Nr. 43 zu § 102 BetrVG 1972. 4 BAG v. 2.11.1983 – 7 AZR 65/82, AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972. 5 BAG v. 28.2.1974 – 2 AZR 455/73, BB 1974, 836. 6 BAG v. 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972. 7 BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972; v. 1.4.1976 – 2 AZR 179/75, BB 1976, 884.
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Teil 2 Rz. 858
Betriebsbedingte Kündigung
nehmen, erklärt, er werde sich zu der Kündigung nicht äußern.1 Sofern der Betriebsrat seine Stellungnahme nicht ausdrücklich als abschließend bezeichnet, ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln, ob eine bestimmte Äußerung oder ein bestimmtes Verhalten eine derartige Erklärung beinhaltet. So ist z.B. die Äußerung des Betriebsrats, er nehme die Kündigungsabsicht zur Kenntnis, u.U. bereits als abschließende Erklärung zu werten, wenn der Arbeitgeber nach der betrieblichen Übung von einer solchen Auslegung ausgehen durfte.2 858
Liegt bei Ausspruch der Kündigung dem Arbeitgeber keine (abschließende) Stellungnahme des Betriebsrats vor, kann dieser Anhörungsmangel auch durch eine im Nachhinein erklärte Zustimmung des Betriebsrats zu der Kündigung nicht mehr geheilt werden. Die Kündigung bleibt unwirksam.3
859
Zu beachten ist, dass die schriftliche Kündigung bereits dann als ausgesprochen i.S.d. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG gilt, wenn das Kündigungsschreiben den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat, insbesondere zur Post gegeben worden ist.4
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Bereits zu diesem Zeitpunkt ist eine Einflussnahme des Betriebsrats auf den Kündigungswillen des Arbeitgebers nicht mehr möglich, so dass nicht erst der Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer abgewartet werden muss. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz will das BAG allerdings machen, wenn der Arbeitgeber am letzten Tag der Äußerungsfrist bei Dienstschluss das Kündigungsschreiben einem Kurierdienst übergibt und gleichzeitig dafür sorgt, dass eine Zustellung erst so spät erfolgt, dass er sie noch verhindern kann, wenn der Betriebsrat wider Erwarten doch zu der Kündigungsabsicht Stellung nimmt.5
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" Praxistipp: Während der Ausspruch der Kündigung vor Einleitung des Anhörungsverfahrens stets die Unwirksamkeit der Anhörung zur Folge hat, ist es für die ordnungsgemäße Anhörung ohne Einfluss, ob der Arbeitgeber schon vor Beginn der Anhörung des Betriebsrats seinen Kündigungswillen abschließend gebildet hatte6, solange er dem Betriebsrat Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und diese auch inhaltlich zur Kenntnis nimmt. Denn bei dieser Fallgestaltung besteht zumindest die Möglichkeit einer Einflussnahme des Betriebsrats auf die Entscheidung des Arbeitgebers, so dass die Funktion der Anhörung gewahrt bleibt.
1 BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972. 2 BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972; LAG Hamm v. 17.8.1982 – 13 Sa 331/82, DB 1983, 48. 3 BAG v. 28.2.1974 – 2 AZR 455/73, BB 1974, 836. 4 BAG v. 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972. 5 BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 515/02; EzA § 130 BGB 2002 Nr. 2. 6 BAG v. 28.9.1978 – 2 AZR 2/77, AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 55; Richardi/Thüsing, § 102 BetrVG Rz. 66; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 62; a.A.: Fitting, § 102 Rz. 58.
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Anhörung bei vorsorglicher Wiederholungskündigung
Rz. 865 Teil 2
IV. Anhörung bei vorsorglicher Wiederholungskündigung Hat der Arbeitgeber aus bestimmten Gründen eine Kündigung ausgesprochen und bekommt er nachträglich Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung, kommt es häufig zu einer vorsorglichen Wiederholungskündigung, d.h. der Arbeitgeber kündigt wegen seiner Bedenken dem Arbeitnehmer mit gleicher Begründung erneut unter dem Vorbehalt, dass die erste Kündigung unwirksam war.1
862
Grundsätzlich gilt § 102 BetrVG auch für vorsorgliche Kündigungen.2 Wie oben (Rz. 808 ff.) bereits dargelegt, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat im Fall der außerordentlichen und nur vorsorglichen ordentlichen Kündigung zu beiden Kündigungen anhören. Ähnlich ist die Rechtslage bei der vorsorglichen Wiederholungskündigung. Schon nach dem Wortlaut von § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG besteht eine Anhörungspflicht des Arbeitgebers vor jeder Kündigung. Nach Sinn und Zweck des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen, kann ein Anhörungsverfahren nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist. Ist diese Kündigung dem Arbeitnehmer ordnungsgemäß zugegangen – auch wenn sie aus anderen Gründen unwirksam ist – hat der Arbeitgeber sein Kündigungsrecht und damit auch das Anhörungsverfahren verbraucht. In diesem Moment ist der Kündigungsvorgang hinsichtlich dieser Kündigung abgeschlossen. Tauchen bei dem Arbeitgeber nachträglich Zweifel auf, ob die Kündigung den Wirksamkeitsvoraussetzungen entspricht, und wiederholt er daraufhin die Kündigung, so leitet er damit einen neuen Kündigungsvorgang ein, innerhalb dessen er den Betriebsrat erneut anhören muss.3
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Scheitert dagegen eine Kündigung, zu der der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist und der er ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hat, an dem fehlenden Zugang an den Kündigungsgegner, so ist vor einer erneuten Kündigung eine nochmalige Anhörung des Betriebsrats dann entbehrlich, wenn sie in engem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen und auf denselben Sachverhalt gestützt wird. Vergleichbar mit der Rechtsprechung zur vorsorglich erklärten bzw. umgedeuteten ordentlichen Kündigung spricht auch hier die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass der Betriebsrat der erneuten, auf denselben Sachverhalt gestützten Kündigung zugestimmt hätte. Die Rechte des Betriebsrats bleiben durch diese Ausnahme gewahrt. Ein erneutes Anhörungsverfahren würde lediglich eine überflüssige Förmelei darstellen. Die Berufung auf das Fehlen einer erneuten Anhörung ist deshalb rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB).4
864
Von der vorsorglichen Wiederholungskündigung abzugrenzen ist der Fall, dass der Arbeitgeber keine erneute Kündigung aussprechen, sondern die vorherige
865
1 Zur Definition der vorsorglichen Kündigung KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 33. 2 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 12. 3 BAG v. 16.1.1996 – 2 AZR 273/95, NZA 1996, 649; v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, NZA 1994, 311; v. 11.10.1989 – 2 AZR 88/89, NZA 1990, 748; a.A. LAG Hamm v. 10.12.1996, BB 1997, 2002. 4 BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 88/89, NZA 1990, 748.
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Teil 2 Rz. 866
Betriebsbedingte Kündigung
Kündigung bestätigen will. Fertigt der Arbeitgeber z.B., weil er irrtümlich davon ausgeht, die nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats einer in der Wohnung des zu kündigenden Arbeitnehmers lebenden Person ausgehändigte Kündigung sei dem Arbeitnehmer nicht zugegangen, ein neues Kündigungsschreiben an und übergibt er dieses am folgenden Tag dem Arbeitnehmer selbst, bedarf es keiner erneuten Anhörung des Betriebsrats. Es handelt sich dabei nicht um eine erneute Kündigung, sondern lediglich um die Bestätigung der objektiv zugegangenen Kündigung durch ein weiteres Schreiben.1 War jedoch die erste Kündigung unwirksam und händigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das alte Kündigungsschreiben erneut aus, kann darin eine Bestätigung eines nichtigen Rechtsgeschäfts i.S.v. § 141 BGB liegen. Da die Bestätigung i.S.v. § 141 BGB als Neuvornahme zu beurteilen ist, muss sie allen Anforderungen an ein wirksames Rechtsgeschäft genügen. Damit die Bestätigung als wirksame Kündigung gelten kann, muss also auch der Betriebsrat vorher gehört werden. Weiterhin muss der Arbeitgeber Bestätigungswillen haben, d.h. er muss die Nichtigkeit der vorherigen Kündigung kennen oder zumindest Zweifel an der Rechtswirksamkeit haben.2 866
" Praxistipp: Eine erneute Betriebsratsanhörung ist auf jeden Fall erforder-
lich, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in der wiederholten Kündigung aufgrund eines – wenn auch nur geringfügig – geänderten Sachverhalts kündigt. In dieser Situation handelt es sich auch inhaltlich um eine neue Kündigung. Das Recht des Betriebsrats, den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers bzgl. dieses Sachverhalts zu beeinflussen, muss durch Einleitung eines neuen Anhörungsverfahrens gewahrt werden.3
V. Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen 867
Auf die Anhörung zu einer geplanten ordentlichen/außerordentlichen Kündigung kann der Betriebsrat auf verschiedene Weise reagieren. Er ist nicht verpflichtet, sich auf die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten zu beschränken. Es liegt alleine in seinem Ermessen, welche Einstellung er gegenüber der Kündigung einnimmt. Insbesondere hat der betroffene Arbeitnehmer gegen den Betriebsrat keinen einklagbaren Anspruch auf Einlegung eines Widerspruchs gem. § 102 Abs. 3 BetrVG.4
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Eine Reaktion auf die Anhörung kann vom Betriebsrat nicht erzwungen werden. Er ist nur verpflichtet, sich mit den Informationen des Arbeitgebers zu befassen und innerhalb der ihm zustehenden Äußerungsfrist über die Abgabe einer Stellungnahme zu beschließen.5 Der Beschluss kann auch zum Ergebnis habe, dass er auf die Anhörung schweigt. Vom Schweigen abzugrenzen ist der Fall, dass der Betriebsrat ausdrücklich erklärt, sich zu der Kündigungsabsicht nicht äußern zu wollen (sog. Nicht-Stellungnahme). 1 2 3 4 5
LAG Stuttgart v. 28.4.1997 – 15 Sa 149/96, LAGE § 102 BetrVG Nr. 57. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 55. BAG v. 22.9.1983 – 2 AZR 136/82, n.v. Fitting, § 102 Rz. 71. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 150.
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Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen
Rz. 872 Teil 2
Will sich der Betriebsrat aktiv mit der Kündigung auseinandersetzen, kann er vom Arbeitgeber vor einer abschließenden Stellungnahme weitere, ergänzende Informationen einholen. Hat der Betriebsrat Einwände gegen die Kündigung und/oder will er den Arbeitgeber von seinem Kündigungsentschluss abbringen, kann er gem. § 102 Abs. 2 BetrVG Bedenken vorbringen und ggf. Alternativen zu der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorschlagen. Handelt es sich um eine ordentliche Kündigung und erscheint es dem Betriebsrat möglich, dass seine Einwände den Grad eines der in § 102 Abs. 3 BetrVG aufgeführten Widerspruchsgründe erreichen, kann er Widerspruch einlegen. Daraus ergibt sich als Konsequenz für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, einen Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG geltend zu machen, gegen den der Arbeitgeber nur unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG mittels einstweiliger Verfügung vorgehen kann.
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Hat der Betriebsrat dagegen keinerlei Einwände gegen die geplante Kündigung, kann er ihr ausdrücklich zustimmen. Dann ist die Kündigung betriebsverfassungsrechtlich unanfechtbar.1
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Für den Arbeitgeber ist es wichtig, dass er die einzelnen Reaktionsmöglichkeiten genau kennt, da diese Auswirkungen auf seine Rechtsstellung und ggf. sogar auf die Wirksamkeit des Anhörungsverfahrens haben können. So löst z.B. alleine die Äußerung von Bedenken keine Rechtswirkung aus. Schließt sich der Arbeitgeber ihnen nicht an, so kann er ohne weiteres kündigen. Selbst wenn es zu einem Kündigungsschutzprozess kommt, sind sie bedeutungslos. Anders ist dies bei einem frist- und ordnungsgemäßen Widerspruch gegen die Kündigung gem. § 102 Abs. 3 BetrVG (siehe dazu unten Rz. 879 ff.). Will der Betriebsrat ergänzende Informationen einholen, ist der Arbeitgeber – auch auf Verlangen des Betriebsrats – nicht dazu verpflichtet, die Äußerungsfrist zu verlängern. Er muss in diesem Fall jedoch die erforderlichen Unterlagen bzw. die Einsicht in diese rechtzeitig gewähren, sonst besteht die Gefahr, dass das Anhörungsverfahren wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit unwirksam ist.2 Führt die Nachfrage zu neuen kündigungsrelevanten Informationen, muss der Arbeitgeber beachten, dass die Äußerungsfrist mit deren Zugang von neuem zu laufen beginnt3, er also vor dem Ablauf der neuen Frist nicht kündigen kann, es sei denn, es liegt eine abschließende Stellungnahme vor (siehe dazu noch unten).
871
Unabhängig davon, welche Stellungnahme der Betriebsrat abgibt, rechtlich bedeutsam wird sie erst durch Mitteilung gegenüber dem Arbeitgeber. Dies erfolgt wie bei allen Äußerungen des Betriebsrats durch dessen Vorsitzenden bzw. seinen Stellvertreter, den Vorsitzenden bzw. Stellvertreter eines für Kündigungsangelegenheiten zuständigen Ausschusses oder durch ein ausdrücklich ermächtigtes Betriebsratsmitglied. Eine wirksame Äußerung des Betriebsrats liegt jedoch noch nicht vor, wenn ein einzelnes und hierfür unzuständiges Betriebsratsmitglied vor Ablauf der Äußerungsfrist gegenüber dem Arbeitgeber eine Er-
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1 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 124. 2 So z.B. KDZ/Kittner, § 102 BetrVG Rz. 79. 3 BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, NZA 1987, 601.
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Teil 2 Rz. 873
Betriebsbedingte Kündigung
klärung abgibt, dieser aber weiß oder den Umständen nach annehmen muss, dass sich der Betriebsrat als Gremium noch nicht mit der Angelegenheit ordnungsgemäß durch Beschlussfassung befasst hat.1 873
" Praxistipp: Mängel bei der Beschlussfassung im Verantwortungsbereich des
874
Der Arbeitgeber kann die Kündigung auch bei einer fehlerhaft zustande gekommenen abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats vor Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG aussprechen. Nur wenn der Arbeitgeber bei der Einleitung des Verfahrens gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG einen Fehler begeht, kann seine Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung unwirksam sein.2
Betriebsrats führen grundsätzlich auch dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Anhörung, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat das Verfahren fehlerhaft behandelt hat. Solche Fehler gehen schon deshalb nicht zu Lasten des Arbeitgebers, weil der Arbeitgeber keine Einflussmöglichkeiten auf die Beschlussfassung des Betriebsrats hat. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn der Arbeitgeber den Fehler bei der Willensbildung des Betriebsrats durch eigenes unsachgemäßes Verhalten veranlasst hat.
1. Schweigen des Betriebsrats 875
Das Schweigen des Betriebsrats auf die Anhörung ist eine im Gesetz vorgesehene Reaktionsmöglichkeit. Äußert er sich bei einer ordentlichen Kündigung nicht innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, so gilt gem. § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG seine Zustimmung zu der Kündigung als erteilt. Für die außerordentliche Kündigung fehlt eine entsprechende gesetzliche Regelung. Die Vorschrift des § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist aufgrund ihrer systematischen Stellung in § 102 Abs. 2 BetrVG nicht auf außerordentliche Kündigungen anwendbar. Hier bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass Schweigen nicht als zustimmende Willenserklärung anzusehen ist. Das ändert aber nichts daran, dass mit Ablauf der Anhörungsfrist für den Betriebsrat (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, Drei-Tages-Frist) das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen wird, wenn der Betriebsrat schweigt.3
876
Vor Ablauf dieser Fristen kann der Arbeitgeber die Kündigung nicht aussprechen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nur vor Ablauf der Fristen in § 102 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 BetrVG von einer ordnungsgemäßen Beendigung des Anhörungsverfahrens ausgegangen und dementsprechend die Kündigung vorher ausgesprochen werden, wenn der Betriebsrat derart zu der Kündigung Stellung nimmt, dass der Arbeitgeber aus der Mitteilung entnehmen kann, er wünsche keine weitere Erörterung des Falles. Für eine solche abschließende Stellungnahme ist das Schweigen allein allerdings nicht ausreichend. Solange der Betriebsrat schweigt, ist nicht auszuschließen, dass er bis zum Fristablauf doch noch eine Erklärung abgibt.4 1 2 3 4
Fitting, § 102 Rz. 52. BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330 (= EzA § 102 BetrVG 2001 Nr. 9). KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 130. BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, NZA 1988, 137.
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Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen
Rz. 879 Teil 2
Will der Betriebsrat durch Schweigen zu einer Kündigung Stellung beziehen, kann er dies – wie bei allen anderen Formen der Stellungnahme – nur als Organ in Form eines Beschlusses tun. Er muss sich also in einer ordnungsgemäß unter Angabe des entsprechenden Tagesordnungspunktes geladenen Sitzung beraten und sich durch Beschluss entscheiden, zu der geplanten Kündigung zu schweigen.1 Dies gilt auch, wenn der Betriebsrat seine Zuständigkeit auf einen Betriebsausschuss gem. § 27 Abs. 3 BetrVG oder gem. § 28 Abs. 1 BetrVG auf einen Ausschuss übertragen hat.
877
Vom Schweigen abzugrenzen ist die ausdrücklich erklärte Nicht-Stellungnahme, also der Beschluss des Betriebsrats, sich zu der Kündigungsabsicht nicht äußern zu wollen. Obwohl inhaltlich der Einfluss des Betriebsrats auf die Kündigung vergleichbar mit dem bloßen Schweigen ist, ergibt sich praktisch – insbesondere bei einer außerordentlichen Kündigung, bei der die Frist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten ist – ein gravierender Unterschied. Der Arbeitgeber kann nämlich hier die Kündigung schon vor Ablauf der dem Betriebsrat in § 102 Abs. 2 BetrVG eingeräumten Äußerungsfristen aussprechen, wenn die Äußerung, zu der Kündigung keine Erklärung abgeben zu wollen, eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats darstellt.2 Dies entspricht Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Da es im Ermessen des Betriebsrats liegt, ob und wie er den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers beeinflussen will, muss es ihm auch offen stehen, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen. Im Gegensatz zum bloßen Schweigen besitzt eine solche Erklärung eine inhaltliche Aussage, nämlich dass der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung weder zustimmen noch widersprechen oder Bedenken anmelden will.3 Der abschließende Wille des Betriebsrats muss der Erklärung allerdings eindeutig zu entnehmen sein. Erklärt er ihn nicht ausdrücklich, so ist er durch Auslegung zu ermitteln, wobei vor allem der bisherigen Übung des Betriebsrats maßgebliche Bedeutung beizumessen ist. So kann z.B. seine Erklärung, „er nehme die Kündigungsabsicht zu Kenntnis“, eine abschließende Stellungnahme darstellen, wenn der Betriebsrat damit üblicher weise zum Ausdruck bringt, dass er keine weitere Erörterung der Angelegenheit wünscht.4 Die Erklärung des Betriebsrats, er wolle „die Frist verstreichen lassen“, stellt dagegen keine solche Stellungnahme dar.5
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2. Widerspruch des Betriebsrats Handelt es sich bei der geplanten Kündigung um eine ordentliche Kündigung, so kann der Betriebsrat, wenn er einen der in § 102 Abs. 3 BetrVG aufgestellten Tatbeständen für gegeben hält, innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Widerspruch einlegen. Zwar kann er auch einer außerordentlichen Kündigung „widersprechen“. Allerdings löst nur der frist- und ordnungs1 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 164; siehe zur Beschlussfassung näher Kommentare zum BetrVG, § 33. 2 BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, NZA 1988, 137. 3 BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, NZA 1988, 137. 4 BAG v. 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, NZA 1988, 137. 5 LAG Frankfurt v. 21.11.1986 – 13 Sa 455/86, BB 1987, 1324.
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Teil 2 Rz. 880
Betriebsbedingte Kündigung
gemäße Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung gem. § 102 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch des Arbeitnehmers auf vorläufige Weiterbeschäftigung gem. § 102 Abs. 5 BetrVG aus. Eine Ausnahme gilt nur für die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Hier kann der Betriebsrat nicht nur analog § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen, sondern der Widerspruch hat auch entsprechend § 102 Abs. 5 BetrVG einen Weiterbeschäftigungsanspruch zur Folge, da die befristete außerordentliche Kündigung an die Stelle einer ansonsten auszusprechenden ordentlichen Kündigung tritt.1 880
Fällt der Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des KSchG, kann er sich bei einem Widerspruch des Betriebsrats in einem Kündigungsschutzprozess gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG auf die sog. absoluten Sozialwidrigkeitsgründe berufen. Zwar kann der Arbeitnehmer auch ohne Widerspruch des Betriebsrats diese Tatbestände geltend machen. Sie werden dann im Rahmen der allgemeinen Prüfung der Sozialwidrigkeit gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 und ggf. Abs. 3 KSchG mit berücksichtigt.2 Widerspricht aber der Betriebsrat der Kündigung aus einem der Gründe aus § 102 Abs. 3 Nr. 2–5 BetrVG (auf den die Regelungen des § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG verweisen) und ist der Widerspruch frist- und ordnungsgemäß vorgebracht und inhaltlich begründet, ist die Kündigung schon nach diesen Bestimmungen sozialwidrig. Das Gericht braucht nur zu prüfen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des erhobenen Widerspruchs gegeben sind und ob der Widerspruch gegen die konkrete Kündigung wirklich durchgreift. Einer allgemeinen Prüfung der Sozialwidrigkeit nach § 1 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 KSchG und der damit verbundenen Interessenabwägung bedarf es nicht mehr.3 Dadurch wird der individualrechtliche Kündigungsschutz des Arbeitnehmers für den Fall verstärkt, dass sich der Arbeitgeber über eine fristgemäß vorgebrachte und objektiv begründete Einwendung des Betriebsrats zum Nachteil des Arbeitnehmers hinwegsetzt.4
881
Damit der Widerspruch die o.g. Rechtsfolgen auslöst, muss er frist- und ordnungsgemäß ausgesprochen worden sein. Er muss sich auf einen der in Abs. 3 genannten Widerspruchsgründe beziehen und der fragliche Widerspruchsgrund muss durch die Angabe konkreter Tatsachen begründet werden. Auch nach dem Personalvertretungsrecht gibt es entsprechend § 77 Abs. 2 BPersVG einen gesetzlichen Begründungszwang für eine Zustimmungsverweigerung. Soweit ein Versagungskatalog in einem Landespersonalvertretungsgesetz nicht vorgesehen ist, ist die Zustimmungsverweigerung des Personalrats unbeachtlich, wenn die vom Personalrat angegebenen Gründe offensichtlich außerhalb der Mitbestimmung liegen. Beschränkt sich die Zustimmungsverweigerung auf die Darlegung einer Rechtsauffassung, so ist sie dann unbeachtlich, wenn die Rechtsauffassung offensichtlich fehlerhaft ist.5 1 BAG v. 4.2.1993 – 2 AZR 469/92, EzA § 626 BGB Nr. 144; Fitting, § 102 Rz. 65. 2 H.M. siehe z.B. BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, NZA 1985, 489; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 196 f. 3 BAG v. 6.6.1984 – 7 AZR 451/82, NZA 1985, 93; näher zur Verteilung der Darlegungsund Beweislast, wenn im Prozess bei diesen Gesichtspunkten Streit besteht, Löwisch/ Kaiser, § 102 Rz. 48. 4 BAG v. 6.6.1984 – 7 AZR 451/82, NZA 1985, 93. 5 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 58/06, NZA 2008, 52.
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Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen
Rz. 885 Teil 2
Hinsichtlich der Form muss der Widerspruch schriftlich erfolgen.1 Ein nur mündlich eingelegter „Widerspruch“ kann nicht als abschließende Stellungnahme des Betriebsrats gewertet werden. Die im Widerspruch genannten Tatsachenhinweise müssen deutlich machen, warum der genannte Widerspruchsgrund gerade in diesem Fall gegeben ist. Eine „Schlüssigkeit“ der Tatsachen ist jedoch nicht erforderlich. Sie müssen es vielmehr nur als möglich erscheinen lassen, dass ein in Abs. 3 genannter Widerspruchsgrund vorliegt.2 Die Wiederholung des Gesetzestextes reicht in keinem Fall aus.3 Damit ein Widerspruch gegeben ist, ist es im Übrigen nicht erforderlich, dass der Betriebsrat das Wort „Widerspruch“ oder „widersprechen“ verwendet. Möglich sind auch Ausdrücke wie „Ablehnung“, „Verweigerung der Zustimmung“ oder „Verneinung der Rechtmäßigkeit der Kündigung“, sofern der Stellungnahme des Betriebsrats eine eindeutige Ablehnung der Kündigung zu entnehmen ist.4
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Hinsichtlich der einzuhaltenden Frist wird in Abs. 3 auf die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verwiesen. Für die Berechnung sind die §§ 187, 193 BGB zu beachten.5
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3. Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG Der besondere Weiterbeschäftigungsanspruch des § 102 Abs. 5 BetrVG6 ist an das Vorliegen von vier Voraussetzungen gebunden. Grundsätzlich muss eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers vorliegen (Ausnahme außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist, s.o.), der Betriebsrat muss form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt haben, der Arbeitnehmer muss innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben haben und er muss den Weiterbeschäftigungsanspruch ausdrücklich gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen.
884
Für Letzteres ist keine bestimmte Form erforderlich. Das Verlangen des Arbeitnehmers muss sich ausdrücklich auf § 102 Abs. 5 BetrVG beziehen, damit sich der Arbeitgeber darüber schlüssig werden kann, ob er sich davon durch eine einstweilige Verfügung entbinden lassen kann und soll. Die Erhebung der Kündigungsschutzklage oder das Angebot der Arbeitsleistung reicht dafür nicht.7 Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist zwar nach dem Gesetzeswortlaut an keine Frist gebunden, das Weiterbeschäftigungsverlangen muss aber nach dem BAG spätestens bei Auslauf der Kündigungsfrist gestellt werden, d.h. am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Frist. Aus dem Begriff „weiterbeschäftigen“, wie er auch in § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG verwendet wird, ergibt sich, dass damit re-
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1 Fitting, § 102 Rz. 71; siehe zur Wahrung der Schriftform beim Widerspruch KDZ/Kittner, § 102 BetrVG Rz. 220 f. 2 LAG München v. 2.3.1994 – 5 Sa 908/93, NZA 1994, 1000; LAG Schleswig-Hostein, BB 1996, 1612. 3 LAG München v. 2.3.1994 – 5 Sa 908/93, NZA 1994, 1000. 4 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 136. 5 Hinsichtlich näherer Einzelheiten über Form, Frist und die einzelnen Widerspruchsgründe siehe in den entsprechenden Kommentaren zum BetrVG. 6 Siehe zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 Rz. 149 ff. 7 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 608/98, NZA 1999, 1154.
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Teil 2 Rz. 886
Betriebsbedingte Kündigung
gelmäßig eine Beschäftigung im unmittelbaren Anschluss an die auslaufende Kündigungsfrist gemeint ist. Diese Beschäftigung soll in § 102 Abs. 5 BetrVG durch einen entsprechenden Anspruch gesichert werden, damit einerseits der Arbeitnehmer dem Betrieb nicht entfremdet wird und andererseits der Arbeitnehmer alsbald disponieren kann.1 886
Liegen die Voraussetzungen für eine Weiterbeschäftigung vor, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss der Kündigungsschutzklage zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Wie schon oben angedeutet, liegt der Sinn des Weiterbeschäftigungsanspruchs darin, dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zu erhalten, damit er im Fall seines Obsiegens in dem Kündigungsrechtsstreit auf diesem Arbeitsplatz auch tatsächlich weiterbeschäftigt werden kann.
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Weigert sich der Arbeitgeber trotz Vorliegen der Voraussetzungen, den Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist zu beschäftigen, muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass der Gekündigte seinen Anspruch durch Klage oder einstweilige Verfügung durchsetzt.2 Da es sich dabei um einen Individualanspruch handelt, ist darüber im Urteilsverfahren zu entscheiden, auch wenn der Anspruch sich aus einer Norm des BetrVG begründet.3 Will der Arbeitnehmer im Klageverfahren vorgehen, muss er nach allgemeinen Grundsätzen über die Darlegungs- und Beweislast das Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG beweisen. Beantragt er den Erlass einer einstweiligen Verfügung, muss er alle Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG glaubhaft machen (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO). Dazu gehört auch die Glaubhaftmachung eines ordnungsgemäßen, form- und fristgerechten Widerspruchs des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 BetrVG einschließlich eines ordnungsgemäß gefassten Betriebsratsbeschlusses.4 Besonderheiten gelten für die Darlegung des Verfügungsgrundes (§ 935 ZPO). Nach überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung und auch der Literatur bedarf es zur Begründung der Dringlichkeit außer dem drohenden Zeitablauf nicht der Darlegung und Glaubhaftmachung weiterer Umstände. Dies resultiert aus der Gesetzessystematik des § 102 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BetrVG. Der Gesetzgeber sah bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG den Weiterbeschäftigungsanspruch als den leicht durchzusetzenden Regelfall an. Schon in der Nichtbeschäftigung trotz Vorliegens aller Tatbestandsvoraussetzungen liegt ein für den Arbeitnehmer wesentlicher Nachteil, der die Darlegung eines besonderen Verfügungsgrundes entbehrlich macht. Eine besondere Interessenabwägung findet also nicht mehr statt. Der Gesetzgeber hat sie vielmehr bereits bei der Regelung des Anspruchs auf Weiterbeschäftigung vorgenommen.5 1 BAG v. 11.5.2000 – 2 AZR 54/99, NZA 2000, 1055; v. 17.6.1999 – 2 AZR 608/98, NZA 1999, 1154. 2 LAG Nürnberg v. 27.10.1992 – 6 Sa 496/92, BB 1993, 444; LAG Hamburg v. 14.9.1992 – 2 Sa 50/92, NZA 1993, 140; LAG Köln v. 2.8.1984 – 5 Ta 1331/84, NZA 1984, 300; ausführlich hierzu vgl. Fröhlich, ArbRB 2007, 89. 3 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 222. 4 ArbG Hamm v. 18.1.1990 – 4 Ga 1/90, DB 1990, 944. 5 LAG München v. 16.8.1995 – 9 Sa 543/95, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 22; LAG Hamm v. 24.1.1994 – 19 Sa 2029/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Be-
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Reaktion des Betriebsrats und deren Folgen
Rz. 889 Teil 2
Will sich der Arbeitgeber gegen den vom Arbeitnehmer gerichtlich geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch verteidigen, kann er sich nur auf Gründe stützen, die die Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsverhältnisses entfallen lassen (so z.B. die Einwendung, dass der Beschluss des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß gefasst worden sei). Er kann dagegen nicht die Gründe einwenden, aus denen er nach § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG von der Weiterbeschäftigungspflicht entbunden werden kann. Will er sich darauf stützen, muss er selber ein weiteres einstweiliges Verfügungsverfahren beantragen.1 Der Arbeitgeber kann allerdings die beiden Verfahren miteinander vebinden, indem er in dem vom Arbeitnehmer erwirkten Verfahren einen selbständigen Antrag auf einstweilige Verfügung stellt, ihn von der Weiterbeschäftigungspflicht zu befreien.2
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Aufgrund des Weiterbeschäftigungsanspruchs besteht das bisherige Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes fort und ist nur auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage. Dementsprechend bestehen bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage auch die beiderseitigen Hauptpflichten fort, so dass der Arbeitgeber Gläubiger der Arbeitsleistung bleibt und in Annahmeverzug gerät, wenn er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt, selbst wenn die Kündigungsschutzklage später rechtskräftig abgewiesen wird.3 Andererseits hat der Arbeitnehmer nicht nur den Anspruch auf Weiterbeschäftigung, sondern er ist auch zur Arbeitsleistung und zur Einhaltung aller Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis verpflichtet. Hinsichtlich der Vergütung, Sonderzuwendungen, Sozialleistungen u. ä. kann der Arbeitnehmer dieselben Rechte geltend machen wie ein Arbeitnehmer in einem gekündigten Arbeitsverhältnis, denn unter „unveränderten Arbeitsbedingungen“ i.S.v. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG sind die bei Ablauf der Kündigungsfrist bestehenden Arbeitsbedingungen zu verstehen. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer von solchen Leistungen ausgeschlossen werden kann, die einem Arbeitnehmer in einem gekündigten Arbeitsverhältnis nicht zustehen, z.B. wenn der Arbeitgeber eine freiwillige Weihnachtsgratifikation nur Arbeitnehmern im ungekündigten Arbeitsverhältnis gewährt.4 Stellt sich nachträglich heraus, dass die Kündigung wirksam war, bleiben diese Ansprüche bestehen. Tritt jedoch das Gegenteil ein – obsiegt der Arbeitnehmer also im Kündigungsschutzprozess – steht rückwirkend für die Zeit seit Zugang der unwirksamen Kündigung fest, dass das Arbeits-
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1
2 3 4
schäftigungspflicht Nr. 14; LAG Hamburg v. 14.9.1992 – 2 Sa 50/92, NZA 1993, 140; LAG Köln v. 2.8.1984 – 5 Ta 133/84, NZA 1984, 300; MünchArbR/Wank, 2. Auflage, § 121 Rz. 32 m.w.N.; a.A. LAG Nürnberg v. 18.9.2007 – 4 Sa 586/07, BB 2008, 217; LAG München v. 10.2.1994 – 5 Sa 969/93, NZA 1994, 997; LAG Baden-Württemberg v. 30.8.1993 – 15 Sa 35/93, NZA 1995, 683; LAG Köln v. 18.1.1984 – 7 Sa 1156/83, NZA 1984, 57. LAG Schleswig-Hostein v. 5.3.1996 – 1 Ta 16/96, BB 1996, 1612 (LS); LAG Hamburg v. 25.1.1994 – 3 Sa 113/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 21; LAG Hamm v. 24.1.1994 – 19 Sa 2029/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 14. MünchArbR/Wank, 2. Auflage, § 121 Rz. 31. BAG v. 9.7.2003 – 5 AZR 305/02, NZA 2003, 1191; v. 12.9.1985 – 2 AZR 324/84, NZA 1986, 424. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 218; MünchArbR/Wank, 2. Auflage, § 121 Rz. 25; Fitting§ 102 Rz. 114; a.A. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 275.
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Teil 2 Rz. 890
Betriebsbedingte Kündigung
verhältnis als ungekündigtes Arbeitsverhältnis fortbestanden hat. Der Arbeitnehmer kann dann rückwirkend betrachtet die Rechte begründen, die sich aus einem ungekündigten Arbeitsverhältnis ergeben.1 890
Kommt es für den Grund oder die Höhe eines Anspruchs des Arbeitnehmers auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit an, so z.B. bei Ruhegeldansprüchen, ist als Dauer des Arbeitsverhältnisses die gesamte bisherige Beschäftigungszeit einschließlich der Zeit der Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG zugrunde zulegen, selbst wenn der Arbeitnehmer letztlich im Kündigungsschutzprozess unterliegt. Das im Falle der Rechtswirksamkeit der Kündigung durch die Kündigung unterbrochene Arbeitsverhältnis steht mit dem aufgrund des § 102 Abs. 5 BetrVG fortgesetzten Arbeitsverhältnisses in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang.2
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Ist der Arbeitgeber an sich zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet, kann er dennoch nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Arbeitsgerichts von der Verpflichtung entbunden werden, wenn 1. die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder 2. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde3 oder 3. der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.4
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Wegen des schon oben angedeuteten Regel-Ausnahmeverhältnisses ist die Entbindung des Arbeitgebers von der Beschäftigungspflicht der Ausnahmefall. Die in § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG genannten Entbindungsgründe sind deshalb abschließend und nicht erweiterungsfähig.5 So kann nach § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG Streitgegenstand des Entbindungsverfahrens nur die Prüfung der Frage sein, ob der vom Betriebsrat erhobene Widerspruch unter ausschließlicher Berücksichtigung der vom Betriebsrat geltend gemachten Widerspruchsgründe nach dem in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend geregelten Katalog beachtlicher Widerspruchsgründe offensichtlich unbegründet ist. Ein Widerspruch, der als nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG erscheint, ist nicht schon allein aus diesem Grunde auch offensichtlich unbegründet i.S.d. auch insoweit nicht erweiterungsfähigen Vorschrift des § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG.6 Über den Antrag des Arbeitgebers auf einstweilige Verfügung ist im 1 Unstrittig, siehe z.B. MünchArbR/Wank, 2. Auflage, § 121 Rz. 25. 2 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 219; a.A. Fitting, § 102 Rz. 114. 3 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 10.7.2007 – 2 SaGa 9/07 (n.v.). Danach muss die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers (Lohnkostenaufwand) gerade wegen der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers so gravierend sein, dass Auswirkungen für die Liquidität oder Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers nicht von der Hand zu weisen sind. Entscheidungserheblicher Beurteilungszeitpunkt hierzu ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz. 4 Zu den Entbindungsgründe im Einzelnen siehe MünchArbR/Wank, 2. Auflage, § 121 Rz. 36–45; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 224–232. 5 DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 276. 6 LAG München v. 24.4.2007 – 6 Sa 115/07, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 19.
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Anhörung zur betriebsbedingten Kündigung leitender Angestellter
Rz. 896 Teil 2
Urteilsverfahren zu entscheiden. Da die nur für das Beschlussverfahren geltende Vorschrift des § 85 Abs. 2 ArbGG deshalb keine Anwendung findet, kann die Entscheidung in dringenden Fällen gemäß §§ 937 Abs. 2, 944 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden des ArbG allein getroffen werden.1 Wie bei allen einstweiligen Verfügungen muss der Arbeitgeber auch hier Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund darlegen und glaubhaft machen. Die Eilbedürftigkeit für den Antrag ist nicht gesondert zu prüfen, da die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Verfügung in § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG abschließend geregelt sind.2
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Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem der Antrag gestellt werden muss, gilt, dass der Antrag nicht fristgebunden ist. Der Arbeitgeber muss ihn daher nicht sofort stellen, nachdem der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung verlangt hat. Er kann den Antrag z.B. auch erst während des laufenden Weiterbeschäftigungsverhältnisses stellen, wenn sich vorher noch kein Entbindungsgrund ergeben hat.3 Selbst wenn sein Antrag rechtskräftig abgewiesen worden ist, kann der Arbeitgeber ihn zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen. Er muss dabei nur beachten, dass er in dem neuen Verfahren wegen der Rechtskraftwirkung des ersten Verfahrens mit solchen Tatsachen ausgeschlossen ist, die er in dem früheren Verfahren vorgebracht hat oder hätte vorbringen können. Er kann deshalb den neuen Antrag nur auf Tatsachen stützen, die nach der abweisenden Entscheidung entstanden sind und/oder in dem früheren Verfahren nicht vorgebrachte werden konnten.4
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Hat der Arbeitgeber mit seiner einstweiligen Verfügung Erfolg gehabt, ergeht aber in der Kündigungsschutzklage ein stattgebendes Urteil, ist von diesem Zeitpunkt an nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BAG5 zwar grundsätzlich der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers bis zum Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu bejahen. Die Vorschrift des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG ist demgegenüber aber vorrangig. Sie begründet auch im Sinne der Rechsprechung des Großen Senats ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen, so dass es bei der Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht bleibt.6
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VI. Anhörung zur betriebsbedingten Kündigung leitender Angestellter Das BetrVG und damit auch die Regeln über die Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten (§§ 92–104) finden auf leitende Angestellte keine Anwendung, soweit in ihm nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Es sind stattdessen die Sonderregelungen der §§ 105 BetrVG und 31 Abs. 2 SprAuG zu beachten. 1 2 3 4 5 6
DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 278. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 235. GK-BetrVG/Kraft, § 102 Rz. 177. GK-BetrVG/Kraft, § 102 Rz. 177; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 223b. BAG-GS v. 27.2.1985, EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 223d; a.A. DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 283.
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Teil 2 Rz. 897
Betriebsbedingte Kündigung
1. Mitteilung der Kündigungsgründe an den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten gem. § 31 Abs. 2 SprAuG 897
Gem. § 31 Abs. 2 SprAuG ist der Sprecherausschuss vor jeder Kündigung eines leitenden Angestellten zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Sprecherausschusses ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Bedenken gegen die Kündigung hat der Sprecherausschuss dem Arbeitgeber innerhalb der nach § 31 Abs. 2 Satz 4 SprAuG maßgeblichen Fristen (eine Woche/bei außerordentlicher Kündigung drei Tage) mitzuteilen, ansonsten wird seine Zustimmung fingiert.
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Für diese Anhörungspflicht, die schon vom Wortlaut mit § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG übereinstimmt, gilt hinsichtlich Gegenstand, Zeitpunkt, Inhalt, Form und zu den Folgen mangelhafter Anhörung das zu § 102 BetrVG Gesagte.1 Das SprAuG kennt jedoch kein § 102 Abs. 3 BetrVG entsprechendes Widerspruchsrecht. Dem gekündigten leitenden Angestellten steht daher auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch vergleichbar mit § 102 Abs. 5 BetrVG zu, sondern nur der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch.2 2. Information des Betriebsrats gem. § 105 BetrVG
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Gem. § 105 BetrVG ist eine beabsichtigte Einstellung oder personelle Veränderung eines in § 5 Abs. 3 BetrVG genannten leitenden Angestellten dem Betriebsrat rechtzeitig mitzuteilen. Unter den Begriff „personelle Veränderung“ fällt neben der Eingruppierung, der Umgruppierung, der Versetzung und jeder Änderung der Führungsfunktion des leitenden Angestellten unstreitig auch das Ausscheiden aus dem Betrieb aufgrund Kündigung.3
900
Zusätzlich zu einer Anhörung des Sprecherausschusses ist eine geplante Kündigung daher auch dem Betriebsrat mitzuteilen. Die Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Sprecherausschuss lässt die Mitteilungspflicht nach § 105 BetrVG gegenüber dem Betriebrat unberührt. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Einstellung/sonstige personelle Veränderungen von leitenden Angestellten für den Betrieb von besonderer Bedeutung sind, und dass der Betriebrat ein besonderes Informationsbedürfnis über diesen Gesichtspunkt hat.
901
Der Arbeitgeber ist durch § 105 BetrVG nicht verpflichtet, die beabsichtigte Kündigung mit dem Betriebsrat zu erörtern. Der Betriebsrat kann jedoch Bedenken anmelden oder Gegenvorstellungen erheben. In diesem Fall ist der Arbeitgeber aus den allgemeinen Grundsätzen der §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG verpflichtet, diese Überlegungen in seine Kündigungsentscheidung einzubeziehen.4
902
Bei der Mitteilung muss der Arbeitgeber beachten, dass sie „rechtzeitig“ erfolgt, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem der Betriebsrat noch die Möglichkeit hat, sich 1 ErfK/Oetker, § 31 SprAuG Rz. 6. 2 Siehe zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch nach noch nicht rechtskräftigem positivem Kündigunsschutzprozess z.B. ErfK/Kiel, § 4 KSchG Rz. 42 ff. 3 Fitting, § 105 Rz. 4; Löwisch/Kaiser, § 105 Rz. 1. 4 KR/Etzel, § 105 BetrVG Rz. 33.
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Beteiligung des Betriebsrats bei betriebsbedingter Änderungskündigung
Rz. 905 Teil 2
vor Durchführung der Maßnahme zu äußern und die Arbeitnehmerschaft zu unterrichten. Der Betriebsrat darf nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.1
" Praxistipp: Im Unterschied zu den Anhörungspflichten nach §§ 102 Abs. 1 BetrVG, 31 Abs. 2 SprAuG bleibt ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht sanktionslos. Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung aus, ohne dies vorher dem Betriebsrat mitzuteilen, ist sie nicht unwirksam.2
903
3. Vorsorgliche Anhörung des Betriebsrats in Zweifelsfällen der Statusbeurteilung Da es bezüglich der Einordnung eines Angestellten als leitender Angestellter oder als „normaler“ Arbeitnehmer auf das objektive Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG ankommt und nicht auf die subjektive Sicht der Kündigungsparteien, kann es zu irrtümlich fehlerhaften Zuordnungen kommen, die sich erst in einem späteren Kündigungsschutzverfahren herausstellen. Hat der Arbeitgeber aufgrund seiner fehlerhaften Wertung nur eine Mitteilung gegenüber dem Betriebsrat gem. § 105 BetrVG gemacht, ist die Kündigung im Regelfall wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Eine Umdeutung der Mitteilung in eine Anhörung ist nicht ohne weiteres möglich (siehe zu der Problematik bereits oben unter Rz. 811 ff.). In Fällen, in denen bei der Zuordnung Zweifel auftreten, ist es deshalb empfehlenswert, vorsorglich sowohl den Sprecherausschuss als auch den Betriebsrat anzuhören. Der Arbeitgeber, der auf diese Weise vorgehen will, muss dies dem Betriebsrat eindeutig zu erkennen geben. Es ist aber nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber wörtlich zur Stellungnahme auffordert, vielmehr genügt es, wenn der Betriebsrat der Mitteilung des Arbeitgebers entnehmen kann, dass damit auch ein Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG eingeleitet werden soll.3
904
VII. Beteiligung des Betriebsrats bei betriebsbedingter Änderungskündigung Bei einer Änderungskündigung, also auch im Fall einer aus betriebsbedingten Gründen motivierten Änderungskündigung, spricht der Arbeitgeber eine Kündigung aus und bietet dem Arbeitnehmer im Zusammenhang damit zugleich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen an (siehe § 2 KSchG). Es liegen zwei Elemente vor. Zum einen eine Kündigungserklärung, durch die dem Arbeitnehmer deutlich und unmissverständlich klargemacht werden muss, dass für den Fall, dass er das Angebot zur Abänderung der Arbeitsbedingungen ablehnt, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Folge sein wird. Zum anderen ein Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses 1 Fitting, § 105 Rz. 6; KR/Etzel, § 105 BetrVG Rz. 29 sieht eine Mitteilung nur dann als rechtzeitig an, wenn sie spätestens eine Woche vor der geplanten Durchführung der Maßnahme erfolgt. 2 DKK/Kittner, § 105 Rz. 12 m.w.N. 3 BAG v. 7.12.1979 – 7 AZR 1063/77, DB 1980, 742; v. 26.5.1977 – 2 AZR 135/76, DB 1977, 1852.
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Teil 2 Rz. 906
Betriebsbedingte Kündigung
zu geänderten Arbeitsbedingungen, welches dem Arbeitnehmer „im Zusammenhang“ mit der Kündigung unterbreitet werden muss. Dies bedeutet, dass das Angebot mit der Kündigung verbunden werden kann oder dass der Arbeitgeber zuerst das Änderungsangebot ausspricht und danach unter der Bedingung kündigt, dass der Arbeitnehmer die vorgeschlagene Änderung der Arbeitsbedingungen ablehnt (auflösend bedingte Kündigung).1 906
Diese verschiedenen Elemente der Änderungskündigung sind auch bei der Beteiligung des Betriebsrats zu beachten. Aufgrund der in der Änderungskündigung enthaltenen Beendigungskündigung ist zunächst an eine Beteiligung des Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 BetrVG zu denken. Anders als bei anderen Kündigungen ist in diesem Fall aber zusätzlich noch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Angebot zur Weiterbeschäftigung unter geänderten Arbeitsbedingungen gemacht hat. Beinhaltet dieses Angebot eine Versetzung des Arbeitnehmers i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG oder eine Umgruppierung, und handelt es sich um ein Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern, kommt auch das Zustimmungsverfahren gem. § 99 BetrVG in Betracht.
907
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG finden bei einer Änderungskündigung, die auf eine Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG oder eine Umgruppierung des Arbeitnehmers zielt, §§ 102 und 99 BetrVG nebeneinander Anwendung. Keines der Verfahren ist als die speziellere Regelung anzusehen. Beide Formen der Beteiligung sind im Gesetz unterschiedlich ausgestaltet und die Entscheidung des Betriebsrats muss nicht notwendig einheitlich ausfallen. Der Betriebsrat ist nicht gehalten, einer Versetzung und der entsprechenden Änderungskündigung insgesamt zu widersprechen oder zuzustimmen. Der Widerspruch kann vielmehr entweder auf die Versetzung oder auf die Änderungskündigung beschränkt werden. Schon der Gesetzeswortlaut lässt erkennen, dass die §§ 99 und 102 BetrVG ganz unterschiedliche Ebenen betreffen. Während § 102 BetrVG an die Änderungskündigung anknüpft, also die arbeitsvertragliche Ebene betrifft, findet sich für das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG in § 95 Abs. 3 BetrVG die klare gesetzliche Regelung, dass das Mitbestimmungsrecht an die tatsächliche Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, also an die tatsächliche Übertragung der neuen Tätigkeit anknüpft. Auch die Widerspruchsgründe des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 3 Nr. 1–5 BetrVG und gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1–6 BetrVG sind nicht kongruent. Die Gründe des § 102 BetrVG haben die Beachtung der individuellen Interessenlage als Grundlage, wogegen die Widerspruchsgründe des § 99 BetrVG auf den Ausgleich kollektiver Interessen abzielen. Deshalb ist es auch möglich, dass die Stellungsnahme des Betriebsrats in beiden Verfahren unterschiedlich ausfällt, wenn er z.B. individualrechtlich keine Bedenken gegen die Kündigung hat, aber aus kollektiven Gesichtspunkten der Versetzung/Umgruppierung widerspricht. Das Gesetz regelt also zwei verschiedene Tatbestände, die bei der fristgerechten Änderungskündigung nicht einmal zeitlich zusammenfallen. In beiden Fällen ist schließ-
1 Siehe ausführlicher zu dem Verhältnis zwischen der Kündigung und dem Änderungsangebot bei der Änderungskündigung v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 Rz. 4 ff.
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Beteiligung des Betriebsrats bei betriebsbedingter Änderungskündigung
Rz. 910 Teil 2
lich das Verfahren völlig unterschiedlich ausgestaltet und die vom Gesetzgeber angeordneten Rechtsfolgen unterscheiden sich gravierend.1 1. Anhörung zur Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses Bei einer Änderungskündigung ist also in jedem Fall der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG zu unterrichten.
908
Inhaltlich unterscheidet sich diese Anhörung nicht von der „normalen“ Anhörung bei einer einfachen Kündigung. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat zusätzlich sowohl die Gründe für die Änderung der Arbeitsbedingungen als auch das Änderungsangebot (Entgelt, Art der auszuübenden Tätigkeit am neuen Arbeitsplatz) mitzuteilen. Nur bei Kenntnis des Änderungsangebots kann der Betriebsrat die Tragweite der Kündigung ausreichend beurteilen.2 Das Änderungsangebot des Arbeitgebers hat bereits – unabhängig von der Möglichkeit, der Kündigung nach § 102 Abs. 3 Nr. 3–5 BetrVG zu widersprechen – Auswirkungen auf die Beurteilung der Kündigungsgründe. Selbst wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ausschlägt, ist es nach der Rechtsprechung des BAG bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit der Kündigung zu berücksichtigen. Der Arbeitnehmer, der eine unter Berücksichtigung von § 1 KSchG sachlich gerechtfertigte und ihm zumutbare Änderung der Arbeitsbedingungen ablehnt, schlägt damit selbst eine angemessene Alternative zur Kündigung aus und muss eher hinnehmen, dass er nach Ablauf der Kündigungsfrist den Arbeitsplatz verliert.3
909
Sind die vom Arbeitgeber vorgetragenen Kündigungsgründe somit in Beziehung zu dem Änderungsangebot zu würdigen, so hat dies zur Folge, dass auch die Stellungnahme des Betriebsrats bei Kenntnis des Änderungsangebots anders ausfallen kann, als wenn er von einer Beendigungskündigung ausgeht. Wird der Betriebsrat nur über eine beabsichtigte Beendigungskündigung unterrichtet und dem Arbeitnehmer erst nach Durchführung des Anhörungsverfahrens ein Änderungsangebot gemacht und eine Änderungskündigung ausgesprochen, führt dies deshalb unmittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.4 Will der Arbeitgeber im Fall der Ablehnung seines Änderungsangebotes durch den Arbeitnehmer eine Beendigungskündigung aussprechen, und will er sich eine erneute Anhörung des Betriebsrats zu dieser Beendigungskündigung ersparen, muss er dies bei der Anhörung des Betriebsrats deutlich machen. Bleibt für den Betriebsrat offen, ob die Ablehnung des Änderungsangebotes die Beendigungskündigung zur Folge haben soll, so liegt keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG zu der
910
1 BAG v. 16.1.2007 – 1 ABR 16/06, NZA 2007, 1456; vgl. auch BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 283/93, NZA 1994, 615. 2 Ständige Rechtsprechung des BAG. 3 BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/92, DB 1982, 1776; v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047; nimmt der Arbeitnehmer das Angebot unter dem Vorbehalt des § 2 Satz 1 KSchG, wird im Kündigungsschutzprozess nur noch geprüft, ob die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt ist (siehe § 4 Satz 2 KSchG). 4 BAG v. 27.5.1982 – 2 AZR 96/80, DB 1984, 620.
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Teil 2 Rz. 911
Betriebsbedingte Kündigung
vom Arbeitgeber ausgesprochenen Beendigungskündigung vor. Die Beendigungskündigung ist nämlich nicht die zwingende Folge der Ablehnung des Änderungsangebotes durch den Arbeitnehmer. Vielmehr behält der Arbeitgeber die Wahlmöglichkeit, dem Arbeitnehmer nach wie vor eine Änderungskündigung wie aber auch – im Falle eines ordnungsgemäßen Änderungsangebotes und dessen definitiver Ablehnung – eine Beendigungskündigung auszusprechen.1 2. Zustimmungsaufforderung gem. § 99 BetrVG für Änderungsangebot und rechtliche Auswirkungen des Verfahrens gem. § 99 BetrVG auf die Kündigung 911
Wie oben dargelegt, muss der Arbeitgeber, wenn sich die Änderungskündigung gleichzeitig als Maßnahme im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG darstellt und in dem Betrieb in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer tätig sind, auch das Zustimmungsverfahren gem. § 99 BetrVG einleiten. Die beiden Verfahren werden nebeneinander und unabhängig voneinander durchgeführt, wobei die Entscheidung des Betriebsrats in beiden Verfahren auch unterschiedlich ausfallen kann. Wegen dieser systematischen Unterschiede hat die Verweigerung der Zustimmung zu der Maßnahme gem. § 99 Abs. 2 BetrVG dabei keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Änderungskündigung und umgekehrt.2 Das Gleiche gilt auch prozessual für das durch den Kläger eingeleitete Änderungsschutzverfahren und das Beschlussverfahren über die Ersetzung der Zustimmung gem. § 99 Abs. 4 BetrVG. Im Zustimmungsersetzungsverfahren geht es um die Begründetheit eines Widerspruchs des Betriebsrats zu einer Versetzung/ Umgruppierung. Konkreter Gegenstand eines Verfahrens auf Ersetzung der Zustimmung zu einer Versetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist die Frage, ob die beabsichtigte personelle Maßnahme aufgrund eines bestimmten, an den Betriebsrat gerichteten Zustimmungsersuchens des Arbeitgebers wegen der vom Betriebsrat vorgetragenen Verweigerungsgründe gegenwärtig und zukünftig als endgültige Maßnahme zulässig ist. Keineswegs Verfahrensgegenstand ist die Beantwortung der Frage, ob die Maßnahme im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Arbeitgeber zulässig war. Eine derartige gegenwarts- und zukunftsbezogene Frage ist erst nach Maßgabe der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beantworten.3 Dagegen ist Gegenstand des Änderungsschutzverfahrens die soziale Rechtfertigung der Änderungskündigung. Da die Wirksamkeit der Änderungskündigung nicht von der Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Versetzung/Umgruppierung abhängt, betrifft das Beschlussverfahren auch keine Vorfrage des Änderungsschutzverfahrens. Beide Prozesse sind unabhängig voneinander.4
912
" Praxistipp: Aus praktischen Gründen ist es dem Arbeitgeber aber möglich,
das Anhörungs- und das Zustimmungsverfahren miteinander zu verbinden,
1 2 3 4
BAG v. 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, NZA 1990, 529. BAG v. 8.6.1995 – 2 AZR 739/94, RzK I 7a Nr. 30. Vgl. BAG v. 16.1.2007 – 1 ABR 16/06, NZA 2007, 1456. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 140; a.A. für den Fall, dass die Widerspruchsgründe gem. § 99 BetrVG mit den Gründen der Änderungsschutzklage übereinstimmen Backmeister/ Trittin, 3. Auflage 2004, KSchG § 2 Rz. 40.
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Beteiligung des Betriebsrats bei betriebsbedingter Änderungskündigung
Rz. 917 Teil 2
was durch die in beiden Fällen für den Betriebsrat vorgesehene Wochenfrist (§§ 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) erleichtert wird. Der Arbeitgeber muss allerdings gegenüber dem Betriebsrat deutlich zum Ausdruck bringen, dass er tatsächlich beide Verfahren einleiten will.1 Aufgrund dieses Nebeneinanders und der möglichen Reaktionen des Betriebsrats sind verschiedene Konstellationen möglich. a) Der Betriebsrat stimmt sowohl der Kündigung als auch der Versetzung/Umgruppierung zu. Stimmt der Betriebsrat in beiden Verfahren zu oder äußert er sich nicht innerhalb der Wochenfrist, entstehen für den Arbeitgeber keine Probleme. Er kann die von ihm geplanten Maßnahmen durchführen. Der Betriebsrat kann seine Zustimmung einheitlich erteilen. Es muss allerdings im Interesse des Arbeitnehmers – zumindest durch Auslegung – deutlich werden, dass er für beide Verfahren seine Zustimmung erteilt hat. b) Der Betriebsrat stimmt der Versetzung/Umgruppierung zu, widerspricht aber der Kündigung. Stimmt der Betriebsrat der Versetzung/Umgruppierung zu, widerspricht er aber der Kündigung gem. § 102 Abs. 3 BetrVG, kann der Arbeitgeber die geplante Maßnahme ebenfalls durchführen. Er muss allerdings damit rechnen, dass er für den Fall der Ablehnung des Änderungsangebotes und der rechtzeitigen Erhebung der Kündigungsschutzklage einem Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG ausgesetzt ist. c) Der Betriebsrat stimmt der Kündigung zu, widerspricht aber der Versetzung. Etwas komplizierter ist die rechtliche Situation, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zu der Versetzung gem. § 99 Abs. 2 BetrVG verweigert. Die Zustimmung ist zwar keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Änderungskündigung, dies alleine führt daher noch nicht zu deren Unwirksamkeit. Da § 99 BetrVG an die tatsächliche Übertragung einer neuen Tätigkeit anknüpft, wirkt sich die Zustimmungsverweigerung aber darauf aus, ob der Arbeitgeber die von ihm bezweckte Änderung der Arbeitsbedingungen durchführen kann.
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Ist bei Ablauf der Kündigungsfrist die Zustimmung des Betriebsrats im Verfahren gem. § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzt worden, steht auch mitbestimmungsrechtlich der Versetzung nichts im Wege. Führt der Arbeitgeber die beabsichtigte Versetzung vorläufig ohne Zustimmung des Betriebsrats durch, so sind die Rechtsfolgen in §§ 100, 101 BetrVG geregelt.
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Liegt bei Ablauf der Kündigungsfrist weder eine Zustimmung des Betriebsrats vor, noch macht der Arbeitgeber von der Möglichkeit des § 100 BetrVG Gebrauch, so ist eine „Versetzungsanordnung“ nicht möglich. Wird sie vom Arbeitgeber dennoch erteilt, ist sie nach § 134 BGB nichtig. Der Arbeitnehmer kann sich dagegen mit einer entsprechenden Feststellungsklage wehren. Er ist nach wie vor zur Tätigkeit in dem alten Arbeitsbereich berechtigt und verpflichtet. Die bisherige Tätigkeit kann ihm nicht wirksam entzogen werden. Entzug der alten und Zuweisung der neuen Beschäftigung stellen einen einheitlichen
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1 BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 283/93, NZA 1994, 615.
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Teil 2 Rz. 918
Betriebsbedingte Kündigung
Vorgang dar, der auch rechtlich nur einheitlich beurteilt werden kann.1 Der Arbeitgeber kann daher die geplante Änderung der Arbeitsbedingungen – selbst wenn der Betriebsrat der Änderungskündigung zugestimmt hat und die Änderung sozial gerechtfertigt ist – nicht realisieren, solange nicht das Verfahren des § 99 BetrVG ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.
VIII. Anhörung bei Restmandat und Übergangsmandat 918
Die Anhörung des Betriebsrats setzt voraus, dass ein funktionsfähiger Betriebsrat besteht. Endet die Amtszeit des Betriebsrats (§ 21 i.V.m. § 13 BetrVG), ist er dennoch so lange gem. § 102 BetrVG zu beteiligen, wie er die Geschäfte weiterführt.2 Sinkt die Zahl der Betriebsratsmitglieder z.B. durch Rücktritte oder Ausscheiden aus dem Betrieb unter die gesetzliche Zahl des § 9 BetrVG, so führen die noch verbleibenden Betriebsratsmitglieder die Geschäfte weiter und sind vor einer Kündigung anzuhören.3
919
Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn der Betrieb z.B. im Rahmen einer Betriebsteilveräußerung gespalten, Betriebe/Betriebsteile zusammengelegt werden oder wenn ein Betrieb durch Stilllegung untergeht. Grundsätzlich ist das Mandat des Betriebsrats an den Bestand des Betriebes geknüpft, für den er gewählt worden ist. Solange diese Einheit unverändert fortbesteht, behält der Betriebsrat das ihm übertragene Mandat bis zum Ablauf seiner regulären Amtszeit. Eine betriebliche Umorganisation bzw. der Untergang dieser Einheit hätte – ohne besondere gesetzliche Regelung dieser Problematik – zur Folge, dass der Betriebsrat für die bisher von ihm vertretenen Arbeitnehmer nicht mehr zuständig wäre bzw. dass im Fall des Betriebsuntergangs sein Amt enden würde. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Arbeitnehmer ab Wirksamwerden einer Spaltung bzw. einer Zusammenlegung oder ab endgültiger Stilllegung des Betriebes für die sich gerade zu diesem Zeitpunkt ergebenden Mitbestimmungsfragen ohne Interessenvertretung wären.4 Diese Problematik hat der Gesetzgeber durch die im Rahmen des BetrVerf-Reformgesetz 2001 neu eingeführten Regelungen der §§ 21a und b BetrVG gelöst, in denen er in Übereinstimmung mit der bis dahin geltenden Rechtsprechung des BAG5 ein allgemeines Übergangsmandat des Betriebsrats bei betrieblichen Umstrukturierungen nunmehr ausdrücklich anerkennt.6 1 BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 283/93, NZA 1994, 615; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 Rz. 199 f. 2 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 20, 21. 3 BAG v. 18.8.1982, EzA § 102 BetrVG. 4 So z.B. BAG v. 23.11.1988 – 7 AZR 121/88, NZA 1989, 433; vergleiche die spätere Rechtsprechung zum Übergangsmandat/Restmandat analog § 321 UmwG BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, NZA 2000, 1350; v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002, 109. 5 BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, AP Nr. 12 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb. 6 Mit Inkrafttreten des BetrVerf-Reformgesetzes wurde die bis dahin relevanteste Vorschrift für ein Übergangsmandat bei gesellschaftsrechtlichen Umwandlungen nach § 321 UmwG aufgehoben. Andere gesetzliche Regelungen, die die begrenzte Fortdauer der Amtszeit des Betriebsrats oder der Personalvertretung betrafen (§§ 13, 14 SpTrUG, 6b VermG, 25 PostPersRG, 24 PZNeuOG, 8 EneuOG, 15, 20 DBGrG sowie vereinzelt
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Anhörung bei Restmandat und Übergangsmandat
Rz. 924 Teil 2
1. Übergangsmandat nach § 21a BetrVG Gem. § 21a Abs. 1 BetrVG bleibt für den Fall einer Spaltung des Betriebes dessen Betriebsrat im Amt und führt die Geschäfte für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile weiter, soweit sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen und nicht in einen Betrieb eingegliedert werden, in dem ein Betriebsrat besteht (Übergangsmandat). Das Übergangsmandat endet mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses in den Betriebsteilen, spätestens sechs Monate nach Spaltung. Gem. Abs. 2 gilt dies auch für den Fall der Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen zu einem Betrieb. Abs. 3 stellt klar, dass die Regelung nach wie vor Spaltungen/Zusammenlegungen nach dem Umwandlungsgesetz (Fälle der Gesamtrechtsnachfolge) sowie auch solche im Zusammenhang mit einer Betriebs(teil)veräußerung nach § 613a BGB (Einzelrechtsnachfolge) erfasst.
920
Liegt ein Fall von § 21a BetrVG vor, wird die Amtszeit des Betriebsrats und der einzelnen Betriebsratsmitglieder verlängert. Der Grundsatz, nachdem das Mandat des Betriebsrats an den Bestand des Betriebes geknüpft ist, kommt nicht zur Anwendung. In dem ihm gesetzten zeitlichen Rahmen führt der Betriebsrat die Geschäfte für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile bzw. im Fall von Abs. 2 für den neuen Betrieb weiter. In letzterem Fall bezieht sich das Übergangsmandat des wahrnehmenden Betriebes auch auf die Arbeitnehmer der Betriebe, für die er bislang nicht zuständig war.1
921
Das Übergangsmandat ist ein Vollmandat.2 Die Weiterführung der Geschäfte umfasst alle aus dem BetrVG folgenden Befugnisse, so auch das Anhörungsrecht nach § 102 BetrVG. Bis zur Beendigung des Übergangsmandats nach § 21a Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist also der bisherige Betriebsrat bzw. der bisherige größerer Betriebsrat zu Kündigungen anzuhören.
922
Bei einer Spaltung oder Teilübertragung nach dem Umwandlungsgesetz kommt § 323 Abs. 1 UmwG zur Anwendung. Danach verschlechtert sich die kündigungsrechtliche Stellung eines Arbeitnehmers aufgrund einer Spaltung oder Teilübertragung für die Dauer von zwei Jahren nicht. Zur „kündigungsrechtlichen Stellung“ allgemein gehört jedoch nicht auch die Beteiligung des bisherigen Betriebsrats nach §§ 102, 103 BetrVG im Falle einer Kündigung. Diese hat in § 21a BetrVG eine vorrangige spezialgesetzliche Sonderregelung erfahren. Eine Verlängerung des Übergangsmandats bis zu einer Dauer von zwei Jahren kann danach aus § 323 Abs. 1 UmwG nicht hergeleitet werden.3
923
Bei einer Betriebsspaltung ist der Fall eines Übergangsmandats nach § 21a BetrVG abzugrenzen von einem gemeinsamen Betrieb nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG. Bei einer Spaltung von Unternehmen wird danach grundsätzlich vermutet, dass diese nicht die Spaltung des Betriebes zur Folge hat, sondern dass der Betrieb als gemeinsamer Betrieb fortgeführt wird, wenn sich die Organisa-
924
landesrechtliche Gesetze) wurden nicht aufgehoben, sind allerdings durch Zeitablauf im Wesentlichen gegenstandslos geworden. 1 Löwisch/Kaiser, § 21a Rz. 8, 24. 2 Fitting, § 21a Rz. 20. 3 Anders DKK/Buschmann, § 21a Rz. 49.
Mues
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Teil 2 Rz. 925
Betriebsbedingte Kündigung
tion des betroffenen Betriebes nicht wesentlich geändert hat. Hier ist ein Rückgriff auf das Übergangsmandat nicht erforderlich. Der Betriebsrat besteht bis zum Ende seiner regulären Amtszeit fort, eine Neuwahl erfolgt auf der Grundlage des gemeinsamen Betriebes.1 2. Restmandat bei Stilllegung des Betriebes 925
Für den Fall der Betriebsstilllegung, aber auch bei Spaltungen oder Zusammenlegungen, die den Untergang des Betriebes zur Folge haben, bleibt der Betriebsrat so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der mit dem Vorgang der Stilllegung in einem ursächlichen Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist (Restmandat gem. § 21b BetrVG).
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Das Restmandat beginnt mit dem Untergang des Betriebes durch die Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung. Es endet erst dann, wenn keine vom Betriebsrat mehr wahrzunehmenden Aufgaben vorhanden sind, kann also auch die reguläre Amtszeit des Betriebsrats überdauern.2
927
Inhaltlich ist das Restmandat – anders als das Übergangsmandat – funktionell beschränkt. Es umfasst nicht alle dem Betriebsrat bisher zustehenden Geschäfte oder Mitbestimmungsrechte, sondern nur die „im Zusammenhang“ mit der Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung „erforderlichen“ Mitwirkungsund Mitbestimmungsrechte. Dazu gehören zwar zunächst Verhandlungen und Vereinbarungen nach §§ 111 ff. BetrVG, insbesondere der Sozialplan nach § 112 BetrVG, aber auch das Anhörungsrecht nach § 102 BetrVG, da im Rahmen einer Stilllegung auch Kündigungen ausgesprochen werden.3 Bei einer Betriebsstilllegung ist der Betriebsrat auch noch zu solchen Kündigungen zu hören, die nach dem Stilllegungsbeschluss erklärt wurden.4
928
Kommt es z.B. im Rahmen einer Betriebsaufspaltung in zwei oder mehrere Betriebe zum Untergang des Ursprungsbetriebes, erstreckt sich das Restmandat nur auf die Angelegenheiten des Ursprungsbetriebes. Angelegenheiten der neuen Betriebe und dessen Arbeitnehmern, wie z.B. Kündigungen, werden nicht erfasst, auch wenn die betroffenen Arbeitnehmer vorher dem alten Betrieb angehört haben.5
929
" Praxistipp: Kommt es nach dem Übergang eines ganzen Bertriebes auf einen anderen Rechtsräger unter Anwendung des § 613a BGB zur Notwendigkeit des Ausspruchs von Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern, die von ihrem Widerspruchrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB gebrauch gemacht haben und deshalb im Arbeitsverhältnis bei dem Veräußerer verblieben sind, der sie mangels eines Betriebes nicht weiterbeschäftigen kann, besteht kein Rest-
1 Siehe dazu ausführlich und auch zur Widerlegung der Vermutung eines gemeinsamen Betriebes DKK/Buschmann, § 21a Rz. 27, 28. 2 So bereits schon zum in Rechtsfortbildung anerkannten Restmandat BAG v. 16.6. 1987 – 1 ABR 41/85, NZA 1987, 671; v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85, NZA 1987, 858; v. 1.4.1998 – 10 ABR 17/97, NZA 1998, 768. 3 Löwisch/Kaiser, § 21b Rz. 5. 4 BAG v. 29.3.1977 – 1 AZR 46/75, DB 1977, 1320. 5 DKK/Buschmann, § 21b Rz. 22.
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Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder
Rz. 932 Teil 2
mandat des Betriebsrats, weil der Betrieb in seiner Identität erhalten geblieben und übergegangen ist. In diesen Fällen ist daher eine Anhörung des Betriebsrats des bei dem neuen Rechtsräger weiterbestehenden Betriebs vor Kündigungen durch den Veräußerer nicht erforderlich. Im Verhältnis zum Übergangsmandat gem. § 21a BetrVG ist das Restmandat subsidiär. Können die Beteiligungsrechte des Betriebsrats anderweitig wahrgenommen werden, ist das Restmandat nicht erforderlich. Bei einer Spaltung kommt daher ein Restmandat nur zustande, wenn ein Übergangsmandat nicht entsteht oder durch den Ablauf der Sechsmonatsfrist ohne Neuwahl eines Betriebsrats erloschen ist. Bei einer Zusammenlegung entsteht zunächst immer ein Übergangsmandat. Das Restmandat kommt nur mit dem Ablauf des Übergangsmandats in Betracht. Seine eigentliche und wesentliche Bedeutung hat das Restmandat daher nur im Fall der Betriebsstilllegung.1
930
E. Betriebsbedingte Kündigung von Mandatsträgern der Betriebsverfassung I. Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Eine ordentliche Kündigung eines aktiven Betriebsratsmitglied ist also grundsätzlich unzulässig, eine außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn außer dem wichtigen Kündigungsgrund die nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung vorliegt oder wenn diese Zustimmung durch eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts für Arbeitssachen nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ersetzt ist.2 Dies gilt in gleicher Weise für die Kündigung eines Mitglieds einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats und nach § 15 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung.
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Dieser Sonderkündigungsschutz sichert die Unabhängigkeit der Mitglieder des Betriebsrats, indem der einzelne Mandatsträgers vor dem Verlust des Arbeitsplatzes geschützt wird. Der Arbeitnehmer soll nicht aus Furcht vor einer Kündigung davor zurückschrecken, Aufgaben als Betriebsratsmitglied ordnungsgemäß wahrzunehmen, auch wenn Konflikte mit dem Arbeitgeber auszutragen sind. Nur dann, wenn die Kündigungsgründe ein besonderes Gewicht aufweisen, so dass eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, darf der Arbeitgeber dem Mandatsträger – mit Zustimmung der Arbeitnehmervertretung oder aufgrund ersetzter gerichtlicher Zustimmung – außer-
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1 Löwisch/Kaiser, § 21b Rz. 2, 3. 2 BAG v. 9.7.1998 – 2 AZR 142/98, NJW 1999, 444.
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Teil 2 Rz. 933
Betriebsbedingte Kündigung
ordentlich kündigen. Welches Gewicht der Gesetzgeber diesem Schutz beigemessen hat, zeigt sich auch an dessen Nachwirkung nach Ablauf der Amtsperiode (§ 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG).1 Geschützt werden soll aber auch die Arbeitnehmervertretung, insbesondere die Kontinuität ihrer Arbeit durch möglichst unveränderte personelle Zusammensetzung. Durch die Beschränkung des Kündigungsrechts auf außerordentliche Kündigungen mit Zustimmungserfordernis ist gewährleistet, dass der Arbeitgeber die Arbeit der Arbeitnehmervertretung als Gremium nicht behindert oder unmöglich macht. § 15 KSchG dient damit nicht nur den Einzelinteressen der Arbeitnehmervertreter, sondern auch dem Interesse der gesamten Belegschaft an einer unabhängigen Amtsführung der Arbeitnehmervertretung.2 1. Betriebsstilllegung 933
Die ordentliche Kündigung eines aktiven Mandatsträgers ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzulässig. Dieses Kündigungsverbot erfasst alle durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigungen, unabhängig vom Kündigungsgrund oder davon, ob der zu Kündigende dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegt.3 Darunter fallen auch Kündigungen, die im Rahmen von anzeigepflichtigen Massenentlassungen nach § 17 KSchG ausgesprochen werden, selbst wenn es sich um Massenänderungskündigungen handelt.4 Für verhaltensbedingte außerordentliche Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern, die den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG genießen, müssen jedoch die Nachteile einer fiktiven Zumutbarkeitsprüfung in Kauf genommen werden. Ansonsten wäre eine § 78 BetrVG widersprechende Benachteiligung dieses Personenkreises die Folge. Würde beispielsweise im Falle einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung wegen einer gemeinschaftlich begangenen Verletzung von Arbeitspflichten eines Betriebsratsmitglieds und eines sonstigen Arbeitnehmers bei im Übrigen vergleichbaren Tatumständen und gleichgelagerten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen die fristlose Kündigung gegenüber dem Betriebsratsmitglied nur wegen der absehbar langen Bindungsdauer von mindestens einem Jahr nach Ende des Betriebsratsamts als wirksam erachtet, die fristlose Kündigung gegenüber dem anderen Arbeitnehmer hingegen mit der Begründung als unwirksam verworfen, dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber durchaus zumutbar, so würde das Betriebsratsmitglied offensichtlich allein wegen seines Betriebsratsamts einen schwerwiegenden Rechtsnachteil erleiden. Dies widerspricht aber Sinn und Zweck der in § 15 KSchG enthaltenen Vorschriften, wonach dem Betriebsrat ein besonderer Schutz vor Benachteiligungen aufgrund seines Amtes eingeräumt wird.5 1 2 3 4
Siehe dazu unten Rz. 965 ff. betriebsbedingte Kündigung nach Ende des Mandats. BAG v. 28.4.1994 – 8 AZR 209/93, NZA 1995, 168. APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 9. BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102; v. 9.4.1987 – 2 AZR 279/86, NZA 1987, 807; v. 2.4.1992 – 2 AZR 481/91, RzK II 1c Nr. 2. 5 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 821/06; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 133; v. HoyningenHuene/Linck § 15 Rz. 97; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1647; ErfK/Kiel, § 15 KSchG Rz. 26 ff.
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Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder
Rz. 937 Teil 2
Eine Ausnahme gilt nach § 15 Abs. 4 KSchG, wenn der Betrieb stillgelegt wird. Im Fall einer Stilllegung ist eine ordentliche Kündigung von Mandatsträgern zulässig, aber frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung, es sei denn, dass die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.
934
Diese Ausnahmeregelung resultiert aus der Erwägung, dass keine berechtigten Interessen der Mandatsträger mehr an dem besonderen Schutz ihrer Arbeitsverhältnisse bestehen, wenn der Betrieb, in dem sie ihre Rechte als Vertreter der Arbeitnehmerschaft ausüben, aufgelöst wird und alle Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheiden. Eine Interessenvertretung ist dann nicht mehr erforderlich.1 Die Arbeitnehmerrechte werden dadurch nicht eingeschränkt. Sollte die Belegschaft nach der Betriebsstilllegung noch eine Interessenvertretung benötigen, z.B. zur Abwicklung eines Sozialplans, so kann dies der bisherige Betriebsrat aufgrund eines Restmandats durchführen. Es ist anerkannt, dass ein Betriebsrat auch nach Kündigung aller Arbeitsverhältnisse mit Ablauf seiner Amtszeit ein Restmandat behält, das ihn berechtigt, alle mit einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG zusammenhängenden Beteiligungsrechte wahrzunehmen.2 Zudem soll der Arbeitgeber nicht gezwungen sein, eine Betriebs- oder BetriebsabteilungsStilllegung mit Rücksicht auf die Mandatsträger zu unterlassen bzw. ein Arbeitsverhältnis mit einem Mandatsträger allein des Amtes wegen fortsetzen zu müssen, obwohl keine Beschäftigungsmöglichkeit für diesen mehr besteht.3
935
Hinsichtlich des Begriffs der „Stilllegung“ gelten keine Besonderheiten. Eine Betriebsstilllegung ist nach der vom BAG in ständiger Rechtsprechung verwendeten Definition die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft, die ihre Veranlassung und zugleich ihren sichtbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisher verfolgten Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben.4
936
Liegt eine Betriebsstilllegung vor, so ist nach § 15 Abs. 4 KSchG eine ordentliche Kündigung zulässig. Absatz 4 enthält keine Fiktion einer zulässigen außerordentlichen Kündigung. Dies ergibt sich schon aus dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Betriebsstilllegung zum Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers gehört und daher keine fristlose Kündigung rechtfertigt. Den nach § 15 KSchG geschützten Personen kann bei einer Betriebsstilllegung oder der Stilllegung ei-
937
1 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 157. 2 BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, AP Nr. 19 zu § 111 BetrVG; v. 1.4.1998 – 10 ABR 17/97, NZA 1998, 768. 3 BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Konzern, zu B I 2 a der Gründe; v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, AP Nr. 16 zu § 15 KSchG 1969. 4 Siehe dazu und zur Abgrenzung zum Betriebsübergang, der keine Stilllegung im Sinne von Abs. 4 darstellt oben Rz. 260 ff., 271 ff.
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Teil 2 Rz. 938
Betriebsbedingte Kündigung
ner Betriebsabteilung grds. in der gleichen Weise gekündigt werden wie anderen Arbeitnehmern.1 938
Da es sich bei der Kündigung aus § 15 Abs. 4 KSchG um eine ordentliche Kündigung handelt, muss der Arbeitgeber die Kündigungsfrist einhalten, die nach Vertrag, Tarifvertrag oder Gesetz auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist. Als Kündigungstermin kommt aber nach dem eindeutigen Gesetzwortlaut frühestens der Zeitpunkt der Betriebsstilllegung in Betracht.2 Sind besondere Kündigungstermine einzuhalten, wie z.B. Monatsende, Quartalsende, muss der Arbeitgeber diese beachten. Der Zeitpunkt der geplanten Betriebsstilllegung ersetzt nicht gesetzliche, tarifliche oder einzelvertraglich vereinbarte Kündigungstermine. Wird z.B. der Betrieb zum Monatsende Juli stillgelegt, kann einem Arbeitnehmer mit einer Kündigungsfrist zum Vierteljahresschluss frühestens zum Monatsende September als Quartalsende gekündigt werden. Eine Kündigung zum früheren Stilllegungstermin ist rechtlich unzulässig.3
939
Wird die Belegschaft in Etappen abgebaut, dürfen die nach § 15 KSchG geschützten Personen grundsätzlich erst mit Einstellung der Tätigkeit der bis zuletzt beschäftigten Gruppe entlassen werden.4 Nicht maßgeblich ist der Lauf von Kündigungsfristen der bis zuletzt tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer. Wenn Arbeitnehmer nach tatsächlicher Beendigung ihrer Tätigkeit im Rahmen einer Stilllegung für die Restlaufzeit ihrer individuellen Kündigungsfrist freigestellt werden, begründet dies nicht eine Verzögerung der Entlassung von betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträgern über den Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung der Tätigkeit hinaus. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Regelung, der darin liegt, für die Dauer der tatsächlichen Beschäftigung von Arbeitnehmern deren Betreuung durch einen Betriebsrat zu ermöglichen.
940
Ein früherer Kündigungstermin ist nur möglich, wenn dies durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, § 15 Abs. 4 KSchG a.E. Als Beispiel hierfür kann der Fall genannt werden, dass der Mandatsträger Arbeiten ausführt, für die wegen der geplanten Stilllegung kein Bedürfnis mehr besteht und er auch nicht mit anderen Arbeiten beschäftigt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn nur noch Arbeiten zur Durchführung der Betriebsstilllegung notwendig sind, die aber nur von bestimmten Arbeitnehmern ausgeführt werden können, zu denen das Betriebsratsmitglied nicht gehört.5 Wegen des besonderen Schutzes durch § 15 Abs. 4 KSchG ist aber vor jeder Kündigung eines Mandatsträger zunächst zu prüfen, ob er nicht auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, der noch mit einem – insoweit – ungeschützten Arbeitnehmer besetzt ist.6 Ist die Kündigung nach Absatz 4 zum Zeitpunkt der Betriebsstilllegung oder zu einem früheren Zeitpunkt möglich, bedeutet dies nicht, dass für den Ausspruch 1 BAG v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, NZA 1984, 38; v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, DB 1983, 2635; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 170; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 75; Löwisch/ Spinner, § 15 Rz. 61. 2 Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 70. 3 KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 101; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 175. 4 KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 102. 5 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 172 m.w.N. 6 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 178.
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Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder
Rz. 943 Teil 2
der Kündigung auf diesen Zeitpunkt gewartet werden muss, mit der Folge, dass erst dann die Kündigungsfrist zu laufen begänne. Um die Kündigungsfrist rechtzeitig in Lauf zu setzen, kann die Kündigungserklärung vielmehr schon vorher abgegeben werden, allerdings nur mit Wirkung zu den o.g. Zeitpunkten.1
" Praxistipp: Verzögert sich wider Erwarten die Betriebsstilllegung, so beginnt
941
Wie bei jeder anderen ordentlichen Kündigung ist auch bei einer Kündigung gem. § 15 Abs. 4 KSchG der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG bzw. der Personalrat gem. § 79 BPersVG/landespersonalvertretungsrechtliche Vorschriften anzuhören.5 Eine Zustimmung des Betriebs-/Personalrats ist nicht erforderlich.6
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Hält der Arbeitnehmer die Voraussetzungen einer Kündigung nach § 15 Abs. 4 KSchG nicht für gegeben, weil er glaubt, dass es an einer Betriebsstilllegung fehlt, rügt er die Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG bezeichneten Gründen. Er muss gleichwohl aufgrund der einheitlichen Klagefrist des § 4 Satz KSchG auch bei Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Verstoßes gegen § 15 KSchG innerhalb der Drei-Wochen-Frist gerichtlich gegen die Kündigung vorgehen. Andernfalls gilt diese gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Dreiwochenfrist ist im übrigen auch dann einzuhalten, wenn der Arbeitnehmer sich darauf beruft, dass es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 15 Abs. 1, 2 oder 3 i.V.m. § 626 BGB fehle. Denn das Fehlen des wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung kann gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG ebenfalls nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden.7
943
die Kündigungsfrist nicht erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Betriebsstilllegung zu laufen.2 Es gilt die vorher in Gang gesetzte Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis endet aber erst mit dem nächstzulässigen Kündigungstermin nach der tatsächlichen Betriebsstilllegung.3 Ist beispielsweise die Betriebsstilllegung zum 31. Dezember geplant und ist dem Arbeitnehmer, dem nach dem Tarifvertrag ordentlich nur zum Quartalsende gekündigt werden kann, zum geplanten Stilllegungszeitpunkt gekündigt worden, so endet sein Arbeitsverhältnis erst zum 31. März des Folgejahres, wenn die Betriebsstilllegung tatsächlich erst zum 31. Januar des Folgejahres erfolgte. Von der Verzögerung der Betriebsstilllegung abzugrenzen ist die Betriebsstilllegung, bei der später noch Abwicklungs- und Aufräumarbeiten durchgeführt werden müssen (sog. Nacharbeiten). Diese ändern nichts daran, dass die Betriebsstilllegung tatsächlich bereits erfolgt ist. Sie führen also auch nicht dazu, dass besonders geschützten Personen nach § 15 Abs. 4 KSchG erst mit Wirkung zum Ende der Nacharbeiten gekündigt werden kann.4
1 2 3 4 5 6
v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 174. BAG v. 16.1.1997 – 2 AZN 1037/96, KTS 1997, 317. BAG v. 23.4.1980 – 5 AZR 49/78, NJW 1980, 2543; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 177. APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 177. Siehe dazu D. und F. BAG v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, NZA 1984, 38; v. 30.3.1994 – 7 ABR 46/93, NZA 1994, 843. 7 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 190.
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Teil 2 Rz. 944 944
Betriebsbedingte Kündigung
Der allgemeine Kündigungsschutz aus § 1 KSchG kommt neben § 15 Abs. 4 KSchG nicht mehr zur Anwendung. § 15 Abs. 4 KSchG ist insoweit lex specialis. Die Kündigung, die wegen der Betriebsstilllegung erfolgt, kann nicht sozialwidrig im Sinne von § 1 KSchG sein.1 Dies hat als Konsequenz zur Folge, dass der Arbeitnehmer nicht gem. § 9 Abs. 1 KSchG verlangen kann, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Stellt das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung einer der in § 15 Abs. 1 bis 3a KSchG genannten Arbeitnehmer fest, kann dieser Arbeitnehmer aber gem. § 16 KSchG, falls er inzwischen ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, binnen einer Woche nach Rechtskraft des Urteils durch Erklärung gegenüber dem alten Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bei diesem verweigern. 2. Stilllegung eines Betriebsteils
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Eine weitere Ausnahme von dem Grundsatz, dass einem Mandatsträger nicht ordentlich gekündigt werden kann, stellt § 15 Abs. 5 KSchG dar. Wird ein Mandatsträger in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, und kann er aus betrieblichen Gründen nicht in eine andere Betriebsabteilung übernommen werden, so ist eine Kündigung nach § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur unter sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 4 KSchG möglich, also frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung, sofern die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt nicht durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.
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Voraussetzung für diesen Sonderfall der ordentlichen Kündigung eines Mandatsträgers ist zunächst, dass der betroffene Arbeitnehmer in einer Betriebsabteilung beschäftigt wird, die stillgelegt werden soll.2 Nur dann rechtfertigt sich die Übernahmeverpflichtung des Arbeitgebers aus § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG, da nur in diesem Fall die betriebliche Interessenvertretung als solche erhalten bleibt.
947
Eine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG ist ein organisatorisch abgegrenzter Teil eines Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch in einer bloßen Hilfstätigkeit bestehen kann.3 Die Betriebsabteilung ist insbesondere von dem Betriebsteil (siehe §§ 613a BGB, 4 Abs. 1 Satz 1, 111 Abs. 3 Nr. 6, 7 BetrVG) abzugrenzen. Die Betriebsabteilung verfolgt einen eigenständigen Zweck. Betriebsteile nehmen dagegen eine Teilfunktion von dem arbeitstechnischen Zweck des Hauptbetriebes wahr, arbeitstechnische Abgrenzbarkeit ist nicht erforderlich. Als Beispiel für eine Betriebsabteilung wird die Kartonagen-Abteilung in einer Schokoladenfabrik genannt.4 Auch ein „Betriebsärztlicher Dienst“ kann grundsätzlich als eine Be1 KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 150 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 164; Wilhelm, Die Zusammenhänge zwischen Sonderkündigungsschutz und dem Kündigungsschutzgesetz, NZA Beil. 3/1988, 18, 30 m.w.N.; a.A. z.B. Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 4. 2 Für den Begriff der „Stilllegung“ gilt das oben zur Stilllegung des ganzen Betriebes ausgeführte. 3 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08; v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, NZA 1990, 607; v. 20.1. 1984 – 7 AZR 443/82, NZA 1984, 38. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 179.
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Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder
Rz. 948 Teil 2
triebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchG anzuerkennen sein.1 Von der Stilllegung einer Betriebsabteilung im Rahmen eines Gemeinschaftsbetriebes kann allerdings nur ausgegangen werden, wenn bezogen auf den gesamten gemeinsamen Betrieb die Arbeits- und Produktionsgemeinschaft zwischen Unternehmen und Belegschaft der Betriebsabteilung aufgelöst wird und dies auf einer ernsthaften unternehmerischen Entscheidung beruht. Wenn ein Arbeitsmedizinischer Dienst indes nach wie vor Teil eines wenngleich von zwei Unternehmen unterhaltenen Gemeinschaftsbetriebs ist, scheidet eine ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG aus und die Kündigung bedarf der Zustimmung nach § 103 BetrVG.2 Die Abgrenzung des Betriebsteils von der Betriebsabteilung ist immer dann von entscheidungserheblicher Bedeutung, wenn ein Betrieb aus mehreren Betriebsteilen besteht. Der Begriff der Betriebsabteilung ist in diesem Fall betriebs- und nicht betriebsteilbezogen auszulegen. Befinden sich in mehreren dieser Betriebsteile organisatorisch abgrenzbare Arbeitseinheiten, die jeweils denselben Betriebszweck verfolgen, so bilden diese auf mehrere Betriebsteile verteilten Arbeitseinheiten jeweils gemeinsam eine Betriebsabteilung i.S. von § 15 Abs. 5 KSchG. Eine Betriebsteilbezogenheit des Abteilungsbegriffes hätte zur Folge, dass trotz Identität des arbeitstechnischen Zweckes die in den einzelnen Betriebsteilen vorhandenen Unterabteilungen oder Arbeitsgruppen den Charakter von eigenständigen Betriebsabteilungen bekämen. Durch eine betriebsbezogene Auslegung wird vermieden, dass es zu einer im Widerspruch zu dem gesetzlich geschaffenen besonderen Bestands- und Inhaltsschutz der betreffenden betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger stehenden „Atomisierung“ der kündigungsschutzrechtlich relevanten Betriebsstruktur kommt. Eine betriebsteilbezogene Anknüpfung des Begriffs der Betriebsabteilung würde in mehrgliedrigen Betrieben bei den betroffenen Mandatsträgern zu einer erhöhten Gefährdung des Bestands- und Inhaltsschutzes führen. Die in einem anderen Betriebsteil bestehende organisatorisch abgrenzbare Arbeitseinheit würde trotz identischem Betriebszweck eine andere Betriebsabteilung i.S. des § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG darstellen. In mehrgliedrigen Betrieben käme es somit zu vermehrten Übernahmeproblemen. Die hiermit verbundene erhöhte Bestands- und Inhaltsschutzgefährdung der betreffenden Arbeitsverhältnisse würde sich insbesondere daraus ergeben, dass der Übernahme von betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträgern in Betriebsabteilungen anderer Betriebsteile trotz identischem Betriebszweck betriebliche Gründe i.S. von § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG entgegenstehen könnten.3 Steht fest, dass der Mandatsträger in einer eigenständigen Betriebsabteilung im Sinne von § 15 Abs. 5 KSchG beschäftigt wird, die in Zukunft stillgelegt werden soll, so ist der Arbeitnehmer gem. § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG grundsätzlich in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Wenn allerdings nach Stilllegung einer Betriebsabteilung nur eine begrenzte Zahl von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in einer anderen Abteilung des Betriebs zur Verfügung steht, genießen die aktiven Mandatsträger bei der Besetzung der Stellen Vorrang 1 Vgl. BAG v. 15.2.2006 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759. 2 Vgl. BAG v. 15.2.2006 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759. 3 BAG v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, NZA 1984, 38.
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Teil 2 Rz. 949
Betriebsbedingte Kündigung
vor den im Nachwirkungszeitraum sonderkündigungsgeschützten Ersatzmitgliedern. Dies folgt aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. § 15 KSchG soll die Kontinuität der Betriebsratsarbeit schützen, was auch für die personelle Zusammensetzung gilt. Dem würde es zuwiderlaufen, im Falle des § 15 Abs. 5 KSchG bei einer noch begrenzten Zahl zur Verfügung stehender anderer Arbeitsplätze die Auswahl unter allen nach § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmern ausschließlich nach sozialen Aspekten entsprechend § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmen. Dies könnte im Ergebnis dazu führen, dass die Mehrheit der aktiven Amtsinhaber ausschiede und das Wahlergebnis so praktisch auf den Kopf gestellt würde. Die Privilegierung aktiver Betriebsratsmitglieder gegenüber nur nachwirkend geschützter Ersatzmitglieder rechtfertigt sich auch deshalb, weil der Sonderkündigungsschutz beider Gruppen im Gesetz – wie § 103 BetrVG verdeutlicht – unterschiedlich stark ausgeprägt ist.1 949
Die Übernahmeverpflichtung bezieht sich auf einen möglichst gleichwertigen Arbeitsplatz.2 Die Übernahme ist vorzugsweise einvernehmlich zu regeln oder durch Ausübung des Direktionsrechts. Steht dem Arbeitgeber kein Versetzungsrecht zu und willigt der Arbeitnehmer nicht in eine Vertragsänderung ein, muss der Arbeitgeber als mildestes Mittel eine Änderungskündigung aussprechen.3
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Problematisch ist die Übernahmeverpflichtung, wenn zwar in einer anderen Betriebsabteilung gleichwertige Arbeitsplätze vorhanden wären, diese aber bereits mit anderen Arbeitnehmern besetzt sind.
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Grundsätzlich muss der Arbeitgeber in diesem Fall versuchen, einen dieser Arbeitsplätze durch Umsetzung und notfalls durch Kündigung frei zu machen, um u.a. den mit § 15 KSchG verfolgten Schutzzweck der Kontinuität des Betriebsratsmandates dadurch zu gewährleisten, dass die personelle Zusammensetzung während der Dauer des Mandats möglichst unverändert bleibt.4 Diese Auslegung rechtfertigt sich daraus, dass § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG ausdrücklich eine Übernahmeverpflichtung vorsieht, der nach § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur betriebliche Gründe entgegengesetzt werden können. Solche bestehen nicht, wenn der Arbeitgeber ggf. für den Funktionsträger einen Arbeitsplatz frei kündigen muss; dann ist der Arbeitgeber auch zu einer betriebsbedingten Entlassung des anderen Arbeitnehmers berechtigt, da durch die gesetzlich vorgesehene Übernahme des Amtsträgers der Beschäftigungsbedarf für diesen Arbeitnehmer entfällt. Dagegen wird z.B. in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG die Möglichkeit einer Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz vorausgesetzt, dieser muss also unbesetzt sein. Durch die Möglichkeit des Nachrückens von Ersatzmitgliedern anstelle der gem. § 15 Abs. 5 Satz 2, Abs. 4 KSchG ausschei1 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988. 2 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 184a. 3 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08; v. 28.10.1999 – 2 AZR 437/98; v. 27.1.1994 – 2 AZR 584/93, NZA 1994, 840. 4 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08; v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, AP Nr. 97 zu § 615 BGB; v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 183; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 126; a.A. APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 172; MünchArbR/Berkowsky, § 157 Rz. 68; Schleusener, DB 1998, 2368.
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Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder
Rz. 954 Teil 2
denden Mandatsträger wird im Übrigen die notwendige Kontinuität der Amtsausübung des Betriebsrats nicht ausreichend gewährleistet.1 Nach § 25 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG sind Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder sowie Ersatzmitglieder untereinander nicht ohne weiteres austauschbar. Zu einem Nachrücken kommt es nur unter strengen Voraussetzungen. Ein Nachrücken kann im Fall der Erschöpfung der Vorschlagsliste nach § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG und im Fall der Mehrheitswahl nach § 25 Abs. 2 Satz 3 BetrVG sogar zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat führen und dadurch den Wählerwillen umkehren.2 Im Fall der Kündigung sind die sozialen Belange des von der ggfs. erforderlichen Freikündigung betroffenen Arbeitnehmers und berechtigte betriebliche Interessen an seiner Weiterbeschäftigung gegen die Interessen der Belegschaft an der Kontinuität der Besetzung des Betriebsrats und die Interessen des durch § 15 KSchG geschützten Funktionsträgers an seiner Weiterbeschäftigung abzuwägen. Im Ergebnis ist dann dem Arbeitnehmer zu kündigen, der sozial am stärksten ist. Wie schon aus § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG deutlich wird, besteht kein absoluter Vorrang der von § 15 KSchG geschützten Personen gegenüber „normalen“ Arbeitnehmern.3 Das Interesse des anderen Arbeitnehmers wird in der Regel überwiegen, wenn er einen besonderen Kündigungsschutz genießt, z.B. als Schwerbehinderter oder wenn die Kündigung ausgeschlossen ist, z.B. gem. § 9 MuSchG oder § 15 KSchG.4 Innerhalb von § 15 KSchG sind keine Unterschiede in der Schutzwürdigkeit anzuerkennen. So ist ein Mandatsträger im direkten Vergleich nicht schutzwürdiger, als ein Wahlbewerber, dem noch Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG zusteht.5
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Ist eine Weiterbeschäftigung des Mandatsträgers in einer anderen Betriebsabteilung nicht möglich, so ist eine Kündigung nach § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG unter sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 4 KSchG möglich, also frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung, sofern die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt nicht durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen gelten wegen dieses Verweises dieselben Grundsätze, wie bei § 15 Abs. 4 KSchG.
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" Praxistipp: Will sich der Arbeitgeber in einem Kündigungsprozess auf § 15
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Abs. 5 Satz 2 KSchG berufen, trägt er nach den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast. Er muss also substantiiert vortragen und im Bestreitensfall beweisen, dass der Mandatsträger in einer Betriebsabteilung im Sinne von § 15 Abs. 5 KSchG beschäftigt wurde, dass dieselbe still-
1 So aber Schleusener, DB 1998, 2368. 2 So zu Recht BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321. 3 LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, LAGE KSchG § 15 Nr. 16; offengelassen von BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321; KR/Etzel § 15 KSchG Rz. 126; Fitting § 103 Rz. 21; Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 183; a.A. ArbG Mainz v. 4.12. 1985 – 4 Ca 1747/85, DB 1986, 754; Hassenpflug Die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern wegen Stilllegung eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung, S. 248–251. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 183. 5 LAG Mainz v. 10.9.1996 – 4 Sa 455/96, LAGE § 15 KSchG Nr. 15.
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Teil 2 Rz. 955
Betriebsbedingte Kündigung
gelegt worden ist und dass es ihm unmöglich war, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen.1 3. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses 955
Liegt ein Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB vor, endet das Arbeitsverhältnis des Mandatsträgers nicht, sondern geht – wie die Arbeitsverhältnisse aller anderen Arbeitnehmer – auf den neuen Arbeitgeber über. Da eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorliegt, findet § 15 KSchG auf diese Konstellation keine Anwendung.
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Komplizierter wird der Fall jedoch, wenn ein Betriebsratsmitglied, das in einem bestimmten Betrieb/Betriebsteil beschäftigt ist, der durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übertragen wird, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber widerspricht. Übt der Amtsinhaber sein Widerspruchsrecht aus § 613a Abs. 6 BGB aus, geht sein Arbeitsverhältnis zwar nicht auf den Erwerber über, er verliert jedoch sein Betriebsratsamt, wenn der Betrieb und damit auch der Betriebsrat auf den neuen Inhaber übergeht. Mitglieder des Betriebsrats können nur solche Personen sein, die Arbeitnehmer des Betriebsinhabers sind und dem Betrieb angehören.2
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Will der Betriebsveräußerer ihm kündigen, weil er für ihn keine Einsatzmöglichkeit mehr hat, so gilt wegen des Verlustes des Betriebsratsamts nicht mehr der besondere Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG. Es gilt jedoch der nachwirkende Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG.3 Dennoch besteht Übereinstimmung, dass der Betriebsveräußerer dem Arbeitnehmer sofort und nicht erst nach Ablauf von einem Jahr oder außerordentlich kündigen kann. Im Ergebnis wird § 15 Abs. 4 KSchG auch auf diesen Fall angewandt, auch wenn die dogmatische Herleitung unterschiedlich ist. Teilweise wird davon ausgegangen, dass gegenüber dem widersprechenden Arbeitnehmer eine Betriebsstilllegung vorliegt, so dass § 15 Abs. 4 und Abs. 5 BetrVG unmittelbar anwendbar sind.4 Nach anderer Ansicht soll mit dem widersprechenden Arbeitnehmer eine „Rumpfbetriebsabteilung“ vorliegen, die der Veräußerer stilllegen kann, um so die Voraussetzungen für die Anwendung des § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG zu schaffen. Teilweise wird auch einfach § 15 Abs. 5 KSchG analog angewandt.5
958
Wird nur eine Betriebsabteilung veräußert, gilt daher § 15 Abs. 5 KSchG entsprechend, wenn der in diesem Betriebsteil beschäftigte geschützte Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widerspricht. Auch in diesem Fall entfällt auf Dauer jede Beschäftigungsmöglichkeit für den 1 2 3 4
APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 187. BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 78. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 162; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 167; ähnlich BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115; v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189. 5 Zu den Meinungen siehe die Zusammenstellung bei BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189.
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Kündigung aktiver Betriebsratsmitglieder
Rz. 962 Teil 2
Arbeitnehmer in der betreffenden Betriebsabteilung. Vor Kündigung des Arbeitnehmers ist jedoch analog Abs. 5 Satz 1 KSchG zu prüfen, ob er in eine andere Betriebsabteilung übernommen werden kann. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, ist die Kündigung entsprechend § 15 Abs. 5 Satz 2, Abs. 4 KSchG zulässig.1 4. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung Wenn eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist, insbesondere durch tarifvertragliche Normen, kommt ausnahmsweise eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht, z.B. im Fall der Betriebsstilllegung. In diesem Fall würde der Ausschluss der außerordentlichen Kündigung zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers führen.
959
Dies gilt auch, wenn der tariflich ordentlich unkündbare Arbeitnehmer Mandatsträger ist. Auch hier rechtfertigt eine Betriebsstilllegung eine außerordentliche Kündigung. Es ist dann die Kündigungsfrist einzuhalten, die gälte, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre. Daher spricht man hier von einer außerordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung mit Auslauffrist2 (siehe oben Rz. 170 ff.).
960
Dabei stellt sich grundsätzlich das Problem, dass bei einer außerordentlichen Kündigung eines Mandatsträgers die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich ist. Eine Ausnahme ist jedoch zu machen, wenn die außerordentliche Kündigung an die Stelle einer – wegen Unkündbarkeit unzulässigen – Kündigung nach § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG tritt. Dies begründet sich mit Sinn und Zweck der § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG.
961
Der Arbeitgeber soll nicht gezwungen sein, eine Betriebs- oder Betriebsabteilungsstilllegung mit Rücksicht auf die Mandatsträger zu unterlassen bzw. ein Arbeitsverhältnis mit einem Mandatsträger allein seines Amtes wegen fortsetzen zu müssen, obwohl keine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn mehr besteht. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG lässt in diesen Fällen eine ordentliche Kündigung der Mandatsträger zu, ohne dass es einer Zustimmung des Betriebsrates hierzu bedarf.3 Sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die nach § 15 KSchG geschützten Personen bei einer Betriebsstilllegung oder Stilllegung einer Betriebsabteilung in gleicher Weise gekündigt werden können wie die anderen von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer, so ist eine unterschiedliche Behandlung auch dann nicht geboten, wenn der Mandatsträger aufgrund einer einzel- oder tarifvertraglichen Bestimmung ordentlich unkündbar ist. Die in diesen Fällen mögliche außerordentliche Kündigung tritt lediglich
962
1 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115. 2 BAG v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, NZA 1985, 559; v. 27.9.2001 – 2 AZR 487/00 (= EzA KSchG § 15 n.F. Nr. 54); v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97 (= BAGE 86, 298, 303); v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94 (= BAGE 80, 185). 3 BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Konzern, zu B I 2 a der Gründe; v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, AP Nr. 16 zu § 15 KSchG 1969; v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759.
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Teil 2 Rz. 963
Betriebsbedingte Kündigung
an die Stelle der ordentlichen Kündigung nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG. Die außerordentliche Kündigung ist ebenso wie die ordentliche Kündigung nicht gegen den Mandatsträger als solchen gerichtet, sondern Folge einer generellen Maßnahme. Muss aber der Schutzzweck des § 15 KSchG nach dem Willen des Gesetzgebers in den Fällen der Betriebsstilllegung oder der Stilllegung einer Betriebsabteilung hinter den Interessen des Arbeitgebers zurücktreten, so kann für den identischen Schutzzweck des § 103 Abs. 1 BetrVG in den genannten Fällen nichts anderes gelten. Der Arbeitgeber kann die außerordentliche Kündigung aussprechen, ohne dass er einer vorherigen Zustimmung des Betriebsrates bedarf. Er muss jedoch – da die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist an die Stelle einer hier nicht möglichen ordentlichen Kündigung nach § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG tritt – den Betriebsrat bzw. den Personalrat gem. §§ 102 Abs. 1 BetrVG, 79 BPersVG/landesrechtliche Personalvertretungsgesetze anhören. Die dabei grundsätzlich geltenden Voraussetzungen sind zu beachten.1 963
Von dieser Fallgruppe abzugrenzen ist die Variante, dass aufgrund betrieblicher Gründe, z.B. Rationalisierungen/Umstrukturierungen, eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Betriebsratsmitgliedes notwendig wird. Hier kommt eine außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung in Betracht, da eine – normalerweise auszusprechende – ordentliche Änderungskündigung wegen § 15 Abs. 1–3 KSchG nicht möglich ist. Dafür ist, wie bei jeder außerordentlichen Kündigung eines Mandatsträgers gem. §§ 15 KSchG, 626 BGB ein wichtiger Grund erforderlich. Die unternehmerische Entscheidung, eine ganze Führungsebene (z.B. Substituten im Einzelhandel) unternehmensweit abzuschaffen, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Änderungskündigung mit notwendiger Auslauffrist nach § 15 Abs. 1 KSchG gegenüber einem Betriebsratsmitglied darzustellen.2 Die in § 626 BGB enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung sind auch im Rahmen von § 15 Absatz 1 Satz 1 KSchG anzuwenden.3 Die alsbaldige Änderung der Arbeitsbedingungen, z.B. die Zuweisung der geänderten Tätigkeit, muss für den Arbeitgeber unabweisbar notwendig sein und die neuen Arbeitsbedingungen müssen für den Arbeitnehmer zumutbar4 sein. Nicht erforderlich, d.h., nicht unabweisbar notwendig, ist eine beabsichtigte außerordentliche Änderungskündigung eines als Verkaufsassistent tätigen Betriebsratsmitglieds mit dem Ziel der Herabgruppierung um zwei Gehaltsgruppen, wenn die unternehmerische Entscheidung, die Hierarchiestufe des Verkaufsassistenten abzuschaffen, nur eine Abgruppierung um eine Gehaltsstufe rechtfertigt.5 Eine einzelfallbezogene Interessenabwägung kann sich bei betriebsbedingten Kündigungsgründen, wenn überhaupt, allenfalls in seltenen Ausnahmefällen zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken.6 Im Rahmen der Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Kün1 2 3 4
BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189. BAG v. 17.3.2005 – 2 ABR 2/04, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 59. BAG v. 18.2.1993 – 2 AZR 526/92, AP Nr. 35 zu § 15 KSchG 1969. Zum Zumutbarkeitskriterium des BAG bei der betriebsbedingten Änderungskündigung siehe bereits oben B III.3. 5 BAG v. 17.3.2005 – 2 ABR 2/04, NZA 2005, 949. 6 So ausdrücklich v. 20.1.2005 – 2 AZR 500/03, AP 00 Nr. 8 zu § 18 BErzGG.
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Betriebsbedingte Kündigung nach Ende des Mandats
Rz. 967 Teil 2
digenden noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten ist, ist nicht auf den hypothetischen Ablauf der Frist zu denken, die ohne den besonderen Kündigungsschutz bei einer ordentlichen Kündigung gelten würde.1 Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber bis zum Ende des Sonderkündigungsschutzes zumutbar ist.2
" Praxistipp: Da es sich bei der außerordentlichen Änderungskündigung um
eine „normale“ fristlose Kündigung gem. § 15 Abs. 1–3 KSchG handelt, ist gem. § 103 BetrVG bzw. § 47 Abs. 1 BPersVG die Zustimmung des Betriebsrats/Personalrats oder eine rechtskräftige Ersetzung der Zustimmung durch gerichtliche Entscheidung erforderlich.
964
II. Betriebsbedingte Kündigung nach Ende des Mandats 1. Befristeter Ausschluss der ordentlichen Kündigung Nach Beendigung der Amtszeit ist eine Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats – ebenso wie die Kündigung eines Mitglieds einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats – innerhalb eines Jahres vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sein denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Dasselbe gilt gem. § 15 Abs. 2 Satz 2 KSchG für die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung. Etwas anderes gilt nur für Mitglieder einer Bordvertretung. Gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 a.E. KSchG verkürzt sich hier der Nachwirkungszeitraum auf sechs Monate.
965
Durch diese gesetzlich festgelegte Nachwirkung des Kündigungsschutzes wird es dem ehemaligen Betriebsratsmitglied ermöglicht, sich ohne Sorge um den Arbeitsplatz wieder beruflich einzuarbeiten. Zudem soll der nachwirkende Kündigungsschutz der Abkühlung eventuell während der betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit aufgetretener Kontroversen mit dem Arbeitgeber dienen.3
966
Nach Ablauf der Mandatszeit endet also der volle Kündigungsschutz. Es gilt stattdessen ein eingeschränkter besonderer Kündigungsschutz. Eine ordentliche Kündigung ist zwar auch hier – wie zuvor – in dem Nachwirkungszeitraum von einem Jahr/sechs Monaten ausgeschlossen, für eine außerordentliche Kündigung ist dagegen nicht mehr die Zustimmung des Betriebsrats oder des Personalrats erforderlich. Der Betriebsrat/Personalrat muss allerdings gem. §§ 102
967
1 So noch BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969. 2 BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157; siehe für eine fristlose außerordentliche Beendigungskündigung eines Mandatsträgers BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 487/00, EzA § 15 n.F. KSchG Nr. 54. 3 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1032.
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Teil 2 Rz. 968
Betriebsbedingte Kündigung
Abs. 1 BetrVG, 79 Abs. 3 BPersVG – wie bei jeder außerordentlichen Kündigung – angehört werden. 968
Der nachwirkende Kündigungsschutz beginnt für die in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG genannten Mandatsträger mit der Beendigung ihrer Amtszeit, § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 KSchG. Mit dem Begriff „Amtszeit“ ist hier nicht nur das reguläre Ende der Amtszeit gem. § 21 Satz 1 BetrVG von vier Jahren gemeint. Entscheidend ist vielmehr die persönliche Zugehörigkeit zum Organ.1 Diese kann mit dem regulären Ende der Amtszeit des Betriebsrats zusammenfallen. Sie kann jedoch auch schon vorher eintreten, z.B. wenn der Betriebsrat vorher als ganzer aufgelöst wird oder das einzelne Mitglied frühzeitig aus dem Betriebsrat ausscheidet. Es gelten die Regeln der §§ 21–24 BetrVG.
969
Im Normalfall wird daher der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 KSchG nach dem regelmäßigen Ende der Amtszeit nach vier Jahren enden. Da sich diese Frist nach § 187 Abs. 1 BGB berechnet, zählt der Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses nicht mit. Wurde z.B. das Wahlergebnis am 1.4.2010 bekannt gegeben, so endet die regelmäßige Amtszeit mit Ablauf des 1.4.2014, § 188 Abs. 2 BGB.2 Besteht zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses noch ein Betriebsrat, so beginnt die Amtszeit des neuen Betriebsrats mit Ablauf der Amtszeit des bisher gewählten Betriebsrats, § 21 Satz 2 BetrVG. Führt der Betriebsrat gem. § 22 BetrVG in den Fällen des § 13 Abs. 2 Nr. 1–3 BetrVG die Geschäfte weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist, so bleibt bis zu diesem Zeitpunkt für die Betriebsratsmitglieder der volle Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG erhalten.3
970
Die „Amtszeit“ eines Betriebsratsmitgliedes kann aber auch – unabhängig von den anderen Betriebsratsmitgliedern – durch Erlöschen seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat enden. Dies bestimmt sich insoweit nach § 24 BetrVG. Die Nachwirkung beginnt in diesen Fällen jeweils mit dem vorzeitigen Ausscheiden des Mitglieds aus seinem Amt. Die Dauer des Nachwirkungszeitraums entspricht auch hier dem normalen, gesetzlich festgelegten Zeitraum von einem Jahr. Die Ansicht, nach der sich bei einer Amtszeit des betreffenden Betriebsratsmitgliedes von weniger als einem Jahr der Nachwirkungszeitraum entsprechend dem Gedanken der für Mitglieder der Bordvertretung geltenden Regelung auf sechs Monate verkürzt4, ist abzulehnen. Unter Berücksichtigung des Zwecks des Nachwirkungszeitraums lässt sich eine entsprechende Anwendung der Regeln aus der Schifffahrt nicht rechtfertigen. Auch ein nur kurzzeitig tätig werdendes Betriebsratsmitglied kann in Konfrontationen mit dem Arbeitgeber geraten, so dass eine „Abkühlungsphase“ von einem Jahr auch hier seine Berechtigung findet. Außerdem hat der Gesetzgeber mit der Regelung über die Bordvertretung keinen auf alle kürzeren Betriebsratsmandate anwendbaren allgemeinen Grundsatz geschaffen. So ist z.B. die Nachwirkungsphase bei Jugend1 2 3 4
BAG v. 22.9.1983 – 6 AZR 323/81, NZA 1984, 45. Vgl. APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 84. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 45. So z.B. Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 18; Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, 9. Auflage 2002, § 103 Rz. 26.
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Betriebsbedingte Kündigung nach Ende des Mandats
Rz. 972 Teil 2
und Auszubildendenvertretern ebenfalls ein Jahr, obwohl deren reguläre Amtszeit nicht vier, sondern zwei Jahre beträgt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).1
" Praxistipp: Der nachwirkende eingeschränkte Kündigungsschutz tritt nicht
ein, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 KSchG). Dies gilt in erster Linie für den Fall, dass ein Mandatsträger durch eine Entscheidung des Gerichts wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aus dem Vertretungsorgan ausgeschlossen worden ist, also den Fall der §§ 23 Abs. 1 BetrVG, 28 Abs. 1 BPersVG.2 Von dieser Ausnahmeregelung werden jedoch nicht nur der Fall des Ausschlusses aufgrund Pflichtverletzung, sondern alle Fälle, in denen die Mitgliedschaft eines Arbeitnehmervertreters in einem Vertretungsorgan gem. §§ 24 BetrVG, 29 Abs. 1 BPersVG auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung erlischt, erfasst.3
971
2. Kündigung nach Schutzfrist aus zuvor entstandenen Gründen Innerhalb von einem Jahr seit Beendigung der Amtszeit an kann einem ehemaligen Mandatsträger nur außerordentlich gekündigt werden. Eine ordentliche Kündigung ist grundsätzlich – als Ausnahmen § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG – unzulässig. Ist der Nachwirkungszeitraum beendet, gelten für eine danach ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers wieder die allgemeinen Grundsätze der §§ 1 ff. KSchG. Der Arbeitgeber kann dem ehemaligen Mandatsträger wieder wie jedem anderen Arbeitnehmer kündigen. Er ist insbesondere nicht gehindert, die Kündigung auf Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu stützen, die dieser während der Schutzfrist begangen hat und die erkennbar nicht im Zusammenhang mit der Mandatsausübung stehen.4 Eine solche Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit ergibt sich nicht aus dem Wortlaut von § 15 KSchG oder aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Durch den Nachwirkungszeitraum soll dem Arbeitnehmer in dieser Zeitspanne keine Narrenfreiheit eingeräumt werden. Es soll ihm auch nicht generell die Furcht vor einer ordentlichen Kündigung innerhalb des ersten Jahres genommen werden. Eine Ausweitung des Kündigungsschutzes auf Kündigungsgründe aus dem Nachwirkungszeitraum, die in keinem Zusammenhang mit dem Mandat stehen, ist deshalb nicht gerechtfertigt.5 Im Gegensatz zur außerordentlichen Kündigung (§ 626 Abs. 2 BGB) ist der Arbeitgeber bei der ordentlichen Kündigung im Übrigen nicht verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist nach Kenntnis der kündigungsrelevanten Umstände zu kündigen, so dass er grundsätzlich auch weiter zurückliegende Ereignisse zum Anlass für eine ordentliche Kündigung nehmen kann. 1 Ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 53; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 64a; APS/ Linck, § 15 Rz. 140; offen gelassen in BAG v. 5.7.1979 – 2 AZR 521/77, DM 1979, 2327. 2 BT-Drucks. VI/1786, S. 59, 60. 3 ErfK/Kiel, § 15 KSchG Rz. 39; a.A. z.B. Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 20. 4 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1032 zu der Schutzfrist von Wahlbewerbern mit insoweit auch für Mandatsträger geltenden Argumenten; a.A. die Vorinstanz LAG Stuttgart v. 28.4.1995 – 6 Sa 153/94, n.v. 5 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1932; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 72.
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Teil 2 Rz. 973 973
Betriebsbedingte Kündigung
Nimmt der Arbeitgeber nach Ablauf der Nachwirkungszeit aus der Schutzzeit stammende, u.U. schon länger zurückliegende Sachverhalte zu Anlass für eine ordentliche Kündigung, ist aber der Gesichtspunkt der Verwirkung zu beachten. Eine Verwirkung von Kündigungsgründen liegt vor, wenn der Kündigende längere Zeit untätig geblieben ist, d.h. trotz Vorliegens eines Kündigungsgrundes die Kündigung nicht ausgesprochen hat, obwohl ihm dies möglich und zumutbar war, und wenn dadurch beim Kündigungsempfänger das berechtigte Vertrauen entstanden ist, die Kündigung werde unterbleiben.1 Der bloße Zeitablauf reicht daher zur Verwirkung nicht aus. Entscheidend ist vielmehr das zum Zeitmoment hinzukommende Vertrauensmoment.2 3. Kündigung bei Stilllegung von Betrieb oder Betriebsabteilung/außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen
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Fällt eine Betriebsstilllegung oder die Stilllegung einer Betriebsabteilung in den Nachwirkungszeitraum eines früheren Arbeitnehmervertreters, so ist an sich auch in diesem Fall die ordentliche betriebsbedingte Kündigung während dieses Zeitraums gem. § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 KSchG ausgeschlossen. Es gelten dann § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG, die sich auf die in den vorhergehenden Absätzen geschützten Personen beziehen, wozu ehemalige Arbeitnehmervertreter während des Nachwirkungszeitraums auch zählen. Eine ordentliche Kündigung ist also ausnahmsweise möglich, aber frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung, es sei denn, dass die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (siehe zu den Einzelheiten oben Rz. 762 ff.). Diese Einschränkung gilt aber nur während des Laufs des Nachwirkungszeitraums. Endet dieser vor der Stilllegung des Betriebes/Stilllegung der Betriebsabteilung kann der betroffene Arbeitnehmer mangels besonderen Kündigungsschutzes auch schon früher zum nächstmöglichen Kündigungstermin entlassen werden.
975
" Praxistipp: Wahrend des Nachwirkungszeitraums ist eine außerordentliche Kündigung des früheren Arbeitnehmervertreters auch ohne Zustimmung des Betriebsrats/Personalrats möglich. Es gelten dabei hinsichtlich des wichtigen Grundes gem. § 626 BGB und der Betriebsrats-/Personalratsanhörung die allgemeinen Grundsätze. Ist der ehemalige Mandatsträger ordentlich nicht kündbar – so dass eine ordentliche Kündigung gem. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG ausscheidet – und soll während des Nachwirkungszeitraums der Betrieb stillgelegt werden, kann daher dem betroffenen Mandatsträger – wie auch anderen ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmern – außerordentlich aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden. Es ist dabei aber die Kündigungsfrist einzuhalten, die gelten würde, wenn dem Arbeitnehmer ordentlich gekündigt werden könnte (siehe zu den Einzelheiten oben Rz. 170 ff.). Die
1 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1932. 2 Siehe allgemein zur Verwirkung von Kündigungsgründen, KR/Etzel, § 1 KSchG Rz. 250.
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Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände
Rz. 979 Teil 2
Problematik der Nichtgeltung des Zustimmungserfordernisses gem. § 103 BetrVG stellt sich hier nicht.
III. Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände 1. Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes Ersatzmitglieder des Betriebsrats, des Personalrats oder eines anderen unter den Schutzbereich des § 15 KSchG fallenden Organs sind vom Wortlaut des § 15 nicht gesondert erfasst. Sie genießen nur den Kündigungsschutz als Wahlbewerber. Solange sie dem Betriebsrat nicht angehören, üben sie kein Amt aus und kommen deshalb auch nicht in den allein für Amtsinhaber/ehemalige Mandatsträger geltenden besonderen Kündigungsschutz.1 Steht nach Stilllegung einer Betriebsabteilung nur eine begrenzte Zahl von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in einer anderen Abteilung des Betriebs zur Verfügung, genießen nach dem Sinn und Zweck des § 15 KSchG jedenfalls die aktiven Mandatsträger bei der Besetzung der Stellen Vorrang vor den im Nachwirkungszeitraum sonderkündigungsgeschützten Ersatzmitgliedern.2
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Dies ändert sich jedoch, wenn ein Ersatzmitglied wegen Ausscheidens eines Mitglieds aus dem Betriebsrat nachrückt oder ein zeitweilig verhindertes Mitglied vertritt (§ 25 Abs. 1 BetrVG).
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Rückt das Ersatzmitglied an die Stelle eines ausscheidenden Mitglieds, erhält es ab dem Zeitpunkt des Nachrückens für die restliche Amtszeit die volle Rechtsstellung eines ordentlichen Betriebsratsmitgliedes. Von diesem Zeitpunkt an steht ihm auch der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 KSchG zu.3
978
Differenzierter ist der Fall, wenn es sich um die zeitweilige Vertretung eines verhinderten Betriebsratsmitgliedes handelt. Während der gesamten Zeit der Vertretung stehen dem „Ersatzmitglied“ die Stellung und die Schutzrechte eines Organsmitglieds und damit auch der Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KSchG zu. Auf die Dauer der Vertretung kommt es dabei nicht an.4 Der besondere Kündigungsschutz beginnt schon mit dem Eintritt des Vertretungsfalles, also mit Beginn des ersten Arbeitstages, für den das ordentliche Mitglied verhindert ist und die Vertretungssituation entsteht.5 Fällt in den bereits vorher bekannten Vertretungszeitraum eine Betriebsratssitzung, so beginnt die Amtszeit des Ersatzmitgliedes und damit der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes drei Tage vor der Sitzung, sofern das Ersatzmitglied zur Sitzung geladen wurde. Das BAG geht regelmäßig von einer Vorbereitungs-
979
1 2 3 4
Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 29. BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, DB 2006, 2299. LAG Kiel v. 7.4.1994 – 4 Sa 18/94, LAGE § 15 KSchG Nr. 8. Ständige Rechtsprechung des BAG, z.B. BAG v. 5.9.1986 – 7 AZR 175/85, DM 1987, 1319. 5 LAG Schleswig-Holstein v. 7.4.1994 – 4 Sa 18/94, LAGE § 15 KSchG Nr. 8; LAG Brandenburg v. 25.10.1993 – 5 (3) Sa 425/93, AuA 1994, 361.
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Teil 2 Rz. 980
Betriebsbedingte Kündigung
zeit von drei Tagen für eine Betriebsratssitzung aus. Diese Vorbereitungszeit rechnet es bereits zu der Betriebsratstätigkeit des Ersatzmitgliedes, auch wenn im Zeitpunkt der Vorbereitung der Vertretungsfall noch nicht eingetreten ist.1 Der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG endet mit dem Ende des Vertretungsfalles, d.h. wenn feststeht, dass das verhinderte Betriebsratsmitglied seine Amtsgeschäfte wieder ausüben kann.2 Ab diesem Zeitpunkt genießt das Ersatzmitglied den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 KSchG. Dabei kommt es nicht auf den Umfang und die Bedeutung der ausgeübten Tätigkeit an.3 Damit kann zwar u.U. eine Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers verbunden sein4, die jedoch noch nicht so weit geht, dass eine entsprechende Auslegung des § 15 KSchG verfassungswidrig wäre. Außerdem kann ein Ersatzmitglied auch bei einer u.U. kurzen Vertretung mit dem Arbeitgeber in einen Konflikt gekommen sein, so dass eine durch den Nachwirkungszeitraum gesicherte „Abkühlungsphase“ angebracht sein kann.5 980
Für Wahlbewerber und Wahlvorstände ist in § 15 Abs. 3 KSchG ein besonderer Kündigungsschutz vorgesehen. Danach ist die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstandes vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlages an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstandes, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.
981
Nicht im Gesetz vorgesehen, ist dagegen ein besonderer Kündigungsschutz für die Bewerber für die Wahl zum Wahlvorstand. Sie werden gegen Beeinträchtigungen alleine im Rahmen des allgemeinen Wahlschutzes nach §§ 20 BetrVG, 24 BPersVG geschützt. Eine dagegen verstoßende Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig.6
982
Der Schutz des Wahlbewerbers beginnt also mit der Aufstellung des Wahlvorschlages. Wie dieser Begriff auszulegen ist, ist im Gesetz nicht eindeutig defi1 BAG v. 17.1.1979 – 5 AZR 891/77, DM 1979, 1136; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 111; Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 33. 2 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 112. 3 BAG v. 6.9.1979 – 2 AZR 548/77, DM 1980, 451; Matthes, DB 1980, 1165, 1171; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 55; Uhmann, NZA 2000, 576, 580; a.A. Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 34, der dies nur dem ersten Ersatzmitglied auf einer Liste zugesteht. 4 Kritisch insofern Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 34, der bei einem Betrieb von 60 Arbeitnehmern und drei Listen einen Kündigungsschutz für ein Viertel der Belegschaft errechnet. 5 So z.B. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 55. 6 MünchArBR/Berkowsky, 2. Auflage, § 157 Rz. 12 m.w.N.
554
Mues
Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände
Rz. 984 Teil 2
niert. Das BetrVG/die Wahlordnung und auch das BPersVG verwenden diesen Begriff nicht. Es muss deshalb bei der Auslegung auf Sinn und Zweck abgestellt werden. Durch § 15 Abs. 3 KSchG soll die Durchführung der Wahl davor gesichert werden, dass der Arbeitgeber die Wahl durch die Entlassung von Wahlbewerbern gegenstandslos macht und Arbeitnehmern soll die Furcht vor der Entlassung bei einer Wahlbewerbung genommen werden. Ist das Wahlverfahren eingeleitet und steht auf Grund eines nicht offensichtlich ungültigen Wahlvorschlags die Bewerbung eines Arbeitnehmers fest, muss der Arbeitgeber ab diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass dieser Arbeitnehmer möglicherweise in den Betriebsrat gewählt wird. Damit entsteht auch ab diesem Moment das besondere Schutzbedürfnis des Bewerbers.1 Die besondere Schutzbedürftigkeit des sich zur Wahl stellenden Arbeitnehmers ist allerdings nur gerechtfertigt, wenn der Wahlvorschlag entsprechend den Vorschriften des § 14 BetrVG und der §§ 6 ff. WahlO ordnungsgemäß erstellt worden ist. Ist der Vorschlag für die Wahl unheilbar nichtig, kann er nicht Grundlage der Wahl sein und der Arbeitgeber muss nicht befürchten, dass die in der entsprechenden Vorschlagsliste aufgeführten Arbeitnehmer wirksam in den Betriebsrat gewählt werden können. Ein besonderer Kündigungsschutz dieser „Bewerber“ nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG wäre aus diesem Grund nicht gerechtfertigt. Ein „Wahlvorschlag“ im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG liegt daher nur vor, wenn er die Formvorschriften beachtet hat, deren Nichtbeachtung zur unheilbaren Nichtigkeit des Wahlvorschlages führen (§ 8 Abs. 1 WahlO).2 Eine unheilbare Nichtigkeit einer Vorschlagsliste zu einer Betriebsratswahl ist z.B. gegeben, wenn die Liste nicht mehr fristgerecht eingereicht werden kann, weil die im Wahlausschreiben genannte Frist bereits abgelaufen war, als die erforderliche Zahl von Stützunterschriften angebracht wurde oder wenn in einer Vorschlagsliste die Bewerber nicht in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sind (§ 6 Abs. 4 WahlO). Anders ist dies, wenn der Wahlvorschlag behebbare Mängel aufweist (§ 8 Abs. 2 WahlO). Solange die Mängel noch behoben werden können, muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass dieser Vorschlag Grundlage einer Betriebsratswahl werden kann, so dass es gerechtfertigt ist, den auf der Liste genannten Bewerbern den besonderen Kündigungsschutz für Wahlbewerber zuzugestehen. Erst wenn die Mängel unbehebbar geworden sind, liegt kein rechtserheblicher Wahlvorschlag mehr vor.3
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Eine „Aufstellung des Wahlvorschlages“ ist daher – die Einleitung des Wahlverfahrens durch Bestellung eines Wahlvorstandes und die Wählbarkeit des Bewerbers vorausgesetzt – jedenfalls dann gegeben, wenn der Wahlvorschlag beim Wahlvorstand eingereicht worden ist. Da der Kündigungsschutz aber wegen des Sinn und Zwecks des § 15 Abs. 1 KSchG möglichst früh angesetzt werden sollte, ist ein Wahlvorschlag im Sinne von § 15 KSchG auch schon aufgestellt,
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1 KR/Etzel, § 103 BetrVG Rz. 23; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 73. 2 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 79; KR/Etzel, § 103 BetrVG Rz. 23. 3 KR/Etzel, § 103 BetrVG Rz. 24; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 79; Löwisch/Spinner, § 15 KSchG Rz. 37; a.A. für den Fall des Ungültigwerdens der Vorschlagliste durch spätere Streichung von Stützunterschriften BAG v. 5.12.1980 – 7 AZR 781/78, DB 1981, 1142; v. 9.10.1986 – 2 AZR 650/85, NZA 1987, 279.
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Teil 2 Rz. 985
Betriebsbedingte Kündigung
wenn ein schriftlicher Wahlvorschlag vorliegt, der die erforderliche Zahl von Unterschriften aufweist, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die letzte erforderliche Unterschrift geleistete wird, die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen (§ 6 Abs. 1, 2 WahlO) begonnen hat, aber noch nicht abgelaufen ist und wenn auf dem Wahlvorschlag die Bewerber in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sind. Eine Einreichung beim Wahlvorstand ist nicht unbedingt erforderlich.1 Zwar ist der Gegenansicht insoweit zuzustimmen, dass diese Vorverlagerung des Kündigungsschutzes im Zweifel schwer festzustellen ist2, allerdings ist im Sinne der Effektivität dennoch auf ihn abzustellen. Dafür spricht auch der Wortlaut von § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, wo allein auf die „Aufstellung des Wahlvorschlages“ und nicht auf die Einreichung beim Wahlvorstand abgestellt wird. 985
Vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlages an genießen Wahlbewerber den besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, d.h. sie können ordentlich – außer in den Fällen des § 15 Abs. 4, 5 KSchG – nicht ordentlich gekündigt werden. Eine außerordentliche Kündigung ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats bzw. des Personalrats möglich.
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Der besondere Kündigungsschutz für Wahlbewerber endet gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Dies geschieht gem. § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 19 WahlO durch Aushang der Namen der Gewählten. Im Bereich des BPersVG gelten §§ 23 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 23 WahlO zum BPersVG. Für die Beendigung des besonderen Kündigungsschutzes ist nicht erforderlich, dass die Bekanntmachung objektiv ordnungsgemäß entsprechend den Bestimmungen der einschlägigen Wahlvorstände erfolgt ist. Wenn der Wahlvorstand zu erkennen gegeben hat, dass die Bekanntmachung des Wahlergebnisses aus seiner Sicht abgeschlossen ist, endet der Kündigungsschutz für seine Mitglieder nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Ansonsten hätte der Wahlvorstand es in der Hand, durch eine nicht ordnungsgemäße Bekanntmachung den Kündigungsschutz der Wahlbewerber – und auch seiner eigenen Mitglieder3 – zu verlängern.4 Als „Bekanntgabe“ i.S.v. § 15 KSchG gilt der erste Tag des Aushangs des Wahlergebnisses und nicht erst der Tag nach Ablauf der zweiwöchigen Aushangsfrist.5
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Ein Wahlbewerber kann den besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorzeitig verlieren, wenn er z.B. die Mängel des Wahlvorschlags nicht fristgerecht beseitigt. Gleiches gilt, wenn er seine Bewerbung zurückzieht. Die Zulässigkeit einer Rücknahme der Kandidatur ist zwar umstritten, muss aber möglich sein.6 Wenn ein Bewerber nicht die Möglichkeit hätte, seine Kandidatur zurückzuziehen, sondern nur die Wahl ablehnen könnte (§§ 18 1 BAG v. 5.12.1980 – 7 AZR 781/78, DB 1981, 1142; Löwisch/Spinner, 15 Rz. 37; KR/Etzel, § 103 BetrVG Rz. 23. 2 So z.B. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 15 Rz. 22. 3 Zum Kündigungsschutz für Wahlvorstandsmitglieder siehe noch unten. 4 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 100. 5 KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 67. 6 KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 71; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 106; v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 15 Rz. 48; Richardi/Thüsing, BetrVG, 10. Auflage 2006, § 103 Rz. 6.
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Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände
Rz. 991 Teil 2
Abs. 2 WahlO/22 WahlO zum BPersVG) könnte dies u.U. sogar zu Verfälschungen des Wahlergebnisses führen, indem er Stimmen bekommt, die ansonsten auf einen anderen Bewerber entfallen wären.1 Gem. § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG genießen die Wahlbewerber, die nicht gewählt worden sind oder ihre Wahl nicht angenommen haben, im Anschluss an die Bekanntgabe für sechs weitere Monate nachwirkenden Kündigungsschutz gegen ordentliche Kündigungen. Der nachwirkende Kündigungsschutz gilt weiterhin für die Bewerber, die ihren besonderen Kündigungsschutz wegen Rücknahme der Kandidatur vorzeitig verloren haben.2 Inhaltlich unterscheidet sich der nachwirkende Kündigungsschutz nicht von dem nachwirkenden Kündigungsschutz für ehemalige Mandatsträger. Nach Beendigung des nachwirkenden Kündigungsschutzes kann der Arbeitgeber dem erfolglosen Wahlbewerber wieder wie jedem anderen Arbeitnehmer kündigen. Er ist insbesondere nicht gehindert, die Kündigung auf Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu stützen, die dieser während der Schutzfrist begangen hat und die erkennbar nicht im Zusammenhang mit der Wahlbewerbung stehen.3
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Für Mitglieder des Wahlvorstandes beginnt der besondere Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Zeitpunkt der Bestellung. Die Bestellung erfolgt gem. §§ 16, 17, 17a BetrVG durch den bisherigen Betriebsrat, in betriebsratslosen Betrieben durch den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat, die Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG oder durch das Arbeitsgericht (§ 17 Abs. 4 BetrVG).
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" Praxistipp: War die Bestellung zum Wahlvorstand fehlerhaft, greift der Kün-
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Der besondere Kündigungsschutz endet für Mitglieder des Wahlvorstandes in gleicher Weise wie für Wahlbewerber, mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Auch hier kann es jedoch zu einer vorzeitigen Beendigung des Amtes als Wahlvorstandsmitglied und damit zum Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes kommen. Ein Beispiel dafür ist die Abberufung durch gerichtliche Entscheidung gem. § 18 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bzw. im Verfahren nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BPersVG. Das Amt des alten Wahlvorstandes endet in diesem Fall mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung. So lange genießen die Wahlvorstandsmitglieder noch den Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Ein nachwirkender Kündigungsschutz tritt danach gem. § 15 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2
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digungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG nicht ein, wenn der Verfahrensfehler so schwerwiegend war, dass er das Bestellungsverfahren nichtig macht. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Einladung zu der Betriebsversammlung nicht so bekannt gemacht worden ist, dass alle Arbeitnehmer des Betriebes hiervon Kenntnis nehmen konnten, diese auch nicht auf andere Weise tatsächlich hiervon erfahren haben und durch das Fernbleiben der nicht unterrichteten Arbeitnehmer das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.4
1 2 3 4
So zu Recht APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 106. BAG v. 9.10.1986 – 2 AZR 650/85, NZA 1987, 279. BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1032. BAG v. 7.5.1986 – 2 AZR 349/85, NZA 1986, 753; v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88, NZA 1989, 799.
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Teil 2 Rz. 992
Betriebsbedingte Kündigung
KSchG nicht mehr ein. Die ausdrückliche gesetzliche Regelung stellt klar, dass ein nachwirkender Kündigungsschutz für ehemalige Mitglieder eines Wahlvorstandes dann nicht mehr besteht, wenn das Amt, auf Grund dessen dieser Kündigungsschutz besteht, durch gerichtliche Entscheidung beendet worden ist.1 992
Gem. § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG genießen auch die Mitglieder des Wahlvorstandes nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses für weitere sechs Monate nachwirkenden Kündigungsschutz, wobei sich inhaltlich zum nachwirkenden Kündigungsschutz der Wahlbewerber oder früherer Mandatsträger kein Unterschied ergibt. 2. Einwand des Rechtsmissbrauchs?
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Eine Kündigung kann unwirksam sein, weil ihr der Einwand des Rechtsmissbrauchs, Verstoß gegen Treu und Glauben, 242 BGB, entgegensteht. Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet allen Rechten und Rechtslagen immanente Inhaltsbegrenzungen. Dies gilt allerdings nur, soweit diese Fallgruppe nicht schon in anderen Rechtsnormen, z.B. § 1 KSchG, abschließend geregelt ist.2 Ein Fall des Rechtsmissbrauchs kann z.B. vorliegen, wenn die Kündigung kurz vor Eintritt der Wartefrist des § 1 KSchG erfolgt. Da innerhalb der Wartefrist Kündigungsfreiheit besteht, gilt dies allerdings nur, wenn die Kündigung alleine erklärt wird, um dem Arbeitnehmer den Kündigungsschutz zu nehmen.3
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Auch im Rahmen der Kündigung von Mandatsträgern, Wahlbewerbern und Wahlvorstandsmitgliedern kann u.U. der Einwand des Rechtsmissbrauchs relevant werden.
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Eine Arbeitgeberkündigung kann z.B. unwirksam sein, wenn sie nur ausgesprochen wird, um einen demnächst zu erwartenden Kündigungsschutz des Arbeitnehmers als Wahlbewerber zu vereiteln. Dieser Unwirksamkeitsgrund liegt allerdings nicht vor, wenn der Arbeitgeber zu einer Zeit, als ihm die mögliche Wahlkandidatur des Arbeitnehmers unbekannt war, dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG seine auf andere Gründe gestützte Kündigungsabsicht mitgeteilt und dann aus diesen Gründen gekündigt hat.4
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Auch im Zusammenhang mit dem besonderen Kündigungsschutz von Ersatzmitgliedern kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs relevant werden, insbesondere wenn Ersatzmitglieder als Stellvertreter für ein zeitweilig verhindertes Mitglied tätig werden.
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Grundsätzlich sind Ersatzmitglieder während der Dauer des Vertretungsfalles vollwertige Mitglieder des Betriebs-/Personalrats und haben die gleichen Rechte und Pflichten wie ein ordentliches Mitglied. Da sie das ordentliche Mitglied nicht nur in einzelnen Amtsgeschäften vertreten, kann der besondere Kündigungsschutz des Betriebsratsmitglieds nach § 15 Abs. 2 Satz 1 KSchG für das Er1 APS/Linck, § 15 Rz. 102 ff. mit weiteren Fällen der vorzeitigen Beendigung des Amtes als Wahlvorstandsmitglied. 2 APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 58. 3 BAG v. 28.9.1978 – 2 AZR 2/77, NJW 1979, 2421. 4 BAG v. 4.4.1977 – 2 AZR 452/73, DM 1974, 1067.
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Ersatzmitglieder des Betriebsrats, Wahlbewerber und Wahlvorstände
Rz. 1000 Teil 2
satzmitglied nicht auf die Tage beschränkt werden, an denen es tatsächlich Personalratsaufgaben wahrnimmt. Das Ersatzmitglied genießt den besonderen Kündigungsschutz während der gesamten Vertretungszeit. Auf deren Dauer kann es grundsätzlich nicht ankommen. Auch wenn das ordentliche Mitglied nur an einem Arbeitstag verhindert ist, muss die Arbeit eines vollzähligen Betriebs-/Personalrats gesichert sein.1 Eine Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG durch das Ersatzmitglied ist jedoch rechtsmissbräuchlich, wenn der Vertretungsfall durch kollusive Absprachen zum Schein herbeigeführt worden ist oder das Ersatzmitglied weiß bzw. sich ihm aufdrängen musste, dass kein Vertretungsfall vorlag.2 Wenn das ordentliche Betriebsratsmitglied/Personalratsmitglied tatsächlich in der Lage ist, sein Amt auszuüben, sich jedoch aus persönlichen Beweggründen dessen enthält, liegt kein Vertretungsfall vor. Das Betriebsratsmitglied/Personalratsmitglied hat es nicht in der Hand, willkürlich einen Vertretungsfall herbeizuführen und sich durch ein Ersatzmitglied vertreten zu lassen; es kann sich nicht für verhindert erklären, ohne dass eine Verhinderung objektiv vorliegt. Vielmehr hat der Betriebsratsvorsitzende/Personalratsvorsitzende, dem das verhinderte Mitglied die Gründe seiner Verhinderung unverzüglich mitteilen muss, jeweils zu prüfen, ob eine Verhinderung gegeben ist; er darf nicht ohne genaue Prüfung und in eigener willkürlicher Auslegung des gesetzlichen Verhinderungsbegriffs einfach von einer Verhinderung ausgehen.3
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Der Einwand eines derartigen rechtsmissbräuchlichen Zusammenspiels zwischen einem ordentlichen Betriebsratsmitglied/Personalratsmitglied und einem Ersatzmitglied, dass in einem Kündigungsschutzprozess vom Arbeitgeber im Einzelnen dargelegt und bewiesen werden muss, wird in der Praxis jedoch nur selten durchgreifen.
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Insbesondere in dem – häufigen – Fall der Krankmeldung des ordentlichen Mitglieds müssen der Betriebsratsvorsitzende/Personalratsvorsitzende und die übrigen Beteiligten, also auch das nachrückende Ersatzmitglied, mangels gegenteiliger eindeutiger und sicherer Anhaltspunkte davon ausgehen, dass das Betriebsratsmitglied/Personalratsmitglied tatsächlich arbeitsunfähig krank und dadurch an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. Es besteht für die Beteiligten regelmäßig keine Möglichkeit, die Richtigkeit der Krankmeldung sofort nachzuprüfen. Dem Vorsitzenden bleibt vielmehr nichts anderes übrig, als das Ersatzmitglied heranzuziehen. Auch für den Arbeitgeber ergeben sich meist keine weiteren Möglichkeiten, um ein Zusammenwirken zu erkennen und ggf. zu beweisen. Daher bestehen die Gründe für den vom Gesetzgeber vorgesehenen Sonderkündigungsschutz auch dann, wenn zwar ein objektiver Fall einer Verhinderung im Sinne des § 25 Abs. 1 BetrVG nicht vorlag, das Ersatzmitglied jedoch an einer Betriebsratssitzung teilgenommen hat und keine Anhalts-
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1 Löwisch/Spinner, § 15 Rz. 31; siehe dazu bereits oben unter Rz. 979. 2 BAG v. 12.2.2004 – 2 AZR 163/03, AiB 2005, 376 (n.v.); v. 5.9.1986 – 7 AZR 175/85, BB 1987, 1319; ebenso ErfK/Kiel, § 15 KSchG Rz. 13. 3 BAG v. 5.9.1986 – 7 AZR 175/85, DB 1987, 1319.
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Teil 2 Rz. 1000
Betriebsbedingte Kündigung
punkte dafür hatte, dass in Wahrheit ein Vertretungsfall nicht gegeben war.1 Das Ersatzmitglied übt auch in diesem Fall die vom Gesetz auch auf die Austragung von Streit angelegte Rolle des betrieblichen Gegenspielers des Arbeitgebers aus. Diese Lage ist für das Ersatzmitglied unvermeidbar, weil es verpflichtet ist, der Einladung zur Betriebsratssitzung zu folgen. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG würde seinen Zweck verfehlen, wenn er von der späteren Bestätigung des von dem ordentlichen Betriebsratsmitglied angegebenen Verhinderungsgrundes abhinge.
1 Vgl. ErfK/Kiel, § 15 KSchG, Rz. 13; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1612; KDZ/Kittner/ Deinert, § 15 KSchG Rz. 19.
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Teil 3 Personenbedingte Kündigung
A. Kündigungsarten Aus § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ergibt sich, dass eine ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt sein kann, wenn sie nicht durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Die personenbedingte Kündigung kann – nicht anders als die betriebs- und verhaltensbedingte Kündigung auch – in unterschiedlichen Formen erfolgen. So kommen neben einer ordentlichen grds. auch eine außerordentliche Beendigungskündigung aus personenbedingten Gründen sowie eine ordentliche oder außerordentliche personenbedingte Änderungskündigung nach § 2 KSchG in Betracht. Da die Systematik der verschiedenen Kündigungsarten und ihre jeweiligen Voraussetzungen bereits in anderem Zusammenhang ausführlich dargestellt worden sind1, soll im Folgenden lediglich auf die im Rahmen der personenbedingten Kündigung sich ergebenden Besonderheiten der einzelnen Kündigungsarten eingegangen werden.
1
I. Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung 1. Begriff Eine Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 KSchG u.a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie auf Gründen beruht, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Die personenbedingte Kündigung ist die erste Fallvariante der oben genannten Zentralvorschrift des KSchG, die weder eine Definition enthält, wann ein personenbedingter Kündigungsgrund vorliegt noch einzelne Tatsachen aufzählt, die als Gründe für eine personenbedingte Kündigung heranzuziehen wären. Es handelt sich somit um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Laufe der Zeit durch Rechtsprechung und Literatur durch Fallgruppenbildung weitgehend konkretisiert worden ist.2
2
Unter personenbedingten Gründen werden alle Umstände erfasst, die in den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitnehmers begründet sind, wie Mängel der persönlichen und fachlichen Eignung, altersbedingte Leistungsminderung oder Erkrankungen, durch die die Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers erheblich herabgesetzt wird. Es kommen nur solche Umstände in Betracht, die aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen.3
3
1 Vgl. zur allgemeinen Abgrenzung der Kündigungsarten Teil 1. Zu den unterschiedlichen Kündigungsarten bei betriebs- bzw. verhaltensbedingter Kündigung siehe auch unter Teil 2 bzw. unter Teil 4. 2 BAG v. 23.1.1958 – 2 AZR 206/55, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG; vgl. Berkowsky, NZA-RR 2001, 393 ff. und 449 ff. 3 BAG v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, EzA § 1 KSchG Nr. 42; v. 13.3.1987 – 7 AZR 724/85, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44; v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NJW
Laber
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Teil 3 Rz. 4
Personenbedingte Kündigung
4
Erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung und voraussichtlich auch alsbald danach die Fähigkeit und Eignung nicht besitzt, die geschuldete Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen1, die (vollständige) Erfüllung des Vertragszwecks dem Arbeitnehmer also nicht nur vorübergehend unmöglich ist.
5
Ob der Arbeitnehmer den Verlust seiner Arbeitsfähigkeit schuldhaft herbeigeführt hat (z.B. durch Begehung von außerdienstlichen Straftaten/Strafhaft) oder der Eignungsmangel aufgrund von Umständen eingetreten ist, die der Arbeitnehmer nicht zu verantworten hat (z.B. Krankheit, Alter), ist unerheblich.2 Entscheidend ist, dass objektiv die Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Arbeitsleistung entfallen ist und es dadurch zu einer erheblichen Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses bzw. der betrieblichen Abläufe kommt, aufgrund derer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar erscheint.3 Hat der Arbeitnehmer den Wegfall seiner Eignung durch schuldhaftes Verhalten selbst herbeigeführt, kann dies aber ggf. im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden.
6
Schwierig kann im Einzelfall die Abgrenzung zur verhaltensbedingten Kündigung sein, da auch dort die Gründe für die Kündigung aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen.
7
Richtigerweise ist wie folgt zu differenzieren: Personenbedingte Gründe sind dadurch gekennzeichnet, dass die Arbeitsleistung aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften, also objektiver, in der Person des Arbeitnehmers liegender Umstände, nicht vertragsgemäß erbracht werden kann, während die verhaltensbedingte Kündigung ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers bei der Erfüllung des Vertrages voraussetzt.4 Als weiteres Abgrenzungskriterium lässt sich die fehlende Steuerbarkeit des Verlustes der vertraglich vorausgesetzten persönlichen Eigenschaften heranziehen.5 Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt danach nur dann vor, wenn das Fehlen seiner Fähigkeit oder Eignung durch den Arbeitnehmer selbst nicht beeinflusst werden kann, ihm also nicht vorzuwerfen ist. Die fehlende Steuerbarkeit ist auch der Grund dafür, dass vor Ausspruch der personenbedingten Kündigung eine Abmahnung grds. nicht erforderlich ist.6
1 2 3 4 5 6
2004, 2545 (2548); v. 24.2.2005 – 2 AZR 211/04, AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 5.6.2008 – 2 AZR 984/06, EzA § 1 KSchG § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 22. BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 266; Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31 (44). KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 268. BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. Zutreffend Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31 (44); KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 267, 395; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 288 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1190 ff. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 290; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 120; KR/ Griebeling, § 1 KSchG Rz. 267. HWK/Thies, § 1 KSchG Rz. 97; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 131.
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Laber
Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 11 Teil 3
" Praxistipp: Schlagwortartig kann wie folgt differenziert werden: Ein Grund
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Führt ein privates Verhalten des Arbeitnehmers zum Verlust von arbeitsvertraglich vorausgesetzter Eignung oder Fähigkeit, so ist mangels vertragswidrigen Verhaltens zwar keine verhaltensbedingte, wohl aber eine personenbedingte Kündigung möglich.1 Die personenbedingte Kündigung stellt insofern einen Auffangtatbestand für die Sachverhalte dar, bei denen eine verhaltensbedingte Kündigung nicht in Betracht kommt.2 Aus der Vertrags- oder Betriebsbezogenheit sämtlicher Kündigungsgründe3 ergibt sich, dass eine personenbedingte Kündigung aber nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn vertragliche oder betriebliche Arbeitgeberinteressen durch die persönlichen Umstände des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden.
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Denkbar sind auch sog. Mischtatbestände, d.h. solche Kündigungssachverhalte, die mehrere der in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aufgeführten Kündigungsgründe berühren. Die Abgrenzung zwischen personen-, verhaltens-, und betriebsbedingter Kündigung ist nach der Rechtsprechung des BAG in derartigen Fällen danach vorzunehmen, aus welcher Sphäre die Störung kommt, die zu der Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (sog. Sphärentheorie).4 So hat das BAG beispielsweise in der Kündigung einer Lehrkraft wegen fehlender Lehrbefähigung einen Mischtatbestand zwischen personen- und betriebsbedingtem Kündigungsgrund gesehen, der – da es um die Einhaltung beamtenrechtlicher Vorschriften geht – in erster Linie die betriebliche Sphäre betreffe und damit als betriebsbedingte Kündigung zu behandeln sei.5 Kein betriebsbedingter, sondern ein personenbedingter Grund liegt dagegen vor, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt fehlt und es dadurch zu Störungen im Betriebsablauf kommt, da hier die Fehlerquelle eindeutig im persönlichen Bereich des Arbeitnehmers zu suchen ist.
10
" Praxistipp: Für Mischtatbestände zwischen personen- und verhaltens-
11
in der Person liegt vor, wenn der Arbeitnehmer will, jedoch nicht kann. Ein Grund im Verhalten ist dagegen gegeben, wenn der Arbeitnehmer kann, aber nicht will.
bedingter Kündigung gilt Folgendes: Beruht die Störung des Arbeitsverhältnisses auf mangelnder Eignung des Arbeitnehmers, handelt es sich um einen personenbedingten Kündigungsgrund;6 ist hingegen nachlässiges Verhalten des Arbeitnehmers oder mangelnde Sorgfalt Ursache für die Störung, ist ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund gegeben7 mit der Fol-
1 2 3 4
APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 121. So auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 267; a.A. Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31 (45). So deutlich BAG v. 12.4.1984 – 2 AZR 77/83, DB 1985, 873. BAG v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. v. Hoyningen-Huene; v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, SAE 1986, 273 (276); v. 26.2.1986 – 7 AZR 519/84; v. 24.2.2005 – 2 AZR 211/04, AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 18.9.2008 – 2 AZR 976/06, NZA 2009, 425 ff.; LAG Baden-Württemberg v. 6.9.2006 – 13 Sa 84/05, BB 2007, 1228; a.A. Rüthers/ Henssler, ZfA 1988, 31 (46 f.); APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 83. 5 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, SAE 1986, 273 (276). 6 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1189 ff.; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 99. 7 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 55/99, FA 2000, 25.
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563
Teil 3 Rz. 12
Personenbedingte Kündigung
ge, dass eine Kündigung nur nach vorheriger Abmahnung in Betracht kommt. 12
Kein Mischtatbestand liegt vor, wenn die Kündigung auf mehreren unterschiedlichen, voneinander unabhängigen Sachverhalten beruht. Ist dies der Fall, so ist grds. zunächst jeder Kündigungssachverhalt einzeln auf seine soziale Rechtfertigung hin zu überprüfen. Erst wenn keiner der Sachverhalte für sich genommen ausreicht, um eine Kündigung zu begründen, ist zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit Umstände darstellen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen1, was allerdings wegen des zwingenden Charakters des § 1 KSchG nur die absolute Ausnahme sein kann. So rechtfertigt ggf. die langsame Arbeitsweise eines Arbeitnehmers allein noch keine personenbedingte Kündigung; in Verbindung mit weiteren, ebenfalls bei einzelner Betrachtung nicht kündigungsrelevanten Umständen, wie z.B. einem einmaligen Alkoholgenuss des Arbeitnehmers während der Arbeitszeit, kann sie jedoch das für eine Kündigung erforderliche Gewicht erreichen.2
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Ist es bei der personenbedingten Kündigung im Gegensatz zur verhaltensbedingten Kündigung nicht entscheidend, ob den Arbeitnehmer für das Fehlen seiner Fähigkeiten und Eignung zur Erbringung der Arbeitsleistung ein Verschulden trifft, so entfällt bei der personenbedingten Kündigung grundsätzlich das Abmahnerfordernis. Die vom Arbeitnehmer verursachten Störungen sind eben nicht an das subjektive Wollen des Arbeitnehmers gebunden, sondern resultieren aus der Person des Arbeitnehmers.
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Gleichwohl kann im Einzelfall der Arbeitnehmer auch im Wege einer Abmahnung zu veranlassen sein, die von seiner Person ausgehende Störung des Arbeitsverhältnisses zu beheben; etwa dann, wenn es ihm möglich ist, die fehlende Fähigkeit und Eignung zur ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung wieder herzustellen, um die ihm fehlende Eignung zu erwerben.3 2. Beurteilungszeitpunkt
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Für die Prüfung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung sind grundsätzlich die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung maßgebend.4 Dies gilt auch für die personenbedingte Kündigung. Eine spätere Veränderung der kündigungsbegründenden Umstände ist für die Wirksamkeit der Kündigung 1 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10; v. 9.8.1990 – 2 AZR 623/89, RzK I 5 i Nr. 63; a.A. im Hinblick auf die betriebsbedingten Gründe: v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 262 ff. 2 Vgl. BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10. 3 BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, EzA § 626 BGB Nr. 168. 4 BAG v. 15.7.1971 – 2 AZR 232/70, AP Nr. 83 zu § 1 KSchG; v. 15.8.1984 – 7 AZR 536/82; v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, AP Nr. 16, 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 18 mit Anm. v. HoyningenHuene m.w.N.
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Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 18 Teil 3
ohne Bedeutung und darf insbesondere nicht zur Korrektur der vom Arbeitgeber zu treffenden Prognoseentscheidung herangezogen werden.1 Damit ist das BAG zu Recht von seiner früheren Rechtsprechung abgerückt, wonach im Falle der krankheitsbedingten Kündigung eine spätere gesundheitliche Entwicklung bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung des betreffenden Kündigungsschutzprozesses berücksichtigt werden konnte.2 Eine Korrektur bzw. Bestätigung der negativen Gesundheitsprognose sollte danach lediglich ausgeschlossen sein, wenn nach Kündigungszugang ein neuer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde, etwa wenn sich der Arbeitnehmer einer längst fälligen Operation unterwarf3 oder seine bisherige Lebensführung änderte.4
16
Diese Rechtsprechung führte dazu, dass die Rechtmäßigkeit der Kündigung bzw. der Ausgang eines etwaigen Kündigungsschutzprozesses weder von Arbeitgeber- noch von Arbeitnehmerseite her zuverlässig beurteilt werden konnte, was die Parteien mit erheblichen Rechtsunsicherheiten belastete. Die Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung widersprach zudem dem im Kündigungsrecht geltenden Prognoseprinzip, wonach es für die soziale Rechtfertigung der Kündigung entscheidend ist, ob eine Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig belastend auswirkt, die Kündigungsgründe also generell zukunftsbezogen zu beurteilen sind.5 Eine solche zukunftsbezogene Betrachtungsweise setzt aber schon vom begrifflichen Verständnis her eine Beurteilung ex ante voraus und schließt somit eine nachträgliche „Prognose“ aus.6 Es ist daher zu begrüßen, dass es nach der neuen Rechtsprechung für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung nunmehr allein auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ankommen soll.7
17
Stellt sich aufgrund späterer tatsächlicher Entwicklungen nach Kündigungszugang heraus, dass die vom Arbeitgeber bei der personenbedingten Kündigung zu treffende Negativprognose fehlerhaft war – z.B. bei Gesundung eines krankheitsbedingt gekündigten Arbeitnehmers nach Zugang der Kündigung – kommt jedoch ggf. ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers in Betracht (vgl. dazu Rz. 329 ff.).
18
1 So inzwischen BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978 (980); v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328 (1330); vgl. auch APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 200. 2 So BAG v. 10.11.1983 – 2 AZR 291/82, AP Nr. 11 zu KSchG 1969 § 1 Krankheit. 3 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 4 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, NZA 1990, 305 (306). 5 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 16.8.1991 – 2 AZR 604/90, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 6 Vgl. auch Lepke, S. 182 ff. Rz. 124 ff. 7 Vgl. etwa BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978; v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081.
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Teil 3 Rz. 19
Personenbedingte Kündigung
3. Prüfungsstufen der Sozialwidrigkeit einer personenbedingten Kündigung 19
Die Prüfung der Sozialwidrigkeit der personenbedingten Kündigung erfolgt anhand der von der Rechtsprechung im Laufe der Jahre entwickelten Stufen-Systematik.1
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Erforderlich ist danach zunächst eine negative Prognose in Bezug auf die künftige Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers (dazu unter a), Rz. 21 ff.). Hinzukommen muss eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen des Arbeitgebers (dazu unter b), Rz. 25 f.). Es darf weiterhin keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz bestehen bzw. dem Arbeitgeber darf zur Verfolgung seiner zulässigen betrieblichen oder vertraglichen Interessen kein milderes Mittel zur Verfügung stehen (dazu unter c), Rz. 36 f.). Schließlich ist im Rahmen einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung zu überprüfen, ob die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht hinzunehmenden betrieblichen und wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen (dazu unter d), Rz. 52 ff.). Im Einzelnen gilt Folgendes: a) Negative Prognose
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Voraussetzung einer personenbedingten Kündigung ist zunächst die fehlende Fähigkeit und Eignung des Arbeitnehmers, künftig die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (sog. Prognoseprinzip, 1. Stufe). Der Arbeitgeber hat also in der Zukunft daraus resultierend mit unzumutbaren Belastungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen. Abzustellen ist auf eine zukunftsbezogene Betrachtung, d.h. im Zeitpunkt der Kündigung darf nicht damit zu rechnen sein, dass die Fähigkeit und Eignung des Arbeitnehmers in absehbarer Zeit wieder hergestellt werden kann. Der Kündigungsgrund folgt somit alleine aus der Sphäre des Arbeitnehmers.
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Die Zukunftsbezogenheit der personenbedingten Kündigung ist schon dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 KSchG zu entnehmen, der für eine personenbedingte Kündigung Gründe voraussetzt, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen. Dem entspricht auch das Ziel der personenbedingten Kündigung, den Arbeitgeber davor zu schützen, künftig durch personenbedingte Nicht- oder Minderleistung in unzumutbarer Weise belastet zu werden. Kündigungsgrund ist demnach eine durch die personenbedingten Mängel künftig zu erwartende Störung des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses. Als Sanktion für bereits vergangene Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses kommt die personenbedingte Kündigung dagegen nicht in Betracht.2 Zur Stützung der 1 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, DB 1990, 429; v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38; v. 14.1.1993 – 2 AZR 343/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 39; v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41; v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 99, 978; v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NJW 2002, 2545 (2548); v. 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, DB 2008, 2091 ff. 2 BAG v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, DB 1983, 2524 (2525); v. 27.11.2008 – 2 AZR 193/07, NZA 2009, 671 ff.
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Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 25 Teil 3
Negativprognose kann der Arbeitgeber freilich die vergangenen Beeinträchtigungen heranziehen, kann doch aus ihnen vielfach der Schluss gezogen werden, dass auch künftig mit derartigen Störungen zu rechnen ist. Voraussetzung für die Negativprognose ist, dass die Störung des Arbeitsverhältnisses nicht nur vorübergehend ist. Ist demgegenüber im Zeitpunkt der Kündigung abzusehen, dass der Arbeitnehmer noch vor Ablauf der Kündigungsfrist wieder in der Lage sein wird, die vertraglich geschuldete Leistung ohne Einschränkungen zu erbringen, liegt darin kein Sachverhalt, der eine negative Prognose rechtfertigen würde. Anders ist zu entscheiden, wenn hinsichtlich einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers Ungewissheit besteht oder die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung nach den zum Kündigungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen erst in ferner Zukunft in Betracht kommt. In diesen Fällen wird die Negativprognose i.d.R. zu bejahen sein, zumal dem Arbeitgeber bei der Beurteilung der künftigen Entwicklung des personenbedingten Mangels naturgemäß ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht.
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Die Beweispflicht für das Vorliegen einer Negativprognose trifft gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG den Arbeitgeber. Dieser hat darzulegen und – im Rahmen einer abgestuften Beweislast – letztlich nachzuweisen, dass Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass auch künftig mit Störungen des Arbeitsverhältnisses durch in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe zu rechnen ist.1 Dieser Verpflichtung kommt der Arbeitgeber i.d.R. dadurch nach, dass er Tatsachen der Vergangenheit vorträgt, die den Schluss zulassen, dass auch in der Zukunft erhebliche Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses zu erwarten sind. Steht hingegen fest, dass in der Person des Arbeitnehmers Gründe vorliegen, die eine fortdauernde Störung des Arbeitsverhältnisses begründen, beispielsweise die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers, ergibt sich die für die soziale Rechtfertigung der Kündigung erforderliche Negativprognose bereits aus diesem Umstand, so dass die Darlegung vergangener Störungen nicht mehr erforderlich ist.2
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b) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen Die prognostizierten Mängel in der Fähigkeit oder Eignung des Arbeitnehmers zur künftigen Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen müssen eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen des Arbeitgebers zur Folge haben (2. Stufe). Insoweit sind abstrakte oder konkrete Gefährdungen des Betriebes nicht ausreichend; vielmehr müssen konkrete Störungen bereits eingetreten sein3. Dies kann Folge mangelnder Arbeitsfähigkeit, mangelnder persönlicher oder fachlicher Eignung sein. Aufgrund dieser Umstände muss – um die Kündigung sozial gerechtfertigt erscheinen zu lassen – die sichere Wahrscheinlichkeit bestehen, dass das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis künftig erheblichen Störungen ausgesetzt sein wird. 1 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1196. 3 BAG v. 6.6.1984 – 7 AZR 456/82, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, EzA § 2 KSchG Nr. 11.
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Teil 3 Rz. 26 26
Personenbedingte Kündigung
Die betriebliche Belastung ist dabei nach Rechtsprechung des BAG als Bestandteil des Kündigungsgrundes zu prüfen, während die Frage, ob sie dem Arbeitgeber im Einzelfall noch zuzumuten ist, im Rahmen der Interessenabwägung zu entscheiden ist. Die betrieblichen Beeinträchtigungen können zum einen in Störungen des konkreten Betriebsablaufs1, zum anderen in wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers durch Mehraufwendungen für Ersatzpersonal bzw. Lohnfortzahlungskosten bestehen.2 aa) Betriebsablaufstörungen
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Eine kündigungsrelevante Störung des Betriebsablaufs liegt vor, wenn durch wiederholte Ausfallzeiten des Arbeitnehmers schwerwiegende Störungen im Produktionsprozess auftreten – etwa Stillstand von Maschinen, Überlastung des übrigen Personals, Produktionsausfall, Verlust von Kundenaufträgen etc.3 – und diese Störungen nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen behoben werden können.4
28
Wann eine Betriebsablaufstörung als schwerwiegend anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, u.a. von der Stellung eines Arbeitnehmers im Betrieb (Arbeitnehmer in Schlüsselposition sind schwerer ersetzbar als Arbeitnehmer in untergeordneten Positionen5) und von der Größe des Betriebes (in größeren Betrieben kann der Ausfall eines Arbeitnehmers leichter ausgeglichen werden, da dort eher zusätzliche Arbeitskräfte beschäftigt werden6). Gelegentliche Überstunden anderer Arbeitnehmer anlässlich der krankheitsbedingten Fehlzeit begründen noch keine schwerwiegende Störung des betrieblichen Ablaufs.7
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Betriebsablaufstörungen sind irrelevant, wenn dem Arbeitgeber eine Vermeidung durch Überbrückungsmaßnahmen möglich ist, etwa durch Einsatz einer vorhandenen Personalreserve oder – wenn diese nicht ausreicht – durch Neueinstellung einer Aushilfskraft. Zu Letzterem wird der Arbeitgeber aufgrund der fehlenden Kalkulierbarkeit von Kurzerkrankungen allerdings nur eingeschränkt verpflichtet sein.8 Ist eine Überbrückung der Ausfallzeit durch Einsatz einer Personalreserve oder einer Aushilfskraft möglich, so liegt bereits objektiv keine erhebliche Betriebsablaufstörung und damit insoweit kein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund vor.9 Gleiches soll gelten, wenn der Ausfall eines Arbeitnehmers durch Einsatz von Personalreserven überbrückt werden könnte, der Arbeitgeber solche jedoch nicht in ausreichendem Umfang vorhält. Eine 1 Vgl. BAG v. 2.11.1983 – 7 AZR 272/82, DB 1984, 831; v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 2 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 3 Vgl. BAG v. 2.11.1983 – 7 AZR 272/82, DB 1984, 831. 4 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 5 So KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 338. 6 Lepke, S. 264 ff. Rz. 193. 7 BAG v. 15.2.1984 – 2 AZR 573/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15. 8 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Nr. 25. 9 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Nr. 25; v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30.
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Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 32 Teil 3
Verpflichtung des Arbeitgebers zur Bereithaltung von Ersatzpersonal soll insofern zumindest in Höhe der durchschnittlichen Krankheitsquote bestehen, wenn dies im konkreten Einzelfall nicht unzumutbar erscheint.1 Dem ist allerdings entgegen zu halten, dass damit in grundrechtlich bedenklicher Weise dem Arbeitgeber aufgegeben würde, in bestimmten Umfang „für alle Fälle“ eine Personalreserve vorzuhalten. Eine solche Verpflichtung besteht nicht2. Es unterliegt mithin allein der freien Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers, ob und in welchem Umfang er Springer zum Einsatz bringen möchte. Entscheidend ist somit, ob eine vorhandene Personalreserve tatsächlich zur Kompensation von Ausfallzeiten des gekündigten Arbeitnehmers herangezogen werden könnte. Lassen sich insofern Ausfallzeiten überbrücken, so ist bereits objektiv gesehen nicht von einer Betriebsablaufstörung auszugehen.3 Ist dagegen eine Betriebsablaufstörung auch unter Einsatz personeller Überbrückungsmaßnahmen unvermeidbar, so bleibt der Grad der Störung (geringfügig oder erheblich) zu prüfen.4
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bb) Wirtschaftliche Belastungen Auch erhebliche wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers können eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Zu denken ist hier neben den für die Einstellung von Aushilfskräften aufgewendeten Kosten insbesondere an Entgeltfortzahlungen, die der Arbeitgeber im Falle der Erkrankung eines Arbeitnehmers zu leisten hat. Ob und inwieweit diese auf Seiten des Arbeitgebers als kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung zu berücksichtigen sind, ist weiterhin umstritten.
31
Teile von Rechtsprechung5 und Literatur6 lehnen die Einbeziehung der Entgeltfortzahlung in die soziale Rechtfertigung der Kündigung grundsätzlich ab. Es widerspreche der Wertung des EFZG, wenn eine Leistung, die dem Arbeitnehmer soziale Absicherung gewähren solle, andererseits als Kündigungsgrund in Betracht komme. Zudem stelle die Verwertung der Entgeltfortzahlung als Kündigungsgrund einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB dar.7 Einer anderen Ansicht zufolge soll jedenfalls die Entgeltfortzahlung allein eine Kündigung nicht rechtfertigen können; erforderlich sei vielmehr, dass zusätzlich Störungen des betrieblichen Ablaufs auftreten.8
32
1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 339. 2 Zutreffend BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40 m. Anm. Welslau/Haupt. 3 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 574/98 (n.v.). 4 BAG v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30. 5 LAG Hamm v. 11.7.1991 – 4 (9) Sa 1600/90, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 16. 6 Berkowsky, Personenbedingte Kündigung, 4. Auflage 2005, S. 57; Stein, BB 1985, 605 (608); ders., AuR 1987, 388 ff.; Popp, DB 1986, 1461 (1464 ff.); Preis, DB 1988, 1444 (1445); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1223. 7 Dagegen wendet BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Nr. 25 zu Recht ein, die Kündigung erfolge nicht wegen Geltendmachung der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitnehmer, sondern allein aufgrund der krankheitsbedingten wirtschaftlichen Beeinträchtigung. 8 LAG Frankfurt v. 8.12.1987 – 5 Sa 1363/87, DB 1988, 1704 (1705); LAG Köln v. 21.2. 1989 – 3 Sa 1158/88, DB 1989, 1295.
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Teil 3 Rz. 33
Personenbedingte Kündigung
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Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Berücksichtigung der sich aus § 3 Abs. 1 EFZG ergebenden Belastungen des Arbeitgebers keinen Verstoß gegen § 612a BGB darstellt. Zwar nimmt ein Arbeitnehmer seine Rechte wahr, wenn er Entgeltfortzahlung in Anspruch nimmt oder wenn er geltend macht, nach § 275 BGB (Unzumutbarkeit) wegen seiner Krankheit von der Arbeitspflicht befreit zu werden. Er wird aber nicht benachteiligt, wenn die durch Krankheit und durch die Entgeltfortzahlung hervorgerufene Äquivalenzstörung zum Ausspruch einer personenbedingten Kündigung führt. § 612a BGB bezweckt nicht, das Kündigungsschutzrecht zu derogieren.1
34
Nach zutreffender Rechtsprechung des BAG2 kann deshalb – unabhängig von etwaigen Betriebsablaufstörungen oder arbeitgeberseitigen Mehraufwendungen durch Vorhalten einer Personalreserve – bereits in den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten eine unzumutbare wirtschaftliche Beeinträchtigung des Arbeitgebers liegen. Derzeit nimmt die Rechtsprechung in Anlehnung an § 3 EFZG eine erhebliche wirtschaftliche Belastung bei voraussichtlichen Entgeltfortzahlungsbelastungen des Arbeitgebers von über sechs Wochen pro Kalenderjahr an.3 Diese zeitliche Mindestgrenze soll jedoch nur für wirtschaftliche Belastungen durch die Lohnfortzahlung gelten. Treten zusätzliche Faktoren hinzu, wie Störungen des Betriebsablaufs oder Vorhaltekosten einer Personalreserve, kann auch bei jährlichen Ausfallzeiten von sechs Wochen oder darunter eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung anzunehmen sein.4 Das Vorliegen einer wirtschaftlichen Belastung durch die Fehlzeiten beurteilt sich damit grds. nach den im Einzelfall maßgeblichen Umständen und nicht nach einer pauschalen Zeitgrenze.
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Als weitere wirtschaftliche Belastungen kommen selbstverständlich auch Leistungen an den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer in Betracht, die nur vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses und nicht von der tatsächlichen Arbeitsleistung abhängen (tarifliche Sonderzahlungen, Weihnachtsgeld, Vermögenswirksame Leistungen), finanzielle Mehrbelastungen durch die Vergabe der Arbeiten des ausfallenden Arbeitnehmers an Drittfirmen im Lohnauftrag, Zahlungen von Mehrarbeitsvergütungen, Einsatz von Leiharbeitnehmern und Aushilfen.5 c) Ultima-ratio-Prinzip
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Der allgemeine kündigungsrechtliche Grundsatz, wonach die Beendigungskündigung stets die ultima ratio, d.h. das letzte in Betracht zu ziehende Mittel ist6, gilt auch für die personenbedingte Kündigung. Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung zunächst mildere, gleichermaßen ge1 Zutreffend BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, DB 1989, 2075; Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 209. 2 BAG v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 12; v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, DB 1989, 2075; v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40. 3 BAG v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG Krankheit; v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40. 4 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, NZA 1990, 434 (436). 5 Lepke, S. 282 f., Rz. 203. 6 BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, DB 1980, 1446, 1447 f.
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Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 40 Teil 3
eignete Maßnahmen zu ergreifen, die die Kündigung vermeiden helfen.1 Hierbei sind insbesondere die in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1b, 2b und Satz 3 KSchG genannten Widerspruchstatbestände zu berücksichtigen, die einige mögliche Maßnahmen aufzählen (Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz, unter geänderten Arbeitsbedingungen oder nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen) und damit den Ultima-ratio-Grundsatz konkretisieren. Liegt einer dieser Widerspruchsgründe vor, kann sich der Arbeitnehmer auf ihn auch berufen, ohne dass ein Betriebs- oder Personalrat besteht bzw. der Kündigung zuvor widersprochen hat.2 Angesichts der Bandbreite möglicher in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe für eine Kündigung, lässt sich der Kreis möglicher milderer Mittel allgemein und abstrakt nur sehr schwer abstecken. So können die nachfolgend aufgeführten Maßnahmen nicht als abschließender Katalog milderer Mittel angesehen werden:
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aa) Überbrückungsmaßnahmen Vor Ausspruch einer Kündigung hat der Arbeitgeber stets zu prüfen, ob die Möglichkeit besteht, die betrieblichen Beeinträchtigungen durch geeignete Überbrückungsmaßnahmen zu vermeiden. In Betracht kommen hier zum einen der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vom Arbeitgeber vorgehaltenen Personalreserve bzw. die Einstellung von neuen Aushilfskräften, zum anderen die Umorganisation der Arbeit durch zeitweise Übertragung von Arbeitsaufgaben auf andere Arbeitnehmer oder durch die Durchführung von Über- und Mehrarbeit.3 Hat der Arbeitgeber eine entsprechende Überbrückungsmaßnahme vorgenommen und ist er hierzu auch künftig in der Lage, so liegt bereits objektiv keine erhebliche Betriebsablaufstörung und damit insoweit schon kein zur Kündigung geeigneter Grund vor.4
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Die Einstellung einer Aushilfskraft zur Überbrückung krankheitsbedingter Ausfallzeiten kommt bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers allerdings nur eingeschränkt in Betracht5, da diese für den Arbeitgeber kaum kalkulierbar sind.
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Anders verhält es sich im Falle einer Langzeiterkrankung. Hier soll es dem Arbeitgeber grundsätzlich sogar zuzumuten sein, eine unbefristete Aushilfskraft einzustellen, der nach Gesundung des erkrankten Arbeitnehmers aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden kann.6
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1 BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, DB 1980, 1446, 1447; v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173. 2 Vgl. BAG v. 13.9.1973 – 2 AZR 601/72, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969. 3 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, DB 1980, 1446 (1447). 4 BAG v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30. 5 BAG v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 12; v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 6 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10; dies dürfte zu weit gehen, kritisch daher zu Recht: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1229, Fn. 1214 m.w.N.
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Teil 3 Rz. 41 41
Personenbedingte Kündigung
Der Arbeitgeber ist nicht in jedem Falle der personenbedingten Arbeitsverhinderung gehalten, eine Aushilfskraft zur Überbrückung der Ausfallzeit einzustellen. Ob ihm dies möglich und zumutbar ist, hängt vielmehr von einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung ab. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, ob der Arbeitnehmer im Betrieb eine Schlüsselposition einnimmt oder besondere Kenntnisse aufweist, die es schwierig machen, ihn durch eine geeignete Aushilfskraft zu ersetzen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Arbeitgeber bei einem langjährig beschäftigten Mitarbeiter eine solche Maßnahme eher in Erwägung ziehen muss als bei einem kurzzeitig beschäftigten Arbeitnehmer und er auch einen längeren Zeitraum für geeignete und zumutbare Überbrückungsmaßnahmen hinzunehmen hat als bei einem nur kurzfristig tätigen Arbeitnehmer.1 bb) Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz/Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
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Vor der Kündigung hat der Arbeitgeber weiter zu prüfen, ob der Arbeitnehmer ggf. auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, auf dem keine betrieblichen Belastungen mehr zu erwarten sind.2 Ist beispielsweise der Arbeitnehmer auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, so ist er zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen, falls ein solcher gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist.3 Nur wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, unter Umständen auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen, besteht, kann das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt werden, wobei der Arbeitgeber bei Vorliegen einer Beschäftigungsmöglichkeit die Weiterbeschäftigung von sich aus anbieten muss.4
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Unter Umständen kann auch die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem Teilzeitarbeitsverhältnis in Erwägung zu ziehen sein.5 Besteht eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, ist die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch die Krankheit bzw. den Eignungsmangel ausgeschlossen.6
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Grds. ist der Arbeitgeber nur dazu verpflichtet, die Möglichkeit einer Umsetzung auf einen freien Arbeitsplatz zu prüfen, d.h. eines Arbeitsplatzes, der
1 BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, DB 1980, 1446 (1448). 2 BAG v. 10.3.1977 – 2 AZR 79/76, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9; v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665. 3 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 1 KSchG Rz. 210 m.w.N. 4 BAG v. 16.8.1990 – 2 AZR 182/90, RzK I 5h Nr. 18. 5 BAG v. 2.2.1973 – 2 AZR 172/72, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 27. 6 BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 366/89, RzK I 5 g Nr. 33.
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Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 47 Teil 3
zum Zeitpunkt der Kündigung nicht besetzt ist bzw. voraussichtlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden wird.1 Die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes kann der Arbeitnehmer dagegen in der Regel nicht verlangen2, es sei denn es liegen besondere Umstände vor, die im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind (etwa Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines vom Arbeitgeber verschuldeten Betriebsunfalls).3 Insbesondere trifft den Arbeitgeber nicht die Verpflichtung, eine von einem anderen Arbeitnehmer besetzte Position durch eine sog. Austauschkündigung frei zu machen. Denn es liegt weder ein personen- noch ein betriebsbedingter Grund vor, der dem Dritten gegenüber eine Änderungskündigung rechtfertigen würde.4
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Anders soll es sich verhalten, wenn der Arbeitgeber in der Lage ist, im Rahmen des ihm zustehenden Direktionsrechtes einen besetzten Arbeitsplatz durch Versetzung oder Umsetzung eines anderen Arbeitnehmers frei zu machen. In derartigen Fällen soll er nach Ansicht des BAG verpflichtet sein, eine Umorganisation des Personaleinsatzes vorzunehmen, da er sich damit gegenüber dem bisherigen Arbeitsplatzinhaber innerhalb der vertraglichen Abmachungen bewege und nicht in dessen Rechtsposition eingreife.5 Der Arbeitgeber sei allerdings nicht gehalten, ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen, wenn der Betriebsrat bei einer mitbestimmungspflichtigen Versetzung seine Zustimmung verweigere.6
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Diese Rechtsprechung vermag indes nicht zu überzeugen. Die Versetzung des Dritten auf den Arbeitsplatz des zu Kündigenden durch Ausübung des Direktionsrechts ist nur zulässig, soweit sie sich innerhalb der Grenzen billigen Ermessens (§ 315 BGB) bewegt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Zuweisung des anderen Arbeitsplatzes ausschließlich ein Interesse des außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehenden anderen Arbeitnehmers zugrunde liegt.7 Gegen die Auffassung des BAG spricht zudem, dass sie zur Folge hat, dass auf den Arbeitgeber u.U. ein Rechtsstreit mit dem versetzten Arbeitnehmer zukommt, der nicht im Interesse des Arbeitgebers liegt, weil er diesen aus betrieblichen Erfordernissen eigentlich gar nicht versetzen wollte. Zudem hängt es stets von den individuel-
47
1 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 2 LAG Köln v. 19.12.1995 – 13 Sa 928/95, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 22; LAG Düsseldorf v. 4.5.1995 – 5 Sa 717/94, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 20. 3 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 377. 4 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 42. 5 BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173; v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 42; v. 29.10.1998 – 2 AZR 666/97; ablehnend: LAG Berlin v. 3.11. 1997 – 9 Sa 67/97, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 27; einschränkend: ArbG Celle v. 8.4.1997 – 1 Ca 621/96, RzK I 5 g Nr. 69; LAG Hamm v. 20.1.2000 – 8 Sa 1420/99, § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 17; zustimmend: KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 376. 6 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 42; LAG Hamm v. 18.8. 2005 – 15 Sa 748/05. 7 Zutreffend Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 193; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 277.
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Teil 3 Rz. 48
Personenbedingte Kündigung
len vertraglichen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien ab, ob eine Versetzung überhaupt im Wege des Direktionsrechts erfolgen kann, oder ob der Arbeitgeber hierzu eine Änderungskündigung aussprechen muss. Ungeklärt bleibt schließlich auch der Fall, dass mehrere leidensgerechte Arbeitsplätze für den erkrankten Arbeitnehmer im Betrieb als geeignet in Betracht kommen und der von einer Versetzung betroffene Arbeitnehmer einwendet, nicht er, sondern ein anderer, nach sozialen Erwägungen weniger schutzwürdiger oder körperlich leistungsfähiger Arbeitnehmer hätte versetzt werden müssen. Dies dürfte die Unbilligkeit der erfolgten Versetzung zur Folge haben. Letztendlich bleibt auch offen, wie viele Versetzungen der Arbeitgeber zur Vermeidung der Kündigung vornehmen muss.1 48
Die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ist deshalb grds. nur dann in Erwägung zu ziehen, soweit ein geeigneter freier Arbeitsplatz vorhanden ist und wenn der Arbeitnehmer die hierfür objektiv erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt.
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" Praxistipp: Für die Weiterbeschäftigung kommen i.d.R. nur vergleichbare
49a
Prüft der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz, trifft den Arbeitnehmer eine korrespondierende Obliegenheit, diese Bemühungen nicht dadurch zunichte zu machen, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg die verschiedenartigsten Angebote des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ablehnt.4
Arbeitsplätze in Betracht, d.h. Arbeitsplätze, die dem Arbeitnehmer im Wege des Direktionsrechts zugewiesen werden können. Ein Anspruch auf einen höherwertigen Arbeitsplatz steht dem Arbeitnehmer nicht zu.2 Denn das Kündigungsschutzgesetz schützt das Vertragsverhältnis in seinem Bestand und seinem bisherigen Inhalt, verschafft aber keinen Anspruch auf Beförderung. Kann der Arbeitnehmer umgekehrt nur zu schlechteren Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden, so ist ggf. eine entsprechende Änderungskündigung auszusprechen.3
cc) Umschulungs-/Fortbildungsmaßnahmen 50
Vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber grds. die Möglichkeit zumutbarer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen zu prüfen, sofern der zur Umschulung fähige und bereite Arbeitnehmer danach wirtschaftlich sinnvoll auf einem freien oder frei werdenden Arbeitsplatz eingesetzt werden kann (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG) und die Umschulung keinen unverhältnismäßig hohen zeitlichen oder kostenmäßigen Aufwand erfordert.5 1 Lingemann, BB 1998, 1106, 1107; vgl. auch Bernardi, NZA 1999, 683, 685. 2 BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521 (525); v. 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041. 3 Vgl. LAG Köln v. 26.8.2004 – 5 (9) 417/04, NZA-RR 2005, 300. 4 BAG v. 1.5.2004 – 2 AZR 36/04, NZA 2004, 1271. 5 BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9; v. 29.1.1997 – 2 AZR 49/96, ArbuR 1997, 166.
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Ordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 55 Teil 3
Voraussetzung für das Ergreifen derartiger Maßnahmen ist allerdings, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass zum Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme voraussichtlich ein freier Arbeitsplatz vorhanden sein wird, der der durch die Umschulung oder Fortbildung erworbenen Qualifikation entspricht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, für den umzuschulenden Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz zu schaffen oder frei zu halten, besteht hingegen nicht.1
51
d) Interessenabwägung Liegen die zuvor dargestellten Voraussetzungen vor, ist schließlich im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob dem Arbeitgeber die betrieblichen Beeinträchtigungen noch zuzumuten sind, oder ob sie ihn überfordern.2
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Generelle Maßstäbe dafür, was der Arbeitgeber noch hinzunehmen hat, existieren nicht. Insbesondere kann das Vorliegen bestimmter Fehlquoten allein die Kündigung nicht rechtfertigen.3 Abzustellen ist vielmehr darauf, ob im konkreten Einzelfall das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortführung überwiegt.
53
Dies ist anhand einer besonders sorgfältig und umfassend vorzunehmenden Einzelfallprüfung zu ermitteln, da dem Arbeitnehmer kein schuldhaftes vertragswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann.4 Gerade im Fall einer beabsichtigten krankheitsbedingten oder einer Kündigung wegen altersbedingter Leistungsschwäche ist von einem erhöhten sozialen Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers auszugehen, welches eine besonders sorgfältige Abwägung der sozialen Schutzbelange des Arbeitnehmers gegenüber den betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers erfordert.5
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Abwägungsgesichtspunkte auf Seiten des Arbeitnehmers sind neben der Dauer der Beschäftigung6 das Lebensalter7, die sozialen Verhältnisse wie Familienstand, Unterhaltsverpflichtungen8, Verschuldung, Lage auf dem Arbeitsmarkt, Pflege von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen, Schwerbehinderteneigenschaft9, die Art und Weise der vom Arbeitnehmer bislang zu erbringenden Arbeitsleistung sowie die konkreten betrieblichen Verhältnisse, unter denen die Arbeit zu leisten war. Insoweit spielen die Schwere der Tätigkeit, gesundheitsschädigende Arbeit, wie z.B. Staubluft, chemische Einflüsse etc. eine große Rolle.10 Auf Seiten des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen, ob
55
1 BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 2 St. Rspr.; vgl. etwa v. BAG 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41. 3 BAG v. 2.11.1983 – 7 AZR 272/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 13. 4 BAG v. 23.9.1992 – 2 AZR 63/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 37; v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 5 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 6 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1201 m.w.N. 7 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. 8 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, FA 2000, 101, 102. 9 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, FA 2000, 101, 102. 10 BAG v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32.
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Teil 3 Rz. 56
Personenbedingte Kündigung
er alles getan hat, um der Beeinträchtigung seiner betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen mit angemessenen Maßnahmen zu begegnen, wobei die Größe des Betriebes mitentscheidend ist. e) Darlegungs- und Beweislast 56
Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der personenbedingten Kündigungsgründe auferlegt. Somit hat der Arbeitgeber alle relevanten Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die – nicht nur vorübergehende – unzureichende oder völlig fehlende Eignung oder Befähigung des Arbeitnehmers zur Erbringung einer ordnungsgemäßen Arbeitsleistung ergibt.
57
Besonders hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers werden im Hinblick darauf gestellt, ob eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitsgebers als milderes Mittel gegenüber einer Beendigungskündigung besteht. Hierzu reicht es zunächst aus, wenn der Arbeitgeber unter Beweisantritt darlegt, dass weder zumutbare freie Arbeitsplätze vorhanden sind noch solche durch die Ausübung des Direktionsrechtes im „Ringtausch“ freigemacht werden können. Erst wenn der Arbeitnehmer diesen Sachvortrag bestreitet und im einzelnen darlegt, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, ist der Arbeitgeber gehalten, unter Berücksichtigung des tatsächlichen Ausbildungsstandes des Arbeitnehmers, den genauen Anforderungen des beanspruchten Arbeitsplatzes, sonstiger betrieblicher Gegebenheiten und zur Frage, ob der bezeichnete Arbeitsplatz eventuell durch Ausübung von Direktionsrecht freigemacht werden konnte, zu erwidern.1
58
Schließlich hat der Arbeitgeber auf der letzten Stufe des Systems der Darlegungs- und Beweislast die Umstände vorzubringen, aus denen sich der Vorrang seines Interesses an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des zur Disposition stehenden Arbeitnehmers ergibt. Zur Änderung der Darlegungs- und Beweislast bei Nichtdurchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX im Falle krankheitsbedingter Kündigungen siehe Rz. 219i.
II. Außerordentliche personenbedingte Beendigungskündigung 59
Grds. kann ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Umstand auch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB rechtfertigen.2 Voraussetzung dafür ist, dass Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter 1 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 984/06, DB 2009, 123; v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9; vgl. auch v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 282. 2 BAG v. 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Krankheit; v. 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, NZA 2000, 141.
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Außerordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 62 Teil 3
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.1 Letzteres hängt insbesondere von Art und Ausmaß der im Einzelfall durch die kündigungsrelevanten Umstände verursachten betrieblichen Beeinträchtigungen ab2 und kommt i.d.R. nur dann in Betracht, wenn sich die personenbedingte Arbeitsverhinderung konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt (z.B. durch das Erfordernis von personellen Umdispositionen, durch die Änderung von Dienst- oder Schichtplänen, den Einsatz bzw. Abzug von Springerkräften oder Aushilfen, durch Schwierigkeiten bei der Einarbeitung oder Übernahme angefangener Arbeiten usw.)3 und für den Arbeitgeber zumutbare Überbrückungsmöglichkeiten nicht bestehen.4
" Praxistipp: Die für die außerordentliche Kündigung erforderliche Unzu-
60
Zur außerordentlichen Kündigung berechtigt ist der Arbeitgeber demnach nur dann, wenn der personenbedingte Grund zu erheblichen nachteiligen betrieblichen Auswirkungen führt und ausnahmsweise keine Überbrückungsmöglichkeiten bestehen, die für den Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum regulären Kündigungstermin hinnehmbar machen.6 Allein die wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers aufgrund der – grds. auf 6 Wochen beschränkten – Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall reichen für ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.d.R. nicht aus.7
61
Gerechtfertigt kann die außerordentliche Kündigung insbesondere auch dann sein, wenn der personenbedingte Grund das Vertrauen des Arbeitgebers in die
62
mutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum regulären Kündigungstermin wird nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anzunehmen sein. Denn zum einen liegt den personenbedingten Gründen vielfach kein schuldhaftes Verhalten zugrunde, was bei der im Rahmen des § 626 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist; zum anderen kommt bei mangelnder Fähigkeit des Arbeitnehmers, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, i.d.R. eine Freistellung von der Arbeitsleistung für die Dauer der Kündigungsfrist in Betracht, ohne dass der Arbeitgeber zur Zahlung von Annahmeverzugslohn verpflichtet wäre, vgl. § 297 BGB.5 Häufig ergibt sich für den Arbeitgeber aber auch deshalb keine wirtschaftliche Belastung, da kein ordnungsgemäßes Angebot der Arbeitsleistung vorliegt, mit der Folge, dass bei Nichtbeschäftigung auch kein Annahmeverzug entsteht. So ist beispielsweise sowohl die Beschäftigungs- als auch die Vergütungspflicht bei fehlender Arbeitserlaubnis suspendiert.
1 BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 805/96, RzK I 5h Nr. 41; v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, AP Nr. 87 zu § 626 BGB. 3 BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 805/96, RzK I 5h Nr. 41. 4 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB. 5 Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 746; HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, KSchG, § 1 Rz. 475 m.w.N. 6 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB. 7 Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 196.
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Teil 3 Rz. 63
Personenbedingte Kündigung
Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört hat und deshalb eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist im Interesse des Arbeitgebers ausscheidet. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Lehrer in einem ihm von seinem Arbeitgeber vorgelegten Fragebogen die Frage nach einer früheren MfS-Tätigkeit fälschlicherweise verneint.1 Auch eine außerhalb des dienstlichen Bereiches begangene Straftat kann einen Grund für eine außerordentliche personenbedingte Kündigung darstellen, zumal bei solchen Verfehlungen, die im unmittelbaren Widerspruch zu der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers stehen, wie dies etwa bei einer Steuerhinterziehung in erheblicher Höhe durch den Angestellten einer Finanzbehörde der Fall ist.2 Besonders strenge Anforderungen gelten diesbezüglich für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Da diese als Repräsentanten des Staates gegenüber der Öffentlichkeit auftreten, ist im Rahmen der Interessenabwägung nicht nur das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien zu berücksichtigen, sondern auch die Tatsache, dass durch das strafrechtlich relevante Verhalten das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Amtes in der Öffentlichkeit geschädigt worden ist.3 Allerdings gelten nach § 41 Satz 1 TVöD-BT-V für die nicht hoheitlich tätigen Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes keine weitergehenden vertraglichen Nebenpflichten als für die Beschäftigten der Privatwirtschaft. Die früher in §§ 8 Abs. 1 Satz 1 BAT, 8 Abs. 8 MTArb vorgesehenen besonderen Anforderungen an das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer sind von den Tarifvertragsparteien aufgehoben worden4 63
Eine außerordentliche personenbedingte Kündigung kommt ferner in Betracht, wenn der Arbeitnehmer ein so akutes und schwerwiegendes Sicherheitsrisiko für den Arbeitgeber darstellt, dass eine sofortige Trennung von ihm und seine sofortige Entfernung aus dem Betrieb erforderlich sind.5 Zu berücksichtigen ist, dass in allen zuvor genannten Fällen konkret abzuwägen ist, ob dem Interesse des Arbeitgebers nicht auch durch eine Suspendierung des Arbeitsverhältnisses bis zum regulären Kündigungstermin Rechnung getragen und damit eine außerordentliche Kündigung umgangen werden kann.
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Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer wegen Wegfalls einer für die Berufsausübung erforderlichen Erlaubnis nicht mehr zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist. So hat das BAG etwa die außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers, dem aufgrund einer privaten Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis entzogen worden war, für grds. zulässig gehalten.6 Auch das Fehlen der Arbeitserlaubnis eines ausländischen Arbeitnehmers soll grds. einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB darstellen können, da sie dem Arbeitnehmer die Ausübung der vertraglichen Tätigkeit rechtlich unmöglich macht. Ob allerdings der Arbeitgeber aufgrund dessen im Einzelfall tatsächlich zur außerordentlichen Kündi1 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 291/00, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 190. 2 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 325/00, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 189; LAG Düsseldorf v. 14.3. 2000 – 3 Sa 109/00, ZTR 2000, 423. 3 So zu Recht BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, AP Nr. 163 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08. 5 LAG Frankfurt v. 7.2.1985 – 12 Sa 966/84, DB 1985, 1900. 6 BAG v. 14.2.1991 – 2 AZR 525/90, RzK I 6a Nr. 70.
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Außerordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 67 Teil 3
gung berechtigt ist, hängt davon ab, ob er den (zeitweisen) Ausfall der Arbeitskraft ausgleichen kann (etwa durch eine Umorganisation der betrieblichen Abläufe), oder ob er den Arbeitsplatz sofort neu besetzen muss und damit eine der Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Überbrückungsmöglichkeit nicht besteht.1 Auch die Verbüßung einer Haftstrafe kommt grds. als Grund für eine außerordentliche personenbedingte Kündigung in Betracht. Nach der Rechtsprechung des BAG beurteilt sich dabei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 626 BGB nicht entscheidend nach der Länge der Freiheitsstrafe, sondern danach, welche konkret nachteiligen Auswirkungen der haftbedingte Arbeitsausfall auf den Beschäftigungsbetrieb hat und in welchem Umfang der Arbeitgeber diese im Einzelfall hinnehmen muss.2 Um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, muss der Arbeitgeber daher belegen können, dass zur Vermeidung von Betriebsablaufstörungen der Arbeitsplatz des Klägers sofort neu besetzt werden musste und Überbrückungsmaßnahmen zum Ausgleich der fehlenden Arbeitskraft (etwa durch Einsatz von Aushilfskräften) nicht möglich waren.3
65
Wegen des i.d.R. vorliegenden arbeitnehmerseitigen Verschuldens im Fall der Verbüßung einer Haftstrafe dürfen dem Arbeitgeber zur Überbrückung des Arbeitsausfalls prinzipiell geringere Anstrengungen und Belastungen zugemutet werden als etwa bei einer krankheitsbedingten Kündigung. Allerdings kann der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten sein, bei der Erlangung des Freigängerstatus mitzuwirken, um Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.4 Letzteres gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über die Umstände der Straftat, des Strafverfahrens und der Haft nicht täuscht bzw. im Unklaren lässt. Eine Mitwirkung des Arbeitgebers ist in der Regel ferner dann nicht geboten, wenn trotz Bewilligung des Freigangs weitere Störungen des Arbeitsverhältnisses zu befürchten sind.5
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Krankheitsbedingte Fehlzeiten sind i.d.R. nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung des erkrankten Arbeitnehmers zu rechtfertigen. Denn die bereits für die Rechtfertigung einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung geltenden strengen Anforderungen sind im Fall der außerordentlichen Kündigung noch zu verschärfen, so dass nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber unzumutbar i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB sein kann.6
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1 BAG v. 13.1.1977 – 2 AZR 423/75, AP Nr. 2 zu § 19 AFG. 2 BAG v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, AP Nr. 87 zu § 626 BGB; LAG Niedersachsen v. 27.5.2009 – 2 Sa 1261/08. 3 BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 805/96, RzK I 5h Nr. 41; v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB; v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, AP Nr. 87 zu § 626 BGB. 4 LAG Niedersachsen v. 27.5.2009 – 2 Sa 1261/08. 5 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB. 6 BAG v. 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, AP Nr. 159 zu § 626 BGB; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 753; ArbG Naumburg v. 6.9.2007 – 1 Ca 956/07; umgekehrte Formulierung bei BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 601/02, ZTR 2004, 536, 537; v. 13.5.2004 – 2 AZR 36/04, NZA 2004, 1271: „Krankheit ist nicht grundsätzlich als wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB ungeeignet.“
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Personenbedingte Kündigung
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Besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung, ist für ihn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist regelmäßig als zumutbar anzusehen, zumal – zumindest bei lang andauernden Erkrankungen – seine Entgeltfortzahlungspflicht nach 6 Wochen entfällt und sich seine wirtschaftliche Belastung demgemäß in Grenzen hält.1 Nur wenn für die Dauer einer längeren Kündigungsfrist weitere erhebliche Entgeltfortzahlungskosten zu prognostizieren sind und erhebliche, nur durch eine alsbaldige Neubesetzung des Arbeitsplatzes vermeidbare Betriebsablaufstörungen hinzutreten, soll nach der Rechtsprechung im Einzelfall ausnahmsweise eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen sein.2 Praktische Bedeutung dürfte dieser Fall allerdings kaum erlangen.
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Ansonsten kommt eine außerordentliche Kündigung wegen Krankheit lediglich dann in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist. Denn in diesem Fall kann – zumindest im Fall einer Dauererkrankung oder der Gefahr sich ständig wiederholender Kurzerkrankungen – die lange vertragliche Bindungsdauer aufgrund der tariflichen „Unkündbarkeit“ für den Arbeitgeber zu einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung und damit dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des betreffenden Arbeitnehmers nach § 626 Abs. 1 BGB anzunehmen ist.3 Um den Vorteil der ordentlichen Unkündbarkeit nicht in sein Gegenteil zu verkehren, ist allerdings dem tariflich besonders geschützten Arbeitnehmer, wenn bei unterstellter Kündbarkeit nur eine fristgerechte Kündigung zulässig wäre, grundsätzlich eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuräumen.4
70
" Praxistipp: Die auch bei der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündi-
71
So wird in einer bloßen Leistungsminderung des Arbeitnehmers im Allgemeinen kein Grund für eine außerordentliche Kündigung zu sehen sein, da der eingeschränkten Leistungsfähigkeit i.d.R. auch durch organisatorische Maßnahmen (Änderung des Arbeitsablaufs, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Umver-
gung erforderliche mehrstufige Prüfung (negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes; erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen; vorrangige mildere Mittel; Interessenabwägung) muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an die außerordentliche Kündigung zu stellen sind.5
1 BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit; v. 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Krankheit. 2 BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit. 3 BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99 – AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen; v. 18.1. 2001 – 2 AZR 616/99, AP Nr. 1 zu § 28 LPVG Niedersachsen; v. 27.11.2003 – 2 AZR 601/02, ZTR 2004, 536, 537 f. 4 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 605/00, AP Nr. 175 zu § 626 BGB; v. 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, AP Nr. 1 zu § 28 LPVG Niedersachsen; v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit; v. 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, AP Nr. 159 zu § 626 BGB; v. 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Krankheit. 5 BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, AP Nr. 1 zu § 28 LPVG Niedersachsen; v. 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, AP Nr. 159 zu § 626 BGB; v. 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, ZTR 2006, 338.
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Außerordentliche personenbedingte Beendigungskündigung
Rz. 72 Teil 3
teilung der Aufgaben) begegnet werden kann1, ggf. auch durch Ausspruch einer ordentlichen personenbedingten Änderungskündigung. Auch bei einmaligen Erkrankungen ohne Wiederholungsgefahr wird i.d.R. kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB anzunehmen sein.2 Ist dagegen aufgrund der Erkrankung eine sinnvolle Arbeitsleistung auf Dauer nicht mehr zu erwarten, stellt dies grds. einen wichtigen Grund dar, der die außerordentliche Kündigung des ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer rechtfertigt. Denn der Ausschluss (auch) der außerordentlichen Kündigung würde in derartigen Fällen dazu führen, dass der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer bis zum Erreichen des Pensionsalters (Geld-)Leistungen erbringen müsste, ohne dass von diesem noch eine brauchbare wirtschaftliche Gegenleistung zu erwarten wäre.3 Damit würden die Entgeltfortzahlungskosten Rentencharakter erhalten.4Dies wird dem Arbeitgeber jedoch i.d.R. nicht zuzumuten sein. Maßstab für die im Rahmen des § 626 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ist insofern die Dauer der tatsächlichen künftigen Vertragsbindung. Wenn z.B. der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer durch das zeitnahe Erreichen des Rentenalters aus dem Betrieb ausscheidet, soll eine Weiterbeschäftigung zumutbar sein.5 Die fiktive Kündigungsfrist scheidet demgegenüber als Prüfungskriterium aus, da für die Interessenabwägung nicht auf einen Zeitraum abgestellt werden kann, der wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung gar nicht relevant ist.6 Dem steht auch nicht etwa entgegen, dass der Arbeitgeber nach Ablauf des 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraumes in der Regel keinen Vergütungsansprüchen des Arbeitnehmers mehr ausgesetzt ist, da er nämlich nicht mehr in der Lage ist, dem Arbeitnehmer Arbeit zuzuweisen. Anderes gilt lediglich für den Fall des nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ordentlich nicht kündbaren Betriebsratsmitglieds. Da § 15 KSchG zugunsten der genannten betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger die (ordentlichen) Kündigungsmöglichkeiten nur für eine bestimmte Zeit einschränkt und ein Jahr nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betriebsrat der Arbeitgeber wieder die Möglichkeit hat, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung unter Einhaltung der vorgesehenen Kündigungsfrist zu beenden, ist hier die betriebliche Beeinträchtigung durch eine dauerhafte Erkrankung des Arbeitnehmers als weniger erheblich zu bewerten als dies bei einem zeitlich unbefristet geltenden tariflichen oder einzelvertraglichen Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit der Fall ist. Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist dementsprechend 1 BAG v. 12.7.1995 – 2 AZR 762/94, AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit. 2 Vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 301a. 3 BAG v. 12.7.1995 – 2 AZR 762/94, AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit; v. 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Krankheit. Nach LAG Köln v. 4.9.2002 – 7 Sa 415/02, NZA-RR 2003, 360 sowie v. 24.1.2007 – 7 Sa 1020/06 muss das nach der Zukunftsprognose zu erwartende Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung allerdings so krass sein, dass nur noch von einem „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnis gesprochen werden kann. 4 So BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, ZTR 2006, 338. 5 Vgl. LAG Hamm v. 26.2.2004 – LAGReport 2005, 11: Eintritt des Rentenalters in 26 Monaten. 6 BAG v. 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Krankheit; v. 14.11.1984 – 7 AZR 474/83, AP Nr. 83 zu § 626 BGB.
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Teil 3 Rz. 72a
Personenbedingte Kündigung
nicht auf die künftige Vertragsdauer abzustellen, sondern auf die (fiktive) Kündigungsfrist, die ohne den besonderen Kündigungsschutz bei einer ordentlichen Kündigung gelten würde.1 72a
Inwieweit Regelungen zur Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters unter Geltung des AGG wirksam sind, ist fraglich.2 Unkündbarkeitsregelungen können eine unzulässige Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer darstellen, da Arbeitnehmer, die einen entsprechenden tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Sonderkündigungsschutz haben, nicht in die nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmende Sozialauswahl einzubeziehen sind.3 Maßstab für die Wirksamkeit von Unkündbarkeitsregelungen ist die Generalklausel des § 10 Satz 1 und 2 AGG.4 Das bedeutet, dass die Regelung zum einen ein legitimes Ziel verfolgen und zum anderen erforderlich und unter Berücksichtigung der Interessen der jüngeren Arbeitnehmer angemessen sein muss. Als legitimes Ziel kommt insbesondere die Belohnung der Betriebstreue in Betracht. Problematisch sind daher vor allem Regelungen, die älteren Arbeitnehmern sehr schnell, das heißt auch im Falle kurzer Betriebszugehörigkeit, Schutz vor einer ordentlichen Kündigung gewähren.5 Folge einer unwirksamen Unkündbarkeitsregelung dürfte sein, dass sich der ältere Arbeitnehmer nicht mehr auf die Unkündbarkeitsregelung berufen kann, so dass eine ordentliche Kündigung möglich ist.6
III. Ordentliche personenbedingte Änderungskündigung 73
Vor Ausspruch einer Beendigungskündigung hat der Arbeitgeber aufgrund des im Kündigungsrecht geltenden Ultima-ratio-Grundsatzes stets zu prüfen, ob stattdessen nicht auch eine für den Arbeitnehmer weniger einschneidende ordentliche Änderungskündigung in Betracht kommt.7 So kann sich im Falle des personenbedingten Unvermögens, die vertraglich geschuldete Tätigkeit wie bisher zu erbringen, die Weiterbeschäftigung auf einem freien anderen Arbeitsplatz anbieten, auf dem sich die Leistungsbeeinträchtigung nicht auswirkt.8 Dabei muss einer den Arbeitnehmer weniger belastenden, zu keiner Vergütungsminderung führenden Änderungskündigung gegenüber einer mit einer Vergütungsminderung verbundenen Änderungskündigung der Vorrang gegeben werden, soweit dies möglich ist.9 Voraussetzung für eine Änderungskündigung ist, dass ein solcher Arbeitsplatz vorhanden ist und dass der betroffene Arbeit1 2 3 4
5 6 7 8 9
BAG v. 18.2.1993 – 2 AZR 526/92, AP Nr. 35 zu § 15 KSchG 1969. Vgl. hierzu Lingemann/Gotham, NZA 2007, 663 (665). Gaul/Neumann, ArbRB 2007, 15 (17); a.A. Rolfs, NZA 2008, Beilage 1, 8 (15). § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG, der den Ausschluss der Vergleichbarkeit von tarif- oder einzelvertraglich ordentlich kündbaren Arbeitnehmern beseitigen sollte, ist durch das Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze v. 2.12.2006 (BGBl. I 2006, 2742) zum 12.12.2006 wieder aufgehoben worden. Gaul/Neumann, ArbRB 2007, 15 (17); Lingemann/Gotham, NZA 2007, 663 (665). Gaul/Neumann, ArbRB 2007, 15 (17). BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969. KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 100 m.w.N. aus der Rechtsprechung. LAG Köln v. 4.11.2004 – 5 Sa 1301/03, LAGE § 2 KSchG Nr. 48.
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Ordentliche personenbedingte Änderungskündigung
Rz. 76 Teil 3
nehmer auf diesem sinnvoll eingesetzt werden kann.1 Der Arbeitgeber kann sich allerdings aufgrund des in § 162 BGB normierten Rechtsgedanken, nicht darauf berufen, dass zum Kündigungszeitpunkt keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestand, wenn er es zuvor unterlassen hat, dem Arbeitnehmer eine mögliche Weiterbeschäftigung, ggf. verbunden mit einer zumutbaren Umschulung, anzubieten.2
" Praxistipp: Die konkrete Überprüfung der Wirksamkeit einer personenbe-
74
In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob Tatsachen vorliegen, die eine Änderung der Arbeitsbedingungen aus personenbedingten Gründen i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt erscheinen lassen, ob also ein an sich geeigneter Kündigungsgrund besteht. Diesbezüglich gilt nichts anderes als im Rahmen der Beendigungskündigung auch: Erforderlich ist demnach, dass der Arbeitnehmer aufgrund in seiner Person liegender Gründe nicht (mehr) imstande ist, die vereinbarte Vertragsleistung zu erbringen und sich daraus erhebliche betriebliche und/oder wirtschaftliche Belastungen für den Arbeitgeber ergeben. Im zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob die vom Arbeitgeber aus Anlass des personenbedingten Grundes angebotenen neuen Arbeitsbedingungen vom Arbeitnehmer billigerweise hinzunehmen, diesem also zumutbar sind.4 Hier ist das Änderungsangebot in die Prüfung mit einzubeziehen und zu klären, ob unter Berücksichtigung des arbeitgeberseitigen Interesses an einer Beseitigung der durch die Leistungsmängel verursachten Beeinträchtigungen eine Weiterbeschäftigung ggf. auch zu dem Arbeitnehmer günstigeren Bedingungen möglich ist. Es ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, in der auch die im Rahmen der personenbedingten Beendigungskündigung maßgeblichen Kriterien (z.B. Dauer des Arbeitsverhältnisses, Lebensalter des Arbeitnehmers, etwaige Unterhaltspflichten etc.) zu berücksichtigen sind.5
75
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass das personenbedingte Änderungsangebot
76
dingten Änderungskündigung vollzieht sich – der Zweigliedrigkeit der Änderungskündigung entsprechend – in zwei Schritten3.
grds. nur auf eine andere Beschäftigung gerichtet sein kann.6 Sozial ungerechtfertigt ist das Angebot daher regelmäßig dann, wenn es nicht auf eine Änderung der Tätigkeit, sondern lediglich auf eine Herabsetzung des Arbeitsentgelts bei ansonsten gleicher Tätigkeit abzielt. Denn es würde zu einer Störung des Synallagma zwischen Arbeitsleistung und Entgeltzahlung
1 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 539/92, RzK I 5 g Nr. 53; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1281e. 2 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665; LAG Köln v. 4.11.2004 – 5 Sa 1301/03, LAGE § 2 KSchG Nr. 48. 3 BAG v. 17.6.1998 – 2 AZR 336/97, AP Nr. 49 zu § 2 KSchG 1969; v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969; v. 15.3.1991 – 2 AZR 591/90, EzA § 2 KSchG Nr. 17 (zur betriebsbedingten Änderungskündigung); v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 (Sicherheitsbedenken). 4 BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969; 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969; vgl. auch Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1270. 5 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 131. 6 Zutreffend v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 131.
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Teil 3 Rz. 77
Personenbedingte Kündigung
führen, wenn für die gleiche (sei es auch mangelhaft ausgeführte) Tätigkeit nur noch eine geminderte Vergütung erbracht würde.1 77
Eine personenbedingte Änderungskündigung kommt z.B. dann in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer, der aus gesundheitlichen Gründen seine vertraglich vereinbarte Tätigkeit nicht mehr fortsetzen kann, eine andere, leidensgerechte Einsatzmöglichkeit angeboten werden soll. So hat die Rechtsprechung etwa die im Wege der Änderungskündigung vorgenommene Umsetzung einer gegen Wollstoffe allergischen Näherin auf einen Arbeitsplatz im Küchenbereich als sozial gerechtfertigt angesehen.2
78
Auch in der Person des Arbeitnehmers begründete Sicherheitsbedenken sind prinzipiell geeignet, eine Änderungskündigung zu rechtfertigen, so wenn die Mitgliedschaft eines im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmers in einer verfassungsfeindlichen Partei Zweifel an seiner politischen Loyalität begründet und diese Zweifel im Hinblick auf den konkreten Arbeitsbereich des Arbeitnehmers oder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Dienstes die persönliche Eignung für die Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit entfallen lassen.3 Es kann in diesen Fällen erforderlich, aber auch zulässig sein, den Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen, an dem die genannten Sicherheitsbedenken nicht bestehen.
IV. Außerordentliche personenbedingte Änderungskündigung 79
Allgemein anerkannt ist, dass neben der unmittelbar in § 2 KSchG geregelten ordentlichen Änderungskündigung in entsprechender Anwendung der Vorschrift auch die außerordentliche Änderungskündigung zulässig ist.4 Der i.S.d. § 626 BGB wichtige Grund für die Änderung der Arbeitsbedingungen setzt dabei zunächst auf Seiten des Kündigenden voraus, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen für ihn unabweisbar notwendig und ihm außerdem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die neuen Bedingungen dem Gekündigten zumutbar sind. Beide Voraussetzungen müssen – entsprechend der bereits dargestellten Zweigliedrigkeit der Änderungskündigung (vgl. dazu Rz. 73 ff.) – kumulativ vorliegen, da nur dann die Änderungskündigung sozial gerechtfertigt ist.5 Für die Prüfung des Kündigungsgrundes an sich (Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses) gelten dabei die bereits im Zusammenhang mit der außerordentlichen Beendigungskündigung dargestellten Grundsätze (vgl. dazu Rz. 59 ff.), während sich die Zumutbarkeit der Änderungen für den Arbeitnehmer – nicht anders als bei der ordentlichen Änderungskündigung auch – danach beurteilt, ob 1 2 3 4
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1272; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 138. BAG v. 3.11.1977 – 2 AZR 277/76, AP Nr. 1 zu § 75 BPersVG. BAG v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken. BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969; v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; APS/Preis, Grundlagen E, Rz. 11; Stahlhacke/ Preis/Vossen, Rz. 594. 5 BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 31.
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Außerordentliche personenbedingte Änderungskündigung
Rz. 83 Teil 3
dieser die angebotenen geänderten Bedingungen unter Abwägung der gegenseitigen Interessen billigerweise hinzunehmen hat oder nicht (vgl. dazu Rz. 73 ff.).
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die außerordentliche Änderungskündi-
80
Einen eigenen Anwendungsbereich findet die außerordentliche Änderungskündigung vor allem in den Fällen, in denen die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung – insbesondere zu Gunsten von langjährig beschäftigten älteren Arbeitnehmern – tariflich oder einzelvertraglich ausgeschlossen wurde. Denn da mit dem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit grds. auch die unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ausgesprochene Änderungskündigung ausscheidet, kann der Arbeitgeber eine Änderung der Vertragsbedingungen in diesen Fällen lediglich über eine außerordentliche Änderungskündigung erreichen.2
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Bei der außerordentlichen Änderungskündigung tariflich unkündbarer Arbeitnehmer ist für die im Rahmen des § 626 BGB vorzunehmende Interessenabwägung, insbesondere für die Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen zuzumuten ist, entsprechend den bei der außerordentlichen Beendigungskündigung dargestellten Grundsätzen i.d.R. auf die Dauer der künftigen Vertragsbindung des ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers abzustellen. Die fiktive ordentliche Kündigungsfrist ist dagegen – abgesehen von dem Fall eines Kündigungsausschlusses nach § 15 KSchG3 – unmaßgeblich, da eine fristgerechte ordentliche Änderungskündigung in diesen Fällen ja gerade nicht möglich ist.
82
Wie bereits bei der außerordentlichen personenbedingten Beendigungskündigung tariflich unkündbarer Arbeitnehmer dargestellt, kann sich eine lange künftige Vertragsbindung sowohl zugunsten als auch zulasten des Arbeitnehmers auswirken, letzteres insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt ist und der Arbeitgeber damit rechnen muss, der Arbeitnehmer sei zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung auch für die weitere Dauer des Arbeitsvertrages nicht imstande.4 Der in diesem Fall aufgrund der erleichterten außerordentlichen Kündigungsmöglichkeit bestehende Wertungswiderspruch gegenüber den (nur) ordentlich kündbaren Arbeitnehmern wird dadurch kompensiert, dass auch für die außerordentliche Änderungskündigung tariflich nicht kündbarer Arbeitnehmer eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist.5
83
gung generell in der Praxis nur selten zum Tragen kommt, da die dafür erforderliche Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum regulären Kündigungstermin i.d.R. auch die Beschäftigung zu geänderten Bedingungen ausschließt.1
1 2 3 4 5
KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 30. Löwisch/Spinner, § 2 KSchG Rz. 98. BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969. Vgl. BAG v. 24.2.1993 – 2 AZR 469/92, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 144. BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 605/00, AP Nr. 175 zu § 626 BGB; v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969.
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Teil 3 Rz. 84
Personenbedingte Kündigung
B. Einzelne Kündigungsgründe in der Person des Arbeitnehmers 84
Es ist eine Vielzahl von in der Person des Arbeitnehmers liegenden „Gründen“ denkbar, die zu Störungen des Arbeitsverhältnisses führen können. Neben dem praktisch bedeutsamsten Kündigungsgrund der Krankheit kommen insbesondere Mängel in der persönlichen und fachlichen Eignung des Arbeitnehmers sowie mangelnde Arbeitsfähigkeit aufgrund Alter, Schwangerschaft oder Schwerbehinderung in Betracht. Im Folgenden sollen die in der Praxis relevanten Kündigungsgründe dargestellt und – soweit vorhanden – Besonderheiten im Hinblick auf die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Überprüfung der Sozialwidrigkeit der personenbedingten Kündigung1 herausgestellt werden.
I. Eignungsmängel 85
Fehlt dem Arbeitnehmer die fachliche oder persönliche Eignung zur Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit, liegt darin regelmäßig ein personenbedingter Kündigungsgrund.2
86
Voraussetzung ist stets, dass die fehlende Fähigkeit oder Eignung für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung von bestimmender Bedeutung ist und dass der Vertragszweck dadurch in erheblichem Umfang beeinträchtigt wird. Der Eignungsmangel ist also nicht abstrakt zu betrachten, sondern auf das konkrete Arbeitsverhältnis und die im Zusammenhang mit diesem geschuldete Arbeitsleistung zu beziehen.
87
" Praxistipp: Wirkt sich die fehlende Eignung des Arbeitnehmers als Störung
88
Die Abgrenzung der beiden Fallgruppen erfolgt danach, ob der Arbeitnehmer das Leistungsdefizit willentlich steuern, sein Verhalten also ändern kann. In diesem Fall kommt nur die im Regelfall eine vorherige Abmahnung erfordernde verhaltensbedingte Kündigung in Betracht.4 Eine personenbedingte Kündigung ist dagegen auszusprechen, wenn der Leistungsmangel nicht behebbar5, d.h. arbeitnehmerseitig nicht zu beeinflussen ist, bzw. wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung nicht kurzfristig erwerben kann.6 Ein solcher nicht behebbarer Dauerzustand liegt beispielsweise vor, wenn die Leistungsfähigkeit des Arbeit-
im Leistungsbereich aus, so ist zu unterscheiden, ob ein personenbedingter Kündigungsgrund oder ggf. eine verhaltensbedingte Kündigung wegen unzureichender Arbeitsleistung vorliegt.3
1 Zuletzt BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969. 2 BAG v. 15.8.1984 – 7 AZR 228/82, EzA § 1 KSchG Nr. 40; LAG Baden-Württemberg v. 22.4.1958 – IV Sa 110/57, BB 1958, 776; ArbG Krefeld v. 2.9.1958 – Ca 521/58, BB 1958, 1023; vgl. dazu Hunold, NZA 2000, 802 ff. 3 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 326. 4 Siehe dazu Teil 4 Rz. 264. 5 BAG v. 31.10.1984 – 7 AZR 232/83, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 16; v. 18.1.1980 – 7 AZR 75/78, § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 6 LAG Baden-Württemberg v. 22.4.1958 – IV Sa 110/57, BB 1958, 776.
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Eignungsmängel
Rz. 93 Teil 3
nehmers aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft beeinträchtigt ist oder wenn nicht behebbare veranlagungsbedingte Mängel auftreten, etwa Ansatzschwierigkeiten einer stellvertretenden 1. Hornistin, die sich im tonalen Bereich auswirken.1 Eine Abmahnung ist in solchen Fällen entbehrlich, da der Arbeitnehmer an seiner mangelnden Eignung nichts ändern kann.2 Gleichwohl empfiehlt es sich aus Arbeitgebersicht, vorsorglich eine Abmahnung auszusprechen, da in der Praxis die Fälle vertragswidriger Schlechtleistung und personenbedingter Eignungsmängel schwer zu unterscheiden sind.
" Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen der fachlichen
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Als personenbedingte Kündigungsgründe wegen Eignungsmangels kommen zum einen die fehlende fachliche Qualifikation des Arbeitnehmers, zum anderen seine persönliche Ungeeignetheit in Betracht.
90
oder persönlichen Eignung trägt der Arbeitgeber. Dieser muss konkrete, den Eignungsmangel begründende Tatsachen vortragen, um seiner prozessualen Mitwirkungspflicht zu genügen; der bloße Vortrag schlagwortartiger Werturteile reicht hierfür nicht aus.
1. Mangelnde persönliche Eignung Wird durch persönliche Ungeeignetheit des Arbeitnehmers, insbesondere durch bestimmte gesundheitliche oder charakterliche Umstände, dessen vertragsgemäße Leistung beeinträchtigt, kann dies grds. eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.3
91
Die wichtigsten Fälle der mangelnden persönlichen Eignung werden im Folgenden alphabetisch aufgeführt.
92
a) Arbeits-/Aufenthaltserlaubnis Durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.7.20044, das am 1.1.2005 in Kraft getreten ist, ist neben dem Aufenthaltsrecht auch das Recht der Ausländerbeschäftigung umfassend reformiert worden.5 Insbesondere wurden die §§ 285, 286 SGB III über die allgemeine Erteilung einer Arbeitserlaubnis bzw. Arbeitsberechtigung durch die Bundesagentur für Arbeit aufgehoben. Arbeitsgenehmigungen nach § 284 SGB III benötigen nur noch Staatsangehörige aus den zum 1.5.2004 der EU beigetretenen Staaten Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien, Slowakei sowie den 2006 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien.6 In den Aufnahmeverträgen wurde vereinbart, dass derartige die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkende Maßnahmen durch die alten EU-Staa1 LAG Brandenburg v. 21.3.1994 – 4 Sa 369/92, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 12. 2 BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 75/78, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 3 BAG v. 29.7.1976 – 3 AZR 50/75, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BGBl. I 2004, 1950. 5 Vgl. hierzu Marschner, DB 2005, 499. 6 Arbeitnehmer aus den ebenfalls zum 1.5.2004 beigetretenen Staaten Malta und Zypern haben direkt eine unbeschränkte Freizügigkeit erhalten.
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Teil 3 Rz. 94
Personenbedingte Kündigung
ten für maximal fünf Jahre eingeführt werden können. § 284 SGB III ist also zum 30.4.2009 für die 2004 beigetretenen Staaten ausgelaufen. 94
Für Staatsangehörige aus den alten EU-Mitgliedsstaaten ist das Freizügigkeitsgesetz/EU maßgeblich. Danach ist eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nicht mehr erforderlich. Das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht und die damit verbundene unbeschränkte Arbeitsberechtigung werden nur noch bescheinigt (§ 5 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU). Das Fehlen dieser Bescheinigung stellt somit keinen personenbedingten Kündigungsgrund dar.
95
Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten benötigen weiterhin Arbeitsgenehmigungen der Arbeitsagenturen. Nach § 284 Abs. 2, 3 SGB III können sie eine „befristete Arbeitserlaubnis-EU“ erhalten, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2–4 und 6 AufenthaltsG für die Zustimmung zur Aufenthaltserlaubnis „Beschäftigung“ vorliegen würden. Maßgeblich ist somit – wie für alle Nicht-EU-Ausländer – das zum 1.1.2005 eingeführte AufenthaltsG, das das AusländerG abgelöst hat. Es besteht also kein Rechtsanspruch auf Erteilung der Arbeitserlaubnis; sie soll jedoch vorrangig Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedsstaaten gegenüber Staatsangehörigen aus Drittstaaten erteilt werden (§ 39 Abs. 6 AufenthaltsG). Die Erteilung der unbefristeten Arbeitserlaubnis-EU richtet sich nach § 12a Arbeitsgenehmigungsverordnung, die durch das Gesetz über den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der EU-Erweiterung zum 1.5.2004 eingefügt worden ist.1 Danach wird, d.h. es besteht insoweit ein Rechtsanspruch, Staatsangehörigen der neuen EU-Staaten, eine „unbefristete Arbeitsberechtigung-EU“ erteilt, wenn sie am 1.5.2004 oder später für einen ununterbrochenen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten im Bundesgebiet zum Arbeitsmarkt zugelassen waren.
95a
Das Fehlen einer Arbeitsgenehmigung in Form der Arbeitserlaubnis oder -berechtigung oder das Erlöschen sowie die Nichterteilung einer neuen Arbeitsgenehmigung führen zwar nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages (§ 134 BGB); allerdings ergibt sich hieraus nach § 284 Abs. 1 Satz 1 SGB III ein Beschäftigungsverbot.2 Als ein in der Person des ausländischen Arbeitnehmers liegendes rechtliches Beschäftigungshindernis ist das Fehlen und das Erlöschen grundsätzlich geeignet, eine ordentliche Kündigung personenbedingt sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG erscheinen zu lassen.3
95b
Für Ausländer aus Drittstaaten bestimmt der Aufenthaltstitel nach dem AufenthaltsG, ob einer Beschäftigung nachgegangen werden kann. Es entscheidet somit nunmehr die Ausländerbehörde auch über Ausländerbeschäftigung. Die Bundesagentur ist im Rahmen eines verwaltungsinternen, mehrstufigen Verwaltungsverfahrens in der Regel mittelbar an der Entscheidung der Ausländerbehörde beteiligt, da sie der Erteilung der jeweiligen Aufenthaltstitel zustim1 BGBl. I 2004, 602. 2 BAG v. 13.1.1977 – 2 AZR 423/75, EzA § 19 AFG Nr. 2; v. 7.2.1990 – 2 AZR 359/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 8; LAG Berlin v. 26.11.2002 – 3 Sa 1530/02, MDR 2003, 514. 3 BAG 13.1.1977 – 2 AZR 423/75, EzA § 19 AFG Nr. 2; v. 7.2.1990 – 2 AZR 359/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 8.
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Eignungsmängel
Rz. 98 Teil 3
men muss. Das bislang zweispurige Verfahren (Ausländerbehörde und Bundesagentur) wurde somit bei den Ausländerbehörden konzentriert. Für bestimmte Berufs- und Personengruppen gelten Ausnahmen, die in der Beschäftigungsbzw. Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschV bzw. BeschVerfV) geregelt sind und wonach eine Zustimmung der Bundesagentur nicht erforderlich ist. Fehlt es bei Abschluss des Arbeitsvertrages an einem Aufenthaltstitel, der zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt, dürfte dies ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrags führen, sondern wie im Fall des § 284 SGB III ebenfalls zu einem Beschäftigungsverbot führen, das eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Soweit über die Versagung der Arbeitsgenehmigung oder des Aufenthaltstitels eine rechtskräftige Entscheidung noch nicht vorliegt, wird die Kündigung freilich nur dann sozial gerechtfertigt sein können, wenn dem Arbeitgeber im konkreten Fall ein Abwarten auf den Ausgang des Verfahrens nicht zumutbar ist. Insoweit sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sowie die voraussichtliche Dauer des Verfahrens zu berücksichtigen. Weiterhin ist darauf abzustellen, ob dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, eventuell auftretende Betriebsablaufsstörungen zu überbrücken.1
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Verschweigt der ausländische Arbeitnehmer, dass seine Arbeitsgenehmigung bzw. seine sich aus dem Aufenthaltstitel ergebende Beschäftigungserlaubnis entfallen ist, so dürfte ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, der für den Arbeitgeber zur außerordentlichen fristlosen Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses wegen erheblicher Verletzung der arbeitsvertraglichen Treuepflicht durch vorsätzliche und arglistige Täuschung führt.2 Anders liegt es allerdings in dem Fall des „bloßen“ Fehlens der Arbeitsgenehmigung. Da es dem Arbeitgeber regelmäßig zuzumuten ist, den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten, weil er wegen des Beschäftigungsverbotes trotz Ablehnung einer eventuell angebotenen Arbeitsleistung durch den ausländischen Arbeitnehmer nicht in Annahmeverzug gerät, ist eine außerordentliche Kündigung wegen Fehlens der Arbeitsgenehmigung rechtsunwirksam.
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Jüngst hat das BAG auch eine personenbedingte Kündigung für zulässig erachtet, wenn für den Arbeitnehmer ein Beschäftigungsverbot besteht.3 b) Ausländischer Wehrdienst Hat ein Arbeitnehmer im Ausland einen längeren Wehrdienst zu leisten, stellt dies grundsätzlich einen personenbedingten Kündigungsgrund dar, da der Wehr1 BAG v. 7.2.1990 – 2 AZR 359/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 8; LAG Hamm v. 9.2.1999 – 6 Sa 1700/98, FA 1999, 306; ebenso v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 1 KSchG, Rz. 309. 2 Zutreffend LAG Nürnberg v. 21.9.1994 – 3 Sa 1176/93, LAGE § 626 BGB Nr. 81. 3 BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 211/04, AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung: Austrägerin einer Sonntagszeitung, die zugleich im Rahmen eines anderen Arbeitsverhältnisses an 6 Werktagen pro Woche Tageszeitungen austrägt; rechtliches Beschäftigungshindernis wegen Unmöglichkeit der Gewährung eines Ersatzruhetages gem. § 11 Abs. 3 ArbZG.
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Personenbedingte Kündigung
dienst primär von der Staatsangehörigkeit und somit von einer persönlichen Eigenschaft des Arbeitnehmers abhängt. Für EG-Angehörige gilt jedoch das Arbeitsplatzschutzgesetz entsprechend.1 99
Sozial gerechtfertigt ist die Kündigung wegen der Ableistung des Wehrdienstes im Ausland nur dann, wenn die Fehlzeit des Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führt und der Ausfall nicht durch zumutbare Maßnahmen zu überbrücken ist.2 Der ausländische Arbeitnehmer kann für die Dauer des zwölfmonatigen Wehrdienstes sich nicht auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen. Ein solches Recht besteht nur für den abgekürzten Wehrdienst von zwei Monaten. c) Ehrenamt
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Übernimmt der Arbeitnehmer ein öffentliches Ehrenamt, so ist die damit verbundene Arbeitsversäumnis grundsätzlich nicht geeignet, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen.3 Im Übrigen gilt für viele politische Mandatsträger nach Landesrecht ein absoluter Kündigungsschutz.4 Art. 48 Abs. 2 Satz 2 GG sieht schließlich für Abgeordnete des Bundestages vor, dass eine Kündigung oder Entlassung aufgrund des politischen Mandates unzulässig ist.
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Zum Teil sind Arbeitnehmer aber auch gesetzlich gehalten, bestimmte Ehrenämter zu übernehmen, etwa durch Art. 121 der Bayerischen Verfassung, der die Verpflichtung zur Übernahme von Ehrenämtern (z.B. als Vormund, Schöffe oder Geschworener) ausdrücklich vorschreibt. Aber auch, wenn eine solche Verpflichtung nicht besteht, gebietet es das Maßregelungsverbot des § 612a BGB den Arbeitnehmer wegen der Übernahme eines Ehrenamtes jedenfalls nicht durch eine Kündigung zu benachteiligen.5 Soweit der Arbeitnehmer zur Wahrnehmung seines politischen Mandates dem Arbeitsplatz fernbleiben muss, hat ihn der Arbeitgeber von seiner Arbeitspflicht freizustellen.
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Die Wahrnehmung von Ehrenämtern im karitativen, künstlerischen, religiösen oder sportlichen Bereich stellt grundsätzlich ebenfalls keinen Kündigungsgrund dar. Lediglich wenn durch die Übernahme eines solchen Ehrenamtes das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, kann eine Kündigung in Betracht kommen.6 Dies ist z.B. dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit Tätigkeiten für private Zwecke verrichtet, selbst, wenn diese mit gesellschaftlichem oder kommunalpolitischem Engagement in Zusammenhang stehen (im konkreten Fall hatte der Arbeitnehmer Angelegenheiten des 1 BAG v. 5.12.1969 – 5 AZR 215/68, EzA § 6 ArbPlSchG Nr. 1; ebenso: v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 459 f. 2 BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 3. 3 So LAG Düsseldorf v. 7.1.1966 – 4 Sa 605/65, BB 1966, 288 für den Fall eines politischen Mandatsträgers, der wegen Teilnahme an Sitzungen politischer Gremien seiner Arbeit ferngeblieben war. 4 Z.B. § 44 Abs. 1 Satz 3 GO NRW, § 39 Abs. 2 Satz 2 GO Nds., § 18a Abs. 2 GemO Rheinland-Pfalz. 5 KDZ/Kittner/Deinert, § 1 KSchG Rz. 132. 6 ArbG Passau v. 16.1.1992 – 4 Ca 654/91, BB 1992, 567; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 240; HaKo-KSchR/Gallner, § 1 KSchG Rz. 519; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 302.
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Rz. 106 Teil 3
Sportvereins, des Elternbeirates und des Gemeinderates erledigt).1 Hier wird man jedoch eine vorherige Abmahnung für erforderlich erachten müssen, nach der allein eine verhaltens-, nicht personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt erscheint. d) Familiäre Verhältnisse aa) Eheschließung Eheschließung allein stellt nach ganz überwiegender, zutreffender Auffassung grds. keinen Grund für eine personenbedingte Kündigung dar, nicht zuletzt, da ein derartiges Kündigungsrecht dem in Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz von Ehe und Familie widersprechen würde.2 Aus diesem Grunde kann eine sog. Zölibatsklausel, die für den Fall der Verheiratung die Möglichkeit der Kündigung vorsieht, nicht wirksam vereinbart werden.3 Sie ist wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1, Art. 1, 2 GG nichtig.
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Anders verhält es sich, wenn ein bei einer kirchlichen Institution beschäftigter Arbeitnehmer durch die Eheschließung gegen fundamentale Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre oder gegen Bestimmungen des kirchlichen Rechts verstößt.
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Zwar sind die Kirchen grundsätzlich an die allgemeinen Vorschriften des Arbeitsrechts, also auch des Kündigungsrechts, gebunden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG4 haben die Kirchen jedoch aufgrund ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV) das Recht, festzulegen, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können und wann ein Verstoß gegen spezifisch kirchliche Aufgaben oder wesentliche Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre vorliegt, der dann ggf. zu einer personenbedingten Kündigung führen kann.5 Deshalb tritt insoweit das kircheneigene Arbeitsrecht neben das staatliche Arbeitsrecht.
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In Bezug auf die eigentliche Heirat müssen somit weitere Umstände hinzukommen, die die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für den kirchlichen Arbeitgeber als unzumutbar erscheinen lassen. Dies ist etwa bei einer katholischen Leiterin eines katholischen Pfarrkindergartens der Fall, die einen geschiedenen Mann heiratet.6 Begründet wird dies zu Recht mit dem spezifischen Näheverhältnis der kirchlichen Arbeitnehmerin zu der von der betreffenden kirchlichen Institution wahrzunehmenden Aufgabe.7 Fehlt es deshalb bei der Ausübung der Be-
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1 ArbG Passau v. 16.1.1992 – 4 Ca 654/91, BB 1992, 567. 2 So bereits BAG v. 10.5.1957 – 1 AZR 249/56, AP Nr. 1 zu Art. 6 GG Ehe und Familie; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 324. 3 BAG v. 10.5.1957 – 1 AZR 249/56, AP Nr. 1 zu Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 324. 4 BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703/83, AP Nr. 24 zu Art. 140 GG. 5 Vgl. ausführlich: Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 90 ff.; ebenso Mummenhoff, NZA 1990, 585, 586 f. 6 BAG v. 4.3.1980 – 1 AZR 125/78, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 8; vgl. auch BAG v. 31.10.1984 – 7 AZR 232/83, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 16. 7 BAG v. 25.4.1978 – 1 AZR 30/81, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 4.
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Teil 3 Rz. 107
Personenbedingte Kündigung
rufstätigkeit an einer derartigen Nähe zur kirchlichen Aufgabe, wie dies bei Schreibkräften, Reinigungs- oder Küchenpersonal, Handwerkern und Fahrern der Fall ist, so stellt eine nach Kirchenrecht unwirksame Eheschließung grundsätzlich keinen personenbedingten Kündigungsgrund dar.1 107
" Praxistipp: Generell ist in Fällen der Tangierung von Kirchenrecht vor jeder
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Das BAG hat dementsprechend eine personenbedingte Kündigung aufgrund Heirat in den weiteren nachfolgenden Fällen als begründet angesehen:
personenbedingten Kündigung eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in der das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirche2 einerseits gegenüber den Grundrechten des Arbeitnehmers aus Art. 1, 2, 6 Abs. 1 GG andererseits abzuwägen ist.3
– standesamtliche Eheschließung der Leiterin eines katholischen Pfarrkindergartens mit einem nicht laisierten katholischen Priester;4 – Wiederverheiratung einer geschiedenen katholischen Arbeitnehmerin, die in einer Caritas-Geschäftsstelle unmittelbar karitative Aufgaben wahrnimmt, zu Lebzeiten ihres ersten Ehemannes;5 – standesamtliche Eheschließung einer an einem katholischen Missionsgymnasium beschäftigten katholischen Lehrerin mit einem geschiedenen Mann.6 bb) Ehescheidung 109
Auch die Ehescheidung als solche stellt allein keinen personenbedingten Kündigungsgrund dar. Selbst im kirchlichen Bereich ist die Ehescheidung nur in Ausnahmefällen geeignet, eine personenbedingte Kündigung zu begründen, wenn es sich um Mitarbeiter handelt, die in einem spezifischen Näheverhältnis zu der von der jeweiligen kirchlichen Institution wahrzunehmenden Aufgabe stehen.7
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Das BAG hat insoweit den Ehebruch des Leiters einer Mormonenkirchengemeinde als Grund für eine außerordentliche Kündigung herangezogen. Mit dem Ehebruch verstoße der Arbeitnehmer gegen die Verpflichtung, die hohen moralischen Grundsätze der Mormonenkirche einzuhalten und jedwedes Verhalten zu unterlassen, das diese Grundsätze in Frage stellen könne. Ein wesentlicher Grundsatz im Glauben der Mormonen sei die absolute Treue zum Ehepartner. Ehebruch sei das schwerste Vergehen nach Mord. Diese strengen Vorgaben der Religionsgemeinschaft trügen den anerkannten Maßstäben der verfassten Kirchen Rechnung und stünden nicht in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung, weil der Ehe in den verfassten Kirchen sowie den 1 BAG v. 14.10.1980 – 1 AZR 1274/79, AP Nr. 7 zu Art. 140 GG; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 12.9.1991 – 4 Sa 72/91, LAGE § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 6. 2 BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703/83, EzA § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer. 3 BAG v. 4.3.1980 – 1 AZR 125/78, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 8. 4 BAG v. 4.3.1980 – 1 AZR 125/78, AP Nr. 3 zu Art. 140 GG. 5 BAG v. 14.10.1980 – 1 AZR 1274/79, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 10. 6 BAG v. 31.10.1984 – 7 AZR 232/83, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 16. 7 Vgl. dazu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 299 m.w.N.
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Eignungsmängel
Rz. 114 Teil 3
Weltregionen ebenso eine hervorgehobene Bedeutung zukomme. Das kirchliche Verständnis der Ehe habe auch in Art. 6 Abs. 1 GG seinen Niederschlag gefunden; dass dies in der gelebten Praxis auch anders gesehen werde, spiele keine Rolle.1 Diese Grundsätze haben auch Anwendung auf die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern der katholischen Kirche zu finden.2 Ohne Belang ist insoweit, dass der Ehebruch nach der Neufassung des codex iuris canonici im Jahre 1983 nicht länger als Verbrechen gewertet wird. Das kanonische Recht nennt nämlich als Wesenseigenschaft der Ehe nach wie vor ihre Unauflöslichkeit (can. 1056 cic) sowie ihre lebenslange und ausschließliche Natur (can. 1134 cic).
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Besteht zwischen Eheleuten ein sog. Ehegattenarbeitsverhältnis, so muss sich das Scheitern bzw. die Zerrüttung der Ehe nicht zwingend auch auf das Arbeitsverhältnis auswirken.3
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Eine auf dem Scheitern/der Zerrüttung der Ehe beruhende personenbedingte Kündigung ist vielmehr nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die ehelichen Auseinandersetzungen nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles dergestalt auf das Arbeitsverhältnis auswirken, dass der Arbeitgeber nachvollziehbare Gründe zu der Annahme hat, der Arbeitnehmer werde seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mit der geschuldeten Sorgfalt und Loyalität erfüllen bzw. es werde im Arbeitsverhältnis zu ehelichen Streitigkeiten und damit zu einer Störung des Betriebsfriedens kommen. Ohne konkrete nachteilige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ist die Zerrüttung bzw. das Scheitern der Ehe für die Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung ohne Aussagekraft.4 Die Tatsache allein, dass die Ehe von Personen, die zugleich Vertragspartner eines Arbeitsverhältnisses sind, zerrüttet ist, vermag die personenbedingte Kündigung des als Arbeitnehmer tätigen Ehepartners regelmäßig nicht zu rechtfertigen.5
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cc) Familiäre Verpflichtungen Auch familiäre Verpflichtungen allein stellen noch keinen personenbedingten Kündigungsgrund dar.6 Erst wenn sie zu einer konkreten Beeinträchtigung arbeitsvertraglicher Pflichten führen, so wenn der Arbeitnehmer sich ständig verspätet oder mangelhafte Leistungen erbringt (= verhaltensbedingte Kündigung) bzw. wenn es ihm aufgrund familiärer Verpflichtungen nicht mehr möglich ist, die für ihn geltende Arbeitszeit einzuhalten7 (= personenbedingte Kündigung), 1 So BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 268/96, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Kirchendienst. 2 BAG v. 16.9.1999 – 2 AZR 712/98, AP Nr. 1 zu Art. 4 GrO kath. Kirche. 3 BAG v. 9.2.1995 – 2 AZR 389/94, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 12; für die Kündigung in einem Kleinbetrieb vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 9.5.2008 – 6 Sa 598/08. 4 BAG v. 9.2.1995 – 2 AZR 389/94, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 12. 5 LAG Köln v. 28.11.2002 – 5 Sa 566/02, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 18. 6 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 313. 7 ArbG Koblenz v. 22.1.1975 – 4 Ca 1674/74, BB 1975, 788.
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Teil 3 Rz. 115
Personenbedingte Kündigung
kann eine Kündigung in Betracht kommen. Kann der Arbeitnehmer allerdings seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen, weil er einen behinderten Familienangehörigen betreuen muss, kann eine hierauf gestützte Kündigung gegen die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstoßen. Nach Auffassung des EuGH schützt die Richtlinie Menschen, die zwar selbst keine Behinderung haben, aber wegen ihrer Verbindung zu einem Menschen mit Behinderung im Bereich der Beschäftigung oder Beruf eine unmittelbare Diskriminierung und/oder Belästigung erfahren.1 Des Weiteren ist zu bedenken, dass Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten nach dem zum 1.7.2008 in Kraft getretenen PflegeZG zur Pflege pflegebedürftiger Angehöriger für die Dauer von bis zu sechs Monaten Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit haben (§ 4 PflegeZG). Bei akut auftretenden Pflegesituationen haben Beschäftigte zudem das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fern zu bleiben, um für einen nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder die sofortige pflegerische Versorgung des betroffenen Angehörigen sicherzustellen (§ 2 PflegeZG). e) Gefährdung von Betriebs-/Geschäftsgeheimnissen 115
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung wegen Gefährdung von Betriebsgeheimnissen ist insbesondere die Stellung des von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmers im Betrieb sowie die „Sensibilität“ des von diesem wahrgenommenen Aufgabenbereichs von Bedeutung. Je bedeutender die Funktion des Arbeitnehmers im Betrieb ist und je sensibler die Vorgänge sind, mit denen er befasst ist, um so eher ist die Gefahr der Weitergabe von Betriebsgeheimnissen zu bejahen.2 Ein Arbeitnehmer, der im Beschäftigungsbetrieb eine leitende Position einnimmt und regelmäßig mit sicherheitsrelevanten Vorgängen befasst ist, wird danach eher eine personenbedingte Kündigung wegen Geheimnisgefährdung in Kauf nehmen müssen als etwa ein Arbeitnehmer, der lediglich Hilfsarbeiten zu erledigen hat und schon von der Art seiner Tätigkeit mit Betriebsgeheimnissen erst gar nicht in Kontakt kommt.3
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Hat ein Arbeitnehmer in Vertrauensstellung enge verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen zu Mitarbeitern eines Konkurrenzunternehmens, so kann dies allein seine persönliche Ungeeignetheit für die geschuldete Arbeitsleitung nicht begründen und damit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sein, aus denen sich die begründete Gefahr ergibt, der Arbeitnehmer könnte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verraten.4 1 Urt. v. 17.7.2008 – Rs. Rs. C-303/06 (Coleman). 2 LAG Hamm v. 29.1.1997 – 14 Sa 1862/96, NZA 1999, 656; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 316. 3 LAG Hamm v. 29.1.1997 – 14 Sa 1862/96, NZA 1999, 656. 4 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 68/95, EzA zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 13; LAG Baden-Württemberg v. 31.10.1967 – 4 Sa 66/67, DB 1968, 359; LAG Hamburg v. 27.3.1969 – 2 Sa 17/69, BB 1970, 1096; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 316.
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Eignungsmängel
Rz. 121 Teil 3
So ist die Lebensgemeinschaft einer Arbeitnehmerin mit einem Kollegen, der zu einem Konkurrenzunternehmern in leitender Stellung wechselt, allein noch kein in der Person der verbleibenden Arbeitnehmerin liegender Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses1, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten, die im Einzelfall einen Geheimnisverrat befürchten lassen.
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Zum Verrat von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen muss es nicht tatsächlich gekommen sein. Hat ein Arbeitnehmer Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse bereits an ein Konkurrenzunternehmen weitergegeben, kommt dann anstelle der personenbedingten eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen in Betracht.2
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f) Geschlechtsumwandlung/Transsexualität Nach Auffassung des LAG Berlin soll eine personenbedingte Kündigung wegen vollzogener Geschlechtsumwandlung gerechtfertigt sein, wenn die fehlende persönliche Eignung des Arbeitnehmers nicht mehr steuerbar ist, weil er eine betriebsbeeinträchtigende Persönlichkeitsveränderung hat vornehmen lassen.3 Eine solche Kündigung dürfte allerdings bei zutreffender Betrachtungsweise einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen darstellen und deshalb unwirksam sein.4
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g) Gewissensentscheidung Verweigert der Arbeitnehmer die ihm zugewiesene Arbeitsleistung unter Berufung auf Gewissensgründe, so ist der Arbeitgeber grds. gehalten, dies zu respektieren und sein Direktionsrecht unter Berücksichtigung billigen Ermessens dergestalt auszuüben, dass der Arbeitnehmer nicht mit Aufgaben betraut wird, die seiner Gewissensentscheidung widersprechen. Das damit umschriebene Verbot einer Beschäftigung des Arbeitnehmers entgegen seiner moralischen Überzeugung kann einen personenbedingten Kündigungsgrund darstellen, wenn eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den betreffenden Arbeitnehmer nicht in Betracht kommt und deshalb mit einem dauerhaften Ungleichgewicht zwischen Arbeitsleistung und Vergütung zu rechnen ist.5
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Der Begriff der Gewissensentscheidung ist dabei nicht nach objektiven Kriterien wie „richtig“ oder „falsch“ zu ermitteln, vielmehr ist von einem subjekti-
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1 LAG Hamm v. 29.1.1997 – 14 Sa 1862/96, NZA 1999, 656. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 295, 494; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 316. 3 LAG Berlin v. 21.1.1980 – 9 Sa 80/79, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 1. 4 EuGH v. 30.4.1996 – Rs. C-13/94, EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 39. 5 BAG v. 24.5.1989 – 2 AZR 285/88, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit mit zust. Anm. von Kraft; LAG Hamm v. 8.11.2007 – 15 Sa 271/07 zur Kündigung wegen Verweigerung von Sonntagsarbeit aus religiösen Gründen; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 165; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 314; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 328.
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Teil 3 Rz. 122
Personenbedingte Kündigung
ven Gewissensbegriff auszugehen.1 Gewissen ist mithin ein real erfahrbares seelisches Phänomen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar offensichtliche Gebote unbedingten Sollens darstellen. Jede ernste sittliche, an den Kategorien von „gut“ und „böse“ angelehnte Entscheidung, die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln kann, ist danach als Gewissensentscheidung anzusehen.2 122
Wenn sich ein Arbeitnehmer demnach durch eine von ihm getroffene Gewissensentscheidung in seiner Einsatzmöglichkeit im Betrieb des Arbeitgebers konkret beeinträchtigt fühlt, so ist im Rahmen der Interessenabwägung festzustellen, ob der Arbeitnehmer nicht im Rahmen der vereinbarten oder aber geänderten Arbeitsbedingungen weiter beschäftigt werden kann. Entscheidungserhebliche Kriterien sind dabei die Vorhersehbarkeit und die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung einer vergleichbaren Gewissensnot sowie dringende betriebliche Erfordernisse auf Arbeitgeberseite.3
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Voraussetzung für eine personenbedingte Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen ist allerdings, dass die Weigerung berechtigt war. Der Arbeitnehmer muss dazu dem Arbeitgeber gegenüber im Einzelnen ausführen, weshalb es ihm aus Gewissensgründen nicht zumutbar ist, die im zugewiesene und nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen. Es muss erkennbar sein, dass es sich um eine ernsthafte, auf Gewissensnöten des Arbeitnehmers beruhende Entscheidung handelt.4
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Das Fehlen einer entsprechenden Darlegung der Gewissensentscheidung durch den Arbeitnehmer führt dazu, dass diesem kein Recht zur Ablehnung der ihm zugewiesenen Arbeit zusteht. Weigert sich der Arbeitnehmer dennoch, die geschuldete Leistung zu erbringen, ist – ggf. nach entsprechender Abmahnung – an den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung wegen unberechtigter Leistungsverweigerung zu denken.5 Eine personenbedingte Kündigung kommt in diesem Falle nicht in Betracht.
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" Praxistipp: An einem Recht zur Leistungsverweigerung fehlt es auch dann,
wenn der Arbeitnehmer bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages damit rechnen musste, Tätigkeiten zugewiesen zu bekommen, die mit seinem Gewissen nicht vereinbar sind. So kann sich der Arbeitnehmer, der arbeitsvertragliche Verpflichtungen mit dem Inhaber eines Rüstungsbetriebs begründet, nicht nachträglich darauf berufen, er könne aus Gewissensgründen
1 BAG v. 20.12.1984 – 2 AZR 317/86, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 24.5. 1989 – 2 AZR 285/88, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit; MünchArbR/Vossen, § 40 Rz. 403; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 329 m.w.N. 2 Vgl. zum Begriff des Gewissens: Denninger/Hohn, AG 1989, 145 ff.; Derleder, AuR 1991, 193 ff. 3 LAG Düsseldorf v. 7.8.1992 – 9 Sa 794/92, NZA 1993, 411; BAG v. 24.5.1989 – 2 AZR 285/88, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit. 4 BAG v. 24.5.1989 – 2 AZR 285/88, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit; v. 20.12. 1984 – 2 AZR 317/86, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht mit krit. Anm. von Brox. 5 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 333.
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Eignungsmängel
Rz. 127 Teil 3
keine der Rüstung dienenden Tätigkeiten wahrnehmen.1 Die darauf gestützte Leistungsverweigerung ist unzulässig und berechtigt den Arbeitgeber regelmäßig zu einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.2 Nicht gerechtfertigt ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG die personenbedingte Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus, die bei Ausübung ihrer Tätigkeit ein islamisches Kopftuch trägt.3 So kann zwar eine Arbeitnehmerin auf Grund von fundamentalen, unüberwindbaren Glaubenshindernissen ihre Fähigkeit und Eignung verlieren, die unmittelbar vertraglich geschuldete Arbeitsleistung überhaupt zu erbringen. Im vorliegenden Fall ist die Arbeitnehmerin jedoch – anders als etwa eine Lehrerin an einer Grundoder Hauptschule im Beamten- oder Angestelltenverhältnis auf Grund der Besonderheiten des öffentlichen Dienstrechts, der jeweiligen Landesschulgesetze4 und des Art. 33 Abs. 2 GG5 – trotz Tragens des Kopftuchs in der Lage, ihre vertraglich geschuldete Leistung als Verkäuferin ordnungsgemäß zu erfüllen, so dass ein personenbedingter Grund nicht vorliegt. Auch eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Missachtung einer entsprechenden Weisung des Arbeitgebers kommt wegen des über § 315 BGB zu beachtenden Grundrechtsschutzes der Arbeitnehmerin aus Art. 4 GG nicht in Betracht.6 Etwas anderes gilt aufgrund landesrechtlicher Spezialreglungen (z.B. § 57 Abs. 1 SchulG NRW) für angestellte Lehrerinnen: Der Arbeitgeber kann Lehrerinnen im Rahmen seines Direktionsrechts anweisen, das Tragen von Kopftüchern als religiöse Bekundung zu unterlassen.7 Ein Verstoß gegen § 7 AGG liegt nicht vor.
126
h) Mitgliedschaft in einer Scientology-Organisation Auch die Mitgliedschaft in einer Scientology-Organisation kann eine personenbedingte Kündigung wegen charakterlicher Eignungsmängel begründen, allerdings nur sofern die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers die Gefahr in sich birgt, dass er Personen, die er psychologisch zu betreuen hat, einseitig mit den Ideen der Scientology-Organisation beeinflusst. Entsprechend hat das LAG Berlin im Fall einer Angestellten, die für die Betreuung und psychologische Beratung von Menschen in akuten Krisensituationen zuständig ist und hierbei aktiv für die Scientology-Organisation tätig wird, eine personenbedingte Kündigung für gerechtfertigt gehalten.8 1 BAG v. 20.12.1984 – 2 AZR 317/86, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht. 2 So auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 316. 3 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 Vgl. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW. 5 Vgl. hierzu BVerwG v. 4.7.2002 – 2 C 21/01, AuA 2002, 374. 6 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; vgl. auch ArbG Köln v. 6.3.2008 – 19 Ca 7222/02 zur Kündigung einer muslimischen Krankenschwester wegen Tragens eines Kopftuchs in einem kirchlichen Krankenhaus. 7 Vgl. LAG Düsseldorf v. 10.4.2008 – 5 Sa 1836/07; ArbG Herne v. 7.3.2007 – 4 Ca 3415/06. 8 LAG Berlin v. 11.6.1997 – 13 Sa 19/97, LAGE § 626 BGB Nr. 112; ebenso APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 262; vgl. zur Werbung für Scientology: LAG Rheinland-Pfalz v. 12.7.1995 – 9 Sa 890/93; Bauer/Baeck/Merten, DB 1997, 2534; APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 261.
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127
Teil 3 Rz. 128
Personenbedingte Kündigung
i) Sicherheitsrisiko 128
Auch Sicherheitsbedenken können einen kündigungsrelevanten Eignungsmangel des Arbeitnehmers begründen, insbesondere, wenn es sich um einen Betrieb mit erhöhtem Sicherheitsrisiko handelt, z.B. Betriebe der Rüstungs- oder Pharmaindustrie oder Energieversorgungsunternehmen. Voraussetzung ist aber auch hier das Vorliegen von vom Arbeitgeber darzulegenden und ggf. zu beweisenden konkreten Tatsachen, die eine Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen nahelegen. Die bloße Erklärung einer Dienststelle, dass Sicherheitsbedenken bestünden, reicht hingegen nicht aus, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen.1
129
So hat das BAG im Fall eines bei der Bundespost beschäftigten Fernmeldehandwerkers, der Mitglied bei der DKP war, entschieden, dass Sicherheitsbedenken, die sich aus der vom Arbeitgeber vermuteten fehlenden Verfassungstreue ergeben sollen, von diesem unter Berücksichtigung der einem Fernmeldehandwerker obliegenden politischen Treuepflicht bezogen auf sein Tätigkeitsgebiet und den behördlichen Aufgabenbereich konkret unter Anführung greifbarer Tatsachen darzulegen sind.2
130
Derartige auf konkrete Tatsachen gestützte Sicherheitsbedenken sollen beispielsweise anzunehmen sein, wenn eine im Bundesverteidigungsministerium beschäftigte Schreibkraft hohen finanziellen Belastungen ausgesetzt ist, die auf mehrere im Vermögensbereich liegende, rechtskräftig abgeurteilte Straftaten zurückgehen und die auf längere Sicht ratenweise zu tilgen sind.3
131
Eine Kündigung wegen Sicherheitsbedenken kommt auch dann in Betracht, wenn im Rahmen einer regelmäßig durchgeführten Sicherheitsüberprüfung festgestellt wird, dass ein bei einer Fluggesellschaft beschäftigter Flugzeugmechaniker vorbestraft ist und deshalb die in § 29d LuftVG vorausgesetzte persönliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, die für den Besitz einer Zutrittsberechtigung zu den nicht allgemein zugänglichen bzw. sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen des Flughafens erforderlich ist und die zwischen den Parteien als Voraussetzung für das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer für seine Tätigkeit auf den Zutritt zu diesen Bereichen angewiesen ist und ein Einsatz in sicherheitsunempfindlichen Bereichen nicht möglich ist. Mit dem Entzug der Zutrittsberechtigung durch die zuständige Luftfahrtbehörde fehlt dem Arbeitnehmer zugleich die für die Ausübung seiner Tätigkeit erforderliche behördliche Erlaubnis, so dass – vorbehaltlich der negativen Prüfung einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit – die personenbedingte Kündigung bereits wegen rechtlicher Unmöglichkeit der geschuldeten Arbeitsleistung gerechtfertigt ist.
132
Allein in der Tatsache, dass ein Angestellter eines Versorgungsunternehmens enge persönliche Beziehungen zu der Schwester einer RAF-Terroristin unter1 BAG v. 26.10.1978 – 2 AZR 24/77, NJW 1979, 2063; v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, EzA § 2 KSchG Nr. 11. 2 BAG v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, EzA § 2 KSchG Nr. 11. 3 LAG Köln v. 9.5.1996 – 10 Sa 22/96, ZTR 1997, 188.
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Eignungsmängel
Rz. 132a Teil 3
hält, die im „Komitee gegen Folter in der BRD“ auch selbst politische Aktivitäten entfaltet hat, soll dagegen keine Beeinträchtigung von betrieblichen Sicherheitsinteressen zu sehen sein.1 j) Sprachliche Defizite Auch fehlende Sprachkenntnisse können einen Mangel der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers darstellen. Voraussetzung ist, dass die ausreichende Sprachkenntnis nach dem Stellenprofil eine wesentliche Anforderung an die persönliche Eignung des Arbeitnehmers darstellt.
132a
Der Arbeitgeber darf eine entsprechende Anforderung nicht nur bei sicherheitsrelevanten oder behördlich bzw. gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsstandards aufstellen, sondern auch dann, wenn er der subjektiven Ansicht ist, hinreichende Sprachkenntnisse seien für eine effiziente Erledigung der Arbeit erforderlich.
132b
Hierbei handelt es sich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten um keine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 AGG, denn die deutsche Schriftsprache kann unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Ethnie beherrscht werden. Die Anforderung, die deutsche Schriftsprache in dem verlangten Umfang zu beherrschen, knüpft damit nicht an eines der in § 1 AGG genannten Merkmale an.2
132c
Auch eine mittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht vor, wenn die Benachteiligung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. So kann z.B. das von einem Automobilzulieferer mit der Forderung ausreichender Kenntnisse der deutschen Schriftsprache verfolgte Ziel in der Erfüllung einer ISO-Norm bestehen, aus der sich die berufliche Anforderung der Kenntnis der deutschen Schriftsprache für die von dem Arbeitgeber im Spritzguss beschäftigten Werker ergibt. Die Einhaltung der Anforderungen der ISO-Norm stellt dann ein rechtmäßiges und sachlich gerechtfertigtes Ziel dar.3
132d
In dem vom BAG entschiedenen Fall war der Arbeitnehmer in Spanien aufgewachsen und zur Schule gegangen. Bei dem Automobilzulieferer unterschrieb er eine Stellenbeschreibung, nach der die Kenntnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift zu den Anforderungen gehörte. Im Fortlauf des Arbeitsverhältnisses stellte der Arbeitgeber jedoch fest, dass der Arbeitnehmer Arbeits- und Prüfanweisungen nicht lesen konnte. Nachdem der Arbeitnehmer mehrfach Deutschkurse abgelehnt und der Arbeitgeber daraufhin sogar ausdrücklich eine Kündigung in Aussicht gestellt hatte, waren damit auch alle zur Verfügung stehenden milderen Mittel ausgeschöpft, so dass die Kündigung durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers gerechtfertigt war.4
132e
1 2 3 4
BAG v. 26.10.1978 – 2 AZR 24/77, NJW 1979, 2063. BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 764/08, DB 2010, 1071. BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 764/08, DB 2010, 1071. BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 764/08, DB 2010, 1071.
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Teil 3 Rz. 133
Personenbedingte Kündigung
k) Stasi-Tätigkeit aa) Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes 133
War ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes zu DDR-Zeiten für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig, so kann dies nach den Vorschriften des Einigungsvertrages (Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt II Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag) bereits einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Auch eine ordentliche Kündigung kann nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer wegen seiner früheren Tätigkeit für das MfS bei einer zukunftsbezogenen Betrachtung für die vereinbarte Arbeitsleistung nicht geeignet ist.1 Voraussetzung für eine Kündigung ist jedoch, dass der Arbeitnehmer bewusst und final als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig geworden ist. Dies folgt schon aus der Verwendung der Präposition „für“ anstelle des näherliegenden „beim“ in Abs. 5 Nr. 2 Anlage I zum Einigungsvertrag.2 Diese gelten selbst dann noch, wenn die Taten strafrechtlich keiner Verfolgung mehr unterliegen und vor Begründung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen waren.3
134
Nicht begründet ist eine Kündigung wegen „Tätigkeit für das MfS“, wenn der Arbeitnehmer zwar karteimäßig als informeller Mitarbeiter (IM) geführt worden ist, die Stasi-Unterlagen jedoch – außer allgemeinplatzartigen Wertungen – keinen konkreten Hinweis auf eine konkrete Tätigkeit des Betroffenen und auch keine Verpflichtungserklärung enthalten.4
135
Auch die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung allein soll grds. für eine Kündigung nicht ausreichen, sofern der Arbeitnehmer keine der Verpflichtungserklärung entsprechende Tätigkeit für das MfS wahrgenommen hat. Wer allerdings aufgrund freien Willensentschlusses und ohne entschuldigenden Zwang eine Erklärung unterzeichnet hat, künftig als IM für das MfS tätig zu werden, begründet bereits dadurch erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, die ggf. auch eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung rechtfertigen können.5
136
Selbst die bewusste aktive Tätigkeit für das MfS soll nicht in jedem Falle eine arbeitgeberseitige Kündigung wegen Mangels an persönlicher Eignung begründen. Entscheidend sind vielmehr das Maß der Verstrickung, die Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse des Arbeitnehmers in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis sowie das Verhalten des Arbeitnehmers nach der MfS-Mitarbeit. Längere beanstandungsfreie Zeiträume können auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen.6 Eine feste Zeitgrenze besteht indes nicht. Vielmehr bedarf es einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend sind die konkreten Umstände des 1 BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 699/01, NZA 2004, 232; v. 27.6.2006 – 2 AZR 426/05, DVBl. 2006, 1396. 2 BAG v. 11.6.1992 – 8 AZR 537/91, AP Nr. 1 zu EV Anlage I Kap. XIX. 3 LAG Berlin-Brandenburg v. 1.2.2008 – 8 Sa 1625/07 u.a. 4 LAG Sachsen-Anhalt v. 19.10.1994 – 5 Sa 141/94, BB 1995, 678. 5 BAG v. 26.8.1993 – 8 AZR 561/92, EzA Art. 20 EinigungsV Nr. 24. 6 BAG v. 27.6.2006 – 2 AZR 426/05, DVBl. 2006, 1396.
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Eignungsmängel
Rz. 139 Teil 3
Einzelfalles.1 Je nach Umfang und Intensität der festgestellten MfS-Tätigkeit kann aber auch der lange Zeitraum unbeanstandeter Tätigkeit unbeachtlich sein, wenn er nämlich nicht auf einem glaubwürdigen und nachhaltigen Neubeginn, sondern eher auf erfolgreicher Verheimlichung beruht.2 So hat das BAG anlässlich des Falles eines Hochschulprofessors, der von 1960 bis 1964 für die Stasi tätig war und u.a. 71 Berichte über andere Personen abgegeben hatte, entschieden, dass ein Arbeitnehmer, dessen Stasi-Tätigkeit lange Zeit zurückliegt und der sich durch sein Verhalten vor und nach der Wende von den grundgesetzfeindlichen Zielen des SED-Staates distanziert hat, für eine weitere Tätigkeit im öffentlichen Dienst geeignet sein kann.3 Dagegen kann eine Kündigung eines Lehrers, der für das MfS langjährig und aktiv tätig war, gerechtfertigt sein, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die Verstrickungen des Lehrers bekannt wurden, nur eine verhältnismäßig kurze, unbeanstandete Unterrichtstätigkeit vorlag, da in diesen Fällen nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Lehrer in seiner beruflichen Tätigkeit ehemalige Opfer (z.B.) seiner Mitarbeit beim MfS begegnen.4
137
Die von den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes in Personalfragebogen gestellten Fragen nach einer früheren Tätigkeit für das MfS oder nach einer entsprechenden Verpflichtungserklärung sind zulässig und wahrheitsgemäß zu beantworten.5 Eine schuldhafte Falschbeantwortung dieser Fragen offenbart regelmäßig – wenn auch nicht zwangsläufig – die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst6 und kann nach Auffassung des BAG wegen des dadurch verursachten Verlustes des Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers im Einzelfall sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.7
138
Anders ist es zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer im Personalfragebogen enthaltene Fragen nach einer früheren Stasi-Tätigkeit überhaupt nicht beantwortet. Das BAG geht insofern zu Recht davon aus, dass die Nichtbeantwortung kein Verhalten darstellt, das auf Unehrlichkeit als charakterlichen Mangel und damit auf einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers schließen lassen könnte. Denn mit seinem Schweigen auf die Fragen zeigt der Arbeitnehmer ja gerade, dass er vor entsprechenden Lügen zurückschreckt; durch die Lücken im Fragebogen gibt er indirekt sogar Hinweise auf frühere MfS-Kontak-
139
1 BAG v. 27.6.2006 – 2 AZR 426/05, DVBl. 2006, 1396. 2 BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 699/01, NZA 2004, 232; v. 27.6.2006 – 2 AZR 426/05, DVBl. 2006, 1396. 3 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 862/94, BB 1995, 2008 (2009); vgl. auch BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 506/96, RzK I 5 h Nr. 39. 4 BAG v. 27.6.2006 – 2 AZR 426/05, DVBl. 2006, 1396. 5 BAG v. 14.12.1995 – 8 AZR 356/94, EzA Art. 20 EinigungsV Nr. 52; v. 7.9.1995 – 8 AZR 828/93, EzA § 242 BGB Auskunftspflicht Nr. 4; v. 26.8.1993 – 8 AZR 561/92, EzA Art. 20 EinigungsV Nr. 24. 6 BAG v. 14.12.1995 – 8 AZR 356/94, EzA Art. 20 EinigungsV Nr. 52; v. 26.8.1993 – 8 AZR 561/92, EzA Art. 20 EinigungsV Nr. 24; vgl. auch BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 483/95, NZA 1997, 204 zur verhaltensbedingten Kündigung aufgrund Falschbeantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit. 7 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 291/00, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 190.
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Teil 3 Rz. 139a
Personenbedingte Kündigung
te. Die Nichtbeantwortung der Fragen kann deshalb der wahrheitswidrigen Verneinung nicht gleichgestellt werden und kann allenfalls eine verhaltens-, nicht jedoch eine personenbedingte Kündigung wegen mangelnder Eignung rechtfertigen.1 139a
Kann eine bewusste Mitarbeit für das MfS nicht bewiesen werden, z.B. weil keine Verpflichtungserklärung vorliegt, kann grundsätzlich allein unter Hinweis auf die Akten und Erkenntnis des MfS keine Verdachtskündigung ausgesprochen werden, da es sich aufgrund der Aufgabenstellung und Arbeitsweise des MfS um keine zuverlässigen Dokumente handelt, die einen dringenden Tatverdacht rechtfertigen.2 Der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber ist daher gehalten, weitere Ermittlungen, etwa durch Befragung von Zeugen, durchzuführen, falls er eine Verdachtskündigung aussprechen will. bb) Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft
140
Bei einem in der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer hängt die Rechtfertigung einer personenbedingten Kündigung wegen früherer Stasi-Mitarbeit entscheidend davon ab, ob die Tätigkeit für das MfS Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat. Nur wenn die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit eine besondere Integrität des Arbeitnehmers voraussetzt, wie dies insbesondere bei Führungskräften und Arbeitnehmern, die eine besondere Vertrauensstellung einnehmen, der Fall ist, kann daher eine personenbedingte Kündigung wegen Stasi-Tätigkeit in Betracht kommen.3 l) Straftaten
141
Straftaten im innerdienstlichen Bereich rechtfertigen wegen des unmittelbaren vertragswidrigen Verhaltens regelmäßig eine verhaltensbedingte ordentliche oder außerordentliche Kündigung, so dass für eine personenbedingte Kündigung kein Raum bleibt.
142
Eine ordentliche Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung kommt deshalb allenfalls bei außerdienstlichen Straftaten des Arbeitnehmers in Betracht.
143
Die außerhalb des Dienstes begangenen Straftaten verstoßen nicht direkt gegen den Arbeitsvertrag. Daher können sie nur kündigungsrelevant sein, wenn sie die Eignung des Arbeitnehmers für die vertraglich geschuldete Tätigkeit beeinträchtigen4, so z.B. Vermögensdelikte von mit Vermögensangelegenheiten betrauten Arbeitnehmern oder Sittlichkeitsdelikte von Lehrern und Erziehern.
144
Nach der Rechtsprechung soll die persönliche Eignung für den ausgeübten Beruf in den folgenden Fällen entfallen: 1 BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 552/95, RzK I 5h Nr. 36. 2 LAG Berlin-Brandenburg v. 1.2.2008 – 8 Sa 1625/07 u.a. (für die sog. „Rosenholz“-Dateien). 3 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 419; Scholz, BB 1992, 2424 (2425 f.). 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 390; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 431.
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Eignungsmängel
Rz. 146 Teil 3
– im Fall der Steuerhinterziehung eines in der Finanzverwaltung beschäftigten Arbeitnehmers1, – bei der Verurteilung eines Berufskraftfahrers wegen einer außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt, wenn eine anderweitige Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz auch zu verschlechterten Bedingungen nicht möglich ist2, – bei Ladendiebstahl einer bei der Staatsanwaltschaft beschäftigten Gerichtshelferin3, – bei Sexualstraftaten von Lehrern und Erziehern4, – bei Vergehen einer angestellten Lehrerin gegen das Betäubungsmittelgesetz5, – bei dem unter Alkoholeinfluss verursachten und mit späterer Fahrerflucht verbundenen Unfall des Leiters einer Kfz-Prüfstelle6, – bei Diebstahl eines Arbeitnehmers während der Freizeit zum Nachteil einer Konzernschwestergesellschaft seines Arbeitgebers.7 Zu beachten ist, dass u.U. auch bereits der Verdacht einer Straftat im außerdienstlichen Bereich die personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann, sofern dieser geeignet ist, das Vertrauen in den betroffenen Arbeitnehmer und damit seine Eignung für die geschuldete Tätigkeit zu zerstören. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein Bankangestellter unter dem Verdacht steht, in eine fremde Bank eingebrochen zu sein8 oder eine Wachpolizistin im Verdacht steht, mehrfach außerdienstlich Drogen um Eigenverbrauch erworben zu haben.9 Es finden die zur Verdachtskündigung ausgeführten Grundsätze Anwendung.
145
m) Straf-/Untersuchungshaft Kann der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen, weil er eine Freiheitsstrafe verbüßt, rechtfertigt dies grundsätzlich eine personenbedingte Kündigung10, die je nach Art und Ausmaß der betriebli1 LAG Düsseldorf v. 20.5.1980 – 19 Sa 624/79, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 72. 2 BAG v. 16.8.1990 – 2 AZR 182/90, RzK I 5 h Nr. 18; v. 30.5.1978 – 2 AZR 630/76, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 66 mit Anm. v. Käppler; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 4.7. 2007 – 2 TaBV 5/07. 3 LAG Frankfurt v. 4.7.1985 – 12 Sa 1329/84, LAGE § 626 BGB Nr. 22. 4 LAG Berlin v. 15.12.1989 – 2 Sa 29/89, ZTR 1990, 166; Schaub/Linck, 12. Auflage 2007, § 131 Rz. 23. 5 BAG v. 23.9.1976 – 2 AZR 24/77, EzA § 1 KSchG Nr. 35; v. 18.10.2000 – 2 AZR 131/00, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 183. 6 LAG Köln v. 25.8.1988 – 8 Sa 1334/87, LAGE § 626 BGB Nr. 34. 7 BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 233/83, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 8 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 392. 9 LAG Berlin-Brandenburg v. 19.1.2007 – 6 Sa 1726/06. 10 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 719/93, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 11; v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 95; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 172; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 317; HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, § 1 Rz. 527; Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 235; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 752; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 428 ff.
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Teil 3 Rz. 147
Personenbedingte Kündigung
chen Auswirkungen auch als außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB ausgesprochen werden kann.1 147
Unerheblich ist, ob es sich bei der der Haft zugrunde liegenden Handlung um eine „einschlägige“ Straftat handelt.2 Denn Grund für die Kündigung ist die durch die Haft begründete Unmöglichkeit zur Arbeitsleistung und nicht die Straftat selbst. Die Straftat kann jedoch ggf. eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung rechtfertigen bzw. – sofern sie im dienstlichen Bereich begangen wurde – auch eine verhaltensbedingte Kündigung begründen.3
148
Wie lange die Haft voraussichtlich andauern muss, um eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch haftbedingte Fehlzeiten begründen und damit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen zu können, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.4 Vorgeschriebene Mindestoder Regelzeiten für eine kündigungsrelevante Haftdauer bestehen insofern nicht.5 In einer schon älteren Entscheidung hat das BAG freilich in der Verbüßung einer Strafe von über fünf Monaten eine unzumutbare Belastung des Arbeitgebers mit der Folge gesehen, dass eine hierauf gestützte Kündigung berechtigt ist.6 In einem Kleinbetrieb soll die Verbüßung einer sechsjährigen Haftstrafe eine Kündigung rechtfertigen, wenn der Ausfall des Arbeitnehmers durch eine Neueinstellung kompensiert werden muss.7
149
Zu berücksichtigen ist bei Prüfung der durch haftbedingte Fehlzeiten hervorgerufenen Betriebsstörungen, dass eine wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers aufgrund der Haft i.d.R. entfällt, da der Arbeitgeber gemäß §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Satz 1 BGB dem inhaftierten Arbeitnehmer gegenüber nicht zur Vergütungszahlung verpflichtet ist. Denn im Rahmen des § 616 BGB ist die durch Strafverbüßung bedingte Unmöglichkeit der Arbeitsleistung regelmäßig vom Arbeitnehmer zu vertreten und damit ein Verzug des Arbeitgebers ausgeschlossen. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß eine betriebliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich somit in erster Linie danach, ob die haftbedingte Abwesenheit Störungen im Betriebsablauf zur Folge hat bzw. den Einsatz von Ersatzpersonal erforderlich macht.8
150
Grundsätzlich zu verneinen ist eine Betriebsstörung, wenn der inhaftierte Arbeitnehmer sich im sog. offenen Vollzug (§ 10 StVollzG) befindet oder der Vollzug nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG (sog. Freigang) gelockert ist, da dieser es ihm ermöglicht, seiner Beschäftigung auch weiterhin nachzugehen. In diesem 1 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 7.11.2007 – 8 Sa 461/07. 2 BAG v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 95. 3 KDZ/Kittner/Deinert, 7. Auflage 2008, § 1 KSchG Rz. 151a; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 318. 4 Vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 317 m.w.N. 5 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 719/93, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 11; LAG Berlin v. 19.8.1985 – 9 Sa 56/85, RzK I 6 a Nr. 14. 6 BAG v. 14.3.1968 – 2 AZR 197/67, EzA § 72 HGB Nr. 3. 7 LAG Rheinland-Pfalz v. 15.12.2004 – 9 Sa 277/04. 8 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 428; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 243; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 752.
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Eignungsmängel
Rz. 154 Teil 3
Zusammenhang kann der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht u.U. gehalten sein, bei der Erlangung des Freigängerstatus mitzuwirken, um Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.1 Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über die Umstände der Straftat, des Strafverfahrens und der Haft nicht täuscht oder im Unklaren lässt. Die Fürsorgepflicht gebietet eine entsprechende Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers außerdem dann nicht, wenn trotz Bewilligung des Freigangs weitere Störungen des Arbeitsverhältnisses zu befürchten sind.2 Auch im Falle der Kündigung eines inhaftierten Arbeitnehmers ist abzuwägen, ob und in welchem Umfang dem Arbeitgeber Maßnahmen zur Überbrückung der haftbedingten Fehlzeiten zuzumuten sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer i.d.R. selbst für seine Inhaftierung und den damit verbundenen Arbeitsausfall verantwortlich ist. Nach der Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitgeber daher nur geringe Belastungen zur Überbrückung des Arbeitsausfalls hinzunehmen.3 So kann es für den Arbeitgeber zumutbar sein, zur Vertretung des inhaftierten Arbeitnehmers und Überbrückung des Arbeitsausfalls, einen Arbeitnehmer befristet einzustellen.4 Zumindest in einem Kleinbetrieb soll ein Arbeitgeber indes nicht verpflichtet sein, zur Freihaltung des Arbeitsplatzes des langjährig inhaftierten Arbeitnehmers Neueinstellungen nur befristet vorzunehmen.5
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Prinzipiell gelten die für die Strafhaft einschlägigen Grundsätze auch für die Untersuchungshaft des Arbeitnehmers.6 Allerdings wird der Arbeitgeber hier vor Ausspruch einer Kündigung zumindest den ersten Haftprüfungstermin abwarten müssen. Ein längeres Zuwarten vor Kündigungsausspruch ist dem Arbeitgeber zudem regelmäßig dann zuzumuten, wenn es sich bei dem in Untersuchungshaft befindlichen Arbeitnehmer um einen langjährigen Mitarbeiter handelt.7
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Befindet sich der Arbeitnehmer bereits seit sieben Monaten in Untersuchungshaft und hat eine Hauptverhandlung noch nicht stattgefunden, so kann bereits die Ungewissheit über seine Rückkehr Grund für eine personenbedingte Kündigung sein.8
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Im Rahmen der auch im Fall der personenbedingten Kündigung wegen Verbüßung einer Haftstrafe vom Arbeitgeber vorzunehmenden Interessenabwägung wird zu Lasten des Arbeitnehmers regelmäßig zu berücksichtigen sein, dass er durch sein schuldhaftes strafbares Verhalten selbst die Ursache für die Haft und damit die Arbeitsverhinderung gesetzt hat. Von daher beurteilt das
154
1 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 197/94, AP Nr. 123 zu § 626 BGB; LAG Hessen v. 3.6.2004 – 11 Sa 704/03; vgl. auch LAG Baden-Württemberg v. 17.2.2006 – 7 Sa 61/05 zur Frage des Annahmeverzugs. 2 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 154. 3 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 719/93, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 11; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 7.11.2007 – 8 Sa 461/07. 4 LAG Rheinland-Pfalz v. 7.11.2007 – 8 Sa 461/07. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 15.12.2004 – 9 Sa 277/04. 6 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 719/93, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 11. 7 BAG v. 10.6.1965 – 2 AZR 339/64, DB 1965, 1291. 8 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 719/93, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 11.
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Teil 3 Rz. 155
Personenbedingte Kündigung
BAG1 zu Recht die Fälle langandauernder Krankheit anders, da die krankheitsbedingten Fehlzeiten auf einem „Schicksalsschlag“ beruhen, für den der Arbeitnehmer in aller Regel nichts kann. Deshalb sind insbesondere bei der Beurteilung der Überbrückungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber im Gegensatz zur krankheitsbedingten Kündigung weitaus geringere Anforderungen vom Arbeitgeber abzufordern. n) Tendenzbetrieb 155
Grundsätzlich findet auch in Tendenzbetrieben der allgemeine und besondere Kündigungsschutz Anwendung. Besonderheiten bestehen insoweit, als eine ordentliche personen- oder verhaltensbedingte Kündigung, je nach den Umständen des Einzelfalls auch eine außerordentliche Kündigung, gerechtfertigt sein kann, wenn ein Tendenzträger nachhaltig der Tendenz in einer Weise zuwiderhandelt, die die betrieblichen Interessen berührt.2 Auch außerdienstliche Verhaltensweisen, die mit der Tendenz des Arbeitgebers nicht übereinstimmen, können die Kündigung rechtfertigen;3 eine § 118 Abs. 1 BetrVG entsprechende Vorschrift existiert im Kündigungsrecht nicht. Es können sich jedoch besondere tendenzbezogene Eignungsmängel daraus ergeben, dass der Arbeitnehmer der geistig-ideellen Zielsetzung des Unternehmens, d.h. der Tendenz, zuwiderhandelt. Entscheidend kommt es hierbei auf die Eigenschaft des Arbeitnehmers als Tendenzträger an; seine Arbeitsleistung muss also prägenden Einfluss auf die Verwirklichung der Unternehmenstendenz haben.
156
Dies kann insbesondere für Arbeitnehmer im kirchlichen oder karitativen Bereich zutreffen. Für kirchliche Tendenzträger ist der Kündigungsschutz daher zugunsten des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechtes der Kirchen (Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 3 WRV) eingeschränkt.4
157
So hat das BAG etwa den Austritt eines in einem katholischen Krankenhaus beschäftigten Arztes aus der katholischen Kirche5 oder den Einsatz eines in einem katholischen Krankenhaus angestellten Arztes für den straffreien Schwangerschaftsabbruch6 als Gründe für eine personenbedingte Kündigung angesehen. Auch die Ehe einer in einem katholischen Missionsgymnasium beschäftigten Lehrerin mit einem geschiedenen Mann soll als Grund für eine personenbedingte Kündigung ausreichen.7
158
Auch die im außerdienstlichen Bereich praktizierte homosexuelle Neigung eines im Dienst des Diakonischen Werkes einer evangelischen Landeskirche stehenden und im Bereich der Konfliktberatung eingesetzten Arbeitnehmers wurde vom BAG als grundsätzlich geeigneter Kündigungsgrund angesehen, wobei eine vorherige erfolglose Abmahnung für zwingend erforderlich erachtet 1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 497/94, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 154. BAG v. 6.12.1979 – 2 AZR 1055/77, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 5. Vgl. etwa Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1211. BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703/83, AP Nr. 24 zu Art. 140 GG. BAG v. 12.12.1984 – 7 AZR 418/83, AP Nr. 21 zu Art. 140 GG. BAG v. 21.10.1982 – 2 AZR 591/80, AP Nr. 14 zu Art. 140 GG mit Anm. v. Stein. BAG v. 31.10.1984 – 7 AZR 232/83, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 16.
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Eignungsmängel
Rz. 161 Teil 3
wurde.1 Diese Entscheidung erscheint freilich in doppelter Hinsicht fragwürdig: Zum einen ordnet das BAG durch das Abstellen auf das Abmahnerfordernis die Kündigung zu Unrecht Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers zu, obwohl Homosexualität als persönliche Eigenschaft allenfalls geeignet ist, einen personenbedingten Grund i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darzustellen. Zum anderen lässt sich eine Kündigung bei guter Leistung nicht allein auf die Gestaltung des privaten Lebensbereiches (Homosexualität) stützen. Auch in der katholischen Kirche dürfte Homosexualität keinen (personenbedingten) Kündigungsgrund darstellen, da im neuen Katechismus der katholischen Kirche ausgeführt ist, dass man sich hüten solle, „sie (die Homosexuellen) in irgendeiner Weise zurückzusetzen“. Bei Eignungsmängeln künstlerischer Tendenzträger, z.B. der Stimmführer und Solisten in einem Sinfonieorchester, kann eine personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein. Abzuwägen ist hier das Interesse des Arbeitnehmers an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegen die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Kunstfreiheit. Bei Überwiegen der Tendenzverletzung ist das Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar. Sind die Leistungsmängel behebbar, kommt jedoch keine personen- sondern nur eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht, die regelmäßig einer vorherigen Abmahnung bedarf.2
159
Ein die Kündigung rechtfertigender, tendenzbezogener Eignungsmangel liegt auch vor, wenn eine DGB-Rechtsschutzsekretärin als Mitglied des „Kommunistischen Bundes Westdeutschland“ dessen Programm propagiert und sich für die Zerschlagung des „bürgerlichen Staatsapparates“ und die Eroberung der Gewerkschaft für den Kommunismus einsetzt.3 Auch wenn das BAG insoweit zu Unrecht annimmt, es handele sich um eine verhaltensbedingte Kündigung, ist ihm darin zuzustimmen, dass die Kündigung in diesem Falle sozial gerechtfertigt ist. Kündigungsgrund ist allerdings die aufgrund der Mitgliedschaft im KBW für die beim DGB auszuübende Tätigkeit fehlende erforderliche Eignung der Arbeitnehmerin; es ist also von einem personenbedingten Grund auszugehen. Zutreffend hat das BAG indes berücksichtigt, dass der DGB wegen seiner koalitionspolitischen Bestimmung als Tendenzunternehmen anzusehen ist, dessen Arbeitnehmer, sofern sie wie Gewerkschaftssekretäre Tendenzträger sind, in ihrem außerdienstlichen Verhalten und in ihrem Privatleben einer weitergehenden Bindung unterliegen als in anderen, nicht tendenzbezogenen Arbeitsverhältnissen.
160
o) Überschuldung Schulden des Arbeitnehmers gehören zu dem Bereich der privaten Lebensführung und stellen für sich allein keinen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar.4 Das gilt auch für solche Arbeitnehmer, denen Vermögenswerte anvertraut sind (z.B. Kassierer, Lagerverwalter). Die Überschuldung eines in einer Vertrau1 2 3 4
BAG v. 30.6.1983 – 2 AZR 524/81, AP Nr. 15 zu Art. 140 GG m. Anm. Richardi. BAG v. 15.8.1984 – 7 AZR 228/82, EzA § 1 KSchG Nr. 40. BAG v. 6.12.1979 – 2 AZR 1055/77, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 5. BAG v. 4.11.1981 – 7 AZR 264/79, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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161
Teil 3 Rz. 162
Personenbedingte Kündigung
ensstellung beschäftigten Arbeitnehmers kann aber dessen persönliche Ungeeignetheit begründen und damit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.1 So hat das BAG eine Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund mangelnder charakterlicher Eignung z.B. bei einem in einer Vertrauensstellung beschäftigten Arbeitnehmer angenommen, der sich ohne Not hoch verschuldet hatte, dessen Lohn innerhalb kurzer Zeit mehrfach gepfändet wurde, und bei dem abzusehen war, dass er auch auf längere Sicht in ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen leben würde.2 162
Ähnlich ist die Situation bei dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsaufgabe es mit sich bringt, dass er direkten oder indirekten Zugriff auf das Vermögen seines Arbeitgebers hat. Hier kann der Arbeitgeber geordnete wirtschaftliche Verhältnisse als persönliche Eignungsvoraussetzung für die auszuübende Tätigkeit verlangen. So ist etwa die hohe Verschuldung eines Kassierers, Lagerverwalters oder eines Bankangestellten, die in relativ kurzer Zeit zu mehreren Lohnpfändungen geführt hat, Indiz dafür, dass die Eignung für diese Tätigkeiten entfallen ist. Je nach Lage der Umstände des Einzelfalles kann hier für den Arbeitgeber die begründete Sorge erwachsen, dass der Arbeitnehmer zur Abfederung seiner schlechten finanziellen Position Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers oder seiner Kunden begehen wird. Dann aber wird man ihm zuzugestehen haben, dass er von mangelnder Eignung seines Arbeitnehmers für die auszuübende Tätigkeit ausgeht. Anders ist sicherlich der Fall der Sekretärin zu beurteilen, die mehreren Lohnpfändungen ausgesetzt ist, ohne freilich in einer irgendwie gearteten Vertrauensposition beschäftigt zu sein. Mehrere Lohnpfändungen lassen ihre persönliche Eignung nicht entfallen.3
163
Das Vorliegen mehrerer Lohnpfändungen oder -abtretungen rechtfertigt für sich allein grundsätzlich ebenfalls noch keine ordentliche Kündigung.4 Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn im Einzelfall zahlreiche Lohnpfändungen oder -abtretungen einen derartigen Arbeitsaufwand des Arbeitgebers verursachen, dass dies nach objektiver Beurteilung zu wesentlichen Störungen im Arbeitsablauf (etwa in der Lohnbuchhaltung oder Rechtsabteilung) oder in der betrieblichen Organisation führt.5 Hier mag der Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung gerechtfertigt sein. p) Verfassungstreue/Politische Tätigkeit
164
Grundsätzlich gilt, dass die politische Einstellung des Arbeitnehmers allein keine Kündigung wegen persönlicher Ungeeignetheit rechtfertigen kann. Erst 1 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 334. 2 BAG v. 15.10.1992 – 2 AZR 188/92, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45. 3 BAG v. 15.10.1992 – 2 AZR 188/92, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45. 4 BAG v. 15.10.1992 – 2 AZR 188/92, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 458; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 715. 5 BAG v. 4.11.1981 – 7 AZR 264/79, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; a.A. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 715.
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Eignungsmängel
Rz. 167a Teil 3
wenn der Arbeitnehmer sich aktiv verfassungsfeindlich betätigt und hierdurch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder wenn die konkrete Gefahr einer verfassungsfeindlichen Aktivität besteht, kann eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen. Im privatrechtlichen Bereich sind verfassungsfeindliche Zielsetzungen und Aktivitäten nur in Ausnahmefällen von Bedeutung, da Verfassungstreue in der Regel nicht zu den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gehört (anders aber z.B. bei Verlagen, Zeitungs- und Rundfunkredaktionen oder Parteien, wenn der Arbeitgeber bestimmte politische Tendenzen verfolgt).1
165
Im Bereich des öffentlichen Dienstes kann dagegen die Mitgliedschaft oder Aktivität für eine verfassungsfeindliche Organisation die persönliche Ungeeignetheit des Arbeitnehmers begründen. Das Fehlen der persönlichen Eignung ist anhand des Einzelfalles zu beurteilen, wobei insbesondere die dem Arbeitnehmer obliegende Funktion und die Aufgabenstellung der Behörde zu berücksichtigen sind.2 Erforderlich ist, dass konkrete Umstände im bisherigen dienstlichen oder außerdienstlichen Verhalten sowie das durch eine Anhörung festzustellende Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers den Schluss nahe legen, dass der Arbeitnehmer gerade für die von ihm wahrzunehmende Arbeitsaufgabe als ungeeignet anzusehen ist.3
166
In dem seinem Urteil vom 28.9.19894 zugrunde liegenden Fall hatte das BAG darüber zu entscheiden, ob ein angestellter Lehrer, der bei den Kommunalwahlen für die DKP kandidiert und ein entsprechendes Ratsmandat angenommen hatte, sich als ungeeignet für die Lehrertätigkeit erwiesen habe. Das BAG hat in der politischen Betätigung des Lehrers nur ein Indiz für dessen mangelnde Verfassungstreue gesehen, das der Arbeitgeber durch konkrete Umstände zu personalisieren und zu verstärken habe, um den Vorwurf der mangelnden Verfassungstreue zu rechtfertigen. Dementsprechend hat es in seiner Entscheidung eine personenbedingte Kündigung abgelehnt, weil der Arbeitgeber nicht nachgewiesen hatte, dass die Aktivität des Arbeitnehmers für die DKP in seine Lehrtätigkeit hineingewirkt oder in anderer Weise die ihm obliegenden Aufgaben negativ beeinflusst hat.
167
q) Vertrauenswürdigkeit Als eigenständiger personenbedingter Kündigungsgrund wird auch der dringende Verdacht, ein Arbeitnehmer habe eine strafbare oder sonstige schwerwiegende Handlung begangen und somit das Vertrauen des Arbeitgebers zerstört, angesehen. Kündigungsgrund ist mithin die fehlende Vertrauenswürdigkeit 1 Vgl. APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 259. 2 BAG v. 28.9.1989 – 2 AZR 317/86, EzA § 1 Nr. 28; v. 6.6.1984 – 7 AZR 456/82, EzA § 1 Nr. 12. 3 BAG v. 28.9.1989 – 2 AZR 317/86, EzA § 1 Nr. 28. 4 BAG v. 28.9.1989 – 2 AZR 317/86, EzA § 1 Nr. 28.
KSchG Verhaltensbedingte Kündigung KSchG Verhaltensbedingte Kündigung KSchG Verhaltensbedingte Kündigung KSchG Verhaltensbedingte Kündigung
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167a
Teil 3 Rz. 168
Personenbedingte Kündigung
als Arbeitnehmereigenschaft.1 Die Verdachtskündigung ist daher von der verhaltensbedingten Tatkündigung abzugrenzen. Zu den Einzelheiten und Voraussetzungen einer Verdachtskündigung siehe Teil 4 Rz. 31 ff. r) Wehrdienst/Zivildienst 168
Die Ableistung des Wehrdienstes oder einer Wehrübung durch einen deutschen Arbeitnehmer führt nicht zu einem personenbedingten Kündigungsgrund. Vielmehr folgt aus § 2 Abs. 1 ArbPlSchG bereits nach Zustellung des Bescheides über die Einberufung bis zur Beendigung des Grundwehrdienstes sowie während der Dauer einer Wehrübung ein besonderer Kündigungsschutz. Eine ordentliche Kündigung ist nach § 2 Abs. 2 ArbPlSchG ausschließlich aus dringenden betrieblichen Gründen möglich.
169
Für die Dauer der Ableistung von Zivildienst gilt das Gleiche gemäß §§ 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG i.V.m. § 2 ArbPlSchG. Zu dem besonderen Kündigungsschutz des Wehrdienstleistenden siehe Teil 9. s) Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit
169a
Kein personenbedingter Kündigungsgrund ist der Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit, etwa wenn ein Student aufgrund seiner überlangen Studiendauer von den Sozialversicherungsträgern nicht mehr als sozialversicherungsfrei angesehen wird2 oder ein geringfügig Beschäftigter seine Sozialversicherungsfreiheit verliert. Denn die Sozialversicherungsfreiheit stellt in der Regel für die geschuldete Arbeitsleistung kein notwendiges Eignungsmerkmal dar. Der Arbeitnehmer ist auch nach dem Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit in der Lage, die geschuldete Arbeitsleistung vertragsgemäß zu erbringen. Dass die Vertragsparteien bei Vertragsschluss von der Sozialversicherungsfreiheit ausgegangen sind und diese als wesentliches Vertragsmerkmal festgelegt haben, begründet ebenfalls keinen Grund für eine personenbedingte Kündigung, sondern kann allenfalls eine Vertragsanpassung in Form einer Änderungskündigung rechtfertigen. 2. Mangelnde fachliche Eignung
170
Ein weiterer Anwendungsfall der fehlenden Eignung ist die mangelnde fachliche Qualifikation des Arbeitnehmers, d.h. das Fehlen beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten, das Nichtbestehen von Prüfungen oder das Fehlen der erforderlichen beruflichen Qualifikationsnachweise.3
1 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 19.1.2007 – 6 Sa 1726/06; Fischermeier, FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV (2006), S. 275 (280). 2 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 731/05, NZA 2007, 680 = NJW 2007, 1901; Laber, ArbRB 2009, 205 (208). 3 Vgl. BAG v. 15.8.1984 – 7 AZR 228/82, EzA § 1 KSchG Nr. 40; LAG Düsseldorf v. 25.11. 1960 – 2 Sa 409/59, BB 1961, 333; LAG Baden-Württemberg v. 22.4.1958 – IV Sa 110/57, BB 1958, 776.
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Eignungsmängel
Rz. 174a Teil 3
a) Mängel in der physischen und psychischen Eignung Mängel in der physischen oder psychischen Eignung des Arbeitnehmers, die sich negativ auf dessen Arbeitsleistung auswirken, können eine personenbedingte Kündigung prinzipiell rechtfertigen. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund der Eignung des Arbeitgebers keine angemessene Gegenleistung für das vereinbarte Arbeitsentgelt erhält.
171
Verfügt etwa eine Führungskraft nicht über die für die Ausführung der vertraglich geschuldeten Leistung erforderlichen Führungsqualitäten, z.B. ein Personalleiter, der den erforderlichen Entscheidungen ausweicht, unwichtige Aufgaben nicht delegieren kann und nicht den richtigen Ton zu den ihm unterstellten Mitarbeitern findet1, oder der Konzertmeister eines Symphonieorchesters, dem die für diese Funktion notwendige Durchsetzungskraft fehlt und der deshalb nicht in der Lage ist, das Orchester zu führen, kann eine darauf gestützte Kündigung gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist jedoch, dass eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht besteht.
172
Bei Außendienstmitarbeitern kann eine völlige Erfolglosigkeit im Akquisitionsgeschäft seit Beginn des Arbeitsverhältnisses bedeuten, dass der Arbeitnehmer für diese Tätigkeit persönlich ungeeignet ist.2
172a
Ebenso kann ein als Kraftfahrer beschäftigter Arbeitnehmer, der ungewöhnlich häufig in Unfälle verwickelt ist, sich als psychisch ungeeignet zur Ausübung des Kraftfahrerberufes erweisen. Der Arbeitgeber wird zwar in diesem Fall vom Arbeitnehmer grds. nicht verlangen können, dass dieser sich einer psychologischen Eignungsprüfung unterzieht. Wird jedoch von der zuständigen Stelle eine sog. medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) durchgeführt, so ist der Arbeitgeber berechtigt, zur Begründung der personenbedingten Kündigung auf die entsprechenden Untersuchungsergebnisse zurückzugreifen.3
173
Weiterhin hat das BAG die seit längerem anhaltenden, erheblich unterdurchschnittlichen Leistungen eines in der Lagerhaltung eines Einzelhandels beschäftigten Kommissionärs beim Verladen von Waren zur Versendung zumindest als Indiz für eine schwerwiegende Störung des Vertragsgleichgewichts und damit als Grundlage nicht nur für die verhaltensbedingte, sondern auch für die personenbedingte Kündigung angesehen4.
174
In den Fällen der Minderleistung (sog. „Low Performer“) ist bereits die Abgrenzung zwischen verhaltensbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen schwierig. Nach der vom BAG entwickelten, allerdings nicht sehr hilfreichen Formel, muss ein Arbeitnehmer das tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann.5 Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Dies ist der Fall, wenn er nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten besser hätte arbeiten können. Zu beach-
174a
1 2 3 4 5
HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 Rz. 363. BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380. BAG v. 13.2.1964 – 2 AZR 286/63, AP Nr. 1 zu Art. 1 GG. BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NJW 2004, 2545 (2548). BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, DB 2008, 1274.; v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NJW 2004, 2545 (2548);
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Teil 3 Rz. 174b
Personenbedingte Kündigung
ten ist indes, dass die Leistungspflicht nicht starr, sondern dynamisch ist und sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers orientiert. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen.1 Verlangt werden kann nur eine individuelle Normalleistung. Allerdings muss der Umstand, dass der Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit schuldhaft nicht ausschöpft.2 Eine längerfristige deutliche Unterschreitung der durchschnittlichen Arbeitsleistung kann aber ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer weniger arbeitet, als er könnte. Eine Unterschreitung der durchschnittlichen Arbeitsleistung kann sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht – z.B. bei einer hohen Fehlerquote3 – vorliegen. 174b
Eine personenbedingte Kündigung kommt dagegen immer dann in Betracht, wenn bei einem über längere Zeit erheblich leistungsschwachen Arbeitnehmer auch für die Zukunft mit einer schweren Störung des Vertragsgleichgewichts zu rechnen ist (negative Zukunftsprognose).4 Erforderlich ist also – wie bei der krankheitsbedingten Kündigung – eine negative Zukunftsprognose. Der Arbeitgeber muss vor dem Ausspruch einer Kündigung erfolglos alles ihm Zumutbare versucht haben, die im Arbeitsverhältnis aufgetretene Störung abzustellen.5 In Betracht kommen etwa eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Vergütungsreduzierung. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber zunächst herausfinden muss, auf welchen Gründen die Minderleistungen des Arbeitnehmers beruhen.6 Regelmäßig bietet sich hierfür ein Personalgespräch an, dessen Inhalte dokumentiert werden sollten.7 Beruht die Minderleistung auf körperlichen, seelischen oder intellektuellen Abweichungen von dem typischen Erscheinungsbild eines Mitarbeiters gleichen Alters (§ 2 Abs. 1 SGB IX) und ist der Arbeitnehmer für mindestes sechs (weitere) Monate nicht in der Lage, die geschuldete Leistung zu erbringen, kann zudem eine Behinderung im Sinne des AGG vorliegen, sodass eine Kündigung nicht diskriminierend sein darf.8 Zur Anwendbarkeit des AGG bei krankheitsbedingten Kündigungen siehe Rz. 215b.
174c
" Praxistipp: Die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingter
174d
Die Rechtsprechung kommt dem Arbeitgeber dabei durch die Darlegungs- und Beweislastverteilung entgegen. So hat im Prozess der Arbeitgeber im Rahmen
Kündigung spielt auch eine Rolle, ob zuvor eine Abmahnung ausgesprochen werden muss oder nicht sowie für die Betriebsratsanhörung. Im Zweifel sollte der Betriebsrat sowohl zu verhaltens- als auch personenbedingten Gründen angehört werden.
1 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, DB 2008, 1274; Maschmann, NZA 2006, Beilage 1, 13 (15); Schul/Wichert, DB 2005, 1906. 2 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, DB 2008, 1274. 3 Vgl. hierzu BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, DB 2008, 1274. 4 BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380. 5 LAG Köln v. 17.10.2006 – 9 Sa 370/06, NZA-RR 2007, 294; LAG Nürnberg v. 12.6.2007 – 6 Sa 37/07, NZA-RR 2008, 178. 6 Depel/Raif, SAE 2005, 88 (91). 7 Schul/Wichert, DB 2005, 1906 (1910). 8 Vgl. Gaul/Neumann, ArbRB 2007, 15 (18)
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Eignungsmängel
Rz. 174e Teil 3
einer abgestuften Darlegungslast zunächst die Minderleistung vorzutragen.1 Der pauschale Vortrag, der Arbeitnehmer sei ein „Low-Perfomer“ reicht indes nicht.2 Der Arbeitgeber muss vielmehr darlegen, welchen Umfang die Minderleistung hat und auf welcher Grundlage er zu diesem Ergebnis gekommen ist. Er muss somit Vergleichsmaßstab und zur Leistungsmessung vortragen. Um einen objektiven Maßstab für das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers zu erhalten, ist regelmäßig ein Vergleich mit der normalen Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer erforderlich, was voraussetzt, dass beim Arbeitgeber ein objektives System zur Definition einer Durchschnittsleistung und Quantifizierung von Abweichungen besteht.3 Zeigt sich dabei, dass die Leistungen des Arbeitnehmers die normale Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer langfristig um ein Drittel oder mehr unterschreiten, kann dies bedeuten, dass der Arbeitgeber keine angemessene Gegenleistung mehr für das vereinbarte Entgelt erhält.4 Es reicht somit nicht aus, dass der Arbeitnehmer der schlechteste oder langsamste Arbeitnehmer ist. Denn in einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppe das „Schlusslicht“. Aus diesem Grund sind interne Rankings in aller Regel nicht geeignet, eine kündigungsrelevante Minderleistung darzulegen. Bei der Berechnung der Durchschnittsleistung müssen alle vergleichbaren Arbeitnehmer berücksichtigt werden, also auch die besonders leistungsstarken. Erforderlich ist aber immer eine Einzelfallbetrachtung. Bei älteren Arbeitnehmern können gewisse altersbedingte Abschläge von der Durchschnittsleistung jüngerer Arbeitnehmer hinzunehmen sein.5 Ebenfalls berücksichtigt werden kann die wirtschaftliche Lage des Unternehmens.6 Fehlen vergleichbare Arbeitnehmer, kann auch die frühere eigene Durchschnittsleistung des Arbeitnehmers ein Maßstab sein.7 Allerdings dürfen sich die Leistungspflicht und auch das Arbeitsumfeld des Arbeitnehmers nicht wesentlich verändert haben. Das (mehrfache) Nichterreichen von Zielen in Zielvereinbarungen wird regelmäßig keine Kündigung wegen Minderleistung rechtfertigen. Denn zum einen müssen die Zielvereinbarungen realistische Ziele enthalten und zum anderen verringert sich in diesen Fällen auch der Gehaltsanspruch des Arbeitnehmers, so dass es an einer Äquivalenzstörung fehlen wird.
" Praxistipp: Oftmals wird es bereits problematisch sein festzustellen, was
der genaue Umfang der Leistungspflicht des Arbeitnehmers ist. Der Arbeitgeber muss daher die genauen Leistungsziele vorgeben und die Erfolge bzw. Misserfolge kontrollieren und dokumentieren. Die „Soll-“ und die „Ist-Leistung“ unter Berücksichtigung von Toleranzgrenzen und Leistungsschwan-
1 BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380; v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, DB 2008, 1274 (zur verhaltensbedingten Kündigung). 2 Maschmann, NZA 2006, Beilage 1, 13 (18). 3 Vgl. Greiner, RdA 2007, 22 (31 f.). 4 LAG Nürnberg v. 12.6.2007 – 6 Sa 37/07, NZA-RR 2008, 178; kritisch zur Drittelgrenze Maschmann, NZA 2006, Beilage 1, 13 (21). 5 LAG Nürnberg v. 12.6.2007 – 6 Sa 37/07, NZA-RR 2008, 178. 6 Hunold, BB 2004, 1686 (1687); Friemel/Walk, NJW 2005, 3669 (3671); a.A. Greiner, RdA 2007, 22 (31). 7 Römermann/Haase, MDR 2006, 853 (854).
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Teil 3 Rz. 174f
Personenbedingte Kündigung
kungen müssen somit umfassend dargelegt werden. Dies setzt voraus, dass sich die Arbeit des Arbeitnehmers überhaupt messen lässt. 174f
Ist es dem Arbeitgeber gelungen, die unzureichenden Leistungen des Arbeitnehmers darzulegen und zu beweisen, so muss nunmehr der Arbeitnehmer erläutern, warum er trotz unterdurchschnittlicher Leistung seine Leistungsfähigkeit ausschöpft, woran die Störung des Leistungsgleichgewichts liegt und ob in Zukunft mit einer Besserung zu rechnen ist.1 Diese von ihm darzulegenden Gründe müssen einen Anhaltspunkt dafür bieten, ob das Schwergewicht der Minderleistung auf verhaltensbedingten, personenbedingten oder sogar betriebsbedingten Gründen liegt.2 Der Arbeitnehmer kann z.B. einwenden, dass er nicht genügend geschult oder eingearbeitet wurde oder falsche Anweisungen gegeben wurden. Der Einwand der fehlenden Schulung ist insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer erst durch die technische oder organisatorische Änderung seines Arbeitsplatzes durch den Arbeitnehmer zu einem „Low Performer“ geworden ist.
174g
" Praxistipp: Trotz der Darlegungs- und Beweislastverteilung wird eine Kün-
175
Auch physische Mängel können eine personenbedingte Kündigung grds. rechtfertigen. So kann etwa nachlassendes Seh- oder Hörvermögen die körperliche Eignung des Arbeitnehmers für die von ihm ausgeübte Tätigkeit entfallen lassen. Hat der Arbeitgeber diesbezügliche Zweifel an der Eignung des Arbeitnehmers, so kann er ggf. auch verlangen, dass der Arbeitnehmer sich entsprechenden Seh- und Hörprüfungen unterzieht.
digung wegen Minderleistung vor allem in Fällen der quantitativen Minderleistung in Betracht kommen, da in diesen Fällen eine objektive Messbarkeit vorliegt. Für qualitative Minderleistungen können daher nicht ohne weiteres die formelhaften Berechnungen aus dem Bereich der quantitativen Minderleistung übertragen werden. Vielmehr muss der Arbeitgeber bei qualitativen Minderleistungen Fehlerzahl, Art und Schwere sowie Folgen des Fehlers darlegen und so aufzeigen, dass die durchschnittliche Fehlerquote deutlich überschritten ist. Da jedoch der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber weitergehend erläutern, welche betrieblichen Beeinträchtigungen durch die konkret darzulegenden Fehler verursacht werden und dass es sich insoweit nicht lediglich um Fehler handelt, die trotz einer gewissen Häufigkeit angesichts der konkreten Umstände der Arbeitsleistung vom Arbeitgeber hinzunehmen sind.3
1 BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380. 2 LAG Düsseldorf v. 8.4.2009 – 7 Sa 1385/08, ZInsO 2009, 1783. 3 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, DB 2008, 1274.
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Eignungsmängel
Rz. 180 Teil 3
b) Mängel im für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlichen Kenntnisstand Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt weiterhin vor, wenn dem Arbeitnehmer Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen, die für die Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistung notwendig wären.
176
Ist der Arbeitnehmer bei Veränderungen der Anforderungen seines Arbeitsplatzes (z.B. nach Umstellung auf neue Arbeitsmethoden) trotz Fortbildungsmaßnahmen nicht in der Lage, die für die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung erforderlichen Fachkenntnisse alsbald zu erwerben, liegt ebenfalls ein fachlicher Eignungsmangel vor, der zur personenbedingten Kündigung berechtigen kann.1 Vor Ausspruch einer entsprechenden Kündigung ist der Arbeitgeber allerdings gehalten zu prüfen, ob nicht für ihn zumutbare Umsetzungs- und Versetzungsmöglichkeiten als milderes Mittel zur Verfügung stehen.
177
c) Fehlen gesetzlich vorgeschriebener Qualifikationsnachweise oder Berufsausübungserlaubnisse Sind zur Ausübung bestimmter Berufe besondere gesetzliche/behördliche Qualifikationen oder Erlaubnisse erforderlich, so kann deren Fehlen oder aber ihr späterer Wegfall grundsätzlich den Ausspruch einer personenbedingten Kündigung rechtfertigen, soweit dadurch die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung rechtlich unmöglich wird. Ähnlich wie bei fehlender Arbeitserlaubnis führt das Fehlen der gesetzlichen/behördlichen Qualifikation oder Erlaubnis nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages.2
178
Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung wegen Gründen in der Person des Arbeitnehmers ist in einem solchen Fall, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung weder mit einem Erhalt oder einer Erneuerung der Qualifikation bzw. Erlaubnis in absehbarer Zeit zu rechnen ist, der Zeitraum bis zur (Wieder-)Erteilung nicht überbrückt werden kann oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen (ohne die fehlende Qualifikation oder Erlaubnis) dem Arbeitgeber nicht möglich ist.3
179
" Praxistipp: Besteht tatsächlich die Aussicht, dass ein nicht vorhandener,
180
abgelaufener oder entzogener Qualifikationsnachweis oder eine Erlaubnis in nicht allzu ferner Zukunft erneuert werden können, so ist der Arbeitgeber gehalten, Gelegenheit zur Erlangung zu geben, bevor er eine Kündigung ausspricht.4
1 LAG Baden-Württemberg v. 22.4.1958 – IV Sa 110/57, BB 1958, 776; LAG Düsseldorf v. 25.11.1960 – 2 Sa 409/59, BB 1961, 333. 2 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 68/95, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung m.w.N. 3 BAG v. 7.12.2000 – 2 AZR 459/99, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 457. 4 BAG v. 7.12.2000 – 2 AZR 459/99, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung.
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Teil 3 Rz. 181
Personenbedingte Kündigung
181
Eine personenbedingte Kündigung wegen fehlender Eignungsnachweise kommt insbesondere in den Fällen in Betracht, in denen dem Arbeitnehmer die zur Ausübung seines Berufs erforderliche Erlaubnis fehlt oder entzogen wird.1 Sozial gerechtfertigt ist damit die personenbedingte Kündigung eines Arztes, der keine Approbation nach §§ 2, 10 Bundesärzteordnung besitzt2 oder eines angestellten Rechtsanwalts, dem die nach der BRAO erforderliche Zulassung entzogen wurde.
182
Ein zur personenbedingten Kündigung berechtigender fachlicher Eignungsmangel liegt auch in der fehlenden Lehrbefähigung eines als Lehrkraft beschäftigten Arbeitnehmers, da diesem die Fähigkeit und Eignung zur Ausübung des Lehrerberufs fehlt.3
183
Fehlt bei der Einstellung eines Lehrers die nach einigen landesrechtlichen Bestimmungen erforderliche schulaufsichtsbehördliche Genehmigung, hat dies zwar nicht die Nichtigkeit des mit dem Schulträger abgeschlossenen Arbeitsvertrages zur Folge. Es wird jedoch in diesem Fall ein Beschäftigungsverbot begründet, das eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann.4
184
Ähnliches gilt für den Verlust polizeilicher Befugnisse. So kann etwa ein Verkehrsflugzeugführer, dessen Fluglizenz ungültig wird, aus personenbedingten Gründen gekündigt werden, sofern die Nichtverlängerung der Lizenz nicht auf einer vom Arbeitgeber zu vertretenden irregulären Überspannung der Checkanforderungen beruht.5 Dies gilt allerdings nicht, wenn im Zeitpunkt der Kündigung in absehbarer Zeit mit der Erneuerung der Erlaubnis zu rechnen ist.6
185
Ein personenbedingter Grund dürfte auch dann vorliegen, wenn einem Flugzeugmechaniker gemäß § 29d LuftVG wegen fehlender persönlicher Zuverlässigkeit von der zuständigen Luftfahrtbehörde die Zutrittsberechtigung zu sicherheitsempfindlichen Bereichen des Flughafens entzogen wird und ihm dadurch die Ausübung seiner nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung rechtlich unmöglich wird.7 Da die Unmöglichkeit der Beschäftigung in einem solchen Fall auf Umstände zurückzuführen ist, die allein der Arbeitnehmer zu vertreten hat, besteht ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung von Arbeitsvergütung für diesen Zeitraum nicht. Daraus folgt, dass eine außerordentliche fristlose Kündigung bereits deshalb in einem derartigen Fall nicht wirksam sein dürfte, weil dem Arbeitgeber mangels wirtschaftlicher Belastun1 BAG v. 6.3.1974 – 5 AZR 313/73, DB 1974, 1168; LAG Hamm v. 22.2.1985 – 16 Sa 1650/84, AuR 1986, 57; ArbG Wetzlar v. 6.7.1983 – 2 Ca 68/83, AuR 1984, 253; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1208; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 312 ff. 2 BAG v. 6.3.1974 – 5 AZR 313/73, DB 1974, 1168. 3 So auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 292; a.A. BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32, das von einem Mischtatbestand zwischen personen- und betriebsbedingtem Kündigungsgrund ausgeht. 4 BAG v. 11.7.1980 – 7 AZR 552/78, EzA § 134 BGB Nr. 11. 5 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 68/95, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 13; v. 7.12.2000 – 2 AZR 459/99, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung. 6 BAG v. 7.12.2000 – 2 AZR 459/99, NZA 2001, 1304. 7 ArbG Köln v. 6.2.2002 – 2 Ca 6097/01 (n.v.).
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Eignungsmängel
Rz. 189 Teil 3
gen ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann.1 Ebenso kann der Entzug der zur Berufsausübung als Wachmann bei der Bundeswehr notwendigen polizeilichen Befugnisse einen personenbedingten Kündigungsgrund darstellen.2
186
Gerechtfertigt ist auch die personenbedingte Kündigung eines als Kraftfahrer beschäftigten Arbeitnehmers, der seine Fahrerlaubnis aufgrund einer außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt verliert, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass bis zur Erteilung der neuen Fahrerlaubnis keine Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer anderweitig, ggf. auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen, zu beschäftigen.3 Auch für andere Berufe, deren Ausübung nur mit gültiger Fahrerlaubnis möglich ist, bedeutet der Verlust der Fahrerlaubnis grds. einen personenbedingten Kündigungsgrund, wenn nicht ausnahmsweise eine Weiterbeschäftigung auf einem freien, auch ohne Fahrerlaubnis zu besetzenden Arbeitsplatz erfolgen kann.4 Wird einem U-Bahn-Zugfahrer bei einer privaten Fahrt als Kraftfahrer wegen Volltrunkenheit der Führerschein entzogen, so kann dieser Umstand, obwohl er nicht zum Verlust der Fahrerlaubnis als U-Bahn-Zugfahrer führt, die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers indizieren und – nach erfolgloser Abmahnung – eine darauf gestützte Kündigung rechtfertigen.5
187
" Praxistipp: Ein Arbeitnehmer, der seine vertraglich geschuldete Tätigkeit
188
Der Verlust einer betrieblichen Fahrerlaubnis kann dagegen in seinen kündigungsrechtlichen Folgen grundsätzlich nicht dem Verlust einer behördlich vorgeschriebenen Fahrerlaubnis gleichgesetzt werden. Andernfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, selbst treuwidrig die Voraussetzungen für eine per-
189
ohne das Führen eines Kraftfahrzeuges nicht erbringen kann (z.B. Berufskraftfahrer, Kundendienstmitarbeiter, Außendienstler), kann im Falle eines Verlusts der Fahrerlaubnis nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend machen, er lasse sich für die Dauer des Entzugs des Führerscheins von einem Dritten (ohne zusätzliche Vergütung) fahren, etwa von einem Angehörigen. Da der Arbeitnehmer nach § 613 BGB seine Arbeitsleistung grundsätzlich in Person zu erbringen hat, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Einsatz eines Dritten hinzunehmen.6 Ein Arbeitnehmer darf grundsätzlich seine geschuldete Tätigkeit nicht durch Dritte verrichten lassen. Schließlich wäre dies dem Arbeitgeber auch aus haftungsrechtlichen Erwägungen kaum zuzumuten.
1 So auch ArbG Köln v. 6.2.2002 – 2 Ca 6097/01 (n.v.). 2 BAG v. 18.3.1981 – 5 AZR 1096/78, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Arbeitsleistung; v. 28.9.1983 – 7 AZR 85/82 (n.v.). 3 BAG v. 30.5.1978 – 2 AZR 630/76, NJW 1979, 332 (333 f.); v. 16.8.1990 – 2 AZR 182/92, RzK I 5 h Nr. 18; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 4.7.2007 – 2 TaBV 5/07, ArbuR 2007, 444 (Ls.). 4 LAG Niedersachsen v. 9.9.2003 – 13 Sa 699/03, AuA 2004, 47 f. (Heizungsmonteur im Kundendienst). 5 BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 168. 6 Zutreffend LAG Kiel v. 16.6.1986 – 4 (5) Sa 684/85, NZA 1987, 669.
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Teil 3 Rz. 189a
Personenbedingte Kündigung
sonenbedingte Kündigung zu schaffen.1 Dies gilt auch uneingeschränkt für Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs, die zwar nach der BOKraft2 sicherstellen müssen, dass die Mitglieder des Fahrpersonals befähigt und geeignet sind, eine sichere und ordnungsgemäße Beförderung zu gewährleisten. Die BOKraft enthält aber keine ausreichende Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers, wie ihn der Entzug einer betrieblichen Fahrerlaubnis darstellt. Untersagt dagegen die nach dem PBefG zuständige Aufsichtsbehörde dem Arbeitgeber durch Verwaltungsakt, den Arbeitnehmer als Fahrer einzusetzen, kann eine personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.3 189a
Wird die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten widerrufen, kommt auch eine personenbedingte Änderungskündigung in Betracht. Durch die Änderungskündigung wird nur nachvollzogen, dass eine Arbeitsaufgabe des Arbeitnehmers weggefallen ist. Falls Bestellung und Widerruf dem BDSG unterliegen und die Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter arbeitsvertraglich geschuldet ist, kann ein Widerruf der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nach § 4f BDSG nur dann erfolgen, wenn auch gleichzeitig eine – ausnahmsweise zulässige – (personenbedingte) Teilkündigung betreffend die Arbeitsaufgabe des Datenschutzbeauftragten ausgesprochen wird.4
II. Mangelnde Arbeitsfähigkeit 1. Alter 190
Allgemein anerkannt ist, dass das Erreichen eines bestimmten Lebensalters, insbesondere des 65. Lebensjahres, für sich betrachtet eine personenbedingte Kündigung nicht rechtfertigen kann.5 Das Erreichen des 65. Lebensjahres für sich allein begründet keine Vermutung einer der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung entgegenstehenden Minderung der Leistungsfähigkeit.6 Der Kündigungsschutz wird vielmehr individuell gewährt.7 Dementsprechend bestimmt auch die Vorschrift des § 41 Satz 1 SGB VI, dass der Anspruch eines Versicherten auf Altersrente nicht als Grund für eine personenbedingte Kündigung herangezogen werden darf. Auch die Tatsache einer (möglichen) wirtschaftlichen Absicherung durch eine Altersrente ist nicht als Grund anzusehen, der eine per1 Zutreffend BAG v. 25.4.1996 – 2 AZR 74/95, NZA 1996, 1201, 1202; v. 5.6.2008 – 2 AZR 984/06, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 22; ebenso KR/Fischermeier § 626 BGB Rz. 68; KR/Griebeling § 1 KSchG Rz. 31. 2 Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr v. 21. Juni 1975 (BGBl. I 1975, 1573), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung v. 8. November 2007 (BGBl. I 2007, 2569). 3 Vgl. LAG Düsseldorf v. 15.3.2007 – 11 Sa 1273/06 (Az. BAG 2 AZR 373/07) zum Weiterbeschäftigungsanspruch nach ausgesprochener Kündigung. 4 BAG v. 13.3.2007 – 9 AZR 612/05, NJW 2007, 2507 = NZA 2007, 563. 5 BAG v. 28.9.1961 – 2 AZR 428/60, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung; v. 25.3.1971 – 2 AZR 185/70, AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG 1952; ausführlich Bauer/ Lingemann, NZA 1993, 625 m.w.N. 6 BAG v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze. 7 BAG v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze.
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Mangelnde Arbeitsfähigkeit
Rz. 193 Teil 3
sonenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt erscheinen lässt.1 Ebenso wenig stellt die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, Altersteilzeit in Anspruch zu nehmen, einen die Kündigung rechtfertigenden Grund dar (vgl. § 8 Abs. 1 AltersteilzeitG). Möglich bleibt die personenbedingte Kündigung hingegen bei erheblicher altersbedingter Leistungsminderung. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Beeinträchtigung der Fähigkeit oder Eignung des Arbeitnehmers zur Erfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung über den üblichen altersbedingten Leistungsabfall hinausgehen muss. „Normale“ Leistungsminderungen aufgrund Alters hat der Arbeitgeber hinzunehmen.2 Die altersbedingte Leistungsminderung muss zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen, wobei an die Interessenabwägung des Arbeitgebers besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Im Übrigen dürfte eine Kündigung wegen altersbedingter Leistungsminderung regelmäßig eine unzulässige mittelbare Diskriminierung darstellen. Zu den Einzelheiten einer mittelbaren Diskriminierung bei der krankheitsbedingten Kündigung älterer Arbeitnehmer vgl. Rz. 215 ff.
191
Nach der Rechtsprechung des BAG soll anlässlich des Erreichens des Pensionsalters im Einzelfall auch eine betriebsbedingte Kündigung zulässig sein, wenn ein „dringendes betriebliches Erfordernis“ für einen zweckmäßigen Altersaufbau der Belegschaft besteht und der betreffende Arbeitnehmer durch Altersrente oder betriebliches Ruhegeld ausreichend finanziell abgesichert ist.3 Die Beweislast für die betriebliche Notwendigkeit der Kündigung älterer Arbeitnehmer soll der Arbeitgeber zu tragen haben.4
192
In dieser Allgemeinheit vermag der Ansatz des BAG freilich nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat die dahinterstehende Problematik der Sicherung einer gesunden betrieblichen Altersstruktur speziell im Rahmen der Sozialauswahl einer gesetzlichen Regelung zugeführt (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG i.d.F. des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt, wonach die „Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes“ den Arbeitgeber dazu berechtigen kann, bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen).5 Weitergehend erscheint dieser Gedanke allenfalls zur Rechtfertigung der Kündigung solcher Arbeitnehmer tauglich, die die durch § 35 SGB VI festgelegte Regelaltersgrenze erreicht haben. Diesen Arbeitnehmern kommt ein hinreichender sozialer Schutz zu, der durch langjährige Versicherungszeiten und entsprechende Bei-
193
1 Zutreffend Ammermüller, DB 1990, 223; Leinemann, DB 1990, 737. 2 BAG v. 28.9.1961 – 2 AZR 428/60, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung; v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, AP Nr. 2 zu § 620 Altersgrenze. 3 BAG v. 28.9.1961 – 2 AZR 428/60, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung; v. 25.3.1971 EzA § 620 BGB Nr. 15; zustimmend KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 387; Bauer/Lingemann, NZA 1993, 625, 626 ff.; ablehnend APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 252, der das Kriterium eines vernünftigen Altersaufbaus für inhaltlich zu unbestimmt hält. 4 BAG v. 28.9.1961 – 2 AZR 428/60, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung. 5 Vgl. hierzu Teil 2.
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Teil 3 Rz. 194
Personenbedingte Kündigung
tragsleistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung erlangt worden ist.1 Auch aus sozialversicherungsrechtlichen Erwägungen bestehen keine Bedenken gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt, wie sich aus § 41 Satz 2 SGB VI ergibt. Eine Kündigung vor Erreichen dieser Regelaltersgrenze erscheint dagegen nicht gerechtfertigt. Arbeitsrechtlich spricht die durch § 10 KSchG anerkannte höhere soziale Schutzbedürftigkeit langjährig Beschäftigter und sozialversicherungsrechtlich § 41 Satz 1 SGB VI dagegen. Auch im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG stellt das höhere Lebensalter jedenfalls kein nachteiliges Auswahlkriterium dar. 194
" Praxistipp: Von der Frage der Zulässigkeit einer personenbedingten Kündi-
195
Im Zuge der stufenweisen Anhebung des Renteneintrittsalters durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demographische Entwicklung zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung – RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 – wurde § 41 SGB VI zum 1.1.2008 geändert.3 Danach gilt nunmehr eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters beantragen kann, dem Arbeitnehmer gegenüber als auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen, es sei denn, dass die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt bestätigt worden ist.
195a
Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen diese Anhebung der rentenversicherungsrechtlichen Altersgrenze hat, wenn einzel- oder tarifvertraglich die Altersgrenze des 65. Lebensjahres vereinbart ist, ist fraglich. Die Neufassung des § 41 Satz 2 SGB VI regelt diesen Fall nicht.4 Denn die Norm bezieht sich nur auf Vereinbarungen, die auf ein bestimmtes Rentenzugangsalter vor Erreichen der Regelaltersgrenze abstellen. Die vereinbarte Altersgrenze sollte jedoch der (früheren) Regelaltersgrenze entsprechen. Durch die Erhöhung der Regelaltersgrenze wird dieser Zweck nicht erreicht. In Betracht kommt daher eine einzelvertragliche Anpassung, ggf. über § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage)5 oder eine Auslegung der Altersgrenzenvereinbarung dahingehend, dass sie sich tat-
gung wegen Erreichens eines bestimmten Alters ist die Frage nach der Zulässigkeit von sog. Altersgrenzenvereinbarungen zu trennen, aufgrund derer das Arbeitsverhältnis der Vertragsparteien mit Erreichen eines bestimmten, vereinbarten Alters automatisch endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Solche Vereinbarungen stellen rechtlich eine Befristung des Arbeitsvertrages dar.2
1 Vgl. ebenso BAG v. 28.9.1961 – 2 AZR 428/60, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung; v. 25.3.1971 – 2 AZR 185/70, EzA § 620 BGB Nr. 15; v. 7.11.1989 – GS 3/85, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 34. 2 BAG v. 14.8.2002 – 7 AZR 469/01 – AP Nr. 20 zu § 620 BGB Altersgrenze. 3 BGBl. I 2007, 554. 4 Rolfs, NZA 2008, Beilage 1, 8 (13); HWK/Ricken, 3. Aufl. 2008, § 41 SGB VI Rz. 9. 5 Vgl. Rolfs, NZA 2008, Beilage 1, 8 (13), der indes eine Gesetzesänderung vorzieht; a.A. Grimm/Brock, ArbRB 2007, 210 (211).
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Mangelnde Arbeitsfähigkeit
Rz. 197 Teil 3
sächlich nicht auf das 65. Lebensjahr, sondern auf das jeweilige gesetzliche Regelrenteneintrittsalter bezieht.1
" Praxistipp: Soll bei Abschluss neuer Arbeitsverträge, aber auch in Tarifver-
195b
Aus § 41 Satz 2 SGB VI folgt, dass einzelvertragliche Altersgrenzenregelungen innerhalb des allgemeinen gesetzlichen Rahmens rechtlich zulässig sind.2 Dies bedeutet aber, dass ein sachlicher Grund i.S.d. Rechtsprechung zur Befristungskontrolle von Arbeitsverhältnissen erforderlich ist.3 Hieran hat auch das TzBfG nichts geändert. Es ist zwar einzuräumen, dass das Gesetz keine ausdrückliche Regelung der Altersgrenze beinhaltet. Gleichwohl ist diese unter die personenbedingten Befristungen des § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG zu subsumieren.4
196
Nach der Rechtsprechung des BAG sind einzelvertragliche Altersgrenzen, nach denen das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters endet, wirksam, wenn der Arbeitnehmer nach dem Vertragsinhalt und der Vertragsdauer eine gesetzliche Altersrente erwerben kann oder bereits erworben hat. Die Wirksamkeit der Befristung ist dabei nicht von der konkreten wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers bei Erreichen der Altersgrenze abhängig, denn das verfassungsrechtliche Untermaßverbot erfordert keine am individuellen Lebensstandard des Arbeitnehmers und seinen subjektiven Bedürfnissen orientierte Altersversorgung.5 Ein die Altersgrenze rechtfertigender sachlicher Grund ist darin zu sehen, dass bei der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer durch den Bezug der gesetzlichen Altersrente die Interessen des Arbeitgebers an einer sachgerechten und berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung überwiegen und zudem beschäftigungspolitisch die Arbeitslosigkeit jüngerer Arbeitnehmer bekämpft wird.6 Wie aus § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG ersichtlich, sind derartige Vereinbarungen aus Sicht des Gesetzgebers auch keine unzulässige Altersdiskriminierung (siehe Rz. 197c). Altersgrenzenklauseln, die auf den Bezug einer Altersrente bzw. auf das frühere Renteneintrittsalter 65 abstellen, sind auch nicht überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB.7
196a
Fraglich ist, ob auch kollektivrechtliche Vereinbarungen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Vollendung eines bestimmten Lebensalters vor-
197
trägen und Betriebsvereinbarungen eine Altersgrenzenklausel vereinbart werden, ist darauf zu achten, dass kein konkretes Alter genannt, sondern nur auf das Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze gemäß § 35 SGB VI verwiesen wird.
1 So Bauer/Krieger, NJW 2007, 3672. 2 BAG v. 7.11.1989 – GS 3/85, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 34; LAG Berlin v. 20.2.1997 – 1 Sa 32/96 (n.v.); Bahnsen, NJW 2008, 407 (408). 3 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 296/03, BAGE 109, 6; v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07; LAG Niedersachsen v. 20.6.2007 – 15 Sa 1257/06; APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rz. 111; MünchArbR/Wank, § 116 Rz. 167; a.A. LAG Brandenburg v. 21.11.2000 – 1 Sa 445/00, NZA-RR 2001, 180. 4 BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302; v. 19.11.2003 – 7 AZR 296/03, NZA 2004, 1336. 5 BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 443/04, BAGE 115, 265. 6 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 296/03, BAGE 109, 6. 7 Bahnsen, NJW 2008, 407 (408).
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Teil 3 Rz. 197a
Personenbedingte Kündigung
sehen, zulässig sind. Nach § 41 Satz 2 SGB VI sind solche Vereinbarungen zulässig, sofern sie einen Zeitpunkt betreffen, zu dem der Arbeitnehmer i.d.R. bereits Anspruch auf den Bezug von Altersrente hat. Folgerichtig erachtet das BAG – entsprechend seiner Rechtsprechung zu einzelvertraglichen Altersgrenzen – tarifvertragliche Altersgrenzenregelungen1 ebenso wie solche, die in Betriebsvereinbarungen enthalten sind2, für zulässig, wenn der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt durch den Bezug einer gesetzlichen Altersrente wirtschaftlich abgesichert ist.3 Wirksam ist dementsprechend die im Bereich des öffentlichen Dienstes geltende Bestimmung des § 60 Abs. 1 BAT bzw. § 33 Abs. 1 TVöD/ TV-L, wonach der Arbeitnehmer bei Erreichen des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Voraussetzung für die Wirksamkeit derartiger kollektivrechtlicher Regelungen ist ebenfalls das Vorliegen eines sachlichen Grundes, wobei nach Auffassung des BAG tarifvertragliche Altersgrenzen, die den Anforderungen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle genügen, mit Art. 12 GG zu vereinbaren sind.4 197a
Fraglich ist indes, ob einzel- oder kollektivrechtliche Altersgrenzenvereinbarungen trotz § 41 Satz 2 SGB VI und § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG verstoßen. Nach Auffassung des EuGH stellen tarifliche Altersgrenzenregelungen eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters dar.5 Eine nationale Regelung, die tarifliche Altersgrenzen für zulässig erklärt, die an einen Zeitpunkt anknüpfen, zu dem der Arbeitnehmer Anspruch auf Bezug einer beitragsbezogenen gesetzlichen Altersrente hat, verstoße jedoch nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, es sei denn, die gesetzliche Regelung wäre nicht durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt oder sei im Einzelfall unverhältnismäßig. Als legitim sei ein Ziel anzusehen, das in Beziehung zu Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt stehe.6 Wenn also durch die Altersgrenze eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern gefördert werden soll – was regelmäßig der Fall sein dürfte – liegt ein legitimes Ziel vor. Das beabsichtigte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich in der Regelung angegeben sein.7 Liegt ein legitimes beschäftigungspolitisches Ziel vor, hat der Gesetzgeber bzw. haben die Tarifparteien einen weiten Ermessenspielraum hinsichtlich der Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele.
197b
Auch wenn die Entscheidung des EuGH sowohl in seinem Leitsatz als auch in seiner Begründung nicht eindeutig formuliert ist, kann davon ausgegangen werden, dass tarifliche Altersgrenzenvereinbarungen grundsätzlich auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten zulässig sind, sofern sie erst dann eingreifen, 1 BAG v. 20.12.1984 – 2 AZR 3/84, DB 1986, 281. 2 BAG v. 7.11.1989 – GS 3/85, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 34. 3 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 296/03, BAGE 109, 6; v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302. 4 BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, NZA 1998, 715. 5 EuGH v. 16.10.2007 – Rs. C-411/05, NJW 2007, 3339 (Palacios). 6 EuGH v. 16.10.2007 – Rs. C-411/05, NJW 2007, 3339 (Palacios); ablehnend Temming, NZA 2007, 1193 (1196). 7 Vgl. Gaul/Bonanni, ArbRB 2008, 87 (90).
622
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Mangelnde Arbeitsfähigkeit
Rz. 198 Teil 3
wenn der Arbeitnehmer Anspruch auf Bezug einer gesetzlichen Altersgrenze hat.1 Das BAG sieht folglich in tariflichen Altersgrenzenregelungen ebenfalls keinen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Altersdiskriminierungsverbot und die Richtlinie 2000/78/EG, da eine Ungleichbehandlung durch ein legitimes Ziel, nämlich aus arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Gründen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG gerechtfertigt sei.2 Auch wenn das BAG dies bislang nur für tarifliche Altersgrenzen entschieden hat, die vor Inkrafttreten des AGG vereinbart worden sind, dürfte dies auch für danach vereinbarte Altersgrenzen gelten.3 Ob man die Rechtsprechung des EuGH auch auf einzelvertragliche Altersgrenzenregelungen übertragen kann, erscheint fraglich, da derartige Regelungen nicht – wie gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen – vorrangig ein legitimes beschäftigungspolitisches Ziel verfolgen. Der einzelne Arbeitgeber beabsichtigt mit einer Altersgrenzenregelung nicht, den Arbeitsmarkt für jüngere Arbeitnehmer zu öffnen, sondern er will sich möglichst einfach von älteren Arbeitnehmern trennen.4 Dennoch lässt sich dieses Ziel nicht von den allgemeinen legitimen beschäftigungspolitischen Zielen trennen. Denn auch mit einzelvertraglichen Altersgrenzenregelungen wird der Arbeitsmarkt für jüngere Arbeitnehmer geöffnet. Davon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen und hat in § 10 Nr. 5 AGG einzelvertragliche Altersgrenzenklauseln grundsätzlich für zulässig erklärt.5 Auch das BAG hat sowohl in der sachgerechten Personalplanung des Arbeitgebers als auch in der Öffnung des Arbeitsmarktes für jüngere Arbeitnehmer einen sachlichen Grund für Altersgrenzenregelungen gesehen.6
197c
Regelmäßig unzulässig und nicht von § 41 Satz 2 SGB VI erfasst sind dagegen Altersgrenzenregelungen, nach denen ein Arbeitsverhältnis vor Erreichen der Regelaltersgrenze enden soll, ohne das ein Anspruch auf Bezug der gesetzlichen Altersrente besteht.7 Ausnahmsweise sind Altersgrenzenregelungen unter der Regelaltersgrenze zulässig, wenn sie durch besondere Anforderungen an die berufliche Tätigkeit gerechtfertigt sind. So hat das BAG insbesondere das Cockpitpersonal von Fluggesellschaften betreffende Tarifregelungen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres bzw. – vorbehaltlich der Möglichkeit einer Verlängerung bis zum 60. Lebensjahr bei körperlicher und beruflicher Eignung – mit Vollendung des 55. Lebensjahres vorsahen, als zulässig angesehen.8 Denn solche Vereinbarungen haben keinen
198
1 Vgl. Bauer/Krieger, NJW 2007, 3672 (3673). 2 BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07. 3 Vgl. LAG Hessen v. 15.10.2007 – 17 Sa 809/07, wonach das AGG mangels Übergangsregelung auch für zuvor vereinbarte tarifliche Altersgrenzenklauseln gilt. 4 Vgl. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rz. 422; Bauer/Krieger, NJW 2007, 3672 (3675). 5 Vgl. Bauer/Krieger, NJW 2007, 3672 (3675). 6 BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361. 7 ErfK/Rolfs, § 41 SGB VI Rz. 17; Grimm/Brock, ArbRB 2007, 210 (212). 8 BAG v. 11.3.1998 – 7 AZR 700/96, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt; v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt; v. 21.7. 2004 – 7 AZR 589/03, ZTR 2005, 255; LAG Hessen v. 15.10.2007 – 17 Sa 809/07; vgl. aber LAG Düsseldorf v. 31.1.2001 – 12 Sa 1501/00, LAGE § 620 BGB Altersgrenze Nr. 3,
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Teil 3 Rz. 198a
Personenbedingte Kündigung
Bezug zu den auf dieses Lebensalter abstellenden Altersrenten der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie tragen vielmehr den spezifischen Leistungsanforderungen einer beruflichen Tätigkeit im Rahmen des Flugdienstes Rechnung und sollen den mit zunehmendem Lebensalter steigenden Gefahren von Leistungsausfällen und den daraus erwachsenden Risiken für Leben und Gesundheit des Flugpersonals und der ihnen anvertrauten Passagiere entgegenwirken. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf das vollendete 55. bzw. 60. Lebensjahr ist folglich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt und die entsprechende tarifvertragliche Regelung damit als zulässig anzusehen.1 Das BVerfG hat diese Rechtsprechung bestätigt.2 198a
Ob die bisherige Rechtsprechung des BAG nach Inkrafttreten des AGG und der Rechtsprechung des EuGH bzgl. des Verbots der Altersdiskriminierung bestand haben wird, ist noch nicht endgültig geklärt3. Nach Auffassung des LAG Hessen ist eine tarifvertragliche Altersgrenzenregelung, die vorsieht, dass Piloten mit Erreichen des 60. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, auch unter Geltung des § 7 Abs. 1 AGG zulässig und stellt keine Altersdiskriminierung dar.4 Das BAG als Revisionsinstanz sah sich an einer abschließenden Sachentscheidung gehindert, da diese von einer dem EuGH obliegenden Auslegung von Gemeinschaftsrecht, insbesondere von Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG, abhänge. Es hat das Verfahren folglich ausgesetzt und den EuGH um eine Vorabentscheidung zur Vereinbarkeit einer tariflichen Regelung über eine Altersgrenze von 60 Jahren für Piloten mit Gemeinschaftsrecht ersucht.5
199
§ 41 Satz 2 SGB VI unterstützt als flankierende arbeitsrechtliche Regelung die Anhebung der für den Rentenanspruch maßgeblichen Lebensarbeitszeit und dient damit der Konsolidierung der Rentenfinanzen. Dementsprechend erfasst sie nur die Fälle, die mit dem Anspruch auf gesetzliche Altersrente zusammenhängen. Aus diesem Grund hat das BAG die Altersgrenzenvereinbarung eines Arbeitnehmers, der eine befreiende, vom Arbeitgeber bezuschusste Lebensversicherung abgeschlossen hatte, nicht an § 41 Satz 2 SGB VI (§ 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI a.F.) gemessen.6 Mit derselben Argumentation hat es die Vorschrift auf tarifliche Altersgrenzen für Flugingenieure (60 Jahre) und Flugzeugführer (55 Jahre mit Verlängerungsoption bis 60 Jahre) nicht angewandt.7 Das LAG Hessen hat demgegenüber die Wirksamkeit einer einzelvertraglich vereinbarten Alters-
1 2 3 4 5 6 7
wonach eine tariflich geregelte Altersgrenze von 55 Jahren für Kabinenpersonal wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG unzulässig sein soll, sowie LAG Berlin-Brandenburg v. 4.9.2007 – 19 Sa 906/07 (n. rkr.). BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt; LAG Hessen v. 25.2.2003 – 13 Sa 1063/02, NZA-RR 2003, 645. BVerfG v. 25.11.2004 – 1 BvR 2459/04, BB 2005, 1231. Dafür Lingemann/Gotham, NZA 2007, 663 (669). LAG Hessen v. 15.10.2007 – 17 Sa 809/07; zustimmend Gaul/Bonanni, ArbRB 2008, 87 (88); Rolfs, NZA 2008, Beilage 1, 8 (13); Temming, NZA 2007, 1193 (1199). BAG v. 17.6.2009 – 7 AZR 112/08 (A), ArbRB 2009, 352. BAG v. 14.10.1997 – 7 AZR 660/96, NZA 1998, 652. BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, NZA 1998, 715; v. 11.3.1998 – 7 AZR 700/96, NZA 1998, 716.
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Mangelnde Arbeitsfähigkeit
Rz. 202 Teil 3
begrenzung auf 60 Jahre bei einem Flugzeugführer mit der Sollvorschrift des § 41 Abs. 1 LuftBO begründet.1 Diese Urteile sind vom BAG jedoch aufgehoben worden, da § 41 Abs. 1 Satz 2 LuftBO seit 1.9.1998 nicht mehr für die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 LuftBO bezeichneten Luftfahrzeuge gelte und somit ein sachlicher Grund für die Altersgrenze von 60 Jahren nicht mehr vorliege.2 Der zuständige 7. Senat des BAG hat ferner eine Entscheidung des LAG Düsseldorf ausdrücklich bestätigt, wonach eine tarifvertragliche Altersgrenzenregelung von 55 Jahren für das Kabinenpersonal wegen Fehlens eines diese Altersgrenze rechtfertigenden Sachgrundes unwirksam sei.3 2. Schwangerschaft Die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin rechtfertigt in keinem Fall den Ausspruch einer personenbedingten Kündigung. Insbesondere stellt die Schwangerschaft keine Krankheit im medizinischen Sinne dar.
200
Aus § 9 MuSchG ergibt sich zudem, dass die Arbeitnehmerin während Bestehens einer Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung grds. nicht gekündigt werden darf. Es handelt sich um ein absolutes Kündigungsverbot, das bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages entsteht.4 Eine verbotswidrig ausgesprochene Kündigung ist unheilbar nichtig, § 134 BGB. Lediglich in bestimmten Ausnahmefällen (z.B. bei einer Betriebsstillegung oder bei besonders schweren Pflichtverstößen der Arbeitnehmerin) kann auf Antrag des Arbeitgebers die zuständige oberste Landesbehörde oder eine von ihr bestimmte Stelle die Kündigung für zulässig erklären, § 9 Abs. 3 MuSchG. Die behördliche Zustimmung ist vor Ausspruch der Kündigung einzuholen und bedarf für ihre Wirksamkeit der Schriftform. Zum Beteiligungsverfahren nach dem MuSchG vgl. Teil 6.
201
Auch nach Ablauf des gesetzlich vorgesehenen Mutterschutzes dürfen innerhalb dieses Zeitraums aufgetretene Fehlzeiten aufgrund der Schwangerschaft/ Entbindung nicht nachträglich als Gründe für eine personenbedingte Kündigung herangezogen werden. Eine solche Vorgehensweise würde sowohl gegen Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit schwangerer Arbeitnehmerinnen als auch gegen Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verstoßen.5
202
1 LAG Hessen v. 4.3.1999 – 3 Sa 106/99, NZA-RR 1999, 429; v. 25.5.2000 – 3 Sa 2135/99, NZA-RR 2001, 29. 2 BAG v. 23.1.2002 – 7 AZR 586/00, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Altersgrenze; ebenso v. 20.2. 2002 – 7 AZR 622/00 (n.v.); vgl. auch BVerfG v. 25.11.2004 – 1 BvR 2459/04, BB 2005, 1231. 3 BAG v. 31.7.2002 – 7 AZR 140/01, EzA § 620 BGB Altersgrenze Nr. 12; LAG Düsseldorf v. 31.1.2001 – 12 Sa 1501/00, NZA-RR 2001, 259; ebenso nunmehr LAG Berlin-Brandenburg v. 4.9.2007 – 19 Sa 906/07, wonach auch eine unzulässige Altersdiskriminierung vorliegt. 4 LAG Düsseldorf v. 30.9.1992 – 11 Sa 1049/92, NZA 1993, 1041. 5 EuGH v. 30.6.1998 – C-394/96, AP Nr. 16 zu EWG-Richtlinie Nr. 76/207.
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Teil 3 Rz. 202a 202a
Personenbedingte Kündigung
Kündigt ein Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin, die sich im vorgerückten Behandlungsstadium einer In-vitro-Fertilisation befindet, aufgrund dieser Behandlung, steht dieser Kündigung Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 (Gleichbehandlungsrichtlinie) entgegen.1 Ein Verstoß gegen Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit schwangerer Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz liegt gleichwohl nicht vor. Von der Richtlinie werden nämlich solche Arbeitnehmerinnen nicht erfasst, die sich einer Befruchtung in vitro unterziehen, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Befruchtung der Eizellen mit Samenzellen des Partners bereits stattgefunden hat, die in vitro existierenden Eizellen aber noch nicht in die Gebärmutter eingesetzt worden sind. 3. Schwerbehinderung
203
Die Kündigung eines Schwerbehinderten, der länger als sechs Monate im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigt ist, ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 85 ff. SGB IX möglich. Vor Ausspruch einer Kündigung ist danach zunächst die Zustimmung des zuständigen Integrationsamts einzuholen; andernfalls ist die Kündigung unwirksam. Zu den Einzelheiten des Verfahrens vor dem Integrationsamt vgl. Teil 8.
204
Unabhängig davon kann die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BAG die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung rechfertigen, § 123 BGB.2 Hieran dürfte sich auch durch die Neuregelung des § 81 Abs. 2 SGB IX nichts geändert haben. Nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 SGB IX ist zwar eine Vereinbarung oder Maßnahme, die den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung benachteiligt, grds. unzulässig, woraus teilweise der Schluss gezogen wird, die Frage des Arbeitgebers nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. danach, ob eine Gleichstellung gem. § 2 Abs. 3 SGB IX vorliegt oder ein entsprechender Antrag gestellt wurde, müsse nicht mehr wahrheitsgemäß beantwortet werden, und dem Arbeitgeber stehe kein Anfechtungsrecht gem. § 123 BGB zu, falls der Arbeitnehmer eine Schwerbehinderung auf entsprechende Nachfrage nicht offenbare.3 § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 SGB IX bestimmt jedoch, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung zulässig ist, soweit die Vereinbarung oder Maßnahme die Art der von dem schwerbehinderten Beschäftigten auszuübende Beschäftigung zum Gegenstand hat und eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende Voraussetzung für diese Tätigkeit ist.
205
Es kann deshalb keinem Zweifel unterliegen, dass der Arbeitgeber nach allen Behinderungen fragen darf, durch die die auszuübende Tätigkeit beeinträchtigt 1 EuGH v. 26.2.2008 – Rs. C-505/06 (Mayr), NZA 2008, 345. 2 St. Rspr., zuletzt BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 380/99, AP Nr. 59 zu § 123 BGB; 3.12.1998 – 2 AZR 754/97, AP Nr. 49 zu § 123 BGB; v. 5.10.1995 – 2 AZR 923/94, AP Nr. 40 zu § 123 BGB. 3 So Messingschlager, NZA 2003, 301 (305).
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Mangelnde Arbeitsfähigkeit
Rz. 209 Teil 3
werden kann. Wenn eine entsprechende Frage falsch beantwortet wird, kann dies zur Anfechtung des Arbeitsvertrages führen. Aber auch wenn der Arbeitgeber einen Bewerber nach seinem Status als Behinderter (§ 69 SGB IX) fragt, ist letzterer zur wahrheitsgemäßen Beantwortung dieser Frage gehalten. Nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB IX ist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn die volle körperliche, geistige und seelische Fähigkeit Voraussetzung der Tätigkeit ist. Hieraus lässt sich aber nicht im Umkehrschluss die Folgerung ableiten, dass auch nur unter diesen engen Voraussetzungen ein entsprechendes Fragerecht besteht. Die Frage nach der Schwerbehinderung wird vielmehr erst dann unzulässig, wenn sie vom Arbeitgeber bewusst zur Diskriminierung eingesetzt wird.1 Ist das Arbeitsverhältnis bereits in Vollzug gesetzt, kann der Arbeitsvertrag im Falle einer wahrheitswidrig beantworteten zulässigen Frage nach der Schwerbehinderung durch die Anfechtung grds. nicht mit rückwirkender Kraft (ex nunc) sondern nur mit – kündigungsähnlicher – Wirkung für die Zukunft (ex tunc) beseitigt werden.2
206
Eine Ausnahme soll nur für die Fälle gelten, in denen das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich wieder außer Funktion gesetzt worden ist; die Anfechtung soll dann auf den Zeitpunkt der Außerfunktionssetzung des Arbeitsvertrages zurückwirken.3
207
Nach bisheriger Rspr. lag eine solche Außerfunktionssetzung nicht bereits bei einer vom Willen beider Vertragsparteien unabhängigen Erkrankung des Arbeitnehmers vor, so dass der Arbeitgeber trotz der arglistigen Täuschung verpflichtet war, für den Zeitraum der Erkrankung Entgeltfortzahlung zu leisten.4
208
Diese Rechtsprechung hat das BAG nunmehr aufgegeben.5 Eine Außerfunktionssetzung des Arbeitsverhältnisses liegt danach immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht gearbeitet hat, also auch im Falle der Erkrankung. Denn wenn keine Arbeitsleistung erbracht worden ist, die zurückgewährt werden müsste, bestehen keinerlei Rückabwicklungsschwierigkeiten, so dass einer auf den Zeitpunkt der Erkrankung zurückwirkende Anfechtung nichts entgegensteht. Darüber hinaus kann ein Arbeitnehmer, der den Abschluss des Arbeitsvertrages durch arglistige Täuschung erschlichen hat, nicht darauf vertrauen, dass das Arbeitsverhältnis auch für die Zeit, in der es nicht mehr praktiziert worden ist, bis zur Anfechtungserklärung des Arbeitgebers als rechtsbeständig behandelt wird mit der Folge entsprechender Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall.6
209
1 2 3 4 5 6
Zutreffend Schaub, NZA 2003, 299 (301). Vgl. BAG v. 20.2.1986 – 2 AZR 244/85, AP Nr. 31 zu § 123 BGB. Vgl. BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, AP Nr. 24 zu § 123 BGB. So zuletzt BAG v. 20.2.1986 – 2 AZR 244/85, AP Nr. 31 zu § 123 BGB. BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 754/97, BB 1999, 796. BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 754/97, BB 1999, 796.
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Teil 3 Rz. 210
Personenbedingte Kündigung
4. Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation 210
Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation führen üblicherweise zu einer längeren Abwesenheit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz, so dass während der Dauer einer Kurmaßnahme der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht zu erbringen in der Lage ist. Gleichwohl ist es dem Arbeitgeber in aller Regel zuzumuten, vor Ausspruch einer etwaigen personenbedingten Kündigung wegen Krankheit, das Ergebnis der bevorstehenden Kur abzuwarten. Dies hat insbesondere dann zu gelten, wenn nach ärztlicher Erkenntnis die Kur mit Erfolg abgeschlossen und erwartet werden kann, dass der Arbeitnehmer im Anschluss daran bis auf weiteres wieder voll einsatzfähig ist. Verletzt allerdings der Arbeitnehmer seine Mitteilungspflicht im Hinblick auf eine bevorstehende Kur, so kann dies u.U. eine verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt erscheinen lassen.1
211
Ein Kuraufenthalt, der der Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dient, und die damit zusammenhängenden Ausfallzeiten stellen nach allem keinen Grund für eine personenbedingte Kündigung dar.
212
" Praxistipp: Verletzt der Arbeitnehmer hingegen seine Mitwirkungspflicht
in Bezug auf die bevorstehende Kur, so kann u.U. eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sein.2
5. Erwerbsminderung 213
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsminderung ist dabei nicht zwingend gleichzusetzen mit Arbeitsunfähigkeit. Da jedoch Erwerbsminderung im Regelfall eine Erkrankung des Arbeitnehmers zugrunde liegt, kann eine personenbedingte Kündigung unter Beachtung der Grundsätze für die krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Insbesondere eine personenbedingte Kündigung wegen dauernder Unmöglichkeit der Arbeitsleistung bzw. wegen Leistungsminderungen kommt insofern in Betracht.
III. Krankheit 214
Die finanziellen Auswirkungen für Arbeitgeber durch krankheitsbedingte Fehlzeiten sind beträchtlich: Im Durchschnitt belastet ein Fehlzeitentag den Arbeitgeber mit rund 400 Euro.3 Durchschnittlich ist jeder Arbeitnehmer 11,6 Tage pro Jahr arbeitsunfähig. Allein durch Arbeitsunfähigkeit entstehen im Jahr ge-
1 Vgl. LAG Frankfurt v. 29.1.1982 – 6 Sa 960/81, Ez. BAT § 50 BAT Kur, Schonzeit Nr. 4. 2 LAG Frankfurt v. 29.1.1982 – 6 Sa 960/81, EzBAT § 50 BAT Kur, Schonzeit Nr. 4. 3 Pressemitteilung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) v. 19.2. 2008.
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Krankheit
Rz. 215b Teil 3
schätzte Produktionsausfallkosten in Höhe von 36 Mrd. Euro.1 Häufigster Fall der ordentlichen personenbedingten Kündigung ist daher die Kündigung wegen Krankheit Im Arbeitsrecht der ehemaligen DDR war die Möglichkeit der Kündigung während einer Krankheit nach § 58d AGB 1977 noch ausdrücklich ausgeschlossen.2 In der betrieblichen Praxis ist die Annahme auch heute noch durchaus verbreitet, dass ein Arbeitsverhältnis während einer Krankheit des Arbeitnehmers nicht gekündigt werden dürfe.3 Auch in arbeitsgerichtlichen Verfahren begegnet man gelegentlich der Auffassung der Spruchkörper, wegen Krankheit des Arbeitnehmers sei eine Kündigung grundsätzlich unwirksam.4 Krankheit schützt indes vor Kündigung nicht. Die Kündigung wegen Krankheit wird ganz überwiegend generell für zulässig erachtet.5 Sie kann auch während einer Krankheit ausgesprochen werden.
215
Auch die EG-Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen einer Behinderung steht einer krankheitsbedingten Kündigung nicht grundsätzlich entgegen. Denn der in der Richtlinie verwendete Begriff der „Behinderung“ kann nicht mit „Krankheit“ gleichgesetzt werden. Krankheitsbedingte Kündigungen fallen somit nicht in den Schutzbereich der Richtlinie.6 Indessen ist der Begriff „Behinderung“ i.S.d. Richtlinie und damit auch des AGG nicht mit dem der Schwerbehinderung i.S.d. SGB IX gleichzusetzen. Vielmehr kann eine Behinderung bereits dann vorliegen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und somit eine Teilnahme des Beschäftigten am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.7 Eine Behinderung setzt somit keinen bestimmten Schweregrad voraus.
215a
Die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 4 AGG steht der Kündigung wegen Krankheit ebenfalls nicht entgegen.8 Die Diskriminierungsverbote des AGG – einschließlich der ebenfalls im AGG vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen – sind bei der Auslegung der unbestimmten Rechts-
215b
1 Aktueller Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2006. 2 Vgl. ausführlich zur Kündigung wegen Krankheit Lepke, S. 159 ff. Rz. 98 ff. m.w.N. 3 Hoppe, BlStSozArbR 1975, 132; Becker-Schaffner, BlStSozArb 1976, 97; ders., ZTR 1997, 49; Hennige, AuA 1995, 145. 4 So LAG Hamm v. 17.2.1981 – 13 Sa 1259/80, DB 1981, 1193; v. 15.12.1981 – 6 Sa 1219/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 8; v. 20.8.1992 – 4 Sa 94/92, zitiert bei Lepke, S. 159 Rz. 98. 5 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, DB 1990, 429; Lepke, S. 159 ff. Rz. 98 ff.; v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 335; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1214. 6 EuGH v. 11.7.2006 – Rs. C-13/05 (Chacón Navas), NZA 2006, 839 = ZIP 2006, 1551 m. Bespr. Kock. 7 Gaul/Neumann, ArbRB 2007, 15 (18); vgl. EuGH v. 11.7.2006 – Rs. C-13/05 (Chacón Navas), NZA 2006, 839 = ZIP 2006, 1551; LAG Düsseldorf v. 14.5.2008 – 12 Sa 256/08. 8 Siehe zu § 2 Abs. 4 AGG ausführlich bei der Berücksichtigung des Lebensalters i.R.d. Sozialauswahl in Teil 2 Rz. 387 ff.
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629
Teil 3 Rz. 215c
Personenbedingte Kündigung
begriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten, dass sie Konkretisierungen des Begriffs der Sozialwidrigkeit darstellen. Der Begriff der sozialen Rechtfertigung in § 1 Abs. 2 AGG ist also europarechtskonform auszulegen.1 Außerhalb des KSchG bedürfen die §§ 138, 242 BGB eines gemeinschaftsrechtlichen Verständnisses.2 215c
" Praxistipp: Die Auswirkungen des AGG bzw. der Richtlinie auf die krank-
215d
Das bedeutet, dass auch krankheitsbedingte Kündigungen seit Inkrafttreten des AGG schwieriger werden können.3 Stellt die Krankheit zugleich eine Behinderung dar, wird daher immer zu prüfen sein, ob das Fehlen der Behinderung „eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt“ (§ 8 Abs. 1 AGG) und dem Arbeitgeber keine angemessenen Mittel zur Verfügung stehen, welche die Behinderung so mildern oder ausgleichen, dass der Behinderte seine Tätigkeit weiterhin ausüben kann.
215e
" Praxistipp: Behinderung in Sinne der Richtlinie setzt keine behördliche
215f
Eine unzulässige mittelbare Benachteiligung könnte darüber hinaus anzunehmen sein, da ältere Arbeitnehmer aufgrund ihrer tendenziell höheren krankheitsbedingten Fehlzeiten stärker als jüngere Arbeitnehmer von einer krankheitsbedingten Kündigung betroffen sein können. Vor allem die Dauer der Arbeitsunfähigkeit je Fall nimmt bei älteren Arbeitnehmern signifikant zu: So dauert eine Arbeitsunfähigkeit bei 60 bis 65-jährigen Arbeitnehmern durchschnittlich 24 Tage im Vergleich zu 8 Tagen bei 25 bis 30-jährigen Arbeitnehmern.5
heitsbedingte Kündigung sind derzeit noch weitgehend ungeklärt. Daher sollten die Kündigungsgründe zur Beweissicherung aufgrund der Beweiserleichterung des § 22 AGG umfassend dokumentiert werden.
Feststellung voraus. Ein wegen Krankheit gekündigter Mitarbeiter kann somit erst im Kündigungsschutzprozess – unter Beweisantritt – darlegen, dass er behindert ist. Zuvor besteht keine Pflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber über das Vorliegen einer Behinderung zu informieren.4
Eine mittelbare Benachteiligung liegt immer dann vor, wenn eine Regelung oder eine Maßnahme zwar neutral gefasst ist, ihre Anwendung jedoch tatsächlich prozentual erheblich mehr den einen als den anderen Personenkreis benachteiligt und diese unterschiedliche Behandlung nicht durch objektive Faktoren ge1 BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361; ebenso Vorinstanz LAG Niedersachsen v. 13.7.2007 – 16 Sa 269/07; LAG Düsseldorf v. 16.4.2008 – 2 Sa 1/078 (n.v.); so auch ErfK-Schlachter, § 2 AGG Rz. 16; HWK/Annuß/Rupp § 2 AGG Rz. 13; Adomeit/Mohr, NJW 2009, 2255 f.; Nicolai, AGG 2006, Rz. 194; Mohr, ZfA 2007, 361, 368; KDZ/Zwanziger, § 2 AGG Rz. 23 ff. m.w.N. 2 BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 511/03 – AP Nr. 142 zu § 102 BetrVG 1972 (n.v.); v. 25.4.2001 – 5 AZR 360/99 – AP BGB § 242 Kündigung Nr. 14 = EzA BGB § 242 Kündigung Nr. 4; v. 21. Februar 2001 – 2 AZR 15/00 – BAGE 97, 92. 3 Gaul/Neumann, ArbRB 2007, 15 (18); Kock, ZIP 2006, 1551 (1553); ders. ArbRB 2006, 343 (345). 4 Kock, ArbRB 2006, 343 (344). 5 Bericht zum Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (SUGA, früher Unfallverhütungsbericht Arbeit) des BMAS für das Jahr 2006, S. 36.
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Krankheit
Rz. 217 Teil 3
rechtfertigt ist. Um eine mittelbare Benachteiligung feststellen zu können, müssen somit Vergleichsgruppen gebildet werden, also im Falle der krankheitsbedingten Kündigung die Fehlzeiten jüngerer Arbeitnehmer und die älterer Arbeitnehmer. Eine mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer durch eine krankheitsbedingte Kündigung kann dann vorliegen, wenn dem Arbeitnehmer wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten gekündigt wird, die über dem Durchschnitt der Fehlzeiten vergleichbarer jüngerer Arbeitnehmer liegen, aber noch im Rahmen der durchschnittlichen Fehlzeiten vergleichbarer Arbeitnehmer seiner Altersgruppe sind. Liegen die Fehlzeiten jedoch über den durchschnittlichen Fehlzeiten vergleichbarer älterer Arbeitnehmer, ist eine Kündigung durch objektive Faktoren gerechtfertigt und es liegt keine mittelbare Diskriminierung vor.1 1. Krankheitsbegriff Unter Krankheit im medizinischen Sinne versteht man einen ärztlich diagnostizierbaren, nach außen in Erscheinung tretenden, auf die Funktionstauglichkeit abgestellten Körper-, Geistes- oder Seelenzustand, der in der Regel durch eine ärztliche Heilbehandlung behoben, die Krankheit erträglich zu machen und ihre Folgen zu lindern oder zumindest vor einer drohenden Verschlimmerung bewahrt werden kann.2 Dazu zählen neben körperlichen Erkrankungen auch psychische bzw. psychosomatische Erkrankungen und Suchtkrankheiten wie Alkohol- oder Drogensucht, sofern sie medizinischen Krankheitswert haben3, sowie epileptische Anfälle.4
216
Der arbeitsrechtliche Krankheitsbegriff knüpft an den medizinischen an5, unterscheidet sich jedoch von diesem dadurch, dass neben dem medizinischen Befund eine arbeitsrechtlich relevante Auswirkung der Erkrankung auf das betreffende Arbeitsverhältnis vorliegen muss. Eine medizinisch vom Arzt festgestellte Krankheit wird demnach kündigungsrechtlich erst dann bedeutsam, wenn die Erkrankung den Arbeitnehmer hindert, die von ihm vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Ist dem Arbeitnehmer eine objektiv vorhandenes Leiden nicht bekannt und hat er auch keine Beschwerden, so ist er nicht arbeitsunfähig.6 Dies bedeutet einerseits, dass Krankheitsbefunde, durch die der Arbeitnehmer nicht verhindert wird, seine Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag zu erfüllen, eine personenbedingte Kündigung nicht rechtfertigen können. Andererseits heißt dies, dass die Arbeitsfähigkeit nicht losgelöst von dem jeweiligen Arbeitnehmer und der von ihm zu verrichtenden Tätigkeit bestimmt werden kann, die Beurteilung dessen, ob eine Krankheit im arbeitsrechtlichen Sinne vorliegt, also immer nur im Verhältnis zu den vom Arbeitnehmer vertraglich übernommenen Verpflichtungen möglich ist.7
217
1 LAG Baden-Württemberg v. 18.6.2007 – 4 Sa 14/07, AE 2007, 323. 2 Lepke, S. 135 ff. Rz. 70 ff. m.w.N. aus der medizinischen Fachliteratur. 3 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 18; v. 7.12.1972 – 5 AZR 350/72, EzA § 1 Lohn.F. G Nr. 30. 4 LAG Baden-Württemberg v. 16.11.1965 – 7 Sa 7/65, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG. 5 BAG v. 3.11.1961 – 1 AZR 383/60, DB 1962, 102; Lepke, S. 138 Rz. 75. 6 Zutreffend LAG Berlin v. 29.3.1988 – 8 Sa 72/87, DB 1988, 2059. 7 BAG v. 25.6.1981 – 6 AZR 940/78, BB 1982, 805.
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Teil 3 Rz. 218
Personenbedingte Kündigung
2. Krankheitsbedingte Kündigung 218
Die Krankheit als solche stellt noch keinen Kündigungsgrund dar. Nur wenn sie mit einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit, der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers verbunden ist, dieser also die vertragsgemäße Leistung nicht mehr ordnungsgemäß erbringen kann, kann eine personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein.1 Die betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers müssen durch die Erkrankung des Arbeitnehmers allerdings in erheblichem Umfang beeinträchtigt sein;2 eine nur vorübergehende oder geringfügige Störung des Arbeitsverhältnisses reicht nicht aus, um eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Die Praxis unterscheidet vier Fallgruppen bei der Prüfung krankheitsbedingter Kündigungen: – – – –
219
Häufige Kurzzeiterkrankungen (dazu im Folgenden a) Langzeiterkrankungen (dazu im Folgenden b) Dauernde Arbeitsunfähigkeit (dazu im Folgenden c) Krankheitsbedingte Leistungsminderung (dazu im Folgenden d).
Auch für die krankheitsbedingte Kündigung gelten die zuvor bereits dargelegten Prüfungskriterien. Diese werden in vier Stufen von der Rechtsprechung3 konkretisiert: Danach ist die Kündigung nur dann wirksam, wenn die Erkrankung eine negative Gesundheitsprognose rechtfertigt, die prognostizierten weiteren Fehlzeiten zu einer Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers führen, diese nicht auf andere Weise (z.B. durch geeignete Überbrückungsmaßnahmen) zu beheben ist und dem Arbeitgeber unter Abwägung aller für und gegen die Kündigung sprechenden Umstände eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Die beiden letzten Stufen überschneiden sich häufig und werden vom BAG meist im Rahmen einer „Gesamtabwägung“ geprüft. Von daher hat sich in Rechtsprechung und Literatur überwiegend der Begriff des sog. „Drei-Stufen-Modells“ eingebürgert.4 a) Das betriebliche Eingliederungsmanagement
219a
Durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.20045 wurde mit Wirkung zum 1.5.2004 ein neuer § 84 Abs. 2 SGB IX eingeführt. Danach ist jeder Arbeitgeber verpflichtet, ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Ziel das BEM ist ausweislich des Wortlauts von § 84 Abs. 2 SGB IX, die Arbeitsunfähigkeit möglichst zu überwinden, er1 BAG v. 25.6.1981 – 6 AZR 940/78, BB 1982, 805; Lepke, S. 138 Rz. 75. 2 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 3 Zusammenfassend: BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; v. 2.11.1989 – 2 AZR 335/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30. 4 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41; v. 8.11.2007 – 2 AZR 292/06, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54.; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 138; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 379; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 346. 5 BGBl. I S. 606.
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Krankheit
Rz. 219d Teil 3
neuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers zu erhalten. Dadurch soll einer Gefährdung des Arbeitverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen möglichst frühzeitig begegnet werden.1 aa) Anwendungsbereich Das BEM ist sachlich immer dann anzuwenden, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Die Verpflichtung zur Durchführung des BEM setzt also ein, wenn der Anspruch auf Entgeltfortzahlung gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG endet und der Krankengeldanspruch gegen die Krankenkasse gem. §§ 44 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beginnt, das Risiko fortgesetzter Arbeitsunfähigkeit also nicht mehr von dem Arbeitgeber alleine zu tragen ist, sondern der Solidargemeinschaft übertragen wird.2 Der Zeitraum „innerhalb eines Jahres“ ist nicht im Sinne des Kalenderjahres zu verstehen, sondern bezieht sich auf die jeweils zurückliegenden zwölf Monate. Das Gesetz sieht dann Handlungsbedarf, wenn ein Beschäftigter innerhalb von 365 Tagen für mehr als sechs Wochen zusammenhängend oder in mehreren Zeitabschnitten arbeitsunfähig erkrankt. Würde auf das Kalenderjahr abgestellt, würde ohne sachlichen Grund eine sich über den Jahreswechsel hinziehende Krankheit ausgeschlossen.3
219b
Welcher Art die Erkrankung ist bzw. welche Ursache der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegt, ist dabei nicht zu berücksichtigen. Eine Beschränkung des BEM auf Arbeitsunfähigkeitszeiträume, die auf dieselbe oder verwandte Ursachen zurückzuführen sind, gibt zum einen der Wortlaut des § 84 Abs. 2 SGB IX nicht her und ist zum anderen nicht praktikabel.4 Denn der Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Mitteilung der der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden Diagnosen oder Ursachen. Die vom Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 1 EFZG vorzulegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthält nur die Dauer der voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit.
219c
Das betriebliche Eingliederungsmanagement findet auch im Kleinbetrieb Anwendung, spielt aber für die Wirksamkeit der Kündigung in der Regel keine Rolle. Denn die Grenze der Treuwidrigkeit einer Kündigung im Kleinbetrieb liegt deutlich über der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG. Sie findet ihre Grenze nur im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und § 138 BGB.5 Willkür kann jedoch nicht schon dann bejaht werden, wenn der Arbeitgeber nicht den durch § 84 Abs. 2
219d
1 BT-Drucks. 14/5074, 61; 15/1783, 15. 2 Welti, NZS 2006, 623 (625). 3 Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (855); Gundermann/Oberberg, AuR 2007, 19 (20); Klaesbaer, Personalrecht 2005, 427; Kossens, in: Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 Rz. 10; KR/Kriebeling, § 1 KSchG Rz. 324c; Moderegger, ArbRB 2005, 347 (348); Welti, NZS 623 (625). 4 Kossens, in: Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 Rz. 13; aA Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (855). 5 LAG Baden-Württemberg v. 18.6.2007 – 4 Sa 14/07, AE 2007, 323; LAG Köln v. 13.2.2006 – 14 (3) 1363/05; LAG Schleswig-Holstein v. 17.11.2005 – 4 Sa 328/05, BehR 2006, 170.
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Teil 3 Rz. 219e
Personenbedingte Kündigung
SGB IX vorgezeichneten Weg gegangen ist, sondern erst, wenn er die Zielsetzung dieses Gesetzes völlig ignoriert hat.1 219e
Nicht geklärt war bislang der persönliche Anwendungsbereich des § 84 Abs. 2 SGB IX. Von Teilen der Literatur wird angenommen, die Regelungen des BEM gelten nur für schwerbehinderte Menschen.2 Das BAG hat sich seit seiner Entscheidung vom 12.7.2007 der entgegenstehenden Ansicht angeschlossen. Hiernach gilt § 84 Abs. 2 SGB IX, anders als das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX, für alle Beschäftigten, nicht nur für Schwerbehinderte.3 Der einschränkenden Ansicht ist zwar zuzugeben, dass die Norm ungenau formuliert ist und die systematische Stellung in Teil 2 des SGB IX, der nach § 68 Abs. 1 SGB IX nur Schwerbehinderte erfassen soll, gegen die Erstreckung auf andere Arbeitnehmer spricht. Aus Wortlaut, Systematik und Zweck der Vorschrift folgt jedoch, dass § 68 Abs. 1 SGB IX für das BEM nicht gilt.4 § 84 Abs. 1 SGB IX ordnet für die dort genannten Maßnahmen die Einschaltung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung an. Demgegenüber besteht bei § 84 Abs. 2 SGB IX die Einschränkung, dass die Schwerbehindertenvertretung neben den regulären betrieblichen Vertretungen i.S.d. § 93 SGB IX lediglich „außerdem“, also zusätzlich, zu beteiligen ist. Entsprechendes regelt § 84 Abs. 2 Satz 6 SGB IX. Daher muss die Norm auch für andere Beschäftigte gelten. Dieses Ergebnis wird auch durch den Sinn und Zweck der Regelung bestätigt. Nach der Gesetzesbegründung sollen krankheitsbedingte Kündigungen bei allen Arbeitnehmern durch das BEM verhindert werden.5
219f
Um betriebsindividuelle Lösungen zu ermöglichen, sind Inhalt und Ablauf eines BEM gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es ist ein nicht formalisiertes Verfahren, das den Beteiligten jeden denkbaren Spielraum lässt. Offenbar soll so erreicht werden, dass keine der vernünftigerweise in Betracht kommenden zielführenden Möglichkeiten ausgeschlossen wird. Das Gesetz vertraut darauf, dass die Einbeziehung von Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsrat und externen Stellen sowie die abstrakte Beschreibung des Ziels ausreichen, um die Vorstellungen der Betroffenen sowie internen und externen Sachverstand in ein faires und sachorientiertes Gespräch einzubringen, dessen Verlauf im Einzelnen und 1 LAG Schleswig-Holstein v. 17.11.2005 – 4 Sa 328/05, BehR 2006, 170. 2 Arnold/Fischinger, BB 2007, 1894; Balders/Lepping, NZA 2005, 854; Brose, DB NZA 2005, 390 f.; dies. RdA 2006, 149 (151); Namendorf/Natzel, DB 2005, 390 f.; ErfK-Rolfs, § 84 SGB IX Rz. 1; Gagel, NZA 2004, 1359; Kossens in: Kossens/Von der Heide/Maß, § 84 Rz. 11; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1230a Fn. 1221. 3 BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, DB 2008, 2091 (n.v.); v. 8.11.2007 – 2 AZR 425/06, NZA 2008, 471; v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173 m.w.N.; ebenso vorher bereits die Instanzrechtsprechung vgl. LAG Berlin v. 27.10.2005 – 10 Sa 783/05, NZA 2006, 184; LAG Köln v. 18.5.2007 – 11 Sa 632/06, PersV 2008, 72 (Ls.); LAG Niedersachsen v. 29.3.2005 – 1 Sa 1429/04, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 36; v. 25.10.2006 – 6 Sa 974/05, BB 2007, 719; in der Literatur vgl. Braun, ZTR 2005, 630; Cramer, NZA 2004, 698 (703); Düwel, FS Küttner, 139, 146 f.; Joussen, DB 2009, 286; v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 1 Rz. 341; KDZ/Zwanziger/Deinert, § 84 SGB IX Rz. 12; KR/Kriebeling, § 1 Rz. 324b; Löw, MDR 2005, 609; Gaul/Süßbrich, ArbRB 2004, 308; Schlewing, ZfA 20005, 484 (490); Welti, NZS 2006, 623 f. 4 Ausführlich hierzu Schlewing, RdA 2006, 485 (490 ff.). 5 BT-Drucks. 15/1783 S. 15.
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Krankheit
Rz. 219j Teil 3
dessen Ergebnis sich nach den – einer allgemeinen Beschreibung nicht zugänglichen – Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalls zu richten haben. Das Gesetz benennt auch keine Personen oder Stellen, denen die Leitung des BEM anvertraut wäre. Demnach geht es um die Etablierung eines unverstellten, verlaufsund ergebnisoffenen Suchprozesses.1 Gleichwohl lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den gesetzlichen Zielen des BEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des BEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist und ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden.2
219g
Danach entspricht jedes Verfahren den gesetzlichen Anforderungen, das die zu beteiligenden Stellen, Ämter und Personen einbezieht, das keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- und Änderungsmöglichkeit ausschließt und in dem die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden.3 Wird das durchgeführte Verfahren nicht einmal diesen Mindestanforderungen gerecht, kann das zur Unbeachtlichkeit des Verfahrens insgesamt führen.4
219h
Ob im BEM die Möglichkeit eines Einsatzes auf anderen Arbeitsplätzen erörtert wurde, ist für seine Ordnungsgemäßheit ohne Bedeutung. Das BEM schreibt nicht die Erörterung bestimmter Mittel zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeit vor. Ebenso wenig verlangt es bestimmte Ergebnisse. Erst recht verlangt es vom Arbeitgeber nicht, bestimmte Vorschläge zu unterbreiten. Vielmehr hat es jeder am BEM Beteiligte – auch der Arbeitnehmer – selbst in der Hand, alle ihm sinnvoll erscheinenden Gesichtspunkte und Lösungsmöglichkeiten in das Gespräch einzubringen.5
219i
Der Arbeitgeber muss mit der zuständigen Interessenvertretung i.S.d. § 93 SGB IX, also Betriebs- bzw. Personalrat, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, und mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Beschäftigten, die Möglichkeiten klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit erforderlich, ist gem. § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX der Werks- oder Betriebsarzt hinzuzuziehen. Die organisatorische Umsetzung eines BEM liegt jedoch allein beim Arbeitgeber.6
219j
1 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015. 2 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398 3 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398; v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015. 4 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398 5 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015. 6 Kossens, in: Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 Rz. 10; Balders/Lepping, NZA 2005, 845 (855); Gagel, NZA 2004, 1359.
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Teil 3 Rz. 219k
Personenbedingte Kündigung
219k
Um der Verpflichtung zur Einführung des BEM zu entsprechen, sind organisatorische Vorbereitungen des Arbeitgebers unerlässlich. Zunächst muss die Belegschaft informiert werden. Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, sollten außerdem eine Verfahrensordnung aufgestellt und Mitarbeiter mit den Aufgaben des BEM betraut werden. Hierbei kann sich der Arbeitgeber auch außenstehender Dritter bedienen; in Betracht kommen vor allem anerkannte und von den Berufsgenossenschaften bzw. Berufsunfallversicherern zertifizierte sog. „Disability Manager“.
219l
" Praxistipp: Für die Einführung eines BEM kann der Arbeitgeber eine finan-
219m
Entscheidend für die Durchführung eines BEM ist die Zustimmung des Beschäftigten. Auch wenn die Interessenvertretung gem. § 93 SGB IX oder die Schwerbehindertenvertretung nach § 84 Abs. 2 Satz 6 SGB IX die Klärung möglicher Maßnahmen verlangen, ist die Zustimmung des Betroffenen erforderlich.1 Es handelt sich hierbei um eine zwingende Voraussetzung, denn oberster Grundsatz und Ziel des SGB IX ist gem. § 1 Satz 1 SGB IX das Selbstbestimmungsrecht des behinderten Menschen.2 Der Arbeitnehmer muss jedem zusätzlichen Schritt zustimmen; er ist immer Herr des Verfahrens.3 Der Erfolg eines BEM hängt maßgeblich von dem Vertrauen des Mitarbeiters ab. Entscheidend für den Arbeitgeber ist also, die Bereitschaft des betroffenen Arbeitnehmers zu wecken, aktiv an dem BEM mitzuwirken. Die Bedeutung des Einstiegs in das BEM ist nicht zu unterschätzen. Für den Arbeitnehmer besteht häufig eine hohe Hemmschwelle, da er den Verlust des Arbeitsplatzes wegen der Erkrankung fürchtet.
219n
" Praxistipp: Möchte der Arbeitnehmer von dem BEM keinen Gebrauch ma-
zielle Unterstützung durch Boni d.h. Beitragssenkungen oder -entlastungen oder Prämien von den Sozialleistungsträgern und dem Integrationsamt erhalten (§§ 84 Abs. 3, 102 Abs. 3 Nr. 2d SGB IX, § 26c SchwerbehindertenAusgleichsabgabeverordnung SchwbAV).
chen, so bedarf es für den Arbeitgeber keiner weiteren Maßnahmen i.R.d. § 84 Abs. 2 SGB IX. Insbesondere entfällt die Verpflichtung mit der Interessen- oder Schwerbehindertenvertretung weitere Schritte eines BEM zu erörtern.4 Aus Beweiszwecken sollte der Arbeitgeber sowohl die Aufforderung zur Durchführung als auch die Reaktion des Arbeitnehmers hierauf umfassend schriftlich dokumentieren. Denn ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast für sein Bemühen das BEM durchzuführen5, Eine pauschale Zustimmung des Beschäftigten zum BEM ist unzulässig. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer zuvor in jedem Fall gem. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des BEM hingewiesen haben. Die Einhaltung datenschutz-
1 2 3 4
Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (855) unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/1783, 16. Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (855); Gagel, NZA 2004, 1359 (1360 f.). Gagel, NZA 2004, 1359. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, DB 2008, 189; Balders/Lepping, NZA 2005, 845 (855); Trenk-Hinterberger, in: Handkommentar zum SGB IX 3. Auflage 2009, § 84 Rz. 32; Feldes, SozSich 2004, 279 (275); Gagel, NZA 2004, 1359 (1360 f.); Klaesberg, PersR 2005, 427; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 324d. 5 LAG Köln v. 8.9.2008 – 5 Sa 618/08, AiB 2009, 385–387.
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Krankheit
Rz. 219r Teil 3
rechtlicher Bestimmungen1 durch den Arbeitgeber ist von ausschlaggebender Bedeutung für die vertrauensvolle Mitwirkung des Beschäftigten und für seine Gewissheit, dass das Verfahren tatsächlich in seinem Interesse und nicht zur Vorbereitung einer Kündigung durchgeführt wird. Der Arbeitgeber sollte genau darüber informieren, in welchem Umfang Daten erhoben und verwendet werden. Auch wenn das Gesetz vom Freiwilligkeitsprinzip ausgeht, kann sich der Arbeitnehmer, der ein BEM ablehnt, im späteren Kündigungsschutzprozess nicht auf ein unterbliebenes BEM berufen. Dann obliegt es dem Arbeitnehmer zu beweisen, warum seine Weigerung kein Indiz für eine Negativprognose hinsichtlich seiner Arbeitsunfähigkeit ist.2
219o
Der Betriebs- oder Personalrat, bei schwerbehinderten Arbeitnehmern außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können ebenfalls die Klärung von Maßnahmen verlangen. Im Übrigen wachen sie darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt, § 84 Abs. 2 Satz 6, 7 SGB IX. Hierbei hat der Betriebs- oder Personalrat ein Initiativrecht zur Durchsetzung des BEM.3 Unterlässt der Arbeitgeber bei der Durchführung eines BEM die gesetzlich vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats nach § 84 Abs. 2 SGB IX und scheitert das BEM, soll sich der Arbeitgeber nach Ansicht des ArbG Marburg die unterlassene Beteiligung bei der Interessenabwägung zu seinen Lasten zurechnen lassen müssen, wenn bei einer ordnungsgemäßen Beteiligung eine Aussicht auf ein ordnungsgemäßes Gelingen bestanden hätte.4 Insbesondere soll er sich dann nicht mehr auf die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung berufen dürfen.
219p
Auch die generelle Einführung eines standardisierten Verfahrens zum BEM unterliegt der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 7 BetrVG bzw. des Personalrats nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 bzw. Nr. 15 BPersVG.5 Der Abschluss einer Betriebs-/Dienstvereinbarung über das formalisierte Verfahren des BEM empfiehlt sich jedoch, da die Betriebs-/Dienstvereinbarung auch gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer wirkt und daher einer Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX vorzuziehen ist.6
219q
" Praxistipp: Ablauf eines BEM
219r
– Feststellung, dass Arbeitnehmer mehr als 30 Tage in den vergangenen zwölf Monaten arbeitsunfähig war – Kontakt mit Arbeitnehmer und Information über das durchzuführende BEM – Zustimmung des Arbeitnehmers verlangen
1 2 3 4 5
Vgl. hierzu Gundermann/Oberberg, AuR 2007, 19. So auch Welti, NZS 2006, 623 (626). Düwell, FS Küttner (2006), S. 139 (152); a.A. Leuchten, DB 2007, 2482 (2485). ArbG Marburg v. 11.4.2008 – 2 Ca 466/07, DB 2008, 994. Düwell, FS Küttner (2006), S. 139 (152 f.); Gaul/Süßbrich/Kulejewski, ArbRB 2004, 308 (310); Gundermann/Oberberg, AuR 2007, 19 (24 f.); vgl. auch LAG Schleswig-Holstein v. 19.12.2006 – 6 TaBV 14/06; a.A. Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (856). 6 Gagel, NZA 2004, 1359 (1360).
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Teil 3 Rz. 219s
Personenbedingte Kündigung
– Einschaltung des Betriebs- bzw. Personalrats und ggf. Schwerbehindertenvertretung – Ggf. Einbeziehung Werks-/Betriebsarzt, Sozialleistungsträger, externer „Disability Manager“ – Vereinbarung konkreter Maßnahmen – Überprüfung der Maßnahmen bb) Folgen eines ordnungsgemäß durchgeführten BEM 219s
Ist ein BEM ordnungsgemäß durchgeführt worden, ist der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX nachgekommen. Das BEM hat seinen Zweck erfüllt und sein Ende gefunden. Dieser Umstand hat – je nach dem Ergebnis des BEM – weitere Folgen für die Darlegungslast.
219t
Hat das BEM zu einem negativen Ergebnis, also zur Erkenntnis geführt, es gebe keine Möglichkeiten, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu überwinden oder künftig zu vermeiden, genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wenn er auf diesen Umstand hinweist und behauptet, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Der nunmehr darlegungspflichtige Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast grundsätzlich nicht dadurch, dass er auf alternative Beschäftigungsmöglichkeiten verweist, die während des BEM behandelt und verworfen worden sind. Auch der Verweis auf nicht behandelte Alternativen wird grundsätzlich ausgeschlossen sein. Der Arbeitnehmer muss diese bereits in das BEM einbringen. Er kann allenfalls auf Möglichkeiten verweisen, die sich erst nach Abschluss des BEM bis zum Zeitpunkt der Kündigung ergeben haben.1
219u
Hat das BEM zu einem positiven Ergebnis geführt, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die empfohlene Maßnahme – soweit dies in seiner alleinigen Macht steht – vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung als milderes Mittel umzusetzen.2 Kündigt er, ohne sie umgesetzt zu haben, muss er im Einzelnen und konkret darlegen, warum die Maßnahme entweder trotz Empfehlung undurchführbar war oder selbst bei einer Umsetzung diese keinesfalls zu einer Vermeidung oder Reduzierung von Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätte. Dem wird der Arbeitnehmer regelmäßig mit einem einfachen Bestreiten entgegentreten können.3 cc) Folgen eines nicht bzw. nicht ordnungsgemäß durchgeführten BEM
219v
Das BEM ist nach allgemeiner Meinung keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung.4 Es ist somit also kein Kündigungs1 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398. 2 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015; v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398. 3 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398. 4 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398; v. 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, DB 2008, 2091 (n.v.); v. 8.11.2007 – 2 AZR 425/06, NZA 2008, 471 (n.v.); v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173 m.w.N.; ebenso BVerwG v. 29.8.2007 – 5 B 77/07, NJW
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Krankheit
Rz. 219w Teil 3
vorverfahren. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber auch kein bloßer Programmsatz oder keine bloße Ordnungsvorschrift, deren Missachtung folgenlos bleibt.1 Durch die dem Arbeitgeber von § 84 Abs. 2 SGB IX auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Ziel des BEM – wie das der gesetzlichen Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX – ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern.2 Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung der Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter und kranker Menschen. Dementsprechend stellt § 84 Abs. 1 SGB IX eine Konkretisierung des dem Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.3 Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung künftig zu beseitigen. Ein solches milderes Mittel ist zwar das BEM an sich nicht.4 Durch das BEM können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Damit kann eine Kündigung zwar noch nicht allein wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das BEM nicht durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des BEM überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten.5 Folglich ist auch der Widerspruch des Betriebsrats gegen die Kündigung des Arbeitnehmers offensichtlich unbegründet, wenn sich der Widerspruch nur darauf stützt, dass das BEM nicht durchgeführt wurde.
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5
2008, 166; LAG Berlin v. 27.10.2005 – 10 Sa 783/05, NZA 2006, 184; Arnold/Fischinger, BB 2007, 1894 (1896); v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 343; KR/Etzel, Vor §§ 85–92 SGB IX Rz. 36; Welti, NZS 2006, 623 (626); aA Brose, DB 2005, 390 (393); Gaul/Süßbrich/Kulejewski, ArbRB 2004, 308. So jedoch LAG Nürnberg v. 21.6.2006, NZA-RR 2007, 75 (77); Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (857); Namendorf/Natzel, FA 2005, 162, 164; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1230a. Vgl. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173; v. 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, NZA 2006, 442. BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015; v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, DB 2008, 189; v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, NZA 2007, 617 m.w.N.; LAG Berlin v. 27.10.2005 – 10 Sa 783/05, NZA 2006, 184; LAG Niedersachsen v. 25.10.2006 – 6 Sa 974/05, BB 2007, 719; LAG Nürnberg v. 21.6.2006 – 4 (9) Sa 933/05, BB 2006, 2362; ebenso KDZ/Zwanziger, § 85 SGB IX Rz. 42b. BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, DB 2008, 2091 (n.v.); 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, DB 2008, 189; LAG Berlin 27. Oktober 2005 – 10 Sa 783/05 – LAGE KSchG § 1 Krankheit Nr. 37; ebenso Düwell, FS Küttner 2006, 139; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 Rz. 344; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 215a; Lampe, Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer 2008, Rz. 478; Schlewing, ZfA 2005, 485 (495). BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, DB 2008, 189; vgl. für das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX: BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, NZA 2007, 617; Düwell BB 2000, 2570 (2573); Pahlen, AR-Blattei SD 1440.1 Rz. 167 f.; Welti NZS 2006, 623 (626).
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Teil 3 Rz. 219x
Personenbedingte Kündigung
Ein solcher Widerspruch führt auch nicht zu einem Weiterbeschäftigungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 5 BetrVG.1 219x
" Praxistipp: Findet das KSchG noch keine Anwendung, etwa weil der Arbeit-
219y
Die fehlende Durchführung des BEM hat jedoch Folgen für die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Rz. 56 ff.) im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Auswirkungen von erheblichen Fehlzeiten. Der Arbeitgeber darf sich nicht darauf beschränken, im Kündigungsschutzprozess pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine „freien Arbeitsplätze“, die der erkrankte Arbeitnehmer noch aufgrund seiner Erkrankung ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenden konkreten Sachvortrages des Arbeitgebers, der beinhalten muss,
nehmer zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht sechs Monate beim Arbeitgeber beschäftigt war, hat das Unterlassen eines BEM dagegen keine Auswirkungen. Dies ergibt sich im Umkehrschluss zu den og Grundsätzen. Denn daraus folgt, dass ein unterlassenes BEM einer Kündigung dann nicht entgegensteht, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte verhindert werden können. Selbst wenn der Arbeitgeber aber das BEM durchführt, ist er innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer aufgrund der hierbei gewonnenen Erkenntnisse zur Vermeidung einer Kündigung auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.2
– dass der Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist und – warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des bisherigen Arbeitsplatzes ausgeschlossen ist oder – warum der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann.3 219z
" Praxistipp: Die Anforderungen an den Sachvortrag sind nicht zu unterschät-
zen. Der Arbeitnehmer kann sich nunmehr schlicht ohne weiteren Sachvortrag auf ein unterlassenes BEM berufen, der Arbeitgeber muss dann umfassend und detailliert vortragen, warum auch ein BEM die Kündigung nicht hätte verhindern können. Dies dürfte nur in offensichtlichen Fällen gelingen. Das BAG will dadurch erreichen, dass ein BEM vom Arbeitgeber tatsächlich durchgeführt wird. Im Ergebnis ist das BEM somit doch eine Wirksamkeitsvoraussetzung4, so dass die Durchführung eines BEM anzuraten ist, sobald an eine krankheitsbedingte Kündigung gedacht wird. Ferner ist zu erwarten, dass bei Schwerbehinderten auch die Integrationsämter ihre
1 LAG Nürnberg v. 5.9.2006 – 6 Sa 458/06, ZTR 2007, 339. 2 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1053). 3 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, DB 2010, 1015; v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398; v. 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, DB 2008, 2091 (n.v.); 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, DB 2008, 189. 4 Tschöpe, NZA 2008, 398 (400).
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Krankheit
Rz. 222 Teil 3
Zustimmung zur Kündigung von der vorherigen Durchführung eines BEM abhängig machen werden.1 b) Häufige Kurzzeiterkrankungen In der (arbeitsgerichtlichen) Praxis zeigt sich die Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen als Hauptanwendungsfall der personenbedingten (krankheitsbedingten) Kündigung. Kurzzeiterkrankungen wirken sich wegen ihrer häufigen Nichtvorhersehbarkeit für die Betriebe erheblich belastend aus.2
220
aa) Negative Gesundheitsprognose Die bei der Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen vorzunehmende negative Zukunftsprognose ist begründet, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen oder des Fortdauerns der bestehenden Erkrankung im bisherigen Umfang rechtfertigen.3
221
Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können dabei Indizwirkung für ein entsprechendes Krankheitsbild in der Zukunft haben.4 Es existiert allerdings kein gesicherter Erfahrungssatz, wonach häufige Erkrankungen in der Vergangenheit sich in Zukunft wiederholen werden. Deshalb ist zu fordern, dass über ein bestimmtes Maß an Fehlzeiten in der Vergangenheit objektive Tatsachen vorliegen, welche die Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen.5 So kann sich beispielsweise aus der Art der Erkrankungen in der Vergangenheit „ablesen“ lassen, ob Wiederholungsgefahr besteht oder eher nicht: Lassen sich die Erkrankungen auf ein einheitliches Grundleiden zurückführen, welches im Zeitpunkt der Kündigung ausgeheilt ist, wird von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen und deshalb eine gleichwohl ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt sein. Haben dagegen die Erkrankungen der Vergangenheit jeweils eigene Ursachen, wird eine negative Zukunftsprognose eher möglich sein.6 Allerdings sind generell nur solche Erkrankungen prognoserelevant, für die eine Wiederholungsgefahr besteht. Ausgeheilte Leiden7 können daher grundsätzlich bei der Gesundheitsprognose ebenso wenig berücksichtigt werden wie Erkrankungen, die auf einmaligen Ur-
222
1 Balders/Lepping, NZA 2005, 854 (857). 2 Lepke, S. 272 Rz. 197. 3 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41; v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27; 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 4 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655. 5 Zutreffend: LAG Hamm v. 26.8.1980 – 6 Sa 583/80, DB 1981, 1194. 6 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655. 7 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 12.12. 1996 – 2 AZR 7/96 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41; v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA Nr. 25 zu § 1 KSchG Krankheit; 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969; v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Teil 3 Rz. 223
Personenbedingte Kündigung
sachen beruhen1, so z.B. eine Hals-Wirbelsäulen-Verrenkung aufgrund eines unverschuldeten Unfalls2, oder eine zeitweise situationsbedingte Depression durch den Freitod des Ehemannes.3 Beruhen die bisherigen Fehlzeiten vor allem auf Krankheiten und Beschwerden, die sich ohne besondere Therapie erfahrungsgemäß wiederholen, wie z.B. Erkältungs- und Entzündungskrankheiten oder Beschwerden des Bewegungsapparats, können auch ausgeheilte Krankheiten berücksichtigt werden, da sie von einer gewissen Anfälligkeit zeugen und somit eine Wiederholungsgefahr für die Zukunft indizieren.4 Ungewöhnlich häufig auftretende Unfallverletzungen, insbesondere aufgrund von sportlicher Betätigung, können ferner möglicherweise auf eine besondere Verletzungsanfälligkeit bzw. ein unvorsichtiges Verhalten des Arbeitnehmers schließen lassen und dadurch die Besorgnis rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft entweder nicht genügend auf seine Gesundheit achten oder nicht die erforderliche Vorsicht walten lassen werde.5 Berücksichtigt werden kann ferner auch das Alter des Arbeitnehmers. So kann etwa bei einem jungen Arbeitnehmer trotz sehr hoher Fehlzeiten in der Vergangenheit dennoch im Einzelfall eine positive Gesundheitsprognose vorliegen.6 223
Wenngleich die Rechtsprechung die Auffassung vertritt, keine generalisierende Festlegung der Krankenquote anzunehmen7, wird für die Praxis gleichwohl davon auszugehen sein, dass Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten in der Vergangenheit von bis zu sechs Wochen im Durchschnitt der letzten drei Jahre nicht ausreichen, um eine negative Zukunftsprognose zu stellen.8 Nur in besonderen Ausnahmefällen soll eine hiervon abweichende Betrachtungsweise möglich sein, so etwa in dem Fall eines häufig kurzzeiterkrankten Arbeitnehmers in gehobener Position oder wegen besonders schwerer „krankheitsbedingter“ Betriebsablaufsstörungen.9 Im Jahre 1984 hat der 7. Senat des BAG insoweit bei einem Kraftfahrer im ärztlichen Notfalldienst eine Krankheitsquote von 7,2 % für ausreichend erachtet.10 Die – durchaus uneinheitliche – Praxis der Instanzgerichte setzt höhere Fehlzeitenquoten in der Vergangenheit voraus: So verlangt z.B. das LAG Hamm eine Fehlquote von 25 %11 bzw. 43 %12 während das LAG Düsseldorf von 30 %13 bis 40 %14 ausgeht und das LAG Schleswig-Holstein15 eine Fehlzeitenquote von jährlich 27,7 % innerhalb der letzten 5 1/2 Jahre ausreichen lässt. 1 Vgl. hierzu BAG v. 14.1.1993 – 2 AZR 343/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 39 (Betriebsunfall). 2 BAG v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30. 3 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG Krankheit. 4 BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655. 5 BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 335/89. 6 LAG München v. 29.11.2007 – 3 Sa 676/06. 7 Vgl. zuletzt BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655. 8 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10; v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 9 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26. 10 BAG v. 29.8.1984 – 7 AZR 15/83. 11 LAG Hamm v. 15.12.1981 – 6 Sa 1219/81, DB 1982, 283. 12 LAG Hamm v. 17.2.1981 – 13 Sa 1259/80, DB 1981, 1193. 13 LAG Düsseldorf v. 19.3.1980 – 16 Sa 631/79, DB 1980, 1078. 14 LAG Düsseldorf v. 21.10.1982 – 13 Sa 1201/82, DB 1983, 723. 15 LAG Schleswig-Holstein v. 14.10.2002 – 4 Sa 66/02, ARST 2003, 190.
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Rz. 226 Teil 3
Für die negative Gesundheitsprognose maßgebend sind die zum Kündigungstermin bestehenden objektiven Verhältnisse. Ohne Belang ist es deshalb, wenn dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden und nachträglich zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogenen Erkrankungen des Arbeitnehmers nicht (vollständig) bekannt sind.1 Ferner ist es auch nicht entscheidend, wie der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber seinen Gesundheitszustand und die weitere gesundheitliche Entwicklung einschätzt, solange keine objektiven, medizinisch begründbaren Tatsachen vorliegen.2
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" Praxistipp: Auch wenn sich ein Arbeitgeber, bevor er die Kündigung erklärt,
225
Bei der Bewertung der Anhaltspunkte für künftige Fehlzeiten steht dem Gericht ein tatrichterlicher Ermessensspielraum nach §§ 144, 286 ZPO zu.5 Es kann dabei nicht auf einen „starren“ Zeitraum abgestellt werden. Zur Frage, über welchen Zeitraum hinweg Fehlzeiten in der Vergangenheit aufgetreten sein müssen, um eine Indizwirkung für künftige Krankheitszeiten begründen zu können, hat das BAG bereits einen Beobachtungszeitraum von 15 Monaten bei kurzer Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers für ausreichend angesehen6, ansonsten jedoch regelmäßig eine Spanne von mindestens 4 Jahren zugrunde gelegt.7 Zutreffend dürfte es sein, für die negative Gesundheitsprognose zumindest wiederholte Kurzerkrankungen über einen Zeitraum von 2 Jahren vor dem Kündi-
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nicht nach dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers erkundigt, führt dies nicht dazu, dass die Kündigung sozialwidrig wäre.3 Zwar dürfte es dem Arbeitgeber regelmäßig anzuraten sein, sich vorab über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers zu informieren und so seine Gesundheitsprognose auf eine sichere Basis stellen zu können; eine dahingehende Erkundigungspflicht besteht jedoch nicht. Dementsprechend ist auch der Arbeitnehmer vorprozessual grds. nicht verpflichtet, sich zur Feststellung seiner künftigen Arbeitseignung einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, es sei denn, eine derartige Untersuchung ist gesetzlich (z.B. durch § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V – Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit) oder arbeits- bzw. tarifvertraglich (z.B. durch § 7 Abs. 2 BAT – Feststellung der Dienstfähigkeit eines Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes) vorgeschrieben.4
1 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 LAG München v. 29.11.2007 – 3 Sa 676/06. 3 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 25.11. 1982 – 2 AZR 140/81, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; LAG Köln v. 18.5.2007 – 11 Sa 632/06, PersV 2008, 72 (Ls.); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1222; v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 353; anders noch BAG v. 12.3.1968 – 1 AZR 413/67, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Krankheit; ArbG Berlin v. 25.3.1976 – 26 Ca 210/75, DB 1976, 2072. 4 Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1222; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 354 f. vgl. auch Lepke, S. 189 f. Rz. 128 ff. 5 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, NZA 1990, 307 (308); v. 14.1.1993 – 2 AZR 343/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 39; v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41. 6 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 598/92, RzK I 5 g Nr. 54; zustimmend KDZ/Kittner/Deinert, 7. Auflage 2008, § 1 KSchG Rz. 84c. 7 Vgl. z.B. BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; v. 5.7. 1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32, jeweils m.w.N.
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Teil 3 Rz. 227
Personenbedingte Kündigung
gungsausspruch vorauszusetzen, da über einen kürzeren Zeitraum hinweg aufgetretene Erkrankungen keine hinreichend zuverlässige Beurteilung der künftigen Krankheitsentwicklung ermöglichen.1 Der Zeitraum von nur einem Jahr oder auch 15 Monaten erscheint zu kurz, um entsprechende Schlüsse ziehen zu können, da auch im übrigen gesunde Menschen nacheinander mehrere Kurzzeiterkrankungen ereilen können und darüber hinaus die Wiederholung der Zeitdauer eines Jahres geeignet ist, reine Zufälligkeiten auszuschließen. 227
Für die Erstellung der negativen Zukunftsprognose kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs an.2 Nach der Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 10.11.1983 sollte es möglich sein, eine unsichere Zukunftsprognose durch die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen zu korrigieren.3 Eine solche Korrektur wird aber bereits dadurch häufig unmöglich, dass nach Ausspruch der Kündigung ein neuer Kausalverlauf in Gang gesetzt wird, weil der bislang zögernde Arbeitnehmer sich nun einer längst überfälligen Operation oder Entziehungskur unterwirft4 oder seine bislang nicht gesunde Lebensführung entscheidend umstellt.5
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Unabhängig davon ist aber auch aus Rechtsgründen die vom 2. Senat seinerzeit angenommene Korrekturmöglichkeit abzulehnen: Für die Beurteilung der negativen Gesundheitsprognose ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung abzustellen, und Durchbrechungen dieses allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsatzes sind abzulehnen. Der 2. Senat hat seine ursprüngliche Auffassung deshalb zu Recht zwischenzeitlich nicht weiter aufrechterhalten.6 Es ist mithin ausgeschlossen, allein aufgrund des weiteren tatsächlichen Verlaufs einer Erkrankung oder der Fehlzeiten (während eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens) eine zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung korrekte Zukunftsprognose zu korrigieren.7
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Auf eine nachträglich eintretende Gesundheitsentwicklung, beispielsweise durch eine nach Kündigungszugang erfolgte Operation, die eine Ausheilung des Grundleidens bewirkt, oder durch eine Änderung der Lebensführung, die
1 LAG Hamm v. 4.12.1996 – 2 Sa 511/96, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; ebenso KR/ Griebeling, § 1 KSchG Rz. 330; HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, § 1 Rz. 507; HKKSchG/Weller/Dorndorf, § 1 Rz. 391; Lepke, S. 224 ff. Rz. 157 f.; v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 1 KSchG Rz. 360, die einen Zeitraum von einem Jahr für ausreichend erachten. 2 St. Rspr. vgl. BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; ebenso MünchArbR/Berkowsky, § 136 Rz. 25; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 325. 3 BAG v. 10.11.1983 – 2 AZR 291/82, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 4 Zutreffend BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, DB 1987, 2156. 5 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 6 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; ebenso: Stahlhacke/Preis/ Vossen, Rz. 1226; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 351. 7 LAG Hamm v. 8.5.1996 – 2 (17) Sa 989/94, NZA-RR 1997, 48; ErfK/Oettker, § 1 KSchG Rz. 115; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1226; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 351; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 200; a.A. HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, § 1 KSchG Rz. 540; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 389.
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Rz. 234 Teil 3
nachträglich die negative Gesundheitsprognose relativiert, kann sich der Arbeitnehmer daher nicht berufen.1 Anders ist es zu beurteilen, wenn bereits im Zugang der Kündigung Anhaltspunkte für eine Abweichung vom prognostizierten Krankheitsverlauf vorlagen, etwa ein geplanter Kuraufenthalt des Arbeitnehmers. Dann gilt die Prognose, die aufgrund dieser Anhaltspunkte hätte getroffen werden müssen.2
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Ähnlich hat das BAG im Falle eines Arbeitnehmers entschieden, der sich nach einer Blinddarmoperation wegen Übelkeit und Magenbeschwerden in ärztlicher Behandlung befand und dem ein ärztliches Gutachten künftige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte. Die Tatsache, dass das Gutachten ausschließlich auf organische Restbeschwerden abgestellt und eine erneute ärztliche Überprüfung nach 2 Wochen empfohlen hatte, legte nahe, dass die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich oder möglicherweise von absehbarer Dauer sein würde, so dass die Kündigung bereits mangels negativer Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt sozial ungerechtfertigt war.3
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Die Darlegungs- und Beweislast für die negative Gesundheitsprognose obliegt grds. dem Arbeitgeber. Er hat die krankheitsbedingten Fehlzeiten exakt nach Perioden, Lage und Dauer eines jeden Kalenderjahres, auf welches er sich zur Begründung seiner Kündigung stützt, anzugeben.4 Pauschale Angaben (z.B. 40 Arbeitstage im Jahre 2001, 37 Arbeitstage im Jahre 2002) sind nicht ausreichend.
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" Praxistipp: Dem Arbeitgeber ist zu empfehlen, eine Auflistung der entspre-
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Da die für die Prognose erforderlichen Umstände aus dem Bereich des Arbeitnehmers kommen und daher dem Arbeitgeber regelmäßig nicht bekannt sind, darf sich der Arbeitgeber jedoch zunächst darauf beschränken, die bisherigen Fehlzeiten des zu kündigenden Arbeitnehmers darzulegen und darauf gestützt die Gefahr weiterer zukünftiger Erkrankungen zu behaupten.6 Den vorangegangenen Krankheitszeiten wird insofern indizielle Bedeutung hinsichtlich später zu erwartender Kurzerkrankungen beigemessen.7 Prognoserelevant sind dabei
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chenden Fehlzeiten (Arbeitstage) in Form einer Tabelle anzufertigen und auch in Bezug auf die wirtschaftlichen Belastungen gleichzeitig die tatsächlich angefallenen Entgeltfortzahlungskosten aufzulisten.5 Soweit im Betrieb des kündigenden Arbeitgebers ein Betriebsrat errichtet ist, ist diesem die entsprechende Tabelle im Rahmen der Beteiligung gem. § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung vorzulegen.
1 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978 (980); v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328 (1330); a.A. BAG v. 10.11.1983 – 2 AZR 291/82, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 BAG 10.11.1983 – 2 AZR 291/82, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; vgl. auch LAG Hamm v. 30.10.2006 – 8 (11) Sa 432/05. 3 BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 558/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 48. 4 BAG v. 16.8.1990 – 2 AZR 174/90, RzK I 5 g Nr. 41. 5 Vgl. die Tabelle in BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655. 6 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2206, 655; LAG Köln v. 18.5.2007 – 11 Sa 632/06, PersV 2008, 72 (Ls.); Ascheid, Beweislastfragen, S. 87; Elsner, Personenbedingte Kündigung, S. 80. 7 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10.
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Teil 3 Rz. 235
Personenbedingte Kündigung
auch Einzelfehltage, für die keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden müssen.1 Eine negative Prognose kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn hinsichtlich der bisherigen Erkrankungen eine gewisse Regelmäßigkeit zu erkennen ist und die krankheitsbedingten Fehlzeiten eine steigende oder zumindest gleichbleibende Tendenz aufweisen.2 235
Ist nach dem Vorbringen des Arbeitgebers von einer Negativprognose auszugehen, obliegt es dem Arbeitnehmer, die getroffene Prognose zu erschüttern, indem er darlegt, weshalb mit seiner baldigen Gesundung zu rechnen ist, Die Indizwirkung kann er dadurch erschüttern, dass er konkrete Umstände darlegt, die einer Negativprognose entgegenstehen.3 Solche Umstände liegen beispielsweise dann vor, wenn die bisherigen Erkrankungen auf Ursachen beruhen, die eine wiederholte Erkrankung nicht befürchten lassen (z.B. bei einem mittlerweile ausgeheiltem Beinbruch) oder wenn der Arbeitnehmer konkret darlegt, welche Krankheiten durch eine vor Ausspruch der Kündigung erfolgte Kurmaßnahme günstig beeinflusst worden sind.4 Im Falle einer besonderen Krankheitsanfälligkeit und daraus resultierenden häufigen Kurzerkrankungen hat der Arbeitnehmer substantiiert darzulegen, vor welchem tatsächlichen Hintergrund oder aufgrund welcher neuen Kausalverläufe er bzw. seine Ärzte von einer positiven Entwicklung für die Zukunft ausgehen.5 Dies gilt auch für einzelne Fehltage, für die keine ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom Arbeitnehmer vorgelegt werden mussten. Der Arbeitnehmer muss nur die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten beseitigen, nicht jedoch den Gegenbeweis führen.
236
Seiner prozessualen Mitwirkungspflicht aus § 138 Abs. 2 ZPO genügt der Arbeitnehmer bei fehlender eigener Kenntnis seines gesundheitlichen Zustandes schon dann, wenn er die negative Gesundheitsprognose bestreitet, eine positive ärztliche Prognose behauptet und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet.6 Begründet wird dies zutreffend damit, dass in der Praxis davon auszugehen sein dürfte, dass ein Arbeitnehmer in aller Regel kaum in der Lage ist, den exakten Krankheitsbefund und seine vermutliche Entwicklung hinreichend genau zu schildern.7 Das Bestreiten der negativen Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ein ärztliches Zeugnis ist auch dann möglich, wenn der Arbeitnehmer sich vorprozessual geweigert hat, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien.8 Allerdings muss der Arbeitnehmer 1 2 3 4 5
Vgl. LAG Köln v. 18.5.2007 – 11 Sa 632/06, PersV 2008, 72 (Ls.). BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26. BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26. BAG v. 12.12.1996 – 2 AZR 7/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41. LAG Köln v. 18.5.2007 – 11 Sa 632/06, PersV 2008, 72 (Ls.); LAG Schleswig-Holstein v. 3.11.2005 – 3 Sa 320/05, NZA-RR 2006, 129. 6 BAG v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 12; v. 23.9.1992 – 2 AZR 63/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 37; v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 27.11.2003 – 2 AZR 601/02, ZTR 2004, 536, 538; v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2206, 655; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 180; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 333. 7 In diesem Sinne BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; a.A. APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 211. 8 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969.
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Krankheit
Rz. 239 Teil 3
zumindest darlegen, dass die Ärzte seine künftige Entwicklung ihm gegenüber als günstig beurteilt haben. Bei einer besonderen Krankheitsanfälligkeit bedeutet das, dass der Arbeitnehmer vortragen muss, vor welchem Hintergrund oder auf Grund welcher neuen Kausalverläufe er oder seine Ärzte nunmehr von einer positiven Entwicklung ausgehen. Nicht ausreichend ist daher der Vortrag des Arbeitnehmers, der sich erst durch die Berufung auf die behandelnden Ärzte die fehlende Kenntnis über den weiteren Verlauf seiner Erkrankung verschaffen will.1 Die bloße Einreichung einer Schweigepflichtsentbindung würde in diesem Fall auf einen reinen Ausforschungsbeweis hinauslaufen.2 Beruhen die erheblichen Fehlzeiten auf verschiedenen Krankheiten, indiziert dies eine besondere Krankheitsanfälligkeit, ohne dass ggf. durch ein Sachverständigengutachten bei jeder einzelnen der Erkrankungen eine Zukunftsprognose erstellt werden muss.3 Da der Arbeitnehmer nicht den Beweis führen muss, dass die Negativprognose nicht gerechtfertigt ist, ist die Indizwirkung der Krankheitszeiten in der Vergangenheit dann als ausreichend erschüttert anzusehen, wenn sich aus den Auskünften der behandelnden Ärzte jedenfalls Zweifel an der Negativprognose ergeben.4
" Praxistipp: Weigert sich allerdings der Arbeitnehmer im Prozess, seine ihn
237
Gelingt es dem Arbeitnehmer, die Negativprognose zu erschüttern, obliegt es dem Arbeitgeber, nachzuweisen, dass die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Tatsachen entweder nicht zutreffen oder aber auf die Negativprognose keinen Einfluss haben. Da er hierzu regelmäßig auf die Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte bzw. auf ein medizinisches Sachverständigengutachten angewiesen sein wird, hat der Arbeitnehmer letztere durch die Entbindung der Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu ermöglichen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, liegt darin eine Beweisvereitelung.6
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behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden und vermag er auch sonst nichts Konkretes darzulegen, was für seine baldige Genesung spricht, so gilt das Vorbringen des Arbeitgebers gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, und es ist zu seinen Lasten von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.5
bb) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen Auch die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist nur unter der Voraussetzung sozial gerechtfertigt, dass die prognostizierten Fehlzeiten eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen nach sich ziehen. So können wiederholte kurzfristige Ausfallzeiten aufgrund von Erkrankungen 1 BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655; a.A. LAG Hamm v. 30.10.2006 – 8 (11) 432/05. 2 LAG Köln v. 18.5.2007 – 11 Sa 632/06, PersV 2008, 72 (Ls.). 3 LAG Köln v. 19.8.2005 – 4 Sa 335/05, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 36a. 4 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit (n.v.). 5 BAG v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 12; v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 335. 6 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 367; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 396.
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Teil 3 Rz. 240
Personenbedingte Kündigung
des Arbeitnehmers zu schwerwiegenden Störungen im Produktionsprozess führen (Betriebsablaufstörungen). Grund für eine Kündigung kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein.1 Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn aufgrund der häufigen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist.2 (1) Betriebsablaufstörungen 240
Schwerwiegende Störungen im Produktionsablauf, die durch krankheitsbedingte Ausfallzeiten des Arbeitnehmers bedingt sind, sind grundsätzlich geeignet, eine personenbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen zu begründen.3 Solche kündigungsrelevante Betriebsablaufsstörungen liegen vor, wenn Kunden- oder Lieferantentermine nicht eingehalten werden können, Personalreserven nicht ausreichen oder Ersatzpersonal kurzfristig nicht beschafft werden kann, soweit Produktionsausfall oder -stau eintritt, wenn Produktionsrückgang wegen kurzfristig eingesetzten und erst einzuarbeitenden Personal zu verzeichnen ist. Generell wird man festhalten können, dass zu Betriebsablaufstörungen neben Störungen im Produktionsprozess wie Stillstand von Maschinen oder Produktionsrückgang auch Überlastung der verbleibenden übrigen Arbeitnehmer durch Mehrarbeit und dadurch gestörter Betriebsfrieden zu zählen sind.4 Auf Betriebsablaufstörungen kann sich der Arbeitgeber nicht berufen, wenn er den Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen ohnehin nicht mehr beschäftigen kann.5
241
" Praxistipp: Für das Vorliegen schwerwiegender Betriebsablaufsstörungen
242
Derartige Betriebsablaufstörungen sind als Kündigungsgrund jedoch nur dann geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können, also durch Maßnahmen, die anlässlich des konkreten Ausfalls eines Arbeitnehmers ergriffen werden, aber auch durch den Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorgehaltenen Personalreserve. Können krankheitsbedingte Fehlzeiten auf diese Weise überbrückt werden, so liegt bereits objektiv eine Betriebsablaufstörung und damit insoweit ein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund nicht vor.7 Bei Betriebsablaufstörungen wegen wiederholter Kurzerkrankung des Arbeitnehmers wird mangels Vorhersehbarkeit der Ar-
ist der Arbeitgeber in vollem Umfange darlegungs- und beweisbelastet. Er muss die aufgetretenen Störungen nach Ort, Verlauf und Auswirkung konkret schildern und darlegen, wann er welche Betriebsablaufstörungen wie überbrückt hat.6
1 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 3 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; v. 29.8.1991 – 2 AZR 220/91 (A), AP Nr. 32 zu § 622 BGB; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1225; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 373. 4 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; v. 10.5.1990 – 2 AZR 580/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 31. 5 LAG Berlin-Brandenburg v. 25.1.2007 – 6 Sa 1245/06, NZA-RR 2007, 465. 6 LAG Rheinland-Pfalz v. 2.11.2006 – 11 Sa 584/06. 7 BAG v. 10.5.1990 – 2 AZR 580/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 31.
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Krankheit
Rz. 244 Teil 3
beitsunfähigkeitszeiten die Überbrückung mittels einer Aushilfskraft oder durch Umstrukturierung der Arbeitsabläufe allerdings nur in den seltensten Fällen in Betracht zu ziehen sein.1 Welche Überbrückungsmaßnahmen dem Arbeitgeber konkret zuzumuten sind, bleibt einer Einzelfallbetrachtung vorbehalten.2 Neben der Art des Arbeitsplatzes des erkrankten Arbeitnehmers spielen auch die Intensität sowie der Umfang der Überbrückungsmaßnahmen eine Rolle. Mehraufwand, der in bloßer Umorganisation wird in zumutbarem Rahmen vom Arbeitgeber hinzunehmen sein, so etwa in Form von Anordnung gelegentlicher Überstunden oder Kompensation durch eigens dafür eingesetzte sog. Springer; im Einzelfall soll ggfls. auch die Neueinstellung einer befristet beschäftigten Aushilfskraft vom Arbeitgeber zu fordern sein.3 Nicht mehr zuzumuten ist dem Arbeitgeber allerdings die Verpflichtung zur Vorhaltung einer Personalreserve zur Abfederung kurzfristiger krankheitsbedingter Ausfälle.4 Ob und wenn ja, in welchem Umfang der Arbeitgeber Springer zur Kompensation krankheitsbedingter Personalausfälle einsetzen will, legt der Arbeitgeber aufgrund freier unternehmerischer Entscheidung selbst fest. Entscheidend ist, ob eine eingerichtete Personalreserve tatsächlich zum Ausgleich krankheitsbedingter Ausfallzeiten herangezogen werden könnte.5 Hält der Arbeitgeber eine Personalreserve vor, muss er substantiiert darlegen, warum dennoch die einzelnen Ausfallzeiten jeweils zu Betriebsablaufstörungen geführt haben, z.B. durch Mehrarbeit und Überstunden.6
243
Schließlich kommt eine Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen und dadurch entstandener Betriebsablaufsstörungen nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip erst dann in Betracht, wenn mildere Mittel dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen. Versetzung, Änderung bestehender Arbeitsbedingungen oder Umschulungsmaßnahmen dürften vom Arbeitgeber allerdings nur dann abzufordern sein, wenn die krankheitsbedingten Ausfallzeiten arbeitsplatzbezogen sind.7 Bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit verlangt das BAG den Einsatz auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz auch dann, wenn dieser Arbeitsplatz erst durch Ausübung des Direktionsrechtes vom Arbeitgeber freigemacht werden muss.8 Aus den oben angeführten Gründen dürfte dies allerdings zu weit gehen.
244
1 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15; v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 BAG v. 15.2.1984 – 2 AZR 573/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15. 3 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15; v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30; v. 29.8.1991 – 2 AZR 220/91 (A), AP Nr. 32 zu § 622 BGB; kritisch Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1229. 4 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 373. 5 BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 23/89 (n.v.). 6 LAG Hamm v. 6.5.2004 – 8 (2) Sa 1615/03. 7 BAG v. 5.8.1976 – 3 AZR 110/75, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 2; v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 5; LAG Düsseldorf v. 4.5.1995 – 5 Sa 717/94, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 20. 8 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 42; v. 29.10.1998 – 2 AZR 666/97; a.A. LAG Hamm v. 20.1.2000 – 8 Sa 1420/99, LAGE § 1 KSchG Personen-
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Teil 3 Rz. 245
Personenbedingte Kündigung
(2) Wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers 245
Zu den wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers zählen neben den Kosten für den Einsatz von Aushilfskräften die Entgeltfortzahlungskosten, die für den erkrankten Arbeitnehmer aufgewandt werden mussten. Sie spielen in der Praxis die Hauptrolle.1
246
Die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten, die eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen erlauben, lässt sich zwar nicht allgemein festlegen. Als Anhaltspunkt kann jedoch die Regelung des § 3 EFZG dienen, in der vom Gesetzgeber eine sechswöchige Fehlzeit als zumutbare wirtschaftliche Belastung vorausgesetzt wird, was einem Arbeitsausfall von 13 % bei 230 Arbeitstagen entspricht.2 Demgemäß hält das BAG Fehlzeitquoten von sechs Wochen im Durchschnitt der letzten drei Jahre grds. für unerheblich3 und sieht erst eine jährliche Fehlzeitquote von im Durchschnitt 15–20 % der Arbeitszeit als kündigungsrelevant an4, während die Instanzgerichte bislang regelmäßig von einer jährlichen Krankheitsquote von mindestens 25 % ausgehen.5
247
Nicht erforderlich ist es, dass – bezogen auf die bisherige Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses – Entgeltfortzahlungen für durchschnittlich mehr als sechs Wochen jährlich vom Arbeitgeber geleistet wurden6, sofern in Zukunft Ausfallzeiten von mehr als sechs Wochen/Jahr zu erwarten sind.
248
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass tarifliche Regelungen, die eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über die gesetzlich festgelegten sechs Wochen hinaus vorsehen, für sich genommen noch nicht die Annahme begründen, die Entgeltfortzahlung für krankheitsbedingte Ausfallzeiten müsse sechs Wochen im Jahr übersteigen7, um eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen zu können. Etwas anderes gilt lediglich, wenn der Tarifvertrag eindeutig ergibt, dass dem Arbeitnehmer ein verstärkter Kündigungsschutz zuteil werden soll.8
1
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bedingte Kündigung Nr. 17; LAG Berlin v. 3.11.1997 – 9 Sa 67/97, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 27; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 378. BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15; 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 159; HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, § 1 KSchG Rz. 520; Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 209; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 377, jeweils m.w.N. BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32; v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, DB 1983, 1047; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 377 m.w.N. BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15. BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40 (mehr als 6 Wochen); vgl. auch Weber/Hoß, DB 1993, 2429 f. mit Nachweisen aus der Rspr. LAG Hamm v. 15.12.1981 – 6 Sa 1219/81, DB 1982, 283 (Fehlzeiten von 25 %); v. 17.2.1981 – 13 Sa 1259/80, DB 1981, 1193 (30 %); LAG Düsseldorf v. 19.3.1980 – 16 Sa 631/79, DB 1980, 1078 (30 %); v. 21.10.1982 – 13 Sa 1201/82, DB 1983, 723 (724) (40 %); LAG Schleswig-Holstein v. 14.10.2002 – 4 Sa 66/02, ARST 2003, 190 (27,7 %); LAG Hamm v. 4.12.1996 – 2 Sa 511/96, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 26 hält eine Krankheitsquote von 12–14 % jährlich für zu niedrig. BAG v. 13.8.1992 – 2 AZR 231/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 36. BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, NZA 1990, 434, 436. Vgl. APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 166.
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Krankheit
Rz. 251 Teil 3
Entscheidend für die Beurteilung der wirtschaftlichen Beeinträchtigung durch die Erkrankung des Arbeitnehmers und die damit verbundenen Entgeltfortzahlungen sind die im Hinblick auf das konkrete Arbeitsverhältnis anfallenden Kosten und die Frage, ob diese auf Dauer zu einer erheblichen Störung des einzelnen arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses führen. Nicht abzustellen ist demgegenüber auf die wirtschaftliche Gesamtlage des Betriebes.1 Der Arbeitnehmer kann sich deshalb gegenüber dem Inhaber eines gut laufenden Großbetriebs nicht mit Erfolg darauf berufen, die mit den Ausfallzeiten verbundenen finanziellen Belastungen hätten keine erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Gesamtbetrieb.2 Ebenfalls unerheblich ist es, wenn der Arbeitgeber diejenigen Leistungen, die er trotz Nichterbringung der Arbeitsleistung durch den erkrankten Arbeitnehmer z.B. durch ein besonderes Vergütungssystem auf andere Arbeitnehmer zumindest teilweise abwälzen kann.3 Erheblich für die Frage, wann Lohnfortzahlungskosten eine Kündigung sozial rechtfertigen, ist auch, ob die Ausfallquoten des Arbeitnehmers und die daraus resultierenden Lohnfortzahlungskosten wesentlich über dem Durchschnitt der Arbeitnehmer, die eine vergleichbare Arbeit unter ähnlichen Bedingungen verrichten, liegen und – bezogen auf diese Vergleichsgruppe – eine erhebliche wirtschaftliche Belastung begründen.4 Ist auch bei den Kollegen die Quote der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit besonders hoch, dann kann nur eine ganz erheblich höhere Ausfallquote eine Kündigung rechtfertigen, und dies auch nur, wenn Überbrückungsmaßnahmen nicht erfolgreich oder nicht mehr zumutbar waren.5
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Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Belastung außer Betracht bleiben Entgeltfortzahlungen für einmalige krankheitsbedingte Fehlzeiten sowie für Fehlzeiten aufgrund nunmehr ausgeheilter Krankheiten, da diese nicht die Gefahr einer Wiederholung beinhalten und deshalb bei einer Prognose der künftigen wirtschaftlichen Belastung nicht zu berücksichtigen sind. Auch Fehlzeiten, für die eine Entgeltfortzahlungspflicht gar nicht entstanden ist, etwa deshalb, weil bei einer Einzelerkrankung der in § 3 EFZG genannte Zeitraum von sechs Wochen überschritten worden ist, sind in die Prüfung der wirtschaftlichen Belastung nicht mit einzubeziehen.6
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Ob die alleinige Begründung einer erheblichen Störung betrieblicher Belange mit Entgeltfortzahlungskosten ausreichend ist, wird unterschiedlich bewertet. Während die Rechtsprechung der Instanzgerichte vereinzelt verlangt, dass jedenfalls regelmäßig eine Störung im betrieblichen Ablauf7 oder aber Vorhaltekosten einer Personalreserve8 hinzukommen müssen, um von einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auszugehen, ist dem das BAG zu
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BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593. BAG v. 22.5.1986 – 2 AZR 502/85, RzK I 5g Nr. 16. BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593. BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, DB 1989, 2075 (2076); v. 10.5.1990 – 2 AZR 580/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 31. BAG v. 15.2.1984 – 2 AZR 573/82, AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 344. LAG Köln v. 21.2.1989 – 3 Sa 1158/88, DB 1989, 1295. LAG Rheinland-Pfalz v. 12.11.1992 – 4 Sa 593/92.
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Teil 3 Rz. 252
Personenbedingte Kündigung
Recht entgegengetreten.1 Mit seiner Kündigung reagiert der Arbeitgeber in diesen Fällen ausschließlich auf für ihn unerträgliche wirtschaftliche Folgen einer Krankheit seines Arbeitnehmers, so dass insofern auch nicht etwa ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB2 gegeben ist. 252
" Praxistipp: Für die zu erwartenden betrieblichen Beeinträchtigungen ist der
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Wird die Kündigung auf eine Betriebsablaufstörung gestützt, muss der Arbeitgeber die Störungen und ihre Auswirkungen auf die betriebliche Planung im Einzelnen darlegen und zudem Ausführungen dazu machen, weshalb die Fehlzeiten nicht durch eine etwaig vorgehaltene Personalreserve bzw. eine Aushilfskraft in zumutbarer Weise zu überbrücken sind.3 Bei einer durch Krankheitsausfälle erforderlich werdenden Umorganisation der Arbeitsabläufe muss vorgetragen werden, welche Umsetzungen konkret vorgenommen wurden und ob dies mit Ableistung von Mehrarbeit, etwa durch das in den von der Umsetzung betroffenen anderen Arbeitsbereichen verbliebene Personal, und insoweit mit einer Überlastung dieses Personals verbunden gewesen ist; denn auch in der Überlastung des verbliebenen Personals, und nicht nur in Produktionsstörungen oder -stillstand, kann eine Betriebsstörung liegen.4 Wird sie auf wirtschaftliche Belastungen durch Entgeltfortzahlungskosten gestützt, genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, dass er für den betreffenden Arbeitnehmer in der Vergangenheit für mehr als 6 Wochen im Jahr Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte und eine Belastung in dieser Höhe auch künftig zu besorgen ist.5
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" Praxistipp: Bei der Ermittlung der Entgeltfortzahlungskosten sind auch die
Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig, d.h. er muss konkret vortragen, welche Belastungen durch die krankheitsbedingten Ausfälle im Betrieb eingetreten sind und voraussichtlich noch eintreten werden.
vom Arbeitgeber abgeführten Sozialversicherungsbeiträge mit zu berücksichtigen.
cc) Interessenabwägung 255
Die für die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der krankheitsbedingten Kündigung erforderliche Interessenabwägung, also die Prüfung, ob der Arbeitgeber die betrieblichen Beeinträchtigungen billigerweise hinzunehmen hat oder nicht, beurteilt sich – nicht anders als die Interessenabwägung bei der personenbedingten Kündigung allgemein – nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Im Rahmen der krankheitsbedingten Kündigung sind dabei vor allem die nachfolgend aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen:
1 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40; v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655. 2 So aber Preis, DB 1988, 1444; ähnlich Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1223; vgl. hierzu auch Greiner, RdA 2007, 22 (30). 3 BAG v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30. 4 BAG v. 7.12.1989 – 2 AZR 225/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 30. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 345.
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Krankheit
Rz. 259 Teil 3
(1) Ursachen der Erkrankung Zugunsten des Arbeitnehmers wirkt sich aus, wenn die Erkrankung durch betriebliche Umstände (mit-)verursacht worden ist1, etwa aufgrund gesundheitsbeeinträchtigender Verhältnisse am Arbeitsplatz oder durch einen Betriebsunfall. Insbesondere, wenn der Arbeitgeber schuldhaft die ihm nach § 618 Abs. 1 BGB obliegenden notwendigen Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen unterlassen hat und es dadurch zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Arbeitnehmers gekommen ist2, kann eine krankheitsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt sein. Die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung wegen betrieblich veranlasster Erkrankung wird dadurch aber nicht generell ausgeschlossen; es werden lediglich erhöhte Anforderungen an den Kündigungsgrund gestellt.3 Dabei hat der Arbeitgeber in erhöhtem Maße die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht zu ziehen; einen solchen Arbeitsplatz muss er ggf. auch durch Versetzung eines anderen Arbeitnehmers im Rahmen seines Direktionsrechts frei machen.4
256
Führen betriebliche Umstände erst in Verbindung mit einer besonderen Veranlagung des Arbeitnehmers zu den krankheitsbedingten Arbeitsausfällen, so soll ihnen im Rahmen der Interessenabwägung nur eingeschränkte Bedeutung zukommen.5 So hat das BAG im Fall eines Arbeitnehmers, dessen latent vorhandene Grunddisposition zu asthmatischer Bronchitis erst durch Staubluft am Arbeitsplatz akut wurde und krankheitsbedingte Fehlzeiten nach sich zog, entschieden, dass es im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums liege, einer möglichen Mitursächlichkeit betrieblicher Umstände kein ausschlaggebendes Gewicht beizumessen.6
257
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Zusammenhang zwischen betrieblichen Gegebenheiten und Erkrankung des Arbeitnehmers besteht, können die Fehlzeiten vergleichbarer Arbeitnehmer von Bedeutung sein. Stellt sich heraus, dass auch die Arbeitskollegen des zu kündigenden Arbeitnehmers besonders häufig krankheitsbedingt fehlen, so kann dies ein Indiz für eine betriebliche Ursache der Erkrankung sein.7 Nur erheblich höhere Ausfallquoten des betreffenden Arbeitnehmers können dann seine Kündigung rechtfertigen.8
258
Es obliegt dem Arbeitgeber, darzulegen und nachzuweisen, dass der vom Arbeitnehmer behauptete Kausalzusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und
259
1 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27. 2 BAG v. 20.10.1954 – 1 AZR 193/54, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG; LAG Hessen v. 15.9.2000 – 2 Sa 1833/99; Preis, Prinzipien, S. 227. 3 Lepke, S. 253 ff. Rz. 183 ff. 4 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 5 BAG v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 350; a.A. Pflüger, DB 1995, 1761, 1764. 6 BAG v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32. 7 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 348. 8 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25.
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Teil 3 Rz. 260
Personenbedingte Kündigung
Erkrankung nicht vorliegt.1 Ausreichend ist hierfür zunächst, dass der Arbeitgeber die betriebliche Tätigkeit des Arbeitnehmers vorträgt und einen ursächlichen Zusammenhang mit der Erkrankung bestreitet. Der Arbeitnehmer ist dann gehalten, die Gründe darzulegen, die für eine Kausalität sprechen, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht genügt, wenn er die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet. Die fehlende Ursächlichkeit zwischen betrieblicher Tätigkeit und gesundheitlicher Beeinträchtigung muss dann letztlich der Arbeitgeber beweisen.2 Das Gericht muss seinerseits die zur Klärung des streitigen Sachverhalts angebotenen Beweise erheben und ggf. Sachverständigengutachten einholen. Es darf nicht ohne weitere Aufklärung und Begründung davon ausgehen, ein ursächlicher Zusammenhang sei nicht auszuschließen und deshalb zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen.3 260
Beruhen die Fehlzeiten auf einem Verschulden des Arbeitnehmers, ist dies bei der Interessenabwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen; so beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer durch unvorsichtiges Verhalten einen Unfall verursacht, bei dem er verletzt wird, oder wenn er eine außerberufliche Nebentätigkeit wahrnimmt, die ihn außergewöhnlich beansprucht, und dadurch erkrankt.4 (2) Dauer des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses
261
Je länger das Arbeitsverhältnis ungestört, also ohne wesentliche krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit, bestanden hat, desto eher sind krankheitsbedingte Ausfälle vom Arbeitgeber hinzunehmen.5
262
Dabei ist von einem ungestörten Verlauf des Arbeitsverhältnisses nicht bereits bei Fehlzeiten von unter sechs Wochen auszugehen, da auch geringere Ausfallzeiten – obschon nicht kündigungsrelevant – eine wirtschaftliche Belastung für den Arbeitgeber darstellen, also eine Störung des Arbeitsverhältnisses bedeuten.6
263
Zudem sind – anders als bei der Erstellung der negativen Zukunftsprognose – auch Ausfallzeiten, die auf einmaligen Erkrankungen beruhen, als Störung im o.g. Sinne anzusehen.7
264
" Praxistipp: Anderes gilt, wenn der Arbeitgeber bei Einstellung des Arbeit-
nehmers Kenntnis von dessen Alter und einer chronischen Erkrankung hatte. Er hat dann bei diesem Arbeitnehmer u.U. längere Fehlzeiten hinzunehmen als bei anderen, nicht chronisch erkrankten Mitarbeitern.8
1 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27; v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32. 2 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27. 3 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27. 4 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 176. 5 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 6 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 7 BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 335/89. 8 BAG v. 10.6.1969 – 2 AZR 94/68, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Krankheit; a.A. v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 387 mit dem Argument, die bewusste Einstellung chronisch Erkrankter dürfe nicht zu einer Bestrafung des Arbeitgebers führen.
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Krankheit
Rz. 268 Teil 3
(3) Alter des Arbeitnehmers Die Höhe des Lebensalters wirkt sich bei der Interessenabwägung positiv auf die Position des Arbeitnehmers aus.1 Zum einen ist zu berücksichtigen, dass ein älterer Arbeitnehmer aufgrund der Schwierigkeit, eine anderweitige Beschäftigung zu finden, durch eine Kündigung stärker betroffen ist als ein jüngerer Kollege.2
265
Zugunsten älterer Arbeitnehmer kommt auch zum Tragen, dass aufgrund der kürzeren verbleibenden Arbeitszeit die auf unbestimmte Zeit zu erwartende Belastung des Arbeitsverhältnisses mit krankheitsbedingten Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten geringer ist als bei jüngeren Arbeitnehmern mit vergleichbaren Fehlzeiten.3
266
Die positive Berücksichtigung des Lebensalters stellt zwar eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters i.S.d. AGG dar. Diese Ungleichbehandlung jüngerer Arbeitnehmer ist jedoch mit Blick auf die zu prognostizierende unterschiedliche Dauer der Belastung des Arbeitgebers aufgrund überdurchschnittlicher Fehlzeiten durch § 10 Abs. 1 Satz 1 AGG gerechtfertigt.4 Bei einem 40-jährigen Arbeitnehmer ist z.B. noch erhebliche Zeit mit Belastungen durch Entgeltfortzahlungen zu rechnen, während dies bei einem 59-jährigen überschaubar ist.5
266a
" Praxistipp: Ist wegen des fortgeschrittenen Alters des Arbeitnehmers die
267
Kostenbelastung des Arbeitgebers wegen der verbleibenden Betriebszugehörigkeit im Verhältnis zur Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses relativ gering, ist dies zugunsten des Arbeitnehmers zu werten.
(4) Familiäre Verhältnisse Nach Rechtsprechung des BAG sind in die Interessenabwägung auch die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers, insbesondere seine Unterhaltspflichten, mit einzubeziehen.6 Denn der Arbeitnehmer verfolgt mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses in der Regel für den Arbeitgeber erkennbar gerade auch den Zweck, seine Unterhaltspflichten erfüllen zu können.7 Je nach Gewicht des Kündigungsgrundes sind die Unterhaltspflichten bei der Interessenabwägung allerdings ggf. nur untergeordnet zu berücksichtigen.8 Dabei gilt, dass die soziale 1 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 Lepke, S. 261 Rz. 190. 3 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 28; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 179; HWK/Thies, 3. Aufl. 2008, § 1 KSchG Rz. 114. 4 So auch KDZ/Kittner/Deinert, § 1 KSchG Rz. 94; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 355. 5 BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 335/89, RzK I 5g Nr. 31 (n.v.). 6 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; aAErfK/ Oetker, § 1 KSchG Rz. 109; a.A. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1201; Schwerdtner, DB 1990, 375, 378; Lepke, S. 262 ff. Rz. 191, die eine Berücksichtigung der familiären Verhältnisse wegen fehlender Vertragsbezogenheit ablehnen. 7 Vgl. auch BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 8 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Teil 3 Rz. 269
Personenbedingte Kündigung
Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers umso höher ist, je mehr Unterhaltspflichten ihn treffen.1 c) Langzeiterkrankungen 269
Der Umstand langandauernder Erkrankung eines Arbeitnehmers berechtigt den Arbeitgeber nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung2 und Literatur3 grundsätzlich ebenfalls zum Ausspruch einer ordentlichen personenbedingten Kündigung. In der arbeitsgerichtlichen Praxis spielen auf Langzeiterkrankung gestützte personenbedingte Kündigungen allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Auf Langzeiterkrankungen vermag ein Arbeitgeber in aller Regel betrieblich leichter reagiert werden; zudem sind sie für den Arbeitgeber wirtschaftlich weit weniger belastend als Kurzzeiterkrankungen, da die gesetzliche Entgeltfortzahlungspflicht mit Ablauf von sechs Wochen endet.
270
Eine auf Langzeiterkrankung gestützte ordentliche Kündigung ist sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn – zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und davon auszugehen ist, dass er auch weiterhin auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig sein wird (aa), – zu erwarten ist, dass die prognostizierte Arbeitsunfähigkeit zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führt (bb) und – im Rahmen der Interessenabwägung dem Arbeitgeber Überbrückungsmaßnahmen nicht zuzumuten sind (cc). Eine tarifliche Regelung, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist unwirksam.4 aa) Negative Zukunftsprognose
271
Die auch zur Begründung einer auf Langzeiterkrankung gestützten ordentlichen Kündigung erforderliche negative Prognose setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Arbeitsunfähigkeit noch besteht und für voraussichtlich längere oder nicht absehbare Zeit andauert.5 Die Dauer der bisherigen Krankheit allein sagt dabei i.d.R. nichts über die zukünftige Entwicklung des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers aus6, insbesondere gibt es keinen Erfahrungssatz, aus der langanhaltenden Dauer der Arbeitsunfähigkeit in der Ver1 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 356. 2 St. Rspr. des BAG; vgl. u.a. BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10; v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, FA 1999, 360. 3 Lepke, S. 198 ff. Rz. 138 ff.; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 424 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1240 ff.; Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 70. EL Juli 2009, § 1 KSchG Rz. 121; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 129; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 366 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 391 ff. 4 Vgl. LAG Köln v. 13.11.2006 – 14 Sa 750/06, AuR 2007, 144 (Ls.). 5 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10; v. 6.2.1992 – 2 AZR 364/91; v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46. 6 BAG v. 15.8.1984 – 7 AZR 536/82, AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Krankheit
Rz. 276 Teil 3
gangenheit sei auf eine negative gesundheitliche Konstitution in der Zukunft zu schließen.1 Eine bereits längere Zeit andauernde, im Kündigungszeitpunkt noch anhaltende Erkrankung des Arbeitnehmers kann deshalb zwar Indiz dafür sein, dass sich die Erkrankung auch in Zukunft fortsetzen wird. Für eine Negativprognose müssen darüber hinaus jedoch weitere objektive Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine künftige Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit schließen lassen. Der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit darf bei Ausspruch der Kündigung nicht vorhersehbar sein. Denn Grund für die Kündigung wegen langandauernder Krankheit sind gerade die mit der Ungewissheit über die künftige Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers verbundenen betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen.2 Allein die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit vermag deshalb eine negative Prognose jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen, wenn abzusehen ist, dass – wenn auch erst nach langem Heilungsprozess – der Arbeitnehmer wieder in vollem Umfang leistungsfähig sein wird.
272
Welcher für die Zukunft prognostizierte Krankheitszeitraum als langandauernd anzusehen ist, muss einzelfallbezogen beurteilt werden und unterliegt keinen starren Grenzen.3
273
Bei einer zu erwartenden Fehlzeit von bis zu sechs Wochen dürfte im Allgemeinen keine langandauernde Krankheit vorliegen. Denn der Zweck des § 3 EFZG, dem Arbeitnehmer während dieses Zeitraums die Fortzahlung der Vergütung zu sichern, würde ins Gegenteil verkehrt, wollte man schon bei der einmaligen vollen Inanspruchnahme dieses Gesetzes dem Arbeitgeber ein Kündigungsrecht einräumen.4
274
Das LAG Köln5 hat eine hinreichende Dauer in der Vergangenheit von mehreren Monaten gefordert. Das BAG lehnt bestimmte Regelfristen grundsätzlich ab.6 Es erachtet allerdings in seiner neueren Rechtsprechung eine acht Monate anhaltende Erkrankung in der Vergangenheit für ausreichend.7
275
Erforderlich ist stets, dass objektive Tatsachen dafür vorhanden sind, dass mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.8 Zu berücksichtigen sind hierbei die Art der Krankheit, die Konstitution des Patienten, der Entwicklungsstand der Medizin sowie etwaige Therapiemöglichkeiten. Eine personenbedingte Kündigung wegen
276
1 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 2 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 3 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 4 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10; ebenso: Löwisch/ Spinner, § 1 KSchG Rz. 201; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1240; a.A. v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 393; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 132. 5 LAG Köln v. 25.8.1995 – 13 Sa 440/95, LAGE § 4 KSchG Nr. 30; v. 19.12.1995 – 13 Sa 928/95, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 22. 6 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 7 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; vgl. auch die Sachverhalte in BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 8 BAG v. 15.8.1984 – 7 AZR 536/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 16.
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Teil 3 Rz. 277
Personenbedingte Kündigung
Langzeiterkrankung muss aber auch schon dann sozial gerechtfertigt sein, wenn zu Beginn der Krankheit bereits feststeht, dass wegen des vorhandenen Krankheitsbildes mit einer längeren, über zwei Jahre andauernden Erkrankung des Arbeitnehmers zu rechnen ist. In einem solchen Fall ist es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, erst nach Ablauf einer gewissen Zeit der Arbeitsunfähigkeit die Kündigung auszusprechen. 277
Eine längere Erkrankung in der Vergangenheit kann dagegen – ungeachtet ihrer Indizwirkung für die künftige Krankheitsentwicklung – in die Zukunftsprognose generell nicht einbezogen werden.1
278
Nach der neueren Rechtsprechung des zuständigen 2. Senats des BAG hat nunmehr der Arbeitnehmer im Prozess darzulegen, wann und weshalb mit seiner baldigen Genesung zu rechnen ist. Der Arbeitnehmer muss mindestens laienhaft schildern, an welchem Leiden er erkrankt ist, welche therapeutischen Maßnahmen von Seiten der Ärzte geplant sind und welche Erfolge die Ärzte sich von den Maßnahmen versprechen. Die Einlassung, man hoffe, demnächst wieder arbeitsfähig zu werden, reicht zur Widerlegung der auf den vergangenen Ausfallzeiten beruhenden Grobprognose nicht aus.2 Daher wird sich der Arbeitnehmer zumeist der Vorlage eines medizinischen Gutachtens oder einer ärztlichen Stellungnahme bedienen, aus der sich eine für ihn günstige Zukunftsprognose ableiten lässt.3 Bei einer langanhaltenden Erkrankung des Arbeitnehmers muss – so der 2. Senat – die Arbeitsunfähigkeit für einen längeren Zeitraum ungewiss sein; nur dann sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Stehe allerdings aufgrund eines Sachverständigengutachtens fest, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss sei, stehe dies einer dauernden Leistungsunfähigkeit gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden könne.4 Wird dem Arbeitnehmer (wiederholt) nur eine Erwerbsunfähigkeitsrente befristet bewilligt, weil der Rentenversicherungsträger von einem wahrscheinlichen Ende der Minderung der Erwerbsunfähigkeit in absehbarer Zeit ausgeht, ist dies für den Kündigungsschutzprozess nicht bindend. Vielmehr muss der Arbeitnehmer medizinische Befunde vorlegen, die diese Auffassung stützen und für eine günstige Zukunftsprognose sprechen.5 bb) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
279
Für die Frage, wann bei der Kündigung wegen langandauernder Krankheit eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vorliegt, ist insbesondere 1 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 2 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 14.7.2009 – 5 Sa 66/08 zitiert nach juris. 3 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; zur Frage der Berufung auf ein ärztliches Zeugnis nach vorprozessualer Weigerung des Arbeitnehmers, seinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, vgl. BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 49. 4 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 49; vgl. auch LAG Hessen v. 13.3.2001 – 2/9 Sa 1288/00, NZA-RR 2002, 21 ff.; kritisch dazu Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1241. 5 LAG Köln v. 24.1.2007 – 7 Sa 1020/06.
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Krankheit
Rz. 281 Teil 3
auf die Dauer der voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit sowie auf die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abzustellen.1 Der Hinweis des Arbeitgebers auf gesetzliche Entgeltfortzahlungskosten vermag im Fall der Kündigung wegen Langzeiterkrankung regelmäßig nicht die auch hier für die soziale Rechtfertigung der Kündigung erforderliche erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen zu begründen.2 Anders als im Fall häufiger Kurzzeiterkrankungen ist das Entgeltfortzahlungsrisiko wegen der Begrenzung des Anspruchszeitraums auf sechs Wochen in aller Regel für den Arbeitgeber auf ein zumutbares und damit hinzunehmendes Maß begrenzt. Wirtschaftliche Belastungen können sich mithin für den Arbeitgeber nur durch Ansprüche auf Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld oder ähnliche Leistungen ergeben, die ausschließlich auf den (rechtlichen) Bestand des Arbeitsverhältnisses abstellen. Denkbar sind zudem Mehrkosten für Ersatzkräfte, die eventuell die ersparte Vergütung des erkrankten Arbeitnehmers deutlich übersteigen sowie Aufwendungen für die Vergütung von Mehrarbeit.3
280
Feste Maßstäbe für eine kündigungsrelevante Dauer der Arbeitsunfähigkeit lassen sich nicht aufstellen;4 vielmehr gilt es auch hier die Erheblichkeit der betrieblichen Beeinträchtigungen anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.5 Weder erscheint es vertretbar, jedwede über sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitgeber als unzumutbar anzusehen noch nach Ablauf von sechs Wochen oder einem anderen Zeitpunkt eine Kündigung generell zuzulassen. Auch im Rahmen der Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung ist nämlich der im Kündigungsrecht geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Danach kommt eine Kündigung als letztes Mittel erst dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Durchführung von Überbrückungsmaßnahmen (z.B. Einstellung von Aushilfskräften, Durchführung von Über- oder Mehrarbeit, personelle Umorganisation, organisatorische Umstellungen) nicht möglich oder nicht mehr zumutbar ist.6 In welchem Umfang der Arbeitgeber solche Überbrückungsmaßnahmen hinzunehmen hat, ist einzelfallabhängig. So wird der Arbeitgeber bei einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer einen längeren Zeitraum für geeignete und zumutbare Überbrückungsmaßnahmen hinzunehmen haben als bei einem nur kurzfristig tätigen Arbeitnehmer.7 Andererseits wird der Arbeitgeber, der eine ausreichende Personalreserve unterhält, darüber hinaus für weniger Überbrückungsmaßnahmen sorgen müssen als ein Arbeitgeber derselben Branche ähnlicher Größenordnung
281
1 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, PatR 2008, 34 (n.v.); v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38; Lepke, S. 202 Rz. 140; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 427; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 399. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 373. 3 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25. 4 Zutreffend LAG Baden-Württemberg v. 13.1.1988 – 2 Sa 73/87, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 366; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 132. 5 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 6 BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 7 BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Teil 3 Rz. 282
Personenbedingte Kündigung
und ähnlicher Auftrags- und Ertragslage, der keine Personalreserve vorhält.1 Für die Zumutbarkeit kann auch die Tatsache von Bedeutung sein, dass eine Ersatzkraft nach dem Ablauf von sechs Monaten im Betrieb der Beklagten Kündigungsschutz genießen würde. Im Hinblick darauf kann je nach der Lage des Einzelfalls vom Arbeitgeber möglicherweise nur verlangt werden, eine Aushilfskraft nur für eine voraussichtliche Dauer von höchstens sechs Monaten einzustellen.2 282
Die Beeinträchtigung des Arbeitgebers ergibt sich in Fällen der Langzeiterkrankung meist jedoch daraus, dass das Vertragsverhältnis auf nicht absehbare Zeit durch den krankheitsbedingten Ausfall des Arbeitnehmers gestört und damit sinnentleert ist. Die Tatsache, dass für den Arbeitgeber nicht absehbar ist, wann der Arbeitnehmer wieder zur Arbeitsleistung in der Lage sein wird, nimmt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, sein Direktionsrecht auszuüben und den Einsatz von Ersatzkräften zu planen. Schon daraus können sich unzumutbare betriebliche Auswirkungen ergeben.3 Darüber hinaus ist es für ihn durchaus schwierig, Ersatzkräfte einzusetzen, weil in der Mehrzahl der Fälle von Langzeiterkrankung nicht absehbar ist, wann konkret der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist. Ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit also völlig ungewiss, so liegt wie im Falle der feststehenden dauernden Arbeitsunfähigkeit (dazu Rz. 286 ff.) regelmäßig eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor.4 cc) Interessenabwägung
283
Ob die auf die Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers zurückzuführenden Fehlzeiten für den Arbeitgeber zu nicht mehr hinnehmbaren Belastungen führen, hängt entscheidend von einer umfassend vorzunehmenden Interessenabwägung ab, bei der die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen sind.5 Auf Seiten des Arbeitgebers sind neben akuten betrieblichen Beeinträchtigungen auch krankheitsbedingte Ausfallzeiten aus der Vergangenheit und das übrige Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers zu werten. Dem stehen auf Seiten des Arbeitnehmers Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten sowie der Grund der Erkrankung (Arbeitsunfall) gegenüber. Unter Zugrundelegung dieser Aspekte gilt es festzustellen, in welchem Umfang vom Arbeitgeber Überbrückungsmaßnahmen zu erwarten sind.6
284
" Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer
auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankt ist, trägt auch bei der Kündigung wegen langandauernder Erkrankung der Arbeitgeber.
1 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 2 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 3 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, PatR 2008, 34 (n.v.); v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 49. 4 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05 – PatR 2008, 34 (n.v.); v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, NZA 1993, 497. 5 BAG v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 32; v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46. 6 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47.
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Krankheit
Rz. 287 Teil 3
Da er nicht von vornherein mit einem Bestreiten seines Vortrages rechnen muss, darf er sich allerdings zunächst damit begnügen, pauschal die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergeben soll, dass der Arbeitnehmer noch auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig krank ist und unzumutbare betriebliche Störungen eintreten. Angesichts dessen, dass ihm in aller Regel von Seiten des behandelnden Arztes kein Krankheitsbefund und keine Mitteilung über den Genesungsverlauf vorliegen wird, kann der Arbeitgeber sich dabei auf die Angabe der in der Vergangenheit liegenden Fehlzeiten beschränken, denen hinsichtlich der Fortdauer der Erkrankung in der Zukunft Indizwirkung zukommt.1 Der Arbeitnehmer muss die so getroffene Prognose dann durch den Vortrag von Tatsachen erschüttern, die auf seine baldige Genesung hindeuten und hierzu insbesondere seine ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Unterlässt er dies, begeht er nicht nur Beweisvereitelung, vielmehr gilt das Vorbringen des Arbeitgebers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO dann als zugestanden.
285
d) Krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit Auch die krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers berechtigt grundsätzlich den Arbeitgeber nach einhelliger Meinung zum Ausspruch einer ordentlichen personenbedingten Kündigung.2 Ob die Kündigung im Einzelfall sozial gerechtfertigt ist, ist wiederum anhand der nachfolgenden Voraussetzungen zu prüfen:
286
aa) Negative Zukunftsprognose Steht aufgrund objektiver Tatsachen zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs fest, dass der Arbeitnehmer künftig auf Dauer nicht mehr in der Lage sein wird, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, so liegt bereits darin eine erhebliche Störung des Arbeitsverhältnisses, die eine ordentliche Kündigung rechtfertigen kann, ohne dass es einer negativen Prognose hinsichtlich künftiger Fehlzeiten noch bedürfte.3 Die dauernde Leistungsunfähigkeit muss jedoch im Bestreitensfalle gerichtlich festgestellt werden. Fehlt dem Arbeitsgericht hierzu selbst die erforderliche Fachkunde, hat es ggf. das Gutachten eines Arbeitsmediziners einzuholen.4 Die nur für einen bestimmten Zeitraum gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente schließt eine Kündigung wegen krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit nicht aus.5
1 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 2 BAG v. 30.1.1986 – 2 AZR 668/84, NZA 1987, 555, 556 f.; v. 21.2.1985 – 2 AZR 72/84, RzK I 5g Nr. 10; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1236 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 403 ff. 3 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, PatR 2008, 34 (n.v.); v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; v. 3.12.1998 – 2 AZR 773/97, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 45; v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5; vgl. auch BAG v. 21.2.1985 – 2 AZR 72/84; v. 30.1.1986 – 2 AZR 668/84, NZA 1987, 555, 556 f.; v. 10.12.1987 – 2 AZR 515/87; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 375. 4 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5. 5 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 773/97, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 45.
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Teil 3 Rz. 288
Personenbedingte Kündigung
288
Legt der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vor, die aus gesundheitlichen Gründen einen Wechsel des Arbeitsplatzes empfiehlt, so ist dadurch nach Ansicht des BAG noch nicht belegt, dass dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung am bisherigen Arbeitsplatz unmöglich ist, also eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit vorliegt.1 Es handele sich lediglich um eine ärztliche Empfehlung, die erst in Verbindung mit weiteren Umständen eine Leistungsunfähigkeit indizieren könne, so etwa wenn der Arbeitnehmer selbst Gesundheitsbeschwerden vorträgt oder erklärt, die bisherige Tätigkeit längerfristig nicht mehr ausüben zu können.2 Liegen solche Umstände vor, soll allerdings auch durch eine beanstandungsfreie Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung die indizierte Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht relativiert werden können.3 Bestreitet der Arbeitnehmer dagegen seine Leistungsunfähigkeit und hat er seine Arbeit entgegen des ärztlichen Gutachtens vor Ausspruch der Kündigung ohne Einschränkungen verrichtet, entkräftet dies das Gutachten und spricht gegen eine dauernde krankheitsbedingte Leistungsunmöglichkeit.4
289
Ist der Arbeitnehmer dagegen trotz der ärztlichen Empfehlung weiterhin bereit und in der Lage, auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu arbeiten, so darf der Arbeitgeber die Annahme der ihm ordnungsgemäß angebotenen Arbeitsleistung auch nicht unter Berufung auf die ihm obliegende Fürsorgepflicht (§ 618 BGB) verweigern.5 Das BAG hatte insoweit über den Fall eines als Gebäudereiniger beschäftigten Arbeitnehmers zu entscheiden, dem ärztlicherseits eine besondere Empfindlichkeit gegen Staub, Dämpfe und Gase attestiert und ein Arbeitsplatzwechsel empfohlen worden war und dessen ordnungsgemäß angebotene Arbeitsleistung vom Arbeitgeber unter Hinweis auf gesundheitliche Gründe abgelehnt worden war. Das Gericht führt in seiner Entscheidung zutreffend aus, dass die Fürsorgepflicht einen Anspruch des Arbeitnehmers auf verbesserte Arbeitsbedingungen begründet, dessen Ausübung ihm allein überlassen ist, und der den Arbeitgeber jedenfalls nicht dazu berechtigt, dem Arbeitnehmer entgegen dessen erklärten Willen die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz zu verweigern.6
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Dem Fall der dauernden Leistungsunfähigkeit steht es gleich, wenn die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers völlig ungewiss ist und der Arbeitnehmer in der Vergangenheit bereits längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt war.7 Denn auch diese Fallgestaltung führt regelmäßig zu einer erheblichen Stö1 BAG v. 17.2.1998 – 9 AZR 130/97, NZA 1999, 33, 34; v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5; LAG Frankfurt v. 27.11.2006 – 18/16 Sa 340/06. 2 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5. 3 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5. 4 LAG Köln v. 13.11.2006 – 14 Sa 750/06, AuR 2007, 144 (Ls.). 5 BAG v. 17.2.1998 – 9 AZR 130/97, NZA 1999, 33, 34; LAG Frankfurt v. 27.11.2006 – 18/16 Sa 340/06. 6 BAG v. 17.2.1998 – 9 AZR 130/97, NZA 1999, 33, 34; vgl. auch v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 1 KSchG Rz. 406; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 149. 7 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, PatR 2008, 34 (n.v.); v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38.
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Krankheit
Rz. 290b Teil 3
rung des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis und beeinträchtigt gleichzeitig betriebliche Interessen, da der Arbeitgeber weder den Einsatz des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers noch den Einsatz etwaiger Vertretungskräfte planen und so sein Direktionsrecht in absehbarer Zeit nicht ausüben kann.1 In einer früheren Entscheidung hat das BAG diese Ungewissheit über die künftige Arbeitsfähigkeit bereits im Fall eines Arbeitnehmers angenommen, der 1 1/2 Jahre erkrankt war und trotz zweimaliger im Halbjahresabstand erfolgter Anfragen dem Arbeitgeber keinen konkreten Termin für eine Wiederaufnahme seiner Arbeit mitteilen konnte.2 Inzwischen hat die Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine Gleichstellung von krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit und Ungewissheit über die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit verschärft.3 Die Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit kann danach einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit nur gleichgestellt werden, wenn in absehbarer Zeit mit einer anderen als der negativen Prognose nicht gerechnet werden kann. Als absehbare Zeit in diesem Zusammenhang soll nach Ansicht des BAG nunmehr in Anlehnung an § 1 BeschFG a.F. ein Zeitraum von 24 Monaten anzusehen sein, da innerhalb dieses Zeitraums der Einsatz einer Aushilfskraft in einem befristeten Arbeitsverhältnis möglich sei.4 Hiergegen lässt sich freilich einwenden, dass der Zeitraum von 24 Monaten beliebig gewählt ist, da die Vertretung eines erkrankten Arbeitnehmers stets einen sachlichen Grund darstellt, der die Befristung eines Aushilfs-Arbeitsverhältnisses auch über die zeitliche Grenze des § 1 BeschFG a.F. bzw. des § 14 TzBfG hinaus ermöglicht.5
" Praxistipp: Es ist nicht erforderlich, dass die Arbeitsunfähigkeit bereits 24
290a
Auch hinsichtlich der Darlegungslast zur negativen Gesundheitsprognose im Falle der dauernden Leistungsunfähigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze. Das heißt, dass der Arbeitgeber zunächst nur die bisherige Dauer der Erkrankung sowie die ihm bekannten Krankheitsursachen darlegen muss. Der Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit kann dabei eine gewisse Indizwirkung zukommen. Der Arbeitnehmer muss dann konkret dartun, dass mit einer Genesung innerhalb der nächsten 24 Monate zu rechnen ist.6 Das bedeutet, dass er im Einzelnen konkret vortragen muss, weshalb sein Arzt die gesundheitliche
290b
Monate bestand, sondern allein, dass in den nächsten 24 Monaten, abgestellt auf den Zeitpunkt der Kündigung, mit einer anderen Prognose, d.h. mit einer Besserung des Gesundheitszustandes nicht gerechnet werden kann. Wie lange die Arbeitsunfähigkeit bereits bestanden haben muss, ist eine Frage des Einzelfalls.
1 BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, PatR 2008, 34 (n.v.); v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 407. 2 BAG 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38. 3 BAG 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46. 4 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969; v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; LAG Hamm v. 23.3.2007 – 10 Sa 1282/06; vgl. auch LAG Nürnberg v. 21.6.2006 – 4 (9) Sa 933/05, BB 2006, 2362; LAG Schleswig-Holstein v. 11.3.2008 – 2 Sa 11/08. 5 Zutreffend APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 195. 6 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969.
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Teil 3 Rz. 291
Personenbedingte Kündigung
Entwicklung konkret positiv beurteilt hat. Dazu muss er ggf. seine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Ohne diesen Vortrag reicht die bloße Schweigepflichtentbindung nicht aus.1 bb) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 291
In den meisten Fällen der krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit wird durch das dauerhafte Leistungsunvermögen des Arbeitnehmers, der seine vertragliche geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, das vertragliche Austauschverhältnis so gravierend gestört, dass schon allein deshalb von einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auszugehen ist.2
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Die nicht mehr gesondert darzulegende Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ergibt sich zum einen daraus, dass aufgrund der zu erwartenden beträchtlichen Fehlzeiten mit erheblichen wirtschaftlichen Belastungen in Form von Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen ist. Zum anderen – und dies ist entscheidend – kann der Arbeitgeber auf unbestimmte Zeit sein Direktionsrecht über den betreffenden Arbeitnehmer nicht ausüben und angesichts der Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit auch den Einsatz einer Aushilfskraft nicht ausreichend planen, was eine zusätzliche betriebliche Belastung darstellt.3 Das Arbeitsverhältnis wäre sinnentleert und bestünde nur noch als leere Hülle fort.
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Ausgeschlossen kann die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen demnach allenfalls in den Fällen sein, in denen für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers kein Bedarf mehr besteht, was allerdings nur in Ausnahmesituationen anzunehmen sein dürfte.4 Der Arbeitnehmer hat in diesen Fällen ggf. die Wertlosigkeit seiner Arbeitskraft darzulegen und nachzuweisen.5
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Auch vor Ausspruch einer Kündigung wegen krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist zu prüfen, ob eine Versetzung des Arbeitnehmers auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz möglich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vorlegt, dem sich entnehmen lässt, dass bei einer Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen ist6 oder die Leistungsunfähigkeit auf einem Betriebsunfall beruht. Gegebenenfalls hat der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts freizumachen. Eine Pflicht zur Freikündigung besteht aber selbst dann 1 LAG Schleswig-Holstein v. 11.3.2008 – 2 Sa 11/08. 2 BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041; v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, PatR 2008, 34 (n.v.); v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969; v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 403; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 376. 3 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38. 4 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5. 5 BAG v. 30.1.1986 – 2 AZR 668/84, NZA 1987, 555, 557; 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5. 6 BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 42.
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Krankheit
Rz. 297 Teil 3
nicht, wenn die Leistungsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall beruht und den Arbeitgeber insoweit eine gesteigerte Fürsorgepflicht trifft.1 cc) Interessenabwägung Was die auch hier vorzunehmende Interessenabwägung anbetrifft, so ist zu beachten, dass im Fall der krankheitsbedingten dauerhaften Leistungsunfähigkeit i.d.R. bereits die dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, das Arbeitsverhältnis in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Eine Interessenabwägung wird deshalb nur in seltenen Ausnahmefällen – bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers – dazu führen, dass trotz der auf unbestimmte Zeit zu erwartenden erheblichen betrieblichen Störungen der Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hinzunehmen hat.2 So hat das BAG selbst im Fall eines 50 Jahre alten ausländischen Arbeitnehmers, der Invalide und seinem studierenden Sohn zur Unterhaltszahlung verpflichtet ist, eine besondere Schutzbedürftigkeit verneint und die Kündigung aufgrund dauernder Arbeitsunfähigkeit als sozial gerechtfertigt angesehen.3 In Betracht kommt eine besondere Schutzbedürftigkeit z.B., wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einem vom Arbeitgeber verursachten Arbeitsunfall beruht.4
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dd) Sonderfall: Dauernde Fluguntauglichkeit Mit der dauernden Leistungsunfähigkeit gleichbedeutend ist für fliegendes Personal die Feststellung der zeitlich und sachlich unbeschränkten Fluguntauglichkeit, da der fluguntaugliche Arbeitnehmer außerstande ist, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten und die Flüge durchzuführen, für die er eingesetzt ist.5 In diesem Sinne findet auch in den meisten einschlägigen Tarifwerken deutscher Luftfahrtgesellschaften die dauernde Fluguntauglichkeit des Arbeitnehmers als (personenbedingter) Kündigungsgrund besondere Erwähnung6, was angesichts der nach dem allgemeinen Kündigungsschutzrecht ohnehin vorliegenden Kündigungsmöglichkeit allerdings lediglich von deklaratorischer Bedeutung ist.
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Auch das Verfahren zur Feststellung der Fluguntauglichkeit ist teilweise tarifvertraglich explizit geregelt. So bestimmt etwa § 23 Abs. 2a) MTV-Bord Nr. 2 der Lufthansa CityLine GmbH, dass bei Feststellung der dauernden Fluguntauglichkeit eines Angehörigen des Bordpersonals durch die fliegerärztliche Untersuchungsstelle der Betroffene innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis von der Untauglichkeit seinem Arbeitgeber gegenüber erklären muss, dass er das Unter-
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1 LAG Hamm v. 31.3.2004 – 18 Sa 2219/03, LAGReport 2004, 319 (Ls.). 2 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 38; LAG Köln v. 4.2. 2005 – 10 Sa 1326/04; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 196; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 377. 3 BAG v. 21.2.1985 – 2 AZR 72/84, RzK I 5 g Nr. 10. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 377. 5 LAG Köln v. 8.5.1996 – 7 Sa 3/96, NZA-RR 1996, 464; v. 25.6.2009 – 7 Sa 1477/08. 6 Vgl. etwa § 23 Abs. 2e) MTV Nr. 2 für die Mitarbeiter des Bordpersonals der Lufthansa CityLine GmbH (MTV-Bord Nr. 2).
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Teil 3 Rz. 298
Personenbedingte Kündigung
suchungsergebnis anzweifle. Unterlässt er dies, steht die dauernde Fluguntauglichkeit unanfechtbar fest. Die Rechtsprechung hat diese Regelung als rechtlich zulässig angesehen1, so dass der in der Kabine oder im Cockpit beschäftigte Arbeitnehmer, der sich nach den tarifvertraglichen Verfahrensvorschriften nicht rechtzeitig gegen das Untersuchungsergebnis zur Wehr gesetzt hat, die dort festgestellte Fluguntauglichkeit ohne die Möglichkeit eines Gegenbeweises gegen sich gelten lassen muss, während der grds. für das Vorliegen des Kündigungsgrundes beweispflichtige Arbeitgeber von weiteren Beweisantritten befreit ist.2 Die danach aufgrund von Fluguntauglichkeit ausgesprochene Kündigung ist allerdings nur dann aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn der betreffende Arbeitnehmer nicht auf einem freien Bodenarbeitsplatz eingesetzt werden kann. Insoweit findet auch hier der im gesamten Kündigungsrecht geltende Grundsatz von der Beendigungskündigung als „ultima ratio“ Anwendung, so dass ggf. vorrangig eine Änderungskündigung in Betracht zu ziehen ist. e) Krankheitsbedingte dauernde Leistungsminderung 298
Auch die Minderung der Leistungsfähigkeit aufgrund von Krankheit kann grundsätzlich eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sie voraussichtlich dauerhaft fortbesteht, mit einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen verbunden ist und dazu führt, dass dem Arbeitgeber eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht mehr zuzumuten ist.3 aa) Negative Zukunftsprognose
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Nicht anders als bei den übrigen Fällen der krankheitsbedingten Kündigung ist auch im Falle der krankheitsbedingten Leistungsminderung zunächst eine Negativprognose hinsichtlich der voraussichtlichen Gesundheitsentwicklung zu treffen.4 Es muss also zum Zeitpunkt der Kündigung eine künftig auf Dauer zu erwartende Minderleistung des Arbeitnehmers in erheblichem Umfang zu prognostizieren sein. Indiz ist hierfür regelmäßig die zum Kündigungszeitpunkt bereits vorhandene Minderung der Leistungsfähigkeit.5 Steht dagegen die Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit nach ärztlicher Erkenntnis unmittelbar bevor, ist die Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung ausgeschlossen.6 1 LAG Berlin v. 21.4.1999 – 16 Sa 112/98 und 139/98; ArbG Köln v. 31.10.2002 – 4 Ca 5860/02. 2 LAG Berlin v. 21.4.1999 – 16 Sa 112/98 und 139/98; ArbG Köln v. 31.10.2002 – 4 Ca 5860/02. 3 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10; KR/Griebeling§ 1 KSchG Rz. 379 ff.; HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, § 1 KSchG Rz. 576; Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 211; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1239; Lepke, S. 232 ff. Rz. 163 ff. 4 Lepke, S. 232 ff. Rz. 163. 5 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 379. 6 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 379.
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Rz. 303 Teil 3
bb) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers muss weiterhin zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Aus der Belastung des Arbeitgebers mit Entgeltfortzahlungskosten kann sich freilich eine solche Beeinträchtigung nicht ergeben. In Betracht kommen in erster Linie vielmehr wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers dadurch, dass der Zahlung des vollen Zeitlohnes keine nach betriebswirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete adäquate Arbeitsleistung mehr gegenübersteht.1 Der Arbeitnehmer ist eben nur noch in der Lage, seine arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten zum Teil zu erbringen.
300
Damit stellt sich die Frage nach dem erforderlichen Grad der quantitativen Minderleistung, der den Arbeitgeber zum Ausspruch einer Kündigung wegen krankheitsbedingter Minderleistung berechtigt. Ausgehend davon, dass der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer grundsätzlich nur eine „individuelle“ Normalleistung verlangen kann2, d.h. eine Arbeitsleistung, die ein Arbeitnehmer aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten im Durchschnitt seiner vertraglichen Arbeitszeit zu erbringen in der Lage ist, wenn er seine Arbeitskraft bis zu der Grenze einbringt, bei der er dauerhaft die Erhaltung seiner Arbeitskraft nicht gefährdet3, schuldet ein Arbeitnehmer nicht die aus Sicht seines Arbeitgebers optimale Leistung. Vielmehr genügt er seiner vertraglichen Arbeitsverpflichtung bereits dann, wenn er unter angemessener Anspannung seiner individuellen körperlichen und geistigen Kräfte das ihm Mögliche leistet.4 Wann der Vergütung des Arbeitnehmers mit vollem Zeitlohn keine nach betriebs- und arbeitswirtschaftlichen Aspekten ausgerichtete adäquate Arbeitsleistung gegenübersteht5, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab.
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Eine nur geringe Minderung der Leistungsfähigkeit reicht jedenfalls nicht aus, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen.
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" Praxistipp: In seiner Entscheidung vom 26.9.19916 hat das BAG eine Kündi-
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gung wegen krankheitsbedingter Minderleistung einer langjährig beschäftigten, schwerbehinderten Arbeitnehmerin für zulässig erachtet, die nicht mehr in der Lage war, mehr als 2/3 der Normalleistung zu erbringen. Hierin liege eine erhebliche Störung des Gleichgewichts von Leistung (Verrichtung der Arbeit) und Gegenleistung (volles Entgelt), da der Zahlung des vollen Zeitlohnes keine nach betriebswirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen adäquate Arbeitsleistung gegenüberstehe.
1 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10; Lepke, S. 232 ff. Rz. 163; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 410; KDZ/Kittner/ Deinert, 7. Auflage 2008, § 1 KSchG Rz. 145. 2 BAG v. 20.3.1969 – 2 AZR 283/68, AP Nr. 27 zu § 123 GewO; v. 17.3.1988 – 2 AZR 418/86, AP Nr. 96 zu § 626 BGB; Lepke, S. 232 ff. Rz. 163 m.w.N. 3 Lepke, S. 232 ff. Rz. 163; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 Rz. 437. 4 Lepke, S. 232 ff. Rz. 163. 5 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10. 6 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10, vgl. auch BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, BAGE 109, 87 zur ordentlichen Kündigung wegen Minderleistung.
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Teil 3 Rz. 304 304
Personenbedingte Kündigung
Auch im Falle der krankheitsbedingten Leistungsminderung ist vor Ausspruch einer Kündigung zunächst die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz zu erwägen, auf dem sich die Minderung der Leistungsfähigkeit nicht bzw. nicht in gleichem Maße auswirkt wie auf dem bisherigen Arbeitsplatz.1 Dabei ist insbesondere auch die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung in einem Teilzeitarbeitsverhältnis in Betracht zu ziehen.2 cc) Interessenabwägung
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Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung ist insbesondere der Grund der krankheitsbedingten Leistungsminderung, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses sowie das Lebensalter des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.3 Bedeutsam ist darüber hinaus, welche Anstrengungen der Arbeitgeber unternommen hat, um den Arbeitnehmer seiner krankheitsbedingten schlechteren Kondition entsprechend einzusetzen. Ebenfalls von Bedeutung ist, ob der Arbeitgeber die maßgeblichen Vorschriften des Arbeitsschutzrechts eingehalten hat. So ist die auf krankheitsbedingte Leistungsminderung (Wirbelsäulenleiden) gestützte Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der häufig schwere Lasten in ungünstiger Arbeitshaltung heben muss, sozial nicht gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber nicht vorträgt, dass die nach der LasthandhabV und dem ArbSchG vorgeschriebenen Maßnahmen durchgeführt und ausgeschöpft sind.4 3. Sonderfälle der Erkrankung a) AIDS
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Die Erkrankung an AIDS („Acquired Immune Deficiency Syndrome“), einer durch Viren hervorgerufenen Immunschwäche, ist ein regelwidriger körperlicher Zustand, der nach ganz überwiegender Auffassung – wie andere Krankheiten auch – eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann.5
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Die Infektion mit dem HI-Virus stellt sich in aller Regel als symptomlos dar. Damit ist AIDS in diesem Stadium keine Krankheit im arbeitsrechtlichen Sinne: Der Betroffene kann regelmäßig seine Arbeitsleistung uneingeschränkt erbringen, soweit keine unvermeidbare Infektionsgefahr für Dritte besteht.
308
" Praxistipp: Bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung aufgrund der Immunschwäche AIDS ist deshalb zwischen einer Infektion mit dem HI-Virus und dem Ausbruch der AIDS-Erkrankung zu unterscheiden.
1 2 3 4 5
BAG v. 5.8.1976 – 3 AZR 110/75, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 2. BAG v. 2.2.1973 – 2 AZR 172/72, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 27. BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10. LAG Hessen v. 15.9.2000 – 2 Sa 1833/99. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 280; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 292; ausführlich: Lepke, S. 427 ff. Rz. 358 ff. m.w.N.; zur vergleichbaren Situation bei einer Hepatitis-Infektion bzw. -Erkrankung vgl. Lepke, DB 2008, 467.
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Krankheit
Rz. 312 Teil 3
Die bloße HIV-Infektion rechtfertigt in der Regel keine Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen, da sie nicht mit gesundheitlichen Beschwerden verbunden ist und die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht herabsetzt.1
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Anders kann es sich verhalten, wenn die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers eine erhöhte Gefahr der Ansteckung anderer Mitarbeiter oder dritter Personen mit sich bringt, so insbesondere im medizinischen Bereich.2 In diesen Fällen kann die HIV-Infektion ggf. eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.3 Zu beachten ist aber, dass selbst in medizinischen Berufen das Ansteckungsrisiko gering ist, wenn und soweit die hygienischen Bestimmungen genau beachtet werden4, so dass eine Kündigung aufgrund der Infektion nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen kann. Hinzu kommt, dass eine solche Kündigung auch nur dann gerechtfertigt sein dürfte, wenn der betroffene Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz, an dem das spezielle Infektionsrisiko nicht besteht, weiterbeschäftigt werden kann.
310
Auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner HIV-Infektion Handlungen vornimmt, die konkret nachteilige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben, kann u.U. eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen, etwa dann, wenn ein Selbstmordversuch des Arbeitnehmers dazu führt, dass dieser verletzungsbedingt bis auf weiteres zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage ist.5 Die Kündigung ist in diesem Fall bereits nach den allgemein für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen sozial gerechtfertigt, woran auch der dargestellte Zusammenhang mit der HIV-Infektion nichts ändern kann.
311
Haben andere Mitarbeiter von der Infektion Kenntnis erlangt und verlangen unter Androhung von betrieblichen Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Kündigung des HIV-infizierten Arbeitnehmers, so ist anhand der für die Druckkündigung6 entwickelten Grundsätze zu prüfen, ob der Ausspruch einer Kündigung trotz Fehlens eines objektiven Kündigungsgrundes ausnahmsweise sozial gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber muss dafür zunächst alle ihm möglichen und zumutbaren Mittel ausgeschöpft haben, um die Drucksituation zu beseitigen. Nur wenn er damit keinen Erfolg hat und ihm im Falle einer Weigerung unzumutbare betriebliche Nachteile – etwa durch Massenkündigungen oder Streik – drohen, kann die Druckkündigung gerechtfertigt sein.7 Im Fall einer Drucksituation aufgrund HIV-Infektion ist der Arbeitgeber daher zunächst verpflich-
312
1 So die h.M.: BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, EzA § 138 BGB Nr. 23; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 152; HK-KSchG/Weller/Dorndorf, § 1 Rz. 448; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 281; Lepke, S. 440 f. Rz. 375; KDZ/Kittner/Deinert, 7. Auflage 2008, § 1 KSchG Rz. 111; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 292. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 292; Lepke, S. 442 ff. Rz. 376 m.w.N. 3 Lepke, RdA 2000, 87, 90 f.; ders., S. 442 ff. Rz. 376 ff. 4 Lepke, S. 442 ff. Rz. 376 ff. 5 Vgl. BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB, wonach in diesem Fall die Kündigung jedenfalls nicht als sitten- oder treuwidrig anzusehen ist. 6 Vgl. dazu BAG v. 10.12.1992 – 2 AZR 271/92, AP Nr. 41 zu Art. 140 GG. 7 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 294.
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Teil 3 Rz. 313
Personenbedingte Kündigung
tet, die Belegschaft über das mangelnde Ansteckungsrisiko aufzuklären und sich schützend vor den infizierten Mitarbeiter zu stellen.1 313
Hat der Arbeitgeber die Drucksituation selbst geschaffen, etwa indem er die Belegschaft über die bisher unbekannte AIDS-Infektion informiert hat, kann er sich allerdings zur Rechtfertigung einer später ausgesprochenen Kündigung nicht auf das Bestehen dieser Drucksituation berufen.2
314
Ist die AIDS-Erkrankung beim Arbeitnehmer bereits ausgebrochen und kommt es aufgrund der Immunschwäche zu einer Vielzahl von Infektionen im Körper, die auch zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten führen werden, so richtet sich die Rechtmäßigkeit einer darauf gestützten Kündigung nach den allgemeinen Grundsätzen, die im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung zur Anwendung kommen.3 Ein AIDS-Kranker ist insofern nicht anders zu beurteilen als jeder anders Erkrankte auch. Lediglich für die zu erstellende negative Gesundheitsprognose kann die Erkrankung mit AIDS besondere Bedeutung erlangen4, da angesichts bislang fehlender wirksamer Heilmethoden eine Prognose im Hinblick auf künftige krankheitsbedingte Ausfallzeiten leichter aufzustellen sein dürfte als im Rahmen anderer (heilbarer) Krankheiten. b) Alkohol- und Drogensucht
315
Auch Alkohol- und Drogensucht können grundsätzlich eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, sofern eine psychische oder physische Abhängigkeit und damit eine Krankheit im medizinischen und arbeitsrechtlichen Sinne vorliegt.5 Letzteres ist dann der Fall, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann, die betreffende Person also die Kontrolle über ihren Alkoholkonsum verliert.6 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Alkoholsucht trägt der Arbeitgeber. Hat der Arbeitnehmer an einer Entziehungstherapie teilgenommen, muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer danach rückfällig geworden ist.7
316
Eine verhaltensbedingte Kündigung kann die Alkoholabhängigkeit hingegen regelmäßig selbst dann nicht rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer infolge seiner Sucht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstößt, etwa durch wiederholten 1 ArbG Berlin v. 16.6.1987 – 24 Ca 319/86, NZA 1987, 637, 638; Lepke, DB 1987, 1299, 1301; Richardi, NZA 1988, 73, 78. 2 ArbG Berlin v. 16.6.1987 – 24 Ca 319/86, NZA 1987, 637, 638; Lepke, DB 1987, 1299, 1301. 3 Lepke, S. 450 ff. Rz. 382 ff.; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 152; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 280; Löwisch, DB 1987, 936, 942; Richardi, NZA 1988, 73, 78 f. 4 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 226. 5 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, AP Nr. 52 zu § 1 Lohn.F. G; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 153; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 284; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 295; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1204; Lepke, S. 369 f. Rz. 312. 6 BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG; LAG Sachsen v. 16.2.2006 – 8 Sa 968/04, AE 2006, 121 (Ls.). 7 LAG Hamm v. 18.2.2005 – 10 Sa 1524/04, AuA 2005, 369.
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Krankheit
Rz. 318 Teil 3
starken Alkoholgenuss während der Arbeitszeit.1 Denn da aufgrund der Sucht der Arbeitnehmer sein Verhalten i.d.R. nicht mehr willentlich steuern kann, ist ihm grds. auch ein damit zusammenhängender Pflichtverstoß nicht vorzuwerfen.2 Ein schuldhaftes Verhalten liegt grundsätzlich auch dann nicht vor, wenn ein alkoholkranker Arbeitnehmer nach einer längeren Abstinenz in Folge von Therapiemaßnahmen rückfällig wird, da auch der „trockene“ Alkoholiker weiterhin alkoholkrank bleibt.3 Das BAG lässt eine verhaltensbedingte Kündigung aufgrund der Suchterkrankung allenfalls dann zu, wenn der Arbeitnehmer seine Alkoholabhängigkeit selbst verschuldet hat, z.B. wenn er einen Rückfall nach erfolgter Therapie zu vertreten hat.4 Die Darlegung und der Beweis dieser Behauptung wird jedoch dem Arbeitgeber, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt, da das Verschulden bei der verhaltensbedingten Kündigung in der Regel Teil des Kündigungsgrundes ist5, grundsätzlich erhebliche Schwierigkeiten bereiten, nachdem es keinen dahingehenden Erfahrungssatz gibt, wonach die Alkoholabhängigkeit in der Regel selbstverschuldet ist.6
" Praxistipp: Will der Arbeitgeber einem alkoholkranken Arbeitnehmer kün-
digen, muss er dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG mitteilen, ob er von einem krankheitsbedingten Kündigungsgrund ausgeht oder ob er dem Arbeitnehmer trotz der Alkoholkrankheit ein steuerbares Fehlverhalten vorwirft. Ein Nachschieben von verhaltensbedingten Kündigungsgründen, wenn zuvor der Betriebsrat nur zu personenbedingten Gründen angehört wurde, im Kündigungsschutzprozess ist ebenso unzulässig7 wie das Nachschieben von personenbedingten Gründen, wenn sich die Anhörung nur auf verhaltensbedingte Gründe bezogen hat.8
Die mit Alkohol- oder Drogensucht begründete Kündigung weist gegenüber der krankheitsbedingten einige Besonderheiten auf:
317
aa) Negative Zukunftsprognose Die Kündigung wegen Alkohol- oder Drogensucht erfordert wie die krankheitsbedingte Kündigung eine negative Zukunftsprognose, die aber im Vergleich geringeren Anforderungen unterliegt.9 Alkoholbedingten Fehlzeiten in der Ver1 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 295; anders, wenn sich der Arbeitnehmer aus eigenem Verschulden in eine Situation begibt, in der sein Verhalten alkoholbedingt nicht mehr steuern kann, BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 188/93, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 152. 3 ArbG Naumburg v. 6.9.2007 – 1 Ca 956/07; Lepke, DB 2001, 269 (277 f.). 4 BAG v. 11.11.1987 – 5 AZR 497/86, AP Nr. 75 zu § 616 BGB; LAG München v. 13.12. 2005 – 8 Sa 739/05, NZA 2006, 350. 5 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 275. 6 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG. 7 LAG Hamm v. 1.3.2007 – 17 Sa 1503/06. 8 LAG Sachsen v. 16.2.2006 – 8 Sa 968/04, AE 2006, 121. 9 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; LAG Hamm v. 21.9.2007 – 7 Sa 916/07, AuR 2008, 75 (Ls.); vgl. auch v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 296, die wohl zutreffend die negative Prognose aufgrund der medizinischer Erkenntnisse für einfacher halten.
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Personenbedingte Kündigung
gangenheit kommt gegenüber allgemeinen krankheitsbedingten Ausfallzeiten eine verstärkte Indizwirkung zu: Der Alkoholabhängigkeit wohnt die Tendenz zur weiteren Eskalation inne1, und sie kann eine Vielzahl von Folgekrankheiten auslösen oder doch zumindest wesentlich mit verursachen. Von daher kommt es bei festgestellter Alkoholabhängigkeit entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehnt er das ab, begründet bereits dieser Umstand die Prognose, dass in absehbarer Zeit keine Heilung zu erwarten ist.2 Eine nach Ausspruch der Kündigung eintretende Therapiebereitschaft, ändert an der negativen Prognose nichts.3 Die Therapiebereitschaft ist vom Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen. 319
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass eine nach Ausspruch der Kündigung ent-
320
Ein nach Ausspruch der Kündigung begründeter positiver Heilungsverlauf kann allenfalls im Rahmen eines Wiedereinstellungsbegehrens Bedeutung erlangen. So wird zumindest in der Literatur davon ausgegangen, dass unter bestimmten Voraussetzungen dem Arbeitnehmer auch nach krankheitsbedingter Kündigung ein Anspruch auf Wiedereinstellung zuzubilligen ist5, während die Rechtsprechung diese Frage bisher offen gelassen hat.6 Doch selbst bei grds. Bejahung eines Wiedereinstellungsanspruchs nach krankheitsbedingter Kündigung wird dieser speziell im Fall der Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit nur in den seltensten Fällen anzunehmen sein. Denn eine Wiedereinstellung kommt nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass die Ausgangsprognose widerlegt und eine positive Gesundheitsprognose dargelegt werden kann, was bei der Alkoholerkrankung aufgrund der hohen Rückfallgefahr erhebliche Schwierigkeiten bereiten dürfte.7
standene Therapiebereitschaft des Arbeitnehmers die einmal getroffene negative Prognoseentscheidung nicht nachträglich relativieren kann, eine im Nachhinein erfolgte Entziehungsbehandlung und die dadurch bedingte positive Entwicklung der Alkoholsucht des Arbeitnehmers also nicht mehr für die der Kündigung zugrundeliegende Prognose zu berücksichtigen ist. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung ist auch insoweit allein auf die Umstände abzustellen, die zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs bereits vorgelegen haben.4
1 BAG v. 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, AP Nr. 159 zu § 626 BGB; Lepke, S. 382 Rz. 321. 2 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 13.12.1990 – 2 AZR 336/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; LAG Hamm v. 17.3.2005 – 8 Sa 1412/04; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1204. 3 LAG Rheinland-Pfalz v. 27.3.2008 – 10 Sa 669/07; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 298. 4 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG Krankheit; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 153; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1205. 5 So MünchArbR/Ulrich, § 40 Rz. 85; Lepke, NZA-RR 2002, 617, 619 m.w.N. 6 Zuletzt BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01; ebenso v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG Krankheit; verneinend LAG Berlin v. 18.6.2002 – 12 Sa 2413/01, NZA-RR 2003, 66, 67. 7 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG Krankheit; Stahlhacke/ Preis/Vossen, Rz. 1205.
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Rz. 323 Teil 3
Hat der Arbeitnehmer bereits an einer Entziehungskur teilgenommen, können auch (nachgewiesene) Rückfälle allein noch keine negative Zukunftsprognose begründen, solange der Arbeitnehmer weiterhin Therapiebereitschaft zeigt.1 Je öfter indes trotz Therapien Rückfälle eintreten, desto eher wird von einer negativen Prognose auszugehen sein.
320a
" Praxistipp: Eine Entziehungstherapie bzw. -kur ist nicht mit einer (statio-
320b
nären) Entgiftung gleichzusetzen. „Rückfälle“ nach Entgiftungen können daher nicht zur Begründung einer negativen Zukunftsprognose herangezogen werden, solange eine Entziehungstherapie noch nicht stattgefunden hat bzw. abgeschlossen ist und der Arbeitnehmer therapiebereit ist.2
bb) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen Neben der negativen Gesundheitsprognose setzt die Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit weiterhin voraus, dass die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers durch die Suchterkrankung erheblich beeinträchtigt werden. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn durch die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen des Arbeitnehmers aufgrund seiner konkreten Tätigkeit die Möglichkeit besteht, dass er sich und andere gefährdet und er wegen des damit verbundenen erheblichen Sicherheitsrisikos überhaupt nicht bzw. nicht ohne über das übliche Maß hinausgehende Kontrolle auf seinem bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann.3 Was die betriebliche Beeinträchtigung durch eine alkoholbedingte Minderung des Leistungsvermögens oder alkoholbedingte Fehlzeiten anbetrifft, so wird auf die im Rahmen der krankheitsbedingten Kündigung zu der betrieblichen Beeinträchtigung allgemein gemachten Ausführungen verwiesen.
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cc) Interessenabwägung Auch bei Kündigung aufgrund von Alkoholmissbrauch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser gebietet es, dass der Arbeitgeber dem alkoholkranken Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung die Durchführung einer Entziehungskur ermöglicht4, und zwar auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer nach erfolgreicher Therapie unverschuldet einen Rückfall erlitten hat.5
322
Im Rahmen der Interessenabwägung ist bei der Kündigung eines alkohol- oder drogenabhängigen Arbeitnehmers insbesondere dessen Therapiebereitschaft zu
323
1 LAG Hamm v. 4.9.2001 – 11 Sa 1918/00, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 27.3.2008 – 10 Sa 669/07; anders wohl LAG Rheinland-Pfalz v. 13.9.2007 – 4 Sa 35/07. 2 LAG Hamm v. 21.9.2007 – 7 Sa 916/07, AuR 2008, 75 (Ls.). 3 BAG v. 13.12.1990 – 2 AZR 336/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 4 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; LAG Hamm v. 19.6.1986 – 16 Sa 833/86, NZA 1987, 669; LAG Frankfurt v. 26.6.1986 – 12 Sa 259/86, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 286.
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Personenbedingte Kündigung
berücksichtigen. Hat sich der Arbeitnehmer ernsthaft bereit erklärt, an einer Entziehungskur teilzunehmen, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung zunächst das Ergebnis der Therapie abzuwarten.1 Ausnahmsweise ist von einem Abwarten des Therapieergebnisses abzusehen, wenn zwingende betriebliche Gründe dem entgegenstehen, wenn etwa der Arbeitsplatz dauerhaft neu besetzt werden muss und eine Überbrückung der Fehlzeiten durch Aushilfskräfte nicht möglich ist.2 324
Auch die Umstände, die zur Alkoholabhängigkeit des Arbeitnehmers geführt haben, sind in die Interessenabwägung mit einzubeziehen, so insbesondere ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Sucht.
325
Eine allgemeine Vermutung, der zufolge die Alkoholabhängigkeit stets selbst verschuldet ist, gibt es nicht.3 Das BAG nimmt ein Eigenverschulden jedoch für die Fälle an, in denen der Arbeitnehmer ein Therapieangebot des Arbeitgebers ausgeschlagen oder nach erfolgreicher Therapie wieder rückfällig geworden ist.4 Zutreffend ist hieran, dass eine fehlgeschlagene Therapie sich im Hinblick auf die auszusprechende Kündigung zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken muss. Ob dem Arbeitnehmer hingegen der vom BAG unterstellte Schuldvorwurf zu machen ist, erscheint zumindest aus medizinischer Sicht zweifelhaft, da es gerade im Wesen einer Suchterkrankung liegt, dass der Betroffene trotz besserer Einsicht seine Abhängigkeit nicht aufgeben kann.
326
Ebenfalls im Rahmen der Interessenabwägung soll zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer in Kenntnis einer Alkohol- oder Drogensucht eingestellt hat; dieser Arbeitgeber müsse längere krankheitsbedingte Fehlzeiten in Kauf nehmen.5 Dem ist entgegenzuhalten, dass die entsprechende Kenntnis nicht zu einer geänderten Sachlage in Bezug auf die durch die Alkohol- oder Drogensucht entstehenden betrieblichen Störungen führt. Im Übrigen ist auch im Fall der auf Alkoholoder Drogensucht gestützten Kündigung ausschließlich das objektive Vorliegen für die soziale Rechtfertigung der Kündigung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG relevant.
326a
Auch bei einer Kündigung wegen Alkoholsucht ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, ob eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Insbesondere hat der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen, wenn der alkoholkranke Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gefehlt hat.6 1 LAG Frankfurt v. 26.6.1986 – 12 Sa 259/86, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 153; HaKo/Gallner, 3. Auflage 2007, § 1 KSchG Rz. 491. 2 LAG Hamm v. 2.5.1986 – 16 Sa 1987/85, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 4. 3 BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG. 4 BAG v. 11.11.1987 – 5 AZR 497/86, AP Nr. 75 zu § 616 BGB; a.A. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 285 m.w.N., der auf die Ursachen des Rückfalls abstellt. 5 So BAG v. 10.6.1969 – 2 AZR 94/68, EzA § 1 KSchG Nr. 13. 6 ArbG Naumburg v. 6.9.2007 – 1 Ca 956/07.
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Krankheit
Rz. 331 Teil 3
Führt der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durch, erhöht sich seine Darlegungs- und Beweislast für die fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit. c) Spielsucht Kommt ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit mit Vermögenswerten in Kontakt und besteht in seiner Person die Gefahr, dass es zur Finanzierung bestehender Spielsucht zu Vermögensdelikten kommt, so kann Spielsucht eines Arbeitnehmers Grund für eine personenbedingte Kündigung sein.1 Begeht der Arbeitnehmer indes zu Lasten des Arbeitgebers Vermögensdelikte zur Befriedigung seiner Spielsucht, unterschlägt er z.B. Firmengelder oder bestiehlt er Arbeitskollegen, so liegt ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung vor. Grund für die Kündigung ist nämlich dann die trotz Spielsucht mit vollem Unrechtsbewusstsein begangene Straftat.
327
Spielsucht ist sowohl im medizinischen als auch in kündigungsrechtlichen Sinne als Krankheit anzusehen; die psychische Abhängigkeit vom Glücksspiel unterscheidet sich in ihren Folgen und Auswirkungen nicht von der Abhängigkeit von anderen Suchtmitteln. Von daher gilt das zur Alkohol- und Drogensucht Gesagte entsprechend. Eine Kündigung nach erfolgreich durchgeführter Therapie dürfte damit wegen fehlender negativer Zukunftsprognose sozialwidrig sein.2 Besteht dagegen von vornherein keine Therapiebereitschaft des Arbeitnehmers, ist die Prognose negativ.3
328
C. Wiedereinstellungsanspruch nach langandauernder Erkrankung Bei der personenbedingten Kündigung trifft der Arbeitgeber eine Prognoseentscheidung, die sich im Nachhinein als fehlerhaft erweisen kann. Stellt sich nach Zugang der Kündigung ein solcher Prognosefehler heraus, ist die Kündigung allerdings nicht alleine deshalb unwirksam.
329
Denn die Wirksamkeit einer Kündigung beurteilt sich nach den objektiven Umständen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, so dass später eintretende Veränderungen keinen Einfluss auf ihre Wirksamkeit haben.4
330
Um etwaige Fehlprognosen des Arbeitgebers im Nachhinein ggf. doch noch berichtigen zu können, hat das BAG in mehreren Entscheidungen zur betriebsbedingten Kündigung grds. einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitneh-
331
1 LAG Frankfurt v. 21.5.2002 – 7 Sa 1495/01; Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 70. EL Juli 2009, § 1 KSchG Rz. 156a; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 288. 2 LAG Frankfurt v. 21.5.2002 – 7 Sa 1495/01. 3 LAG Frankfurt v. 11.3.1996 – 11 Sa 1471/95. 4 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01.
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Teil 3 Rz. 332
Personenbedingte Kündigung
mers anerkannt, unter der Voraussetzung, dass nach Ausspruch der Kündigung aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist der Kündigungsanlass wegfällt.1 332
Der Wiedereinstellungsanspruch wird in diesen Fällen als notwendiges Korrektiv dafür gesehen, dass bei der Prüfung des Kündigungsgrundes allein auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs und nicht auf den Ablauf der Kündigungsfrist abgestellt wird und damit eine während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses eintretende Veränderung der tatsächlichen Lage nicht mehr zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden kann. Hergeleitet wird der Wiedereinstellungsanspruch vornehmlich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes2, einer nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers3, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben4 sowie einer vertraglichen, den Vorgaben des KSchG und der staatlichen Schutzpflicht des Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung tragenden Nebenpflicht aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis. Der Rechtsprechung des BAG zufolge verhält sich der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB, wenn er bei Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes noch während der Kündigungsfrist den veränderten Umständen nicht Rechnung trägt und dem Arbeitnehmer nicht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungszeitpunkt hinaus anbietet bzw. sich mit einem entsprechenden Vertragsangebot des Arbeitnehmers einverstanden erklärt.5
333
Der methodischen Begründung des Wiedereinstellungsanspruchs als vertragliche Nebenpflicht des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses entspricht es, dass eine erst nach Ablauf der Kündigungsfrist eingetretene Änderung der für die Kündigung maßgeblichen Umstände einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung nicht begründen kann. Der Wiedereinstellungsanspruch ist damit zeitlich auf das bestehende Arbeitsverhältnis beschränkt.6
334
Hinzu kommt, dass der Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung nur unter der Bedingung eingreift, dass dem Arbeitgeber die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Dies ist insbesondere dann zu verneinen, wenn der Arbeitgeber in gutem Glauben an die Wirksamkeit der Kündigung bereits anderweitige Dispositionen getroffen hat, bei1 BAG v. 15.3.1984 – 2 AZR 24/83, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 29.1. 1987 – 2 AZR 109/86, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Saisonarbeit; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; so auch die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte: Lepke, NZA-RR 2002, 617 m.w.N.; LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, BB 1989, 1203; LAG Hamburg v. 26.4.1990 – 2 Sa 90/89, DB 1991, 1180; kritisch jedoch: LAG Berlin v. 18.6.2002 – 12 Sa 2413/01, NZA-RR 2003, 66–68; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 78. 2 BAG 29.1.1987 – 2 AZR 109/86, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Saisonarbeit. 3 Vgl. LAG Hamburg v. 26.4.1990 – 2 Sa 90/89, DB 1991, 1180. 4 BAG 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 5 BAG 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 6 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; zustimmend: KDZ/Zwanziger, 7. Auflage 2008, Einleitung Rz. 391.
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Krankheit
Rz. 336 Teil 3
spielsweise durch Einstellung eines neuen Arbeitnehmers auf den durch die Kündigung frei gewordenen Arbeitsplatz.1 Da letzten Endes jede Kündigung zukunfts- bzw. prognosebezogen ist, kann auch nach Ausspruch einer personenbedingten Kündigung ein Wiedereinstellungsanspruch entstehen.2 Zwar stammen hier, anders als bei der betriebsbedingten Kündigung, die Ursachen der Kündigung aus der Sphäre des Arbeitnehmers. Jedoch beruht die Kündigung auch hier auf einer fehlerhaften Prognose des Arbeitgebers, die sich für den Arbeitnehmer jedenfalls dann nicht ungünstig auswirken darf, wenn er – anders als im Fall der rechtswirksamen verhaltensbedingten Kündigung, für die ein Wiedereinstellungsanspruch zu Recht verneint wird3 – auf die nachträgliche Veränderung der prognoserelevanten Umstände keinen Einfluss hat.
335
Das BAG hat sich zu der Problematik eines Wiedereinstellungsanspruchs nach krankheitsbedingter Kündigung bisher nicht eindeutig geäußert. Mit Urteil vom 29.4.19994 hat der Zweite Senat lediglich auf die Möglichkeit hingewiesen, eine innerhalb der Kündigungsfrist (oder ggf. später) sich als falsch erweisende Gesundheitsprognose nachträglich durch einen Wiedereinstellungsanspruch zu korrigieren, die Frage jedoch im konkreten Fall als nicht Streit entscheidend eingestuft und dementsprechend offen gelassen. In einem weiteren Urteil vom 17.6.19995 hat erneut der Zweite Senat allerdings darauf hingewiesen, dass es für die Begründung eines Wiedereinstellungsanspruch nach einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung jedenfalls nicht ausreichend sei, wenn der Arbeitnehmer die die Kündigung bedingende Negativprognose lediglich erschüttere. Voraussetzung für die Annahme eines Wiedereinstellungsanspruchs sei vielmehr die Darlegung und ggf. auch der Nachweis einer positiven Gesundheitsprognose. In dem vom Zweiten Senat entschiedenen Fall wurde dementsprechend einem alkoholkranken Arbeitnehmer, der innerhalb der Kündigungsfrist eine Entziehungskur durchgeführt hatte, der von ihm geltend gemachte Wiedereinstellungsanspruch versagt, da er nichts dazu vorgetragen hatte, dass ein ernstliches Rückfallrisiko in seinem Fall ausgeschlossen sei.6 Auch der Siebte Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 27.6.20017 zum Wiedereinstellungsanspruch nach krankheitsbedingter Kündigung zwar geäußert, die Wiedereinstellung im konkreten Fall aber daran scheitern lassen, dass die in Streit stehende Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers erst
336
1 BAG 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 2 Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, 4. Auflage 2005, § 34 Rz. 17; Bram in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 70. EL Juli 2009, § 1 KSchG Rz. 71 f.; offengelassen von BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; ablehnend LAG Berlin v. 18.6.2002 – 12 Sa 2413/01, NZA-RR 2003, 66–68; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 78, der in der Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs eine mit dem Gebot der Rechtssicherheit unvereinbare Abkehr vom kündigungsrechtlichen Prognoseprinzip sieht. 3 Vgl. Lepke, NZA-RR 2002, 617, 618; a.A. MünchArbR/Ulrich, § 40 Rz. 85. 4 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 5 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 6 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 7 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
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Teil 3 Rz. 337
Personenbedingte Kündigung
nach Ablauf der Kündigungsfrist und damit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetreten war.1 Immerhin hat er festgehalten, dass der Wiedereinstellungsanspruch „grundsätzlich auch bei der krankheitsbedingten Kündigung in Betracht zu ziehen“ sei, wenn sich nachträglich herausstelle, dass die bei Ausspruch der Kündigung begründete Besorgnis langanhaltender oder dauerhafter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr gerechtfertigt sei und der Wiedereinstellung berechtigte Arbeitgeberinteressen insbesondere wegen zwischenzeitlicher anderweitiger Dispositionen nicht entgegenstünden. Nicht ausreichend könne dabei allerdings sein, wenn die Prognose lediglich zweifelhaft werde; vielmehr sei erforderlich, dass die Besorgnis der wiederholten Erkrankung ausgeräumt sei. Dafür trage der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast.2 337
Im Schrifttum wird die Möglichkeit eines Wiedereinstellungsanspruchs nach krankheitsbedingter Kündigung – soweit ersichtlich – zu Recht überwiegend anerkannt.3 Denn nicht anders als bei der betriebsbedingten Kündigung auch beruht hier die negative Prognose i.d.R. nicht auf einem dem Arbeitnehmer zurechenbaren Verhalten, sondern auf einer fehlerhaften Einschätzung des Arbeitgebers, der deshalb bei einem Wegfall der kündigungsbegründenden Umstände bereits aufgrund des in § 242 BGB verankerten Prinzips von Treu und Glauben sowie seiner arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber dem Arbeitnehmer grds. zu einer Wiedereinstellung verpflichtet ist.4 Ein Wiedereinstellungsanspruch kann jedoch nur dann bejaht werden, wenn die – vom Arbeitnehmer positiv nachzuweisende5 – nachträgliche Ausräumung der Besorgnis der wiederholten Erkrankung, die nicht auf einem neuen Kausalverlauf beruhen darf6, vor der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt7. Auch im Fall der krankheitsbedingten Kündigung enden mit dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist und dem damit verbundenen rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses die Pflichten der Arbeitsvertragsparteien zur Wahrung der wechselseitigen Interessen. Danach bestehen nur noch nachvertragliche Pflichten, die regelmäßig schwächer und deshalb nicht ohne weiteres geeignet sein, einen Widereinstellungsanspruch zu begründen. Kommt es deshalb während der Dauer des Kündigungsschutzverfahrens, aber erst nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist dazu, dass eine grundlegende Besserung des Gesundheitszustandes des wegen Krankheit gekündigten Arbeitnehmers eintritt oder ein leidens1 IdS auch LAG Niedersachsen v. 11.4.2008 – 3 Sa 91/07, AE 2008, 212 (Die nach Behauptung des Klägers zu einer Besserung geführt habende Operation wurde erst drei Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist durchgeführt); LAG Hamm v. 28.7.1999 – 18 Sa 2523/97, AuA 2000, 450 (kein Wiedereinstellungsanspruch bei Besserung des Gesundheitszustandes 14 Monate nach Zugang der Kündigung und 8 Monate nach dem Ablauf der Kündigungsfrist). 2 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 3 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 739; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 243; Lepke, NZA-RR 2002, 617, 619 m.w.N.; Mathern, NJW 1996, 818 ff.; MünchArbR/Ulrich, § 40 Rz. 85; a.A.: APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 77 ff.; Zwanziger, BB 1997, 42 ff. 4 A.A. LAG Berlin v. 18.6.2002 – 12 Sa 2413/01, NZA-RR 2003, 66, 67. 5 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 6 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 7 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
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Allgemeines
Rz. 341 Teil 3
gerechter anderweitiger Arbeitsplatz frei wird, so kann ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers mit Aussicht auf Erfolg nicht geltend gemacht werden. Nicht anders als im Falle der betriebsbedingten Kündigung entfällt der Wiedereinstellungsanspruch nach krankheitsbedingter Kündigung, wenn die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegen.1 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung bereits Dispositionen getroffen hat, etwa den Arbeitsplatz nach krankheitsbedingter Kündigung neu besetzt hat.
338
D. Anhörung des Betriebsrats bei der personenbedingten Kündigung I. Allgemeines Wie bei allen anderen Arten einer Kündigung ist auch vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG zu beteiligen, sofern in dem betreffenden Betrieb ein solcher errichtet wurde.
339
Ist eine Anhörung gar nicht oder fehlerhaft erfolgt, so ist die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam2, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den Schutz nach dem KSchG genießt3 und ob es sich um eine ordentliche, eine außerordentliche oder eine Änderungskündigung handelt.
340
Für eine ordnungsgemäße Anhörung ist erforderlich, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung den Betriebsrat schriftlich oder mündlich von der beabsichtigten Kündigung unterrichtet. Dafür reicht es aus, dass er dem Betriebsrat alle Gründe mitteilt, die von seinem Standpunkt aus für die Kündigungsentscheidung von Bedeutung sind und die Kündigung rechtfertigen. Er ist also auch im Bereich der personenbedingten Kündigung lediglich verpflichtet, den Betriebsrat über die aus seiner Sicht tragenden Umstände für die Kündigung zu informieren (sog. Grundsatz der subjektiven Determination).4 Denn Zweck der Anhörung ist es nicht, die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung durch den Betriebsrat zu gewährleisten, sondern, dem Betriebsrat eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeit-
341
1 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung (zur betriebsbedingten Kündigung). 2 Vgl. BAG v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972 zur gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Unwirksamkeit wegen fehlerhafter Anhörung. 3 BAG v. 13.7.1978 – 2 AZR 798/77; v. 2.11.1983 – 7 AZR 65/82; v. 8.9.1988 – 2 AZR 103/88; v. 3.12.1998 – 2 AZR 234/98; AP Nr. 18, 29, 49, 99 zu § 102 BetrVG 1972. 4 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01; v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 96; v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972; v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.
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Teil 3 Rz. 342
Personenbedingte Kündigung
gebers zu ermöglichen.1 Unerheblich ist es daher für die Wirksamkeit der Anhörung, wenn der Arbeitgeber bewusst nicht auf andere Kündigungsgründe oder Sachverhalte hinweist, solange er über die aus seiner Sicht tragenden Umstände vollständig informiert. Allerdings ist es dem Arbeitgeber dann verwehrt, in einem anschließenden Kündigungsschutzprozess den Kündigungssachverhalt um diese Umstände zu erweitern, es sei denn, es handelt sich bei dem Nachschieben von Gründen nicht nur um eine Konkretisierung der dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe.2 342
Entscheidend ist auch im Fall der personenbedingten Kündigung, dass der Betriebsrat sich von dem Kündigungssachverhalt ein Bild machen kann und in die Lage versetzt wird, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers sachgerecht vorzubringen. Dazu gehört auch, dass der Kündigungssachverhalt dem Betriebsrat gegenüber substantiiert dargestellt wird. Eine lediglich pauschale, schlagwortartige Bezeichnung von Kündigungsgründen (z.B. „Krankheit“) reicht hierfür nicht aus; der Betriebsrat muss vielmehr in die Lage versetzt werden, ohne zusätzliche eigene Nachforschungen selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig zu werden.3
342a
" Praxistipp: Der Arbeitgeber sollte insbesondere bei krankheitsbedingten
343
Eine ordnungsgemäße Anhörung liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber den Kündigungssachverhalt bewusst unrichtig oder unvollständig und dadurch irreführend darstellt.5 Eine solche irreführende Darstellung ist auch im bewussten Verschweigen von den Arbeitnehmer entlastenden Umständen durch den Arbeitgeber zu sehen6. Nicht von bewusster Irreführung ist dagegen auszugehen, wenn der Betriebsrat über eine dem Arbeitgeber unbekannte Alkoholerkran-
Kündigungen gegenüber dem Betriebsrat bei der Anhörung klar mitteilten, ob er die Kündigung auf häufige Kurzerkrankungen, Langzeiterkrankungen, dauernde Arbeitsunfähigkeit oder krankheitsbedingte Leistungsminderung stützen will. Ergibt sich aus den dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen, dass nur eine bestimmte Form krankheitsbedingter Kündigung Gegenstand der Anhörung war, können später im Kündigungsschutzprozess andere Arten dieses Kündigungsgrundes zur Begründung der ausgesprochenen Kündigung nicht mehr verwendet werden.4
1 BAG v. 8.9.1988 – 2 AZR 103/88, AP Nr. 49 zu § 102 BetrVG 1972; v. 31.1.1996 – 2 AZR 181/95. 2 BAG v. 13.5.2004 – 2 AZR 329/03, NZA 2004, 1037; LAG Schleswig-Holstein v. 1.9. 2004 – 3 Sa 210/04, NZA-RR 2004, 635. 3 BAG v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 89; v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 86; vgl. LAG Hamm v. 21.10.2003 – 19 Sa 1113/03, LAGReport 2004, 255 (Ls.). 4 Vgl. LAG Hamm v. 21.10.2003 – 19 Sa 1113/03, LAGReport 2004, 255 (Ls.); v. 26.2.2004 – 8 Sa 1897/03, LAGReport 2006, 11. 5 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 181/95; v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972. 6 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972; v. 31.8.1989 – 2 AZR 453/88, AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Schleswig-Holstein; v. 2.11.1983 – 7 AZR 65/82, AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972.
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Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe
Rz. 348 Teil 3
kung des Arbeitnehmers nicht informiert worden ist, solange der Arbeitgeber nur die einzelnen Ausfallzeiten und die darauf beruhende Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten vorbringt.1 Die Darlegungs- und Beweislast für die nicht bewusste Irreführung obliegt dem Arbeitgeber.2
344
Zu den Umständen, die der Arbeitgeber dem Betriebsrat vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung in jedem Falle mitteilen muss, gehören neben den Personaldaten des zu kündigenden Arbeitnehmers auch Art und Zeitpunkt der Kündigung, die ordentliche Kündigungsfrist sowie die Kündigungsgründe einschließlich der den Arbeitnehmer entlastenden Umstände.3
345
Da die Beteiligung des Betriebsrats bereits im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung bereits ausführlich dargestellt worden ist4, soll im Folgenden lediglich auf die Besonderheiten der Anhörung bei der personenbedingten Kündigung eingegangen werden.
346
II. Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe 1. Mitteilung der Grund- und Sozialdaten Die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats vor einer personenbedingten Kündigung setzt voraus, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers genau bezeichnet. Dazu gehören zunächst die Grunddaten des Arbeitnehmers, also dessen Name, Vorname und Geburtdatum, nicht jedoch notwendigerweise seine Anschrift.5
347
Daneben sind dem Betriebsrat auch die grundlegenden Sozialdaten des Arbeitnehmers mitzuteilen, wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Unterhaltspflichten6 und Umstände, die einen bsd. Kündigungsschutz begründen (z.B. Schwerbehinderteneigenschaft oder Schwangerschaft). Dies gilt jedenfalls, soweit diese Umstände dem Arbeitgeber bekannt und für seinen Kündigungsentschluss von Bedeutung sind. Im Rahmen der Betriebsratsanhörung ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Richtigkeit dokumentierter Daten zu überprüfen, so dass er auch von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen kann, da der Arbeitnehmer für die Unterrichtung des Arbeitgebers über Veränderungen seiner Personalien verantwortlich ist.7 Bei der personenbedingten Kündigung können soziale Aspekte insbesondere im Rahmen der Interessenabwägung relevant werden.
348
1 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 4. 2 BAG 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972. 3 BAG 28.2.1974 – 2 AZR 455/73, DB 1974, 1294; v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972. 4 Vgl. dazu Teil 2. 5 LAG Hamm v. 27.2.1992 – 4 (9) Sa 1437/90, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10. 6 LAG Berlin-Brandenburg v. 9.12.2009 – 15 Sa 1769/09. 7 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665.
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Teil 3 Rz. 349
Personenbedingte Kündigung
349
Sozialdaten, die für die Entscheidung des Arbeitgebers völlig unmaßgeblich sind, brauchen entsprechend dem Grundsatz der subjektiven Determination dem Betriebsrat nicht mitgeteilt zu werden.1
350
" Praxistipp: In der Weitergabe der persönlichen Daten des Arbeitnehmers an
den Betriebsrat liegt kein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften.2 Denn der Betriebsrat ist lediglich ein unselbständiger Teil der datenspeichernden Stelle – des Arbeitgebers – i.S.v. § 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG.3 Der Datenfluss innerhalb der speichernden Stelle stellt nach § 28 BDSG keine Datenübermittlung dar und unterliegt daher nicht den gesetzlichen Bestimmungen des BDSG.4
2. Information über negative Zukunftsprognose 351
Zu den „Gründen für die Kündigung“, die der Arbeitgeber gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilen hat, gehören im Falle der beabsichtigten personenbedingten Kündigung stets die Tatsachen, auf die sich die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers über den künftig zu erwartenden Verlauf des Arbeitsverhältnisses stützt.5 Daher ist der Arbeitgeber nicht nur verpflichtet, dem Betriebsrat die konkreten Mängel in der Person des Arbeitnehmers darzulegen, aus denen sich die vom Arbeitgeber angenommene fehlende Eignung zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung ergeben. Gleichzeitig ist er auch gehalten, konkrete Tatsachen anführen, die diesbezüglich eine negative Zukunftsprognose rechtfertigen. Für den in der Praxis wichtigsten Fall der krankheitsbedingten Kündigung bedeutet dies, dass dem Betriebsrat die Perioden, die Lage und die Anzahl der Arbeitstage pro Jahr mitzuteilen sind, die der Arbeitnehmer krankheitsbedingt gefehlt hat. Es bietet sich an, dies mittels einer tabellarischen Aufstellung zu erledigen.
352
Da häufige Fehlzeiten in der Vergangenheit Indizwirkung für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft entfalten6, liegt in ihrer Auflistung zugleich die Mitteilung der für die negative Zukunftsprognose sprechenden Umstände. Insofern können keine höheren Anforderungen zu stellen sein als an die Darlegungspflicht des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess, die die Darlegung der bisherigen Fehlzeiten ausreichen lässt.7
353
Die Fehlzeiten sind indes nicht pauschal, sondern für jedes Kalenderjahr gesondert anzugeben. Nur so wird der Betriebsrat in die Lage versetzt, sich von der 1 BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 243/95, AP Nr. 173 zu § 613a BGB; LAG Köln v. 5.10.1994 – 8 (2) Sa 221/94, LAGE § 104 BetrVG 1972 Nr. 44; v. 28.1.1994 – 13 Sa 453/93, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 25; LAG Düsseldorf v. 2.3.1993 – 3 Sa 1592/92, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 35. 2 BAG v. 17.3.1983 – 6 ABR 33/80, AP Nr. 18 zu § 80 BetrVG 1972; ArbG Berlin v. 6.7. 1982 – 11 Ca 212/82, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 17. 3 BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 21/97, AP Nr. 1 zu § 36 BDSG. 4 Vgl. auch HK-KSchG/Weyand, § 1 Anh. 1 Rz. 32; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 71. 5 BAG v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 54. 6 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 7 BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe
Rz. 358 Teil 3
Häufigkeit der Erkrankungen pro Kalenderjahr ein exaktes Bild zu machen und ggf. Schlüsse auf künftige Ausfallzeiten zu ziehen.1 Ist dem Arbeitgeber die Art der Erkrankung des Arbeitnehmers bekannt, hat er den Betriebsrat auch hierüber zu informieren, da auch dieser Umstand ggf. für die Beurteilung der künftigen Gesundheitsentwicklung von Bedeutung sein kann.2 Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor seiner Kündigungsentscheidung über seinen tatsächlichen Krankheitszustand befragt, so sind dem Betriebsrat auch die Termine und Ergebnisse dieser Krankengespräche mitzuteilen.
354
Soweit dem Arbeitgeber die Gründe für den personenbedingten Mangel, bei der krankheitsbedingten Kündigung also die Ursachen der Erkrankung bekannt sind, hat er diese grds. dem Betriebsrat mitzuteilen. Denn auch die Krankheitsursache kann im Einzelfall ausschlaggebend für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung sein und den Betriebsrat erst in die Lage versetzen, ein abschließendes Urteil über die Kündigung zu fällen. So hängt etwa die negative Gesundheitsprognose u.a. davon ab, auf welchen Gründen die Erkrankung beruht und ob angesichts der Krankheitsursachen mit einer (baldigen) Genesung zu rechnen ist oder nicht. Auch die notwendige Prüfung einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz kann von der Ursache der Erkrankung abhängen, beispielsweise, wenn die zu der Kündigung führende Erkrankung des Arbeitnehmers auf einer Kontaktallergie gegen bestimmte Arbeitsmaterialien beruht und ein Arbeitsplatz existiert, an dem ein Kontakt mit diesen Materialien vermieden werden kann.3 Darüber hinaus kann eine betriebliche Veranlassung der Erkrankung dazu führen, dass die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu entscheiden ist.4
355
Für die ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats ausreichend ist die Mitteilung des für die Kündigung ausschlaggebenden Leidens; zu einer Information über alle Fehlzeiten begründenden Krankheitsursachen ist der Arbeitgeber dagegen nicht verpflichtet.5
356
Im Fall der beabsichtigten Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung ist dem Betriebsrat mitzuteilen, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und aus welchen Umständen geschlossen wird, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.6
357
Bei einer auf Alkohol- oder Drogenabhängigkeit beruhenden Kündigung hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber auch Angaben über eine etwaige Therapiebereitschaft des Arbeitnehmers zu machen, da dieser Umstand erheblichen Einfluss auf die Beurteilung der künftigen Gesundheitsentwicklung hat.7
358
1 2 3 4 5
BAG v. 18.9.1986 – 2 AZR 638/85, RzK III 1 b Nr. 8. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 63; DKK/Kittner/Bachner, § 102 Rz. 86. Vgl. BAG v. 23.9.1992 – 2 AZR 150/92, RzK I 5g Nr. 51. Vgl. dazu etwa Schaub/Linck, 12. Auflage 2007, § 131 Rz. 41. LAG Hamm v. 27.2.1992 – 4 (9) Sa 1437/90, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 10. 6 BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 7 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Teil 3 Rz. 359
Personenbedingte Kündigung
359
Neben der Mitteilung des in der Person des Arbeitnehmers liegenden Eignungsmangels hat der Arbeitgeber den Betriebsrat auch darüber zu unterrichten, welche konkreten Auswirkungen dieser Mangel auf die Leistung des Arbeitnehmers hat.
360
Nur, wenn aufgrund des dargelegten Mangels der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, ist die personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Dementsprechend kann sich der Betriebsrat auch nur dann ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen, wenn er über die Auswirkungen des Eignungsmangels informiert ist.
361
Hatte der Arbeitgeber bereits zum Zeitpunkt der Einstellung Kenntnis von persönlichen Mängeln des Arbeitnehmers, so kann dies im Rahmen der Interessenabwägung von Bedeutung sein. So hat ein Arbeitnehmer, der bewusst einen chronisch kranken Arbeitnehmer einstellt, unter Umständen längere krankheitsbedingte Ausfallzeiten hinzunehmen als dies üblicherweise der Fall ist.1 Der Arbeitgeber hat deshalb dem Betriebsrat ggf. auch mitzuteilen, ob die Mängel in der Person des Arbeitnehmers für ihn von Anfang an erkennbar waren oder nicht. 3. Schilderung der betrieblichen Beeinträchtigungen
362
Die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates setzt weiterhin voraus, dass der Arbeitgeber die betrieblichen Auswirkungen darlegt, die durch die persönlichen oder fachlichen Eignungsmängel bzw. die krankheitsbedingten Fehlzeiten entstehen. Die betrieblichen Auswirkungen stellen neben der Negativprognose und der erforderlichen Interessenabwägung einen Teil des personenbedingten Kündigungsgrundes dar und haben damit regelmäßig Bedeutung für die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers. Nur durch ihre Mitteilung wird es dem Betriebsrat ermöglicht, sich eine realistische Vorstellung von dem zugrundeliegenden Kündigungssachverhalt zu machen und im Sinne des Arbeitnehmers zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen. Der Arbeitgeber muss demgemäß konkrete Tatsachen benennen, aus denen sich eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ergibt2, was zum einen durch den Vortrag von Störungen des Betriebsablaufs, zum anderen durch die Darlegung erheblicher wirtschaftlicher Belastungen durch Fehlzeit bedingte Entgeltfortzahlungskosten, geschehen kann.
363
Hinsichtlich der Mitteilung der wirtschaftlichen und betrieblichen Belastungen ist zu berücksichtigen, dass an die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Allgemeinen geringere Anforderungen zu stellen sind als an seine Darlegungspflicht im Kündigungsschutzprozess3, da der Betriebsrat im Hinblick auf die betrieblichen Verhältnisse i.d.R. über größere Sachnähe verfügt als das Gericht. Der Arbeitgeber muss daher nicht im Rahmen des Anhörungsverfahrens im Ein-
1 BAG v. 10.6.1969 – 2 AZR 94/68, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Krankheit. 2 BAG v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972. 3 BAG v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972.
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Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe
Rz. 367 Teil 3
zelnen mitteilen, wie an den Fehltagen das Fehlen des Arbeitnehmers aufgefangen wurde und welche betrieblichen Auswirkungen dies jeweils hatte.1 Soweit der Betriebsrat über die Auswirkungen wiederholter Fehlzeiten genau informiert ist, soll eine diesbezügliche Anhörung des Betriebsrates nach Ansicht des BAG sogar ganz entfallen können.2 Diese Situation wird jedoch im Normalfall kaum jemals eintreten, da insbesondere für größere Betriebe nicht unterstellt werden kann, dass der Betriebsrat sämtliche wechselnden Arbeitsplätze kennt und die Auswirkungen von Ausfallzeiten abschließend beurteilen kann.3 Der Arbeitgeber wird daher in der Regel im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zumindest grob vortragen müssen, welche Folgen er den Ausfallzeiten des zu kündigenden Arbeitnehmers zuordnet und warum er deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar hält.4
364
Stützt der Arbeitgeber die beabsichtigte Kündigung auf eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Betriebes durch Entgeltfortzahlungskosten, so genügt er seiner Informationspflicht, wenn er die krankheitsbedingten Fehlzeiten auflistet und darlegt, welche Beträge er für die Entgeltfortzahlung aufwenden musste.5 Unterlässt der Arbeitgeber jedoch diese Mitteilung der Kosten für die Entgeltfortzahlung, kann er sich im anschließenden Prozess nicht auf die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten als wirtschaftlich unzumutbare Belastung berufen.6
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" Praxistipp: Es ist zu empfehlen, Arbeitgeberanteile zu den Sozialversiche-
366
Ausreichend ist es, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Entgeltfortzahlungskosten ohne Aufschlüsselung in einem Betrag mitteilt, wenn sich nur aus der Anhörung ansonsten ergibt, dass der Arbeitgeber eben diese Belastung für unzumutbar hält und unter anderem hierauf die Kündigung stützen will. Aus der Zusammenschau der stets anzugebenden Krankheitstage und der Ent-
367
rungsbeiträgen ebenso wie geleistetes Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sowie andere von der Arbeitsleistung unabhängige finanzielle Zuwendungen gesondert aufzulisten. Da eine für den Arbeitgeber unzumutbare wirtschaftliche Belastung erst dann eintritt, wenn über den nach § 3 EFZG gesetzlich vorgesehenen Sechs-Wochen-Zeitraum pro Jahr Entgeltfortzahlungsleistungen erbracht worden sind, hat der Arbeitgeber auch diese unter Angabe der dazugehörigen krankheitsbedingten Fehlzeiten und der Höhe der Kosten anzuführen. Zusatzkosten, die durch die Anordnung von Überstunden entstehen, Einsätze von Leiharbeitnehmern bzw. Aushilfen oder aber die Fremdvergabe von Arbeiten, die durch den Ausfall des Arbeitnehmers bedingt waren, sind vom Arbeitgeber entsprechend der Ausfallzeiten ebenfalls dem Betriebsrat vorzulegen.
1 A.A. LAG Rheinland-Pfalz v. 2.11.2006 – 11 Sa 584/06. 2 BAG v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972; a.A. Rummel, NZA 1984, 76, der die Anforderungen des BAG an die Informationspflicht des Arbeitgebers für zu gering hält. 3 So auch LAG Hamm v. 24.5.1983 – 6 Sa 151/83, ArbuR 1984, 89. 4 LAG Schleswig-Holstein v. 1.9.2004 – 3 Sa 210/04, NZA-RR 2004, 635. 5 BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 366/89, RzK III 1 b Nr. 13. 6 LAG Schleswig-Holstein v. 1.9.2004 – 3 Sa 210/04, NZA-RR 2004, 635.
Laber
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Teil 3 Rz. 368
Personenbedingte Kündigung
geltfortzahlungskosten kann der Betriebsrat in ausreichendem Maße Rückschlüsse in dem Verfahren nach § 102 BetrVG ziehen.1 Der Betriebsrat ist indes nicht verpflichtet, die Entgeltfortzahlungskosten anhand der Fehlzeiten und der ihm bekannten Vergütungshöhe selbst auszurechnen.2 368
Bei dauernder Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, muss der Arbeitgeber eine darüber hinausgehende erhebliche Betriebsbeeinträchtigung nicht darlegen3, da bereits durch die dauernde Unmöglichkeit der arbeitnehmerischen Leistung das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis ganz erheblich gestört ist. Gleiches gilt für die Fälle, in denen die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ungewiss ist. Wie die dauernde Arbeitsunfähigkeit kann auch die Ungewissheit über einen künftigen Einsatz des Arbeitnehmers bereits eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen begründen, ohne dass es einer gesonderten Darlegung betrieblicher Auswirkungen bedarf.4
369
Begründet der Arbeitgeber die Kündigung mit der gesundheitlichen Nichteignung des Arbeitnehmers für seinen Arbeitsplatz, so reicht es für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus, wenn er dem Betriebsrat das ausschlaggebende Leiden mitteilt.5 Weder braucht er dem Betriebsrat alle weiteren Krankheitsursachen mitzuteilen, noch ist die Darlegung einer darüber hinausgehenden Beeinträchtigung betrieblicher Interessen erforderlich.
370
Die Beendigungskündigung kommt nur als „ultima ratio“, also nur dann in Betracht, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Daher ist auch vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung stets zu prüfen, ob diese nicht durch eine Veränderung der Arbeitsbedingungen, insbesondere eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz vermieden werden kann. Besteht aus Sicht des Arbeitgebers keine Möglichkeit, den zu kündigenden Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, so genügt er seiner diesbezüglichen Anhörungspflicht i.d.R. bereits dann, wenn er ausdrücklich oder konkludent auf die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hinweist.6 Dabei ergibt sich regelmäßig schon aus dem Zusammenhang des Anhörungsschreibens mit hinreichender Deutlichkeit, dass aus Sicht des Arbeitgebers eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht in Betracht kommt.7 Zu weitergehenden Angaben gegenüber dem Betriebsrat ist der Arbeitgeber aber dann verpflichtet, wenn er selbst die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers konkret in Betracht gezogen bzw. dem Arbeitnehmer angeboten hat. Auch wenn ihm vor Einleitung des Anhörungsverfahrens vom gekündigten Arbeitnehmer oder vom Betriebsrat eine konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aufgezeigt worden ist, hat der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung des 1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. LAG Schleswig-Holstein v. 1.9.2004 – 3 Sa 210/04, NZA-RR 2004, 635. BAG v. 30.1.1986 – 2 AZR 668/84, RzK III 1 b Nr. 5. BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, AP Nr. 30 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. LAG Hamm v. 27.2.1992 – 4 SA 1437/90, LAGE Nr. 25 zu § 622 BGB. BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 103. BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.
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Mitteilung der personenbedingten Kündigungsgründe
Rz. 374 Teil 3
Betriebsrates im Einzelnen darzulegen, weshalb eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf dem genannten Arbeitsplatz nicht möglich ist. Der lediglich pauschale Hinweis auf fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb reicht dann nicht aus.1 4. Interessenabwägung Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch über die Umstände zu informieren, aus denen sich ergeben soll, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen für ihn billigerweise nicht mehr hinzunehmen sind.2 Er muss demnach alle aus seiner Sicht für die Interessenabwägung relevanten Aspekte substantiiert darlegen, auch solche, die zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind.3
371
Beruhen beispielsweise bei einer krankheitsbedingten Kündigung bestimmte Fehlzeiten des Arbeitnehmers auf einem unverschuldeten Betriebsunfall, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, diesen Umstand dem Betriebsrat mitzuteilen.4 Andernfalls liegt keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vor.5
372
Darüber hinaus sind die Aussichten des zu kündigenden Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses und die Art der Tätigkeit zu schildern. Schließlich ist der Betriebsrat auch über außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten, das Ausschöpfen evtl. vorhandener Personalreserven, die durchschnittlichen Krankheitsquoten des Betriebes oder der Betriebsabteilung, in welcher der zu Kündigende tätig ist, zu informieren.
373
" Praxistipp: Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat im Falle des beabsichtigten
374
Ausspruchs einer ordentlichen personenbedingten Kündigung nachfolgende Angaben zu machen:
– Erläuterung eines konkreten persönlichen Mangels des Arbeitnehmers – Tatsächliche Auswirkungen auf die vertraglich geschuldete Leistungserbringung – Kenntnis oder Erkennbarkeit des persönlichen Mangels des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Einstellung – Nicht bestehende Möglichkeit der Weiterbeschäftigung – ggfls. nach Umschulungs- und/oder Fortbildungsmaßnahmen – auf einem zumutbaren freien Arbeitsplatz, ggfls. zu schlechteren Bedingungen – Auswirkungen auf den Betrieb (Betriebsablaufsstörungen, wirtschaftliche Belastungen) – Weitere Aspekte (für die Interessenabwägung) 1 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 103; ArbG Hameln v. 21.9.1989 – 1 Ca 432/88, DB 1990, 52. 2 BAG v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972; LAG Hamm v. 24.5.1983 – 6 Sa 151/83, ArbuR 1984, 89; ArbG Dortmund v. 14.3.1991 – 2 Ca 792/90, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 80. 3 BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 280/88, DB 1989, 1679. 4 Vgl. DKK, 11. Auflage 2007, BetrVG § 102 Rz. 86. 5 Vgl. Berkowsky, NZA 1996, 1069.
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Teil 3 Rz. 375
Personenbedingte Kündigung
III. Vorlage von Unterlagen 375
Der Arbeitgeber ist auch im Falle der beabsichtigten personenbedingten Kündigung trotz eines ausdrücklichen Verlangens des Betriebsrates grds. nicht dazu verpflichtet, diesem zur Unterstützung des für die Kündigung erforderlichen Tatsachenvortrages schriftliche Unterlagen oder Beweismittel vorzulegen, und zwar selbst dann nicht, wenn es sich um einen ungewöhnlich komplexen Kündigungssachverhalt handelt.1 Zum einen ist eine diesbezügliche Formvorschrift in § 102 Abs. 1 BetrVG nicht enthalten. Zum anderen soll durch die Anhörung der Betriebsrat lediglich in die Lage versetzt werden, an dem Willensbildungsprozess des Arbeitgebers mitzuwirken und nicht, anhand ihm vorliegender Beweise die Erfolgsaussichten eines späteren Kündigungsschutzprozesses zu beurteilen.2
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Zwar kann der Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG verlangen, dass ihm bestimmte, zu seiner Aufgabenerfüllung notwendige Unterlagen ausgehändigt werden. Diese Vorschrift findet jedoch im Bereich der personellen Mitbestimmung keine Anwendung, da die §§ 99, 102 BetrVG insoweit Spezialregelungen darstellen.3
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" Praxistipp: Obwohl er hierzu nicht verpflichtet ist, kann es für den Arbeit-
378
Dies dient zum einen der Erleichterung des Anhörungsverfahrens. So muss der Arbeitgeber beispielsweise im Falle einer Kündigung wegen dauerhafter Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht mit einzelnen Fehlzeiten des Arbeitnehmers argumentieren, sondern kann sich darauf beschränken, eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Weitergehende Betriebsbeeinträchtigungen müssen dann nicht mehr vorgetragen werden.4 Bei häufigen Kurzerkrankungen können bereits vorgelegte ärztliche Atteste oder Stellungnahmen eine negative Gesundheitsprognose begründen. Eine darüber hinausgehende Information des Arbeitgebers ist dann u.U. gar nicht mehr erforderlich. Auch die Vorlage behördlicher Mitteilungen über das Fehlen, den Ablauf oder den Entzug behördlicher Erlaubnisse erspart einen gesonderten Vortrag des Arbeitgebers zur fehlenden Eignung des Arbeitnehmers.
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Unabhängig davon bietet es sich an, sowohl schriftlich als auch zusätzlich mündlich den Betriebsrat gem. § 102 BetrVG zu beteiligen. In einem späteren Kündigungsschutzprozess, in dem der Arbeitnehmer regelmäßig nur mit Nichtwissen bestreiten kann, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß i.S.v. § 102 BetrVG beteiligt wurde, hat dies den Vorteil, dass anhand der schriftlichen Unterlagen eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung eher nachzuweisen ist als bei einer nur mündlich erfolgten Anhörung und damit die Beweisführung erheblich ver-
geber aber dennoch sinnvoll sein, dem Betriebsrat die ihm vorliegenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
1 BAG v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972. 2 Vgl. BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 386/94, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 87. 3 BAG v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972; v. 26.1.1995 – 2 AZR 386/94, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 87; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 68; a.A. LAG Hamm v. 6.1.1994 – 16 Sa 1216/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 40. 4 BAG v. 30.1.1986 – 2 AZR 668/84, RzK III 1b Nr. 5.
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Widerspruchsrecht nach personenbedingter Kündigung
Rz. 382 Teil 3
einfacht wird. Ergeben sich aus dem Inhalt des Anhörungsschreibens dagegen im Prozess Probleme für den Arbeitgeber, so kann er sich – quasi hilfsweise – auf die mündliche Anhörung des Betriebsrates stützen und insoweit Zeugenbeweis antreten.
IV. Widerspruchsrecht nach personenbedingter Kündigung 1. Rechtsfolgen der Ausübung des Widerspruchsrechts Der Betriebsrat kann innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG einer beabsichtigten ordentlichen Arbeitgeberkündigung widersprechen mit den beiden individualrechtlichen Folgen einer möglichen Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers während des Kündigungsschutzprozesses gem. § 102 Abs. 5 BetrVG bzw. der Tatsache, dass die Kündigung in einem anschließenden Kündigungsschutzverfahren als sozial ungerechtfertigt i.S.d. KSchG anzusehen ist, sofern der vom Betriebsrat behauptete Widerspruchstatbestand tatsächlich erwiesen ist (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 u. Satz 3 KSchG). Die Wochenfrist gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG auch dann, wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist, so dass nur eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist möglich ist (vgl. hierzu ausführlich Rz. 69).1
380
2. Anwendungsbereich der Widerspruchsgründe Nach wie vor umstritten ist die Frage, ob das Widerspruchsrecht des Betriebsrats aus § 102 Abs. 3 BetrVG für alle Arten von Kündigungen – also auch für die personenbedingte Kündigung – gilt.
381
Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte ist uneinheitlich. Während zum Teil ein Widerspruch nur bei betriebsbedingten Kündigungen für zulässig erachtet wird2, kommen nach einer weiter gehenderen Rechtsprechung die Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 3 BetrVG auch bei personenbedingten3 und sogar bei verhaltensbedingten Kündigungen in Betracht.4 Nach Auffassung des BAG hat der Betriebsrat bei allen Arten von beabsichtigten ordentlichen Kündigungen ein Widerspruchsrecht aus § 102 Abs. 3 BetrVG.5 Begründet wird dies mit
382
1 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 88, 10; v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, BAGE 96, 65; v. 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, ZTR 2006, 338. 2 In diesem Sinne LAG Düsseldorf v. 2.9.1975 – 5 Sa 323/75, DB 1975, 1995; LAG Berlin v. 11.6.1974 – 8 Sa 37/74, BB 1974, 1024; ebenso: ArbG Siegburg v. 24.7.1972 – Ga 4/72, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 3; ArbG Saarbrücken v. 13.4.1972 – 5 BV 12/72, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 4. 3 LAG Baden-Württemberg v. 9.7.1975 – 8 Sa 33/75; LAG Frankfurt v. 20.10.1976 – 6 Sa Ga 884/76, ARSt. 1977, 130; LAG Düsseldorf v. 21.5.1976 – 9 Sa 138/76, DB 1977, 121. 4 LAG Düsseldorf v. 13.11.1975 – 14 Sa 1259/75, BB 1976, 464; LAG Berlin v. 15.9.1980 – 12 Sa 42/80, DB 1980, 2449; LAG Rheinland-Pfalz v. 12.6.1972 – 4 Sa 107/72, AuR 1973, 331. 5 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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Teil 3 Rz. 383
Personenbedingte Kündigung
dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 1b KSchG und § 102 Abs. 3 BetrVG sowie Sinn und Zweck des § 102 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 BetrVG, dem Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses bei einem ordnungsgemäßen Widerspruch den Arbeitsplatz zu erhalten.1 383
Dem ist freilich entgegen zu halten, dass der Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck der einzelnen Widerspruchsgründe des gesetzlichen Kataloges in § 102 Abs. 3 BetrVG im Rahmen des Kündigungsschutzes gerade entgegen der Auffassung des BAG dafür sprechen, dass die Widerspruchstatbestände die betriebsbedingte, zum Teil die personenbedingte, allerdings nicht die verhaltensbedingte Kündigung betreffen. Ob ein Widerspruchsrecht auch bei personenbedingten Kündigungen möglich ist, hängt nach richtiger Auffassung davon ab, aus welchem Grund des § 102 Abs. 3 BetrVG der Betriebsrat widerspricht.2 a) Unzureichende Sozialauswahl, § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG
384
Der in § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG vorgesehene Widerspruchsgrund der fehlerhaften Sozialauswahl kann lediglich für die betriebsbedingte, nicht aber die personenbedingte Kündigung Bedeutung erlangen, da nur bei ersterer nach § 1 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 KSchG überhaupt eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten stattfindet, die im Wege des Widerspruchs beanstandet werden kann.3 b) Verstoß gegen Auswahlrichtlinie, § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG
385
Auch ein Widerspruch wegen Verstoßes gegen Richtlinien nach § 95 BetrVG über die personelle Auswahl bei Kündigungen, § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a und Nr. 2a KSchG, kommt für die personenbedingte Kündigung nicht in Betracht, da diese sich – anders als die betriebsbedingte Kündigung – auf einen bestimmten Arbeitnehmer und einen konkreten, in dessen Person begründeten Eignungsmangel bezieht und dementsprechend eine Auswahl zwischen mehreren Arbeitnehmern nach sozialen Gesichtspunkten nicht vorsieht.4 c) Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz, § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG
386
Praktisch relevant wird die Widerspruchsmöglichkeit bei der personenbedingten Kündigung im Fall des § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG, wenn der Betriebsrat darlegen kann, dass der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann. Eine pauschale Begründung ist allerdings nicht ausrei1 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 Zutreffend Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 444, 1246; Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, § 102 Rz. 114 ff. 3 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 150a; Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, § 102 Rz. 119a; Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, BetrVG, 7. Auflage 2008, § 102 Rz. 98. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 1049 m.w.N.; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 158.
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Widerspruchsrecht nach personenbedingter Kündigung
Rz. 388 Teil 3
chend. Vielmehr muss der Betriebsrat bei personenbedingten Kündigungen darlegen, dass die Gründe in der Person des Arbeitnehmers der Weiterbeschäftigung auf dem konkret zu benennenden neuen Arbeitsplatz nicht entgegenstehen.1 Darüber hinaus muss der benannte Arbeitsplatz dem bisherigen gleichwertig sein.2 Eine Beförderung kann der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber nicht durchsetzen.3 Nicht ausreichend ist es ferner, wenn sich der Widerspruch des Betriebsrats nur darauf stützt, dass ein BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht durchgeführt wurde, denn die Nichtdurchführung eines BEM bedeutet nicht, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht.4 d) Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG Der Widerspruchsgrund der Umschulung oder Weiterbildungsmaßnahme kann bei personenbedingten Kündigungen in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber die Kündigung mit unzureichenden Kenntnissen oder Fertigkeiten des Arbeitnehmers begründet. Will er beispielsweise neue Arbeitsmethoden einführen (etwa Datenverarbeitungsanlage), so kann er nicht ohne weiteres den hiermit nicht vertrauten, lange Jahre beschäftigten Buchhalter entlassen, weil er nicht über die notwendigen technischen Kenntnisse zur Bedienung einer solchen Anlage verfügt. Vielmehr ist diesem Arbeitnehmer zunächst einmal die Möglichkeit einzuräumen, die neuen Methoden zu erlernen. Gleiches gilt für den langjährig Beschäftigten, der infolge eines Betriebsunfalls seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr erbringen kann. Vor einer möglichen Kündigung wird hier der Arbeitgeber zu prüfen haben, ob das Arbeitsverhältnis nicht doch noch nach entsprechenden zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen aufrechterhalten werden kann, wenn der Arbeitnehmer anschließend auf einem anderen freien Arbeitsplatz eingesetzt werden kann.5 Verspricht die Umschulung oder Fortbildung allerdings in angemessener Zeit keinen Erfolg bzw. müsste sie sich über Jahre erstrecken, so dürfte sie dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten sein. Entscheidend ist insoweit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bzw. Größe des beschäftigenden Betriebs.6 Da die Weiterbeschäftigung nach erfolgter Umschulung oder Fortbildung in der Regel eine Änderung der Arbeitsbedingungen erforderlich macht, kann der auf § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG gestützte Widerspruch des Betriebsrats nur wirksam werden, wenn der betroffene Arbeitnehmer der Vertragsänderung auch zustimmt.7
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e) Änderung der Vertragsbedingungen, § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG Schließlich kann der Betriebsrat gegenüber einer beabsichtigten personenbedingten Kündigung auch einwenden, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeit1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 11.5.2000 – 2 AZR 54/99, BB 2000, 2049. LAG Köln v. 31.5.1989 – 2 Sa 1076/88, DB 1989, 2234. BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77. LAG Nürnberg v. 5.9.2006 – 6 Sa 458/06, ZTR 2007, 339. Zutreffend: Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, § 102 Rz. 141. BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, Rz. 145 m.w.N.
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Teil 3 Rz. 389
Personenbedingte Kündigung
nehmers unter geänderten Bedingungen auf einem freien Arbeitsplatz möglich ist. Voraussetzung ist auch hier, dass der betroffene Arbeitnehmer sein Einverständnis erklärt hat.1 389
Es ist ausreichend, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber die zu verändernden Bedingungen, die auch gegenüber den bisher geltenden ungünstiger sein können, angibt. Die vom Betriebsrat vorgeschlagene Änderung des Vertrages muss dem Arbeitgeber zumutbar sein. Der Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG betrifft nur individuelle, nicht dagegen auch kollektive Maßnahmen.2
1 Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, § 102 Rz. 149. 2 LAG Düsseldorf v. 21.6.1974 – 15 Sa 633/74, DB 1974, 2113.
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Teil 4 Die verhaltensbedingte Kündigung
A. Gesetzliche Voraussetzungen des Kündigungsschutzes Zu den Voraussetzungen für das Bestehen eines Kündigungsschutzes vgl. die allgemeinen Ausführungen oben Teil 1.
1
B. Kündigungsarten Neben der Kündigung wegen eines Grundes in der Person des Arbeitnehmers oder auf Grund von dringenden betrieblichen Erfordernissen kann der Arbeitgeber auch aus verhaltensbedingten Gründen kündigen. Die verhaltensbedingte Kündigung lässt sich systematisch als ordentliche und außerordentliche Kündigung aufteilen. Hauptanwendungsfall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aus verhaltensbedingten Gründen ist die ordentliche Kündigung. Die außerordentliche Kündigung kommt hingegen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung unzumutbar ist.
2
Die ordentliche oder außerordentliche verhaltensbedingte Änderungskündigung dient in erster Linie nicht der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern der Änderung derjenigen Arbeitsbedingungen, die nicht bereits durch Ausübung des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts herbeigeführt werden kann (vgl. hierzu Rz. 293 ff. und Rz. 333 ff.).
3
Die verhaltensbedingte Kündigung in Form der Verdachtskündigung stellt systematisch keine besondere Kündigungsart dar, sondern behandelt die praxisnahe Problematik, dass der Arbeitgeber häufig mangels entsprechender Beweismittel die Kündigung nicht auf die erwiesene Begehung einer Straftat oder einer sonstigen Pflichtwidrigkeit stützen kann, sondern ausschließlich den Verdacht einer Verfehlung zum Grund der Kündigung bemüht (vgl. hierzu Rz. 340 ff.).
4
Die Entscheidung, welche Kündigungsart zu wählen ist, hängt im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Übergänge sind fließend, sodass mit den Worten von Larenz1 zu konstatieren ist:
5
„Da aber jedes Mal die Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles gefordert wird, die sich niemals in allem gleichen, so darf nicht erwartet werden, dass sich mit der Zeit feste Regeln herausbilden würden, die eine einfache Subsumtion des Falles zulassen.“
1 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, S. 413.
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Teil 4 Rz. 6
Die verhaltensbedingte Kündigung
I. Ordentliche Beendigungskündigung 1. Zumutbarkeit der Kündigungsfrist 6
Die ordentliche und außerordentliche Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen in einem Stufenverhältnis zueinander, das sich vom Normtext des § 626 Abs. 1 BGB bestimmen lässt. Dementsprechend muss dem Arbeitgeber zur Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus einem wichtigen Grund ab sofort unzumutbar sein, wohingegen sich bei § 1 KSchG diese Prüfung an dem Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist orientiert und ein Grund zur sozialen Rechtfertigung genügt. Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist, kann zur Feststellung der Berechtigung einer außerordentlichen Kündigung führen.1 In den übrigen Fällen ist die ordentliche Kündigung in Betracht zu ziehen. Wesentlich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit ist die Intensität der Auswirkungen des kündigungsrelevanten Verhaltens auf das Arbeitsverhältnis sowie die Erheblichkeit des Verschuldens.2 Kündigungsfristen
7
Die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung ist an die Einhaltung einer bestimmten gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist gebunden. Die gesetzlichen Kündigungsfristen, die sich nach der Bestandsdauer des jeweiligen Arbeitsverhältnisses richten, sind für alle Arbeitnehmer in § 622 BGB geregelt.
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" Praxistipp: Bei der Grundkündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder
9
Durch tarifliche Regelung können gemäß § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB abweichende, mithin auch kürzere als in § 622 Abs. 1 bis 3 BGB normierte, Kündigungsfristen vereinbart werden. Demgegenüber ist nach § 622 Abs. 5 BGB einzelvertraglich grundsätzlich die Vereinbarung einer längeren, und nur ausnahmsweise
zum Monatsende nach § 622 Abs. 1 BGB sind die nachfolgenden spätest möglichen Kündigungstage zu beachten: Kündigung zum 15. des Monats in Monaten mit 30 Tagen bis 17. des Vormonats und in Monaten mit 31 Tagen bis 18. des Vormonats. Kündigung zum Monatsende in Monaten mit 30 Tagen bis 2. des Monats und in Monaten mit 31 Tagen bis 3. des Monats. In einem Februar außerhalb eines Schaltjahres muss die Kündigung spätestens am 31.1. für eine Kündigung zum 28.2. bzw. am 15.2. für eine Kündigung zum 15.3. zugegangen sein; in einem Schaltjahr für eine Kündigung zum 29.2. am 1.2. bzw. für eine Kündigung zum 15.3. am 16.2. Entscheidend für die Einhaltung der Kündigungsfrist ist der Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer.
1 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421. 2 ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 43; MünchArbR/Schulte, § 41 Rz. 9.
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Eisenbeis
Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 12a Teil 4
die einer kürzeren als die in § 622 Abs. 1 BGB genannte Kündigungsfrist zulässig. Die Ausnahmen gelten im Rahmen einer vereinbarten Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB), einer Anwendungsvereinbarung tariflicher Regelungen (§ 622 Abs. 4 Satz 2 BGB), einer bis zu dreimonatigen Aushilfstätigkeit (§ 622 Abs. 5 Nr. 1 BGB) und in Kleinbetrieben1 (§ 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB).
" Praxistipp: Tarifinformationen sind über das Bundesministerium für Arbeit
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Davon abgesehen ergeben sich eine Reihe weiterer Kündigungsfristen aus gesetzlichen Sondervorschriften, wie zum Beispiel aus § 22 BBiG; § 86 SGB IX; § 29 HAG; § 63 SeemG und § 113 InsO.
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und Soziales zu erhalten. Neben der telefonischen Auskunft ist auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter www.bmas.de das Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge zu finden.2 Einzelne Bundesländer haben ihrerseits ein sog. Tarifregister ins Internet gestellt.
2. Zeitliche Relation zwischen Kündigungsgrund und Kündigungszeitpunkt Das Stufenverhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung zeigt sich auch darin, dass die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat, erfolgen kann. Nach Ablauf dieser Ausschlussfrist kann der Kündigungsgrund aber noch zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung herangezogen werden, da § 626 Abs. 2 BGB nicht auf die ordentliche Kündigung anzuwenden ist.3 Das gilt nicht nur für eine weitere ordentliche Kündigung, sondern auch dann, wenn eine unwirksame außerordentliche in eine ordentliche Kündigung umzudeuten ist.4 Ein fristloser Kündigungsgrund kann also immer gleichzeitig auch ein Grund für eine ordentliche Kündigung sein.5 Im Umkehrschluss kann ein Sachverhalt, der schon keine ordentliche Kündigung rechtfertigen kann, erst recht keine außerordentliche Kündigung ermöglichen.6
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" Praxistipp: Da im Zeitpunkt des Ausspruchs einer außerordentlichen Kün-
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digung nur schwer beurteilt werden kann, ob das vorgeworfene Verhalten des Arbeitnehmers – bei einer anschließenden gerichtlichen Überprüfung – die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung auch im Einzelfall erfüllt, sollte stets hilfsweise eine ordentliche Beendigungskündigung ausgesprochen werden.7
1 Zu beachten ist, dass der Kleinbetrieb in § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB abweichend zu § 23 KSchG erst ab einer Arbeitnehmerzahl von 20 AN gegeben ist. 2 www.bmas.de/coremedia/generator/13548/allgemeinverbindliche_Tarifvertraege.html. 3 BAG v. 4.3.1980 – 1 AZR 1151/78, DB 1980, 2529 = AP Nr. 4 zu Art. 140 GG. 4 BAG v. 7.12.1979 – 7 AZR 1063/77, DB 1980, 742 = AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972; v. 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1988, 129 = AP Nr. 3 zu § 6 KSchG 1969; v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, DB 2002, 1562. 5 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 204. 6 BAG v. 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, NZA 2000, 592. 7 Vgl. auch die Ausführungen unter Rz. 21 ff.
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Teil 4 Rz. 13
Die verhaltensbedingte Kündigung
II. Außerordentliche Beendigungskündigung 13
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach ganz h.M. ist die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „wichtiger Grund“ durch eine abgestufte Prüfung vorzunehmen, die aus zwei strikt zu trennenden Prüfungsabschnitten besteht.1
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In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Ist dies der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Einzellfallumstände gerechtfertigt erscheint. Demgemäß kommt die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers nur in Betracht, wenn alle anderen, nach den Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel wie Abmahnung, Versetzung, einverständliche Abänderung, außerordentliche Änderungskündigung und ordentliche Kündigung unzumutbar sind, das Arbeitsverhältnis also unter keinen Umständen aufrechterhalten werden kann. Die außerordentliche Kündigung muss die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten sein.2 1. Fristlose Beendigung
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Regelmäßig wird die außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung als fristlose Kündigung ausgesprochen. Mangels Wahrung einer Frist beendet sie das Arbeitsverhältnis mit Zugang beim Empfänger sofort.3
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Die fristlose Kündigung muss nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Es genügt, wenn aus der Sicht des Kündigungsempfängers unter Berücksichtigung der Verkehrssitte erkennbar ist, dass das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden soll. Dieser Wille kann sich auch aus sonstigen Umständen der Erklärung selbst, insbesondere einer beigefügten Begründung, ergeben.4
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Die außerordentliche Kündigung kann als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung ihre Wirkung erst mit ihrem Zugang entfalten. Der Ausspruch einer – auf den Zeitpunkt der Entstehung des Kündigungsgrundes oder des Kün1 BAG v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NZA 1984, 34 = AP Nr. 78 zu § 626 BGB; v. 11.3. 1999 – 2 AZR 507/98, NZA 1999, 587 = AP Nr. 149 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 30.5.1978 – 2 AZR 630/76, NJW 1979, 332 = AP Nr. 70 zu § 626 BGB; vgl. zur inhaltlichen Konkretisierung des Ultima-ratio-Grundsatzes BAG v. 9.7.1998 – 2 AZR 201/98, EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 1. 3 BAG v. 16.7.1959 – 1 AZR 193/57, RdA 1960, 3 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, NJW 1983, 303 = AP Nr. 2 zu § 620 BGB Kündigungserklärung.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 19 Teil 4
digungsentschlusses – rückwirkenden Kündigung kommt daher nicht in Betracht.1 Eine dennoch beabsichtigte und ausgesprochene rückwirkende Kündigung macht sie jedoch nicht unwirksam, sondern beendet das Arbeitsverhältnis vielmehr im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung, sofern die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt sind.2 2. Beendigung mit Auslauffrist Neben der fristlosen außerordentlichen Beendigungskündigung hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, aus wichtigem Grund mit einer Frist, der sog. sozialen Auslauffrist, zu kündigen.3 Die Auslauffrist muss nicht der gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Kündigungsfrist entsprechen. Der Kündigende hat aber zu verdeutlichen, ob er eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist aussprechen will.4 Die Kündigung mit einer zu kurzen ordentlichen Kündigungsfrist beinhaltet alleine noch keine hinreichende Klarstellung.5 Unterbleibt eine Klarstellung, darf der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass nur eine ordentliche Kündigung erklärt wurde.6
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Grundsätzlich ist der Arbeitgeber, wenn ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegt, nach § 626 Abs. 1 BGB nicht gezwungen, die Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist auszusprechen.7 Anderenfalls wäre der Dualismus von außerordentlicher und ordentlicher Kündigung gestört, da es eine dritte Art der Kündigung, eine mit verkürzter Frist, gäbe.8 Ausnahmsweise ist der Arbeitgeber aber zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet, wenn beispielsweise die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung erst während des Laufes der Kündigungsfrist eintritt.9 Hauptanwendungsfall einer Kündigung mit sozialer Auslauffrist bilden solche Arbeitsverhältnisse, die vertraglich, tariflich oder gesetzlich unkündbar sind.10 Hier ist es dem Arbeitgeber gerade nicht möglich, das Arbeitsverhältnis im Wege der ordentlichen Kündigung aufzulösen. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung dieser Arbeitnehmergruppe ist deshalb dann gegeben, wenn dem Arbeitgeber die Weiter-
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1 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 24. 2 BAG v. 22.3.1979 – 2 AZR 361/77, (n.v.) zitiert nach juris; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 24; MünchKomm/Henssler, § 626 BGB Rz. 71. 3 BAG v. 8.10.1957 – 3 AZR 136/55, BAGE 5, 20 = AP Nr. 16 zu § 626 BGB; v. 16.7.1959 – 1 AZR 193/57, RdA 1960, 36 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB; v. 9.2.1960 – 2 AZR 585/57, BAGE 9, 44 = AP Nr. 39 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 16.7.1959 – 1 AZR 193/57, RdA 1960, 36 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 29.4.1994 – 4 Sa 1171/93, ZTR 1994, 341 = LAGE § 620 BGB Kündigungserklärung Nr. 2. 5 BAG v. 23.1.1958 – 2 AZR 206/55, DB 1958, 403 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG. 6 BAG v. 23.1.1958 – 2 AZR 206/55, DB 1958, 403 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG. 7 BAG v. 15.3.1973 – 2 AZR 255/72, ArbuR 1973, 153 = AP SeemannsG § 63 Nr. 3; v. 6.2.1997 – 2 AZR 51/96, AuR 1997, 210; v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277 = EzA § 626 n.F. BGB Nr. 180. 8 KDZ/Däubler, § 626 BGB Rz. 17. 9 BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277 = EzA § 626 n.F. BGB Nr. 180. 10 BAG v. 6.11.1997 – 2 AZR 801/96, NZA 1998, 326; v. 7.11.2002 – 2 AZR 475/01, NZA 2003, 719; LAG Köln v. 17.3.2006 – 4 Sa 85/05, PflR 2007, 169–182; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759–1761.
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Teil 4 Rz. 20
Die verhaltensbedingte Kündigung
beschäftigung der unkündbaren Arbeitnehmer zwar für die Dauer einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist zumutbar, die Weiterbeschäftigung darüber hinaus (ggf. bis zur Erreichung des Pensionsalters) aber unzumutbar ist.1 Hier entspricht die soziale Auslauffrist regelmäßig der ordentlichen Kündigungsfrist. 20
Sollte sich herausstellen, dass die außerordentliche fristlose Kündigung nur unter Einräumung einer Auslauffrist wirksam gewesen wäre, ist eine entsprechende Umdeutung in Betracht zu ziehen, denn schon infolge der außerordentlichen fristlosen Kündigung entspricht es erkennbar dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden, das Arbeitsverhältnis notfalls auch unter Beachtung einer Auslauffrist zu beenden.2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Betriebs- bzw. Personalratsbeteiligung bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer wie bei einer ordentlichen Kündigung erfolgen muss.3 Der Arbeitnehmer ist generell berechtigt, die gewährte Auslauffrist abzulehnen, was jedoch die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge hat.4 Die Fristeinräumung kann nur als ablehnungsfähiges Angebot des Arbeitgebers auf Weiterbeschäftigung bis zur endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden werden.
" Praxistipp: Soweit ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern im Wege der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist verhaltensbedingt gekündigt werden soll, ist zu beachten, dass die Voraussetzungen weitgehend denen einer ordentlichen Kündigung entsprechen. Es bedarf einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist und einer ordnungsgemäßen Betriebsrats- bzw. Personalratsbeteiligung.
3. Vorsorgliche ordentliche Beendigungskündigung 21
Für den Fall der Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung ist es zulässig, vorsorglich auch eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Mit der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung verfolgt der Arbeitgeber das Ziel, sich notfalls unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von dem Arbeitnehmer zu trennen. Auf eine mögliche Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin, die grundsätzlich möglich ist, kommt es dann folglich nicht an.5 1 BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277–282 = EzA Nr. 180 zu § 626 BGB n.F.; v. 11.3.1999 – 2 AZR 427/98, NZA 1999, 818–823 = AP Nr. 150 zu § 626 BGB m.w.N.; v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189–193 = AP Nr. 35 zu § 103 BetrVG 1972. 2 BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282 = AP Nr. 163 zu § 626 BGB. 3 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771 = AP Nr. 143 zu § 626 BGB; v. 18.10. 2000 – 2 AZR 627/99, NZA 2001, 219 = AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit; diese Voraussetzung gilt auch für die Umdeutung in eine außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist. 4 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 29; MünchKomm/Henssler, § 626 BGB Rz. 329; a.A. KDZ/Däubler, § 626 BGB Rz. 19, der ein Zurückweisungsrecht nur dann annimmt, wenn die Auslauffrist ausschließlich im Interesse des Arbeitnehmers gewährt wurde. 5 Vgl. zur Umdeutung: BAG v. 18.9.1975 – 2 AZR 311/74, DB 1976, 634 = AP Nr. 10 zu § 626 BGB Druckkündigung; v. 20.9.1984 – 2 AZR 633/82, NZA 1985, 286 = AP Nr. 80 zu § 626 BGB.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 25 Teil 4
Zu beachten ist, dass in Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, das Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG grundsätzlich auch hinsichtlich der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß durchgeführt werden muss. Anderenfalls könnte das Widerspruchsrecht des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG umgangen werden.1 Eine Anhörung des Betriebsrats zur vorsorglichen ordentlichen Kündigung ist nur dann entbehrlich, wenn der nur zu einer außerordentlichen Kündigung angehörte Betriebsrat dieser vorbehaltlos und ausdrücklich zugestimmt hat sowie der Arbeitgeber sich bei identischem Sachverhalt auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine ordentliche Kündigung beruft.2 Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer „außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist“ an und stimmt der Betriebsrat daraufhin einer „fristgerechten Kündigung“ ausdrücklich zu, so scheitert eine hilfsweise ausgesprochene oder im Wege der Umdeutung gewonnene ordentliche Kündigung nicht an § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.3
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" Praxistipp: Der Ausspruch einer vorsorglichen ordentlichen Beendigungs-
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Wird neben der außerordentlichen Kündigung hilfsweise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, ist der Arbeitnehmer aufgrund der Lehre vom punktuellen Streitgegenstand angehalten, sowohl gegen die außerordentliche als auch gegen die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG zu erheben. Greift er lediglich die außerordentliche Kündigung an, läuft er Gefahr, dass trotz deren Unwirksamkeit zumindest die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ihre Wirkung entfaltet, da hiergegen die Kündigungsschutzklage nicht erhoben wurde und mit Ablauf der Ausschlussfrist des § 4 KSchG auch nicht mehr möglich ist.
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" Praxistipp: Mit der Kündigungsschutzklage muss ausdrücklich sowohl die
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kündigung ist stets zu empfehlen. Wichtig ist, dass eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG grundsätzlich auch hinsichtlich der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß durchgeführt wird. Zu erwägen ist schließlich daneben die – ebenfalls vorsorgliche – Freistellung des Arbeitnehmers unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen.4
außerordentliche wie auch die hilfsweise ordentliche Kündigung angegriffen werden.
1 BAG v. 16.3.1978 – 2 AZR 424/76, NJW 1979, 76 = AP Nr. 15 zu § 102 BetrVG 1972; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 103.; vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Rz. 366 ff. 2 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073 = AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 3 LAG Köln v. 12.12.2001 – 7 Sa 670/01, AuA 2002, 238 (Leitsätze). 4 BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473–475 = EzA Nr. 119 zu § 7 BUrlG; v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008 = AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG; vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Rz. 176 ff.
Eisenbeis
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Teil 4 Rz. 26
Die verhaltensbedingte Kündigung
III. Ordentliche Änderungskündigung 26
Die Änderungskündigung im Sinne des § 2 KSchG zielt in erster Linie nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf seine Fortführung zu geänderten Bedingungen ab. Sie kommt als milderes Mittel gegenüber der verhaltensbedingten Beendigungskündigung nur in Betracht, wenn durch die Änderung der Arbeitsbedingungen der vertragswidrige Zustand beseitigt werden kann.
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Eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Änderungskündigung ist unwirksam, wenn die vom Arbeitgeber beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen bereits durch die Ausübung des Direktionsrechts herbeigeführt werden kann. Diese unwirksame Änderungskündigung kann jedoch in die Ausübung des Direktionsrechts umgedeutet werden.1 Zu den Einzelheiten der ordentlichen Änderungskündigung wird auf die Ausführungen unter Rz. 293 ff. verwiesen.
IV. Außerordentliche Änderungskündigung 28
Der Arbeitgeber hat nicht nur die Möglichkeit, eine außerordentliche Kündigung zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen, er kann sie auch zur Änderung der vertraglichen Arbeitsbedingungen einsetzen.2 Entsprechend dem Ziel der Änderungskündigung ist nicht auf die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf dessen (vorzeitige) Inhaltsänderung abzustellen. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter Rz. 333 ff. verwiesen.
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Zum Verhältnis der Beendigungskündigung gilt das oben unter Rz. 2 f. Gesagte.
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Für die zugleich vorsorglich erklärte ordentliche verhaltensbedingte Änderungskündigung kann auf die Ausführungen unter Rz. 21 f. verwiesen werden.
V. Verdachtskündigung 31
Nach ständiger Rechtsprechung kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren oder sonstigen Verfehlung eine verhaltensbedingte Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer rechtfertigen. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK steht dem Rechtsinstitut der Verdachtskündigung nicht entgegen.3
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Eine Verdachtskündigung liegt dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber eine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Bei der Tatkündigung ist 1 LAG Berlin v. 29.11.1999 – 9 Sa 1277/99, NZA-RR 2000, 131 = LAGE § 2 KSchG Nr. 36. 2 BAG v. 7.6.1973 – 2 AZR 450/72, DB 1973, 1706 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Änderungskündigung; v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969. 3 LAG Berlin v. 29.1.1996 – 9 Sa 116/96, ZTR 1996, 329.
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Verdachtskündigung
Rz. 34 Teil 4
für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Zwar stellt der Verdacht einer strafbaren Handlung oder eines vertragswidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar.1 Gleichwohl stehen die beiden Kündigungsgründe des Verdachts und des Vorwurfs einer Pflichtwidrigkeit nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung zunächst nur mit dem Verdacht eines pflichtwidrigen Handelns begründet, steht jedoch nach Überzeugung des Gerichts (beispielsweise auf Grund einer Beweisaufnahme) die Pflichtwidrigkeit fest, dann lässt dies die Wirksamkeit der Kündigung aus materiell-rechtlichen Gründen unberührt. Das Gericht ist nicht gehindert, die nachgewiesene Pflichtwidrigkeit als wichtigen Grund anzuerkennen.2 Begründet der Arbeitgeber jedoch die ausgesprochene Kündigung mit einer erfolgten Pflichtverletzung und war eine Betriebsratsanhörung notwendig, so kann er sich im anschließenden Kündigungsschutzprozess nicht mehr auf eine Verdachtskündigung zurückbeziehen, da insoweit eine wirksame Betriebsratsanhörung zu dem Verdacht der Pflichtverletzung nicht erfolgt und im Prozess auch nicht mehr nachholbar ist.3
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§ 626 Abs. 1 BGB lässt eine fristlose Verdachtskündigung dann zu, wenn objektive Tatsachen dringende Verdachtsmomente begründen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.4 Der Arbeitgeber kann sich aber auch bewusst für eine Verdachtskündigung entscheiden. Ein solches Vorgehen erscheint zweckmäßig, wenn der Arbeitgeber zwar den Tatbeweis führen könnte, aber von entsprechenden Beweismitteln – beispielsweise einem Kunden als Zeugen – keinen Gebrauch machen will, um seine Geschäftbeziehungen zu schonen.5 Die Entscheidung des darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgebers
34
1 St. Rspr vgl. BAG v. 12.3.2009 – 2 ABR 24/08, (n.v.) zitiert nach juris; v. 23.4.2008 – 2 ABR 71/07, NZA 2008, 1081–1083 = EzA Nr. 6 zu § 103 BetrVG 2001; v. 3.4.1986 – 2 AZR 324/85, NZA 1986, 677–679 = AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 2 BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847 = AP Nr. 149 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. 3 BAG v. 23.4.2008 – 2 ABR 71/07, NZA 2008, 1081–1083 = EzA Nr. 6 zu § 103 BetrVG 2001. 4 BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269 = AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 18.11.1999 – 2 AZR 743/98, NZA 2000, 418 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, NZA 2001, 837 = AP Nr. 34 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847 = AP Nr. 149 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; v. 6.11.2003 – 2 AZR 631/02, NZA 2004, 919. 5 BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269 = AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; a.A. LAG Köln v. 26.11.1999 – 11 Sa 1025/99, ARST 2000, 162 (Leitsatz 1–2).
Eisenbeis
701
Teil 4 Rz. 35
Die verhaltensbedingte Kündigung
für die Verdachtskündigung ist nicht zu beanstanden, da der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, den erhobenen Verdacht bis zur letzten mündlichen Verhandlung zu widerlegen. 35
Der Verdacht einer schwerwiegenden strafbaren Handlung oder eines schwerwiegenden Vertragsbruchs ist grundsätzlich auch dann geeignet, dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer einer längeren Frist unzumutbar zu machen, wenn der Arbeitnehmer bereits von der Arbeitspflicht freigestellt ist. Die unwiderrufliche Freistellung ist dann allerdings bei der anschließenden Interessenabwägung mit zu berücksichtigen.1
36
" Praxistipp: Insbesondere bei Anhaltspunkten für eine strafbare Verfehlung
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Zu den weiteren Einzelheiten der Verdachtskündigung ist auf die Ausführungen unter Rz. 340 ff. zu verweisen.
ist meistens der Ausspruch einer Verdachts- gegenüber der Tatkündigung vorzugswürdig. Zu beachten sind dann zwingend die notwendige Anhörung des Arbeitnehmers und Unterrichtung des Betriebsrats zum Verdacht.
C. Voraussetzungen der verhaltensbedingten Kündigung I. Ordentliche Beendigungskündigung 38
Neben einer Kündigung, die durch Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, bedingt ist, kann eine Kündigung im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG auch aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sein.2 1. Begriff des verhaltensbedingten Grundes
39
Das KSchG nennt in § 1 Abs. 2 Satz 1 keine Definition des Begriffs des verhaltensbedingten Grundes. Damit wollte der Gesetzgeber der Vielseitigkeit der Lebenssachverhalte Rechnung tragen. Im Ergebnis wurde es damit der Rechtsprechung und Literatur überlassen, Definitions- und Abgrenzungsmerkmale zu schaffen. Aus dem Normzweck des Kündigungsschutzgesetzes folgt jedoch, dass die Ermittlung einer verhaltensbedingten Kündigungsrechtfertigung restriktiv zu erfolgen hat.
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Der verhaltensbedingte Kündigungsgrund ist über den Begriff der Vertragsverletzung zu bestimmen, wobei eine Abgrenzung zum in der Person des Arbeitnehmers liegenden Kündigungsgrund erforderlich ist (vgl. hierzu die Ausführungen unter Rz. 50 ff.). Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund ist regel1 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, NZA 2001, 837 = AP Nr. 34 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 2 Siehe zur betriebsbedingten Kündigung Teil 2 und zur personenbedingten Kündigung Teil 3.
702
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 44 Teil 4
mäßig dann gegeben, wenn der Grund in einem vertragswidrigen, vom Arbeitnehmer steuerbaren Verhalten liegt und dem Arbeitnehmer der Vorwurf gemacht werden kann, dass er sich anders hätte verhalten können und sollen. Einstweilen frei.
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a) Vertragsverletzung Voraussetzung für die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung.1 Als kündigungsrelevante Vertragsverletzungen kommen Leistungsstörungen, Verstöße gegen Verhaltenspflichten, Störungen im Vertrauensbereich und die Verletzung von Nebenpflichten in Betracht.
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Weiterhin bedarf es einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses durch das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers. Sofern das BAG2 lediglich eine „konkrete Berührung“ des Arbeitsverhältnisses durch das belastende Verhalten des Arbeitnehmers ausreichen lässt, ist zu kritisieren, dass diese Begriffsbestimmung zu unbestimmt ist. Ein Arbeitnehmer, der keine Vertragspflicht verletzt, kann das Arbeitsverhältnis nicht „berühren“, zumal der Arbeitnehmer sich grundsätzlich frei verhalten kann, es sei denn, er hat sich gegenüber dem Arbeitgeber zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet.3 Demgemäß werden nur rechtswidrige Verstöße gegen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, zu denen sowohl Hauptleistungs- wie auch Nebenpflichten gehören4, erfasst.
43
Insofern ist zunächst der Umfang der Vertragspflichten zu bestimmen. Die Feststellung der vertraglichen Verpflichtungen ist seit Bestehen des Nachweisgesetzes erheblich erleichtert.5 § 2 NachwG sieht vor, dass die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses, insbesondere Arbeitsort und -leistung, schriftlich niederzulegen sind. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Nachweispflicht sind jedoch dem NachwG nicht zu entnehmen. Die Nichterfüllung der Nachweispflicht alleine führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages. Insoweit hat der EuGH6 festgestellt, dass die Richtlinie des Rates vom 14.10.1991, die die Grundlage des deutschen Nachweisgesetzes bildet, es nicht gebiete, einen wesentlichen Punkt des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses, der nicht oder nicht hinreichend genau in einem dem Arbeitnehmer ausgehändigten Schriftstück aufgeführt ist, als unwirksam zu betrachten. In diesem Falle kommt es auch nicht zu einer Beweislastumkehr, da der Gesetz-
44
1 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 10/92, NZA 1993, 115 = AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BAG v. 4.11.1981 – 7 AZR 264/79, NJW 1982, 1062 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 24.9.1987 – 2 AZR 26/87, NJW 1988, 2261 = AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 189; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 463. 4 St. Rspr. vgl. BAG v. 12.3.2009 – 2 ABR 24/08, (n.v.) zitiert nach juris; v. 19.4.2007 – 2 AZR 78/06, AP Nr. 77 zu § 611 BGB Direktionsrecht m.w.N. 5 Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen, BGBl. I, 946, in der Form des Änderungsgesetzes vom 29.6.1998, BGBl. I, 1694. 6 EuGH v. 8.2.2001 – C-350/99, NZA 2001, 381 = AP Nr. 4 zu § 2 NachwG.
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703
Teil 4 Rz. 45
Die verhaltensbedingte Kündigung
gebungsgeschichte zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber trotz eines entsprechenden Vorschlages durch den Bundesrat eine Beweislastumkehr nicht ins Gesetz aufgenommen hat.1 Dem Arbeitnehmer kommt aber eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zugute. Im Falle einer fahrlässigen Verletzung der Nachweispflicht ist der vom Arbeitnehmer zu erbringende Beweis bereits dann als geführt anzusehen, wenn er durch Vortrag weiterer Indizien die Richtigkeit seines Vortrags plausibel macht.2 Der EuGH führt hierzu weiter aus, dass im Falle der Nichterfüllung der Unterrichtungspflicht es weder vorgeschrieben noch verboten sei, Grundsätze des nationalen Rechts anzuwenden, die eine Beweisvereitelung annehmen, wenn eine Prozesspartei den gesetzlichen Dokumentationspflichten nicht nachgekommen ist.3 45
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis ein Gattungsschuldverhältnis ist und der Arbeitnehmer daher lediglich eine Leistung „mittlerer Art und Güte“ im Sinne des § 243 Abs. 1 BGB schuldet (vgl. näher hierzu die Ausführungen unter Rz. 265).
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Neben der Hauptpflicht, der Erbringung der geschuldeten Leistung, können Nebenpflichten ausdrücklich vereinbart werden oder sich aus gesetzlichen Bestimmungen bzw. der allgemeinen Treuepflicht ergeben.
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Die Treuepflicht gebietet die Verpflichtung der Vertragspartner, bei der Durchführung des Vertragsverhältnisses die Person, das Eigentum und die sonstigen Rechtsgüter der Vertragspartner vor Schäden zu bewahren4 sowie außerhalb des Arbeitsverhältnisses alles zu unterlassen, was den Vertragszweck gefährden und insbesondere das gegenseitige Vertrauen erschüttern kann.5
48
Vertraglich nicht erfasstes privates Verhalten ist für eine verhaltensbedingte Kündigung grundsätzlich belanglos. Außerdienstliches Verhalten ist nur dann geeignet, eine Kündigung zu begründen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch objektive Umstände, die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit, im Vertrauensbereich der Vertragsparteien oder im Unternehmensbereich beeinträchtigt ist (vgl. näher hierzu die Ausführungen unter Rz. 190 ff.).
49
" Praxistipp: Findet das Verhalten in einem Bereich statt, der nicht exakt der dienstlichen oder außerdienstlichen Sphäre zugerechnet werden kann, ist vor Ausspruch der Kündigung genau zu prüfen, ob und inwieweit durch das Verhalten des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt worden ist.
1 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NZA 2008, 1233–1237; Hessisches LAG v. 29.1.2002 – 7 Sa 836/01, AiB 2002, 575–576; LAG Köln v. 31.7.1998 – 11 Sa 1484/97, NZA 1999, 545 = LAGE § 2 NachwG Nr. 6; LAG Hamm v. 14.8.1998 – 10 Sa 777/97, NZA-RR 1999, 210 = LAGE § 2 NachwG Nr. 7; LAG Nürnberg v. 4.9.2002 – 7 Sa 518/01, LAGE § 2 NachwG Nr. 12 = ArbuR 2002, 277 (Leitsatz 1–4). 2 LAG Köln v. 31.7.1998 – 11 Sa 1484/97, NZA 1999, 545 = LAGE § 2 NachwG Nr. 6; LAG Nürnberg v. 4.9.2002 – 7 Sa 518/01, LAGE § 2 NachwG Nr. 12 = ArbuR 2002, 277 (Leitsatz 1–4). 3 EuGH v. 8.2.2001 – C-350/99, NZA 2001, 381 = AP Nr. 4 zu § 2 NachwG. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 464. 5 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 190; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 332.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 52 Teil 4
b) Abgrenzung zum personenbedingten Kündigungsgrund Im Wesentlichen setzt die verhaltensbedingte Kündigung ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers voraus, wohingegen personenbedingte Kündigungsgründe dadurch gekennzeichnet sind, dass die Arbeitsleistung aufgrund bestimmter objektiver Eigenschaften der Person des Arbeitnehmers nicht vertragsgemäß erbracht werden kann.1
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Geeignetes Abgrenzungskriterium ist die Steuerbarkeit des Verhaltens. Dementsprechend liegt die Ursache im Verhalten des Arbeitnehmers, wenn er die Störung durch ein willensgesteuertes Verhalten herbeigeführt hat. Ein personenbedingter Grund ist anzunehmen, wenn die beanstandete Störung des Arbeitsverhältnisses auf einem vom Arbeitnehmer nicht steuerbaren arbeitsbezogenen Verhalten beruht.2 Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. So kann das Fehlen der fachlichen Eignung als grundsätzlich personenbedingter Kündigungsgrund durchaus persönlich vorwerfbar sein – und somit den Grundsätzen der verhaltensbedingten Kündigung unterliegen –, wenn sich der Arbeitnehmer etwa die erforderliche fachliche Eignung schuldhaft nicht verschafft, durch Fortbildungsmaßnahmen nicht aufrecht erhalten hat oder durch ein Verhalten ohne Bezug zum Arbeitsverhältnis diese verliert (Führerscheinverlust). Umgekehrt kann ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers die betriebliche Ordnung bzw. die im Betrieb einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften derart nachhaltig stören, dass dem Arbeitgeber eine Aufrechterhaltung dieses Zustandes selbst dann nicht zumutbar ist, wenn dem Arbeitnehmer seine Vertragspflichtverletzung nicht vorwerfbar ist. Für die oft nur durch Sachverständigengutachten mögliche Klärung der Frage, ob der Arbeitnehmer für sein Fehlverhalten auch voll verantwortlich ist, bleibt in gravierenden Fällen oft keine Zeit. Das für die Abgrenzung zwischen verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung maßgebliche Schwergewicht der Störung liegt in solchen Fällen auch nicht in einer – bei langjähriger ordnungsgemäßer Arbeitsleistung oft fraglichen – fehlenden Eignung des Arbeitnehmers, sondern allein in den verschuldeten oder unverschuldeten Pflichtverstößen des Arbeitnehmers, die für die Zukunft weitere derartige Pflichtverstöße in einem unzumutbaren Ausmaß erwarten lassen. Gerade die Erkenntnis, dass auch der verhaltensbedingte Kündigungsgrund zukunftsgerichtet ist und deshalb die verhaltensbedingte Kündigung keinen Sanktionscharakter hat, legt es schließlich nahe, bei der Abgrenzung, ob zu erwartende Arbeitspflichtverletzungen des Arbeitnehmers seine Weiterbeschäftigung unzumutbar machen, von dem eher systemfremden Erfordernis abzusehen, es müsse ohne jede Einschränkung stets ein Verschulden des Arbeitnehmers vorliegen.3
51
" Praxistipp: In der Beratungspraxis ist die strikte Trennung zwischen verhal-
52
tens- und personenbedingter Kündigung für die Einschätzung der Vorgehensweise und der Erfolgsaussichten von elementarer Bedeutung. Dies zeigen nicht zuletzt die unterschiedlichen Voraussetzungen für die verhaltens- und personenbedingte Kündigung, die sich insbesondere in der grund-
1 Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31 (44). 2 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB. 3 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB.
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Teil 4 Rz. 53
Die verhaltensbedingte Kündigung
sätzlichen Notwendigkeit einer einschlägigen Abmahnung für eine verhaltensbedingte Kündigung widerspiegeln (siehe zum Erfordernis der Abmahnung Teil 1 Rz. 500 ff.). 2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit/Ultima-ratio-Prinzip a) Abmahnung 53
Eine verhaltensbedingte Kündigung stellt sich prinzipiell nur dann als verhältnismäßig dar, wenn sie die ultima ratio bildet. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist daher vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich eine einschlägige Abmahnung erforderlich.1 Die Abmahnung ist auch notwendiger Bestandteil der Anwendung des sog. Prognoseprinzips. Danach ist Zweck der Kündigung nicht die Sanktion der Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die Pflichtverletzung muss sich noch in der Zukunft belastend auswirken, aus dieser also geschlossen werden können, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Verletzt der Arbeitnehmer trotz erfolgter Abmahnung erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass es auch zukünftig zu weiteren Vertragsverletzungen kommt.2
54
Für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund sieht § 314 Abs. 2 BGB nunmehr vor, dass bei Vertragsverletzungen die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig ist. Damit wurde nun der schon in § 326 BGB a.F. enthaltene allgemeine Rechtsgedanke gesetzlich normiert, dass eine Pflichtverletzung nur dann zur einseitigen Beendigung eines Vertragsverhältnisses berechtigt, soweit dem Vertragspartner zuvor die Möglichkeit der Abhilfe gegeben wurde. Doch lässt § 314 Abs. 2 BGB keinesfalls den Schluss zu, im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes oder des § 626 Abs. 1 BGB sei eine Abmahnung nicht erforderlich, obgleich die Notwendigkeit einer Abmahnung in den spezialgesetzlichen arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht explizit normiert ist.3 Das Abmahnungserfordernis richtet sich auch nach Einführung des § 314 BGB ausschließlich nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen und ist nur auf Grund besonderer Umstände im Einzelfall entbehrlich (vgl. hierzu ausführlich Teil 1 Rz. 500 ff.).
55
Stets zu prüfen ist, ob die Abmahnung im Hinblick auf die Dokumentations-, Hinweis- sowie Warn- bzw. Androhungsfunktion den notwendigen Inhalt aufweist, vom Abmahnungsberechtigten ausgesprochen wurde, das Abmahnungs1 BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 75/78, VersR 1980, 1351 = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, NZA 1986, 713 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969; v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656 = AP Nr. 116 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07, NZA 2008, 1415 (n.v.); v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 Kleinebrink, FA 2002, 226; vgl. allgemein zu § 314 Abs. 2 BGB: Schumacher-Mohr, DB 2002, 1606; von Hase, NJW 2002, 2279.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 61 Teil 4
recht nicht verwirkt ist und die Abmahnung dem Arbeitnehmer tatsächlich zugegangen ist (vgl. hierzu die Ausführungen in Rz. 9 ff., 53 ff., 68 ff., 76 ff. und 80 ff.).
" Praxistipp: Die Abmahnung sollte aus Gründen der Beweisbarkeit stets
schriftlich von einer Person ausgesprochen werden, die für den Arbeitgeber befugt ist, das Direktionsrecht auszuüben, und der Empfang vom Arbeitnehmer bestätigt werden. Im besten Fall ist eine Erklärung des Arbeitnehmers mit dem Inhalt zu erlangen, dass er mit der Abmahnung einverstanden ist.
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Es ist besonders darauf zu achten, dass das zu beanstandende Verhalten detailliert beschrieben wird und hierdurch die Warnfunktion ausreichend zum Ausdruck kommt. Letztere ist bspw. erfüllt durch die Formulierung:
u
Musterformulierung:
Wir fordern Sie auf, künftig ein Verhalten wie oben angeführt oder ähnlicher Art zu unterlassen und Ihren Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nachzukommen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen – ggf. der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses – rechnen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche Abmahnungen wegen gleichartiger Pflichtverletzungen, denen keine weiteren Konsequenzen folgen, die Warnfunktion der Abmahnungen abschwächen können. Der Arbeitgeber muss dann die letzte Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung besonders eindringlich („letztmalige Abmahnung“) gestalten, um dem Arbeitnehmer klar zu machen, dass weitere derartige Pflichtverletzungen zum Ausspruch einer Kündigung führen werden.1
57
Eine vorangegangene Kündigung, die für unwirksam erklärt worden ist, erfüllt die Funktion einer Abmahnung, wenn der Kündigungssachverhalt als solcher feststeht und die Kündigung aus anderen Gründen, etwa wegen fehlender Abmahnung oder fehlender Anhörung des Betriebsrats für sozialwidrig gehalten wurde.2
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Der Arbeitnehmer ist vor Ausspruch einer Abmahnung nicht anzuhören.3
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Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess für die Wirksamkeit der Abmahnung die Darlegungs- und Beweislast.
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" Praxistipp: Aus Gründen der Darlegungs- und Beweislast ist aus Arbeitneh-
61
mersicht zu überlegen, ob es sinnvoll ist, die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte isoliert gerichtlich einzuklagen. Im Kündigungs-
1 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 609/00, NZA 2002, 968 = AP Nr. 4. zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; vgl. hierzu Teil 1 Rz. 500 ff. 2 BAG v. 31.8.1989 – 2 AZR 13/89, DB 1990, 790 = AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 Wilhelm, NZA-RR 2002, 449.
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Teil 4 Rz. 62
Die verhaltensbedingte Kündigung
schutzprozess trägt der Arbeitgeber für die Wirksamkeit der Abmahnung die Darlegungs- und Beweislast. Demgegenüber hat der Arbeitnehmer im Prozess um die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte deren Unwirksamkeit zu beweisen.1 62
In der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG und im Kleinbetrieb im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG ist eine vergebliche Abmahnung nur vor Ausspruch einer außerordentlichen, nicht jedoch einer ordentlichen Kündigung erforderlich, da es an einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers fehlt und das KSchG noch keine Anwendung findet.
63
Ist der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des KSchG dagegen eröffnet, war nach der älteren Rechtsprechung des BAG eine Abmahnung grundsätzlich nur bei Pflichtwidrigkeiten im Leistungsbereich erforderlich, wohingegen der Arbeitnehmer bei Störungen im Vertrauensbereich nur ausnahmsweise vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen war.2 Seit dem Urteil des BAG vom 4.6.1997 bedarf es nunmehr einer Abmahnung bei jeder verhaltensbedingten Kündigung, unabhängig davon, ob es sich um den Leistungs-, Betriebs- oder Vertrauensbereich handelt, wenn und soweit ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht und zu erwarten ist, dass das Vertrauen wiederhergestellt werden kann.3 Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen. Demgegenüber ist eine Abmahnung entbehrlich, wenn es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar war und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist bzw. es dem Arbeitnehmer bewusst sein musste, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.4 Die früher vorgenommene Differenzierung nach verschiedenen Störbereichen war von bloß eingeschränktem Wert. Die Prüfung des Abmahnungserfordernisses ist bei Störungen im Vertrauensbereich damit den gleichen Grundsätzen unterworfen, die für Kündigungen wegen Störungen im Leistungsbereich bereits bisher galten.5 b) Sonstige mildere Mittel
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Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn auch die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu geänderten Arbeitsbedingun-
1 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung in Teil 1 Rz. 500. 2 BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 674/84, NZA 1987, 418 = AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656 = AP Nr. 116 zu § 626 BGB. 3 BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, NZA 1997, 1281 = AP Nr. 137 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 10.2.1999 – 2 ABR 31/98, NZA 1999, 708 = AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969; v. 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, NZA 1999, 587 = AP Nr. 150 zu § 626 BGB; v. 1.7.1999 – 2 AZR 676/98, NZA 1999, 1270 = AP Nr. 11 zu § 15 BBiG. 5 BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 676/98, NZA 1999, 1270 = AP Nr. 11 zu § 15 BBiG.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 65 Teil 4
gen weiterzubeschäftigen.1 Ob der Arbeitnehmer auf einen anderen freien Arbeitsplatz im Betrieb des Unternehmens versetzt werden kann, ist stets dann zu prüfen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer bei seinem Einsatz auf dem anderen Arbeitsplatz das beanstandete Verhalten nicht fortsetzen wird. Eine Versetzung kommt daher als milderes Mittel nur in Betracht, wenn ein arbeitsplatzbezogener, verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt, es sich also nicht um arbeitsplatzunabhängige Pflichtverstöße handelt.2 Hierfür ist die Art der jeweiligen Pflichtverletzung maßgeblich. Sie entscheidet, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens möglich und zumutbar ist.3 Aus dem Grundsatz des Vorranges der Änderungs- vor der Beendigungskündigung – bei Vorliegen einer gleichwertigen oder geringwertigeren Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz – ergibt sich in diesen Fällen aber auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine für beide Seiten zumutbare Beschäftigung zu geänderten Bedingungen anzubieten, wenn der Arbeitnehmer nicht von vornherein die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vorbehaltlos ablehnt. Die Initiative zur Vertragsänderung muss vom Arbeitgeber ausgehen.4 Vor Ausspruch einer Änderungskündigung hat der Arbeitgeber die Option, dem Arbeitnehmer ein Änderungsangebot mit einer Annahmefrist zu unterbreiten, das unmissverständlich und vollständig die neuen Vertragsbedingungen enthält. Zu beachten ist jedoch, dass die Annahmefrist im Hinblick auf § 2 Abs. 2 KSchG nicht kürzer als drei Wochen sein darf, wobei eine zu kurze Frist regelmäßig die gesetzliche Frist in Gang setzt.5 Darüber hinaus ist zu verlangen, dass der Arbeitgeber in den Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer unmissverständlich klarstellt, bei Ablehnung des Änderungsangebots sei eine Kündigung beabsichtigt. Das Angebot kann lediglich in Extremfällen (z.B. offensichtlich völlig unterwertige Beschäftigung) unterbleiben. Der Arbeitgeber kann aber auch das Angebot mit der Kündigung verbinden, indem er ohne vorherige Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer sofort eine Änderungskündigung ausspricht. Macht der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab, so ist der Arbeitgeber regelmäßig nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet, trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht 1 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289–1294 = AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969. 2 BAG v. 16.1.1997 – 2 AZR 98/96 (n.v.) zitiert nach juris, ArbuR 1997, 211, DStR 1997, 1056 (Kurzwiedergabe). 3 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, DB 1983, 180 = EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289–1294 = AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969. 5 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 44/06, NZA 2007, 925–927 = AP Nr. 132 zu § 2 KSchG 1969; v. 18.5.2006 – 2 AZR 230/05, NZA 2006, 1092–1094 = AP Nr. 83 zu § 2 KSchG 1969.
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Teil 4 Rz. 66
Die verhaltensbedingte Kündigung
hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung, annehmen.1 66
Spricht der Arbeitgeber ohne vorheriges oder gleichzeitiges Angebot der geänderten Arbeitsbedingungen sofort eine Beendigungskündigung aus, so ist diese Kündigung regelmäßig bereits aus diesem Grund sozialwidrig2, und nicht erst dann, wenn der Arbeitnehmer einem vor der Kündigung gemachten entsprechenden Vorschlag zumindest unter Vorbehalt zugestimmt hätte.3 Es unterliegt Bedenken, in derartigen Fällen fiktiv zu prüfen, ob der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen bei einem entsprechenden Angebot vor oder mit Ausspruch der Kündigung zumindest unter Vorbehalt angenommen hätte.4
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Der Arbeitgeber ist daneben nicht verpflichtet, etwaig in einer Arbeitsordnung vorgesehene kollektivrechtliche Maßnahmen wie mündliche Verwarnung, Verweis oder Betriebsbußen zu ergreifen.5 3. Zweistufige Prüfung der Sozialwidrigkeit
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Die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG in zwei Stufen zu prüfen.6 a) Erste Stufe: Objektiver Grund
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In der ersten Stufe ist festzustellen, ob ein bestimmter Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darzustellen. aa) Konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses durch die Vertragsverletzung
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Erforderlich ist ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten, durch den das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, sei es im Leistungsbereich, im
1 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, NZA 1985, 455 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG; v. 29.11.1990 – 2 AZR 282/90, RzK I 5a 4; LAG Köln v. 7.11.1997 – 11 Sa 1110/96, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; LAG Berlin v. 13.1.2000 – 10 Sa 2194/99, NZA-RR 2000, 302. 2 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289–1294 = AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969. 3 So noch BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, NZA 1985, 455 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG. 4 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289–1294 = AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969. 5 BAG v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557–560 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 6 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, DB 1983, 180 = AP Nr. 28 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 73 Teil 4
Bereich der betrieblichen Verbundenheit, im personalen Vertrauensbereich oder sonst im Unternehmensbereich.1 Diesbezüglich ist nicht die subjektive Einschätzung des Arbeitgebers maßgeblich, sondern es gilt ein objektiver Maßstab. Als verhaltensbedingter Kündigungsgrund kommt nur ein Umstand in Betracht, den ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber zur Kündigung heranziehen könnte.2
71
Daraus folgt auch, dass es unerheblich ist, ob und welche vor Zugang der Kündigungserklärung entstandenen Gründe dem Arbeitnehmer bei Ausspruch der Kündigung mitgeteilt werden. Jene Gründe können grundsätzlich noch im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden, es sei denn, dies würde den Charakter der Kündigung in ihrem Wesen verändern.3 Dies gilt jedenfalls dann uneingeschränkt, wenn sie dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung unbekannt waren.4 Waren die Kündigungsgründe dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bekannt, so besteht die Möglichkeit eines Nachschiebens im Kündigungsschutzprozess nur dann, wenn eine Betriebsratsanhörung mangels Nachholbarkeit nicht erforderlich war oder eine solche durchgeführt worden ist.
72
Nachträglich bekannt gewordene Kündigungsgründe müssen demgegenüber mit den ursprünglichen Kündigungsgründen nicht in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen (vgl. hierzu auch Rz. 83 ff.). In mitbestimmten Betrieben kann sich gleichwohl aus § 102 BetrVG ein Verwertungsverbot ergeben (vgl. hierzu ausführlich Rz. 89 ff.). Ist eine behördliche Zustimmung zur Kündigung erforderlich (§§ 9 MuSchG, 18 BEEG, § 91 SGB X), kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess bekannte oder unbekannte Gründe nachschieben, die er im behördlichen Zustimmungsverfahren noch nicht geltend gemacht hat. Wenn die Behörde schon angesichts der ihr mitgeteilten Gründe die Zustimmung zur Kündigung erteilt hat, besteht keine Veranlassung, eine weitere Vorbehandlung nachgeschobener Kündigungsgründe durch die Behörde zu verlangen, da der Zweck des Zustimmungsverfahrens – den betroffenen Arbeitnehmern einen besonderen Schutz zu gewähren – nach der gesetzlichen Eröffnung der Kündigungsmöglichkeit nicht mehr erreicht werden kann.5 Nach Zugang der Kündigung entstandene Gründe sind für die soziale Rechtfertigung der bereits ausgesprochenen Kündigung ohne Belang, sie können aber Grund für eine weitere Kündigung sein.
1 BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 233/83, NZA 1985, 285 = AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 5.11.1992 – 2 AZR 147/92, NZA 1993, 308 = AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit. 2 BAG v. 13.3.1987 – 7 AZR 601/85, NZA 1987, 518 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 3 LAG Hamm v. 1.3.2007 – 17 Sa 1503/06, EEK 3316. 4 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636–641 = AP Nr. 208 zu § 626 BGB; v. 4.6. 1997 – 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158 = AP Nr. 5 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen. 5 KR/Etzel, § 626 BGB Rz. 186.
Eisenbeis
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Teil 4 Rz. 74
Die verhaltensbedingte Kündigung
bb) Negativprognose 74
Das Verhalten eines Arbeitnehmers kann eine Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn auch in Zukunft mit vergleichbaren Störungen zu rechnen ist (Wiederholungsgefahr).1 Wäre das in der Vergangenheit liegende Verhalten allein entscheidend, hätte die Kündigung reinen Sühne- oder Strafcharakter, was jedoch außerhalb der vom Arbeitsrecht verfolgten Zwecke liegt.2 Vielmehr soll dem Arbeitgeber durch das Recht zur Kündigung ermöglicht werden, seine Ziele nur mit solchen Mitarbeitern zu verwirklichen, die für die Zukunft kein vertragswidriges Verhalten erwarten lassen.3
75
In der Praxis lässt sich die negative Zukunftsprognose vornehmlich aus einer einschlägigen Abmahnung herleiten, da die Wiederholung eines abgemahnten Verhaltens auf eine gewisse Beharrlichkeit schließen lässt.4 Doch kann auch die bereits erfolgte Störung von entscheidender Bedeutung sein, denn der Grad des Verschuldens ist Indiz für eine Wiederholungsgefahr. Jene ist umso höher, desto stärker das Verschulden ist.5 Schließlich kann sich eine negative Zukunftsprognose auch daraus ergeben, dass die konkrete Vertragsverletzung das für die zukünftige Zusammenarbeit notwendige Vertrauen zerstört hat. cc) Verschulden (= Verantwortlichkeit)
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In der Regel kann nur eine schuldhafte Pflichtverletzung eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.6 Eine solche Voraussetzung lässt sich zwar dem Wortlaut des § 1 KSchG oder des § 626 Abs. 1 BGB nicht entnehmen. Insoweit enthält das Erfordernis eines wichtigen Grundes kein subjektives Element in Form einer persönlichen Vorwerfbarkeit. Eine verhaltensbedingte Kündigung wird jedoch wegen der in ihr vorzunehmenden Interessenabwägung regelmäßig nur bei einem schuldhaften und vorwerfbaren Verhalten gerechtfertigt sein. Der Begriff des Verschuldens ist im Sinne des § 276 BGB, der von der Verantwortlichkeit des Schuldners spricht, zu verstehen und erfasst sowohl vorsätzliches wie auch fahrlässiges Handeln. Für das Vorliegen eines verhaltensbedingten Grundes ist der Grad des Verschuldens gleichgültig, er ist allenfalls im Rahmen der Negativprognose und der Interessenabwägung von Belang.7 1 BAG v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487 = AP Nr. 130 zu § 626 BGB. 2 LAG Hamm v. 27.6.1986 – 16 Sa 112/86, LAGE Nr. 26 zu § 626 BGB; KDZ/Däubler, § 1 KSchG Rz. 160. 3 BAG v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07 (n.v.) zitiert nach juris, DB 2008, 2544–2546; v. 12.1. 2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54; vgl. Rz. 53 ff. 5 BAG v. 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487 = AP Nr. 130 zu § 626 BGB. 6 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 551/91, NZA 1992, 1028 = AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487 = AP Nr. 130 zu § 626 BGB; v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB. 7 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 473, 475.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 80 Teil 4
Ausnahmsweise kann auch eine schuldlose Pflichtverletzung zur Bejahung eines verhaltensbedingten Grundes genügen.1 Jedoch wird dann in der Regel keine ausreichende Prognose hinsichtlich der Erwartung weiterer Vertragsverletzungen gestellt werden können.2
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Hält der Arbeitnehmer seine Handlungsweise aufgrund eines Rechtsirrtums für rechtmäßig, schließt dies eine verhaltensbedingte Kündigung nicht ohne Weiteres aus. Hat der Arbeitnehmer sich nicht mit der gebotenen Sorgfalt über seine Verpflichtungen erkundigt oder hat er ein ihm bekanntes ausdrückliches Verbot in dem Glauben überschritten, dazu befugt zu sein, handelt er auf eigene Gefahr.3 Beruht das Verhalten des Arbeitnehmers auf einem unverschuldeten Rechtsirrtum, liegt zwar auf der Tatbestandsebene ein verhaltensbedingter Grund vor, doch wird eine Wiederholungsgefahr nur schwerlich zu begründen sein, wenn der unverschuldete Rechtsirrtum aufgeklärt ist, was ggf. durch eine Abmahnung geschehen kann.4 Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn dem Arbeitnehmer gerade im Hinblick auf die Einschätzung der Zulässigkeit seines Verhaltens ein Fahrlässigkeitsvorwurf zur Last fällt. Hat sich der Arbeitnehmer dagegen bei einer zuverlässigen Stelle erkundigt, wird regelmäßig ein unverschuldeter Rechtsirrtum gegeben sein.5
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b) Zweite Stufe: Interessenabwägung Alsdann ist in der zweiten Stufe zu prüfen, ob die Kündigung auch im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und derjenigen des Arbeitnehmers an dessen Fortsetzung wirksam ist. Die Kündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn sie bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragspartner billigenswert und angemessen ist.6 Die dazu erforderliche Abwägung ist auf arbeitsvertragliche und sachverhaltsbezogene Umstände zu beschränken. Werturteile und weitere subjektive Elemente haben außer Betracht zu bleiben.7
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aa) Schützenswerte Interessen des Arbeitgebers Auf Seiten des Arbeitgebers können Gesichtspunkte der Arbeits- und Betriebsdisziplin, die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Betriebs oder des 1 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB; vgl. die Ausführungen unter Rz. 51 ff. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 475. 3 BAG v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, DB 1973, 1904 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Direktionsrecht; LAG Düsseldorf v. 25.1.1993 – 19 Sa 1360/92, MDR 1993, 658 = LAGE § 626 BGB Nr. 70. 4 BAG v. 6.11.1997 – 2 AZR 801/96, NZA 1998, 326 = AP Nr. 142 zu § 626 BGB; vgl. die Ausführungen unter Rz. 51 ff. 5 LAG Köln v. 29.6.2001 – 11 Sa 143/01, NZA. 2002, 356. 6 BAG v. 21.10.1965 – 2 AZR 2/65, DB 1966, 195 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 7 BAG 13.12.1984 – 2 AZR 454/83, NZA 1985, 288 = AP Nr. 81 zu § 626 BGB; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 471; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 409.
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Teil 4 Rz. 81
Die verhaltensbedingte Kündigung
Unternehmens, der Eintritt eines Vermögensschadens, die Wiederholungsgefahr, die Schädigung seines Ansehens in der Öffentlichkeit und der Schutz der übrigen Belegschaft einbezogen werden.1 Das Vorliegen konkreter Betriebsablaufstörungen geht im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers.2 bb) Schützenswerte Interessen des Arbeitnehmers 81
Auf Seiten des Arbeitnehmers ist die Art, Schwere und Häufigkeit des Fehlverhaltens, das frühere Verhalten des Arbeitnehmers, ein Mitverschulden des Arbeitgebers, die längere Kenntnis des Arbeitgebers vom Kündigungsgrund, eine zusammenfassende Betrachtung gleichartiger Pflichtverstöße, der Grad des Verschuldens sowie die Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Etwaige Unterhaltspflichten und das Lebensalter des Arbeitnehmers3 haben außer Acht zu bleiben. Weder die Unterhaltspflichten noch das Lebensalter weisen einen Zusammenhang mit dem Vertragsverstoß auf und lassen im Übrigen den verhaltensbedingten Kündigungsgrund nicht weniger kündigungsrelevant erscheinen.
82
" Praxistipp: Ratsam ist der anwaltliche Hinweis auf das den Gerichten zu-
stehende Ermessen. Das Ergebnis der gerichtlichen Abwägung der aufgezeigten Kriterien kann nicht mit Gewissheit prognostiziert werden. Daraus folgt ein hohes Prozessrisiko, das ausdrücklich in der Beratung angesprochen werden sollte.
4. Beurteilungszeitpunkt 83
Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für die Sozialwidrigkeit einer Kündigungserklärung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist der Zeitpunkt des Zugangs.4 Nach Zugang der Kündigung eintretende Umstände sind für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ohne Belang, sie können aber Grund für eine weitere Kündigung oder ein Nachschieben sein.5 5. Keine „Regelausschlussfrist“
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Es gibt keine „Regelausschlussfrist“ innerhalb derer der Arbeitgeber sein ordentliches Kündigungsrecht ausüben muss. Es gelten nur die Grundsätze der Verwirkung. Gleichwohl kann ein Arbeitgeber einen Kündigungsgrund nicht 1 KR/Etzel, § 1 KSchG Rz. 411; Hoß, MDR 1998, 871. 2 BAG v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 21.5.1992 – 2 AZR 10/92, NZA 1993, 115 = AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 27.5.1993 – 2 AZR 631/92 (n.v.) zitiert nach jurs. 3 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954 = AP Nr. 171 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 12.4.2001 – 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; KR/Etzel, § 1 KSchG Rz. 235. 5 Vgl. hierzu die Ausführungen unter Rz. 72 ff.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 89 Teil 4
über längere Zeit auf Vorrat halten, um ihn bei passend erscheinender Gelegenheit geltend zu machen und ein beanstandungsfrei fortgesetztes Arbeitsverhältnis zu einem beliebigen Zeitpunkt kündigen zu können. Ein kündigungsrelevanter Vorfall kann durch Zeitablauf so an Bedeutung verlieren, dass eine ordentliche Kündigung nicht mehr gerechtfertigt wäre. Der insoweit gebotene Schutz des Arbeitnehmers wird dabei prinzipiell aber nicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern regelmäßig durch die Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Verwirkung realisiert.1 6. Darlegungs- und Beweislast Bei einer ordentlichen Kündigung hat der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Den Arbeitnehmer trifft die Beweislast für die Anwendbarkeit des KSchG.
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" Praxistipp: Dem Arbeitgeber ist dringend zu empfehlen, den Sachverhalt,
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Der Arbeitgeber hat auch diejenigen Tatsachen zu beweisen, die einen vom Arbeitnehmer behaupteten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund ausschließen. Dabei muss der Arbeitnehmer, der Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe für sich in Anspruch nehmen will, die hierzu dienlichen Tatsachen so substantiiert vortragen, dass der Arbeitgeber seiner Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die Kündigungsgründe nachkommen kann, um die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Entlastungen auszuräumen.2 Folglich obliegt dem Arbeitgeber nicht von vornherein die Last, alle denkbaren Rechtfertigungsgründe zu widerlegen, vielmehr ist der Arbeitnehmer nach § 138 Abs. 2 ZPO im Rechtsstreit gehalten, die Hinderungsgründe, aus denen er die Rechtfertigung oder Entschuldigung seines Verhaltens herleiten will, ausführlich vorzutragen, um damit den Kündigungsgrund zu bestreiten. Sodann hat der Arbeitgeber die Rechtfertigung oder Entschuldigung zu entkräften (sog. abgestufte Darlegungsund Beweislast).
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Im Falle der Nichterfüllung der Nachweispflicht aus § 2 NachwG kommt dem Arbeitnehmer eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zugute (siehe die Ausführungen unter Rz. 44).
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Zudem ist zu beachten, ob das Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. So sind Zeugenaussagen über rechtswidrig mitgehörte Telefongespräche grundsätzlich nicht verwertbar. Die Erhebung und Verwertung der Aussage eines heimlich mithörenden Zeugen greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein und ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfer-
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auf den die Kündigung gestützt werden soll, sorgfältig zu dokumentieren und Beweismittel zu sammeln, damit er im Kündigungsschutzverfahren seiner Darlegungs- und Beweislast genügen kann.
1 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, NZA 2003, 795–798 = AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BAG v. 6.8.1987 – 2 AZR 226/87, DB 1988, 451 = AP Nr. 97 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 5.2.1999 – 11 Sa 565/98, MDR 1999, 877; LAG Hessen v. 9.7.1999 – 2 Sa 2096/98 (n.v.) zitiert nach juris.
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Teil 4 Rz. 90
Die verhaltensbedingte Kündigung
tigt. Dies ergibt, so der 1. Senat des BVerfG mit Beschluss vom 9.10.2002, das Ergebnis der Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht einerseits und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse andererseits. Allein das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege setzt sich aber in dieser Abwägung nicht grundsätzlich gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch. Vielmehr muss sich aus weiteren Aspekten ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist. Dies kann bei der Aufklärung schwerer Straftaten, einer Notwehrsituation oder notwehrähnlichen Lage der Fall sein. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reicht aber nicht aus.1 90
Zudem ist die Verwertung der unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers gemachten Videoaufzeichnungen im Kündigungsschutzverfahren zur Begründung der Kündigung und zu Beweiszwecken grundsätzlich unzulässig. Vor allem ergibt sich kein konkludentes Einverständnis aus dem Arbeitsverhältnis selbst. Auch die Bestimmungen des BDSG ermöglichen keine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume ohne eine ausreichende Rechtfertigung für den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.2 Doch kann der Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers auch hier durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, wozu es einer Güter- und Interessenabwägung zur Klärung bedarf, ob dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gleichwertige und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers gegenüberstehen.3 Maßgeblich ist insofern, ob ein hinreichend konkreter Verdacht bestand und der erstrebte Zweck nicht mit weniger weitreichenden Mitteln, wie dem Aufstellen von sichtbaren Kameras, hätte erreicht werden können.4 Ist dies der Fall, liegt kein Beweisverwertungsverbot vor.5
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Wurde das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Installation technischer Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) verletzt, führt die Verletzung nicht zu einem Beweisverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess, wenn
1 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 und 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619–3624 = AP Nr. 34 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; ebenso nun auch BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, DB 2009, 1936. 2 BAG v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278–1284 = AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; v. 14.12.2004 – 1 ABR 34/03, ArbuR 2005, 456–457 = AP Nr. 42 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung. 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008–1012 = EzA Nr. 20 zu § 626 BGB 2002; BVerfG 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 – und – 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619–3624 = AP Nr. 34 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; BVerfG v. 19.12.1991 – 1 BvR 382/85, NZA 1992, 307–308 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht. 4 LAG Hamm v. 24.7.2001 – 11 Sa 1524/00, NZA-RR 2002, 464. 5 BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193 = AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung.
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Ordentliche Beendigungskündigung
Rz. 92 Teil 4
der Betriebsrat der Kündigung in Kenntnis des durch die Überwachung gewonnenen Beweismittels zugestimmt hat.1 Auch das Fehlen der erforderliche Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu der Überwachungsmaßnahme kann alleine kein Verwertungsverbot begründen. Grundsätzlich muss nämlich zwischen der rechtswidrigen Erlangung einer Information oder eines Beweismittels und deren Verwendung getrennt werden.2 Das heißt aber nicht, dass diese Videoaufzeichnungen im Umkehrschluss stets verwertbar sind, wenn eine solche Zustimmung oder eine wirksame Betriebsvereinbarung vorliegen. Entscheidend für ein Verwertungsverbot kann allenfalls ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und nicht ein Verstoß gegen die Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG oder gegen die Regelungen einer Betriebsvereinbarung sprechen.3 Regelungen der Betriebsparteien über eine Videoüberwachung im Betrieb müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Die Betriebsparteien haben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.4 Abzuwägen ist demnach im konkreten Einzelfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers mit einem schützenswerten Interesse des Arbeitgebers an der Nachweisbarkeit des vertragswidrigen Verhaltens. Ein solches kann sich insbesondere daraus ergeben, dass andernfalls ein Verbot nicht zu überwachen ist, der Arbeitgeber sich also in einer notstandsähnlichen Situation befindet.5 Ebenso stellen Ehrlichkeitskontrollen dann keinen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers dar, wenn sie durch überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sind.6 Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Arbeitgeber ohne die Durchführung derartiger Testkäufe keine Möglichkeit hat, die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit seiner Arbeitnehmer bei einer bestimmten Tätigkeit zu überprüfen.7
1 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008–1012 = EzA Nr. 20 zu § 626 BGB 2002; v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278–1284 = AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; v. 14.12.2004 – 1 ABR 34/03, ArbuR 2005, 456–457 = AP Nr. 42 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193 = AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung. 2 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008–1012 = EzA Nr. 20 zu § 626 BGB 2002; v. 15.8.2002 – 2 AZR 214/01, NZA 2003, 432–435 = AP Nr. 48 zu § 103 BetrVG 1972. 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008–1012 = EzA Nr. 20 zu § 626 BGB 2002; v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193 = AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung. 4 BAG v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, DB 2008, 2144–2148. 5 BAG 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008–1012 = EzA Nr. 20 zu § 626 BGB 2002; v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278–1284 = AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; v. 14.12.2004 – 1 ABR 34/03, ArbuR 2005, 456–457 = AP Nr. 42 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; anders LAG Hamm v. 25.1.2008 – 10 Sa 169/07, RDV 2008, 211–212. 6 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 743/98, NZA 2000, 418 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.9.2002 – 7 Sa 1327/01, (n.v.). 7 LAG Rheinland-Pfalz v. 16.9.2002 – 7 Sa 1327/01, (n.v.).
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Teil 4 Rz. 93
Die verhaltensbedingte Kündigung
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Sollen gestohlene Unterlagen den Kündigungsgrund beweisen, unterliegt deren Verwertung keinem Verbot. Der Schutz des Eigentumsrechts bezweckt nicht, den Eigentümer von Urkunden vor einer Verwertung derselben als Beweismittel zu bewahren. Dies ergibt sich aus §§ 810 BGB, 422 ff. ZPO.1 Die heimliche Mitnahme von Unterlagen durch den Arbeitnehmer kann aber einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellen.
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Im Übrigen gilt, dass der Arbeitgeber auch die Wirksamkeit etwaiger Abmahnungen zu beweisen hat.
II. Außerordentliche Beendigungskündigung 95
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. 1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit/Ultima-ratio-Prinzip
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Auch die außerordentliche Kündigung unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sie muss die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) sein.2 Zu prüfen ist daher, ob der mit der außerordentlichen Kündigung avisierte Zweck durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Insofern ist auf die Ausführungen unter Rz. 14 betreffend die Abmahnung, Versetzung und Änderungskündigung zu verweisen, wobei zusätzlich die ordentliche Kündigung als speziell milderes Mittel einzubeziehen ist. Im Hinblick auf die ordentliche Kündigung kommt es insoweit auf die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. der vereinbarten Vertragszeit an. 2. Wichtiger Grund
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Bei dem Merkmal des wichtigen Grundes handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Er ist in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu prüfen. Ein wichtiger Grund „an sich“ liegt vor, wenn der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls generell geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. In einem zweiten Prüfungsabschnitt hat sodann unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles und Abwägung der jeweiligen Interessen eine Zumutbarkeitsprüfung stattzufinden.3 1 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 214/01, NZA 2003, 432–435 = AP Nr. 48 zu § 103 BetrVG 1972. 2 BAG v. 30.5.1978 – 2 AZR 630/76, DB 1978, 179 = AP Nr. 70 zu § 626 BGB; v. 9.7.1998 – 2 AZR 201/98, EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 1. 3 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91 = AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, v. 2.3.1989 – 2 AZR 280/88, NZA 1989, 755 = AP Nr. 101 zu § 626 BGB.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 102 Teil 4
a) Wichtiger Grund „an sich“ Das Vorliegen eines wichtigen Grundes unterliegt einem objektiven Beurteilungsmaßstab. Die Kündigungsgründe müssen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorgelegen haben; auf die Kenntnis des Kündigenden kommt es ebenso wenig an wie auf dessen Motiv zum Ausspruch der Kündigung. Der Begriff des wichtigen Grundes enthält keine subjektiven Elemente.
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Nach Auffassung des BAG führt der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu, dass bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB oder einer gleichlautenden tariflichen Vorschrift vorliegt, von vornherein ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist.1 Dem ist nicht zuzustimmen, da angesichts einer die Kündigung aus wichtigem Grund zulassenden tariflichen Regelung nicht ein „besonders wichtiger Grund“ gefordert werden kann, zumal beim Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte mit der Ansicht des BAG2 davon auszugehen ist, einem von Tarifvertragsparteien verwendeten Begriff des wichtigen Grundes komme dieselbe Bedeutung wie in § 626 Abs. 1 BGB zu.3
99
Der Verzicht, die Beschränkung und die Erschwerung des Rechts auf Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung im Arbeitsvertrag sind unzulässig, da das Recht zur außerordentlichen Kündigung für beide Vertragspartner zwingend und unabdingbar ist.4 Auch durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung kann die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.5
100
aa) Konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses und Negativprognose Zur konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses und der anzustellenden Negativprognose ist auf die Ausführung unter Rz. 68 ff. und 74 ff. zu verweisen.
101
bb) Verschulden (= Verantwortlichkeit) Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG bildet bei der verhaltensbedingten Kündigung der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers im Rahmen der Interessenabwägung ein wichtiges Abgrenzungskriterium. Deshalb können verhaltensbedingte Gründe eine außerordentliche Kündigung in der Regel nur dann 1 Bejahend BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771, 773 = AP Nr. 143 zu § 626 BGB; v. 12.8.1999 – 2 AZR 748/98, NZA 1999, 1267–1270 = AP Nr. 7 zu § 21 SchwbG; v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277, 281 = EzA Nr. 180 zu § 626 BGB n.F.; v. 8.6. 2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282 = AP Nr. 163 zu § 626 BGB. 2 BAG 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, NZA 2000, 141 = AP Nr. 159 zu § 626 BGB. 3 So ausdrücklich LAG Düsseldorf v. 24.8.2001 – 18 Sa 366/01, LAGE § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 4. 4 BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 890 = AP Nr. 3 zu § 620 BGB Bedingung; v. 8.8.1963 – 5 AZR 395/62, DB 1963, 1543 = AP Nr. 2 zu § 626 BGB Kündigungserschwerung. 5 BAG v. 18.12.1961 – 5 AZR 104/61, DB 1962, 275 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Kündigungserschwerung.
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102
Teil 4 Rz. 103
Die verhaltensbedingte Kündigung
rechtfertigen, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat.1 Die Betonung des Regel-/Ausnahmeverhältnisses zeigt, dass auch ein schuldloses Verhalten des Arbeitnehmers unter besonderen Umständen den Arbeitgeber zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigen kann, wie etwa bei einer psychisch bedingten Beleidigung.2 103
Dass im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB auch ein unverschuldetes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann, ist aus § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB zu schließen. Bei der Regelung der Frage der Vergütung unterscheidet § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB danach, ob die durch ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers veranlasste außerordentliche Arbeitgeberkündigung wegen eines Umstandes erfolgt, den der Arbeitnehmer zu vertreten oder nicht zu vertreten hat. Wenn bei der Vergütungsfrage die außerordentliche Arbeitgeberkündigung wegen eines schuldlosen vertragswidrigen Arbeitnehmerverhaltens neben der Kündigung wegen eines schuldhaften vertragswidrigen Arbeitnehmerverhaltens geregelt ist, bedeutet dies, dass im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB auch ein unverschuldetes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers jedenfalls ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann.3 b) Interessenabwägung
104
Die einzelfallbezogene Interessenabwägung entscheidet bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in einem zweiten Schritt über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Es ist festzustellen, ob das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher zu bewerten ist als das des Arbeitnehmers, zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist beschäftigt zu bleiben. Die dazu erforderliche Abwägung ist auf arbeitsvertragliche und sachverhaltsbezogene Umstände zu beschränken, Werturteile und weitere subjektive Elemente haben außer Betracht zu bleiben.4 Auch hier nimmt das Arbeitsgericht bei einer anschließenden gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige originäre Interessenabwägung vor, bei der ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht.
1 BAG v. 27.6.1961 – 2 AZR 255/60, NJW 1961, 2085 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; v. 4.4.1974 – 2 AZR 452/73, DB 1974, 1067 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; v. 30.9.1993 – 2 AZR 188/93, EzA Nr. 152 zu § 626 BGB n.F.; v. 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487 = AP Nr. 130 zu § 626 BGB; v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, BB 1998, 109 = AP Nr. 137 zu § 626 BGB; v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863–866 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB; v. 27.6.1961 – 2 AZR 255/60, NJW 1961, 2085 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 17.4.2002 – 6 Sa 1334/01, LAGE § 626 BGB Nr. 141. 3 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB. 4 BAG v. 13.12.1984 – 2 AZR 454/83, NZA 1985, 288 = AP Nr. 81 zu § 626 BGB; APS/ Dörner, § 626 BGB Rz. 112; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 41.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 109 Teil 4
3. Einhaltung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB Die außerordentliche Kündigung kann gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (ausführlich dazu unten Rz. 109 ff.). Im Einzelfall beginnt die Frist bereits mit Kenntniserlangung durch einen Dritten zu laufen; beispielsweise dann, wenn die Nachforschungen durch einen externen Ermittlungsdienst durchgeführt werden und dem Unternehmen ein Organisationsverschulden vorwerfbar ist. So bedarf es bei einer externen Vergabe der Ermittlungen feststehender Regelungen, die sicherstellen, dass zeitnah Rückmeldungen oder -fragen hinsichtlich des weiteren Umfangs der Ermittlungsmaßnahmen erfolgen und die Personalabteilung hierdurch die Kontrolle über die Ermittlungen nicht verliert.1
105
Die Erklärungsfrist ist eine materiellrechtliche Ausschlussfrist. Sie soll für den betroffenen Arbeitnehmer zeitnah Klarheit darüber schaffen, ob ein Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird oder nicht. Andererseits soll die zeitliche Begrenzung aber nicht zu hektischer Eile antreiben und den Kündigungsberechtigten veranlassen, ohne genügende Vorprüfung voreilig zu kündigen.2 Nach Ablauf der Ausschlussfrist tritt die unwiderlegbare Vermutung ein, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Die Kündigungsgründe sind verwirkt. Gegen die Versäumung der Frist gibt es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.3
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Die zwingende Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB kann weder durch Parteivereinbarungen noch durch Tarifvertrag ausgeschlossen oder abgeändert werden.4
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Da eine entsprechende Anwendung des § 626 Abs. 2 BGB auf eine ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt, kann nach Ablauf der Erklärungsfrist der außerordentliche Kündigungsgrund eine ordentliche Kündigung bedingen.5
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a) Beginn Die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis des Kündigungssachverhalts hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Zur Vermeidung eines übereilten Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung genügt nicht die Kennt1 LAG Hamm v. 19.5.2008 – 8 Sa 288/08. 2 BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 25/88, NZA 1989, 105–107 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 3 BAG v. 28.10.1971 – 2 AZR 32/71, DB 1972, 147 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlussfristen. 4 BAG v. 12.2.1973 – 2 AZR 116/72, DB 1973, 1258 = AP Nr. 6 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 12.4.1978 – 4 AZR 580/76, BB 1978, 1166 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 5 BAG v. 4.3.1980 – 1 AZR 1151/78, DB 1980, 2529 = AP Nr. 4 zu Art. 140 GG.
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Teil 4 Rz. 110
Die verhaltensbedingte Kündigung
nis des bloßen Anlasses, der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muss vielmehr eine Gesamtwürdigung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten möglich sein. Es kommt auf die positive Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen an, zu denen sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände gehören. Eine grob fahrlässige Unkenntnis der maßgeblichen Tatsachen setzt die Kündigungserklärungsfrist nicht in Gang.1 110
Bei den für die Kenntnis maßgebenden Tatsachen ist zu unterscheiden, ob der Kündigungsgrund aus einem in sich abgeschlossenen Lebenssachverhalt hergeleitet wird oder aus einem sog. Dauertatbestand. Ein solcher Dauertatbestand liegt vor, wenn fortlaufend neue kündigungsrelevante Tatsachen eintreten, die zur Störung des Arbeitsverhältnisses führen. Dies ist weder bei einem Verdacht strafbarer Handlungen noch bei einer begangenen Straftat der Fall.2
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Liegt ein Dauertatbestand vor, ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, wenn bis in die letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung der Dauertatbestand angehalten hat und damit die Störung des Arbeitsverhältnisses noch nicht abgeschlossen war.3
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Fehlt ein Arbeitnehmer unentschuldigt, ist ein Dauertatbestand mit der Folge anzunehmen, dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB erst dann beginnt, wenn der Arbeitnehmer wieder im Betrieb erscheint.4 b) Hemmung
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Solange der Kündigungsberechtigte die Aufklärung des Sachverhalts, auch der gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte, durchführt, kann die Ausschlussfrist nicht beginnen. Sie ist allerdings nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständlichen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen.5 Neben der Anhörung des Arbeitnehmers kommen insbesondere die Prüfung von Unterlagen und die Befragung von Zeugen in Betracht. Unerheblich ist, ob die Ermittlungen ex-ante betrachtet neue Erkenntnisse gebracht haben.6
1 BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 25/88, NZA 1989, 105–107 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Hamm v. 20.8.1999 – 19 Sa 2329/98, DB 1999, 2068. 2 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 3 BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 455/95, NZA 1996, 871–873 = AP Nr. 8 zu § 626 BGB Krankheit; v. 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708 = AP Nr. 38 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 4 BAG v. 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708 = AP Nr. 38 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 5 BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 25/88 – NZA 1989, 105–107 =AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Köln v. 18.1.2002 – 11 Sa 522/01, EzA-SD 2002, Nr. 13, 19 (Leitsätze). 6 BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 133/83, NZA 1986, 95 = AP Nr. 89 zu § 626 BGB.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 118 Teil 4
Gleichwohl dürfen die Ermittlungen nicht unnötig herausgezögert werden. So bedarf es keiner weiteren Ermittlungen, wenn der Arbeitnehmer die Vertragsverletzung gestanden hat. Zudem muss die Anhörung des Arbeitnehmers innerhalb der Regelfrist von einer Woche erfolgen.1 Die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers führt nicht ohne Weiteres zu einer Hemmung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, da erforderlich und ausreichend für die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Verdachtskündigung ist, dass der Arbeitnehmer, sei es schriftlich oder mündlich, die Möglichkeit erhält, sich zu dem erhobenen Vorwurf zu äußern. Eine Hemmung des Ablaufs der Ausschlussfrist ist nur anzunehmen, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer auch an einer schriftlichen Stellungnahme gehindert ist.2 Nach Auffassung des LAG Köln kann die Regelfrist von einer Woche für die Anhörung geringfügig überschritten werden, wenn der Arbeitgeber wegen der Besonderheiten des Falles (Untersuchungshaft des Arbeitnehmers, bisher fehlende eigene Ermittlungen, Unkenntnis der für das Strafverfahren maßgeblichen Tatumstände) nicht in der Lage ist, den Sachverhalt trotz entsprechender Bemühungen näher aufzuklären.3
114
Ein nicht gerechtfertigtes Untätigbleiben oder Verzögern durch den Arbeitgeber führt dazu, dass die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt, obwohl die für die Kündigungsentscheidung ausreichende Tatsachenerkenntnis als gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung tatsächlich nicht vorliegt. Die Rechtfertigung dafür ergibt sich aus den §§ 162, 242 BGB.4
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" Praxistipp: Die Aufklärung des Sachverhalts ist zwingend zügig zu betrei-
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ben, da mit der Hemmung der Ausschlussfrist ein oftmals unnötiges Problemfeld geschaffen wird.
c) Verhältnis zu anderen Vorschriften Die nach § 102 BetrVG erforderliche Anhörung des Betriebsrats muss vor Ablauf der Erklärungsfrist erfolgen. Die Erklärungsfrist wird durch die Anhörungsfrist des Betriebsrats nicht verlängert, so dass der Arbeitgeber spätestens am 10. Tag nach Beginn der Erklärungsfrist die Anhörung des Betriebsrats einleiten muss.
117
Auch im Regelungsbereich des § 103 BetrVG beginnt die Erklärungsfrist mit der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Demzufolge muss der Arbeitgeber, wenn er sein Kündigungsrecht nicht verlieren will, spätestens am 10. Tag nach Fristbeginn die Zustimmung des Betriebsrats beantragen, um dann innerhalb der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB, die nicht um die dreitägige Frist zur Zustimmung des Betriebsrates verlängert wird, das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht einleiten zu können. Das gilt auch dann, wenn die Betriebsratsmitglieder sich an
118
1 BAG v. 12.2.1973 – 2 AZR 116/72, EzA Nr. 22 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 8.8.2000 – 5 Sa 452/00, NZA-RR 2001, 185; v. 25.1.2001 – 6 Sa 1310/00, BB 2001, 1748. 2 LAG Köln v. 25.1.2001 – 6 Sa 1310/00, BB 2001, 1748. 3 LAG Köln v. 8.8.2000 – 5 Sa 452/00, NZA-RR 2001, 185. 4 LAG Berlin v. 30.6.1997 – 9 Sa 43/97, NZA-RR 1997, 424 = AP Nr. 41 zu § 5 ArbGG 1979.
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Teil 4 Rz. 119
Die verhaltensbedingte Kündigung
rechtswidrigen Arbeitsniederlegungen im Betrieb beteiligen oder den Zustimmungsersetzungsantrag nicht zur Kenntnis nehmen.1 Ein Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers, der vor der Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats gestellt und damit unheilbar unzulässig ist, wahrt die Erklärungsfrist nicht.2 Nach rechtskräftiger gerichtlicher Ersetzung der Zustimmung ist die außerordentliche Kündigung unverzüglich auszusprechen. Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber einem Betriebsratsmitglied erst dann wirksam eine außerordentliche Kündigung aussprechen kann, wenn der Beschluss über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung rechtskräftig bzw. unanfechtbar ist. Eine vor diesem Zeitpunkt erklärte Kündigung ist nicht nur schwebend unwirksam, sondern unheilbar nichtig.3 Will der Arbeitgeber in einem derartigen Fall nach rechtskräftigem Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens erneut kündigen, bedarf es der Einleitung eines neuen Zustimmungsverfahrens beim Betriebsrat und ggf. eines neuen Zustimmungsersetzungsverfahrens.4 Die formelle Rechtskraft tritt, sofern die Rechtsbeschwerde gegen den die Zustimmung ersetzenden Beschluss des Landesarbeitsgerichts nicht zugelassen worden ist, mit dem Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde oder mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesarbeitsgericht ein. Der Arbeitgeber muss im Falle einer offensichtlich unstatthaften Divergenzbeschwerde gegen einen die Zustimmung des Betriebsrats ersetzenden Beschluss der Arbeitsgerichte zur Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB die Kündigung nicht bereits vor Eintritt der formellen Rechtskraft dieses Beschlusses aussprechen. Die gegenteilige Auffassung steht im Widerspruch zu der Ausgestaltung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens, wonach grundsätzlich in Betriebsverfassungssachen dauernde Auswirkungen erst an formell rechtskräftige Beschlüsse geknüpft werden, und es außerdem zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde, wenn der Arbeitgeber die Aussichten eines gegnerischen Rechtsmittels zu prüfen hätte, wofür in der Sache und zudem rein zeitlich keine zuverlässigen Maßstäbe zur Prüfung aufgestellt werden könnten.5 119
" Praxistipp: Sollte eine Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG oder
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Ist zum Ausspruch einer Kündigung die vorherige Zustimmung Dritter erforderlich, ist dem Anliegen des § 626 Abs. 2 BGB dadurch Genüge zu tun, dass zum einen der zur Erlangung der Zustimmung erforderliche Antrag innerhalb der
seine Zustimmung nach § 103 BetrVG erforderlich sein, ist der 10. Tag nach Kenntniserlangung von den Kündigungsgründen zu notieren. Spätestens dann hat der Arbeitgeber den Betriebsrat in der gebotenen Form zu beteiligen und muss zusätzlich sicherstellen, dass spätestens am 14. Tag nach Kenntniserlangung von den Kündigungsgründen der Zugang der Kündigung bewirkt wird.
1 LAG Berlin v. 8.2.2001 – 7 TaBV 2307/01, (n.v.). 2 BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, NZA 1997, 371 = AP Nr. 32 zu § 103 BetrVG 1972. 3 BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, NZA 1997, 371 = AP Nr. 32 zu § 103 BetrVG 1972; v. 9.7.1998 – 2 AZR 142/98, NZA 1998, 1273 = AP Nr. 36 zu § 103 BetrVG 1972. 4 LAG Hamm v. 4.8.2000 – 10 TaBV 7/00, LAGE § 103 BetrVG 1972 Nr. 17. 5 BAG v. 9.7.1998 – 2 AZR 142/98, NZA 1998, 1273 = AP Nr. 36 zu § 103 BetrVG 1972.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 122 Teil 4
zweiwöchigen Frist gestellt werden und zum anderen nach erteilter Zustimmung die Kündigung unverzüglich erfolgen muss; das folgt aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 91 SGB IX.1 Liegt die Zustimmung des Dritten vor Ablauf der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB vor, so kann der Arbeitgeber diese Kündigungserklärungsfrist voll ausschöpfen und muss nicht unverzüglich kündigen. Dies gilt auch für die Zustimmung des Integrationsamtes, da die dem Schutz des Arbeitgebers dienende Regelung des § 91 Abs. 5 SGB IX als speziellere Regelung § 626 Abs. 2 BGB nur nach Ablauf der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist ergänzt und nicht zu deren Verkürzung führt.2 Der Erteilung der Zustimmung steht der Wegfall des Zustimmungserfordernisses gleich, im Geltungsbereich von § 9 MuSchG also z.B. der Eintritt einer Fehlgeburt. Ab Kenntnis der zum Wegfall des Zustimmungserfordernisses führenden Ereignisse ist die Kündigung unverzüglich auszusprechen, d.h. es ist in der Regel am ersten folgenden Arbeitstag tätig zu werden.3 Wird das Kündigungsschreiben vor der Zustellung des Zustimmungsbescheids abgesandt, schadet dies nicht, wenn es dem Arbeitnehmer erst nach der Zustellung des Bescheids zugeht4 oder die Behörde die Entscheidung schon (fern-)mündlich mitgeteilt hat.5 d) Begriff des Kündigungsberechtigten Ausschlaggebend für den Beginn der Erklärungsfrist ist die Kenntnis des Kündigungsberechtigten.6 Bei Betrieben, die von natürlichen Personen betrieben werden, ist dies der Inhaber. Wird ein Betrieb in der Rechtsform einer OHG betrieben, ist jeder Gesellschafter und in der Rechtsform der KG jeder Komplementär aufgrund seiner Einzelvertretungsmacht gemäß §§ 125 Abs. 1, 161 Abs. 1 HGB kündigungsberechtigt. Insofern genügt für den Lauf der Erklärungsfrist die Kenntnis einer der Personen. Wird ein Betrieb in der Rechtsform einer GbR betrieben, ist die Kenntnis aller Gesellschafter maßgeblich.
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Ist ein Arbeitnehmer bei einem rechtsfähigen Verein, einer GmbH, einer AG oder einer eG beschäftigt, kann die außerordentliche Kündigung, soweit die Satzung nichts anderes vorsieht, nur aufgrund eines von allen gesetzlichen Vertretern gefassten Beschlusses ausgesprochen werden. Dies sind bei einem rechtsfähigen Verein, einer AG und einer eG nach §§ 26 Abs. 2 BGB, 78 Abs. 2 AktG, 24 Abs. 1 GenG alle Mitglieder des Vorstands sowie bei einer GmbH nach § 35 Abs. 2 GmbHG alle Geschäftsführer.
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1 LAG Köln v. 21.1.2001 – 11 Sa 1195/99, NZA-RR 2001, 303. 2 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 380/00, NZA 2002, 970 = AP Nr. 45 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 3 LAG Köln v. 21.1.2000 – 11 Sa 1195/99, NZA-RR 2001, 303. 4 BAG v. 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33 = AP Nr. 45 zu § 123 BGB. 5 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 748/98, NZA 1999, 1267 = AP Nr. 7 zu § 21 SchwbG 1986. 6 BAG v. 6.7.1972 – 2 AZR 386/71, DB 1972, 2119 = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlussfrist.
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Teil 4 Rz. 123
Die verhaltensbedingte Kündigung
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Verwirklicht der Vorstand einer AG den Kündigungsgrund, kommt es auf die Kenntnis des Aufsichtsrats1, beim Vorstand einer eG auf die Kenntnis der Vertreterversammlung2 und bei einem Geschäftsführer einer GmbH auf die Kenntnis der Gesellschafterversammlung an.3
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Eine Kündigung, die nur von einem der Gesamtvertreter ausgesprochen worden ist, kann von den übrigen Vertretern gemäß §§ 180 Satz 2, 177 BGB genehmigt werden, wenn der Kündigungsempfänger die fehlende Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht gerügt hat. Die Genehmigung kann mit rückwirkender Kraft nach § 184 BGB jedoch nur innerhalb der zweiwöchigen Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen. Trotz der Gesamtvertretung beginnt die Erklärungsfrist, wenn nur einer der Gesamtvertreter die Kündigungsgründe kennt.4 Dies folgt aus den allgemeinen Grundsätzen über die Bedeutung der Kenntnis eines Gesamtvertreters bei passiver Stellvertretung (§§ 28 Abs. 2 BGB, 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG, 25 Abs. 1 Satz 3 GenG). Wirkt ein Gesamtvertreter mit dem betroffenen Arbeitnehmer zum Nachteil des Arbeitgebers zusammen, weil er sich beispielsweise an der Pflichtverletzung beteiligt hat, ist das Berufen des Arbeitnehmers auf die Erklärungsfrist rechtsmissbräuchlich.5
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Kündigungsberechtigt sind darüber hinaus der Prokurist6 gemäß § 48 HGB, der Handlungsbevollmächtigte nach § 54 HGB und der Mitarbeiter, dem der Arbeitgeber das Recht zur Kündigung gemäß §§ 164 ff. BGB übertragen hat. Bei einem typischerweise mit Kündigungsvollmacht ausgestatteten Funktionsträger (hier: gewählte Personaldezernentin eines Landschaftsverbandes) liegt bereits in der Übertragung des Amtes eine Bekanntgabe der Bevollmächtigung i.S.v. § 174 Satz 2 BGB. Es kommt dabei nicht darauf an, ob jeder Arbeitnehmer konkret über die Übernahme des Amtes durch eine bestimmte Person informiert wird.7
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Obwohl § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB ausdrücklich auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten abstellt, kann die Kenntnis eines Dritten vom Kündigungssachverhalt ausnahmsweise Berücksichtigung finden. Dabei führt nicht allein die Tatsache, dass ein nicht kündigungsberechtigter Arbeitnehmer eine gewisse arbeitgeberähnliche Funktion im Betrieb hat, dazu, dass dem Arbeitgeber dessen Kenntnis im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB nach Treu und Glauben zugerechnet wird. Der Kündigungsberechtigte muss sich die Kenntnis eines in seiner Funktion dem Arbeitgeber angenäherten Vorgesetzten oder Mitarbeiters nach Treu und Glauben nur dann zurechnen lassen, wenn dessen Stellung im Betrieb nach den jeweiligen Umständen erwarten lässt, er werde dem Kündigungsberechtigten den Kündigungssachverhalt mitteilen. Kumulativ hinzukommen 1 2 3 4 5 6
BGH v. 19.5.1980 – 2 ZR 169/79, DB 1980, 1984. BGH v. 18.6.1984 – 2 ZR 221/83, DB 1984, 1820. BGH v. 17.3.1980 – 2 ZR 178/79, DB 1980, 1686. BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237 = AP Nr. 1 zu § 28 BGB. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 349. BAG v. 9.10.1975 – 2 AZR 332/74, DB 1976, 441= AP Nr. 8 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 7 LAG Köln v. 23.1.2008 – 7 Sa 1027/07, PersV 2008, 478.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 130 Teil 4
muss, dass die verspätet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten darauf beruht, dass die Organisation des Betriebes zu einer Verzögerung des Fristbeginns führt, obwohl eine andere Organisation sachgerecht und zumutbar wäre.1 Für die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann es im Konzern auf die Kenntnis des Konzernpersonalchefs vom Kündigungssachverhalt auch dann ankommen, wenn dieser gegenüber den leitenden Angestellten einer Tochtergesellschaft nicht selbst kündigungsberechtigt ist. Die Kenntnis des Konzernpersonalchefs als Dritten ist dem Kündigungsberechtigten einer Tochtergesellschaft zuzurechnen, wenn intensive konzernrechtliche Verflechtungen zwischen der Konzernobergesellschaft und der Tochtergesellschaft bestehen (hier teilweise Personalunion der gesetzlichen Vertretungsorgane) und auf der Ebene der Tochtergesellschaft ein Organisationsdefizit entsteht, das die Verzögerung der Kündigungserklärung bewirkt.2
126
e) Ablauf der Frist Der Ablauf der Erklärungsfrist richtet sich nach allgemeinen Vorschriften des BGB. Es wird der Tag, an dem der Kündigungsberechtigte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen erhält, nach § 187 Abs. 1 BGB nicht mitgerechnet, so dass die Frist erst am Tag nach der Kenntniserlangung beginnt und gemäß § 188 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BGB mit dem Ablauf des Tages der zweiten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem der Kündigungsberechtigte Kenntnis erhalten hat, endet. Läuft die Erklärungsfrist an einem Sams-, Sonn- oder gesetzlichen Feiertag ab, tritt an die Stelle dieses Tages nach § 193 BGB der nächste Werktag.
127
Die Erklärungsfrist ist nur dann gewahrt, wenn dem Arbeitnehmer die Kündigungserklärung nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts vor Ablauf zugegangen ist (siehe zum Zugang Ausführungen unter Rz. 8).
128
" Praxistipp: Zu prüfen ist, ob die Kündigung wegen mangelnden Nachweises
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der Bevollmächtigung gemäß § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen werden kann. Der anwaltlichen Erklärung der Zurückweisung ist stets im Original die Bevollmächtigung durch den Mandanten beizufügen. Ggf. führt die erfolgreiche Zurückweisung zur Nichteinhaltung der zweiwöchigen Erklärungsfrist.
f) Nachschieben von Kündigungsgründen Die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bildet eine Grenze für das Nachschieben von Kündigungsgründen. Gründe, die dem Kündigenden länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung bekannt waren, können grundsätzlich nicht mehr nachgeschoben werden, weil sie verfristet sind. Die Kündigung 1 BAG v. 26.11.1987 – 2 AZR 312/87, RzK I 6g Nr. 13 (n.v.) zitiert nach juris; v. 18.5.1994 – 2 AZR 930/93, NZA 1994, 1086 = AP Nr. 33 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Hamm v. 29.1.2001 – 16 Sa 998/00, (n.v.) zitiert nach juris. 2 LAG Hamm v. 29.1.2001 – 16 Sa 998/00, (n.v.) zitiert nach juris.
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Teil 4 Rz. 131
Die verhaltensbedingte Kündigung
kann auf verfristete Gründe nur gestützt werden, wenn diese mit den innerhalb der Erklärungsfrist bekannt gewordenen derart im Zusammenhang stehen, dass die neuen Vorgänge ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden, die zum Anlass der Kündigung genommen worden sind und bereits die nicht verfristeten Gründe eine außerordentliche Kündigung begründen können.1 Insofern reichen gleichartige Verfehlungen aus, wenn sich ihnen die generell fehlende Bereitschaft zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen entnehmen lässt, wie dies zum Beispiel bei Verspätungen oder unentschuldigtem Fehlen der Fall ist.2 Demgegenüber besteht der notwendige Zusammenhang dann nicht, wenn einem Arbeitnehmer wegen nicht schwerwiegender Nachlässigkeiten außerordentlich gekündigt wird und der Arbeitgeber diesen nicht ausreichenden Grund durch den Vorwurf verstärken will, der Arbeitnehmer habe früher auch schon seine Zuständigkeiten überschritten und Indiskretionen begangen.3 131
Vor der außerordentlichen Kündigung entstandene Gründe, die dem Kündigenden nach Ablauf der Erklärungsfrist bekannt werden, können nachgeschoben werden. Der Arbeitnehmer soll keinen Vorteil daraus ziehen, dass er ggf. kündigungsrelevante Tatbestände verschleiert hat. Zudem hat der bereits gekündigte Arbeitnehmer kein schutzwertes Interesse mehr daran, weitere Gründe für seine Kündigung innerhalb der Erklärungsfrist zu erfahren.4 Im Einzelfall kann aber das Recht zum Nachschieben von Kündigungsgründen verwirkt sein. Voraussetzung ist wie stets das Vorliegen eines Zeit- und Umstandsmoments, das für den Arbeitnehmer den berechtigten Schluss zulässt, der Arbeitgeber wolle sich auf die zur Begründung angegebenen Gründe beschränken. Auch verziehene Kündigungsgründe scheiden als selbständige Kündigungsgründe aus.5 Verwirkte oder verziehene Gründe können aber noch zur Unterstützung neuer Kündigungsgründe herangezogen werden.6
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In Betrieben, in denen ein Betriebsrat gebildet ist, kann sich aus § 102 BetrVG ein Verwertungsverbot ergeben.
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Ist eine behördliche Zustimmung zur Kündigung erforderlich (§§ 9 MuSchG, 18 BEEG, § 91 SGB IX), kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess bekannte oder unbekannte Gründe nachschieben, die er im behördlichen Zustimmungsverfahren noch nicht geltend gemacht hat, soweit sie im Zeitpunkt der Zustimmungserteilung nicht bereits gem. § 626 Abs. 2 BGB ausgeschlossen waren. Wenn die Behörde schon angesichts der ihr mitgeteilten Gründe die Zustimmung zur Kündigung erteilt hat, besteht keine Veranlassung, eine weitere Vorbehandlung nachgeschobener Kündigungsgründe durch die Behörde zu ver1 BAG v. 10.4.1975 – 2 AZR 113/74, DB 1975, 1656 = AP Nr. 7 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 10.12.1992 – NZA 1993, 501–5062 = ABR 32/92, AP Nr. 4 zu § 87 ArbGG 1979. 2 BAG v. 10.12.1992 – 2 ABR 32/92, DB 1993, 889 = AP Nr. 4 zu § 87 ArbGG 1979. 3 BAG v. 10.4.1975 – 2 AZR 113/74, DB 1975, 1656 = AP Nr. 7 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 4 BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158 = AP Nr. 5 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen. 5 BAG v. 21.2.1957 – 2 AZR 410/54, SAE 1957, 84 = AP Nr. 22 zu § 1 KSchG. 6 BAG v. 12.4.1956 – 2 AZR 247/54, AP Nr. 11 zu § 626 BGB.
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Außerordentliche Beendigungskündigung
Rz. 139 Teil 4
langen, da der Zweck des Zustimmungsverfahrens, den betroffenen Arbeitnehmern einen besonderen Schutz zu gewähren, nach der gesetzlichen Eröffnung der Kündigungsmöglichkeit nicht mehr erreicht werden kann.1 4. Begründungspflicht Die in § 626 Abs. 2 Satz 3 normierte Begründungspflicht ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung, da die Pflicht zur Begründung der Kündigung nur „auf Verlangen“ des Arbeitnehmers zu erfolgen hat. Anders ist dies nur gemäß § 22 Abs. 3 BBiG bei der Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses.
134
Gleichwohl kann die schuldhafte Nichterfüllung der Begründungspflicht für den Arbeitgeber nachteilige Konsequenzen haben, da sie einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen kann. Der Schaden kann in Höhe der Kosten des Kündigungsschutzprozesses bestehen, den der Arbeitnehmer ohne Kenntnis der Kündigungsgründe, und damit ohne eine Einschätzung der Erfolgsaussichten, angestrengt hat. Sind dem Arbeitnehmer die Kündigungsgründe bekannt, zum Beispiel durch ein Schreiben des Arbeitgebers zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG, scheidet ein Schadensersatzspruch aus.
135
5. Beurteilungszeitpunkt Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für die Zumutbarkeitsprüfung einer Kündigungserklärung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist der Zeitpunkt des Zugangs. Nach Zugang der Kündigung eintretende Umstände sind für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ohne Belang, sie können aber Grund für eine weitere Kündigung oder ein Nachschieben sein. Auch nachträgliches Prozessverhalten kann nicht zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers gewertet werden, auch nicht im Rahmen der Interessenabwägung. Es lässt insoweit keine Rückschlüsse auf vertragsrelevante Unzuverlässigkeit zu.2
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6. Darlegungs- und Beweislast Der Arbeitgeber hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung und damit die außerordentlichen Kündigung bedingen. Dies gilt auch für die Wahrung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Er kann sich aber zunächst nach dem Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast auf die Behauptung beschränken, es sei kein zumutbarer freier Arbeitsplatz vorhanden.
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Im Übrigen gilt, dass der Arbeitgeber auch die Wirksamkeit etwaiger Abmahnungen zu beweisen hat.
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Die Beweislast entspricht damit der bei einer ordentlichen Kündigung.
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1 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 186. 2 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09 im sog. „Emmely“-Fall; anders noch die Vorinstanz LAG Berlin-Brandenburg v. 24.2.2009 – 7 SA 2017/08.
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Teil 4 Rz. 140
Die verhaltensbedingte Kündigung
III. Einzelfälle 140
Die nachfolgenden Fallgruppen geben einen Überblick über die wichtigsten Kündigungsgründe zum Ausspruch einer ordentlichen und/oder außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Die Übersicht ist lediglich dazu geeignet, Grundzüge darstellen, ob ein Verhalten an sich geeignet ist, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Sie vermag jedoch nicht die stets erforderliche Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu ersetzen, sodass sie ausschließlich als Orientierung zu verstehen ist. 1. Abkehrwille
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Unter dem sog. Abkehrwillen ist die Absicht des Arbeitnehmers zu verstehen, das Arbeitsverhältnis demnächst zu beenden, um anderweitig – sei es selbständig oder unselbständig – einer Beschäftigung nachzugehen. Dementsprechende Äußerungen oder ernst zu nehmende Vorbereitungen eines Arbeitnehmers rechtfertigen grundsätzlich keine verhaltensbedingte Kündigung.1 Insoweit ist dieses Verhalten von der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt.
142
Einen Arbeitnehmer trifft regelmäßig nicht die Nebenpflicht, während der Dauer der Beschäftigung jede einleitende Maßnahme für einen Arbeitsplatzwechsel zu unterlassen. Durch die bloße Vorbereitung einer eigenen Existenzgründung oder der zukünftigen Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses, auch bei einem Konkurrenzunternehmen, begeht der Arbeitnehmer keine Verletzung seiner vertraglichen Pflichten.2
143
Die Sozialrechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung kann somit nur aus dem Hinzutreten weiterer Umstände, die eine Vertragspflichtverletzung begründen, abgeleitet werden. In Betracht kommen u.a. das Abwerben von Kollegen unter Vertragsbruch, die Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit während der Dauer der Beschäftigung, das Abwerben von Kunden und der Verrat von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (vgl. zum Geheimnisverrat die Ausführungen unter den Rz. 146 ff., 210 ff., 232 ff.). Streitet der Arbeitnehmer etwa wahrheitswidrig den Abschluss eines Arbeitsvertrags bei einem Konkurrenzunternehmen ab, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen.3 Allein die Vermutung, es könne zu derartigen Vertragsverletzungen kommen, rechtfertigt eine verhaltensbedingte Kündigung dagegen nicht.4
144
Gegebenenfalls kann eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sein, wenn ein die eigene Absicht zum Aufgeben des Arbeitsplatzes äußernder Arbeitnehmer einen Mangel- oder Spezialberuf ausübt, für den gerade entgegen üblicher Schwierigkeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung steht.5 Dies 1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 415; KDZ/Däubler, § 1 KSchG Rz. 176. 2 BAG v. 30.1.1963 – 2 AZR 319/62, DB 1963, 770 = AP Nr. 3 zu § 60 HGB; v. 16.1.1975 – 3 AZR 72/74, DB 1975, 1705 = AP Nr. 8 zu § 60 HGB. 3 LAG Hamm v. 14.2.1968 – 8 (5) Sa 37/68 = BB 1969, 536. 4 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 679. 5 Vgl. BAG v. 22.10.1964 – 2 AZR 515/63, DB 1965, 38 = EzA § 1 KSchG Nr. 2; LAG Hessen v. 11.4.1985 – 3 Sa 119/84, DB 1986, 65.
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Einzelfälle
Rz. 147 Teil 4
wird in der Literatur zu Recht kritisiert. Es erscheint systemwidrig, aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammende Umstände für eine betriebsbedingte Kündigung ausreichen zu lassen, da auch ein verringerter Personalbedarf in diesen Fällen üblicherweise nicht gegeben ist.1 Mit Kundgabe des Abkehrwillens können den Arbeitnehmer weitere Nebenpflichten treffen. Nach entsprechender Äußerung kann beispielsweise die Weigerung des Arbeitnehmers zur Zustimmung eines Auflösungsvertrags u.U. rechtsmissbräuchlich sein, wenn die Weitervermittlung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber und auf Grund drohenden Arbeitsplatzverlustes erfolgte.2
144a
Dem Arbeitnehmer ist nicht zu empfehlen, seinen Abkehrwillen als Druckmittel zur Durchsetzung von Ansprüchen oder Forderungen einzusetzen. In der Äußerung des Arbeitnehmers, zu einem bestimmten Datum aufhören zu wollen, wenn seinen Forderungen nicht entsprochen werde, kann konkludent ein Antrag auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags liegen, der bereits dadurch zustande kommen kann, dass der Arbeitgeber sich mit diesem Datum einverstanden erklärt.3
144b
Um einen ernsthaften Abkehrwillen von unzureichenden Unmutsäußerungen abgrenzen zu können, hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung ein klärendes Gespräch mit dem Arbeitnehmer zu führen.4
145
2. Abwerbung Ein Abwerben von Mitarbeitern liegt begrifflich bereits in jeder Einwirkung auf einen anderen Arbeitnehmer, sein Arbeitsverhältnis aufzugeben und die Arbeitsstelle zu wechseln oder einen eigenen Betrieb zu gründen.
146
Wenn ein Arbeitnehmer den Entschluss fasst, sich mit einem eigenen Unternehmen selbständig zu machen, macht er von seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG Gebrauch, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei wählen zu dürfen. Dieses Recht umfasst Vorbereitungshandlungen zur Aufnahme einer erlaubten Konkurrenztätigkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, welche keine Verletzung der Treuepflicht darstellen und daher grundsätzlich zulässig sind.5 Zu solchen notwendigen Vorkehrungen gehört beispielsweise auch die Anwerbung von Arbeitnehmern oder Partnern. Soweit es sich allerdings um Arbeitskollegen aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis handelt, steht seinem Grundrecht das gleichermaßen grundgesetzlich geschützte Interesse des Arbeitgebers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb entgegen.6 Während
147
1 HK-Dorndorf § 1 KSchG Rz. 744; HaKo-KSchR-Fiebig, § 1 Teil D Rz. 318; Stahlhacke/ Preis/Vossen, Rz. 679. 2 LAG Saarland v. 12.12.2007 – 1 Sa 105/07. 3 LAG Niedersachsen v. 5.12.2005 – 11 Sa 931/05, AE 2006, 173–174. 4 LAG München v. 29.11.1974 – 5 Sa 601/74, DB 1975, 1129. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 7.2.1992 – 6 Sa 528/91, NZA 1993, 265 = LAGE § 626 BGB Nr. 64; LAG Hamburg v. 21.12.1999 – 2 Sa 62/99, (n.v.); KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 418; a.A. LAG Hamburg v. 6.7.1989 – 4 Sa 601/88, ARST 1989, 193 = LAGE § 626 BGB Nr. 42. 6 LAG Rheinland-Pfalz v. 7.2.1992 – 6 Sa 528/91, NZA 1993, 265 = LAGE § 626 BGB Nr. 64; LAG Hamburg v. 21.12.1999 – 2 Sa 62/99, (n.v.).
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Teil 4 Rz. 147a
Die verhaltensbedingte Kündigung
des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist ein Abwerben von Mitarbeitern und Kollegen daher grundsätzlich unzulässig. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers, welche insbesondere die Pflicht umfasst, Störungen und Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, gilt bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses und gebietet auch loyales Verhalten als solches.1 147a
Dies gilt natürlich erst recht, wenn der Abwerbung das Merkmal der Rechtsoder Sittenwidrigkeit anhaftet, die Abwerbung also zugleich eine grobe Verletzung der Treuepflicht darstellt.2 Solche Umstände können beispielsweise vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer Kollegen zu verleiten sucht, unter Vertragsbruch beim bisherigen Arbeitgeber auszuscheiden, wenn er im Auftrag eines Konkurrenzunternehmens gegen Entgelt diesen Versuch unternimmt oder wenn er insoweit seinen Arbeitgeber planmäßig zu schädigen sucht.3 Hieraus ergibt sich aber auch, dass es jedenfalls dann keine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellt, wenn die abgeworbenen Mitarbeiter in einem bereits gekündigten Arbeitsverhältnis stehen.4
147b
Für den Vorwurf des Abwerbens ist erforderlich, dass das Abwerben mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Beharrlichkeit betrieben wird.5 Gespräche über berufliche Veränderung alleine reichen hierfür nicht aus. Auch darf der ausscheidende Arbeitnehmer seine Kollegen über seine geplante Tätigkeit informieren.6 Dies stellt lediglich die Kundgabe seines eigenen Abkehrwillens dar (vgl. Rz. 142). 3. Alkohol
148
Bei der Beurteilung einer im Zusammenhang mit alkoholbedingtem Fehlverhalten eines Arbeitnehmers stehenden Kündigung ist zunächst im Einzelfall abzugrenzen, ob verhaltensbedingte Gründe vorliegen oder ob die strengen Maßstäbe einer personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen anzuwenden sind.7 Ist ein Arbeitnehmer im medizinischen Sinne alkoholkrank, scheidet eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen mangels Steuerbarkeit des Verhaltens aus. Es greifen dann die Grundsätze der personenbedingten Kündigung ein.8 Von krankhaftem Alkoholismus ist auszugehen, wenn infolge psychischer oder phy1 LAG BW v. 28.3.2002 – 20 Sa 75/01 (n.v.) zitiert nach juris. 2 BAG v. 22.11.1965 – 3 AZR 130/65, DB 1966, 269 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Abwerbung; LAG Hamburg v. 21.12.1999 – 2 Sa 62/99, (n.v.); LAG Rheinland-Pfalz v. 7.2.1992 – 6 Sa 528/91, NZA 1993, 265 = LAGE § 626 BGB Nr. 64. 3 LAG Rheinland-Pfalz v. 7.2.1992 – 6 Sa 528/91, NZA 1993, 265 = LAGE § 626 BGB Nr. 64; LAG Hamburg v. 21.12.1999 – 2 Sa 62/99, (n.v.). 4 ArbG Berlin v. 4.3.2005 – 9 Ca 144/05, EzA-SD 2005, Nr. 12, 13. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 7.2.1992 – 6 Sa 528/91, NZA 1993, 265–266; LAG Baden-Württemberg v. 30.9.1970 – 4 Sa 21/70 zitiert nach juris. 6 Kittner/Zwanziger/Appel § 94 Rz. 14. 7 Vgl. insgesamt Bengelsdorf, NZA 2001, 993. 8 BAG v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, NZA 1987, 811 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Köln v. 11.9.1987 – 9 Sa 222/87, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 21; LAG Sachsen v. 26.5.2000 – 2 Sa 995/99, NZA-RR 2001, 472 = LAGE § 626 BGB Nr. 130a.
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Einzelfälle
Rz. 150a Teil 4
sischer Abhängigkeit gewohnheits- und übermäßiger Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann.1 Eine Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruhen, ist in der Regel sozialwidrig, weil dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen ist. Beruht hingegen die Pflichtverletzung wegen Alkoholisierung im Betrieb nicht auf einer Alkoholabhängigkeit, kommt eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht.2 Dabei hat der Arbeitgeber, der sich im Kündigungsschutzprozess allein auf einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund beruft, aufgrund der ihm obliegenden Darlegens- und Beweislast zu widerlegen, dass die Alkoholabhängigkeit – auch nach einem Rückfall – ursächlich für das Fehlverhalten des Arbeitnehmers gewesen ist.3
" Praxistipp: In der Beratungspraxis ist die strikte Trennung zwischen verhal-
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Eine verhaltensbedingte Kündigung kann nach vorheriger Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer wiederholt gegen ein betriebliches, sei es aufgrund eines Tarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung, eines Arbeitsvertrags oder kraft Direktionsrechts, oder gegen ein berufsgenossenschaftliches Alkoholverbot (vgl. § 5 VBG 68 für Werkschutz- und Bewachungsunternehmen, § 16 Abs. 2 VBG 81 bei der Verarbeitung von Klebestoffen und § 8 VO über den Betrieb von Kraftunternehmen im Personenverkehr, die allesamt eine 0,0 Promille-Grenze vorschreiben [sog. absolutes Alkoholverbot] sowie § 38 Abs. 1 VBG 1, der eine Einschränkung des Konsums alkoholischer Getränke anordnet [sog. relatives Alkoholverbot]) verstößt.4 Dabei kann sich ein betriebliches Alkoholverbot in die außerdienstliche Zeit erstrecken, wenn beispielsweise der Arbeitnehmer mit einem Dienstwagen unterwegs ist.5
150
Lässt dagegen ein Arbeitgeber trotz eines im Betrieb bestehenden Alkoholverbots zu, dass in der Mittagspause an die Arbeitnehmer in der Kantine alkoholi-
150a
tens- und personenbedingter Kündigung für die Einschätzung der Vorgehensweise und Erfolgsaussichten von elementarer Bedeutung. Dies zeigen nicht zuletzt die unterschiedlichen Voraussetzungen für die verhaltens- und personenbedingte Kündigung, die sich insbesondere in der grundsätzlichen Notwendigkeit einer einschlägigen Abmahnung für eine verhaltensbedingte Kündigung widerspiegeln. Daher ist vor Ausspruch der Kündigung aufzuklären, ob ein krankhafter Konsum vorliegt, der Unterfall der personenbedingten Kündigung ist.
1 BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420 = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG. 2 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Hamm v. 15.1.1999 – 10 Sa 1235/98, NZA 1999, 1221 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 74; LAG Sachsen v. 26.5.2000 – 2 Sa 995/99, NZA-RR 2001, 472 = LAGE § 626 BGB Nr. 130a; LAG Köln v. 12.3.2002 – 1 Sa 1343/01, NZA-RR 2002, 519 zur Spielsucht, die nach den gleichen Grundsätzen behandelt wird wie eine Kündigung, die auf Alkoholismus beruht. 3 LAG Hamm v. 15.1.1999 – 10 Sa 1235/98, NZA 1999, 1221 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 74. 4 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Hamm v. 11.11.1996 – 10 Sa 1789/95, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 56. 5 Vgl. LAG Köln v. 28.6.2007 – 6 Sa 278/07 zitiert nach juris.
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Teil 4 Rz. 151
Die verhaltensbedingte Kündigung
sche Getränke verkauft werden, so ist dies im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des von der Kündigung wegen Verstoßes gegen das Alkoholverbot betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen.1 151
Besteht kein generelles Alkoholverbot, kann die verhaltensbedingte Kündigung auf einen Alkoholgenuss gestützt werden, wenn ein Arbeitnehmer seine Nebenpflicht durch Beeinträchtigung der Arbeitsleistung oder Gefährdung anderer verletzt. Im Rahmen der Interessenabwägung sind jedoch branchenspezifische Unterschiede zu machen. Im Baugewerbe sind andere Maßstäbe heranzuziehen als bei Tätigkeiten im sicherheitsrelevanten Bereich, in dem eine Pflichtverletzung schon bei sehr geringen Alkoholmengen angenommen werden kann.2 Für den darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgeber ist der Nachweis im Kündigungsrechtsstreit, dass der Arbeitnehmer alkoholbedingt nicht in der Lage war, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen bzw. durch die Alkoholisierung für ihn oder andere Arbeitnehmer ein erhöhtes Unfallrisiko bestand, mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlich geschützter Arbeitnehmerinteressen kann ein Arbeitnehmer nicht zur Untersuchung seines Blutalkoholwertes gezwungen werden.3 Dennoch kann die Weigerung eines Arbeitnehmers, den Verdacht einer Alkoholisierung durch Einleitung einer Blutalkoholuntersuchung zu widerlegen, als erhebliches Indiz für das Vorliegen einer Pflichtverletzung gewertet werden.4 Soweit nicht im Einzelfall eine entsprechende Möglichkeit des Arbeitgebers fehlt, weil es sich beispielsweise um einen Kleinbetrieb handelt, ist dem Arbeitnehmer ein Alkoholtest zu seiner Entlastung anzubieten, da sich aus der Treuepflicht des Arbeitgebers auch ergibt, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben werden muss, den gegen ihn erhobenen Vorwurf zu widerlegen.5 Im Übrigen kann der Nachweis der Alkoholisierung durch Indizien – wie z.B. Alkoholfahne, gerötete Augen, Ausfallerscheinungen, Aggressivität und Lethargie – geführt werden.6
151a
" Praxistipp: Zeugenaussagen und andere Beweismittel sollten bereits zeit-
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Ein außerdienstlicher Alkoholgenuss berechtigt nicht zu einer verhaltensbedingten Kündigung, es sei denn, das Arbeitsverhältnis wird ausnahmsweise
nah schriftlich fixiert und dokumentiert werden, da der Arbeitgeber für die Alkoholisierung des Arbeitnehmers darlegungs- und beweisbelastet ist. Ein Alkoholtest sollte dem Arbeitnehmer stets zu seiner Entlastung angeboten werden.
1 LAG Köln v. 11.9.1987 – 9 Sa 222/87, LAGE Nr. 14 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 2 Vgl. Künzl, BB 1993, 1581; Willemsen/Brune, DB 1988, 2304. 3 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 55/99, NZA 1999, 1209 = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55; v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 LAG Hamm v. 11.11.1996 – 10 Sa 1789/95, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 56. 5 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 6 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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Eisenbeis
Einzelfälle
Rz. 153 Teil 4
– wie z.B. bei hierdurch bedingten Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit, besonderer Loyalitätspflichtverletzungen1 oder hervorgerufener Imageschäden2 – nachhaltig beeinflusst. Hochgradig alkoholisiert am Arbeitsplatz zu erscheinen, kommt einer schuldhaften Arbeitsverweigerung gleich, die eine verhaltensbedingte Kündigung nach vorheriger Abmahnung regelmäßig zulässt.3 Hat ein Arbeitnehmer mit seinem Privatwagen einen Verkehrsunfall unter erheblicher Alkoholbeeinflussung verursacht, lässt diese Alkoholisierung im Privatbereich zwar Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit eines Berufsfahrzeugführers zu, vermag jedoch mangels Vertragsverletzung eine Kündigung nicht zu rechtfertigen.4 Auch bei einem Rückfall nach einer erfolgreichen Entgiftungskur ist eine verhaltensbedingte Kündigung möglich. Anknüpfungspunkt ist hier nicht die alkoholbedingte Sucht an sich, sondern der Vorwurf, die Alkoholsucht schuldhaft herbeigeführt zu haben, obwohl dem Arbeitnehmer nach der Kur die Gefahren des Alkoholkonsums und der mit ihr verbundenen Konsequenzen in besonderem Maße bekannt waren.5 Soweit allerdings zwischen der Entgiftungskur und dem erneuten Rückfall eine zeitliche Zäsur liegt, ist dem Arbeitnehmer eine erneute Entzugsbehandlung als milderes Mittel zu ermöglichen. Ob der Arbeitnehmer im Anschluss an die erfolgreiche Entziehungskur eine Selbsthilfegruppe („anonyme Alkoholiker“) besucht, ist seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen und rechtfertigt selbst dann keine verhaltensbedingte Kündigung, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einer Teilnahme auffordert und dieser die Teilnahme nur vortäuscht.6
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Für Berufskraftfahrer, Bagger- und Kranführer sowie Piloten gelten besondere Maßstäbe. Verliert ein Arbeitnehmer dieser Beschäftigungsgruppe seine Fahrerlaubnis bzw. Fluglizenz, kann dies grundsätzlich eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.7 Allerdings kann der Entzug einer sog. „Betriebsfahrerlaubnis“ alleine eine Kündigung nicht rechtfertigen, da diese grundsätzlich nicht dem Verlust einer behördlichen oder gesetzlich vorgeschriebenen Fahrerlaubnis gleichgestellt werden kann.8 Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich aber auch hier, dass eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen zumutbaren Arbeitsplatz, welcher eine Fahrerlaubnis nicht voraussetzt, einer Beendigungskündigung vorgeht.9
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1 BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 268/96, DB 1997, 1878 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Kirchendienst. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 3.5.2007 – 4 Sa 529/06, ArbRB 2007, 257. 3 LAG Hessen v. 15.11.2006 – 8 Sa 854/06, ZM 2007, Nr. 16, 86 (Kurzwiedergabe). 4 So Preis, FA 2002, 290, 294 mit zutreffender Kritik an der Entscheidung des BAG v. 4.6. 1997 – 2 AZR 526/96, DB 1997, 2386 = AP Nr. 137 zu § 626 BGB, das die Kündigung nur mangels Abmahnung für unwirksam hielt. 5 LAG Hessen v. 20.8.2007 – 17 Sa 1339/06, AuA 2008, 176 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 4 AZN 1301/07; LAG München v. 13.12.2005 – 8 Sa 739/05, NZA-RR 2006, 350–353. 6 LAG Düsseldorf v. 25.2.1997 – 8 Sa 1673/986, NZA-RR 1997, 381. 7 Vgl. BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 68/95, NZA 1996, 819 = AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; LAG Schleswig-Holstein v. 16.6.1986 – 4 (5) Sa 684/85, NZA 1987, 669. 8 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 984/06, DB 2009, 123 (n.v.). 9 LAG MV 4.7.2007 – 2 TaBV 5/07, ArbuR 2007, 444.
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Teil 4 Rz. 154
Die verhaltensbedingte Kündigung
Jeder Arbeitnehmer dieser Beschäftigungsgruppe unterliegt daneben der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht, jeden die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholgenuss zu unterlassen.1 Eine Verletzung dieser Nebenpflicht begründet nach vorheriger Abmahnung einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund. Daneben kann in einzelnen Arbeitsverhältnissen durch diese Nebenpflicht auch ein absolutes Alkoholverbot gerechtfertigt sein, wenn durch das Verbot jegliche Gefährdung von Menschenleben und Sachmitteln ausgeschlossen werden soll.2 Neben den bereits erwähnten Berufskraftfahrern ist dies bei Zugführern und Piloten zur Gewährleistung der allgemeinen Verkehrssicherheit regelmäßig der Fall. Aber auch bei Berufswaffenträgern, Seeleuten, fliegendem Personal und verwandten Berufsgruppen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig sind, kann die arbeitsvertragliche Nebenpflicht so weit gehen, dass der außerdienstliche Alkoholkonsum derart eingeschränkt oder sogar völlig untersagt wird, dass bei Dienstantritt ein alkoholischer Einfluss gänzlich ausgeschlossen werden kann.3 Eine verhaltensbedingte Kündigung kann bei diesen Berufsgruppen ohne vorherige Abmahnung schon bei einem einmaligen Verstoß gegen das Alkoholverbot vor oder während der Arbeitszeit gerechtfertigt sein.4 4. Anzeige gegen den Arbeitgeber 154
Nach bisheriger Rechtsprechung konnte die Erstattung einer Anzeige gegen den Arbeitgeber einen Kündigungsgrund darstellen, selbst wenn dieser gesetzeswidrig gehandelt hatte.5 Entsprechendes galt für Anzeigen gegen Vorgesetzte oder Kollegen.6 Von maßgeblicher Bedeutung ist aber die Entscheidung des BVerfG v. 2.7.2001.7 Mit Ausnahme von gesetzlich geregelten Ausnahmetatbeständen ist es dem Bürger verwehrt, sein wirkliches oder vermeintliches Recht sowohl gegenüber staatlichen Organen als auch gegenüber den Bürgern mit Gewalt oder im Wege der Selbstjustiz durchzusetzen; vielmehr muss der Einzelne sein Recht vor staatlichen Gerichten suchen und es mit Hilfe der Staatsgewalt vollstre1 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 = EzA Nr. 46 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Nürnberg v. 17.12.2002 – 6 Sa 480/01, NZA-RR 2003, 301. 2 BAG v. 10.11.1987 – 1 ABR 55/86, NZA 1988, 255–256 = AP Nr. 24 zu § 77 BetrVG 1972; v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517–521 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969. 3 LAG Schleswig-Holstein v. 20.11.2007 – 5 TaBV 23/07, NZA-RR 2008, 184–187. 4 LAG Hamm v. 22.12.1977 – 8 Sa 1258/77, DB 1978, 750; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.12. 1999 – 7 Sa 1112/99, Ez. BAT § 53 BAT Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51; LAG Berlin v. 18.2.2000 – 2 Sa 2375/99, EzA-SD 2000, Nr. 9, 12; LAG Sachsen v. 26.5.2000 – 2 Sa 995/99, NZA-RR 2001, 472 = LAGE § 626 BGB Nr. 130a; LAG Nürnberg v. 17.12. 2002 – 6 Sa 480/01, NZA-RR 2003, 301. 5 BAG v. 5.2.1959 – 2 AZR 60/56, DB 1959, 980 = AP Nr. 2 zu § 70 HGB; LAG Düsseldorf v. 23.10.1959 – 5 Sa 358/58, BB 1960, 523; LAG Düsseldorf v. 18.1.1961 – 2 Sa 393/60, BB 1961, 532; LAG Düsseldorf v. 17.1.2002 – 11 Sa 1422/01, DB 2002, 1612; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 366. 6 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427–432 = AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 7 BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 = AP Nr. 170 zu § 626 BGB.
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Einzelfälle
Rz. 155 Teil 4
cken.1 Aus jenem Verbot der Privatgewalt und der Verstaatlichung der Rechtsdurchsetzung ist der Staat verpflichtet, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen und die Beachtung ihrer Rechte sicherzustellen. Mit diesen Grundgeboten ist es unvereinbar, wenn derjenige, der in gutem Glauben eine Strafanzeige erstattet hat, zivilrechtliche Nachteile dadurch erleidet, dass sich seine Behauptung nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder nicht aufklärbar erweist.2 Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Zeugenpflicht eine allgemeine Staatsbürgerpflicht ist.3 Die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte kann aus rechtsstaatlichen Gründen im Regelfall nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten.4 Wenn den Arbeitnehmer die Zeugenpflicht als allgemeine Staatsbürgerpflicht trifft und er damit verpflichtet ist, aktiv im Strafverfahren mitzuwirken, kann es keinen Unterschied machen, wenn der Arbeitnehmer sein staatsbürgerliches Recht in Form der Erstattung einer Strafanzeige ausübt.5 Daher kommt eine verhaltensbedingte Kündigung nicht in Betracht, soweit die Anzeige objektiv gerechtfertigt ist, der Arbeitnehmer schutzwürdige Interessen wahrnimmt und eine innerbetriebliche Abhilfe nicht möglich oder unzumutbar war.6 Entscheidend ist insoweit, ob der mitgeteilte Sachverhalt der Wahrheit entspricht und eine Abhilfe durch den Arbeitgeber zu erwarten war.7 Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht muss dann hinter der Staatsbürgerpflicht zurücktreten (vgl. zur Rücksichtnahmepflicht unten Rz. 156). Unerheblich ist es demgegenüber, ob es anschließend auf Grund der Anzeige zu einer Verurteilung kommt.8
154a
Das muss erst recht gelten, wenn dem Arbeitnehmer die Verantwortung für die Sicherheit betrieblicher Anlagen übertragen worden ist und dieser seine Bedenken gegen die Sicherheit der Anlage den zuständigen Stellen meldet. Erst wenn die Bedenken nach objektiven Maßstäben ausgeräumt sein müssten, kann die Fortsetzung seiner Kritik eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.9
154b
Eine Ausnahme hiervon ist dann zu machen, wenn es sich um eine Anzeige gegen den Arbeitgeber handelt, der wissentlich unwahre oder leichtfertig falsch gemachte Angaben zugrunde liegen. Dabei genügt leichtfertiges Handeln ins-
155
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BVerfG v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929 = BVerfGE 74, 257, 261. BVerfG v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929 = BVerfGE 74, 257, 262. BVerfG v. 1.10.1987 – 2 BvR 1165/86, NJW 1988, 897 = BVerfGE 76, 363, 383. BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 = AP Nr. 170 zu § 626 BGB; LAG Hessen v. 27.11.2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637. Müller, NZA 2002, 424. LAG Hamm v. 12.11.1990 – 19 (16) Sa 6/90, LAGE § 626 BGB Nr. 554; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502–504 = AP Nr. 55 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. LAG Niedersachsen v. 13.6.2005 – 5 Sa 137/02, LAGE Nr. 90 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung = RDV 2006, 173–175. BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502–504 = AP Nr. 55 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. BAG v. 14.12.1972 – 2 AZR 115/72 – DB 1973, 675 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung.
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Teil 4 Rz. 156
Die verhaltensbedingte Kündigung
besondere dann, wenn es sich bei den Vorwürfen um schwerwiegende Straftaten handelt.1 156
Gleiches muss gelten, wenn die Strafanzeige sich als unangemessene Reaktion auf eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers darstellt. Dabei kann sich die Unangemessenheit sowohl daraus ergeben, dass diese auf verwerflichen Motiven basiert – z.B. um dem Arbeitgeber zu schaden2 oder in unzulässiger Weise öffentlichen Druck auszuüben3 – als auch daraus, dass ein vorhergehendes innerbetriebliches Abhilfeverlangen unterblieben ist.4 Denn grundsätzlich muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf gesetzeswidriges Verhalten vor einer Anzeigenerstattung hinweisen.5 Dies ergibt sich aus der dem Arbeitsvertrag immanenten Nebenpflicht, auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Eine Hinweispflicht besteht daher insbesondere, wenn es sich um Fehlverhalten anderer Betriebsangehöriger handelt, das sich gegen den Arbeitgeber richtet.6 Der Hinweis ist jedoch entbehrlich, wenn dieses Vorgehen dem Arbeitnehmer unzumutbar oder eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten ist. Ein solches Erfordernis würde insoweit einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte des Arbeitnehmers darstellen. Entbehrlichkeit kann im Einzelfall vorliegen, wenn dem Arbeitgeber die Gesetzeswidrigkeit bereits bekannt war und er dennoch untätig geblieben ist7, der Arbeitnehmer vergeblich versucht hat, den Arbeitgeber zu veranlassen, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen8, sich der Arbeitnehmer durch eine Nichtanzeige selbst einer Strafverfolgung aussetzt9, Straftaten vorliegen, die sich gegen die Arbeitnehmer selbst richten10 oder es sich um einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt handelt, der für die Zukunft nicht abänderbar ist.11
157
Aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers ergibt sich darüber hinaus, dass ein Gang an die Öffentlichkeit oder die Medien nur das letzte Mittel sein darf. Bereits die Drohung an den Arbeitgeber, dies zu tun, kann eine außerordentliche 1 LAG Hamm v. 28.11.2003 – 10 Sa 1024/03, LAGReport 2004, 184. 2 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427–432 = AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502–504 = AP Nr. 55 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 4.7.1991 – 2 AZR 80/91, RzK I. 6a Nr. 74 (n.v.); LAG Hessen v. 12.2.1987 – 12 Sa 1249/86, LAGE § 626 BGB Nr. 28; LAG Köln v. 7.1.2000 – 4 Sa 1273/99, RDV 2000, 226; LAG Hessen v. 27.11.2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637; LAG Hamm v. 28.11.2003 – 10 Sa 1024/03, LAGReport 2004, 184; BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 = AP Nr. 170 zu § 626 BGB. 3 LAG Berlin v. 28.3.2006 – 7 Sa 1884/05, ArbuR 2007, 51–53. 4 BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502–504 = AP Nr. 55 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 5 Preis/Reinfeld, AuR 1989, 361, 370; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 427a. 6 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427–432 = AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 7 LAG Baden-Württemberg v. 3.2.1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756. 8 LAG Köln v. 23.2.1996 – 11 (13) Sa 976/95, LAGE § 626 BGB Nr. 94. 9 LAG Hamm v. 12.11.1990 – 19 (16) Sa 6/90, LAGE § 626 BGB Nr. 554. 10 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 692. 11 LAG Düsseldorf v. 17.1.2002 – 11 Sa 1422/01, DB 2002, 1612.
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Einzelfälle
Rz. 160 Teil 4
verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.1 Dagegen kann die Wahrnehmung des Petitionsrechts aus Art. 17 GG nicht die Kündigung eines bei einem öffentlichen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmers rechtfertigen.2 Unabhängig davon, ob die Strafanzeige selbst eine Kündigung rechtfertigen kann, stellt die heimliche Mitnahme von Geschäftsunterlagen, um eine Strafanzeige vorzubereiten, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar, wenn hierdurch das Vertrauensverhältnis zerstört worden ist.3
157a
5. Arbeitskampf Die Teilnahme eines Arbeitnehmers an einem rechtmäßigen Arbeitskampf rechtfertigt keine Kündigung.4 Der Anspruch auf Teilnahme an einem rechtmäßigen Arbeitskampf schließt eine Pflichtverletzung denklogisch aus.5
158
Bei rechtswidrigen Arbeitskampfmaßnahmen kommt eine – u.U. außerordentliche – verhaltensbedingte Kündigung zunächst dann in Betracht, wenn die Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer bekannt war.6 Gleiches muss gelten, wenn sich der Arbeitnehmer an einem erkennbar rechtswidrigen Arbeitskampf beteiligt. Ob die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs für den Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar war, hängt unter anderem davon ab, ob eine Gewerkschaft zu dem Streik aufgerufen hat.
159
In diesen Fällen kann der Arbeitgeber zwischen der lösenden Aussperrung und dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung wählen.7 Dabei bedarf es einer sorgfältigen Begründung der negativen Zukunftsprognose, da die einmalige Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik nicht auf eine Wiederholungsgefahr schließen lässt.8 Soweit der Arbeitgeber sich aber für eine Aussperrung entscheidet, entsteht auf Seiten des Arbeitnehmers ein außerordentliches Kündigungsrecht dergestalt, dass er sich fristlos von dem suspendierten Arbeitsverhältnis trennen kann.9
159a
Voraussetzung für eine mögliche Kündigung wegen der Teilnahme an einem rechtswidrigen Arbeitskampf ist eine vorherige einschlägige (berechtigte) Ab-
160
1 BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, NZA 1999, 587–590 = AP Nr. 149 zu § 626 BGB; v. 30.3.1984 – 2 AZR 362/82 (n.v.) zitiert nach juris. 2 BAG v. 18.6.1970 – 2 AZR 369/69, DB 1970, 1739 = AP Nr. 82 zu § 1 KSchG. 3 LAG Rheinland-Pfalz v. 12.10.2004 – 5 Sa 608/04 zitiert nach juris. 4 BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, DB 1977, 824 = AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Gelsenkirchen v. 13.3.1998 – 3 Ca 3173/97, NZA-RR 1998, 352; KDZ/ Däubler, § 1 KSchG Rz. 187; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 429. 5 BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, DB 1977, 824 = AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 6 BAG v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NZA 1984, 34 = AP Nr. 78 zu § 626 BGB; v. 14.2. 1978 – 1 AZR 76/76, DB 1978, 1403–1405 = AP Nr. 58 zu Art. 9 GG; v. 14.2.1978 – 1 AZR 103/76, DB 1978, 1403–1405 = AP Nr. 59 zu Art. 9 GG. 7 BAG v. 14.2.1978 – 1 AZR 76/76, DB 1978, 1403 = AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 429. 8 Berkowsky, NZA-RR 2001, 1, 17. 9 BAG (GS) v. 21.4.1971 – GS 1/68, DB 1971, 1061 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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Teil 4 Rz. 161
Die verhaltensbedingte Kündigung
mahnung.1 Des Weiteren ist in der vorzunehmenden Interessenabwägung auch ein möglicherweise zuvor erfolgtes provozierendes Verhalten des Arbeitgebers mit zu berücksichtigen.2 Letztlich kommt es aber auch darauf an, ob sich die Beteiligung des Arbeitnehmers lediglich in einer untergeordneten Rolle erschöpft hat, und ob die Arbeitsniederlegung nur kurz und ohne Auswirkung auf die betriebliche Organisation geblieben ist. 161
Bei Beleidigungen während eines Arbeitskampfs3 ist die Meinungs- und Kunstfreiheit des Arbeitnehmers aus Art. 5 GG zu berücksichtigen.4 Fallen Beleidigungen oder kritische Karikaturen im Rahmen von öffentlichen Auseinandersetzungen, gehen die verfassungsmäßigen Rechte des Arbeitnehmers grundsätzlich vor.5 Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist, ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Die Grundrechte treten aber dann zurück, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder eine Schmähung des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt.6
162
Nach Auffassung des BAG ist eine herausgreifende Kündigung zulässig, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.7 Eine herausgreifende Kündigung liegt vor, wenn der Arbeitgeber im Falle eines rechtswidrigen Streiks einzelnen Arbeitnehmern, die trotz wiederholter Aufforderung die Arbeit nicht aufnehmen, kündigt. Im Schrifttum ist die Zulässigkeit der herausgreifenden Kündigung umstritten. 6. Arbeitsversäumnis/-verweigerung a) Arbeitsverweigerung
163
Eine Arbeitsverweigerung ist begrifflich anzunehmen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine bestimmte Arbeit zuweist, die dieser nach Ort, Art und Zeit schuldet, dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht nicht zusteht und der Arbeitnehmer die Weisung dennoch nicht ausführt. Dabei muss die Weisung des Arbeitgebers in individualvertraglich zulässiger und kol-
1 BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, DB 1977, 824 = AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 2 BAG v. 14.2.1978 – 1 AZR 76/76, NJW 1979, 236 = AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 3 Zu Beleidigungen außerhalb des Arbeitkampfs vgl. Rz. 271 ff. 4 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917–923 = AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, NZA 2006, 650–655 = AP Nr. 198 zu § 626 BGB. 5 LAG Niedersachsen v. 7.5.2007 – 6 Sa 1045/05, LAGE Nr. 10 zu § 3 EntgeltfortzG. 6 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917–923 = AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BVerfG v. 16.10.1998 – 1 BVR 1685/92, NZA 1999, 77–79 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Abmahnung; BAG 24.6.2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 158–161 = AP Nr. 49 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 7 BAG v. 21.10.1969 – 1 AZR 93/68, DB 1970, 208 = AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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Einzelfälle
Rz. 166 Teil 4
lektivrechtlich wirksamer Weise erfolgen. Nur in diesem Falle hat der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu Unrecht verweigert oder nicht erbracht. Für die individualvertragliche Zulässigkeit ist von maßgeblicher Bedeutung, ob der Arbeitnehmer zur Erbringung der verlangten Arbeitsleistung verpflichtet war. Aufgrund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einseitig bestimmte Arbeiten unter Beachtung billigen Ermessens im Sinne von § 106 GewO i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB zuweisen, soweit das Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag eingeschränkt ist.1 Demgemäß ist entscheidend, ob der Arbeitgeber das ihm zustehende Direktionsrecht in zulässiger Art und Weise ausgeübt hat.2 Dies ist nicht der Fall, wenn durch Einzelvertrag zugunsten eines Arbeitnehmers eine von der betriebsüblichen Arbeitszeit abweichende verbindliche Festlegung der individuellen Arbeitszeit erfolgte. Ein Arbeitnehmer, der die Arbeiten zu den neuen betriebsüblichen Arbeitszeiten verweigert und die Beibehaltung seiner einzelvertraglichen Arbeitszeit geltend macht, verstößt nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Liegen derartige einzelvertraglichen Festlegungen vor, so wirken sich auch Änderungen der betriebsüblichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung nicht unmittelbar auf den Arbeitsvertrag aus.3
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Trotz einer gesetzes- und vertragsgemäßen Ausübung des Direktionsrechts stellt die Verweigerung der Ausführung einer Arbeitsanweisung kein kündigungsrelevantes Verhalten dar, wenn der Arbeitnehmer von einem bestehenden Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch macht.4 Dem Arbeitnehmer steht nach § 273 Abs. 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht beispielsweise zu, wenn der Arbeitgeber mit Gehältern in erheblicher Höhe in Rückstand ist5, eine Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften vorliegt6 oder der Arbeitgeber seine Verpflichtung aus § 618 Abs. 1 BGB nicht erfüllt.7
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Die Arbeitsverweigerung kann aber auch wegen Verstoßes gegen kollektivrechtliche Bestimmungen gerechtfertigt sein. Die Durchführung einer personellen Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG stellt zunächst nur einen Pflichtverstoß gegenüber dem Betriebsrat dar, der die betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit der Maßnahme zur Folge hat.
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1 BAG v. 11.10.1995 – 5 AZR 1009/94, NZA-RR 1996, 313 = AP Nr. 45 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 11.2.1998 – 5 AZR 472/97, NZA 1998, 647 = AP Nr. 54 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung. 2 Vgl. zur Rechtsprechung zum Direktionsrecht Neuß, NZA-RR 2001, 337. 3 LAG Köln v. 23.5.2001 – 8 Sa 36/01, MDR 2002, 39. 4 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 387/95, NZA 1996, 1085 = AP Nr. 5 zu § 273 BGB; LAG Hamm v. 26.11.1998 – 4 (19) Sa 1360/98, ZInsO 1999, 363; LAG Köln v. 19.5.1999 – 2 Sa 1149/98, ARST 2000, 68; LAG Schleswig-Holstein v. 23.11.2004 – 5 Sa 202/04, AuA 2005, 112. 5 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 387/95, NZA 1996, 1085 = AP Nr. 5 zu § 273 BGB; LAG Köln v. 19.5.1999 – 2 Sa 1149/98, ARST 2000, 68; LAG Schleswig-Holstein v. 23.11.2004 – 5 Sa 202/04, AuA 2005, 112. 6 BAG v. 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, NZA 1997, 86 = AP Nr. 23 zu § 618 BGB. 7 BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, DB 2008, 2030–2032; v. 17.2.1998 – 9 AZR 84/97, NJW 1999, 162 = AP Nr. 26 zu § 618 BGB.
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Teil 4 Rz. 167
Die verhaltensbedingte Kündigung
Eine gleichzeitige individualrechtliche Unwirksamkeit der Maßnahme und ein einhergehendes Leistungsverweigerungsrecht kommen lediglich in Betracht, wenn Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts ein Durchschlagen der Rechtswidrigkeit von der kollektiven auf die individualrechtliche Ebene zwingend erfordert. Ob eine ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführte personelle Einzelmaßnahme unwirksam ist, kann daher nicht einheitlich beantwortet werden, vielmehr ist für die Entscheidung dieser Frage vom Schutzzweck des jeweils betroffenen Mitbestimmungsrechts auszugehen. So dient beispielsweise das Mitbestimmungsrecht bei der Versetzung auch dem Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers, weswegen die fehlende Zustimmung des Betriebsrats die individualrechtliche Unwirksamkeit der Versetzung und das Recht des Arbeitnehmers, die Arbeit zu den geänderten Bedingungen zu verweigern, zur Folge hat.1 Demgegenüber steht das Mitbestimmungsrecht bei der (Wieder-)Einstellung dem Betriebsrat zum Schutz der kollektiven Interessen der von ihm repräsentierten Belegschaft zu. Die fehlende Zustimmung des Betriebsrates zur (Wieder-)Einstellung eines Arbeitnehmers kann für diesen demnach nur dann ein Leistungsverweigerungsrecht begründen, wenn der Betriebsrat sich auf die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts beruft und die Aufhebung der Einstellung verlangt.2 167
" Praxistipp: Für die Frage, ob dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweige-
168
Überdies kann sich ein Leistungsverweigerungsrecht aus einem Gewissensoder Glaubenskonflikt ergeben.3 Der Arbeitgeber hat im Rahmen seines weisungsrechtlichen Ermessens stets auch die verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte des Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen. Der Arbeitnehmer muss in einem solchen Fall seinen Gewissenskonflikt darlegen und begründen. Dies beinhaltet auch die Gründe, warum ihm wegen einer aus einer spezifischen Sachlage folgenden Gewissensnot heraus nicht zuzumuten ist, die an sich vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Steht die Arbeitsanweisung im Widerspruch zur Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers, ist eine verhaltensbedingte Kündigung unzulässig. Es kann dann allenfalls ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund gegeben sein, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn eine andere Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer nicht besteht.4
rungsrecht zusteht, ist neben dem Vorliegen einer gemäß § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Maßnahme und ggf. der Zustimmung des Betriebsrats zu prüfen, ob die Zustimmungsbedürftigkeit gerade auch dem Schutz des Arbeitnehmers dienen sollte.
1 BAG v. 26.1.1988 – 1 AZR 531/86, 1988, NZA 1988, 476 = AP Nr. 50 zu § 99 BetrVG 1972; v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung. 2 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung. 3 BAG v. 20.12.1984 – 2 AZR 436/83, NZA 1986, 21 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 24.5.1989 – 2 AZR 285/88, NZA 1990, 144 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit. 4 BAG v. 25.4.1989 – 2 AZR 285/88, NZA 1990, 144 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit; LAG Hamm v. 8.11.2007 – 15 Sa 271/07, AuA 2008, 304–305.
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Einzelfälle
Rz. 170 Teil 4
Der Arbeitgeber kann aber seinerseits dagegenhalten, dass es durch die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts zu konkreten und erheblichen betrieblichen Störungen kommt. Allerdings ist dieser Einwand nur relevant, wenn der Arbeitgeber bei Ausübung seines Direktionsrechts aus §§ 315 BGB i.V.m. 106 GewO seinerseits die Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers beachtet hat und keine andere Lösung möglich war. Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer zuvor unter Berufung auf seinen Gewissenskonflikt angekündigt hat, dass er nicht zur Arbeit erscheinen werde und der Arbeitgeber den betrieblichen Störungen durch Reorganisation hätte entgegenwirken können.1 Denn bei der Abwägung sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass die beiden verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen jeweils größtmögliche Wirksamkeit entfalten.
168a
So kann etwa bei einer Einteilung zur Samstags- oder Sonntagsarbeit2 die Glaubensfreiheit des Arbeitnehmers aus Art. 4 GG mit der – regelmäßig zurücktretenden – unternehmerischen Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG kollidieren.
169
Auch die Weigerung einer als Verkäuferin in einem Kaufhaus beschäftigten Arbeitnehmerin, entsprechend der Anordnung ihres Arbeitgebers auf das Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit zu verzichten, rechtfertigt nach Auffassung des BAG keine Kündigung. Der Arbeitgeber kann zwar von einem Arbeitnehmer mit Kundenkontakt erwarten, dass dieser sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und des Kundenstamms entsprechend branchenüblich kleidet. Bei der auf sein Direktionsrecht gestützten Festlegung von Bekleidungsregeln hat der Arbeitgeber aber wiederum die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der Arbeitnehmerin ausreichend zu berücksichtigen. Sofern der Arbeitgeber lediglich befürchtet, es werde im Falle des Einsatzes der Arbeitnehmerin zu nicht hinnehmbaren Störungen kommen, hat die unternehmerische Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers hinter der Glaubensfreiheit des Arbeitnehmers zurückzutreten.3
169a
Ein Arbeitnehmer kann sich aber nicht erfolgreich auf seine Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen, wenn er bei der Einstellung mit der Zuweisung einer solchen Tätigkeit hätte rechnen müssen.4
169b
Ein Leistungsverweigerungsrecht ist in Ausnahmefällen auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer durch die Erbringung der Arbeitsleistung in eine unverschuldete Pflichtenkollision gerät. Ist die kollidierende Verpflichtung in ihrem Verhältnis zur Arbeitspflicht nicht gesetzlich geregelt, so ist ein eventuelles Leistungsverweigerungsrecht aufgrund einer objektiven Abwä-
170
1 LAG Hamm v. 8.11.2007 – 15 Sa 271/07, AuA 2008, 304–305; LAG Schleswig-Holstein v. 22.6.2005 – 4 Sa 120/05, AuA 2005, 617. 2 LAG Hamm v. 8.11.2007 – 15 Sa 271/07, AuA 2008, 304–305; LAG Schleswig-Holstein v. 22.6.2005 – 4 Sa 120/05, AuA 2005, 617. 3 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, NZA 2003, 483–487 = AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BAG v. 24.5.1989 – 2 AZR 285/88 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit; v. 20.12. 1984 – 2 AZR 436/83 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 316.
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Teil 4 Rz. 171
Die verhaltensbedingte Kündigung
gung der zu berücksichtigenden beiderseitigen Interessen zu ermitteln.1 Das BAG hat ein Leistungsverweigerungsrecht im Falle der Verpflichtung zur Ableistung eines ausländischen Wehrdienstes angenommen.2 Demgegenüber kann eine ordentliche Kündigung aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt sein, wenn der Wehrdienst mehr als zwei Monate dauert und der wehrdienstbedingte Ausfall zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führt und nicht durch zumutbare personelle oder organisatorische Maßnahmen überbrückt werden kann.3 Familiäre Gründe, wie die Sorge für ein erkranktes Kind, führen erst dann zu einem Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Konflikt nach vergeblichem Ausschöpfen aller möglichen Maßnahmen zur Abwendung nicht gelöst werden kann.4 171
Soweit die geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigert wird, ist in der Regel eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt.5 Aber auch im Falle beharrlicher Arbeitsverweigerung kann sich im konkreten Einzelfall aus dem Ultimaratio-Prinzip ergeben, dass nur eine ordentliche Kündigung auszusprechen ist.6 Beharrlichkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer wiederholt, bewusst und nachhaltig seine Arbeitspflicht verletzt, was eine vorhergehende Arbeitsaufforderung notwendig macht. Maßgeblich ist, ob aufgrund des Verhaltens die Besorgnis besteht, dass der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht auch in Zukunft nicht vertragsgemäß nachkommen wird. Dies ist im Rahmen einer Negativprognose festzustellen und lässt sich regelmäßig aus einer wiederholten Pflichtverletzung herleiten.7 Die Arbeitsverweigerung wird aber typischerweise aus einem konkreten Anlass heraus begangen worden sein, so dass eine für die Negativprognose notwendige Wiederholungsgefahr nicht ohne Weiteres bei einem einmaligen Verstoß gegeben sein wird.8 Im konkreten Einzelfall kann aber auch die erstmalige Vertragsverletzung ausnahmsweise den Begriff der Beharrlichkeit erfüllen, wenn aus der Willensrichtung des Arbeitnehmers deutlich wird, Weisungen des Arbeitgebers nicht befolgen zu wollen.9
171a
Grundsätzlich ist die bloße Ankündigung einer Arbeitsverweigerung nicht als beharrlich zu qualifizieren.10 Insoweit hat der Arbeitgeber zunächst abzuwarten, 1 Berkowsky, NZA-RR 2001, 1, 9. 2 BAG v. 22.12.1982 – 2 AZR 282/82, DB 1983, 1602 = AP Nr. 23 zu § 123 BGB. 3 BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, NZA 1989, 464 = AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung. 4 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 10/92, NZA 1993, 115 = AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 5 BAG v. 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487 = AP Nr. 130 zu § 626 BGB; v. 5.4. 2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung; LAG Köln v. 14.8.2001 – 13 Sa 319/01, EzA-SD 2001, Nr. 22, 15–16. 6 BAG v. 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487–491 = AP Nr. 130 zu § 626 BGB. 7 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung; LAG Köln v. 14.8.2001 – 13 Sa 319/01, EzA-SD 2001, Nr. 22, 15–16. 8 BAG v. 20.12.1984 – 2 AZR 436/83, NZA 1986, 21–23 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557–560 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 9 BAG v. 21.11.1996 – 2 AZR 357/95, AP Nr. 130 zu § 626 BGB = NZA 1997, 487–491. 10 LAG Düsseldorf v. 19.11.1996 – 3 Sa 1185/96, LAGE § 626 BGB Nr. 104.
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Einzelfälle
Rz. 175 Teil 4
ob die erklärte Absicht auch wahr gemacht wird.1 Ausreichen kann es aber, wenn der Arbeitnehmer mit einer gewissen Ernsthaftigkeit für die Zukunft androht, die Arbeit pflichtwidrig nicht aufnehmen zu wollen.2 Ist eine Beharrlichkeit abzulehnen, kommt allenfalls eine ordentliche Kündigung in Betracht. Da eine Wiederholungsgefahr in der Regel nicht gegeben sein wird, ist eine vorherige Abmahnung grundsätzlich erforderlich, sofern im Einzelfall nicht das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien vollständig zerstört wurde.3 Verweigert der Arbeitnehmer jedoch die Arbeitsleistung für bestimmte Fälle endgültig und definitiv, so wird nicht damit zu rechnen sein, dass der Arbeitnehmer zukünftig seiner gesetzes- und vertragsgemäßen Arbeitspflicht nachkommt und folglich eine Abmahnung entbehrlich sein. In dieser Konstellation ist die Abmahnung selbst dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterliegt, wenn etwa der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mehrfach zur Arbeitsaufnahme auffordert und hierbei auf die fehlenden Voraussetzungen einer wirksamen Leistungsverweigerung hinweist, der Arbeitnehmer sich aber dennoch beharrlich auf ein angebliches Leistungsverweigerungsrecht beruft.4
172
Eine verhaltensbedingte Kündigung scheidet dagegen aus, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines unverschuldeten Rechtsirrtums die Arbeit verweigert.5
173
" Praxistipp: Im Falle eines unverschuldeten Rechtsirrtums kann gleichwohl
173a
Eine Arbeitsverweigerung wurde in folgenden Fällen verneint:
174
Der Arbeitgeber fordert vom Arbeitnehmer nach Ablauf des attestierten Arbeitsunfähigkeitszeitraums vor Annahme der Dienste des Arbeitnehmers eine Gesundschreibung.6 Der Arbeitnehmer verweigert seine Arbeitsleistung ausschließlich in einem zentralen Schreibbüro, wobei ihm die Leistung der Arbeit ausschließlich an diesem Ort nicht möglich ist.7
175
eine Abmahnung des Verhaltens in Betracht gezogen werden, um die Grundlagen des Irrtums für die Zukunft zu beseitigen, da die Abmahnung gerade kein schuldhaftes Verhalten voraussetzt.
Darüber hinaus ist ein gekündigter Arbeitnehmer in der Zeit zwischen Kündigungstermin und Rechtskraft des seiner Kündigungsschutzklage stattgebenden 1 BAG v. 12.1.1951 – 2 AZR 117/54, MDR 1956, 394 = AP Nr. 5 zu § 123 GewO. 2 LAG Nürnberg v. 16.10.2007 – 7 Sa 233/07, NZA-RR 2008, 68–71. 3 Vgl. Rz. 171; BAG v. 20.12.1984 – 2 AZR 436/83, NZA 1986, 21–23 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NJW 1991, 1906–1908 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 88/07, AiB 2008, 683–684 = AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969. 5 BAG v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, DB 1973, 1904 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 14.2.1978 – 1 AZR 103/76, DB 1978, 1403 = AP Nr. 59 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NZA 1984, 34 = AP Nr. 78 zu § 626 BGB; v. 31.1. 1985 – 2 AZR 486/83, NZA 1986, 138 = AP Nr. 6 zu § 8a MuSchG; LAG Köln v. 29.6. 2001 – 11 Sa 143/01, NZA-RR 2002, 356. 6 LAG Schleswig-Holstein v. 6.9.2007 – 4 Sa 204/07 zitiert nach juris; LAG Düsseldorf v. 23.3.2007 – 9 Sa 292/07, NZA-RR 2007, 457–459; LAG Berlin v. 10.5.2001 – 10 Sa 2695/00, NZA-RR 2002, 23 = LAGE § 626 BGB Nr. 135. 7 ArbG Duisburg – 1 Ca 1152/00, NZA-RR 2001, 304.
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Teil 4 Rz. 176
Die verhaltensbedingte Kündigung
Urteils in der Regel nicht verpflichtet, ein Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers anzunehmen.1 Lehnt der Arbeitnehmer allerdings ein solches Prozessrechtsarbeitsverhältnis ab, so ist dies als böswillig i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG anzusehen, mit der Folge, dass eine Anrechnung gemäß § 11 KSchG bzw. § 615 Satz 2 BGB erfolgen kann.2 b) Eigenmächtige(r) Urlaubsantritt oder -überschreitung 176
Der eigenmächtige Urlaubsantritt kann sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.3 Er stellt einen Unterfall der Arbeitsverweigerung dar, da der Arbeitnehmer zwar einen gesetzlichen, vertraglichen oder tarifvertraglichen Urlaubsanspruch hat, der genaue Zeitpunkt der Urlaubsgewährung aber Ausdruck des vom Direktionsrecht getragenen Leistungsbestimmungsrechts des Arbeitgebers ist, das in § 7 BUrlG spezialgesetzlich seinen Niederschlag gefunden hat. Hatte der Arbeitgeber die Urlaubsgewährung ausdrücklich abgelehnt, so wird regelmäßig eine beharrliche Arbeitsverweigerung vorliegen, die einer außerordentlichen Kündigung zugänglich ist.4
177
Eine willkürliche Urlaubsverweigerung des Arbeitgebers ist gegebenenfalls im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.5 Die Urlaubserteilung ist Recht und Pflicht des Arbeitgebers, ohne dass sie zu ihrer Wirksamkeit einer Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf. Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ist demgegenüber ein durch das BUrlG bedingter Freistellungsanspruch, von den nach dem Arbeitsverhältnis bestehenden Arbeitspflichten befreit zu werden.6 Der Arbeitgeber hat daher bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG in erster Linie die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, ent-
1 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 23.11.2000 – 1 Sa 249/00, NZA-RR 2001, 187 = LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 43. 2 Änderungskündigung BAG v. 16.6.2004 – 5 AZR 508/03, NZA 2004, 1155–1157 = AP Nr. 11 zu § 615 BGB Böswilligkeit; betriebsbedingte Kündigung BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348–1351 = AP Nr. 112 zu § 615 BGB. 3 BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548 = AP Nr. 115 zu § 626 BGB; v. 22.1. 1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708 = AP Nr. 38 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 16.3. 2000 – 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332 = AP Nr. 114 zu § 102 BetrVG 1972; LAG Schleswig-Holstein v. 20.2.1997 – 4 Sa 510/96, ARST 1997, 161; LAG Hamm v. 21.10.1997 – 4 Sa 707/97, NZA-RR 1999, 76; LAG Köln v. 16.3.2001 – 11 Sa 1479/00, NZA-RR 2001, 533; LAG Niedersachsen v. 29.9.2006 – 16 Sa 490/06, AuA 2007, 113; LAG Hamm v. 27.8.2007 – 6 Sa 751/07, ArbuR 2008, 117–118. 4 BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548 = AP Nr. 58 zu § 611 BGB Urlaubsrecht. 5 BAG v. 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332 = AP Nr. 114 zu § 102 BetrVG 1972; 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548–551 = AP Nr. 115 zu § 626 BGB; LAG Hamm v. 27.8.2007 – 6 Sa 751/07, ArbuR 2008, 117–118. 6 BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473–475 = EzA Nr. 119 zu § 7 BUrlG; v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG.
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Einzelfälle
Rz. 179 Teil 4
gegenstehen.1 Ein Recht des Arbeitgebers zur beliebigen Urlaubserteilung im Urlaubsjahr oder zur Erteilung des Urlaubs nach billigem Ermessen besteht dagegen nicht.2 Wenn der Arbeitgeber den Urlaubsantrag zu Unrecht ablehnt, kann der Arbeitnehmer sich zunächst an den Betriebsrat wenden, §§ 85, 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. Zur Durchsetzung seines Urlaubsanspruches muss er jedoch das „umfassende System gerichtlichen Rechtsschutzes“ in Anspruch nehmen.3 Gleichwohl erkennt das BAG eine Ausnahme vom Verbot des eigenmächtigen Urlaubsantritts an, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum den Urlaub verwehrt hat, eine Urlaubsgewährung auch für die nächste Zeit nicht in Aussicht stellt und gerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig – also vor einem Verfall des Urlaubsanspruchs – zu erlangen ist.4 Der Arbeitnehmer kann sich aber nicht erfolgreich auf den drohenden Verfall seines Urlaubsanspruchs berufen, nur weil sich das Urlaubsjahr oder der Übertragungszeitraum dem Ende nähert, soweit ein vom Arbeitnehmer gefürchteter Urlaubsverfall zu einem Anspruch auf Ersatzurlaub im Wege des Schadensersatzes führen würde.5 Ferner ist der Arbeitnehmer nicht berechtigt, seinen Urlaubsanspruch durch Zurückhaltung der Arbeitsleistung durchzusetzen. Im Falle der Urlaubsverweigerung steht dem Arbeitnehmer nämlich kein Leistungsverweigerungsrecht zu, da ein solches nur der Sicherung eines Anspruchs dienen kann und nicht zu einer Erfüllung des Anspruchs führen darf.6
178
Eine weitere Ausnahme ist aber dann zu machen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hat und den Resturlaub in der Kündigungsfrist nehmen will, soweit der Arbeitgeber ohne sachlichen Grund die Urlaubsgewährung verweigert.7
178a
Abschließend ist zu berücksichtigen, dass eine Abmahnung regelmäßig entbehrlich ist, da der Arbeitnehmer davon ausgehen kann, dass der Arbeitgeber den eigenmächtigen Urlaubsantritt nicht billigt.8 Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB für eine auf einen eigenmächtigen Urlaubsantritt gestützte
179
1 BAG v. 22.9.1992 – 9 AZR 483/91, NZA 1993, 406 = AP Nr. 13 zu § 7 BUrlG; vgl. zu weiteren Einzelheiten über die zeitliche Festlegung des Erholungsurlaubes ErfK/Dörner, 7 BUrlG Rz. 10. 2 BAG 31.1.1996 – 2 AZR 282/95 (n.v.) zitiert nach juris, EzA Nr. 47 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 3 BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548 = AP Nr. 58 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; LAG Rheinland-Pfalz v. 7.3.2002 – 7 Ta 226/02, NZA-RR 2003, 130 zur Einstweiligen Verfügung. 4 BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548 = AP Nr. 58 zu § 611 BGB Urlaubsrecht. 5 LAG Köln v. 16.3.2001 – 11 Sa 1470/00, NZA-RR 2001, 533. 6 BAG 13.3.2008 – 2 AZR 88/07, AiB 2008, 683–684 = AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969; Leinemann/Linck, 2. Auflage, § 7 BUrlG Rz. 22. 7 HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 253. 8 LAG Köln v. 16.3.2001 – 11 Sa 1479/00, NZA-RR 2001, 533; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 652.
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Teil 4 Rz. 179a
Die verhaltensbedingte Kündigung
außerordentliche Kündigung beginnt frühestens mit dem Ende der unentschuldigten Fehlzeit.1 179a
" Praxistipp: Der Arbeitgeber ist in einem späteren Kündigungsschutzprozess
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Die eigenmächtige Urlaubsüberschreitung ist kündigungsrechtlich wie ein eigenmächtiger Urlaubsantritt zu beurteilen. Eine solche kann aber im konkreten Einzelfall – etwa durch einen Fluglotsenstreik – gerechtfertigt oder entschuldigt sein. Ob im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, hängt davon ab, ob die Urlaubsüberschreitung erheblich ist oder diese aus sonstigen Gründen eine beharrliche Arbeitsverweigerung darstellt.
für die Verweigerung des Urlaubsantrags beweispflichtig. Es gilt aber eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Wenn der Arbeitgeber ein unentschuldigtes Fehlen durch eigenmächtigen Urlaubsantritt behauptet, muss der Arbeitnehmer zunächst eine entsprechende Urlaubsbewilligung im Einzelnen darlegen. Sodann hat der Arbeitgeber die Versagung des Urlaubs zu beweisen.
c) Mehrarbeitsverweigerung 181
Die Weigerung eines Arbeitnehmers, zulässig angeordnete Mehrarbeit zu leisten, kann nach vorheriger Abmahnung eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.2 Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag zur Ableistung der Mehrarbeit verpflichtet ist. Im Allgemeinen schuldet ein Arbeitnehmer nur die Arbeitsleistung während der Regelarbeitszeit. Ob ein Arbeitnehmer darüber hinaus verpflichtet ist, Mehrarbeit durchzuführen, hängt davon ab, aus welchen Gründen diese von ihm gefordert wird. Aus der arbeitsvertraglichen Treuepflicht heraus ist er jedenfalls dann verpflichtet, Mehrarbeit zu leisten, wenn sich der Arbeitgeber in einer Notlage befindet, der anders nicht begegnet werden kann.3 Ferner muss die Anordnung von Mehrarbeit stets billigem Ermessen nach § 106 GewO i.V.m. § 315 BGB gerecht werden.4
182
Hinzuweisen ist darauf, dass die Vereinbarung von Teilzeit Mehrarbeit ausschließt, auch wenn die Teilzeitvereinbarung keine ausdrückliche Regelung enthält.5 Ständige tatsächliche Mehrarbeit kann aber eine konkludente Vertragsänderung bewirken. Die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber – auch längere Zeit – unter deutlicher Überschreitung der vertraglich vorgesehenen Arbeitszeit eingesetzt wird, ergibt für sich genommen zwar noch keine Ver1 BAG v. 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708 = AP Nr. 38 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 2 LAG Nürnberg v. 9.1.2007 – 7 Sa 79/06, NZA-RR 2007, 357–362; LAG Köln v. 27.4.1999 – 13 Sa 1380/98, NZA 2000, 39 = LAGE § 626 BGB Nr. 126; LAG Schleswig-Holstein v. 26.7.2001 – 3 Sa 224/01, AuA 2001, 517. 3 LAG Schleswig-Holstein v. 26.6.2001 – 3 Sa 224/01, AuA 2001, 517. 4 LAG Köln v. 27.4.1999 – 13 Sa 1380/98, NZA 2000, 39–41 = LAGE Nr. 126 zu § 626 BGB. 5 LAG Bremen v. 29.4.1998 – 2 Sa 223/97 (n.v.); KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 437; Berkowsky, NZA-RR 2001, 1, 10, wenn die Stundenreduzierung auf dem Willen des Arbeitnehmers beruht.
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Eisenbeis
Einzelfälle
Rz. 185 Teil 4
tragsänderung, da es sich bei dem Arbeitseinsatz um ein tatsächliches Verhalten handelt, dem nicht notwendig ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert in Bezug auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zukommt. Die dem erhöhten Arbeitseinsatz zugrunde liegenden Absprachen, zu denen auch die betrieblichen Anforderungen zählen, die vom Arbeitgeber gestellt und vom Arbeitnehmer akzeptiert werden, können aber die Annahme einer dauerhaften Vertragsänderung mit einer erhöhten regelmäßigen Arbeitszeit bedingen. Dafür kann vor allem von Bedeutung sein, um welche Art von Arbeit es sich handelt, wie sie in die betrieblichen Abläufe integriert ist und in welcher Weise die Arbeitszeit hinsichtlich Dauer und Lage geregelt bzw. ausgedehnt wird.1 Im Rahmen einer Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung von Mehrarbeit eine Sonderverpflichtung darstellt, die über den arbeitsvertraglich vorgesehenen Regelumfang der Arbeitsverpflichtung hinausgeht und eine Arbeitsvertragsverletzung in Form der unberechtigten Nichtableistung von Mehrarbeit weniger schwer wiegt, wenn ein Arbeitnehmer in der Vergangenheit bereits häufig Mehrarbeit geleistet hat.2
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d) Unentschuldigtes Fehlen Ein unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers ist im Wiederholungsfall nach einschlägiger Abmahnung je nach den Umständen des Einzelfalls an sich geeignet, eine ordentliche3 oder eine außerordentliche Kündigung zu begründen.4 Dies gilt bereits bei einem unentschuldigten Fehlen für die Dauer eines ganzen Arbeitstages ohne ausreichende Information des Arbeitgebers.5
184
Dem Arbeitgeber obliegt nicht nur der Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer überhaupt gefehlt hat, sondern auch dafür, dass er unentschuldigt gefehlt hat, beispielsweise die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorlag.6 Demgegenüber obliegt es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht, Betriebsablaufstörungen infolge des unentschuldigten Fehlens des Arbeitnehmers konkret darzulegen.7 Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer, der einen Beendigungsrechtsstreit rechtskräftig gewonnen hat, erst dann unentschuldigt fehlt, wenn er vom Arbeitgeber zur Arbeitsaufnahme aufgefordert worden ist.8
185
1 2 3 4
5 6 7 8
BAG v. 25.4.2007 – 5 AZR 504/06, NZA 2007, 801–803 = AP Nr. 121 zu § 615 BGB. LAG Köln v. 27.4.1999 – 13 Sa 1380/98, NZA 2000, 39 = LAGE § 626 BGB Nr. 126. BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63–67 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 88/07, AiB 2008, 683–684 = AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969; v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893–898 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972; v. 22.1. 1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708–710 = AP Nr. 38 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 9.5.1996 – 2 AZR 387/95, NZA 1996, 1085–1087 = AP Nr. 5 zu § 273 BGB. BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 147/00, FA 2001, 305 = EzA § 626 BGB n.F. Nr. 185. LAG Köln v. 24.9.1999 – 4 Sa 29/99, (n.v.); vgl. Rz. 87 zur Darlegungs- und Beweislast von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen. BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 147/00, FA 2001, 305 = EzA § 626 BGB n.F. Nr. 185. BAG v. 19.1.1999 – 9 AZR 679/97, NZA 1999, 925 = AP Nr. 79 zu § 615 BGB; LAG Hessen v. 7.11.2000 – 9 Sa 675/00, (n.v.).
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Teil 4 Rz. 186
Die verhaltensbedingte Kündigung
e) Unpünktlichkeit 186
Wiederholt schuldhaft verspätetes Erscheinen am Arbeitsplatz trotz einschlägiger vorheriger Abmahnung kann eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen.1 Soweit die wiederholten Unpünktlichkeiten eines Arbeitnehmers den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verweigerung der Arbeitspflicht erreichen, sind diese sogar an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.2
187
Dies gilt auch für den Fall der Nichteinhaltung der Kernarbeitszeit3 und dem unbefugten Verlassen des Arbeitsplatzes.4
188
Im Rahmen der Interessenabwägung sind sowohl die Ursachen, die Häufigkeit, die Dauer der Unpünktlichkeiten als auch etwaige Betriebsablaufstörungen – die nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung sind5 – zu berücksichtigen.6 Daneben ist von einem abgemahnten Arbeitnehmer zu erwarten, dass er besondere Vorkehrungen trifft, nicht erneut zu spät zu kommen.7
189
Entschuldigt sich der Arbeitnehmer, der stets das Wegerisiko trägt, mit einem unvorhergesehenen Ereignis wie einem Unfall auf der Autobahn, muss er konkret darlegen, durch welches unvorhergesehene Verkehrsereignis die Verspätung verursacht wurde. Er muss mit Verkehrsbehinderungen rechnen und seine Anfahrtszeit entsprechend großzügiger einteilen, anderenfalls verhält er sich vertragswidrig.8 7. Außerdienstliches Verhalten
190
Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich kein Anspruch des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer sein privates außerdienstliches Verhalten an den Interessen des Arbeitgebers ausrichtet. Außerdienstliches Verhalten ist daher nur dann geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu begründen, wenn eine konkrete Beein1 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 15.11.2001 – 2 AZR 609/99, NZA 2002, 968 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; LAG Berlin v. 12.8.1996 – 9 Sa 47/96, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55; LAG Hamm v. 8.10.1997 – 18 Sa 539/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60; v. 21.6.2000 – 18 Sa 2191/99, BuW 2001, 526; v. 25.10.2007 – 15 Sa 1113/07, AuA 2008, 432. 2 BAG v. 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, NZA 1989, 261 = AP Nr. 99 zu § 626 BGB; LAG Hamm v. 25.10.2007 – 15 Sa 1113/07, AuA 2008, 432. 3 LAG München v. 5.10.1988 – 8 Sa 272/88, DB 1989, 283 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 16. 4 LAG Schleswig-Holstein v. 14.10.2002 – 4 Sa 71/02 (n.v.) zitiert nach juris; LAG Hessen v. 8.7.1999 – 14 Sa 1613/98, LAGE Nr. 125a zu § 626 BGB. 5 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 6 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 444; KDZ/Däubler, § 1 KSchG Rz. 248; v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 678. 7 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 8 LAG Hamm v. 8.10.1997 – 18 Sa 539/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60.
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Einzelfälle
Rz. 192 Teil 4
trächtigung des Arbeitsverhältnisses, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im Unternehmensbereich vorliegt.1 Soweit das BAG eine konkrete Berührung des Arbeitsverhältnisses ausreichen lässt, so ist dies ungenau formuliert. Voraussetzung ist stets, dass das außerdienstliche Verhalten vertragswidrig ist.2 Insofern muss die Verpflichtung zu vertragsgemäßem Verhalten im außerdienstlichen Bereich auf einer gesetzlichen, einzelvertraglichen oder kollektiv-rechtlichen Nebenpflicht beruhen.3 Außerdienstliches Verhalten, das nicht vertragswidrig ist, kann eine Kündigung nicht rechtfertigen. Soweit aber ein außerdienstliches Verhalten die persönliche Eignung eines Arbeitnehmers in öffentlichkeitswirksamen Positionen beeinträchtigt, kann ausnahmsweise eine personenbedingte Kündigung in Frage kommen.4
191
a) Lebenswandel Unter Verweis auf die allgemeinen Grundsätze zum außerdienstlichen Verhalten ist der private Lebenswandel grundsätzlich kündigungsrechtlich irrelevant. Insbesondere ist der Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag nicht zum Sittenwächter über die in seinem Betrieb tätigen Arbeitnehmer berufen.5 Demgemäß ist die Eingehung einer Ehe oder Partnerbeziehung, ein außereheliches Kind oder die ausgeübte sexuelle Neigung im Regelfall kein Kündigungsgrund.6 Eine Kündigung wegen der sexuellen Neigung bedarf seit Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zusätzlich einer besonderen Rechtfertigung. Auch intime Beziehungen zwischen volljährigen Arbeitnehmern, die ehewidrig sind, stellen keinen Kündigungsgrund dar, es sei denn, sie führen zu konkreten betrieblichen Störungen.7 Entsprechendes gilt für den Vorwurf der verschuldeten Vermögenslosigkeit auf Grund von Unterhaltsverpflichtungen durch eine Ehescheidung, da es keinen staatlich durchsetzbaren Anspruch gibt, dass ein Ehegatte bis zum Tode an der Eheschließung festhalte.8 Demgegenüber rechtfertigt ein intimes Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Auszubildendem bzw. jugendlichem Mitarbeiter in der Regel eine ordentliche Kün1 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/07, DB 2009, 1544 (n.v.); v. 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282 m.w.N.; KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 414; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 327a ff. 2 HK-KSchG/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 808; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 450; KDZ/ Däubler, § 1 KSchG Rz. 204a. 3 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 451. 4 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 450. 5 BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, NZA 1994, 1080 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung. 6 BAG v. 30.6.1983 – 2 AZR 524/81, NJW 1984, 1917 = AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; LAG Hamm v. 19.1.2001 – 5 Sa 491/00, EzA SD 2001, Nr. 4, 8–11; ArbG Passau v. 11.12.1997 – 2 Ca 711/97, NZA 1998, 427. 7 LAG Hamm v. 1.3.1990 – 17 Sa 1326/89, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 28. 8 LAG Hamm v. 1.3.1990 – 17 Sa 1326/89, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 28; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 699.
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192
Teil 4 Rz. 193
Die verhaltensbedingte Kündigung
digung gegenüber dem Vorgesetzten.1 Dies gilt auch bei einer intimen Beziehung zwischen einem Krankenhausarzt und einer Patientin2 sowie zwischen einer Bewährungshelferin und einem flüchtigen Strafgefangenen.3 193
Ein Alkoholgenuss außerhalb der Dienstzeiten kann kündigungsrechtlich relevant sein, sofern der Arbeitnehmer gehalten ist, nicht unter Alkoholeinfluss seine Arbeit anzutreten. Dies gilt nicht nur bei einem Alkoholverbot, sondern auch dann, wenn der Alkoholkonsum Einfluss auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers hat oder zur konkreten Gefährdung anderer Arbeitnehmer führt (vgl. hierzu auch Rz. 148 ff.).
194
Überdies kann einem Leiter einer Bankfiliale nicht allein wegen zahlreicher Spielbankbesuche und des dortigen Spielens gekündigt werden, wenn diese Besuche ohne konkrete Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis geblieben sind.4 Auch außerdienstliche politische Betätigungen können vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit und der Freiheit politischer Betätigung nur im Falle einer konkreten Vertragsverletzung eine Kündigung rechtfertigen.5 b) Schulden/Lohnpfändungen
195
Schulden eines Arbeitnehmers gehören zu dem Bereich der privaten Lebensführung und stellen für sich allein keinen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar. Sie können allenfalls – je nach Arbeitsaufgabe – die Eignung des Arbeitnehmers für die vertraglich geschuldete Tätigkeit entfallen lassen und damit eine personenbedingte Kündigung begründen.6
196
Daneben rechtfertigt das Vorliegen mehrerer Lohnpfändungen oder Abtretungen allein noch keine Kündigung. Nach einer frühen Entscheidung des BAG aus dem Jahre 1981 konnte eine Kündigung dann sozial gerechtfertigt sein, wenn im Einzelfall zahlreiche Lohnpfändungen oder Abtretungen einen derartigen Arbeitsaufwand des Arbeitgebers verursachen, dass dieser – nach objektiver Beurteilung – zu wesentlichen Störungen im Arbeitsablauf (etwa in der Lohnbuchhaltung oder Rechtsabteilung) oder in der betrieblichen Organisation führt.7 Da der kosten- und arbeitsmäßige Aufwand nicht allein von der Anzahl der Pfändungen, sondern vielmehr von einer Vielzahl weiterer Faktoren (z.B. Aufeinandertreffen von Forderungen mit verschiedener Rangfolge; Zusammentreffen von Pfändungen mit Abtretungen; Höhe der einzelnen Verbindlichkei1 HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 225; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 454; v. HoyningenHuene/Linck, § 1 KSchG Rz. 590. 2 BAG v. 18.10.1990 – 2 AZR 157/90, RzK III 2 A Nr. 18. 3 LAG Sachsen v. 17.12.1997 – 2 Sa 648/97, AuA 1998, 182 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61. 4 LAG Hamm v. 14.1.1998 – 3 Sa 1087/97, LAGE § 626 BGB Nr. 119. 5 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 457. 6 BAG v. 4.11.1981 – 7 AZR 264/79, DB 1982, 498 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 15.10.1992 – 2 AZR 188/92, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45. 7 BAG v. 4.11.1981 – 7 AZR 264/79, DB 1982, 498 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 15.10.1992 – 2 AZR 188/92, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45.
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Einzelfälle
Rz. 200 Teil 4
ten; zeitliche Abfolge der Pfändungen; Einbeziehung des Arbeitgebers in Drittschuldnerprozess etc.) abhängt, kann sich der Arbeitgeber nicht auf die Darlegung der Anzahl der Lohnpfändungen beschränken, sondern muss konkret vortragen, ob und in ggf. welchem Ausmaß und in welcher Art durch die Bearbeitung von Pfändungen wesentliche Störungen des Betriebsablaufs oder der betrieblichen Organisation im Zusammenhang mit der Größe und Struktur des Betriebs eingetreten sind. Ob diese Rechtsprechung im Zeitalter der EDV angesichts des geringen betrieblichen Aufwandes aufrechterhalten werden kann, erscheint sehr zweifelhaft. Da in diesen Fällen darüber hinaus ein steuerbares Verhalten und folglich auch ein Verschulden des Arbeitnehmers regelmäßig fehlt, erscheint es nicht gerechtfertigt, das Vorliegen von zahlreichen Lohnpfändungen alleine zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung ausreichen zu lassen. Dies muss auch deshalb gelten, weil nach zuzustimmender Auffassung des BAG1 es zur Kündigung in diesem Fall einer Abmahnung nicht bedarf, da nicht das Schuldenmachen, sondern ein Verhalten unterbunden werden soll, das mittelbar zu erheblichen Betriebsstörungen führt. Da eine solche Abmahnung regelmäßig ins Leere geht, zumal der Arbeitnehmer – als Schuldner der Forderung – keinen verbindlichen Einfluss auf die Vollstreckungshandlungen des Gläubigers hat, würde es vorliegend vom Zufall abhängen, ob mehrere Vollstreckungsmaßnahmen zusammenfallen und dadurch ein erhöhter betrieblicher Aufwand entsteht. Ein zufällig auftretender Sachverhalt, auf den der Arbeitnehmer nur mittelbar oder keinen Einfluss hat, kann eine verhaltensbedingte Kündigung aber nicht rechtfertigen.
197
Selbst, wenn man das Vorliegen von zahlreichen Lohnpfändungen ausreichen lässt, ist zu berücksichtigen, dass in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Änderungskündigung mit dem Ziel ins Auge zu fassen ist, eine einzelvertragliche Kostenerstattung oder ein einzelvertragliches Abtretungsverbot durchzusetzen.2
198
c) Strafbare Handlungen Außerdienstlich begangene Straftaten sind geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen, wenn das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird.3 Diesbezüglich ist auf die Ausführungen zu den allgemeinen Voraussetzungen unter Rz. 270 ff. zu verweisen.
199
d) Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, in Tendenzbetrieben und kirchlichen Einrichtungen Bei Angestellten des öffentlichen Dienstes ist zu berücksichtigen, dass die dienstliche Verwendbarkeit durch außerdienstliche Vorgänge beeinflusst wer1 BAG v. 4.11.1981 – 7 AZR 264/79, DB 1982, 498 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 2 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 461. 3 LAG Köln v. 15.11.2000 – 7 Sa 1496/98, (n.v.).
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200
Teil 4 Rz. 201
Die verhaltensbedingte Kündigung
den kann. Die Öffentlichkeit misst das Verhalten eines öffentlich Bediensteten an einem strengeren Maßstab als dasjenige privat Beschäftigter. Aus diesem Grund wird in der Rechtsprechung auch das außerdienstliche Verhalten kündigungsrelevant bewertet. Der Angestellte des öffentlichen Dienstes muss sein außerdienstliches Verhalten so einrichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird. Er hat zwar das Recht, sein Privatleben so zu gestalten, wie es ihm beliebt. Er hat jedoch auch außerhalb des Dienstes die Rechtsordnung zu wahren.1 Beeinträchtigt der Angestellte das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers, können auch außerdienstliche Straftaten, die keinen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweisen, einen Kündigungsgrund darstellen.2 Der öffentliche Arbeitgeber kann und darf nicht den Eindruck entstehen lassen, dass Opfer von Straftaten einer sich kriminellen Methoden bedienender Staatsmacht oder den Gelüsten eines für diesen handelnden Bediensteten hilflos preisgegeben sind.3 Selbst eine konkret messbare Ansehensschädigung muss nicht nachgewiesen werden, wenn der Angestellte eine seine Weiterbeschäftigung ausschließende massive Rechtsverletzung begangen hat.4 201
Zur Kündigung von Mitarbeitern in Tendenzbetrieben, also Betrieben, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken dienen, ist zunächst festzuhalten, dass das Kündigungsschutzgesetz ohne Einschränkung – wohl aber mit Besonderheiten – Anwendung findet. Im Unterschied zum Betriebsverfassungsgesetz kennt das Kündigungsschutzgesetz keine dem § 118 BetrVG vergleichbare Bestimmung, der zufolge im Interesse des Grundrechtsschutzes Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung finden, soweit die Eigenart des Unternehmens oder Betriebes dem entgegensteht.5 Die Besonderheit bei der Anwendung des KSchG liegt darin, dass bei einer verhaltensbedingten Kündigung von Tendenzträgern, also solchen Arbeitnehmern, die zur Verwirklichung der unternehmerischen Tendenz unmittelbar und maßgeblich beitragen, die verfolgte Tendenz mit zu berücksichtigen ist. Insoweit ist auch das außerbetriebliche Verhalten des Tendenzträgers von Bedeutung, das nicht gegen Grundsätze der verfolgten Tendenz verstoßen darf. So kann ein Redakteur einer außerbetrieblichen Beschränkung der Meinungsfreiheit unterliegen, soweit es sich um tendenzfeindliche Äußerungen in Massenmedien handelt.6 Gleiches muss für einen Tendenzträger gelten, der außerdienstlich in einer Organisation tätig ist, 1 BAG v. 14.2.1996 – 2 AZR 274/95, NZA 1996, 873 = AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen; v. 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, NZA 1998, 323 = AP Nr. 43 zu § 1 KSchG 1969; v. 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282 = AP Nr. 163 zu § 626 BGB; LAG Düsseldorf v. 14.3.2000 – 2 Sa 109/00, ZTR 2000, 423; LAG Hamm v. 19.1. 2001 – 5 Sa 491/00, EzA SD 2001, Nr. 4, 8–11; LAG Köln v. 16.10.2001 – 1 (2) Sa 501/01, (n.v.). 2 BAG v. 14.2.1996 – 2 AZR 274/95, NJW 1996, 2253 = AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 3 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 25/07 (n.v.), DB 2008, 2312–2313. 4 BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282 = AP Nr. 163 zu § 626 BGB. 5 BAG v. 16.1.1997 – 2 AZR 98/96, BuW 1997, 400. 6 LAG Berlin v. 6.12.1982 – 9 Sa 80/82, ZUM 1985, 272–280 = LAGE § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 4.
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Einzelfälle
Rz. 203 Teil 4
die den Tendenzen seines Arbeitgebers zuwiderläuft.1 Für Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes, die nicht Tendenzträger sind, gelten vorgenannte Einschränkungen jedoch nicht. Nach dem Beschluss des BVerfG v. 4.6.19852, dem das BAG in ständiger Rechtsprechung folgt3, gewährleistet die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts den Kirchen, darüber zu befinden, welche Dienste es in ihren Einrichtungen geben soll und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen sind. Dabei können sich die Kirchen zur Begründung und Regelung eines Arbeitsverhältnisses der Privatautonomie bedienen. Auf dieses findet zwar das staatliche Arbeitsrecht Anwendung, doch bleibt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wesentlich. Jenes Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es den Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses zu machen. Daher gelten für kirchliche Funktionsträger im außerdienstlichen Bereich gesteigerte sittliche Verhaltensanforderungen.4 Innerhalb dieses Rahmens tritt auch das Grundrecht des Funktionsträgers aus Art. 4 Abs. 1 GG gegenüber dem Statusrecht der Kirche aus Art. 5 Abs. 3 GG regelmäßig zurück. Aus den gleichen Überlegungen heraus findet selbst das Verbot der Ungleichbehandlung in § 9 Abs. 2 AGG keine Anwendung.5
202
Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert, was spezifisch kirchliche Angelegenheiten sind, was Nähe zu ihnen bedeutet, welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubenslehre und Sittenlehre sind und was als – ggf. schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit. Nichtsdestotrotz ist die Wirksamkeit einer Kündigung im Falle einer Verletzung von Loyalitätspflichten nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 1 KSchG, 626 BGB und weiteren gesetzlichen Sonderkündigungsschutztatbeständen zu beurteilen.6
203
1 BAG v. 6.12.1979 – 2 AZR 1055/77, DB 1980, 547 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1718/83, BB 1985, 1600 = EzA § 611 BGB kirchliche Arbeitnehmer Nr. 24. 3 BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 274/85, AP Nr. 35 zu Art. 140 GG; v. 24.4.1997 – 2 AZR 268/96, NZA 1998, 145 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Kirchendienst; v. 21.2.2001 – 2 AZR 139/00, NZA 2001, 1136 = AP Nr. 29 zu § 611 BGB Kirchendienst. 4 BAG v. 30.3.1983 – 2 AZR 524/81, NJW 1984, 1917–1919 = AP Nr. 15 zu Art. 140 GG. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 2.7.2008 – 7 Sa 250/08, RDG 2008, 232–233. 6 BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 139/00, NZA 2001, 1136 = AP Nr. 29 zu § 611 BGB Kirchendienst; VGH Mannheim v. 26.5.2003 – 9 S 1077/02, NZA-RR 2003, 629.
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Teil 4 Rz. 204 204
Die verhaltensbedingte Kündigung
Im Rahmen dieser Prüfung ist zu berücksichtigen, dass das BAG die Kirchen an ihre eigenen Grundsätze bindet. So sieht Art. 5 Abs. 1 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse1 bei Verstößen gegen Loyalitätsobliegenheiten vor Ausspruch einer Kündigung vor, mit dem Arbeitnehmer ein klärendes Gespräch zu führen. Die Kündigung ohne ein solches Gespräch verstößt regelmäßig gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist deshalb sozialwidrig.2 8. Ausländerfeindliches, (rechts-)extremistisches Verhalten, politische Betätigung
205
Die politische Einstellung eines Arbeitnehmers kann grundsätzlich kein Anknüpfungspunkt für eine verhaltensbedingte Kündigung sein. Das Grundgesetz setzt die freie politische Betätigung voraus und gewährleistet diese als solche. Eine verhaltensbedingte Kündigung kann aber gerechtfertigt sein, wenn die politische Betätigungsfreiheit in verfassungsfeindlicher Tendenz pervertiert wird. Daher kann ein ausländerfeindliches oder sonstiges extremistisches Verhalten nicht nur eine ordentliche, sondern auch eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.3 Neben einer notwendigen Differenzierung zwischen innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Verhaltensweisen sind die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen (siehe zu den Besonderheiten des öffentlichen Dienstes oben Rz. 200).
206
Als innerbetriebliche Verhaltensweisen, die eine ordentliche bzw. außerordentliche Kündigung begründen können, kommen sowohl Straftaten im Betrieb4 als auch eine Störung des Betriebsfriedens5 in Betracht. Daher können auch ausländerfeindliche Äußerungen, die unterhalb der Schwelle einer Strafbarkeit bleiben, einen Kündigungsgrund darstellen. Nicht die strafrechtliche Bewertung, sondern die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, ist kündigungsrechtlich maßgebend.6 Für die notwendige konkrete Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ist aber der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.7
1 Die von der Herbstkonferenz der deutschen Bischöfe 1993 verabschiedete „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ ist abgedruckt in NJW 1994, 1394. 2 BAG v. 16.9.1999 – 2 AZR 712/98, NZA 2000, 208 = AP Nr. 1 zu Art. 4 Grundordnung Katholische Kirche. 3 Vgl. zum Ganzen: Däubler, NJW 2000, 3691; Polzer/Powietzka, NZA 2000, 970. 4 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, NZA 1996, 875; LAG Rheinland-Pfalz v. 10.6.1997 – 6 Sa 309/97, NZA-RR 1998, 118 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62, 118; ArbG Siegburg – 4 Ca 1766/93, NZA 1994, 698; ArbG Bremen – 7 Ca 7160/94, BB 1994, 1568; ArbG Mannheim – 5 Ca 773/94, BB 1995, 985. 5 BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 676/98, NZA 1999, 1270 = AP Nr. 11 zu § 15 BBiG. 6 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, DB 2003, 1797–1798 = EzA Nr. 1 zu § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit; v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340–1343 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Schleswig-Holstein v. 2.4.2008 – 6 TaBV 46/07. 7 BAG v. 15.12.1977 – 3 AZR 184/76, DB 1978, 1038 = AP Nr. 69 zu § 626 BGB.
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Eisenbeis
Einzelfälle
Rz. 208b Teil 4
Verhält sich ein Arbeitnehmer außerbetrieblich ausländerfeindlich, sind zunächst die unter Rz. 190 ff. und 270 ff. dargestellten Grundsätze zu beachten. Insofern können außerbetriebliche Straftaten wie auch eine Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei nur dann einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen, wenn ein Bezug zum Arbeitsverhältnis, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich eingetreten ist.1 Dies war in einem linksextremen Beispiel der Fall, wenn ein Bankangestellter und DKP-Mitglied ein Extrablatt dieser Partei verteilt, in dem die Banken im Allgemeinen und die des Bankangestellten im Besonderen kämpferisch angegriffen werden.2
207
Im Rahmen des öffentlichen Dienstes gelten Besonderheiten. Ein Angestellter im öffentlichen Dienst hat sich so zu verhalten, dass das Ansehen des Arbeitgebers nicht beschädigt wird und das Vertrauen der Bürger in den öffentlichen Dienst keinen Schaden erleidet. Vor diesem Hintergrund kann auch außerdienstliches ausländerfeindliches oder extremistisches Verhalten, das keinen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist, einen Kündigungsgrund darstellen.3 Gerade im Bereich des öffentlichen Dienstes kommt darüber hinaus auch eine personenbedingte Kündigung in Betracht. Die politische Betätigung stellt einen personenbedingten Kündigungsgrund dar, wenn sie in die Dienststelle hineinwirkt und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Arbeitsgebiet des Arbeitnehmers berührt, und dadurch auf eine fehlende Eignung aufgrund von Zweifeln an der Erfüllung der einfachen politischen Loyalitätspflicht eines im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmers hindeutet.4
208
Daher genügt die bloße Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei nicht zur Rechtfertigung einer Kündigung. Nach Auffassung des BAG müssen zusätzlich konkrete Umstände vorliegen, die die Eignung des Arbeitnehmers für seine konkrete Aufgabe in Frage stellen. Dies wiederum hänge davon ab, ob ein Mitglied einer extremistischen Partei für deren verfassungsfeindliche Ziele eintrete oder sich davon distanziere.5
208a
Der öffentliche Arbeitgeber hat aber die seiner Ansicht nach fehlende Verfassungstreue bezogen auf das Tätigkeitsgebiet und den behördlichen Aufgaben-
208b
1 BAG v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, NJW 1990, 597 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken; v. 6.6.1984 – 7 AZR 456/82, NJW 1985, 507–509 = AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BAG v. 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, DB 1972, 2356 = AP Nr. 2 zu § 134 BGB. 3 BAG v. 14.2.1996 – 2 AZR 274/95, NZA 1996, 873 = AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Schleswig-Holstein v. 6.8.2002 – 2 Sa 150/02, NZA-RR 2004, 351–353. 4 BAG v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, NJW 1990, 597 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken; v. 6.6.1984 – 7 AZR 456/82, NJW 1985, 507–509 = AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 5 BAG v. 15.7.1982 – 2 AZR 887/79, NJW 1983, 1812 = AP Nr. 20 zu Art. 33 Abs. 2 GG; v. 16.12.1982 – 2 AZR 144/81, PersV 1983, 334–341 = AP Nr. 19 zu Art. 33 Abs. 2 GG; v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, NJW 1990, 597 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken.
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Teil 4 Rz. 209
Die verhaltensbedingte Kündigung
bereich des Arbeitnehmers konkret unter Anführung greifbarer Tatsachen darzulegen und zu beweisen.1 209
Begeht ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter vorsätzlich eine ausländerfeindlich motivierte Straftat, so ist es dem öffentlichen Arbeitgeber in der Regel auch ohne eine konkret messbare Ansehensschädigung unzumutbar, ihn weiterzubeschäftigen. Im Falle eines Tötungsdeliktes ist die außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung wirksam, da dem Arbeitnehmer klar sein muss, dass die Begehung eines Kapitalverbrechens als massive Verletzung der Rechtsordnung seine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst in Frage stellen kann.2 9. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
210
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehen, nicht offenkundig und nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem Willen des Arbeitgebers geheim gehalten werden sollen und an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat.3 Ohne dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wird eine Information nicht deshalb zu einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, weil diese den Hinweis „vertraulich“ und/ oder „rechtlich geschützte Information“ enthält.4 Es bedarf vielmehr einer ausdrücklichen Verschwiegenheitsvereinbarung, ein diesbezügliches betriebliches Bedürfnis und einer Bezeichnung der Tatsache als geheimhaltungsbedürftig. Konkret wird zwischen Betriebsgeheimnissen, die sich auf den technischen Betriebsablauf beziehen, und Geschäftsgeheimnissen, die den kaufmännischen Bereich betreffen, unterschieden.5 Zu Letzteren werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch die die wirtschaftlichen Verhältnisses eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können.6 Offenkundig ist ein Geheimnis, wenn es ohne besondere Schwierigkeiten und Mühen in Erfahrung gebracht werden kann.7 Beson-
1 BAG v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, NJW 1990, 597 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken; v. 26.10.1978 – 2 AZR 24/77, NJW 1979, 2063–2064 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken. 2 BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282 = AP Nr. 163 zu § 626 BGB. 3 BVerfG v. 14.3.2006 – 1 BVR 2087/03, WM 2006, 880–887 = BVerfGE 115, 205–259; BAG v. 27.9.1988 – 3 AZR 59/87, NZA 1989, 467 = EzA § 611 BGB Konkurrenzklausel Nr. 1; LAG Köln v. 18.12.1987 – 2 Sa 623/84, LAGE § 611 BGB Betriebsgeheimnis Nr. 1. 4 LAG Rheinland-Pfalz v. 22.8.2008 – 6 Sa 626/07. 5 BAG v. 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Betriebsgeheimnis. 6 BVerfG v. 14.3.2006 – 1 BVR 2087/03, WM 2006, 880–887 = BVerfGE 115, 205–259; LAG Rheinland-Pfalz v. 22.8.2008 – 6 Sa 626/07. 7 BAG v. 26.2.1987 – 6 ABR 46/84, NZA 1988, 63 = EzA § 79 BetrVG Nr. 1; LAG Köln v. 18.12.1987 – 2 Sa 623/84, LAGE § 611 BGB Betriebsgeheimnis Nr. 1.
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Einzelfälle
Rz. 212 Teil 4
dere Verschwiegenheitspflichten bestehen für den Betriebs-, den Personal- und den Aufsichtsrat.1 Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist ein Arbeitnehmer aus der ihm obliegenden Treuepflicht verpflichtet, über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren. Die Verletzung dieser Verpflichtung kann eine ordentliche bzw. außerordentliche Kündigung rechtfertigen.2 Der Arbeitnehmer hat darauf zu achten, dass Dritte nicht unbefugt Kenntnis von Geheimnissen aus seinem Aufgabenbereich erlangen. Auch hat der Arbeitnehmer Verschwiegenheit über ihm dienstlich bekannt gewordene Tatsachen zu wahren, die den Arbeitgeber in besonderem Maße berühren.
211
Nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses kann sich eine Verschwiegenheitspflicht zwar aus einer besonderen gesetzlichen Regelung, Tarifvertrag oder einer vertraglichen Regelung ergeben. Sie muss aber zu ihrer Wirksamkeit einem berechtigten betrieblichen Interesse dienen und ist im Lichte des Art. 12 GG dahingehend einzuschränken, dass der Arbeitnehmer hierdurch nicht in seiner weiteren beruflichen Tätigkeit beschränkt werden darf.
211a
Besteht kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, ist der Arbeitnehmer in der Verwertung seiner beruflichen Kenntnisse und seines redlich erworbenen Erfahrungswissens grundsätzlich frei. Solange der ehemalige Arbeitnehmer seine aus dem Arbeitsverhältnis nachwirkende Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt, ist er nicht gehindert, sein erworbenes Erfahrungswissen auch in den Diensten eines Wettbewerbers zu nutzen.3
211b
" Praxistipp: Sofern die Verwendung von im Betrieb erlangten Kenntnissen
211c
Verletzt ein Arbeitnehmer mit einer Anzeige gegen seinen Arbeitgeber die ihm obliegende Verpflichtung zur Verschwiegenheit, so ist die jüngste Rechtsprechung des BVerfG zu berücksichtigen, wonach die Erfüllung einer staatsbürgerlichen Aussagepflicht keine zivilrechtlichen Nachteile nach sich ziehen darf.5
212
nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei einem Wettbewerber verhindert werden soll, ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot zu vereinbaren. Dabei ist aber zu beachten, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot besonderen Voraussetzungen unterliegt. Neben den genannten Einschränkungen des Art. 12 GG und dem betrieblichen Interesse muss ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot schriftlich vereinbart werden, eine angemessene Karenzentschädigung von mindestens der Hälfte der letzten vertragsgemäßen Vergütung beinhalten und darf die Dauer von zwei Jahren nicht überschreiten.4
1 Vgl. § 79 BetrVG, § 10 BPersVG, §§ 116, 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. 2 BAG v. 4.4.1974 – 2 AZR 452/73, DB 1974, 1067 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; v. 26.9.1990 – 2 AZR 602/89, RzK I 8c Nr. 20. 3 BAG v. 15.6.1993 – 9 AZR 558/91, NZA 1994, 502–507 = AP Nr. 40 zu § 611 BGB Konkurrentenklausel; v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200–203 = AP Nr. 11 zu § 611 BGB Treuepflicht. 4 BAG v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157–1159 = AP Nr. 80 zu § 74 HGB. 5 BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 = AP Nr. 170 zu § 626 BGB; vgl. hierzu auch Rz. 154 ff.
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Teil 4 Rz. 213
Die verhaltensbedingte Kündigung
10. Druckkündigung 213
Eine Druckkündigung liegt vor, wenn Dritte (Kunden, Arbeitskollegen, der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft) unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen.1 Dabei ist zwischen der sog. echten und der unechten Druckkündigung zu unterscheiden. Von einer echten Druckkündigung ist die Rede, wenn der Arbeitgeber die Kündigung allein auf Grund des durch Dritte ausgeübten Drucks ausspricht, ohne dass der Kündigung objektiv ein anerkannter Kündigungsgrund zugrunde liegt. In diesem Fall kommt ausschließlich eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht.2 Dabei wird das schlichte Verlangen Dritter, einen bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen, nicht den strengen Anforderungen einer echten Druckkündigung entsprechen und daher allein nicht geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen. Beim Verlangen auf Entlassung eines Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres nachgeben, um Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Der Arbeitgeber hat sich in diesem Fall aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, den Dritten von seiner Drohung abzubringen und so die Kündigung zu verhindern. Nur wenn dennoch schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass die Kündigung das einzig in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden.3
213a
Ist andererseits das Verlangen des Dritten gegenüber dem Arbeitgeber durch ein Verhalten des Arbeitnehmers oder durch einen in dessen Person liegenden Grund objektiv gerechtfertigt, ist eine unechte Druckkündigung anzunehmen, da die Kündigung nicht ausschließlich auf der Forderung des Dritten beruht. In diesem Fall liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung ausspricht.4 Er muss jedoch bedenken, dass die personen- und die verhaltensbedingte Kündigung unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen, die sich insbesondere in der grundsätzlichen Notwendigkeit einer einschlägigen Abmahnung für eine verhaltensbedingte Kündigung widerspiegeln.
1 BAG v. 4.10.1990 – 2 AZR 201/90, NZA 1991, 468 = AP Nr. 12 zu § 626 BGB Druckkündigung; v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung; LAG Hamm v. 4.5.1999 – 4 Sa 1298/98, BuW 1999, 920. 2 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung; v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung. 3 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21–23 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; v. 11.2.1960 – 5 AZR 210/58, NJW 1960, 1269 = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Druckkündigung; v. 26.1.1962 – 2 AZR 244/61, NJW 1962, 1413 = AP Nr. 8 zu § 626 BGB Druckkündigung; v. 10.2.1977 – 2 ABR 80/76, NJW 1977, 1413–1415 = AP Nr. 9 zu § 103 BetrVG 1972. 4 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung; LAG Hamm v. 4.5.1999 – 4 Sa 1298/98, BuW 1999, 920.
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Eisenbeis
Einzelfälle
Rz. 216 Teil 4
Der Arbeitgeber kann die Kündigung allerdings nicht mit einer Drucksituation begründen, die er selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt oder provoziert hat.1
213b
11. Internet und E-Mail-Nutzung Der Arbeitgeber ist in seiner Entscheidung frei, ein E-Mail-Kommunikationssystem und/oder einen dienstlichen Internetzugang seinen Arbeitnehmern – zu dienstlichen oder auch zu privaten Zwecken – zur Verfügung zu stellen. Über die Einrichtung der technischen Infrastruktur hat der Arbeitgeber den Betriebsrat und die Arbeitnehmer gemäß §§ 80 Abs. 2, 90 Abs. 1, 81 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zu unterrichten und mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG abzuschließen.
214
Ob die Nutzung eines dienstlichen Internetanschlusses und/oder E-Mail-Kommunikationssystems zu privaten Zwecken eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst ist zu prüfen, ob ein ausdrückliches Verbot der privaten Internetnutzung bestand oder der Arbeitnehmer davon ausgehen durfte, dass eine Gestattung – und sei es nur eine konkludente – vorlag. Von kündigungsrechtlicher Relevanz ist weiterhin die Schwere der Pflichtverletzung, die sich unter anderem daraus ergibt, in welchem Umfang der Arbeitnehmer durch das private Surfen im Internet seine Arbeitsleistung nicht erbracht hat und welche Kosten oder sonstige Schäden – etwa in Form von Imageverlusten – dem Arbeitgeber hierdurch entstanden sind.2 In der anschließenden Interessenabwägung ist unter Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer abzuwägen, ob eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall nicht unverhältnismäßig ist.3
215
Über die Einführung eines E-Mail-Kommunikationssystems und Internetzugangs hat der Arbeitgeber den Betriebsrat und die Arbeitnehmer gemäß §§ 80 Abs. 2, 90 Abs. 1, 81 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zu unterrichten und mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG abzuschließen. Hierbei hat der Arbeitgeber zu entscheiden, ob die Arbeitnehmer berechtigt sind, das Internet und/oder das E-Mail-Kommunikationssystem auch privat zu nutzen. Insofern ist zwischen der dienstlichen und der privaten Nutzung zu unterscheiden. Eine dienstliche Nutzung ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer das Kommunikationsmedium zur Arbeitsförderung nutzt. Eine dienstlich motivierte Privatnutzung, die auch dienstlicher Natur ist, ist eine Nutzung, deren Notwendigkeit aus den Umständen in der Sphäre des Arbeitgebers resultiert und deren Gestattung sich aus der Fürsorgepflicht ergibt. Dazu gehört beispielsweise der Anruf des Arbeitnehmers zur Mitteilung, dass er wegen einer Überstunde oder eines dienstlichen Termins später nach Hause kommt.4 Der 1 BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 235/04; LAG Rheinland-Pfalz v. 18.2.2008 – 5 Sa 381/07. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922–925 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98–101 = AP Nr. 192 zu § 626 BGB. 4 Kittner/Zwanziger/Appel, Arbeitsrecht, 2003, § 94 Rz. 31.
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216
Teil 4 Rz. 217
Die verhaltensbedingte Kündigung
über die dienstliche Nutzung und dienstlich motivierte Privatnutzung hinausgehende Gebrauch des Mediums ist der Privatnutzung zuzurechnen. 217
Hat der Arbeitgeber die private Nutzung des betrieblichen Internetanschlusses und/oder des E-Mail-Kommunikationssystems ausdrücklich untersagt, kann ein Verstoß eine ordentliche wie außerordentliche Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.1 Eine Ausnahme bildet der mäßige private Austausch am Arbeitsplatz, der beispielsweise die Berechtigung der Mitarbeiter untereinander, aber auch nach außen, beinhaltet, sich nach dem privaten Wohlbefinden oder Ähnlichem zu erkundigen.2 Hat der Arbeitgeber jedoch die private Nutzung über einen Längeren Zeitraum widerspruchslos geduldet, kommt eine Kündigung ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Nutzung in einem Ausmaß erfolgt, von dem der Arbeitnehmer nicht mehr annehmen durfte, diese sei noch vom Einverständnis des Arbeitgebers gedeckt.3
218
Im Falle der Gestattung der privaten Nutzung ist der Arbeitnehmer gleichwohl nicht zum grenzenlosen privaten Gebrauch des Internets und/oder E-Mail-Kommunikationssystems berechtigt, denn eine private Nutzung des Internets in erheblichem, ausschweifendem Umfang stellt auch dann eine Verletzung der Pflicht zur Arbeitsleistung dar.4 Vielmehr ist er lediglich zu einer Nutzung im Einzelfall – vorrangig in den Arbeitspausen – befugt. Anderenfalls käme die Erlaubnis des Arbeitgebers einer Reduzierung der Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht gleich.5 Insbesondere ist die Nutzung des Internets zum Zwecke einer privaten Nebentätigkeit unzulässig, da dies während der Arbeitszeit einer Arbeitsverweigerung gleichzustellen ist und/oder einen Arbeitszeitbetrug darstellen kann.6
219
Ohne ausdrückliche Erlaubnis kann eine konkludente Gestattung der privaten Nutzung des Mediums anzunehmen sein. Allerdings lässt sich eine solche konkludente Gestattung nicht aus der Erlaubnis zum privaten Telefonieren herleiten. Zwar sieht eine Literaturmeinung die Möglichkeit eröffnet, die Erlaubnis zum privaten Telefonieren könne auch die Erlaubnis zur privaten Internetund E-Mail-Nutzung beinhalten, ohne einen zwingenden Erst-Recht-Schluss anzunehmen. Diese Auffassung ist abzulehnen, da die Erlaubnis zur privaten Nutzung auf das Telefon bezogen ist und keinen weitergehenden Willen des Arbeitgebers erkennen lässt. Zudem birgt die Nutzung des Internets und/oder E-Mail-Kommunikationssystems ein weiteres Gefahren- und Missbrauchspotential – wie etwa durch die Einschleusung von Viren in das betriebliche Datennetz oder eine übermäßige Belastung des Speichers –, sodass ein Rückschluss ausgeschlossen ist. 1 BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977–980 = AP Nr. 202 zu § 626 BGB; v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 Ernst, NZA 2002, 585, 588. 3 ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, NZA 2001, 2490. 4 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922–925 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 5 Ernst, NZA 2002, 585, 586. 6 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98–101 = AP Nr. 192 zu § 626 BGB; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 18.5.2006 – 6 Sa 787/05.
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Einzelfälle
Rz. 223 Teil 4
Eine konkludente Gestattung der privaten Nutzung kommt auch bei Annahme einer entsprechenden Betriebsübung in Betracht. Voraussetzung ist, dass die private Nutzung mindestens ein halbes Jahr für den Arbeitgeber erkennbar fortbestand, sodass der Arbeitnehmer auf ihren Fortbestand vertrauen durfte.
220
Unabhängig davon, ob die private Nutzung des Internets genehmigt wurde oder nicht, wird eine Kündigung – jedenfalls nach vorheriger Abmahnung – dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber einen Schaden erlitten hat.
221
So sind massenhafte Datendownloads auf betriebliche Datensysteme1 ebenso unzulässig wie kostenpflichtige oder strafbewährte Downloads. Die Belastung des betrieblichen Arbeitsspeichers steht insofern der privaten Nutzung von Arbeitsmitteln gleich. Das Surfen auf Websites und der Download von Dateien pornographischen Inhalts kann sogar – allein schon wegen der möglichen Rufschädigung des Arbeitgebers – eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.2 Der Arbeitgeber hat ein schützenswertes Interesse daran, von Dritten nicht mit derartigen Aktivitäten seiner Arbeitnehmer in Verbindung gebracht zu werden.3 Auch die Installation von betriebsfremder Software auf betrieblichen Rechnern – insbesondere solcher, die der Anonymisierung dienen – ist von kündigungsrechtlicher Relevanz. Sie stellt eine Veränderung von Arbeitsmitteln dar, die der ausdrücklichen Genehmigung des Arbeitgebers bedarf.4 Fazit ist, dass die private Nutzung des Internets und/oder E-Mail-Kommunikationssystems entgegen einem Verbot, sei es ausdrücklich ausgesprochen oder infolge nicht bestehender Betriebsübung gegeben, oder über das gestattete Maß hinaus eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann.5
222
Die Frage der Entbehrlichkeit einer Abmahnung ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen. Insofern sind der Nutzungsumfang und die Nutzungsart von maßgeblicher Bedeutung. Speichert ein Mitarbeiter pornographisches Bildmaterial auf dem betrieblichen Datenträger, ist für ihn die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ohne Weiteres erkennbar und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen.6 Dadurch kann das Ansehen des Arbeitgebers, der den Internetzugang zur Verfügung stellt, in der Öffentlichkeit erheblich beschädigt werden.
223
1 BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977–980 = AP Nr. 202 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922–925 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 BAG v. 6.11.2003 – 2 AZR 631/02, NZA 2004, 919–921 = AP Nr. 39 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen = NZA 2004, 919. 4 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 5 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04. 6 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98–101 = AP Nr. 192 zu § 626 BGB; v. 27.4. 2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977–980 = AP Nr. 202 zu § 626 BGB; v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922–925 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; ArbG Braunschweig v. 22.1.1999 – 3 Ca 370/98, NZA-RR 1999, 192; ArbG Hannover v. 1.12.2000 – 1 Ca 504/00 B, NZA 2001, 1022; ArbG Düsseldorf v. 1.8.2001 – 4 Ca 3471/00, NZA 2001, 1386; ArbG Frankfurt/Main v. 2.1.2002 – 2 Ca 5340/01, NZA 2002, 1093. Ähnlich BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04.
Eisenbeis
763
Teil 4 Rz. 224
Die verhaltensbedingte Kündigung
224
Besteht ein ausdrückliches Verbot der privaten Nutzung, ergibt sich aus den obigen Ausführungen, dass eine vorherige Abmahnung erst Recht nicht erforderlich ist.1
225
Bestand dagegen kein ausdrückliches Verbot, ist eine vorhergehende Abmahnung erforderlich. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Nutzung in einem die Wiederherstellung des Vertrauens ausschließenden Ausmaß erfolgt.2 Ab welchem Umfang das Vertrauen zerstört und damit eine Entbehrlichkeit der Abmahnung vorliegt, kann naturgemäß nicht einheitlich beantwortet werden. Eine Nutzungsdauer von 80 bis 100 Stunden3 innerhalb von einem Jahr bei einer 40-Stunden-Woche stellt ebenso ein Ausmaß dar, das eine Abmahnung entbehrlich macht, wie 420 Minuten innerhalb von 5 Tagen4 oder 89 Stunden in 89 Tagen.5 Unabhängig von einer spielerischen Lernphase im Umgang mit dem Internet stellt die private Nutzung im vorgenannten Umfang eine schwere Pflichtverletzung dar, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich schon aus dem erheblichen wirtschaftlichen Schaden des Arbeitgebers durch die private Nutzung. Demgegenüber sollen 7 Stunden und 28 Minuten innerhalb von 10 Monaten nicht ausreichen, um von der Entbehrlichkeit einer Abmahnung auszugehen.6
" Praxistipp: Wenn Art und Schwere des Verstoßes keine eindeutige rechtliche Beurteilung zulassen, empfiehlt es sich in Zweifelsfällen, zunächst eine Abmahnung auszusprechen.
226
Im Rahmen der den Arbeitgeber treffenden Darlegungs- und Beweislast ist zu berücksichtigen, dass die Gestattung zur privaten Nutzung betrieblicher Telekommunikationseinrichtungen zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses gemäß § 88 TKG verpflichtet.7 Dies beruht darauf, dass die geschäftsmäßige Erbringung von Telekommunikationsdiensten in § 3 Nr. 10 TKG ausdrücklich auch eine nicht auf Gewinn gerichtete Tätigkeit erfasst und der Arbeitnehmer bei privater E-Mail-Nutzung Dritter im Sinne des § 3 Nr. 10 TKG ist.
227
Daraus folgt, dass der die private Nutzung gestattende Arbeitgeber sich oder Dritten gemäß § 88 Abs. 3 TKG keine Kenntnis von Inhalten oder von Verbindungsdaten privat gesendeter oder empfangener E-Mails seiner Arbeitnehmer verschaffen darf, soweit dies nicht für das geschäftsmäßige Erbringen der Tele1 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922–925 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; ArbG Düsseldorf v. 1.8.2001 – 4 Ca 3437/01, NZA 2001, 1386. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922–925 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 Anderer Auffassung ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, NZA 2001, 786. 4 LAG Hamm v. 3.5.2007 – 15 Sa 1880/06: dem in dieser Zeit eine Gesamtpausenzeit von 225 Minuten gegenüberstand. 5 BAG 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980–985 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 6 LAG Hamm 18.1.2007 – 15 Sa 558/06. 7 Hörl/Buddee, ITRB 2002, 160, 161; Ernst, NZA 2002, 585, 587.
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Einzelfälle
Rz. 228a Teil 4
kommunikationsdienste erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist zu bejahen, sofern Daten etwa zur Sicherstellung eines geregelten Kommunikationsablaufs, zur Störungsbeseitigung oder zur Abrechnung benötigt werden.1 Im Rahmen der Störungsbeseitigung sind die Befugnisse des Arbeitgebers § 100 TKG i.V.m. § 89 TKG zu entnehmen. Die unter Verstoß gegen das Telekommunikationsgeheimnis gewonnenen Daten unterliegen einem Beweisverwertungsverbot.2 Das Beweisverwertungsverbot besteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer eine Einwilligung zur Verwendung der Telekommunikationsdaten erteilt. Da das Fernmeldegeheimnis nicht nur den Arbeitnehmer, sondern auch den jeweiligen Kommunikationspartner schützt, kann der Arbeitnehmer nicht einseitig auf die Einhaltung der Pflichten aus dem Telekommunikationsgesetz verzichten.3 Eine weitere Begrenzung der Kontrollbefugnisse des Arbeitgebers ist dem TMG zu entnehmen.4 Gemäß § 12 Abs. 1 TMG ist die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn eine Rechtsvorschrift dies ausdrücklich erlaubt oder der Arbeitnehmer eingewilligt hat. Ohne Einwilligung des Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber die Nutzungsdaten gemäß § 15 TMG nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit dies für die Ermöglichung der Inanspruchnahme des E-Mail-Systems oder für Abrechnungszwecke erforderlich ist. Hat der Arbeitgeber die Privatnutzung ausdrücklich verboten, finden weder die einschlägigen Normen des TKG noch des TMG Anwendung. Gleichwohl ist eine Überwachung des Verbots durch den Arbeitgeber nicht grenzenlos zulässig. Insofern ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Einführung technischer Einrichtungen zur Überwachung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 BetrVG unterliegt, und zum anderen die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers bei der Regelung der Nutzung des Internets oder E-Mail-Systems durch das verfassungsrechtlich garantierte Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beschränkt sowie § 4 BDSG zu beachten ist.5
228
Äußerste Grenze jeder Überwachungsmaßnahme ist damit das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Es führt gleichwohl nicht dazu, dass dem Arbeitgeber das Recht zur Arbeitskontrolle gänzlich abgesprochen werden kann. Vielmehr ist eine Abwägung des arbeitgeberseitigen Kontrollinteresses mit dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung erforderlich. Hieraus folgt, dass eine dezidierte Protokollierung und Kontrolle der Internetnutzung erst bei Vorliegen eines Verdachtsmoments für einen nicht unerheblichen Verstoß möglich ist.6
228a
1 Beck’scher TKG-Kommentar-Büchner, 2. Auflage, § 85 Rz. 6; Hörl/Buddee, ITRB 2002, 160, 161. 2 LAG Köln v. 30.8.1996 – 12 Sa 639/96, BB 1997, 476 = LAGE § 611 BGB Persönlichkeitsrecht Nr. 8; Beckschulze/Henkl, DB 2001, 1491, 1497; Ernst, NZA 2002, 585, 587. 3 Hilber/Frik, RdA 2002, 89, 94; Hörl/Buddee, ITRB 2002, 160, 161; a.A.: Beckschulze/ Henkl, DB 2001, 1491, 1496. 4 Die Anwendbarkeit des TDDSG bejahen ebenfalls: Beckschulze/Henkl, DB 2001, 1491, 1495; Hilber/Frik, RdA 2002, 89, 91; Hörl/Buddee, ITRB 2002, 160, 162. 5 Nägele, ArbRB 2002, 55, 56; vgl. zum Beweisverwertungsverbot die allgemeinen Ausführungen unter Rz. 91. 6 Ernst, NZA 2002, 585, 590.
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Teil 4 Rz. 229
Die verhaltensbedingte Kündigung
229
Zur Kontrolle der privaten Nutzung des E-Mail-Systems ist der Arbeitgeber berechtigt, die Verbindungsdaten, mithin Datum und Uhrzeit der Versendung, Datum und Uhrzeit des Empfangs, Größe der Datei sowie verkürzte Adresse des Empfängers, zu erfassen.1 Demgegenüber ist die inhaltliche Überwachung von E-Mails bei einer persönlichen Adresse grundsätzlich unzulässig. Die inhaltliche Kontrolle ist ausnahmsweise nur dann erlaubt, wenn der Verdacht auf Geheimnisverrat oder Begehung einer anderen Straftat besteht oder eine richterliche Anordnung vorliegt. E-Mails, die hingegen an eine allgemeine Firmenadresse oder Abteilungsadresse versandt werden, sind als betriebliche Korrespondenz anzusehen und unterliegen daher dem vollständigen Zugriff des Arbeitgebers.2
230
Weiterhin kann bei untersagter Privatnutzung des Mediums ein Beweisverwertungsverbot auch aus der Verletzung kollektivrechtlicher Normen resultieren.3 Wie bereits angesprochen, unterliegt neben der Einführung auch die Überwachung des Internet- und E-Mail-Verkehrs der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Allein das Fehlen der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats zu der Überwachungsmaßnahme reicht allerdings nicht aus, um ein Durchschlagen des kollektivrechtlichen Verstoßes auf die individualrechtliche Ebene und damit einem Beweisverwertungsverbot den Weg zu ebnen.4 Entscheidend ist wiederum die Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und das Vorliegen einer entsprechenden Rechtfertigung auf Seiten des Arbeitgebers für diesen Eingriff. Ist dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienst-PCs zu rein privaten Zwecken allerdings generell nicht gestattet, darf der Arbeitgeber sich gegen die missbräuchliche Nutzung seiner Betriebsmittel durch Kontrolle der auf den Rechner aufgespielten Software schützen. Dies beinhaltet auch das Recht des Arbeitgebers auf Sicherung der auf seinen Rechnern befindlichen Daten.5
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" Praxistipp: Insbesondere die einschlägigen Vorschriften des TKG und TMG sind zur Vermeidung von Beweisverwertungsverboten im Hinblick auf die arbeitgeberseitige Beweislast für die zutreffende kündigungsrechtliche Bewertung der privaten Internet- und E-Mail-Nutzung zu berücksichtigen.
12. Konkurrenztätigkeit 232
Einem Arbeitnehmer ist während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses – also auch im Falle einer Suspendierung6 des Arbeitnehmers – grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt, selbst wenn der Arbeitsvertrag hierüber keine Regelungen enthält. Für Hand1 Nägele, ArbRB 2002, 55, 56; Vehslage, AnwBl 2001, 145 (148); Ernst, NZA 2002, 585, 590, wohl mit Ausnahme der verkürzten Erfassung der Daten des Empfängers. 2 Ernst, NZA 2002, 585, 589. 3 LAG Köln v. 30.8.1996 – 12 Sa 639/96, BB 1997, 476 = LAGE § 611 BGB Persönlichkeitsrecht Nr. 8. 4 Vgl. auch oben Rz. 89 ff. 5 LAG Hamm v. 18.1.2007 – 15 Sa 558/06 (n.v.). 6 BAG v. 17.10.1969 – 3 AZR 442/68, DB 1970, 497 = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Treuepflicht; v. 30.5.1978 – 2 AZR 598/76, NJW 1979, 335–336 = AP Nr. 9 zu § 60 HGB.
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Einzelfälle
Rz. 235 Teil 4
lungsgehilfen ist dies in § 60 Abs. 1 HGB ausdrücklich geregelt. Diese Vorschrift konkretisiert jedoch einen allgemeinen Rechtsgedanken, der seine Grundlage in der Treuepflicht des Arbeitnehmers hat.1 Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt sein. Deshalb schließt der Arbeitsvertrag für die Dauer seines Bestehens über den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des § 60 HGB hinaus ein Wettbewerbsverbot ein.2 Die Konkurrenztätigkeit ist nur dann keine Vertragsverletzung, wenn eine entsprechende Einwilligung des Arbeitgebers vorliegt. Insoweit obliegt dem Arbeitnehmer der Vortrag substantiierter Tatsachen, aus denen sich die behauptete Einwilligung des Arbeitgebers ergeben soll; allerdings trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass keine Einwilligung erteilt wurde.3
233
Die Verletzung eines für die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestehenden Wettbewerbsverbots kann je nach Intensität der Vertragsverletzung entweder eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung rechtfertigen.4 Eine Abmahnung ist regelmäßig entbehrlich, sofern nicht der Arbeitnehmer aus vertretbaren Gründen annehmen durfte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde zumindest von seinem Arbeitgeber nicht als den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen.5 Der Arbeitgeber kann mit dem Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach Maßgabe der §§ 110 GewO, 74 ff. HGB vereinbaren. Ein Arbeitnehmer, für dessen Arbeitsverhältnis kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart worden ist, ist nicht daran gehindert, mit den Vorbereitungen für einen geplanten nachvertraglichen Wettbewerb schon während des Arbeitsverhältnisses zu beginnen.6 Dies gilt jedoch nur so lange, wie der vorbereitete Wettbewerb legal und die ergriffenen Vorbereitungshandlungen die Geschäftsinteressen des Arbeitgebers nicht schon während des Arbeitsverhältnisses gefährden. Liegt eine Gefährdung vor, kann eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn außerdem die zur Vorbereitung eingesetzten Mittel unzulässig sind.7
234
Für das Vorliegen einer Wettbewerbssituation und den Umfang eines Wettbewerbsverbotes ist nicht entscheidend, in welcher (Rechts-)Form der Arbeit-
235
1 Zuletzt: BAG v. 20.9.2006 – 10 AZR 439/05, NZA 2007, 977–981 = AP Nr. 13 zu § 60 HGB. 2 St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07, NZA 2008, 1415 m.w.N. 3 BAG v. 6.8.1987 – 2 AZR 226/87, DB 1988, 451 = AP Nr. 97 zu § 626 BGB; LAG Rheinland-Pfalz v. 1.12.1997 – 9 Sa 949/97, NZA-RR 1998, 496. 4 Vgl. BAG v. 30.1.1963 – 2 AZR 319/62, DB 1963, 770 = AP Nr. 3 zu § 60 HGB; v. 6.8. 1987 – 2 AZR 226/87, DB 1988, 451 = AP Nr. 97 zu § 626 BGB; v. 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, NZA 1992, 212 = AP Nr. 104 zu § 626 BGB; v. 21.11.1996 – 2 AZR 852/95, NZA 1997, 713 = EzA § 626 BGB n.F. Nr. 162; LAG Hessen v. 28.4.1998 – 9 Sa 2007/97, BB 1998, 1899; LAG Köln v. 22.6.2001 – 11 Sa 28/01, MDR 2002, 100. 5 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07, DB 2008, 2544–2546 (n.v.); ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 103. 6 Vgl. unter Abkehrwille, Rz. 141 ff. 7 LAG Köln v. 22.6.2001 – 11 Sa 28/01, MDR 2002, 100; vgl. zum Abwerben von Mitarbeitern oben Rz. 146 ff.
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Teil 4 Rz. 236
Die verhaltensbedingte Kündigung
nehmer tätig wird. Ein Verstoß gegen § 60 Abs. 1 HGB liegt daher auch dann vor, wenn ein Arbeitnehmer einem Konkurrenzunternehmen als Gesellschafter beitritt und diesem Kapital zuführt1 oder wenn er einem Arbeitskollegen bei dessen Konkurrenztätigkeit hilft oder einen Wettbewerber des Arbeitgebers unterstützt.2 Hingegen ist die Lebensgemeinschaft einer Arbeitnehmerin mit einem Kollegen, der zu einem Konkurrenzunternehmen in leitender Stellung wechselt, allein noch kein in der Person (und erst Recht kein im Verhalten) der verbleibenden Arbeitnehmerin liegender Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses.3 236
Ein Arbeitnehmer ist an das Wettbewerbsverbot gemäß § 60 Abs. 1 HGB auch dann gebunden, wenn ihm bereits gekündigt worden ist und er gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat.4 Wettbewerbshandlungen, die ein Arbeitnehmer im Anschluss an eine unwirksame außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers begeht, können einen wichtigen Grund für eine weitere außerordentliche Kündigung darstellen.5 In dieser Konstellation ist der Arbeitnehmer in einer schwierigen Zwangslage. Einerseits müsste er sich zur Vermeidung einer weiteren Kündigung jeglicher Tätigkeit enthalten, die als Wettbewerbsverstoß gewertet werden könnte, andererseits wäre er für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung über einen langen, unter Umständen mehrjährigen, Zeitraum gehindert, seine Existenzgrundlage anderweitig zu sichern. Das BAG6 wägt jeweils im konkreten Einzelfall den Grad des Verschuldens sowie Art und Auswirkung der Konkurrenztätigkeit miteinander ab. Zunächst ist der Grad der Vorwerfbarkeit zu ermitteln, den die vermeintliche Konkurrenztätigkeit des Arbeitnehmers begründet, wobei maßgeblich zwischen der Aufnahme einer eigenen selbstständigen Tätigkeit am Markt und einer Tätigkeit als Arbeitnehmer für ein bestehendes Konkurrenzunternehmen zu differenzieren ist. Letzteres ist insoweit deutlich geringer zu gewichten.7 Daneben sind auch der Zeitpunkt der Tätigkeitsaufnahme und die Auswirkungen auf den Betrieb des Arbeitgebers in die Abwägung mit einzubeziehen.8 Teilweise wird darüber hinaus gefordert, dass für die arbeitgeberseitige Forderung nach einem Unterlassen von Wettbewerbshandlungen in einem solchen Fall das gleichzeitige Angebot einer Karenzentschädigung nach §§ 74 ff. HGB vorliegen müsse.9
237
" Praxistipp: Eine besondere Unterrichtung der Partei, dass ein Arbeitnehmer
an das Wettbewerbsverbot gemäß § 60 Abs. 1 HGB auch dann gebunden ist, wenn er bereits gekündigt worden ist und gegen die Kündigung Kündigungs-
1 2 3 4 5 6 7 8 9
LAG Köln v. 29.4.1994 – 13 Sa 1029/93, LAGE § 60 HGB Nr. 3. BAG v. 21.11.1996 – 2 AZR 852/95, NZA 1997, 713 = EzA § 626 BGB n.F. Nr. 162. LAG Hamm v. 29.1.1997 – 14 Sa 1862/96, NZA 1999, 656. BAG v. 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, NZA 1992, 212 = AP Nr. 104 zu § 626 BGB; a.A. LAG Köln v. 4.7.1995 – 9 Sa 484/95, NZA-RR 1996, 2 = LAGE § 60 HGB Nr. 4. BAG v. 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, NZA 1992, 212 = AP Nr. 104 zu § 626 BGB. BAG v. 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, NZA 1992, 212–215 = AP Nr. 104 zu § 626 BGB. LAG Köln 26.6.2006 – 3 (11) Sa 81/06, NZA-RR 2007, 73–75 = LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 8a. LAG Köln 26.6.2006 – 3 (11) Sa 81/06, NZA-RR 2007, 73–75 = LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 8a. LAG Köln v. 14.7.1995 – 9 Sa 484/95, NZA-RR 1996, 2–3 = LAGE § 60 HGB Nr. 4.
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Einzelfälle
Rz. 239 Teil 4
schutzklage erhoben hat, ist zweckmäßig, da dieser Aspekt in der Regel nicht präsent ist und seine Nichtbeachtung schwerwiegende Folgen haben kann. 13. Krankheit Die Erkrankung des Arbeitnehmers selbst kann keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen, sondern kann allenfalls im Rahmen einer personenbedingten Kündigung von Bedeutung sein. Im Falle einer Erkrankung treffen den Arbeitnehmer aber zahlreiche Nebenpflichten, deren Verletzung eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann. a) Anzeige- und Nachweispflichten Gemäß § 5 Abs. 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer ohne schuldhaftes Zögern in der Regel telefonisch den Arbeitgeber in Kenntnis zu setzen hat, damit dieser entsprechende Dispositionen treffen kann.1 Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger, als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer auch nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung verpflichtet ist, dem Arbeitgeber bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 bis 4 EFZG eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.2 Der Arbeitgeber ist gemäß § 7 Abs. 1 EFZG berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts solange zu verweigern, bis der Arbeitnehmer seiner Nachweispflicht nachgekommen ist.
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Verstößt ein Arbeitnehmer schuldhaft und trotz einschlägiger Abmahnung wiederholt gegen die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit, kann eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sein, und zwar auch dann, wenn es dadurch nicht zu einer Störung der Arbeitsorganisation oder des Betriebsfriedens gekommen ist. Derartige nachteilige Auswirkungen sind im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.3 Dies gilt nicht nur bezüglich der Erstanzeige der Arbeitsunfähigkeit,
239
1 HWK/Quecke, KSchG § 1 Rz. 232. 2 LAG Sachsen-Anhalt v. 24.4.1996 – 3 Sa 449/95, NZA 1997, 772 = Ez. BAT § 37a BAT Nr. 6; LAG Hessen v. 5.9.2002 – 16 (9) Sa 1876/02 (n.v.). 3 BAG v. 17.1.1991 – 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 16.8.1991 – 2 AZR 604/90, NZA 1993, 17 = AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Köln v. 12.11.1993 – 13 Sa 726/93, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 40; v. 1.6.1995 – 5 Sa 250/95, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 42; v. 17.11.2000 – 4 Sa 1066/00, NZA-RR 2001, 367.
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Teil 4 Rz. 240
Die verhaltensbedingte Kündigung
sondern auch hinsichtlich der Anzeige von deren Fortdauer.1 Eine außerordentliche Kündigung wegen Verletzung der Anzeigepflicht ist aber nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Angestellter in verantwortlicher Stellung, dem auch die Verpflichtung zur Regelung des weiteren Vorgehens bei seiner Abwesenheit obliegt, gegen die Anzeigepflicht verstößt.2 Ebenso kann die hartnäckige, trotz dreimaliger Abmahnung über längere Zeit fortgesetzte Verletzung der Anzeigepflicht, die zu einem völligen Ausfall der Planbarkeit des Einsatzes eines Arbeitnehmers führt, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.3 240
Auch die schuldhafte und trotz Abmahnung wiederholte Verletzung der Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen.4 Eine außerordentliche Kündigung kommt nur bei Vorliegen erschwerender Umstände in Betracht.5 Im Einzelfall kann bei nachhaltiger Verweigerung der Vorlage eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber annehmen muss, der Arbeitnehmer setze sein vertragswidriges Verhalten auch in Zukunft fort.6 Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur in geringem Maße die Interessen des Arbeitgebers berührt. Die unverzügliche Anzeige steht im Vordergrund, da der Arbeitgeber daraufhin weitere personelle Dispositionen treffen muss. Überdies ist zu beachten, dass die Interessen des Arbeitgebers weitgehend durch die Berechtigung zur Verweigerung der Entgeltfortzahlung gemäß § 7 EFZG geschützt sind.7 b) Rückmeldung
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Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich beim Arbeitgeber nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zur Aufnahme seiner Arbeit zurückzumelden. Dabei erfolgt die Rückmeldung bei einer einmaligen, kurzzeitigen Erkrankung derart, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in tatsächlicher Form am Tag der attestierten Arbeitsfähigkeit wieder aufnimmt, sofern nicht etwas anderes im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag vorgesehen ist. Bei einer längeren und/oder wiederholten Erkrankung bedarf es dagegen einer Rückmeldung in Form einer Mitteilung an den Arbeitgeber, damit er entsprechende Dispositionen treffen kann. Verstößt der Arbeitnehmer schuldhaft und trotz einschlägiger Abmahnung wiederholt gegen die Rückmeldepflicht, kann eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein. Langfristige Verzögerun1 BAG v. 7.12.1988 – 7 AZR 122/88, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 26; LAG Köln v. 1.6.1995 – 5 Sa 250/95, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 42. 2 BAG v. 15.1.1986 – 7 AZR 128/83, NZA 1987, 93 = AP Nr. 93 zu § 626 BGB. 3 LAG Köln v. 9.2.2009, 5 Sa 926/08, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 19. 4 LAG Hessen v. 13.7.1999 – 9 Sa 206/99, ArbuR 2000, 75; LAG Köln v. 17.11.2000 – 4 Sa 1066/00, NZA-RR 2001, 367; LAG Hessen v. 5.9.2002 – 16 (9) Sa 1876/01 (n.v.) zitiert nach juris; LAG Rheinland-Pfalz v. 22.2.2007 – 4 Sa 884/06. 5 BAG v. 15.1.1986 – 7 AZR 128/83, NZA 1987, 93 = AP Nr. 93 zu § 626 BGB. 6 Vgl. LAG Hessen v. 13.7.1999 – 9 Sa 206/99, ArbuR 2000, 75. 7 LAG Köln v. 17.11.2000 – 4 Sa 1066/00, NZA-RR 2001, 367.
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Einzelfälle
Rz. 246 Teil 4
gen der Arbeitsaufnahme können einen wichtigen Grund zu einer außerordentlichen Kündigung darstellen.1 Im Falle versäumter Rückmeldung ist stets zu prüfen, ob auch ein unentschuldigtes Fehlen vorliegt. c) Ankündigung einer Erkrankung Die Ankündigung einer Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber keine Arbeitsbefreiung oder Urlaub bewillige, kann selbst dann, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich für arbeitsunfähig befunden wird, eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen.2 Die Drohung mit einer demnächst eintretenden Erkrankung erfüllt regelmäßig den Straftatbestand der versuchten Nötigung und ist als solche an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben.3
242
Die nachhaltig angekündigte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, der tatsächlich nicht arbeitsunfähig ist, kann ebenfalls dann, wenn der Arbeitgeber nicht zu einem bestimmten Verhalten genötigt werden soll, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bilden. Eine Krankmeldung nach vorheriger Ankündigung kommt einer Bestrafung gleich, die sich der Arbeiteber nicht bieten lassen muss.4
243
Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – der ohne das Hinzutreten besondere Umstände grundsätzlich als hoch einzustufen ist – kann bei Vorlage nach einer entsprechenden Ankündigung erschüttert sein und allenfalls dadurch wiederhergestellt werden, dass der Arbeitnehmer objektive Tatsachen vorträgt, die geeignet sind, den Verdacht einer Täuschung des krankschreibenden Arztes zu beseitigen.5 Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist beispielsweise auch dann erschüttert, wenn der Arbeitnehmer eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse durch sein Nichterscheinen verhindert.6
244
Auf der anderen Seite kann die Ankündigung, sich krankschreiben zu lassen, keinen Kündigungsgrund bilden, wenn ein Arbeitnehmer Krankheitssymptome verspürt, von denen er aus Erfahrung weiß, dass ein Arzt sie als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit wertet.7
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" Praxistipp: Der Fall, dass die Ankündigung, sich krankschreiben zu lassen,
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kein Kündigungsgrund sein kann, wenn ein Arbeitnehmer Krankheitssymptome verspürt, von denen er aus Erfahrung weiß, dass ein Arzt sie als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit wertet, ist in der Beratungspraxis von großer Be-
1 LAG Baden-Württemberg v. 28.4.1966 – 4 Sa 7/66, DB 1966, 908. 2 BAG v. 5.11.1992 – 2 AZR 147/92, NZA 1993, 308 = AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit; LAG Hamm v. 18.1.1985 – 16 Sa 1111/84, DB 1985, 927; LAG Köln v. 14.9.2000 – 6 Sa 850/00, NZA-RR 2001, 246; LAG Köln v. 17.4.2002 – 7 Sa 462/01, NZA 2003, 15. 3 BAG v. 5.11.1992 – 2 AZR 147/92, NZA 1993, 308 = AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit. 4 LAG Köln v. 14.9.2000 – 6 Sa 850/00, NZA-RR 2001, 246. 5 LAG Köln v. 17.4.2002 – 7 Sa 462/01, (n.v.). 6 LAG Hamm v. 29.1.2003 – 18 Sa 1137/02, (n.v.). 7 LAG Köln v. 26.2.1999 – 11 Sa 1216/98, NZA-RR 2000, 25.
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Teil 4 Rz. 247
Die verhaltensbedingte Kündigung
deutung, da er häufig von Arbeitnehmern (missbräuchlich) zur Abwehr der Kündigung verwandt wird und nur schwerlich widerlegt werden kann. Soweit der Arbeitgeber auf Grund vorheriger Ankündigung oder anderweitigen Anhaltspunkten von einer vorgetäuschten Krankheit ausgehen darf, sollte versucht werden, eine Untersuchung durch einen Amtsarzt oder den Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu erreichen. d) Vortäuschung einer Krankheit 247
Das Vortäuschen einer Krankheit stellt einen strafbaren Arbeitszeitbetrug dar, der eine außerordentliche Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigt.1 Nicht nur die nachweisbare Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch der entsprechende Verdacht kann den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen.2 Wird die Kündigung auf eine vorgetäuschte Krankheit gestützt, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsfähig gewesen ist.3 Dabei hat eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch hier eine hohe Beweiskraft, da ihr der Anschein der Vollständigkeit und Richtigkeit innewohnt.4 Bei zwei sich widersprechenden ärztlichen Begutachtungen kann dem Arbeitnehmer regelmäßig nicht zugemutet werden, den in der Erteilung der Arbeitsunfähigkeit liegenden dringenden Rat seines behandelnden Arztes, der Arbeit zugunsten des Genesungsprozesses fernzubleiben, zu missachten. Etwas Anderes muss freilich gelten, wenn der Arbeitnehmer seinem behandelnden Arzt wissentlich falsche Angaben gemacht hat, die ursächlich für die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit gewesen sind.5 Die bewusste Vorlage einer gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder eines Gefälligkeitsattestes stellt eine grobe Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung erlaubt.6 e) Gesundheitsschädliches Verhalten
248
Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird, und er hat alles zu unterlassen, was seine
1 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63–67 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 9.6.1982 – 7 Sa 76/82, LAGE § 626 BGB Nr. 15; LAG Schleswig-Holstein v. 3.11.1997 – 2 Sa 373/97, (n.v.); LAG Berlin v. 1.11.2000 – 13 Sa 1746/00, NZA-RR 2001, 470; LAG Rheinland-Pfalz v. 11.8.2002 – 8 Sa 1159/01, (n.v.). 3 LAG Köln v. 9.10.1998 – 11 Sa 400/98, NZA-RR 1999, 188 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73. 4 Vgl. BAG v. 1.10.1997 – 5 AZR 726/96, NZA 1998, 369–372 = AP Nr. 5 zu § 5 EFZG. 5 LAG Sachsen v. 1.12.2006 – 3 Sa 229/06 (n.v.). 6 BAG v. 23.6.2009 – 2 AZR 532/08 (n.v.) zitiert nach juris.
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Einzelfälle
Rz. 251 Teil 4
Genesung verzögern könnte.1 Die Verletzung dieser Treuepflicht2 kann nach den Umständen des Einzelfalls die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung rechtfertigen, ohne dass es des Nachweises einer tatsächlichen Verzögerung des Heilungsprozesses bedarf.3 Eine Abmahnung ist mit Ausnahme von groben Pflichtverletzungen erforderlich.4 Eine solche liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer einer zweimonatigen vollschichtigen Erwerbstätigkeit für einen anderen Arbeitgeber während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit nachgeht5 oder ein Arbeitnehmer in einer Gaststätte im Krankheitszeitraum hinter der Theke steht und über die volle Öffnungszeit Bier ausschenkt.6 Wird eine Nebenbeschäftigung während einer Arbeitsunfähigkeit ausgeübt, ist stets zu prüfen, ob ein Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit anzunehmen ist. Diesbezüglich trifft den Arbeitgeber die volle Beweislast für die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers.7
249
Besteht hingegen tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit, können Nebenbeschäftigungen eine Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn sie aus Gründen des Wettbewerbs den Interessen des Arbeitgebers zuwiderlaufen oder durch sie der Heilungsprozess verzögert wird.8 Auch ein Urlaubsantritt während der Arbeitsunfähigkeit kann einen Kündigungsgrund darstellen. Eine Pflichtverletzung liegt nur dann nicht vor, wenn der Urlaub von dem behandelnden Arzt ausdrücklich empfohlen wurde, weil es den Heilungsprozess fördere. Nicht ausreichend hierfür ist dagegen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Arztes.9
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f) Unterlassen ärztlicher Untersuchung Ist ein Arbeitnehmer dazu verpflichtet, sich auf Verlangen des Arbeitgebers ärztlich untersuchen zu lassen, kann der Arbeitgeber – ggf. nach vorheriger Abmahnung – eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen, wenn der Arbeitnehmer die Anordnung missachtet.10 Eine derartige Verpflichtung des Arbeitneh1 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 53/05, NZA-RR 2006, 636–641 = AP Nr. 14 zu § 626 BGB Krankheit; v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB; LAG Hamm v. 28.8.1991 – 15 Sa 437/91, DB 1992, 431 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 34; LAG Rheinland-Pfalz v. 23.1.1997 – 4 Sa 744/96, DStR 1998, 133; LAG Hamm v. 28.5.1998 – 4 Sa 1550/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 69. 2 So Gottwald, NZA 1999, 180; Houben, NZA 2000, 128; Künzel, NZA 1998, 122; NZA 1999, 774. 3 LAG Hamm v. 28.8.1991 – 15 Sa 437/91, DB 1992, 431 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 34; v. 28.5.1998 – 4 Sa 1550/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 69. 4 LAG Köln v. 7.1.1993 – 10 Sa 632/92, AiB 1993, 471; v. 9.10.1998 – 11 Sa 400/98, NZA-RR 1999, 188 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73. 5 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB. 6 LAG Hamm v. 28.5.1998 – 4 Sa 1550/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 69. 7 Vgl. zum Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit Rz. 247. 8 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB. 9 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 53/05, NZA-RR 2006, 636–641 = AP Nr. 14 zu § 626 BGB Krankheit. 10 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, DB 2002, 1943 = AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969.
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251
Teil 4 Rz. 252
Die verhaltensbedingte Kündigung
mers kann sich aus dem Arbeitsvertrag, einer einschlägigen Bestimmung in einer Betriebsvereinbarung oder aus einem Tarifvertrag ergeben. 14. Mobbing 252
Der Begriff des Mobbings beschreibt eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während einer längeren Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßens aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als diskriminierend empfindet.1 Soweit der Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist, fällt Mobbing nunmehr auch unter den Begriff der Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG. Eine Belästigung ist hiernach eine Benachteiligung i.S.d. AGG, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Allerdings kann nicht jede Auseinandersetzung oder Meinungsverschiedenheit zwischen Kollegen und/oder Vorgesetzten und Untergebenen den Begriff des „Mobbings“ erfüllen. Vielmehr ist es dem Zusammenarbeiten mit anderen Menschen immanent, dass sich Reibungen und Konflikte ergeben, ohne dass diese Ausdruck des Ziels sind, den Anderen systematisch in seiner Wertigkeit gegenüber Dritten oder sich selbst zu verletzen. Der Begriff des Mobbings stellt für sich gesehen keine Anspruchsgrundlage dar. Vielmehr handelt es sich bei „Mobbing“ um ein soziales Phänomen, das es schon immer in der Arbeitswelt gegeben hat, das aber in den letzten Jahren vermehrt in den Blick der Allgemeinheit getreten ist.2
253
Das von einem Arbeitnehmer ausgehende Mobbing ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung abzugeben.3 Der Arbeitgeber hat im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Die Fürsorgepflicht ist Ausfluss des in § 242 BGB niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben, der auch den 1 BAG v. 24.4.2008 – 8 AZR 347/07, DB 2008, 2086–2088 = EzA Nr. 8 zu § 611 BGB 2002 Persönlichkeitsrecht; v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223–228 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing; v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154–1166 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Mobbing; LAG Schleswig-Holstein v. 19.3.2002 – 3 Sa 1/02, NZA-RR 2002, 457; vgl. LAG Thüringen v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 = LAGE § 626 BGB Nr. 133; LAG Thüringen v. 10.4.2001 – NZA-RR 2001, 347; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.8.2001, NZA-RR 2002, 121; LAG Hamm v. 25.6.2002 – 18 (11) Sa 1295/01, NZA-RR 2003, 8; siehe allgemein zum Thema Mobbing Sasse ArbRB 2002, 271; Wickler, DB 2002, 477; zu Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen bei Mobbing LAG Nürnberg vom 2.7.2002 – 6 (3) Sa 154/01, NZA-RR 2003, 121 und Kleinebrink, ArbRB 2001, 54 und Rieble/Klumpp, FA 2002, 307 und zum Amthaftungsanspruch bei Mobbing BGH v. 1.8.2002 – III ZR 277/01, NZA 2002, 1214. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 19.3.2002 – 3 Sa 1/02, NZA-RR 2002, 457–458. 3 LAG Sachsen-Anhalt v. 27.1.2000 – 9 Sa 473/79, (n.v.); LAG Thüringen v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 = LAGE § 626 BGB Nr. 133; Sasse, ArbRB 2002, 271.
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Einzelfälle
Rz. 253 Teil 4
Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmt. Bei der Frage, was Treu und Glauben und die Fürsorgepflicht im Einzelfall gebieten, ist insbesondere auf die in den Grundrechten zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidungen des Grundgesetzes Bedacht zu nehmen. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nicht verletzen darf und dass der Arbeitnehmer im Falle einer Verletzung Anspruch auf Beseitigung der fortwährenden Beeinträchtigung und auf das Unterlassen weiterer Verletzungshandlungen hat.1 Daraus folgt, dass der Arbeitgeber die Pflicht hat, seine Arbeitnehmer vor Belästigungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Dritte, auf die er Einfluss hat, zu schützen und ihnen einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.2 Diese allgemeine, letztlich aus § 242 BGB hergeleitete Verpflichtung hatte der Gesetzgeber für den Fall der sexuellen Belästigung eines Beschäftigten in § 3 Abs. 2 Beschäftigtenschutzgesetz (gültig bis 17. August 2006) ausdrücklich klargestellt. Danach war der Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Fortsetzung einer festgestellten Belästigung zu unterbinden. Gleichzeitig konkretisierte § 4 Abs. 1 Nr. 1 Beschäftigtenschutzgesetz diese Verpflichtung des Arbeitgebers dahingehend, dass er im Einzelfall angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen hatte. Zwar hatte in diesen gesetzlich normierten Fällen der betroffene Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber Anspruch darauf, dass dieser die zur Beseitigung der Störung erforderlichen Maßnahmen ergriff. Einen Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme eröffneten die gesetzlichen Vorschriften jedoch nicht. Vielmehr verblieb dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum, durch welche Maßnahmen er die aufgetretenen Belästigungen des Arbeitnehmers beseitigen wollte. § 4 Beschäftigtenschutzgesetz stellte eine Kodifizierung des arbeitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.3 Auch § 12 AGG lässt dem Arbeitgeber einen Ermessensspielraum, mit welchen Maßnahmen er auf Belästigungen eines Arbeitnehmers durch Vorgesetzte oder Mitarbeiter reagiert. Der Arbeitnehmer hat allerdings Anspruch auf die Ausübung rechtsfehlerfreien Ermessens durch den Arbeitgeber.4 Der Arbeitgeber muss nur solche Maßnahmen ergreifen, die er nach den Umständen des Einzelfalls als verhältnismäßig ansehen darf und die ihm zumutbar sind.5 Wenn allerdings nach objektiver Betrachtungsweise eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung des Arbeitgebers nur zu dem Ergebnis führen kann, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf deren Durchführung.6 1 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223–228 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing; v. 12.9.2006 – 9 AZR 271/06, NZA 2007, 269–272 = AP Nr. 1 zu BGB § 611 Personalakte. 2 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223; HWK/Thüsing. § 611 BGB Rz. 256. 3 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 341/03, NZA 2004, 1214–1216 = AP Nr. 189 zu § 626 BGB; v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223–228 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing. 4 Schleusener/Suckow/Voigt AGG § 12 Rz. 46. 5 Bauer/Göpfert/Krieger § 12 Rz. 32. 6 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223–228 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing.
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Teil 4 Rz. 253a
Die verhaltensbedingte Kündigung
Diese für die Fälle der sexuellen Belästigung und der Benachteiligung wegen der in § 1 AGG genannten Gründe gesetzlich geregelten Verpflichtungen des Arbeitgebers können auch auf Fälle des sog. „Mobbings“ übertragen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sich § 4 Beschäftigtenschutzgesetz und § 12 AGG lediglich als die Konkretisierung der dem Arbeitgeber gegenüber seinem Arbeitnehmer obliegenden Fürsorgepflicht darstellen. Für „Mobbing“Fälle nach Inkrafttreten des AGG (ab 18. August 2006) kommt eine analoge Anwendung in Frage, für frühere Fälle kann die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entsprechend den in den gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommenden Grundsätzen konkretisiert werden.1 253a
Ein wirksamer Mobbingschutz ist in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine die ordnungspolitischen Interessen eines dem Schutz der Menschenwürde verpflichteten Rechtsstaats ebenso wie die fundamentalen Lebensinteressen des Einzelnen berührende verfassungsrechtliche Wertschutzaufgabe. Er leistet auch i.S. einer Verhaltenssteuerung durch Recht einen Beitrag zu der von der EU-Kommission im Hinblick auf den Wandel der Arbeitswelt und Gesellschaft geforderten Festigung der Präventionskultur. Der zum Teil in der Literatur und Rechtsprechung auf der Basis der „Doktrin der sozialen Konfliktaustragung als allgemeines Lebensrisiko“ vertretene Ansatz, dass die Unterbindung von Mobbing gerichtlicher Aufgabenwahrnehmung nicht zugehörig sei oder diese überfordere und/oder betrieblicher Schlichtung oder Mediation vorbehalten sei, schützt strukturell die Mobbingtäter. Zur Mobbingbekämpfung ist ein auf das Prinzip der „Nulltoleranz“ gegründeter und als verhaltenskulturelles Steuerungsmittel wirksamer Mobbingrechtsschutz gefordert.
253b
Die bloße Unliebsamkeit eines Arbeitnehmers für den Arbeitgeber oder einen Vorgesetzten ist kein Kündigungsgrund. Weder seine bloße Unliebsamkeit noch ein sachlich berechtigter Grund für die Trennung von einem Arbeitnehmer können Mobbingmethoden als einen „Akt der Befreiung“ rechtfertigen. Arbeitgeberseitige Rechtsmaßnahmen, die Mobbing-Tatbeiträge darstellen, sind nach § 242 BGB i.V.m. Art. 1 und 2 GG rechtsunwirksam.2
253c
Die für die Feststellung von Mobbing erforderlichen persönlichkeitsfeindlichen Angriffshandlungen können nur vorsätzlich begangen werden. Der Vorsatz erstreckt sich dann regelmäßig auf die von der Rechtsordnung nicht gedeckte Herbeiführung der psychischen Zermürbung und sozialen Entwürdigung (psychosoziale Destabilisierung) des Mobbingopfers oder die Verwirklichung eines auf diesem Wege mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden Herausdrängen aus beruflichen Positionen oder dem Beschäftigungsverhältnis. Prinzipiell ist jedoch ausreichend, dass die vorsätzlichen Persönlichkeitsangriffe zur Herbeiführung einer psychosozialen Destabilisierung des Mobbingopfers geeignet sind oder durch diese Destabilisierung vermittelten weitergehenden, mit der Rechtsordnung nicht vereinbaren Zielsetzungen förderlich sind. Eine solche Förder1 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223–228 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing. 2 LAG Thüringen v. 28.6.2005 – 5 Sa 63/04, ArbuR 2006, 31–32.
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Einzelfälle
Rz. 254 Teil 4
lichkeit besteht bei einer entsprechenden Eignung der Mobbingangriffe und erst recht bei einem entsprechenden Erfolgseintritt.1 Tritt der Persönlichkeitsbekämpfungsvorsatz durch die äußere Erscheinungsweise oder völlige Unverhältnismäßigkeit einer Handlung nicht offen zu Tage, kann er trotzdem indiziert sein, wenn die Handlung unter dem Verhaltensstandard eines intakten Beschäftigungsverhältnisses, in dem nicht eine Person, sondern ein Sachproblem bekämpft wird, nicht plausibel ist. Diese Indizierung kann durch den Vortrag und ggf. den Beweis von Umständen widerlegt werden, aus denen geschlossen werden kann, dass die sachlich nicht gerechtfertigte und in einer normalen Mitarbeiterbeziehung nicht plausible Handlung auf einem Irrtum, einem Versehen oder einer Fehleinschätzung beruht. Eine solche Rechtfertigung kann in der bei Mobbingfällen abschließend erforderlichen verhaltensumfassenden Beurteilung ihre Schlüssigkeit dadurch verlieren, dass sich in einem intakten Arbeitsverhältnis nicht mehr plausible Verhaltensweisen häufen. Dabei kann als Faustregel gelten: Je öfter und intensiver gegenüber einer Person durch deren Persönlichkeitsrechtsstellung belastende Rechtsakte oder inadäquate Kommunikation ein sozial ausgrenzendes oder in sonstiger Weise ein diese psychisch belastendes Verhalten an den Tag gelegt wird, um so mehr spricht hinsichtlich der jeweiligen Handlungen für das Vorliegen von Persönlichkeitsbekämpfungsvorsatz und bei verhaltensumfassender Beurteilung für die Berechtigung des Mobbingvorwurfs.
253d
Da sich das Mobbingopfer nicht auf Beweiserleichterungen berufen kann, kommen diese auch nicht zugunsten des Arbeitgebers im Kündigungsschutzverfahren in Betracht. Der Arbeitgeber hat somit zu beweisen, dass sich der Gekündigte systematisch alleine oder mit anderen gegen einen Kollegen gerichtet hat. Aus einer Kette von Vorfällen muss ein System zu erkennen sein.2 Finden die Vorschriften des AGG Anwendung, ist zu beachten, dass für eine Belästigung i.S.d. AGG auch ein einmaliger Vorfall ausreichend ist.
254
Ist ein mobbingbegründender Sachverhalt vorgetragen, dann obliegt der Gegenpartei der Vortrag und gegebenenfalls der Beweis von Tatsachen, die das Fehlen einer Täter-Opfer-Beziehung begründen. Die für die Feststellung einer mobbingbedingten Persönlichkeitsrechtsverletzung erforderliche Täter-Opfer-Beziehung fehlt nicht bereits deshalb, weil vereinzelt mit sozialadäquaten Umgangsformen nicht mehr vereinbare, affekthaft begangene Verhaltensweisen des Mobbingopfers vorliegen, welche von den Mobbingtätern durch ständige Quälereien oder situativ provoziert wurden. Das Gleiche gilt, wenn ein Verhalten vorliegt, das unter Berücksichtigung der vorangegangenen Mobbingbelastung als sozialadäquate Stressbewältigung und nicht als Teil eines systematischen Gegenmobbings gewertet werden muss. Wann der zeitliche Abstand einer als Mobbingangriff geltend gemachten Handlung zu einer ebenfalls als Mobbingangriff geltend gemachten vorangegangenen Handlung den für die Annahme von Mobbing erforderlichen Systemzusammen1 LAG Thüringen v. 28.6.2005 – 5 Sa 63/04, ArbuR 2006, 31–32. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 19.3.2002 – 3 Sa 1/02, NZA-RR 2002, 457; LAG Hamm v. 25.6.2002 – 18 (11) Sa 1295/01, LAG-Report 2002, 293.
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Teil 4 Rz. 255
Die verhaltensbedingte Kündigung
hang unterbricht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. An einer solchen Unterbrechung fehlt es, wenn der Mobbingtäter keine Zugriffsmöglichkeit hatte (z.B. Arbeitsunfähigkeit des Mobbingopfers) und die Mobbingangriffe nach Unterbrechung des Zugriffshindernisses fortgesetzt werden. Bei der Bewertung des zeitlichen Zusammenhangs mit anderen Mobbinghandlungen kommen Mobbingelementen mit dauerverletzender Gestaltungswirkung eine besondere Rolle zu. Dabei handelt es sich insbesondere um Rechtsmaßnahmen, die ihren Adressaten über ihre bloße Kundgabe hinaus für den Zeitraum ihrer Wirkung mit einer andauernden Drucksituation auf die psychische Stabilität und die soziale Geltung belasten. Der Zeitraum der rechtlichen und psychosozialen Wirkungsdauer solcher Tatelemente ist nicht als Unterbrechung des Mobbingzusammenhangs anzusehen, er hat vielmehr Klammerwirkung zu der jeweils vorangegangenen bzw. nachfolgenden Mobbinghandlung. Die art- und ablaufbezogene Regelförderlichkeit einer mobbingtypischen Zielsetzung erfordert bei Inanspruchnahme mehrerer Personen als Mobbingtäter die Feststellung der Arbeitsteiligkeit oder in sonstiger Weise derselben Zielsetzung förderliche Zusammengehörigkeit der von diesen geleisteten und als gemeinsames Mobbing geltend gemachten Tatbeiträge.1 255
Das LAG Thüringen misst dem Vorliegen eines „Mobbing-typischen“ medizinischen Befundes besondere Bedeutung zu. Wenn eine Konnexität zu den behaupteten Mobbinghandlungen feststellbar sei, müsse das Vorliegen eines solchen Befundes als ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen werden. Die jeweilige Ausprägung eines solchen Befundes könne ebenso wie eine „Mobbing-typische“ Suizidreaktion des Opfers im Einzelfall darüber hinaus Rückschlüsse auf die Intensität zulassen, in welcher der Täter das Mobbing betrieben hat. Wenn eine Konnexität zu feststehenden Mobbinghandlungen vorliege, dann bestehe eine von der für diese Handlungen verantwortlichen oder juristischen Person zu widerlegende tatsächliche Vermutung, dass diese Handlungen den Schaden verursacht haben, den die in dem medizinischen Befund attestierte Gesundheitsverletzung oder die Suizidreaktion des Opfers zur Folge habe.2 Überdies komme, so das LAG Thüringen, der Aussage des Mobbingopfers bei der richterlichen Überzeugungsbildung ein besonderes Gewicht zu.3
256
Das Mobbing stellt ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers dar, sodass vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung nicht generell entbehrlich ist. Eine vorherige Abmahnung ist erforderlich, wenn durch sie eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Dies ist allerdings nur bei einer groben Vertragsverletzung, die anzunehmen ist, wenn das Mobbing das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Mobbingopfers in 1 LAG Thüringen v. 28.6.2005 – 5 Sa 63/04, ArbuR 2006, 31–32. 2 LAG Thüringen v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 = LAGE § 626 BGB Nr. 133. 3 LAG Thüringen v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 = LAGE § 626 BGB Nr. 133.
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Einzelfälle
Rz. 259 Teil 4
schwerwiegender Weise verletzt, nicht der Fall. Muss der Mobbingtäter erkennen, dass das Mobbing zu einer Erkrankung des Opfers geführt hat und setzt dieser dessen ungeachtet das Mobbing fort, dann kann für eine auch nur vorübergehende Weiterbeschäftigung des Täters regelmäßig kein Raum mehr bestehen.1 15. Nebentätigkeit Unter den Begriff Nebentätigkeit wird der Einsatz der Arbeitskraft des Arbeitnehmers außerhalb des Hauptarbeitsverhältnisses zu Erwerbszwecken verstanden.2 Nebentätigkeiten sind grundsätzlich zulässig. Soweit die Nebentätigkeit beruflicher Natur ist, ist sie durch Art. 12 GG verfassungsmäßig geschützt. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit zu ergreifen und zur Grundlage seiner Lebenssituation zu machen, für die er sich geeignet glaubt. Dieses Grundrecht konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung. Es zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab. Daher schützt Art. 12 Abs. 1 GG auch die Freiheit, eine nebenberufliche Tätigkeit zu ergreifen.3 Dem Arbeitnehmer ist es allerdings nicht gestattet, für diese Nebentätigkeit ohne vorherige Zustimmung Arbeitsmittel des Arbeitgebers zu verwenden, wozu auch der Internetzugang und der Arbeitsplatz an sich zählen, selbst wenn die Nutzung außerhalb der Dienstzeit erfolgt.4
257
Nebentätigkeitsbeschränkungen enthalten u.a. § 60 HGB (Verbot der Konkurrenztätigkeit), § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Satz 1 ArbZG (Verbot der Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit) sowie § 8 BUrlG (Verbot der Ausübung einer dem Urlaubszweck widersprechenden Erwerbstätigkeit).
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Eine Vertragsklausel, die dem Arbeitnehmer die Aufnahme jeder Nebentätigkeit verbietet, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und steht in Widerspruch zu Art. 12 Abs. 1 GG.5 Bislang wurde für Altfälle vor der Schuldrechtsreform eine dementsprechende Vertragsklausel dahin gehend im Wege der geltungserhaltenden Reduktion ausgelegt, dass nur solche Nebentätigkeiten verboten sind, an deren Unterlassung der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat.6 Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nach der Schuldrechtsreform
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1 LAG Thüringen v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 = LAGE § 626 BGB Nr. 133. 2 Hunold, NZA-RR 2002, 505 (Rechtsprechungsüberblick zur Nebentätigkeit); siehe auch Gaul/Bonanni, ArbRB 2002, 284. 3 BVerfG v. 5.5.1987 – 1 BvR 981/81, NJW 1988, 543 = BVerfGE 75, 284; BAG v. 24.7.1999 – 6 AZR 605/97, DB 2000, 1336 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB; v. 21.9.1999 – 9 AZR 759/98, NZA 2000, 723 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 26.6.2001 – 9 AZR 343/00, NZA 2002, 98 = AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe. 4 LAG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2007 – 9 Sa 234/07 (n.v.) zitiert nach juris. 5 BAG v. 21.9.1999 – 9 AZR 759/98, NZA 2000, 723 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, NZA 2002, 965 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; LAG Köln v. 14.4.2008 – 5 Sa 413/08 zitiert nach juris. 6 BAG v. 26.8.1976 – 2 AZR 377/75, DB 1977, 544 = AP Nr. 68 zu § 626 BGB; v. 24.6.1999 – 6 AZR 605/97, DB 2000, 1336 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Nebentätigkeit.
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Teil 4 Rz. 260
Die verhaltensbedingte Kündigung
im Arbeitsrecht grundsätzlich nicht mehr in Betracht.1 In § 310 Abs. 4 BGB wird die Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Arbeitsverträge ausdrücklich angeordnet, auch wenn die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind. Eine verfassungskonforme Auslegung, wie sie früher teilweise vorgenommen wurde, erscheint angesichts der ausdrücklichen Regelung in § 305c Abs. 2 BGB, die eine Auslegung zu Lasten des Verwenders normiert, ebenfalls ausgeschlossen. Da entsprechende Klauseln mangels Teilbarkeit in der Regel auch nicht teilweise aufrecht erhalten werden können, käme allenfalls eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht, die aber wegen des dem AGB-Recht immanenten Umgehungsverbotes nur dann zulässig wäre, wenn das Festhalten am Vertrag eine unzumutbare Härte im Sinne des § 306 Abs. 3 BGB darstellen würde. Hierfür ist der Arbeitgeber allerdings darlegungs- und beweispflichtig.2 Das BAG lehnt eine solche Unzumutbarkeit aber selbst bei Altverträgen ab, da der Arbeitgeber nach Ablauf der einjährigen Übergangsfrist aus Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB im Jahre 2003 ausreichend Zeit gehabt habe, eine betroffene Klausel dem geltenden Recht anzupassen. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass eine arbeitsvertragliche Nebentätigkeitsklausel, die pauschal jegliche Nebentätigkeit verbietet, nichtig ist.
" Praxistipp: Es erscheint zweckmäßig, ein Nebentätigkeitsverbot von vorn-
herein auf Tätigkeiten zu beschränken, die den Arbeitgeberinteressen zuwiderlaufen und gleichzeitig Altverträge auf einen notwendigen Anpassungsbedarf zu überprüfen.3
260
Das in einem Tarifvertrag für vollzeitbeschäftigte Busfahrer vereinbarte partielle Verbot von Nebentätigkeiten, die mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen verbunden sind, verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da das Verbot zur Erreichung einer Lenkzeitkontrolle geeignet, erforderlich und angemessen ist.4
261
Ist in einem Arbeitsvertrag vereinbart, dass die Ausübung einer Nebentätigkeit der Zustimmung des Arbeitgebers bedarf, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, die Aufnahme einer Nebentätigkeit willkürlich zu verwehren. Sofern keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu erwarten ist, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Erteilung der Zustimmung.5 Ein sog. Erlaubnisvorbehalt ist demzufolge nicht einem Nebentätigkeitsverbot gleichzusetzen. Ein Erlaubnisvorbehalt dient nur dazu, dem Arbeitgeber bereits vor Aufnahme der Nebentätigkeit die Überprüfung zu ermöglichen, ob seine Interessen beein-
1 BAG v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, NZA 2004, 727–734 = AP Nr. 3 zu § 309 BGB; v. 19.12. 2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809–813 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Sachbezüge. 2 BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809–813 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Sachbezüge. 3 LAG Köln v. 14.4.2008 – 5 Sa 413/08 zitiert nach juris; BAG v. 13.3.2003 – 6 AZR 585/01, NZA 2003, 976–978 = AP Nr. 7 zu § 11 BAT. 4 BAG v. 26.6.2001 – 9 AZR 343/00, NZA 2002, 98 = AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe. 5 BAG v. 28.2.2002 – 6 AZR 357/01, DB 2002, 1560 = EzBAT Nr. 13 zu § 11 BAT (§ 5 Abs. 2 AVR).
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Einzelfälle
Rz. 263 Teil 4
trächtigt werden.1 Er verstößt daher nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da sich die Beschränkung der Freiheitsrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG durch die Verpflichtung zur Unterrichtung des Arbeitgebers vor Aufnahme der Nebentätigkeit in Grenzen hält. Verstößt der Arbeitnehmer gegen seine Verpflichtung zur Einholung der Zustimmung, so ist eine Abmahnung auch dann berechtigt, wenn er Anspruch auf deren Erteilung hat.2 Im öffentlichen Dienst ist die Zulässigkeit der Ausübung einer Nebentätigkeit regelmäßig von der etwaigen Beeinträchtigung dienstlicher Interessen abhängig. Eine dementsprechende Regelung verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.3 Gleichwohl ist dem Dienstherrn kein Ermessensspielraum bei der Erteilung oder Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung eingeräumt. Es besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung, wenn der Versagungsgrund nicht vorliegt. Dabei ist einerseits die bloße, nicht auszuschließende Möglichkeit einer fernliegenden Gefahr der Beeinträchtigung der dienstlichen Interessen als nicht ausreichend anzusehen, andererseits aber auch eine in hohem Maße bestehende Wahrscheinlichkeit einer solchen Beeinträchtigung in absehbarer Zeit nicht erforderlich.4 Abschließend ist zu prüfen, ob die Interessen des Dienstgebers gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Ausübung der Nebentätigkeit den Vorrang genießen.5
262
Ist die Nebentätigkeit unter Berücksichtigung obiger Ausführungen zustimmungspflichtig oder verboten, stellt ein Vertragsverstoß nach vorheriger Abmahnung einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar.6 Ausnahmsweise kommt bei schwerwiegenden Vertragsverstößen eine außerordentliche Kündigung in Betracht, so z.B. bei einer unerlaubten Nebentätigkeit während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit7 oder bei der Inanspruchnahme eines Schreibdienstes und Anfertigung von Kopien für eine nicht genehmigte Nebentätigkeit.8
263
1 BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, NZA 2002, 965–968 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 13.3.2003 – 6 AZR 585/01, NZA 2003, 976–978 = AP Nr. 7 zu § 11 BAT; LAG Köln v. 14.4.2008 – 5 Sa 413/08 zitiert nach juris. 2 BAG v. 30.5.1996 – 6 AZR 537/95, NZA 1997, 145 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, NZA 2002, 965 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Nebentätigkeit. 3 BAG v. 22.2.2001 – 6 AZR 398/99, EzBAT Nr. 10 zu § 11 BAT (zu § 68 Abs. 2 LBG NW); v. 28.2.2002 – 6 AZR 33/01, ZTR 2002, 429 = EzBAT Nr. 12 zu § 11 BAT (§ 83 Abs. 2 LBG BW); v. 28.2.2002 – 6 AZR 357/01, DB 2002, 1560 = EzA Nr. 7 zu § 611 BGB Nebentätigkeit (§ 5 Abs. 2 AVR); v. 19.4.2007 – 2 AZR 180/06, NZA-RR 2007, 571–579 = AP Nr. 20 zu § 174 BGB. 4 BAG v. 7.12.1989 – 6 AZR 241/88 (n.v.), ZTR 1990, 379; v. 24.6.1999 – 6 AZR 605/97, DB 2000, 1336 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 28.2.2002 – 6 AZR 33/01, ZTR 2002, 429. 5 BAG v. 24.6.1999 – 6 AZR 605/97, DB 2000, 1336 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; v. 28.2.2002 – 6 AZR 357/01, DB 2002, 1560. 6 BAG v. 15.3.1990 – 2 AZR 484/89, RzK I 5i 60. 7 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB. 8 LAG Hamm v. 5.6.1998 – 5 Sa 1397/97, NZA-RR 1999, 126.
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Teil 4 Rz. 264
Die verhaltensbedingte Kündigung
16. Schlecht- oder Minderleistung 264
Schlecht- oder Minderleistungen können, soweit es sich nicht um einmalige Vorfälle handelt, nach vorheriger Abmahnung eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen rechtfertigen.1 Maßgeblich ist insofern zunächst die Abgrenzung, ob die Schlechtleistung personen- oder verhaltensbedingt ist. (Siehe zur personenbedingten Schlechtleistung [sog. „Low-Performer“] auch Teil 3 Rz. 174 ff.) Beruht die Schlechtleistung darauf, dass der Arbeitnehmer die vertragsgemäße Leistung erbringen könnte, wenn er wollte, finden die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung Anwendung, da eine verhaltensbedingte Kündigung voraussetzt, dass dem Arbeitnehmer eine vorwerfbare Pflichtverletzung zur Last fällt. Eine längerfristige deutliche Unterschreitung der durchschnittlichen Arbeitsleistung kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer weniger arbeitet, als er könnte. Ist dem Arbeitnehmer hingegen die Erbringung der vertragsgemäßen Leistung aufgrund subjektiver Eigenschaften, seien sie körperlicher oder geistiger Natur, nicht möglich, kommt eine personenbedingte Kündigung in Betracht, wenn bei einem über längere Zeit erheblich leistungsschwachen Arbeitnehmer auch für die Zukunft mit einer schweren Störung des Vertragsgleichgewichts zu rechnen ist.2
265
Für den Bereich der verhaltensbedingten Kündigung gilt, dass der Arbeitnehmer keine „Dauerspitzenleistung“ schuldet, sondern eine Arbeitsleistung, die er bei angemessener Anspannung seiner individuellen Kräfte und Fähigkeiten erbringen kann, wozu eine Tätigkeit von mittlerer Art und Güte ausreicht.3 Ist die Arbeitsleistung, wie regelmäßig, der Menge und Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Einen objektiven Maßstab gibt es nicht.4 Das BAG5 unterscheidet zwischen der qualitativen und der quantitativen Minderleistung. Bei der quantitativen Minderleistung können die Werte für die Annahme einer Störung des Leistungsgleichge-
1 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, DB 1982, 180 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 15.8.1984 – 7 AZR 228/82, NJW 1985, 2158 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969; LAG Köln v. 25.11.1997 – 9 (8) Sa 873/97, EzBAT § 53 BAT Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 46; v. 5.2.1998 – 10 (8) Sa 858/97, (n.v.); LAG Hamm v. 23.8. 2000 – 18 Sa 463/00, NZA-RR 2001, 138; ArbG Celle v. 14.5.2001 – 2 Ca 73/01, NZA-RR 2001, 478; LAG Köln v. 23.5.2002 – 7 Sa 71/02, NZA-RR 2003, 305. 2 BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380–1383 = AP Nr. 33 zu § 23 KSchG 1969. 3 BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 555/91, NZA 1992, 1028 = AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Hamm v. 23.8.2000 – 18 Sa 463/00, NZA-RR 2001, 138; ArbG Celle v. 14.5.2001 – 2 Ca 73/01, NZA-RR 2001, 478. 4 BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, 693–696 = AP Nr. 85 zu § 1 KSchG 1969. LAG Schleswig-Holstein v. 27.5.2008 – 5 Sa 398/07, NZA-RR 2008, 573–577. 5 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917–923 = AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969.
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Einzelfälle
Rz. 266 Teil 4
wichts herangezogen werden.1 Der Arbeitgeber muss konkret vortragen, ob die Kündigungsgründe auf einem unter den Fähigkeiten des Arbeitnehmers liegenden Leistungsverhalten beruhen oder die Leistung des Arbeitnehmers hinter der vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleibt. Die Darlegung eines Leistungsverhaltens, das unter den Fähigkeiten des Arbeitnehmers liegt, bereitet in der Praxis ebenso große Schwierigkeiten wie der Nachweis, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers liege unter dem Durchschnitt. Nach Auffassung des BAG genügt schließlich nicht der Hinweis des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe unterdurchschnittlich gearbeitet, weil in einer sehr guten Gruppe schon der gute Arbeitnehmer unter dem Durchschnitt arbeitet.2 Bei einer Kündigung wegen qualitativer Minderleistung gilt der subjektive Maßstab. Es bedarf – im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast – zunächst eines Vortrags detaillierter Tatsachen durch den Arbeitgeber, von welchem durchschnittlichen Leistungsvermögen auszugehen ist und in welchem Maß (Fehlerzahl, Art und Schwere sowie Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung) die kündigungsbegründenden Leistungen davon abweichen.3 Kann der Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigter Arbeitnehmer erheblich überschreitet, so kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Da jedoch der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber noch weitere Umstände darlegen. Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers ist näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquoten nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Hierbei ist insbesondere darzulegen, welche betrieblichen Beeinträchtigungen durch die konkret darzulegenden Fehler verursacht werden und dass es sich insoweit nicht lediglich um Fehler handelt, die trotz einer gewissen Häufigkeit angesichts der konkreten Umstände der Arbeitsleistung vom Arbeitgeber hinzunehmen sind. Legt der Arbeitgeber dies im Prozess dar, so muss der Arbeitnehmer erläutern, warum er trotz erheblich unterdurchschnittlicher Leistungen seine Leistungsfähigkeit ausschöpft.4 Die Kündigung kann dabei nicht allein auf allgemeine Werturteile gestützt werden.5 Soweit ein Arbeitnehmer aufgrund von Leistungsmängeln abgemahnt worden ist, muss ihm Gelegenheit gegeben werden, in einer zeitlich den Umständen
1 Minderleistung von 30 %, vgl. BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784–788 = AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, DB 1983, 180 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NJW 2004, 2545; ArbG Celle v. 14.5.2001 – 2 Ca 73/01, NZA-RR 2001, 478. 4 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917–923 = AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969. 5 LAG Köln v. 5.2.1998 – 10 (8) Sa 885/97, (n.v.).
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Teil 4 Rz. 267
Die verhaltensbedingte Kündigung
des Einzelfalls angepassten Umlernphase sein Verhalten umstellen zu können. Anderenfalls ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt.1 267
Im Rahmen der Interessenabwägung ist die Beschäftigungsdauer, die Dauer der fehlerfreien Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und der entstandene Sach- oder Personenschaden zu berücksichtigen.2
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Eine außerordentliche Kündigung wegen Schlechtleistung kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich handelt oder einem leitenden Angestellten besonders schweres und folgenreiches Versagen bei der Lösung dringender betrieblicher Aufgaben anzulasten ist.3 Kündigt ein Arbeitgeber wegen bewusster Zurückhaltung der Arbeitskraft außerordentlich, muss er im Kündigungsschutzprozess die nicht ganz unplausible Entschuldigung des Arbeitnehmers, die Minderleistungen seien behinderungsbedingt und damit nicht vorwerfbar, ausräumen, auch wenn sich der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses nicht darauf berufen hat.4
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" Praxistipp: Der Arbeitgeber hat die Leistungsmängel detailliert zu bezeich-
nen unter Angabe des jeweiligen Fehlers und der Vertragsverletzung, da pauschale Werturteile keinen schlüssigen Vortrag begründen. Daher sollte jede einzelne Fehlleistung des Arbeitnehmers nach Art, Schwere und Folge schriftlich festgehalten werden.
17. Strafbare Handlungen 270
Strafbare Handlungen sind kündigungsrechtlich nur dann relevant, wenn sie zugleich einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten darstellen. Dies ist bei strafbaren Handlungen innerhalb des Arbeitsverhältnisses stets der Fall; außerhalb des Arbeitsverhältnisses bedarf es dazu besonderer Feststellungen. a) Beleidigungen
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Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind Beleidigungen durch Arbeitnehmer, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den betroffenen Arbeitgeber bedeuten, als Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis an sich zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeignet; der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG berufen.5 Entsprechendes gilt für bewusst wahrheitswidrig aufgestellte, ehrverletzende Tat1 LAG Hessen v. 26.4.1999 – 16 Sa 1409/98, NZA-RR 1999, 637 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71. 2 LAG Berlin v. 4.9.1998 – 6 Sa 47/98, (n.v.). 3 LAG Sachsen-Anhalt v. 13.2.1996 – 8 Sa 46/95, (n.v.). 4 LAG Köln v. 26.2.1999 – 11 Sa 1216/98, NZA-RR 2000, 25. 5 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917–923 = AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969; v. 24.6.2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 158–161 = AP Nr. 49 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, DB 2003, 1797–1798 = EzA Nr. 1 zu § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit; Besonderheiten gelten bei bei Meinungsäußerungen während eines Arbeitskampfes, s.o. Rz. 160 ff.
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Einzelfälle
Rz. 273 Teil 4
sachenbehauptungen, etwa wenn sie den Tatbestand einer üblen Nachrede ausfüllen.1 Dies beruht darauf, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen schützt und dass dieses Grundrecht im Übrigen nicht schrankenlos gewährt, sondern insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt ist und in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden muss.2 Kündigungsrechtlich ausschlaggebend ist nicht die strafrechtliche Beurteilung.3
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat sich eine umfassende Judikatur gebildet, die verschiedene Differenzierungsmerkmale aufweist. Zunächst ist maßgeblich, ob die Beleidigung unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber ausgesprochen oder Dritten gegenüber geäußert worden ist. Gegebenenfalls rechtfertigen Äußerungen über Vorgesetzte, selbst wenn sie unwahr oder ehrenrührig sind, eine verhaltensbedingte Kündigung nicht, wenn sie im Kollegenkreis in der sicheren Erwartung erfolgen, sie würden nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen.4 Die Nichtberücksichtigung vertraulicher Äußerungen ist durch die Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, das die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre als Ausdruck der Persönlichkeit besonders schützt, geboten, solange der Betroffene die Vertraulichkeit nicht selbst aufhebt.5 Ein Arbeitnehmer ist schließlich nicht gehalten, von seinem Arbeitgeber nur positiv zu denken und sich in einer Privatsphäre ausschließlich entsprechend zu äußern. Hebt allein der Gesprächspartner gegen den Willen des sich negativ über seinen Arbeitgeber äußernden Arbeitnehmers die Vertraulichkeit auf, geht dies arbeitsrechtlich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers.6 Dies gilt erst recht für Äußerungen eines Arbeitnehmers gegenüber dem Betriebsrat, wenn kein Grund zur An-
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1 Vgl. BAG v. 26.5.1977 – 2 AZR 632/76, DB 1977, 2099 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; v. 6.2.1997 – 2 AZR 38/96 (n.v.), BuW 1997, 400; v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB; v. 17.2.2000 – 2 AZR 927/98, juris; v. 24.6.2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 158–161 = AP Nr. 49 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 2 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917–923 = AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969; v. 24.11.2005 – 2 AZR 584/04; v. 24.6.2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 159 = AP Nr. 49 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 17.2.2000 – 2 AZR 927/98, (n.v.) mit Verweis auf BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266; BVerfG v. 10.11. 1998 – 1 BvR 1531/96, BVerfGE 99, 185; zuletzt BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BVR 1696/98. 3 St. Rspr., vgl. zuletzt: BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 676/98, NZA 1999, 1270 = AP Nr. 11 zu § 15 BBiG; LAG Thüringen v. 13.2.2001 – 5 Sa 27/00, (n.v.). 4 BAG v. 30.11.1972 – 2 AZR 79/72, WM 1973, 471 = AP Nr. 66 zu § 626 BGB; v. 17.2. 2000 – 2 AZR 927/98 (n.v.) zitiert nach juris; v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, DB 2003, 1797–1798 = EzA Nr. 1 zu § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit; LAG Köln v. 16.1.1998 – 11 Sa 146/97, NZA-RR 1998, 395 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64; LAG Hessen v. 2.10.2001 – 2 Sa 879/01, LAGReport 2002, 165. 5 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, DB 2003, 1797–1798 = EzA Nr. 1 zu § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit; v. 17.2.2000 – 2 AZR 927/98 mit Verweis auf BVerfG v. 26.4.1994 – 1 BvR 1968/88, BVerfGE 90, 255; BVerfG v. 24.6.1996 – 2 BvR 2137/95, NJW 1997, 185. 6 BAG v. 30.11.1972 – 2 AZR 79/72, AP Nr. 66 zu § 626 BGB.
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Teil 4 Rz. 274
Die verhaltensbedingte Kündigung
nahme besteht, die Vertraulichkeit der Mitteilung werde gebrochen.1 Sofern der Arbeitnehmer Dritte beleidigt, die nicht Kunden oder Betriebsangehörige sind, kommt eine verhaltensbedingte Kündigung nicht in Betracht, da es insofern an einem Bezug zum Arbeitsverhältnis und mithin an einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten fehlt.2 274
Des Weiteren ist danach zu differenzieren, mit welcher Zielsetzung die Beleidigung geäußert wurde – wobei diesbezüglich altruistische Motive nicht geeignet sind, eine Beleidigung in einem wesentlich günstigeren Licht erscheinen zu lassen3 – und welche sonstigen Umstände der Beleidigung im Einzelnen zugrunde liegen. Insofern ist maßgeblich, welche Umgangsstile in der betreffenden Branche verkehrsüblich sind4, in welcher Situation5, in welcher psychischen Lage sich der Arbeitnehmer befand6 und inwiefern der Ausspruch der Beleidigung durch den Arbeitgeber mitverursacht wurde.7 Darüber hinaus ist entscheidend, ob die Beleidigung als gezielte Kränkung, sei es durch Kraftausdrücke8 oder in sonstiger Weise9 oder die Beleidigung lediglich eine situationsbedingt nachvoll1 LAG Köln v. 16.1.1998 – 11 Sa 146/97, NZA-RR 1998, 395 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 2.4.2008 – 6 TaBV 46/07, zitiert nach juris. 3 BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 927/98 (n.v.) mit Verweis auf BAG v. 10.2.1999 – 2 ABR 31/98, NZA 1999, 708 = AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969. 4 Vgl. LAG Köln v. 30.1.1998 – 4 Sa 930/97, NZA 1998, 1284. 5 Vgl. LAG Berlin v. 14.7.1997 – 9 Sa 52/97, NZA 1998, 167 = LAGE § 626 BGB Nr. 108; LAG Hessen v. 24.10.2000 – 9 TaBV 19/00, NZA-RR 2001, 300 zur Beleidigung von Mitarbeitern während des Warnstreiks; ArbG Berlin v. 11.5.2001 – 88 Ca 5714/01, NZA-RR 2002, 129. 6 LAG Berlin v. 14.7.1997 – 9 Sa 52/97, NZA 1998, 167 = LAGE § 626 BGB Nr. 108. 7 BAG v. 22.12.1956 – 3 AZR 91/56, BAGE 3, 193 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 30.1.1998 – 4 Sa 930/97, NZA 1998, 1284; LAG Thüringen v. 13.2.2001 – 5 Sa 27/00, (n.v.). 8 LAG Berlin v. 14.7.1997 – 9 Sa 52/97, NZA 1998, 167 = LAGE § 626 BGB Nr. 108 „Du Schwein“; LAG Köln v. 18.4.1997 – 11 Sa 995/96, NZA-RR 1998, 15 „Verbrecher“; v. 16.3.1999 – 13 Sa 1392/98, MDR 1999, 1085 = LAGE § 448 ZPO Nr. 3 „größte Drecksau“; LAG Hessen v. 24.10.2000 – 9 TaBV 19/00, NZA-RR 2001, 300 „Arschkriecher“; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.11.2000 – 9 Sa 967/00, ZMV 2001, 146 „Arschloch“; LAG Thüringen v. 13.2.2001 – 5 Sa 27/00, (n.v.) „arrogantes Schwein“. 9 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863 = AP Nr. 151 zu § 626 BGB „Behandlung durch den Arbeitgeber wie der letzte Verbrecher, Sklave oder Diener“; v. 17.2.2000 – 2 AZR 927/98, (n.v.) „Unterstellung krimineller Machenschaften“; v. 6.11.2003 – 2 AZR 177/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 „Bezichtigung des Arbeitgebers der Rechtsbeugung“; LAG Köln v. 16.1.1998 – 11 Sa 146/97, NZA-RR 1998, 395 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 „Schwarzgeschäfte von Vorgesetzten“; LAG Köln v. 21.8.1998 – 11 Sa 155/97, NZA-RR 1999, 186 „Zeigen des Mittelfingers“; LAG Schleswig-Holstein v. 4.11.1998 – 2 Sa 330/98, NZA-RR 1999, 132 „Beleidigungen im Internet unter der Bezeichnung ‚News der Woche‘“; ArbG Frankfurt/Main v. 6.3.2001 – 4 Ca 5471/00, NZA-RR 2002, 301 „Verbreitung eines Verhältnisses zwischen dem Vorgesetzten und einer verheirateten Arbeitnehmerin“; ArbG Wiesbaden v. 2.5.2001 – 3 Ca 33/01, NZA-RR 2001, 639 „Beleidigung durch Metapher über das interne E-Mail-System“; LAG Berlin v. 28.8.2002 – 9 Sa 659/02, NZA-RR 2003, 362 „Pleiteäußerung“; LAG Berlin v. 14.3.2003 – 1256/02, EzBAT § 53 BAT Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 „Bezeichnung des Unternehmens gegenüber Praktikanten als Scheißfirma, die Hungerlohn zahle“.
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ziehbare, einmalige Entgleisung darstellt.1 Im Rahmen einer Konfliktsituation geäußerte grobe, massiv ehrverletzende Beleidigungen können in ihrer das Arbeitsumfeld beschädigenden Wirkung noch abgemildert werden, wenn der Äußernde im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang klar macht, dass es sich um eine unbedachte Äußerung gehandelt hat. In diesem Zusammenhang kommt einer sich unmittelbar anschließenden Entschuldigung eine erhebliche Bedeutung zu. Es kann deswegen im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, wenn dieser eine solche Beleidigung mehrfach in verschiedenem sprachlichen Kontext gebraucht und die ihm vom Arbeitgeber ausdrücklich gegebene Gelegenheit zur Entschuldigung nicht nutzt, sondern stattdessen betont, dass es sich nach seiner Einschätzung um eine „normale Wortwahl“ handelt.2 b) Bestechlichkeit Ein Arbeitnehmer, der sich bei der Ausführung seiner vertraglichen Aufgaben Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder geeignet sind, ihn in seinem geschäftlichen Verhalten zugunsten Dritter und zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen, handelt den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und verstößt eklatant gegen die ihm obliegende Treuepflicht. Eine derartige Annahme von „Schmiergeld“ stellt regelmäßig einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung dar. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung tatsächlich gekommen ist. Vielmehr reicht die allgemeine Gefahr aus, der annehmende Arbeitnehmer werde nicht mehr allein die Interessen des Arbeitgebers wahrnehmen. Die offenkundige Einstellung des Arbeitnehmers, unbedenklich eigene Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben wahrnehmen zu wollen, obwohl er sie allein im Interesse des Arbeitgebers durchzuführen hat, zerstört das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit.3
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c) Eigentums- und Vermögensdelikte Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers stellen an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.4 Im Falle des Arbeitszeitbetrugs liegt das auf der Hand. Auch ein lediglich versuchter Prozessbetrug zu Lasten des Arbeitgebers stellt ein Vermögensdelikt und damit einen Kündigungsgrund dar.5 Dies gilt aber auch für den Diebstahl oder die Unter1 BAG v. 18.7.1957 – 2 AZR 121/55, EzA § 124a GewO Nr. 1; v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744–748 = EzA Nr. 3 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung; v. 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486–48 = AP Nr. 179 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 18.4.1997 – 11 Sa 995/96, NZA-RR 1998, 15 = LAGE § 626 BGB Nr. 111; LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2008 – 11 Sa 564/07 (n.v.). 2 LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2008 – 11 Sa 564/07 (n.v.). 3 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, ZTR 2002, 45–46 = EzA Nr. 7 zu § 626 BGB Unkündbarkeit; 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, NZA 1996, 419 = AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972; LAG Düsseldorf v. 24.8.2001 – 18 Sa 366/01, LAGE § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 4. 4 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09; v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008; v. 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486; v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985. 5 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 528/06, ZInsO 2008, 335–336 = EzA Nr. 19 zu § 626 BGB 2002; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 3.4.2008 – 11 Sa 363/07.
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schlagung von Sachen, selbst bei solchen mit nur geringem Wert.1 Dies hat jüngst der 2. Senat des BAG in der im Rahmen der allg. Öffentlichkeit kontrovers beurteilten sog. „Emmely-Entscheidung“ ausdrücklich nochmals bestätigt.2 Dass das BAG – anders als die Vorinstanzen – der Klage gleichwohl stattgegeben hat, lag ausschließlich daran, dass es im Rahmen der Interessenabwägung, nicht ganz widerspruchsfrei, u.a. den geringen wirtschaftlichen Schaden zugunsten der schon 30 Jahre lang beschäftigten Klägerin berücksichtigt hat. Die entgegenstehende Ansicht, wonach der Diebstahl oder die Unterschlagung geringwertiger Sachen bereits nicht die Schwelle des wichtigen Grundes erreicht3, hat das BAG in bisher ständiger Rspr. abgelehnt.4 Zur Begründung wurde hervorgehoben, dass der Arbeitnehmer durch die Eigentumsverletzung unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers gebrochen habe. Der Umfang des dem Arbeitgeber zugefügten Schadens kann aber im Rahmen der anschließenden Interessenabwägung im Hinblick auf die Stellung des Arbeitnehmers, die Art des entwendeten Guts und die besonderen Verhältnisse des Betriebs unterschiedliches Gewicht für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Pflichtverstoßes aufweisen.5 277
Eine Abmahnung war bislang grundsätzlich nicht erforderlich, da Eigentumsund Vermögensdelikte schwere Pflichtverletzungen darstellen, deren Rechts-
1 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91 = AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung (ein Stück Bienenstich); v. 20.9.1984 – 2 AZR 633/82, NZA 1985, 286 = AP Nr. 80 zu § 626 BGB (drei Kiwifrüchte); v. 13.12.1984 – 2 AZR 454/83, NZA 1985, 288 = AP Nr. 81 zu § 626 BGB (umstrittene Menge Dieselkraftstoff); v. 3.4.1986 – 2 AZR 324/85, NZA 1986, 677 = AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung (ein Lippenstift); v. 16.10.1986 – 2 AZR 695/85, RzK I 6d Nr. 5 (zwei Päckchen Zigaretten); v. 2.4.1987 – 2 AZR 204/86, RzK I 6d Nr. 7 (ein Liter Sahne); v. 10.2.1999 – 2 ABR 31/98, NZA 1999, 708 = AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969 (Metallschrott); v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung (drei Kaffeebecher und zwei Packungen Schinken); v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008 (ein Lippenstift); v. 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486–48 = AP Nr. 179 zu § 626 BGB (62 bereits abgeschriebene Miniflaschen Alkoholika); LAG Köln v. 30.7.1999 – 11 Sa 425/99, NZA-RR 2000, 189 = LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11 (Unterschlagung von 48,97 DM [25,04 Euro]); LAG Düsseldorf v. 3.8.1999 – 8 Sa 672/99, EzB. AT § 54 BAT Nr. 60 (Unterschlagung von 1,99 DM [1,02 Euro]); LAG Köln v. 6.8.1999 – 11 Sa 1085/98, NZA-RR 2000, 24 = LAGE § 626 BGB Nr. 127 (drei Gläser Wiener Würstchen); LAG Köln v. 30.9.1999 – 5 Sa 872/99, NZA-RR 2001, 83 (drei Briefumschläge); LAG Thüringen v. 13.10.1999 – 6 Sa 365/99, AuA 2000, 547 (1,15 kg Rinderbeinscheiben). Vgl. aber auch die Ausnahmeentscheidung des LAG Sachsen-Anhalt v. 14.1.2003 – 8 Sa 341/01, (n.v.) (10 Tabletten eines Beruhigungsmittels zur Durchführung eines Suizidversuchs), wo das LAG im Rahmen der Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse der Arbeitnehmerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bejahte; kritisch auch Schlachter, NZA 2005, 433 ff. 2 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09 (2 Pfandbons im Wert von je 1,30 Euro). 3 ArbG Reutlingen v. 4.6.1996 – 1 Ca 73/96, RzK I 6d Nr. 12; Däubler, Das Arbeitsrecht II, 11. Auflage, Rz. 1137; HK-KSchG/Dorndorf, § 1 KSchG Rz. 834. 4 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 5 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09; v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung.
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widrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist.1 Zudem ist beachtlich, dass der Arbeitgeber angesichts der Schwere der Pflichtverletzung vernünftigerweise aus dem Verhalten des Arbeitnehmers den Schluss ziehen muss, der Arbeitnehmer, der einmal vorsätzlich in einer derartigen Weise sich am Betriebseigentum vergreift und seinen Arbeitsplatz leichtfertig aufs Spiel setzt, biete Anlass zu der Befürchtung, dass ähnliche Pflichtverletzungen unter Umständen auch schon früher vorgekommen sind bzw. auch in Zukunft vorkommen.2 Konkret kann die nicht zu erwartende Duldung des Verhaltens durch den Arbeitgeber daraus folgen, dass dem Arbeitnehmer das Tatobjekt anvertraut war.3 Das LAG Köln vertritt die Auffassung, die mehrfache Entwendung und Benutzung von im Betrieb des Arbeitgebers verwendeten Versandmaterials von geringem Wert (hier: drei Briefumschläge im Wert von 0,03 DM) durch den Arbeitnehmer rechtfertige in der Regel nicht eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung.4 Es stellt darauf ab, dass es angesichts des massenhaften Umgangs mit derartigen, äußerst geringwertigen Gegenständen im Betrieb des Arbeitgebers einer klaren Regelung bedurft hätte, wenn der Arbeitgeber die private Verwendung solchen Materials in dem genannten Umfang verbieten wollte, da es naheliegend sei, dass ein Arbeitnehmer solches geringwertiges Büromaterial, auch wenn es im Eigentum des Arbeitgebers steht, auch für private Zwecke für den Fall nutze, dass ihm gerade eigenes Material nicht zur Verfügung steht.5 Die Justitiabilität dieser Argumentation erscheint fragwürdig.
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Unabhängig davon, dass eine Abmahnung regelmäßig entbehrlich ist, bedarf es einer Interessenabwägung.6 Im Rahmen der Interessenabwägung ist es unerheblich, ob die dem Arbeitnehmer wegen der Kündigung entstehenden Nachteile weitaus größer sind als der dem Arbeitgeber zugefügte Schaden.7 Ebenfalls bleibt die Erfüllung von Unterhaltspflichten zwar nicht von vornherein außer Be-
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1 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, ZTR 2002, 45–46 = EzA Nr. 7 zu § 626 BGB Unkündbarkeit. 2 BAG v. 10.2.1999 – 2 ABR 31/98, NZA 1999, 708 = AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969; v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Düsseldorf v. 3.8.1999 – 8 Sa 672/99, EzABAT § 54 BAT Nr. 60; LAG Thüringen v. 13.10.1999 – 6 Sa 365/99, AuA 2000, 547; LAG Köln v. 27.11.2007 – 9 Sa 866/07. 3 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 4 LAG Köln v. 30.9.1999 – 5 Sa 872/99, NZA-RR 2001, 83; vgl. auch ArbG Hamburg v. 27.8.1998 – 27 Ca 262/98, ArbuR 1998, 503; ArbG Hamburg v. 2.10.2000 – 21 Ca 233/00, NZA-RR 2001, 416; ähnlich Schlachter, NZA 2005, 433 ff., die bei der Entwendung geringwertiger Sachen eine Abmahnung grundsätzlich für erforderlich hält. 5 LAG Köln v. 30.9.1999 – 5 Sa 872/99, NZA-RR 2001, 83. 6 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09; v. 27.4.2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033–1035 = AP Nr. 203 zu § 626 BGB; v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 421 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB strafbare Handlung. 7 LAG Rheinland-Pfalz v. 27.3.1996 – 2 Sa 381/95, LAGE § 626 BGB Nr. 113; einschränkend jetzt aber BAG v. 10.6.1010 – 2 AZR 541/09; vgl. ebenso LAG Sachsen-Anhalt v. 14.1.2003 – 8 Sa 341/01, (n.v.) (10 Tabletten eines Beruhigungsmittels zur Durchführung eines Suizidversuchs), wo das LAG im Rahmen der Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse der Arbeitnehmerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bejahte.
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tracht; grundsätzlich sind diese jedoch unbeachtlich, da strafwürdiges Verhalten durch die Zahl der Unterhaltspflichten nicht geringfügiger wird.1 Demgegenüber hat die Dauer der beanstandungsfreien Zeit und der Betriebszugehörigkeit Berücksichtigung zu finden.2 Dies bedeutet aber nicht, dass die Betriebszugehörigkeit stets durchgreifenden Einfluss auf die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer nach bestimmten Jahren der Betriebszugehörigkeit das „Recht“ erwirbt, ein Eigentums- oder Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers begehen zu dürfen.3 Auf der anderen Seite kann sich die Betriebszugehörigkeit auch zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken, wenn durch sie ein besonderes Vertrauen entstand, das den Arbeitgeber dazu veranlasste, von sonst üblichen Kontrollen abzusehen. Dann erschüttert eine Straftat die Vertrauensgrundlage stark.4 280
Ferner ist zu berücksichtigen, ob dem Arbeitnehmer das Tatobjekt anvertraut wurde und ob er die Pflichtverletzung innerhalb seines konkreten Aufgabenbereichs begangen hat.5 Desweiteren sind das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Ausmaß des dem Arbeitgeber entstandenen Schadens und die der Tat innewohnende besondere Verwerflichkeit in Betracht zu ziehen.6 Daneben kann eine Vorbildfunktion7 und ein Leugnen der Tat8 in die Interessenabwägung einfließen.
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Die dargestellten Grundsätze gelten auch für Eigentums- und Vermögensdelikte, die gegenüber einem Arbeitskollegen begangen werden.9 d) Tätlichkeiten
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Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern im Betrieb können einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen.10 Der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber 1 BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033–1035 = AP Nr. 203 zu § 626 BGB; v. 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, BAGReport 2005, 147–149 = AP Nr. 191 zu § 626 BGB; anders noch: BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 280/88, DB 1989, 1679 = AP Nr. 101 zu § 626 BGB; LAG Düsseldorf v. 3.8.1999 – 8 Sa 672/99, EzABAT § 54 BAT Nr. 60; LAG Köln v. 12.3.2002 – 1 Sa 1354/01, NZA-RR 2002, 519. 2 BAG v. 13.12.1984 – 2 AZR 454/83, NZA 1985, 288 = EzA § 626 BGB n.F. Nr. 94; v. 6.7. 2000 – 2 AZR 454/99, (n.v.); v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09. 3 LAG Düsseldorf v. 3.8.1999 – 8 Sa 672/99, EzBAT § 54 BAT Nr. 60. 4 BAG v. 16.10.1986 – 2 AZR 695/85, RzK I 6d Nr. 5. 5 BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 923/98, NZA 2000, 412 = AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Thüringen v. 13.10.1999 – 6 Sa 365/99, AuR 2000, 547; LAG Düsseldorf v. 24.8.2001 – 18 Sa 366/01, LAGE § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 4. 6 BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033–1035 = AP Nr. 203 zu § 626 BGB; v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09. 7 ArbG Frankfurt/Main v. 31.1.2001 – 7 Ca 6116/00, NZA-RR 2001, 368. 8 LAG Thüringen v. 13.10.1999 – 6 Sa 365/99, AuA 2000, 547. 9 LAG Köln v. 12.3.2002 – 1 Sa 1354/01, NZA-RR 2002, 519, das auch zum Diebstahl bei Spielsucht Stellung nimmt. 10 St. Rspr. vgl. BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 1039/06, DB 2009, 964 (n.v.); v. 6.10.2005 – 2 AZR 280/04, NZA 2006, 431 m.w.N.
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Rz. 284 Teil 4
verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Auch die Drohung mit einer Tätlichkeit kann einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB darstellen.1 Jedoch führt nicht jede Tätlichkeit unter Arbeitskollegen automatisch und zwingend zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung. Es hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls und einer umfassenden Interessenabwägung ab, ob eine außerordentliche Kündigung, eine ordentliche Kündigung oder im Ausnahmefall unter Umständen auch nur eine Abmahnung gerechtfertigt ist.2 Gegenüber anderen Teilnehmern an einer tätlichen Auseinandersetzung kann eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein, wenn diese – ohne dass eine eindeutige Notwehrlage bestand – aktiv mit Angriffswillen an der tätlichen Auseinandersetzung teilgenommen haben. Es ist nicht entscheidend, ob der Arbeitnehmer als unmittelbarer Angreifer die Schlägerei angezettelt hat. Für die Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers an einem ungestörten Betriebsablauf und die durch das gezeigte Verhalten indizierte zukünftige Gefährdung schutzwürdiger Rechtsgüter anderer Arbeitnehmer ist es regelmäßig unerheblich, wer den ersten Schlag ausführt und welche Handlung ggf. zu einer Körperverletzung führt.3
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Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich keiner Abmahnung, da eine tätliche Auseinandersetzung im Betrieb die betriebliche Ordnung sowie den Arbeits- und Produktionsablauf stört, Auswirkungen auf den Betriebsfrieden hat und der Arbeitnehmer von vornherein weiß, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten nicht hinnehmen wird.4 Ohrfeigt ein Krankenpfleger einen Heimbewohner, weil dieser seinen Aufforderungen nicht in der gewünschten Weise nachkommt, kann eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtswirksam sein.5
284
1 LAG Düsseldorf v. 16.7.2003 – 12 Sa 690/03, LAGE § 280 BGB 2002 Nr. 1 (Bedrohung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer, „ihm die Schnauze einzuschlagen“, „ihn kaputt zu schlagen“). 2 LAG Köln v. 11.12.2002 – 7 Sa 726/02, NZA-RR 2003, 470. 3 BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 1039/06, DB 2009, 964 (n.v.); LAG Hessen v. 8.3.1983 – 3 Sa 903/82, BB 1984, 1876; LAG Hamm v. 29.7.1994 – 13 (2) Sa 2015/93, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43; v. 8.11.2000 – 18 Sa 754/00, LAGE § 626 BGB Nr. 132; LAG Niedersachsen v. 5.8.2002 – 5 Sa 517/02, (n.v.). 4 BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 1039/06, DB 2009, 964 (n.v.); v. 6.10.2005 – 2 AZR 280/04, NZA 2006, 431–434 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; v. 12.7.1984 – 2 AZR 320/93, NZA 1985, 96 = AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972; v. 31.3. 1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Hamm v. 8.11.2000 – 18 Sa 754/00, LAGE § 626 BGB Nr. 132; LAG Niedersachsen v. 27.9.2002 – 10 Sa 626/02, NZA-RR 2003, 76. 5 LAG Schleswig-Holstein v. 13.7.2000 – 7 Sa 240/00, PflR 2001, 311; Abweichend LAG Schleswig-Holstein v. 14.1.2004 – 3 Sa 302/03, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 3 zur zweimaligen körperlichen Züchtigung eines Kleinkindes durch eine Kinderpflegerin in einer Kindertagesstätte.
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Teil 4 Rz. 285
Die verhaltensbedingte Kündigung
e) Sexuelle Belästigung 285
Eine sexuelle Belästigung kann eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen und ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein, wenn Umfang und Intensität der Belästigung sowie die Abwägung der beiderseitigen Interessen diese Maßnahme rechtfertigen.1
286
Gemäß §§ 1, 7, 12 AGG stellt die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Der Arbeitgeber hat seine Beschäftigten auch vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch entsprechende Maßnahmen zu schützen.
287
Das AGG versteht unter sexueller Belästigung ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, welches bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Hierzu zählen Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts genauso wie sexuell belästigende Äußerungen, die fernmündlich oder per SMS erfolgen.2 Dazu gehören erst recht sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind Der Arbeitgeber ist gemäß § 12 Abs. 1 AGG bei sexueller Belästigung verpflichtet, die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Es ist jedoch klarzustellen, dass das AGG kündigungsrechtlich nichts geändert hat; mit ihm wurden keine neuen Kündigungsgründe geschaffen.3 Dies hat zur Folge, dass ein kündigungsbegründender Vertragsverstoß auch in einem Verhalten eines Arbeitnehmers liegen kann, das nicht exakt die Merkmale einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz im Sinne des AGG erfüllt.4 Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung wegen sexueller Belästigung ist in jedem Fall, dass dem Arbeitnehmer die belästigende Handlung nachgewiesen werden kann. Eine Kündigung wegen des bloßen Verdachts einer sexuellen Belästigung kann nicht auf § 12 AGG gestützt werden, sie unter-
1 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 341/03, NZA 2004, 1241; LAG Hamm v. 22.10.1996 – 6 Sa 730/96, NZA 1997, 769 = AP Nr. 136 zu § 626 BGB; v. 13.2.1997 – 17 Sa 1544/96, NZA-RR 1997, 250 = LAGE § 626 BGB Nr. 110; v. 10.3.1999 – 18 Sa 2328/98, NZA-RR 1999, 623 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; LAG Sachsen v. 10.3.2000 – 2 Sa 635/99, NZA-RR 2000, 468 = LAGE § 626 BGB Nr. 130; LAG Rheinland-Pfalz v. 24.10.2001 – 9 Sa 853/01, (n.v.); ArbG Lübeck v. 2.11.2000 – 1 Ca 2479/00, NZA-RR 2001, 140; ArbG Ludwigshafen v. 29.11.2000 – 3 Ca 2096/99, FA 2001, 146; LAG Niedersachsen v. 21.1.2003 – 12 Sa 1418/02, (n.v.). 2 LAG Hessen v. 27.1.2004 – 13 TaBV 113/03, ArbuR 2005, 342; LAG Rheinland-Pfalz v. 24.10.2001 – 9 Sa 853/01. 3 BAG v. 8.6.2000 – 2 ABR 1/00, NZA 2001, 91 = AP Nr. 3 zu § 2 BeschSchG; v. 25.3.2004 – 2 AZR 341/03, NZA 2004, 1241; LAG Rheinland-Pfalz v. 24.10.2007 – 8 Sa 125/07. 4 LAG Sachsen v. 10.3.2000 – 2 Sa 635/99, NZA-RR 2000, 468 = LAGE § 626 BGB Nr. 130.
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Einzelfälle
Rz. 292 Teil 4
liegt den allgemeinen Grundsätzen einer Verdachtskündigung.1 Die Einführung eines entsprechenden betrieblichen Verhaltenkodexes bedarf der Zustimmung des Betriebsrats. Ein Verstoß hiergegen liegt indes nicht vor, soweit lediglich die Vorschriften des AGG sinngemäß wiedergegeben werden.2 Eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung bindet das Arbeitsgericht nicht.3
288
Die wahrheitswidrige Behauptung der sexuellen Belästigung ist als beleidigende Äußerung grundsätzlich geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen.4
289
18. Telefonate Auch das private Telefonieren am Arbeitsplatz kann eine außerordentliche und erst recht ordentliche Kündigung rechtfertigen.5 Zunächst ist auch hier zwischen den dienstlichen, dienstlich veranlassten und privaten Gesprächen zu unterscheiden.6
290
Liegt kein ausdrückliches Verbot für private Telefonate vor oder ist das private Telefonieren sogar ausdrücklich erlaubt bzw. in Form einer Betriebsübung über lange Zeit stillschweigend geduldet, so darf ein Arbeitnehmer dennoch nicht in beliebigem Umfang von der Möglichkeit privater Telefonate Gebrauch machen. Vielmehr hat sich das private Telefonieren in zumutbaren Grenzen zu halten. Verstößt ein Arbeitnehmer gegen dieses „Übermaßverbot“, kann nach einschlägiger Abmahnung eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.7 Ein übermäßiges Telefonieren ist noch nicht anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer in vier Monaten 142 Minuten privat telefoniert.8 Die ausdrückliche oder konkludente Erlaubnis umfasst aber nicht private Anrufe kostenpflichtiger Hotlines, insbesondere nicht solche sexuellen Inhalts.9
291
Hat der Arbeitgeber die private Nutzung untersagt oder diese von einer entsprechenden Kennzeichnung abhängig gemacht, so stellt die Privatnutzung oder unterlassene Kennzeichnung an sich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar.10 Dabei kommt es auf den Umfang des Schadens nicht an; ent-
292
1 BAG v. 8.6.2000 – 2 ABR 1/00, NZA 2001, 91 = AP Nr. 3 zu § 2 BeschSchG. 2 BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248–1257. 3 BAG v. 8.6.2000 – 2 ABR 1/00, NZA 2001, 91 = AP Nr. 3 zu § 2 BeschSchG; LAG Düsseldorf v. 8.12.1999 – 12 TaBV 35/99, AiB 2000, 702. 4 LAG Rheinland-Pfalz v. 16.2.1996 – 10 Sa 1090/95, NZA-RR 1997, 169 = LAGE § 1 KSchG Verhaltenbedingte Kündigung Nr. 54. 5 BAG v. 4.3.2004 – 2 AZR 147/03, (n.v.); v. 27.11.2003 – 2 AZR 692/02, (n.v.). 6 Vgl. hierzu Rz. 215 f. 7 LAG Niedersachsen v. 13.1.1998 – 13 Sa 1235/97, NZA-RR 1998, 259 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 63; LAG Sachsen-Anhalt v. 23.11.1999 – 8 TaBV 6/99, NZA-RR 2000, 476 = LAGE § 103 BetrVG 1972 Nr. 15; LAG Nürnberg v. 28.5.2002 – 6 (5) Sa 472/01, (n.v.). 8 LAG Nürnberg v. 28.5.2002 – 6 (5) Sa 472/01, NZA-RR 2003, 191. 9 Vgl. auch die Ausführungen zur privaten Internetnutzung. 10 BAG v. 4.3.2004 – 2 AZR 147/03, NZA 2004, 717–719 = AP Nr. 50 zu § 103 BetrVG 1972; v. 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, DB 2003, 1685–1686 = AP Nr. 63 zu § 123 BGB; LAG Hamm v. 25.1.2008 – 10 Sa 169/07, RDV 2008, 211–212; LAG Köln v. 2.7.1998 – 6 Sa 42/98, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 66; v. 4.11.1999 – 6 Sa 493/99, (n.v.).
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Teil 4 Rz. 293
Die verhaltensbedingte Kündigung
scheidend ist, dass das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers erschüttert ist.1 Demgegenüber hängt das Erfordernis einer Abmahnung vom Umfang und von der Art der Nutzung sowie von den verursachten Kosten ab, da sie Aufschluss darüber geben, ob der Arbeitnehmer noch annehmen konnte, sein Verhalten werde vom Arbeitgeber gebilligt.2 Hinsichtlich der Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen wird auf die Ausführungen unter Rz. 91 ff. und 228 ff. verwiesen.
IV. Ordentliche Änderungskündigung 293
Die Änderungskündigung stellt ein zusammengesetztes Rechtsgeschäft dar, das aus einer echten Beendigungskündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags mit geänderten Bedingungen besteht.3 Gesetzliche Grundlage der Änderungskündigung ist § 2 KSchG.
294
Eine Änderungskündigung wird zur Änderung oder Anpassung der vertraglichen Arbeitsbedingungen eingesetzt werden. Unter bestimmten Umständen ist dies sogar zum Zwecke einer Vergütungssenkung zulässig.4 Sie setzt voraus, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den Bedingungen, deren Änderung er anstrebt, unzumutbar geworden ist. Die Änderungskündigung zielt in erster Linie nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf seine Fortführung zu geänderten Bedingungen ab. Sie ist erforderlich, wenn der Arbeitgeber die beabsichtigten Änderungen der Arbeitsbedingungen nicht bereits durch Ausübung des Direktionsrechts erreichen kann und eine einvernehmliche Änderung der Arbeitsbedingungen gescheitert ist, was aber nicht im Sinne einer Voraussetzung zuvor versucht werden muss.
295
Eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Änderungskündigung ist wegen der damit verbundenen Bestandsgefährdung unwirksam, wenn die vom Arbeitgeber beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen bereits kraft Ausübung des Direktionsrechts hätte herbeigeführt werden können und der Arbeitnehmer das mit der Änderungskündigung unterbreitete Änderungsangebot endgültig abgelehnt hat.5 Nimmt der Arbeitnehmer dagegen die Änderungskündigung unter Vorbehalt an, so ist die unwirksame Änderungskündigung jedoch in die Ausübung des Direktionsrechts umzudeuten, sodass es auf die Wirksamkeit der Änderungskündigung nicht mehr ankommt.6 1 LAG Hamm v. 4.11.1999 – 6 Sa 493/99 (n.v.) mit Verweis auf BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91 = AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 2 LAG Sachsen-Anhalt v. 23.11.1999 – 8 TaBV 6/99, NZA-RR 2000, 476 = LAGE § 103 BetrVG 1972 Nr. 15. 3 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 12; Schaub, § 123 Rz. 43; siehe allgemein zur Änderungskündigung Berkowski, NZA-RR 2003, 449. 4 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182–1184, vgl. hierzu auch Rz. 337. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, NZA-RR 2008, 291–293 = AP Nr. 135 zu § 2 KSchG 1969; v. 24.6.2004 – 8 AZR 22/03, ZTR 2004, 579–580 = EzBAT Nr. 122 zu §§ 22, 23 BAT M. 6 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, NZA-RR 2008, 291–293 = AP Nr. 135 zu § 2 KSchG 1969; LAG Berlin v. 29.11.1999 – 9 Sa 1277/99, NZA-RR 2000, 131 = LAGE § 2 KSchG Nr. 36.
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Ordentliche Änderungskündigung
Rz. 302 Teil 4
Eine Änderungskündigung i.S.d. § 2 KSchG liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt beenden will, falls der Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den angebotenen geänderten Bedingungen ablehnt bzw. die Annahme des Änderungsangebots nicht innerhalb der Frist des § 2 Satz 2 KSchG erklärt.
296
Als echte Kündigung unterliegt die Änderungskündigung den an eine Kündigung zu stellenden formalen Anforderungen; sie muss vor allem deutlich und unmissverständlich den Willen des Arbeitgebers erkennen lassen, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dem Arbeitnehmer muss klar sein, dass ihm ein Angebot gemacht wird, das er annehmen oder ablehnen kann, aber sein Arbeitsverhältnis als ganzes verloren ist, wenn er dessen Annahme nicht – auch nicht unter Vorbehalt – erklärt und die dreiwöchige Klagefrist verstreichen lässt.1
297
Ein Schreiben des Arbeitgebers, das ausdrücklich nur eine „Versetzung“ ausspricht und in Verbindung damit eine „Rückstufung“ in der Lohngruppe erklärt, ohne dass deutlich wird, dass das Arbeitsverhältnis als Ganzes gekündigt werden soll oder der Leser den Eindruck gewinnen kann, es werde ihm ein Angebot gemacht, dessen Annahme von ihm erwartet wird, ist auch dann keine Änderungskündigung, wenn es mit diesem Wort überschrieben ist.2
298
Formen der Änderungskündigung i.S.d. § 2 KSchG sind die unbedingte Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen nach dem vorgesehenen Beendigungszeitpunkt und die Kündigung unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt.3
299
Trotz der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit der Kündigung bestehen hinsichtlich der zweiten Änderungskündigungsvariante, die die Kündigung unter eine aufschiebende Bedingung stellt, keine Bedenken. Bei dieser Potestativbedingung besteht für den Arbeitnehmer keine Ungewissheit, da der Eintritt der Bedingung ausschließlich von seinem Willen abhängt.4
300
Der Arbeitnehmer kann das Änderungsangebot vorbehaltlos annehmen, ablehnen oder unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist.
301
" Praxistipp: Lehnt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ab, wirkt die
302
Änderungskündigung als Beendigungskündigung. Hierdurch riskiert er, seinen Arbeitsplatz vollständig zu verlieren, wenn sich die Kündigung im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess als sozial gerechtfertigt erweist. Bei einer Annahme unter Vorbehalt setzt der Arbeitnehmer hingegen seinen Arbeitsplatz als solchen nicht aufs Spiel, so dass in der Beratungspraxis grundsätzlich die Annahme unter Vorbehalt zu empfehlen ist. Zudem ist
1 BAG v. 30.5.1980 – 7 AZR 215/78, DB 1980, 1754 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhausvertrag; v. 27.5.1982 – 2 AZR 96/80, DB 1984, 620; LAG Köln v. 23.4.1999 – 11 Sa 1455/98, NZA-RR 1999, 522; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 10. 2 LAG v. 23.4.1999 – 11 Sa 1455/98, NZA-RR 1999, 522. 3 KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 1; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 13; Schaub, § 123 Rz. 44. 4 KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 15; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 7.
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Teil 4 Rz. 303
Die verhaltensbedingte Kündigung
zu beachten, dass in der Ablehnung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen ein böswilliges Unterlassen liegen kann, zumutbare Arbeit anzunehmen, mit der Folge der Anrechnung des möglichen Verdienstes auf den Annahmeverzugslohn. 303
Der Ausspruch einer Änderungskündigung ist auch aus verhaltensbedingten Gründen möglich.1 Eine verhaltensbedingte Änderungskündigung ist zu erwägen, wenn durch die Änderung der Arbeitsbedingungen ein vertragswidriger Zustand beseitigt werden soll oder das Vertrauen zerstört ist.2 Hauptanwendungsfälle sind Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern, die zu Störungen des Betriebsfriedens führen.3 Eine verhaltensbedingte Änderungskündigung ist aber auch außerhalb einer Störung des Betriebsfriedens denkbar. Möglich ist eine Änderungskündigung eines unzuverlässigen Arbeitnehmers in einen weniger sensiblen Arbeitsbereich4 oder die Weiterbeschäftigung eines Leichenverbrenners im Krematorium als Gartenarbeiter.5 1. Änderungsangebot
304
Neben der Kündigung muss der Arbeitgeber das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen aussprechen.
305
Die erstrebte Änderung der Arbeitsbedingungen kann auch das Angebot zum Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags beinhalten.6
306
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer das Angebot in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kündigung unterbreiten. Hierfür ist ein sachlicher Zusammenhang ausreichend, der grundsätzlich gegeben ist, wenn zumindest durch eine Auslegung erkennbar ist, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis endgültig beenden will, falls der Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht annimmt.
307
Der notwendige Zusammenhang setzt nicht voraus, dass die Kündigung und das Änderungsangebot „begriffsnotwendig“ gleichzeitig erfolgen müssen.7 Dem Arbeitgeber bleibt es unbenommen, das Angebot vor Ausspruch der Änderungskündigung abzugeben (sog. Verhandlungslösung).8 In diesem Fall muss der Ar1 BAG v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633 = AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 139; ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 46. 2 Hromadka, NZA 1996, 1, 11. 3 BAG v. 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, DB 1983, 180 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = DB 1983, 180; v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633 = AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung. 4 BAG v. 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken = NJW 1990, 597. 5 LAG Berlin v. 9.1.1989 – 9 Sa 95/88, LAGE Nr. 9 zu § 2 KSchG. 6 BAG v. 25.4.1996 – 2 AZR 609/95, NZA 1996, 1197; anders noch: BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 109/83, NZA 1985, 489. 7 ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 11; Löwisch, § 2 KSchG Rz. 10; a.A.: BAG v. 10.12.1975 – 4 AZR 41/75, AP Nr. 90 zu §§ 22, 23 BAT. 8 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, NZA 1985, 455 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969.
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Ordentliche Änderungskündigung
Rz. 311 Teil 4
beitgeber bei dem nachfolgenden Ausspruch der Kündigung jedoch klarstellen, dass das Änderungsangebot fortbesteht.1 Zu beachten ist, dass durch die Option der sog. Verhandlungslösung vor Ausspruch einer Kündigung die Rechte des Arbeitnehmers aus § 2 KSchG nicht verkürzt werden dürfen. Der Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung gebietet es daher, eine mögliche Änderungskündigung zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch dann auszusprechen, wenn der Arbeitnehmer eine zuvor angebotene einverständliche Abänderung des Arbeitsvertrags abgelehnt hat.2
308
Das Vorliegen einer Änderungskündigung ist zu verneinen, wenn das Änderungsangebot der Kündigungserklärung nachfolgt.3 Es muss aber stets geprüft werden, ob nicht eine lebensnahe Auslegung ergibt, dass in dem späteren Änderungsangebot die Rücknahme der ersten Kündigung und der gleichzeitige Ausspruch einer Änderungskündigung zu erblicken ist.4 In einem solchen Fall laufen alle Fristen erst ab dem späteren Zeitpunkt.5
309
Nimmt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot an, so wird das Arbeitsverhältnis zum angebotenen Zeitpunkt zu den geänderten Arbeitsbedingungen fortgesetzt. Die Annahme des Änderungsangebots stellt eine empfangsbedürftige Willenserklärung dar.6
310
Die vorbehaltslose Annahme kann konkludent oder ausdrücklich erfolgen. Die widerspruchslose Weiterarbeit des Arbeitnehmers zu geänderten Arbeitsbedingungen ist in der Regel nicht als vorbehaltlose Annahme zu qualifizieren. Ausnahmsweise liegt eine konkludente Annahme vor, wenn der Arbeitnehmer widerspruchslos zu den neuen Arbeitsbedingungen weiterarbeitet, obwohl sich die neuen Arbeitsbedingungen bereits unmittelbar und nachhaltig auf das Arbeitsverhältnis auswirken, wenn beispielsweise der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitplatz ein anderes Produkt fertigt und hierzu eine längere Anfahrt in Kauf nimmt.7 Eine konkludente Annahme wird jedoch zu verneinen sein, solange die Frist für die Erklärung des Vorbehalts nach § 2 Satz 2 KSchG noch läuft. Nach § 2 Satz 2 KSchG hat der Arbeitnehmer den Vorbehalt innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erklären. Dies bedeutet, dass dann, wenn die Kündigungsfrist
311
1 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, NZA 1985, 455 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969; v. 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, NZA 1990, 529 = AP Nr. 53 zu § 102 BetrVG 1972; ErfK/ Oetker, § 2 KSchG Rz. 11; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 19; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 5. 2 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289–1294 = AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969; LAG Köln v. 20.11.2003 – 2 AZR 132/04, (n.v.) (teilweise abweichend von BAG 27.9.1984 – 2 AZR 62/83 – NZA 1985, 455). 3 BAG v. 10.12.1975 – 4 AZR 41/75, AP Nr. 90 zu §§ 22, 23 BAT; ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 12; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 5, 24; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 20. 4 ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 12; KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 121. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 6.2.1987 – 6 Sa 372/86, LAGE Nr. 6 zu § 2 KSchG. 6 ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 28; KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 123. 7 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 565/85, NZA 1987, 94 = AP Nr. 16 zu § 2 KSchG 1969; v. 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, NZA 1988, 737 = AP Nr. 20 zu § 2 KSchG 1969; LAG Hamm v. 30.1.1997 – 8 Sa 1148/96, NZA-RR 1997, 419 = LAGE § 2 KSchG Nr. 26.
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Teil 4 Rz. 312
Die verhaltensbedingte Kündigung
kürzer als drei Wochen ist, der Vorbehalt innerhalb der Kündigungsfrist zu erklären ist. Folglich betrifft die konkludente Annahmeerklärung allein solche Fallgestaltungen, in denen noch während des Laufs der dreiwöchigen Klagefrist die geänderten Arbeitsbedingungen tatsächlich bereits zur Anwendung gelangen. Bei einer außerordentlichen Änderungskündigung ist dies regelmäßig der Fall. Mangels Kündigungsfrist kommt eine direkte Anwendung von § 2 Satz 2 KSchG nicht in Betracht (vgl. hierzu die Ausführungen unter Rz. 337 ff.). Die analoge Anwendung der Norm führt jedoch dazu, dass der Arbeitnehmer unverzüglich die Annahme unter Vorbehalt erklären muss. Die Änderung der Arbeitsbedingungen soll vom Zugang der fristlosen Kündigung an gelten, sodass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Entscheidung hat.1 312
Auch wenn sich ein Änderungsangebot des Arbeitgebers nicht in allen Punkten unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, kann die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer dessen konkludente Annahme des Änderungsangebots insgesamt sein.2
313
Während das mit einer Änderungskündigung verbundene Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen vom Arbeitnehmer nur innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 2 Satz 2 KSchG unter Vorbehalt angenommen werden kann, ist eine vorbehaltlose Annahme bis zu dem Zeitpunkt möglich, zu dem der Arbeitgeber unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist noch hätte kündigen können.3
313a
" Praxistipp: Für eine exakte Fristbestimmung ist zu empfehlen, das Angebot
314
Lehnt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot des Arbeitgebers ab, wirkt die Änderungskündigung wie eine Beendigungskündigung, die nur mit einer schlichten Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG angegriffen werden kann.5 In dem Kündigungsschutzverfahren hat der Arbeitnehmer auch hier die Möglichkeit, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG zu beantragen und eine angemessene Abfindung zu verlangen.6 Stellt das Arbeitsgericht jedoch fest, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, verliert der Arbeitnehmer endgültig seinen Arbeitsplatz.
315
Die Ablehnung des Änderungsangebots stellt keinen eigenständigen Kündigungsgrund dar.7
selbst zu befristen, indem nach § 148 BGB eine Annahmefrist bestimmt wird. Die Frist ist jedoch nicht kürzer zu bestimmen als die dreiwöchige Erklärungsfrist des § 2 KSchG. Die verspätete Annahmeerklärung des Arbeitnehmers stellt einen neuen Antrag auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den geänderten Bedingungen dar, den der Arbeitgeber annehmen oder ablehnen kann.4
1 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 565/85, NZA 1987, 94 = AP Nr. 16 zu § 2 KSchG 1969. 2 BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 129/00, NZA 2003, 924 = AP Nr. 20 zu § 157 BGB. 3 BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 674/01, NZA 2003, 659–662 = AP Nr. 71 zu § 2 KSchG 1969; vgl. § 147 Abs. 2 BGB. 4 LAG Köln v. 10.2.2000 – 5 Sa 1371/99, NZA-RR 2000, 303. 5 KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 126; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 77. 6 BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, NJW 1982, 1118 = EzA Nr. 10 zu § 9 KSchG n.F. 7 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, NZA 1985, 455 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969.
798
Eisenbeis
Ordentliche Änderungskündigung
Rz. 322 Teil 4
Nimmt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt an, trägt er nicht das volle Risiko des Verlusts seines Arbeitsplatzes, da im Prozess nur über die soziale Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen entschieden wird. Der unter Vorbehalt zustande gekommene Änderungsvertrag steht unter der auflösenden Bedingung der gerichtlichen Feststellung der Sozialwidrigkeit der Änderungskündigung.1
316
Die Annahme unter Vorbehalt bewirkt darüber hinaus die Verpflichtung des Arbeitnehmers, ab dem angebotenen Zeitpunkt zu den geänderten Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten. Auf der anderen Seite besteht aber keine Obligation des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bis zum Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den alten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.2
317
Für die Erklärung der Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt bedarf es keiner bestimmten Form.3
318
Die Erhebung der Änderungskündigungsschutzklage mit dem Antrag gemäß § 4 Satz 2 KSchG ist als konkludente Annahme unter Vorbehalt zu bewerten, sofern die Klage innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens innerhalb der Drei-Wochen-Frist, dem Arbeitgeber zugestellt wird.4
319
" Praxistipp: Dringend zu beachten ist, dass § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m.
320
Die Erklärung der Vorbehaltsannahme kann nicht zurückgenommen werden.6
321
Hat der Arbeitnehmer das mit einer Änderungskündigung verbundene Angebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen, kann er sich seit 1.1.2004 auf sonstige Unwirksamkeitsgründe nicht mehr berufen, wenn er die Klage erst nach Ablauf der Frist des § 4 KSchG erhebt. Da § 4 KSchG nunmehr für alle Unwirksamkeitsgründe gilt, ist die Klageerhebung innerhalb der Drei-WochenFrist zwingend erforderlich.7
322
§§ 496, 270 ZPO nur für die Drei-Wochen-Frist für die Klageerhebung nach § 4 Satz 1 und 2 KSchG und nicht für die Vorbehaltsfrist des § 2 Satz 2 KSchG gilt. Wird die Klage vor Ablauf der Vorbehaltsfrist beim Arbeitsgericht eingereicht, erfolgt die Zustellung an den Prozessgegner aber erst nach Fristablauf, ist die Frist des § 2 Satz 2 KSchG zur Annahme einer Änderungskündigung unter Vorbehalt nicht gewahrt.5 Deswegen ist es ratsam, die Vorbehaltsannahme gesondert zu erklären.
1 BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, NJW 1982, 2687 = AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969; v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, NZA 1985, 455 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969. 2 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969; LAG Köln v. 30.5.1989 – 4 Sa 230/89, DB 1989, 2032. 3 ErfK/Oetker, § 2 KSchG Rz. 37. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 206; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 66. 5 BAG v. 17.6.1998 – 2 AZR 336/97, NZA 1998, 1225 = AP Nr. 49 zu § 2 KSchG; LAG Hamm v. 21.10.1999 – 4 (16) 285/98, ZInsO 2000, 351 (Leitsatz). 6 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 2.5.1994 – 10 Sa 68/94, LAGE Nr. 14 zu § 2 KSchG; KR/ Rost, § 2 KSchG Rz. 76. 7 Zur früheren Rechtslage vgl. BAG v. 28.5.1998 – 2 AZR 615/97, NZA 1998, 1167 = AP Nr. 48 zu § 2 KSchG 1969.
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Teil 4 Rz. 323 323
Die verhaltensbedingte Kündigung
Nimmt der Arbeitgeber die Änderungskündigung als Ganzes „zurück“, liegt darin ein Angebot, den Vertrag mit unveränderten Bedingungen fortzusetzen. Nimmt der Arbeitnehmer diese Offerte mit der vorbehaltlosen Zurücknahme seiner Änderungsschutzklage an, wird das Arbeitsverhältnis über den Kündigungstermin hinaus zu veränderten Bedingungen fortgesetzt.1 2. Rechtfertigung der Aufhebung der bisherigen Arbeitsbedingungen
324
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Änderungskündigung, unabhängig davon, ob die angebotene Vertragsänderung unter Vorbehalt angenommen oder abgelehnt wurde, in zwei Stufen zu prüfen.2
325
In einer ersten Stufe ist zu ermitteln, ob Gründe in dem Verhalten des Arbeitnehmers im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG das Änderungsangebot bedingen; es ist über das „Ob“ der Änderungskündigung zu entscheiden.3 Sofern ein Kündigungsgrund vorliegt, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich der Arbeitgeber darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss; mit anderen Worten: Es ist über das sog. „Wie“ der Änderungskündigung zu befinden.4
326
Ansatz der Prüfung ist nicht die soziale Rechtfertigung der Kündigung an sich, sondern die Frage, ob die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist.5 a) Verhaltensbedingter Grund
327
Zur Wirksamkeit der Änderungskündigung muss wie bei der Beendigungskündigung ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen.6
328
Im Grundsatz gilt, dass in Anbetracht der schlichten Verweisungen des § 2 Satz 1 KSchG auf § 1 Abs. 2 und 3 KSchG an den Grund der Änderungskündigung nicht weniger strenge Maßstäbe als bei einer Beendigungskündigung anzuwenden sind.7 Ein Vergleich mit Ausführungen des BAG zur betriebsbedingten Änderungskündigung lässt jedoch den Schluss zu, dass infolge der Änderung der Arbeitsbedingungen als Anknüpfungspunkt der Entfall des Weiterbeschäftigungsbedürfnisses für den bisherigen Arbeitseinsatz genügt.8
1 LAG Köln v. 12.6.1997 – 10 Sa 1494/96, NZA 1998, 767. 2 BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047 = AP Nr. 42 zu § 2 KSchG 1969. 3 KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 134; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 92a. 4 Vgl. KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 134; KR/Rost, § 2 KSchG Rz. 92a. 5 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075 = AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969. 6 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 206 ff.; Hromadka, NZA 1996, 1, 7. 7 BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; KDZ/ Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 138; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 130. 8 BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, NZA 1993, 1075 = AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969.
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Außerordentliche Änderungskündigung
Rz. 333a Teil 4
Auch auf die Änderungskündigung findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Anwendung.1 Demzufolge kommt eine Änderungskündigung unabhängig vom Änderungsangebot erst in Betracht („ob“), wenn der Arbeitgeber nicht auf weniger belastende Maßnahmen zurückgreifen kann.2 Für die ordentliche Änderungskündigung aus verhaltensbedingten Gründen bedeutet dies, dass zuvor grundsätzlich eine Abmahnung auszusprechen ist.3
329
Bei mehreren Änderungsangeboten ist jede Änderung auf ihre soziale Rechtfertigung zu überprüfen.4
330
b) Zumutbarkeit der geänderten Fortsetzung In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob sich der Arbeitgeber bei einem an sich billigenswerten Anlass zur Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss, bzw. ob ihm die Änderung der Arbeitsbedingungen zumutbar ist.
331
Die Zumutbarkeit ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Möglichkeiten beider Seiten und der bisherigen Durchführung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen.5 Die Interessenabwägung bezieht sich auf das konkrete Änderungsangebot („wie“). Festzustellen ist, ob die angebotene Vertragsänderung nach ihrem Umfang erforderlich ist.6 Die Berücksichtigung des Änderungsangebots bewirkt, dass im Rahmen der Interessenabwägung geringere Anforderungen als an eine entsprechende Beendigungskündigung zu stellen sind.7
332
V. Außerordentliche Änderungskündigung Der Arbeitgeber hat nicht nur die Möglichkeit, eine außerordentliche Kündigung zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen, er kann sie auch zur Änderung der vertraglichen Arbeitsbedingungen einsetzen.8
333
Entsprechend dem Ziel der Änderungskündigung ist nicht auf die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf dessen vorzeitige Inhaltsän-
333a
1 BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, NJW 1982, 2687 = AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969; v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047 = AP Nr. 42 zu § 2 KSchG 1969. 2 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969. 3 BAG v. 29.5.1985 – 7 AZR 251/84, RZK I 1. Nr. 7; v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, NZA 1986, 713 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 196; LAG Hamm v. 10.5.1983 – 10 Sa 1462/82, ZIP 1983, 985; v. 17.6.1993 – 4 Sa 1714/92, LAGE Nr. 35 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG Hessen v. 15.11.1999 – 11 Sa 2570/98 – (n.v.). 4 BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; LAG Brandenburg v. 24.6.1996 – 3 Sa 393/96, NZA-RR 1997, 127 = LAGE § 2 KSchG Nr. 22. 5 KDZ/Zwanziger, § 2 KSchG Rz. 136. 6 Hromadka, NZA 1996, 1, 7. 7 BAG v. 7.6.1973 – 2 AZR 450/72, NJW 1973, 1819 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Änderungskündigung; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 2 KSchG Rz. 130. 8 BAG v. 7.6.1973 – 2 AZR 450/72, NJW 1973, 1819 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Änderungskündigung; v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969.
Eisenbeis
801
Teil 4 Rz. 334
Die verhaltensbedingte Kündigung
derung abzustellen. Aus diesem Grund ist die außerordentliche Änderungskündigung nicht nur dann wirksam, wenn auch eine Beendigungskündigung gerechtfertigt wäre, sondern bereits dann, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist.1 334
Zum Verhältnis zur Beendigungskündigung gilt das oben unter Rz. 2 f., 65 f. Gesagte.
335
Für den Prüfungsmaßstab ist unerheblich, wie der Arbeitnehmer auf das Änderungsangebot reagiert. Nimmt der Arbeitnehmer das mit einer Kündigung verbundene Änderungsangebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG an, bestimmt dies nur dergestalt die Rechtsfolge, dass die mit dem Änderungsangebot verbundene Kündigung gegenstandslos wird und ihre etwaige Unverhältnismäßigkeit nicht mehr geprüft zu werden braucht.2 Lehnt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot vorbehaltlos ab, ist nicht der für eine Beendigungskündigung geltende Maßstab zugrunde zu legen. 1. Unzumutbarkeit der Kündigungsfrist
336
Eine außerordentliche Änderungskündigung kommt in der Regel nur gegenüber solchen Arbeitnehmern in Betracht, bei denen eine ordentliche Kündigung vertraglich oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Änderung der Arbeitsbedingungen ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer herbeizuführen, ist er wegen der Unkündbarkeit daran gehindert, dies durch eine Änderungskündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu bewerkstelligen. Zur Zielerreichung ist er darauf angewiesen, eine außerordentliche Änderungskündigung auszusprechen. die aber regelmäßig mit einer der sonst einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist zu erfolgen hat. 2. Besondere Anforderungen des wichtigen Grundes
337
Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Änderungskündigung setzt auf Seiten des Kündigenden voraus, dass ihm die Fortsetzung der bisherigen Arbeitsbedingungen, deren Änderung er erstrebt, unzumutbar geworden ist, d.h., dass die vorgesehenen Änderungen für ihn unabweisbar notwendig sein müssen.3 Dies kann auch in der Reduzierung des Entgelts eines an sich unkündbaren Arbeitnehmers liegen. Zumindest dann, wenn die Änderungen der Arbeitsbedingungen das Ziel haben, der konkreten Gefahr einer Betriebsschließung we1 BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969. 2 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 371/94, NZA 1995, 626 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969; v. 16.1.1997 – 2 AZR 240/96, RZK I 7a Nr. 37. 3 BAG v. 7.6.1973 – 2 AZR 450/72, NJW 1973, 1819 = EzA Nr. 29 zu § 626 BGB n.F.; v. 6.3. 1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung; v. 20.1. 2000 – 2 ABR 40/99, NZA 2000, 592 = AP Nr. 40 zu § 103 BetrVG 1972; Fischermeier, NZA 2000, 37; Hromadka, RdA 1992, 234, 257.
802
Eisenbeis
Außerordentliche Änderungskündigung
Rz. 339 Teil 4
gen Insolvenz zu begegnen, ist ein solches Vorgehen zulässig.1 Der Arbeitgeber muss aber mit detaillierten Ausführungen zu der Finanzlage des Unternehmens darlegen und beweisen, dass diese Gefahr bestand und warum andere Maßnahmen mangels Erfolgsaussichten nicht in Betracht kamen. Darüber hinaus müssen die neuen Bedingungen dem Gekündigten zumutbar sein, wobei beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen.2 Zwar ist in §§ 2, 4 Satz 2 KSchG nur die ordentliche Änderungskündigung angesprochen, doch ist allgemein anerkannt, dass § 2 KSchG auf die außerordentliche Änderungskündigung entsprechend anwendbar ist.3 Die damit mögliche Vorbehaltsannahme hat der Arbeitnehmer unverzüglich zu erklären.4 Dabei sind an den Begriff der Unverzüglichkeit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Das Interesse des Arbeitgebers an einer Klärung, ob der fristlos gekündigte Arbeitnehmer ein ihm unterbreitetes Änderungsangebot mit oder ohne Vorbehalt annimmt, ist nicht so dringend, dass er sogleich mit der Fortsetzung der Arbeit unter den geänderten Arbeitsbedingungen auch wissen müsste, ob die Annahme des Änderungsangebots mit oder ohne den Vorbehalt der Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung erfolgt. Dem von einer fristlosen Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmer muss eine, wenn auch kurz bemessene, Überlegungsfrist eingeräumt werden, in der er die Möglichkeit hat, mit der gebotenen Eile Rechtsrat einzuholen.5 Demgemäß ist allein die sofortige widerspruchslose Weiterarbeit des Arbeitnehmers auf dem ihm mit der fristlosen Kündigung angebotenen neuen Arbeitsplatz jedenfalls in der Regel so lange nicht als vorbehaltlose Annahme des Änderungsangebots zu verstehen, wie der Arbeitnehmer nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls noch rechtzeitig einen Vorbehalt entsprechend § 2 KSchG erklären kann. Erst wenn der Arbeitnehmer auch nach einer den Umständen nach angemessenen Überlegungsfrist noch keinen Vorbehalt erklärt hatte, kann der Arbeitgeber die Weiterarbeit des Arbeitnehmers zu den geänderten Arbeitsbedingungen dahin verstehen, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot vorbehaltlos annehme und die fristlose Kündigung nicht mehr im Klagewege angreifen wolle.6 Hat der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt, endet das Arbeitsverhältnis mit rechtskräftiger Abweisung der Kündigungsschutzklage.7 Die Unwirksamkeit einer unter Vorbehalt angenommenen außerordentlichen Änderungskündigung ist entsprechend § 4 Satz 2 KSchG geltend zu machen.8
338
Zu den Voraussetzungen für eine wirksame außerordentliche Änderungskündigung gehört auch die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB.9
339
1 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 580/05, NZA 2007, 1445–1450 = AP Nr. 207 zu § 626 BGB. 2 BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; v. 31.1.1996 – 2 AZR 158/95, NZA 1996, 581 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung. 3 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 565/85, NZA 1987, 94 = AP Nr. 16 zu § 2 KSchG 1969; v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969. 4 BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, NZA 1988, 737 = AP Nr. 20 zu § 2 KSchG 1969. 5 BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, NZA 1988, 737 = AP Nr. 20 zu § 2 KSchG 1969. 6 BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, NZA 1988, 737 = AP Nr. 20 zu § 2 KSchG 1969. 7 BAG v. 7.6.1973 – 2 AZR 450/72, NJW 1973, 1819 = EzA Nr. 29 zu § 626 BGB n.F. 8 BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 565/85, NZA 1987, 94 = AP Nr. 16 zu § 2 KSchG 1969. 9 BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 127/75, AP Nr. 10 zu § 626 BGB Ausschlussfrist.
Eisenbeis
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Teil 4 Rz. 340
Die verhaltensbedingte Kündigung
VI. Verdachtskündigung 340
Allgemeine Ausführungen zur Verdachtskündigung sind den Rz. 31 ff. zu entnehmen. Nachfolgend werden die strengen Voraussetzungen einer außerordentlichen Verdachtskündigung dargestellt. 1. Dringender Verdacht
341
Voraussetzung ist zunächst das Vorliegen eines dringenden Verdachts, der auf objektiven Tatsachen gründet und geeignet ist, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören.1 Der Verdacht muss objektiv durch konkrete Tatsachen begründet sein; subjektive Vorstellungen des Arbeitgebers sind nicht entscheidend.2
342
Der Verdacht ist dann dringend, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Arbeitnehmer eine Straftat oder Pflichtverletzung begangen hat.3 Der dringende Tatverdacht kann nicht allein auf ein grob zusammengefasstes Ermittlungsergebnis einer staatlichen Ermittlungsbehörde gestützt werden, da erst ein individualisierbarer, in sich schlüssiger Lebenssachverhalt die Beurteilung ermöglicht, ob objektive Anhaltspunkte für einen dringenden Tatverdacht vorhanden sind.4 Demgegenüber ist die für eine Verdachtskündigung erforderliche Dringlichkeit des Verdachts grundsätzlich spätestens dann gegeben, wenn wegen des vermuteten Delikts gegen den Arbeitnehmer Anklage erhoben und diese vom Strafgericht zur Hauptverhandlung zugelassen wurde.5 Hieraus kann gefolgert werden, dass ein verständiger Arbeitgeber vom Vorliegen eines entsprechenden Tatverdachts ausgehen darf.6 Gleichwohl ist die Anklageerhebung und Zulassung zur Hauptverhandlung ebenso wie eine rechtskräftige Verurteilung kein selbständiger Kündigungsgrund.7
343
Bestreitet der Arbeitnehmer die Tatbegehung, hat das Arbeitsgericht ohne Bindung an vorgenannte Umstände die erforderlichen Feststellungen zu treffen, sie können aber nach den allgemeinen Beweisregeln verwertet werden.
1 Vgl. Rz. 34 und LAG Hamm v. 20.7.2000 – 12 Sa 791/00, NZA-RR 2001, 635; LAG Rheinland-Pfalz v. 27.11.2000 – 7 Sa 1075/00, (n.v.); LAG Hamm v. 20.9.2001 – 8 Sa 579/00, (n.v.). 2 BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269 = AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 3 BAG v. 4.6.1964 – 2 AZR 310/63, NJW 1964, 1918 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, NZA 1986, 674 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG; v. 30.4.1987 – 2 AZR 283/86, NZA 1987, 699 = AP Nr. 19 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Köln v. 10.8.1999 – 13 Sa 220/99, FA 2000, 170; LAG Hamm v. 20.7.2000 – 12 Sa 791/00, NZA-RR 2001, 635; LAG Rheinland-Pfalz v. 27.11. 2000 – 7 Sa 1075/00, (n.v.); LAG Hamm v. 20.9.2001 – 8 Sa 579/01, (n.v.). 4 LAG Hamm v. 20.7.2000 – 2 Sa 791/00, NZA-RR 2001, 635. 5 LAG Köln v. 31.10.1997 – 11 (7/9) Sa 144/97, NZA-RR 1998, 297; a.A.: LAG RheinlandPfalz v. 27.11.2000 – 7 Sa 1075/00, (n.v.). 6 BAG v. 24.1.1985 – 2 AZR 317/84, NZA 1986, 25 = AP Nr. 8 zu § 1 TVG. 7 Vgl. zum Strafurteil: BAG v. 26.3.1992 – 2 AZR 519/91, DB 1992, 2194 = AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung.
804
Eisenbeis
Verdachtskündigung
Rz. 348b Teil 4
Daraus folgt, dass auch ein Freispruch des Strafgerichts die Möglichkeit zur Kündigung nicht ausschließt. Dies gilt aber nicht bei einem Freispruch wegen „erwiesener Unschuld“.
344
Einem dringenden Tatverdacht steht nicht die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO entgegen.1
345
Bei der Prüfung einer Verdachtskündigung sind auch nach Ausspruch der Kündigung bekannt werdende Umstände, die eine Entlastung des Arbeitnehmers herbeiführen können, für die gerichtliche Entscheidung zu berücksichtigen. Insbesondere muss entsprechendem Vorbringen des Arbeitnehmers, mit dem er sich von dem ihm gegenüber vorgebrachten Verdacht reinigen will, seitens der Gerichte durch eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts nachgegangen werden.2
346
Liegt ein dringender Verdacht vor, vermag dieser nur dann eine außerordentliche Kündigung zu begründen, wenn die Straftat oder Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass sie einen Kündigungsgrund darstellen könnte, wenn die Schuld feststünde.
347
Jener Verdacht muss bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein, so dass Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Verdachtskündigung nicht die Sachlage im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ist. Vielmehr kann der Verdacht im Laufe des Kündigungsschutzprozesses ausgeräumt oder verstärkt werden, wobei allerdings die Tatsachen im Kündigungszeitpunkt vorgelegen haben müssen.3
348
Der gegenteiligen Auffassung des LAG Bremen4, dass die Voraussetzungen eines Gestaltungsrechts im Zeitpunkt der Ausübung vorliegen müssen und das o.g. Nachschieben einen Bruch mit der Zivilrechtsdogmatik darstelle, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil es gerade im Wesen der Verdachtskündigung liegt, dass bestimmte Umstände noch ungewiss sind.
348a
Dennoch muss der auch hier geltende Grundsatz, dass ein Nachschieben von Gründen uneingeschränkt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig ist5, in zweierlei Hinsicht eingeschränkt werden. Zum einen können nur solche Verdachtsmomente nachgeschoben werden, die mit dem ursprünglichen Vorwurf vergleichbar sind oder mit diesem in unmittelbarem Zusammenhang
348b
1 BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, NZA 2001, 837 = AP Nr. 34 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Hamm v. 20.7.2000 – 12 Sa 791/00, NZA-RR 2001, 635. 2 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 743/98, NZA 2000, 418 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Düsseldorf v. 24.8.2001 – 18 Sa 366/01, LAGE § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 4. 3 BAG v. 4.6.1964 – 2 AZR 310/63, NJW 1964, 1918 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269 = EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; LAG Düsseldorf v. 24.8.2001 – 18 Sa 366/01, LAGE § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 4. 4 LAG Bremen v. 1.8.2008 – 4 Sa 53/08, DB 2008, 2090. 5 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, NZA 1986, 674–677 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972.
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Teil 4 Rz. 349
Die verhaltensbedingte Kündigung
stehen. Soweit sich der Verdachtsmoment und damit auch der Kündigungsgrund seinem Wesen nach verändert, sind die nachträglich bekannt gewordenen Gründe für die ausgesprochene Kündigung unbeachtlich.1 Sie können aber Grundlage einer neuen Kündigung sein. Zum anderen können solche Kündigungsgründe nicht nachgeschoben werden, die nicht Gegenstand der notwendig vorhergehenden Betriebsratsanhörung waren, da diese im Kündigungsschutzprozess nicht nachgeholt werden kann.2 349
Wird die Unschuld des Arbeitnehmers erst nach dem Kündigungsschutzprozess festgestellt, soll der Arbeitgeber aus seiner nachwirkenden Fürsorgepflicht verpflichtet sein, den Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt wiedereinzustellen.3 Diese Auffassung ist abzulehnen, da mit Abschluss des Kündigungsschutzprozesses Rechtssicherheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen muss. Mit Anerkennung der Verdachtskündigung ist hinzunehmen, dass auch ein Unschuldiger betroffen sein kann. Anderenfalls müsste die Verdachtskündigung generell abgelehnt werden. 2. Zumutbare Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts
350
Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen. Daher ist die Anhörung des zu kündigenden Arbeitnehmers zu den gegen ihn erhobenen Verdachtsmomenten echte Voraussetzung für die Wirksamkeit der Verdachtskündigung.4 Dies gilt gerade auch deshalb, weil bei der Verdachtskündigung in besonderem Maße die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird.5 Die Anhörung des Arbeitnehmers muss vor der Betriebsratsanhörung dergestalt durchgeführt werden, dass dem Arbeitnehmer eine Einlassung zumutbar ist.6 Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die Anhörungspflicht, führt dies zur Unwirksamkeit der Verdachtskündigung, weil auch die Anhörung des Arbeitnehmers im Prozess nicht mehr nachgeholt werden kann.7
1 LAG Hamm v. 1.3.2007 – 17 Sa 1503/06. 2 BAG v. 23.4.2008 – 2 ABR 71/07, NZA 2008, 1081–1083 = EzA Nr. 6 zu § 103 BetrVG 2001; v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744–748 = EzA Nr. 3 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung; vgl hierzu auch die Ausführungen unter Rz. 376. 3 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 234 m.w.N. 4 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, NZA 1986, 674 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 6.11.2003 – 2 AZR 631/02, NZA 2004, 219. 5 BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809–812 = EzA Nr. 6 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung. 6 BAG v. 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344–348 = EzA Nr. 4 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung; LAG Köln v. 30.11.1992 – 11 Sa 413/92, LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; v. 15.4.1997 – 13 (2) Sa 812/96, NZA 1998, 203 = LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6. 7 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, NZA 1986, 674 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung.
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Verdachtskündigung
Rz. 354 Teil 4
Von entscheidender Bedeutung ist daher der Umfang der Anhörungspflicht des Arbeitgebers. Diese wird von nachfolgenden Grundsätzen, die in Einklang zu bringen sind, geprägt:
351
Der Arbeitgeber ist erstens im Grundsatz nur verpflichtet, durch eine Anhörung die Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen. Zweitens muss er in der Anhörung den Verdacht so weit konkretisieren, dass sich der Arbeitnehmer darauf substantiiert einlassen kann.1 Die Anhörung muss jedoch drittens nicht den Anforderungen genügen, wie sie an die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG gestellt werden.2 Abschließend darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich keine Erkenntnisse vorenthalten, die er im Anhörungszeitpunkt bereits gewonnen hat.3
352
Demzufolge ist die Anhörung entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit ist, sich zum Verdacht substantiiert zu äußern.4 Der Arbeitgeber muss in diesem Fall das Verdachtsmoment auch nicht näher konkretisieren.5
353
" Praxistipp: Da aber der Arbeitgeber für die Entbehrlichkeit der Anhörung
darlegungs- und beweisbelastet ist, ist die Anhörung mit der Möglichkeit zur Stellungnahme stets ratsam.
Wird der Arbeitnehmer angehört, ist der Sachverhalt so weit zu konkretisieren, dass sich der Arbeitnehmer darauf substantiiert einlassen kann. Das LAG Köln hat beispielsweise angenommen, dass der Vorhalt, der als Croupier beschäftigte Arbeitnehmer habe sich an gemeinschaftlichen Manipulationen zur Auszahlung unberechtigter Gewinne beteiligt, die insbesondere an einem bestimmten Tag durch die Annahme von Scheinannoncen eines bestimmten Spielers bewerkstelligt worden sein sollen, wenn ein Kollege Pause hatte und der potentielle Mittäter am Tisch war, konkret genug ist. Es verweist ferner darauf, dass der Arbeitgeber noch nicht einmal im Rahmen der Betriebsratsanhörung verpflichtet ist, sein Beweismaterial bekannt zu geben.6 Das LAG SchleswigHolstein spricht demgegenüber von einer fehlenden Konkretisierung, wenn 1 BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809–812 = EzA Nr. 6 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung; v. 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344–348 = EzA Nr. 4 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung; v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Köln v. 31.10.1997 – 11 (7/9) Sa 144/97, NZA-RR 1998, 297. 2 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 3 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Schleswig-Holstein v. 29.6.2001 – 6 Sa 9/01, (n.v.). 4 BAG v. 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344–348 = EzA Nr. 4 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung; v. 26.7.2002 – 2 AZR 424/01, ZTR 2003, 410–412 = AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 26.9.2002 – 2 AZR 424/01, AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung (n.v.); LAG Schleswig-Holstein v. 29.6.2001 – 6 Sa 9/01, (n.v.). 5 BAG v. 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344–348 = EzA Nr. 4 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung. 6 LAG Köln v. 31.10.1997 – 11 (7/9) Sa 144/97, NZA-RR 1998, 297.
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354
Teil 4 Rz. 355
Die verhaltensbedingte Kündigung
dem als Pförtner beschäftigten Arbeitnehmer der Vorwurf der Bestechlichkeit gemacht und dazu ausgeführt wird, er habe entgegen den Dienstanweisungen Taxen nicht mit der Lichtrufanlage informiert, sondern Fahrten über Telefon direkt an ihm bekannte Taxifahrer gegen Gebühr vermittelt, ohne anzugeben, auf welche Details (belastende Zeugenaussagen, Observationserkenntnisse, Auflistung des Landesamtes für Informationstechnik über die Verbindungsdaten der Telefonanschlüsse der Pförtnerloge) der Verdacht gestützt wird.1 Es bedarf allerdings dann keiner näheren Konkretisierung, wenn der Arbeitnehmer – sei es aus einem Haft- oder Durchsuchungsbefehl oder einer Anklageerhebung – bereits ausreichend über den gegen ihn erhobenen Vorwurf informiert ist.2 355
Es ist stets im Einzelfall zu beurteilen, ob der Arbeitgeber seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist. Ist dies der Fall, ist die Reaktion des Arbeitnehmers irrelevant und der Anhörungspflicht Genüge getan. Hat der Arbeitgeber demgegenüber den Verdacht nicht ausreichend konkretisiert, lässt ein pauschales Bestreiten der erhobenen Vorwürfe nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Arbeitnehmer werde sich zu weiteren konkreten Verdachtsumständen nicht substantiiert einlassen.3 Im Detail kommt es darauf an, ob den weiteren Umständen zum pauschalen Bestreiten zu entnehmen ist, dass der Arbeitnehmer jede weitere Stellungnahme schlichtweg ablehnt. Sodann steht dem Ausspruch einer Verdachtskündigung nichts im Wege. Ist das pauschale Bestreiten demgegenüber damit verbunden, der Arbeitnehmer gebe vorerst keine Stellungnahme ab, trifft den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Darlegung seiner weiteren Erkenntnisse.
356
Abschließend ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber die Aufklärungspflicht auch dadurch schuldhaft verletzen kann, dass er dem Arbeitnehmer eine unangemessene, viel zu kurze Frist zur Stellungnahme einräumt, mit der Folge, dass sich der Arbeitgeber auf den Verdacht der strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens nicht berufen kann.4
357
Die Aufklärungspflicht des Arbeitgebers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung geht jedoch nicht so weit, wie die staatsanwaltschaftliche Ermittlungspflicht nach § 160 StPO. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, zur Identifizierung des Verdächtigen eine Wahl-Lichtbildvorlage oder Wahl-Gegenüberstellung oder eine DNA-Analyse zu veranlassen.5 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitnehmer von sich aus seine Bereitschaft zur jeweiligen Maßnahme signalisiert. 3. Interessenabwägung
358
Des Weiteren muss auch die bei der Verdachtskündigung notwendige Interessenabwägung ergeben, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhält-
1 LAG Schleswig-Holstein v. 29.6.2001 – 6 Sa 9/01, (n.v.). 2 BAG v. 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344–348 = EzA Nr. 4 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung. 3 LAG Hamburg v. 29.6.2001 – 6 Sa 9/01, (n.v.). 4 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 27.11.2000 – 7 Sa 1075/00, (n.v.). 5 LAG Hamm v. 17.3.1999 – 2 Sa 1568/98, (n.v.).
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Verdachtskündigung
Rz. 362 Teil 4
nisses nicht zugemutet werden kann. Im Rahmen der Interessenabwägung ist die unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.1 Einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses steht die Möglichkeit der Versetzung auf einen Arbeitsplatz entgegen, der keine Vertrauensbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraussetzt.2
359
4. Einhaltung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB Die Bestimmung des § 626 Abs. 2 BGB gilt auch für eine außerordentliche Verdachtskündigung. Grundsätzlich beginnt die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis des Kündigungssachverhalts hat, der ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Ein nicht beweisbarer Anfangsverdacht des Arbeitgebers stellt jedoch keine die Frist des § 626 Abs. 2 BGB in Gang setzende Kenntnis des Arbeitgebers dar; vielmehr kann der Arbeitgeber mit der gebotenen Eile weitere Ermittlungen anstellen, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen.3 Gleichwohl steht auch bei einer Verdachtskündigung ein nicht gerechtfertigtes Hinauszögern bzw. Unterbrechen von notwendigen Ermittlungen grundsätzlich nicht im Belieben des Arbeitgebers, um die Frist des § 626 Abs. 2 BGB in Gang zu setzen.4 Demgemäß gilt für die Anhörung des Arbeitnehmers eine Regelfrist von einer Woche.5
360
Die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers führt nicht ohne Weiteres zu einer Hemmung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, da erforderlich und ausreichend für die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Verdachtskündigung ist, dass sich der Arbeitnehmer, sei es schriftlich oder mündlich, zu dem erhobenen Vorwurf äußern kann. Eine Hemmung des Ablaufs der Ausschlussfrist ist nur anzunehmen, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer auch an einer schriftlichen Stellungnahme gehindert ist.6
361
Nach Auffassung des LAG Köln kann die Regelfrist von einer Woche für die Anhörung geringfügig überschritten werden, wenn der Arbeitgeber wegen der Be-
362
1 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, NZA 2001, 837 = AP Nr. 34 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 2 KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 232. 3 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = EzA Nr. 4 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Köln v. 8.8.2000 – 5 Sa 452/00, NZA-RR 2001, 185 = LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13; v. 25.1.2001 – 6 Sa 1310/00, BB 2001, 1748 = LAGE § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 13. 4 BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 25/88, NZA 1989, 105 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Hamm v. 20.8.1999 – 19 Sa 2329/98, DB 1999, 2068. 5 BAG v. 12.2.1973 – 2 AZR 116/72, DB 1973, 1258 = AP Nr. 6 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; LAG Köln v. 8.8.2000 – 5 Sa 452/00, NZA-RR 2001, 185 = LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13; v. 25.1.2001 – 6 Sa 1310/00, BB 2001, 1748 = LAGE § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 13. 6 LAG Köln v. 25.1.2001 – 6 Sa 1310/00, BB 2001, 1748 = LAGE § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 13.
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Teil 4 Rz. 363
Die verhaltensbedingte Kündigung
sonderheiten des Falles (Untersuchungshaft des Arbeitnehmers, bisher fehlende eigene Ermittlungen, Unkenntnis der für das Strafverfahren maßgeblichen Tatumstände) nicht in der Lage ist, den Sachverhalt trotz entsprechender Bemühungen näher aufzuklären.1 363
Ebenfalls ist anerkannt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich den Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens bzw. des Strafverfahrens abwarten darf, um alsdann innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung vom Ausgang des Verfahrens die Kündigung unter Wahrung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB auszusprechen.2 Der Arbeitgeber darf aber trotz sicherer Kenntnis von den Tatumständen den Ausgang der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden nicht nur deshalb abwarten, um seine eigene strafrechtliche Bewertung durch eine möglichst umfassende Sachverhaltsaufklärung durch unabhängige, sachkundige staatliche Behörden nachprüfen zu lassen. Hingegen ist ein Abwarten des Ausgangs des Strafverfahrens zulässig, wenn es dem Arbeitgeber auf das Werturteil ankommt, das mit der Verurteilung des Arbeitnehmers verbunden ist. Ist beispielsweise der Arbeitgeber grundsätzlich bereit, dem Arbeitnehmer seinen Fehltritt zu verzeihen, und sieht er lediglich eine Verurteilung des Arbeitnehmers zu einer Freiheitsstrafe als Kündigungsgrund an, so kann ihm nicht § 626 Abs. 2 BGB entgegengehalten werden, wenn er den Ausgang des Strafverfahrens abwartet.3 Dies ist insbesondere bei öffentlichen Arbeitgebern der Fall (siehe oben Rz. 200).
364
Das Recht des Arbeitgebers, den Ausgang des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens abzuwarten anstatt eigene Ermittlungen durchzuführen, bedeutet aber nicht, dass der Arbeitgeber trotz eines hinlänglich begründeten Anfangsverdachts zunächst von eigenen weiteren Ermittlungen absehen und den Ausgang des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens abwarten darf. Insbesondere darf er nicht erst, ohne dass sich neue Tatsachen ergeben hätten, Monate später unvermittelt selbständige Ermittlungen aufnehmen und dann zwei Wochen nach Abschluss dieser Ermittlungen kündigen.4 Es gibt zwar nicht nur einen, sondern mehrere Zeitpunkte, die einer Kündigung zugänglich sind. Ein solcher ist jeweils dann gegeben, wenn verdachtserhöhende Umstände bekannt werden. Allerdings kann nicht zu einem willkürlichen Zeitpunkt gekündigt werden, sondern es bedarf eines sachlichen Grunds für die Wahl dieses Zeitpunkts, da ansonsten die Regelung des § 626 Abs. 2 BGB leerliefe.5
365
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB für die Kündigung wegen erwiesener Pflichtverletzung später als für die Verdachtskündigung beginnen kann. Eine Kündigung wegen erwiesener Pflichtverletzungen 1 LAG Köln v. 8.8.2000 – 5 Sa 452/00, NZA-RR 2001, 185 = LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13. 2 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 3 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 4 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NZA 1994, 171 = AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 5 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 25/07.
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Gegenstand des Anhörungsverfahrens
Rz. 369 Teil 4
setzt voraus, dass der Arbeitgeber nach seiner Überzeugung Kenntnis nicht nur von Verdachtsmomenten hat, die nur eine Verdachtskündigung begründen könnten. Der Arbeitgeber muss die sichere Kenntnis der die Tatbegehung selbst begründenden Umstände haben, so dass er seiner Behauptungs- und Beweislast im Prozess nachkommen kann. Daher kann die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB für die Kündigung wegen erwiesener Pflichtverletzung durchaus später beginnen als für die Verdachtskündigung.1
D. Anhörung des Betriebsrates Der Betriebsrat ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber ist nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
366
Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit dem Gegenstand der Anhörung des Betriebsrats und dem zu beachtenden Verfahren.2 Dabei wird auf die Besonderheiten bei Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung eingegangen.
367
I. Gegenstand des Anhörungsverfahrens Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung, gleichgültig, ob außerordentlich oder ordentlich ausgesprochen, zu hören. Dies gilt auch, wenn das KSchG keine Anwendung findet3 oder sich der Arbeitnehmer noch in der Probezeit befindet.4 Die Anhörungspflicht besteht auch vor Ausspruch jeder Änderungskündigung.5 Ist mit den angebotenen neuen Arbeitsbedingungen eine Umgruppierung oder Versetzung des Arbeitnehmers verbunden, muss der Arbeitgeber in Anbetracht des Doppelcharakters der Änderungskündigung neben dem Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG auch das Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG durchführen, sofern mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind.6
368
Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG ist auch auf vorsorglich ausgesprochene Kündigungen zu erstrecken.
369
1 2 3 4 5 6
LAG Köln v. 13.1.2000 – 6 Sa 1080/99, MDR 2000, 775. Siehe im Übrigen allgemein zur Anhörung des Betriebsrats Teil 1. BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 234/98, NZA 1999, 477 = AP Nr. 99 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24 = AP Nr. 64 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, DB 1982, 1520 = AP Nr. 2 zu § 2 KSchG 1969. BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 283/93, NZA 1994, 615 = AP Nr. 33 zu § 2 KSchG 1969.
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Teil 4 Rz. 370
Die verhaltensbedingte Kündigung
II. Anhörungsverfahren 370
Die Anhörung des Betriebsrats muss stets vor Ausspruch der Kündigung erfolgen. Adressat der schriftlichen Anhörung ist der Betriebsratsvorsitzende oder der Vorsitzende des nach § 28 BetrVG gebildeten Personalausschusses, im Verhinderungsfalle die jeweiligen Stellvertreter. Sind auch diese verhindert, und sind keine besonderen Vorkehrungen getroffen, ist jedes Mitglied des Betriebsrats zur Entgegennahme der Anhörung berechtigt und verpflichtet.
371
Mitzuteilen sind zunächst die Personalien des Betroffenen. Zu diesen gehören das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit sowie ein eventueller Sonderkündigungsschutz. Dies gilt grundsätzlich auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung. Die fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten steht der Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankommt und wenn die Arbeitnehmervertretung die ungefähren Daten kennt und daher die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ausreichend beurteilen kann.1
372
Darüber hinaus sind die Art der Kündigung, die Kündigungsfrist und der Kündigungstermin mitzuteilen.2
373
Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Angabe der Kündigungsgründe. An die Verpflichtung zur Mitteilung der Kündigungsgründe sind im Anhörungsverfahren nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess. Es gilt der Grundsatz der sog. „subjektiven Determination“, demzufolge der Betriebsrat stets dann ordnungsgemäß angehört worden ist, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat.3 Der Arbeitgeber hat die von ihm für maßgeblich erachteten Kündigungsgründe bei der Anhörung so zu umschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig werden kann.4
374
Demzufolge ist der Arbeitgeber gehalten, bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Vertragsverletzung, die die Kündigung rechtfertigen soll, genau zu bezeichnen und ggf. eine einschlägige Abmahnung vorzutragen. Der Mitteilungspflicht unterliegen auch dem Arbeitgeber bekannte, seinen Kündigungsgründen widerstreitende Umstände.5 Insofern sind beispielsweise Entlastungszeugen für Fehlverhalten des Arbeitnehmers6 und eine Gegendarstellung des Arbeitneh1 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 7. 2 BAG v. 29.8.1991 – 2 AZR 59/91, NZA 1992, 416 = AP Nr. 58 zu § 102 BetrVG 1972; v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, NZA 1994, 311 = AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972. 3 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363 = AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972; v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 4 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363 = AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972; v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, NZA 1996, 419 = AP Nr. 13 zu § 102 BetrVG 1972; v. 27.2. 1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 5 BAG v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, NZA 1997, 656 = AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972. 6 LAG Köln v. 30.9.1993 – 5 Sa 708/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 36.
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Anhörungsverfahren
Rz. 378 Teil 4
mers1 anzugeben. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber die entlastenden Umstände oder Zeugen für unerheblich hält, weil er von einer Täuschung oder der Unglaubwürdigkeit der Zeugen ausgeht.2 Der Arbeitgeber ist im Rahmen des Anhörungsverfahrens nicht verpflichtet, dem Betriebsrat Unterlagen oder Beweismaterial zur Verfügung zu stellen oder ihm Einsicht in die Personalakten des betroffenen Arbeitnehmers zu gewähren.3
375
Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung schon entstanden waren und dem Arbeitgeber erst später bekannt wurden, können nur nachgeschoben werden, wenn der Betriebsrat vorher erneut hierzu angehört worden ist.4 Der Arbeitgeber kann solche Kündigungsgründe, die ihm im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats bereits bekannt waren, die er aber dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hat, im Prozess nicht nachschieben. Um kein Nachschieben von Kündigungsgründen handelt es sich aber, wenn der Arbeitgeber die dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe im Prozess nur weiter erläutert und konkretisiert, ohne dass dies den Kündigungssachverhalt wesentlich verändert.5 Eine bloße Erläuterung und Konkretisierung des dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgrundes ist anzunehmen, wenn sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auf üblicherweise mit der Vertragsverletzung verbundene und daher auch dem Betriebsrat im Allgemeinen bekannte Störungen des Betriebsablaufs oder -friedens beruft.6
376
Die Anhörung des Betriebsrats ist auch ordnungsgemäß, wenn dem Betriebsrat ein Sachverhalt mitgeteilt wird, der nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, den zu beurteilenden Sachverhalt in seiner Schwere und in seinen Wirkungen aber nicht verändert.7
377
Beabsichtigt der Arbeitgeber, die Kündigung vordergründig oder vorsorglich auf den Verdacht einer Straftat oder anderer Pflichtverletzungen zu stützen, hat er den Betriebsrat zum Verdacht anzuhören. Im Kündigungsschutzprozess kann die Kündigung bei vorheriger Anhörung des Betriebsrats zur erwiesenen Tat oder Pflichtverletzung nicht ohne eine erneute Anhörung des Betriebsrats mit dem Verdacht einer Straftat oder anderer Pflichtverletzungen begründet wer-
378
1 BAG v. 31.8.1989 – 2 AZR 453/88, AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Schleswig-Holstein. 2 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363 = AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972; v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 3 BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 88/89, NZA 1990, 748 = AP Nr. 55 zu § 102 BetrVG 1972; v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, NZA 1997, 656 = AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972. 4 BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, NZA 1990, 727 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 5 BAG v. 7.12.1996 – 2 AZR 720/95, RzK III 1b Nr. 26; v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 6 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 7 LAG Schleswig-Holstein v. 24.7.2001 – 1 Sa 78/01, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78.
Eisenbeis
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Teil 4 Rz. 379
Die verhaltensbedingte Kündigung
den.1 Da die Erhärtung eines Verdachts bei ausgesprochener Verdachtskündigung nicht ausgeschlossen ist, kann sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess gleichwohl ohne erneute Anhörung des Betriebsrats auf die erwiesene Straftat oder Verfehlung berufen.2 379
Der Arbeitgeber kann die Kündigung erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens wirksam aussprechen. Das Anhörungsverfahren ist abgeschlossen, wenn die Äußerungsfristen für den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 2 BetrVG verstrichen sind. Vor Ablauf der Äußerungsfristen ist das Verfahren beendet, wenn der Betriebsrat eine abschließende Erklärung abgegeben hat. Eine abschließende Erklärung liegt nicht vor, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber mündlich Bedenken mitteilt und eine schriftliche Stellungnahme zu den Bedenken in Aussicht stellt.3 Dies beruht darauf, dass dem Betriebrat die Möglichkeit einzuräumen ist, die Bedenken oder den Widerspruch ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 2 und Abs. 5 BetrVG schriftlich zu verfassen. Demgegenüber ist eine abschließende Erklärung anzunehmen, wenn der Betriebsrat nur die schriftliche Fixierung seiner zuvor mündlich erteilten Zustimmung angekündigt hat.4 Die Anhörung ist auch dann ordnungsgemäß, wenn der Betriebsrat am letzten Tag der Anhörungsfrist bei Dienstsschluss noch keine Stellungnahme abgegeben hat und der Arbeitgeber dann das Kündigungsschreiben mittels eines Kurierdienstes, der zurückgerufen werden kann, an den auswärtigen Arbeitnehmer zur Zustellung am nächsten Tag auf den Weg bringt. In diesem Fall ist dem Sinn und Zweck des § 102 BetrVG, der Möglichkeit des Einflusses von Seiten des Betriebsrats auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers, Genüge getan.5
1 BAG v. 26.3.1992 – 2 AZR 519/91, NZA 1992, 1121 = AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81 = AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 2 Vgl. BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847 = AP Nr. 149 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; Beier, DB 1992, 784; Griese, BB 1990, 1901; a.A.: KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 64b. 3 BAG v. 28.7.1982 – 7 AZR 1181/79, (n.v.). 4 LAG Niedersachen v. 27.9.2002 – 10 Sa 626/02, (n.v.). 5 BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 515/02, NZA 2003, 961.
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Teil 5 Sittenwidrige Kündigung, Maßregelungskündigung und treuwidrige Kündigung
A. Sittenwidrige Kündigung I. Voraussetzungen Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es gegen die guten Sitten verstößt. Diese generelle Regelung ist auch auf die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses anwendbar.
1
Die Kündigung, die als eine auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung ihrem Inhalt nach wertfrei ist, kann mit Rücksicht auf ihr Motiv und ihren Zweck gleichwohl sittenwidrig sein. Auch der Gesetzgeber hat dies in seiner Regelung in § 13 Abs. 2 Satz 1 KSchG ausdrücklich anerkannt.
2
An die Sittenwidrigkeit einer Kündigung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Nicht jede Kündigung, die im Falle der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes im Sinne des § 1 KSchG als nicht sozial gerechtfertigt beurteilt werden müsste, ist deshalb schon sittenwidrig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Kündigung vielmehr erst dann sittenwidrig, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht, wie beispielsweise Rachsucht oder Vergeltung, oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht.1 Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung ist der Arbeitnehmer.2
3
Der Vorwurf objektiver Sittenwidrigkeit kann nur in besonders krassen Fällen erhoben werden. § 138 BGB verlangt die Einhaltung des „ethischen Minimums“. Eine Unvereinbarkeit mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und daraus folgend eine Sittenwidrigkeit der Kündigung ist schon deshalb nicht gegeben, wenn die Kündigung der Durchsetzung rechtmäßiger und legitimer Interessen des Arbeitgebers diente.3
4
Es gelten insoweit jedoch schärfere Anforderungen als bei der Prüfung der Treuwidrigkeit nach § 242 BGB. Sittenwidrig nach § 138 BGB ist eine während der gesetzlichen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG oder in einem Kleinbetrieb ohne Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes erklärte ordentliche Arbeitgeberkündigung nur in besonderen Ausnahmefällen. Ein Sachverhalt, der schon nicht
5
1 Vgl. BAG v. 19.7.1973 – 2 AZR 464/72, AP Nr. 32 zu § 138 BGB; v. 2. April 1987 – 2 AZR 227/86, AP Nr. 1 zu § 612a BGB. 2 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB. 3 BAG v. 22.5.2003 – 8 AZR 639/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit.
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Teil 5 Rz. 6
Sittenwidrige Kündigung
geeignet ist, eine Treuwidrigkeit der Kündigung zu begründen, reicht erst recht nicht für die Annahme aus, die Kündigung sei sittenwidrig.1 6
Auch unterhalb der Anforderungen zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz schließt die Feststellung einer Wahrnehmung jeglicher Art von rechtmäßigen und legitimen Interessen eines Arbeitgebers an dem Ausspruch der Kündigung den Vorwurf objektiver Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB regelmäßig aus.2
7
Da die Kündigung als Willenserklärung an sich wertfrei ist, kann sich die Sittenwidrigkeit nur aus dem ihr zugrunde liegenden Motiv oder Zweck ergeben. Auch in den Fällen, in denen ein einseitiges Rechtsgeschäft auf einem unsittlichen Motiv beruht, ist jedoch nicht immer das Motiv als solches entscheidend, vielmehr kommt es darauf an, dass durch das unsittliche Motiv das Rechtsgeschäft als Regelung zu einem sittenwidrigen wird. Es ist deshalb verfehlt, lediglich auf das Motiv des kündigenden Arbeitgebers oder einzelne Tatsachenkomplexe abzustellen.
8
Ob eine Kündigung wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, kann nur eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ergeben.3 Zu berücksichtigen ist dabei, ob der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund geltend macht, der nach § 626 BGB bzw. § 1 KSchG an sich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Macht der Arbeitgeber von einem Kündigungsrecht Gebrauch, das ihm nach den gesetzlichen Vorschriften zusteht, so wird regelmäßig das Unwerturteil nicht gerechtfertigt sein, die Kündigung verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.4
II. Anwendungsfälle 9
Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist mit der Bejahung der Sittenwidrigkeit einer Kündigung richtigerweise grundsätzlich zurückhaltend.
10
Die Sittenwidrigkeit einer Kündigung kann nicht auf Gründe gestützt werden, die in den Schutzbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen.5 Nicht jede Kündigung, die im Falle der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes als sozialwidrig beurteilt werden müsste, ist deshalb schon sittenwidrig. § 138 BGB verlangt nur die Einhaltung eines „ethischen Minimums“. Der schwere Vorwurf der Sittenwidrigkeit kann daher nur in besonders krassen Fällen erhoben werden. 1. Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme bei Kündigungsauswahl
11
Eine Missachtung des Mindestmaßes an sozialer Rücksichtnahme im Falle der Notwendigkeit einer Auswahl unter mehreren Arbeitnehmern für den Aus1 2 3 4 5
BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, AP Nr. 13 zu § 242 BGB Kündigung. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 8.3.2005 – 2 Sa354/04. BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 726/93, RzK I 8k Nr. 6. BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 726/93, RzK I 8k Nr. 6. BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung.
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Anwendungsfälle
Rz. 15 Teil 5
spruch einer Kündigung in einem Kleinbetrieb ohne Geltung des Kündigungsschutzgesetzes kann zwar einen Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB darstellen, den Vorwurf der Sittenwidrigkeit jedoch nicht begründen.1 2. Kündigung nach Bekanntwerden einer HIV-Infektion Die Kündigung eines Arbeitnehmers mit einer HIV-Infektion ist nicht sittenwidrig, wenn der Arbeitgeber nachvollziehbare Gründe für diese Kündigung hat. Eine mehrere Monate währende, auf Krankheit oder Selbsttötungsversuch beruhende Arbeitsunfähigkeit von nicht absehbarer Dauer ist selbst im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes an sich geeignet, einen Kündigungsgrund abzugeben; ob sie die konkrete Kündigung sozial rechtfertigt, hängt dann allerdings von den weiteren Voraussetzungen für eine Kündigung wegen langanhaltender Krankheit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ab. Geht der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung gegenüber dem HIV-infizierten Arbeitnehmer von einem solchen Grundtatbestand aus, der zehn Tage nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, nahezu drei Monate angedauert hat und dessen Ende nach vorliegendem ärztlichen Attest noch nicht absehbar war, so verstößt die Kündigung auch bei Anlegung eines objektiven Wertmaßstabes nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.2
12
3. Verheimlichung der Unsicherheit des neuen Arbeitsplatzes bei der Einstellung Für die Annahme einer Verletzung des Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden genügt es auch nicht, wenn der Arbeitnehmer die angebliche Sittenwidrigkeit der Kündigung damit begründen will, ihm sei im Rahmen des Vorstellungsgesprächs die alsbald bevorstehende Fusion des Arbeitgebers und deren Auswirkungen auf seinen Arbeitsplatz verheimlicht worden.3
13
Wer sich von seinem bisherigen Arbeitsplatz abwerben lässt und mit dem abwerbenden Arbeitgeber nicht vereinbart, dass die Kündigung für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen ist, übernimmt das Risiko, dass ihm der neue Arbeitgeber vor Ablauf der in § 1 Abs. 1 KSchG bestimmten Frist von sechs Monaten ordentlich kündigt. Sittenwidrig nach § 138 BGB ist eine solche während der gesetzlichen Wartezeit erklärte ordentliche Arbeitgeberkündigung nur in besonders krassen Fällen.4
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4. Kündigung wegen nicht spezifizierter Leistungsschwäche In der Wartezeit herrscht Kündigungsfreiheit. § 242 BGB dient nicht der Erweiterung des Kündigungsschutzes, sondern stellt eine seltene Ausnahme dar. Die Vorstellung, eine Kündigung wegen Leistungsschwächen sei als besonders krasser Fall sittenwidrig, sie beruhe auf einem verwerflichen Motiv vergleichbar der 1 2 3 4
BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung. BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB. BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 874/95, RzK I 8l Nr. 22. BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 874/95, RzK I 8l Nr. 22.
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Teil 5 Rz. 16
Sittenwidrige Kündigung
Rachsucht oder Vergeltung oder verstoße aus anderen Gründen gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, nur weil eine vorausgehende Einarbeitung nicht optimal gewesen ist, ist offenkundig indiskutabel.1 5. Herausgreifende Kündigung 16
Auch eine herausgreifende Kündigung außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes ist nicht bereits ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Kündigungsgrundes dann sittenwidrig gemäß § 138 BGB, wenn von mehreren Arbeitnehmern, die alle nach Zahl und Vorwürfen in etwa vergleichbare Abmahnungen aufzuweisen und sich das gleiche Fehlverhalten hatten zuschulden kommen lassen, einer gekündigt wird, andere jedoch nicht.2 Die Entscheidung des Arbeitgebers, bei gleichem Fehlverhalten ihrer Arbeitnehmer an einem einzelnen ein Exempel zu statuieren, kann jedoch treuwidrig sein und zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 242 BGB führen.
III. Prozessuale Behandlung 17
Für die tatbestandlichen Voraussetzungen der Beurteilung einer Kündigung als sittenwidrig trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast. Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 13 Abs. 2 des Kündigungsschutzgesetzes für eine gegen die guten Sitten verstoßende Kündigung einige Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes für anwendbar erklärt, nicht jedoch die in § 1 Abs. 2 enthaltene Bestimmung über die Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast an den Arbeitgeber.
18
Die Rechtsprechung hat stets bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit von Kündigungen einen strengen Maßstab angelegt und darauf abgestellt, eine Kündigung müsse dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden krass widersprechen, um als sittenwidrig angesehen zu werden. Ohne die Prüfung aller, auch der den Arbeitnehmer belastenden Umstände im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls lässt sich nicht zutreffend beurteilen, ob die Kündigung tatsächlich als sittenwidrig anzusehen ist.
19
Eine einseitige Sicht lediglich auf die Motive des Arbeitgebers zur Kündigung kehrt zudem im Ergebnis die Beweislast um. Wenn den Arbeitnehmer die Beweislast für die Sittenwidrigkeit der Kündigung trifft, so ist es schon nach Beweislastgrundsätzen unzulässig, die vom Arbeitgeber vorgetragenen, gegen eine Sittenwidrigkeit und für eine wirksame Kündigung sprechenden Umstände nicht aufzuklären und bei der Prüfung unberücksichtigt zu lassen.3
1 LAG Köln v. 16.8.2002 – 11 Sa 487/02, ArbuR 2003, 196. 2 Verfehlt daher ArbG Regensburg v. 23.4.1990 – 6 Ca 2717/89, BB 1990, 1418. 3 BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 726/93, RzK I 8k Nr. 6.
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Voraussetzungen
Rz. 24 Teil 5
B. Maßregelungskündigung I. Voraussetzungen Nach der Norm des § 612a BGB, die einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit betrifft, darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als „Maßnahmen“ im Sinne des § 612a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht.1
20
Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet.2
21
Ist der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlass zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluss nicht kausal ausgewirkt hat und deshalb als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann deshalb auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte.3
22
Während das Kündigungsschutzgesetz auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung und nicht auf den Beweggrund der Kündigung durch den Arbeitgeber abstellt und deswegen das Nachschieben materieller Kündigungsgründe unbeschadet betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften insoweit zulässig ist, schneidet § 612a BGB die Kausalkette für andere Gründe ab, die den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht bestimmt haben.4 Kausal für die Kündigung ist dann vielmehr allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung gewesen.
23
Auch die auf die Ablehnung eines Änderungsangebots gestützte Kündigung kann eine Maßregelung im Sinne des § 612a BGB sein. Von dem besonderen Unwerturteil des § 612a BGB kann eine solche Kündigung jedoch nur dann betroffen sein, wenn die Ausgestaltung des Änderungsangebots selbst sich als unerlaubte Maßregelung darstellt, sich also gewissermaßen als „Racheakt“ für eine zulässige Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer darstellt. Für das Änderungsangebot selbst müssen daher die besonderen, auf das Motiv des Kündigenden bezogenen Voraussetzungen des § 612a BGB vorliegen.5
24
1 BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 498/88, RzK I 8l Nr. 15; KR-Pfeiffer, § 612a BGB Rz. 4. 2 BAG v. 12.6.2002 – 10 AZR 340/01, AP BGB § 612a Nr. 8; ErfK-Preis, § 612a BGB Rn. 11; KR-Pfeiffer, § 612a BGB Rz. 7. 3 BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 498/88, RzK I 8l Nr. 15; KR-Pfeiffer, § 612a BGB Rz. 8. 4 BAG 22. September 2005 – 6 AZR 607/04, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 20. 5 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit.
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Teil 5 Rz. 25
Maßregelungskündigung
25
Der Schutz des § 612a BGB greift nur ein, wenn der Arbeitnehmer Rechte in zulässiger Weise ausübt. Eine Benachteiligung im Sinne dieser Vorschrift ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber einer zulässigen Rechtsausübung eines Arbeitnehmers mit einer Vereinbarung oder einer Maßnahme begegnet, die der Arbeitgeber gegenüber dem anderen, in seiner Rechtsstellung und Funktion vergleichbaren Arbeitnehmer, der die ihm zustehenden Rechte nicht ausgeübt hat, nicht vorgenommen hätte und dies zu einer Schlechterstellung oder zum Entzug von Vorteilen oder Vergünstigungen für den Betroffenen führt.1 Die Benachteiligung muss wegen der Ausübung der Rechte erfolgen, sie muss also der tragende Beweggrund und nicht nur in irgendeiner Weise mitursächlich oder äußerer Anlass sein.2
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Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist.3
II. Anwendungsfälle 1. Kündigung wegen Verweigerung von Arbeitsleistung bei Krankschreibung 27
Ein wegen Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer ist von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit. Er ist berechtigt, der Arbeit fernzubleiben. Fordert der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz der Krankschreibung zur Arbeitsleistung auf und droht dem Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer nicht trotz Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit erscheint, dann liegt bei einer Kündigung unmittelbar nach der Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeit aufzunehmen, ein Sachverhalt vor, der eine Maßregelung i.S.d. § 612a BGB indiziert.4 2. Kündigung wegen Inanspruchnahme von Entgeltfortzahlung
28
Erfolgt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses als Reaktion darauf, dass der Arbeitnehmer wiederholt das Recht auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Anspruch nimmt, liegt in der Regel keine Verletzung des § 612a BGB vor Die betrieblichen Folgen einer Inanspruchnahme von Freistellungs- und Entgeltfortzahlungsansprüchen eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers kann daher sozial rechtfertiger Hintergrund einer personenbedingten Kündigung nach § 1 KSchG sein. Können die betrieblichen Folgen krankheitsbedingter Fehlzeiten einen gesetzlich akzeptierten und grundsätzlich schutzwerten Belang für eine Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber i.S.d. § 1 KSchG darstellen, können sie per se nicht zugleich ein nach § 612a BGB verbotenes Kündigungsmotiv sein. 1 2 3 4
BAG v. 2.4.1987 – 2 AZR 227/86, AP BGB § 612a Nr. 1; APS/Linck § 612a Rz. 10. LAG Niedersachsen v. 12.9.2005 – L5 Sa 396/05, AGE § 18 BErzGG Nr. 3. BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 498/88 – RzK I 8l Nr. 15. BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, AP Nr. 40 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; LAG Sachsen-Anhalt v. 27.71999 – 8 Sa 1066/98, LAGE BGB § 612a Nr. 6; APS/Linck 3. Aufl. § 612a BGB Rz. 14.
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Anwendungsfälle
Rz. 35 Teil 5
Reagiert ein Arbeitgeber auf unzumutbare Lohnfortzahlungskosten mit der Kündigung des Arbeitnehmers, benachteiligt er diesen nicht nach § 612a BGB wegen der zulässigen Ausübung dessen Rechte.1
29
Allerdings fehlen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 612a BGB nicht schon deshalb, weil der wegen Krankheit arbeitsunfähige Arbeitnehmer keine ihm zustehenden Rechte in Anspruch nimmt, sondern nur von seinem Recht der Leistungsverweigerung wegen der Arbeitsunfähigkeit Gebrauch macht.2
30
3. Kündigung wegen Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Befristung Kündigt der Arbeitgeber als Reaktion auf die Erhebung einer Klage des Arbeitnehmers, mit der er die Unwirksamkeit einer vereinbarten Befristung des Arbeitsverhältnisses geltend macht, handelt es sich nicht um eine unzulässige Maßregelung.
31
Hätte der Arbeitnehmer keine Entfristungsklage erhoben, so wäre das Arbeitsverhältnis durch Zeitablauf ohnehin beendet worden. Um in jedem Fall eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen, musste der Arbeitgeber vorsorglich von seinem Recht zur Kündigung Gebrauch machen. Damit verletzt er nicht § 612a BGB. Die „vorsorgliche“ Kündigung nach erhobener Entfristungsklage verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.3
32
4. Kündigung wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit Erklärt ein Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Elternzeit eine Kündigung, so kann diese nach § 612a BGB i.V.m. § 134 BGB nichtig sein, wenn der gesetzliche Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 BEEG noch nicht greift.
33
Die umgehend nach Geltendmachung für Elternzeit ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber indiziert, dass die Kündigung wegen der Elternzeit erfolgt ist. Diese tatsächliche Vermutung muss der Arbeitgeber durch substantiierten Sachvortrag widerlegen und nachweisen, dass er die Kündigung aus sachgerechten Gründen ausgesprochen hat.4
34
5. Kündigung wegen Vertrauensverlust bei Ablehnung von privatem Geheimnisverrat Erfolgt eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses deshalb, weil die Arbeitnehmerin es vor dem Hintergrund geschäftlicher Spannungen zwischen ihrem Lebensgefährten und ihrem Arbeitgeber ablehnt, entweder Informationen aus dem Privatleben ihres Lebensgefährten preiszugeben oder sich von diesem Lebensgefährten zu trennen, kommt es für die Beurteilung der Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Maßregelung darauf an, ob für das Verhalten des Arbeit1 2 3 4
Thüringer LAG v. 20.9.2007 – 3 Sa 78/07, LAGE § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 3. So LAG Rheinland-Pfalz v. 30.8.2007 – 2 Sa 373/07. BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. LAG Niedersachsen v. 12.9.2005 – L5 Sa 396/05, AGE § 18 BErzGG Nr. 3.
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Teil 5 Rz. 36
Maßregelungskündigung
gebers nachvollziehbare sachliche Gründe bestanden haben und ein Vertrauensverlust im Verhältnis zur Arbeitnehmerin eingetreten ist. 36
Der auf konkreten Umständen beruhende Vertrauensverlust gegenüber dem Arbeitnehmer vermag, soweit das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber auch dann zu rechtfertigen, wenn die Umstände, auf denen der Vertrauensverlust beruht, objektiv nicht zu verifizieren sind.1 Der Willkürvorwurf scheidet aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt.2 6. Kündigung wegen einer Zeugenaussage gegen den Arbeitgeber
37
Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist gemäß § 612a BGB als unzulässige Maßregelung unwirksam, wenn tragendes Motiv für ihren Ausspruch eine den Arbeitgeber belastende, wahrheitsgemäße Zeugenaussage des Arbeitnehmers im Rahmen eines Strafverfahrens war.3
38
§ 612a BGB schützt jede Form der zulässigen Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer. Sie erfasst den gesamten Bereich der zulässigen Grundrechtsausübung. Weder im Wortlaut noch in der Gesetzesbegründung4 findet sich eine Einschränkung des normativen Geltungsbereichs auf die bloße Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten. Daher wird allgemein angenommen, dass die Vorschrift nicht nur für die zulässige Ausübung arbeitsvertraglicher Rechte gilt, sondern erst recht für die Ausübung von Rechten, die mit der vertraglichen Beziehung zum Arbeitgeber in keinerlei Zusammenhang stehen.5
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Eine Aussage als Zeuge im Strafverfahren stellt ohne jeden Zweifel nicht nur eine zulässige Wahrnehmung von Rechten dar, sondern auch eine staatsbürgerliche Pflicht, deren wahrheitsgemäße Ausübung unter Strafandrohung steht.
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Ergibt sich für die sofortige Reaktion des Arbeitgebers im Anschluss an die Kenntnisnahme der Zeugenaussage keine andere nachvollziehbare Erklärung, als dass diese Aussage der tragende Beweggrund für die Kündigung war, ist der Beweis dafür geführt, dass die Tatsache der Zeugenaussage das bestimmende Motiv für den Ausspruch der Kündigung war.6 7. Änderungskündigung wegen Inanspruchnahme des Rechts zur gerichtlichen Überprüfung einer Personalmaßnahme
41
Die Änderungskündigung gegenüber einem Teilnehmer am Lehrerpersonalkonzept, der den konkreten Änderungsvertrag für das jeweilige Schuljahr lediglich unter Vorbehalt unterzeichnet hat, verstößt gegen das Maßregelungsverbot.7 1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 25.4.2001 – 5 AZR 360/99, AP Nr. 14 zu § 242 BGB Kündigung. APS/Preis, 3. Aufl., Grundlagen J Rz. 52. LAG Sachsen-Anhalt v. 14.2.2006 – 8 Sa 385/05, LAGE § 612a BGB 2002 Nr. 2. Begr. RegE – BT-Drs. 8/3317, S. 10 = BR-Drs. 353/79, S. 17. ErfK/Preis, § 612a BGB Rz. 2; KR/Pfeiffer, § 612a BGB Rz. 5. LAG Sachsen-Anhalt v. 14.2.2006 – 8 Sa 385/05, LAGE § 612a BGB 2002 Nr. 2. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 8.3.2005 – 2 Sa354/04.
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Prozessuale Behandlung
Rz. 45 Teil 5
So wie ein Arbeitnehmer, dem gegenüber eine Änderungskündigung erklärt wird, die Möglichkeit hat, diese gemäß § 2 KSchG überprüfen zu lassen, muss auch ein Arbeitnehmer, dem auf Grund seiner Teilnahme am Lehrerpersonalkonzept ein geringeres Unterrichtsvolumen zugewiesen wird, die Möglichkeit haben, dies gerichtlich überprüfen zu lassen. Mit seiner Teilnahme am Lehrerpersonalkonzept hat nämlich der Lehrer nur zum Ausdruck gebracht, dass er damit einverstanden ist, seine Arbeitszeit entsprechend dem gesunkenen Bedarf zu reduzieren. Damit ist aber noch nicht entschieden, ob der gesunkene Bedarf auch tatsächlich auf die Lehrer im Schulamtsbezirk gerecht verteilt worden ist. Ein Zwang, durch eine vorbehaltlose Unterzeichnung der Änderungsverträge die Verteilung zu akzeptieren, wäre mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates unvereinbar. Ein derartiger Verzicht könnte aber in einer vorbehaltlosen Unterzeichnung des Änderungsvertrags gesehen werden.
42
8. Kündigung nach Infektion mit HIV-Virus § 612a BGB soll verhindern, dass Arbeitnehmerrechte deshalb nicht wahrgenommen werden, weil die Arbeitnehmer bei ihrer Inanspruchnahme mit Benachteiligungen rechnen müssen. Geschützt ist damit die Willensfreiheit des Arbeitnehmers bei der Entscheidung darüber, ob er ein Recht ausüben will oder nicht. Eine unmittelbare Reaktion gerade auf die Wahrnehmung der Rechte des Arbeitnehmers liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber ein nicht dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis kündigt, weil der erst wenige Tage beschäftigte Arbeitnehmer nach einem durch die Kenntnis von einer HIVInfektion ausgelösten Selbsttötungsversuch nahezu drei Monate arbeitsunfähig krank gewesen ist und nach einem vorgelegten ärztlichen Attest dieser Zustand „bis auf weiteres“ fortbestehen sollte. Der Arbeitnehmer hat vor Einsetzen des allgemeinen Kündigungsschutzes kein Recht auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber über die gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfrist hinaus erworben. Die im Rahmen der in diesem Stadium der rechtlichen Beziehungen bestehenden Vertragsfreiheit ausgesprochene Kündigung durch den Arbeitgeber stellt somit keine Reaktion auf eine vorausgegangene Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten dar.1
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III. Prozessuale Behandlung Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist.2
44
Hierzu hat der Arbeitnehmer unter Beweisantritt einen Sachverhalt vorzutragen, der einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Kündigung durch den Arbeitgeber und einer vorangehenden zulässigen Ausübung von Rechten indiziert. Der Arbeitgeber hat sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu
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1 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB. 2 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18.
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Treuwidrige Kündigung
diesem Vortrag zu erklären. Sind danach entscheidungserhebliche Behauptungen des Arbeitnehmers streitig, sind grundsätzlich die vom Arbeitnehmer angebotenen Beweise zu erheben.1 46
Im Prozess wegen Maßregelkündigung wird der Arbeitnehmer vielfach Schwierigkeiten haben, die subjektiven Beweggründe des Arbeitgebers für die Kündigung zu beweisen. Insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber die soziale Rechtfertigung seiner Kündigung nicht belegen muss, weil das Arbeitsverhältnis nicht bestandsgeschützt ist. Um das Maßregelverbot aus Beweisgründen nicht zu entwerten, sind Beweiserleichterungen nach dem Anscheinsbeweis zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer objektive Tatsachen nachweist, die den Schluss auf die Benachteiligung wegen Rechtsausübung wahrscheinlich machen.
47
Gelingt der Beweis des ersten Anscheins, kann der Arbeitgeber ihn dadurch erschüttern, dass er die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs beweist.2
48
Erfolgt eine Kündigung zehn Tage, nachdem sich der Arbeitnehmer anwaltlich gegen eine Abmahnung gewehrt hat, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Maßregelung im Sinne des § 612a BGB.3
49
Hinsichtlich der Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 612a BGB ist gesetzlich keine Beweisumkehr vorgesehen. Allerdings ist bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte eine Benachteiligung tatsächlich zu vermuten. Sie liegt besonders dann nahe, wenn der Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der zulässigen Inanspruchnahme von Arbeitnehmerrechten eine Kündigung erklärt und der gesetzliche Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht greift. Diese tatsächliche Vermutung muss der Arbeitgeber durch substantiierten Sachvortrag widerlegen und nachweisen, dass er die Kündigung aus anderen und sachgerechten Gründen ausgesprochen hat.4
C. Treuwidrige Kündigung I. Voraussetzungen 50
Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Dies gilt jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden und außerdem die
1 BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, AP Nr. 40 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 28.6.2005 – 5 Sa 64/05, AiB 2006, 61; LAG Frankfurt v. 13.11.2007 – 13 Sa 724/07; ErfK-Preis, § 612a BGB Rz. 22. 3 Hessisches LAG v. 21.8.2007 – 13 Sa 537/07. 4 LAG Niedersachsen v. 12.9.2005 – L5 Sa 396/05, AGE § 18 BErzGG Nr. 3.
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Voraussetzungen
Rz. 56 Teil 5
Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt würde, die Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit in seinem Betrieb während der gesetzlichen Wartezeit zu überprüfen.1 Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben im Einzelnen ergeben, lässt sich dabei nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden. Zu den typischen Tatbeständen einer treuwidrigen Kündigung zählen Rechtsmissbrauch und Diskriminierungen.2
51
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer.3 Ergibt sich aus seinem Vorbringen ein Treueverstoß des Arbeitgebers, muss dieser sich nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, um es zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.4
52
Die Rechtsausübung kann missbräuchlich sein, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt. Das ist dann der Fall, wenn die Ausübung des Rechts als Vorwand dient, um vertragsfremde oder unlautere Zwecke zu erreichen.
53
Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet unter anderem Benachteiligungen wegen der Herkunft, des Glaubens und der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen. Diese Merkmale dürfen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden.5
54
Bei der Prüfung der Treuwidrigkeit einer Kündigung ist § 242 BGB im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG auszulegen und anzuwenden.6
55
Für die Bestimmung des Inhalts und der Grenzen eines Kündigungsschutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ist die Bedeutung grundrechtlicher Schutzpflichten zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Arbeitnehmer auch außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes über die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt werden (§§ 242, 138 BGB). Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte, hier vor allem Art. 12 Abs. 1 GG, zu beachten. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf allerdings auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht dazu führen, dass außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dem Arbeitgeber praktisch die im Kündigungsschutz-
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1 BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 926/98, AP BGB § 242 Kündigung Nr. 10; v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, BAGE 97, 294. 2 BAG v. 22.5.2003 – 8 AZR 639/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 3 BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, BAGE 97, 92. 4 BAG v. 22.5.2003 – 8 AZR 639/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 5 BVerfG 27.11.1997 – 1 BvL 12/91 – BVerfGE 97, 35; BAG v. 22.5.2003 – 8 AZR 639/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 6 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 7.
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Treuwidrige Kündigung
gesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. In sachlicher Hinsicht geht es darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, zum Beispiel vor Diskriminierungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG.1 57
Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben verstößt eine Kündigung gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Dies gilt jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet. Andernfalls würde in diesen Fällen über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden und damit die Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt, die Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit in seinem Betrieb während der gesetzlichen Wartezeit zu überprüfen.2
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Eine willkürliche Kündigung liegt nicht vor, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung besteht.3
II. Anwendungsfälle 1. Kündigung wegen unsubstantiierten Vertrauensverlusts 59
Während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG ist der Arbeitnehmer lediglich vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. In dieser Zeit ist das Vertrauen des Arbeitnehmers in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dadurch beschränkt, dass er mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne den Nachweis von Gründen rechnen muss, erst recht, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Probezeit vereinbart haben. Umgekehrt hat der Arbeitgeber bei der Einstellung eines Arbeitnehmers regelmäßig ein berechtigtes Interesse daran, prüfen zu können, ob der neue Mitarbeiter seinen Vorstellungen entspricht. In der Wartezeit erfolgt daher grundsätzlich nur eine Missbrauchskontrolle.4 Auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben verstößt eine Kündigung in der Wartezeit deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Eine solche Kündigung ist nicht willkürlich, wenn für sie ein irgendwie einleuchtender Grund besteht.5
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Stützt der Arbeitgeber die Kündigung im Wesentlichen darauf, das für eine dauerhafte Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensverhältnis zum Vorstand der Beklagten habe nicht aufgebaut werden können, handelt es sich um einen Kün1 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 7 (Das gilt auch für Kündigungen innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG); BVerfG v. 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913. 2 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 7; v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5. 3 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 7. 4 BVerfG v. 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, BVerfGK 8, 244. 5 Vgl. zu den Grundsätzen BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 7.
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Anwendungsfälle
Rz. 66 Teil 5
digungsgrund, der den Willkürvorwurf entfallen lässt.1 Den Nachweis, worauf der als Kündigungsgrund herangezogene Vertrauensverlust basiert, muss der Arbeitgeber außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes nicht führen.2 2. Kündigung ohne Angabe jeglicher Gründe Ein Verstoß gegen § 242 BGB kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil eine Kündigung ohne Angabe von Gründen ausgesprochen wird. Ein Arbeitgeber muss im Kleinbetrieb eine Kündigung nicht begründen. § 242 BGB kann jedoch verletzt sein, wenn sich aus dem Vorbringen des Arbeitnehmers ergibt, dass der Arbeitgeber das Kündigungsrecht missbräuchlich nutzt.3
61
Zu beachten ist nämlich, dass der Arbeitgeber im Kleinbetrieb eine Kündigung nicht begründen muss.4 Nur wenn sich aus dem Vorbringen des Arbeitnehmers ergibt, dass der Arbeitgeber das Kündigungsrecht missbräuchlich nutzt, kann § 242 BGB verletzt sein.
62
3. Kündigung zur Unzeit Eine zur Unzeit ausgesprochene Kündigung, die den Arbeitnehmer gerade wegen des Kündigungszeitpunkts besonders belastet, kann treuwidrig und damit rechtsunwirksam sein.
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Dies setzt jedoch neben der „Unzeit“ der Kündigung weitere Umstände voraus, etwa dass der Arbeitgeber absichtlich oder auf Grund einer Missachtung der persönlichen Belange des Arbeitnehmers einen Kündigungszeitpunkt wählt, der den Arbeitnehmer besonders beeinträchtigt.5
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In mehreren gesetzlichen Bestimmungen ist ausdrücklich geregelt, dass eine Kündigung nicht zur Unzeit erfolgen darf, z.B. in § 627 Abs. 2 BGB bei einem auf Dienste höherer Art gerichteten Dienstverhältnis, in § 671 Abs. 2 BGB beim Auftrag und in § 723 Abs. 2 BGB bei der BGB-Gesellschaft. Dieses Verbot besitzt zwar nach allgemeiner Ansicht einen verallgemeinerungsfähigen Inhalt, sodass auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Unzeit erklärt werden darf. Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass jede zur Unzeit ausgesprochene Arbeitgeberkündigung als rechtsunwirksam anzusehen ist. Es ist zu beachten, dass die unzeitige Kündigung in den gesetzlich geregelten Fällen stets nur zur Schadenersatzpflicht des Kündigenden, nicht jedoch zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
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Daraus ist zu folgern, dass der Kündigungszeitpunkt für sich allein auch im Arbeitsverhältnis nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 242 BGB führt. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, die die Kündigung zur
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1 Vgl. BAG v. 25.4.2001 – 5 AZR 360/99 – AP BGB § 242 Kündigung Nr. 14 = EzA BGB § 242 Kündigung Nr. 4. 2 BAG v. 22.4.2010 – 6 AZR 828/08. 3 BAG v. 16.1.2003 – 2 AZR 609/01, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb. 4 Vgl. BAG v. 21.2.2000 – 2 AZR 15/00 – BAGE 97, 92, 97. 5 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, AP Nr. 13 zu § 242 BGB Kündigung.
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Unzeit in die Nähe der ungehörigen Kündigung rücken.1 Es muss eine Beeinträchtigung berechtigter Interessen des Kündigungsgegners, insbesondere auf Achtung seiner Persönlichkeit vorliegen. Dies kann der Fall sein, wenn der Erklärende absichtlich oder aufgrund einer auf Missachtung der persönlichen Belange des Empfängers beruhenden Gedankenlosigkeit einen Zugangszeitpunkt wählt, der den Empfänger besonders beeinträchtigt. Der bloße zeitliche Zusammenhang mit einer Fehlgeburt der Arbeitnehmerin ist dabei nicht als ausreichend angesehen worden,2 wohl jedoch im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles (eine Kündigung, die dem Arbeitnehmer nach einem schweren Arbeitsunfall am gleichen Tage im Krankenhaus unmittelbar vor einer auf dem Unfall beruhenden Operation ausgehändigt worden ist).3 67
Einen Sonder-Kündigungsschutz wegen des Todes eines nahen Angehörigen, des Ehegatten oder Lebensgefährten innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach dem Ereignis kennt das Gesetz nicht. Es führt daher nicht allein zu Unwirksamkeit der Kündigung, wenn diese nach dem Tod des Lebensgefährten einer Arbeitnehmerin noch vor dessen Beerdigung zugestellt wird.4 4. Ungehörige Kündigung wegen Zugangs am Heiligen Abend?
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Es ist bereits zweifelhaft, ob die bloße „Ungehörigkeit“ einer Kündigung zu ihrer Unwirksamkeit führen kann. Aber selbst wenn sich aus § 242 BGB die Unwirksamkeit einer nach ihren Begleitumständen, insbesondere ihres Zugangszeitpunkts, ungehörigen Kündigung herleiten ließe, genügt hierfür nicht allein der Zeitpunkt des Zugangs. Hinzukommen muss eine Beeinträchtigung berechtigter Interessen des Erklärungsempfängers, insbesondere auf Achtung seiner Persönlichkeit.5
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Dies kann der Fall sein, wenn der Erklärende absichtlich oder aufgrund einer auf Missachtung der persönlichen Belange des Empfängers beruhenden Gedankenlosigkeit einen Zugangszeitpunkt wählt, der den Empfänger besonders beeinträchtigt.
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Eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen ist allein in einem Zugang am Vormittag des „Heiligen Abends“, an dem ein großer Teil der Arbeitnehmer noch arbeitet, nicht zu sehen In diesem Zusammenhang kann auch der für den Arbeitgeber drohende Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ein berechtigtes Interesse daran begründen, die Kündigung ohne weitere Verzögerung zugehen zu lassen. Dann ist für die Annahme einer ungehörigen Kündigung kein Raum.6 5. Kündigung sieben Stunden vor Ablauf der Wartezeit nach § 1 KSchG
71
Die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers besteht bis zum vollständigen Ablauf der Wartefrist. Der Ausspruch der Kündigung an sich kann daher nicht treuwid1 2 3 4 5 6
BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, AP BGB § 613a Nr. 87. BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90 – a.a.O. LAG Bremen v. 29.10.1985 – 4 Sa 151/85, LAGE BGB § 242 Nr. 1. BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, AP Nr. 13 zu § 242 BGB Kündigung. BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, AP Nr. 88 zu § 626 BGB. BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, AP Nr. 88 zu § 626 BGB.
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Anwendungsfälle
Rz. 77 Teil 5
rig sein. Ein treuwidriges Verhalten im Sinne von § 162 BGB liegt vielmehr nur dann vor, wenn die Kündigung allein zu dem Zweck ausgesprochen wird, den Eintritt des Kündigungsschutzes zu verhindern.1 Auch eine Kündigung, die der Arbeitgeber am letzten Tag der Wartezeit nach § 1 KSchG wenige Stunden vor Feierabend ausspricht, kann nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände als treuwidrig angesehen werden.2
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6. Kündigung trotz anderer Beschäftigungsmöglichkeit Eine Kündigung innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist nicht schon deshalb unwirksam, weil zum Kündigungszeitpunkt die Möglichkeit einer anderen zumutbaren Beschäftigung bestand.3
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Andere Beschäftigungsmöglichkeiten hat der Arbeitgeber nur im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG in Betracht zu ziehen, weil dieses Erfordernis auf der Anwendung des dem gesetzlichen Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2 KSchG zugrunde liegenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruht.4
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Bei der Prüfung der Treuwidrigkeit einer Kündigung ist § 242 BGB im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG auszulegen und anzuwenden. Der Arbeitgeber ist auch unter Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht verpflichtet, anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zur Vermeidung der Kündigung vor Ablauf der Wartefrist in Betracht zu ziehen.
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7. Kündigung nach fehlerhafter Kündigungsauswahl Soweit im Fall der Kündigung unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, hat auch der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, ein durch Art. 12 GG gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren. Eine Kündigung, die dieser Anforderung nicht entspricht, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist deshalb unwirksam.5
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Für die Bestimmung des Inhalts und der Grenzen eines Kündigungsschutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ist die Bedeutung grundrechtlicher Schutzpflichten zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner zur Verfassungsmäßigkeit der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG in der bis 30. September 1996 geltenden Fassung des Gesetzes vom 26. April 1985 ergangenen Entscheidung vom 27. Januar 19986 ausgeführt, den Arbeitnehmern in Kleinbetrieben sei das größere rechtliche Risiko eines Arbeitsplatzverlustes angesichts der schwerwiegenden und grundrechtlich geschützten Belange der Arbeitgeber zuzumuten, gleichzeitig aber betont, sie seien durch ihre
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1 2 3 4 5 6
BAG v. 28.9.1978 – 2 AZR 2/77, AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972. BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 874/95, RzK I 8l Nr. 22. BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, AP Nr. 27 zu § 307 BGB. BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18. BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169.
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Teil 5 Rz. 78
Treuwidrige Kündigung
Herausnahme aus dem gesetzlichen Kündigungsschutz nicht völlig schutzlos gestellt. Wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, seien die Arbeitnehmer durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt (§§ 242, 138 BGB). Im Rahmen dieser Generalklauseln sei auch der objektive Gehalt der Grundrechte, hier vor allem aus Art. 12 Abs. 1 GG, zu beachten. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition sei damit in jedem Fall gewährleistet. Wie weit dieser Schutz im Einzelnen reiche, sei von den Arbeitsgerichten zu entscheiden. 78
Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf allerdings nicht dazu führen, dass dem Kleinunternehmer praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. Soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, gebietet der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme und es darf auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben.1 Die Verpflichtung, ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme einzuhalten, ist ein allgemeines verfassungsrechtliches Gebot. Das Bundesverfassungsgericht hat neben werdenden Müttern und Müttern nach der Entbindung namentlich Schwerbehinderte, Alleinerziehende, aber auch ältere Arbeitnehmer als Beispiele für Arbeitnehmer genannt, die von einer Entlassung besonders hart betroffen seien. Der Arbeitgeber müsse eine einseitige, einzelne Arbeitnehmer belastende Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen, billiges Ermessen wahrenden Gesichtspunkten treffen. Bei der Anwendung der Generalklauseln, etwa § 242 BGB, seien das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zur Geltung zu bringen. Diese Grundsätze sind auf Kündigungen im Kleinbetrieb zu übertragen, da der Kündigungsschutz in diesem Fall gerade nicht gesetzlich konkretisiert, sondern über die Generalklauseln des Privatrechts zu gewährleisten ist.
79
Hat der Arbeitgeber in einem Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, im Falle einer betriebsbedingten Kündigung die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers unter Beachtung eines gewissen Maßes an sozialer Rücksichtnahme zu treffen, so bedeutet dies allerdings nicht, dass damit im Kleinbetrieb die Grundsätze des § 1 KSchG über die Sozialauswahl entsprechend anwendbar sind.2 Die Herausnahme des Kleinbetriebs aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes trägt ihrerseits gewichtigen, durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belangen des Kleinunternehmers Rechnung, dessen Kündigungsrecht in hohem Maße schutzwürdig ist. In einem Betrieb mit wenigen Arbeitskräften hängt der Geschäftserfolg mehr als bei Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab. Auf dessen Leistungsfähigkeit kommt es ebenso an wie auf Persönlichkeitsmerkmale, die für die Zu1 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169; v. 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90, BVerfG 84, 133 und BAG v. 19.1.1995 – 8 AZR 914/93, BAGE 79, 128. 2 BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung.
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Anwendungsfälle
Rz. 84 Teil 5
sammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung sind. Kleine Teams sind anfällig für Missstimmungen und Querelen. Störungen des Betriebsklimas können zu Leistungsminderungen führen, die bei geringem Geschäftsvolumen spürbar auf das Ergebnis durchschlagen. Ausfälle lassen sich bei niedrigem Personalbestand nur schwer ausgleichen. Typischerweise arbeitet bei kleinen Betrieben der Unternehmer selbst als Chef vor Ort mit. Damit bekommt das Vertrauensverhältnis zu jedem seiner Mitarbeiter einen besonderen Stellenwert. Auch die regelmäßig geringere Finanzausstattung fällt ins Gewicht. Ein Kleinbetrieb ist häufig nicht in der Lage, Abfindungen bei Auflösungen eines Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mitzutragen. Schließlich belastet auch der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, den Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen. Die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers kann damit nur darauf überprüft werden, ob sie unter Berücksichtigung der Belange des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes und der dargelegten Interessen des Kleinunternehmers gegen Treu und Glauben verstößt.
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Ein solcher Treuverstoß bei der Kündigung des sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers ist umso eher anzunehmen, je weniger bei der Auswahlentscheidung eigene Interessen des Arbeitgebers eine Rolle gespielt haben. Hat der Arbeitgeber keine spezifischen eigenen Interessen, einem bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen bzw. anderen vergleichbaren Arbeitnehmern nicht zu kündigen, und entlässt er gleichwohl den Arbeitnehmer mit der bei weitem längsten Betriebszugehörigkeit, dem höchsten Alter und den meisten Unterhaltspflichten, so spricht alles dafür, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat.1
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Bestehen andererseits derartige betriebliche, persönliche oder sonstige Interessen des Arbeitgebers, so ist der durch § 242 BGB vermittelte Grundrechtschutz des Arbeitnehmers umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. In sachlicher Hinsicht geht es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen.
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Es obliegt grundsätzlich dem Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, dass die Kündigung nach § 242 BGB treuwidrig ist. Die Regel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wonach der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, gilt außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes nicht. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht ist jedoch dadurch gewährleistet, dass auch insoweit die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast gelten.
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In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, der die Auswahlüberlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, regelmäßig nicht kennt, nur einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung
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1 BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung.
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Teil 5 Rz. 85
Treuwidrige Kündigung
nach § 242 BGB indiziert. Hierzu reicht es zunächst aus, dass der Arbeitnehmer die Sozialdaten der aus seiner Sicht vergleichbaren Arbeitnehmer darlegt, die ihm im Kleinbetrieb in der Regel zumindest annähernd bekannt sind. Ist danach evident, dass der Arbeitgeber einen erheblich weniger schutzbedürftigen, vergleichbaren Arbeitnehmer als den Kläger weiterbeschäftigt, so spricht dies dafür, dass der Arbeitgeber das erforderliche Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat und deshalb die Kündigung treuwidrig (§ 242 BGB) ist. Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. In diesem Zusammenhang obliegt es dem Arbeitgeber aus Gründen der Sachnähe auch, Angaben zu seinen Auswahlüberlegungen zu machen. Kommt er dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Trägt der Arbeitgeber hingegen die betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründe vor, die ihn dazu bewogen haben, den auf den ersten Blick sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmer zu entlassen, so hat der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit der Kündigung ergeben soll, zu beweisen.1 85
Diese Rechtsprechung darf jedoch nicht dazu führen, auch in Kleinbetrieben die Anforderungen an eine richtige Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG anzuwenden. Die Anforderungen an ein Mindestmaß sozialer Rücksichtnahme bei einer Kündigungsauswahl müssen im Ergebnis niedriger sein als die Anforderungen zur Vermeidung des Vorwurfs einer groben Fehlerhaftigkeit einer Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 4 KSchG im Fall einer Auswahlrichtlinie oder eines Interessenausgleichs mit Namensliste, weil die Kriterien für die Beurteilung der groben Fehlerhaftigkeit an die gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 3 KSchG anknüpfen.2 8. Kündigung in der Probezeit wegen Homosexualität
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Im Rahmen einer solchen, einerseits die Grundrechte der Vertragsfreiheit (Kündigungsfreiheit) und andererseits die Rechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit konkretisierenden Generalklausel sind diese Rechte gegeneinander abzuwägen. Insofern ist es rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitgeber unter Ausnutzung der Privatautonomie dem Arbeitnehmer nur wegen seines persönlichen (Sexual-)Verhaltens innerhalb der Probezeit kündigt.3
87
Bei der Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts4 die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie, das Recht auf Achtung der Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen. Indem § 242 BGB ganz allgemein auf die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben ver1 2 3 4
BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung. BAG v. 5.11.2009 – 2 AZR 676/08, NZA 2010, 457. BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198; BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/ 70, BVerfGE 42, 143; BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, BB 1994, 16.
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Mues
Anwendungsfälle
Rz. 92 Teil 5
weist, wird von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen verlangt, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden; bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift sind die Grundrechte als „Richtlinien“ zu beachten.1 Das Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG, umfasst auch die Freiheit, die Privatsphäre im Bereich des Geschlechtslebens nach eigener Entscheidung zu gestalten.2 Berührt außerdienstliches Verhalten den arbeitsvertraglichen Pflichtenkreis nicht, so ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, seine Missbilligung über ihm bekannt gewordene Umstände aus der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Ausspruch einer Kündigung zu äußern. Dies stellt eine Missachtung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers dar und enthält damit die treuwidrige Ausnutzung einer Rechtsposition.3 Dieses Gebrauchmachen von Privatautonomie stellt eine nach § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung dar.4
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9. Widersprüchliches Verhalten und falsche Versprechungen Eine wegen nicht zufriedenstellender Leistungen während der Probezeit ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nicht allein deshalb sittenwidrig, weil dem Arbeitnehmer keine ihm ausreichend erscheinende Einarbeitung geboten worden ist. Sie stellt auch nicht allein deswegen ein treuwidriges oder widersprüchliches Verhalten dar, weil der Arbeitgeber in der Probezeit keine Kritik an den Leistungen des Arbeitnehmers geübt hat.5
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Treuwidrig kann die Wartezeitkündigung sein, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich durch besonders positive Beurteilung der Arbeitsleistungen gegenüber dem Arbeitnehmer die berechtigte Erwartung erweckt und auch zum Ausdruck gebracht hat, das Arbeitsverhältnis über die Wartezeit hinaus fortzusetzen, um es dann trotzdem noch während der Wartezeit zu kündigen.
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10. Kündigung wegen Verursachung von Entgeltfortzahlungskosten Häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten eines Arbeitnehmers in einem Kleinbetrieb können zu einer Kündigung führen, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung noch kein ganzes Jahr bestanden hat und die Fehlzeiten wegen fehlender Personal- und Finanzdecke den Betrieb wirtschaftlich belasten. Eine Kündigung aus diesen Gründen verstößt nicht gegen § 242 BGB.6
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Reagiert ein Arbeitgeber auf unzumutbare Lohnfortzahlungskosten mit der Kündigung des Arbeitnehmers, benachteiligt er diesen nicht nach § 612a BGB wegen der zulässigen Ausübung dessen Rechte.7
92
1 2 3 4 5 6 7
BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198. BVerfG v. 16.3.1982 – 1 BvR 938/81, BVerfGE 60, 123. So schon BAGv. 30.11.1960 – 3 AZR 480/58 – AP Nr. 2 zu § 242 BGB Kündigung. BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung. LAG Köln v. 16.8.2002 – 11 Sa 487/02, ArbuR 2003, 196. Thüringer LAG v. 20.9.2007 – 3 Sa 78/07, LAGE § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 3. LAG Rheinland-Pfalz v. 30.8.2007 – 2 Sa 373/07.
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Teil 5 Rz. 93 93
Treuwidrige Kündigung
Eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die regelmäßig von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Es wird ein Schutz außerhalb des KSchG vor willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Motiven für eine Kündigung gewährt. Der Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt.1 11. Kündigung während Krankenhausaufenthalt des Arbeitnehmers
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Eine außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ausgesprochene Kündigung ist nicht deshalb rechtsunwirksam, weil sie während eines Krankenhausaufenthalts des Arbeitnehmers ausgesprochen wird.2
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Eine Kündigung kann grundsätzlich auch während einer Erkrankung ausgesprochen werden. Es ist auch nicht erheblich, ob die Krankheit durch ambulante oder stationäre Behandlung behandelt wird. Nicht einmal der zeitliche Zusammenhang mit einer Fehlgeburt einer Arbeitnehmerin oder eine Aushändigung einer Kündigung an Heiligabend reichen für die Annahme einer Kündigung zur Unzeit aus.3 Eine Ausnahme im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ist anzunehmen bei einer Kündigung, die dem Arbeitnehmer nach einem schweren Arbeitsunfall im Betrieb am gleichen Tage im Krankenhaus unmittelbar vor der auf dem Unfall beruhenden Operation ausgehändigt wird.4
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Eine Kündigung ist auch nicht treuwidrig, wenn sie wegen einer arbeitsplatzbedingten Erkrankung ausgesprochen worden ist. Denn eine krankheitsbedingte Kündigung ist selbst unter Geltung des Kündigungsschutzgesetzes rechtlich zulässig. Die krankheitsbedingte Kündigung ist der Hauptanwendungsfall der personenbedingten Kündigung; die Krankheit selbst ist dabei kein Kündigungshindernis. Ist es aber unter Geltung des Kündigungsschutzgesetzes bereits möglich, Krankheit als personenbedingten Kündigungsgrund zu verwenden, ist es erst recht nicht zu beanstanden, wenn außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes eine Erkrankung, die die zukünftige Eignung für den Arbeitsplatz in Frage stellt, zum Motiv einer Kündigung zu nehmen. Von einer treuwidrigen Kündigung kann daher nicht gesprochen werden, wenn ein Arbeitgeber, der aufgrund fehlender Geltung des Kündigungsschutzgesetzes gar keinen Kündigungsgrund braucht, sich an Kündigungsgründe anlehnt, die bereits als Kündigungsgründe bei Geltung des Kündigungsschutzgesetzes anerkannt sind.5
1 2 3 4 5
BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 333/02, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung. LAG Köln v. 13.2.2006 – 14 (3) Sa 1363/05, LAGE § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 1. BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, AP Nr. 88 zu § 626 BGB. LAG Bremen v. 29.10.1985 – 4 Sa 151/85, LAGE BGB § 242 Nr. 1. LAG Köln v. 13.2.2006 – 14 (3) Sa 1363/05, LAGE § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 1.
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Anwendungsfälle
Rz. 101 Teil 5
12. Kündigung als Reaktion auf Entfristungsklage Es ist nicht treuwidrig, wenn der Arbeitgeber als Reaktion auf eine erhobene Entfristungsklage das Arbeitsverhältnis vorsorglich kündigt.1
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Der Arbeitgeber macht nur von seiner allgemeinen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch. § 16 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG sieht ausdrücklich die Kündigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber vor. Danach kann der Arbeitgeber im Fall der materiell unwirksamen Befristung frühestens zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses ordentlich kündigen. Das TzBfG ordnet gerade nicht an, dass der Arbeitgeber nach einer durch den Arbeitnehmer erhobenen Entfristungsklage einem Kündigungsverbot oder etwaigen Sperrfristen unterliegt.
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13. Kündigung wegen unsubstantiierter Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung Eine auf Mängel und Kritik in der Arbeitsausführung gegründete Kündigung kann nicht treuwidrig sein, denn es ist weder vertragsfremd noch unlauter, ein Arbeitsverhältnis, das nicht zur Zufriedenheit beider Seiten durchgeführt wird, zu kündigen.2 Außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes ist der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet, Mängel und Kritik konkret und substantiiert darstellen zu können. Ausreichend ist vielmehr seine nicht näher begründete subjektive Meinung, die ihn zur Kritik an der Arbeitsausführung veranlasst.
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14. Kündigung wegen vorgeschobenen Kündigungsgrundes In der Vortäuschung eines unrichtigen Kündigungsgrundes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes mag zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Arbeitgebers gesehen werden, welche gegebenenfalls Schadensersatzfolgen nach sich ziehen kann; nicht hingegen kann hiermit unter Hinweis auf § 242 BGB die Unwirksamkeit der Kündigung und der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begründet werden.3
100
Wenn der Entschluss des Arbeitgebers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf einem rechtlich zu beanstandenden Motiv beruht und ein gegebenenfalls von vornherein geplanter Personalabbau ebenso wenig wie eine gegebenenfalls vorgetäuschte Betriebsschließung rechtlich angreifbar waren, lässt sich auch mit dem Rückgriff auf Treu und Glauben keine Unwirksamkeit der Kündigung begründen, wenn dadurch dem Arbeitnehmer kein anderenfalls bestehender Bestandsschutz entzogen wird. Der Gesichtspunkt der „Vortäuschung“ eines Kündigungsgrundes kann danach nur zu Ersatzansprüchen führen, sofern der Arbeitnehmer im Vertrauen auf die unrichtige Erklärung Dispositionen getroffen und hierdurch einen Schaden erlitten hat.
101
1 BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit. 2 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 24.6.2008 – 5 Sa 52/08. 3 LAG Hamm v. 26.2.2004 – 8 Sa 2016/03.
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Teil 5 Rz. 102
Treuwidrige Kündigung
III. Prozessuale Behandlung 102
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer.1
103
Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers wird durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast gewährleistet. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, soweit er die Überlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, nicht kennt, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Der Arbeitgeber muss sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.2
1 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 7. 2 BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 447/03, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44.
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Teil 6 Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
A. Einleitung Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Zu Ihrer Wirksamkeit bedarf eine Kündigung in solch einem Fall der Erklärung der Zulässigkeit durch die zuständige Behörde (§ 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG). Dieses temporäre Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt dient der Erhaltung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmerin während der Mutterschutzzeiten und der wirtschaftlichen Existenzgrundlage und schützt die Gesundheit von Mutter und Kind vor seelischen Zusatzbelastungen durch einen Kündigungsprozess.1 Es stellt dadurch den Kernbereich des Mutterschutzrechts dar, der daneben noch durch Vorschriften zum Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit von Mutter und Kind (§§ 3–8 MuSchG) und vor mutterschaftsbedingten Entgelteinbußen (§§ 11–17 MuSchG verwirklicht wird.
1
B. Persönlicher Geltungsbereich des Kündigungsverbots Das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 gilt für alle Frauen, die in einem wirksamen Arbeitsverhältnis stehen.2 Unerheblich ist daher, ob eine Vollzeit-, Teilzeit- oder sogar nur geringfügige Beschäftigung vorliegt. Aufgrund des umfassenden Schutzzwecks des Gesetzes werden auch Arbeitsverhältnisse erfasst, bei denen der Arbeitsvertrag bereits abgeschlossen wurde, die Aufnahme der Arbeit aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollte.3 Voraussetzung des Kündigungsschutzes ist jedoch stets, dass das Arbeitsverhältnis rechtlich wirksam ist. Ein bloß faktisches Arbeitsverhältnis kann jederzeit ohne Kündigung beendet werden, sodass auch § 9 MuSchG nicht zum Tragen kommt.4
2
Das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot kann bei bestimmten Vertragskonstellationen, vor allem bei Gruppenarbeitsverhältnissen, zur Konsequenz haben, dass auch die Kündigung an sich nicht geschützter (z.B. auch männlicher!) Personen gemäß § 9 Abs. 1 MuSchG unwirksam ist. Dies gilt aber nur dann, wenn zwischen den Parteien des Gruppenarbeitsverhältnisses vereinbart ist, dass der Arbeitgeber nur allen Gruppenmitgliedern gegenüber einheitlich
3
1 2 3 4
BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783; v. 26.4.1956 – GS 1/56, BAGE 3, 66. KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 13. LAG Düsseldorf v. 30.9.1992 – 11 Sa 1049/92, NZA 1993, 1041. APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 18; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 13.
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Teil 6 Rz. 4
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
kündigen kann (sog. Eigengruppe).1 Eine solche Vertragsgestaltung findet sich z.B. häufig bei Verträgen mit Hausmeister-Ehepaaren. Dies hat zur Folge, dass die gegenüber dem Hausmeister-Ehepaar ausgesprochene Kündigung auch dem Ehemann gegenüber unwirksam ist, wenn die Ehefrau unter den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz fällt.2
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots I. Vorliegen einer Schwangerschaft oder Entbindung 4
Das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG setzt zunächst voraus, dass die Arbeitnehmerin im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung objektiv schwanger war bzw. die Entbindung des Kindes noch nicht länger als vier Monate zurückliegt.3 Damit reicht die bloße – wenn auch ernsthafte – Planung einer Schwangerschaft ebenso wenig aus4, wie die irrtümliche Annahme der Arbeitnehmerin, schwanger zu sein5 oder der Eintritt der Schwangerschaft im Laufe der Kündigungsfrist.6
5
Eine Schwangerschaft i.S.d. § 9 MuSchG liegt vor mit dem Zeitpunkt der Nidation (Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter) bis zur Entbindung, einer Fehlgeburt oder einem Schwangerschaftsabbruch.7 Hierzu ausführlich im Rahmen des Beginns des Kündigungsverbots unter Rz. 35 ff.).
6
Unter die Entbindung fällt zunächst jede Lebendgeburt, sodass auch Frühgeburten (Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 2500 Gramm) von dem Kündigungsverbot erfasst sind.8 Aber auch bei einer Totgeburt bleibt der Kündigungsschutz nach allgemeiner Ansicht erhalten.9 Eine Totgeburt liegt in entsprechender Anwendung von § 29 Abs. 2 der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes (PStV) dann vor, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 Gramm beträgt, aber bei dem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib weder das Herz geschlagen noch die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat. Hat die Leibesfrucht nicht die o.g. Merkmale, so handelt es sich um eine Fehlgeburt. Diese beendet die Schwanger1 ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 2; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 15 m.w.N. 2 BAG v. 21.10.1971 – 2 AZR 17/71, DB 1972, 244. 3 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 21; ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 3; Meisel/Sowka Rz. 103. 4 LAG Schleswig-Holstein v. 17.11.1997 – 5 Sa 184/97, LAGE § 242 BGB Nr. 3; ArbG Elmshorn v. 29.1.1997 – EzA § 242 BGB Nr. 40. 5 BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 736/95, DB 1996, 2135. 6 ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 3; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 28a. 7 Vgl. Buchner/Becker, § 1 MuSchG Rz. 141 unter Darstellung des aktuellen Stands der Medizin. 8 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 23; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 31. 9 St. Rspr. vgl. BAG v. 15.12.2005 – 2 AZR 462/04, NZA 2006, 994; v. 16.2.1973 – 2 AZR 138/72, NJW 1973, 1431; ebenso ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 3; KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 15; kritisch APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 23.
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Kenntnis des Arbeitgebers
Rz. 8 Teil 6
schaft ohne Entbindung i.S.d. § 9 MuSchG, weswegen der besondere Kündigungsschutz nach überwiegender Ansicht nicht gegeben ist.1 Diese Unterscheidung rechtfertigt sich nach Ansicht der Rechtsprechung aus der besonderen Schutzwürdigkeit der Frau sowohl bei Lebend- als auch bei Totgeburten. Eine gleiche Schutzwürdigkeit bestehe bei Fehlgeburten nicht. Wegen der fortgeschrittenen Entwicklung des Kindes und der entsprechend erhöhten körperlichen und psychischen Belastung sowohl bei einer Lebend- als auch bei einer Totgeburt sei generell eine erhöhte Schutzbedürftigkeit gegenüber einer Frau anzunehmen, die eine Fehlgeburt erlitten habe, so schmerzlich letztere auch sei.2 Stirbt das Kind (auch nur kurze Zeit) nach der Entbindung, so bleibt der besondere Kündigungsschutz ebenso bestehen wie bei einer Freigabe zur Adoption.3
7
II. Kenntnis des Arbeitgebers 1. Kenntnis Der Kündigungsschutz des § 9 MuSchG greift nur dann ein, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war. In diesem Zusammenhang muss positive Kenntnis von der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin vorliegen.4 Woher der Arbeitgeber die Kenntnis hat, ist unerheblich, sodass er die Information beispielsweise beiläufig in einem Gespräch mit Arbeitskollegen, durch eigene Wahrnehmung oder durch ein Attest erlangen kann. Werdenden Müttern obliegt es nach § 5 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft und den mutmaßlichen Tag der Entbindung mitzuteilen, sobald ihnen die Schwangerschaft bekannt ist. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht hat aber keinen Einfluss auf das gesetzliche Kündigungsverbot, wenn der Arbeitgeber aufgrund anderweitiger Quellen sicher Kenntnis von einer bestehenden Schwangerschaft oder einer erfolgten Entbindung erlangt.5 Nicht ausreichend sind demgegenüber die bloße Vermutung des Arbeitgebers oder betriebsinterne Gerüchte bzgl. der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin.6 In diesen Fällen unsicherer Tatsachenlage trifft den Arbeitgeber nach vorzugswürdiger Ansicht auch keine Erkundigungspflicht.7 Denn die Annahme einer Erkundigungspflicht würde dazu führen, dass dem Arbeitgeber bereits fahrlässige Unkenntnis zuzurechnen wäre, was von § 9 MuSchG aber gerade nicht gewollt ist. Mangels gesetzlicher Aufklä1 BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 232/84 (zitiert nach juris); v. 16.2.1973 – 2 AZR 138/72, NJW 1973, 1431; LAG Hamburg v. 26.11.2003 – 4 Sa 62/03, NZA-RR 2005, 72; LAG Köln v. 21.1.2000 – 11 Sa 1195/99, NZA-RR 2001, 303; ebenso KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 31 m.w.N. jedenfalls für die geltende Gesetzeslage; a.A. APS/Rolfs § 9 MuSchG Rz. 25. 2 LAG Hamburg v. 26.11.2003 – 4 Sa 62/03, NZA-RR 2005, 72 m.w.N. 3 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 32 m.w.N. 4 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 28; ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 5; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 33. 5 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 40. 6 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 28. 7 Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 100 m.w.N.; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 34; Meisel/ Sowka, § 9 MuSchG Rz. 84; a.A. ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 5; KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 19.
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8
Teil 6 Rz. 9
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
rungspflicht könnte sich eine solche allenfalls aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ergeben. Jedoch knüpft das Gesetz an die verspätete Mitteilung der Schwangerschaft den Verlust des Kündigungsschutzes. Diese Rechtsfolge würde durch die Annahme einer vertraglichen Aufklärungspflicht des Arbeitgebers konterkariert.1 2. Arbeitgeber 9
Arbeitgeber i.S.d. § 9 MuSchG ist die Person, in deren Diensten die Arbeitnehmerin steht. Es kann sich dabei sowohl um eine natürliche als auch um eine juristische Person handeln. In letzterem Fall muss der gesetzliche Vertreter Kenntnis von der Schwangerschaft oder der Entbindung erlangt haben. Sind zu der Vertretung der juristischen Person mehrere Vertreter berufen oder besteht der Arbeitgeber wie z.B. im Fall der GbR aus mehreren Personen, ist die Information gegenüber einem von ihnen ausreichend.2
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Der Arbeitgeber muss sich darüber hinaus auch die Kenntnis von Personen zurechnen lassen, derer er sich zur rechtsgeschäftlichen Vertretung oder als personalverantwortliche Vorgesetzte bedient. Hierzu gehören solche Arbeitnehmer, die der Arbeitgeber mit der Wahrnehmung von Aufgaben im personellen Bereich betraut hat und die aufgrund ihrer Dienststellung zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt sind.3 Keine Arbeitgeberstellung i.S.d. § 9 MuSchG kommt demgegenüber einem Werksarzt zu.4 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um den Arzt eines überbetrieblichen Betriebsarztzentrums oder um einen hauptamtlich nur für den Vertragsarbeitgeber tätigen Arzt handelt.
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Bei einem Betriebsinhaberwechsel nach § 613a BGB muss sich der Erwerber die Kenntnis des bisherigen Arbeitgebers von der Schwangerschaft oder der Entbindung zurechnen lassen.5 Die rechtliche Funktionsnachfolge des § 613a BGB bezieht sich nämlich auch auf den kündigungsrechtlichen Status des einzelnen Arbeitnehmers. Es fällt daher in den Pflichtenkreis des Erwerbers, sich über seine Rechte und Pflichten aus den jeweiligen Arbeitsverhältnissen und deren kündigungsrechtlicher „Lage“ zu unterrichten und sein Verhalten entsprechend einzurichten. 3. Maßgeblicher Zeitpunkt
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Für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung stellt das Gesetz darauf ab, ob dem Arbeitgeber „zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war“. Aus dieser Formulierung geht nicht klar hervor, ob damit die Abgabe oder der Zu1 Vgl. Meisel/Sowka, § 9 MuSchG Rz. 83. 2 Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 104; KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 21. 3 BAG v. 18.2.1965 – 2 AZR 274/64, BB 1965, 586; LAG München v. 23.8.1990 – 5 Sa 840/89, LAGE § 9 MuSchG Nr. 13. 4 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 38; Meisel/Sowka § 9 MuSchG Rz. 88. 5 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 33; HWK/Hergenröder, § 9 MuSchG Rz. 7; Küttner/Reinecke Mutterschutz Rz. 40; für eine Mitteilung gegenüber dem neuen Arbeitgeber: Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 106; Meisel/Sowka, § 9 MuSchG Rz. 88.
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Nachträgliche Mitteilung von Schwangerschaft oder Entbindung
Rz. 17 Teil 6
gang der Kündigungserklärung gemeint ist.1 Richtigerweise ist jedoch für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung – wie für Willenserklärungen allgemein – nach § 130 Abs. 1 BGB auf den Zugang abzustellen. Warum in Bezug auf § 9 MuSchG eine Ausnahme gelten sollte, ist nicht ersichtlich. Die Bedeutung dieses Streitstandes ist für die Praxis jedoch eher gering. Zwischen Abgabe und Zugang der Kündigungserklärung dürften in den seltensten Fällen mehr als zwei Wochen liegen. Eine innerhalb dieser Frist nachgeholte Mitteilung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 (hierzu Rz. 16 ff.) ist der positiven Kenntnis zur Zeit der Kündigung gleichgestellt, sodass die Arbeitnehmerin den besonderen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen kann. 4. Darlegungs- und Beweislast Es ist Sache der Schwangeren, ihren Zustand zu offenbaren. Rechtlich obliegt es der Arbeitnehmerin nach § 5 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, den Arbeitgeber über die Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Darüber hinaus ist die Anzeige regelmäßig auch im Sinne der Arbeitnehmerin, da der Arbeitgeber nur so bei der Zuteilung ihrer Aufgaben und der Dienstzeitgestaltung auf die Bedürfnisse der schwangeren Arbeitnehmerin Rücksicht nehmen kann (vgl. insbesondere §§ 4, 8 MuSchG).
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Nachgewiesen werden kann die Schwangerschaft prinzipiell in beliebiger Form. Zweckmäßig und vom Gesetz genannter Regelfall ist das ärztliche Zeugnis nach § 5 Abs. 2 MuSchG.
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Die Beweislast dafür, dass der Arbeitgeber oder ein Repräsentant von der Schwangerschaft oder der Entbindung Kenntnis erlangt hat, trägt die Arbeitnehmerin.2
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III. Nachträgliche Mitteilung von Schwangerschaft oder Entbindung nach erfolgter Arbeitgeberkündigung Die vom Arbeitgeber ohne Kenntnis von Schwangerschaft oder Entbindung ausgesprochene Kündigung wird auch dann unzulässig, wenn ihm die Arbeitnehmerin innerhalb von zwei Wochen ihre Schwangerschaft oder Entbindung anzeigt, § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 MuSchG.
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1. Anforderungen an die nachträgliche Mitteilung Inhaltlich muss aus der Anzeige hervorgehen, dass die Schwangerschaft schon bei Zugang der Kündigung bestand. Eine Mitteilung, in der die Arbeitnehmerin lediglich die Schwangerschaft mitteilt, aus welcher der Arbeitgeber aber nicht entnehmen kann, ob dieser Zustand bereits bei Zugang der Kündigung vorlag, 1 Für Abgabe: LAG Düsseldorf v. 11.5.1979 – 9 Sa 484/79, EzA § 9 n.F. MuSchG Nr. 19; Buchner/Becker § 9 MuSchG Rz. 100; Meisel/Sowka, § 9 MuSchG Rz. 82; für Zugang: APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 30; KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 19; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 44. 2 BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 764/79, DB 1982, 1226.
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Teil 6 Rz. 18
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
reicht daher nicht aus.1 Die Mitteilung muss sich jedoch nicht eindeutig auf die Inanspruchnahme des Kündigungsschutzes beziehen.2 Dieser tritt von Gesetzes wegen ein, sodass es keiner auf diese Rechtsfolge geäußerten Willenskundgabe der Arbeitnehmerin bedarf. 18
§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG schreibt lediglich die Mitteilung von Schwangerschaft oder Entbindung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist vor. Ausreichend ist daher, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber innerhalb der Frist ohne sofortigen Nachweis eine noch nicht bekannte Schwangerschaft anzeigt. Entgegen § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 1 MuSchG reicht in diesem Fall auch eine vorsorgliche Mitteilung der Arbeitnehmerin aus, eine Schwangerschaft sei wahrscheinlich oder werde vermutet.3 Ein sicheres Wissen braucht die Schwangere dem Arbeitgeber nicht zu verschaffen, wenn sie es selber noch nicht hat.
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Für den Nachweis der Schwangerschaft (z.B. durch ärztliches Attest) reicht es aus, wenn dieser innerhalb einer angemessenen Frist nach Aufforderung des Arbeitgebers erbracht wird. Der Kündigungsschutz geht aber auch dann nicht verloren, wenn der Nachweis innerhalb angemessener Frist unterbleibt. Die Verletzung der Nachweispflicht kann jedoch im Einzelfall dazu führen, dass die Berufung auf den Kündigungsschutz als unzulässige Rechtsausübung erscheint, wenn die Voraussetzungen für den Einwand der Verwirkung vorliegen. Ferner kann sie vorübergehend einen Annahmeverzug des Arbeitgebers ausschließen oder Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers auslösen, die für die Zeit der Nichtbeschäftigung seine Vergütungspflicht praktisch aufheben.4
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Eine besondere Form für die Mitteilung schreibt das Gesetz nicht vor. Aus Gründen der Darlegungs- und Beweislast ist allerdings das schriftliche in Kenntnis setzen des Arbeitgebers angezeigt.
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Weiterhin muss die Mitteilung nicht zwingend durch die Arbeitnehmerin selbst erfolgen. Sie kann auch durch den Ehemann, die Eltern oder den Prozessbevollmächtigten der Schwangeren mitgeteilt werden.5 2. Mitteilungsfrist
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Die zweiwöchige Mitteilungsfrist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 MuSchG verfolgt den Zweck, auch denjenigen Arbeitnehmerinnen eine Verbesserung ihres kündigungsrechtlichen Status zu verschaffen, denen ihre Schwangerschaft bei Zugang der Kündigung unbekannt ist.6
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Es handelt sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.7 Sofern die Anzeige der Schwangerschaft erst nach Ablauf der Frist erfolgt und die Arbeitneh1 MüArbR/Schulte, § 42 Rz. 11. 2 BAG v. 15.11.1990 – 2 AZR 270/90, NZA 1991, 669. 3 BAG v. 15.11.1990 – 2 AZR 270/90, NZA 1991, 669; v. 6.6.1974 – 2 AZR 278/73, BB 1974, 1581; ebenso KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 47 m.w.N. 4 BAG v. 6.6.1974 – 2 AZR 278/73, BB 1974, 1581. 5 BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 739/87, NZA 1988, 799. 6 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 54. 7 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 36.
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Nachträgliche Mitteilung von Schwangerschaft oder Entbindung
Rz. 28 Teil 6
merin dies zu vertreten hat oder die Mitteilung nicht unverzüglich nachholt (s. unten), folgt daraus der endgültige Verlust des besonderen Kündigungsschutzes. Die Mitteilung muss grds. innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung erfolgen.1 Die Frist berechnet sich nach den §§ 187, 188 BGB.2 Geht z.B. die Kündigung im Laufe eines Montags zu, so muss die Mitteilung bis zum Ablauf des übernächsten Montags dem Arbeitgeber bzw. einem für die Empfangnahme zuständigen Vertreter zugegangen sein. Die bloße Absendung innerhalb der Frist reicht daher nicht aus.3
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Teilt die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber erst nach Ablauf der Zwei-WochenFrist die Schwangerschaft mit, so ist die Versäumnis der Frist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 MuSchG jedoch dann unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Dieser Halbsatz trägt einer Entscheidung des BVerfG Rechnung, wonach es nicht mit Art. 6 Abs. 4 GG vereinbar ist, dass der Kündigungsschutz ausnahmslos verloren ginge, wenn die Schwangere diese Frist schuldlos nicht eingehalten hat.4
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Bei der Frage, wann die Arbeitnehmerin die Fristüberschreitung zu vertreten hat, ist zu Grunde zu legen, dass sich dieses Vertretenmüssen nicht an § 276 BGB orientiert. Die Mitteilung der Schwangerschaft an den Arbeitgeber stellt keine vertragliche Pflicht dar, sondern statuiert lediglich eine Obliegenheit der Arbeitnehmerin, bei deren Versäumnis sie ausschließlich eigene Rechte verliert. Daher kann der Verlust des Sonderkündigungsschutzes nur dann eintreten, wenn sich die Versäumnis der Mitteilungsfrist auf Grund der Umstände des Einzelfalls als ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten darstellt.5
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Es ist grds. unbeachtlich, durch welchen Umstand die schwangere Frau gehindert war, die Zwei-Wochen-Frist einzuhalten.
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Bei fehlender positiver Kenntnis der Schwangeren von ihrem Zustand ist die Fristüberschreitung also im Regelfall unverschuldet. Etwas anderes gilt nur, wenn zwingende Anhaltspunkte für das Bestehen einer Schwangerschaft vorlagen, die die Schwangere veranlassen konnten, sich Gewissheit zu verschaffen.6 Derartige zwingende Anhaltspunkte sind nach Ansicht des BAG anzunehmen, wenn bei der Frau zwei Regelblutungen ausgeblieben sind.7 Dann soll es für die Arbeitnehmerin schon im eigenen Interesse geboten sein, sich durch eine geeignete Untersuchung Gewissheit über das Vorliegen der Schwangerschaft zu
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1 ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 6. 2 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 55a. 3 Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 127; KDZ/Zwanziger § 9 MuSchG Rz. 23; Meisel/ Sowka, § 9 MuSchG Rz. 98a. 4 BVerfG v. 13.11.1979 – 1 BvL 24/77, BVerfGE 52, 357 = NJW 1980, 824. 5 St. Rpspr. vgl. BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, DB 2003, 1448; v. 16.5.2002 – 2 AZR 730/00, NZA 2003, 217; v. 6.10.1983 – 2 AZR 368/82, NJW 1984, 1418. 6 BAG v. 6.10.1983 – 2 AZR 362/82, NJW 1984, 1418. 7 BAG v. 15.8.1984 – 7 AZR 59/83 (zitiert nach juris).
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Teil 6 Rz. 29
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
verschaffen und dem Arbeitgeber dies anzuzeigen.1 Die Arbeitnehmerin hat die Fristversäumnis daher nicht zu vertreten, wenn sie lediglich eine vage Schwangerschaftsvermutung hegt.2 29
Trotz Kenntnis von der Schwangerschaft kann die Arbeitnehmerin unverschuldet an der rechtzeitigen Mitteilung gehindert sein. Dies ist z.B. einerseits der Fall, wenn sie nicht sicher sein kann, ob die Schwangerschaft bereits bei Zugang der Kündigung bestanden hat. Eine Verzögerung, die daraus resultiert, dass die Arbeitnehmerin zunächst das Vorliegen einer ärztlichen Schwangerschaftsbestätigung abwartet, aus der sich auch der Zeitpunkt des Schwangerschaftsbeginns ergibt, hat die Schwangere daher nicht zu vertreten.3
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Die Arbeitnehmerin hat die Fristversäumnis ferner nicht zu vertreten, wenn sie aufgrund anderweitiger Umstände an der Anzeige innerhalb der Frist gehindert ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Schwangere bei Zugang der Kündigung urlaubsbedingt abwesend war.4 Geht die rechtzeitig abgeschickte Schwangerschaftsbescheinigung auf dem Postweg verloren, hängt eine Pflicht zur Wiederholung der Information ggü. dem Arbeitgeber davon ab, ob die Arbeitnehmerin das Fehlen des Zugangs hätte bemerken müssen.5 Solange keine Anhaltspunkte für einen Verlust des Briefes bestehen, trifft die Arbeitnehmerin keine Erkundigungspflicht.
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Die Mitteilungsfrist verlängert sich nicht dadurch, dass die Arbeitnehmerin erst während des Laufs der Frist von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt. Den Fristbeginn an die Kenntnis der Schwangerschaft zu koppeln wäre mit weitergehenden Rechtsunsicherheiten verbunden. Vorzugswürdig ist es daher, in diesen Fällen die rechtzeitige Nachholung der Mitteilung daran zu messen, ob diese von der Arbeitnehmerin unverzüglich durchgeführt worden ist.6
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Zweite Voraussetzung ist neben der unverschuldeten Versäumung der Frist, dass die Schwangere die Mitteilung unverzüglich nachgeholt hat. Hierbei ist in Anlehnung an § 121 BGB zu fordern, dass die Schwangere die Anzeige unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – nachholt. Ob die Anzeige unverzüglich i.S.d. Norm ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.7 Nach Ansicht des BAG ist eine Woche „jedenfalls nicht zu lang“.8 Demgegenüber ist eine erst nach 16 Tagen zugegangene Mitteilung verspätet.9 In der Instanzrechsprechung wird teilweise eine Verzögerung von über einer Woche noch als rechtzeitig angesehen.10 1 2 3 4 5 6 7 8
LAG Düsseldorf v. 10.2.2005 – 15 Ta 26/05, NZA-RR 2005. BAG v. 6.10.1983 – 2 AZR 368/82, NJW 1984, 1418. LAG Nürnberg v. 17.3.1992 – 4 Sa 566/91, NZA 1993, 946. BAG 13.6.1996 – 2 AZR 736/95, NZA 1996, 1154. BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 730/00, NZA 2003, 217. So auch APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 38; Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 136. Vgl. dazu Linck, AuA 1992, 176 (178). BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, DB 2003, 1448; v. 6.10.1983 – 2 AZR 368/82, NJW 1984, 1418. 9 BAG v. 27.10.1983 – 2 AZR 214/82, DB 1984, 1203. 10 LAG Berlin v. 30.3.1984 – 10 Sa 10/84, NZA 1984, 260: 14 Tage; v. 26.4.1988 – 3 Sa 96/87, ArbuR 1989, 59 und LAG Hamm v. 17.10.2006 – 9 Sa 1503/05, LAGE § 9 MuSchG Nr. 26: 13 Tage; ablehnend KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 57b, wohl auch APS/ Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 9.
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Beginn des Kündigungsverbots
Rz. 37 Teil 6
3. Darlegungs- und Beweislast Die Beweislast für eine fristgemäß erfolgte Mitteilung der Schwangerschaft oder Entbindung trägt die Arbeitnehmerin. Dazu gehören der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sowie die Erläuterung, gegenüber wem und auf welche Art und Weise die Mitteilung erfolgt ist.1
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Im Fall der unverschuldeten Unkenntnis ihrer Schwangerschaft muss die Arbeitnehmerin diejenigen Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass sie ohne Verschulden keine Kenntnis von der Schwangerschaft hatte. Die Beweislast erstreckt sich in diesem Zusammenhang auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung und auf die Unverzüglichkeit der nachträglichen Mitteilung.2
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D. Dauer des Kündigungsverbots Der besondere Kündigungsschutz nach § 9 Abs. 1 MuSchG wirkt nur zeitlich begrenzt. Der Zeitraum beginnt mit dem Eintritt der Schwangerschaft und endet automatisch mit Ablauf des vierten Monats nach der Entbindung.
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I. Beginn des Kündigungsverbots Der Sonderkündigungsschutz des § 9 Abs. 1 1 MuSchG setzt mit dem Beginn der Schwangerschaft ein. Während der Tag der Entbindung eindeutig festgestellt werden kann, bestehen bei der exakten Bestimmung des ersten Tages der Schwangerschaft erhebliche Schwierigkeiten.
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Das BAG bestimmt diesen Tag in der Weise, dass es vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Tag der Niederkunft um 280 Tage zurückrechnet, wobei es den voraussichtlichen Entbindungstag nicht mitzählt.3 Sowohl im Interesse des Arbeitgebers als auch der Arbeitnehmerin müsse alsbald feststellbar sein, ob eine Kündigung ausgesprochen werden könne oder ob eine bereits erklärte Kündigung Bestand habe. Der tatsächliche Schwangerschaftsbeginn aber lasse sich – auch auf der Grundlage der durchschnittlichen tatsächlichen Schwangerschaftsdauer und einer Rückrechnung vom tatsächlichen Entbindungstermin an – nicht sicher bestimmen. Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit habe daher eine Rückrechnung um 280 Tage stattzufinden, was der mittleren Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus von 28 Tagen (1 Lunarmonat) 10 Lunarmonate, gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an, entspreche.
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1 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 58. 2 BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 764/79, DB 1982, 1226; ebenso Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 156; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 58. 3 St. Rpsr. vgl. BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 417/97, NZA 1998, 1049; v. 15.11.1990 – 2 AZR 270/90, NZA 1991, 669; v. 27.10.1983 – 2 AZR 566/82, NZA 1985, 222.
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Teil 6 Rz. 38
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
38
Diese Rechtsprechung wird in der Literatur und in der Instanzrechtsprechung überwiegend mit der Begründung abgelehnt, die Berechnungsweise des BAG berücksichtige nicht den typischen Geschehensablauf und beruhe auf einem nicht mehr zeitgemäßen medizinischen Standard.1 Mit der Vorverlegung des Schwangerschaftsbeginns auf den ersten Tag der letzten Regelblutung verlege das BAG den Kündigungsschutz auf einen Zeitpunkt, zu dem eine Schwangerschaft nicht nur wenig wahrscheinlich, sondern extrem unwahrscheinlich und praktisch fast ausgeschlossen sei. Die Befruchtung sei vielmehr erst nach dem Eisprung (Ovulation) möglich und dieser finde durchschnittlich erst am 12. oder 13. Zyklustag statt. Daher seien vom ärztlich vorausgesagten Entbindungstermin lediglich 265, 266 bzw. 267 Tage zurückrechnen.
39
Diesen Gegenmeinungen ist zwar zuzugeben, dass die für die Schwangerschaft maßgebliche Befruchtung erst nach dem Eisprung geschehen kann und die Schwangerschaft daher i.d.R. vor den vom BAG veranschlagten 280 Tagen endet. Jedoch ist dem BAG in seinem maßgeblichen Argument zu folgen, dass der Eisprung im Enzeilfall auch am Anfang der Periode geschehen kann. Die durchschnittliche Dauer der Schwangerschaft beruht damit auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung, der zu Lasten der Schwangeren zu kurz veranschlagt sein kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit gebietet sich daher eine generalisierende Herangehensweise, weswegen der von der Rechtsprechung vorgenommenen Rückrechnung um 280 Tage zuzustimmen ist.2
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Im Rahmen einer künstlichen Schwangerschaft sind nach Ansicht des EuGH In-vitro befruchtete Eizellen, die noch nicht in die Gebärmutter eingesetzt worden sind, noch nicht als „Schwangerschaft“ i.S.d. Richtlinie 92/85/EWG anzusehen und lösen daher kein Kündigungsverbot aus. Der Wirksamkeit einer Kündigung in diesem Zeitpunkt kann jedoch Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG (Richtlinie zur Gleichbehandlung von Mann und Frau beim Zugang zu Beschäftigung) entgegenstehen, wenn die Tatsache, dass sich die Arbeitnehmerin einer solchen Behandlung unterzogen hat, der maßgebliche Grund dieser Kündigung war.3
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Zur Darlegung der Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung genügt es daher zunächst, wenn die Arbeitnehmerin ein ärztliches Attest für den (voraussichtlichen) Tag der Entbindung vorlegt. Diesem Attest kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Bescheinigung jedoch dadurch erschüttern, dass er Umstände darlegt, nach denen eine Schwangerschaft bei Kündigungszugang wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen widerspricht. Dann muss die Arbeitnehmerin – z.B. durch entbinden ihrer Ärzte von der Schweigepflicht – einen entsprechenden Vollbeweis zum Vorliegen der Schwangerschaft im Zeitpunkt der Kündigung erbringen.4
1 LAG Niedersachsen v. 12.5.1997 – 5 Sa 152/96, NZA-RR 1997, 460–462; APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 41; ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 3; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 64b; Meisel/Sowka, § 9 MuSchG Rz. 100b. 2 Ebenso Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 7. 3 EuGH v. 26.2.2008 – C-506/06, NZA 2008, 345. 4 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 417/97, NZA 1998, 1049.
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Ende des Kündigungsverbots
Rz. 48 Teil 6
II. Ende des Kündigungsverbots Das Ende des Kündigungsverbots hängt davon ab, auf welche Art und Weise die Schwangerschaft beendet wird.
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Endet die Schwangerschaft durch Entbindung, so reicht das Kündigungsverbot über die Dauer der Schwangerschaft hinaus und bis zum Ablauf des vierten Monats nach der Geburt. Hierbei ist unerheblich ob das Kind tot geboren wird oder während bzw. innerhalb von vier Monaten nach der Geburt stirbt. Die Frist berechnet sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.
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Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung ist auf den Zeitpunkt des Zugangs abzustellen. Der Arbeitgeber kann also nicht bereits innerhalb der Frist die Kündigung erklären, auch wenn die Kündigungsfrist über die vier Monate hinaus läuft. Andererseits kann der Arbeitgeber bereits während der Frist den Betriebsrat bzw. Personalrat anhören und das Kündigungsschreiben am letzten Tag der Frist zur Post zu geben, wenn es der Frau erst am darauf folgenden Tag zugeht.1
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Endet die Schwangerschaft ohne Entbindung, also durch eine Fehlgeburt oder durch Schwangerschaftsabbruch, verliert die Frau von diesem Zeitpunkt an den besonderen Kündigungsschutz.
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E. Rechtsfolgen des Kündigungsverbots I. Inhalt des Kündigungsverbots Bei dem Verbot nach § 9 Abs. 1 MuSchG handelt es sich um ein (wenn auch nur temporäres) absolutes Kündigungsverbot, das unter dem Vorbehalt der Erlaubnis durch die zuständige Behörde nach § 9 Abs. 3 MuSchG steht.2
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Das Kündigungsverbot gilt für jede arbeitgeberseitige Kündigung. Damit ist es unerheblich, ob diese als ordentliche oder außerordentliche, als Beendigungsoder als Änderungskündigung erklärt wird oder ob sie anlässlich einer Massenentlassung erfolgt.
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§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG findet auch in der Insolvenz des Arbeitgebers uneingeschränkt Anwendung. § 113 Satz 1 InsO entsperrt lediglich ein gesetzliches oder vertraglich vereinbartes Verbot der ordentlichen Kündigung, und § 113 Satz 2 InsO verkürzt allein die maßgebliche Kündigungsfrist. Die Regelungen des besonderen Kündigungsschutzes bleiben davon unberührt.3
48
1 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 42. 2 Zu beachten ist jedoch die 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG, wonach die Unwirksamkeit aufgrund eines Verstoßes nach § 9 Abs. 1 MuSchG nach Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung nicht mehr geltend gemacht werden kann. 3 FK-InsO/Eisenbeis, § 133 InsO Rz. 64 ff.
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Teil 6 Rz. 49
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
II. Wirkung des Kündigungsverbots 49
Eine verbotswidrig erklärte Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig.1 Sie kann nicht geheilt oder zu einem Termin nach Ablauf der Schutzfrist aufrechterhalten werden; möglich ist aber eine Bestätigung oder Neuvornahme nach Ablauf der Schutzfrist.2 Der Arbeitnehmerin steht regelmäßig ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu.3 Daneben hat sie u.U. Ansprüche auf Verzugslohn.4
III. Verzicht der Arbeitnehmerin auf das Kündigungsverbot 50
Ein vorheriger Verzicht der Arbeitnehmerin auf den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuSchG ist grds. nicht möglich, da die mutterschutzrechtlichen Vorschriften als einseitig zwingendes Recht ausgestaltet sind.5 Dies gilt sowohl für individualvertragliche als auch für kollektivrechtliche Verzichtsklauseln.
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Allenfalls kann die Berufung auf das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein. Dies kommt etwa in Betracht, wenn die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber selbst zur Kündigung auffordert6 oder für ihr Einverständnis mit der Kündigung eine Abfindung erhält.7
52
Dagegen ist ein nachträglicher Verzicht unproblematisch möglich. Denn die Arbeitnehmerin kann das Arbeitsverhältnis selbst kündigen oder nach der Kündigung des Arbeitgebers die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KschG verstreichen lassen, so dass die Kündigung über § 7 KSchG als wirksam zu betrachten ist.
F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung 53
Eine Ausnahme von dem grds. absoluten Kündigungsverbot kommt nach § 9 Abs. 3 MuSchG dann in Betracht, wenn die zuständige oberste Landesbehörde oder eine von ihr bestimmte Stelle die Kündigung für zulässig erklärt. Diese besonderen Fälle dürfen sich allerdings nur auf äußerliche Ursachen beziehen und daher nicht mit dem Zustand der Frau während der Schwangerschaft oder ihrer Lage nach der Entbindung im Zusammenhang stehen. Die Entscheidung der Verwaltungsbehörde stellt einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar, der im Falle der Beschwer nicht nur vom Arbeitgeber, sondern auch von der unmittelbar drittbetroffenen Arbeitnehmerin angefochten werden kann.8 Der Erlaub1 2 3 4 5
KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 82. ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 8. BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702. LAG Hamm v. 14.3.1995 – 7 Sa 2309/94, LAGE § 615 BGB Nr. 43. BAG v. 28.11.1958 – 1 AZR 199/58, DB 1959, 174; ebenso Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 188; ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 1. 6 LAG Berlin v. 31.10.1988 – 9 Sa 72/88, DB 1989, 387. 7 OVG Nordrhein-Westfalen v. 8.8.1997 – 24 A 1966/94, NZA-RR 1998, 159. 8 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 67.
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Rz. 55 Teil 6
Verfahren der behördlichen Zulassung
nisvorbehalt des § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG reicht nicht weiter als das Verbot des § 9 Abs. 1 MuSchG selbst. Daher bedarf der Arbeitgeber für eine Anfechtung, Befristung, einen Aufhebungsvertrag usw. keiner behördlichen Genehmigung.
I. Verfahren der behördlichen Zulassung Der Antrag auf Zustimmung muss vor dem Ausspruch der Kündigung gestellt werden. Das Verwaltungsverfahren leitet der Arbeitgeber durch seinen Antrag bei der zuständigen obersten Landesbehörde ein. Dieser Antrag unterliegt nach § 10 Satz 1 VwVfG zwar keinen Formerfordernissen, ist jedoch auch aus Beweisgründen zweckmäßiger Weise schriftlich einzureichen.
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Die zuständige Behörde ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Das rührt daher, dass die Länder von der Ermächtigung zur Übertragung der Zuständigkeit auf andere Stellen nach § 9 Abs. 3 MuSchG vielfach Gebrauch gemacht haben. Aktuell1 sind dies:
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Baden-Württemberg
Regierungspräsidien
Bayern
Regierungspräsidien
Berlin
Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit
Brandenburg
Landesamt für Arbeitsschutz
Bremen
Gewerbeaufsichtsamt
Hamburg
Amt für Arbeitsschutz
Hessen
Regierungspräsidien
Mecklenburg-Vorpommern
Landesamt für Gesundheit und Soziales
Niedersachsen
Gewerbeaufsichtsamt
Nordrhein-Westfalen
Bezirksregierungen
Rheinland-Pfalz
Gewerbeaufsichtsamt
Saarland
Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz
Sachsen
Abteilung Arbeitsschutz in der Landesdirektion
Sachsen-Anhalt
Landesamt für Verbraucherschutz
Schleswig-Holstein
Staatliche Arbeitsschutzbehörde bei der Unfallkasse Nord
Thüringen
Landesbetrieb für Arbeitsschutz und technischen Verbraucherschutz
1 Stand: 01/2010. Eine aktuelle Zusammenstellung findet sich auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter http:// www.bmfsfj.bund.de.
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Teil 6 Rz. 56
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
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Inhaltlich muss sich aus dem Antrag ergeben, dass der Arbeitgeber die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin beabsichtigt und hierzu die Einwilligung der Behörde begehrt.
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" Praxistipp: Um das Verwaltungsverfahren zügig durchführen zu können,
sollten der Behörde bereits mit dem Zustimmungsantrag alle relevanten Tatsachen zugeleitet werden, die die Behörde benötigt, um in der Sache eine Entscheidung fällen zu können. Hierzu gehören:
– Name und Sozialdaten (Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Unterhaltspflichten) – Art der beabsichtigten Kündigung (ordentlich oder außerordentlich, Beendigungs- oder Änderungskündigung) – Kündigungsfrist und Kündigungszeitpunkt – Tag der voraussichtlichen oder erfolgten Entbindung – Gründe für die Kündigung (ggf. mit Angebot des Beweises durch Zeugen) – Eine Kopie der ärztlichen Bescheinigung über den Tag der (voraussichtlichen) Niederkunft (soweit vorhanden) 58
Zudem empfiehlt es sich, mit dem Antrag auf Zulassung der Kündigung einen Antrag auf sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zu verbinden, um für den Fall, dass die Arbeitnehmerin die Zulässigerklärung mit Rechtsmitteln angreift, Verzögerungen zu vermeiden.
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Der Antrag ist grds. an keine einzuhaltende Frist gebunden. Lediglich im Fall der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB muss der Antrag innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gestellt werden.
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Über den Antrag wird im sog. nichtförmlichen Verwaltungsverfahren (§ 10 VwVfG) entschieden. Beteiligte des Verfahrens sind der Arbeitgeber und die Arbeitnehmerin. Sofern die Behörde es für zweckmäßig erachtet, kann sie weitere Beteiligte (z.B. den Betriebs- bzw. Personalrat) hinzuziehen. Im Rahmen des Verfahrens ist der Arbeitnehmerin nach § 28 VwVfG rechtliches Gehör zu gewähren und der Sachverhalt von Amts wegen und daher in alle Richtungen zu ermitteln.
II. Entscheidung der Behörde Voraussetzungen der Zulässigkeitserklärung 61
Da die Zulassung der Kündigung dem Grundanliegen des Mutterschutzes widerspricht, kann eine Ausnahme nur in Fällen angenommen werden, in denen eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar wäre.1 § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG gestattet die Zulässigerklärung daher nur unter zwei Voraussetzungen: Es muss zunächst ein besonderer Fall vorliegen, der sodann nicht mit dem Zustand der Frau während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung in Zusammenhang steht. 1 BVerwG v. 2.7.1981 – 5 C 87.80, NJW 1982, 62; APS/Rolfs § 9 MuSchG Rz. 66.
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Entscheidung der Behörde
Rz. 65 Teil 6
Der besondere Fall i.S.d. § 9 Abs. 3 MuSchG ist nicht identisch mit dem wichtigen Grund nach § 626 Abs. BGB. Ein besonderer Fall ist nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn außergewöhnliche Umstände es rechtfertigen, die vom Gesetz als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren bzw. Mutter hinter die des Arbeitgebers zurücktreten zu lassen.1 Erforderlich ist also stets eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmerin.
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Gründe in der Person der Arbeitnehmerin sind hierfür im Regelfall nicht ausreichend.2 Verhaltensbedingte Gründe können nach der Rechtsprechung dann einen besonderen Fall darstellen, wenn das Fehlverhalten auch unter Berücksichtigung der psychischen Konstitution der Arbeitnehmerin so schwerwiegend ist, dass die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber schlechthin nicht mehr zugemutet werden kann. Das ist insbesondere bei schweren oder wiederholten Verstößen gegen zentrale arbeitsvertragliche Pflichten oder einem „nicht leicht wiegenden vorsätzlichen Vergehen“ anzunehmen.3
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Betriebsbedingte Gründe können dann einen besonderen Fall darstellen, wenn keine Möglichkeiten mehr bestehen, die Arbeitnehmerin weiterzubeschäftigen.4 Die Stilllegung nur eines von mehreren Betrieben eines Unternehmens reicht folglich nicht aus, da weiterhin eine Umsetzungsmöglichkeit besteht. Eine Zulässigerklärung kommt lediglich dann in Betracht, wenn der einzige oder letzte Betrieb des Unternehmens liquidiert wird oder eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin unabhängig von ihrem aktuellen Zustand auf keinem der verbleibenden Arbeitsplätze mehr in Betracht kommt.5 Die Durchführung einer Massenentlassung i.S.v. § 17 KSchG stellt für sich allein noch keinen besonderen Fall dar. Hiervon sind über § 9 Abs. 1 MuSchG besonders kündigungsgeschützte Arbeitnehmerinnen in der Regel auszunehmen. Vielmehr muss die Fortführung gerade des konkreten Arbeitsverhältnisses der Schwangeren zu einer drückenden wirtschaftlichen Existenzgefährdung führen.6
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Liegt nach Abwägung der Interessen ein besonders schwerer Fall vor, so steht es im Ermessen der Behörde, ob sie den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung positiv bescheidet.7 Um eine einheitliche Ermessensausübung zu gewährleisten, haben einige Länder Verwaltungsrichtlinien erlassen.8 Aus diesen ergeben sich zwar keine unmittelbaren Rechte, jedoch können sie hilfreich dabei sein, die Entscheidung der Behörde im Vorhinein einzuschätzen.
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1 BVerwG v. 18.8.1977 – V C 61.76, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968; siehe auch APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 74; MüArbR/Schulte, § 42 Rz. 28. 2 EuGH v. 30.6.1998 – C-394/96, NZA 1998, 871. 3 BAG 8.12.1955 – 2 AZR 13/54, AP Nr. 4 zu § 9 MuSchG; ebenso VGH Baden-Württemberg v. 7.12.1993 – 10 S 2825/92, BB 1994, 940; VG Frankfurt am Main v. 16.11.2001 – 7 E 5031/99 (3), NZA-RR 2002, 638. vgl. weitergehend APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 76. 4 BVerwG v. 18.8.1977 – V C 61.76, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968. 5 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 122b. 6 BVerwG v. 21.10.1970 – V C 31.70, zitiert nach juris. 7 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783; BVerwG v. 18.8.1977 – V C 61.76, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968. 8 Diese sind weitgehend inhaltlich identisch. Vgl. daher beispielhaft den Erlass zu § 9 Abs. 3 MuSchG für das Land Nordrhein-Westfalen, abgedruckt in APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 101.
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Teil 6 Rz. 66
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
III. Wirkung der Zulässigkeitserklärung 66
Die Entscheidung der Behörde ergeht regelmäßig in Form eines schriftlichen Verwaltungsakts. Dieser enthält eine Begründung, in der die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitgeteilt werden, die die Behörde bei ihrer Entscheidung und der Ausübung ihres Ermessens geleitet haben.
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Gibt die Behörde ihre Zustimmung zu der Kündigung der Arbeitnehmerin oder wird ihre Entscheidung durch ein gerichtliches Urteil ersetzt, so hebt dies die Kündigungssperre auf. Die Erklärung sagt jedoch nichts über die arbeitsrechtliche Wirksamkeit der Kündigung aus, etwa ob ein Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG oder ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Auch eine diesbezügliche Vermutung wird nicht begründet.
68
Die Kündigungserklärung ist erst nach positiver Entscheidung der Behörde möglich.1 Eine ohne vorliegende Zulässigkeitserklärung ausgesprochene Kündigung ist unheilbar nichtig.2 Es ist auch nicht möglich, die Kündigung aufschiebend bedingt für den Fall der nachträglichen Zulässigkeitserklärung auszusprechen.3 Liegt die positive Entscheidung der Behörde vor, kann der Arbeitgeber sofort die Kündigung aussprechen. Die Bestandskraft der Zulässigkeitserklärung (also den Ablauf der Widerspruchs- bzw. Klagefrist) muss er nicht abwarten.4
IV. Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung der Behörde 69
Gegen die ablehnende Entscheidung der Behörde ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, sodass der Arbeitgeber gegen die Versagung der Zulässigkeitserklärung mit einer Verpflichtungsklage vorgehen kann. Hierbei ist nach § 74 VwGO die Klagefrist von einem Monat ab Zustellung des Ablehnungsbescheids zu beachten, sofern nicht vorher ein Vorverfahren durchzuführen ist.
G. Besondere Voraussetzungen der Arbeitgeberkündigung 70
Neben dem Erfordernis der Schriftform, das nach § 623 BGB für alle Kündigungen von Arbeitsverträgen gilt, ist der Arbeitgeber zusätzlich bei Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin nach § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG gehalten, in der Kündigung den (zulässigen) Kündigungsgrund anzugeben. Für die Begründungspflicht gilt somit auch die Schriftform.
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Die Begründungspflicht dient der Information der Arbeitnehmerin. Sie soll mit Erhalt des Kündigungsschreibens erfahren, aufgrund welcher Tatsachen und aufgrund welcher hierdurch veranlasster Erwägungen ihr der Arbeitgeber ge-
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BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783. BAG v. 29.7.1968 – 2 AZR 363/67, DB 1968, 1632. Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 199. BAG 17.6.2003 – 2 AZR 245/02, NZA 2003, 1329.
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Nichtiger Arbeitsvertrag
Rz. 76 Teil 6
kündigt hat.1 Um dem Formerfordernis zu genügen, müssen Kündigungsausspruch und Begründung in einer einheitlichen Erklärung zusammengefasst sein. Hierbei gelten die Grundsätze zur Urkundeneinheit. Inhaltlich müssen die Kündigungsgründe so genau bezeichnet sein, dass die Arbeitnehmerin sowohl erkennen kann, um welche konkreten Umstände es sich handelt, also auch, dass sie die Rechtmäßigkeit der Kündigung beurteilen kann. Der Arbeitgeber muss daher die Kündigungsgründe ausreichend darlegen.2 Lediglich schlagwortartige Kurzhinweise – wie z.B. die bloße Bezeichnung der Kündigung als „betriebsbedingt“ – reichen demzufolge nicht aus.3
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H. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen Das in § 9 Abs. 1 MuSchG genannte Kündigungsverbot gilt ausweislich des Wortlauts nur für arbeitgeberseitige Kündigungen.4 Gegen sonstige Beendigungstatbestände gewährt das MuSchG dagegen keinen Bestandsschutz. Denn Zweck des gesetzlichen Kündigungsverbots ist lediglich die Erhaltung eines bereits bestehenden und nicht die Verschaffung eines neuen Arbeitsplatzes.5
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I. Nichtiger Arbeitsvertrag Ist der Arbeitsvertrag etwa wegen eines Verstoßes gegen §§ 134, 138 BGB nichtig, so liegt ein sog. „faktisches Arbeitsverhältnis“ vor. Dieses Rechtsverhältnis muss von dem Arbeitgeber nicht durch Kündigung beendet werden. Ihm steht hier ein einseitiges Lossagungsrecht zu, das auch gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin besteht.6
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Des Weiteren fällt eine Anfechtung des Arbeitsvertrags nicht unter das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot.7 Der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz bezweckt lediglich einen verstärkten Bestandsschutz von rechtsfehlerfrei zustande gekommenen Arbeitsverhältnissen. Die durch die Anfechtungsvorschriften geschützte freie Willensentschließung beim Abschluss des Arbeitsvertrags wird durch das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG jedoch nicht eingeschränkt.
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Im Zusammenspiel von Anfechtung und Schwangerschaft gelten jedoch darüber hinaus einige Besonderheiten. Selbstverständlich gilt, dass es sich bei der
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KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 132c. APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 91; KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 132c. Parallel zu § 54 BMT-G-O BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, NZA 1999, 603. BAG v. 23.10.1991 – 7 AZR 56/91, NZA 1992, 925. KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 133. BAG v. 19.12.1966 – 3 AZR 255/66, DB 1967, 644; ebenso Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 40; Meisel/Sowka, § 9 MuSchG Rz. 22. 7 BAG v. 11.11.1993 – 2 AZR 467/93, NZA 1994, 407; v. 21.2.1991 – 2 AZR 449/90, NZA 1991, 719.
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Teil 6 Rz. 77
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
Schwangerschaft aufgrund ihrer nur vorübergehenden Natur um keine verkehrswesentliche Eigenschaft der Arbeitnehmerin i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB handelt und der Arbeitsvertrag deswegen nicht angefochten werden kann.1 Ebenso unzulässig ist die Anfechtung, wenn die Arbeitnehmerin auf die Frage nach der Schwangerschaft diese wahrheitswidrig verneint hat. Diese Frage stellt eine nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG unzulässige Diskriminierung wegen des Geschlechts bei der Einstellung dar.2 Die Arbeitnehmerin muss sie daher nicht wahrheitsgemäß beantworten.
II. Befristeter oder auflösend bedingter Arbeitsvertrag 77
Rechtswirksam befristete bzw. auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse enden zu dem arbeitsvertraglich vereinbarten Zeitpunkt, ohne dass es einer gesonderten Kündigung bedarf.3 Der Arbeitgeber ist deswegen nicht verpflichtet, das Arbeitsverhältnis wegen der Schwangerschaft zu verlängern.4 Im Gegenzug darf er die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses allerdings auch nicht auf die Schwangerschaft stützen. Dies stellt eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwangerschaft dar und verstößt gegen § 7 Abs. 1 AGG. Hiernach ergibt sich zwar kein Einstellungsanspruch der Arbeitnehmerin. Nach § 15 Abs. 1, 2 AGG steht ihr allerdings ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Unzulässig ist es weiterhin, die auflösende Bedingung an den Eintritt der Schwangerschaft zu knüpfen.5
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Das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG gilt jedenfalls auch dann für Probearbeitsverhältnisse, wenn es sich wie im Regelfall um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit vorgeschalteter Probezeit handelt. Lediglich im Falle einer ausdrücklich vereinbarten automatischen Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Ablauf der Probezeit sind stattdessen die Befristungsgrundsätze anwendbar.6
III. Aufhebungsvertrag 79
Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gestattet es den Arbeitsvertragsparteien, ihr Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Beachtung kündigungsschutzrechtlicher Bestimmungen und mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Lediglich die Schriftform nach § 623 BGB muss beachtet werden. Dem steht auch § 9 Abs. 1 MuSchG nicht entgegen.7 1 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 137. 2 Noch zu § 611a BGB: BAG v. 15.10.1992 – 2 AZR 227/92, NZA 1993, 257; zu der Übertragung auf die Vorschriften des AGG APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 48. 3 BAG v. 23.10.1991 – 7 AZR 56/91, NZA 1992, 925. 4 BAG v. 21.12.1957 – 2 AZR 61/55, BAGE 5, 260; LAG Köln v. 17.2.1993 – 7 Sa 1118/92, LAGE § 620 BGB Nr. 31; LAG Hamm v. 13.3.1992 – 18 Sa 1262/91, LAGE § 620 BGB Nr. 29. 5 BAG v. 28.11.1958 – 1 AZR 199/58, DB 1959, 174; ebenso Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 79 m.w.N. 6 LAG Düsseldorf v. 9.11.1965 – 8 Sa 283/65, DB 1965, 1862. 7 BAG v. 8.12.1955 – 2 AZR 13/54, BAGE 2, 233; ebenso allg. Meinung in der Literatur, vgl. nur APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 52; Buchner/Becker, § 9 MuSchG Rz. 94.
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Beendigung durch gerichtliche Entscheidung
Rz. 83 Teil 6
IV. Beendigung durch gerichtliche Entscheidung Stellt das Gericht im Kündigungsprozess die Unwirksamkeit der Kündigung fest, so steht grds. beiden Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit offen, über § 9 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen. Ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers kommt jedoch von vornherein nicht in Betracht, wenn die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 MuSchG unwirksam war. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers setzt nämlich voraus, dass die Kündigung ausschließlich wegen Sozialwidrigkeit unwirksam ist; jeder weitere hinzutretende Unwirksamkeitsgrund sperrt die Anwendung der §§ 9, 10 KSchG.1
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Nicht höchstrichterlich entschieden ist der Fall, dass die Arbeitnehmerin nach Zugang der Kündigung aber vor Stellung des Antrags nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG durch den Arbeitgeber schwanger geworden ist. Direkt ist § 9 Abs. 1 MuSchG nicht anwendbar, da es sich bei der gerichtlichen Auflösungsentscheidung nicht um eine Kündigung i.S.d. Norm handelt. In der Literatur wird vereinzelt gefordert, das Gericht müsse bei seiner Entscheidung über den Auflösungsantrag die Tatsache der Schwangerschaft und den mit Verfassungsrang ausgestatteten Mutterschutz insoweit berücksichtigen, dass einem Auflösungsantrag nur stattgegeben werden könne, wenn ein besonderer Fall i.S.d. § 9 Abs. 3 MuSchG vorliegt.2
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V. Eigenkündigung der Arbeitnehmerin § 9 Abs. 1 MuSchG hat einseitig zwingenden Charakter und hindert somit die Arbeitnehmerin nicht daran, das Arbeitsverhältnis von sich aus zu kündigen. § 10 Abs. 1 MuSchG räumt der Schwangeren sogar das Sonderkündigungsrecht ein, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist zum Ende der Schutzfrist nach der Entbindung zu beenden. Bei der Frage, ob eine Äußerung der Arbeitnehmerin als Kündigungserklärung aufzufassen ist, zieht das BAG einen strengen Auslegungsmaßstab heran, da im Zweifel nicht anzunehmen ist, dass die Arbeitnehmerin ihre mutterschutzrechtliche Position freiwillig aufgibt.3 Diese Frage hat zwar wegen des seit dem 1.5.2000 auch für die Eigenkündigung der Arbeitnehmerin geltenden Schriftformerfordernisses des § 623 BGB an Bedeutung verloren; gleichwohl kann sie sich weiterhin wegen der Abgrenzung zu einem Antrag der Arbeitnehmerin auf Inanspruchnahme von Elternzeit stellen.
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I. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz Die sonstigen Kündigungsschutzrechte, wie etwa § 85 SGB IX für schwerbehinderte Menschen sowie die Voraussetzungen des KSchG treten neben das mutter1 St. Rspr. vgl. BAG v. 21.9.2000 – 2 AZN 576/00, NZA 2001, 102; v. 10.11.1994 – 2 AZR 207/94, NZA 1995, 309 m.w.N. 2 KR/Bader, § 9 MuSchG Rz. 146b; KDZ/Zwanziger, § 9 MuSchG Rz. 11. 3 BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 116/81, NJW 1983, 1391.
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Teil 6 Rz. 83
Sonderkündigungsschutz Schwangerer und Mütter
schutzrechtliche Kündigungsverbot aus § 9 Abs. 1 MuSchG.1 Hat die Arbeitnehmerin während der Schutzfristen Elternzeit genommen, sind bei einer Kündigung die Erlaubnisse nach § 9 Abs. 3 MuSchG und § 18 BEEG einzuholen.2
1 APS/Rolfs, § 9 MuSchG Rz. 96; ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rz. 1. 2 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783.
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Teil 7 Sonderkündigungsschutz für Eltern in der Elternzeit
A. Einleitung Das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine bessere Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen erster Lebensphase gewährleisten.1 Hierfür bietet das BEEG in seinem ersten Abschnitt einen Anspruch auf Elterngeld. Ergänzt wird dieser finanzielle Anreiz durch den durchsetzbaren Anspruch auf Reduzierung oder auf eine zeitlich begrenzte vollständige Suspendierung der Arbeitszeit im Wege der Elternzeit. Um die Elternzeitberechtigten zur Inanspruchnahme dieses Rechts zu motivieren und ihnen aus der Inanspruchnahme der Elternzeit keine Nachteile für das weiter laufende Arbeitsverhältnis entstehen zu lassen, hat der Gesetzgeber in § 18 Abs. 1 BEEG einen besonderen Kündigungsschutz geschaffen. Hiernach darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist – höchstens jedoch acht Wochen vor Beginn der Elternzeit – und während der Elternzeit nicht kündigen.
1
Es handelt sich hierbei in enger Anlehnung an § 9 MuSchG ebenfalls um einen Sonderkündigungsschutz mit Erlaubnisvorbehalt.2 Wie auch bei § 9 Abs. 1 MuSchG bedarf die Kündigung einer behördlichen Zulässigkeitserklärung, die nur in besonderen Fällen und auch dann nur ausnahmsweise erteilt werden darf (§ 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG). Im Unterschied zu den mutterschutzrechtlichen Vorschriften gewährleistet § 18 BEEG keinen nachwirkenden Kündigungsschutz. Dies wird jedoch durch das mit bis zu drei Jahren erheblich längere Kündigungsverbot während der Elternzeit aufgewogen.
2
B. Persönlicher Geltungsbereich Unter den persönlichen Geltungsbereich des besonderen Kündigungsschutzes fallen alle Arbeitnehmer, die elternzeitberechtigt sind und Elternzeit bereits wirksam verlangt oder angetreten haben.3 Für den Eintritt des Kündigungsschutzes ist es also unschädlich, wenn das Arbeitsverhältnis erst nach der Geburt des Kindes begründet worden ist.4 Dadurch sind Personen, die von ihrem
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BT-Drucks. 10/3792. BAG v. 26.6.1997 – 8 AZR 506/95, NZA 1997, 1156. BAG v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656; ErfK/Gallner, § 18 BEEG Rz. 1a. St. Rspr. vgl. BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 627/01, NZA 2004, 155; v. 11.3.1999 – 2 AZR 19/98, NZA 1999, 1047.
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Teil 7 Rz. 4
Sonderkündigungsschutz in der Elternzeit
Recht auf Elternzeit ordnungsgemäß Gebrauch machen, während der Elterzeit gegen arbeitgeberseitige Kündigungen geschützt. 4
§ 18 BEEG verweist auf § 15 BEEG, der die Anspruchsvoraussetzungen der Elternzeit beschreibt. Diese Norm bietet flexible Möglichkeiten zur Gestaltung der Elternzeit, die von der bloßen Verringerung der Arbeitszeit eines Elternteils bis zu der Möglichkeit reicht, dass sich beide Elternteile bis zu drei Jahre gemeinsam der Erziehung ihres Kindes widmen. § 18 BEEG gilt für alle Arbeitnehmer, Heimarbeiter und ihnen Gleichgestellte, sowie den zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten, vgl. § 20 Abs. 1, 2 BEEG. Weitergehend als § 9 Abs. 1 MuSchG gilt § 18 BEEG auch für leibliche Väter – und zwar unabhängig davon, ob sie als Vater eines nichtehelichen Kindes kein gemeinsames Sorgerecht mit der Mutter haben – sowie für Stiefväter und Adoptivväter. Maßgeblich ist nur, dass sie Elternzeit in Anspruch genommen haben.1
5
Das Kündigungsverbot gilt nach § 18 Abs. 2 BEEG auch für Arbeitnehmer, die während der Elternzeit, oder, obwohl sie diese trotz Erfüllen der Voraussetzungen nicht beanspruchen, mit reduzierter Arbeitszeit weiter bei dem Arbeitgeber tätig sind. Durch § 18 Abs. 2 BEEG soll die Gleichstellung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten verbessert werden. Während der Elternzeit ist es dem Arbeitnehmer also nicht gänzlich verwehrt, weiter erwerbstätig zu bleiben. Gearbeitet werden darf allerdings nur in zulässigem Umfang, der nach § 15 Abs. 4 BEEG 30 Wochenstunden nicht übersteigen darf. Anderenfalls kommt der besondere Kündigungsschutz des § 18 BEEG nicht zum Tragen.2
C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots 6
Voraussetzung des besonderen Kündigungsverbots nach § 18 BEEG ist, dass dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin ein Anspruch auf Elternzeit nach § 15 BEEG zusteht und er/sie diesen wirksam geltend gemacht hat. Diese beiden Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Kündigung objektiv vorgelegen haben.3 Im Regelfall wird der Arbeitgeber durch den Antrag des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen haben. Anders ist dies jedoch im Fall des § 18 Abs. 2 Nr. 2 BEEG, da der Arbeitnehmer/ die Arbeitnehmerin im Vorfeld keinen Antrag gestellt hat und ohne erkennbare Änderung seinen arbeitsvertraglichen Pflichten weiter nachgeht. Daher ist in diesem Fall nach zutreffender Auffassung entsprechend § 9 Abs. 1 MuSchG der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin verpflichtet, dem Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen ab Zugang der Kündigung mitzuteilen, dass er/sie Kündigungsschutz nach § 18 BEEG genießt, wenn er/sie diesen nicht verlieren will.4 Eine Mitteilung nach Ablauf dieser Zwei-Wochen-Frist entsprechend § 9 Abs. 1 1 2 3 4
APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 4. ErfK/Gallner, § 18 BEEG Rz. 6; KR/Bader, § 18 BEEG Rz. 16b. APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 7. LAG Berlin v. 15.10.2004 – 17 Sa 1463/04, BB 2006, 672; ErfK/Gallner, § 18 BEEG Rz. 9; Meisel/Sowka § 18 BEEG Rz. 19; KR/Bader, § 18 BEEG Rz. 20 m.w.N.
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Dauer des Kündigungsverbots
Rz. 11 Teil 7
Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 MuSchG kommt demgegenüber nicht in Betracht, da diese nur den Besonderheiten des Mutterschutzes Rechnung tragen soll.1 Aus Gründen der Rechtsklarheit bedarf die Inanspruchnahme der Elternzeit durch den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin der Schriftform, § 16 Abs. 1 BEEG. Das schriftliche Verlangen ist somit Wirksamkeitsvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Elternzeit.2 Im Einzelfall kann jedoch die Berufung des Arbeitgebers auf die fehlende Schriftform rechtsmissbräuchlich sein. Das ist nach Ansicht des BAG dann der Fall, wenn der Arbeitgeber hinnimmt, dass der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheint und ihn dadurch wie eine elternzeitberechtigte Person behandelt, später jedoch geltend macht, der besondere Kündigungsschutz greife nicht.3
7
Bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Elternzeit ist grds. unerheblich, aufgrund welcher Motive der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin die Elternzeit begehrt. Daher greift § 18 BEEG auch ein, wenn Elternzeit (nur) deswegen genommen wird, um bei einer bevorstehenden Entlassungswelle in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes zu gelangen.4
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Kündigungsschutzes nach § 18 BEEG liegt beim Arbeitnehmer.5 Dazu gehört der Nachweis der Berechtigung der Elternzeit nach § 15 Abs. 1 BEEG und deren fristgerechte Geltendmachung nach § 16 Abs. 1 BEEG. Ebenso ist der Arbeitnehmer im Falle der Leistung von Teilzeitarbeit nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BEEG beweispflichtig dafür, dass die Teilzeitarbeit den zulässigen Umfang von 30 Wochenstunden nicht übersteigt. Sofern er Teilzeitarbeit leistet, ohne Elternzeit in Anspruch zu nehmen (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 BEEG), muss er beweisen, dass der Anspruch auf Elternzeit bestand.6
9
Sofern der Arbeitgeber geltend machen will, dass der Anspruch auf Elternzeit aufgrund § 15 Abs. 2 BEEG nicht vorlag, ist er hierfür ebenso beweispflichtig wie für das Vorliegen einer behördlichen Zulässigkeitserklärung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG (hierzu s.u.).7
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D. Dauer des Kündigungsverbots Der besondere Kündigungsschutz beginnt zu dem Zeitpunkt, von dem an der Arbeitnehmer die Elternzeit verlangt hat, höchstens jedoch acht Wochen vor deren Beginn, vgl. § 18 Abs. 1 BEEG. Eine arbeitgeberseitige Kündigung, die mehr 1 APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 7; ErfK/Gallner, § 18 BEEG Rz. 9. 2 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241; KDZ/Zwanziger, § 18 BEEG Rz. 2, 3, 5. 3 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241; Lipinski BB 2008, 2690. 4 LAG Niedersachsen v. 2.7.2004 – 16 Sa 440/04, NZA-RR 2005, 250; ebenso die Vorinstanz ArbG Celle v. 11.2.2004 – 2 Ca 667/03, LAGE § 15 BErzGG Nr. 6. 5 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 295/03, NZA 2004, 1064. 6 APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 28. 7 APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 28.
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Teil 7 Rz. 12
Sonderkündigungsschutz in der Elternzeit
als acht Wochen vor dem Beginn der Elternzeit zugeht, verstößt nicht gegen § 18 Abs. 1 BEEG. Unerheblich ist dabei die Kündigungsfrist, so dass diese auch möglicherweise in den geschützten Zeitraum fallen kann.1 Zwischen Antrag des Arbeitnehmers und Eintritt des Kündigungsverbots nach § 18 BEEG kann somit ein ungeschützter Zeitraum liegen. Eine Kündigung des Arbeitgebers gerade wegen der Inanspruchnahme der Elternzeit ist jedoch aufgrund § 612a BGB unzulässig.2 12
Hat sich der/die Berechtigte entschieden, die Elternzeit aufzuteilen, so gilt das Kündigungsverbot lediglich für den ersten Abschnitt.3 Würde die achtwöchige Frist auch vor dem zweiten oder vor jedem weiteren Abschnitt greifen, böte dies Anreize, die Elternzeit zu unterbrechen. Das widerspräche jedoch Sinn und Zweck der Elternzeit, die gerade darin liegen, eine bessere Betreuung des Kindes zu erreichen.
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Im Fall des § 18 Abs. 2 Nr. 2 BEEG beginnt der Sonderkündigungsschutz zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer die Elternzeit frühestens hätte antreten können. Die maximal achtwöchige Frist vor Beginn der Elternzeit entfällt in dieser Situation. Dieser Unterschied rechtfertigt sich daraus, dass der Zweck der Vorverlagerung des Kündigungsschutzes gerade darin besteht, gegenteilige Reaktionen des Arbeitgebers nach der Inanspruchnahmeerklärung zu verhindern4 und diese Gefahr bei den Teilzeitbeschäftigten nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BEEG nicht besteht.5
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Das Kündigungsverbot endet i.d.R. mit dem Ablauf der Elternzeit. Bei einer Inanspruchnahme der vollen drei Jahre endet die Frist somit mit dem Ablauf des Tages vor dem dritten Geburtstag des Kindes. Einen nachwirkenden Kündigungsschutz bietet § 18 BEEG im Unterschied zu § 9 MuSchG daher nicht. Der Schutz endet auch bei vorzeitiger einvernehmlicher Beendigung der Elternzeit. Stirbt das Kind während der Elternzeit, endet der Kündigungsschutz mit dem Ablauf von drei Wochen, vgl. § 16 Abs. 4 BEEG.
E. Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots 15
Eine Kündigung, die gegen § 18 BEEG verstößt, ist nach § 134 BGB nichtig.6 Eine Heilungsmöglichkeit besteht nicht, so dass die unwirksame Kündigung 1 Meisel/Sowka § 18 BEEG Rz. 5. 2 BAG v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656; ebenso LAG Niedersachsen v. 12.9. 2005 – 5 Sa 396/05, NZA-RR 2006, 346; LAG Berlin v. 15.12.2004 – 17 Sa 1729/04, NZA-RR 2005, 474. 3 LAG Berlin v. 15.12.2005, NZA-RR 2005, 474; ebenso die h.M. in der Literatur, vgl. Buchner/Becker § 18 BEEG Rz. 12; Meisel/Sowka § 18 BEEG Rz. 2; Sowka NZA 1994, 102 (105). 4 Vgl. BT-Drucks. 12/1125, S. 9. 5 APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 14. 6 BAG 19.2.2009 – 2 AZR 286/07, NZA 2009, 980; v. 26.6.2008 – 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241; v. 11.3.1999 – 2 AZR 19/98, NZA 1999, 1047; v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656.
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Rz. 20 Teil 7
Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung
nicht in eine Kündigung nach Ablauf der Elternzeit umgedeutet werden kann.1 Der besondere Kündigungsschutz nach § 18 BEEG betrifft ordentliche und außerordentliche Kündigungen, Änderungs- und Beendigungskündigungen sowie Einzel-, Gruppen- und Massenkündigungen.2 Er gilt auch bei Betriebsstilllegung und in der Insolvenz.3
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Ein vorheriger Verzicht auf den Sonderkündigungsschutz ist nicht möglich. Nachträglich kann der Arbeitnehmer jedoch auf den Schutz des § 18 BEEG verzichten.4
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F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung In besonderen Fällen kann die Kündigung ausnahmsweise von der zuständigen Behörde für zulässig erklärt werden, vgl. § 18 Abs. 1 Satz 2, 3 BEEG. Das behördliche Verfahren nach § 18 BEEG hat starke Parallelen zu dem bereits im Rahmen der mutterschutzrechtlichen Vorschriften beschriebenen Verfahren nach § 9 Abs. 3 MuSchG. Daher ist in dem vorliegenden Zusammenhang nur auf die Unterschiede einzugehen. Für eine ausführliche Darstellung wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen (siehe Teil 6 unter Rz. 53 ff.).
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Zuständige Behörde für die Zulassung der Kündigung eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin, der/die Elternzeit in Anspruch nimmt, ist die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde. Eine Auflistung der zuständigen Behörde des jeweiligen Bundeslands findet sich auf der Internetseite des Bundesfamilienministeriums.5
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Ein besonderer Fall ist anzunehmen, wenn außergewöhnliche Umstände es verlangen, dass die durch das Gesetz grds. als vorrangig angesehenen Interessen des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin in Elternzeit hinter die Belange des Arbeitgebers zurücktreten.6 Zu beachten ist, dass trotz des identischen Wortlauts der Normen der Schutzzweck des § 18 BEEG hinter demjenigen des § 9 MuSchG zurückbleibt. Das ergibt sich einmal aus der Schutzwürdigkeit der Schwangeren aufgrund ihrer besonderen körperlichen und seelischen Situation.7 Andererseits ist zu bedenken, dass die zeitliche Dauer des Kündigungsverbots bei § 18 BEEG (bis zu 36 Monate) deutlich länger ist als bei § 9 MuSchG (ca. 13 Monate) und
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1 ErfK/Gallner, § 18 BEEG Rz. 9. 2 BAG v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656; LAG Berlin v. 15.10.2004 – 17 Sa 1463/04, BB 2006, 672. 3 FK-InsO/Eisenbeis, § 113 InsO Rz. 64 ff. 4 KR/Bader, § 18 BEEG Rz. 10; siehe im Übrigen die Ausführungen zu der Zulässigkeit des Verzichts bei § 9 MuSchG. 5 http://www.bmfsfj.bund.de; in der Broschüre „Elterngeld und Elternzeit“. 6 VGH Baden-Württemberg v. 20.2.2007 – 4 S 2436/05, NZA-RR 2007, 290; VG München v. 29.5.2008 – M 15 K 07 245, zitiert nach juris. 7 KR/Bader, § 18 BEEG Rz. 32.
Eisenbeis
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Teil 7 Rz. 21
Sonderkündigungsschutz in der Elternzeit
daher dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Schutzfrist eher unzumutbar sein kann. 21
Zu § 18 Abs. 1 BEEG bestehen Verwaltungsvorschriften, denen sich beispielhaft die Voraussetzungen eines besonderen Falls entnehmen lassen.1 Diese Verwaltungsvorschriften gewähren als reines Innenrecht jedoch keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der Zulässigkeitserklärung.2 In Betracht kommt lediglich die Geltendmachung einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG, die sich aus einer unbegründeten Abweichung von der durch die Verwaltungsvorschrift konkretisierten Verwaltungspraxis ergeben kann.
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Betriebsbedingte Gründe können einen besonderen Fall darstellen. Praktisch relevant ist hier die (beabsichtigte) Betriebsstilllegung. Ist streitig, ob ein Betrieb stillgelegt oder auf einen anderen Inhaber übergegangen ist (§ 613a BGB), darf die Zulässigkeitserklärung nicht mit der Begründung verneint werden, es sei ein Betriebsübergang anzunehmen. Diese Feststellung obliegt den Arbeitsgerichten.3 Ein besonderer Fall liegt dann vor, wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes unbillig erscheint oder dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden kann.4 Eine solche Situation wird im Regelfall bei einer Betriebsstilllegung vorliegen, vgl. auch § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Verwaltungsvorschriften.
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Verhaltensbedingte Gründe können im Einzelfall einen besonderen Fall i.S.v. § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG darstellen. Dies kommt allerdings nur in Betracht bei besonders schweren Vertragsverstößen des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin, die zur Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber führen. Dies können z.B. rufschädigende Äußerungen über den Arbeitgeber in der Öffentlichkeit sein.5
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Die Zulässigkeitserklärung nach § 18 Abs. 1 Satz 2, 3 BEEG muss im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegen. Anderenfalls ist die Kündigung nichtig.
G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen 25
§ 18 BEEG steht anderen Beendigungstatbeständen als der Kündigung durch den Arbeitgeber nicht entgegen.6 Anzuwenden ist die Vorschrift also weder auf nichtige, auflösend bedingte oder befristete Arbeitsverträge sowie Aufhebungsverträge. Es gilt das zu § 9 MuSchG Gesagte (vgl. Teil 6 unter Rz. 73 ff.).
1 Zu finden unter http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 500/03, NZA 2005, 687. 3 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 500/03, NZA 2005, 687; OVG Münster v. 21.3.2000 – 22 A 5137/99, NZA-RR 2000, 406. 4 VGH Baden-Württemberg v. 20.2.2007 – 4 S 2436/05, NZA-RR 2007, 290. 5 VGH Bayern v. 30.11.2004 – 9 B 03.2878, BayVBl 2005, 409. 6 KR/Bader, § 18 BEEG Rz. 36; APS/Rolfs, § 18 BEEG Rz. 18.
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Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz
Rz. 26 Teil 7
H. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz Das Kündigungsverbot des § 18 BEEG kann neben anderen Kündigungsverboten bestehen. Dies ist etwa der Fall bei § 9 Abs. 1 MuSchG, da beide Vorschriften trotz weitestgehender inhaltlicher Angleichung teilweise eine unterschiedliche Zielsetzung verfolgen und so die Beurteilung eines besonderen Falls nicht zwingend einheitlich erfolgen muss (vgl. unter Rz. 18 ff.). Wird die Mutter während der Elternzeit erneut schwanger, muss der Arbeitgeber deshalb von der Behörde nach beiden Vorschriften eine Zulässigkeitserklärung einholen, um der Arbeitnehmerin wirksam kündigen zu können.1 Das Kündigungsverbot nach § 18 Abs. 1 BEEG gilt auch neben dem allgemeinen Kündigungsschutz bzw. neben tarifvertraglichen oder im Arbeitsvertrag geregelten Kündigungsbeschränkungen.2
1 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783. 2 ErfK/Gallner, § 18 BEEG Rz. 1a.
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Teil 8 Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
A. Einleitung Will der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Menschen kündigen, so bedarf die Kündigung nach § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Neben der Regelung des Verwaltungsverfahrens in den folgenden Vorschriften stellt § 92 SGB IX klar, dass das Zustimmungserfordernis im Grundsatz auch für die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gilt.
1
Bei dem Zustimmungserfordernis nach den §§ 85, 92 SGB IX handelt es sich um eine präventive öffentlich-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch den Arbeitgeber ist einer staatlichen Kontrolle unterworfen, wodurch im Vorfeld der Kündigung den besonderen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer Geltung verschafft werden soll.
2
B. Voraussetzungen des Kündigungsschutzes I. Sachlicher Geltungsbereich Die besonderen Kündigungsschutzvorschriften gelten erst, nachdem das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate ununterbrochen bestanden hat (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Die Dauer der Wartezeit ist somit identisch mit der des KSchG. Für deren Berechnung gelten auch die zu § 1 Abs. 1 KSchG entwickelten Grundsätze. Dadurch sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht1.
3
Unerheblich für die Anwendung der §§ 85–92 SGB IX ist die Größe des Betriebs, so dass auch schwerbehinderte Arbeitnehmer im Kleinbetrieb besonderen Kündigungsschutz genießen. Es kommt des Weiteren nicht darauf an, ob der schwerbehinderte Arbeitnehmer innerhalb der Pflichtzahl des § 71 SGB IX beschäftigt ist, welchen Alters er ist (bei Arbeitnehmern ab dem 58. Lebensjahr ist allerdings § 90 Abs. 1 Nr. 3a zu beachten) oder in welchem zeitlichen Umfang er beschäftigt ist2.
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Wurde im Rahmen eines Gruppenarbeitsverhältnisses vereinbart, dass der Arbeitgeber nur gegenüber der ganzen Gruppe einheitlich kündigen kann (sog. Eigengruppe), so erstreckt sich der Kündigungsschutz auch auf Arbeitnehmer
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1 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103. 2 APS/Vossen, § 85 SGB IX Rz. 6 f.
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Teil 8 Rz. 6
Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
ohne Schwerbehinderteneigenschaft. Es gilt das zu § 9 MuSchG Gesagte (siehe Teil 6 unter Rz. 2 ff.).
II. Persönlicher Geltungsbereich 6
Der besondere Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX gilt für alle Arbeitnehmer, die schwerbehinderte Menschen nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind. Das sind Menschen, deren körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit zu mindestens 50 % beeinträchtigt sind, vgl. § 2 Abs. 1, 2 SGB IX.
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Es reicht grds. aus, wenn die Voraussetzungen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv vorgelegen haben. Sowohl die förmliche Anerkennung als auch die Feststellung des Grades der Behinderung haben rein deklaratorische Wirkung1.
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Das wird jedoch dadurch relativiert, dass nach § 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX – eingeführt durch Gesetzesänderung zum 1.5.20042 – der besondere Kündigungsschutz nicht eingreift, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft im Zeitpunkt der Kündigung nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt deren Feststellung nicht treffen konnte, weil der Antrag nicht wenigstens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt wurde (§ 90 Abs. 2a 2. Alt. i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX)3. In diesen Fällen muss die Zustimmung des Integrationsamts also nicht eingeholt werden. Hat der Arbeitnehmer allerdings noch nach Zugang der Kündigung den Antrag nach § 69 SGB IX gestellt und hat das Integrationsamt die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend für eine Zeit vor der Kündigung festgestellt, so muss die Schwerbehinderteneigenschaft im Kündigungsprozess bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung besonders berücksichtigt werden. Dies gilt vor allem, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt wird, die mit der Behinderung im Zusammenhang stehen4.
9
Unerheblich ist im Grundsatz auch, ob der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft hatte5. Um den Arbeitgeber jedoch nicht durch verspätetes Vorbringen im Kündigungsprozess zu belasten6, muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber oder einer vertretungsberechtigten Person in diesem Fall allerdings die Schwerbehinderteneigenschaft innerhalb einer angemessenen Frist ab Zugang der Kündigung mitteilen. Früher galt hierfür die Frist von
1 Erfk/Rolfs, § 85 SGB IX Rz. 4. 2 Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, BGBl. I S. 606. 3 Vgl. BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, NZA 2008, 302. 4 BAG v. 23.2.1978 – 2 AZR 462/76, DB 1978, 1227; v. 17.2.1977 – 2 AZR 687/75, DB 1977, 451. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407; v. 12.1.2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035; v. 19.4.1979 – 2 AZR 469/78, DB 1979, 1560. 6 Der Arbeitgeber wäre ab dem Ende der Kündigungsfrist der ersten nichtigen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der zweiten wirksamen Kündigung zur Zahlung von Annahmeverzugslohn nach §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB verpflichtet.
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Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 12 Teil 8
einem Monat ab Zugang der Kündigung1. Mit seiner Entscheidung vom 12.1. 20062 hat das BAG angekündigt, solange der Gesetzgeber keine Regelung treffe, nunmehr regelmäßig eine Frist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung als angemessen anzusehen. Dem ist im Hinblick auf die ebenfalls dreiwöchige Klagefrist zur Geltendmachung aller Wirksamkeitsmängel der Kündigung nach § 4 Satz 1 KSchG beizupflichten. Teilt der Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist die Schwerbehinderteneigenschaft mit, so ist die Kündigung nach § 85 SGB IX unwirksam, wenn er fristgerecht i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG Klage erhebt3. Macht er innerhalb der Klagefrist oder mit der Klage nicht die Schwerbehinderteneigenschaft geltend, kann diese lediglich iRd. Interessenabwägung bei § 1 KSchG bzw. § 626 BGB berücksichtigt werden4. Die grds. formfreie Mitteilung muss beinhalten, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist oder dass er die Anerkennung der Schwerbehinderung oder die Gleichstellung beantragt hat und damit erkennen lassen, dass er sich auf den bes. Kündigungsschutz beruft5. Nicht notwendig ist, dass die Mitteilung durch den Arbeitnehmer persönlich erfolgt. Damit reicht es zur rechtzeitigen Kenntnisnahme aus, wenn der Betriebsrat – auch ohne Veranlassung durch den betroffenen Arbeitnehmer – im Zuge des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG den Arbeitgeber über die Schwerbehinderteneigenschaft unterrichtet6. Demgegenüber soll nach Ansicht des BAG eine Benachrichtigung durch das Integrationsamt oder die Agentur für Arbeit der Mitteilungsobliegenheit nicht genügen7.
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Kündigt der Arbeitgeber jedoch in Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft und ohne zuvor nach § 85 SGB IX die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung einzuholen, so besteht kein derartiges Schutzbedürfnis des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer kann die Unwirksamkeit der Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung gerichtlich geltend machen. Die dreiwöchige Klagefrist beginnt in solchen Fällen erst mit Bekanntgabe der Entscheidung des Integrationsamts an den Arbeitnehmer, vgl. § 4 Satz 4 KSchG8.
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Eines Nachweises oder eines rechtzeitigen Antrags beim Integrationsamt bedarf es nicht, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig war9. Offenkundigkeit ist z.B. anzunehmen bei Blindheit oder Taubheit10 sowie Kleinwüchsigkeit mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit11. Die Offenkundigkeit muss sich
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1 Vgl. letztmals BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 675/03, NZA 2005, 689 m.w.N. 2 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035; bestätigt durch BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407. 3 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055. 4 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, NZA 2000, 768. 5 ErfK/Rolfs, § 85 SGB IX Rz. 7. 6 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 675/03, NZA 2005, 689. 7 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035. 8 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055; v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, NZA 2003, 1335 (zu § 113 Abs. 2 Satz 2 InsO a.F.). 9 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055; v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665; v. 7.3.2002 – 2 AZR 612/00, NZA 2002, 1145. 10 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055. 11 BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 380/99, NZA 2001, 315.
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Teil 8 Rz. 13
Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
allerdings nicht nur auf die Behinderung, sondern auch auf den Grad von mindestens 50 % erstrecken1. Das BAG hat daher die Offenkundigkeit der Schwerbehinderung für einen Herzinfarkt ohne weitere dazu tretende erkennbare Einschränkungen verneint. Ebenso wenig soll der pauschale Vortrag ausreichen, die Person sei hochgradig sehbehindert und schwerhörig. 13
Schwerbehinderten Arbeitnehmern gleichgestellt sind Menschen mit einer Behinderung von wenigstens 30 %, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne diese Hilfe keinen geeigneten Arbeitsplatz i.S.d. § 73 Abs. 1 SGB IX erlangen oder behalten können, vgl. § 2 Abs. 3 SGB IX. Die Gleichstellung erfolgt nur auf Antrag, so dass dessen positive Bescheidung somit konstitutiv für den Status als Gleichgestellter ist. Maßgeblich ist der Tag des Eingangs des Antrags auf Gleichstellung bei der Agentur für Arbeit, denn zu diesem Tag wird die Gleichstellung nach § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX wirksam. Ist jedoch im Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung über den Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden, greift bei einer rückwirkenden Gleichstellung der besondere Kündigungsschutz nur ein, wenn die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2a SGB IX nicht vorliegen und der Antrag mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt wurde2. Die erst nach Zugang der Kündigung beantragte Gleichstellung kann den besonderen Kündigungsschutz nicht mehr herbeiführen. IdR springt die Behinderung Gleichgestellter auch nicht „ins Auge“, sodass die Schwerbehinderung nicht offenkundig im o.g. Sinne sein kann und daher immer nachgewiesen werden muss3.
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Der Kündigungsschutz erstreckt sich neben schwerbehinderten Arbeitnehmern und ihnen Gleichgestellten sowohl auf schwerbehinderte Auszubildende (§ 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 85 ff. SGB IX) als auch auf in Heimarbeit Beschäftigte sowie diesen gleichgestellte Personen (§ 127 Abs. 2 Satz 2 SGB IX i.V.m. §§ 85 ff. SGB IX).
III. Darlegungs- und Beweislast 15
Für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Er hat also darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass das Arbeitsverhältnis bei Zugang der Kündigung länger als sechs Monate bestanden hat (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), dass seine Schwerbehinderung bei Zugang der Kündigung nachgewiesen war (§ 90 Abs. 2a 1. Alt. SBG IX) oder die Drei-Wochen-Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX trotz seiner ordnungsgemäßen Mitwirkung ohne Entscheidung des Integrationsamts abgelaufen war (§ 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX).
1 BAG v. 31.7.2002 – 7 AZR 118/01, NZA 2003, 620 (Erkennbarkeit verneint bei Herzinfarkt); v. 5.7.1990 – 2 AZR 8/90, NZA 1991, 667. 2 Für Gleichgestellte gilt § 90 Abs. 2a SGB IX entsprechend, vgl. BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, NZA 2008, 302. 3 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665.
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Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung
Rz. 21 Teil 8
In den Fällen, in denen ein an sich bestehender Sonderkündigungsschutz aus den dort genannten Gründen entfällt (§ 90 Abs. 1 Nr. 2–4, Abs. 2 SBG IX), ist dagegen der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig1.
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C. Gegenstand des Kündigungsschutzes Das Kündigungsverbot gilt grds. für alle Arten von Kündigungen, also für ordentliche und außerordentliche Beendigungs- sowie Änderungskündigungen2. Der Kündigungsschutz ist auch insolvenzfest3. Eine Ausnahme besteht bei witterungsbedingten Kündigungen, sofern die Wiedereinstellung des Schwerbehinderten bei Wiederaufnahme der Arbeit gewährleistet ist, vgl. § 90 Abs. 2 SGB IX. Der Wiedereinstellungsanspruch muss sich jedoch aus dem Arbeitsvertrag oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen klar ergeben4.
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Aufgrund des öffentlich-rechtlichen Schutzcharakters ist der besondere Kündigungsschutz der §§ 85–92 SGB IX unabdingbar. In Betracht kommt jedoch ein nachträglicher Verzicht, da es der Arbeitnehmer in der Hand hat, durch Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG den Verstoß des Arbeitgebers zu heilen5.
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I. Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung 1. Antrag beim Integrationsamt Die Zustimmung des Integrationsamts ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung durch den Arbeitgeber. Sie ist daher vor Ausspruch der Kündigung beim zuständigen Integrationsamt zu beantragen, vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
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Vorgeschrieben ist grds. Schriftform, sodass der Arbeitgeber oder ein hierzu berechtigter Vertreter den Antrag unterzeichnen muss. Leidet der Antrag an einem Formfehler, so wird das Integrationsamt das Zustimmungsverfahren nicht einleiten. Aufgrund einer entsprechenden Amtspflicht (vgl. § 13 Abs. 1 SGB I) ist der Arbeitgeber hierüber jedoch zu informieren. Eine Frist ist bei der ordentlichen Kündigung (anders als bei der außerordentlichen Kündigung) nicht zu beachten.
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Örtlich zuständig ist das Integrationsamt, in dessen Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat6.
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KR/Etzel, §§ 85–90 Rz. 53m, n. KDZ/Zwanziger, § 85 SGB IX Rz. 8. BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087. MüArbR/Schulte, § 42 Rz. 63. KR/Etzel, Vor §§ 85–92 SGB IX Rz. 32. Das zuständige Integrationsamt kann über die Internetseite http://www.integrations aemter.de unter „Kontakt“ gefunden werden.
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Teil 8 Rz. 22 22
Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
Um das Verwaltungsverfahren zügig durchführen zu können ist darauf zu achten, dem Integrationsamt mit dem Antrag alle entscheidungserheblichen Tatsachen zuzuleiten. Das Schreiben sollte daher beinhalten: – Name und Sozialdaten (Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Unterhaltspflichten) – Den Antragsgegenstand (Das Ersuchen um Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung) – Art der beabsichtigten Kündigung (ordentlich oder außerordentlich, Beendigungs- oder Änderungskündigung) – Kündigungsfrist und Kündigungszeitpunkt – Die Begründung für die beabsichtigte Kündigung
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Nach ordnungsgemäßem Antrag holt das Integrationsamt eine Stellungnahme des Betriebsrats oder Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an, vgl. § 87 Abs. 2 SGB IX. Hierdurch erhält das Integrationsamt weiteres Abwägungsmaterial für seine Entscheidung. 2. Entscheidung des Integrationsamts
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Das Integrationsamt ist nach § 88 Abs. 1 SGB IX gehalten, die Entscheidung über die Zustimmung innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zu treffen. Die Frist berechnet sich nach §§ 187 ff. BGB. Sie ist eingehalten, wenn das Integrationsamt innerhalb der Frist den Bescheid an Arbeitgeber und Arbeitnehmer versendet hat; unerheblich ist somit der Zeitpunkt der Zustellung. Eine Verlängerung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn über den Antrag des Arbeitnehmers auf Anerkennung seiner Schwerbehinderung oder Gleichstellung noch nicht entschieden ist oder es umfangreicherer Ermittlungen bedarf.
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Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Betriebsstilllegung oder kommt es zu einer Insolvenz (§ 89 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB IX, dazu sogleich) ist die Monatsfrist für die Behörde nach § 88 Abs. 5 Satz 1 SGB IX bindend. Ergeht innerhalb der Frist keine Entscheidung, so gilt die Zustimmung als erteilt. Durch diese Regelung wird dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an einer zeitnahen Klärung einer Situation Rechnung getragen, in der das Ermessen der Behörde ohnehin eingeschränkt ist1.
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Hat das Integrationsamt auch noch drei Monate nach Eingang des Zustimmungsantrags keine Entscheidung getroffen, kann Untätigkeitsklage gemäß §§ 42 Abs. 1, 75 Satz 1, 2 VwGO beim Verwaltungsgericht erhoben werden.
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Das Integrationsamt trifft seine Entscheidung aufgrund pflichtgemäßen Ermessens und ist hierbei nach § 39 Abs. 1 SGB I nur an Sinn und Zweck des SGB IX gebunden. Diese Entscheidung erfordert eine Abwägung der Interessen des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeits1 Vgl. BT-Drucks. 15/1783 S. 16.
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Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung
Rz. 32 Teil 8
platzes1. Damit prüft das Integrationsamt nur Umstände, die mit der Behinderung des Arbeitnehmers zusammenhängen. Die Untersuchung der übrigen Voraussetzungen einer Kündigung (z.B. die soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 KSchG) wird durch das Integrationsamt nicht vorgenommen; dies obliegt den Arbeitsgerichten2. Will der Arbeitgeber personenbedingt kündigen, so ist zu beachten, dass die Gründe meist in der Behinderung selbst liegen und daher das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers sehr groß ist. Der Arbeitgeber muss hier darlegen, dass infolge von hohen Fehlzeiten in den vergangenen Jahren die Prognose gerechtfertigt ist, dass mit einer sinnvollen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht mehr gerechnet werden kann. Nur dann wird das Integrationsamt die Zustimmung erteilen3.
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Bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist der Arbeitnehmer umso schutzwürdiger als das Verhalten des Arbeitnehmers auf der Behinderung beruht. Selbst bei einem ursächlichen Zusammenhang kann die Zustimmung allerdings zu erteilen sein, wenn z.B. der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Würde und das Persönlichkeitsrecht anderer Arbeitnehmer des Betriebs wiederholt verletzt hat4.
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Beabsichtigt der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung, ist der Wegfall des Arbeitsplatzes aufgrund der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers durch das Integrationsamt hinzunehmen5. Es wird jedoch Möglichkeiten prüfen, ob der Arbeitnehmer – ggf. nach Umschulung oder Fortbildung – im Betrieb des Arbeitgebers weiterbeschäftigt werden kann6.
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Die Ermessensentscheidung ist in den in § 89 SGB IX genannten Fällen eingeschränkt. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Betriebsstilllegung, so muss die Zustimmung erteilt werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Ende der Lohnzahlung mindestens drei Monate liegen, vgl. § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Die Lohnzahlungspflicht wird regelmäßig als Auflage oder Bedingung zu der Zustimmung erlassen.
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Bei einer Einschränkung des Betriebs (Abs. 1 Satz 2), wenn dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz gesichert ist (Abs. 2) und in der Insolvenz des Arbeitgebers (Abs. 3) handelt es sich um intendiertes Ermessen. In diesen Fällen soll das Integrationsamt die Zustimmung i.d.R. erteilen, kann bei atypischen Sachverhalten jedoch auch davon absehen7.
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1 BVerwG v. 2.7.1992 – 5 C 51.90, DVBl 1992, 1490. 2 BVerwG v. 19.10.1995 – 5 C 24/93, BB 1996, 1443; BayVGH v. 14.11.2006 – 9 BV 06.1431, ZTR 2008, 173. 3 Vgl. OVG Münster v. 27.2.1998 – 21.3.1990 – 13 A 1605/89, BehinR 1991, 93. 4 OVG Lüneburg v. 4.12.1990 – 14 L 60/89, zitiert nach juris. 5 OVG Schleswig-Holstein v. 12.6.2002 – 2 M 50/02, BehinR 2003, 91; VG Minden v. 27.5. 2002 – 7 K 851/02, NZA-RR 2003, 248. 6 Vgl. BVerwG v. 5.6.1975 – V C 57.73, BVerwGE 48, 264; v. 28.2.1968 – V C 33.66, BVerwGE 29, 140. 7 Vgl. BSG v. 2.3.2000 – B 7 AL 46/99 R, BSGE 86, 10.
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Teil 8 Rz. 33 33
Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
Die Entscheidung des Integrationsamts hat nach § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schriftlich zu erfolgen und muss sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer förmlich zugestellt werden. Für die Wirksamkeit ist jedoch die Bekanntgabe an den Arbeitgeber ausreichend. Dieser kann die Kündigung erklären, sobald ihm der Bescheid vorliegt, auch wenn er dem schwerbehinderten Arbeitnehmer noch nicht zugestellt worden ist1. Für den Arbeitnehmer beginnen lediglich die Widerspruchsfrist gegen den Verwaltungsakt (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sowie die Klagefrist gegen die Kündigung (§ 4 Satz 4 KSchG) erst mit Zustellung des Bescheids. a) Zustimmung zur Kündigung
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Das Integrationsamt kann den Antrag des Arbeitgebers positiv bescheiden. Ausreichend ist allerdings auch ein sog. Negativattest. Hierbei handelt es sich um einen schriftlichen Bescheid des Integrationsamts, der die Feststellung beinhaltet, dass eine Zustimmung zur Kündigung nicht erforderlich ist. Das Integrationsamt hat einen ordnungsgemäßen Antrag des Arbeitgebers mit einem solchen Negativattest zu bescheiden, wenn es die beantragte Zustimmung nicht für erforderlich hält, etwa weil die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers nicht festgestellt ist. Das Negativattest ersetzt eine Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung2. Ein zu Unrecht ausgestelltes Negativattest ist nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar.
35
Nach § 88 Abs. 3 SGB IX muss der Arbeitgeber die Kündigung innerhalb eines Monat nach Zustellung des Bescheids erklären. Diese Ausschlussfrist dient dem Interesse des Arbeitnehmers zu erfahren, ob der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht und verhindert zugleich, dass der Arbeitgeber die Zustimmung „auf Vorrat“ einholt3. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Bescheids oder Negativattests an den Arbeitgeber4. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird der Bescheid gemäß § 4 VerwZG erst mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post wirksam. Der vorhergehende tatsächliche Empfang ist unerheblich. Die drei Tage sind zwingend abzuwarten, denn eine vorzeitig ausgesprochene Kündigung ist unwirksam5. Die Monatsfrist gilt über die Verweisung des § 88 Abs. 5 Satz 3 SGB IX auch für die Fiktion der Zustimmung nach § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX. Berechnet wird die Frist nach §§ 187 ff. BGB. Sofern der Betriebsrat nicht schon vor der Zustimmung angehört worden ist hat der Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass die Anhörung innerhalb der Monatsfrist vorgenommen wird; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht6.
1 2 3 4
BAG v. 16.10.1991 – 2 AZR 332/91, NZA 1992, 503. BAG v. 27.5.1983 – 7 AZR 482/81, DB 1984, 134. ErfK/Rolfs, § 88 SGB IX Rz. 3. BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407; v. 27.5.1983 – 7 AZR 482/81, BB 1984, 212. 5 LAG Baden-Württemberg v. 22.9.2006 – 18 Sa 28/06, zitiert nach juris; LAG Hamm v. 9.11.2000 – 8 Sa 1016/00, LAGE § 18 SchwbG 1986 Nr. 2. 6 APS/Vossen, § 88 SGB IX Rz. 10; KR/Etzel, § 85–90 SGB IX Rz. 127.
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Rz. 42 Teil 8
Beteiligungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung
Versäumt der Arbeitgeber die Monatsfrist, ist die Kündigung des Arbeitnehmers zwar nicht ausgeschlossen. Sie bedarf allerdings einer erneuten Einholung der Zustimmung des Integrationsamts1.
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Widerspruch und Anfechtungsklage des Arbeitnehmers gegen die ausdrückliche oder fingierte Zustimmung des Integrationsamts haben nach § 88 Abs. 4 SGB IX keine aufschiebende Wirkung. Der Arbeitgeber kann und muss daher innerhalb der Monatsfrist die Kündigung aussprechen, unabhängig von der Reaktion des Arbeitnehmers.
37
Durch die ausgesprochene Kündigung wird die Zustimmung des Integrationsamts gleichwohl „nicht verbraucht“. Dem Arbeitgeber bleibt es daher unbenommen, innerhalb der Monatsfrist ggf. mehrmals zu kündigen2. Dies kann etwa bei Zweifeln über die ordnungsmäßige Anhörung des Betriebsrats angezeigt sein.
38
Liegt die Zustimmung des Integrationsamts vor, beträgt die gesetzliche Mindestkündigungsfrist3 bei ordentlichen Kündigungen ausweislich § 86 SGB IX vier Wochen. Die Frist berechnet sich nach §§ 186 ff. BGB. Längere individualoder kollektivvertragliche Regelungen haben aufgrund der lediglich einseitig zwingenden Wirkung der Norm Bestand4.
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b) Ablehnung der Kündigung Lehnt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung ab, kann Widerspruch und Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt VwGO) vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden. Dessen positive Entscheidung ersetzt dann gleichwohl nicht die Entscheidung des Integrationsamts, sondern gibt diesem nur auf, die Zustimmung zu erteilen; erst wenn diese vorliegt, ist die Kündigungssperre beseitigt5.
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II. Beteiligungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung Nach § 91 gelten – mit Ausnahme der Kündigungsfrist des § 86 SGB IX – grds. die Vorschriften für die ordentliche Kündigung. Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Unterschiede.
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1. Antrag beim Integrationsamt Der Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung ist für eine außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis der maßgebenden Umstände zu stellen, vgl. § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX. Hierzu zählt auch die bereits festgestellte oder beantragte Anerkennung als schwerbehinder-
1 2 3 4 5
KR/Etzel, §§ 85–90 SGB IX Rz. 127. BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 425/06, NZA 2008, 471. APS/Vossen, § 86 SGB IX Rz. 1. SPV/Vossen Rz. 1517. LAG Saarland v. 14.5.1997 – 2 Sa 271/96, LAGE § 15 SchwbG 1986 Nr. 8.
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Teil 8 Rz. 43
Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
ter Mensch1. Für die Feststellung, wann die maßgebenden Umstände vorliegen, gelten die Grundsätze zu § 626 Abs. 2 BGB2. Die Frist berechnet sich nach §§ 187 ff. BGB. 43
Das Integrationsamt prüft die Einhaltung der Frist von Amts wegen. Sofern diese nicht eingehalten ist, hat der Arbeitgeber sein Recht zur außerordentlichen Kündigung verwirkt, da in diesem Fall auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen ist. Er ist insofern auf eine ordentliche Kündigung beschränkt.
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" Praxistipp: Es ist es gleichwohl nicht ohne Weiteres zweckmäßig, bereits
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Aus dem Antrag des Arbeitgebers muss zweifelsfrei hervorgehen, dass eine außerordentliche Kündigung geplant ist. Anderenfalls kann das Integrationsamt davon ausgehen, es sei eine ordentliche Kündigung beabsichtigt.
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Nach § 91 Abs. 1 SGB IX ist die außerordentliche Kündigung von § 86 SGB IX nicht betroffen. Liegen die Voraussetzungen vor, kann in diesem Fall also fristlos gekündigt werden. Unbenommen bleibt es dem Arbeitgeber, die außerordentliche Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist auszusprechen, die auch kürzer als die in § 86 SGB IX genannte Monatsfrist sein kann.
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" Praxistipp: Plant der Arbeitgeber den Ausspruch der Kündigung unter Ein-
mit der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung hilfsweise die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung zu beantragen. Das Integrationsamt muss über den Antrag innerhalb von zwei Wochen entscheiden, § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX. Zumindest sollte abgewogen werden, ob die Entscheidungsfrist des Integrationsamts angesichts der hilfsweise einzuhaltenden Kündigungsfrist ins Gewicht fällt oder nicht. Der Hilfsantrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung könnte nämlich die Bedeutung der prioritär verfolgten außerordentlichen Kündigung schwächen.
haltung einer sozialen Auslauffrist, so sollte diese in jedem Fall in dem Antrag aufgeführt werden. Das Integrationsamt wird einer solchen Kündigung eher zustimmen, da mehr Zeit verbleibt, den Arbeitnehmer in ein neues Arbeitsverhältnis zu vermitteln.
2. Entscheidung des Integrationsamts 48
Das Integrationsamt trifft die Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers innerhalb von zwei Wochen ab Zugang des Antrags, vgl. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX. Die Einhaltung der Frist ist in diesem Fall zwingend. Wird innerhalb der Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt. Maßgebend für die Einhaltung der Zustimmungsfrist ist die Aufgabe zur Post3. Nicht erforderlich ist also, dass sie dem Arbeitgeber innerhalb dieser Frist zugeht. Er muss daher ggf. ein paar Tage länger warten und ist gehalten, sich bei dem Integrationsamt nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. 1 BAG v. 14.5.1982 – 7 AZR 1221/79, BB 1983, 836. 2 BAG v. 18.12.1986 – 2 AZR 36/85, zitiert nach juris. 3 BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 720/93, NZA 1994, 1030.
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Beteiligungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung
Rz. 52 Teil 8
Inhaltlich wird das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung zustimmen, wenn diese aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung des Arbeitnehmers steht, vgl. § 91 Abs. 4 SGB IX. Ermessen darf also nur in atypischen Fällen ausgeübt werden. Ein solcher liegt allerdings nur vor, wenn die außerordentliche Kündigung den schwerbehinderten Arbeitnehmer besonders hart trifft und ihm im Vergleich zu den Belastungen, die Schwerbehinderte im Fall einer außerordentlichen Kündigung allgemein treffen, ein Sonderopfer abverlangt wird1. Über die weiteren Voraussetzungen der Kündigung, z.B. ob ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, hat das Integrationsamt nicht zu urteilen; dies obliegt den Arbeitsgerichten2.
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Der Arbeitgeber muss die Kündigung grds. innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklären. Sofern die Zustimmung innerhalb der Frist erteilt wurde, ist der Arbeitgeber nicht daran gehindert, die zwei Wochen voll auszuschöpfen. In der Regel wird die Frist jedoch bei Erteilung der Zustimmung bereits abgelaufen sein. Dann beginnt allerdings die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht von Neuem zu laufen. Vielmehr muss der Arbeitgeber nach § 91 Abs. 5 SGB IX unverzüglich die Kündigung aussprechen. Selbiges gilt, wenn das Integrationsamt den Arbeitgeber im Zuge einer Nachfrage mündlich oder fernmündlich darüber informiert, dass es die Zustimmung erteilt hat3.
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Bei der Beurteilung, wann eine Kündigung nicht mehr als unverzüglich zu bewerten ist, stellt die Rechtsprechung strengere Maßstäbe an als etwa bei der vergleichbaren Vorschrift des § 9 Abs. 3 MuSchG (dort regelmäßig eine Woche). Hintergrund ist, dass kaum ergänzender Überlegungsbedarf besteht, da die Kündigungsabsicht bereits Gegenstand des beim Integrationsamt geführten Zustimmungsverfahrens war4. In der Instanzrechtsprechung wurden teilweise drei Tage als zu lange angesehen5. Das BAG erscheint zumindest in einer neueren Entscheidung großzügiger, indem es eine Frist von sechs Tagen nicht per se für zu lange erachtet, sondern auf den Einzelfall abstellt6.
51
D. Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ohne die vorherige Zustimmung des Integrationsamts führt zur (unheilbaren) Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB7. Gemäß dem Beschluss des Großen Senats vom 27.2.1985 steht dem Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu8. Zwischen Ab1 BVerwG v. 10.9.1992 – 5 C 39.88, NZA 1993, 76; v. 2.7.1992 – 5 C 39/90, DVBl 1992, 1487. 2 BVerwG v. 2.7.1992 – 5 C 39.90, DVBl 1992, 1487. 3 BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 226/06, NZA 2007, 1153; v. 21.4.2005 – 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991. 4 APS/Vossen, § 91 SGB IX Rz. 21a. 5 LAG Rheinland-Pfalz v. 5.10.2005 – 10 TaBV 22/05, NZA-RR 2006, 245. 6 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744. 7 St. Rspr. vgl. zuletzt BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055. 8 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702.
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Teil 8 Rz. 53
Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
lauf der Kündigungsfrist und tatsächlicher Weiterbeschäftigung steht dem Arbeitnehmer Anspruch auf Annahmeverzugslohn aus §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB zu. 53
Greift der Arbeitnehmer die Kündigung nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG an, so kann die Kündigung trotzdem wirksam werden, vgl. § 7 KSchG. Das gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers hatte und dieser das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes nicht innerhalb von drei Wochen angezeigt hat (siehe hierzu ausführlich unter Rz. 6 ff.).
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Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft und ohne zuvor nach § 85 SGB IX die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts eingeholt zu haben kündigt. Denn dann besteht kein schützenswertes Bedürfnis des Arbeitgebers nach Rechtsklarheit innerhalb einer angemessenen Frist. Der Arbeitnehmer kann die Unwirksamkeit der Kündigung daher bis zur Grenze der Verwirkung (§ 242 BGB) gerichtlich geltend machen. Die dreiwöchige Klagefrist beginnt in solchen Fällen erst mit Bekanntgabe der Entscheidung des Integrationsamts an den Arbeitnehmer, vgl. § 4 Satz 4 KSchG1.
E. Beteiligung von Gremien 55
Wie bei anderen Arbeitnehmern auch ist der Betriebs- oder Personalrat vor der Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers zu hören. Für das Verhältnis von Anhörung der Personalvertretung und Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt besteht keine gesetzlich vorgeschriebene Reihenfolge. Der Arbeitgeber kann also das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats vor dem Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts, während dieses Zustimmungsverfahrens oder erst nach dessen Ende einleiten. Hat er das Anhörungsverfahren bereits vor der Zustimmung des Integrationsamts durchgeführt, ist er nach der Erteilung der Zustimmung zu einer erneuten Anhörung nicht mehr verpflichtet, es sei denn, dass ein längerer Zeitraum vergangen ist und sich der Kündigungssachverhalt in der Zwischenzeit wesentlich geändert hat2.
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" Praxistipp: Plant der Arbeitgeber den Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung, ist die Einhaltung der Fristen nach § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 91 Abs. 5 SGB IX zu beachten. Die Betriebsratsanhörung sollte bereits zeitgleich mit dem Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt vorgenommen werden. Ansonsten muss der Arbeitgeber zur Wirksamkeit der Kündigung unverzüglich nach Bekanntgabe der Zustimmung durch das Integrationsamt das Anhörungsverfahren einleiten und nach erfolgter Anhö-
1 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055; v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, NZA 2003, 1335 (zu § 113 Abs. 2 Satz 2 InsO a.F.). 2 St. Rpsr. vgl. BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, NZA 2000, 768; v. 11.3.1998 – 2 AZR 401/97, zitiert nach juris; v. 18.5.1994 – 2 AZR 626/93, NZA 1995, 65 m.w.N.
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Rz. 60 Teil 8
Beendigung aus anderen Gründen
rung unverzüglich die Kündigung erklären, wobei die Unverzüglichkeit bei Bestreiten in beiden Fällen zu beweisen ist. Keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters stellt demgegenüber die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. SGB IX dar1.
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F. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen Die §§ 85–92 SGB IX finden keine Anwendung auf andere Beendigungstatbestände, wie z.B. die Lossagung von einem nichtigen Arbeitsvertrag oder einen Aufhebungsvertrag. Es gilt das zu § 9 MuSchG Gesagte (vgl. Teil 6 unter Rz. 73 ff.).
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G. Verhältnis zu anderen Kündigungsschutznormen Der besondere Schutz schwerbehinderter Menschen berührt nicht den Kündigungsschutz nach anderen Vorschriften2. Der Arbeitnehmer kann daher auch beispielsweise unter den Schutz nach § 9 MuSchG oder § 18 BEEG fallen. Dann muss der Arbeitgeber u.U. mehrere Zustimmungsverfahren parallel durchführen.
59
Die Entscheidung des Intergrationsamts hat keine inhaltlichen Auswirkungen auf andere kündigungsschutzrechtliche Verfahren. Sie ersetzt weder die Zustimmung anderer Stellen, noch hat sie präjudizielle Wirkung für den Kündigungsprozess oder begründet eine Vermutung für oder gegen die soziale Rechtfertigung3.
60
1 BVerwG v. 15.2.1990 – 1 WB 36.88, ZBR 1990, 323; BAG v. 28.7.1983 – 2 AZR 122/82, DB 1984, 133; beide Entscheidungen zu den Vorgängerregelungen §§ 22 bzw. 25 Abs. 2 SchwbG. 2 APS/Vossen, § 85 SGB IX Rz. 30. 3 KR/Etzel, Vor § 85–92 SGB IX Rz. 33.
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Teil 9 Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger und zu Wehrübungen Einberufener
A. Einleitung Nach § 2 Abs. 1 ArbPlSchG darf der Arbeitgeber von der Zustellung des Einberufungsbescheids bis zur Beendigung des Grundwehrdienstes sowie während einer Wehrübung das Arbeitsverhältnis nicht kündigen. Es ist ihm außerdem versagt, das Arbeitsverhältnis aus Anlass des Wehrdienstes zu kündigen, § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG. Zudem darf bei der Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung der Wehrdienst eines Arbeitnehmers nach § 2 Abs. 2 Satz 2 ArbPlSchG nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden.
1
Durch das Arbeitsplatzschutzgesetz soll das berufliche Fortkommen des Wehrpflichtigen gesichert werden, dem durch die Ableistung des Dienstes keine persönlichen Nachteile entstehen dürfen. Ziel des ArbPlSchG ist es somit, den Lebensunterhalt des Wehrpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen für die Dauer des Wehrdienstes zu sichern und zudem den Arbeitsplatz zu erhalten, den er zum Zeitpunkt der Einberufung innehat1.
2
B. Voraussetzungen des Kündigungsverbots Durch § 2 Abs. 1 ArbPlSchG geschützt sind Wehrpflichtige i.S.d. § 1 WPflG, die zu ihrem Dienst herangezogen werden. Die Einberufung aufgrund des WPflG muss zur Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Dies können durchaus auch Angehörige anderer EU-Staaten sein, sofern sie zum Wehrdienst in der Bundeswehr verpflichtet sind. Nicht unter den Regelungsbereich des ArbPlSchG fallen demgegenüber ausländische Arbeitnehmer, die zum Wehrdienst ihres Heimatlandes herangezogen werden2. Auch Berufs- und Zeitsoldaten sind in den Geltungsbereich des ArbPlSchG nicht einbezogen3.
3
Zivildienstleistende sind nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG i.V.m. § 2 ArbPlSchG Wehrdienstleistenden gleichgestellt, sodass auch sie von dem besonderen Kündigungsschutz profitieren4. Dies gilt jedoch nicht für Personen nach § 15a ZDG, die sowohl Wehr- als auch Zivildienst aus Gewissensgründen verweigern, aber zu einer Tätigkeit im Kranken-, Heil- oder Pflegebereich bereit sind5.
4
1 2 3 4 5
APS/Dörner, § 2 ArbPlSchG Rz. 1 m.w.N. KR/Weigand, § 2 ArbPlSchG Rz. 3. APS/Dörner, § 2 ArbPlSchG Rz. 9; KR/Weigand, § 2 ArbPlSchG Rz. 2. KDZ/Zwanziger § 2 ArbPlSchG Rz. 6. APS/Dörner, § 2 ArbPlSchG Rz. 4.
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Teil 9 Rz. 5
Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger
5
Unerheblich ist, ob das Arbeitsverhältnis privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur ist. Das ArbPlSchG gilt somit für Arbeitnehmer der freien Wirtschaft, im öffentlichen Dienst, Heimarbeiter, Handelsvertreter, Beamte und Richter sowie für zivile Arbeitskräfte bei einer Truppe einer ausländischen Stationierungsstreitkraft und Auszubildende1.
6
Der besondere Kündigungsschutz des Wehrdienstpflichtigen beginnt mit Zugang des Einberufungsbescheids und dauert bis zur Beendigung des Wehrdienstes2. Er gilt auch in Kleinbetrieben, während einer vereinbarten Probezeit und unabhängig von der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG3.
7
Durch die Einberufung wird das Arbeitsverhältnis nicht beendet, sondern es kommt zu einer zeitlich befristeten Suspendierung der gegenseitigen Hauptleistungspflichten, vgl. § 1 Abs. 1 ArbPlSchG.
C. Rechtsfolgen des Kündigungsverbots I. Verbot der ordentlichen Kündigung 8
Der besondere Kündigungsschutz gilt nach § 2 Abs. 1 ArbPlSchG zunächst für die ordentliche Kündigung. Umfasst sind alle Kündigungsgründe, also Gründe in der Person, in dem Verhalten oder betriebsbedingte Gründe. Es reicht aus, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Voraussetzungen des § 2 ArbPlSchG objektiv vorlagen. Der Arbeitgeber muss von der Zustellung des Einberufungsbescheids also keine Kenntnis gehabt haben4.
9
Liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 ArbPlSchG vor, so ist eine trotzdem ausgesprochene Kündigung nach § 134 BGB nichtig5.
10
Aufgrund § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG ist es dem Arbeitgeber weiterhin verwehrt, das Arbeitsverhältnis aus Anlass des Wehrdienstes zu kündigen. In diesem Fall ist eine Kündigung schon dann unwirksam, wenn der Wehrdienst nur eines von mehreren Motiven für die Kündigung war6. Nach Ansicht des LAG Hamm kann eine unmittelbar nach Beendigung einer Wehrübung erklärte Kündigung darauf hindeuten, dass sie wegen der Wehrübung erfolgte7.
11
Im Rahmen der sozialen Auswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung darf die Einberufung zum Wehrdienst nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 ArbPlSchG.
1 2 3 4 5 6 7
APS/Dörner, § 2 ArbPlSchG Rz. 8. ErfK/Gallner, § 2 ArbPlSchG Rz. 1; KDZ/Zwanziger, § 2 ArbPlSchG Rz. 5 ff. ErfK/Gallner, § 2 ArbPlSchG Rz. 1. APS/Dörner, § 2 ArbPlSchG Rz. 13. SPV/Vossen Rz. 1705. KDZ/Zwanziger, § 2 ArbPlSchG Rz. 9. LAG Hamm v. 26.5.1967 – 5 Sa 247/67, DB 1967, 1272.
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Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund
Rz. 16 Teil 9
II. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers im Anwendungsbereich des ArbPlSchG regelmäßig ausgeschlossen, so bleibt das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 2 Abs. 3 ArbPlSchG grds. unberührt. Es ist dem Arbeitgeber daher unbenommen, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen.
12
Ein wichtiger Grund kann im Rahmen des § 2 Abs. 3 ArbPlSchG jedoch lediglich in der Person oder in ihrem Verhalten liegen. Betriebliche Gründe, insbesondere eine Betriebsstilllegung, sind demgegenüber nicht geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Denn die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung hat regelmäßig mit einer sozialen Auslauffrist zu erfolgen, damit sich der Gekündigte rechtzeitig um eine andere Beschäftigungsmöglichkeit bemühen kann, vgl. § 629 BGB. Während der Ableistung des Wehrdienstes ist es dem Arbeitnehmer jedoch unzumutbar, sich um eine neue Arbeitsstelle zu kümmern1.
13
§ 2 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 ArbPlSchG stellt klar, dass die Einberufung zum Wehrdienst im Regelfall kein wichtiger Grund für eine Kündigung ist. Etwas Anderes gilt jedoch im Kleinbetrieb. Werden in einem Betrieb regelmäßig fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt, so kann einem unverheirateten Arbeitnehmer, der zu seiner Berufsbildung beschäftigt ist, im Fall des Grundwehrdienstes von mehr als sechs Monaten aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber infolge der Einstellung einer Ersatzkraft die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach der Entlassung aus dem Wehrdienst nicht zugemutet werden kann, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 ArbPlSchG.
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Erforderlich ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Ersatzkraft zur Besetzung des Arbeitsplatzes des Einberufenen neu eingestellt worden ist; eine Umsetzung innerhalb des Betriebes reicht nicht aus2. Im Übrigen ist die Weiterbeschäftigung des Wehrpflichtigen dann nicht unzumutbar, wenn sich der Arbeitgeber auf den Zeitpunkt der Rückkehr des Einberufenen hätte einstellen können. Es ist ihm daher beispielsweise zumutbar, ein für den Zeitraum des Wehrdienstes befristetes Arbeitsverhältnis mit einer Ersatzkraft abzuschließen3.
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Liegen die Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 ArbPlSchG vor, so darf die Kündigung nur unter Einhaltung einer (sozialen Auslauf-)Frist von zwei Monaten vor dem Zeitpunkt der Entlassung und nur mit Wirkung zum Ende des Wehrdienstes oder der Wehrübung erfolgen, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 4 ArbPlSchG.
16
1 Ganz h.M. in der Literatur, vgl. APS/Dörner, § 2 ArbPlSchG Rz. 15; ErfK/Gallner, § 2 ArbPlSchG Rz. 6; KR/Weigand, § 2 ArbPlSchG Rz. 23; MüKo/Schwerdtner, Anhang § 622 BGB Rz. 699; a.A. ArbG Bochum v. 17.12.1971, DB 1972, 441. 2 ErfK/Gallner, § 2 ArbPlSchG Rz. 8. 3 SPV/Vossen Rz. 1710.
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Teil 9 Rz. 17
Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger
III. Darlegungs- und Beweislast 17
Für den Arbeitnehmer ist oftmals schwer zu erkennen, ob die Entlassung „aus Anlass des Wehrdienstes“ erfolgte oder wie die Einberufung bei Entlassungen aus dringenden betrieblichen Gründen berücksichtigt worden ist, da diese ggf. lediglich Gegenstand eines nach außen nicht erkennbaren Entscheidungsfindungsprozesses des Arbeitgebers sind. Daher normiert § 2 Abs. 2 Satz 3 ArbPlSchG für den Kündigungsprozess eine Beweislastumkehr.
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Macht der Arbeitnehmer im Kündigungsprozess geltend, der Arbeitgeber habe das Arbeitsverhältnis aus Anlass des Wehrdienstes gekündigt oder bei der Sozialauswahl zu Lasten des Arbeitnehmers herangezogen, so muss in diesem Fall der Arbeitgeber substantiiert Tatsachen vorbringen, dass seine Kündigungsentscheidung von anderen Gesichtspunkten als den in § 2 Abs. 2 Satz 3 ArbPlSchG genannten geleitet wurde.
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Teil 10 Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten
A. Einleitung Nach § 4f Abs. 3 Satz 5, 6 BDSG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten von der Bestellung bis zu einem Jahr nach der Abberufung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche die verantwortliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
1
Bereits zu der Gesetzeslage bis zum 31.8.2009 wurde ein besonderer Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten aus Satz 4 der Vorschrift (§ 4f Abs. 3 BDSG) diskutiert, wonach die Bestellung des Datenschutzbeauftragten in entsprechender Anwendung des § 626 BGB widerrufen werden kann1. Zum Teil wurde aus der Formulierung der Ausschluss der ordentlichen Kündigung gefolgert2. Vor allem der Instanzrechtsprechung zufolge sollte die ordentliche Kündigung allerdings nicht generell ausgeschlossen sein. Unzulässig seien nur Kündigungen, die wegen der Amtsausübung ausgesprochen worden seien3.
2
Zum 1.9.2009 wurde § 4f Abs. 3 BDSG durch Gesetz vom 14.8.20094 (sog. BDSG-Novelle II) um die Sätze 5–7 ergänzt. Der Gesetzgeber reagierte hiermit auf die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr. Ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers war es, die Position des Datenschutzbeauftragten zu stärken. Ausweislich der Gesetzesbegründung sah er die bisherige Praxis des Kündigungsschutzes des Datenschutzbeauftragten als nicht ausreichend an. Daher sollte der Kündigungsschutz nunmehr ausdrücklich in Satz 5 geregelt und durch Satz 6 auf die Zeit nach Beendigung der Funktion des Datenschutzbeauftragten erstreckt werden. Durch Satz 7 sollte die Fortbildung und damit die fachliche Eignung des Datenschutzbeauftragten unterstützt werden5.
3
Durch § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG wurde der Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten an den besonderen Kündigungsschutz vergleichbarer Funktionsträger angeglichen, wie z.B. des Gewässerschutzbeauftragten (§ 6 WHG), des Immissionsschutzbeauftragten (§ 58 Abs. 2 Satz 1, 2 BImschG), des Störfallbeauftragten (§ 58d i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1, 2 BImschG), des Abfallbeauftragten (§ 55 Abs. 3 KrW-/AbfG i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1, 2 BImschG) oder der Betriebs-
4
1 Siehe hierzu Schwab/Erhard, NZA 2009, 1118 ff. 2 Herb, CR 1994, 486; Schierbaum/Kiesche, CR 1992, 726 (728); Wohlgemuth, BB 1992, 281 (284); Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f Rz. 184. 3 LAG Niedersachsen v. 16.6.2003 – 8 Sa 1968/02, NZA-RR 2004, 354; LAG Berlin v. 27.10.1997 – 17 Sa 87/97, RDV 1998, 73; ArbG Dresden v. 9.2.1994 – 3 Ca 7628/93, CR 1994, 484; Ehrich, DB 1991, 1981; ders. NZA 1993, 248; Ostrowicz, RDV 1995, 115; Schwab/Erhard, NZA 2009, 1118 (1119). 4 BGBl. I. 2814. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/12011, 30.
Eisenbeis
883
Teil 10 Rz. 5
Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten
ratsmitglieder (§ 15 Abs. 1 Satz 1, 2 KSchG). Allen diesen Beauftragten ist gemeinsam, dass sie die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften überwachen und hierfür Kontrollen durchführen und darüber hinaus für ihren Aufgabenkreis auf eine Verbesserung der bestehenden Situation hinwirken, die Beschäftigten informieren und die verantwortlichen Stellen beraten.
B. Bestellung des Datenschutzbeauftragten 5
Die Voraussetzungen der Bestellung des Datenschutzbeauftragten regelt § 4f Abs. 1 BDSG. Einen Datenschutzbeauftragten haben alle Unternehmen zu bestellen, die personenbezogene Daten automatisiert verarbeiten. Die Bestellung muss innerhalb eines Monats ab Aufnahme der Tätigkeit erfolgen. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, wenn nicht mehr als neun Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigt sind.
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Ebenfalls muss ein Datenschutzbeauftragter bestellt werden, wenn personenbezogene Daten auf andere Weise erhoben, verarbeitet oder genutzt werden und damit in der Regel mindestens 20 Personen beschäftigt sind, § 4f Abs. 1 Satz 3 BDSG.
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Bestellt der Arbeitgeber freiwillig einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten, so besteht zu dessen Gunsten kein besonderer Kündigungsschutz. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss der Anknüpfung an die Verpflichtung zur Bestellung nach § 4f Abs. 1 BDSG und ist vom Gesetzgeber auch ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannt1. Eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes auch auf nicht zur Bestellung verpflichtete Stellen würde diese im Ergebnis davon abhalten, freiwillig einen Beauftragten für den Datenschutz zu bestellen und stünde damit dem Zweck der gesetzlichen Regelung entgegen.
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Als Datenschutzbeauftragter kann der Arbeitgeber einen externen Spezialisten oder einen fachkundigen und zuverlässigen (vgl. § 4f Abs. 2 Satz 1 BDSG) Arbeitnehmer bestellen. In letzterem Fall ist die „Bestellung“ des Arbeitnehmers von der „Anstellung“ zu unterscheiden. Mit der Bestellung wird lediglich das Amt des Datenschutzbeauftragten übertragen. Die schuldrechtliche Verpflichtung zur Erfüllung der Aufgaben des Datenschutzbeauftragten sowie deren Bedingungen und Umfang regelt demgegenüber das Anstellungsverhältnis. Die Konstellation ist vergleichbar mit der Bestellung des GmbH- Geschäftsführers, bei dem ebenfalls zwischen Amtsstellung und Dienstverhältnis zu unterscheiden ist.
C. Widerruf der Bestellung 9
Ein wichtiger Grund i.S.d. § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG für den Widerruf der Bestellung des Datenschutzbeauftragten ist bei Gründen anzunehmen, die mit seiner Person und dem Verhalten in der Funktion als Datenschutzbeauftragten zusam-
1 Vgl. BT-Drucks. 16/12011, 30.
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Widerruf der Bestellung
Rz. 13 Teil 10
menhängen, wenn also Amtspflichten verletzt werden1. Daneben kann auch die schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten die weitere Funktion als Datenschutzbeauftragter unzumutbar werden lassen2. Bei wichtigen Gründen handelt es sich beispielsweise um
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– fehlende Eignung aufgrund eines nachträglich festgestellten Mangels an Fachkunde oder Zuverlässigkeit nach § 4f Abs. 2 Satz 1 BDSG, – Nicht- und Schlechterfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen, etwa durch Versäumnisse bei der Beratung der verantwortlichen Stelle über die nach § 9 BDSG erforderlichen Maßnahmen der Datensicherheit oder bei Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 4f Abs. 4 BDSG, – beharrliche Weigerung der Teilnahme an Fortbildungen i.S.v. § 4f Abs. 3 Satz 7 BDSG. Daneben muss auch ein wichtiger Grund für die Möglichkeit eines Widerrufs gegeben sein, wenn bei einem zum Datenschutzbeauftragten ernannten Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder aus anderen Gründen – etwa im Wege eines Aufhebungsvertrags – beendet wurde3. Denn ansonsten bestünde das Amt des Datenschutzbeauftragten mangels eines arbeitsrechtlichen Grundverhältnisses sinnentleert fort. Da ein anderer wichtiger Grund i.S.v. § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG i.d.R. nicht vorliegt, könnte der Arbeitgeber die Bestellung auch in Zukunft nicht widerrufen.
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Um einen Grenzfall handelt es sich bei der Frage, ob die Entscheidung über die Fremdvergabe des betrieblichen Datenschutzes auf einen Externen (Outsourcing) einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen kann, wenn der Datenschutz bisher von einem internen Arbeitnehmer durchgeführt wurde. Nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg4 kann dies nur im extremen Ausnahmefall gerechtfertigt sein, etwa wenn die Kostenersparnis zur Abwendung einer betrieblichen Notsituation dringend erforderlich ist. Anderenfalls drohe die Gefahr, dass unliebsame Personen allzu leicht wieder aus diesem Amt entfernt werden könnten. Der Arbeitgeber sei daher an die einmal gefällte Entscheidung, ob er die Stelle des Datenschutzbeauftragten extern oder intern besetzen wolle, gebunden. Ob die Entscheidung vor dem BAG Bestand haben wird ist derzeit noch offen5.
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Diese Ansicht ist abzulehnen. Die Entscheidung des Unternehmers, in welcher Weise und konkret, ob er den Datenschutz in seinem Betrieb mit einem internen Arbeitnehmer oder einem externen Dienstleister durchführen will, ist Ausdruck der Berufsfreiheit des Arbeitgebers. Auch eine unternehmerische Entscheidung kann von den Gerichten dahingehend untersucht werden, ob sie im Einzelfall auf sachlichen Erwägungen oder willkürlichen Gründen beruht. Insofern wird man die Entscheidung der Fremdvergabe als grds. zulässig und damit als wichtigen Grund für die Abberufung des Arbeitnehmers ansehen können, sofern sie auf nachvollziehbaren Gründen beruht.
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1 2 3 4 5
Simitis, § 4f BDSG Rz. 184; ähnlich auch ErfK/Wank, § 4f BDSG Rz. 6. DKWW/Däubler, § 4f BDSG Rz. 67; ähnlich auch Gola/Schomerus, § 4f BDSG Rz. 38. Dzida/Kröpelin, BB 2010, 1026 (1028); Gehlhaar, NZA 2010, 373 (377). LAG Berlin-Brandenburg v. 28.5.2009 – 5 Sa 425/09, BB 2009, 1917. Revision anhängig unter 3 AZR 562/09.
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Teil 10 Rz. 14
Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten
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Der Arbeitgeber muss den Widerruf nach § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG i.V.m. § 626 BGB innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der entscheidungserheblichen Umstände erklären1.
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In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass auch auf die Abberufung die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG zumindest entsprechend anzuwenden sei, sodass ein abberufener Datenschutzbeauftragter innerhalb von drei Wochen Klage auf Feststellung des Fortbestehens des datenschutzrechtlichen Amtsverhältnisses erheben müsse2. Auch wenn dies im Sinne einer alsbaldigen Klärung der Rechtslage wünschenswert wäre, so ist gleichwohl für eine Analogie von § 4 KschG kein Raum, da die Abberufung aus dem Amt gerade keine Kündigung des Anstellungsverhältnisses ist. Es liegt auch keine planwidrige Regelungslücke vor.
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Rechtfertigt der wichtige Grund lediglich den Widerruf der Bestellung als Datenschutzbeauftragter, nicht jedoch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, so endet durch die Abberufung lediglich das Amt des Datenschutzbeauftragten. Daneben bleibt das Arbeitsverhältnis für den Zeitraum eines Jahres ordentlich unkündbar. Ein solcher Fall ist etwa anzunehmen, wenn ein nebentätiger Datenschutzbeauftragter seinen datenschutzrechtlichen Verpflichtungen nicht oder nicht in ausreichendem Maße nachkommt, im Übrigen jedoch seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zur Zufriedenheit des Arbeitgebers erfüllt.
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Stellt der wichtige Grund für den Widerruf der Bestellung gleichsam einen wichtigen Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar, wie etwa bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten, kann gleichzeitig mit dem Widerruf der Amtsstellung unter Beachtung der Voraussetzungen im Übrigen eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen werden.
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" Praxistipp: Bestellung und Anstellung des Datenschutzbeauftragten beste-
hen unabhängig nebeneinander. Der Widerruf der Bestellung stellt damit nicht automatisch eine Kündigungserklärung gegenüber dem Datenschutzbeauftragten dar. Ebenso wenig kann in der Kündigungserklärung ohne Weiteres die Abberufung des Datenschutzbeauftragten gesehen werden. Ist sowohl die Beendigung des Bestellungs- als auch des Anstellungsverhältnisses gewünscht, so muss dies aus der Erklärung des Arbeitgebers eindeutig hervorgehen.
D. Ausschluss der ordentlichen Kündigung 19
Nach § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Datenschutzbeauftragten unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die die verantwortliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Denn unter Umständen muss der Datenschutzbeauftragte Interessen der betroffenen Arbeitnehmer gegen die berechtigten Interessen des Unternehmens durchsetzen, woraus die Gefahr 1 Simitis, § 4f BDSG Rz. 197; Gola/Schomerus, § 4f BDSG Rz. 44. 2 Gehlhaar, NZA 2010, 373 (377).
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Ausschluss der ordentlichen Kündigung
Rz. 22 Teil 10
eines Spannungsverhältnisses zwischen dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten und dem Arbeitgeber erwachsen kann. Mit dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung soll die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten gesichert werden, der seiner Aufgabe ohne Sorge um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses nachgehen können soll. Ausweislich des Wortlauts schützt § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG nur Arbeitsverhältnisse. Unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer in der Hauptsache oder nur nebentätig das Amt des Datenschutzbeauftragten bekleidet1. Damit bleibt ein Dienstoder Geschäftsbesorgungsvertrag – etwa zu einem externen Datenschutzbeauftragten – weiterhin ordentlich kündbar. In diesem Fall besteht kein Risiko von Interessenkonflikten, da der externe Datenschutzbeauftragte nicht in die Struktur des Betriebs eingebunden ist. Allerdings gilt auch hier der Widerrufsschutz des § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG, sodass sich der Arbeitgeber auch von einem externen Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund trennen kann.
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Zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten bedarf es eines wichtigen Grundes, der den Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen würde. Die Vorschrift nimmt damit Bezug auf das Recht des Arbeitgebers zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG sind damit die Voraussetzungen entsprechend § 626 Abs. 1 BGB zu erfüllen (siehe zur in der Praxis häufigsten außerordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen Teil 4 Rz. 13 ff.). Darunter fallen sowohl Verletzungen von Pflichten, die mit der Erfüllung des Amtes als Datenschutzbeauftragter in Beziehung stehen als auch Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten2. Den häufigsten Fall werden wohl verhaltensbedingte Kündigungsgründe darstellen, etwa bei kriminellen Handlungen gegen den Arbeitgeber.
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Problematisch gestaltet sich der Fall, wenn – wie häufig in kleineren und mittelgroßen Unternehmen – ein interner Datenschutzbeauftragter sein Amt nur nebentätig bekleidet und seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit infolge betrieblicher Veränderungen wegfällt. Denn in diesem Fall liegt kein wichtiger Grund zum Widerruf vor und eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung wäre an sich nach § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG unzulässig. Dies würde allerdings zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, dass der Arbeitgeber einen nebentätigen Datenschutzbeauftragten bis zum Eintritt ins Renteneintrittsalter beschäftigen müsste. Daher spricht vieles dafür, in diesem Fall dem Arbeitgeber ein Kündigungsrecht analog § 15 Abs. 4, 5 KSchG einzuräumen3. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber den Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten an den Kündigungsschutz vergleichbarer Funktionsträger – darunter auch von Betriebsratsmitgliedern – anpassen4. Ist eine vollständige oder Betriebsteilstilllegung geplant, so muss dem nebentätigen Datenschutzbeauftragten unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum
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1 2 3 4
Bongers, ArbRAktuell 2010, 139. Siehe hierzu Gehlhaar, NZA 2010, 373 (374). Dzida/Kröpelin, BB 2010, 1026 (1027). Vgl. BT-Drucks. 16/12011, 30.
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Teil 10 Rz. 23
Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten
Zeitpunkt der Stilllegung gekündigt werden können. Die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die nach § 15 Abs. 4, 5 KSchG ausnahmsweise zulässige ordentliche Kündigung stellt zugleich einen wichtigen Grund für den Widerruf der Bestellung zum Datenschutzbeauftragten dar1.
E. Nachwirkender Kündigungsschutz 23
§ 4f Abs. 3 Satz 6 BDSG bewirkt nach dem Vorbild des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG für Betriebsratsmitglieder einen nachwirkenden Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten. Die Kündigung des Datenschutzbeauftragten ist auch innerhalb eines Jahres nach der Abberufung unzulässig, es sei denn, dass der Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt ist. Der Datenschutzbeauftragte soll nicht in Erwartung des wegfallenden Kündigungsschutzes in der unabhängigen Ausübung seines Amtes beeinträchtigt werden.
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Damit ist der Datenschutzbeauftragte i.d.R. noch besser geschützt als ein Betriebsratsmitglied. Dieses muss alle vier Jahre im Zuge der Wahlen zum Betriebsrat neu gewählt werden. Die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten kann demgegenüber durch den Arbeitgeber lediglich aus wichtigem Grund i.S.d. § 626 BGB widerrufen werden, vgl. § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG. Damit ist die Bestellung des Datenschutzbeauftragten im Grundsatz unbefristet ausgestaltet, während das Amt des Betriebsratsmitglieds turnusmäßig endet.
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Der Nachwirkungszeitraum von einem Jahr beginnt mit dem Zeitpunkt des Widerrufs der Bestellung (bzw. Abberufung, wie in § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG formuliert). Er berechnet sich nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.
F. Besonderheiten bei befristeter Bestellung 26
Nicht höchstrichterlich entschieden ist bisher, ob auch eine befristete Bestellung zum Datenschutzbeauftragten zulässig ist. Dies wird allerdings überwiegend und zutreffend bejaht, denn dem BDSG lässt sich nicht entnehmen, dass die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten lediglich unbefristet erfolgen darf2. Zu Unrecht wird darin vereinzelt per se die Umgehung des Widerrufsschutzes gesehen3. Allerdings bedarf die Befristung der Bestellung zu ihrer Wirksamkeit eines sachlichen Grundes.
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Um dem Einwand entgegen zu treten, eine zu kurze Befristung werde lediglich in der Absicht erklärt den Widerrufsschutz des § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG aus-
1 Dzida/Kröpelin, NZA 2010, 1026 (1028). 2 Bongers, ArbRAktuell 2010, 139; Dzida/Kröpelin, BB 2010, 1026 (1027); Simitis, § 4f BDSG Rz. 61. 3 DKWW/Däubler, § 4f BDSG Rz. 75; Gola/Schomerus, BDSG, § 4f Rz. 32.
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Besonderheiten bei befristeter Bestellung
Rz. 28 Teil 10
zuhebeln, wird dazu geraten, eine angemessene Befristungsdauer von mindestens zwei1 bzw. fünf2 Jahren zu vereinbaren.
" Praxistipp: Wird ein externer Datenschutzbeauftragter befristet bestellt, besteht weder Kündigungs- noch Widerrufsschutz. Mit Ablauf der Befristung endet die Bestellung, ohne dass es eines Widerrufs bedarf.
1 Simitis, § 4f BDSG Rz. 61. 2 Dzida/Kröpelin, NZA 2010, 1026 (1030) mit Bezug auf DKWW/Däubler, § 4f BDSG Rz. 75, der eine Befristung nur als zulässig ansieht, wenn sie für fünf Jahre erklärt wird.
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Teil 11 Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
A. Einleitung Zum 1.7.2008 ist das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) als Artikel 3 des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom 28.5.2008 in Kraft getreten.1 Ziel des Gesetzes ist nach § 1 PflegeZG, Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern. Der Pflegezeitanspruch soll Menschen, die bereit sind ihre Angehörigen zu pflegen und somit Verantwortung zu übernehmen, vor einer Verschlechterung ihrer beruflichen Entwicklungschancen bewahren, indem der Beschäftigte nach der Freistellung zu denselben Arbeitsbedingungen in den Betrieb zurückkehrt.
1
Dieser angestrebten Verbesserung der Vereinbarkeit von familiärer Pflege und Erwerbstätigkeit will das Gesetz auf zwei Wegen gerecht werden:
2
Tritt plötzlich eine Pflegesituation ein, so sollen die Beschäftigten nach Anzeige beim Arbeitgeber berechtigt sein, kurzzeitig – bis zu zehn Arbeitstage – der Arbeit fern zu bleiben, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen, § 2 PflegeZG (sog. kurzzeitige Arbeitsverhinderung). Berufstätigen Personen soll dadurch ermöglicht werden, bei Akutereignissen die sofortige pflegerische Versorgung eines nahen Angehörigen sicherzustellen.2 Dem Beschäftigten steht in diesem Fall nach überwiegender Ansicht ein Leistungsverweigerungsrecht zu.3 Während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung des Beschäftigten ist der Arbeitgeber zur Fortzahlung der Vergütung nur dann verpflichtet, wenn sich eine solche Verpflichtung aus anderen Bestimmungen ergibt (§ 2 Abs. 3 PflegeZG), z.B. aus § 616 BGB oder aus dem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag.
3
Die §§ 3, 4 PflegeZG räumen dem Beschäftigten einen Anspruch auf vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeitszeit ein, um einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen (sog. Pflegezeit). Die Pflegezeit kann längstens bis zu sechs Monate betragen. Wurde zunächst eine kürzere Zeit beansprucht, kann die Pflegezeit i.d.R. nur noch mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Höchstdauer ausgeweitet werden. Ohne Zustimmung des Arbeitgebers kann dies nur dann geschehen, wenn ein vorgesehener
4
1 BGBl. I, 874, 896. 2 Vgl. BT-Drucks. 16/7439, S. 90. 3 Fröhlich, ArbRB 2008, 84 (85); ErfK/Gallner, § 2 PflegeZG Rz. 1; Joussen NZA 2009, 69 (70); Linck, BB 2008, 2738 (2739); Preis/Nehring NZA 2008, 729 (730); a.A. Küttner/ Reinecke, Pflegezeit Rz. 7 (Unmöglichkeit i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB).
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Teil 11 Rz. 5
Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
Wechsel in der Person des Pflegenden aus einem wichtigen Grund nicht erfolgen kann. 5
Beantragt der Beschäftigte die Verringerung der Arbeitszeit, werden nach vorheriger Einigung mit dem Arbeitgeber Arbeitszeit und Vergütungspflicht anteilig suspendiert. Ist der Mitarbeiter vollständig freigestellt, ruht das Beschäftigungsverhältnis. Den Arbeitgeber trifft keine Pflicht zur Lohnfortzahlung. Finanzielle Einbußen des Pflegezeitberechtigten werden durch das Pflegegeld aufgefangen, das der pflegebedürftige Angehörige dem Pflegenden überlassen kann. Die Pflegekasse leistet nach der zeitgleich mit dem PflegeZG neu eingefügten Vorschrift des § 44a SGB XI Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung und entrichtet die Beiträge des Pflegenden zur Arbeitslosenversicherung.1
6
Nach der Gesetzesbegründung sollte die Pflegezeit in Anlehnung an die Regelungen zur Inanspruchnahme von Elternzeit (vgl. §§ 15 ff. BEEG) ausgestaltet werden.2 Diesem Anliegen folgt auch § 5 PflegeZG, der ähnlich wie § 18 BEEG zu Gunsten des Pflegezeitberechtigten ein Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt enthält. Allerdings weicht § 5 PflegeZG in wesentlichen Einzelheiten von § 18 BEEG ab. Dadurch kommt es in der Praxis häufig zu Problemen im Zusammenhang mit Kündigungen und der Inanspruchnahme von Pflegezeit.
B. Persönlicher Anwendungsbereich 1. Anspruchsberechtigte 7
Das PflegeZG verwendet durchgängig den Terminus des „Beschäftigten“, dem die Ansprüche aus dem PflegeZG zustehen. Wer Beschäftigter i.S.d. PflegeZG ist, definiert abschließend § 7 Abs. 1 PflegeZG.
8
Dies sind zum einen Arbeitnehmer, also alle auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags Beschäftigten. Es gilt der allgemeine Arbeitnehmerbegriff. Damit unterfallen auch Teilzeit- und befristete Arbeitskräfte und leitende Angestellte dem PflegeZG.3
9
Zu den Beschäftigten i.S.d. PflegeZG gehören des Weiteren die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Dazu gehören Auszubildende i.S.v. §§ 1 Abs. 3, 10 Abs. 1 BBiG, die zur Berufsausbildungsvorbereitung, zur beruflichen Fortbildung und zur beruflichen Umschulung Beschäftigten i.S.v. § 1 Abs. 1, 2, 4, 5 BBiG sowie die in sog. anderen Vertragsverhältnissen nach § 26 BBiG Beschäftigten.4
10
Ferner sind Beschäftigte i.S.d. PflegeZG Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, 1 Zu den sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen siehe ausführlich Müller/Stuhlmann, ZTR 2008, 290 (295). 2 BT-Drucks. 16/7439, S. 91. 3 ErfK/Gallner, § 7 PflegeZG Rz. 1; Linck, BB 2008, 2738. 4 ErfK/Gallner, § 7 PflegeZG Rz. 1; Linck, BB 2008, 2738.
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Rz. 16 Teil 11
Voraussetzungen des Kündigungsverbots
wozu auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten gehören. Nicht pflegezeitberechtigt sind öffentlich-rechtliche Bedienstete.1 Für Beamte gilt die Beurlaubungsregelung des § 72a Abs. 4 BBG.
11
2. Arbeitgeber Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes sind nach § 7 Abs. 2 PflegeZG natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die die o.g. Personen beschäftigen.
12
3. Pflegebedürftige nahe Angehörige Nach § 7 Abs. 3 PflegeZG sind nahe Angehörige i.S.d. Gesetzes
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1. Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, 2. Ehegatten, Lebenspartner (§ 1 LPartG), Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Geschwister, 3. Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder. Nicht zu den nahen Angehörigen i.S.d. PflegeZG gehören damit Tanten und Onkel sowie leibliche Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft.2 Trotz dieser Einschränkung handelt es sich um einen eher weit gefassten Personenkreis.
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Nahe Angehörige sind pflegebedürftig, wenn sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße die Voraussetzungen einer der drei Pflegestufen der §§ 14 f. SGB XI erfüllen, vgl. § 7 Abs. 4 Satz 1 PflegeZG. Für das Leistungsverweigerungsrecht des § 2 Abs. 1 PflegeZG reicht es aus, wenn die Voraussetzungen der §§ 14 f. SGB XI voraussichtlich erfüllt werden, § 7 Abs. 4 Satz 2 PflegeZG.
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C. Voraussetzungen des Kündigungsverbots Nach § 5 Abs. 1 PflegeZG darf der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 oder der Pflegezeit nach § 3 nicht kündigen. Die für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen können in besonderen Fällen eine Kündigung ausnahmsweise für zulässig erklären, vgl. § 5 Abs. 2 PflegeZG. Es handelt sich bei dem Kündigungsschutz des 1 ErfK/Gallner, § 7 PflegeZG Rz. 1; Küttner/Reinecke, Pflegezeit Rz. 2. 2 ErfK/Gallner, § 7 PflegeZG Rz. 2.
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Teil 11 Rz. 17
Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
Pflegezeitberechtigten damit um ein Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dem Beschäftigten soll durch den Sonderkündigungsschutz die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes genommen werden.1 17
Abhängig davon, ob der Beschäftigte nach § 2 PflegeZG kurzzeitig zur Leistung seiner Arbeitspflicht verhindert ist oder teilweise bzw. vollständig Pflegezeit beansprucht hat, gelten unterschiedliche Voraussetzungen für das Eingreifen des Kündigungsschutzes. 1. Kündigungsverbot bei kurzzeitiger Arbeitsverhinderung a) Sachlicher Anwendungsbereich
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Der Anspruch auf Arbeitsbefreiung und damit einhergehend der Kündigungsschutz nach § 5 PflegeZG unterliegt keiner Wartezeit. Er kann also theoretisch ab dem ersten Arbeitstag geltend gemacht werden. Allerdings ist die Höchstdauer im Fall der Akutpflege auf zehn Arbeitstage limitiert. Nach deren Ablauf besteht kein nachwirkender Kündigungsschutz.2 Der Arbeitgeber kann ohne Darlegung der sozialen Rechtfertigung kündigen, wenn die sechs-Monats-Frist des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht abgelaufen ist. Zu den Missbrauchsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Beantragung von Pflegezeit siehe Rz. 33.
19
Der Kündigungsschutz im Rahmen der sog. Akutpflege besteht unabhängig von der Größe des Betriebs und der Anzahl der Beschäftigten. Er gilt somit auch im Kleinbetrieb.3 b) Akut aufgetretene Pflegesituation und erforderliche Hilfeleistungen des Beschäftigten
20
Der Sonderkündigungsschutz tritt nur bei einer kurzzeitigen Arbeitsverhinderung ein. Eine solche liegt dann vor, wenn eine akute Pflegesituation auftritt und daher die Organisation einer bedarfsgerechten Pflege erforderlich ist, § 2 Abs. 1 PflegeZG. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Elternteil des Beschäftigten vorzeitig von einem stationären Krankenhausaufenthalt zurückkehrt und der Beschäftigte infolge dessen die Pflege sicherstellen muss, etwa durch Einschalten eines Pflegedienstes.
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Das Gesetz benennt keine Frist zur Ankündigung der Arbeitsbefreiung. Mit Ankündigung der kurzfristigen Arbeitsverhinderung tritt der Sonderkündigungsschutz des Beschäftigten ein. Allerdings muss die Pflegesituation nach § 2 Abs. 1 PflegeZG akut aufgetreten sein. Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass die Pflegebedürftigkeit unerwartet und plötzlich eingetreten sein und auf nicht rechtzeitig vorhersehbaren Umständen beruhen muss.4 Nur in diesem Fall besteht ein Bedürfnis des berufstätigen Beschäftigten, zeitnah zu reagieren 1 2 3 4
Vgl. BT-Drucks. 16/7439, S. 93. ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG Rz. 2. Müller/Stuhlmann, ZTR 2008, 290 (291). Freihuber/Sasse, DB 2008, 1320; Linck, BB 2008, 2738 (2739); Müller, BB 2008, 1058 (1059); Preis/Nehring, NZA 2008, 729 (730).
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Voraussetzungen des Kündigungsverbots
Rz. 26 Teil 11
und dem Betrieb fernzubleiben. Im Streitfall obliegt es dem Beschäftigten, das Vorliegen einer akuten Pflegesituation darzulegen und ggf. zu beweisen.1 Auf das o.g. Beispiel bezogen würde es z.B. für eine akute Arbeitsfreistellung nicht ausreichen, wenn der Beschäftigte die Rückkehr des Angehörigen, dessen Termin für die Entlassung noch nicht bekannt ist, Monate im Voraus ankündigt, und dadurch in diesem Zeitraum nicht gekündigt werden könnte. Handelt es sich um ein gewisses, gleichwohl zeitlich noch nicht definitiv feststehendes Ereignis, muss der Beschäftigte entweder mit dem Arbeitgeber im Vorhinein eine Freistellung für die geplanten Fehltage einvernehmlich vereinbaren oder Pflegezeit in Anspruch nehmen. Eine vorzeitige Anzeige des Beschäftigten, darauf gerichtet, Sonderkündigungsschutz zu erlangen, wird regelmäßig an dem fehlenden Merkmal des unerwarteten Eintritts scheitern. Damit begrenzt die Voraussetzung des nötigen Akutereignisses im Rahmen kurzzeitiger Arbeitsverhinderung das Missbrauchspotential der fehlenden Ankündigungsfrist.2 Zu den Möglichkeiten des Missbrauchs im Fall von vorzeitiger Inanspruchnahme von Pflegezeit siehe unter Rz. 33.
22
Der Beschäftigte ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsverhinderung und ihre voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen, wobei der Arbeitgeber die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit, dem Betrieb fernzubleiben, verlangen kann (§ 2 Abs. 2 PflegeZG).
23
Der Sonderkündigungsschutz greift mit Zugang der Mitteilung bzw. Ankündigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung.3 Anders als im Rahmen der Beantragung von Pflegezeit unterliegt die Anzeige keinen Formerfordernissen.4
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2. Kündigungsverbot während der Pflegezeit Auch während der Pflegezeit kann der Arbeitnehmer nur mit Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde gekündigt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beschäftigte einen nahen Angehörigen i.S.d. Gesetzes unter vollständiger Arbeitsbefreiung oder nur in Teilzeit pflegt. Maßgeblich ist allein, dass Pflegezeit in Anspruch genommen wurde.
25
a) Sachlicher Anwendungsbereich Wie bei der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung ist die Inanspruchnahme von Pflegezeit von keiner Wartezeit abhängig. Theoretisch kann bereits am ersten Tag des Beschäftigungsverhältnisses Pflegezeit beansprucht werden. 1 Linck, BB 2008, 2738 (2740). 2 So auch ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG Rz. 2; Joussen, NZA 2009, 69 (74); Preis/Nehring, NZA 2008, 729 (735); KR/Treber, §§ 1–8 PflegeZG Rz. 54; a.A. Rose/Dörstling, DB 2008, 2137 (2139), die sich daher für ein Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes längstens 5 Arbeitstage vor Beginn der Arbeitsverhinderung aussprechen. 3 ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG Rz. 1; Müller/Stuhlmann, ZTR 2008, 290 (293). 4 ErfK/Gallner, § 2 PflegeZG Rz. 3; Küttner/Reinecke, Pflegezeit Rz. 37.
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Teil 11 Rz. 27
Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
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Diese gesetzliche Regelung geht zu weit. Sie steht dem Zweck des § 1 Abs. 1 KSchG entgegen, wonach den Parteien des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit einer gewissen Zeit der Prüfung eröffnet werden soll, ob sie sich auf Dauer binden wollen.1 Die fehlende Wartezeit führt dazu, dass der Beschäftigte schon vor Eingreifen des allgemeinen Kündigungsschutzes Bestandsschutz erlangen kann. Der Gesetzgeber sollte hier nachbessern und die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Pflegezeit an die Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes koppeln, sodass die Pflegezeit erst nach sechs Monaten ab Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses in Anspruch genommen werden kann.
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Abweichend vom Fall der Akutpflege ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Pflegezeit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG an die Voraussetzung geknüpft, dass der Arbeitgeber in der Regel mehr als 15 Beschäftigte hat. Da zu den Beschäftigten i.S.d. Gesetzes nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG auch arbeitnehmerähnliche Personen gehören, sind diese bei der Berechnung des Schwellenwertes mitzuzählen. Das PflegeZG stellt anders als das KSchG nicht auf den Umfang der Tätigkeit ab, sondern berechnet nach Köpfen. Damit sind auch Teilzeitarbeitnehmer voll mitzuzählen.2 b) Berechtigte Inanspruchnahme von Pflegezeit
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Voraussetzung des Kündigungsschutzes ist die Ankündigung der Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen. Die Pflegebedürftigkeit ist durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nachzuweisen, § 3 Abs. 2 PflegeZG.
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Die Inanspruchnahme von Pflegezeit muss der Beschäftigte mindestens zehn Arbeitstage vor Beginn schriftlich ankündigen und gleichzeitig erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung von der Arbeitsleistung in Anspruch genommen werden soll, § 3 Abs. 3 Satz 1 PflegeZG. Nimmt der Beschäftige nur teilweise Freistellung in Anspruch, muss er zusätzlich die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben, § 3 Abs. 3 Satz 2 PflegeZG.
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Abweichend von dem Fall der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung, bei der die Ankündigung formfrei vorgenommen werden kann, muss die Anzeige der Inanspruchnahme von Pflegezeit durch Schriftform (§ 126 BGB) erfolgen.3 Diese kann durch notarielle Beurkundung (§ 126 Abs. 4 BGB) und elektronische Form (§§ 126 Abs. 3, 126a Abs. 1 BGB) ersetzt werden. Textform nach § 126b BGB reicht nicht aus. Das Schriftformerfordernis hat konstitutive Wirkung. Wird die Schriftform nicht eingehalten, ist die Ankündigung unwirksam, sodass der Sonderkündigungsschutz des § 5 PflegeZG nicht eintritt.4
1 Vgl. BAG v. 28.8.2008 – 2 AZR 101/07, AP Nr. 88 zu § 1 KSchG 1969; v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366. 2 Waldenmaier/Langenhahn-Komus, RdA 2008, 312 (313). 3 ErfK/Gallner, § 3 PflegeZG Rz. 3; DFL/Böck § 3 PflegeZG Rz. 10; Müller BB 2008, 1058 (1063); KR/Treber §§ 1–8 PflegeZG Rz. 46. 4 ErfK/Gallner, § 3 PflegeZG Rz. 3; Linck, BB 2008 2738 (2741).
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Voraussetzungen des Kündigungsverbots
Rz. 37 Teil 11
Im Unterschied zu der kurzfristigen Arbeitsverhinderung besteht bei der Pflegezeit eine Mindestankündigungsfrist von zehn Arbeitstagen. Eine verspätete Ankündigung führt allerdings nicht dazu, dass der Anspruch entfällt. Dieser wird nur zeitlich hinausgeschoben, sodass die Pflegezeit erst frühestens zehn Tage nach Zugang der Ankündigung beginnt.1
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§ 3 PflegeZG benennt keine Maximalfrist, innerhalb derer die Pflegezeit längstens angekündigt werden kann. Dies macht die Inanspruchnahme von Pflegezeit anfällig für Missbrauch. In Betracht kommt, dass Beschäftigte die Pflegezeit innerhalb der ersten sechs Monate des Beschäftigungsverhältnisses ankündigen, um so nach Ablauf der temporären Unkündbarkeit in den Genuss von Kündigungsschutz nach dem KSchG zu kommen. Möglich erscheint auch das Szenario, dass der Beschäftigte die Inanspruchnahme einer behaupteten Pflegezeit Monate im Voraus anzeigt, um einer drohenden Kündigung zuvorzukommen.
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In der Literatur wird versucht, diesen Missständen durch Konstruktion einer Maximalfrist vorzubeugen. Teilweise wird vertreten, § 5 Abs. 1 PflegeZG sei teleologisch zu reduzieren und die Mindestfrist von zehn Tagen müsse gleichsam eine Maximalfrist für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes darstellen.2 Zum Teil wird auch eine Analogie zu § 18 BEEG befürwortet, sodass der Sonderkündigungsschutz längstens acht Wochen vor Beginn der Pflegezeit eingreifen soll.3 Gegen eine Analogie spricht der erklärte Wille des Gesetzgebers, sich für die Ausgestaltung der Pflegezeit an den §§ 15 ff. BEEG orientieren zu wollen. Dass die Ankündigungsfrist planwidrig nicht übernommen wurde, ist daher kaum vorstellbar.
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Damit bleibt nach geltendem Recht als einziges Korrektiv der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB).4 Hierfür ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Es müssen objektive Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschäftigten bestehen. In der Praxis ist dies nur schwer nachzuweisen.
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Ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten kann beispielsweise die zeitliche Nähe der Ankündigung der Pflegezeit zu einer zuvor von dem Arbeitgeber in Aussicht gestellten Kündigung darstellen5 oder wenn der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat erfährt, dass der Arbeitgeber das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG eingeleitet hat6.
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Aufgrund der unbefriedigenden Lösung des Gesetzes erscheint eine Nachbesserung durch den Gesetzgeber unumgänglich. Änderungsvorschläge bestehen in Bezug auf die fehlende Wartezeit, angelehnt an die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB die Wartezeit bis zur Zustimmung der Behörde zur Kün-
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Müller, BB 2008, 1058 (1061). Rose/Dörstling, DB 2008, 2137 (2141). Linck, BB 2008, 2738 (2743); Boemke, in: Gaul: Aktuelles Arbeitsrecht I/2008, S. 39. ArbG Stuttgart v. 24.9.2009 – 12 Ca 1792/09, BB 2010, 705; Joussen, NZA 2009, 69 (74); KR/Treber, §§ 1–8 PflegeZG Rz. 55; Waldenmaier/Langenhahn-Komus, RdA 2008, 312 (313). 5 ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG Rz. 2. 6 Baeck/Winzer, NZG 2008, 703.
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Teil 11 Rz. 38
Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
digung zu hemmen oder eine in Anspruch genommene Pflegezeit nicht auf die Wartezeit anzurechnen.1 Um dem Problem weit im Vorhinein angezeigter Pflegezeiten zu begegnen erscheint wie bei der Anzeige der Elternzeit eine Maximalfrist von sechs Wochen sachgerecht.
D. Dauer des Kündigungsverbots 38
Der besondere Kündigungsschutz dauert so lange, wie die kurzzeitige Arbeitsverhinderung oder die Pflegezeit andauert. Bei der Akutpflege bedeutet dies, dass der Beschäftigte ab der Ankündigung maximal zehn Tage unkündbar ist. Hat der Beschäftigte Pflegezeit beansprucht, ist er für den in der Anzeige angegebenen Zeitraum, längstens mit Ablauf von sechs Monaten, vor Kündigungen geschützt.
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Die Pflegezeit kann pro pflegebedürftigem nahen Angehörigen nur einmal ununterbrochen bis zu einer Gesamtdauer von längstens 6 Monaten beansprucht werden. Könnte ein Beschäftigter Pflegezeiten bis zu einem Zeitkonto von sechs Monaten beliebig aufteilen und in seinem Arbeitsleben verteilen, wäre es möglich durch geschicktes zeitliches Verteilen von Ankündigung und Durchführung mehrerer Pflegezeiten nach § 3 PflegeZG einen durchgehenden Kündigungsschutz nach § 5 Abs. 1 und 2 PflegeZG zu erlangen, indem das Arbeitsverhältnis nur nach ausnahmsweiser Zulässigkeitserklärung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde gekündigt werden könnte.2
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Die Pflegezeit kann allerdings auch vorzeitig enden, wenn einer der in § 4 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG abschließend genannten Umstände eintritt. Die Pflegezeit endet, wenn die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen entfällt (Alt. 1), z.B. wegen dessen Genesung. Ebenso endet die Pflegezeit, wenn die häusliche Pflege des nahen Angehörigen unmöglich oder unzumutbar wird (Alt. 2). In Betracht kommt hier die Aufnahme des nahen Angehörigen in eine stationäre Pflegeeinrichtung oder dessen Tod. Die Pflegezeit endet dann kraft Gesetzes vier Wochen nach Eintritt der veränderten Umstände. Da der Arbeitgeber zur Organisation der betrieblichen Abläufe ein berechtigtes Interesse daran hat, frühzeitig zu erfahren, ob der Beschäftigte vorzeitig seine Tätigkeit wieder aufnimmt, muss ihn der Arbeitnehmer über die veränderten Umstände unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB in Kenntnis setzen, § 4 Abs. 2 Satz 2 PflegeZG. Versäumt der Arbeitnehmer die unverzügliche Unterrichtung, so hat dies keine Auswirkungen auf den Lauf der vierwöchigen Frist. In Betracht kommen allerdings arbeitsrechtliche Konsequenzen. Eine sonstige Verkürzung der Pflegezeit bedarf der Zustimmung des Arbeitgebers, § 4 Abs. 2 Satz 3 PflegeZG.
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Will der Arbeitnehmer eine für einen kürzeren als den Maximalzeitraum von sechs Monaten in Anspruch genommene Pflegezeit nachträglich verlängern, ist er hierbei ebenso auf die Zustimmung des Arbeitgebers angewiesen, § 4 1 Linck, BB 2008, 2738 (2743); Preis/Nehring, NZA 2008, 729 (736). 2 ArbG Stuttgart v. 24.9.2009 – 12 Ca 1792/09, BB 2010, 705.
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Rz. 46 Teil 11
Rechtsfolgen/Behördliche Zulassung
Abs. 1 Satz 2 PflegeZG. Der Arbeitnehmer kann eine Verlängerung verlangen, wenn ein vorgesehener Wechsel in der Person des Pflegenden aus einem wichtigen Grund nicht erfolgen kann, § 4 Abs. 1 Satz 3 PflegeZG. Der besondere Kündigungsschutz nach dem PflegeZG hat keine Nachwirkung. Er endet also mit dem Ende der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder der Pflegezeit. Aber auch nach Ablauf der Inanspruchnahme darf der Arbeitgeber nicht wegen der Arbeitsverhinderung kündigen. Dem steht das Maßregelungsverbot des § 612a BGB entgegen.1
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E. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Kündigungsverbot Das Kündigungsverbot des § 5 Abs. 1 PflegeZG gilt sowohl für ordentliche als auch für außerordentliche Kündigungen, einschließlich Änderungskündigungen.2 Eine trotz Vorliegen des besonderen Kündigungsschutzes ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig.3 Es besteht keine Heilungsmöglichkeit.
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Ein vorheriger Verzicht auf den Sonderkündigungsschutz nach § 5 Abs. 1 PflegeZG ist nicht möglich. Nach § 8 PflegeZG sind die Vorschriften des PflegeZG zu Lasten der Beschäftigten unabdingbar. Da es der Beschäftige in der Hand hat, nach einer ausgesprochenen Kündigung die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG verstreichen zu lassen und damit die Wirksamkeitsfiktion des § 7 KSchG auszulösen, ist ein nachträglicher Verzicht gleichwohl möglich.
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F. Behördliche Zulassung der Arbeitgeberkündigung In besonderen Fällen kann eine Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ausnahmsweise für zulässig erklärt werden, § 5 Abs. 2 PflegeZG. Wie im Rahmen des MuSchG und des BEEG soll dem Arbeitgeber dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, den Beschäftigten in außergewöhnlichen Fällen, etwa bei einer beabsichtigten Betriebsschließung, mit vorheriger behördlicher Zustimmung auch während der Pflegezeit kündigen zu können.
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Insofern wird auf die Ausführungen zum MuSchG (Teil 6 Rz. 53 ff.) verwiesen.
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1 ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG Rz. 2; SPV/Vossen, Rz. 1632. 2 Joussen, NZA 2009, 69 (73); Rose/Dörstling, DB 2008, 2137. 3 ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG Rz. 1; Müller, BB 2008, 1058 (1064).
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Teil 11 Rz. 47
Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit
G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen 47
Das Verbot des § 5 Abs. 1 PflegeZG gilt nur in Bezug auf arbeitgeberseitige Kündigungen. § 5 Abs. 1 PflegeZG steht damit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen nicht entgegen. War das Arbeitsverhältnis wirksam zeitlich befristet, endet es mit Ablauf der Befristung, unabhängig davon, ob der Beschäftigte zu diesem Zeitpunkt Sonderkündigungsschutz nach § 5 Abs. 1 PflegeZG genießt.
H. Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz 48
Der besondere Kündigungsschutz nach § 5 Abs. 1 PflegeZG steht neben anderen Sonderkündigungsschutztatbeständen, z.B. § 9 MuSchG, § 18 BEEG. Besteht in diesem Fall Sonderkündigungsschutz nach mehrere Tatbeständen, muss der Arbeitgeber für eine wirksame Kündigung die Voraussetzungen aller Sonderkündigungstatbestände kumulativ erfüllen.
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Teil 12 Kündigungsschutzprozess
A. Ziel der Kündigungsschutzklage I. Feststellung des Nichteintritts einer Gestaltungswirkung 1. Feststellung eines Rechtsverhältnisses, gesetzliches Feststellungsinteresse Die sozial ungerechtfertigte Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG kraft Gesetzes unwirksam. Dies macht eine Kündigungsschutzklage jedoch nicht entbehrlich. Denn ohne die gerichtliche Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung wird nach Ablauf der in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehenen Klagefrist der Mangel der Sozialwidrigkeit der Kündigung gemäß § 7 KSchG geheilt mit der Folge, dass die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam gilt. Gleiches gilt auch für die „aus anderen Gründen“ rechtsunwirksame Kündigung. Die Kündigungsschutzklage ist deshalb zwar nicht erforderlich, um die Unwirksamkeit einer zunächst wirksamen Kündigung herbeizuführen und damit rechtsgestaltend eine Veränderung des bis zum Urteilszeitpunkt bestehenden materiellen Rechtszustandes zu bewirken. Sie ist jedoch notwendig, um die bereits bestehende Nichtigkeit der Kündigung aufrechtzuerhalten, indem eine Heilung nach § 7 KSchG verhindert wird. Daraus wird nach ganz überwiegender Auffassung gefolgert, dass es sich bei der vom Arbeitnehmer zu erhebenden Klage nicht um eine Gestaltungsklage handelt, sondern um eine Feststellungsklage.1 Diese Auffassung ist zutreffend. Zwar ist zuzugeben, dass die Kündigungsschutzklage auch ein rechtsgestaltendes Element enthält, da sie, sofern sie erfolgreich ist, die Heilung der Sozialwidrigkeit nach § 7 KSchG ausschließt.2 Dies ändert aber nichts daran, dass es in der Klage um die Feststellung der zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs bestehenden Rechtslage geht und nicht um eine Veränderung derselben.
1
Mit der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG begehrt der Arbeitnehmer die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst wurde. Der dem Gesetzeswortlaut entsprechende Klageantrag ist dann auch bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Arbeitsgericht hat im Übrigen nach § 139 Abs. 1 ZPO die Pflicht, auf die Stellung eines entsprechenden Antrags hinzuwirken.3 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG beinhaltet zudem die stattgebende rechtskräftige Entscheidung über einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG zugleich die Feststellung, dass zum vorgesehenen
2
1 BAG GS v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702; v. 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, NZA 1986, 761; v. 2.4.1987 – 2 AZR 418/86, NZA 1987, 808; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 24; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 18 f.; Löwisch, DB 1986, 2433; Künzl, DB 1986, 1280. 2 Vgl. Hueck, Anm. Zu BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 (n.v.).
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Teil 12 Rz. 3
Kündigungsschutzprozess
Auflösungszeitpunkt überhaupt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat.1 Es wird also neben der Feststellung der Unwirksamkeit einer Willenserklärung (= der Kündigung) zugleich auch über das Bestehen rechtlicher Bindungen zwischen den Parteien entschieden. Dies wird zu Recht damit begründet, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum in der Kündigung festgelegten Beendigungszeitpunkt denknotwendige Voraussetzung für die Feststellung ist, dass die Kündigung nicht zu seiner Auflösung geführt hat (vgl. hierzu auch Rz. 19 ff.). 3
Die weitergehende rechtskräftige Feststellung des Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist dagegen nicht Gegenstand der Feststellung nach § 4 Satz 1 KSchG. Sie kann nur durch Erhebung einer entsprechend lautenden allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO erreicht werden (vgl. unter Rz. 26 ff.). Dabei ist zu beachten, dass an die Zulässigkeit einer allgemeinen Feststellungsklage strengere Voraussetzungen geknüpft sind als an einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG. Der Klageantrag nach § 256 ZPO muss gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den erhobenen Anspruch nach Inhalt und Umfang konkret bezeichnen und die Art der Klage ergeben.2 Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. In arbeitsrechtlichen Streitigkeiten beschränken sich Feststellungsbegehren häufig auf den Umfang von Vergütungs- und Arbeitsleistungspflichten. Bei derartigen Klageanträgen folgt das Feststellungsinteresse daraus, dass die Klage geeignet ist, den Streit der Parteien über den Umfang künftiger gegenseitiger Leistungspflichten zu bereinigen.3
4
Anders als die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO erfordert die Feststellungsklage nach § 4 Satz 1 KSchG nicht den Nachweis eines besonderen Feststellungsinteresses. Denn ein solches ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 7 KSchG, wonach ohne die Klageerhebung die sozialwidrige Kündigung als wirksam gilt.4 Für diesen Fall wird damit das Feststellungsinteresse durch das Gesetz unterstellt.
5
Dennoch gibt es Fälle, in denen das Interesse des Arbeitnehmers an der Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung fehlt. Kein Feststellungsinteresse besteht beispielsweise, wenn das Arbeitsverhältnis spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund eines anderen Beendigungstatbestandes aufgelöst wird und dies zwischen den Parteien unstreitig bzw. rechtskräftig entschieden 1 So BAG v. 12.1.1977 – 5 AZR 593/75, DB 1977, 961; v. 5.10.1995 – 2 AZR 909/94, NZA 1996, 651; v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706; zust. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 255; Schaub, NZA 1990, 85 (86); a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 137; Schwerdtner, NZA 1987, 263 (265 f.); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1900; Grunsky, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969; vgl. dazu unter II.1. 2 BAG v. 23.1.2007 – 9 AZR 557/06, NZA 2007, 1166. 3 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, SAE 2008, 365 (n.v.). 4 BAG v. 11.2.1981 – 7 AZR 12/79, DB 1981, 2233, mit zust. Anm. v. Wolf; v. 4.2.1993 – 2 AZR 453/92 (n.v.); KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 26; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 38.
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Mues
Feststellung des Nichteintritts einer Gestaltungswirkung
Rz. 8 Teil 12
worden ist.1 Auch der nach Ausspruch der Kündigung erklärte wirksame Verzicht des Arbeitnehmers auf gerichtliche Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung führt zur Unzulässigkeit der dennoch erhobenen Kündigungsschutzklage.2 Das Feststellungsinteresse fehlt schließlich dann, wenn eine vom Arbeitnehmer als Kündigung ausgelegte Erklärung des Arbeitgebers objektiv gar keine Kündigungserklärung darstellt, und auch nicht die Gefahr besteht, dass ihr bei objektiver Beurteilung die Bedeutung einer Kündigung beigelegt werden könnte.3
6
Demgegenüber wird das Feststellungsinteresse nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung ein neues Arbeitsverhältnis eingeht.4 Gemäß §§ 11 KSchG, 615 BGB ist der Arbeitnehmer sogar gesetzlich verpflichtet, durch die Aufnahme einer ihm zumutbaren Beschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses den Schaden für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Es wäre aber widersinnig, wenn das Einhalten dieser Verpflichtung sich im Kündigungsschutzprozess nachteilig für ihn auswirken würde. Selbst wenn der Arbeitnehmer bei Aufnahme des neuen Arbeitsverhältnisses von Anfang an beabsichtigt, nicht in das alte Arbeitsverhältnis zurückzukehren, bleibt sein Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung bestehen.5 Begründet wird dies zu Recht damit, dass der Arbeitnehmer nur bei Unwirksamkeit der Kündigung imstande ist, den ihm gemäß § 12 Satz 4 KSchG zustehenden Anspruch auf Ersatz des entgangenen Verdienstes für die Zeit zwischen der Entlassung und dem Tag des Eintritts in das neue Arbeitsverhältnis geltend zu machen.
7
2. Verhältnis zur Leistungsklage und Inzidentfeststellung Die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst wurde, lässt sich grundsätzlich nur im Wege der Feststellungsklage erreichen. Nicht ausreichend ist es, wenn im Rahmen einer Leistungsklage lediglich inzidenter das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geprüft wird, etwa bei der Geltendmachung eines nach Ablauf der Kündigungsfrist entstandenen Lohnanspruchs.6 Denn obwohl in diesem Fall ein stattgebendes Leistungsurteil nur unter der Voraussetzung ergehen kann, dass die Kündigung unwirksam ist, ist eine der Rechtskraft fähige Feststellung diesen Inhalts nicht Bestandteil dieses Urteils. Dies folgt daraus, dass sich die Rechtskraftwirkung des Leistungsurteils nicht zugleich auf die Entscheidungsgründe erstreckt, die Unwirksamkeit der Kündigung aber nur dort zur Begründung des Lohn1 BAG v. 11.2.1981 – 7 AZR 12/79, DB 1981, 2233; mit zust. Anm. v. Wolf; APS/Ascheid/ Hesse, § 4 KSchG Rz. 25. 2 LAG Frankfurt/M. v. 24.5.1991 – 15 Sa 41/90, LAGE § 4 KSchG Nr. 21. 3 BAG v. 22.5.1980 – 2 AZR 613/78 (n.v.). 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 39 m.w.N. 5 BAG v. 14.1.1993 – 2 AZR 387/92, NZA 1993, 981; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 28. 6 Vgl. BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 127/75, DB 1976, 1066; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 27.
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Teil 12 Rz. 9
Kündigungsschutzprozess
anspruchs argumentativ benötigt wird.1 Auch die Klage des Arbeitnehmers auf eine über den Ablauf der Kündigungsfrist hinausgehende Weiterbeschäftigung entspricht nicht den Anforderungen des § 4 Satz 1 KSchG, zumal der Weiterbeschäftigungsanspruch – anders als der Lohnanspruch – nicht immer zwingend die Unwirksamkeit der Kündigung voraussetzt.2 9
Hat der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG eine das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraussetzende Leistungsklage erhoben, ist er allerdings in entsprechender Anwendung des § 6 KSchG auch noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz berechtigt, zusätzlich den nach § 4 Satz 1 KSchG erforderlichen Feststellungsantrag zu stellen.3 Das Arbeitsgericht hat ihn gemäß § 139 ZPO auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Durch die verlängerte Anrufungsfrist wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer möglicherweise allein aufgrund seiner Unkenntnis von der begrenzten Rechtskraft des Leistungsurteils lediglich Leistungsklage erhoben und die für die Kündigungsschutzklage vorgeschriebene Drei-Wochen-Frist nicht eingehalten hat.4
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Wie durch ein stattgebendes Leistungsurteil nicht zugleich die Unwirksamkeit einer bestimmten Kündigung festgestellt wird, beinhaltet umgekehrt auch das Kündigungsschutzurteil keine Entscheidung über Leistungsansprüche des Arbeitnehmers. Insbesondere werden durch das stattgebende Urteil nicht automatisch auch Lohnansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug (§ 615 BGB) festgestellt, die bis zum Zeitpunkt des Urteilserlasses aufgelaufen sind.5 Denn die Kündigungsschutzklage ist lediglich auf die Feststellung gerichtet, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst ist, berücksichtigt also weder die anspruchsbegründenden, tatbestandlichen Voraussetzungen des § 615 BGB (z.B. ggf. Angebot der Arbeitsleistung nach §§ 294 ff. BGB) noch etwaige weitere Sachverhalte, die einem Vergütungsanspruch entgegenstehen könnten.
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Wegen der fehlenden Übereinstimmung der Streitgegenstände von Leistungsund Kündigungsschutzklage führt die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 4 KSchG auch nicht zu einer Hemmung der Verjährung eines auf § 615 BGB gestützten Lohnanspruchs durch Rechtsverfolgung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).6 Eine Unterbrechung der Verjährung durch Erhebung der Kündigungsschutzklage kommt nach § 212 Abs. 1 BGB nur in Betracht, wenn der Schuldner den Anspruch dem Gläubiger gegenüber anerkennt oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vornimmt oder beantragt. 1 Vgl. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 20. 2 Vgl. § 102 Abs. 5 BetrVG; Wolf/Pfeiffer, AuR 1985, 33 (37 f.). 3 St. Rspr. vgl. BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR699/06, NZA-RR 2008, 466 (n.v.); v. 30.11.1961 – 2 AZR 295/61, AP Nr. 3 zu § 5 KSchG 1951. 4 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 21. 5 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 30. 6 BAG v. 1.2.1960 – 5 AZR 20/58, BB 1960, 328, mit Anm. v. Hueck; v. 29.5.1961 – 5 AZR 162/59, DB 1961, 1136; v. 7.11.1991 – 2 AZR 159/91, NZA 1992, 1025, mit krit. Anm. Teske; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 150; ErfK/Kiel, § 4 KSchG Rz. 40; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 30.; krit. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 42.
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Feststellung des Nichteintritts einer Gestaltungswirkung
Rz. 13 Teil 12
Eine drohende Verjährung des Vergütungsanspruchs kann der Arbeitnehmer deshalb nur verhindern, indem er diesen im Wege einer Lohnklage geltend macht, die ggf. im Wege der objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO mit der Feststellungsklage aus § 4 Satz 1 KSchG verbunden werden kann (vgl. unter Rz. 38 ff.). Das führt zu dem für den Arbeitnehmer unbefriedigenden Ergebnis, dass er, obwohl seine Leistungsansprüche von einem erfolgreichen Kündigungsschutzurteil abhängen, diese ggf. bereits vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage gerichtlich geltend machen muss und damit im Fall der Klageabweisung gleich zweifach unterliegt. Um dies zu vermeiden, kann auch nicht angenommen werden, der Anspruch aus § 615 BGB entstehe erst mit Rechtskraft des die Nichtigkeit der Kündigung feststellenden Urteils, so dass auch seine Verjährung erst zu diesem Zeitpunkt beginnen könne.1 Dies wäre mit der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 1 KSchG, wonach die sozialwidrige Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG von Anfang an rechtsunwirksam ist, nicht vereinbar und würde dazu führen, dass der Arbeitgeber erst bei Rechtskraft des Kündigungsschutzurteils überhaupt in Annahmeverzug geraten könnte.2 Auch eine analoge Anwendung der §§ 210, 211 BGB wird von der Rspr. zu Recht abgelehnt.3
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Eine andere Frage ist, ob durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage tarifliche oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Ausschlussfristen zur Geltendmachung von Leistungsansprüchen gewahrt werden können.4 Dies ist je nach Art der Ausschlussfrist unterschiedlich zu beantworten: Sieht die Ausschlussklausel lediglich die (schriftliche oder formlose) Geltendmachung der Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist vor, genügt für die fristwahrende Geltendmachung eines derartigen Anspruchs regelmäßig die Erhebung einer Kündigungsschutzklage.5 Denn damit macht der Arbeitnehmer im Regelfall deutlich, dass er neben dem Erhalt seines Arbeitsplatzes auch alle im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Ansprüche sichern will.6 Im Übrigen dienen tarifliche Ausschlussfristen der Rechtssicherheit. Die Ausschlussfrist soll die Parteien des Arbeitsverhältnisses zur alsbaldigen Geltendmachung und Klärung ihrer Ansprüche veranlassen.7 Sie bezweckt, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt. Handelt es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber, soll dieser durch die Ausschlussfristen in die Lage versetzt werden, notwendige
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Larenz, Anm. zu BAG v. 1.2.1960 – 5 AZR 20/58, SAE 1960, 81. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 41. BAG v. 7.11.1991 – 2 AZR 159/91, AP Nr. 6 zu § 209 BGB mit Anm. v. Teske. Ausführlich hierzu vgl. Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 sowie Löwisch, FS Canaris zum 70. Geburtstag, 1403. 5 BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02, DB 2004, 439; v. 7.11.1991 – 2 AZR 34/91, AP Nr. 114 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; v. 16.6.1976 – 5 AZR 224/75, AP Nr. 56 zu § 4 TVG Ausschlussfristen mit Anm. v. Wiedemann. 6 Vgl. BAG v. 9.8.1990 – 2 AZR 579/89, DB 1991, 498 (499); zust. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 38; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 152. 7 BAG v. 18.11.2004 – 6 AZR 512/03 – EzA BAT BAT § 29 Nr. 39; ErfK/Preis, § 218 BGB Rz. 32.
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Teil 12 Rz. 14
Kündigungsschutzprozess
Haushaltsmittel so zu veranschlagen, dass Nachforderungen in engen Grenzen gehalten werden können. Somit dienen Ausschlussfristen auch dem Schutz des Arbeitgebers. Wenn ein Vergütungsanspruch jeweils am 15. eines Monats fällig wird, ist er entsprechend geltend zu machen. Geschieht dies nicht, so wirken im Einzelfall tarifliche Ausschlussfristen.1 14
Verlangt der Tarifvertrag dagegen eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche, kann die vorgeschriebene Ausschlussfrist nur durch Erhebung einer entsprechenden Zahlungsklage gewahrt werden. Die Kündigungsschutzklage ersetzt nicht die gerichtliche Geltendmachung der Zahlungsansprüche, da im Kündigungsschutzprozess nur das Weiterbestehen des gekündigten Arbeitsverhältnisses prozessualer Streitgegenstand ist, nicht aber die damit verbundenen Forderungen.2
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Einige Tarifverträge sehen vor, dass der Arbeitnehmer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach erfolgloser schriftlicher oder formloser Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber innerhalb einer bestimmten Frist nach Ablehnung gerichtlich geltend zu machen hat (sog. zweistufige Ausschlussklausel, vgl. z.B. § 16 BRTV-Bau) oder § 24 MTV Mitteldeutsche Braunkohlenindustrie. Zu beachten ist jedoch, dass die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen vereinbarte Frist gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB drei Monate betragen muss, wohingegen die Rechtsprechung Tarifvertragsparteien bei Vereinbarung einer zweistufigen Ausschlussklausel eine derartige Mindestfrist bislang nicht auferlegt hat.3 Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre es allerdings wünschenswert, wenn sich die Tarifvertragsparteien der zu den AGB-Verfallklauseln ergangenen Rechtsprechung anpassen würden.
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Die Kündigungsschutzklage kann auch hier lediglich für die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs (1. Stufe) fristwahrend wirken. Die für die 2. Stufe geforderte gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs kann sie hingegen nicht ersetzen, so dass es auch hier der fristgerechten Zahlungsklage bedarf, um einen Verfall des Anspruchs zu verhindern.4 Dies gilt allerdings nur, soweit es sich um tariflich vereinbarte Ausschlussfristen handelt. Ist hingegen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – zweistufig – zum einen geregelt, dass alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen sind und im Falle ihrer Ablehnung durch die Gegenseite binnen einer Frist von drei Monaten einzuklagen sind und wird hierin eine spätere Geltendmachung ausgeschlossen, so gereicht sowohl für die 1. Stufe (schriftliche Geltendmachung des Anspruchs) als auch für die 2. Stufe das fristgerechte Einreichen einer Kündigungsschutzklage zu einer Vermeidung des Erlöschens der vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhängigen Annahmeverzugs1 2 3 4
BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 222/07, NZA 2008, 478. Vgl. BAG v. 8.8.2000 – 9 AZR 418/99, DB 2001, 436 m.w.N. aus der Rspr. BAG v. 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699 (n.v.). BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, NZA 1991, 726; v. 9.8.1990 – 2 AZR 579/89, NZA 1991, 226; v. 22.2.1978 – 5 AZR 805/76, BB 1978, 912; v. 3.11.1961 – 1 AZR 302/60, SAE 1962, 155.
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Feststellung des Nichteintritts einer Gestaltungswirkung
Rz. 17 Teil 12
ansprüche. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nämlich nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.1 Danach kann eine Formulierung, wonach „Ansprüche“ einzuklagen sind, von einem nicht rechtskundigen Durchschnittsarbeitnehmer nicht so verstanden werden, dass nur die Erhebung einer bezifferten Leistungsklage diesem Erfordernis genügt. Er darf sie vielmehr so verstehen, dass jede prozessuale Auseinandersetzung über den Anspruch seine Obliegenheit erfüllt.2 Insoweit gingen etwaigen, ggf. auf die Rechtsprechung des BAG zu zweistufigen Ausschlussfristen in Tarifverträgen zurückgehende Auslegungszweifel nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.3 Zu beachten ist ferner, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte zweistufige Verfallklauseln teilbar sind. Wenn eine Stufe der Verfallklausel unwirksam ist, bedeutet dies nicht, dass dadurch die gesamte Verfallklausel unwirksam wird.4 § 306 Abs. 1 BGB enthält eine kodifizierte Abweichung von der Auslegungsregel des § 139 BGB und bestimmt, dass bei Teilnichtigkeit grundsätzlich der Vertrag im Übrigen aufrecht erhalten bleibt. Dieser Grundsatz gilt im Arbeitsrecht ohnehin allgemein.5 Soweit die Klausel nicht teilbar ist, tritt an ihre Stelle gemäß § 306 Abs. 2 das Gesetz. Die Teilbarkeit der Klausel ist mittels einer Streichung des unwirksamen Teils mit einem „blauen Stift“ zu ermitteln.6 Ist die verbleibende Regelung weiterhin verständlich, bleibt sie bestehen. Maßgeblich ist, ob sie mehrere sachliche Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar ist. Gegenstand der Inhaltskontrolle sind dann für sich jeweils verschiedene, nur formal verbundene AGB-Bestimmungen.7
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Frist für die gerichtliche Geltendma-
chung des Anspruchs mit Ablehnung der auf der 1. Stufe erfolgten Geltendmachung zu laufen beginnt. Eine solche Ablehnung ist im Rahmen der Kündigungsschutzklage in der Regel bereits in dem entsprechenden Abweisungsantrag des Arbeitgebers zu sehen, so dass der Arbeitnehmer auch aus diesem Grund noch vor einer Entscheidung im Kündigungsschutzprozess zur Erhebung der Zahlungsklage gehalten sein kann.8 Jedenfalls reicht ein Klageabweisungsantrag des Arbeitgebers als Ablehnung der auf der 1. Stufe durch den Arbeitnehmer erfolgten Geltendmachung von Zahlungsansprüchen dann aus und es bedarf keiner ausdrücklichen schriftlichen Ableh-
1 2 3 4 5 6 7 8
St. Rspr., vgl. BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 m.w.N. BAG v. 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757 (n.v.). BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 675/05, BAGE 119, 248, 253. BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, BAGE 115, 19; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB, Rz. 103; Preis/Roloff, RdA 2005, 144, 158. Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 342 m.w.N. sog. „Blue Pencil-Test“, vgl. BAG v. 21.4.2005 – 8 AZR 425/04, NZA 2005, 1053 (n.v.). BAG v. 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699. Dazu kritisch: KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 46 wonach in derartigen Fällen die §§ 210, 211 BGB n.F. entsprechend anzuwenden sind.
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Teil 12 Rz. 18
Kündigungsschutzprozess
nungserklärung, wenn die Verfallklausel nur eine schriftliche Ablehnung verlangt.1 Soweit der 9. Senat des BAG im Urteil v. 11.12.20012 die Auffassung vertreten hat, durch den Klageabweisungsantrag des Arbeitgebers im Kündigungsrechtsstreit werde bei einer zweistufigen Ausschlussfrist die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt, wenn hierfür die schriftliche Ablehnung der Ansprüche wegen Annahmeverzugs erforderlich sei, hat der 5. Senat hieran nicht mehr festgehalten.3 Den Tarifparteien steht es jedoch frei, den Beginn der Frist für die Zahlungsklage erst nach rechtskräftiger Beendigung der Kündigungsschutzklage zu vereinbaren (so geschehen in § 16 Abs. 2 Satz 3 BRTV-Bau). 18
Sieht eine zweistufige Ausschlussklausel vor, dass die Ausschlussfrist für die Geltendmachung der vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängigen Ansprüche erst mit dem Abschluss des Kündigungsschutzprozesses beginnt, kann der Arbeitnehmer solche Ansprüche vor diesem Zeitpunkt nicht fristwahrend geltend machen.4
II. Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage 1. Wirksamkeit einer konkreten Kündigung als punktueller Streitgegenstand 19
Nach § 4 Satz KSchG ist die Kündigungsschutzklage auf die Feststellung gerichtet, dass „das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist“. Entspricht der Feststellungsantrag des Arbeitnehmers dieser Formulierung, so beschränkt sich der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage und damit auch die Rechtskraft des stattgebenden Urteils allein auf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch die im konkreten Fall angegriffene Kündigung zu dem darin vorgesehenen Kündigungstermin beendet worden ist oder nicht (sog. punktueller Streitgegenstand).5 Nicht Gegenstand des Rechtsstreits soll dagegen der Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt sein6, mithin die Frage, ob das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch fortbesteht oder ob es evtl. durch andere, nach Zugang der Kündigung eingetretene Umstände (z.B. eine später ausgesprochene Kündigung) aufgelöst worden ist (zur Geltendmachung weiterer Auflösungstatbestände vgl. Rz. 26 ff.).
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Für die Theorie vom punktuellen Streitgegenstand spricht zunächst der Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG, der ausdrücklich auf eine bestimmte Kündigung, nämlich die vom Arbeitnehmer als unwirksam angesehene Kündigung, Bezug 1 BAG v. 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NZA 2006, 845 unter Aufgabe von BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 510/00, EzA-SD 2002, Nr. 9, 15–16 (n.v.) und unter Bestätigung von BAG v. 20.3.1986 – 2 AZR 295/85, EzA § 615 BGB Nr. 48 zu B II 2b der Gründe. 2 Vgl. BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 510/00 – EzA TVG § 4 Ausschlussfrist Nr. 145. 3 Vgl. BAG v. 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, BAGE 118, 60. 4 BAG v. 22.10.1980 – 5 AZR 453/78, AP Nr. 69 zu § 4 TVG Ausschlussfristen. 5 St. Rspr. vgl. BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 360/05, NZA 2007, 229; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, NZA 1997, 844 m.w.N.; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 118; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 225; Boewer, NZA 1997, 359 (360). 6 So aber Bötticher, FS für Herschel, S. 181; ders. BB 1959, 1032 ff.; Zeuner, MDR 1956, 257 ff.; Güntner, AuR 1974, 97 (257 ff.); ders. DB 1975, 1267 (1270 f.).
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Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage
Rz. 23 Teil 12
nimmt. Neben diesem formalen Argument sind auch Fälle denkbar, in denen der Arbeitnehmer ein rechtliches Interesse daran hat, dass nur über die konkret von ihm angegriffene Kündigung gerichtlich entschieden wird und nicht auch über andere, später hinzugetretene Beendigungsgründe. Macht beispielsweise der Arbeitnehmer bereits während des Kündigungsschutzprozesses von seinem Verweigerungsrecht aus § 12 Satz 1 KSchG Gebrauch1, indem er seinem bisherigen Arbeitgeber mitteilt, das Arbeitsverhältnis bei erfolgreicher Klage nicht fortsetzen zu wollen, erlischt das Arbeitsverhältnis mit Zugang dieser Erklärung. Eine auf die Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses gerichtete Klage müsste demnach abgewiesen werden mit der Folge, dass auch der Annahmeverzugsanspruch des Arbeitnehmers aus § 12 Satz 4 KSchG komplett entfiele. Mit der rechtskräftigen Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die konkret angegriffene Kündigung nicht aufgelöst worden ist, erreicht der Arbeitnehmer demgegenüber eine Sicherung seiner Vergütungsansprüche bis zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch seine Nichtfortsetzungserklärung.2 Nach zutreffender Auffassung wird mit der Entscheidung über die Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung zugleich rechtskräftig festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung auch ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat.3
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Dies folgt daraus, dass die Feststellung des § 4 Satz 1 KSchG, das Arbeitsverhältnis sei durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden, nur unter der Voraussetzung überhaupt denkbar ist, dass zunächst ein der Auflösung fähiges Arbeitsverhältnis vorgelegen hat. Die teilweise vertretene Ansicht, wonach der Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen Kündigung lediglich eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage des Kündigungsschutzprozesses handele4, berücksichtigt nicht, dass der punktuelle Streitgegenstand entsprechend dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG zwei Komponenten enthält, nämlich zum einen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bei Zugang der Kündigung und zum anderen die Wirksamkeit dieser Kündigung.
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Würde im Kündigungsschutzurteil lediglich die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt, käme es zudem zu dem widersinnigen Ergebnis, dass der Arbeitgeber auch nach Abschluss eines erfolgreich durchgeführten Kündigungsschutzprozesses möglicherweise noch geltend machen könnte, dass zum Kündigungszeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gar nicht bestanden habe oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt beendet worden sei.5
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1 Zur Zulässigkeit der vorzeitigen Nichtfortsetzungserklärung vgl. BAG v. 19.10.1972 – 2 AZR 150/72, AP Nr. 1 zu § 12 KSchG 1969. 2 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 137. 3 BAG v. 12.6.1986 – 2 AZR 426/85, AP 17 zu § 4 KSchG 1969; v. 30.8.1993 – 2 AZB 6/93, AP Nr. 6 zu § 17a GVG; v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, AP Nr. 44 zu § 4 KSchG 1969; ebenso Schaub, NZA 1990, 85 (86); KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 225/255; APS/ Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 134. 4 V. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 137 m.w.N.; Schwerdtner, NZA 1987, 263 ff.; Grunsky, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969; Wolf, Anm. zu BAG AP Nr. 8 zu § 4 KSchG 1969. 5 So auch KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 255; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 134.
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Kündigungsschutzprozess
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Die Kündigungsschutzklage ist nicht lediglich auf die Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung beschränkt. Gegenstand des Rechtsstreits ist vielmehr die Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.1
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Die Abweisung der Klage beinhaltet folglich nicht nur die Feststellung, dass die angegriffene Kündigung sozial gerechtfertigt war, sondern auch die Feststellung, dass die Kündigung insgesamt wirksam war und dementsprechend zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Dies führt dazu, dass der Arbeitnehmer sich nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht mehr mit Erfolg auf andere, diese konkrete Kündigung betreffende Mängel berufen kann.2 2. Einbeziehung weiterer Beendigungstatbestände: Fortsetzungsfeststellungszusatz des Klageantrags
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Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG ist entsprechend den zuvor geschilderten Grundsätzen auf die Feststellung der Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung begrenzt. Sind nach Zugang der angegriffenen Kündigung weitere mögliche Beendigungstatbestände entstanden, etwa durch einen zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrag, durch die Anfechtung des Arbeitsvertrages oder durch eine zusätzlich ausgesprochene Kündigung, kann sich deshalb der Arbeitnehmer grundsätzlich nur dann auf deren Unwirksamkeit berufen, wenn er entweder einen gesonderten Kündigungsschutzprozess anstrengt oder – was auch der Kostenersparnis dienen kann – die neuen Auflösungsgründe durch Klageerweiterung in das erste Verfahren mit einbezieht. Dies geschieht durch ergänzenden Sachvortrag und durch eine entsprechende Erweiterung des Klageantrags, die – soweit es sich bei dem weiteren Beendigungstatbestand um eine Kündigung unter Geltung des KSchG handelt – innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG zu erfolgen hat.
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Das Erfordernis eines fristgerechten Angriffs jeder erneuten Kündigung ist für den Arbeitnehmer jedoch nicht selten problematisch. Denn häufig ist es zweifelhaft, ob Erklärungen des Arbeitgebers nur als Bestätigung einer früheren Kündigung gemeint sind oder neue, vorsorgliche Kündigungen darstellen; zudem werden oftmals während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses in Schriftsätzen weitere Kündigungen erklärt, die für den Arbeitnehmer als solche nicht ohne weiteres erkennbar sind.3 Um das Risiko auszuschalten, dass der Arbeitnehmer, der eine Folgekündigung übersehen und deshalb nicht rechtzeitig innerhalb von 3 Wochen erneut Kündigungsschutzklage erhoben hat, nur aufgrund dieser formalen Gründe seinen Arbeitsplatz verliert, hat das BAG4 dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt, gemäß § 260 ZPO den 1 BAG v. 12.1.1977 – 5 AZR 593/75, AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. Grunsky; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 227; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 119; a.A. Bettermann, ZfA 1985, 211 (214). 2 BAG v. 12.1.1977 – 5 AZR 593/75, AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. Grunsky; v. 12.6.1986 – 2 AZR 426/85, AP Nr. 17 zu § 4 KSchG 1969. 3 BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969; Bitter, DB 1997, 1407. 4 BAG v. 12.5.2005 – 2 AZR 426/04, NZA 2005, 1259; v. 10.10.2002 – 2 AZR 622/01, NZA 2003, 684; v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, NZA 1988, 651.
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Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage
Rz. 30 Teil 12
Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG mit einem auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichteten Feststellungsantrag nach § 256 ZPO zu verbinden und auf diese Weise auch ohne erneute Klageerhebung weitere Kündigungen, die der Arbeitgeber bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ausspricht, gleichsam mit dem „Schleppnetz“ des allgemeinen Feststellungsantrags „einzufangen“.1 Im Unterschied zu dem auf die Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung begrenzten Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG hat der Antrag nach § 256 ZPO nämlich ganz allgemein die Frage zum Gegenstand, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz fortbesteht und erfasst damit in der Regel von vornherein alle über die streitgegenständliche Kündigung hinausgehenden weiteren Kündigungen und sonstigen Beendigungssachverhalte, und zwar unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt sie als Sachvortrag in den Prozess eingeführt wurden.2 Einstweilen frei.
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Ob der Arbeitnehmer tatsächlich neben dem Kündigungsschutzantrag einen allgemeinen Feststellungsantrag anhängig machen wollte, muss durch Auslegung ermittelt werden. Der üblicherweise an den Kündigungsschutzantrag („festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom … zum … nicht aufgelöst wird,“) angehängte Zusatz („sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht“) deutet für sich genommen noch nicht darauf hin, dass eine selbständige Feststellungsklage erhoben wurde, da diese Formulierung auch als bloße Verdeutlichung der Folgen einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage und damit als Teil des Antrags nach § 4 Satz 1 KSchG verstanden werden kann.3 Sofern sich aus dem Vortrag des Arbeitnehmers keinerlei Ausführungen zu der Frage ergeben, was mit dem o.g. Zusatz bezweckt wird, ist deshalb nicht von einem prozessual eigenständigen Feststellungsantrag auszugehen, so dass insgesamt nur über den Feststellungsantrag nach § 4 Satz 1 KSchG zu entscheiden ist.
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Bei Zweifeln über das Vorliegen eines allgemeinen Feststellungsantrags ist allerdings das Gericht gemäß § 139 ZPO verpflichtet, auf eine entsprechende Aufklärung des Antragsgegenstands hinzuwirken.4 Bringt der Kläger auf entsprechende richterliche Nachfrage zum Ausdruck, er habe nur den Inhalt des § 4 Satz 1 KSchG dahin gehend unterstreichen wollen, dass bei Unwirksamkeit der angegriffenen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbestehe, ist der zusätzliche Antrag prozessrechtlich ohne Bedeutung. Beruft sich der Kläger hingegen darauf, es könne ja sein, dass der Beklagte irgendwann einmal eine Erklärung abgebe, die eine Kündigung darstellen könnte, handelt es sich um einen selb-
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1 Vgl. Bitter, DB 1997, 1407. 2 BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969; v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969; v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969; v. 7.12.1995 – 2 AZR 772/94, AP Nr. 33 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. v. Boemke; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 247; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 20. 3 Vgl. BAG v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969. 4 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93; v. 7.12.1995 – 2 AZR 772/94, AP Nr. 28, 33 zu § 4 KSchG 1969.
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Kündigungsschutzprozess
ständigen Feststellungsantrag, der allerdings in Ermangelung eines konkreteren Vortrags zu einem weiteren Beendigungssachverhalt wegen fehlenden Feststellungsinteresses als unzulässig abzuweisen ist.1 31
Die Darlegung eines besonderen Feststellungsinteresses nach § 256 ZPO ist für die Annahme eines selbständigen Antrags nicht erforderlich. Vielmehr kann auch ein unzulässiger Feststellungsantrag ein eigenständiges, über den Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage hinausgehendes Klagebegehren bilden.2
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Stellt sich der Fortsetzungsfeststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis über den genannten Kündigungstermin fortbesteht, nach diesen Grundsätzen als selbständiger Klageantrag nach § 256 ZPO dar, so ist dieser nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer ein besonderes Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 ZPO darlegen kann. Dazu ist es erforderlich, dass er durch Tatsachenvortrag weitere Kündigungen bzw. sonstige Beendigungstatbestände in den Prozess einführt bzw. zumindest darstellt, aufgrund welcher konkreten Umstände die Möglichkeit einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht.3 Befasst sich die Antragsbegründung ausschließlich mit der Frage, ob eine vom Arbeitgeber ausgesprochene bestimmt bezeichnete Kündigung wirksam ist, ist der Feststellungsantrag als unzulässig abzuweisen. Denn die nicht näher dargelegte, lediglich abstrakte Möglichkeit einer Geltendmachung weiterer Auflösungstatbestände durch den Arbeitgeber reicht für die Begründung eines Feststellungsinteresses nicht aus.4
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Das Beibringen von untermauernden Tatsachen für das Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO ist nach Ansicht des BAG über die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG hinaus noch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz möglich.5 Begründet wurde dies zu Recht mit dem Grundgedanken des § 6 KSchG a.F.:6 Diese Regelung gestattete es dem Arbeitnehmer, der gegen eine Kündigung aus anderen Gründen rechtzeitig geklagt hatte, sich auch nach Ablauf der 3-Wochen-Frist noch auf die Sozialwidrigkeit dieser Kündigung zu berufen. Der gleiche Grundgedanke kommt nun auch in dem neu gefassten § 6 KSchG zum Ausdruck, wonach sich der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger Kündigungsschutzklage unabhängig von der Klagefrist auf jeden anderen Unwirksamkeitsgrund berufen kann. Bei rechtzeitiger Erhebung einer 1 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz. 767. 2 BAG v. 7.12.1995 – 2 AZR 772/94, AP Nr. 33 zu § 4 KSchG 1969; anders noch BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969; v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG, wonach bei fehlender Begründung des allg. Feststellungsinteresses kein gegenüber dem Antrag nach § 4 KSchG erweiterter Streitgegenstand vorliegt. 3 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, NZA 1997, 844; v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, NZA 1994, 812 ebenso; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 140. 4 BAG v. 7.12.1995 – 2 AZR 772/94, AP Nr. 33 zu § 4 KSchG; Boemke, RdA 1995, 211 (225); v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 130. 5 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969; ähnlich Boewer, NZA 1997, 359 (364); a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 126, 130. 6 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, DB 1997, 1418, mit Anm. v. Diller; Bitter, DB 1997, 1407 (1408).
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Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage
Rz. 34 Teil 12
Klage nach § 4 Satz 1 KSchG wird somit nach alter wie nach neuer Rechtslage eine nachträgliche Erweiterung des Streitgegenstands ausdrücklich zugelassen, wobei für die rechtzeitige Anrufung des Arbeitsgerichts nach st. Rspr. des BAG selbst eine unzulässige Klage (zunächst) ausreicht.1 Diese Grundsätze sind auch auf den (rechtzeitig gestellten) Feststellungsantrag nach § 256 ZPO anwendbar: Denn wie bei rechtzeitiger Erhebung einer Klage nach § 4 Satz 1 KSchG der Arbeitgeber mit einer umfassenden gerichtlichen Auseinandersetzung über die Kündigung rechnen muss, hat der Arbeitnehmer auch mit Erhebung der Klage nach § 256 ZPO dem Arbeitgeber bereits deutlich zu erkennen gegeben, in jedem Fall am Arbeitsverhältnis festhalten und gegen weitere Kündigungen vorgehen zu wollen, so dass der Zweck der §§ 4, 7 KSchG, dem Arbeitgeber möglichst rasch Klarheit über das Schicksal der (weiteren) Kündigung zu verschaffen, auch ohne Einhaltung einer erneuten Drei-Wochen-Frist hinreichend gewahrt ist.2 Diese Erwägung gilt nach Ansicht des BAG auch über die zeitliche Grenze des § 6 KSchG so lange fort, wie neue Tatsachen in den Prozess eingeführt werden können, also bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz.3 Denn auch nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils und vor der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten für die Berufungsinstanz kann es zu einer Arbeitgeberkündigung kommen, hinsichtlich derer ein Interesse des Arbeitnehmers an einer Verhinderung der Wirkung der §§ 4, 7 KSchG besteht. Soweit in der Literatur4 teilweise vertreten wird, dass trotz zulässig erhobener Klage nach § 256 ZPO jede weitere Kündigung innerhalb von 3 Wochen in den Rechtsstreit eingeführt werden müsse, um die Heilung der Sozialwidrigkeit nach § 7 KSchG zu verhindern, überzeugt dies nicht. Die allgemeine Feststellungsklage stellt vielmehr gegenüber der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG ein „Mehr“ dar, da sie nicht lediglich punktuell auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach einer bestimmten unwirksamen Kündigung gerichtet ist, sondern (darüber hinausgehend) den Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt feststellen soll. Der Antrag nach § 256 ZPO schließt folglich den weniger weit greifenden Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG bereits mit ein.5 Ist nach erstmaligem Kündigungsausspruch rechtzeitig eine mit dem allgemeinen Feststellungsantrag verbundene Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG erhoben und damit dem Arbeitgeber deutlich gemacht worden, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht streitlos aufgeben wird, muss sich daher in entsprechender Anwendung von § 6 KSchG der Arbeitnehmer auch außerhalb der 3-Wochen-Frist auf weitere Kündigungen berufen können. Die Ein-
1 St. Rspr. seit BAG v. 16.4.1959 – 2 AZR 227/58, AP Nr. 16 zu § 3 KSchG; v. 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, AP Nr. 14 zu § 4 KSchG; v. 6.8.1987 – 2 AZR 553/86 (n.v.). 2 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit zust. Anm. v. Diller. 3 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit zust. Anm. v. Diller; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 126 ff. 4 Boemke, Anm. zu BAG AP Nr. 33 zu § 4 KSchG 1969; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 126 ff. 5 So auch KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 241a; Mummenhoff, JuS 1987, 893.
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Teil 12 Rz. 35
Kündigungsschutzprozess
führung weiterer Kündigungstatbestände von der Einhaltung der Drei-WochenFrist abhängig zu machen, wäre demgegenüber reine Förmelei.1 35
" Praxistipp: Hat der Arbeitnehmer einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG mit
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Andererseits bringt der in den Klageantrag aufgenommene Fortsetzungsfeststellungszusatz jedoch auch Vorteile für den Arbeitgeber mit sich: Die Prozessvollmacht, aufgrund derer eine Kündigung mit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO angegriffen wird, bevollmächtigt nämlich den Prozessbevollmächtigten zugleich zur Entgegennahme aller Kündigungen, die den mit dem Feststellungsantrag verbundenen weiteren Streitgegenstand betreffen, so dass es nicht darauf ankommt, ob und wann die Kündigung auch dem Arbeitnehmer selbst zugegangen ist.4 Dies erleichtert aber dem Arbeitgeber den Ausspruch weiterer Kündigungen insbesondere in den Fällen, in denen der Arbeitgeber mit Schwierigkeiten bei der Zustellung rechnen muss.
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Folgerichtig im Hinblick auf diese beiderseitige Risikoverteilung und daher zutreffend hat die Rechtsprechung das weitere zwingende Erfordernis für den Arbeitnehmer aufgestellt, weitere arbeitgeberseitige Kündigungen auch in seiner Antragsformulierung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unter teilweiser Einschränkung des allgemeinen Feststellungsantrags nachträglich in den Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG aufzunehmen.5 Dabei hat das Gericht gemäß § 139 ZPO auf eine sachgemäße Antragsformulierung hinzuwirken sowie den gestellten Antrag des Klägers ggf. auszulegen. Bei dieser Auslegung ist die vorgetragene Antragsbegründung zu berücksichtigen.6 Befasst sich die Klagebegründung ausschließlich mit der Frage, ob eine konkret bezeichnete Kündigung des Arbeitgebers wirksam ist, wird mit dem Fortsetzungsfeststellungszusatz ohne ausdrückliche Klarstellung in der Antragsformulierung die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG für weitere Kündigungen nicht gewahrt.
einem allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO verbunden und ist dieser Antrag zulässig, sind dadurch automatisch alle weiteren Kündigungen und sonstigen Beendigungstatbestände, die der Arbeitgeber bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ausspricht, erfasst.2 Der Arbeitgeber ist in einem solchen Fall gehalten, die ihm günstigen Beendigungstatbestände in den Kündigungsschutzprozess einzubringen, da nach rechtskräftiger antragsgemäßer Feststellung eine Berufung auf diese Sachverhalte ausgeschlossen ist.3
3. Objektive Klagehäufung 38
Wird der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers nach § 4 Satz 1 KSchG stattgegeben, so steht damit nur fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die ange1 So auch APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 141. 2 Sog. „Schleppnetztheorie“, vgl. dazu Bitter, DB 1997, 1407 ff. 3 BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. v. Diller. 4 BAG v. 21.8.1988 – 2 AZR 581/86, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969. 5 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. v. Diller. 6 BAG v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969.
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Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage
Rz. 41 Teil 12
griffene Kündigung nicht beendet worden ist. Zu der weitergehenden Frage, ob dem Arbeitnehmer auch Leistungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zustehen, etwa Lohnansprüche aus Annahmeverzug nach § 615 BGB oder ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung, wird dagegen keine Feststellung getroffen (vgl. unter Rz. 8 ff.). Will der Arbeitnehmer diese Ansprüche geltend machen, muss er sie deshalb im Rahmen eines entsprechenden Leistungsantrags gesondert einklagen. Dies kann dadurch geschehen, dass er nach rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsrechtsstreits eine eigenständige Lohn- oder Beschäftigungsklage erhebt. Eine derartige Vorgehensweise hat den Vorteil, dass die Unwirksamkeit der Kündigung, die ja Voraussetzung für einen Erfolg der Leistungsklage ist, bereits abschließend geklärt ist. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nach Ansicht der Rechtsprechung durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage weder die Verjährung der Leistungsansprüche unterbrochen oder gehemmt1, noch eine tariflich vorgesehene Frist zur gerichtlichen Geltendmachung gewahrt wird2, so dass eine nachträgliche Klage zu spät sein kann.
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Nach der Rechtsprechung3 hat der gekündigte Arbeitnehmer deshalb auch die Möglichkeit, seine von der Unwirksamkeit der Kündigung abhängenden, auf Annahmeverzug (§ 615 BGB) gestützten Vergütungsansprüche bereits während des Kündigungsschutzprozesses durch eine gesondert erhobene Leistungsklage bzw. durch einen im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) in den Kündigungsschutzprozess eingebrachten Zahlungsantrag gerichtlich geltend zu machen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Klageantrag seiner Höhe nach fortlaufend an die materielle Rechtslage angepasst werden muss, sei es durch entsprechende Erweiterung der Klage auf erst später fällig gewordene Vergütungsansprüche, sei es durch (teilweise) Klagerücknahme im Hinblick auf zwischenzeitliche Zahlungen oder wegen Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 KSchG. Der Arbeitnehmer hat aber auch die Möglichkeit, die erst künftig fälligen werdenden Ansprüche zunächst durch Erhebung einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO gerichtlich geltend zu machen und erst nach Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, wenn die Höhe der beanspruchten Vergütung feststeht, auf entsprechende Leistung zu klagen. Sofern die Voraussetzungen des § 259 ZPO (Klage wegen Besorgnis der Nichterfüllung) vorliegen, ist eine Klage auf künftige Leistung in Betracht zu ziehen. Zwischen den Klagen nach § 256 ZPO und § 259 ZPO besteht ein Wahlrecht des Arbeitnehmers.4
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Das Gericht kann über die während des Kündigungsschutzprozesses geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich vor Eintritt der Rechtskraft des die Unwirksamkeit der Kündigung feststellenden Urteils entscheiden.5 Eine – dem pflicht-
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1 BAG v. 7.11.1991 – 2 AZR 159/91, AP Nr. 6 zu § 209 BGB (m.w.N.) mit Anm. v. Teske. 2 BAG v. 8.8.2000 – 9 AZR 418/99, DB 2001, 436 m.w.N.; vgl. auch Rz. 8 ff. 3 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht (unter II.1. b) der Gründe); v. 16.6.1976 – 3 AZR 36/75, AP Nr. 57 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; LAG Hamm v. 18.4.1985 – 8 Ta 96/85, LAGE § 148 ZPO Nr. 4. 4 Reichold in Thomas/Putzo, 28. Auflage 2007, ZPO § 259 Rz. 6. 5 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht (unter II.1. b) der Gründe).
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Teil 12 Rz. 42
Kündigungsschutzprozess
gemäßen Ermessen des Gerichts unterliegende – Aussetzung der Zahlungsklage bis zur Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozess nach § 148 ZPO kommt demgegenüber nur in Ausnahmefällen in Betracht.1 Sie ist ohnehin nur im Rahmen der eigenständig erhobenen Leistungsklage überhaupt denkbar. Für die im Wege der objektiven Klagehäufung anhängig gemachten Vergütungsansprüche scheidet eine Aussetzung nach § 148 ZPO nämlich schon deshalb aus, weil es an dem Erfordernis eines „anderen anhängigen Rechtsstreits“ fehlt.2 42
Auch ein Anspruch des Arbeitnehmers auf (Weiter-)Beschäftigung kann grundsätzlich schon vor Rechtskraft des Kündigungsschutzurteils geltend gemacht werden, sei es im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO), etwa durch einen neben dem Kündigungsschutzantrag geltend gemachten, eigenständigen Antrag3 oder durch einen gemeinsam mit dem Kündigungsschutzbegehren geltend gemachten unechten Hilfsantrag.4 Dieser unechte Hilfsantrag hat den kostenmäßigen Vorteil, dass gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG eine Streitwertaddition nur dann stattfindet, wenn der Kündigungsschutzklage stattgegeben und somit über den Hilfsantrag entschieden wird.5 Dabei kann es sich im Hinblick auf einen effektiven Rechtsschutz empfehlen, den Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung nicht im Urteilsverfahren, sondern im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen (vgl. hierzu unter Rz. 161 ff.).
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Die Aussetzung des den Beschäftigungsantrag betreffenden Verfahrens bis zur rechtskräftigen Feststellung des Bestandes des Arbeitsverhältnisses kommt auch hier regelmäßig nicht in Betracht, da der Weiterbeschäftigungsanspruch gerade nicht von dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens abhängt und es somit an der von § 148 ZPO geforderten Vorgreiflichkeit fehlt.6
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die gerichtliche Geltendmachung des von
der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs7 genau wie die des gesetzlich vorgesehenen „besonderen“ Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG in der Regel nicht unabhängig von der Verfolgung des Kündigungsschutzbegehrens erfolgen kann. Lediglich, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung nicht nach den Vor-
1 LAG Düsseldorf v. 23.12.1982 – 7 Ta 299/82, LAGE § 148 ZPO Nr. 13; LAG Hamm v. 18.4.1985 – 8 Ta 96/85, LAGE § 148 ZPO Nr. 4; LAG Köln v. 17.12.1985 – 9 Ta 230/85, NZA 1986, 404; so für die vergleichbare Beschäftigungsklage auch BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 2 LAG Baden-Württemberg v. 20.6.1996 – 13 Ta 8/96, NZA-RR 1997, 151. 3 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 4 Vgl. BAG v. 8.4.1988 – 2 AZR 777/88, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung. 5 So LAG Düsseldorf v. 27.7.2000 – 7 Ta 249/00, NZA-RR 2000, 613; LAG Frankfurt v. 26.6.1997 – 6 Ta 25/97, LAGE § 19 GKG Nr. 16; Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht/ Künzl, 2.1/812; gegen eine Anwendung des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG und für eine Addition der beiden Antragsstreitwerte auch ohne eine Entscheidung über den hilfsweise gestellten Weiterbeschäftigungsantrag: LAG Hamm v. 2.7.1998 – 4 Sa 2233/97 (n.v.); LAG Köln v. 31.7.1995 – 13 Ta 114/95, NZA 196, 840; LAG Hamburg v. 26.3.1992 – 4 Ta 20/91, LAGE § 19 GKG Nr. 14. 6 So auch APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 243. 7 Zur Herleitung des allg. Weiterbeschäftigungsanspruchs vgl. BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht.
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Wiedereinstellungsanspruch
Rz. 45 Teil 12
schriften des Kündigungsschutzgesetzes geltend gemacht werden muss, was nach Vereinheitlichung der Klagefrist und Einführung der §§ 13 Abs. 3, 4 Satz 1 KSchG allerdings nur noch in Ausnahmefällen (insbesondere: Geltendmachung der mangelnden Schriftform der Kündigung) vorkommt, bedarf es keiner vorher oder zugleich mit der Beschäftigungsklage erhobenen Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. In diesen Fällen ist die Unwirksamkeit der Kündigung als Vorfrage im Weiterbeschäftigungsprozess zu prüfen. Ist dagegen die Unwirksamkeit der Kündigung nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes und deshalb nach § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung geltend zu machen, wird die (vorherige oder gleichzeitige) Erhebung einer Kündigungsschutzklage zwingend vorausgesetzt.1 Dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch kann in diesem Falle nur stattgegeben werden, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf die betreffende Kündigungsschutzklage hin festgestellt hat oder gleichzeitig feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.2 Letzteres folgt daraus, dass der Arbeitnehmer erst nach einer gerichtlichen Entscheidung in seinem Sinne regelmäßig ein Vollstreckungsinteresse hat, das das Interesse des Arbeitgebers daran, den Arbeitnehmer nicht weiterzubeschäftigen, überwiegt. Durch das stattgebende, die erste Instanz abschließende Urteil wird zwar die Unwirksamkeit der Kündigung und damit der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses noch nicht abschließend rechtskräftig festgestellt; es ist jedoch zumindest eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne des klagenden Arbeitnehmers erfolgt, die dafür spricht, im Rahmen der notwendigen Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers auf Nichtbeschäftigung und dem des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung dem letzteren den Vorrang einzuräumen.3
III. Wiedereinstellungsanspruch 1. Abgrenzung zur Sozialwidrigkeit der Kündigung und Streitgegenstand Ist dem Arbeitnehmer wirksam gekündigt worden, weil die Kündigung zum Zeitpunkt ihres Zugangs sozial gerechtfertigt war, und tritt eine nachträgliche Änderung des Kündigungssachverhaltes noch während des Laufs der Kündigungsfrist ein, so gewährt die Rechtsprechung dem Arbeitnehmer im Einzelfall einen sog. Wiedereinstellungsanspruch. Dieser wird im Wesentlichen aus einer vertraglichen, den Vorgaben des KSchG und der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 12 GG Rechnung tragenden Nebenpflicht des Arbeitgebers hergeleitet.4 Der Wiedereinstellungsanspruch stellt ein Korrektiv dafür dar, dass die Rechtsprechung bei der Prüfung des Kündigungsgrundes aus Gründen der Rechts1 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 2 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 3 Vgl. BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; zum Weiterbeschäftigungsanspruch siehe auch Rz. 470 ff. 4 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
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Teil 12 Rz. 46
Kündigungsschutzprozess
sicherheit allein auf die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstellt1, obwohl der tatsächliche Verlust des Arbeitsplatzes erst mit Ablauf der Kündigungsfrist eintritt und sich die für die Kündigung maßgeblichen Umstände bis dahin – entgegen der ursprünglichen Prognose – geändert haben können. Er schützt das Vertrauen des Arbeitnehmers darauf, dass das Arbeitsverhältnis nur dann beendet wird, wenn auch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe noch vorhanden sind. Das entgegenstehende Interesse des Arbeitgebers daran, es trotz eines nachträglichen Wegfalls der Kündigungsvoraussetzungen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen, ist demgegenüber in der Regel nur dann schutzwürdig, wenn dieser mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung bereits entsprechende Dispositionen getroffen hat oder die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnis ist ihm nicht zuzumuten ist.2 46
Ausdrücklich anerkannt hat das BAG den Anspruch auf Wiedereinstellung für die betriebsbedingte Kündigung, etwa wenn der Arbeitgeber zunächst die Stillegung des Betriebs geplant hat und es vor Ablauf der Kündigungsfrist zur Veräußerung und/oder Fortführung des Betriebs gekommen ist3, oder wenn der bisherige Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen ist und sich im Nachhinein eine Beschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen, unvorhersehbar frei gewordenen oder neu geschaffenen Arbeitsplatz ergibt, auf den der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen seines Direktionsrechts umsetzen könnte.4 War die ursprüngliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen wirksam, weil im Zeitpunkt der Kündigung die Stilllegung einer Abteilung zu prognostizieren war, entschließt sich aber der Kündigende noch während des Laufs der Kündigungsfrist dazu, die Abteilung – wenngleich unter neuer Betriebsteilinhaberschaft – fortzuführen, so können sich weder der ursprüngliche noch der neue Betriebsinhaber auf die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung berufen. Die an sich wirksame Kündigung wird in diesem Fall noch während des Laufs der Kündigungsfrist durch einen Fortsetzungsanspruch korrigiert, denn durch den Entschluss der Betriebsfortführung ist eine Tatsache eingetreten, die die Prognose bei Kündigungsausspruch nachträglich als unzutreffend erscheinen lässt.5 Im Übrigen ist auch für den Fall der verhaltensbedingten Kündigung (z.B. bei Verdacht einer Straftat, der sich später als unbegründet herausstellt)6 oder der personenbedingten Kündigung (z.B. bei Darlegung einer positiven Gesundheitsprognose nach krankheitsbedingter Kündigung)7 im Grundsatz ein Wiedereinstellungsanspruch nicht von vornherein ausgeschlossen. 1 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG Krankheit; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 27.2.1997 – 2 AZR 169/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; anders noch BAG v. 10.11. 1983 – 2 AZR 291/82, AP NR. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 169/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 3 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; v. 27.2.1997 – 2 AZR 169/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 4 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 5 BAG v. 25.10.2007 – 8AZR 989/06, NZA 2008, 357. 6 BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, AP Nr. 10 zu § 521 ZPO. 7 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99; v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Wiedereinstellungsanspruch
Rz. 49 Teil 12
Der Wiedereinstellungsanspruch ist auf den erneuten Abschluss eines Arbeitsvertrages mit dem bisherigen Arbeitgeber zu den bislang geltenden Bedingungen gerichtet.1 Er greift also nur dann ein, wenn das ursprünglich bestehende Arbeitsverhältnis durch eine wirksame, insbesondere sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden ist. Ist dies nicht der Fall, etwa weil der Arbeitgeber bereits bei Ausspruch der Kündigung die für die soziale Rechtfertigung erforderliche negative Zukunftsprognose nicht darlegen kann, besteht das Arbeitsverhältnis – vorbehaltlich der rechtzeitigen Geltendmachung der Sozialwidrigkeit oder anderweitigen Rechtsunwirksamkeit der Kündigung durch den Arbeitnehmer nach §§ 4 Satz 1, 7 KSchG – fort, so dass mangels Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit einer Wiedereinstellung erst gar nicht in Betracht kommt.
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In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann anzuerkennen ist, wenn die vorangegangene Kündigung zwar sozialwidrig oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, der Arbeitnehmer es aber versäumt, innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage zu erheben, und aufgrund dessen die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam gilt, § 7 KSchG. Richtig ist, dass in diesen Fällen die eigentlich rechtswidrige Kündigung durch die Fiktion des § 7 KSchG der wirksamen Kündigung gleichgestellt ist und damit die Voraussetzung einer rechtswirksamen Kündigung grundsätzlich erfüllt ist. Dennoch dürfte jedoch im Ergebnis ein Wiedereinstellungsanspruch abzulehnen sein: Der Wiedereinstellungsanspruch ist vom BAG als Korrektiv einer bei Ausspruch der Kündigung getroffenen, sich erst im Nachhinein durch Änderung der maßgeblichen Umstände als fehlerhaft herausstellenden Prognoseentscheidung entwickelt worden. Diese Voraussetzung ist bei einer Kündigung, die bereits zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs sozialwidrig oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, nicht gegeben. Hinzu kommt, dass im Falle der sozialwidrigen Kündigung der Arbeitnehmer auf einen Wiedereinstellungsanspruch überhaupt nicht angewiesen ist, da er die fehlende soziale Rechtfertigung bzw. die Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen bereits im Wege der Kündigungsschutzklage geltend machen kann. Nimmt er diese Möglichkeit nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG wahr, kann ihm nicht nach Ablauf der Frist mit der gleichen Begründung ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen. Dies würde eine Umgehung der in § 4 Satz 1 KSchG vorgeschriebenen Frist bedeuten und auch der Funktion der §§ 4 Satz 1, 7 KSchG nicht gerecht werden, wonach dem Arbeitgeber nach einer Kündigung möglichst schnell Klarheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses verschafft werden soll.
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Ist die Kündigung dagegen rechtswirksam, kann sich bei einer späteren Änderung der kündigungsrelevanten Umstände der Arbeitnehmer auch ohne die vorherige Erhebung einer Kündigungsschutzklage auf einen Wiedereinstellungsanspruch berufen. Denn der Arbeitnehmer, der die (wirksame) Kündigung ak-
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1 BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 27.2.1997 – 2 AZR 169/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
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Teil 12 Rz. 50
Kündigungsschutzprozess
zeptiert, kann nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der trotz Vorliegens von Kündigungsgründen die Kündigung gerichtlich angreift.1 2. Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs und Fristen a) Hilfsweise Geltendmachung im laufenden Kündigungsschutzprozess 50
Der Wiedereinstellungsanspruch ist im Rahmen eines eigenständigen, von dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG unabhängigen Antrags zu prüfen. Er kann, sofern die Wirksamkeit der Kündigung außer Streit steht, im Wege einer isolierten Klage, andernfalls auch hilfsweise – ggf. durch entsprechende Klageerweiterung während des laufenden Kündigungsschutzprozesses – neben einem Kündigungsschutzantrag geltend gemacht werden (sog. Eventualklagehäufung). Im letztgenannten Fall überprüft das Gericht in der Hauptsache die Wirksamkeit der Kündigung und entscheidet nur für den Fall, dass der Kündigungsschutzantrag abgewiesen wird, auch über das Bestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs. Einem Klageantrag auf Wiedereinstellung steht nicht entgegen, dass der Beklagte damit zu einem rückwirkenden Abschluss eines Arbeitsvertrags verurteilt werden soll. Zwar war nach § 306 BGB a.F. die Verurteilung zur Eingehung eines rückwirkenden Vertragsverhältnisses ausgeschlossen, woraus das Bundesarbeitsgericht folgerte, eine Verurteilung zum Abschluss eines in der Vergangenheit liegenden Arbeitsvertrags sei nicht möglich.2 Diese Rechtslage hat sich allerdings mit Inkraftreten des § 311a Abs. 1 BGB geändert. Nach § 275 Abs. 1 BGB n.F. ist der Anspruch auf Leistung nunmehr ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Jedoch ist der rückwirkende Abschluss eines Vertrags nicht mehr nichtig. Damit ist auch eine dahin gehende Verurteilung möglich.3 Auch § 894 ZPO steht einer Klage auf Wiedereinstellung nicht im Wege. Nach der Vorschrift gilt die Willenserklärung erst mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben. Zu welchem Zeitpunkt die fingierte Abgabe wirkt, richtet sich nach materiellem Recht. Bei einem Wiedereinstellungsanspruch ist es der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer berechtigt war, den Abschluss eines Fortsetzungsarbeitsvertrags zu verlangen. Hat der Arbeitgeber keinen Grund, dem Arbeitnehmer den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu verweigern, so ist er ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, das Angebot des Arbeitnehmers anzunehmen und ihm einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Unterlässt er dies, so richtet sich die Rechtsfolge nach den allgemeinen Vorschriften.4
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Die (hilfsweise) Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs ist nicht ausdrücklich an bestimmte Ausschlussfristen gebunden. Teilweise wird deshalb angenommen, dass er lediglich den allgemeinen Verwirkungsgrundsätzen 1 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 847; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, 6. Auflage 2008, § 19 Rz. 15. 2 BAG v. 28.6.2000, BAGE 95, 171. 3 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 ff.; v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05 – AP BGB § 311a Nr. 1; v. 27.4.2004 – 9 AZR 522/03, BAGE 110, 232. 4 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 ff.; v. 9.5.2006 – 9 AZR 278/05, AP BErzGG § 15, Nr. 47.
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Wiedereinstellungsanspruch
Rz. 56 Teil 12
unterliegt1, die dann eingreifen, wenn seit der Entstehung des Anspruchs ein erheblicher Zeitraum abgelaufen ist (Zeitmoment) und der Arbeitgeber darauf vertrauen durfte, dass der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werde (Umstandsmoment). Das BAG hat jedenfalls für den Fall eines nach Zugang der Kündigung eingetretenen Betriebsübergangs angenommen, dass der Arbeitnehmer sein Verlangen auf Wiedereinstellung unverzüglich (§ 121 BGB) nach Kenntniserlangung der den Betriebsübergang begründenden Umstände gegenüber dem Betriebserwerber geltend zu machen hat.2
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Einstweilen frei.
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Über den vom BAG konkret entschiedenen Fall (Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Betriebsübergang, dazu Rz. 55 ff.) hinaus treffen die o.g. Erwägungen auch generell auf Fälle zu, in denen ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht kommt. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss es eine klare zeitliche Begrenzung für die Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs geben. Hierbei bietet sich die sinngemäße Anwendung der §§ 4 Satz 1, 7 KSchG zur Konkretisierung der Unverzüglichkeit an, denn diese Vorschriften gewährleisten Rechtssicherheit im Kündigungsrecht.
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Daher ist das Verlangen nach Wiedereinstellung (abgesehen von dem Fall eines nachträglichen Betriebsübergangs) spätestens drei Wochen nach Kenntnis vom Wegfall der Kündigungsvoraussetzungen geltend zu machen.3 b) Gegenüber einem Dritten als Rechtsnachfolger (§ 613a BGB) Der Wiedereinstellungsanspruch kann nicht nur gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber, sondern u.U. auch gegenüber dessen Rechtsnachfolger geltend gemacht werden. Dies gilt insbesondere in den Fällen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, wenn die Voraussetzungen einer durch beabsichtigte Betriebsstilllegung sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung durch eine (nicht absehbare) Veräußerung und Fortführung des Betriebs nachträglich entfallen sind.4 Hierbei bietet es sich in terminologischer Hinsicht an, von einem sog. „Fortsetzungsanspruch“ zu sprechen.5
55
Umstritten ist, ob ein Wiedereinstellungsanspruch gegen den Erwerber in Betracht kommt, wenn der Betriebsübergang erst nach bereits abgelaufener Kündigungsfrist erfolgte. Der 7. Senat des BAG hat außerhalb der Problematik des Betriebsübergangs entschieden, dass ein Wiedereinstellungsanspruch grds.
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1 So etwa KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 742; MüHandbuchArbR/Ulrich, § 40 Rz. 88; Zwanziger, BB 1997, 42 (45); Boewer, NZA 1999, 1177 (1183); Oetker, ZIP 2000, 651; Raab, RdA 2000, 154. 2 BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97 – BAGE 90, 153 = AP KSchG 1969 § 1 Wiedereinstellung Nr. 5 = EzA BGB § 613a Nr. 171. 3 So auch ArbG Frankfurt v. 20.7.1999 – 5 Ca 7905/97, NZA-RR 1999, 580; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 847; Kukat, BB 2001, 576; Meinel/Bauer, NZA 1999, 580. 4 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 ff.; v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 736. 5 So APS/Steffan, § 613a BGB KSchG Rz. 182; KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 194.
Mues
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Teil 12 Rz. 57
Kündigungsschutzprozess
nicht in Betracht kommt, wenn sich die Prognoseeinscheidung erst nach Ablauf der Kündigungsfrist als falsch erweist.1 Der 8. Senat hat – jedenfalls für den Fall der Insolvenz – einen Wiedereinstellungsanspruch ebenso ausgeschlossen.2 57
Ein Wiedereinstellungsanspruch gegen den Erwerber kommt also nicht in Betracht, wenn der Betriebsübergang erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgte.3 Das ist nur folgerichtig, denn der Erwerber tritt lediglich in bestehende Arbeitsverhältnisse, nicht aber in nachvertragliche Pflichten des Veräußerers, die einen Weiterbeschäftigungsanspruch begründen könnten, ein. Ein gekündigter Arbeitnehmer hätte selbst gegen seinen früheren Arbeitgeber keinen Wiedereinstellungsanspruch, wenn dieser aufgrund geänderter Umstände eine gleichwertige Position wieder zu besetzen hätte. Hieran kann sich nichts ändern, wenn die (Wieder-)Beschäftigungsmöglichkeit nur dadurch entsteht, dass ein Betriebsübergang erfolgt.
57a
Maßgeblich für die Feststellung, ob sich die Prognoseentscheidung innerhalb oder außerhalb der Kündigungsfrist als unrichtig herausgestellt hat, ist nicht der Zeitpunkt des Betriebsübergangs, sondern wann sich die der betriebsbedingten Kündigung zugrunde liegende Vorstellung des Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit als unzutreffend herausgestellt hat. Das BAG hat demzufolge einen Wiedereinstellungsanspruch gegenüber dem Erwerber gebilligt, wenn der Betriebsübergang zwar erst nach Ablauf der Kündigungsfrist stattfand, die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit jedoch schon während des Laufs der Kündigungsfrist entstanden und die ursprünglich bei Ausspruch der Kündigung anzustellende Prognose dadurch während des Laufs der Kündigungsfrist unzutreffend geworden war.4
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Was die Passivlegitimation hinsichtlich einer Klage auf Wiedereinstellung angeht, so richtet diese sich in erster Linie danach, ob zum Zeitpunkt des den Wiedereinstellungsanspruch begründenden Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und bisherigem Arbeitgeber bereits beendet war oder ob es noch bestanden hat.
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Stellt sich etwa noch während der Kündigungsfrist heraus, dass es anstatt der geplanten Betriebsstillegung zu einer Veräußerung des Betriebs und dadurch bedingt zu einem Wegfall des Kündigungsgrundes kommt, und hat der Arbeitnehmer bereits vor dem Betriebsübergang eine entsprechende Klage auf Wiedereinstellung rechtshängig gemacht, so bleibt der bisherige Arbeitgeber auch nach erfolgtem Betriebsübergang der richtige Klagegegner.5 Dies ergibt sich daraus, dass bis zur Beendigung der arbeitsvertraglichen Beziehungen der Arbeitgeber ver1 BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254. 2 BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405 (n.v.); v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, BB 2005, 383; zustimmend v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 237. 3 Kritisch KR/Pfeiffer, § 613a Rz. 196, der zwischen allgemeinem Wiedereinstellungsanspruch und richtlinienkonformer Auslegung unterscheidet, jedenfalls den allgemeinem Wiedereinstellungsanspruch mangels nachvertraglicher Treuepflicht des Erwerbers (hierzu Boewer, NZA 1999, 1177 (1179)) verneint. 4 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/05, NZA 1998, 251. 5 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
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Wiedereinstellungsanspruch
Rz. 63 Teil 12
traglich zur Wahrung der Interessen des Arbeitnehmers und damit auch dazu verpflichtet ist, eine in seiner Sphäre liegende Fehlprognose über den Wegfall des Arbeitsplatzes durch ein Angebot auf Wiedereinstellung zu korrigieren, will er sich nicht widersprüchliches Verhalten entgegenhalten lassen.1 Der Betriebserwerber, der im Laufe des Prozesses gegen den bisherigen Arbeitnehmer den Betrieb übernimmt, ist entsprechend §§ 265, 325 ZPO an die gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber ergehende gerichtliche Entscheidung über den Wiedereinstellungsanspruch gebunden.2
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Hat der Arbeitnehmer dagegen innerhalb der Kündigungsfrist, aber nach Betriebsübergang Klage auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhoben, liegt die Passivlegitimation beim Betriebserwerber, der insofern in die Rechte und Pflichten des – zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden – Arbeitsverhältnisses eintritt.3
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Ist der Betriebsübergang schließlich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, kann der Arbeitnehmer gegenüber seinem bisherigen Arbeitgeber eine Wiedereinstellung grundsätzlich nicht mehr verlangen.4 Denn mit dem Ablauf der Kündigungsfrist sind bei einer rechtswirksamen Kündigung die Vertragsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer endgültig gelöst, so dass eine erst danach entstehende Veränderung der tatsächlichen Umstände keine Verpflichtung des Arbeitgebers mehr auslösen kann, die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten neu zu begründen.5 Der Anspruch auf Wiedereinstellung ist in diesem Fall ausschließlich gegenüber dem Betriebserwerber geltend zu machen, der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 613a BGB i.d.R. auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einer Wiedereinstellung der entlassenen Arbeitnehmer verpflichtet ist.
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass nach der Rechtsprechung des BAG der Ar-
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beitnehmer sein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Betriebserwerber unverzüglich nach Kenntniserlangung der den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umstände stellen muss. Entsprechend der Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB muss auch das Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsverlangen – abweichend von den o.g. Grundsätzen6 – binnen einer Frist von einem Monat geltend gemacht werden.7
1 2 3 4
BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. Boewer, NZA 1999, 1177 (1183). BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357. BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 5 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. 6 Siehe hierzu unter Rz. 50 ff. 7 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; LAG Hamm v. 27.3.2003, LAGE § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 5; ebenso Oberhofer, RdA 2006, 92.
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Teil 12 Rz. 64
Kündigungsschutzprozess
c) Nach Abschluss eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs 64
Fraglich ist, ob ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann besteht, wenn die Parteien zur Beilegung eines Streits oder einer Ungewissheit über die Wirksamkeit der Kündigung einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich geschlossen haben und die Verhältnisse, auf denen dieser Vergleich basierte, sich im Nachhinein geändert haben, beispielsweise durch eine sich erst nachträglich ergebende unvorhergesehene Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer.
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Zwar wird im Vergleich eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers in der Regel nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden sein. Die Auslegung des Vergleichs, mit dem die Parteien ja gerade den Streit oder die Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses klären wollen, wird jedoch regelmäßig ergeben, dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung zu unveränderten Bedingungen bestehen soll, zumal in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes ohnehin einen angemessenen, den Maßstäben des § 10 KSchG bzw. des § 113 Abs. 1 und 2 BetrVG finanziellen Ausgleich erhält.1
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Ein Wiedereinstellungsanspruch soll nach der Rechtsprechung jedoch grundsätzlich dann in Betracht kommen, wenn ein Wegfall der Geschäftsgrundlage durch den Wegfall der dem Vergleich zugrunde liegenden Umstände eintritt.2 Allerdings ist auch dann nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass der Vergleich in jedem Falle auf der gemeinsamen Vorstellung der Parteien und damit auf der Geschäftsgrundlage basiert, dass die Kündigungsvoraussetzungen bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses fortbestehen. Denn zum einen kann die Ungewissheit über künftige Entwicklung etwaiger neuer Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. anderer kündigungsrelevanter Umstände bereits im Vergleich berücksichtigt worden sein, zum anderen ist trotz späteren Wegfalls des Kündigungssachverhalts ein Festhalten am Vergleich für den Arbeitnehmer zumindest dann, nicht unzumutbar, wenn eine angemessene Abfindung vereinbart wurde, so dass die Voraussetzungen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage in diesen Fällen nicht erfüllt sind.3 Ob die Geschäftsgrundlage des den Wiedereinstellungsanspruch ausschließenden Vergleichs weggefallen sei, ist daher von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
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In der Regel wird jedoch davon auszugehen sein, dass es das Ziel des Vergleichs ist, Unsicherheiten der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen. Dazu gehört regelmäßig auch, die Ungewissheit darüber auszuräumen, ob ggf. in Zukunft durch eine Änderung der Umstände ein zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führender Wiedereinstellungsanspruch begründet wird. Nicht zuletzt zahlt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ja die vergleichsweise vereinbarte Abfindung dafür, dass dieser sich mit der Beendigung
1 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 2 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; kritisch: Zwanziger, BB 1997, 42 (45); v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 244. 3 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
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Wiedereinstellungsanspruch
Rz. 71 Teil 12
des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklärt und gerade nicht im Nachhinein noch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangt.1 Ist zwischen den Parteien ein – gerichtlicher oder außergerichtlicher – Vergleich über die Unwirksamkeit der Kündigung abgeschlossen worden, kann sich deshalb nach zutreffender Auffassung der Arbeitnehmer in der Regel nicht mehr erfolgreich auf einen Wiedereinstellungsanspruch wegen geänderter Umstände berufen. Dies schließt eine eventuelle Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht aus.
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Ähnliche Erwägungen gelten im Hinblick auf die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag. Auch hier führt deshalb die Änderung der Sachlage grundsätzlich nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage.2 Ist im Aufhebungsvertrag unter Verzicht auf die Einhaltung einer Kündigungsfrist die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses vereinbart, kommt ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen nachträglich eingetretener Umstände ohnehin nicht in Betracht, da regelmäßig nur solche Tatsachenänderungen anspruchsbegründend zu berücksichtigen sind, die vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden haben.3
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3. Klageantrag bei Wiedereinstellungsanspruch Bei dem Antrag auf Wiedereinstellung handelt es sich um einen vom Kündigungsschutzantrag unabhängigen Leistungsantrag. Dieser ist auf die Abgabe einer Willenserklärung, nämlich auf die Annahme eines in der Klage enthaltenen Angebots des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages, gerichtet.4 Wie jeder andere Klageantrag auch, muss er dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechen, also so abgefasst sein, dass er aus sich heraus verständlich und vollstreckungsfähig ist.
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Mit Rechtskraft des stattgebenden Urteils tritt die Fiktion des § 894 ZPO ein, d.h. die beantragte Annahmeerklärung des Arbeitgebers gilt als abgegeben und der „Wiedereinstellungsvertrag“ kommt zustande. Dies bedeutet jedoch nicht, dass durch das die Annahmeerklärung ersetzende Urteil der Arbeitgeber zugleich auch verpflichtet wird, den Arbeitnehmer dem durch § 894 ZPO zustande gekommenen Vertrag entsprechend zu beschäftigen bzw. die dafür notwendigen Handlungen vorzunehmen. Will der Arbeitnehmer dies erreichen, muss er vielmehr auf der Grundlage des Vertrags eine gesonderte Klage auf Weiterbeschäftigung erheben, die ggf. auch mit der Wiedereinstellungsklage verbunden werden kann.5 Nur aus dem Leistungstitel kann dann nach § 888 ZPO vollstreckt werden.
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1 Ebenso Zwanziger, BB 1997, 42 (45). 2 A.A. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 3 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254; v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701; v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. 4 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung m.w.N. 5 Boewer, NZA 1999, 1177 (1182).
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Teil 12 Rz. 72
Kündigungsschutzprozess
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Nach Ansicht des BAG soll der Arbeitnehmer anstelle der Klage auf Abgabe einer Willenserklärung auch sofort auf Weiterbeschäftigung klagen können, da das Klageziel des Weiterbeschäftigungsantrags den Anspruch auf erneuten Abschluss eines Arbeitsvertrags umfasse.1 Eine solche Auslegung des Weiterbeschäftigungsantrags begegnet jedoch Bedenken: Die Klage auf Abgabe einer Willenserklärung und die Klage auf Weiterbeschäftigung betreffen nämlich jeweils unterschiedliche Streitgegenstände2, die verschiedenen Vollstreckungsvorschriften unterliegen. Daher kann nicht ohne weiteres angenommen werden, das rechtskräftige stattgebende Weiterbeschäftigungsurteil ersetze zugleich die Willenserklärung des Arbeitgebers zum Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrags. Der gemäß § 894 ZPO fingierte Vertragsschluss ist vielmehr notwendig, um überhaupt auf dieser vertraglichen Grundlage über einen Weiterbeschäftigungsanspruch entscheiden zu können.
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Der Wiedereinstellungsanpruch kann auch rückwirkend zu dem Zeitpunkt geltend gemacht werden, zu dem der Kündigungsgrund entfallen ist.3 Nach § 311a Abs. 1 BGB steht die anfängliche Unmöglichkeit einem Vertragsschluss nicht entgegen, so dass der rückwirkende Abschluss eines Vertrages und eine darauf gerichtete Verurteilung möglich sind. Der Vertrag kann lediglich hinsichtlich der Vergangenheit nicht tatsächlich durchgeführt werden.4
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Der Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber als Schuldner des Beschäftigungsanspruchs für dieVergangenheit einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 311a Abs. 2 Satz 1 BGB.5 Dieser ist auf das Erfüllungsinteresse gerichtet, so dass der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seiner anderweitigen Einkünfte so zu stellen ist, als ob das Arbeitsverhältnis vom Zeitpunkt der Wiederherstellung vollzogen worden wäre.6
B. Klageerhebung und Klagefrist I. Beginn der Klagefrist 1. Anwendungsbereich a) Ordentliche Kündigung 75
Nach § 4 Satz 1 KSchG muss der Arbeitnehmer, der sich gegen eine sozial ungerechtfertigte oder aus anderen Gründen rechtsunwirksame Kündigung wehren will, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben, will er den Eintritt der Wirksamkeits1 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 2 So auch Boewer, NZA 1999, 1177 (1182). 3 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861; ebenso KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 743b; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 846. 4 BAG v. 8.5.2007 – 9 AZR 1112/06, NJW 2007, 3661 (n.v.); v. 12.9.2006 – 9 AZR 686/05, NZA 2007, 253; v. 27.4.2004 – 9 AZR 522/03, NZA 2004, 1225. 5 Siehe hierzu KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 743c. 6 KDZ/Zwanziger, Einl. Rz. 413.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 77 Teil 12
fiktion nach § 7 KSchG verhindern. Als Bespiele für die „anderen Gründe“ nennt die Gesetzesbegründung insoweit die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG, wegen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB, wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) wie § 9 MuSchG, § 18 BEEG oder § 85 SGB IX sowie wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).1 „Aus anderen Gründen“ rechtsunwirksam ist die Kündigung darüber hinaus etwa auch bei einem Verstoß gegen § 612a BGB, § 103 BetrVG oder § 15 Abs. 3 TzBfG.2 Die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gilt auch für Arbeitnehmer, auf die das Kündigungsschutzgesetz mangels Überschreiten des Schwellenwertes grds. keine Anwendung findet. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG bestimmt zwar, dass die Vorschriften des Ersten Abschnitts des KSchG in Kleinbetrieben grds. nicht gelten, nimmt jedoch die §§ 4 bis 7 und § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG ausdrücklich von dieser Regelung aus. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG erfasst nach allgemeiner und zutreffender Auffassung auch solche Arbeitsverhältnisse, bei denen die in § 1 Abs. 1 KSchG vorgesehene sechsmonatige Wartezeit für das Eingreifen des Kündigungsschutzes noch nicht abgelaufen ist.3 Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, entspricht aber dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, die Klagefrist für alle Fälle der Rechtsunwirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung zu vereinheitlichen.4 Keine Geltung haben die Vorschriften des ersten Abschnitts und damit auch Frist des § 4 Satz 1 KSchG dagegen weiterhin für die in § 14 Abs. 1 KSchG genannten Angestellte in leitender Stellung, also für Organmitglieder einer juristischen Person, die zur deren gesetzlicher Vertretung berufen sind (Nr. 1) oder die zur Vertretung einer Personengesamtheit berufenen Personen (Nr. 2). Denn diese sind durch § 14 Abs. 1 KSchG ausdrücklich von der Anwendung der §§ 1–13 KSchG ausgeschlossen.5
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Die Dreiwochenfrist gilt nicht nur für die Klage gegen eine Beendigungskündigung nach § 4 Satz 1 KSchG, sondern gemäß § 4 Satz 2 KSchG auch für die Erhebung einer Klage gegen eine Änderungskündigung. Ist die Änderung der Arbeitsbedingungen hingegen anders als im Wege der Änderungskündigung erfolgt, etwa durch Direktionsrecht oder eine vertraglich eingeräumte Befugnis zur Änderung der Arbeitsbedingungen, ist die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar.6 Der Arbeitnehmer kann in diesen
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1 Begründung des Regierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 2 Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184). 3 Ausführlich hierzu Richardi, NZA 2003, 764 (765); in diesem Sinne auch KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 11b; Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (361); Zimmer, FA 2004, 34 (35); Preis, DB 2004, 70 (77). 4 KR/Friedrich. § 4 KSchG Rz. 11b m.w.N. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die Streichung des § 113 Abs. 2 InsO, der bisher unabhängig von der kündigungsschutzrechtlichen Stellung des Arbeitnehmers eine dreiwöchige Klagefrist im Insolvenzverfahren vorsah: Vgl. Bader, NZA 2004, 65 (68). 5 Vgl. auch KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 6. 6 BAG v. 20.1.1960 – 4 AZR 267/59, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 27.3.1980 – 2 AZR 506/78, AP Nr. 26 zu § 611 BGB Direktionsrecht.
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Teil 12 Rz. 78
Kündigungsschutzprozess
Fällen auch außerhalb der Drei-Wochen-Frist noch gegen die betreffende Maßnahme vorgehen. 78
" Praxistipp: Keine Anwendung findet § 4 Satz 1 KSchG, wenn sich der in ei-
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Die Frage, ob die 3-Wochen-Frist auch dann einzuhalten ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag gemäß §§ 119, 123 BGB angefochten hat und der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit dieser Anfechtung geltend machen will, hat das BAG bisher unentschieden gelassen.2 Eine analoge Anwendung des § 4 Satz 1 KSchG ist jedoch abzulehnen, da es sich bei Kündigung und Anfechtung nicht um vergleichbare Sachverhalte handelt. Denn im Gegensatz zur Kündigung bezieht sich die Anfechtung auf einen Beendigungsgrund, der bereits vor bzw. bei Abschluss des Arbeitsvertrags entstanden ist und der grundsätzlich zur rückwirkenden Nichtigkeit des Arbeitsvertrags nach § 142 BGB führt. Zwar kann – genau wie im Falle der Kündigung – ein bereits in Vollzug gesetzter Arbeitsvertrag auch durch die Anfechtung nur mit Wirkung für die Zukunft aufgelöst werden. Diese zur Vermeidung von Rückabwicklungsschwierigkeiten zugelassene Ausnahme von dem Grundsatz des § 142 BGB gilt jedoch nicht, wenn das Arbeitsverhältnis gar nicht erst in Kraft getreten oder zwischenzeitlich außer Funktion gesetzt worden ist. Dann wirkt – zumindest im Falle der arglistigen Täuschung – die Anfechtung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. der Außerfunktionssetzung zurück.3 Angesichts dieser grundsätzlichen Unterschiede zwischen Anfechtung und Kündigung kann die für die Kündigung geltende dreiwöchige Klagefrist aus Gründen der Rechtsklarheit nicht auf die Anfechtung übertragen werden.4
nem befristeten Arbeitsverhältnis stehende Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der Befristung berufen will. Für diese Fälle gilt die Regelung des § 17 Satz 1 TzBfG, wonach der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags bei dem Arbeitsgericht Klage auf Feststellung erheben muss, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet ist. Die §§ 5–7 KSchG gelten dabei gemäß § 17 Satz 2 TzBfG entsprechend, mit der Folge, dass bei Versäumung der Klagefrist alle Voraussetzungen einer rechtswirksamen Befristung fingiert werden.1
b) Außerordentliche Kündigung 80
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KSchG werden die Vorschriften über das Recht der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch das KSchG nicht berührt. Damit ist klargestellt, dass die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht nach dem KSchG, sondern nach der für außerordentliche Kündigungen bestehenden Sondervorschrift des § 626 BGB zu beurteilen ist. 1 BAG v. 9.2.2000 – 7 AZR 730/98, AP Nr. 22 zu § 1 BeschFG; v. 22.3.2000 – 7 AZR 581/98, EzA § 1 BeschFG 1985 Klagefrist Nr. 4. 2 BAG v. 14.12.1979 – 7 AZR 38/78, AP Nr. 4 zu § 119 BGB. 3 BAG v. 13.12.1998 – 2 AZR 754/97, AP Nr. 49 zu § 123 BGB; v. 20.2.1986 – 2 AZR 244/85, AP Nr. 31 zu § 123 BGB. 4 Ebenso APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 16; KDZ/Zwanziger, § 4 KSchG Rz. 6; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 146; a.A. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 16a.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 82 Teil 12
Allerdings kann wegen des Verweises in § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG auch die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nur nach Maßgabe der §§ 4 Satz 1, 5–7 KSchG geltend gemacht werden. Der Arbeitnehmer muss daher auch hier innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht Klage auf die Feststellung erhoben haben, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst wurde. Aus § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG und § 13 Abs. 3 KSchG ergibt sich, dass der Arbeitnehmer jeden die außerordentliche Kündigung betreffenden Unwirksamkeitsgrund innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen muss, um den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion nach § 7 KSchG zu verhindern.1 Die dreiwöchige Klagefrist gilt aufgrund der Verweisung auf § 4 Satz 1 KSchG grds. für alle außerordentlich gekündigten Arbeitnehmer, sofern sie nicht gemäß § 14 Abs. 1 KSchG von der Anwendung der allgemeinen Kündigungsschutzvorschriften ausdrücklich ausgenommen sind (vgl. hierzu unter Rz. 75 ff.). In betrieblicher Hinsicht folgt dies unmittelbar aus § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
81
Darüber hinaus gilt nach der Rechtsprechung des BAG und nach der h.M. in der Literatur2 die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG auch für außerordentlich gekündigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zum Kündigungszeitpunkt weniger als sechs Monate bestanden hat. Nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Rechtslage hatte die h.M. für die Anwendbarkeit der Dreiwochenfrist auf die außerordentliche Kündigung noch die Erfüllung der Wartezeit vorausgesetzt, da § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG a.F. auf § 4 Satz 1 KSchG a.F. verwies, dessen Anwendung wiederum voraussetzte, dass der Arbeitnehmer Kündigungsschutz i.S.d. § 1 KSchG genoss.3 Auf Grund der im Zuge des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt erfolgten Vereinheitlichung der Klagefrist und der damit verbundenen Ablösung von kündigungsschutzrechtlichen Maßstäben ist nun – obwohl nicht ausdrücklich dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen – davon auszugehen, dass die Dreiwochenfrist auch für Arbeitnehmer gilt, die die Wartezeit nach § 1 KSchG noch nicht erfüllt haben (vgl. auch unter Rz. 75 ff.). Fände die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht auch auf außerordentliche Kündigungen innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG Anwendung, könnte der kurzzeitig beschäftigte Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung (§ 242 BGB) geltend machen. Damit aber wären Arbeitnehmer, die innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gekündigt werden, gegenüber den Arbeitnehmern besser gestellt, die schon lange Jahre beschäftigt sind und deshalb gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG innerhalb der Frist von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben müssen, um den
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1 APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 19, 22. 2 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972; aus der h.M. in der Literatur vgl. statt vieler nur Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (361); KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 11b m.w.N. 3 BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, AP Nr. 65 zu § 626 BGB mit zust. Anm. v. Birk; Stahlhacke/Preis/Vossen, 9. Auflage 2005 Rz. 1725; KR/Friedrich, 8. Auflage 2007, § 13 KSchG Rz. 42.
Mues
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Teil 12 Rz. 83
Kündigungsschutzprozess
Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu verhindern. Für diese unterschiedliche Behandlung gibt es keinen sachlichen Grund.1 83
Ebenso wie bei der ordentlichen Kündigung sind damit die §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG auch auf solche außerordentlich gekündigte Arbeitnehmer anwendbar, die mangels Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 1, 23 KSchG (noch) nicht unter den Anwendungsbereich des KSchG fallen.2
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Innerhalb der Dreiwochenfrist geltend zu machen ist auch die Unwirksamkeit der außerordentlichen Änderungskündigung aus wichtigem Grund i.S.d. § 626 BGB. Der Arbeitnehmer muss diese bei einer Annahme unter Vorbehalt nach § 2 KSchG spätestens drei Wochen nach ihrem Zugang mit einer Änderungsschutzklage angreifen, will er verhindern, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß § 7 KSchG rechtswirksam wird.3
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Umstritten ist, ob die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes über die fristgebundene Klageerhebung (§§ 4, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) auch dann Anwendung finden, wenn ein Auszubildender gegen die nach Ablauf der Probezeit gemäß § 22 BBiG allein mögliche außerordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses gerichtlich vorgehen will.
86
Das BAG4 macht die Anwendung der Klagefrist davon abhängig, ob entsprechend der Bestimmung des § 111 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ein Schlichtungsausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbilder und Auszubildendem eingerichtet wurde oder nicht:
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Besteht ein (freiwillig zu errichtender) Schlichtungsausschuss, gelten für die Durchführung des Kündigungsschutzverfahrens ausschließlich die Regelungen des § 111 Abs. 2 Satz 2–7 ArbGG, wonach vor Erhebung einer Klage zunächst zwingend der Ausschuss anzurufen ist und ein gerichtliches Vorgehen gegen dessen Spruch binnen 2 Wochen beim zuständigen Arbeitsgericht erfolgen muss. Die kündigungsrechtlichen Vorschriften der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG treten gegenüber diesen speziellen Verfahrensregelungen zurück. Einer späten Anrufung des Ausschusses kann hiernach nur mit den Grundsätzen der Prozessverwirkung begegnet werden. Die teilweise in der Literatur vertretene Ansicht, die Anrufung des Schlichtungsausschusses nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG unterliege der Drei-Wochen-Frist der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG5, ist zwar aus Praktikabilitätsgründen wünschenswert, jedoch mit der insofern eindeutigen Gesetzesformulierung nicht vereinbar. Wie das BAG zutreffend ausführt, verbietet sich eine (entsprechende) Anwendung der für die Erhebung der Kündigungsschutzklage relevanten Frist schon deshalb, weil sie zu einer wesentlichen 1 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972. 2 So auch KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 37. 3 BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, AP Nr. 20 zu § 2 KSchG 1969; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 30. 4 BAG v. 26.1.1999 – 2 AZR 134/98, AP Nr. 43 zu § 4 KSchG 1969; v. 5.7.1990 – 2 AZR 53/90, AP Nr. 23 zu § 4 KSchG 1969; v. 13.4.1989 – 2 AZR 441/88, AP Nr. 21 zu § 4 KSchG 1969. 5 So z.B. GMPM/Prütting, § 111 ArbGG Rz. 25; Hauck, § 111 ArbGG Rz. 6; wohl auch Schaub, 10. Auflage 2002, § 174 Rz. 99, der die gegenteilige Auffassung zumindest für „bedenklich“ hält.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 89 Teil 12
Änderung sowohl der in § 4 Satz 1 KSchG als auch der in § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG enthaltenen Fristenregelungen führen würde.1 Zudem lässt sich das Schlichtungsverfahren nur schwerlich mit dem Verfahren der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG vereinbaren.2 Besteht kein Schlichtungsausschuss, muss der Auszubildende hingegen die Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses innerhalb der Klagefrist der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG gerichtlich geltend machen.3 Die Anwendbarkeit der genannten Vorschriften ergibt sich bereits aus der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG, die die Auszubildenden ausdrücklich von der Berechnung der Mindestgröße des Betriebes ausnimmt und damit indirekt bestätigt, dass auch die im Berufsausbildungsverhältnis stehenden Beschäftigten Arbeitnehmer i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes sind, auf die die §§ 1 ff. KSchG Anwendung finden.4 Weder Vorschriften des BBiG noch Zweck und Wesen des Berufsausbildungsverhältnisses stehen einer Geltung der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegen (vgl. § 10 Abs. 2 BBiG). Denn zum einen sind bei Nichtbestehen eines Schlichtungsausschusses keine ausbildungsspezifischen Verfahrensregelungen zu beachten, die eine Anwendbarkeit der dreiwöchigen Klagefrist des KSchG ausschließen würden. Zum anderen ist das Ziel der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer möglichst schnellen Klärung der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach Zweck und Wesen des Berufsausbildungsverhältnisses ebenso notwendig wie im Rahmen anderer Arbeitsverhältnisse, zumal durch einen längeren Schwebezustand der Ausbildungserfolg in besonderer Weise gefährdet sein kann.5
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Eine Sonderregelung für die außerordentliche Kündigung enthält § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Danach hat das Gericht bei Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auf Antrag des Arbeitnehmers hin das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zu einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist (zum Auflösungsantrag des Arbeitnehmers vgl. ausführlich unter Rz. 546 ff.). Der Gesetzgeber hat damit § 9 Abs. 1 KSchG mit der Einschränkung für anwendbar erklärt, dass die Auflösung nur auf Antrag des Arbeitnehmers erfolgen kann. Dem Arbeitgeber wird eine Lösungsmöglichkeit nicht eingeräumt, da der Gesetzgeber die unberechtigte außerordentliche Kündigung als besonders schwer wiegende Vertragsverletzung ansieht, für die der Arbeitgeber nicht noch mit der (von ihm ja gewollten) Auflösung des Arbeitsverhältnisses belohnt werden soll. Der Arbeitgeber bleibt demnach an das Arbeitsverhältnis gebunden; eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG scheidet angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts von § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG aus.6
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1 BAG v. 13.4.1989 – 2 AZR 441/88, AP Nr. 21 zu § 4 KSchG 1969. 2 So auch LAG Hamm v. 19.6.1986 – 8 Ta 138/86, LAGE § 5 KSchG Nr. 24. 3 Löwisch/Spinner, KSchG § 13 Rz. 5; KR/Weigand, § 21–23 BBiG Rz. 123; Grunsky; ArbGG § 111 Rz. 3; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 13 KSchG Rz. 30. 4 BAG v. 26.1.1999 – 2 AZR 134/98, AP Nr. 43 zu § 4 KSchG 1969. 5 BAG v. 26.1.1999 – 2 AZR 134/98, AP Nr. 43 zu § 4 KSchG 1969. 6 KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 68 m.w.N. aus der Rechtsprechung; APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 24.
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Teil 12 Rz. 90
Kündigungsschutzprozess
2. Beginn der Klagefrist: Zugang der Kündigungserklärung a) Schriftform der Kündigung, § 623 BGB aa) Allgemeines 90
Durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 30.3.20001 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.5. 2000 die Norm des § 623 BGB neu eingeführt, wonach die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedarf. Das zuvor lediglich in einzelnen Sonderregelungen vorgeschriebene Schriftformerfordernis (z.B. nach § 22 Abs. 3 BBiG; § 9 Abs. 3 MuSchG; § 62 Abs. 1 SeemG) betrifft damit nunmehr jede Kündigung. Zu beachten ist, dass nur die schriftlich erklärte Kündigung die einheitliche Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG in Gang zu setzen vermag. Ist die Kündigung lediglich mündlich ausgesprochen worden, beginnt hinsichtlich dieses Formmangels die Dreiwochenfrist trotz Zugangs der Kündigung nicht zu laufen. Das Fehlen der Schriftform ist damit einer der wenigen Unwirksamkeitsgründe, die von § 4 Satz 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 KSchG nicht erfasst werden und bis zur Grenze der Verwirkung auch noch nach Ablauf der Dreiwochenfrist geltend gemacht werden können.2
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Die Schriftform soll Arbeitgeber und Arbeitnehmer Klarheit darüber verschaffen, ob eine Kündigung tatsächlich erklärt wurde, und es soll der Kündigungssachverhalt zuverlässiger beweisbar werden. Dadurch sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers arbeitsgerichtliche Streitigkeiten über das Vorliegen einer Kündigung vermieden werden.3 Daneben dient die in § 623 BGB vorgeschriebene Schriftform auch dazu, die Arbeitsvertragsparteien vor einer übereilten und unüberlegten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bewahren, sog. Warnfunktion des Schriftformerfordernisses. Insbesondere der Arbeitnehmer kann so vor einer unüberlegt ausgesprochenen mündlichen Eigenkündigung geschützt werden, durch die er sich u.U. um seine Existenzgrundlage bringt.4
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Das in § 623 BGB aufgestellte Schriftformerfordernis ist zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Es kann weder durch anderslautende arbeitsvertragliche Regelungen noch durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abbedungen werden.5 Möglich ist allenfalls die Vereinbarung strengerer Formvorschriften (etwa die schriftliche Darlegung der Kündigungsgründe). Zu beachten ist dabei jedoch die Vorschrift des § 309 Nr. 13 BGB, die im Falle eines Formulararbeitsvertrags die Vereinbarung einer strengeren Form als der Schriftform für unwirksam erklärt.6
1 2 3 4 5 6
BGBl. I 2000, S. 333. Vgl. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 100. BT-Drucks. 14/626, S. 11. Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (349). Palandt/Weidenkaff, § 623 BGB Rz. 7; Richardi/Annuß, NJW 2000, 1231 (1232). Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (349).
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Beginn der Klagefrist
Rz. 95 Teil 12
bb) Anwendungsbereich Die Regelung des § 623 BGB ist von ihrem Wortlaut her ausschließlich auf Arbeitsverhältnisse anwendbar. Freie Dienstverhältnisse etwa von Organmitgliedern juristischer Personen sind daher weiterhin mündlich kündbar. Auch die Kündigung von Dienstverhältnissen arbeitnehmerähnlicher Personen ist – mangels ausdrücklicher Einbeziehung durch den Gesetzgeber – nicht dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB unterworfen.1 Berufsausbildungsverhältnisse sind dagegen über die Verweisvorschrift des § 10 Abs. 2 BBiG grundsätzlich vom Anwendungsbereich des § 623 BGB mit umfasst. Allerdings kommt der Verweis lediglich für den ebenfalls in § 623 BGB geregelten Aufhebungsvertrag zum Tragen, da im Falle der Kündigung die in § 22 Abs. 3 BBiG vorgesehenen spezielleren Formvorschriften dem allgemeinen § 623 BGB vorgehen.2 Vorrangige gesetzliche Sonderregelungen bestehen zudem bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen von Frauen während der Mutterschutzfrist (§ 9 Abs. 3 MuSchG) sowie von Arbeitsverhältnissen von Seeleuten (§ 62 Abs. 1 SeemG).
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Das Schriftformerfordernis gilt für jede Art der Kündigung, unabhängig davon, ob sie vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer ausgesprochen wurde, und ob es sich um eine ordentliche oder um eine befristete oder fristlose außerordentliche Kündigung handelt.3 Zu beachten ist aber, dass angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 623 BGB nur solche Kündigungen von der Schriftform betroffen sind, die darauf angelegt sind, das Arbeitsverhältnis insgesamt zu beenden. Werden unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses im Übrigen lediglich einzelne Vertragsbedingungen gekündigt (sog. Teilkündigung), bedarf es deshalb hierfür grundsätzlich nicht der Schriftform.4 Anderes gilt im Falle der Änderungskündigung nach § 2 KSchG. Da diese unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht annimmt und die Kündigung wirksam, insbesondere sozial gerechtfertigt, ist, ebenso wie die Beendigungskündigung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führt, ist auch hier die Schriftform des § 623 BGB zu wahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des Charakters der Änderungskündigung als einheitliches Rechtsgeschäft nicht nur die Kündigungserklärung, sondern auch das Änderungsangebot formbedürftig ist, so dass es insofern einer einheitlichen, den Anforderungen des § 126 BGB genügenden Urkunde bedarf.5
94
Fraglich ist, inwieweit der Kündigung vergleichbare Tatbestände in den Anwendungsbereich des § 623 BGB einzubeziehen sind. Formbedürftig dürfte jedenfalls die Nichtfortsetzungserklärung nach § 12 KSchG sein, mit der sich der Arbeitnehmer binnen 1 Woche nach Rechtskraft des stattgebenden Kündigungsschutzurteils zugunsten eines neu eingegangenen Arbeitsverhältnisses von seinem bisherigen Arbeitsverhältnis lossagen kann. Denn da mit dem Zugang
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1 APS/Preis, § 623 BGB Rz. 4; ErfK/Müller-Glöge, § 623 BGB Rz. 2; Richardi/Annuß, NJW 2000, 1231 (1232); a.A. KDZ/Zwanziger/Däubler, § 623 BGB Rz. 9. 2 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (349). 3 KDZ/Zwanziger/Däubler, § 623 BGB Rz. 10. 4 Richardi/Annuß, NJW 1231 (1233); zur Zulässigkeit der Teilkündigung vgl. auch BAG v. 14.11.1990 – 5 AZR 509/89; AP Nr. 25 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag. 5 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (349); Schaub, NZA 2000, 344 (347).
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Teil 12 Rz. 96
Kündigungsschutzprozess
der Erklärung das alte Arbeitsverhältnis für die Zukunft erlischt (§ 12 Satz 3 KSchG), handelt es sich von der Wirkung her um eine Art außerordentliche Kündigung, die als sog. Sonderkündigungsrecht zu qualifizieren1 und damit der Schriftform unterworfen ist.2 96
" Praxistipp: Auf die Anfechtung des Arbeitsvertrags (§§ 119 ff. BGB) durch
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Einstweilen frei.
eine der beiden Arbeitsvertragsparteien findet hingegen nach zutreffender Ansicht § 623 BGB keine Anwendung. Abgesehen davon, dass es bei der Anfechtung anders als bei der Kündigung nicht um die Beendigung eines zunächst wirksam zustande gekommenen Arbeitsverhältnisses geht, sondern um die Beseitigung eines von vornherein fehlerhaften Rechtsgeschäftes, unterscheidet sich die Anfechtung auch durch ihre grundsätzlich rückwirkende Nichtigkeitsfolge von der auf die zukünftige Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Kündigung. Eine entsprechende Anwendung des § 623 BGB scheidet damit aus.3
cc) Wahrung der Schriftform 98
Zur Wahrung der in § 623 BGB vorgeschriebenen Schriftform muss gemäß § 126 Abs. 1 BGB der Kündigende die in einer einheitlichen Urkunde niedergelegte Kündigungserklärung eigenhändig durch Namensunterschrift oder notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnen. Die Kündigungserklärung selbst muss hingegen nicht notwendigerweise eigenhändig verfasst sein. Sie kann daher auch mit Schreibmaschine oder PC geschrieben, fotokopiert, oder sogar von einem Dritten gefertigt worden sein.4 Um dem Schriftformerfordernis zu genügen, muss die Unterschrift sich unter dem die Kündigungserklärung enthaltenden Text befinden, diesen also räumlich abschließen.5 Sie muss zudem die Identität des Aussteller erkennen lassen, wofür die Unterzeichnung mit einem Titel oder einer Funktionsbezeichnung („der Arbeitgeber“)6 ebenso wenig ausreicht wie die Unterzeichnung mit einem bloßen Namenskürzel (sog. „Paraphe“).7 Für die Abgrenzung zwischen Unterschrift und Handzeichen ist das äußere Erscheinungsbild maßgeblich; der Wille des Unterzeichnenden ist nur von Bedeutung, soweit er in dem Schriftzug seinen Ausdruck gefunden hat. Wenn eine Unterschrift von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist, sich aber neben dem Anfangsbuchstaben bei Anwendung des gebotenen nicht kleinlichen Prüfungsmaßstabs noch weitere Kleinbuchstaben erkennen lassen, fehlt es an den für eine Paraphe typischen Merkmalen und die Kündigung ist gem. 1 KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 22; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 5. 2 KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 24; Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (350); ErfK/Kiel, § 12 KSchG Rz. 1, 26; v. Hoyningen-Huene/Linck, 12 KSchG Rz. 9. 3 Ebenso: APS/Preis, § 623 BGB Rz. 10; Richardi/Annuß, NJW 2000, 1231 (1233); MüllerGlöge/v. Senden, AuA 2000, 199 (200); a.A. KDZ/Zwanziger/Däubler, § 623 BGB Rz. 17. 4 Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 126 BGB Rz. 2. 5 Vgl. BGH v. 20.11.1990 – XI ZR 107/89, DB 1991, 331. 6 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (350). 7 BAG v. 27.3.1996 – 5 AZR 576/94, DB 1996, 1988.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 100 Teil 12
§ 126 Abs. 1 BGB ordnungsgemäß unterschrieben.1 Häufig werden Kündigungsschreiben mit dem Zusatz „i. A.“ unterschrieben. Dabei stellt sich die Frage, ob der Unterzeichner nicht selbst handelnd wie ein Vertreter die Verantwortung für den Inhalt des von ihm unterzeichneten Kündigungsschreibens übernehmen will, sondern, sozusagen als Bote, lediglich eine fremde Willenserklärung übermitteln will. Es ist aber von rechtserheblicher Bedeutung, ob der Unterzeichner als Vertreter oder als Bote aufgetreten ist. Hat nämlich der Gekündigte Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung des Unterzeichners, kann er die Kündigung gem. § 174 BGB unverzüglich zurückweisen. Dann scheidet auch eine nachträgliche Genehmigung nach § 180 Satz 2, § 177 BGB aus. Bei der nach §§ 133, 157 BGB gebotenen Auslegung einer derartigen Erklärung ist jedoch zu berücksichtigen, dass im allgemeinen nichtjuristischen Sprachgebrauch nicht immer hinreichend zwischen „Auftrag“ und „Vertretung“ unterschieden wird. Oftmals werden die Zusätze „i. V.“ und „i. A.“ lediglich verwendet, um unterschiedliche Hierarchieebenen auszudrücken.2 Deshalb folgt nicht bereits aus dem Zusatz „i. A.“, dass der Erklärende lediglich als Bote gehandelt hat. Maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände. Wenn sich hieraus ergibt, dass der Unterzeichner ersichtlich im Namen eines anderen die Kündigung erklärt hat, ist von einem Handeln als Vertreter auszugehen. Ob der Unterzeichner tatsächlich bevollmächtigt war, ist dabei für die Wahrung der Schriftform unerheblich.3 Die gesetzliche Schriftform setzt voraus, dass dem Erklärungsgegner das Original der eigenhändig unterschriebenen Urkunde zugeht.4 Unwirksam ist daher eine Kündigung per Telefax. Hier wird die Unterschrift lediglich als Kopie von der Originalurkunde übernommen und ist damit nicht als eigenhändig i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB anzusehen.5 Aus den gleichen Gründen genügt auch eine per Telegramm6 oder per E-Mail7 übermittelte Kündigung nicht den Anforderungen des § 623 BGB. Die in § 126 Abs. 3 BGB vorgesehene Möglichkeit, die Schriftform durch die sog. elektronische Form (vgl. § 126a BGB) zu ersetzen, ist durch die zur gleichen Zeit eingeführte Regelung des § 623 Halbs. 2 BGB ausdrücklich ausgeschlossen worden.
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" Praxistipp: Eine mittels Schriftsatz im Laufe eines arbeitsgerichtlichen Ver-
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fahrens ausgesprochene Kündigung genügt der Schriftform nur dann, wenn der Kündigungsempfänger den vom Kündigenden oder dessen Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Originalschriftsatz oder eine vom Unterzeichnenden eigenhändig beglaubigte Kopie erhält.8 Andernfalls fehlt es an der in § 126 Abs. 1 BGB vorausgesetzten eigenhändigen Unterschrift.
1 2 3 4 5
BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, EBE/BAG 2008, 67. Vgl. Klein, NZA 2004, 1198, 1200. BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403. BAG v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, DB 1993, 975 (976). BAG v. 11.10.2000 – 5 AZR 313/99, DB 2001, 387; BGH v. 30.7.1997 – VIII ZR 244/96, NJW 1997, 3169; v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, DB 1993, 975. 6 ArbG Frankfurt v. 9.1.2001 – 8 Ca 5663/00, ArbN 2001, 36. 7 Appel/Kaiser, AuR 2000, 283 (285). 8 Müller-Glöge/v. Senden, AuA 2000, 199 (202); Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (352).
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Teil 12 Rz. 101
Kündigungsschutzprozess
101
Die Schriftform wird nach § 126 Abs. 4 BGB auch durch eine notarielle Beurkundung der Kündigungserklärung gewahrt. Diese kann wiederum durch die Aufnahme der Kündigungserklärung in einen gerichtlich protokollierten Vergleich ersetzt werden (§ 127a BGB). Die im arbeitsgerichtlichen Verfahren einseitig zu Protokoll erklärte Kündigung ist dagegen nicht formwirksam, da es an der eigenhändigen Unterschrift fehlt und auch die nur für gerichtliche Vergleiche geltende Ausnahmevorschrift des § 127a BGB nicht eingreift.
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Was den Inhalt des Schreibens angeht, so muss aus diesem lediglich hervorgehen, dass das Arbeitsverhältnis gekündigt wird. Die Angabe, ob es sich um eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung handelt, ist hingegen für die Wahrung der Schriftform nicht erforderlich. Unklarheiten wirken jedoch zu Lasten des Kündigenden1, der deshalb ein Interesse daran haben kann, im Kündigungsschreiben auch die Art der Kündigung zu bezeichnen. Nicht erforderlich ist die Angabe von Kündigungsgründen, da § 623 BGB diese im Gegensatz zu anderen Formvorschriften für Kündigungen (z.B. § 22 Abs. 3 BBiG, § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG) nicht ausdrücklich vorschreibt.2 dd) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis
103
Eine unter Nichteinhaltung der in § 623 BGB vorgeschriebenen Schriftform erklärte Kündigung ist gemäß § 125 Satz 1 BGB wegen Formmangels nichtig mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis wie bisher fortbesteht.3 Will der Kündigungsberechtigte das wegen formwidriger Kündigung fortbestehende Arbeitsverhältnis wirksam beenden, muss er unter Beachtung der Schriftform erneut kündigen, wobei im Falle der außerordentlichen Kündigung die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berücksichtigen ist.4
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Da die Nichtigkeit der Kündigung wegen Formmangels weder auf den in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG bezeichneten Gründen beruht noch einen anderen Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG darstellt (vgl. hierzu unter Rz. 280 ff.), kann sie vom Arbeitnehmer bis zur Grenze der Verwirkung5 auch außerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG noch vor Gericht geltend gemacht werden. Dies gilt nach Aufhebung des § 113 Abs. 2 InsO durch das Arbeitsmarktreformgesetz auch für die bis dahin ausnahmslos innerhalb von drei Wochen geltend zu machende Unwirksamkeit einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter.
105
Im Einzelfall kann die Berufung auf die Formnichtigkeit der Kündigung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) rechtsmissbräuchlich sein mit der Konsequenz, dass die eigentlich formwidrige Kündigung als rechtswirksam gilt. Dieser Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen, während im Übrigen
1 2 3 4 5
BAG v. 11.6.1959 – 2 AZR 334/57, AP Nr. 1 zu § 130 BGB. Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (351). Palandt/Weidenkaff, § 623 BGB Rz. 8; KDZ/Zwanziger/Däubler, § 623 BGB Rz. 28. Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (352). Vgl. hierzu KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 386 ff.
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Mues
Beginn der Klagefrist
Rz. 109 Teil 12
von dem Grundsatz auszugehen ist, dass jede Partei die Rechtsnachteile zu tragen hat, die sich aus der Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts ergeben.1 Nach der Rechtsprechung von BAG und BGH kann unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 242 BGB nur dann über einen Formmangel hinweggesehen werden, wenn die Unwirksamkeit des formwidrigen Rechtsgeschäfts für die betroffene Partei nicht nur hart, sondern untragbar wäre2, so z.B. im Falle der Existenzgefährdung des einen oder der besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils.3
106
Nicht schon als treuwidrig anzusehen ist es danach, wenn eine Partei sich auf die Unwirksamkeit der eigenen Kündigungserklärung beruft4, ohne dass weitere, die Anwendung des § 242 BGB rechtfertigende Umstände vorlägen. Die Regelung des § 623 BGB soll ja gerade auch dem Übereilungsschutz des Kündigenden dienen, so dass sie leer liefe, wenn diesem die Geltendmachung der Formwidrigkeit seiner Kündigung von vornherein verwehrt wäre. Ebenso wenig ist § 242 BGB anzuwenden, wenn beide Parteien Kenntnis von dem Formverstoß hatten5, da in diesem Falle keiner der beiden Vertragspartner ein schützenswertes Interesse an der Wirksamkeit des formwidrigen Rechtsgeschäfts hat. Auch die beiderseitige Unkenntnis von dem Formmangel kann nicht nach § 242 BGB die Nichtigkeitsfolge ausschließen.6
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Ein widersprüchliches, zur Anwendbarkeit des § 242 BGB führendes Verhalten hat das BAG dagegen ausnahmsweise dann angenommen, wenn ein Arbeitnehmer, der entgegen den Vorhaltungen des Arbeitgebers wiederholt ernsthaft und nicht nur einmalig spontan die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen hat, sich im nachhinein auf die Formwidrigkeit dieser Kündigung beruft.7 Als treuwidrig hat das Gericht es auch angesehen, wenn der Arbeitgeber fristlos kündigt und, nachdem der Arbeitnehmer im Vertrauen auf Wirksamkeit der Kündigung eine neue Stelle angetreten hat, diesen unter Berufung auf Formmangel zur Wiederaufnahme der Arbeit und Unterlassung der neuen Beschäftigung auffordert.8
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Die gleiche Beurteilung gilt für den Fall, dass eine Partei ihren Vertragspartner arglistig über die Formbedürftigkeit des Rechtsgeschäfts täuscht, um später, falls es in ihrem Interesse liegen sollte, dessen Nichtigkeit geltend machen zu können.9 Dagegen ist es nicht bereits als Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben anzusehen, wenn der Arbeitgeber es unterlässt, den Arbeitnehmer
109
1 BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 527/85, AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 2 BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 527/85, AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BGH v. 13.10.1983 – III ZR 158/82, NJW 1984, 606 (607). 3 BGH v. 10.10.1986 – V ZR 247/85, NJW 1987, 1069. 4 Küttner/Eisemann, Personalbuch 2007, § 256 Rz. 32. 5 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (353). 6 BAG v. 22.8.1979 – 4 AZR 896/77, AP Nr. 6 zu § 4 BAT. 7 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 799/96, AP Nr. 141 zu § 626 BGB. 8 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 799/96, AP Nr. 141 zu § 626 BGB; vgl. auch KDZ/Zwanziger/ Däubler, § 623 BGB Rz. 53. 9 Vgl. BAG v. 7.5.1986 – 4 AZR 556/83, AP Nr. 12 zu § 4 BAT.
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Teil 12 Rz. 110
Kündigungsschutzprozess
auf die Formbedürftigkeit der Kündigung hinzuweisen.1 Eine dahin gehende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil andernfalls die fehlende Belehrung durch den Arbeitgeber stets zur Durchbrechung der Formnichtigkeit führen würde, was dem Ausnahmecharakter des § 242 BGB nicht gerecht würde.2 110
Wird dem Erklärungsempfänger in Anwesenheit des Erklärenden eine unbeglaubigte und damit der Form des § 623 BGB nicht genügende Fotokopie des Kündigungsschreibens übergeben und ist die Einsicht in das unterschriebene Original möglich, so verstößt der Erklärungsempfänger gegen § 242 BGB, wenn er von dieser Aufklärungsmöglichkeit nicht Gebrauch macht oder die Erklärung wegen Nichteinhaltung der Form unverzüglich zurückweist, sondern sich erst geraume Zeit später auf den Formmangel beruft.3
111
" Praxistipp: Ausgeschlossen ist die Berufung auf die Formwidrigkeit einer Kündigung auch für den Kündigungsempfänger, der die Kündigung selbst zuvor schriftlich bestätigt hat4, sowie für den Kündigenden, der erfolglos auf die Formwidrigkeit seiner Kündigung hingewiesen und zur formgerechten Erklärung aufgefordert worden ist.5
b) Zugang der Kündigung 112
Der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ist für eine Vielzahl von kündigungsrechtlichen Fragen von Bedeutung. So beginnen sowohl die Kündigungsfrist als auch die in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehene Klageerhebungsfrist erst mit Kündigungszugang. Das Zugangsdatum ist zudem maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob bestehende Ausschlussfristen, insbesondere nach § 626 Abs. 2 BGB eingehalten sind. Vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung hängt es weiterhin ab, ob die sechsmonatige Wartefrist des § 1 KSchG erfüllt ist und damit allgemeiner Kündigungsschutz besteht und ob die Voraussetzungen eines besonderen Kündigungsschutzes (z.B. nach MuSchG6 oder SGB IX) gegeben sind. Schließlich beurteilt sich auch die Rechtmäßigkeit der Kündigung, insbesondere die Frage, ob ein den Anforderungen des § 1 KSchG entsprechender Kündigungsgrund vorliegt, nach den objektiven Verhältnissen zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs.7 aa) Zugang unter Anwesenden
113
Eine unter Anwesenden abgegebenen Willenserklärung kann durch mündliche Erklärung oder durch Übergabe eines entsprechenden Schriftstücks erfolgen. Die mündliche Kündigung kommt seit Einführung des Schriftformerfordernisses 1 Vgl. BAG v. 14.6.1994 – 9 AZR 284/93, AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG (Übertragung) zum vergleichbaren Fall eines tariflichen Schriftformerfordernisses. 2 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (354). 3 BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 603/97, NZA 1998, 1330 (1331). 4 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (353). 5 Appel/Kaiser, AuR 2000, 281. 6 Vgl. hierzu BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259. 7 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Wiedereinstellung.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 116 Teil 12
gemäß § 623 BGB nicht mehr in Betracht. Nicht der Schriftform unterworfene, mündlich ausgesprochene Willenserklärungen sind dagegen weiterhin wirksam. Für sie gilt der Grundsatz, dass sie zu dem Zeitpunkt zugegangen sind, in dem der Kündigungsempfänger die Erklärung wahrgenommen und verstanden hat.1 Wahrnehmungsschwierigkeiten auf Seiten des Empfängers (z.B. Taubheit, Sprachunkenntnis, Fremdsprachigkeit) fallen dabei in den Risikobereich des Erklärenden, sofern dieser nach den für ihn erkennbaren Umständen nicht davon ausgehen durfte, dass die Erklärung richtig und vollständig verstanden wurde.2 Der Zugang der schriftlichen Kündigungserklärung unter Anwesenden ist entsprechend § 130 Abs. 1 BGB anzunehmen, wenn das Kündigungsschreiben durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Kündigungsempfängers gelangt ist.3 Ob und zu welchem Zeitpunkt der Kündigungsempfänger das Schreiben liest, ist für den Zugangszeitpunkt regelmäßig nicht von Bedeutung.4 Anders ist es zu beurteilen, wenn die Übergabe des Kündigungsschreibens in einer Weise erfolgt, die eine sofortige Kenntnisnahme des Kündigungsempfängers gerade ausschließen soll, etwa wenn der Arbeitgeber die Kündigung im Vorübergehen in die Mantel- oder Hosentasche des Arbeitnehmers steckt.5 In diesen Fällen tritt der Zugang erst mit tatsächlicher Kenntnisnahme des Adressaten von der Kündigung ein.
114
" Praxistipp: Die Beweislast für den Zugang der Kündigung trägt derjenige,
115
der sich auf den Zugang beruft, also im Regelfall der Kündigende.6 Der Nachweis der Übergabe des Kündigungsschreibens kann durch oder eine Empfangsquittung des Kündigungsadressaten geführt werden.
bb) Zugang unter Abwesenden Eine unter Abwesenden abgegebene Kündigungserklärung wird gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Kündigungsempfänger zugeht. Dies ist dann der Fall, wenn das Kündigungsschreiben in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen.7 Besteht für den Kündigungsempfänger diese abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme, ist es unerheblich, ob er die Kündigungserklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere, in seiner Sphäre liegende Umstände zunächst gehindert war.8 Ein Zugang ist daher selbst dann anzunehmen, wenn dem Erklärenden bekannt ist, dass der Erklärungsempfänger durch bestimmte, 1 2 3 4 5 6 7
Larenz/Wolf, § 26 Rz. 30. Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 130 BGB Rz. 14. BGH v. 15.6.1998 – II ZR 40/97, NJW 1998, 3344. BAG v. 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, EzA § 123 BGB Nr. 21. Vgl. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 101. LAG Bremen v. 5.9.1986 – 4 Ta 47/86, LAGE § 130 BGB Nr. 6. BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB; v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB; Soergel/Hefermehl, § 130 BGB Rz. 8, 11. 8 BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB.
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Teil 12 Rz. 117
Kündigungsschutzprozess
in seiner Sphäre liegende Umstände – z.B. Krankheit oder zeitweilige Ortsabwesenheit – an der Kenntnisnahme der Kündigung gehindert ist. 117
Dementsprechend kann nach der Rechtsprechung des BAG bei urlaubsbedingter Abwesenheit des Arbeitnehmers diesem eine an seine Heimatadresse gerichtete arbeitgeberseitige Kündigungserklärung auch dann zugehen, wenn der Arbeitgeber von der Abwesenheit des Arbeitnehmers weiß und der Arbeitnehmer ihm seine Urlaubsanschrift mitgeteilt hat.1 Gleiches gilt, wenn sich der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft bzw. in Auslieferungshaft im Ausland befindet und dem Arbeitgeber Inhaftierung und Haftanstalt bekannt waren.2 Begründet wird dieses Ergebnis mit einer sachgerechten, den Interessen beider Beteiligter gerecht werdenden Verteilung des Transportrisikos des Erklärenden und des Kenntnisnahmerisikos des Empfängers sowie mit den Bedürfnissen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs.3 Ein Abstellen auf die konkrete Kenntnisnahme durch den Erklärungsempfänger wäre mit erheblichen Unsicherheiten belastet, da die Möglichkeit besteht, dass die maßgeblichen Umstände sich im Nachhinein ändern, etwa bei kurzfristiger Änderung der Urlaubspläne des Arbeitnehmers oder – im Falle der Inhaftierung – durch seine kurzfristige Verlegung in eine andere Haftanstalt. Zudem wird in der Regel bei einer Versäumung der in § 4 Satz 1 KSchG vorgegebenen Klagefrist durch urlaubs- oder haftbedingte Abwesenheit die verspätete Klage gemäß § 5 KSchG zuzulassen sein.4
118
Auch Analphabetismus und Sprachunkenntnis auf Seiten des Erklärungsempfängers hindern nach herrschender Meinung nicht den Zugang einer Kündigungserklärung5, da es für den Zugang allein auf die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt. Die Annahme eines Zugangs erst nach Ablauf einer angemessenen, für die Herstellung einer Übersetzung erforderlichen Zeitspanne6 ist mit der objektivierten Zugangsbeurteilung unvereinbar.7
119
Die Übermittlung des Kündigungsschreibens kann im Wege der Postzustellung, der Zustellung durch einen vom Arbeitgeber beauftragten Boten oder der Zustellung durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers nach § 132 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 166 ff. ZPO erfolgen.
120
Bei der postalischen Übermittlung und der Zustellung durch Boten geschieht dies – sofern eine Übergabe des Schreibens an den Kündigungsempfänger oder eine dritte empfangsberechtigte Person in seinem Haushalt nicht möglich ist – in der Regel durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Wohnungsbriefkasten.
121
Dabei gilt als Zugangszeitpunkt der Termin, zu dem der Briefkasten üblicherweise geleert wird. Erst dann ist entsprechend dem o.g. Grundsatz unter ge1 2 3 4 5
BAG v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, EzA § 130 BGB Nr. 16. BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB. BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB. BAG v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, EzA § 130 BGB Nr. 16. LAG Köln v. 24.3.1988 – 8 Ta 46/88, NJW 1988, 1870; LAG Hamburg v. 6.7.1990 – 1 Ta 3/90, LAGE § 130 BGB Nr. 16; offengelassen von BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, NZA 1985, 124. 6 So LAG Hamm v. 24.3.1988 – 8 Ta 35/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 32. 7 Vgl. BAG v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, EzA § 130 BGB Nr. 16.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 125 Teil 12
wöhnlichen Umständen mit einer Kenntnisnahme des Erklärungsempfängers zu rechnen. Ein durch Boten überbrachtes Kündigungsschreiben, das erst nach der üblichen Postzustellungszeit in den Briefkasten geworfen wird, geht daher grundsätzlich erst am nächsten Tag zu.1 Soweit ein Briefkasten nicht vorhanden bzw. funktionsunfähig ist, kann der Zugang des Kündigungsschreibens auch dadurch bewirkt werden, dass es vollständig unter der Wohnungstür hindurchgeschoben2 wird, so dass ein Zugriff durch Unbefugte nicht mehr möglich ist. Ist ein Hindurchschieben nicht möglich, soll auch das Anbringen des Schreibens an der nicht einsehbaren Haustüre eines Einfamilienhauses für den Zugang ausreichen.3
122
Bei Zugang durch Boten kann dieser den Inhalt des Kündigungsschreibens sowie Zeitpunkt und Umstände der Zustellung in einem etwaigen späteren Kündigungsschutzprozess als Zeuge beweisen.
123
Neben der einfachen postalischen Übermittlung und der Übermittlung durch Boten kann der Arbeitgeber die Kündigung von der Post auch im Wege des Einschreibens zustellen lassen. Ein Einwurfeinschreiben, das mit der Hauspost in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers eingeworfen wird, geht zu, sobald mit der Leerung des Briefkastens unter gewöhnlichen Umständen zu rechnen ist. Der Einwurf des Schreibens wird von dem Postbediensteten unter Angabe von Datum und Uhrzeit schriftlich vermerkt. Hierdurch wird der Nachweis darüber erleichtert, dass die eingeschriebene Sendung zu dem dokumentierten Zeitpunkt in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist.4
124
Zum anderen kann die Übermittlung der Kündigung durch ein sog. ÜbergabeEinschreiben erfolgen, bei dem der Empfänger oder ein sonstiger Empfangsberechtigter die Sendung nur gegen Unterschrift erhält. Bei dieser Übermittlungsform ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Zugang erst dann bewirkt wird, wenn das Schreiben dem Kündigungsempfänger oder einem dritten Empfangsberechtigten tatsächlich ausgehändigt worden ist.5 Hat der Postbedienstete in der Wohnung niemanden angetroffen und legt er das Einschreiben nach Einstecken eines entsprechenden Benachrichtigungszettels in den Briefkasten des Adressaten bei der Post nieder, ist darin noch kein Zugang der Kündigungserklärung zu sehen. Durch den Einwurf des Benachrichtigungszettels gelangt das Einschreiben nämlich noch nicht in den Herrschaftsbereich des Kündigungsempfängers, vielmehr wird dieser lediglich in die Lage versetzt, das Schreiben in seinen Machtbereich zu bringen. Erst mit Abholung des Originalschreibens bei der Post, wozu der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, ist ihm die Erklärung zugegangen.6 Dies gilt auch, wenn der Empfänger die Abholung des Einschreibebriefs dadurch verzögert, dass er ihn nicht unverzüglich nach Zugang des Benachrichtigungszettels, aber noch innerhalb der ihm von
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1 2 3 4
BAG v. 8.12.1983 – 2 AZR 337/82, AP Nr. 12 zu § 130 BGB: gegen 16.30 Uhr. LAG Düsseldorf v. 7.12.1995 – 5 Sa 1035/95, LAGE § 130 BGB Nr. 20. LAG Hamm v. 25.2.1993 – 8 Ta 333/92, LAGE § 130 BGB Nr. 18. Vgl. Dübbers, NJW 1997, 2503; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 112; kritisch zur Beweisführungsmöglichkeit: Bauer/Diller, NJW 1998, 2795. 5 BAG v. 25.4.1996 – 2 AZR 13/95, NZA 1996, 1227. 6 BAG v. 24.10.1985 – 2 AZR 521/84, EzA § 794 ZPO Nr. 7.
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Teil 12 Rz. 126
Kündigungsschutzprozess
der Post mitgeteilten Aufbewahrungsfrist beim zuständigen Postamt abholt oder abholen lässt.1 Der Zugang der Kündigung kann sich damit u.U. nicht unerheblich verschieben, ohne dass der kündigende Arbeitgeber darauf Einfluss hätte. 126
" Praxistipp: Sollen durch den Zugang der Kündigung Fristen gewahrt werden
127
Wird die Kündigungserklärung einer anderen Person als dem Kündigungsempfänger übergeben, so ist zu unterscheiden:
128
Handelt es sich bei dem Dritten um einen ausdrücklich zur Entgegennahme von Erklärungen Bevollmächtigten, ist die Kündigung im Zeitpunkt ihrer Aushändigung an diese Person gleichzeitig auch dem Kündigungsempfänger zugegangen, vgl. § 164 Abs. 3 BGB.
129
Handelt es sich um einen sog. Empfangsboten, so ist für den Zugang der Kündigung, sofern nicht ein früherer Zugang feststeht, der Zeitpunkt maßgebend, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge eine Übermittlung der Erklärung an den Adressaten zu erwarten war. Der Zugang kommt in der Regel bereits mit Aushändigung des Kündigungsschreibens an den Empfangsboten zustande, wenn dieser die Sendung im räumlichen Machtbereich des Erklärungsempfängers, insbesondere in dessen Wohnung, entgegennimmt. In diesen Fällen kann nichts anderes gelten als bei einem Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten des Empfängers.2
130
Ist die dritte Person nicht empfangsberechtigt, gilt sie als bloßer Erklärungsbote der die Kündigung aussprechenden Partei mit der Folge, dass die Kündigung dem Erklärungsempfänger erst zugeht, wenn sie ihm oder einem Empfangsboten tatsächlich übermittelt wird.
131
Als empfangsberechtigte Personen gelten die mit dem Erklärungsempfänger in einem Haushalt lebenden Familienangehörigen3 oder Lebensgefährten4, sowie in der Regel auch der im selben Haus wohnende Vermieter5 und die Hausange-
(etwa die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB) ist nur die Übermittlung durch einen Boten sicher, der den Inhalt des Kündigungsschreibens und den genauen Zugangszeitpunkt bezeugen kann. Bei der Beauftragung eines Gerichtsvollziehers gemäß § 132 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 166 ff. ZPO kann dieser das zu übergebende Kündigungsschreiben ersatzweise in der Regel bei der Post niederlegen und den Empfänger schriftlich davon benachrichtigen, § 182 ZPO. Das Schreiben gilt dann bereits zu diesem Zeitpunkt als zugegangen (sog. Ersatzzustellung durch Niederlegung). Die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers beweist den Zugang.
1 2 3 4 5
BAG v. 25.4.1996 – 2 AZR 13/95, NZA 1996, 1227. BGH v. 15.3.1989 – VIII ZR 303/87, EzA § 130 BGB Nr. 23. BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259 (261). LAG Bremen v. 17.2.1988 – 3 Ta 79/87, NZA 1988, 548. BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259 (261); v. 16.1.1976 – 2 AZR 619/74, AP Nr. 7 zu § 130 BGB.
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Beginn der Klagefrist
Rz. 134 Teil 12
stellten.1 Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße verwandtschaftliche Beziehung zu der die Erklärung entgegennehmenden Person.2 Der Empfangsbote ist zur Annahme des für den Adressaten bestimmten Kündigungsschreibens nicht verpflichtet. Verweigert er die Entgegennahme, findet ein Zugang nicht statt, es sei denn, die empfangsberechtigte Person hat im Einvernehmen mit dem Empfänger bewusst die Annahme verweigert und damit den Zugang vereitelt.3
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c) Zugangsvereitelung Im Allgemeinen ist der Erklärungsempfänger nicht dazu verpflichtet, Empfangsvorkehrungen für den Zugang von für ihn bestimmten Erklärungen zu treffen oder für ihn bei der Post niedergelegte Schriftstücke abzuholen.4 Muss jedoch der Erklärungsempfänger aufgrund einer besonderen Situation im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit rechtserheblichen Mitteilungen (z.B. einer Kündigungserklärung) rechnen, kann er aufgrund der vertraglich begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Vertragspartner gehalten sein, geeignete Maßnahmen dafür zu treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen.5 Unterlässt er dies und kann er infolgedessen von der Kündigung keine oder nur verspätet Kenntnis nehmen, muss er sich nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB so behandeln lassen, als habe ihn die nicht zugegangene Kündigung zu dem Zeitpunkt erreicht, zu dem sie ihm unter normalen Umständen zugegangen wäre. Dies gilt jedenfalls für die Ausnahmefälle, in denen es für den Absender auf die Rechtzeitigkeit des Zugangs ankommt, etwa wenn durch den Zugang die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt werden soll oder die Kündigung noch vor Eintritt der Wartefrist nach § 1 Abs. 1 KSchG oder eines etwaigen Sonderkündigungsschutzes erfolgen soll. Denn aus dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB folgt, dass die im besonderen Einzelfall treuwidrige Verzögerung des Kündigungszugangs durch eine der Parteien nicht zu Nachteilen für die andere Partei (etwa durch Versäumung von Fristen) führen darf.6 Voraussetzung für die Berufung auf § 242 BGB ist allerdings, dass der Erklärende alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, um einen Zugang beim Erklärungsempfänger zu gewährleisten.7
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Eine erneute Zustellung der Kündigungserklärung ist nicht erforderlich, wenn der Kündigungsempfänger die Annahme des an ihn gerichteten Schreibens grundlos ablehnt, obwohl er mit einer Kündigung rechnen musste.8 Dies ist
134
1 BAG v. 13.10.1976 – 5 AZR 510/75, AP Nr. 8 zu § 130 BGB. 2 BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259 (261): der nicht im selben Haushalt lebende Onkel. 3 BAG v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259 (261). 4 BAG v. 3.4.1986 – 2 AZR 258/85, DB 1986, 2336. 5 BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, NJW 1998, 976 (977). 6 Vgl. BAG v. 25.4.1996 – 2 AZR 13/95, NZA 1996, 1227 (1228). 7 BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, NJW 1998, 976 (977). 8 BGH v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, NJW 1998, 976 (977); v. 27.10.1982 – V ZR 24/82, DB 1983, 40.
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Teil 12 Rz. 135
Kündigungsschutzprozess
aber nicht der Fall, wenn der Brief nicht ausreichend frankiert1 oder falsch adressiert ist, weil der Adressat unter diesen Umständen zur Annahme der Postsendung nicht verpflichtet ist und damit ein hinreichender Grund für die Verweigerung vorliegt.2 135
" Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die aus-
nahmsweise den Einwand der treuwidrigen Berufung auf den verspäteten Zugang der Kündigung begründen, trägt der kündigende Arbeitgeber. Hat der Arbeitgeber nachgewiesen, dass der Arbeitnehmer mit einer Kündigung rechnen musste und dass die Benachrichtigung von der Niederlegung des Einschreibens bei der Post in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, muss der Empfänger seinerseits konkrete Umstände vortragen, aus denen hervorgeht, dass er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen keine Kenntnis von dem Benachrichtigungsschreiben erlangt hat3 bzw. zur unverzüglichen Abholung des Einschreibens nicht in der Lage oder diese ihm nicht zumutbar war4, § 138 Abs. 2 ZPO.
3. Berechnung der Dreiwochenfrist 136
Gemäß § 4 Satz 1 KSchG hat der gekündigte Arbeitnehmer binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung ihre Sozialwidrigkeit oder ihre Rechtsunwirksamkeit aus anderen Gründen i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG beim örtlich zuständigen Arbeitsgericht (vgl. dazu unter Rz. 181 ff.) geltend zu machen. Andernfalls gilt die Kündigung hinsichtlich der fristgebundenen Unwirksamkeitsgründe als von Anfang an rechtswirksam, § 7 KSchG.
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Die Berechnung der Klagefrist richtet sich nach den §§ 187 ff. BGB. Gemäß § 187 Abs. 1 BGB ist bei der Bestimmung des Fristbeginns der Tag des Zugangs der Kündigung nicht mit einzurechnen, so dass die Dreiwochenfrist erst am darauffolgenden Tag zu laufen beginnt. Die Frist endet gemäß § 188 Abs. 2 BGB drei Wochen später mit dem Ablauf desjenigen Wochentages, der in seiner Benennung dem Tag des Kündigungszugangs entspricht. Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder einen staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag, tritt nach § 193 BGB an die Stelle dieses Tages der nächste Werktag.
138
Geht die Kündigung dem Arbeitnehmer an einem Freitag zu, beginnt die Frist am darauffolgenden Samstag zu laufen und endet drei Wochen später am Freitag um 24.00 Uhr. Handelt es sich bei dem Freitag um einen gesetzlichen Feiertag, verschiebt sich dagegen das Fristende auf den Ablauf des darauffolgenden Montags.
1 2 3 4
Vgl. OVG Hamburg v. 21.3.1995 – Bf VI 24/94, NVwZ 1996, 200. Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 130 BGB Rz. 16; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 121. BAG v. 3.4.1986 – 2 AZR 258/85, DB 1986, 2336 (2337). LAG Frankfurt v. 7.5.1987 – 12 Sa 1701/86, DB 1987, 2314.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 141 Teil 12
II. Fristwahrende Klageerhebung 1. Klageschrift a) Formelle Anforderungen Der notwendige Mindestinhalt einer Klageschrift ergibt sich aus der Vorschrift des § 253 Abs. 2 ZPO. Es handelt sich um eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung, deren Fehlen dazu führt, dass die betreffende Klage als unzulässig abzuweisen ist, sofern der Mangel nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung behoben worden ist.1 Eine Klage, die nicht den formellen Mindestvoraussetzungen entspricht, kann zudem in der Regel nicht die in § 4 KSchG vorgeschriebene Frist zur Klageerhebung wahren.2
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aa) Angabe des angerufenen Gerichts und der Parteien, § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss die Kündigungsschutzklage neben der Angabe des angerufenen Gerichts zunächst die genaue Bezeichnung der Parteien des Kündigungsschutzprozesses enthalten. Erforderlich ist hierfür die Angabe des Klägers (= Arbeitnehmer), des Beklagten (= Arbeitgeber) sowie evtl. deren gesetzliche Vertreter gemäß §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 1 ZPO nach Namen, Stand oder Gewerbe und Wohnort anzugeben.
140
Ist die Parteibezeichnung nicht eindeutig, so sind Kläger bzw. Beklagter durch Auslegung der in der Klageschrift enthaltenen prozessualen Willenserklärung zu ermitteln. Abzustellen ist hierbei nicht allein auf die formale Bezeichnung, sondern darauf, welcher Sinn dieser bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhaltes aus Sicht des Empfängers (Gericht und Klagegegner) beizulegen ist.3 Die ungenaue oder unrichtige Parteibezeichnung ist grundsätzlich unschädlich und kann von Amts wegen berichtigt werden4, sofern die rechtliche Identität der Partei gewahrt bleibt, die durch die ursprüngliche Bezeichnung erkennbar getroffen werden sollte.5 Dabei bleibt die eingehaltene Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG selbst dann gewahrt, wenn die Berichtigung der Parteibezeichnung erst nach Ende dieser Frist vorgenommen wird.6 Wird die Kündigungsschutzklage gegen einen fehlerhaft bezeichneten Arbeitgeber gerichtet, ist den Beteiligten aber von Anfang an klar, welche Person tatsächlich verklagt werden sollte, kann das Rubrum daher unabhängig vom Ablauf der Klagefrist entsprechend auf den richtigen Beklagten umgestellt werden.7
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1 Zöller/Greger, 26. Auflage 2007, § 253 ZPO Rz. 23. 2 APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 104 ff.; zur Möglichkeit der fristwahrenden Heilung nach § 295 ZPO vgl. aber BAG v. 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, AP Nr. 14 zu § 4 KSchG 1969. 3 BAG v. 13.7.1989 – 2 AZR 571/88, RzK I 8 h Nr. 6. 4 BAG v. 13.7.1989 – 2 AZR 571/88, RzK I 8 h Nr. 6. 5 BGH v. 28.3.1995 – X ARZ 255/95, NJW-RR 1995, 764; v. 12.10.1987 – II ZR 21/87, NJW 1988, 1585; v. 24.11.1980 – VIII ZR 208/79, JuS 1981, 612. 6 LAG Köln v. 10.10.1988 – 5 Ta 202/88, NZA 1989, 281. 7 Vgl. auch LAG Köln v. 8.11.1982 – 5 Sa 735/82 (n.v.).
Mues
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Teil 12 Rz. 142
Kündigungsschutzprozess
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Bei der Auslegung der Parteibezeichnung sind die Arbeitsgerichte in der Regel großzügig. So kann sich selbst dann, wenn in der Klageschrift eine tatsächlich vorhandene (juristische oder natürliche) Person mit korrekter Bezeichnung und Anschrift als Beklagte genannt wird, im Wege der Auslegung ergeben, dass eine andere Person verklagt werden sollte, etwa wenn ein der Klageschrift beigefügtes Kündigungsschreiben auf deren Parteistellung hinweist oder wenn sich ansonsten aus dem Inhalt der Klageschrift und etwaigen Anlagen unzweifelhaft ergibt, welche Person tatsächlich gemeint ist.1 Ist beispielsweise im Klagerubrum irrtümlich nicht der Insolvenzverwalter, sondern die Schuldnerin als Beklagte genannt, so ist das Rubrum zu berichtigen, wenn sich aus der Klageschrift oder aus dem dieser beigefügten Kündigungsschreiben ergibt, dass sich die Klage gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes richten soll.2
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Auch an die Bezeichnung der gesetzlichen Vertreter werden von der Rechtsprechung keine hohen Anforderungen gestellt. Da sie in erster Linie dazu dient, die Durchführung der Zustellung zu sichern (vgl. § 171 Abs. 1 ZPO), muss sie lediglich in einer Weise erfolgen, die eine Zustellung an den gesetzlichen Vertreter ohne Schwierigkeiten ermöglicht.3 Dafür ist es nicht unbedingt notwendig, den gesetzlichen Vertreter namentlich zu bezeichnen; vielmehr genügt bei juristischen Personen für die Kennzeichnung des Zustellungsadressaten in der Regel die Angabe von dessen Organstellung.4 Bei der Zustellung in den Geschäftsräumen einer Aktiengesellschaft soll sogar die Bezeichnung der Gesellschaft ausreichen, da auch ohne namentliche Nennung der vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder nur diese als Zustellungsempfänger in Betracht kommen.5
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Auch die fehlerhafte Bezeichnung der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsverhältnisse führt nicht in jedem Falle zur formellen Fehlerhaftigkeit der Klage. So ist bei einer gegen eine GmbH & Co. KG gerichteten Klage die Angabe „vertreten durch die Geschäftsführer“ ausreichend, sofern die Geschäftsführer der nach §§ 161 Abs. 2, 125 Abs. 1, 170 HGB vertretungsberechtigten GmbH namentlich genannt und damit identifizierbar sind; die (korrekte) Bezeichnung der GmbH als gesetzliche Vertreterin der KG ist dagegen nicht erforderlich.6 Ist eine Gesellschaft (etwa eine KG oder GbR) Arbeitgeberin des klagenden Arbeitnehmers, so ist bei einer Kündigungsschutzklage besonders sorgfältig zu prüfen, ob lediglich eine falsche Parteibezeichnung vorliegt, wenn der Arbeitnehmer nicht seine Arbeitgeberin, sondern die Gesellschafter verklagt. Dabei bedarf es für die Auslegung, dass der Arbeitnehmer gegen die Gesellschafter, die keine Arbeitgeberstellung hatten und deshalb auch nicht gekündigt haben, mit der Kündigungsschutzklage vorgehen wollte, besonderer Anhaltspunkte. Das gilt auch, wenn sich eine Kündigungsschutzklage gegen eine Partnergesell1 BAG v. 12.2.2004 – 2 AZR 136/03; v. 27.11.2003 – 2 AZR 692/02, EzA-SD 2004, Nr. 6, 13; LAG Hamm v. 4.11.1996 – 12 Ta 114/96, LAGE § 5 KSchG Nr. 84. 2 BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 272/02, AP Nr. 34 zu § 9 MuSchG 1968; v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, NZA 2002, 999. 3 BGH v. 29.6.1993 – X ZR 6/93, NJW 1993, 2811 (2813). 4 BGH v. 29.6.1993 – X ZR 6/93, NJW 1993, 2811 (2813); Boewer, NZA 1997, 359 (360). 5 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689. 6 BGH v. 29.6.1993 – X ZR 6/93, NJW 1993, 2811 (2813).
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 146 Teil 12
schaft nach dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (BGBl. I S. 1744) oder die Partner einer solchen Gesellschaft richtet. Stets ist auch hier vorrangig zu prüfen, ob es sich bei einer Klage gegen eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz bei der gegen die Gesellschafter anhängig gemachten Klage nicht in Wahrheit um eine Klage gegen die Gesellschaft selbst, also gegen die richtige Partei i.S.d. § 7 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 124 HGB handelt. Dies gilt insbesondere für eine Kündigungsschutzklage.1 Das Arbeitsgericht hat im Übrigen im Rahmen seiner richterlichen Aufklärungspflicht auf die Berichtigung eines fehlerhaften Rubrums hinzuwirken.2 Soll die irrtümlich gegen die falsche Partei gerichtete Klage nachträglich auf die richtige Partei umgestellt werden3, wenn etwa anstelle der angegebenen GmbH nunmehr die GmbH & Co. KG verklagt werden soll4, wenn die Klage auf den gesetzlichen Prozessstandschafter umgestellt wird5, wenn anstelle der OHG die persönlich haftende Gesellschafterin6 oder anstelle der GmbH eine AG als deren Muttergesellschaft verklagt ist7, muss – sofern sich nicht durch Auslegung die richtige Partei ermitteln lässt – nicht nur die Bezeichnung, sondern auch die Identität der Partei gewechselt werden. Es liegt ein sog. gewillkürter Parteiwechsel vor, der nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich als Klageänderung i.S.d. § 263 ZPO zu behandeln ist.8 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Parteiwechsel auf Beklagtenseite – sofern bereits mündlich verhandelt wurde – nur mit Einwilligung des ursprünglichen Beklagten zulässig ist (arg. ex § 269 Abs. 1 ZPO). Erfolgt der Beklagtenwechsel erst in 2. Instanz, muss zudem grundsätzlich der neue Beklagte seiner Einbeziehung in den Rechtsstreit zustimmen, da er nicht gegen seinen Willen in einen Rechtsstreit hineingezogen werden kann, auf dessen bisherigen Verlauf er keinen Einfluss hatte.9 Seine Zustimmungsverweigerung kann lediglich im Falle des Rechtsmissbrauchs ausnahmsweise als unbeachtlich anzusehen sein.10
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" Praxistipp: Mit Zulassung der Klageänderung entfällt die Rechtshängigkeit
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des ursprünglichen (fristgerechten) Klageantrags mit der Folge, dass im Gegensatz zur bloßen Rubrumsberichtigung die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nur dann gewahrt werden kann, wenn die Umstellung der Klage auf den richtigen Beklagten noch innerhalb der Dreiwochenfrist erfolgt.11 Ist die Klagefrist
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BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 525/05, NJW 2007, 2877. Vgl. Zöller/Vollkommer, 26. Auflage 2007, Vor § 50 ZPO Rz. 7. Zur Abgrenzung vgl. BGH v. 16.12.1997 – VI ZR 279/96, NJW 1998, 1496. LAG Erfurt v. 17.9.1997 – 9 Ta 12/97, LAGE § 4 KSchG Nr. 38. LAG Rheinland-Pfalz v. 27.4.1990 – 9 Ta 65/90, LAGE § 4 KSchG Nr. 17 zur Umstellung der Klage eines bei den US-Streitkräften beschäftigten Arbeitnehmers, der die Dienststelle der Stationierungsstreitkräfte als Klagegegner angegeben hat, obwohl die Bundesrepublik Deutschland als deren gesetzlicher Prozessstandschafter zu verklagen gewesen wäre; dazu auch LAG Köln v. 27.11.1987 – 9 Ta 238/87, LAGE § 5 KSchG Nr. 39; LAG Frankfurt v. 9.12.1988 – 15 Sa 615/88, ArbuR 1989, 386. BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 692/02, EzA-SD 2004, Nr. 6, 13. LAG Köln v. 19.5.1995 – 4 Ta 86/95, LAGE § 4 KSchG Nr. 27. BGH v. 13.11.1975 – VII ZR 186/73, NJW 1976, 239. BGH v. 10.11.1980 – II ZR 96/80, NJW 1981, 989. Vgl. auch LAG Berlin v. 3.12.1990 – 9 Sa 111/90, AuA 1991, 26. Vgl. LAG Hamm v. 28.6.2000 – 12 Ta 77/00, BuW 2001, 440.
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Teil 12 Rz. 147
Kündigungsschutzprozess
zum Zeitpunkt des Parteiwechsels bereits abgelaufen, hilft dem Arbeitnehmer nur noch die nachträgliche Zulassung seiner verspätet gegen den richtigen Arbeitgeber erhobenen Klage unter den Voraussetzungen des § 5 KSchG. bb) Klagegrund und -gegenstand sowie bestimmter Antrag, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO 147
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO setzt die formell ordnungsgemäße Klageerhebung zudem die Angabe eines bestimmten Klagegegenstandes voraus. Ausreichend und erforderlich ist hierfür, dass der Arbeitnehmer die Kündigung bezeichnet, gegen die er sich mit der Kündigungsschutzklage zur Wehr setzen will.
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Auch an den vom Arbeitnehmer vorzutragenden Klagegrund, also den Tatsachenvortrag, aus dem er sein Klagebegehren ableitet, werden im Rahmen der Kündigungsschutzklage von der Rechtsprechung keine allzu strengen Anforderungen gestellt. So genügt es für die Zulässigkeit aus formellen Gründen in der Regel, dass aus der Klage ersichtlich wird, gegen wen sie sich richtet, wo der Kläger tätig war, und dass er seine Kündigung nicht als berechtigt anerkennen will.1
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Nähere Ausführungen des Arbeitnehmers zur Sozialwidrigkeit der Kündigung werden zu Recht nicht gefordert. Denn schließlich obliegt es nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG dem Arbeitgeber, die Tatsachen, aus denen sich die soziale Rechtfertigung der Kündigung ergeben soll, darzulegen und zu beweisen.2
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Schließlich muss die Kündigungsschutzklage einen bestimmten Antrag enthalten. Dieser ist zweckmäßigerweise entsprechend dem Wortlaut des § 4 KSchG auf die Feststellung zu richten, dass „das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom (Datum) nicht aufgelöst ist“. Ein nicht in diesem Sinne formulierter Antrag ist der Auslegung zugänglich. Dabei ist gerade im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein großzügiger Maßstab anzulegen. Insbesondere kann von einem rechtsunkundigen Kläger, der seinen Prozess selbst führt, nicht erwartet werden, dass er hinreichende Kenntnisse von den juristischen Fachbegriffen hat.3 Deshalb genügt es, wenn ersichtlich wird, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Kündigung nicht hinnehmen will.4 cc) Eigenhändige Unterzeichnung gemäß §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO
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Die Kündigungsschutzklage ist gemäss § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 496 ZPO schriftlich bei Gericht einzureichen oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle anzubringen. Im ersten Fall ist sie grundsätzlich nur dann formell ordnungsgemäß erhoben, wenn der Schriftsatz eigenhändig vom Kläger oder dessen Prozessbevollmächtigtem unterzeichnet wurde, §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO. Denn erst dadurch wird klargestellt, dass es sich bei der Klage nicht um einen 1 BAG v. 11.9.1956 – 3 AZR 163/54, AP Nr. 8 zu § 3 KSchG; v. 21.5.1981 – 2 AZR 133/79, AP Nr. 7 zu § 4 KSchG 1969. 2 Vgl. auch APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 108. 3 BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 (n.v.). 4 Vgl. BAG v. 21.5.1981 – 2 AZR 133/79, AP Nr. 7 zu § 4 KSchG 1969; v. 17.2.1982 – 7 AZR 846/79, AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 154 Teil 12
bloßen Entwurf handelt, sondern um eine ernsthafte prozessuale Erklärung, die von dem Unterzeichnenden herrührt und für die dieser auch die Verantwortung übernimmt.1 An das Schriftbild einer wirksamen Unterschrift werden keine erhöhten Anforderungen gestellt. So ist nicht erforderlich, dass einzelne Buchstaben der Unterschrift zweifelsfrei erkennbar sind. Die Unterschrift muss jedoch für einen Dritten, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, aus dem Schriftzug noch herauszulesen sein; eine bloße Paraphe reicht dafür nicht aus.2 Trotz fehlender Unterschrift liegt eine ordnungsgemäße Klage vor, wenn sich aus einem der Klage beigefügten unterzeichneten Schriftstück ergibt, dass die Klage mit Wissen und Wollen des Verfassers bei Gericht eingegangen ist. So hält das BAG es für formgerecht, wenn in Massenverfahren die Klageschriften nur eine im Matrizenverfahren hergestellte Unterschrift des Prozessbevollmächtigten enthalten, innerhalb der Dreiwochenfrist aber in allen Kündigungsschutzverfahren ein vom Prozessbevollmächtigten eigenhändig unterschriebener Schriftsatz bei Gericht eingeht.3 Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn der nicht unterzeichneten Klageschrift lediglich eine vom Kläger unterschriebene Prozessvollmacht beigefügt ist, da diese nicht eindeutig erkennen lässt, dass der Kläger bzw. der Bevollmächtigte die Verantwortung für nicht unterzeichnete Klageschrift übernimmt.4 Im Hinblick darauf, dass die modernen Kommunikationswege häufig aus technischen Gründen eine eigenhändige Unterzeichnung nicht ermöglichen, hat die Rechtsprechung unter Hinweis auf Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses insoweit Ausnahmen von dem Grundsatz des § 130 Nr. 6 ZPO zugelassen, als sich auch aus dem nicht unterzeichneten Schriftstück die Urheberschaft und der Wille des Berechtigten, die Klage dem Gericht zuzuleiten, ergibt.5
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Bei der Übermittlung der Klage mittels Telegramm sind diese Voraussetzungen durch die maschinenschriftliche Wiedergabe der vom Verfasser geleisteten Unterschrift bzw. die aus dem Text des Telegramms ersichtliche Angabe des Absenders erfüllt.6 Dabei wird selbst die telefonische Telegrammaufgabe als ausreichend angesehen, die für die Klageerhebung erforderliche Schriftform zu wahren.7 Maßgeblich ist hier allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den Adressaten bestimmte Telegrammurkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer „Urschrift“ beruht, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden ist.8
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Gleiches gilt für die mittels Fernschreiben übermittelte Kündigungsschutzklage. Statt der an sich erforderlichen, technisch aber nicht möglichen eigenhändi-
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BAG v. 14.3.1989 – 1 AZB 26/88, AP Nr. 10 zu § 130 ZPO. BAG v. 27.3.1996 – 5 AZR 576/94, AP Nr. 67 zu § 518 ZPO. BAG v. 14.2.1978 – 1 AZR 154/76, AP Nr. 60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG v. 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, AP Nr. 14 zu § 4 KSchG 1969. GmS-OGB v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, NZA 2000, 959 m.w.N. aus der Rechtsprechung; BAG v. 14.1.1986 – 1 ABR 86/83, AP Nr. 11 zu § 553 ZPO. 6 Zöller/Greger, 26. Auflage 2007, § 130 ZPO Rz. 18. 7 Vgl. BAG v. 14.3.1989 – 1 AZB 26/88, AP Nr. 10 zu § 130 ZPO (unter B II.3. der Gründe). 8 So auch GmS-OGB v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, NZA 2000, 959 m.w.N. aus der Rechtsprechung.
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Teil 12 Rz. 155
Kündigungsschutzprozess
gen Unterschrift gibt hier die sog. Kennung des Fernschreibens Aufschluss über die Urheberschaft des Absenders.1 Zur Zulässigkeit der per Computerfax eingereichten Kündigungsschutzklage vgl. Rz. 197 ff. 155
Die per Telefax bzw. Telebrief bei Gericht eingehende Klage wahrt das Schriftformerfordernis nur, wenn sie auch das Schriftbild der unter der Originalvorlage befindlichen Unterschrift wiedergibt.2 Die Kopiervorlage muss dementsprechend eigenhändig unterzeichnet sein, § 130 Nr. 6 ZPO. (Zum Eingang der Kündigungsschutzklage per Telefax vgl. auch Rz. 192 ff.)
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Der Schriftform genügt es nach der Vorschrift des § 130a ZPO auch, wenn die Klage als elektronisches Dokument aufgezeichnet und dem Gericht übersandt wird (etwa mittels E-Mail). Die ansonsten über die Unterschrift ermöglichte Identifikation des Ausstellers wird dabei durch die qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz3 gewährleistet.
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Zu beachten ist, dass der für den Beklagten erkennbare Unterschriftsmangel durch dessen rügelose Einlassung gemäß § 295 ZPO fristwahrend geheilt werden kann.4 dd) Abfassung in deutscher Sprache, § 184 GVG
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Um den formellen Erfordernissen einer Kündigungsschutzklage zu genügen, muss die Klageschrift schließlich in deutscher Sprache abgefasst sein. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 184 GVG, die Deutsch als Gerichtssprache festlegt. Eine in einer anderen Sprache eingereichte Kündigungsschutzklage wahrt die Frist des § 4 Satz 1 KSchG selbst dann nicht, wenn das Gericht selbst ausreichende Kenntnisse dieser Sprache oder die Möglichkeit hat, sich eine Übersetzung zu verschaffen.5 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt lediglich für die Sorben, denen gemäß Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1r des Einigungsvertrages das Recht zusteht, in ihren Heimatkreisen sorbisch zu sprechen und die dementsprechend auch Schriftsätze in dieser Sprache mit fristwahrender Wirkung bei Gericht einreichen können.
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Bei unverschuldeter Fristversäumung aufgrund mangelnder Beherrschung der deutschen Sprache kommt u.U. eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 KSchG in Betracht.6
1 Vgl. BGH v. 25.3.1986 – IX Z.B. 15/86, NJW 1986, 1759. 2 BAG v. 19.1.1999 – 9 AZR 679/97, NZA 1999, 925; v. 14.3.1989 – 1 AZB 26/88, NZA 1989, 525; v. 14.1.1986 – 1 ABR 86/83, DB 1986, 1184; BGH v. 4.5.1994 – XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097. 3 Gesetz über die Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) v. 16.5.2001, BGBl. I 2001, 876. 4 BAG v. 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, AP Nr. 14 zu § 4 KSchG 1969; OLG Köln v. 18.11. 1996 – 16 U 17/96, MDR 1997, 500. 5 BAG v. 17.2.1982 – 7 AZR 846/79, AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG. 6 BAG v. 17.2.1982 – 7 AZR 846/79, AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG; zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO vgl. auch BVerfG v. 10.6.1975 – 2 BvR 1074/74, BVerfGE 40, 95 (100); Zöller/Gummer, 24. Auflage 2004, § 184 GVG Rz. 3.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 163 Teil 12
b) Materieller Mindestinhalt Von den formellen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Klageerhebung ist der materielle Mindestinhalt der Klage zu unterscheiden. Dieser betrifft die schlüssige Darlegung der die Klage begründenden Tatsachen, also des Sachverhaltes, auf den die Sozialwidrigkeit oder die Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen gestützt wird. Im Falle der Geltendmachung der Sozialwidrigkeit der Kündigung müssen insbesondere die für die Anwendbarkeit des KSchG erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen dargelegt werden. So muss der Arbeitnehmer vortragen, das gekündigte Arbeitsverhältnis habe bereits 6 Monate ohne Unterbrechung bei demselben Arbeitgeber bestanden, § 1 Abs. 1 KSchG. Außerdem hat er darzulegen, dass im Betrieb seines Arbeitgebers in der Regel mehr als fünf bzw. mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden, § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG. Fehlen diese den Kündigungsschutz begründenden Angaben, ist die Kündigungsschutzklage – anders als im Falle des Formmangels – nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen.1
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c) Antrag auf Verurteilung zur Beschäftigung, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Nach erfolgter Kündigung kann der Arbeitnehmer neben dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung gegenüber seinem Arbeitgeber unter Umständen auch verlangen, während des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Arbeitsbedingungen in dem Betrieb (weiter-)beschäftigt zu werden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem aus den §§ 611 ff. BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1, 2 GG) hergeleiteten (allgemeinen) Beschäftigungsanspruch2, der die Beschäftigung in einem bestehenden Arbeitsverhältnis betrifft und sich auf den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erstreckt, bzw. – sofern der Kündigungsschutzklage stattgegeben wurde – auch auf die sich an die Rechtskraft des Urteils anschließende Zeit, und dem Weiterbeschäftigungsanspruch, der für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites geltend gemacht werden kann.
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Der erstgenannte Anspruch steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich so lange zu, wie das Arbeitsverhältnis fortbesteht, es sei denn, es liegen ausnahmsweise Gründe für eine Suspendierung vor (z.B. bei entsprechender arbeitsvertraglicher Vereinbarung oder bei Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber), die dann allerdings vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen sind.3
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Einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzverfahrens hat der Arbeitnehmer demgegenüber nur dann, wenn entweder die Voraussetzungen des gesetzlich geregelten Weiterbeschäftigungsanspruchs aus
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1 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 159. 2 BAG v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 3 LAG München v. 19.8.1992 – 5 Ta 185/92, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 32.
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Teil 12 Rz. 164
Kündigungsschutzprozess
§ 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG vorliegen1 oder nach den vom Großen Senat des BAG2 aufgestellten Grundsätzen ein sog. allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch besteht. Letzteres ist – abgesehen von dem Ausnahmefall der offensichtlich unwirksamen Kündigung3 – in der Regel dann der Fall, wenn im Kündigungsschutzprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergangen ist. Denn dadurch ist zumindest eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne des Arbeitnehmers erfolgt, die regelmäßig dazu führt, dass die erforderliche Interessenabwägung zwischen dem Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers und dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers zugunsten des letzteren ausfällt. Nur ausnahmsweise ist in diesen Fällen der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch zu verneinen, wenn neben der – durch das stattgebende Urteil geminderten – Ungewissheit über den Ausgang des Prozesses zusätzliche Umstände vorliegen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.4 Zu denken ist hierbei an solche Umstände, die auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigen würden, wie strafbares oder schädigendes Verhalten des Arbeitnehmers oder unzumutbare wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers im Falle der Weiterbeschäftigung.5 164
Der Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung kann im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO), im Wege der sog. unechten Klagehäufung (durch einen neben dem Kündigungsschutzantrag gestellten unechten Hilfsantrag) sowie in einem gegenüber dem Kündigungsschutzverfahren eigenständigen Verfahren geltend gemacht werden. Dabei hat die hilfsweise Geltendmachung des Beschäftigungsanspruchs den kostenmäßigen Vorteil, dass sich der Streitwert des Verfahrens nur dann erhöht, soweit im Falle eines erfolgreichen Kündigungsschutzantrags tatsächlich über den Beschäftigungsantrag entschieden wird.
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In der Regel erfolgt die Geltendmachung des Beschäftigungsanspruchs durch einen Leistungsantrag, der darauf gerichtet ist, den Arbeitgeber zu verurteilen, den Arbeitnehmer (weiterhin) zu beschäftigen. Soweit ein entsprechender Verfügungsgrund glaubhaft gemacht werden kann (dazu unten), sollte der Leistungsantrag auf jeden Fall im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt werden. Denn im Einzelfall kann eine Entscheidung im normalen Klageverfahren zu spät kommen, um den Beschäftigungsanspruch überhaupt noch praktisch durchsetzen zu können. Zwar ist es in den Fällen, in denen sich der (Weiter-)Beschäftigungsanspruch infolge Zeitablaufs erledigt hat – insbesondere, weil mittlerweile ein rechtskräftiges, die Klage abweisendes Kündigungsschutzurteil vorliegt – im Hinblick auf die persönlichkeitsrechtliche Natur des Beschäftigungsanspruchs grundsätzlich noch möglich, statt 1 Vgl. Rz. 485 ff. sowie ausführlich Haas, H., Der vorläufige Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 102 BetrVG im Lichte der Rechtsprechung, NZA-RR 2008, 57–63. 2 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 3 BAG v. 26.5.1977 – 2 AZR 632/76, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 4 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 5 BAG v. 8.4.1988 – 2 AZR 777/87, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 169 Teil 12
des Leistungsantrags einen Feststellungsantrag des Inhalts zu stellen, dass in dem zurückliegenden Zeitraum eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers bestanden hat.1 Damit erreicht der Arbeitnehmer aber keine tatsächliche Weiterbeschäftigung und damit auch keinen Schutz vor einer Entfremdung von seiner bisherigen Arbeitstätigkeit sowie vor der Gefahr des Wegfalls seines Arbeitsplatzes. Bei der im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragten Beschäftigungsverfügung handelt es sich um eine sog. Leistungsverfügung, die wie alle einstweiligen Verfügungen einen Verfügungsgrund und einen Verfügungsanspruch nach Maßgabe der §§ 935, 940 ZPO voraussetzt. Hierbei sind regelmäßig strenge Maßstäbe anzulegen, da im Unterschied zur Sicherungs- und Regelungsverfügung die Leistungsverfügung zu einer jedenfalls einstweiligen Befriedigung des Antragstellers führt und dies wegen des grundsätzlichen Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache nur ausnahmsweise in Betracht kommen kann.
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Die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen ein Beschäftigungs- bzw. Weiterbeschäftigungsanspruch besteht, sog. Verfügungsanspruch, sind zuvor bereits skizziert worden. Sie sind vom Antragsteller, d.h. dem Arbeitnehmer, im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen.2
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Das Vorliegen eines ebenfalls vom Arbeitnehmer glaubhaft zu machenden Verfügungsgrundes wird im Rahmen der Leistungsverfügung nur für den Fall anerkannt, dass der Arbeitnehmer auf die sofortige Beschäftigung dringend angewiesen ist3, insbesondere wenn die (rechtzeitige) Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist.4 Welche Anforderungen an den Verfügungsgrund der hier behandelten Beschäftigungsverfügung im Einzelnen zu stellen sind, ist umstritten.5
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Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Verfügungsgrund für die Beschäftigungsverfügung ergebe sich bereits daraus, dass der Beschäftigungsanspruch aufgrund seines Fixschuldcharakters mit seiner Nichterfüllung unmöglich wird und erlischt, so dass der Arbeitnehmer nur durch die beantragte Beschäftigungsverfügung wirksam vor der Vereitelung seines Beschäftigungsanspruchs geschützt werden könne. Eine besondere Glaubhaftmachung der Dringlichkeit des Anspruchs durch den Arbeitnehmer sei daher nicht erforderlich.6 Dem kann nicht zugestimmt werden. Wie bereits dargestellt, kann die Leistungsverfügung wegen ihrer Erfüllungswirkung nur in Ausnahmefällen anerkannt werden. Dies spricht aber dagegen, beim Beschäftigungsanspruch allein aufgrund Zeitablau-
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1 BAG v. 8.4.1988 – 2 AZR 777/87, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung; v. 13.6. 1985 – 2 AZR 410/84, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 2 So LAG Köln v. 4.2.1993 – 5 Sa 1010/92, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 34 zur Glaubhaftmachung der offensichtlichen Unwirksamkeit einer Kündigung im Rahmen eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs. 3 LAG Köln v. 9.2.1991 – 8 Sa 94/91, LAGE § 935 ZPO Nr. 3. 4 OLG Köln v. 11.1.1995 – 16 W 73/94, NJW-RR 1995, 1088. 5 Vgl. Baur, ZTR 1989, 375 (378 ff.) m.w.N. 6 LAG München v. 19.8.1992 – 5 Ta 185/92, NZA 1993, 1130 (1132); LAG Hamburg v. 25.1.1994 – 3 Sa 113/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 21; LAG Hamm v. 24.1.1994 – 19 Sa 2029/93, ArbuR 1994, 310.
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Teil 12 Rz. 170
Kündigungsschutzprozess
fes in jedem Falle einen Verfügungsgrund zu bejahen. Eine bloße Wiedereingliederungserschwerung aufgrund von verflossener (beschäftigungsloser) Zeit begründet keine die Leistungsverfügung rechtfertigende Notlage. Denn derartige Fehlzeiten werden auch durch Urlaubs- oder Krankheitszeiten verursacht, ohne dass dadurch die Wiedereingliederung in den bisherigen Arbeitsablauf erschwert würde.1 Zudem wird u.E. bei einem völligen Verzicht auf die Darlegung besonderer, die Eilbedürftigkeit der Entscheidung begründender Umstände nicht hinreichend berücksichtigt, dass aufgrund § 61a Abs. 2 ArbGG sowie durch die Möglichkeit eines vor Erlass des Kündigungsschutzurteils ergehenden Teilurteils auch im normalen Klageverfahren durchaus eine schnelle Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs in Betracht kommen kann.2 Schließlich ist die dargelegte Ansicht auch aus dem Grunde abzulehnen, weil der Gesetzgeber – im Gegensatz zu anderen einstweiligen Verfügungen, vgl. etwa § 25 UWG, § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 899 Abs. 2 Satz 2 BGB – für die Weiterbeschäftigungsverfügung nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gerade keine ausdrückliche Regelung vorgesehen hat, die die Darlegung eines Verfügungsgrundes ausnahmsweise entbehrlich macht. Die Begründung der Dringlichkeit bedarf demnach außer dem drohenden Zeitablauf der Darlegung und Glaubhaftmachung weiterer besonderer Umstände.3 170
Nach der Rechtsprechung entfällt der Verfügungsgrund, wenn der Arbeitnehmer es im erstinstanzlichen Kündigungsschutzprozess unterlassen hat, ergänzend zum Kündigungsschutzantrag auch einen Antrag auf (Weiter-)Beschäftigung zu stellen.4 Denn der Verzicht des Arbeitnehmers auf die Möglichkeit, bei Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung bereits in diesem Verfahren einen (Weiter-)Beschäftigungstitel zu erhalten, widerspricht der Dringlichkeit des arbeitnehmerischen Verlangens nach sofortiger Beschäftigung.
171
" Praxistipp: Hinsichtlich der Antragsformulierung ist zu beachten, dass sich
aus ihr der Inhalt des (Weiter-)Beschäftigungsanspruchs mit hinreichender Deutlichkeit ergeben muss, da der daraufhin ergehende Titel nur dann nach § 888 ZPO vollstreckungsfähig ist, wenn entweder im Urteilstenor die Art der beanspruchten Beschäftigung ausdrücklich bestimmt wird oder wenn sich im Wege der Auslegung zumindest aus Tatbestand und Entscheidungsgründen die Einzelheiten der Beschäftigung ermitteln lassen.5 Ein lediglich auf (Weiter-)Beschäftigung „zu unveränderten Arbeitsbedingungen“ gerichteter Titel reicht als Vollstreckungstitel in der Regel nicht aus.6
1 LAG Hamm v. 18.2.1998 – 3 Sa 297/98, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 41. 2 So auch Münchner Prozessformularbuch Arbeitsrecht/Reidel, 1. Kap. C.II.1.1 Anm. 3. 3 So auch LAG Hamm v. 18.2.1998 – 3 Sa 297/98, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 41; LAG Stuttgart v. 3.8.1993 – 15 Sa 35/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 20; LAG München v. 10.2.1994 – 5 Sa 969/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 14. 4 LAG Frankfurt v. 23.3.1987 – 1 Sa/Ga 316/87, NZA 1988, 37. 5 LAG Berlin v. 8.1.1993 – 12 Ta 17/92, LAGE § 888 ZPO Nr. 27; LAG Frankfurt v. 27.11. 1992 – 9 Ta 376/92, LAGE § 888 ZPO Nr. 30. 6 Vgl. LAG Köln v. 24.10.1995 – 13 (5) Ta 245/95, LAGE § 888 ZPO Nr. 36.
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Mues
Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 175 Teil 12
2. Klageantrag a) Feststellungsantrag bei Beendigungskündigung, § 4 Satz 1 KSchG Gegenstand des Antrags nach § 4 Satz 1 KSchG ist die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die im Klageantrag genau bezeichnete Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Es wird demnach nicht über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern allein über die Frage entschieden, ob eine ganz bestimmte Kündigung zur wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (sog. punktuelle Streitgegenstandstheorie).1 Der Arbeitnehmer muss alle weiteren Kündigungen mit einer gesonderten Klage angreifen, um zu verhindern, dass diese nach Ablauf der Klagefrist gemäß §§ 4, 7 KSchG wirksam werden. Hierfür kann er den Kündigungsschutzantrag mit einem allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO, gerichtet auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen, über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus verbinden und damit alle bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eintretenden Beendigungstatbestände einbeziehen.2
172
Zu beachten ist allerdings, dass eine solche Feststellungsklage nur dann zulässig ist, wenn ein besonderes Feststellungsinteresse dargelegt werden kann. Der Arbeitnehmer muss dazu in der Klagebegründung weitere mögliche Beendigungstatbestände noch vor Abschluss der Tatsacheninstanz in den Prozess einführen.3 Sind im Laufe des Prozesses weitere Kündigungen des Arbeitgebers erfolgt, so sind sie durch nachträgliche Erweiterung des ursprünglichen Klageantrags in den Kündigungsschutzantrag mit aufzunehmen.4
173
Weigert sich der Arbeitgeber, den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder darüber hinaus weiterzubeschäftigen, kann neben dem Kündigungsschutzantrag zudem ein allgemeiner Beschäftigungsantrag, ggf. verbunden mit einem Weiterbeschäftigungsantrag, gestellt werden. Diese Anträge können sowohl durch objektive Klagehäufung mit dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG verbunden werden wie auch durch Erhebung einer besonderen, ggf. auch auf einstweiligen Rechtsschutz gerichteten Klage gestellt werden (vgl. hierzu Rz. 161 ff.).
174
b) Feststellungsantrag bei Änderungskündigung, § 4 Satz 2 KSchG Will der Arbeitnehmer gegen eine Änderungskündigung gerichtlich vorgehen, sind die Anträge von seiner Reaktion abhängig: 1 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969 m.w.N.; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 225; Boewer, NZA 1997, 359 (360); vgl. auch unter Rz. 19 ff. 2 BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. v. Diller. 3 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969; v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. v. Diller. 4 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 mit Anm. v. Diller; zur Einbeziehung weiterer Beendigungstatbestände im Einzelnen: Rz. 26 ff.
Mues
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Teil 12 Rz. 176
Kündigungsschutzprozess
176
Hat der Arbeitnehmer die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen abgelehnt, wird aus der Änderungskündigung eine Beendigungskündigung, die auch nur als solche nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffen werden kann. Der insoweit zu formulierende Klageantrag ist mit dem im normalen Kündigungsschutzprozess gestellten Klageantrag identisch.
177
Hat hingegen der Arbeitnehmer das Änderungsangebot gemäß § 2 KSchG unter Vorbehalt angenommen, ist der Antrag entsprechend dem Wortlaut des § 4 Satz 2 KSchG auf die Feststellung zu richten, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Zu berücksichtigen ist, dass ebenso wie der Kündigungsschutzantrag auch der Änderungsschutzantrag ein punktueller Antrag ist, der lediglich darauf abzielt, die Wirksamkeit der Änderung des Vertragsinhalts durch die konkret bezeichnete Änderungskündigung zu überprüfen, später eintretende oder bekannt werdende Änderungstatbestände dagegen nicht umfasst.1 Veränderung des Vertragsinhalts durch andere Maßnahmen oder Erklärungen können auch in diesem Fall mit in den Prozess einbezogen werden. Für diesen gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie für den mit dem Kündigungsschutzantrag verbundenen allgemeinen Feststellungsantrag, insbesondere hinsichtlich der Begründung eines besonderen Feststellungsinteresses sowie der Anpassung des Antrags aus § 4 Satz 2 KSchG beim Eintritt weiterer Änderungstatbestände.
178
Hat der Arbeitnehmer gemäß § 2 KSchG die in der Änderungskündigung angebotenen Vertragsbedingungen unter Vorbehalt angenommen, ist für die zusätzliche Geltendmachung eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs nach den Grundsätzen, die der Große Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 27.2.19852 aufgestellt hat, kein Raum. Der Große Senat hat den Weiterbeschäftigungsanspruch letztlich aus der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers hergeleitet. Diese Argumentation greift aber nicht, wenn im Falle einer Änderungsschutzklage der Arbeitnehmer die geänderten Bedingungen unter Vorbehalt angenommen hat. Denn hier wird der Arbeitnehmer – wenn auch zu anderen Arbeitsbedingungen – nach Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich weiterbeschäftigt. Gestritten wird in diesem Fall lediglich über den Inhalt, nicht über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.3 Der Arbeitgeber kann daher aufgrund des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs nicht verpflichtet werden, den Arbeitnehmer vorläufig zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
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Ob entsprechend § 102 Abs. 5 BetrVG ein Weiterbeschäftigungsanspruch dann besteht, wenn der Betriebsrat einer mit der Änderung der Arbeitsbedingungen verbundenen Versetzung oder Umgruppierung form- und fristgerecht mit konkreter Begründung widersprochen hat, die Zustimmung nicht ersetzt ist und der 1 Vgl. Münchner Formularbuch Arbeitsrecht/Zirnbauer, 1. Kap. B.II.3.1, Anm. 5. 2 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 3 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969.
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Mues
Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 180 Teil 12
Arbeitgeber nicht den Weg des § 100 BetrVG gegangen ist, hat das BAG in der zuvor zitierten Entscheidung offengelassen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass jedenfalls außerhalb des Verfahrens nach § 100 BetrVG bei einer Versetzung die Annahme der Änderungskündigung unter Vorbehalt einen Anspruch des Arbeitnehmers auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen nicht ausschließt. Dem entspricht es, dass die fehlende Zustimmung nach § 99 BetrVG zwar allein nicht zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung führt, dass es dem Arbeitgeber jedoch bei beachtlicher Verweigerung der Zustimmung zunächst verwehrt ist, die geänderten Vertragsbedingungen tatsächlich durchzusetzen.1 Dies spricht aber dafür, in diesen Fällen grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung in seinem bisherigen Arbeitsbereich anzuerkennen, sofern nicht die Voraussetzungen für eine vorläufige Durchsetzung der personellen Maßnahme nach § 100 BetrVG erfüllt sind. c) Fortsetzungsfeststellungszusatz (Anforderungen an Rechtsschutzinteresse) Will der Arbeitnehmer neben der im Kündigungsschutzantrag konkret benannten Kündigung vorsorglich auch weitere, möglicherweise künftig in Betracht kommende Beendigungssachverhalte angreifen, kann er innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist den Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG mit einem allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO verbinden. Dadurch werden alle Auflösungsgründe, auf die der Arbeitgeber sich im Laufe des Prozesses beruft, mit in das Kündigungsschutzverfahren einbezogen (sog. Schleppnetztheorie).2 Der in diesem Falle an den Kündigungsschutzantrag anzuhängende Fortsetzungsfeststellungszusatz („… sondern über den … hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht“) muss allerdings dergestalt ausgelegt werden können, dass ihm neben dem konkreten Kündigungsschutzklage eine rechtlich selbständige Bedeutung zukommt, da andernfalls eine eigenständige allgemeine Feststellungsklage nicht angenommen werden kann. In der Antragsbegründung muss deshalb ausdrücklich klargestellt werden, dass neben der nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffenen Kündigung mit weiteren Beendigungstatbeständen auf Seiten des Arbeitgebers zu rechnen ist.3 Weiterhin setzt die Zulässigkeit des Fortsetzungsfeststellungszusatzes voraus, dass der Arbeitnehmer ein besonderes Feststellungsinteresse an der beantragten Feststellung darlegen kann. Dazu ist es erforderlich, dass er bis zur letzten mündlichen Verhandlung weitere Beendigungstatbestände in den Prozess einführt oder zumindest deren konkrete Möglichkeit glaubhaft macht.4 Bestätigen sich die Befürchtungen und werden im Verlauf des Prozesses tatsächlich weitere Auflösungsgründe offenbar, ist der Arbeitnehmer nach neuerer Rechtsprechung des BAG zudem zu einer ent1 BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 283/93, AP Nr. 33 zu § 2 KSchG 1969; v. 8.6.1995 – 2 AZR 739/94, RzK I 7 a Nr. 30. 2 Vgl. unter Rz. 26 ff. 3 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969. 4 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969; v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969; v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 33, 38 zu § 4 KSchG 1969.
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Teil 12 Rz. 181
Kündigungsschutzprozess
sprechenden Anpassung des nach § 4 Satz 1 KSchG gestellten Klageantrags verpflichtet.1 Treten dagegen wider Erwarten keine neuen Beendigungssachverhalte auf, ist in der letzten mündlichen Verhandlung ggf. eine Rücknahme des zusätzlichen Antrags in Betracht zu ziehen, um eine Teilabweisung der Klage als unzulässig zu vermeiden. 3. Eingang bei einem Arbeitsgericht 181
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Wahrung der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG ist der Zeitpunkt des Eingangs der Klage beim Arbeitsgericht. Zwar tritt die Rechtshängigkeit der Klage erst mit deren Zustellung an den Beklagten ein, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 167 ZPO reicht jedoch auch bereits der Eingang der Klage zur Fristwahrung aus, sofern deren Zustellung an den Beklagten als „demnächst erfolgt“ anzusehen ist.2 Dazu ist es erforderlich, dass die Zustellung innerhalb einer angemessenen Frist vorgenommen wird oder jedenfalls eine über diese Frist hinausgehende Verzögerung nicht von dem Kläger oder dessen Prozessbevollmächtigten zu vertreten ist.3 Unschädlich ist es, wenn die der klagenden Partei zuzurechnende Verzögerung der Zustellung nur verhältnismäßig geringfügig ist. So ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls eine klägerseitig verzögerte Zustellung, die noch innerhalb von 14 Tagen nach Ablauf der Dreiwochenfrist vorgenommen wird, als „demnächst erfolgt“ i.S.v. § 167 ZPO zu betrachten, und zwar selbst dann, wenn der Rechtssuchende die Verzögerung selbst verschuldet hat.4 Bei der Berechnung der Zeitdauer ist dabei auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich die ohnehin erforderliche Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert. Der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts zurückzuführende Zeitraum wird dabei nicht angerechnet.5
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Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG bleibt ausnahmsweise auch bei einer mehr als nur geringfügigen Verzögerung der Zustellung durch den Kläger gewahrt, wenn nach rechtzeitigem Klageeingang bei Gericht der Beklagte auf die Geltendmachung des Zustellungsmangels verzichtet oder wenn er sich rügelos zur Hauptsache einlässt, nachdem er zur Verhandlung erschienen und der Mangel ihm bekannt ist bzw. bekannt sein musste (§ 295 ZPO).
183
Der für die Fristwahrung entscheidende Zeitpunkt des Eingangs der Klage richtet sich danach, wann diese in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt sind,
1 BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 33, 38 zu § 4 KSchG 1969; vgl. dazu kritisch unter Rz. 26 ff. 2 Zur Anwendbarkeit von § 270 Abs. 3 ZPO a.F. (= § 167 ZPO n.F.) auf § 4 KSchG vgl. BAG v. 13.7.1989 – 2 AZR 509/88 (n.v.). 3 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 93. 4 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 135/04, GuT 2005, 180; v. 20.4.2000 – VII ZR 116/99 – NJW 2000, 2282. 5 BGH v. 20.4.2000 – VII ZR 116/99 – NJW 2000, 2282; BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, NZA 2002, 999.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 187 Teil 12
folgt also im Wesentlichen den nach § 130 BGB für den Zugang der Willenserklärung geltenden Grundsätzen.1 a) Niederschrift bei der Geschäftsstelle/Rechtsantragsstelle des Gerichts Neben der üblichen Einreichung der Klage als Schriftsatz kann diese mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts angebracht werden, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 496 ZPO. Dafür muss der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise persönlich auf der Geschäftsstelle erscheinen. Zulässig ist es auch, die Klage telefonisch zu Protokoll zu geben.2
184
Die Niederschrift zu Protokoll der Geschäftsstelle ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 129a Abs. 1 ZPO vor jedem Arbeitsgericht zulässig. Für die Entgegennahme der Klage ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig (§ 153 GVG), der gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 129a Abs. 2 ZPO das aufgenommene Protokoll unverzüglich dem Prozessgericht zu übersenden hat.
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Der Eingang der Klage wird erst mit dem Zugang des Protokolls bei dem zuständigen Arbeitsgericht bewirkt. Verzögert die Geschäftsstelle die Weiterleitung des Protokolls an das Prozessgericht, ist im Falle einer infolgedessen eingetretenen Fristversäumung die Kündigungsschutzklage des Rechtssuchenden nach § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.3
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b) Eingang eines Schriftsatzes Für den fristwahrenden Eingang der schriftlich gefassten Kündigungsschutzklage bei Gericht genügt es, wenn das Schriftstück innerhalb der Frist tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist.4 Nicht erforderlich ist, dass die Klage durch einen für den Empfang zuständigen Bediensteten des Gerichts (etwa den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) entgegengenommen wird.5 Denn zum einen setzen die für die fristwahrende Erhebung der Kündigungsschutzklage maßgeblichen Regelungen (§ 4 Satz 1 KSchG i.V.m. §§ 253 Abs. 1, 167 ZPO) eine Mitwirkung des Gerichts im Sinne einer „Annahme“ nicht voraus. Zum anderen verbieten es verfassungsrechtliche Grundsätze wie das allgemeine Gebot rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), etwaige Fristversäumungen, die auf Verzöge-
1 Vgl. BAG v. 24.10.1985 – 2 AZR 521/84, DB 1986, 652 zum Zugang eines eingeschriebenen Vergleichswiderrufs. 2 So KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 148 m.w.N.; nach Zöller/Herget, 26. Auflage 2007, § 496 ZPO Rz. 3 ist die Geschäftsstelle zur Entgegennahme einer solchen Erklärung zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet. 3 Vgl. Zöller/Greger, 26. Auflage 2007, § 129a ZPO Rz. 4 (zur vergleichbaren Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO). 4 BGH v. 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; v. 25.1.1984 – IV ZR 43/82, NJW 1984, 1237; BVerfG v. 7.5.1991 – 2 BvR 215/90, NJW 1991, 2076; BAG v. 24.10.1985 – 2 AZR 521/84, AP Nr. 38 zu § 794 ZPO. 5 Zöller/Greger, 26. Auflage 2007, § 167 ZPO Rz. 5.
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Teil 12 Rz. 188
Kündigungsschutzprozess
rungen der Entgegennahme der Sendung durch das Gericht beruhen, dem klagenden Arbeitnehmer anzulasten.1 188
Neben der persönlich oder durch einen Boten vorgenommenen Abgabe der Klageschrift auf der Geschäftsstelle des Gerichts, bei einer hierfür eingerichteten Post oder bei einem zur Annahme bereiten Richter2 reicht es deshalb zur Fristwahrung auch aus, wenn die Klageschrift am letzten Tag der Klagefrist in den für die allgemeine Post vorgesehenen Hausbriefkasten des Gerichts eingeworfen wird.3 Ohne Bedeutung für die Fristwahrung ist der Umstand, dass mit einer Leerung des Briefkastens möglicherweise nicht mehr zu rechnen war, weil der Einwurf der Klage erst nach Dienstschluss erfolgt ist.4
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" Praxistipp: Auch das Vorhandensein eines Nachtbriefkastens spricht nicht
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Für den fristwahrenden Eingang der Klage bei Gericht genügt es auch, die Klageschrift am letzten Tag der Dreiwochenfrist in ein vom Gericht bei einem Postamt unterhaltenes Postfach einzulegen. Unerheblich ist, ob das Schriftstück noch am selben oder erst am darauffolgenden Tag vom Gericht abgeholt und in den weiteren Geschäftsgang gebracht wird. Denn bereits mit dem Einsortieren in das Postfach ist das Schreiben in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt, während gleichzeitig der Absender sowie die Post die Zugriffsmöglichkeit auf das Schriftstück verloren haben.7
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Anders ist es zu beurteilen, wenn die Klage dem Gericht per Einschreibebrief zugestellt werden soll und der Postbote, nachdem er bei der Zustellung niemanden angetroffen hat, lediglich einen Benachrichtigungszettel über den Eingang des
gegen den fristwahrenden Eingang der Kündigungsschutzklage durch Einwurf in den normalen Briefkasten.5 Zu berücksichtigen ist aber, dass die in den Tagesbriefkasten eingeworfenen Schriftstücke – anders als die im Nachtbriefkasten befindliche Post – üblicherweise nur mit dem Eingangsstempel des Folgetages versehen werden, so dass der für die Wahrung der Klagefrist beweispflichtige Arbeitnehmer möglicherweise Beweisproblemen für den rechtzeitigen Einwurf ausgesetzt ist. Denn zwar kann gegen den durch den Stempel erbrachten Beweis des (verspäteten) Schriftsatzeingangs gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis geführt werden; dieser gelingt aber nur dann, wenn zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden kann, dass der Kläger bzw. ein von ihm beauftragter Bote den Schriftsatz tatsächlich noch am letzten Tag der Frist eingeworfen hat.6
1 BVerfG v. 7.5.1991 – 2 BvR 215/90, NJW 1991, 2076; v. 3.10.1979 – 1 BvR 726/78, BVerfGE 52, 203. 2 Zöller/Greger, 26. Auflage 2007, § 167 ZPO Rz. 6. 3 BGH v. 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; v. 12.2.1981 – 7 ZB 27/80, AP Nr. 33 zu § 519 ZPO. 4 BGH v. 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; BVerfG v. 7.5.1991 – 2 BvR 215/90, NJW 1991, 2076; v. 25.1.1984 – IVb ZR 43/82, LM Nr. 3 zu § 1581 BGB. 5 BGH v. 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; ebenso ErfK/Kiel, § 4 KSchG Rz. 19; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 20. 6 BGH v. 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280. 7 BGH v. 19.6.1986 – VII ZB 20/85, MDR 1987, 134.
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Mues
Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 194 Teil 12
Einschreibens in das Postfach legt (sog. Auslieferungsschein). Da in diesem Falle nur der Auslieferungsschein, nicht aber das Schriftstück selbst ihn den Machtbereich des Gerichts gelangt ist, kann ein rechtzeitiger Zugang nur dann angenommen werden, wenn die Klageschrift noch vor Fristablauf abgeholt und zum Arbeitsgericht gebracht wird.1 Zu beachten ist jedoch, dass die Leerung des Postfachs durch einen eigenen Abholdienst des Gerichts so organisiert werden muss, dass der Absender gegenüber einer Auslieferung durch Postzustellung nicht schlechter gestellt wird. So gilt ein Einschreibebrief, der nur deshalb nicht mehr am Tage seines Eingangs bei der Postanstalt das Gericht erreicht, weil dieses seine Post abgeholt hat, bevor der Auslieferungsschein in das Postfach gelegt wurde, dennoch als bei Gericht eingegangen, wenn er bei normaler Postbeförderung noch an diesem Tag in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt wäre.2 c) Eingang per Telefax Die mittels Telefax übermittelte Kündigungsschutzklage geht bei Gericht ein, sobald die Empfangssignale des Absendegerätes durch das Telefaxgerät des Gerichts vollständig aufgezeichnet sind.3 Zur Wahrung der Dreiwochenfrist reicht es deshalb aus, wenn vor Ablauf des letzten Tages der Frist (d.h. bis 24.00 Uhr) der Empfang der letzten Seite der Klage mit der Unterschrift abgeschlossen ist. Soweit Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die abgesandten Signale fristgerecht eingegangen sind, wird hierbei der Zugang der Klageschrift auch ohne den vollständigen Ausdruck durch das Empfangsgerät anerkannt.4
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Unerheblich ist es, von welchem Anschluss aus das Telefax abgesendet wurde – von einem eigenen Anschluss oder dem Anschluss einer dritten Person – da bereits durch die Wiedergabe der eigenhändig vollzogenen Unterschrift der Urheber der Erklärung hinreichend gekennzeichnet ist.5 Nicht ausreichend ist es jedoch, wenn der Absender das Telefax an einen anderen Empfänger schickt und dieser es danach an das Telefax des Arbeitsgerichts weiterleitet oder den Ausdruck per Boten dem Arbeitsgericht zustellt.
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Sonderfall: technische Störung
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Geht die Klageschrift aufgrund technischer Störungen nicht fristgerecht bei Gericht ein, gilt folgendes: Hat das Gericht den Übermittlungsweg per Telefax eröffnet, darf es grundsätzlich die mit diesem Kommunikationsweg verbundenen Risiken und Unsicherheiten nicht auf den rechtssuchenden Bürger abwälzen.6 Eine Fristversäumnis infolge technischer Defekte, die auf einer Funktionsbeeinträchtigung des Empfangsgeräts oder auf einer Störung der Übermittlungsleitungen beruhen, wird dem Gericht zugerechnet, so dass es in der Regel an einem 1 BAG v. 24.10.1985 – 2 AZR 521/84, AP Nr. 38 zu § 794 ZPO (zum Zugang eines per Einschreiben versandten Vergleichswiderrufs). 2 Vgl. BAG v. 24.10.1985 – 2 AZR 521/84, AP Nr. 38 zu § 794 ZPO. 3 BGH v. 25.4.2006 – IV ZB 20/05, NJW 2006, 2263–2266; BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 427/01, NZA 2003, 573 f. 4 BVerfG v. 1.8.1996 – 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857. 5 BAG v. 14.3.1989 – 1 AZB 26/88, AP Nr. 10 zu § 130 ZPO. 6 BAG v. 20.2.2001 – 1 AZR 322/00, BB 2001, 1908; BVerfG v. 1.8.1996 – 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857; BGH v. 19.4.1994 – VI ZB 3/94, AP Nr. 64 zu § 518 ZPO.
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Teil 12 Rz. 195
Kündigungsschutzprozess
Verschulden des Klägers an der verspäteten Klageerhebung fehlt und die Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG nachträglich zuzulassen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter bei Verwendung eines funktionsfähigen Sendegeräts und korrekter Eingabe der Empfängernummer so rechtzeitig mit der Absendung des Telefax begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit einem Abschluss der Übermittlung vor Fristablauf zu rechnen ist.1 Als nicht mehr rechtzeitig in diesem Sinne ist es zu werten, wenn für die Übermittlung des Telefax lediglich eine Zeitreserve von wenigen Minuten verbleibt, da immer auch damit zu rechnen ist, dass das Empfangsgerät durch andere Sendungen blockiert sein könnte.2 195
Hat der Arbeitnehmer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, ist er nach der Rechtssprechung des BVerfG auch bei einem kurz vor Fristablauf eintretenden Scheitern der Übermittlungen infolge eines in der Sphäre des Gerichts liegenden Defekts in der Regel nicht verpflichtet, den rechtzeitigen Zugang auf anderem Wege zu gewährleisten.3 So könne von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz per Fax zu übermitteln, bei einem Scheitern der Übermittlung infolge eines Fehlers des Empfangsgeräts oder wegen einer Leitungsstörung nicht verlangt werden, innerhalb kürzester Zeit (hier: Abbruch der Übermittlungsbemühungen um 20.31 Uhr) den Zugang durch eine andere als die gewählte Übermittlungsart sicherzustellen.
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Diese Rechtsprechung, der sich auch der BGH angeschlossen hat4, begegnet Bedenken. Gerade den Rechtssuchenden, der die ihm eingeräumten prozessualen Fristen bis zum letzten Tag ausnutzt, treffen erhöhte Sorgfaltspflichten, so dass es ihm in der Regel zuzumuten sein wird, bei einem erkennbaren Scheitern der Übermittlung per Fax andere ihm zur Verfügung stehende Übertragungswege zu nutzen oder zumindest die Sendebemühungen bis 24.00 Uhr fortzusetzen.5 Anders ist es lediglich zu beurteilen, wenn die gescheiterte Übermittlung für den Absender nicht erkennbar geworden ist, da er in diesem Fall auf den fristgerechten Eingang bei Gericht vertrauen konnte und ihn daher an dem Unterlassen weiterer Übermittlungsbemühungen kein Verschulden trifft. Der Absender darf sich insoweit auf einen den Eingang bestätigenden Sendebericht seines Telefaxgerätes verlassen.6
1 So BVerfG v. 1.8.1996 – 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857 unter Aufhebung der vorangehenden Entscheidung des BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 95/94, AP Nr. 34 zu § 233 ZPO 1977. 2 BVerfG v. 19.11.1999 – 2 BvR 565/98, NJW 2000, 574 (Absendung eines 11-seitigen Schriftsatzes 6 Minuten vor Fristablauf um 24.00 Uhr). 3 BVerfG v. 1.8.1996 – 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857 unter Aufhebung der vorangehenden Entscheidung des BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 95/94, AP Nr. 34 zu § 233 ZPO 1977. 4 BGH v. 30.10.1996 – XII ZB 140/96, NJW-RR 1997, 250; anders noch BGH v. 26.6.1996 – IV ZB 5/96, NJW-RR 1996, 1275. 5 So auch BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 95/94, AP Nr. 34 zu § 233 ZPO 1977; BGH v. 26.6. 1996 – IV ZB 5/96, NJW-RR 1996, 1275. 6 BAG v. 20.2.2001 – 1 AZR 322/00, BB 2001, 1908.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 201 Teil 12
d) Eingang per Computerfax Wenn der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter die als Textdatei abgespeicherte Klage als Computerfax über Modem an das Telefaxgerät des Gerichts sendet, ist dies formgerecht, obwohl auch hier eine eigenhändige Unterschrift technisch nicht möglich ist.1 Die in Computerschrift erfolgte Wiedergabe des Vorund Nachnamens des Prozessbevollmächtigten unter ein Computerfax stellt jedoch keine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 Halbs. 2 ZPO genügende Wiedergabe der Unterschrift dar. Daher bedarf es der Übetragung einer Datei mit eingescannter Unterschrift.2 Nur diese Form wird dem Sinn und Zweck der eigenhändigen Unterzeichnung, nämlich die verlässliche Bestimmung der Person des Erklärenden sowie die Gewährleistung, dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist, gerecht.
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Einstweilen frei.
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Gemäß § 130a ZPO genügen vorbereitende Schriftsätze – und damit gemäß § 253 Abs. 4 ZPO auch die Klageschrift – einem Schriftformerfordernis dann, wenn sie als elektronisches Dokument aufgezeichnet sind und von der verantwortenden Person mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz3 versehen sind.
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e) Eingang beim falschen Gericht Die Kündigungsschutzklage ist innerhalb der Frist des § 4 KSchG bei dem örtlich zuständigen Arbeitsgericht, § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 12–37 ZPO, bzw. einem nach § 101 Abs. 2 ArbGG vorgesehenen Schiedsgericht zu erheben.
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Handelt es sich bei dem beklagten Arbeitgeber um eine natürliche Person, ist in der Regel das Arbeitsgericht des Bezirks zuständig, in dem er seinen Wohnsitz hat (§§ 12, 13 ZPO), während der allgemeine Gerichtsstand von juristischen Personen sich gemäß § 17 ZPO nach deren Sitz richtet. Möglich ist auch die Klageerhebung am besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 Abs. 1 ZPO). Dies wird in der Regel der Sitz des Arbeitgebers sein, sofern nicht die wesentlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag an einem anderen Ort (etwa einer Außenstelle des Betriebs) zu erfüllen sind.4 Erstreckt sich die Tätigkeit eines Außendienstmitarbeiters über mehrere Arbeitsgerichtsbezirke, ist Erfüllungsort für die Arbeitsleistung sein Wohnsitz, sofern er von dort aus seine Tätigkeit ausübt. Dies gilt unabhängig davon, ob er täglich nach Hause zurückkehrt und in welchem Umfang er vom Betrieb Anweisungen für die Gestaltung seiner Tätigkeit erhält.5
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1 BVerwG v. 19.12.1994 – 5 B 79/94, NJW 1995, 2121. 2 BGH v. 25.4.2006 – IV ZB 20/05, NJW 2006, 2263. 3 Gesetz über die Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) v. 16.5.2001, BGBl. I 2001, 876. 4 Vgl. KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 175. 5 BAG v. 3.11.1993 – 5 AS 20/93, AP Nr. 11 zu § 17a GVG; v. 11.12.1995 – 5 AS 27/95 (n.v.).
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Kündigungsschutzprozess
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" Praxistipp: Der Arbeitgeber kann auch am besonderen Gerichtsstand der
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Kommen mehrere der vorgenannten Gerichtsstände in Betracht, steht dem Arbeitnehmer gemäß § 35 ZPO ein entsprechendes Wahlrecht zu.
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Wird die Kündigungsschutzklage vor dem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht erhoben, hat das unzuständige Gericht gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG die Klage auf Antrag an das örtlich zuständige Arbeitsgericht zu verweisen.
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Die Verweisung hat zur Folge, dass die in § 4 KSchG vorgeschriebene Klagefrist bereits mit der fristgerecht vor dem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht erhobenen Klage gewahrt wird.2 Es handelt sich insoweit um ein einheitliches Verfahren, das bei dem örtlich zuständigen Arbeitsgericht in der Lage fortgesetzt wird, in der es sich bei der Verweisung befand.3 Für die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung unerheblich ist es, zu welchem Zeitpunkt der Verweisungsbeschluss erfolgt. Denn nach § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG hat die Verweisung zur Folge, dass die prozessualen als auch die materiellrechtlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben4, so dass die fristwahrende Wirkung der Klage auch dann erhalten bleibt, wenn die Verweisung erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist vorgenommen wird.5 Erfolgt die Verweisung vor der Zustellung an den Arbeitgeber, ist allerdings Voraussetzung für die Fristwahrung, dass alsbald nach der Verweisung, mithin „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO, die Zustellung der Klage an den Arbeitgeber stattfindet.6
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Auch die formlose Abgabe der Klageschrift vom örtlich unzuständigen an das örtlich zuständige Arbeitsgericht reicht für die Wahrung der Dreiwochenfrist aus, soweit die Klage demnächst zugestellt wird.7 Begründet wird dies zu Recht mit der funktionalen Vergleichbarkeit der Verweisung mit der gerichtlich veranlassten Weiterleitung der Klage.8 Zudem wäre es nicht vertretbar, eine fristwahrende Klageerhebung vor dem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht nur deshalb abzulehnen, weil das Gericht statt des gesetzlich vorgeschriebenen förmlichen Verweisungsbeschlusses die Klage lediglich formlos weitergeleitet hat.
Niederlassung (§ 21 ZPO) verklagt werden, wenn der Arbeitsvertrag des betreffenden Arbeitnehmers in der Niederlassung abgeschlossen wurde oder sein Einsatz von der Niederlassung aus erfolgt.1
1 APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 56. 2 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 467/92, DB 1994, 435; LAG Berlin v. 2.1.1984 – 9 Sa 109/83, ArbuR 1984, 287. 3 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 467/92, DB 1994, 435. 4 APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 58. 5 LAG Berlin v. 2.1.1984 – 9 Sa 109/83, ArbuR 1984, 287. 6 Vgl. BAG v. 13.5.1987 – 5 AZR 106/86, AP Nr. 3 zu § 209 BGB zur Unterbrechung der Verjährung bei Verweisung des Antrags auf Erlass eines Mahnbescheides an das örtlich zuständige Arbeitsgericht; LAG Berlin v. 2.1.1984 – 9 Sa 109/83, ArbuR 1984, 287; zur „demnächst“ erfolgenden Zustellung vgl. auch unter B.II.3. 7 BAG v. 16.4.1959 – 2 AZR 227/58, AP Nr. 16 zu § 3 KSchG; LAG Sachsen-Anhalt v. 23.2.1995 – 3 Ta 162/94, LAGE § 4 KSchG Nr. 26. 8 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 182.
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Fristwahrende Klageerhebung
Rz. 210 Teil 12
Die gleichen Grundsätze sind anzuwenden, wenn die Kündigungsschutzklage vor einem ordentlichen Gericht (Amtsgericht oder Landgericht) erhoben und von diesem an das zuständige Arbeitsgericht weiterverwiesen wird. Zwar ist nach der Änderung des § 48 ArbGG durch das 4. VwGO-Änderungsgesetz vom 17.12.19901 die Abgrenzung zwischen Arbeits- und ordentlicher Gerichtsbarkeit keine Frage der sachlichen Zuständigkeit mehr, sondern des zulässigen Rechtsweges.2 Dennoch handelt es sich nach wie vor um ein einheitliches Verfahren, für das nach § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG bei einer Verweisung die Wirkungen der Rechtshängigkeit, und somit auch die fristwahrende Wirkung der Klage, erhalten bleiben.3 Die gleiche Beurteilung gilt für Klagen, die vor anderen Gerichten des unzulässigen Rechtweges (z.B. vor dem Sozialgericht, dem Finanzgericht oder dem Verwaltungsgericht) erhoben wurden, denn auch hier greift die Regelung des § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG ein.
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Einer Fristwahrung steht es dabei nicht entgegen, wenn die fristgerecht eingereichte Klage vom zunächst angegangenen Gericht des unzulässigen Rechtswegs nicht verwiesen, sondern formlos an das Arbeitsgericht abgegeben wird und die Zustellung nach Ablauf der Dreiwochenfrist erst von diesem vorgenommen wird.4
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Haben nach § 101 Abs. 2 ArbGG die Parteien eines Tarifvertrages, dessen persönlicher Geltungsbereich überwiegend Bühnenkünstler, Filmschaffende, Artisten oder Kapitäne und Besatzungsmitglieder im Sinne der §§ 2 und 3 des Seemannsgesetzes umfasst, vereinbart, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit ausgeschlossen werden und die Entscheidung über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis durch ein Schiedsgericht erfolgen soll, ist auch für die vom tarifgebundenen Arbeitnehmer erhobene Kündigungsschutzklage allein das Schiedsgericht zuständig. Gleiches gilt für die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmer, für die aufgrund vertraglicher Einzelregelung gemäß § 101 Abs. 2 Satz 3 ArbGG eine Schiedsklausel wirksam vereinbart worden ist.5 Gegen eine dennoch vor dem Arbeitsgericht erhobene Klage steht dem Arbeitgeber die prozesshindernde Einrede des Schiedsvertrags nach § 102 Abs. 1 ArbGG zu, die dazu führt, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist, wenn nicht der Arbeitnehmer zuvor von der Möglichkeit der Klagerücknahme Gebrauch macht. Eine Verweisung von dem unzuständigen Arbeits- an das zuständige Schiedsgericht kommt mangels entsprechender gesetzlicher Vorschriften nicht in Betracht.6
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" Praxistipp: Das BAG lässt es jedoch für die Wahrung der in § 4 Satz 1
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KSchG vorgeschriebenen Klagefrist ausreichen, wenn der gekündigte Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht erho-
1 BGBl. I 1990, 2809. 2 Vgl. BAG v. 26.5.1992 – 5 AS 1/92 (n.v.); v. Hoyningen/Huene-Linck, § 4 KSchG Rz. 98. 3 LAG Köln v. 10.7.1998 – 6 Ta 150/98, NZA-RR 1998, 561 (Klageerhebung beim unzuständigen Amtsgericht). 4 LAG Halle v. 23.2.1995 – 3 Ta 162/94, LAGE § 4 KSchG Nr. 26. 5 Zur Wirksamkeit einzelvertraglich vereinbarter Schiedsklauseln vgl. BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 156/96, AP Nr. 5 zu § 101 ArbGG 1979. 6 BAG v. 24.9.1970 – 5 AZR 54/70, NJW 1971, 213.
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Kündigungsschutzprozess
ben hat, diese Klage auf Grund der Einrede des Schiedsvertrages zurücknimmt und danach innerhalb eines angemessenen Zeitraumes, wenn auch erst nach Ablauf der Klagefrist, Schiedsklage erhebt.1
III. Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung 1. Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und keine Verlängerungsvereinbarung 211
Hält der Arbeitnehmer die in § 4 Satz 1 KSchG vorgeschriebene Dreiwochenfrist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht ein, gilt die Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Fiktionswirkung betrifft sowohl die soziale Rechtfertigung der Kündigung als auch ihre Wirksamkeit aus anderen Gründen i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG. Verfolgt allerdings ein Arbeitnehmer mit seiner Klage lediglich das Ziel der gerichtlichen Feststellung der Einhaltung der Kündigungsfrist und nicht die Feststellung der Sozialwidrigkeit oder der Unwirksamkeit der Kündigung als solche, so kann er dieses Klageziel auch außerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen.2
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Um die Fiktionswirkung zu verhindern, kann der Arbeitnehmer im Falle der Fristversäumnis gemäß § 5 KSchG die nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage beantragen. Es handelt sich hierbei um eine von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängige, abschließende Sonderregelung, auf die die Bestimmungen der §§ 233 ff. ZPO keine – auch keine entsprechende – Anwendung finden.3 Gegen eine Übertragbarkeit der für die Wiedereinsetzung geltenden Vorschriften auf die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG spricht bereits die Tatsache, dass die Versäumung der in § 4 Satz 1 KSchG genannten Dreiwochenfrist nicht unter den in § 233 ZPO ausdrücklich aufgezählten Wiedereinsetzungstatbeständen zu finden ist, was den Schluss nahe legt, dass in diesen Fällen eben nicht nach den §§ 233 ff. ZPO, sondern allein nach der für diesen Fall geltenden Vorschrift des § 5 KSchG zu verfahren ist. Auch die in § 7 KSchG für den Fall der verspäteten Klageerhebung vorgesehenen besonderen Rechtswirkungen deuten darauf hin, dass das Zulassungsverfahren nach § 5 KSchG gegenüber dem Wiedereinsetzungsverfahren der ZPO speziellere Regelungen enthält, die einer analogen Anwendung der für die Wiedereinsetzung geltenden Vorschriften entgegenstehen.4
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Dies führt zu der praktisch bedeutsamen Folge, dass hinsichtlich der Versäumung der in § 5 Abs. 3 KSchG festgelegten zweiwöchigen (maximal sechsmonatigen) Antragsfrist für die nachträgliche Zulassung der verspäteten Kündigungsschutzklage eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233, 234
1 BAG v. 24.9.1970 – 5 AZR 54/70, NJW 1971, 213. 2 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405. 3 Hüßtege in Thomas/Putzo, 28. Auflage 2007, § 233 ZPO Rz. 3; v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 5 KSchG Rz. 1. 4 APS/Ascheid/Hesse, § 5 KSchG Rz. 89.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 216 Teil 12
ZPO nicht in Betracht kommt.1 Nach Ablauf der für die Antragstellung vorgesehenen Frist hat der Arbeitnehmer somit keine Möglichkeit mehr, mit der verspäteten Kündigungsschutzklage noch nachträglich zugelassen zu werden. Entsprechend dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG hat die Klagefrist zwingenden Charakter, kann also durch Parteivereinbarung nicht verkürzt oder verlängert werden, und zwar weder durch einzelvertragliche Übereinkunft noch durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung.2 Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung gilt demnach unabhängig von etwaigen abweichenden vertraglichen Vereinbarungen allein die gesetzliche Dreiwochenfrist.
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Dies gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber etwa durch das Versprechen des Abschlusses einer Abfindungsregelung die Erhebung der Kündigungsschutzklage durch den Arbeitnehmer so weit verzögert, dass sie nicht mehr innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist erfolgen kann. Zwar kann nach der Rechtsprechung des BAG zur Anwendung des § 242 BGB im Rahmen tariflich vereinbarter Verfallfristen die Berufung auf eine Ausschlussfrist unter Umständen gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Arbeitgeber die rechtzeitige Geltendmachung eines innerhalb der Frist geltend zu machenden Anspruchs durch sein Verhalten erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. den objektiv gerechtfertigten Eindruck hervorgerufen hat, der Arbeitnehmer könne auf die Erfüllung des Anspruchs auch ohne Wahrung der Ausschlussfrist vertrauen.3 Denn der Arbeitgeber setzt sich in Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten, wenn er zunächst den Arbeitnehmer zur Untätigkeit veranlasst, um später aus dieser Untätigkeit wegen des Verfalls des Anspruchs einen Vorteil für sich herzuleiten.4 Diese im Zusammenhang mit den tariflich vereinbarten Verfallfristen entwickelten Grundsätze sind jedoch auf den Fall der Verzögerung der Klageerhebung über die Frist des § 4 Satz 1 KSchG hinaus nicht übertragbar. Denn anders als die Versäumung einer tarifvertraglichen Verfallfrist, die es nicht ausschließt, dass der Arbeitgeber den verfallenen Leistungsanspruch später (entsprechend seiner Zusage) doch noch erfüllt, ist die Versäumung der gesetzlichen Klagefrist zwingend mit der Rechtsfolge der §§ 4, 7 KSchG verbunden, wonach im Falle der Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist die Kündigung als sozial gerechtfertigt gilt. Der Arbeitnehmer kann daher von vornherein nicht darauf vertrauen, nach Ablauf der Kündigungsfrist sein Kündigungsschutzbegehren noch geltend machen zu können.
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2. Fiktion der sozialen Rechtfertigung gem. § 7 KSchG a) Reichweite der Fiktionswirkung Mit Eintritt der Fiktion des § 7 KSchG nach Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gilt die arbeitgeberseitige Kündigung als von An1 BAG v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, AP Nr. 16 zu § 130 BGB; KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 164 f. m.w.N. 2 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 138; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 92. 3 BAG v. 20.2.2001 – 9 AZR 46/00, FA 2001, 255; v. 5.8.1999 – 6 AZR 752/97, ZTR 2000, 36; vgl. auch LAG Düsseldorf v. 19.8.1999 – 11 Sa 675/99 (n.v.). 4 BAG v. 22.1.1997 – 10 AZR 459/96, AP BAT § 70 Nr. 27.
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Teil 12 Rz. 217
Kündigungsschutzprozess
fang an rechtswirksam; eine etwaig bestehende Sozialwidrigkeit oder eine Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG wird rückwirkend zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs geheilt. Wie im Falle des rechtskräftigen klageabweisenden Kündigungsschutzurteils steht damit fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte Kündigung zu dem darin festgelegten Zeitpunkt wirksam aufgelöst worden ist. Nicht von der Fiktionswirkung erfasst ist dagegen das Vorliegen der zur Rechtfertigung der Kündigung vorgetragenen Gründe.1 Soweit diese für das Bestehen einer zwischen den Parteien streitigen Rechtsbeziehung von Bedeutung sind – wie beispielsweise das schuldhaft pflichtwidrige Verhalten für die Verwirkung einer Vertragsstrafe –, müssen sie daher in dem diesbezüglichen Verfahren gesondert geprüft werden. Die Fiktion der Rechtswirksamkeit der Kündigung hat demgegenüber lediglich Auswirkungen auf diejenigen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, die das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses voraussetzen. Sie betrifft insbesondere die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Vergütungs- und Beschäftigungsansprüche. Diese können bei Anwendbarkeit des § 7 KSchG nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erfolgreich geltend gemacht werden, da sich der Arbeitnehmer für weitergehende Ansprüche nicht mehr auf die Rechtswidrigkeit der als wirksam fingierten Kündigung berufen kann. Folgewirkungen hat die Regelung des § 7 KSchG beispielsweise auch für den Fall, dass die Rückzahlung einer Gratifikation von der wirksamen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf eines bestimmten Termins abhängig gemacht wurde und die Fiktion vor diesem Termin eintritt:2 Die Gratifikation ist in diesem Falle wie bei einer tatsächlich wirksamen Kündigung zurückzuzahlen. 217
Durch die Versäumung der in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehenen Klagefrist werden sowohl die in der Sozialwidrigkeit der Kündigung liegenden als auch die sonstigen von § 13 Abs. 3 KSchG erfassten Mängel gemäß § 7 KSchG rückwirkend geheilt. Ist die Kündigung darüber hinaus noch aus einem anderen Grund rechtsunwirksam, etwa wegen mangelnder Schriftform der Kündigung, kann der betreffende Mangel hingegen auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist noch geltend gemacht werden, sofern nicht im Einzelfall eine Verwirkung dieses Rechts eingetreten ist. Zu beachten ist aber, dass der Arbeitnehmer in den Fällen, in denen er die Kündigung unter Berufung auf ihre Sozialwidrigkeit oder ihre Unwirksamkeit aus anderen § 13 Abs. 3 KSchG unterfallenden Gründen fristgerecht angegriffen hat, nach Maßgabe des § 6 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch alle sonstigen Unwirksamkeitsgründe in den Prozess einbringen muss, um später mit diesen Gründen nicht präkludiert zu sein. Über den Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage kann nur einheitlich, unter Berücksichtigung aller denkbaren Unwirksamkeitsgesichtspunkte, entschieden werden, sodass mit rechtskräftiger Abweisung der Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst wurde, nicht nur die Sozialwidrigkeit und die Unwirksam1 In diesem Sinne BAG v. 23.5.1984 – 4 AZR 129/82, AP Nr. 9 zu § 339 BGB; Löwisch/ Spinner, § 7 KSchG Rz. 2; APS/Ascheid/Hesse, § 7 KSchG Rz. 7; vgl. auch LAG Stuttgart v. 29.4.1999 – 21 Sa 110/98 (n.v.), wonach sich die Fiktionswirkung bei verfristeter Befristungsklage nicht auf den sachlichen Grund für die Befristung erstreckt. 2 KR/Rost, § 7 KSchG Rz. 20a.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 220 Teil 12
keit der Kündigung aus anderen Gründen rechtskräftig verneint wird, sondern auch die Wirksamkeit der Kündigung aus sonstigen, von § 13 Abs. 3 KSchG nicht erfassten Unwirksamkeitsgründen.1 b) Wirkung außerhalb des Arbeitsverhältnisses Fraglich ist, inwieweit die Fiktion der sozialen Rechtfertigung nach § 7 KSchG Folgen auch für außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegende Rechtsverhältnisse hat, so etwa für den Anspruch des Arbeitnehmers gegen die Bundesagentur für Arbeit auf Zahlung von Arbeitslosengeld nach den Vorschriften des SGB III. Der Arbeitnehmer könnte dadurch, dass er nicht rechtzeitig gegen eine sozialwidrige Kündigung des Arbeitgebers vorgegangen ist und deshalb nach Ablauf der Dreiwochenfrist nach §§ 4, 7 KSchG die Fiktion der sozialen Rechtfertigung eingetreten ist, den Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III verwirklicht haben mit der Folge, dass er für die ersten 12 Wochen des Bezugszeitraums seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Nach der Rechtsprechung des BSG rechtfertigt allerdings die fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers allein, sich gegen die arbeitgeberseitigen Kündigung zu wehren, noch nicht den Eintritt einer Sperrzeit2, da das Gesetz seinem Wortlaut nach ein aktives Herbeiführen der Arbeitslosigkeit durch den Arbeitnehmer voraussetzt und ein solches mit der bloßen Hinnahme der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung nicht begründet wird. Anderes kann nur dann gelten, wenn angesichts zusätzlicher Vereinbarungen zwischen den Parteien, beispielsweise der Zusage einer finanziellen Vergünstigung durch den Arbeitgeber für den Fall, dass die (offensichtlich) rechtswidrige Kündigung akzeptiert wird, ausnahmsweise eine Absprache hinsichtlich einer einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu unterstellen ist.3
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Grds. hat jedoch die nach §§ 4, 7 KSchG aufgrund der Versäumung der Klagefrist eintretende Fiktion keinen Einfluss auf den Arbeitslosengeldanspruch des Arbeitnehmers. (Zur Sperrzeit wegen Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung vgl. im Einzelnen unter Teil 13 Rz. 120 ff.)
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" Praxistipp: Auch die aufgrund § 147a SGB III gegenüber der Bundesagentur
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für Arbeit bestehende Pflicht des Arbeitgebers, bei Entlassung älterer Arbeitnehmer in bestimmten Fällen das von der Agentur für Arbeit ausgezahlte Arbeitslosengeld zu erstatten, wird durch die Fiktion der sozial gerechtfertigten Kündigung nicht berührt. Die Regelung des § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III, wonach bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund sozial gerechtfertigter Kündigung ein Ausschluss der Erstattungspflicht in Betracht kommt, weist insofern ausdrücklich darauf hin, dass § 7 KSchG in diesem Zusammenhang keine Anwendung findet, die bloße Fiktion einer sozial gerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses also für einen Erstattungsausschluss nicht ausreicht.
1 KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 18; § 4 KSchG Rz. 221, 263. 2 BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R (unter 19); v. 20.4.1977 – 7 RAr 81/75, DBlR Nr. 2226a zu § 117 AFG; v. 12.4.1984 – 7 RAr 28/83 SozSich 1984, 388. 3 BSG v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, BB 1996, 1510 (1511).
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Teil 12 Rz. 221
Kündigungsschutzprozess
3. Zulässigkeit der Geltendmachung einer Unwirksamkeit aus anderen Gründen 221
Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gilt für alle in Bezug auf die (ordentliche oder außerordentliche) arbeitgeberseitige Kündigung in Betracht kommenden Unwirksamkeitsgründe i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG. Dies gilt im Prinzip auch für den in § 13 Abs. 2 KSchG geregelten Sonderfall der sittenwidrigen Kündigung, für den der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer allerdings durch Verweis auf §§ 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 10–12 KSchG den Vorteil gewährt, wie im Falle der sozialwidrigen Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung einer Abfindung zu verlangen.
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Freilich gibt es auch Unwirksamkeitsgründe, die weder als Gründe i.S.d. § 1 Abs. 2 und 3 KSchG noch als „andere Unwirksamkeitsgründe“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG anzusehen sind und dementsprechend auch außerhalb der Dreiwochenfrist noch geltend gemacht werden können. Hauptanwendungsfall ist – da nach § 4 Satz 1 KSchG die Dreiwochenfrist nur durch eine schriftliche Kündigung überhaupt in Gang gesetzt wird – die wegen Formmangels nach § 623 BGB unwirksame Kündigung.1
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Auch bei diesen von § 13 Abs. 3 KSchG. i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG nicht erfassten Unwirksamkeitsgründen ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitnehmer auch auf diese Mängel nicht unbegrenzt berufen kann. Vielmehr kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG das diesbezüglich bestehende Klagerecht gemäß § 242 BGB verwirken, wenn die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhoben wird (Zeitmoment), dadurch beim Arbeitgeber ein Vertrauen darauf geschaffen wurde, der Arbeitnehmer werde gegen die Kündigung nicht mehr gerichtlich vorgehen (Umstandsmoment) und eine Einlassung auf die Klage dem Arbeitgeber unter diesen Umständen nicht mehr zuzumuten ist.2
224
Beruft der Arbeitnehmer sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung aus Gründen, die nicht unter § 13 Abs. 3 KSchG fallen, muss er darüber hinaus auf den richtigen Klageantrag achten. Während die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung aus „anderen Gründen“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG wie auch die Geltendmachung der Sozialwidrigkeit der Kündigung mittels des in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehenen Antrags auf Feststellung erfolgt, „dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom … (zugegangen am …) nicht aufgelöst ist“, ist die Unwirksamkeit der Kündigung aus sonstigen, nicht von § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG erfassten Gründen nach ganz h.M. im Wege der allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 ZPO) geltend zu machen. Da sich diese auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses bezieht, und nicht, wie § 4 Satz 1 KSchG, auf die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit einer Rechtshandlung, also der Kündigung (= punktueller Streitgegenstand), sollte auch der Klageantrag nach § 256 ZPO auf die Feststellung gerichtet sein, dass „das Arbeitsverhältnis über den… (Zugangsdatum bei außerordentlichen 1 Vgl. hierzu und zu weiteren Ausnahmefällen unter Rz. 90 ff. 2 BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 890/98, AP Nr. 6 zu § 242 BGB Prozessverwirkung; v. 20.5. 1988 – 2 AZR 711/87, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozessverwirkung; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 386 ff.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 228 Teil 12
Kündigungen, Ablauf der Kündigungsfrist bei ordentlichen Kündigungen) fortbesteht“.1 Für den Fall, dass fälschlicherweise der Feststellungsantrag nach § 4 Satz 1 KSchG gestellt wird, kann dieser allerdings regelmäßig als allgemeiner Feststellungsantrag i.S.d. § 256 ZPO ausgelegt werden.2 Im Folgenden sollen zunächst die wesentlichen Sachverhalte für eine Unwirksamkeit der Kündigung „aus anderen Gründen“ i.S.v. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG dargestellt werden (hierzu unter a)), bevor auf die Ausnahmen von der einheitlichen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG eingegangen wird (hierzu unter b)),
225
a) Unwirksamkeit einer Kündigung „aus anderen Gründen“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG aa) Gesetzesverstoß (§ 134 BGB) Nach § 13 Abs. 3 KSchG zu beurteilen ist die Kündigung, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und damit gemäß § 134 BGB bzw. aufgrund einer in der Verbotsvorschrift selbst angeordneten Nichtigkeitsfolge rechtsunwirksam ist.
226
Ein derartiger Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot liegt insbesondere dann vor, wenn bei einer Kündigung der zugunsten bestimmter Personengruppen bestehende besondere Kündigungsschutz nicht beachtet wurde. So ist nach § 15 KSchG die ordentliche Kündigung des Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats (§ 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG), eines Personalratsmitglieds (§ 15 Abs. 2 Satz 1 KSchG) eines Wahlvorstands oder Wahlbewerbers (§ 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG) unzulässig und damit nach § 134 BGB nichtig. Gleiches gilt für die außerordentliche Kündigung dieser Personengruppen, die ohne die nach § 103 BetrVG erforderliche vorherige Zustimmung des Betriebsrats (bzw. des Personalrats, § 108 BPersVG) und ohne eine Ersetzung dieser Zustimmung durch rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Beschluss ausgesprochen wurde.
227
Auch die gegenüber einem Schwerbehinderten ohne die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene ordentliche oder außerordentliche Kündigung führt – sofern nicht die Ausnahmeregelungen des § 90 SGB IX eingreifen3 – gemäß §§ 85, 91 SGB IX regelmäßig dazu, dass die Kündigung nach § 134 BGB unwirksam4 und diese Unwirksamkeit gemäß § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist geltend zu machen ist. Zu beachten ist aber, dass gemäß § 4 Satz 4 KSchG in den Fällen, in denen die behördliche Entscheidung dem Arbeitnehmer bei Kündigungszugang
228
1 APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 64; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 400. 2 So BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, AP Nr. 47 zu § 613a BGB zu dem nach bisheriger Rechtslage unbegrenzt geltend zu machenden Unwirksamkeitsgrund des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB. 3 Zu § 90 Abs. 2a SGB IX siehe ErfK/Rolfs, § 90SGB IX Rz. 5–8. 4 BAG v. 4.2.1993 – 2 AZR 416/92, AP Nr. 2 zu § 21 SchwbG 1986 (zum alten § 13 Abs. 3 KSchG).
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Teil 12 Rz. 229
Kündigungsschutzprozess
(noch) nicht zugestellt worden ist, die Klagefrist abweichend von § 4 Satz 1 KSchG erst ab Bekanntgabe der Entscheidung zu laufen beginnt.1 229
Voraussetzung für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes nach §§ 85 SGB IX ff. ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG, dass vor Zugang der Kündigung ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft ergangen ist oder jedenfalls ein entsprechender Antrag gestellt ist. Grundsätzlich findet der Sonderkündigungsschutz zwar keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bzw. Gleichgestellter nicht nachgewiesen ist (§ 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX). Dagegen bleibt nach § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX bei bestehender Schwerbehinderung der Sonderkündigungsschutz trotz fehlenden Nachweises bestehen, wenn der Antrag so frühzeitig vor Kündigungszugang gestellt worden ist, dass eine Entscheidung vor Ausspruch der Kündigung – bei ordnungsgemäßer Mitwirkung des Antragstellers – binnen der Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX möglich gewesen wäre.2 Der Antrag muss also mindestens 3 Wochen vor der Kündigung gestellt sein. Ist dies der Fall und beruht das Fehlen des Nachweises nicht auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers, so bleibt der Sonderkündigungsschutz erhalten.3 Ausnahmsweise kann selbst vor Antragstellung des Schwerbehinderten beim Versorgungsamt der Sonderkündigungsschutz eingreifen, und zwar dann, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor dem Ausspruch der Kündigung über seine körperlichen Beeinträchtigungen informiert und über die beabsichtigte Antragstellung in Kenntnis gesetzt hat oder die Schwerbehinderung offenkundig ist.4
230
Der schwerbehinderte Mensch genießt grds. auch dann den Sonderkündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX, wenn der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung von dessen Schwerbehinderteneigenschaft oder einem entsprechenden Antrag auf Anerkennung beim Versorgungsamt keine Kenntnis hat. Der Arbeitnehmer ist in einem solchen Fall allerdings gehalten, den Arbeitgeber binnen einer Frist von drei Wochen nach Kündigungszugang über die festgestellte oder beantragte Schwerbehinderteneigenschaft zu informieren.5 Die Verletzung dieser Mitteilungspflicht hat zur Folge, dass der Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers verwirkt und die Unwirksamkeit der Kündigung nicht mehr geltend gemacht werden kann.6 Eine Verwirkung setzt jedoch weitergehend voraus, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderung oder den Antrag nicht kennt und deshalb mit der Zustimmungspflichtigkeit der Kündigung nicht rechnen kann.7 1 Vgl. hierzu unter Teil 11 B.III.3.b) ff) (Erfordernis der behördlichen Zustimmung). 2 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 613/06, NZA 2008, 361; v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407; so auch Bitzer, NZA 2006, 1082; Lorenz FA 2007, 198; Göttling, NZA-RR 2007, 281; LAG Köln v. 16.6.2006 – 12 Sa 168/06 – NZA-RR 2007, 133; LAG Düsseldorf v. 22.3.2005 – 6 Sa 1938/04; v. 29.3.2006 – 17 Sa 1321/05; LAG Nürnberg v. 4.10.2005 – 6 Sa 263/05; a.A. Griebeling, NZA 2005, 494; OVG Rheinland-Pfalz v. 7.3.2006 – 7 A 11298/05, NZA 2006, 1108. 3 BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, DB 2007, 1702 m.w.N. 4 BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 612/00, AP Nr. 11 zu § 15 SchwbG 1986. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407; v. 12.1.2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035. 6 ErfK/Rolfs, § 85 SGB IX Rz. 6 m.w.N. 7 Vgl. BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 234 Teil 12
Nicht in jedem Fall bedarf es für die Wirksamkeit der Kündigung der (ausdrücklichen) Zustimmung des Integrationsamts. Vielmehr wird auf Grund der Regelung des § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX, wonach bei der außerordentlichen Kündigung eine Entscheidung des Integrationsamts binnen zwei Wochen nach Antragseingang zu treffen ist, und des mit Wirkung zum 1.5.2004 neu eingefügten § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX1, der für die ordentliche Kündigung in den Fällen des § 89 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB IX eine Entscheidung des Integrationsamts binnen eines Monats nach Antragseingang vorschreibt, die Zustimmung des Integrationsamts zu der Kündigung nach Ablauf der jeweiligen Entscheidungsfristen fingiert mit der Folge, dass die nach Eintritt der Fiktion ausgesprochene Kündigung rechtswirksam ist.
231
Ungeachtet der ausdrücklichen oder fiktiven Zustimmung nach § 134 BGB nichtig und damit über §§ 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG grds. binnen drei Wochen geltend zu machen ist die Kündigung eines Schwerbehinderten, wenn der Arbeitgeber nicht innerhalb der in § 88 Abs. 3 SGB IX vorgeschriebenen Monatsfrist nach Zustellung der zustimmenden Entscheidung oder Eintritt der Zustimmungsfiktion ausgesprochen hat.2
232
Ein Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt enthält § 9 MuSchG, wonach die Kündigung einer Arbeitnehmerin während der Schwangerschaft und bis zu 4 Monate nach der Entbindung unzulässig ist, wenn sie nicht ausnahmsweise vor ihrem Ausspruch durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde für zulässig erklärt wird und in der von § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG vorgeschriebenen Form erfolgt. Eine ohne die entsprechende Erlaubnis oder unter Missachtung der vorgeschriebenen Schriftform ausgesprochene Kündigung ist gemäß §§ 9 MuSchG i.V.m. 134 BGB nichtig3 und damit gemäß § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen bei Gericht geltend zu machen, sofern nicht ausnahmsweise § 4 Satz 4 KSchG einschlägig ist.4 Der gleiche Sonderkündigungsschutz gilt gemäß § 18 BEEG während des Erziehungsurlaubs eines Arbeitnehmers. Zu beachten ist, dass die Kündigungsverbote nach § 9 Abs. 1 MuSchG und § 18 BEEG nebeneinander bestehen, so dass der Arbeitgeber bei Vorliegen von Mutterschaft und zusätzlich Erziehungsurlaub für eine Kündigung der Zulässigkeitserklärung der Arbeitsschutzbehörde nach beiden Vorschriften bedarf.5 Eine die Klagefrist betreffende Sondervorschrift enthält § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Danach ist die Klage trotz Überschreitung der Dreiwochenfrist nachträglich zuzulassen, wenn die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Klagefrist Kenntnis erlangt hat (vgl. unter Rz. 305 ff.).
233
Hat die Behörde in den Fällen des § 85 SGB IX, § 9 MuSchG oder § 18 BEEG die Zustimmung zur Kündigung erteilt, können vom Arbeitnehmer gegen die be-
234
1 Vgl. Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen v. 23.4.2004, BGBl. I 2004, S. 606. 2 LAG Köln v. 27.2.1997 – 5 Sa 1377/96, LAGE § 18 SchwbG 1986 Nr. 1. 3 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, AP Nr. 20 zu § 9 MuSchG 1968 (zum alten § 13 Abs. 3 KSchG). 4 Vgl. hierzu unter Rz. 296 ff. (Erfordernis der behördlichen Zustimmung). 5 BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, AP Nr. 20 zu § 9 MuSchG 1968.
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Teil 12 Rz. 235
Kündigungsschutzprozess
hördliche Entscheidung eingelegte Rechtsmittel den Lauf der Dreiwochenfrist nicht hemmen. Dies ergibt sich für den Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts bei schwerbehinderten Arbeitnehmern aus der Vorschrift des § 88 Abs. 4 SGB IX, die eine aufschiebende Wirkung der genannten Rechtsmittel ausdrücklich ausschließt. Für die Zustimmung zu der Kündigung einer Schwangeren oder eines Elternzeitberechtigten fehlt zwar eine solche Regelung, sodass die Einlegung eines Rechtsmittels gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grds. aufschiebende Wirkung hat. Dies hat aber auf die Wirksamkeit der Kündigung keinen Einfluss. Denn der Suspensiveffekt hat nicht die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts (= der Zulässigerklärung) zur Folge, sondern verhindert lediglich, dass dieser bestandskräftig wird. Für die Kündigung bedeutet dies, dass sie bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Rechtsmittel zunächst als „schwebend wirksam“ anzusehen ist.1 235
Weitere Kündigungsbeschränkungen, deren Missachtung gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Kündigung i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG führt, ergeben sich aus § 2 ArbPlSchG und § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG (Verbot der ordentlichen Kündigung während oder aus Anlass des Wehrdienstes bzw. Zivildienstes), aus §§ 58 Abs. 2, 58d BImSchG (Verbot der ordentlichen Kündigung eines Betriebsbeauftragten für Immissionsschutz2 oder eines Störfallbeauftragten während seiner Amtszeit und ein Jahr danach) sowie aus § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG i.V.m. § 58 Abs. 2 BImSchG (Verbot der ordentlichen Kündigung eines als Abfallbeauftragter tätigen Arbeitnehmers während seiner Amtszeit und ein Jahr danach).
236
Nach § 26 Abs. 1 ArbGG (bzw. § 20 SGG) ist die Benachteiligung – und damit auch die Kündigung – eines ehrenamtlichen Richters wegen der Übernahme oder Ausübung des Ehrenamtes unzulässig; die gegen diese Bestimmungen verstoßende Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig. Daneben sehen einige Landesverfassungen spezielle, über das in § 26 Abs. 1 Satz 2 ArbGG normierte Benachteiligungsverbot hinausgehende Kündigungsschutzvorschriften zugunsten von ehrenamtlichen Richtern vor. Diese Regelungen sind neben den bundesgesetzlichen Bestimmungen anwendbar.3 Denn im Unterschied zu der landesgesetzlichen Regelung bezweckt die Vorschrift des § 26 Abs. 1 ArbGG nicht in erster Linie den Individualschutz des betreffenden ehrenamtlichen Richters, sondern dient sowohl nach ihrem Sinn und Zweck als auch nach ihrer systematischen Stellung in dem die Gerichtsorganisation betreffenden zweiten Teil des ArbGG in erster Linie dem Ziel, den ungestörten Verlauf des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten. Es kann folglich nicht argumentiert werden, der Bundesgesetzgeber habe mit § 26 Abs. 1 ArbGG eine abschließende Regelung zum Schutz der ehrenamtlichen Richter, zumal auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes, treffen wollen. Die entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen bleiben deshalb anwendbar mit der Folge, dass die unter Verletzung
1 BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 245/02, ArbRB 2003, 193 (zur Kündigung nach Zulässigerklärung gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG). 2 Vgl. BAG v. 22.7.1992 – 2 AZR 85/92, AP Nr. 1 zu § 58 BImSchG. 3 BVerfG v. 11.4.2000 – 1 BvL 2/00, AP Nr. 18 zu Art. 100 GG gegen LAG Brandenburg v. 28.4.1998 – 5 Sa 885/97 (n.v.).
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 239 Teil 12
des dort vorgesehenen Kündigungsverbots ausgesprochene Kündigung i.S.d. § 134 BGB i.V.m. § 13 Abs. 3 KSchG nichtig ist. Eine anlassbezogene Kündigungseinschränkung enthält § 613a Abs. 4 BGB: Der Verstoß gegen das aus dieser Vorschrift folgende Verbot der Kündigung wegen Betriebsübergangs ist ein „anderer Unwirksamkeitsgrund“ nach § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 134 BGB1, so dass nach der Neuregelung die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG eingehalten werden muss. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Dreiwochenfrist von den Umständen, die das Kündigungsverbot begründen, Kenntnis erlangt, da es für den Fristbeginn – mit Ausnahme des im Zuge der Gesetzesreform als abschließende Einzelregelung neu eingefügten § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG – nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung, sondern den des Kündigungszugangs ankommt.2 Allerdings kann dem Arbeitnehmer in den Fällen der nachträglichen Kenntniserlangung zumindest dann mit § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG geholfen werden, wenn er vom Arbeitgeber gezielt falsch über die Umstände des wegen Betriebsübergangs ausgesprochenen Kündigung informiert und dadurch von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten worden ist.3
237
" Praxistipp: Ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB kann sich außerdem
238
aus zugunsten des Arbeitnehmers wirkenden Grundrechtsbestimmungen ergeben, sog. Drittwirkung der Grundrechte. Grundrechte, denen eine unmittelbare Drittwirkung nicht zukommt, können nach der Rechtsprechung des BVerfG4 und des BAG5 dagegen nur mittelbar auf Privatrechtsverhältnisse einwirken, indem ihre Wertungen im Rahmen arbeitsrechtlicher (u.a. § 1 KSchG, § 626 BGB) bzw. allgemeiner zivilrechtlicher (§§ 138, 242, 315 BGB) Generalklauseln berücksichtigt und gegen die zugunsten des Arbeitgebers eingreifenden Grundrechte (insbesondere den aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Vertragsfreiheit) abgewogen werden.6
bb) Unwirksamkeit wegen unterbliebener oder fehlerhafter Gremiumsanhörung Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder – d.h. der ordentlichen wie der außerordentlichen Kündigung – zu hören. Eine ohne vorherige 1 Grundlegend zu § 613a Abs. 4 BGB als eigenständigem Kündigungsgrund neben der Sozialwidrigkeit: BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, AP Nr. 40 zu § 613a BGB (zur bisherigen Rechtslage). 2 Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (364). 3 Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184); Bader, NZA 2004, 65 (68). 4 BVerfG v. 23.4.1986 – 2 BvR 487/80, DB 1987, 279; v. 19.5.1992 – 1 BvR 126/85, BB 1992, 1792. 5 BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung (Berücksichtigung von Grundrechtspositionen bei der Auslegung von § 626 Abs. 1 BGB); v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung (Nichtigkeit einer während der Probezeit erfolgten Kündigung wegen Homosexualität gemäß § 242 BGB); v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe (Berücksichtigung von Grundrechten im Rahmen des § 242 BGB). 6 Zur Nichtigkeit der Kündigung wegen Grundrechtsverstoßes vgl. eingehend KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 176 ff. m.w.N.
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Teil 12 Rz. 240
Kündigungsschutzprozess
Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG „aus einem anderen Grund“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG unwirksam1, was innerhalb der Klagefrist geltend zu machen ist. Gleiches gilt für den Fall, dass das der Kündigung vorausgehende Anhörungsverfahren fehlerhaft durchgeführt wurde2, so etwa bei unvollständiger3 oder bewusst unzutreffender4 Darstellung des Kündigungssachverhalts durch den Arbeitgeber oder bei Anhörung eines unzuständigen Betriebsrats.5 240
Beabsichtigt der Arbeitgeber den Ausspruch einer Änderungskündigung, so hat er den Betriebsrat im Rahmen der Mitteilung des Kündigungssachverhalts auch über den Inhalt des dem Arbeitnehmer unterbreiteten Änderungsangebots zu unterrichten.6 Allerdings kann dem Arbeitgeber keine Frist vorgeschrieben werden, die er einhalten muss, bevor er zu einschneidenden Maßnahmen wie dem Ausspruch von Änderungskündigungen, bspw. zum Zwecke der Entgeltreduzierung, greifen darf.7 Es führt aber zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, wenn der Betriebsrat im Vorfeld lediglich zu einer beabsichtigten Beendigungskündigung und nicht zu der später tatsächlich erklärten Änderungskündigung gehört wird.8 Umgekehrt kann auch die die Änderungskündigung betreffende Anhörung grundsätzlich nicht die Anhörung zu einer später erklärten Beendigungskündigung ersetzen. Plant der Arbeitgeber für den Fall der Ablehnung des Änderungsangebots durch den Arbeitnehmer den Ausspruch einer Beendigungskündigung, muss er dies deshalb bereits bei der Anhörung zu der von ihm beabsichtigten Änderungskündigung deutlich machen bzw. nach der Ablehnung des Angebots ein erneutes Anhörungsverfahren – diesmal zur Beendigungskündigung – durchführen.9 Andernfalls ist die Kündigung i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG unwirksam.
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Handelt es sich bei dem zu kündigenden Arbeitnehmer um einen leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG, findet § 102 BetrVG keine Anwendung. Der Arbeitgeber ist in diesen Fällen gemäß § 105 BetrVG lediglich zur Mitteilung der betreffenden Kündigung an den Betriebsrat verpflichtet. Anders als im Falle der fehlerhaften Betriebsratsanhörung hat die Verletzung der Informationspflicht hat auf die Wirksamkeit der Kündigung keinen Einfluss;10 weder sieht § 105 BetrVG für diesen Fall besondere Sanktionen vor, noch kommt eine analoge Anwendung des § 101 BetrVG in Betracht, wonach der Arbeitgeber zur Auf-
1 BAG v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972. 2 BAG v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972. 3 Zum Umfang des mitzuteilenden Kündigungssachverhalts vgl. BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761; v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 4 BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 461/94, NZA 1995, 678 (679). 5 LAG Köln v. 20.12.1983 – 1 Sa 1143/83, DB 1984, 937. 6 BAG v. 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, NZA 1990, 529; v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, DB 1982, 1520. 7 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 789/06 (n.v.). 8 BAG v. 27.5.1982 – 2 AZR 96/80, DB 1984, 620. 9 BAG v. 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, AP Nr. 53 zu § 102 BetrVG 1972. 10 BAG v. 25.3.1976 – 1 AZR 192/75, BB 1976, 743.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 244 Teil 12
hebung einer personellen Maßnahme i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gezwungen werden kann.1 Soweit im Betrieb ein Sprecherausschuss besteht, ist allerdings neben der Mitteilungspflicht nach § 105 BetrVG ggf. das dem § 102 BetrVG entsprechende Anhörungsrecht des Sprecherausschusses aus § 31 Abs. 2 SprAuG zu beachten. Eine ohne vorherige Anhörung des Sprecherausschusses ausgesprochene Kündigung ist – ebenso wie die gegen § 102 BetrVG verstoßende Kündigung – i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG unwirksam (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 3 SprAuG).2
242
Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines der in § 15 KSchG genannten aktiven betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträgers ist nach § 103 Abs. 1 und 2 BetrVG nur unter der Voraussetzung zulässig, dass der Betriebsrat der Kündigung zustimmt oder die Zustimmung auf Antrag des Arbeitgebers durch arbeitsgerichtlichen Beschluss ersetzt ist. Fehlt es daran, ist die Kündigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG – und damit i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG – nichtig.
243
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die nach § 15 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1
244
BetrVG erforderliche Zustimmung zur Kündigung grundsätzlich eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses bedarf. Nichtig und damit außerhalb der Klagefrist anfechtbar ist eine auf einem unwirksamen Beschluss beruhende Kündigung, und zwar – anders als im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG – selbst dann, wenn der Fehler bei der Beschlussfassung (etwa Nichtladung eines Ersatzmitglieds im Falle des § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) dem Betriebsrat zuzurechnen ist.3 Die von der Rechtsprechung zu § 102 BetrVG entwickelte „Sphärentheorie“4, wonach in den Risikobereich des Betriebsrats fallende Mängel keinen Einfluss auf die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung und damit auf die Wirksamkeit der Kündigung haben, lässt sich angesichts der zwischen den beiden Mitbestimmungsverfahren bestehenden Unterschiede nicht auf § 103 BetrVG übertragen. Denn im Gegensatz zum Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG, wonach bei einem Schweigen des Betriebsrats dessen Zustimmung zur Kündigung nach Ablauf der in § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Frist als erteilt gilt, wirkt der nach § 103 Abs. 1 BetrVG vorgeschriebene Zustimmungsbeschluss konstitutiv, d.h. die Kündigung kann erst dann wirksam ausgesprochen werden, wenn der Betriebsrat eine rechtlich verbindliche Zustimmungserklärung abgegeben hat. Das Risiko der Untätigkeit des Betriebsrats liegt hier also im Unterschied zu den im Anhörungsverfahren geltenden Regelungen nicht beim Arbeitnehmer, sondern beim Arbeitgeber, so dass entsprechend auch das Risiko eines unwirksamen Betriebsratsbeschlusses grundsätzlich zu seinen Lasten geht. Dessen ungeachtet darf der Arbeitgeber aber nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes regelmäßig auf die Wirksamkeit des Zustimmungsbeschlusses nach § 103 BetrVG vertrauen, sofern er nicht
1 2 3 4
LAG Düsseldorf v. 13.5.1976 – TaBV 2/76, DB 1976, 1383. BAG v. 15.11.1995 – 2 AZR 973/94 (n.v.). BAG v. 23.8.1984 – 2 AZR 391/83, AP Nr. 17 zu § 103 BetrVG 1972. Vgl. BAG v. 27.10.1988 – 2 AZR 186/88 (n.v.).
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Teil 12 Rz. 245
Kündigungsschutzprozess
die Tatsachen kennt oder kennen muss, aus denen die Unwirksamkeit des Beschlusses folgt.1 245
Über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus kann eine Gremiumsbeteiligung auch durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertragliche Regelung zwingend vorgeschrieben werden.
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So können sich Arbeitgeber und Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG darauf einigen, dass auch die ordentliche Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrats bedarf und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet. Eine unter Missachtung einer derartigen Betriebsvereinbarung erfolgte Kündigung ist dann i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG nichtig.
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Auch durch Tarifvertrag können die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats über die gesetzlichen Regelungen hinaus erweitert werden.2 Dies ist beispielsweise in § 15 Ziff. 5 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel Rheinland-Pfalz (MTV) geschehen, der vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der bereits 15 Jahre in demselben Betrieb beschäftigt ist und sein 50. Lebensjahr vollendet hat, nur mit Zustimmung des Betriebsrats ordentlich gekündigt werden kann.3
248
Trotz der aus ihr folgenden Einschränkung der Unternehmensautonomie des Arbeitgebers (Art. 12 GG) ist eine solche die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats erweiternde Tarifnorm regelmäßig zulässig, wenn der Tarifvertrag dem Arbeitgeber die Möglichkeit bietet, gegen die ablehnende Entscheidung des Betriebsrats vorzugehen und die Zustimmung ersetzen zu lassen, sei es durch Anrufung der Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG4 oder durch Antrag beim Arbeitsgericht entsprechend § 103 Abs. 2 BetrVG.5 Verstößt die Kündigung gegen ein tarifvertragliches Zustimmungserfordernis, ist damit ein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG gegeben, der nur innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG mit Erfolg geltend gemacht werden kann.6 cc) Tarifvertragliche Unwirksamkeit
249
Eine Kündigung, die gegen tarifvertraglich vereinbarte Kündigungseinschränkungen oder -verbote verstößt, ist gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 TVG wegen Verletzung eines gesetzlichen Verbotes unwirksam. Denn gemäß §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG ist auch der Tarifvertrag eine Rechtsnorm und damit ein „Gesetz“ i.S.d. § 134 BGB, dessen Nichteinhaltung zur Nichtigkeit des betreffenden 1 BAG v. 23.8.1984 – 2 AZR 391/83, AP Nr. 17 zu § 103 BetrVG 1972. 2 BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, EzA § 1 TVG Betriebsverfassungsnorm Nr. 1; v. 10.2. 1988 – 1 ABR 70/86, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; LAG Köln v. 24.11.1983 – 3 Sa 755/83, DB 1984, 670. 3 Vgl. dazu BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, EzA § 1 TVG Betriebsverfassungsnorm Nr. 1. 4 BAG v. 10.2.1988 – 1 ABR 70/86, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972. 5 BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, EzA § 1 TVG Betriebsverfassungsnorm Nr. 1. 6 Zu den Folgen eines Verstoßes gegen eine tarifvertragliche Kündigungsbeschränkung vgl. KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 306 ff.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 251 Teil 12
Rechtsgeschäftes führt. Bei der aufgrund eines derartigen Verstoßes gegen Tarifnormen eintretenden Unwirksamkeit der Kündigung handelt es sich um einen „anderen Grund“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG1, auf den der Arbeitnehmer sich nur bis zum Ablauf der Dreiwochenfrist erfolgreich vor Gericht berufen kann. Die im Tarifvertrag vereinbarte Kündigungsbeschränkung kann in einem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitnehmers bestehen. Eine solche Kündigungsbeschränkung, die in der Regel vom Erreichen eines bestimmten Dienst- oder Lebensalters abhängt, ist in zahlreichen Tarifverträgen vorgesehen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Regelung des § 53 Abs. 3 BAT, wonach Angestellten des öffentlichen Dienstes nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann.2 Ein tarifvertraglicher Kündigungsausschluss kann aber nicht nur den Schutz älterer Arbeitnehmer bezwecken, sondern auch den Schutz Auszubildender. So enthält § 8 Tarifvertrag Beschäftigungsbrücke für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 28.3.2000 einen Ausschluss der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung, die zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an das Ausbildungsverhältnis vor Ablauf von 12 Monaten führen würde. Die Vorschrift begegnet im Übrigen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da stets die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung verbleibt.3 Möglich ist es auch, tarifvertraglich bestimmte anlassbezogene Kündigungsverbote zu vereinbaren. Dementsprechend schreibt etwa § 21 Nr. 6 des Bundesrahmentarifvertrages für Apothekenmitarbeiter vom 5. September 1995 (kurz: BRTV) vor, dass „aus Anlass einer Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit nicht gekündigt werden“ dürfe. Das BAG hat diese Tarifnorm so ausgelegt, dass sich das darin zum Ausdruck kommende Kündigungsverbot nicht nur auf eine während, sondern auch auf eine außerhalb der Zeit der Arbeitsunterbrechung ausgesprochene Kündigung bezieht4, so dass die Kündigung auch dann als unwirksam i.S.d. § 134 BGB i.V.m. § 4 TVG anzusehen ist, wenn sie zwar nach Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit, aber aufgrund der vorherigen Arbeitsunterbrechung ausgesprochen wurde.
250
Umstritten ist, ob es zulässig ist, gewerkschaftlichen Vertrauensleuten durch tarifvertragliche Vereinbarung einen zusätzlichen Kündigungsschutz einzuräumen.5 Bejaht man eine derartige tarifliche Rechtsetzungsbefugnis, führt auch der Verstoß gegen die entsprechende tarifvertragliche Bestimmung nach § 134 BGB i.V.m. § 4 TVG zur Unwirksamkeit der Kündigung aus „anderen Gründen“.
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1 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 270/97, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Apotheken; v. 29.8.1991 – 2 AZR 59/91, AP Nr. 58 zu § 102 BetrVG 1972. 2 Vgl. hierzu BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 161/83, AP Nr. 3 zu § 55 BAT. 3 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 587/05, NZA 2007, 167. 4 BAG v. v. 5.2.1998 – 2 AZR 270/97, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Apotheken. 5 Dafür: LAG Düsseldorf v. 25.8.1995 – 17 Sa 324/95, LAGE Art. 9 GG Nr. 11; ArbG Bamberg v. 21.1.1989 – 1 BV 6/88, AiB 1989, 156; ArbG Kassel v. 5.8.1976 – 1 Ca 217/76, EzA Art. 9 GG Nr. 18; Schaub, RdA 1981, 373; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 313 m.w.N.; dagegen: Kraft, ZfA 1976, 243; Blomeyer, DB 1977, 101; Dietz/Richardi, BPersVG § 2 Rz. 144 ff.; Zöllner/Loritz, § 44 VII 3a; offen gelassen von BAG v. 8.10.1997 – 4 AZR 87/96, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung.
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Teil 12 Rz. 252
Kündigungsschutzprozess
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Die tarifvertragliche Kündigungsbeschränkung kann auch in der Vereinbarung einer bestimmten Form der Kündigung bestehen. Dabei ist zu beachten, dass nur über die gesetzlichen Anforderungen des § 623 BGB hinausgehende Tarifvereinbarungen möglich bleiben (etwa die Verpflichtung zur schriftlichen Angabe der Kündigungsgründe nach § 54 BMT-G II bzw. § 54 BMT-G-O). Wegen des Rechtsnormcharakters des Tarifvertrages beurteilen sich diese zusätzlichen Formvoraussetzungen sowie die im Falle des Formmangels eintretenden Rechtsfolgen nach den für die gesetzliche Schriftform geltenden Vorschriften (§§ 125, 126 BGB), so dass die Nichteinhaltung der im Tarifvertrag vereinbarten Form zur Nichtigkeit der betreffenden Kündigung nach § 125 BGB führt.1 Anders als bei einer Verletzung des § 623 BGB, die wegen der in § 4 Satz 1 KSchG vorausgesetzten Schriftform der Kündigung zur Folge hat, dass bereits die Klagefrist nicht in Gang gesetzt wird, handelt sich bei dem Verstoß gegen die darüber hinausgehend im Tarifvertrag vereinbarten Formvorschriften um einen „anderen Grund“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG, der nur innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden kann.
253
Auch der Verstoß gegen ein im Tarifvertrag vereinbartes Maßregelungsverbot, das die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Teilnahme an einem Streik ausschließt, macht die dennoch ausgesprochene Kündigung gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 TVG aus „anderen Gründen“ unwirksam. Angesichts des gesetzlichen Maßregelungsverbots aus § 612a BGB kommt dem tariflichen Maßregelungsverbot allerdings nur insoweit eigenständige Bedeutung zu, als es über den Anwendungsbereich des § 612a BGB hinausgeht, also ein im Vergleich zur Regelung des § 612a BGB weitergehendes Maßregelungsverbot enthält.
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Eine derartige über die gesetzliche Regelung hinausgehende Maßregelungsvereinbarung mittels Tarifvertrag ist nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich zulässig. So können beispielsweise die Parteien die Zahlung einer sog. „echten“, d.h. während des Arbeitskampfes gezahlten Streikbruchprämie durch ein nach Abschluss des Arbeitskampfes tariflich vereinbartes Maßregelungsverbot rückgängig machen, obwohl die Zahlung einer solchen Prämie ein zulässiges Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers und somit keine unzulässige Maßregelung der streikenden Arbeitnehmer i.S.d. § 612a BGB darstellt.2 Gleiches muss für den Fall einer nicht dem gesetzlichen, wohl aber einem tariflichen Maßregelungsverbot unterfallenden Kündigung gelten, die aufgrund der Beteiligung des Arbeitnehmers an einem Arbeitskampf ausgesprochen wird. Da die Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB i.V.m. § 4 TVG wegen Verstoßes gegen ein tarifliches Maßregelungsverbot einen Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG darstellt, kann der Arbeitnehmer sich hierauf nur nach Maßgabe der §§ 4–7 KSchG berufen.
255
Aus „anderem Grund“ unwirksam ist weiterhin eine Kündigung, die gegen einen tarifvertraglich oder in einer Betriebsvereinbarung begründeten Rationalisierungsschutz („Standortsicherungsvereinbarung“) verstößt. Eine solche Ver1 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 176/98; v. 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, AP Nr. 2 und 3 zu § 54 BMT-G II. 2 BAG v. 13.7.1993 – 1 AZR 676/92, AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 259 Teil 12
einbarung liegt beispielsweise in dem an den Arbeitgeber gerichteten Verbot, den Arbeitnehmer wegen einer Rationalisierungsmaßnahme zu kündigen, und zwar unabhängig davon, ob diese gemäß § 1 KSchG grundsätzlich eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen rechtfertigen würde. Die Rationalisierungsschutzvereinbarung kann zudem die Verpflichtung des Arbeitgebers vorsehen, im Falle eines rationalisierungsbedingten Wegfalls des Arbeitsplatzes den Arbeitnehmer – evtl. nach entsprechender Umschulung oder Fortbildung – auf einem anderen Arbeitsplatz des Betriebs, Unternehmens oder Konzern weiterzubeschäftigen. die gegen den Rationalisierungsschutz verstoßende Kündigung ist gemäß § 13 Abs. 3 KSchG innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend zu machen.
" Praxistipp: Für die Wirksamkeit einer Kündigung sind grundsätzlich die im
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestehenden Umstände und Rechtsnormen maßgebend. Dies gilt auch für die Frage, ob eine tarifliche Kündigungsbeschränkung eingreift oder nicht. Hat bei Zugang der Kündigung kein wirksames Kündigungsverbot bestanden, etwa weil der Tarifvertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt für allgemeinverbindlich erklärt wurde und die Normen deshalb noch keine Geltung entfalten konnten, ist daher die tarifliche Kündigungsbeschränkung auf die betreffende Kündigung nicht anwendbar.1
256
dd) Vertraglich vereinbarte Kündigungsbeschränkung, Befristung Das Recht zur Kündigung kann auch durch einzelvertragliche Vereinbarung eingeschränkt sein. Das vertragliche Kündigungsverbot entfaltet auch „dingliche“ Wirkung, so dass ein Verstoß hiergegen die Unwirksamkeit der betreffenden Kündigung i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG zur Folge hat.2
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Die Parteien können im Arbeitsvertrag vereinbaren, dass das Recht zur ordentlichen Kündigung dauerhaft oder für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen sein soll. Eine Kündigung ist dann lediglich unter den für die außerordentliche Kündigung geltenden Voraussetzungen möglich. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung kann allerdings nur in den Grenzen des § 624 Satz 1 BGB, also nicht über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus, erfolgen. Die genannte Vorschrift schränkt die Privatautonomie der Parteien insofern zwingend ein mit dem Ziel, eine überlange Bindung an das Arbeitsverhältnis und damit eine übermäßige Einschränkung der persönlichen Freiheit insbesondere des Arbeitnehmers zu verhindern.3
258
Zu beachten ist, dass die bloße Zusage einer Dauer- oder Lebensstellung allein im Zweifel noch nicht für den Willen der Parteien spricht, die ordentliche Kündigungsmöglichkeit auszuschließen, sondern in der Regel dahingehend zu ver-
259
1 BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559; v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, DB 1982, 1520. 2 So jetzt auch BAG v. 6.6.1984 – 7 AZR 451/82, AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (unter III. der Gründe); vgl. hierzu auch Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht/Isenhardt, 6.3 Rz. 85. 3 Vgl. BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 845/95, AP Nr. 129 zu § 626 BGB.
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Teil 12 Rz. 260
Kündigungsschutzprozess
stehen sein wird, dass der Arbeitnehmer von betrieblicher Seite her mit einer dauerhafte Beschäftigung rechnen kann, wenn und soweit er im Hinblick auf seine Leistung und sein Verhalten die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt.1 In der Bezeichnung einer Stelle als Dauer- oder Lebensstellung kann aber ausnahmsweise die Vereinbarung zu sehen sein, das KSchG unabhängig von Betriebszugehörigkeit vom ersten Tag der Beschäftigung an eingreifen zu lassen und damit den Kündigungsschutz in zeitlicher Hinsicht zu erweitern.2 260
Haben die Parteien ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart, ist nach § 15 Abs. 3 TzBfG3 damit während des Laufs der Befristung die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, so dass das Arbeitsverhältnis regelmäßig nur durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung oder Vereinbarung eines Aufhebungsvertrags wirksam beendet werden kann. Eine vor Ablauf der Befristung ausgesprochene ordentliche Kündigung ist unwirksam. Allerdings können die Parteien auch die ordentliche Kündbarkeit trotz Befristung ausdrücklich vereinbaren (§ 15 Abs. 3 TzBfG).4
261
Die unter Missachtung eines Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit ausgesprochene und dementsprechend unwirksame ordentliche Kündigung kann auch nicht gemäß § 140 BGB in eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist umgedeutet werden, um so der Nichtigkeit zu entgehen. Eine solche Umdeutung scheitert bereits daran, dass die erklärte ordentliche Kündigung nicht den weitergehenden Erfordernissen und Rechtswirkungen der als Ersatzgeschäft i.S.d. § 140 BGB in Betracht kommenden außerordentlichen Kündigung entspricht.5 Selbst dann, wenn dem Kündigenden zum Zeitpunkt des Ausspruchs der ordentlichen Kündigung tatsächlich ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB zur Seite gestanden hat, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber statt der ordentlichen eigentlich eine außerordentliche Kündigung erklären wollte. Auch in diesem Fall muss er vielmehr erkennbar zum Ausdruck bringen, dass es sich bei der unter Einhaltung einer Frist ausgesprochenen Kündigung um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund handeln soll, wenn er verhindern will, das sie als ordentliche – und damit aufgrund des vertraglichen Verbots unwirksame – Kündigung angesehen wird.6
262
Vereinbaren die Parteien im Arbeitsvertrag eine Verlängerung der gesetzlich oder tariflich vorgesehenen Kündigungsfristen, was grundsätzlich zulässig, wegen § 622 Abs. 6 BGB aber nicht einseitig zu Lasten des Arbeitnehmers möglich ist, kann die ordentliche Kündigung lediglich zu den diesen Fristen entsprechenden Terminen erfolgen. Eine nicht termingerechte Kündigung ist allerdings nicht allein aus diesem Grunde insgesamt unwirksam. Ebenso wie bei einer ordentlichen Kündigung, bei der die gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfrist nicht gewahrt ist, wird vielmehr die Kündigung zum nächsten 1 KR/Spilger, § 622 BGB Rz. 117; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 326. 2 BAG v. 8.6.1972 – 2 AZR 285/71, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969. 3 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge v. 21.12.2000, BGBl. I 2000, S. 1966. 4 BAG v. 19.6.1980 – 2 AZR 660/78, AP Nr. 55 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 5 Vgl. APS/Preis, Grundlagen J. Rz. 8 m.w.N. 6 BAG v. 19.6.1980 – 2 AZR 660/78, AP Nr. 55 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 267 Teil 12
zulässigen Termin wirksam, d.h. der ursprünglich erklärte Kündigungstermin verschiebt sich entsprechend der vereinbarten Kündigungsfrist in die Zukunft.1 Da die Nichteinhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, stellt sie keinen anderen Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG dar. Sie kann damit grds. bis zur Grenze der Verwirkung auch über die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG hinaus noch geltend gemacht werden (vgl. hierzu unter Rz. 282). ee) Unwirksamkeit gem. § 242 BGB Auch bei der Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, handelt es sich um einen anderen Rechtsunwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG, auf den die Fristbestimmung des § 4 Satz 1 KSchG Anwendung findet.
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Abzugrenzen ist die auf § 242 BGB beruhende Unwirksamkeit der Kündigung von der Nichtigkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) (dazu unter Rz. 272 ff.). Für diese existiert mit § 13 Abs. 2 KSchG eine besondere Regelung, die zwar grundsätzlich ebenfalls eine von den Vorschriften des KSchG unabhängige Geltendmachung der Nichtigkeit der Kündigung vorsieht, dem Arbeitnehmer aber für den Fall, dass sich innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft, die sich aus § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 KSchG sowie der §§ 10–12 KSchG ergebenden Rechte zubilligt und diesbezüglich auch die entsprechende Anwendung der §§ 5, 6 KSchG vorschreibt.
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Einstweilen frei.
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Die treuwidrige Kündigung umfasst, anders als die sittenwidrige Kündigung, im Rahmen einer Interessenabwägung zwischen den Interessen des Kündigenden und des Gekündigten auch weitergehende Umstände. Eine Kündigung kann gegen § 242 BGB verstoßen, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Dazu gehören insbesondere Tatbestände, bei denen zwar kein verwerfliches Motiv des Handelnden vorzuliegen braucht, aber das formale Ergebnis der Rechtsanwendung Treu und Glauben widerspricht.2 Kurz gefasst heißt dies, dass zwar jede Sittenwidrigkeit zugleich auch einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, umgekehrt aber nicht jede Treuwidrigkeit auch einen Sittenverstoß bedeuten muss.3
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Zu beachten ist, dass die Vorschrift des § 242 BGB neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar ist. Durch das Kündigungsschutzgesetz sind nämlich, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht, die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt worden. Dementsprechend kommen Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erschei-
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1 BAG v. 18.4.1985 – 2 AZR 197/84, DB 1985, 2255. 2 BAG v. 2.4.1987 – 2 AZR 227/86, EzA § 612a BGB Nr. 1. 3 ErfK/Kiel, § 13 KSchG Rz. 12, 19.
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Teil 12 Rz. 268
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Kündigungsschutzprozess
nen lassen, grundsätzlich nicht als Verstöße gegen die (allgemeinere) Regelung des § 242 BGB in Betracht.1 Die Beschränkung des § 242 BGB auf Unwirksamkeitsgründe, die nicht von den in § 1 KSchG genannten Tatbestände erfasst werden, gilt auch für den Fall, dass das Kündigungsschutzgesetz – sei es wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG oder wegen mangelnder Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG – auf das betreffende Arbeitsverhältnis gar keine Anwendung findet. Denn würde man hier im Rahmen der Treuwidrigkeitsprüfung die speziellen Anforderungen des § 1 KSchG berücksichtigen, würde der für diese Fälle kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz über den Umweg des § 242 BGB doch noch gewährt.2 Aufgrund dieser Erwägungen ist ein Verstoß gegen § 242 BGB nur dann anzunehmen, wenn die Kündigung aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung als treuwidrig anzusehen und damit gemäß § 242 BGB nichtig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.3 Bei der erforderlichen Konkretisierung der allgemein auf Treu und Glauben verweisenden Generalklausel sind nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG insbesondere auch die Wertungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen.4 In diesem Zusammenhang muss das dem Arbeitgeber grundsätzlich zustehende Recht auf Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG), das auch die Kündigungsfreiheit umfasst, gegen die Rechte des gekündigten Arbeitnehmers, insbesondere seine Rechte auf Achtung der Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) abgewogen und ggf. zugunsten der zuletzt genannten Rechtspositionen eingeschränkt werden. In Anwendung dieser Grundsätze hat das BAG die während der Probezeit erfolgte Kündigung eines homosexuellen Arbeitnehmers als rechtsmissbräuchlich angesehen, die der Arbeitgeber nur aufgrund des Sexualverhaltens des betreffenden Arbeitnehmers ausgesprochen hatte.5 Zutreffend führt das Gericht aus, dass, obwohl die Kündigung während der gesetzlichen Probezeit nicht die Angabe eines speziellen Kündigungsgrundes erfordert und somit grundsätzlich im Rahmen des dem Arbeitgeber durch den Grundsatz der Privatautonomie eingeräumten Kündigungsrechts liegt, das Gebrauchmachen von diesem Recht im beschriebenen Fall eine unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB darstellt. Denn die Gestaltung des privaten Lebensbereichs, zumal des Intimbereichs des Arbeitnehmers ist nach der aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ersichtlichen verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Einflussnahme des Arbeitgebers zumindest in den Fällen entzogen, in denen das private Verhalten zu keinerlei Störungen im betrieblichen Bereich führt. Allerdings ist bei der Prüfung der Treuwidrigkeit einer Kündigung die Vorschrift des § 242 BGB auch im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG aus1 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, SAE 2004, 46; v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/2000, NJW 2001, 2994. 2 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, NZA-RR 2008, 405; v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, SAE 2004, 46; v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/2000, NJW 2001, 2994. 3 Vgl. BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB m.w.N. aus der Rechtsprechung. 4 Vgl. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470; v. 19.10.1993 – 1 BvR 1044/89, DB 1993, 2580. 5 BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 270 Teil 12
zulegen und anzuwenden. Dies bedeutet zwar einerseits, dass durch die Anwendung dieser zivilrechtlichen Generalklausel Arbeitnehmer vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt werden. Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf allerdings auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht dazu führen, dass außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dem Arbeitgeber praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden.1 Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Die Darlegungsund Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer. Unter Berücksichtigung der dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben verstößt eine Kündigung gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Dies gilt jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet.2 Auch einen ihm offenbarten Gewissenskonflikt des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber bei der Kündigungsentscheidung zu berücksichtigen. Eine unter Missachtung des Art. 4 Abs. 1 GG erfolgte Kündigung, etwa aus Anlass einer Weigerung des Arbeitnehmers, bestimmte seinem Gewissen widersprechende Arbeiten auszuführen, ist regelmäßig nach § 242 BGB unwirksam. Für die im Rahmen des § 242 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ist allerdings von Bedeutung, ob der Arbeitnehmer schon bei Vertragsabschluß damit rechnen musste, dass ihm eine derartige Tätigkeit zugewiesen werden könnte3 und ob der Arbeitgeber aus betrieblichen Erfordernissen darauf bestehen muss, dass gerade der sich auf den Gewissenskonflikt berufende Arbeitnehmer den Auftrag ausführt. Entscheidend im Rahmen der Interessenabwägung ist auch, ob der Arbeitgeber in der Zukunft mit zahlreichen weiteren Gewissenskonflikten rechnen musste.4 Sind die vorgenannten Fragen zu bejahen, wird die Kündigung i.d.R. gerechtfertigt sein.
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Eine wegen Treuwidrigkeit unwirksame Kündigung hat das BAG ferner in den Fällen eines widersprüchlichen Verhaltens des kündigenden Arbeitgebers angenommen (sog. „venire contra factum proprium“), etwa wenn dieser ein berechtigtes Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Fortbestand seines Arbeitsplatzes geweckt hat (hier: Einstellung eines Arbeitnehmers trotz vorhersehbarem baldigem Fortfall des Arbeitsplatzes).5 Auch der Ausspruch der Kündigung in verlet-
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1 BVerfG v. 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913. 2 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA-SD 2008 Nr. 8, 3–5. 3 In seiner Entscheidung v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 16 zu § 242 BGB Kündigung verneinte deshalb das BAG die Unwirksamkeit nach § 242 BGB: Der Arbeitnehmer – Angehöriger einer Sinti-Familie – sei verpflichtet, trotz des von ihm offenbarten Gewissenskonfliktes Bestattungsarbeiten auszuführen, da er sich im Vorstellungsgespräch ausdrücklich hiermit einverstanden erklärt habe. 4 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 16 zu § 242 BGB. 5 BAG v. 21.3.1980 – 7 AZR 314/78, AP Nr. 1 zu § 17 SchwbG; vgl. auch LAG Bremen v. 14.6.1996 – 4 Sa 390/95, ARSt 1996, 204 (207), wonach es gegen § 242 BGB verstößt, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Arbeitsplatz angeboten wird, obwohl der alte fortbesteht, und ihm vier Monate später wegen Fortfalls dieses neuen Arbeitsplatzes gekündigt wird.
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Teil 12 Rz. 271
Kündigungsschutzprozess
zender Form oder zur Unzeit kann nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich nach § 242 BGB rechtsunwirksam sein.1 Allerdings reicht der Kündigungszeitpunkt allein nicht aus, einen Verstoß gegen Treu und Glauben zu begründen. Dies lässt sich nach zutreffender Ansicht der Rechtsprechung bereits daraus schließen, dass die unzeitige Kündigung auch in den gesetzlich geregelten Fällen (§§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 723 Abs. 2 BGB) stets nur zur Schadensersatzpflicht, nicht jedoch zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.2 Dementsprechend sieht das BAG eine Kündigung, die dem Arbeitnehmer am 24. Dezember zugestellt wird, nicht bereits aufgrund des ungünstigen Zugangszeitpunktes als treuwidrig an.3 Ebenso wenig verstößt die Kündigung allein dadurch gegen § 242 BGB, dass sie im zeitlichen Zusammenhang mit einer Fehlgeburt der gekündigten Arbeitnehmerin steht oder eine Woche nach dem Tod des Lebensgefährten der betreffenden Arbeitnehmerin ausgesprochen wurde.4 Hinzukommen müssen vielmehr über den bloßen Zugangszeitpunkt hinaus weitere Umstände, aus denen sich die Treuwidrigkeit der Kündigung ergibt. Durch die Wahl des betreffenden Kündigungszeitpunktes müssen berechtigte Interessen des Kündigungsempfängers verletzt werden, insbesondere auf Achtung seiner Persönlichkeit. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber absichtlich oder aufgrund einer Missachtung der persönlichen Belange des Arbeitnehmers einen Kündigungszeitpunkt wählt, der diesen besonders beeinträchtigt.5 271
Zu beachten ist, dass der sich auf § 242 BGB berufende Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (z.B.: Ausspruch der Kündigung allein aufgrund der homosexuellen Neigungen des Arbeitnehmers) darlegen und beweisen muss.6 Dazu muss er in einem ersten Schritt, soweit er die Überlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, nicht kennt, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Sodann muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen und ihn entkräften. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.7 Es gelten also die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Da der Arbeitgeber außerhalb des Geltungsbereiches des KSchG grds. nicht verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer den Kündigungsgrund mitzuteilen, wird es für diesen allerdings oft schwierig sein, die Treuwidrigkeit der Kündigung überhaupt einigermaßen zuverlässig zu beurteilen. Bei der außerordentlichen Kündigung hilft in diesen Fällen der Anspruch des Arbeitnehmers aus § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB weiter, wonach der 1 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/2000, NJW 2001, 2994; v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung. 2 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/2000, NJW 2001, 2994. 3 BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, NZA 1986, 97. 4 BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NJW 1991, 247. 5 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/2000, NJW 2001, 2994; v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, AP Nr. 88 zu § 626 BGB, zu II 4 der Gründe. 6 BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung; v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB. 7 BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, EzA-SD 2008, Nr. 8, 3–5.
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Mues
Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 274 Teil 12
Arbeitgeber auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitzuteilen hat. Auch im Falle der ordentlichen Kündigung wird der Arbeitnehmer über den Kündigungsgrund nicht völlig im Dunklen gelassen: Es gilt, dass der Betriebsrat, nachdem er gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vom Arbeitgeber über die Kündigungsgründe informiert worden ist, gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG auch den Arbeitnehmer anhören soll, womit im Regelfall auch die Mitteilung der vom Arbeitgeber angegebenen Kündigungsgründe verbunden sein wird. Widerspricht der Betriebsrat der Kündigung, ist der Arbeitgeber zudem verpflichtet, dem Arbeitnehmer dessen Stellungnahme zuzuleiten.1 ff) Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) Die sittenwidrige Kündigung ist aus „anderen Gründen“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG rechtsunwirksam mit der Folge, dass der Arbeitnehmer – unabhängig davon, ob er Kündigungsschutz i.S.d. KSchG genießt oder nicht – die dreiwöchige Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG) sowie die Regelungen über die Zulassung verspäteter Klagen (§ 5 KSchG) und der verlängerten Anrufungsfrist (§ 6 KSchG) einzuhalten hat.2 Die Bedeutung der Sonderregelung des § 13 Abs. 2 KSchG liegt darin, dass sie – abweichend von § 13 Abs. 3 KSchG, der die Anwendbarkeit der nicht die Klagefrist betreffenden Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG ausschließt – durch Verweis auf die §§ 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 10–12 KSchG dem Arbeitnehmer im Falle der sittenwidrigen Kündigung die Möglichkeit eines Auflösungsantrags bietet.3 Der Arbeitnehmer kann, unter der Voraussetzung, dass das Kündigungsschutzgesetz auf ihn Anwendung findet und er rechtzeitig Klage erhoben hat, deshalb gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie die Zahlung einer in der Höhe nach § 10 KSchG zu beurteilenden Abfindung verlangen, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – wie dies bei der sittenwidrigen Kündigung i.d.R. der Fall sein wird – nicht zuzumuten ist (vgl. hierzu Rz. 559). Stellt das Gericht den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses fest, beurteilt sich die Pflicht des Arbeitnehmers zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes wie im Falle der auf Feststellung der Sozialwidrigkeit gerichteten Kündigungsschutzklage nach § 11 KSchG; sollte der Arbeitnehmer bereits ein neues Arbeitsverhältnis begründet haben, kann er zudem das Auflösungsrecht des § 12 KSchG geltend machen.
272
Zu beachten ist, dass die Möglichkeit des Auflösungsantrags nach sittenwidriger Kündigung lediglich dem Arbeitnehmer zu Gute kommt. Ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist dagegen ausgeschlossen, wie der fehlende Hinweis des § 13 Abs. 2 KSchG auf § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zeigt.4
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An die Sittenwidrigkeit einer Kündigung sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit kann nur in besonders krassen Fällen erhoben werden. § 138 BGB legt ein rechtsethisches Minimum fest, dessen Grenzen bei
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v. Hoyningen-Huene/Linck, § 13 KSchG Rz. 47. ErfK/Kiel, § 13 KSchG Rz. 16; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 152. APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 52; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 151. KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 151.
Mues
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Teil 12 Rz. 275
Kündigungsschutzprozess
jedem Rechtsgeschäft einzuhalten sind. Selbst die offensichtlich willkürliche oder aus nichtigen Gründen unter Machtmissbrauch des Arbeitgebers ausgesprochene Kündigung ist deshalb noch nicht nach § 138 BGB nichtig, da die genannten Umstände lediglich die Sozial- und nicht auch die Sittenwidrigkeit der betreffenden Kündigung begründen.1 275
Nach der ständigen Rechtsprechung ist eine Kündigung vielmehr erst dann sittenwidrig, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht, wie insbesondere Rachsucht oder Vergeltung, oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht.2 Dies ist von der Rechtsprechung beispielsweise für den Fall angenommen worden, dass dem Arbeitnehmer nur deshalb gekündigt wurde, weil er die Beihilfe zu strafbaren Handlungen des Arbeitgebers oder unsittliche Zumutungen abgelehnt hatte.3 Sittenwidrig kann die Kündigung auch dann sein, wenn der Arbeitgeber sie auf dieselben Gründe stützt wie eine frühere, vom Arbeitsgericht durch ein stattgebendes Kündigungsschutzurteil als unwirksam erachtete Kündigung.4
276
Keine Sittenwidrigkeit hat das BAG dagegen bei der während der Probezeit ausgesprochenen Kündigung eines HIV-infizierten Arbeitnehmers angenommen, wenn dieser aufgrund seiner Infektion einen Selbstmordversuch unternommen hat, danach längere Zeit (ca. 3 Monate) arbeitsunfähig krank war und diese Umstände für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers zumindest mitbestimmend waren.5 Auch der Zugang der Kündigung am „Heiligen Abend“ begründet nach Ansicht der Rechtsprechung keine Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB, da der 24.12. nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen ein Werktag ist.6
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Einen Spezialfall der sittenwidrigen Kündigung stellt das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB dar. Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Zu den genannten Maßnahmen, für die das Benachteiligungsverbot eingreift, kann insbesondere auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber gehören.7
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Soweit die Voraussetzungen des § 612a BGB erfüllt sind, ist die betreffende Kündigung gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Dafür ist es erforderlich, dass die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers für die Kündigung durch den Arbeitgeber nicht nur irgendwie auch ursächlich und nicht nur deren äußerer Anlass, sondern für die Kündigung der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv gewesen ist.8 Es ist dann unerheblich, 1 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 13 KSchG Rz. 56 f. 2 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969; v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, NJW 2001, 2994 (2995); v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB. 3 ArbG Göttingen v. 9.3.1961 – Ca 117/61, DB 1961, 1296. 4 Vgl. BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 159/93, AP Nr. 113 zu § 626 BGB m.w.N. 5 BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 347/88, AP Nr. 46 zu § 138 BGB. 6 BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, AP Nr. 88 zu § 626 BGB. 7 BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429; v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, AP Nr. 16 zu § 242 BGB Kündigung; v. 2.4.1987 – 2 AZR 227/86, EzA § 612a BGB Nr. 1. 8 BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, EzA-SD 2009, Nr. 17, 3; v. 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 281 Teil 12
ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, da sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluss nicht kausal ausgewirkt hat und deswegen als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann daher auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte.1 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der die Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB bzw. der Maßregelung nach § 612a BGB begründenden Umstände trifft den Arbeitnehmer.2
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b) Ausnahmen von der einheitlichen Klagefrist nach § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG aa) Verstoß gegen das Schriftformerfordernis, § 623 BGB Die bedeutendste Ausnahme von der einheitlichen Klagefrist nach § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG ist im Gesetz selbst geregelt. So bestimmt § 4 Satz 1 KSchG ausdrücklich, dass die Klagefrist lediglich durch eine schriftliche Kündigung in Gang gesetzt wird und stellt damit gleichzeitig klar, dass die Nichtigkeit einer unter Verletzung des Schriftformerfordernisses erklärten Kündigung gemäß §§ 623, 125 Satz 1 BGB auch nach Ablauf von drei Wochen nach Zugang der mündlichen Kündigung noch erfolgreich geltend gemacht werden kann.3 Die Geltendmachung des Schriftformmangels erfolgt in Form der allgemeinen Feststellungsklage, § 256 Abs. 1 ZPO, und wird lediglich durch die Grundsätze zur Verwirkung des Klagerechts nach § 242 BGB begrenzt.4
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Ausnahme von der dreiwöchigen Kla-
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gefrist allein die Schriftform der Kündigung betrifft. Soweit die Wirksamkeit einer Kündigung von über die Schriftform hinausgehenden Formerfordernissen abhängt, etwa von der Angabe eines zulässigen Kündigungsgrundes nach § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG, gelten die entsprechenden Verstöße als „andere Gründe“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG, die innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist geltend zu machen sind.5
1 BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, DB 2009, 1936; v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, SAE 2004, 46. 2 BAG v. 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, DB 2009, 1936; v. 22.5.2003 – 2 AZR 426/02, SAE 2004, 46. 3 Zimmer, FA 2004, 34 (35); Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (361); Preis, DB 2004, 70 (77); Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184); KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 386; kritisch zur Geltendmachung des Schriftformmangels nach Ablauf der Dreiwochenfrist: Richardi, DB 2004, 486 (489). 4 Vgl. hierzu unter Rz. 221 (Zulässigkeit der Geltendmachung der Unwirksamkeit aus anderen Gründen). 5 Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (361).
Mues
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Teil 12 Rz. 282
Kündigungsschutzprozess
bb) Nichteinhaltung der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist 282
Auch die Angabe einer unzureichenden Kündigungsfrist stellt grds. keinen sonstigen Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG dar, auf den die Dreiwochenfrist des § 4 Satz KSchG Anwendung findet.1 Zumeist wird sich die falsche Kündigungsfrist nach §§ 133, 157 BGB dem Willen der Parteien entsprechend dahin gehend auslegen lassen, dass sie ihre Wirkung erst zum nächst zulässigen Kündigungstermin entfalten soll.2 Sie macht deshalb i.d.R. die Kündigungserklärung selbst nicht unwirksam, sondern schiebt deren Wirkung lediglich bis zum nächst zulässigen Kündigungszeitpunkt hinaus.3 Zu beachten ist jedoch, dass die arbeitnehmerseitige klageweise Geltendmachung der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist auch außerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG erfolgen kann. Der Arbeitnehmer verfolgt nämlich mit einem solchen Klageantrag nicht die Feststellung der Sozialwidrigkeit oder der Unwirksamkeit einer Kündigung, sondern geht im Gegenteil von ihrer Wirksamkeit aus. Er will in diesem Falle lediglich geltend machen, die Kündigung wirke, allerdings zu einem anderen Zeitpunkt als vom Arbeitgeber behauptet.4 Dem lässt sich in diesem Zusammenhang nicht entgegenhalten, der Arbeitnehmer, der die Einhaltung der Kündigungsfrist verfolge, erstrebe, wenn sich sein Klageziel rechtsdogmatisch nur durch Umdeutung der Kündigung nach § 140 BGB begründen lasse, notwendigerweise auch die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Eine derartige Ansicht verkennt, dass § 4 Satz 1 KSchG eine solche Geltendmachung der Unwirksamkeit i.S. eines Begründungselements nicht erfasst. Dies verdeutlicht die in § 4 Satz 1 KSchG vorgegebene Formulierung des Feststellungsantrags. Diese zielt darauf ab, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis „nicht aufgelöst“ ist. Die „Nichtauflösung“ des Arbeitsverhältnisses korrespondiert aber nicht mit einem Klageantrag, in welchem der Kläger lediglich die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist rügt. Überdies ist in all den Fällen, in denen sich bei fehlerhaft zugrunde gelegter Kündigungsfrist die Kündigungserklärung dahin gehend auslegen lässt, dass eine fristwahrende Kündigung ausgesprochen sein sollte – selbst wenn dies in aller Regel der Fall ist –, eine Umdeutung nach § 140 BGB nicht erforderlich. Nur dann, wenn sich aus der Kündigung und den im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls ein Wille des Arbeitgebers ergibt, die Kündigung ausschließlich zum erklärten, nicht aber zu einem späteren Zeitpunkt gegen sich gelten zu lassen, ist kein Raum mehr für eine Auslegung und auch nicht für eine Umdeutung vorhanden.5 Der Kündigungstermin ist dann ausnahmsweise integraler Be-
1 Gegen die Unwirksamkeit einer Kündigung auf Grund zu kurz bemessener Kündigungsfrist wohl auch BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969. 2 KR/Friedrich, § 13 Rz. 337. 3 Vgl. Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362 f.) m.w.N.; KR/Rost, § 7 KSchG Rz. 3b; a.A. Bader, NZA 2004, 65 (68). Zimmer, FA 2004, 34 (36), geht zwar davon aus, dass die falsche Kündigungsfrist die Kündigung nicht unwirksam macht, ist aber aus Gründen der Rechtsklarheit und aus Praktibilitätserwägungen dennoch für die Geltung der dreiwöchigen Klagefrist. 4 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405. 5 BAG v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05 – DB 2006, 1116.
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Mues
Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 286 Teil 12
standteil der Willenserklärung und muss somit innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen werden.1 cc) Mangelnde/beschränkte Geschäftsfähigkeit Die Geschäftsunfähigkeit des Kündigungsberechtigten hat gemäß § 105 BGB stets die Nichtigkeit der von diesem ausgesprochenen Kündigung zur Folge. Auch die von einem beschränkt Geschäftsfähigen erklärte Kündigung zieht i.d.R. die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich, wenn nicht der gesetzliche Vertreter nach § 111 Satz 1 BGB seine Einwilligung (= vorherigen Zustimmung) zu der Kündigung erteilt hat. Ist eine solche Einwilligung erteilt, ist die Kündigung dennoch unwirksam, wenn der beschränkt Geschäftsfähige die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorlegt und der Gekündigte die Erklärung aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist, § 111 Satz 2 BGB. Der gesetzliche Vertreter kann in diesem Falle jedoch gemäß § 111 Satz 3 BGB die Zurückweisung der Kündigung ausschließen, wenn er den Kündigungsempfänger von seiner Einwilligung in Kenntnis setzt.2
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Ohne Einwilligung wirksam ist die Kündigung durch den beschränkt Geschäftsfähigen, wenn der gesetzliche Vertreter ihn gemäß § 112 BGB mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ermächtigt hat, da zu den dadurch gestatteten Rechtsgeschäften auch die Kündigung von Arbeitnehmern gehört.3
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Auch die fehlende Geschäftsfähigkeit auf Seiten des Kündigungsgegners kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. So wird die gegenüber dem geschäftsunfähigen Kündigungsempfänger erklärte Kündigung erst mit ihrem Zugang bei seinem gesetzlichen Vertreter wirksam, § 131 Abs. 1 BGB. Gleiches gilt für die Kündigung gegenüber einem beschränkt geschäftsfähigen Arbeitnehmer, es sei denn, der gesetzliche Vertreter hatte gemäß § 131 Abs. 2 BGB seine Einwilligung zu der Kündigung erteilt4 oder der beschränkt Geschäftsfähige ist durch entsprechende Ermächtigung gemäß § 113 BGB bezüglich der Eingehung und Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses als unbeschränkt geschäftsfähig anzusehen.5 In Betracht kommt ferner, dass der Arbeitgeber einem minderjährigen Arbeitnehmer das an die gesetzlichen Vetreter gerichtete Kündigungsschreiben lediglich mit der Bitte übergibt, dieses den gesetzlichen Vetretern zu übergeben. Dann handelt der Minderjährige als Erklärungsbote des Arbeitgebers und die Kündigung wird wirksam, wenn sie in den Machtbereich der gesetzlichen Vetreter gelangt.6
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" Praxistipp: Die Unwirksamkeit der Kündigung auf Grund der mangelnden
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Geschäftsfähigkeit von Kündigendem oder Kündigungsempfänger ist nach
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BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405. Vgl. hierzu auch KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 365. MünchKomm/Schmitt, 4. Auflage, § 112 BGB Rz. 16. Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 131 BGB Rz. 3. Zum Umfang der Teilgeschäftsfähigkeit bei Ermächtigung nach § 113 BGB vgl. Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 113 BGB Rz. 3 ff. 6 LAG Schleswig-Holstein v. 20.3.2008 – 2 Ta 45/08, LAGE § 130 BGB 2002 Nr. 6.
Mues
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Teil 12 Rz. 287
Kündigungsschutzprozess
richtiger Ansicht kein „anderer Grund“ i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG, auf den die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Anwendung fände.1 Die Anwendung der §§ 4 Satz 1, 7 KSchG und die damit verbundene Heilung der mangelnden Geschäftsfähigkeit ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters verbietet sich bereits aus Gründen des Schutzes des geschäftsunfähigen bzw. beschränkt geschäftsunfähigen Vertragspartners.2 Der Arbeitnehmer kann sich deshalb auf die Unwirksamkeit wegen Mangels der Geschäftsfähigkeit auch außerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG noch berufen, sofern nicht ausnahmsweise eine Verwirkung des Klagerechts vorliegt. dd) Vertretungsmängel (1) Fehlende Vertretungsmacht 287
Auch Vertretungsmängel in der Person des Kündigenden können zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Dies betrifft zunächst die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch einen dazu nicht bevollmächtigten Dritten. Relevant werden kann diese Konstellation beispielsweise bei Konzernsachverhalten, wenn statt des beherrschten Unternehmens als Vertragsarbeitgeber die Konzernobergesellschaft dem Arbeitnehmer kündigt3 oder in Fällen, in denen die Kündigung durch das gesetzlich oder satzungsmäßig unzuständige Organ ausgesprochen wird.4 Hat ein Vertreter ohne Vertretungsmacht die Kündigung erklärt und hat der Arbeitnehmer den Mangel der Vertretungsmacht bei der Vornahme der Kündigung beanstandet, so ist die Kündigung ohne die Möglichkeit der rückwirkenden Heilung durch nachträgliche Genehmigung nichtig, arg. § 180 Satz 2 BGB.5 Ist dagegen keine Beanstandung erfolgt oder hat der Arbeitnehmer sich damit einverstanden erklärt, dass die Kündigung durch den Vertreter ohne Vertretungsmacht ausgesprochen wird, kommt über den Verweis des § 180 Satz 2 BGB eine Genehmigung des (einseitigen) Rechtsgeschäfts nach §§ 177–179 BGB in Betracht. Der Gekündigte kann in diesem Falle den Kündigungsberechtigten gemäß § 177 Abs. 2 BGB zur Genehmigung der Kündigung auffordern. Erklärt dann der Arbeitgeber nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Aufforderung die Genehmigung, gilt diese als verweigert und die Kündigung als unwirksam. Die Genehmigung der Kündigung durch den Arbeitgeber gemäß § 177 Abs. 1 BGB führt demgegenüber zur Wirksamkeit der Kündigung in stellvertretungsrechtlicher Hinsicht. 1 So auch Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362); Ulrici, DB 2004, 250, 252 unter Fn. 10; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 366. 2 Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362). 3 Vgl. Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362). 4 Vgl. BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 930/93, EzA Nr. 6 zu § 626 BGB Ausschlussfrist (mangelnde Vertretungsmacht des Oberbürgermeisters wegen fehlenden Beschlusses des Personal- und Organisationsausschusses der Gemeinde); ArbG Wetzlar v. 8.1.1985 – 1 Ca 336/84, ArbuR 1986, 122 (Kündigung durch den Vorstandsvorsitzenden allein statt – wie in der Vereinssatzung vorgesehen – durch zwei Vorstandsmitglieder). 5 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377; ebenso KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 354.
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Mues
Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 289 Teil 12
Die Rechtsunwirksamkeit der vom „falschen“ Arbeitgeber erklärten Kündigung auf Grund einer Beanstandung durch den Arbeitnehmer oder – bei fehlender Beanstandung – einer fehlenden Genehmigung durch den Kündigungsberechtigten ist kein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG, der innerhalb der Dreiwochenfrist geltend gemacht werden müsste. Bereits aus Sinn und Zweck des KSchG folgt, dass mit „Kündigung“ i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG lediglich die Kündigung durch den Arbeitgeber gemeint sein kann.1 Auch die dreiwöchige Klagefrist ist folglich nur dann einzuhalten, wenn die Kündigungserklärung dem Arbeitgeber überhaupt zuzurechnen ist. Dies widerspricht auch nicht der mit dem Arbeitsmarktreformgesetz verfolgten Intention, dem Arbeitgeber nach möglichst kurzer Zeit umfassende Rechtssicherheit zu verschaffen, da bei einer ihm nicht zuzurechnenden Kündigungserklärung ein Interesse des Arbeitgebers an der Klärung der Rechtslage gar nicht besteht.2 Würde man die Klagefrist auf die Fälle der fehlenden Vertretungsmacht erstrecken, hätte dies zudem zur Folge, dass es zu überflüssigen Klagen gegen den (richtigen) Arbeitgeber käme, dem die Kündigung im Zweifel überhaupt nicht bekannt ist.3 Es wäre schließlich auch mit dem Prinzip der Privatautonomie nicht vereinbar, wenn ein außenstehender Dritter durch seine Kündigungserklärung rechtsgestaltend in ein fremdes Rechtsverhältnis eingreifen und dieses mit Hilfe der Wirksamkeitsfiktion des §§ 4 Satz 1, 7 KSchG nach Ablauf von 3 Wochen beenden könnte.4 Aus alledem folgt, dass der Arbeitnehmer sich auch nach Ablauf der dreiwöchigen Ausschlussfrist noch erfolgreich auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Vertretungsmacht berufen können muss.5
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Hat der Arbeitgeber der Kündigung durch nachträgliche Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB in stellvertretungsrechtlicher Sicht zur Rechtswirksamkeit verholfen, stellt sich die Frage, ob die Klagefrist, die der Arbeitnehmer im Falle der Geltendmachung weitergehender Mängel einzuhalten hat, wegen der Rückwirkung der Genehmigung6 bereits zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs zu laufen beginnt oder aber erst durch Erteilung der arbeitgeberseitigen Genehmigung in Gang gesetzt wird. Vorzuziehen ist das letztgenannte Ergebnis. Denn würde die Frist bereits mit Zugang der Kündigung in Gang gesetzt, käme es zu der widersinnigen Konsequenz, dass der Arbeitnehmer, obwohl noch völlig unklar ist, ob die ihm zugegangene Kündigung überhaupt dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, zur Wahrung seiner Rechte eine sich später möglicherweise als überflüssig herausstellende Kündigungsschutzklage gegen den Arbeitgeber erheben müsste. Der Arbeitnehmer hat zwar die bereits dargestellte Möglichkeit, die Erteilung der Genehmigung nach §§ 180, 177 Abs. 2 BGB zu beschleunigen. Selbst im günstigsten Fall würde ihm dadurch wegen der zweiwöchigen Genehmigungsfrist aber maximal eine Woche zur Klageerhebung verbleiben. Eine solche Beschneidung der Rechte des Arbeitnehmers kann aber auch im Sinne einer
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So auch Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362). Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362); Ulrici, DB 2004, 250 (251). KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 352a; Ulrici, DB 2004, 250 (251). Ulrici, DB 2004, 250 (251). So auch BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 403/07, BB 2009, 1749 (n.v.) m.w.N. Palandt/Heinrichs, § 184 BGB Rz. 2.
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Teil 12 Rz. 290
Kündigungsschutzprozess
Beschleunigung des Kündigungsschutzverfahrens vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Zutreffenderweise wird man daher in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 4 Satz 4 KSchG für den Beginn der Klagefrist auf den Zugang der Genehmigung abzustellen haben.1 (2) Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB 290
Ebenfalls unwirksam ist die Kündigung, wenn sie zwar von einer ordnungsgemäß bevollmächtigten Person erklärt wird, diese aber bei Ausspruch der Kündigung keine Vollmachtsurkunde vorlegt und der Kündigungsempfänger aus diesem Grund die Kündigung unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 BGB2, zurückweist, § 174 Satz 1 BGB.3 Gemäß § 174 Satz 2 BGB ist eine Zurückweisung allerdings ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat. Denn der Kündigungsempfänger soll nach § 174 BGB nur dann zur Zurückweisung der Kündigungserklärung befugt sein, wenn er keine Gewissheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich gelten lassen muss. Ausreichend für ein Inkenntnissetzen i.S.d. § 174 Satz 2 BGB ist es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung allgemein darüber informiert hat, dass ein bestimmter Mitarbeiter zu derartigen Erklärungen wie einer Kündigung bevollmächtigt ist.4 Dies kann auch dadurch geschehen, dass der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter – z.B. durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten oder Leiter der Personalabteilung – in eine Stellung beruft, mit der das Kündigungsrecht verbunden zu sein pflegt. Hat der Arbeitnehmer, dem gegenüber eine Kündigung ausgesprochen wird, Kenntnis davon, dass sein Erklärungsgegner eine solche Stellung inne hat, muss er die Bevollmächtigung auch ohne Vorlage einer entsprechenden Urkunde gegen sich gelten lassen.5 Zu beachten ist, dass § 174 BGB auch im öffentlichen Dienst Anwendung findet. Zwar trifft zu, dass ein Behördenvertreter eine Erklärung unter dem Briefkopf seiner Behörde stets in deren Namen und nicht im eigenen Namen abgibt. Dies ist allerdings für die Frage der Anwendbarkeit des § 174 BGB nicht ausschlaggebend. Vielmehr soll die Vorschrift es dem Geschäftsgegner ermöglichen, die Ungewissheit, ob das ihm gegenüber vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft wegen fehlender Vertretungsmacht nach § 180 Satz 1 BGB unzulässig ist, auszuräumen und für klare Rechtsverhältnisse zu 1 IdS auch Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362); Ulrici, DB 2004, 250 (251 f.); KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 357. 2 Als unverzüglich hat die Rechtsprechung eine Spanne von 3–7 Tagen ab Zugang der Kündigung angesehen; vgl. BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343 (3 Tage); v. 11.7.1991 – 2 AZR 107/91, NZA 1992, 449 (3 Tage); v. 30.5.1978 – 2 AZR 633/76, DB 1978, 2082 (6 Tage mit dazwischenliegendem Wochenende); LAG Frankfurt v. 12.3. 2001, FA 2001, 207 (bis zu einer Woche unter Einbeziehung des Wochenendes). Nicht mehr ausreichend soll dagegen nach LAG Düsseldorf v. 22.2.1995 – 4 Sa 1817/94, LAGE § 174 BGB Nr. 7 i.d.R. eine Zurückweisung sein, die mehr als zehn Tage nach Kündigungszugang erfolgt. 3 Ausführlich hierzu KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 344 ff. 4 BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 518/96, AP Nr. 11 zu § 620 BGB Kündigungserklärung. 5 BAG v. 11.7.1991 – 2 AZR 107/91, AP Nr. 9 zu § 174 BGB.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 290 Teil 12
sorgen. Die Ungewissheit, ob ein einseitiges Rechtsgeschäft von einem berechtigterweise Bevollmächtigten ausgeht und der Vertretene dieses Geschäft gegen bzw. für sich gelten lassen muss, besteht auch, wenn – ungeachtet der Sonderregelung des § 174 Satz 2 BGB – der Bevollmächtigte eines privaten oder eines öffentlichen Arbeitgebers handelt. Sowohl in dem einen als auch in dem anderen Fall können beispielsweise eine Vollmachtsüberschreitung, ein Vollmachtsmissbrauch oder überhaupt nur Zweifel am Bestehen einer Vollmacht vorliegen, so dass der Dritte entsprechend geschützt werden muss.1 Aufgrund seines insoweit eindeutigen Wortlauts und seiner systematischen Stellung im BGB unter dem „Titel 5. Vertretung und Vollmacht“ gilt § 174 Satz 1 BGB nur für rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter, nicht jedoch für gesetzliche oder ihnen gleichzustellende.2 Beruht die Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht durch den Vertretenen, sondern auf gesetzlicher Grundlage, scheidet eine Zurückweisung nach § 174 BGB aus.3 Die Überlegung, eine dem § 174 BGB entsprechende Vorschrift für die Fälle gesetzlicher Vertretungsmacht zu schaffen, wurde abgelehnt, weil eine solche dem geltenden Recht fremde Vorschrift undurchführbar sein würde und hierdurch nur unübersehbare Schwierigkeiten hervorgerufen würden.4 Das Zurückweisungsrecht nach § 174 BGB besteht auch im Falle der organschaftlichen Vertretung grundsätzlich nicht.5 Die organschaftliche Vertretungsmacht basiert auf der Bestellung des Vertreters zum Organ z.B. einer juristischen Person, die nur durch ihre Organe am Rechtsverkehr teilnehmen kann.6 Als Teil der juristischen Person sind Handlungen des Organs als solche der juristischen Person selbst anzusehen. Die Vertretungsmacht kraft Organschaft basiert auf der gesetzlichen Anordnung i.V.m. der Bestellung zum Organ oder dem Eintritt in die Personengesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter.7 Unstreitig steht die organschaftliche Vertretung der gesetzlichen insoweit zumindest nahe. Teilweise wird sie sogar als Sonderfall der gesetzlichen Vertretung angesehen.8 Hierzu gehört die Vertreterstellung aufgrund der Satzung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die auf einer gesetzlichen Satzungsermächtigung beruht. Bei derartigen öffentlichrechtlichen Satzungen handelt es sich um die einseitig erlassene Rechtssetzung eines eigenständigen, dem Staat eingegliederten Verbandes zur Regelung seiner eigenen Angelegenheiten im Rahmen der ihm verliehenen staatlichen Autonomie.9 Es sind Rechtsvorschriften und damit im materiellen Sinn Gesetze, 1 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980. 2 BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03, AP BGB § 174 Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 174 Nr. 3. 3 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, BAGE 119; v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03, EzA BGB 2002 § 174 Nr. 3; Palandt/Heinrichs, § 174 Rz. 4; Staudinger/Schilken 2004, § 174 Rz. 6 m.w.N. 4 Vgl. Jacobs/Schubert, Die Beratung des BGB Teil 2, S. 920. 5 BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03 – AP BGB § 174 Nr. 18; BGH v. 9.11.2001 – Lw ZR 4/01 – AuR 2003, 115, Soergel/Leptin, § 174 Rdn. 8; Staudinger/Schilken 2004 § 474 Rz. 6. 6 BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03 – AP BGB § 174 Nr. 18. 7 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377; v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03 – AP BGB § 174 Nr. 18; Medicus, BGB AT, 9. Aufl., Rz. 926. 8 Vgl. Medicus, BGB AT, 9. Aufl., Rz. 926; Petersen Jura 20003, 310 m.w.N. 9 Vgl. Wolff/Bachof/Stobor, Verwaltungsrecht Bd. 1 11. Aufl. § 25 Rz. 46; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht 15. Aufl. § 4 Rz. 20 ff.
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Teil 12 Rz. 291
Kündigungsschutzprozess
nicht hingegen private Rechtsakte. Folglich ist die in öffentlich-rechtlicher Satzung eingeräumte Vertretungsbefugnis keine rechtsgeschäftliche Erteilung einer Vertretungsmacht.1 291
Ob die Unwirksamkeit der Kündigung nach Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsurkunde innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden muss, ist umstritten. Einige Autoren bejahen die Anwendung der §§ 4, 7 KSchG mit der Begründung, dass § 174 BGB nicht die Frage der – tatbestandlich vorausgesetzten – wirksamen Bevollmächtigung betreffe, sondern lediglich deren Nachweis durch Vorlage der Vollmachtsurkunde. Anders als § 180 BGB habe § 174 BGB damit keine mängelbehaftete Erklärung zum Gegenstand, sodass die Erwägungen, die im Falle des Vertretungsmangels gegen die Geltung der Dreiwochenfrist sprächen, auf § 174 BGB nicht übertragbar seien.2
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Hiergegen wird zu Recht eingewandt, dass für den Arbeitnehmer die Fälle der fehlenden Vertretungsmacht nach § 180 BGB und die des fehlenden Vollmachtsnachweises nach § 174 BGB nicht zu unterscheiden sind. In beiden Fällen weiß der Arbeitnehmer nicht, ob eine ausreichende Bevollmächtigung überhaupt vorliegt, sodass er, um der Gefahr einer Verfristung entgegenzuwirken, in beiden Fällen innerhalb der Dreiwochenfrist Klage gegen den Arbeitgeber erheben müsste. Dies ist aber aus den bereits unter (1) angestellten Überlegungen abzulehnen. Hinzu kommt, dass die gestaltungsrechtliche Wirkung des § 174 BGB, wonach die Zurückweisung der ohne Vorlage der Vollmachtsurkunde ausgesprochenen Kündigung die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hat, durch die Anwendung der §§ 4, 7 KSchG erheblich entwertet würde. Wie im Falle der fehlenden Vertretungsmacht ist deshalb der Arbeitnehmer auch bei der fehlenden Vorlage der Vollmachtsurkunde an die dreiwöchige Klagefrist nicht gebunden.3 ee) Fehlende Anzeige gemäß §§ 17, 18 KSchG
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Liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG vor, so ist die Anzeige des Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit „echte“ Wirksamkeitsvoraussetzung der ausgesprochenen Kündigung. Bis zur Entscheidung des EuGH vom 27.1. 2005 (Irmtraud Junk) führte eine unterlassene Massenentlassungsanzeige lediglich zu einem Entlassungshemmnis. Auf die privatrechtliche Wirksamkeit der Kündigung hatte die Nichtanzeige einer Massenentlassung hingegen keinen Einfluss. Nunmehr sind die §§ 17, 18 KSchG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Begriff der „Entlassung“ der „Kündigung“ gleichzusetzen ist.4 Unter diesem Verständnis wird man davon ausgehen müssen, dass Kündigungen, die ohne die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzeige ausgesprochen wurden, unwirksam und folglich nichtig sind. (Zu den Rechtsfolgen der 1 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. 2 So z.B. KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 348; Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (362). 3 So auch APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 106; Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (363); v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 22; Ulrici, DB 2004, 250 (251). 4 So seit BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969.
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 298 Teil 12
versäumten Massenentlassungsanzeige vgl. ausführlicher unter Teil 2 Rz. 617 ff. [Rechtsfolgen der Anzeige oder deren Versäumnis].) Die Anzeige muss zwingend vor Kündigungserklärung erfolgen; eine Heilung kommt nicht in Betracht. Hat der Arbeitgeber die Anzeige unterlassen oder mangelhaft vorgenommen, muss der Arbeitnehmer zur Wahrung seiner Rechte Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erheben.1
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Einstweilen frei.
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ff) Erfordernis der behördlichen Zustimmung, § 4 Satz 4 KSchG Die Bestimmung des § 4 Satz 4 KSchG schreibt vor, dass, soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG erst bei Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer zu laufen beginnt. Sie stellt damit eine Ausnahmeregelung zu der grds. auch für die Geltendmachung der fehlenden behördlichen Zustimmung geltenden Vorschrift des § 4 Satz 1 KSchG dar, die den Beginn der Klagefrist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs legt.
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Nach der alten Rechtslage hatte § 4 Satz 4 KSchG einen äußerst begrenzten praktischen Anwendungsbereich. In der Literatur wurde die Regelung zumeist dahingehend verstanden, dass sie lediglich die nachträgliche Zustimmung einer Behörde zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung betraf.2 § 4 Satz 4 KSchG war damit im Wesentlichen auf die Fälle der Kündigung von Inhabern von Bergmannversorgungsscheinen oder von religiös, rassisch oder politisch Verfolgten beschränkt, denen auf Grund landesrechtlicher Sondervorschriften nur mit auch nachträglich zu erteilender Zustimmung gekündigt werden darf.3
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Mit Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt zum 1.1.2004 hat der § 4 Satz 4 KSchG trotz gleichbleibenden Wortlauts eine erhebliche Bedeutungssteigerung erfahren: Durch die Erweiterung der in § 4 Satz 1 KSchG bestimmten Klagefrist auf die Fälle, in denen die Kündigung „aus anderen Gründen“ rechtsunwirksam ist, unterliegen nun auch die Fälle der objektiv fehlenden behördlichen Zustimmung der dreiwöchigen Klagefrist. Es stellt sich somit – anders als bisher – nicht mehr nur bei der verzögerten Bekanntgabe einer (bereits vorliegenden) behördlichen Zustimmung, sondern auch in den bisher fristungebunden geltend zu machenden Fällen einer bei Kündigungszugang (noch) nicht vorhandenen oder ablehnenden behördlichen Entscheidung die Frage einer „Fristverlängerung“ über die Regelung des § 4 Satz 4 KSchG.4
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1 ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 36. 2 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 100 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1815b; so rückblickend auf die bisherige Rechtslage auch KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 197 ff.; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 102; weitere Nachweise bei Schmidt, NZA 2004, 79 (79). 3 KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 199; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 102. 4 Schmidt, NZA 2004, 79 (80); Zimmer, FA 2004, 34 (36).
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Teil 12 Rz. 299 299
Kündigungsschutzprozess
Die Frage der Reichweite des § 4 Satz 4 KSchG und seines Verhältnisses zu § 4 Satz 1 KSchG wird nach wie vor uneinheitlich beantwortet. Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 3.7.20031 – entgegen der zur alten Rechtslage bestehenden2 und teilweise immer noch vertretenen3 h.M. – klargestellt, dass § 4 Satz 4 KSchG auch für die Fälle der erforderlichen vorherigen Zustimmung gilt (so insbesondere § 9 MuSchG, § 18 BEEG und § 85 SGB IX), und zwar sowohl dann, wenn die Zustimmung zwar erteilt, aber erst nach Zugang der Kündigung bekannt gegeben worden ist4, als auch im Falle der objektiv fehlenden oder ablehnenden Behördenentscheidung.5 Was den Wortlaut der Regelung anbetreffe, so erfasse die „Zustimmung“ im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch sowohl die (vorherige) Einwilligung als auch die (nachträgliche) Genehmigung. Auch vom Sinn und Zweck des § 4 Satz 4 KSchG her sei eine unterschiedliche Behandlung der vorherigen und der nachträglichen Zustimmung nicht geboten. So sei der Arbeitnehmer, der nicht wisse, ob und ggf. aus welchen Gründen die Behörde der Kündigung zugestimmt hat, bei der erforderlichen vorherigen Zustimmung in gleicher Weise schutzbedürftig wie bei der erforderlichen nachträglichen Zustimmung.
300
Die fehlende vorherige Zulässigkeitserklärung könne daher vom Arbeitnehmer bis zur Grenze der Verwirkung jederzeit geltend gemacht werden, wenn ihm die entsprechende Entscheidung der Behörde nicht bekannt gegeben worden ist. Die Dreiwochenfrist beginne wegen § 4 Satz 4 KSchG nicht zu laufen.
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Die Entscheidung des BAG zu der Regelung des damaligen § 18 BErzGG (jetzt § 18 BEEG) kann allerdings nicht in allen Aspekten unbesehen auf die Fälle des § 9 MuSchG und des § 85 SGB IX übertragen werden. Zu differenzieren ist insbesondere im Hinblick auf die – im entschiedenen Fall für § 18 BErzGG bejahte – Frage, ob § 4 Satz 4 KSchG auch dann Anwendung findet, wenn der Arbeitgeber die erforderliche behördliche Zustimmung überhaupt nicht beantragt hatte. Zwar soll nach Sinn und Zweck des § 4 Satz 4 KSchG der Arbeitnehmer grds. darauf vertrauen dürfen, dass der Arbeitgeber in Kenntnis der die Zustimmung der Behörde bedingenden Umstände ein behördliches Zustimmungsverfahren einleitet und die Entscheidung der Behörde ihm bekannt gegeben wird, und soll deshalb i.d.R. unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die behördliche Zustimmung beantragt hat oder nicht, erst ab Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Klagefrist reagieren müssen.6 Dies kann aber nicht gelten, wenn der Arbeitgeber von einer Schwangerschaft oder Schwerbehinderung des Arbeitnehmers keine Kenntnis hat. und dieser ihn ent1 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, DB 2003, 2494; zuletzt BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055. 2 Siehe oben Rz. 297. 3 So z.B. Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (356). 4 So bereits die bisher h.M. zur alten Rechtslage. 5 Zustimmend Schmidt, NZA 2004, 79 (80); Zimmer, FA 2004, 34 (36); Rolfs, ZIP 2004, 337 f.; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 102; vgl. auch KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 202a m.w.N. aus der Literatur. 6 Vgl. BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, AP Nr. 15 zu § 113 InsO; Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (364).
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Versäumung der Klagefrist und Folgen der Versäumung
Rz. 304 Teil 12
weder gar nicht oder über die Schwangerschaft schuldhaft nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung (§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG) bzw. über die Anerkennung oder Beantragung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht binnen Monatsfrist1 informiert hat. Denn in diesem Fall ist dem Arbeitnehmer bewusst, dass ein behördliches Zustimmungsverfahren gar nicht eingeleitet wurde, sodass eine Schutzbedürftigkeit, wie sie in § 4 Satz 4 KSchG vorausgesetzt wird, nicht besteht.2 Der Arbeitnehmer kann in einem solchen Fall nicht auf die Bekanntgabe der Behördenentscheidung warten, sondern muss, will er die Kündigung erfolgreich angreifen, innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG Klage erheben.3 Auch wenn der Arbeitnehmerin selbst ihre Schwangerschaft nicht bekannt ist, hat sie mangels schutzwürdigen Vertrauens in die Einleitung eines behördlichen Zustimmungsverfahrens durch den Arbeitgeber grds. die Dreiwochenfrist einzuhalten.4 In diesen Fällen hilft jedoch § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG, der der Arbeitnehmerin, die schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist von ihrer Schwangerschaft erfährt, eine nachträgliche Klageerhebung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme ermöglicht.5
302
Wird die Erteilung einer behördlichen Zustimmung nach Ablauf einer bestimmten Frist fingiert, wie dies § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX nach zwei Wochen ab Antragseingang für die außerordentliche und § 88 Abs. 5 SGB IX nach einem Monat ab Antragseingang für die ordentliche Kündigung vorsieht, ist § 4 Satz 4 KSchG dahingehend auszulegen, dass die gesetzlich angeordnete Zustimmungsfiktion an die Stelle der Bekanntgabe der Behördenentscheidung tritt.6 Dies gilt aber nur, wenn der Arbeitnehmer vom Zeitpunkt des Antragseingangs Kenntnis hat. Ist dies nicht der Fall, ist trotz der objektiv bestehenden Zustimmungsfiktion auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe abzustellen.7
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG auch
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nach Ansicht des BAG frühestens mit Kündigungszugang zu laufen beginnt, eine zuvor erfolgte Bekanntgabe der Behörde also keine Verkürzung der Klagefrist zur Folge hat.8
1 Ob die vom BAG entwickelte Monatsfrist im Hinblick auf die nunmehr generell geltende (strengere) Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG n.F. noch aufrechterhalten werden kann, ist zweifelhaft; kritisch hierzu Schmidt, NZA 2004, 79 (81). 2 Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (364); Schmidt, NZA 2004, 79 (81); KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 202a; APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 102; Richardi, DB 2004, 486 (489); Preis in Bauer/Preis/Schunder, NZA 2004, 195 (196); Preis, DB 2004, 70 (77). 3 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055; so auch Preis, NZA 2004, 196. 4 Schmidt, NZA 2004, 79 (81). 5 In diesem Sinne auch Löwisch, BB 2004, 154 (159); Zimmer, FA 2004, 34 (36); Bender/ Schmidt, NZA 2004, 358 (364); Preis, DB 2004, 70 (77); KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 203. Nicht zuzustimmen ist daher Bauer/Krieger, Kündigungsrecht Reformen 2004, Rz. 117; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184); Gaul/Bonanni, ArbRB 2004, 48 (50), die § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG n.F. wegen § 4 Satz 4 KSchG für überflüssig halten. 6 Bauer in Bauer/Preis/Schunder, NZA 2004, 195 (196). 7 Preis, NZA 2004, 196; ders. in Bauer/Preis/Schunder, NZA 2004, 195 (196); KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 202b. 8 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, AP Nr. 15 zu § 113 InsO; Schmidt, NZA 2004, 79 (80); Zimmer, FA 2004, 34/36).
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Teil 12 Rz. 305
Kündigungsschutzprozess
IV. Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage 305
Versäumt der Arbeitnehmer die seit Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt einheitlich geltende dreiwöchige Klagefrist, hat dies neben dem Verlust der Klagebefugnis auch die materiell-rechtliche Konsequenz, dass gemäß §§ 4 Satz 1, 7 KSchG die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam gilt. Der prozessuale wie materiell-rechtliche Ausschluss dient dem Ziel, die Wirksamkeit der dem KSchG unterliegenden Kündigungen möglichst nur kurze Zeit in Schwebe zu lassen und auf diese Weise Rechtssicherheit zu schaffen. Dementsprechend ist die Frist des § 4 Satz 1 KSchG i.d.R. nicht verlängerbar. Um unbillige Härten zu vermeiden, sieht der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG jedoch die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage vor, wenn der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen1 Kündigung zu erheben und binnen zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses einen Antrag auf nachträgliche Zulassung stellt. Gleiches gilt nach Satz 2 der Vorschrift dann, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Klagefrist Kenntnis erlangt. 1. Voraussetzungen einer nachträglichen Zulassung a) Versäumung der Klagefrist
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Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage erfordert gemäß § 5 Abs. 1 KSchG stets die Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG durch den Arbeitnehmer. Letzteres ist Voraussetzung dafür, dass überhaupt über den Antrag auf nach § 5 KSchG entschieden werden kann.2 So darf ein Beschluss über die nachträgliche Zulassung der Klage nur dann ergehen, wenn das Arbeitsgericht der Auffassung ist, die Klage sei tatsächlich verspätet erhoben worden. Erachtet das Gericht die Klageerhebung dagegen als rechtzeitig oder nur möglicherweise verspätet, hat es, ohne über den Zulassungsantrag zu beschließen, in der Hauptsache (= dem Kündigungsschutzverfahren) zu entscheiden.3 Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage ist insofern auch ohne ausdrückliche dahin gehende Bezeichnung lediglich als Hilfsantrag für den Fall anzusehen, dass die Klagefrist verpasst worden ist.4 Aus den genannten Erwägungen folgt u.a., dass ein Beschluss nach § 5 KSchG nicht etwa als unzulässig zu verwerfen, sondern ersatzlos aufzuheben ist, wenn im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss (§ 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG) das Be1 Das Wort „schriftlich“ wurde durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12. 2003, BGBl. I, S. 3002, ergänzt. Zu der gleichlautenden Ergänzung in § 4 KSchG n.F. vgl. auch unter Rz. 280. 2 BAG v. 5.4.1984 – 2 AZR 67/83, AP Nr. 6 zu § 5 KSchG 1969. 3 KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 198 ff. 4 BAG v. 5.4.1984 – 2 AZR 67/83, AP Nr. 6 zu § 5 KSchG 1969; v. 28.4.1983 – 2 AZR 438/81, AP Nr. 4 zu § 5 KSchG 1969; LAG Sachsen-Anhalt v. 24.1.1995 – 2 Ta 173/94, LAGE § 5 KSchG Nr. 69; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 26.8.1992 – 8 Ta 80/92, LAGE § 5 KSchG Nr. 58.
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Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 309 Teil 12
schwerdegericht entgegen der Beurteilung des Ausgangsgerichts die Klagefrist als gewahrt ansieht.1 Umstritten ist, ob – abgesehen von der rechtskräftigen Feststellung über die Verschuldensfrage i.S.d. § 5 KSchG – der Beschluss des Beschwerdegerichts über die nachträgliche Zulassung der Klage auch im Hinblick auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung Bindungswirkung für das spätere Kündigungsschutzverfahren entfaltet.2 Das BAG bejaht dies zutreffend mit dem Hinweis darauf, dass die – nach § 5 KSchG ausdrücklich zu prüfende – Verspätung der Klage ebenso wie das Vorliegen von Gründen für eine nachträgliche Zulassung Voraussetzung für die Entscheidung über den Zulassungsantrag ist und sich damit die Rechtskraft des nach § 5 KSchG erlassenen Beschlusses notwendigerweise auch auf diesen (wesentlichen) Aspekt des Zulassungsverfahrens erstreckt.3 Die Frage der Fristversäumung kann demnach nicht Gegenstand einer nochmaligen Überprüfung im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens sein. Insbesondere kann – soweit eine (rechtskräftige) Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Zulassung erfolgt ist – nicht in einem späteren Verfahren noch festgestellt werden, dass die Klage tatsächlich überhaupt nicht verspätet war.
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b) Verschuldensfreiheit Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage setzt weiterhin voraus, dass der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach der Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt zur rechtzeitigen Klageerhebung nicht in der Lage gewesen ist, § 5 Abs. 1 KSchG. Ihn darf somit an der Versäumung der Klageerhebungsfrist kein Verschulden treffen. Bereits der Vorwurf der leichtesten Fahrlässigkeit führt dazu, dass der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage als unbegründet abzuweisen ist.4
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Bei Beurteilung der Frage des Verschuldens sind – wie es der Gesetzeswortlaut („nach der Lage der Umstände“) nahe legt – die persönlichen Umstände des betreffenden Arbeitnehmers und seine individuellen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Es kommt also diesbezüglich nicht auf den (objektiven) Maßstab der verkehrsüblichen Sorgfalt an, sondern darauf, welches Maß an Sorgfalt dem Arbeitnehmer in seiner konkreten Situation zuzumuten war.5
309
1 LAG Hamm v. 24.3.1988 – 8 Ta 35/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 32. 2 Dafür: BAG v. 5.4.1984 – 2 AZR 67/83, AP Nr. 6 zu § 5 KSchG 1969; v. 28.4.1983 – 2 AZR 438/81, AP Nr. 4 zu § 5 KSchG 1969; dagegen: LAG Hamburg v. 11.4.1989 – 3 Ta 3/89, LAGE § 5 KSchG Nr. 47; LAG Köln v. 27.11.1987 – 9 Ta 238/87, LAGE § 5 KSchG Nr. 39; zum Streitstand vgl. auch KDZ/Zwanziger, § 5 KSchG Rz. 41, der die Bindungswirkung lediglich auf die Frage des Verschuldens erstrecken will. 3 BAG v. 5.4.1984 – 2 AZR 67/83, NZA 1984, 124; v. 28.4.1983 – 2 AZR 438/81, DB 1984, 1628. 4 LAG Niedersachsen v. 6.4.2009 – 9 Sa 1297/08; LAG Schleswig-Holstein v. 29.5.2008 – 4 Ta 71/08; APS/Ascheid/Hesse, § 5 KSchG Rz. 10, 11; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 3; KR/Friedrich § 5 KSchG, Rz. 18. 5 LAG Niedersachsen v. 6.4.2009 – 9 Sa 1297/08; Berkowsky, NZA 1997, 352 (354); KR/ Friedrich, § 5 KSchG Rz. 20; ErfK/Kiel, § 5 KSchG Rz. 2.
Mues
1001
Teil 12 Rz. 310
Kündigungsschutzprozess
2. Einzelfälle mit Beispielen aus der Rechtsprechung a) Anwaltsverschulden 310
Die Frage, ob und inwieweit im Verfahren nach § 5 KSchG die Regelung des § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG anwendbar und dem Arbeitnehmer damit das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, war lange umstritten.1
311
Die Geltung der genannten Vorschrift im Zulassungsverfahren wurde von einigen Instanzgerichten mit dem Argument verneint, dass vor Klageeinreichung, also vor Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses, der Rechtsanwalt noch nicht als Bevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO anzusehen sei. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung betreffe lediglich ein außerprozessuales Verhalten, auf das die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO keine Anwendung finde.2
311a
Das BAG hat nunmehr zutreffend mit Urteil vom 11.12.2008 klargestellt, dass dem klagenden Arbeitnehmer das Verschulden des Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist.3 Angesichts des weiten Anwendungsbereichs des § 85 Abs. 2 ZPO, der alle Handlungen und Unterlassungen erfasst, die sich auf den Rechtsstreit beziehen4, sind nicht nur die in einem bereits anhängigen Prozess vorgenommenen Handlungen, sondern auch diejenigen, die – wie die fristgerechte Erhebung der Kündigungsschutzklage – einen solchen Prozess erst einleiten, als Prozesshandlungen i.S.d. § 85 Abs. 2 ZPO zu qualifizieren5 und dementsprechend zu behandeln.
312
Für eine (zumindest analoge) Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO spricht zudem die Vergleichbarkeit des Zulassungsverfahrens nach § 5 KSchG mit dem Wiedereinsetzungsverfahren nach § 233 ZPO, für das die genannte Zurechnungsnorm unstreitig Geltung hat.6
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An die dem Anwalt nach § 5 Abs. 1 KSchG zuzumutende Sorgfalt werden von der Rechtsprechung im Allgemeinen hohe Anforderungen gestellt.
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Ein die nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG ausschließendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten wird beispielsweise dann angenommen, 1 Dafür: LAG Sachsen v. 9.5.2000 – 4 Ta 120/00, FA 2001, 215; LAG Frankfurt v. 22.10. 1999 – 2 Ta 487/99 (n.v.); LAG Köln v. 10.7.1998 – 6 Ta 150/98, LAGE § 4 KSchG Nr. 41; LAG Kiel v. 16.4.1998 – 4 Ta 188/97, AnwBl 1998, 664; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 25 ff.; Löwisch/Spinner, § 5 KSchG Rz. 5; Rieble, Anm. zu LAGE § 5 KSchG Nr. 65; dagegen: LAG Hamburg v. 24.1.1997 – 4 Ta 29/96, LAGE § 5 KSchG Nr. 85; LAG Hamm v. 27.2.1996 – 5 Ta 106/95, LAGE § 5 KSchG Nr. 86 (st. Rspr.); ErfK/Kiel, § 5 KSchG Rz. 7; Berkowsky, NZA 1997, 352 (355); KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 99 m.w.N. 2 So z.B. LAG Niedersachsen v. 27.2.2000 – 5 Ta 799/99, LAGE § 5 KSchG Nr. 98. 3 BAG v. 11.12.2008 – 2 AZR 472/08, NZA 2009, 692 mit ausführlicher Erörterung des Streitstands. 4 Putzo in Thomas/Putzo, 26. Auflage 2004, § 85 ZPO Rz. 1. 5 So auch Löwisch/Spinner, § 5 KSchG Rz. 5. 6 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 20.3.2007 – 3 Sa 989/06 (n.v.); LAG Köln v. 3.11.2005 – 7 Ta 306/05, NZA-RR 2006, 325; so auch schon LAG Kiel v. 16.4.1998 – 4 Ta 188/97, AnwBl 1998, 664.
1002
Mues
Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 316 Teil 12
wenn dieser vom Arbeitnehmer darüber unterrichtet wird, dass der Arbeitnehmer zwei zeitlich aufeinanderfolgende Kündigungsschreiben mit Kündigungen zum gleichen Zeitpunkt erhalten hat, er nach Mandatierung durch den Arbeitnehmer aber nur die erste Kündigung nach § 4 Satz 1 KSchG angreift und bezüglich der zweiten Kündigung die Drei-Wochen-Frist in der Annahme versäumt, es handele sich bei dem zweiten Kündigungsschreiben nur um eine „Bestätigung“ der ersten Kündigung.1 Gleiches gilt, wenn der Rechtsanwalt einer Anwaltsgehilfin, die sich bereits in der Vergangenheit in dieser Hinsicht als nicht zuverlässig erwiesen hat, die Überprüfung überlässt festzustellen, ob zwei den Arbeitnehmer betreffende Schriftstücke jeweils als selbständige Kündigungen oder als eine Kündigung zu bewerten sind, und diese durch eine entsprechende Fehlentscheidung die Verfristung der Kündigungsschutzklage verursacht.2 Grundsätzlich kommt aber das Verschulden anderer, nicht mit der Führung des Prozesses beauftragter Personen nur unter dem Gesichtspunkt des Eigenverschuldens in Betracht, wenn dem Kläger also vorgehalten werden könnte, dass er bei der Auswahl derer, die er im Vorfeld der Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten beteiligt hat, nicht die notwendige Sorgfalt hat walten lassen.3 Wenn ein Arbeitnehmer die DGB Rechtsschutz GmbH mit der Prozessvertretung beauftragt, ist die rechtsschutzgewährende Einzelgewerkschaft nicht Prozessbevollmächtigter i.S.v. § 85 Abs. 2 ZPO. Ist die verspätete Klageerhebung auf ein Verschulden des Rechtssekretärs der Einzelgewerkschaft zurückzuführen, kommt eine Verschuldenszurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht.4 Kein Verschulden des Anwalts liegt dagegen vor, wenn dieser dem Gericht die Klageschrift per Telefax übermitteln will, dazu alles seinerseits Erforderliche getan hat und die Übermittlung durch eine für ihn nicht erkennbare Störung der Leitung oder des Empfangsgeräts fehlschlägt, so dass die Klage nicht rechtzeitig eingeht.5 Auch technische Fehler in der ansonsten ordnungsgemäß gehandhabten EDV-Anlage, die dazu führen, dass die dort gespeicherten Fristen nicht mehr ordnungsgemäß abgerufen werden können, begründen kein Verschulden des Rechtsanwalts hinsichtlich einer darauf beruhenden Fristversäumung.6
315
Nicht zuzurechnen ist dem Arbeitnehmer in der Regel auch die von Hilfspersonen des Rechtsanwaltes, insbesondere von seinem Büropersonal, verschuldete Versäumung der Klagefrist, so etwa, wenn aufgrund eines vom Büropersonal zu vertretenden „Zahlendrehers“ bei der Postleitzahl die Klage nicht mehr rechtzeitig bei Gericht eingeht.7 Trifft den Bevollmächtigten hingegen an dem zur Fristversäumung führenden Fehlverhalten seines Personals ein eigenes Organisationsverschulden, z.B. weil er seine Mitarbeiter nicht sorgfältig ausgewählt, angewiesen oder überwacht hat, wird dieses Verschulden über
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1 2 3 4 5 6 7
LAG Frankfurt v. 26.10.1993 – 16 Ta 263/93, LAGE § 5 KSchG Nr. 63. LAG Kiel v. 16.4.1998 – 4 Ta 188/97, RzK I 10 d Nr. 92. ErfK/Kiel, § 5 KSchG Rz. 9; KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 98. LAG Schleswig-Holstein v. 29.11.2007 – 5 Ta 263/07, NZA-RR 2008, 139. BAG v. 20.2.2001 – 1 AZR 322/00, BB 2001, 1908; vgl. auch unter Rz. 192 ff. LAG Köln v. 27.11.1986 – 3 Ta 290/86, LAGE § 5 KSchG Nr. 25. LAG Köln v. 21.4.1997 – 5 Ta 76/97, LAGE § 5 KSchG Nr. 88.
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Teil 12 Rz. 317
Kündigungsschutzprozess
§ 85 Abs. 2 ZPO der von ihm vertretenen Partei zugerechnet.1 Zu den Organisationspflichten des prozessvertretenden Rechtsanwalts gehört es dabei insbesondere, selbst oder durch entsprechende Anweisungen an sein Büropersonal dafür Sorge zu tragen, den Arbeitsablauf in seinem Büro so zu organisieren, dass alle möglichen und zumutbaren Vorkehrungen zur Einhaltung prozessualer Fristen genutzt werden. So muss nach der Rechtsprechung des BAG sichergestellt sein, dass entweder durch den Rechtsanwalt selbst oder durch sein von ihm entsprechend angewiesenes Personal die Eintragung der maßgeblichen prozessualen Fristen in den Fristenkalender bereits dann vorgenommen wird, wenn die Frist erstmals konkret erkennbar wird.2 317
Zudem hat der Rechtsanwalt durch entsprechende organisatorische Maßnahmen eine wirksame Ausgangskontrolle der fristgebundenen Schriftstücke zu gewährleisten, etwa indem er dafür sorgt, dass Fristen im Fristenkalender erst dann gelöscht werden, wenn das fristwahrende Schriftstück auch wirklich abgesendet ist.3
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Wird die Klagefrist versäumt, weil ein Fristenzettel der Akte so beigefügt ist, dass er zwischen weiteren Akten verloren geht, und weil auch eine weitere Überwachung der einzuhaltenden Frist nicht stattfindet, liegt ein – dem Mandanten zuzurechnendes – Organisationsverschulden des Rechtsanwalts vor.4
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Unaufklärbarkeit der Ursache eines Bü-
roversehens und der Verantwortlichkeit des Anwalts hierfür zu Lasten der Partei geht, die sich darauf beruft, dass kein Anwaltsverschulden vorliegt.5 Die den Antrag nach § 5 KSchG stellende Partei muss also den Nachweis dafür erbringen, dass die Fristversäumung nicht durch ein Organisations- oder sonstiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten verursacht wurde.
b) Verspätung durch Übermittlungsart der Klage (Bote, Post, Fax) 320
Zu den im Rahmen des § 5 KSchG dem Arbeitnehmer obliegenden Sorgfaltspflichten gehört es auch, für die rechtzeitige Einreichung der Klageschrift zu sorgen. Dabei ist der Arbeitnehmer zwar berechtigt, die in § 4 Satz 1 KSchG vorgegebene Dreiwochenfrist voll auszuschöpfen. Zögert er aber ohne besonderen Grund die Einreichung der Klage bis zum letzten möglichen Zeitpunkt hinaus, hat er grundsätzlich auch das Risiko zu tragen, dass die Klage nicht mehr rechtzeitig übermittelt werden kann.6
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Übersendet der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage dem Gericht per Post, darf er darauf vertrauen, dass die durch die Leitvorgaben der Deutschen 1 St. Rspr. BAG v. 9.1.1990 – 3 AZR 528/89, NJW 1990, 2707. 2 BAG v. 30.5.2001 – 4 AZR 271/00, wonach der Ablauf einer Rechtsmittelbegründungsfrist unmittelbar nach Absendung oder Einlegung des Rechtsmittels in den Fristenkalender einzutragen gewesen wäre. 3 BAG v. 8.4.1993 – 2 AZR 716/92, AP Nr. 10 zu § 85 ZPO; LAG Köln v. 22.12.1998 – 10 Ta 273/98, MDR 1999, 772; ebenso ErfK/Kiel, § 5 KSchG Rz. 7. 4 LAG Köln v. 8.5.1987 – 9 Ta 68/87, LAGE § 5 KSchG Nr. 28. 5 LAG Köln v. 26.7.1994 – 10 Ta 105/94, BB 1994, 1940. 6 v. Hovningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 12; Löwisch/Spinner, § 5 KSchG Rz. 14.
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Mues
Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 322 Teil 12
Post AG festgelegten regelmäßigen Postlaufzeiten eingehalten werden. Der Arbeitnehmer genügt daher seiner Sorgfaltspflicht, wenn er das – ordnungsgemäß adressierte – Schreiben so rechtzeitig aufgibt, dass bei normaler Beförderungsdauer mit dem rechtzeitigen Eingang bei Gericht gerechnet werden kann.1 Unvorhersehbare Verzögerungen bei der Postbeförderung oder bei der Zustellung können ihm nicht als Verschulden i.S.d. § 5 KSchG angerechnet werden, so dass eine Kündigungsschutzklage, die wegen Überschreitung der gewöhnlichen Postlaufzeiten verspätetet bei Gericht eingeht, regelmäßig nachträglich zuzulassen ist.2 Anders ist es, wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände, etwa eines Poststreiks, von vornherein nicht auf die Einhaltung der üblichen Beförderungszeiten vertrauen konnte, und dennoch den Postweg wählt, obwohl ihm sicherere Übermittlungsarten (z.B. Einwurf der Klageschrift in den Gerichtsbriefkasten oder Übersendung mittels Telefax) zur Verfügung gestanden hätten.3 Hier ist in der Regel ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Fristversäumung anzunehmen, da dieser die Verspätung vorhersehen und verhindern hätte können. Jedenfalls ist es dem Arbeitnehmer in derartigen Fällen zuzumuten, das Risiko einer Fristversäumnis durch eine entsprechende Nachfrage nach dem Eingang der Klage bei Gericht aufzufangen. Geschieht dies nicht, scheidet die Klagezulassung nach § 5 KSchG aus.4 Bei einer Übermittlung der Kündigungsschutzklage per Telefax – die grundsätzlich zulässig ist, sofern in der Telekopie auch das Schriftbild der unter der Originalvorlage befindlichen Unterschrift wiedergegeben wird (§ 130 Nr. 6 ZPO)5 – genügt der Arbeitnehmer in der Regel der von ihm nach § 5 KSchG zu fordernden Sorgfaltspflicht dadurch, dass er unter Verwendung eines funktionsfähigen Telefaxgerätes und bei Eingabe der korrekten Empfangsnummer so rechtzeitig6 mit der Absendung des Telefax begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit einer Übermittlung vor Ablauf der Dreiwochenfrist zu rechnen ist.7 Etwaige technische Defekte, die auf einer Störung der Übermittlungsleitungen oder des Empfangsgeräts beruhen, sind dem Arbeitnehmer jedenfalls dann nicht im Sinne eines Verschuldens zuzurechnen, wenn die mangelnde oder mangelhafte Übermittlung für ihn nicht erkennbar war.8 Bemerkt der Arbeitnehmer dagegen, dass die Übermittlung der Klage per Telefax fehlgeschlagen ist, und ist es ihm möglich und zumutbar, die Klage dem Gericht auf einem anderen Übertragungsweg noch fristgerecht zu übermitteln, ist er grundsätzlich verpflichtet, 1 Vgl. BAG v. 19.4.1990 – 2 AZR 487/89, AP Nr. 8 zu § 23 KSchG 1969. 2 BVerfG v. 27.2.1992 – 1 BvR 1294/91, NJW 1992, 1952 (zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO); LAG Nürnberg v. 31.10.1991 – 7 Ta 121/91, LAGE § 5 KSchG Nr. 56. 3 BVerfG v. 29.12.1994 – 2 BvR 106/93, EzA § 233 ZPO Nr. 281. 4 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 23. 5 Zur Zulässigkeit der Einreichung einer Kündigungsschutzklage per Telefax vgl. Rz. 192 ff. 6 Nicht mehr rechtzeitig i.S.d. nach § 5 KSchG zu fordernden Sorgfaltspflicht ist die Absendung eines 11-seitigen Schriftsatzes 6 Minuten vor Fristablauf um 24.00 Uhr: BVerfG v. 19.11.1999 – 2 BvR 565/98, NJW 2000, 574. 7 BAG v. 20.2.2001 – 1 AZR 322/00, BB 2001, 1908; BVerfG v. 1.8.1996 – 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857; BGH v. 19.4.1994 – VI ZB 3/94, AP Nr. 64 zu § 518 ZPO. 8 BAG v. 20.2.2001 – 1 AZR 322/00, BB 2001, 1908.
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Teil 12 Rz. 323
Kündigungsschutzprozess
diese Zustellungsmöglichkeit auch zu nutzen. Tut er das nicht, kommt auch eine nachträgliche Zulassung der infolgedessen verspätet eingegangenen Klage nicht mehr in Betracht.1 323
Auch wenn die Klagefrist deshalb versäumt wird, weil die rechtskundig vertretene Partei am letzten Tag der Frist per Telefax unter Benutzung eines gerichtsfremden Telefaxempfangsanschlusses die Klage einreicht, die Inhaberin des Anschlusses (hier: die Staatsanwaltschaft) die Klage jedoch erst später weiterleitet, scheidet eine nachträgliche Zulassung der Klage aus.2 Dies gilt auch, wenn irrtümlich die Telefax-Nummer des Landesarbeitsgerichts statt des unter gleicher Adresse ansässigen Arbeitsgerichts gewählt wurde.
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Der Arbeitnehmer darf grundsätzlich damit rechnen, dass das Arbeitsgericht zu den üblichen Dienstzeiten geöffnet ist und die Kündigungsschutzklage dort auch noch kurz vor Ablauf der Frist zu Protokoll der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Die Versäumung der Klagefrist ist somit nicht verschuldet, wenn eine ausländische Arbeitnehmerin am letzten Tag der Frist ihren Ehemann zum Arbeitsgericht schickt, um für sie Klage zu erheben, dieses jedoch wegen eines Betriebsausfluges geschlossen ist, und sie deswegen erst am nächsten (Arbeits-)Tag die Klage zu Protokoll der Geschäftsstelle erhebt.3
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Auch auf das Vorhandensein eines funktionsfähigen Nachtbriefkastens kann der Arbeitnehmer vertrauen.4 Fehlt eine solche Einrichtung und können der Arbeitnehmer selbst oder ein für ihn handelnder Bote die Klage aufgrund dessen nicht mehr rechtzeitig (also ggf. auch noch um 23.59 Uhr des letzten Tages der Frist) bei Gericht einreichen, ist daher die verspätete Klage nachträglich zuzulassen. Zu beachten ist allerdings, dass die Klagefrist des § 4 KSchG auch durch den (rechtzeitigen) Einwurf der Klageschrift in den Tagesbriefkasten des Gerichts gewahrt wird5, so dass in der Regel nur bei Beweisschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Zugangszeitpunkt der in den Tagesbriefkasten eingeworfenen Schriftstücke überhaupt auf die Möglichkeit einer nachträglichen Klagezulassung zurückgegriffen werden muss. Keine nachträgliche Zulassung ist möglich, wenn die Kündigung wenige Stunden vor der geplanten Urlaubsreise des Arbeitnehmers übergeben wird, der Arbeitnehmer dann zunächst den Urlaub antritt und hierdurch die Klagefrist versäumt wird.
1 BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 95/94, AP Nr. 34 zu § 233 ZPO 1977; BGH v. 26.6.1996 – IV ZB 5/96, NJW-RR 1996, 1275; a.A. BVerfG v. 1.8.1996 – 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857 unter Aufhebung der Entscheidung des BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 95/94, AP Nr. 34 zu § 233 ZPO 1977; zu dieser Frage vgl. auch Rz. 192 ff. 2 LAG Nürnberg v. 23.7.1993 – 7 Ta 23/93, LAGE § 5 KSchG Nr. 61. 3 LAG Frankfurt v. 29.9.1993 – 2 Ta 213/93, ArbuR 1994, 200. 4 KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 32 m.w.N. 5 BGH v. 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; BAG v. 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 20.
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Mues
Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 329 Teil 12
c) Abwesenheit bei Kündigungszugang, Urlaub, Krankheit etc. Kann der Arbeitnehmer durch Krankheit oder durch vorübergehende Abwesenheit beim Zugang der Kündigung (etwa im Zuge einer Urlaubsreise) vor Ablauf der Dreiwochenfrist keine Kenntnis von der Kündigung nehmen bzw. die für die Klageerhebung notwendigen Schritte in die Wege leiten, kann hierin ein Hinderungsgrund i.S.d. § 5 KSchG liegen, der die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage begründet.
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Zu beachten ist jedoch, dass eine Erkrankung des Arbeitnehmers für sich genommen noch nicht die Versäumung der Klagefrist und die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage rechtfertigt.1 Erforderlich ist dafür vielmehr, dass der Arbeitnehmer infolge der Krankheit objektiv daran gehindert war, rechtzeitig Klage zu erheben, sei es durch Beauftragung dritter Personen (Ehegatte, Verwandte, Freunde) oder durch Übersendung einer selbst formulierten Klage nach eventuell erforderlicher Einholung von Auskünften über einschlägige Form- und Fristbestimmungen.2 Liegt ein solcher Fall vor, ist die Klage auch dann nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer erst während der letzten Tage der Klagefrist so schwer erkrankt, dass er seine Rechte nicht mehr rechtzeitig geltend machen kann. Denn der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, die Kündigungsschutzklage zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu erheben; er darf vielmehr die Klagefrist voll ausschöpfen. Anders ist es, wenn der Arbeitnehmer während der ersten zwei Wochen der Klagefrist krankheitshalber an der Klageerhebung gehindert ist. Er kann dann die unterlassene Klageerhebung innerhalb der verbleibenden Wochenfrist nicht mit der Begründung rechtfertigen, ihm habe nach dem Gesetz ein dreiwöchiger Überlegenszeitraum zugestanden und die verspätete Klage sei deshalb nachträglich zuzulassen.3
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Wie die Erkrankung kann auch ein Krankenhausaufenthalt die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG nur dann rechtfertigen, wenn Krankheit, Behandlungsmethode oder sonstige weitere Umstände den Patienten daran hindern, für eine rechtzeitige Klageerhebung Sorge zu tragen.4 Auch in diesen Fällen steht die Möglichkeit einer Beauftragung von Angehörigen oder Freunden einer nachträglichen Zulassung der Klage entgegen. Maßgebend ist, ob der Arbeitnehmer durch seine Krankheit objektiv daran gehindert war, eine Klage zu formulieren oder sein Recht auf andere Weise, z.B. durch telefonische Übermittlung der Klage an das Arbeitsgericht wahrzunehmen. Entscheidend ist ferner, ob die Behandlungssituation Außenkontakte (auch telefonischer Art) ausschloss oder jedenfalls in unzumutbarer Weise erschwert hat.5
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Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG, weil er aufgrund urlaubsbedingter Ortsabwesenheit keine Kenntnis von dem ihm unter
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LAG Berlin v. 14.4 1999 – 9 Ta 498/99, NZA-RR 1999, 437. LAG Köln v. 1.9.1993 – 10 Ta 118/93, LAGE § 5 KSchG Nr. 62. LAG Hamm v. 5.8.1981 – 8 Ta 124/81, LAGE § 5 KSchG Nr. 11. LAG Köln v. 18.2.1997 – 4 Ta 295/96, RzK I 10 d Nr. 82; LAG Hamm v. 31.1.1990 – 8 Ta 490/89, LAGE § 5 KSchG Nr. 45. 5 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 5.2.2008 – 6 Ta 22/08 (n.v.); LAG Köln v. 11.3.2006 – 3 Ta 23/06, NZA-RR 2006, 492.
Mues
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Teil 12 Rz. 330
Kündigungsschutzprozess
seiner Heimatadresse zugegangenen1 Kündigungsschreiben nehmen konnte, ist die verspätete Kündigungsschutzklage regelmäßig nach § 5 KSchG nachträglich zuzulassen. Denn da der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet ist, für die Zeit der Urlaubsreise in seiner ständigen Wohnung Vorkehrungen für den möglichen Zugang einer schriftlichen Kündigungserklärung und die Einhaltung der Klagefrist zu treffen2, kann ihm die fehlende Kenntnisnahme von der Kündigung und die darauf beruhende Fristversäumung nicht im Sinne eines die Klagezulassung ausschließenden Verschuldens vorgeworfen werden. Dies gilt nach übereinstimmender Rechtsprechung der Instanzgerichte in der Regel selbst dann, wenn der Arbeitnehmer, obwohl er damit rechnen musste, dass ihm während seiner Ortsabwesenheit eine Kündigung zugeht, dennoch verreist ist, ohne entsprechende Vorkehrungen für eine rechtzeitige Klageerhebung getroffen zu haben.3 Sofern der Arbeitnehmer nicht durch ein sonstiges Verschulden die rechtzeitige Kenntnisnahme und Klageerhebung behindert oder gar den Zugang der Kündigung vorsätzlich behindert hat, ist somit in der urlaubsbedingten Abwesenheit regelmäßig keine die Klagezulassung ausschließende Sorgfaltspflichtverletzung des Arbeitnehmers zu sehen.4 330
" Praxistipp: Kehrt der Arbeitnehmer noch vor Ablauf der Klagefrist aus dem
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Ist dem Arbeitnehmer auch nach Beendigung seiner Urlaubsreise eine Kenntnisnahme vom Zugang der Kündigung nicht möglich, weil er etwa während des Urlaubs schwer erkrankt ist und sich deshalb – ohne zuvor seine Post durchsehen zu können – unmittelbar im Anschluss an seine Rückkehr in stationäre Behandlung begeben muss, besteht das Hindernis für die rechtzeitige Klageerhebung weiterhin fort.8 Der Lauf der zweiwöchigen Antragsfrist nach § 5 KSchG wird in diesem Falle erst dann in Gang gesetzt, wenn der Arbeitnehmer soweit gesundet ist, dass er zumutbar Kenntnis von dem Kündigungsschreiben erlangen kann.
Urlaub zurück und entfällt damit der Hinderungsgrund für eine rechtzeitige Klageerhebung, hat er grundsätzlich die noch verbleibende Zeit zu nutzen, um sich beraten zu lassen und ggf. Klage zu erheben.5 Da auch hierfür ein angemessener Überlegenszeitraum zur Verfügung stehen muss, wird dem rechtsunkundigen Arbeitnehmer unabhängig von der Klagefrist eine „Überlegensfrist“ von drei Tagen6 bzw. maximal Woche7 eingeräumt, binnen derer er die Kündigungsschutzklage erhoben haben muss. Überschreitet er diese Frist, kann die verspätete Klage nicht mehr nachträglich zugelassen werden.
1 Zur Frage des Zugangs bei urlaubsbedingter Abwesenheit vgl. Rz. 116 ff. 2 LAG Köln v. 6.2.1991 – 4 Ta 10/91, ArbuR 1991, 380. 3 LAG Hamm v. 28.3.1996 – 5 Ta 161/95, LAGE § 5 KSchG Nr. 78; LAG Köln v. 4.3.1996 – 10 Ta 322/95, LAGE § 5 KSchG Nr. 75. 4 LAG Köln v. 4.3.1996 – 10 Ta 322/95, LAGE § 5 KSchG Nr. 75. 5 KDZ/Zwanziger, § 5 KSchG Rz. 10. 6 LAG München v. 23.1.1992 – 4 Ta 16/92, NZA 1993, 266. 7 LAG Köln v. 17.4.1997 – 10 Ta 57/97, LAGE § 5 KSchG Nr. 87. 8 LAG Frankfurt v. 2.10.1996 – 16 Ta 412/96, LAGE § 5 KSchG Nr. 83.
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Mues
Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 334 Teil 12
d) Verkennung der Kündigungserklärung, inhaltlich und/oder sprachlich Sieht der Arbeitnehmer von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage ab, weil er auf Grund eines tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilungsfehlers die Erfolgsaussichten einer Klage vor dem Arbeitsgericht falsch einschätzt, kann er, wenn er nach Ablauf der Klagefrist seinen Irrtum bemerkt, die nachträgliche Zulassung der Klage nicht mehr beanspruchen.1 Denn es ist dem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzumuten, nach dem Zugang einer Kündigung rechtskundigen Rat einzuholen und eine etwaige Fehleinschätzung über die mögliche Aussichtslosigkeit der Kündigungsschutzklage auf diesem Wege zu beseitigen.2 Geht beispielsweise der Arbeitnehmer – ohne dass der Arbeitgeber ihn dazu veranlasst hat – irrtümlicherweise davon aus, sein Arbeitsplatz sei entfallen und sieht er deshalb von der Klageerhebung zunächst ab, ist die Klage nicht nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer nach Verstreichen der Dreiwochenfrist feststellt, dass seine Annahme nicht zutrifft und sein Arbeitsplatz in der Zwischenzeit mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt worden ist.3 Zuzulassen ist die Kündigungsschutzklage aber dann, wenn der die Erfolgsaussichten der Klage betreffende Irrtum des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber arglistig herbeigeführt worden ist, um den Arbeitnehmer von der rechtzeitigen Klageerhebung abzuhalten. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitgeber selbst oder ein Mitarbeiter, dessen Verhalten ihm über § 123 Abs. 2 BGB zugerechnet werden kann, den Arbeitnehmer über den Wegfall seines Arbeitsplatzes täuscht, indem er ihm gegenüber den Eindruck erweckt, der Betrieb werde stillgelegt, obwohl in Wahrheit lediglich eine Betriebsveräußerung stattfindet.4 Eine Zulassung der Klage nach § 5 KSchG kommt auch dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mehrmals gekündigt, das Arbeitsverhältnis dann aber gleichwohl fortgesetzt hat, und so dem Arbeitnehmer berechtigten Anlass gegeben hat anzunehmen, eine Kündigungsschutzklage sei nicht mehr erforderlich.5
332
Kein die nachträgliche Zulassung der Klage rechtfertigender Entschuldigungsgrund liegt demgegenüber dann vor, wenn der Arbeitgeber sich im Kündigungsschreiben (unverbindlich) vorbehält, die Kündigung bei einem bestimmten Arbeitnehmerverhalten – hier: der Durchführung einer stationären Entziehungskur – zurückzunehmen, und der Arbeitnehmer sich um die Erfüllung dieser Bedingung bemüht, anstatt rechtzeitig Kündigungsschutzklage zu erheben.6
333
Der Arbeitnehmer kann sich zur Begründung einer nachträglichen Klagezulassung grundsätzlich nicht darauf berufen, er habe die im Kündigungsschutzverfahren einzuhaltende Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG nicht gekannt. Nach der Rechtsprechung kann vielmehr von jedem Arbeitnehmer verlangt werden, dass er die dreiwöchige Klagefrist entweder kennt oder sich diese Kenntnisse alsbald
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1 Vgl. für den Ausnahmefall der unerkannten Schwangerschaft nach § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG Rz. 338 ff. 2 LAG Köln v. 24.5.1994 – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127. 3 KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 55. 4 Vgl. LAG Köln v. 24.5.1994 – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127. 5 LAG Frankfurt v. 5.9.1988 – 11/1 Ta 389/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 40. 6 LAG Köln v. 26.11.1999 – 11 Ta 348/99, LAGE § 5 KSchG Nr. 97.
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Teil 12 Rz. 335
Kündigungsschutzprozess
nach Zugang der Kündigung bei einer zuverlässigen Stelle verschafft.1 Dies gilt auch für ausländische Arbeitnehmer, die der deutschen Sprache und Schrift nicht kundig sind.2 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es nicht etwa zu den dem Arbeitgeber obliegenden arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten gehört, den (deutschen oder ausländischen) Arbeitnehmer auf die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG hinzuweisen, sondern dass der Arbeitnehmer grundsätzlich selbst dafür verantwortlich ist, sich über die für sein Arbeitsverhältnis einschlägigen Vorschriften zu informieren.3 Lediglich, wenn aufgrund falscher Informationen einer zur Auskunftserteilung geeigneten Stelle die Klagefrist versäumt wird (vgl. hierzu unter Rz. 337), kommt eine Klagezulassung nach § 5 KSchG in Betracht. 335
Auch wenn der Arbeitnehmer – sei es in Kenntnis oder in Unkenntnis der gesetzlichen Klagefrist – nicht rechtzeitig Klage erhebt, weil er auf eine gütliche Einigung mit dem Arbeitgeber hofft, kann dies eine nachträgliche Zulassung der Klage grundsätzlich nicht rechtfertigen.4 Eine Ausnahme gilt hier jedoch für den Fall, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Vortäuschung erfolgreicher Vergleichsverhandlungen absichtlich von der Einhaltung der Klagefrist abgehalten hat.5
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Ist es dem Arbeitnehmer nicht möglich, von dem Inhalt des Kündigungsschreibens Kenntnis zu nehmen, weil er des Lesens unkundig ist oder die deutsche Sprache nicht beherrscht, führt dies grundsätzlich nicht zu einer nachträglichen Zulassung der dadurch versäumten Klage.6 Der Arbeitnehmer ist in einem solchen Falle zur Vermeidung von Rechtsnachteilen dazu verpflichtet, sich unverzüglich Kenntnis über den Inhalt des Schreibens zu verschaffen, etwa durch Inauftraggabe einer entsprechenden Übersetzung.7 Kommt der Arbeitnehmer dieser Pflicht nicht nach, kann er sich später in der Regel nicht darauf berufen, ihn treffe an der Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist kein Verschulden i.S.d. § 5 KSchG. Eine andere Beurteilung gilt jedoch für den Fall, dass sich der Arbeitnehmer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig über den Inhalt des Kündigungsschreibens informieren kann, so wenn dem ausländischen Arbeitnehmer die Kündigung während eines Urlaubs in seinem Heimatland zugeht und er zum einen dort nicht die Möglichkeit hat, sich eine Übersetzung zu verschaffen oder Rechtsrat einzuholen, zum anderen wegen einer Erkrankung nicht reisen kann.8 1 LAG Köln v. 26.11.1999 – 11 Ta 348/99, LAGE § 5 KSchG Nr. 9; LAG Hamburg v. 6.7. 1990; KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 91; Kriebel in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG, 70. EL Juli 2009, § 5 Rz. 71 jeweils m.w.N. 2 LAG Hamburg v. 10.4.1987 – 1 Ta 16/86, NZA 1988, 411. 3 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 376/93, AP Nr. 8 zu § 72 LPVG NW unter Verweis auf LAG Düsseldorf v. 12.6.1980 – 7 Ta 83/80, DB 1980, 1551. 4 LAG Köln v. 26.11.1999 – 11 Ta 348/99, LAGE § 5 KSchG Nr. 9. 5 KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 57. 6 LAG Köln v. 12.12.1996 – 11 Ta 228/96, ARST 1997, 265; v. 24.3.1988 – 8 Ta 46/88, NJW 1988, 1870; LAG Hamburg v. 6.7.1990 – 1 Ta 3/90, LAGE § 130 BGB Nr. 16; anders: LAG Hamm v. 24.3.1988 – 8 Ta 35/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 32; vgl. hierzu auch Rz. 118. 7 LAG Hamburg v. 20.11.1984 – 1 Ta 12/84, NZA 1985, 127. 8 Vgl. LAG Düsseldorf v. 6.3.1980 – 7 Ta 15/80, LAGE § 5 KSchG Nr. 9.
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Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 338 Teil 12
e) Verspätung nach Einholung einer Auskunft bei einer hierfür nicht geeigneten Stelle Wird die Dreiwochenfrist im Zusammenhang mit der Einholung eines Rechtsrats versäumt, etwa weil dem Arbeitnehmer von der mit der Beratung befassten Stelle eine falsche Auskunft bzgl. der Klagefrist erteilt worden ist, so ist im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab des § 5 Abs. 1 KSchG danach zu differenzieren, ob der Rechtsrat bei einer geeigneten Stelle eingeholt wurde oder nicht. Nur wenn der Arbeitnehmer eine geeignete Stelle aufgesucht hat und die Dreiwochenfrist allein aus Gründen, die im Verhalten dieser geeigneten Stelle liegen, versäumt wurde, trifft ihn kein Verschulden an der verspäteten Klageerhebung. Als geeignet ist dabei die Stelle anzusehen, die über die notwendige Fachkunde verfügt und zur Auskunft in arbeitsrechtlichen Fragen berufen ist. Dazu zählen neben Rechtsanwälten auch die Rechtsschutzstellen der Gewerkschaften1 und die Rechtsantragsstellen der Arbeitsgerichte2, nicht jedoch das Büropersonal der Rechtsanwälte3, die Geschäftsstellen der Arbeitsgerichte4 oder die Rechtsschutzversicherung des Arbeitnehmers.5 Auch der Betriebsrat (bzw. Personalrat) stellt in der Regel keine zuverlässige Auskunftsstelle dar6, da seine Aufgabe – für den Arbeitnehmer erkennbar – nicht in der Rechtsberatung der Arbeitnehmer eines Betriebes besteht.7
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3. Nachträgliche Zulassung bei unerkannter Schwangerschaft gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG Wie im vorhergehenden Abschnitt aufgezeigt, zielt die Regelung des § 5 KSchG im Wesentlichen auf die Verhinderung des Arbeitnehmers an der rechtzeitigen Klageerhebung durch äußere Umstände. Die bloße Unkenntnis eines Unwirksamkeitsgrundes kann dagegen die Zulassung einer verspäteten Klage i.d.R. lediglich dann rechtfertigen, wenn sie auf einer arglistigen Täuschung des Arbeitgebers beruht.8 Von diesem Grundsatz lässt § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine Ausnahme zu. Danach kommt eine nachträgliche Zulassung der Klage auch dann in Betracht, wenn die Arbeitnehmerin von einer bei Zugang der Kündigung bereits bestehenden Schwangerschaft unverschuldet erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis erlangt hat. Die Einbeziehung dieses Sachverhaltes in die Regelung des § 5 KSchG n.F. hatte der Gesetzgeber in Anknüpfung an den in § 9 Abs. 1 MuSchG vorgesehenen Sonderkündigungsschutz deshalb für erforderlich gehalten, weil nach § 4 Satz 1 KSchG nunmehr auch die Geltendmachung einer Verletzung des § 9 Abs. 1 MuSchG unter die dreiwöchige Klagefrist fällt und § 5 Abs. 1 KSchG a.F. den Fall der fehlenden Kenntnis eines Unwirksamkeitsgrundes nicht erfasste.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9
LAG Bremen v. 23.7.1999 – 4 Ta 48/99, LAGE § 5 KSchG Nr. 96. LAG Köln v. 28.11.1985 – 8 Ta 193/85, LAGE § 5 KSchG Nr. 21. LAG Düsseldorf v. 21.10.1997 – 1 Ta 321/97, LAGE § 5 KSchG Nr. 89. LAG Köln v. 28.11.1985 – 8 Ta 193/85, LAGE § 5 KSchG Nr. 21. LAG Sachsen v. 23.7.1998 – 9 Ta 193/98, NZA 1999, 112. LAG Berlin v. 17.6.1991 – 9 Ta 6/91, LAGE § 5 KSchG Nr. 52. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 9 m.w.N. Löwisch, NZA 2003, 689 (693); vgl. hierzu auch unter Rz. 332 ff. KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 168.
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Teil 12 Rz. 339
Kündigungsschutzprozess
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Da nach zutreffender Ansicht auch hinsichtlich des § 9 Abs. 3 MuSchG die Regelung des § 4 Satz 4 KSchG eingreift1, die Klagefrist also grds. erst von der Bekanntmachung der Entscheidung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde an die Arbeitnehmerin zu laufen beginnt, wird die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG n.F. teilweise für überflüssig erachtet.2 Dabei wird übersehen, dass § 4 Satz 4 KSchG für die Fälle, in denen die Arbeitnehmerin unerkannt schwanger ist, i.d.R. überhaupt nicht einschlägig ist. Dies folgt zunächst daraus, dass die Kündigung der in § 4 Satz 4 KSchG vorausgesetzten vorherigen behördlichen Zustimmung gar nicht bedarf, wenn dem Arbeitgeber – wie dies bei der unerkannten Schwangerschaft der Regelfall sein wird – bei Kündigungsausspruch die Schwangerschaft nicht bekannt war oder ihm nicht binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird (Umkehrschluss zu § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG). Die Unanwendbarkeit des § 4 Satz 4 KSchG auf die Fälle der unerkannten Schwangerschaft ergibt sich auch aus dem vom BAG3 zutreffend hervorgehobenen Sinn und Zweck der Vorschrift: Diese dient dem Ziel, dem Informationsdefizit des Arbeitnehmers bezüglich der Frage, ob ein Zustimmungsverfahren eingeleitet wurde und ob und ggf. aus welchen Gründen die Behörde zugestimmt hat, Rechnung zu tragen, und kann deshalb nicht eingreifen, wenn der Arbeitnehmerin selbst ihre Schwangerschaft unbekannt und ihr damit bewusst ist, dass kein Zustimmungsverfahren läuft.
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Im Falle der unerkannten Schwangerschaft läuft daher grds. ab Kündigungszugang die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG, so dass entgegen der o.g. Auffassung bei verspätet erlangter Kenntnis von der Schwangerschaft durchaus das Bedürfnis nach einer nachträglichen Klagezulassung über § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG besteht.4
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine abschließen-
de, auf andere Sachverhalte nicht übertragbare Sonderregelung darstellt. Nicht zu folgen ist daher der von Richardi5 vertretenen Ansicht, wonach in den Fällen der nachträglichen Kenntnis von den die Unwirksamkeit der Kündigung begründenden Umständen eine Gesetzeslücke bestehe, die dadurch zu schließen sei, dass man es dem Arbeitnehmer in allen diesen Fällen ermögliche, unverzüglich nach Kenntniserlangung Klage zu erheben. Der Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG, der ausdrücklich nur für den dort
1 So z.B. Schmidt, NZA 2004, 79 (80); Zimmer, FA 2004, 34 (36); APS/Ascheid/Hesse, § 4 KSchG Rz. 102; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 202a m.w.N. aus der Literatur unter Berufung auf das § 18 BErzGG betreffende Urteil des BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, AP Nr. 15 zu § 113 InsO; a.A.: Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345 (356), der die Anwendbarkeit des § 4 Satz 4 KSchG auf die Fälle der erforderlichen vorherigen Zustimmung der Behörde verneint. 2 So insbesondere Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (184); Gaul/Bonanni, ArbRB 2004, 48 (50); wohl auch Bader, NZA 2004, 65 (68). 3 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, AP Nr. 15 zu § 113 InsO. 4 In diesem Sinne Schmidt, NZA 2004, 79 (80 f.); Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (364); Preis, DB 2004, 70 (77); wohl auch Richardi, DB 2004, 486 (489). Zum Verhältnis des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG n.F. zu § 4 Satz 4 KSchG vgl. auch unter Rz. 296 ff. (Erfordernis der behördlichen Zustimmung). 5 Richardi, NZA 2003, 764 (766).
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Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 344 Teil 12
geregelten Fall der Schwangerschaft auf die Kenntnis der Arbeitnehmerin abstellt, spricht eindeutig gegen eine derartige Korrektur des § 4 Satz 1 KSchG.1 4. Frist für Antragstellung Die Zulässigkeit des Antrags auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage hängt gemäss § 5 Abs. 3 KSchG von der Einhaltung zweier verschiedener Fristen ab. Zum einen ist er an die relative Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG gebunden, wonach der Antrag spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des der rechtzeitigen Klageerhebung entgegenstehenden Hindernisses gestellt werden muss. Zum anderen muss er innerhalb der in § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG vorgesehenen absoluten, d.h. von einer etwaigen Behebung des Klagehindernisses unabhängigen Antragsfrist von sechs Monaten erfolgen, die mit dem Ablauf der versäumten Dreiwochenfrist beginnt und die Zulassung verspäteter Klagen generell zeitlich begrenzt.
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Die in § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG festgelegte absolute zeitliche Grenze für die nachträgliche Klagezulassung führt dazu, dass ein erst nach Ablauf der sechsmonatigen Frist gestellter Antrag auch dann als unzulässig abzuweisen ist, wenn er noch innerhalb der zweiwöchigen Frist nach Behebung des Hindernisses erfolgt und damit nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG eigentlich zulässig wäre. Auch ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Versäumung der Antragsfrist ist in diesem Zusammenhang unerheblich, so dass der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nach Ablauf der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht etwa mit der Begründung nachgeholt werden kann, der Arbeitgeber habe den Arbeitnehmer arglistig von der Erhebung der Kündigungsschutzklage abgehalten.2
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a) Fristbeginn ab Beseitigung des Hinderungsgrundes Beginn der zweiwöchigen Antragsfrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist der Zeitpunkt, zu dem das Hindernis für die rechtzeitige Klageerhebung wegfällt. Was unter einem Hindernis zu verstehen ist, ist dem § 5 Abs. 1 KSchG zu entnehmen, dessen subjektiver Beurteilungsmaßstab (vgl. Rz. 308 ff.) auch auf die Behebung des Hindernisses i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG Anwendung findet. Die Antragsfrist beginnt daher jedenfalls bei positiver Kenntnis des Arbeitnehmers von der Behebung des Hindernisses zu laufen, darüber hinaus aber bereits auch dann, wenn er bei Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt in der Lage gewesen wäre, den Wegfall des Hinderungsgrundes für die Klageerhebung zu erkennen3, und die fortbestehende Unkenntnis damit nicht mehr unverschuldet ist.
1 Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (364); gegen eine Übertragung des § 5 Abs. 1 Satz 2 auf die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, dessen Anerkennungsantrag bei Zugang der Kündigung noch nicht anerkannt ist vgl. auch Zimmer, FA 2004, 34 (36). 2 LAG Hamm v. 29.10.1987 – 8 Ta 106/87, LAGE § 5 KSchG Nr. 33. 3 LAG Hamm v. 4.11.1996 – 12 Ta 105/96, LAGE § 5 KSchG 1969 Nr. 81; LAG Köln v. 8.11.1994 – 6 Ta 209/94, LAGE § 5 KSchG Nr. 70.
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Teil 12 Rz. 345
Kündigungsschutzprozess
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Beruht die Versäumung der Klagefrist etwa auf der falschen Beratung einer zur Auskunft geeigneten Stelle, beginnt der Lauf der Antragsfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer – etwa durch das Gericht oder einen später beauftragten Rechtsanwalt – Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsrats erhält.1 Ähnliches gilt für den Fall, dass die Klage trotz rechtzeitiger Absendung durch den Arbeitnehmer aufgrund einer Überschreitung der üblichen Postlaufzeiten nicht fristgerecht bei Gericht eingeht. Auch hier läuft die Antragsfrist für die Zulassung der verspäteten Klage erst in dem Moment an, in dem der Arbeitnehmer – in der Regel durch das Gericht – von der Verspätung Kenntnis erlangt hat.
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Wird die Klage verspätet erhoben, weil der Arbeitnehmer auf Urlaubsreise ist und von dem Kündigungsschreiben keine Kenntnis nehmen konnte, entfällt das Klagehindernis grundsätzlich mit der Rückkehr des Arbeitnehmers. Anderes gilt, wenn zu diesem Zeitpunkt eine zumutbare Kenntnisnahme von der Kündigung ausnahmsweise nicht möglich ist, weil der Arbeitnehmer sich unmittelbar nach seiner Rückkehr wegen einer schweren Erkrankung in stationäre Behandlung begeben muss, ohne zuvor seine Post durchsehen zu können. In diesem Fall beginnt die Antragsfrist zu laufen, wenn der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise von dem Kündigungsschreiben Kenntnis nehmen kann, was in der Regel erst nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus der Fall sein wird.2
347
Sofern der Arbeitnehmer im erstinstanzlichen Verfahren mit einer an sich verspäteten Kündigungsschutzklage durchdringt, weil die Versäumung der Klagefrist sowohl von den Parteien als auch vom Gericht übersehen worden ist, darf er den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung im Sinne des KSchG § 5 nicht so lange zurückstellen, bis er Kenntnis davon erlangt, dass der Arbeitgeber Berufung eingelegt hat. Die zweiwöchige Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG wird vielmehr bereits dann in Gang gesetzt, wenn sich der verspätete Klageeingang aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt und der Arbeitnehmer damit zumutbar von der Klagefristversäumung Kenntnis nehmen konnte.3
348
Hat der Arbeitnehmer einen Prozessbevollmächtigten, kommt es für den Beginn der Antragsfrist darauf an, ob dieser die Versäumung der Klagefrist kannte oder hätte kennen müssen. Nicht anders als bei der Verschuldensprüfung im Rahmen des § 5 Abs. 1 KSchG muss sich der Arbeitnehmer auch hier Kenntnis bzw. verschuldete Unkenntnis seines Prozessbevollmächtigten gemäss § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.4
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" Praxistipp: In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Pro-
zessbevollmächtigte, der bei dem Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG eingereicht und daraufhin mit der Ladung zum Gütetermin eine Mitteilung des Gerichts über das Eingangsdatum der Klage er-
1 2 3 4
Löwisch/Spinner, § 5 KSchG Rz. 27. LAG Frankfurt v. 2.10.1996 – 16 Ta 412/96, LAGE § 5 KSchG Nr. 83. LAG Hamm v. 5.4.1982 – 6 Ta 61/82, BB 1982, 1671. BAG v. 11.12.2008 – 2 AZR 472/08, NZA 2009, 692; a.A. KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 99; zur Zurechnung des Verschuldens im Rahmen des § 5 Abs. 1 KSchG vgl. auch unter Rz. 310 ff.
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Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 352 Teil 12
halten hat, auch ohne besonderen Anlass verpflichtet ist, anhand dieser Mitteilung des Gerichts den rechtzeitigen Eingang der Klage bei Gericht zu überprüfen – sei es in eigener Person oder durch geeignete Mitarbeiter –, und damit das etwaige Klagehindernis zu beheben.1 Dementsprechend beginnt die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG in diesen Fällen bereits dann zu laufen, wenn die betreffende Mitteilung des Gerichts bei dem Prozessbevollmächtigten eingegangen ist, er also von der Verspätung hätte Kenntnis nehmen können und müssen. b) Fristwahrender Eingang des Antrags bei Gericht Der Antrag muss binnen der zweiwöchigen bzw. sechsmonatigen Frist des § 5 Abs. 3 KSchG bei dem zuständigen Arbeitsgericht eingegangen, also in dessen Herrschaftsbereich gelangt sein (dazu im Einzelnen unter Rz. 181 ff.). Auch der bei einem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht eingereichte Antrag wahrt dabei die Frist. War die verspätete Klage noch nicht bei dem Arbeitgeber zugestellt, ist weiterhin erforderlich, dass der Antrag auf nachträgliche Zulassung alsbald nach der gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG von Amts wegen vorzunehmenden Verweisung an das zuständige Arbeitsgericht, mithin „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO, dem Arbeitgeber zugestellt wird.2 Gleiches gilt für den bei einem sachlich unzuständigen Gericht gestellten Zulassungsantrag, der an das zuständige Arbeitsgericht weiterverwiesen und dem Klagegegner alsbald zugestellt wird.3 Die zum fristgerechten Eingang der bei einem falschen Gericht erhobenen Kündigungsschutzklage geltenden Grundsätze gelten insofern entsprechend (vgl. hierzu genauer Rz. 200 ff.).
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Geht der Antrag nicht rechtzeitig bei Gericht ein, kommt eine nachträgliche Zulassung der Klage nicht mehr in Betracht. Insbesondere kann der Arbeitnehmer keine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 KSchG verlangen.4 Denn bei dieser handelt es sich nicht um eine Notfrist, auf die die Vorschriften der §§ 233, 234 ZPO Anwendung finden würden.5
351
5. Anforderungen an Antragstellung und verspätete Klage Der notwendige Inhalt des Antrags auf nachträgliche Zulassung ergibt sich aus der Vorschrift des § 5 Abs. 2 KSchG. Danach hat der Arbeitnehmer zunächst die eine nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen sowie der Mittel für deren Glaubhaftmachung anzugeben. Darüber hinaus muss er die verspätete Klageerhebung innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 KSchG nachholen. Liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag unzulässig. 1 LAG Frankfurt v. 22.10.1999 – 2 Ta 487/99 (n.v.); v. 1.7.1996 – 9 Ta 262/96 (n.v.); LAG Hamm v. 8.7.1998 – 12 Ta 167/98 (n.v.). 2 So für die Wahrung der Dreiwochenfrist durch Klage bei einem falschen Arbeitsgericht: BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 467/92, AP Nr. 27 zu § 4 KSchG 1969. 3 So LAG Köln v. 10.7.1998 – 6 Ta 150/98, NZA-RR 1998, 561 für den Fall der Klageerhebung beim unzuständigen Amtsgericht. 4 BAG v. 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, AP Nr. 16 zu § 130 BGB. 5 Kasseler Handbuch zum ArbR/Böck, § 6.3 Rz. 688; KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 164 f.
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Teil 12 Rz. 353
Kündigungsschutzprozess
a) Formulierung des Zulassungsbegehrens 353
An die Formulierung des Zulassungsbegehrens werden von der Rechtsprechung keine erhöhten Anforderungen gestellt.
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So reicht zwar die verspätete Klageerhebung allein nicht aus, um das Zulassungsverfahren in Gang zu setzen. Denn anders als die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO grds. auch ohne Antrag gewährt werden kann, sofern nur die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist1, setzt die nachträgliche Zulassung der Klage der gesetzlichen Regelung zufolge in jedem Falle einen entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers voraus. Eine Übertragung der die Entbehrlichkeit des Antrags vorsehenden Regelung des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die Klagezulassung nach § 5 KSchG verbietet sich, da das Zulassungsverfahren – insbesondere aufgrund der besonderen Rechtsfolgen der §§ 4, 7 KSchG – gegenüber dem Wiedereinsetzungsverfahren eine diesem nicht vergleichbare Sonderstellung einnimmt.2
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Andererseits ist jedoch im Rahmen der nachträglichen Klagezulassung kein ausdrücklicher Antrag des Arbeitnehmers erforderlich. Es genügt vielmehr, wenn dieser bei der Klageerhebung erkennbar seinen Willen zum Ausdruck bringt, die Klage trotz Fristversäumnis noch zuzulassen3, etwa durch eine in der Klagebegründung vorgetragene Bitte um Fristverlängerung. Eine solche Erklärung ist in der Regel als (stillschweigender) Antrag des Arbeitnehmers auf nachträgliche Zulassung der Klage auszulegen und genügt als solche dem Antragserfordernis des § 5 KSchG.4
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" Praxistipp: Der (ausdrückliche oder konkludente) Zulassungsantrag muss
gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG mit der verspäteten Klage verbunden werden bzw. – sofern die Klage bereits eingereicht ist – jedenfalls auf diese Bezug nehmen. Darüber hinaus dürfte es ebenfalls zulässig sein, die Kündigungsschutzklage erst nach (fristgemäßer) Antragstellung, aber noch innerhalb der in § 5 Abs. 3 KSchG vorgesehenen Frist zu erheben.5 Denn auch in diesem Falle wird das Ziel der Antragsfrist gewahrt, im Sinne der Rechtssicherheit eine möglichst rasche Klärung der Frage der Wirksamkeit der Kündigung herbeizuführen.
b) Angaben zum Hinderungsgrund und dessen Wegfall 357
Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG muss der Antrag auf nachträgliche Zulassung zunächst die Angabe der antragsbegründenden Tatsachen enthalten. Dazu gehört insbesondere der Vortrag des Sachverhalts, aus dem sich ergeben soll, dass der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm zuzumutenden Sorgfalt an der recht1 BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 427/01, AP Nr. 25 zu § 66 ArbGG 1979. 2 Vgl. auch APS/Ascheid/Hesse, § 5 KSchG Rz. 64. 3 BAG v. 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB; KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 107; Löwisch/Spinner, § 5 KSchG Rz. 22, jeweils m.w.N. 4 KR/Friedrich, § 5 KSchG Rz. 107. 5 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 41 m.w.N.
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Nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage
Rz. 361 Teil 12
zeitigen Klageerhebung gehindert war.1 Der Arbeitnehmer kann sich diesbezüglich nicht auf ein pauschales Bestreiten seines Verschuldens beschränken. Als darlegungs- und beweisbelastete Partei muss er vielmehr im Einzelnen schlüssig darlegen, aus welchen Gründen die Klageerhebung verspätet erfolgt ist und warum ihm hieraus kein Vorwurf gemacht werden kann. So ist der Vortrag des Arbeitnehmers, er sei zu einer bestimmten Zeit auf einer Urlaubsreise gewesen und habe erst nach Rückkehr Kenntnis von der Kündigung bekommen, nicht ausreichend.2 Erforderlich sind hier Angaben zum Urlaubszeitraum, zum Datum der Rückkehr sowie zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Kündigungsschreibens.3 Innerhalb der Antragsfrist sind zudem die Mittel zur Glaubhaftmachung der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen anzugeben. Der Arbeitnehmer kann sich hierzu aller denkbaren Beweismittel bedienen; er kann also neben den in der ZPO vorgesehenen Mitteln des Strengbeweises (z.B. der Benennung von Zeugen oder der Vorlage von Urkunden) auch die Möglichkeit des Freibeweises nutzen, etwa durch die Einholung amtlicher Auskünfte oder einer eidesstattlichen Versicherung (vgl. § 294 ZPO).
358
Dabei kann es ausreichen, wenn die Mittel zur Glaubhaftmachung als solche erkennbar sind oder durch Auslegung ermittelt werden können.4 So hat das LAG Frankfurt5 den im Antrag des anwaltlich nicht vertretenen Arbeitnehmers erfolgten Hinweis auf seinen Hausarzt als zulässige Bezugnahme auf ein entsprechendes ärztliches Attest und damit ausreichendes Mittel der Glaubhaftmachung anerkannt. Zu weitgehend jedoch hat das LAG Hamm angenommen, dem Antrag auf nachträgliche Zulassung könne in der Regel stillschweigend entnommen werden, dass die im Wissen des gekündigten Arbeitnehmers stehenden antragsbegründenden Tatsachen, soweit sie durch eidesstattliche Versicherung des letzteren glaubhaft gemacht werden sollten, und zwar unabhängig davon, ob der Antrag vom Arbeitnehmer selbst6 oder von dessen Prozessbevollmächtigtem7 verfasst worden ist.
359
Grundsätzlich ist demgegenüber zu verlangen, dass die für die nachträgliche Zulassung relevanten Mittel der Glaubhaftmachung ausdrücklich vorgetragen werden.
360
Sofern sich die glaubhaft zu machende Tatsache auf die eigene Berufstätigkeit des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts bezieht und dessen eigene Wahrnehmungen zum Gegenstand hat, kann als Mittel der Glaubhaftmachung neben einer ausdrücklichen anwaltlichen Versicherung oder einer Erklärung an Eides statt auch eine einfache anwaltliche Erklärung ausreichen, etwa die Schilderung
361
1 2 3 4 5 6 7
APS/Ascheid/Hesse, § 5 KSchG Rz. 69. BezirksG Dresden v. 29.11.1990 – 13 BAR 190/90, RzK I 8 m gg Nr. 1. Küttner/Eisemann, Kündigungsschutz Rz. 124. BezirksG Dresden v. 29.11.1990 – 13 BAR 190/90, RzK I 8 m gg Nr. 1. LAG Frankfurt v. 2.10.1996 – 16 Ta 412/96, LAGE § 5 KSchG Nr. 83. LAG Hamm v. 19.6.1986 – 8 Ta 110/86, AP Nr. 7 zu § 5 KSchG 1969. LAG Hamm v. 18.4.1996 – 5 Ta 285/95, LAGE § 5 KSchG Nr. 79.
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Teil 12 Rz. 362
Kündigungsschutzprozess
der betreffenden Tatsache in einem Schriftsatz.1 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Behauptung der Partei, sie habe auf eine falsche anwaltliche Auskunft vertraut, nicht unter die der Wahrnehmung des Rechtsanwalts unterliegenden Tatsachen fällt. Sie kann deshalb grundsätzlich nur durch entsprechende eidesstattliche Versicherung der Partei, nicht des Anwalts, glaubhaft gemacht werden.2 362
" Praxistipp: Die Mittel zur Glaubhaftmachung der die nachträgliche Zulas-
363
Von den für die Zulässigkeit des Antrags erforderlichen Mitteln der Glaubhaftmachung zu unterscheiden ist die Glaubhaftmachung der antragsbegründenden Tatsachen als solche. Diese ist an die zweiwöchige Antragsfrist nicht gebunden, muss also nicht notwendigerweise bereits in dem Zulassungsantrag enthalten sein. Vielmehr kann die eigentliche Glaubhaftmachung selbst noch bis zur Beschlussfassung des Gerichts (notfalls auch noch im Beschwerdeverfahren) erfolgen, sofern sie im Antrag fristgerecht benannt worden ist.5
sung begründenden Tatsachen sind vor Ablauf der Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu benennen.3 Ein außerhalb dieser Frist erfolgtes Vorbringen darf nicht mehr berücksichtigt werden, es sei denn, es handelt sich dabei um nachträgliche Ergänzungen oder Konkretisierungen der fristgerecht vorgetragenen Antragsbegründung oder der zur Glaubhaftmachung beigebrachten Mittel, z.B. nach entsprechendem richterlichen Hinweis (§ 139 ZPO).4
c) Nachholung der Klageerhebung/Bezugnahme auf verspätet eingegangene Klage 364
Mit dem Antrag ist die verspätete Klageerhebung nachzuholen, § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Dies kann durch eine Verbindung des Antrags mit der zuzulassenden Klage oder durch eine Bezugnahme im Antrag auf die bereits (verspätet) bei Gericht eingegangene Klage geschehen. Möglich ist es auch, die Klageschrift erst nach Antragstellung einzureichen, sofern die Klage dem Gericht noch innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorliegt.6 Wird die Klage erst nach Ablauf der zweiwöchigen Antragsfrist ab Beseitigung des Hindernisses erhoben, ist der Zulassungsantrag unzulässig.
1 BAG v. 14.11.1985 – 2 AZR 652/84, AP Nr. 1 zu § 251a ZPO. 2 LAG Köln v. 30.8.1989 – 5 Ta 176/89, LAGE § 5 KSchG Nr. 42. 3 LAG Stuttgart v. 14.2.1990 – 2 Ta 32/89, LAGE § 130 BGB Nr. 13; BezirksG Dresden v. 29.11.1990 – 13 BAR 190/90, RzK I 8 m gg Nr. 1. 4 LAG Nürnberg v. 6.11.1995 – 5 Ta 193/95, LAGE § 5 KSchG Nr. 71; LAG Stuttgart v. 11.4.1988 – 10 Ta 11/88, NZA 1989, 153. 5 LAG Stuttgart v. 8.3.1988 – 8 Ta 8/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 37; v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 5 KSchG Rz. 49. 6 LAG Baden-Württemberg v. 8.3.1988 – 8 Ta 8/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 37; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 5 KSchG Rz. 41 m.w.N.
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Verlängerung der Klagefrist bei allgemeiner Feststellungsklage
Rz. 368 Teil 12
V. Verlängerung der Klagefrist bei allgemeiner Feststellungsklage, § 6 KSchG Hat der Arbeitnehmer die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung rechtzeitig, also innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung, gerichtlich geltend gemacht, kann er sich in dem gleichen Verfahren, unabhängig vom Ablauf der Klagefrist, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch auf Unwirksamkeitsgründe berufen, die er zunächst nicht geltend gemacht hat, § 6 Satz 1 KSchG. In dieser verlängerten Anrufungsfrist können Unwirksamkeitsgründe jeglicher Art geltend gemacht werden.
365
Zweck des § 6 KSchG ist einerseits, dem zumeist nicht rechtskundigen Arbeitnehmer, der bei Klageerhebung oft nicht alle Unwirksamkeitsgründe kennt, die Möglichkeit zu geben, auch später noch andere Unwirksamkeitsgründe in den Prozess einzuführen; andererseits dient sie aber auch dem Interesse des Arbeitgebers daran, dass die gerichtliche Auseinandersetzung über die Kündigung in einem Verfahren stattfindet und alsbald Klarheit über den Bestand oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht.1 Bei Vorliegen von entsprechenden Anhaltspunkten für eine sozialwidrige oder aus anderen Gründen unwirksame Kündigung hat das Arbeitsgericht den Arbeitnehmer auf die verlängerte Anrufungsfrist hinzuweisen, § 6 Abs. 2 KSchG.
366
Die nachträgliche Berufung auf die Sozialwidrigkeit oder Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen kann für den Arbeitnehmer insbesondere dann sinnvoll sein, wenn er nicht mehr nur die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen, sondern darüber hinaus die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung erreichen will.2 Zu beachten ist allerdings, dass neben § 6 KSchG weiterhin die prozessualen Präklusionsvorschriften der §§ 61a Abs. 5, 67 ArbGG Anwendung finden, so dass auch bei fristgerechter Klageerhebung ein nachträglich eingebrachter Unwirksamkeitsgrund unbeachtlich sein kann.3
367
Die Vorschrift des § 6 KSchG ist vielfach als überflüssig kritisiert worden.4 In der Tat erscheint die Sinnhaftigkeit der Regelung zumindest zweifelhaft. Denn angesichts dessen, dass der Klageantrag nach § 4 Satz 1 KSchG nahezu sämtliche Unwirksamkeitsgründe umfasst, könnten derartige Unwirksamkeitsgründe vorbehaltlich der Präklusionsvorschriften der §§ 61a Abs. 5, 67 ArbGG an sich jederzeit – auch zweitinstanzlich – nachgeschoben werden, ohne dass es einer verlängerten Anrufungsfrist bedürfte.5 Alle berechtigte Kritik ändert jedoch nichts daran, dass die arbeitsrechtliche Praxis die – wenn auch einigermaßen verunglückte – Regelung des § 6 KSchG anzuwenden hat.6
368
1 So die Begründung des Gesetzesentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 2 Vgl. BAG v. 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, AP Nr. 3 zu § 6 KSchG 1969; APS/Ascheid/Hesse, § 6 KSchG Rz. 2. 3 Preis, DB 2004, 70 (77). 4 So u.a. Bader, NZA 2004, 65 (69); Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (365). 5 Vgl. Bader, NZA 2004, 65 (69); Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 (365). 6 Bader, NZA 2004, 65 (69).
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Teil 12 Rz. 369
Kündigungsschutzprozess
1. Voraussetzung: Rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage 369
Die Anwendung der verlängerten Anrufungsfrist setzt voraus, dass sich der Arbeitnehmer binnen einer Frist von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung (§ 4 Satz 1 KSchG) durch Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG oder Leistungsklage1 auf die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung berufen hat. Eine nach Ablauf der Dreiwochenfrist erhobene Klage gilt gemäß §§ 4 Satz 1, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, sodass der Arbeitnehmer in einem solchen Fall weder die Sozialwidrigkeit noch die Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen geltend machen kann.
370
Nach der Rechtsprechung des BAG2 findet § 6 KSchG auch dann Anwendung, wenn der Arbeitnehmer die (fristgerecht erhobene) Kündigungsschutzklage mit dem allgemeinen Antrag auf Feststellung verbindet, dass das Arbeitsverhältnis über den vorgesehenen Kündigungstermin hinaus unverändert fortbestanden habe.3 Der Arbeitnehmer soll in diesen Fällen die Unwirksamkeit weiterer möglicher Kündigungen sogar noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz geltend machen können, ohne dass es dafür auf die Einhaltung der in § 4 KSchG vorgesehenen Klagefrist ankäme.4 Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen zusätzlich geltend gemachten allgemeinen Feststellungsklage ist allerdings, dass der Arbeitnehmer gemäß § 256 ZPO ein besonderes Feststellungsinteresse darlegt, etwa durch Glaubhaftmachung weiterer Kündigungen des Arbeitgebers.5
371
Die verlängerte Anrufungsfrist setzt im Übrigen nicht zwingend die Erhebung einer auf die Unwirksamkeit der Kündigung gerichteten Feststellungsklage nach § 4 Satz 1 KSchG voraus. Vielmehr entspricht es der ganz überwiegend vertretenen Auffassung zur bisherigen Regelung, dass die verlängerte Anrufungsfrist in analoger Anwendung des § 6 KSchG auch für die Fälle gilt, in denen der Arbeitnehmer innerhalb der Klagefrist lediglich eine Leistungsklage erhoben hat.6 Diese Auffassung behält auch für die neue Gesetzesfassung Gültigkeit. Denn weder aus dem Wortlaut noch aus der Begründung des Gesetzes geht hervor, dass mit der Änderung des § 6 KSchG zugleich von der bisher anerkannten Analogie abgewichen werden sollte.7 Erforderlich für die entsprechende Anwendung des § 6 KSchG ist allerdings, dass die Klage sich auf Ansprüche bezieht, die die Unwirksamkeit der Kündigung denknotwendig voraussetzen. Denn nur in diesem Fall liegt in der Geltendmachung der Leistungsansprüche zugleich 1 2 3 4
Siehe hierzu unten Rz. 371. BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969. Vgl. hierzu auch A.II.2. BAG v. 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969; ähnlich Boewer, NZA 1997, 359 (364). 5 BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969; v. 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969. 6 BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 699/06, NZA-RR 2008, 466 (n.v.); v. 16.4.2003 – 7 AZR 119/02, BAGE 106, 72; KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 23a m.w.N. aus Literatur und Rechtsprechung. 7 So auch KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 23; Preis, DB 2004, 70 (75); a.A. Bader, NZA 2004, 65 (69), wonach auf Grund der Neufassung keine vergleichbaren Sachverhalte mehr vorliegen sollen.
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Verlängerung der Klagefrist bei allgemeiner Feststellungsklage
Rz. 374 Teil 12
auch ein Angriff des Arbeitnehmers auf die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung und wird damit für den Arbeitgeber erkennbar, dass der Arbeitnehmer die Kündigung nicht hinnehmen will.1 Eine Verlängerung der für die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung bestehenden Dreiwochenfrist kommt demnach insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG auf Lohn- oder Weiterbeschäftigungsansprüche klagt, die in der Zeit nach dem Ablauf der Kündigungsfrist entstanden sind.2 Zu beachten ist aber, dass der Arbeitnehmer, der eine solche Leistungsklage erhoben hat, mit der von ihm nachträglich begehrten Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung nur durchdringen kann, wenn er bis zum Abschluss der ersten Instanz den Feststellungsantrag nach § 4 Satz 1 KSchG nachholt. Der bloße Hinweis auf die Unwirksamkeit der Kündigung im Rahmen des Leistungsklageverfahrens reicht insofern nicht aus, da die Rechtskraft des stattgebenden Leistungsurteils die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht mit umfasst (vgl. Rz. 26 ff.).
372
Die verlängerte Anrufungsfrist des § 6 KSchG ist analog auch auf die Änderungskündigung anzuwenden, wenn, nachdem der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen und innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gemäß § 4 Satz 2 KSchG auf Feststellung der Sozialwidrigkeit oder anderweitigen Rechtsunwirksamkeit der geänderten Arbeitsbedingungen geklagt hat, sich im Laufe des Prozesses herausstellt, dass die Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt nicht rechtzeitig erfolgt ist, und nunmehr – vor Abschluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – die fehlende soziale Rechtfertigung der Beendigungskündigung geltend gemacht werden soll.3 Einer solchen Analogie stehen insbesondere keine schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegen, da für diesen bereits durch die Änderungsschutzklage hinreichend deutlich geworden ist, dass der Arbeitnehmer die Kündigung nicht gegen sich gelten lassen will.
373
Umstritten ist, ob § 6 KSchG auch für die Fälle gilt, in denen der Arbeitnehmer nicht die Kündigung als solche angreift, sondern lediglich die Nichteinhaltung einer gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist geltend macht, sich also gegen den in der Kündigungserklärung vorgesehenen Beendigungszeitpunkt wendet.4 Die h.M. legt § 6 KSchG zu Recht weit aus und nimmt an, dass eine Verlängerung der Anrufungsfrist auch in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer nur den Kündigungstermin rechtzeitig angegriffen hat.5 Denn durch die fristgerechte Klageerhebung ist für den Arbeitgeber
374
1 BAG v. 28.6.1973 – 2 AZR 378/72, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG 1969. 2 Vor diesem Termin entstandene Leistungsansprüche bedingen dagegen nicht notwendigerweise die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung; vgl. auch APS/Ascheid/ Hesse, § 6 KSchG Rz. 18. 3 BAG v. 17.5.2001 – 2 AZR 460/00, EzA § 620 BGB Kündigung Nr. 3; v. 23.3.1983 – 7 AZR 157/81, AP Nr. 1 zu § 6 KSchG 1969; KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 29a m.w.N. 4 Vgl. zur alten Rechtslage KDZ/Zwanziger, 5. Auflage 2001, § 6 KSchG Rz. 4 KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 11 ff. m.w.N. 5 KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 13a; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1817; Löwisch/Spinner, § 6 KSchG Rz. 4; aA APS/Ascheid/Hesse, § 6 KSchG Rz. 9; MünchKomm/Hergenröder, § 6 KSchG Rz. 11.
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1021
Teil 12 Rz. 375
Kündigungsschutzprozess
erkennbar, dass der Arbeitnehmer mit der ihm gegenüber erfolgten Kündigung zumindest zu dem genannten Zeitpunkt nicht einverstanden ist, so dass ein schützenswertes Interesse daran, dass sich der Arbeitnehmer nach Ablauf der Dreiwochenfrist nicht mehr auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung beruft, nicht besteht. Unerheblich ist, ob man – wie hier vertreten – die Kündigungserklärung i.d.R. so auslegt, dass sie mit der richtigen Kündigungsfrist gewollt ist und deshalb in der fehlenden Einhaltung der Kündigungsfrist keinen binnen drei Wochen geltend zu machenden Mangel i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG sieht. Denn mit Geltendmachung der falschen Kündigungsfrist hat der Arbeitnehmer jedenfalls deutlich gemacht, dass er die Kündigung, so wie sie ausgesprochen worden ist, nicht gegen sich gelten lassen will.1 375
Die gleichen Erwägungen gelten, wenn der Arbeitnehmer sich innerhalb der Dreiwochenfrist lediglich gegen eine ihm gegenüber erklärte fristlose Kündigung gewehrt hat, ohne sich für den Fall der Umdeutung in eine ordentliche Kündigung zugleich gegen eine etwaige Sozialwidrigkeit oder anderweitige Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung zu wenden, oder wenn neben einer außerordentlichen zugleich hilfsweise die ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde, der Arbeitnehmer rechtzeitig aber nur gegen die außerordentliche Kündigung vorgegangen ist. Der Arbeitnehmer kann sich auch in diesen Fällen grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch auf die Rechtsunwirksamkeit der zunächst nicht angegriffenen ordentlichen Kündigung berufen. Denn auch wenn der Arbeitnehmer im Falle der außerordentlichen Kündigung zunächst nur die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist rügt und erst nach Ablauf der Dreiwochenfrist die Unwirksamkeit der Kündigung geltend macht, hat er rechtzeitig zu erkennen gegeben, dass er mit der Kündigung so wie erfolgt nicht einverstanden ist.2 Ausgeschlossen ist die Verlängerung der Anrufungsfrist nach § 6 KSchG allerdings dann, wenn der Arbeitnehmer sich für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung damit einverstanden erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der bei einer ordentlichen Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfrist enden soll.3 2. Geltendmachung der Sozialwidrigkeit oder eines anderen Unwirksamkeitsgrundes
376
Hat der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung klageweise geltend gemacht, kann er sich ihn dem deswegen anhängigen Verfahren noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz jederzeit auf die mangelnde soziale Rechtfertigung der Kündigung oder andere in der Klagefrist nicht geltend gemachte Unwirksamkeitsgründe berufen. Die Einführung eines zusätzlichen Kündigungsschutzantrags ist dabei nicht erforderlich, da die Kündigungsschutzklage die später geltend gemachte Sozialwidrigkeit oder Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus 1 KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 13a m.w.N. 2 KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 14 ff. m.w.N. 3 BAG v. 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, AP Nr. 3 zu § 6 KSchG 1969.
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Verlängerung der Klagefrist bei allgemeiner Feststellungsklage
Rz. 379 Teil 12
anderen Gründen als zusätzliche Nichtigkeitsgründe bereits mit umfasst, eine Klagenhäufung also nicht vorliegt. Die mangelnde soziale Rechtfertigung oder sich aus andern Gründen ergebende Unwirksamkeit der Kündigung kann demnach durch einfachen dahin gehenden Prozessvortrag des Arbeitnehmers in das Verfahren eingeführt werden, ohne dass eine diesbezügliche Antragsumstellung erfolgen müsste.1 Anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer mit der bisherigen Klage nicht die Feststellung der Fortdauer des Arbeitsverhältnisses begehrt hat, sondern zunächst lediglich einen von der Unwirksamkeit der Kündigung abhängenden Leistungsanspruch geltend gemacht hat. In diesen Fällen muss zur Klarstellung ein Feststellungsantrag nach § 4 Satz 1 KSchG gestellt werden.2
377
Zu beachten ist, dass die verlängerte Anrufungsfrist nach § 6 KSchG im Hinblick auf das Interesse des Arbeitgebers an der schnellstmöglichen Klärung des Kündigungssachverhalts keine zeitlich unbegrenzte Geltendmachung von weiteren, nicht innerhalb der Klagefrist vorgebrachten Rechtsunwirksamkeitsgründen zulässt. So bestimmt § 6 Satz 1 KSchG, dass die nachträgliche Berufung auf zusätzliche Unwirksamkeitsgründe nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz möglich ist. Daraus folgt zugleich, dass ein Nachschieben weiterer Unwirksamkeitsgründe in zweiter Instanz grds. nicht in Betracht kommt3, ein erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragener Unwirksamkeitsgrund also unerheblichund ein darauf beruhender Klageantrag – sofern nicht andere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht sind – regelmäßig abzuweisen ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt lediglich dann in Betracht, wenn das Arbeitsgericht es entgegen seiner in § 6 Satz 2 KSchG normierten Hinweispflicht und trotz entsprechender Anhaltspunkte für eine Sozialwidrigkeit oder anderweitige Unwirksamkeit der Kündigung versäumt hat, den Arbeitnehmer auf die verlängerte Anrufungsfrist aufmerksam zu machen. Die Folgen des unterlassenen richterlichen Hinweises sind gesetzlich nicht geregelt. Zur alten Rechtslage wurde überwiegend dieAuffassung vertreten, dass ein derartiger Verfahrensverstoß nicht dazu führen könne, dass noch in der Berufungsinstanz der Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG nachgeholt bzw. die zuvor geltend gemachte Unwirksamkeit der Kündigung auch auf die Sozialwidrigkeit gestützt werden könne. Die Rechtsprechung hielt es in diesen Fällen vielmehr für zulässig und geboten, die Sache zur Heilung des Mangels an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen und dem Arbeitnehmer damit die Möglichkeit zu geben, den auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung gestützten Vortrag in der „richtigen“ Instanz nachzuholen.4
378
Diese Auffassung kann auf die Gesetzeslage seit dem 1.1.2004 nicht übertragen werden. Denn anders als bisher regelt § 6 KSchG n.F. nicht mehr den Fall, dass zunächst ein allgemeiner Feststellungsantrag und danach – antragserweiternd – ein Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG erhoben worden ist, sondern betrifft lediglich das Nachschieben weiterer Unwirksamkeitsgründe in ei-
379
1 2 3 4
APS/Ascheid/Hesse, § 6 KSchG Rz. 8; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 6 KSchG Rz. 11. KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 30 m.w.N. Vgl. auch KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 18; Bader, NZA 2004, 65 (69). Vgl. zur alten Rechtslage KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 34 ff. m.w.N.
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Teil 12 Rz. 380
Kündigungsschutzprozess
nen Rechtsstreit, der bereits einen Feststellungsantrag i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG zum Gegenstand hat. Das Verfahren ist damit in erster und zweiter Instanz das Gleiche. Angesichts dessen erscheint es als sinnvoll, die nachträglich geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe lediglich als weitere Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.d. §§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG zu sehen, die gemäß §§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auf Grund des fehlenden richterlichen Hinweises auch in der Berufungsinstanz noch neu eingebracht werden können. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz vermag § 6 KSchG n.F. nach richtiger Ansicht nicht mehr zu rechtfertigen.1 380
Unschädlich für die Geltendmachung der Sozialwidrigkeit oder anderweitigen Unwirksamkeit der Kündigung ist es, wenn der Arbeitnehmer, nachdem er innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage eingereicht hat, im Laufe des Prozesses die Rüge der Sozialwidrigkeit oder eines anderen Unwirksamkeitsgrundes fallen lässt, um sich später – aber noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – wieder auf denselben Sachverhalt zu berufen.2 Es kommt insofern nur darauf an, dass die Klage rechtzeitig erhoben und die Rüge der Sozialwidrigkeit bzw. der sonstigen Unwirksamkeitsgründe bis zum Abschluss der ersten Instanz vorgebracht wurde, sei es nun zum ersten oder zum wiederholten Male.
381–383
Einstweilen frei.
3. Fristwahrende Klageerhebung 384
Voraussetzung für die Anwendung des § 6 KSchG ist, dass innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG eine auf die Unwirksamkeit der Kündigung gestützte Klage erhoben wurde. Bei verspäteter Klage gilt gemäß § 7 KSchG die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam.3 Der Arbeitnehmer kann sich in diesem Fall auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 6 KSchG nicht mehr auf weitere Unwirksamkeitsgründe berufen, es sei denn, diese wären – wie etwa im Falle der fehlenden Schriftform der Kündigung – ausnahmsweise an die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG n.F. nicht gebunden.
385
Die Unwirksamkeitsgründe sind nach § 6 KSchG „im Klagewege“ geltend zu machen. Ein lediglich außergerichtliches Bestreiten der Wirksamkeit der Kündigung reicht deshalb nicht aus.4 Ebenso wenig genügt es den Anforderungen des § 6 KSchG, wenn einer Klage des Arbeitgebers auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst ist, lediglich ein Abweisungsantrag des Arbeitnehmers folgt. Die Geltendmachung im Klagewege erfordert vielmehr ein aktives Vorgehen des Arbeitnehmers vor Gericht, setzt also vo1 So auch Bader, NZA 2004, 65 (69); KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 38 (anders noch in der die alte Rechtslage betreffenden Vorauflage). 2 So für die fallen gelassene Rüge der Sozialwidrigkeit: LAG Köln v. 8.3.1988 – 4 Sa 1369/87, LAGE § 6 KSchG Nr. 1 (zur alten Rechtslage). 3 BAG v. 24.9.1981 – 2 AZR 422/79 (n.v.); KDZ/Zwanziger, § 6 KSchG Rz. 2; KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 9; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 6 KSchG Rz. 6. 4 APS/Ascheid/Hesse, § 6 KSchG Rz. 4.
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Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers
Rz. 387 Teil 12
raus, dass dieser selbst Klage bzw. – falls der Arbeitgeber seinerseits klagt – Widerklage erhebt.1
C. Darlegungs- und Beweislast I. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes Die für das Eingreifen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach KSchG erforderlichen Voraussetzungen sind – da es sich um anspruchsbegründende Umstände handelt – vom Arbeitnehmer darzulegen und nachzuweisen. Dies betrifft zum einen die Frage, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 1 KSchG vorliegt (dazu 1., Rz. 387 ff.), zum anderen die Frage, ob das KSchG in sachlicher und persönlicher Hinsicht auf die mit der Kündigungsschutzklage angegriffene Kündigung Anwendung findet (dazu 2.–4., Rz. 390 ff.).
386
1. Arbeitsverhältnis und Arbeitnehmereigenschaft (Organmitglieder, GmbH & Co. KG) Der Arbeitnehmer trägt zunächst die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass überhaupt ein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 1 KSchG besteht. Letzteres setzt neben einem wirksamen Vertragsschluss insbesondere auch das Vorliegen von Tatsachen voraus, die die Arbeitnehmereigenschaft der betroffenen Person begründen.2 Im Bestreitensfalle muss der Arbeitnehmer deshalb nachweisen, dass er im Hinblick auf Ort, Zeit, Dauer, Inhalt und Durchführung der vertraglich vereinbarten Tätigkeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt und damit in dem für die Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht.3 Geführt wird der Beweis regelmäßig durch die Vorlage des schriftlichen Arbeitsvertrages, der als Urkunde die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich hat.4 Will sich der beklagte Arbeitgeber im Gegenzug darauf berufen, es habe sich bei dem vorgelegten Arbeitsvertrag lediglich um ein Scheingeschäft i.S.d. § 117 BGB gehandelt bzw. das Arbeitsverhältnis sei nicht den dort niedergelegten vertraglichen Vereinbarungen gemäß durchgeführt und damit konkludent abgeändert worden (beispielsweise weil der Betreffende nicht als Angestellter sondern als freier Mitarbeiter beschäftigt worden ist), ist er seinerseits zum Nachweis der dies begründenden Tatsachen verpflichtet. Bis zum Beweis des Gegenteils spricht jedenfalls der schriftliche
1 KR/Friedrich, § 6 KSchG Rz. 28 m.w.N. 2 LAG Bremen v. 24.10.1997 – 4 Sa 71/97, NZA 1998, 1248; Löwisch/Spinner, § 1 KSchG Rz. 428; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 89; zum Begriff der Arbeitnehmereigenschaft vgl. KR/Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rz. 5 ff. 3 Vgl. BAG v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 4 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 875.
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Teil 12 Rz. 388
Kündigungsschutzprozess
Arbeitsvertrag dafür, dass der Kläger für den Beklagten in einem Arbeitsverhältnis tätig war.1 388
Als tatsächliche Voraussetzung des Kündigungsschutzes nach KSchG hat der Arbeitnehmer zudem nachzuweisen, dass er nicht zu den Personengruppen zählt, für die nach § 14 Abs. 1 KSchG die Anwendung des KSchG ausgeschlossen oder gemäß § 14 Abs. 2 KSchG nur eingeschränkt möglich ist.2 Macht der Arbeitgeber Tatsachen geltend, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitnehmer von der Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes ausgenommen ist oder – als leitender Angestellter – bestimmten Einschränkungen unterliegt3, muss der Arbeitnehmer diese Tatsachen widerlegen;4 ein einfaches Bestreiten reicht insofern nicht aus.
389
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG von der Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes ausgenommen sind die Mitglieder eines Organs, das zur gesetzlichen Vertretung einer juristischen Person berufen ist, etwa die Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften (§ 78 Abs. 1 AktG) oder die Geschäftsführer einer GmbH (§ 25 Abs. 1 GmbHG). Ebenfalls keine Anwendung findet nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 KSchG der erste Abschnitt des KSchG auf die Vertreter von Personengesamtheiten wie der GbR (§§ 705 ff. BGB, Vertreter wird im Gesellschaftsvertrag bestimmt), der OHG (§§ 105 ff. HGB, jeder nicht von der Vertretung ausgeschlossene Gesellschafter ist vertretungsberechtigt) oder der KG (§§ 161 ff. HGB, Vertretung erfolgt durch die persönlich haftenden Gesellschafter). Zu beachten ist, dass die Ausschlussregelung des § 14 Abs. 1 KSchG nach der Rechtsprechung des BAG und der überwiegenden Ansicht in der Literatur nur für Kündigungen von juristischen Personen oder Personengesamtheiten gegenüber ihren unmittelbaren Organvertretern gilt.5 Keine Anwendung findet § 14 Abs. 1 Nr. 2 KSchG demgemäß für das Arbeitsverhältnis des Organvertreters einer juristischen Person, der ausschließlich von einem Dritten angestellt ist und aufgrund dieses Anstellungsvertrages die gesetzliche Vertretung der juristischen Person wahrnimmt, so im Falle des Geschäftsführers einer abhängigen Konzerngesellschaft, der ein Arbeitsverhältnis mit dem Mutterkonzern unterhält6 oder des bei der KG angestellten GmbH-Geschäftsführers einer GmbH & Co. KG.7 2. Betriebsgröße
390
Streitig ist, ob der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen hat, dass der Beschäftigungsbetrieb regelmäßig mehr als die in der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG genannten fünf bzw. zehn Arbeitnehmer be1 2 3 4 5
BAG v. 9.2.1995 – 2 AZR 389/94, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 12. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 89. Zur Problematik der leitenden Angestellten vgl. E I.4.a). KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 89. BAG v. 20.10.1995 – 5 AZB 5/95, AP Nr. 36 zu § 2 ArbGG 1979; v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, AP Nr. 1 zu § 14 KSchG 1969; APS/Biebl, § 14 KSchG Rz. 9 m.w.N.; KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 10a; a.A. Löwisch/Spinner, § 14 KSchG Rz. 7. 6 BAG v. 20.10.1995 – 5 AZB 5/95, AP Nr. 36 zu § 2 ArbGG 1979. 7 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, AP Nr. 1 zu § 14 KSchG 1969.
1026
Mues
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers
Rz. 392 Teil 12
schäftigt und damit die für die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes vorgesehene Grenzzahl erreicht. Teilweise wird dies mit der Begründung verneint, die Formulierung des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG als Ausnahmeregelung zur grds. Anwendbarkeit des ersten Abschnitts des KSchG spreche nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast dafür, dass nicht der Arbeitnehmer die Überschreitung des Schwellenwertes, sondern der Arbeitgeber dessen Unterschreitung und damit den Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes nachzuweisen habe.1 Das BAG sowie die ihm folgenden Literaturvertreter vertreten demgegenüber die Auffassung, dass es sich bei den Merkmalen des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG um klagebegründende Tatsachen handele und es eine allgemeine Vermutung des Inhalts, dass ein Betrieb mehr als fünf bzw. mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, nicht gebe. Der Arbeitnehmer müsse deshalb behaupten und im Bestreitensfall auch beweisen, dass der betriebliche Anwendungsbereich des KSchG eröffnet sei.2 Im Ergebnis hat der Meinungsstreit keine nennenswerten praktischen Auswirkungen, da im Hinblick auf die größere Sachnähe des Arbeitgebers sowie die i.d.R. ungenauen Kenntnisse des Arbeitnehmers von den Vertragsgestaltungen der übrigen Belegschaft, insbesondere von dem für die Ermittlung der Beschäftigtenzahl erforderlichen Beschäftigungsumfang der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, das BAG dem Arbeitnehmer eine erleichterte Beweisführung zubilligt. So braucht sich der Arbeitnehmer im Sinne einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast zunächst nur darauf zu berufen, dass nach der Kopfzahl der beschäftigten Arbeitnehmer der Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 bzw. 3 KSchG erreicht bzw. überschritten ist. Es obliegt dann dem Arbeitgeber, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen darzulegen, welche Tatsachen gegen die Überschreitung der Kleinbetriebsgrenze sprechen, indem er etwa substantiiert vorträgt, dass einige der angeführten Arbeitnehmer aufgrund ihrer geringen wöchentlichen Arbeitszeit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG bei der Berechnung der Betriebsgröße nicht voll zu berücksichtigen sind.3
391
" Praxistipp: Für das Vorliegen eines von mehreren Unternehmen geführten
392
gemeinsamen Betriebes i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG gilt nach der Rechtsprechung des BAG eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers. Dieser Verpflichtung genügt der Arbeitnehmer i.d.R. bereits dadurch, dass er die äußeren Umstände, die für die einheitliche Führung eines Betriebes sprechen – so z.B. die gemeinsame Nutzung der technischen und immateriellen Betriebsmittel, die gemeinsame räumliche Unterbringung, die personelle, technische und organisatorische Verknüpfung der Arbeitsabläufe, das Vorhandensein einer unternehmensübergreifenden Leitungsstruktur – schlüssig darlegt. Der Arbeitgeber muss sodann gemäß § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären, welche rechtserheblichen Um-
1 LAG Berlin v. 28.10.1994 – 6 Sa 95/94, LAGE § 23 KSchG Nr. 11; ErfK/Kiel, § 23 KSchG Rz. 20; GMPM/Germelmann, § 58 ArbGG Rz. 91; KR/Weigand, § 23 KSchG Rz. 54a; Berkowsky, MDR 1998, 82 (84). 2 BAG v. 9.9.1982 – 2 AZR 253/80, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Hausmeister; v. 4.7.1957 – 2 AZR 86/55, AP Nr. 1 zu § 21 KSchG; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 23 KSchG Rz. 47. 3 LAG Hamm v. 3.4.1997 – 4 Sa 693/96, LAGE § 23 KSchG Nr. 13; vgl. auch unter Teil 2 Rz. 84 ff.
Mues
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Teil 12 Rz. 393
Kündigungsschutzprozess
stände (z.B. vertragliche Vereinbarungen) gegen die Annahme eines einheitlichen Betriebes sprechen.1 3. Wartezeiterfüllung 393
Neben den betrieblichen hat der Arbeitnehmer auch die persönlichen Voraussetzungen für die ihm günstige Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes darzulegen und nachzuweisen. Dazu gehört neben den bereits unter Rz. 387 ff. ausgeführten Gesichtspunkten insbesondere der Vortrag von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass das betreffende Arbeitsverhältnis bis zum Zugang der Kündigung mindestens sechs Monate lang ununterbrochen bei dem beklagten Arbeitgeber bestanden hat, § 1 Abs. 1 KSchG.
394
Um der diesbezüglichen Darlegungslast gerecht zu werden, reicht es aus, wenn der Arbeitnehmer behauptet (und im Bestreitensfalle nachweist), dass das Arbeitsverhältnis 6 Monate vor Kündigungszugang begründet worden ist. Das Vorliegen einer nicht anrechnungsfähigen Unterbrechung der Wartezeit hat dann, da es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt, der Arbeitgeber darlegen und beweisen.2 Dies gilt auch, wenn die tatsächliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien unstreitig ist, da es allein auf die rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses ankommt, also auf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet und neu begründet worden ist.3
395
Im Fall der rechtlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses steht es den Parteien frei, im Rahmen einer sog. Anrechnungsvereinbarung festzulegen, dass der vor der Unterbrechung liegende Beschäftigungszeitraum zu der Beschäftigungsdauer nach Neubegründung des Arbeitsverhältnisses hinzugerechnet wird.4 Letzeres kann sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend geschehen. Auch eine zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffene Einigung über den Ausschluss oder eine Verkürzung der Wartezeit ist denkbar. Der Vortrag bzw. Nachweis derartiger Vereinbarungen entkräftet die vom Arbeitgeber dargelegte rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Die diesbezügliche Beweislast liegt beim Arbeitnehmer.5
II. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für Kündigungssachverhalt 1. Vortrag der Kündigungsgründe 396
Während nach den vorhergehenden Ausführungen den Arbeitnehmer die Beweislast für die Anwendbarkeit des KSchG trifft, hat der Arbeitgeber gemäß 1 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, AP Nr. 9 zu § 23 KSchG 1969; v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969. 2 BAG v. 16.3.1989 – 2 AZR 407/88, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969. 3 Vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 129; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rz. 124. 4 Ascheid, Beweislastfragen, S. 58; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 130. 5 APS/Dörner, § 1 KSchG Rz. 51.
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Mues
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Rz. 399 Teil 12
§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen nachzuweisen, die die von ihm ausgesprochene Kündigung bedingen. Dies bedeutet, dass er das Vorliegen der Umstände beweisen muss, die gemäß § 1 KSchG die betreffende Kündigung als betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt erscheinen lassen. Neben dem Nachweis der Kündigungsgründe obliegt es dem Arbeitgeber zudem, die in § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG genannten Umstände vorzutragen und zu beweisen, so insbesondere das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer (hierzu unter Rz. 399 ff.). a) Substantiierungsanforderungen Die die Kündigung bedingenden Umstände müssen substantiiert, d.h. mittels Angabe konkreter Tatsachen, vorgetragen werden. Hierfür reicht es nicht aus, wenn der Arbeitgeber die Gründe für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung lediglich schlagwortartig benennt, etwa indem er die Kündigung ganz generell auf Rationalisierungsmaßnahmen, Umsatzrückgang oder Absatzschwierigkeiten stützt. Er muss vielmehr im Einzelnen darlegen, ob sich unmittelbar durch den Umsatzrückgang oder durch eine Rationalisierungsmaßnahme der Arbeitsanfall und der Bedarf an Arbeitskräften verringert haben, und wie sich die betriebliche Veränderung auf den Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers auswirkt.1 Auch bloße Werturteile, so z.B. die nicht näher belegte Behauptung, der Arbeitnehmers sei für die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit ungeeignet, genügen nicht den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung der Kündigungsgründe. Darzulegen und zu beweisen sind hier die Umstände, die den vorgetragenen Eignungsmangel konkret belegen.
397
Da der Umfang der Substantiierung maßgeblich von der Art des jeweiligen Kündigungsgrundes abhängt, wird diesbezüglich auf die bereits im Rahmen der einzelnen Kündigungsgründe dargelegten Ausführungen verwiesen.
398
b) Abstufung der Darlegungs- und Beweislast Im Falle der auf verhaltensbedingten Gründen beruhenden Kündigung ist der Arbeitgeber neben dem Vortrag konkreter Kündigungstatsachen im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast auch verpflichtet, mögliche Rechtfertigungsgründe für das kündigungsrelevante Verhalten des Arbeitnehmers zu widerlegen. Dies heißt allerdings nicht, dass er von vornherein alle nur denkbaren rechtfertigenden Umstände entkräften muss, um eine Abweisung der Kündigungsschutzklage zu erreichen. Der Umfang der in diesem Zusammenhang notwendigen Darlegung richtet sich vielmehr danach, wie substantiiert der Arbeitnehmer sich zu den angeführten Kündigungsgründen einlässt, sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Im Falle der auf unberechtigtes Fehlen des Arbeitnehmers gestützten Kündigung reicht es deshalb zunächst aus, wenn der Arbeitgeber die konkreten Fehlzeiten des Arbeitnehmers belegt. Der Arbeitnehmer muss dann unter Angabe konkreter Gründe (z.B. Arbeitsunfähigkeit, Urlaub) 1 KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 261.
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399
Teil 12 Rz. 400
Kündigungsschutzprozess
den Vorwurf unberechtigten Fehlens bestreiten, bevor der Arbeitgeber seinerseits verpflichtet ist, die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe zu widerlegen.1 400
Eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast gilt auch hinsichtlich der im Falle der krankheitsbedingten Kündigung erforderlichen negativen Gesundheitsprognose: Hier genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungspflicht zunächst durch die Darlegung der in der Vergangenheit aufgetretenen krankheitsbedingten Fehlzeiten und die Behauptung, dass aufgrund dieser Fehlzeiten auch in der Zukunft mit wiederholten Erkrankungen des Arbeitnehmers zu rechnen ist. Dabei muss die Dauer und Häufigkeit sowie – sofern dies dem Arbeitgeber bekannt ist – auch die Art der früheren Erkrankungen angegeben werden. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, Umstände vorzutragen, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten erschüttern. Dafür reicht es bei mangelnder Kenntnis des Arbeitnehmers von seinem Gesundheitszustand i.d.R. bereits aus, wenn er eine günstige Beurteilung seiner künftigen gesundheitlichen Entwicklung durch die behandelnden Ärzte behauptet und letzere von ihrer Schweigepflicht entbindet. Der Arbeitgeber hat sodann, ggf. mithilfe eines medizinischen Sachverständigengutachtens, den Beweis der negativen Gesundheitsprognose zu führen.2
401
Auch auf die betriebsbedingte Kündigung sind die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast anzuwenden. So hat der gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG für die Betriebsbedingtheit der Kündigung beweispflichtige Arbeitgeber zunächst (nur) darzulegen, aus welchen konkret zu benennenden außer- oder innerbetrieblichen Gründe er welche im Einzelnen zu bezeichnende Unternehmerentscheidung getroffen hat, und inwieweit durch diese Unternehmerentscheidung das Bedürfnis nach einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entfallen ist.3 Dabei gilt der Grundsatz, dass die Anforderungen der den Arbeitgeber treffenden Darlegungslast bzgl. des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit steigen, je näher die unternehmerische Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss heranrückt, also je mehr die (abstrakte) Unternehmerentscheidung und der (konkrete) Kündigungsentschluss sich decken.4
402
Der Arbeitnehmer muss auf den Vortrag des Arbeitgebers erwidern und ggf. darlegen, aus welchen Gründen die getroffene Maßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich und damit sozialwidrig ist. Dies zu widerlegen ist dann wiederum Aufgabe des Arbeitgebers.5
403
Ähnliches gilt hinsichtlich der Dringlichkeit der betriebsbedingten Kündigung: Hier muss in erster Linie der Arbeitnehmer darlegen, durch welche konkrete be1 BAG v. 18.10.1990 – 2 AZR 204/90, RzK I 10 h Nr. 30. 2 BAG v. 13.6.1990 – 2 AZR 527/89 (n.v.); v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 3 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, AP Nr. 102 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; vgl. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 483 ff. 4 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 5 BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, AP Nr. 102 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.
1030
Mues
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Rz. 406 Teil 12
triebliche Maßnahme (z.B. Überstundenabbau) die Kündigung hätte verhindert werden können. Erst im Anschluss hat dann der Arbeitgeber vorzutragen und notfalls nachzuweisen, aus welchen Gründen die Durchführung einer solchen Maßnahme nicht möglich oder nicht zumutbar ist.1 Was den Streit um eine mögliche Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz angeht, so muss, wenn sich der Arbeitnehmer auf eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit beruft und der Arbeitgeber diese bestreitet, der Arbeitnehmer konkret aufzeigen, wie er sich seine weitere Tätigkeit vorstellt und an welche Art der Beschäftigung er denkt.2 Einen bestimmten freien Arbeitsplatz muss er hierzu nicht unbedingt benennen;3 dies wird ihm schon angesichts seiner mangelnden Kenntnis von der betrieblichen Organisation regelmäßig überhaupt nicht möglich sein. Nach dem entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber dann im Einzelnen darlegen und ggf. beweisen, dass ein anderer freier Arbeitsplatz nicht vorhanden bzw. eine Umsetzung nicht möglich ist.4
404
Eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast gilt auch bei der Frage der Sozialauswahl im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung. Allerdings muss hier anders als in den zuvor dargestellten Fällen nicht etwa der Arbeitgeber eine ordnungsgemäße Auswahl nachweisen; vielmehr liegt die Darlegungs- und objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG grds. beim Arbeitnehmer.5 Lediglich für das tatsächliche Bestehen betrieblicher Interessen, die nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSch die Herausnahme bestimmter Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl rechtfertigen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.6
405
Seiner die objektive Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung betreffenden Darlegungslast genügt der Arbeitnehmer – sofern ihm nicht ausnahmsweise die für die Sozialauswahl rechtserheblichen Tatsachen bereits bekannt sind – zunächst bereits dadurch, dass er die Ordnungsmäßigkeit der erfolgten Sozialauswahl generell bestreitet und den Arbeitgeber auffordert, ihm die Gründe mitzuteilen, die für die Auswahlentscheidung maßgebend gewesen sind. Mit Geltendmachung des Auskunftsanspruchs geht die Darlegungslast im Umfang der materiellen Auskunftspflicht des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs. KSchG auf den Arbeitgeber über. Dieser muss dann substantiiert zu den für die Sozialauswahl erheblichen Umständen vortragen. Dabei hat er den Arbeitnehmer nicht nur über die bei der Auswahlentscheidung berücksichtigten sozialen Gesichtspunkte zu informieren (nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sind die Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen und Schwerbehinderung zwingend zu berücksichtigen), sondern auch den von ihm angewandten Bewertungsmaßstab offenzulegen, mithin Angaben dazu zu ma-
406
1 2 3 4
Vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 555. BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 109/99 (n.v.); v. 20.1.1994 – 2 AZR 489/93, NZA 1994, 653. BAG v. 25.2.1988 – 2 AZR 500/87, RzK I 5 c Nr. 26. Vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 559; Küttner/Eisemann, Personalbuch 2007, § 257 Rz. 63. 5 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849. 6 Vgl. BAG v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64.
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Teil 12 Rz. 407
Kündigungsschutzprozess
chen, welches Gewicht er den verschiedenen Sozialdaten beigemessen hat.1 Darüber hinaus ist der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs. KSchG verpflichtet, die betrieblichen Interessen darzulegen, die den Arbeitgeber zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG veranlasst haben, sowie die betreffenden Arbeitnehmer namentlich zu benennen.2 Schließlich hat er im Rahmen seiner Auskunftspflicht dem Arbeitnehmer die aus seiner Sicht in den auswahlrelevanten Personenkreis einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer und deren Sozialdaten mitzuteilen. Denn da der gekündigte Arbeitnehmer im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast verpflichtet ist, den oder die aus seiner Sicht sozial weniger schutzwürdigen Kollegen konkret zu benennen, muss er bei Unkenntnis auch die entsprechende Auskunft vom Arbeitgeber verlangen können.3 Zu beachten ist allerdings, dass die sich aus der Mitteilungspflicht ergebende Vortragslast auf die subjektiven, vom Arbeitgeber tatsächlich angestellten Überlegungen beschränkt ist. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf die vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer besteht nicht.4 Der Arbeitgeber genügt daher seiner Auskunftspflicht, wenn er lediglich die Arbeitnehmer benennt, die er als vergleichbar erachtet hat, selbst wenn sich aus dem Inhalt seiner Auskunft die materielle Unrichtigkeit seiner Auffassung ergibt.5 407
Erteilt der Arbeitgeber die von ihm verlangte Auskunft nicht, genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast bereits durch ein einfaches Bestreiten der Ordnungsmäßigkeit der sozialen Auswahl. Die Sozialauswahl ist dann allein deshalb als fehlerhaft anzusehen, ohne dass es von Arbeitnehmerseite her eines weiteren substantiierten Vortrags noch bedürfte.6 Entspricht der Arbeitgeber dagegen dem Verlangen nach Auskunft, muss der Arbeitnehmer die objektive Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl im Einzelnen durch substantiierten Tatsachenvortrag dartun. Er muss dann in vollem Umfang vortragen und ggf. nachweisen, welche vom Arbeitgeber in die Sozialauswahl einbezogenen Kollegen im Einzelfall als weniger schutzwürdig zu betrachten oder welche weiteren, vom Arbeitnehmer nicht benannten Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einzubeziehen sein sollen.7 Fraglich ist, wie es sich auf die grds. dem Arbeitgeber obliegende Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess auswirkt, wenn der Arbeitnehmer in einem zum Nachweis erbrachter Tätigkeiten dienenden Berichtssystem des Arbeitgebers falsche Angaben macht, und der Arbeitgeber daraufhin, von einer bewussten Täuschung über die ordnungsgemäße Er1 BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. 2 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849.; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 762; KR/ Griebeling, § 1 KSchG Rz. 681a. 3 BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. 4 St. Rspr. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849; v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, NJW 1984, 78. 5 BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. 6 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702; v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. 7 BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. m.w.N.; v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679l; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 790.
1032
Mues
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Rz. 410 Teil 12
bringung der Arbeitsleistung ausgehend, verhaltensbedingt kündigt.1 In dem konkreten, vom ArbG Düsseldorf entschiedenen Fall ging es um eine Außendienstmitarbeiterin, die in einem verbindlich zu führenden EDV-Programm ihres Arbeitgebers für einen bestimmten Arbeitstag mehrere Außendienstbesuche in München dokumentiert hatte, obwohl sie sich zu der angegebenen Zeit nachweislich in Österreich aufgehalten hatte. Auf den Vorwurf des Arbeitgebers hin, es liege eine bewusste Täuschung vor, mit der ein unentschuldigtes Fernbleiben zu Lasten des Arbeitgebers vertuscht werden solle, wurde seitens der Arbeitnehmerin vorgetragen, der Bericht sei lediglich versehentlich unter einem falschen Datum eingetragen worden; zudem habe sie auch an dem falsch dokumentierten Arbeitstag ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbracht. Bei starrer Anwendung der zuvor genannten Grundsätze wäre der Arbeitgeber auch in diesem Fall verpflichtet, die von der Arbeitnehmerin vorgetragenen Rechtfertigungsgründe zu widerlegen und ihr eine bewusste Täuschung nachzuweisen. Dagegen spricht jedoch, dass der Arbeitgeber mit Einführung des für alle Außendienstmitarbeiter verbindlichen Berichtsystems bereits ein funktionsfähiges Nachweissystem geschaffen hat, auf das er im Einzelfall vertrauen können muss. Verstößt ein Arbeitnehmer gegen diese verbindlichen Vorgaben, kann die Beweislast für einen anderen als den aus dem System ersichtlichen Sachverhalt deshalb nicht dem Arbeitgeber aufgebürdet werden. Vielmehr hat u.E. in diesen Fällen eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des sich regelwidrig verhaltenden Arbeitnehmers stattzufinden.
408
2. Anhörung des Betriebsrats Gemäß § 102 BetrVG hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer jeden Kündigung zwingend den Betriebsrat anzuhören, sofern in dem Beschäftigungsbetrieb ein solcher existiert. Zwar hat der Betriebsrat bei Kündigungen i.d.R. kein Mitbestimmungsrecht (Ausnahme: § 103 BetrVG) und damit auch keine Möglichkeit, die beabsichtigte Kündigung zu verhindern. Eine Kündigung, die ohne vorherige oder nach fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats ausgesprochen wird, ist jedoch gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG bereits aus diesem Grunde unwirksam.2
409
Da somit die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die arbeitgeberseitige Kündigung darstellt, hat der sich auf die Wirksamkeit der Kündigung berufende Arbeitgeber letztlich die Darlegungs- und Beweislast dafür zu tragen, dass eine den Anforderungen des § 102 BetrVG gerecht werdende Anhörung durchgeführt worden ist.3 Zu beachten sind allerdings auch hier die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Danach ist der Arbeitgeber erst nach entsprechendem Bestreiten durch den Arbeitnehmer verpflichtet, konkret vorzutragen, aus welchen Umständen sich die ordnungs-
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1 Zur Fallgestaltung vgl. ArbG Düsseldorf v. 22.8.2001 – 4 Ca 4015/01 (n.v.). 2 BAG v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972; zu dem gesamten Themenkomplex „Betriebsratsanhörung“ vgl. auch Teil 2 Rz. 759 ff. 3 BAG v. 19.8.1975 – 1 AZR 613/74, AP Nr. 5 zu § 102 BetrVG 1972; MüKo ArbR/Matthes, § 348 Rz. 46 m.w.N.; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 163; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 192.
Mues
1033
Teil 12 Rz. 411
Kündigungsschutzprozess
gemäße Anhörung des Betriebsrats ergibt. Der Arbeitnehmer muss daraufhin seinerseits substantiiert darlegen, ob und inwieweit er diesen Vortrag bestreitet und aus welchem Grund. Den abschließenden Nachweis einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung hat sodann der Arbeitgeber zu führen (hierzu sogleich unter Rz. 411 ff.). a) Keine Amtsermittlung: Bestreiten durch den Arbeitnehmer als Voraussetzung 411
Die gerichtliche Überprüfung der Betriebsratsanhörung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die aus seiner Sicht fehlende bzw. fehlerhafte Anhörung im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses ausdrücklich beanstandet.1 Insoweit genügt bereits ein einfaches Bestreiten der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats, um die entsprechende Darlegungslast des Arbeitgebers auszulösen und dem Gericht Anlass zu geben, sich mit der Frage der Betriebsratsanhörung zu befassen.2 Fehlt es an einem derartigen – ggf. auch in der Berufungsinstanz noch nachzuholenden – Bestreiten des Arbeitnehmers, wird die Frage der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses nicht behandelt. Eine Ermittlung von Amts wegen findet nicht statt. Zu beachten ist allerdings, dass, sofern nach dem Vortrag der Parteien unstreitig von der Existenz eines funktionsfähigen Betriebsrats auszugehen ist, das Gericht im Zweifelsfalle durch entsprechende Nachfrage nach § 139 ZPO abzuklären hat, ob der Arbeitnehmer eine ordnungsgemäße Anhörung bestreitet.3
412
" Praxistipp: Nicht von Amts wegen zu ermitteln ist auch die Frage, ob in
dem betreffenden Betrieb überhaupt ein Betriebsrat besteht. Hat der Arbeitnehmer hierzu nichts vorgetragen, ist das Gericht, sofern sich nicht aus dem unstreitigen Parteivorbringen Anhaltspunkte für die Existenz eines Betriebsrats ergeben, deshalb zu einer entsprechenden Nachfrage nicht verpflichtet. Vielmehr ist es Sache des Arbeitnehmers, als Voraussetzung seines betriebsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutzanspruches die Existenz eines handlungsfähigen Betriebsrats vorzutragen und im Streitfall zu beweisen.4 Dieser Verpflichtung wird er dadurch gerecht, dass er die der Existenz des Betriebsrats zugrundeliegenden tatsächlichen Gegebenheiten darlegt und nachweist, so insbesondere, zu welchem Zeitpunkt die konstituierende Sitzung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einberufen wurde und welche Personen zum Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter gewählt worden sind.5
1 2 3 4 5
BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 852/98, AP Nr. 160 zu § 626 BGB. BAG v. 9.10.1986 – 2 AZR 649/85, RzK I 5 d Nr. 16. APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 163. LAG München v. 22.10.1987 – 6 Sa 294/87 (n.v.); KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 192c. ArbG Mainz v. 25.9.1997 – 7 Ca 168/97, BB 1998, 106.
1034
Mues
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Rz. 415 Teil 12
b) Umfang der Vortragspflicht des Arbeitgebers Hat der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung gerügt, liegt es am Arbeitgeber, im Einzelnen die Tatsachen darzulegen, aus denen sich die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ergeben soll. Denn letztlich trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Anhörung den gesetzlichen Vorgaben entsprechend erfolgt ist. Vorzutragen hat der Arbeitgeber grds. alle für die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung erforderlichen Umstände, so insbesondere die gegenüber dem Betriebsrat erfolgte Mitteilung der persönlichen Daten des gekündigten Arbeitnehmers einschließlich der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit sowie des Kündigungsgrundes, der Kündigungsart und des Kündigungstermins (vgl. hierzu unter Teil 2 Rz. 762 ff.). Im Falle der fehlenden bzw. unvollständigen Information des Betriebsrats ist darzulegen, weshalb einzelne, nicht ausdrücklich im Rahmen der Anhörung mitgeteilte Tatsachen dem Betriebsrat ohnehin bekannt gewesen sind, also vom Arbeitgeber auch nicht mehr erwähnt zu werden brauchten.1
413
Der Arbeitgeber trägt auch die Darlegungs- und Beweislast für die nichtbewusste Irreführung des Betriebsrats. Bestreitet der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Anhörung mit einer Fehlinformation des Betriebsrats, obliegt es deshalb dem Arbeitgeber darzulegen und notfalls zu beweisen, dass die subjektiv kündigungsbegründenden Tatsachen mit den dem Betriebsrat mitgeteilten Informationen übereinstimmen.2 Gelingt ihm dies nicht, ist von einer fehlerhaften Anhörung mit der Unwirksamkeitsfolge des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auszugehen.
414
c) Konkrete Einlassungspflicht des Arbeitnehmers Hat der Arbeitgeber eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG im Detail schlüssig dargelegt, so muss der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast deutlich machen, welche der konkret zu benennenden Angaben er aus welchem Grund weiterhin bestreiten will.3 Mit einem undifferenzierten pauschalen Bestreiten ohne jede Begründung wird der Arbeitnehmer seiner Einlassungspflicht nicht gerecht;4 vielmehr muss er sein Bestreiten zumindest soweit substantiieren, dass für das Gericht erkennbar wird, über welche einzelnen Behauptungen des beweisbelasteten Arbeitgebers Beweis erhoben werden soll. Nicht in jedem Falle ist allerdings ein substantiiertes Eingehen auf die arbeitgeberseitig vorgetragenen Tatsachen auch tatsächlich möglich. Denn der Arbeitnehmer wird häufig keinen Einblick in das Anhörungsverfahren und die dort vorgetragenen Kündigungsgründe haben. Da die Betriebsratsanhörung keine Handlung des Arbeitnehmers und gewöhnlich auch nicht Gegenstand seiner Wahrnehmung ist, kann sich der Arbeitnehmer in diesen Fällen nach zutreffender Ansicht statt des substantiierten Be1 LAG Köln v. 16.4.1998 – 10 Sa 1535/97 (n.v.). 2 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972; LAG Köln v. 30.9. 1993 – 5 Sa 708/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 36; ArbG Koblenz v. 5.2.1997 – 4 Ca 3402/96, NZA-RR 1997, 485. 3 BAG v. 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, AP Nr. 114 zu § 102 BetrVG 1972. 4 BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
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Teil 12 Rz. 416
Kündigungsschutzprozess
streitens auch auf ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zurückziehen.1 Die entgegenstehende Auffassung des LAG Köln2, wonach der Arbeitnehmer zunächst versuchen muss, die Einzelheiten der Anhörung durch eine Nachfrage beim Betriebsrat zu klären, und die vom Arbeitgeber aufgestellten Behauptungen nur im Falle der lückenhaften, unbrauchbaren oder den Angaben des Arbeitgebers gegenteiligen Auskunft mit Nichtwissen bestreiten kann, überspannt die an den nicht beweispflichtigen Arbeitnehmer zu stellenden Substantiierungsanforderungen in nicht akzeptabler Weise und ist daher abzulehnen. 3. Kongruenz von Information gemäß § 102 BetrVG und Prozessvortrag 416
Existiert im Beschäftigungsbetrieb kein Betriebsrat, ist der Arbeitgeber grds. nicht gehindert, auch solche Kündigungsgründe, die bereits vor Ausspruch der Kündigung bestanden haben, dem Arbeitnehmer aber bisher nicht mitgeteilt wurden, uneingeschränkt auch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren noch zur Rechtfertigung der Kündigung heranzuziehen.3 Denn für die soziale Rechtfertigung der Kündigung kommt es allein auf die objektiven Umstände zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung an; eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Kündigung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs dem Arbeitnehmer gegenüber zu begründen, besteht nicht.
417
Anders ist es, wenn in dem betreffenden Betrieb ein Betriebsrat besteht. In diesem Fall ist das in § 102 BetrVG vorgeschriebene vorherige Anhörungsverfahren, wonach der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle Tatsachen zu informieren hat, die aus seiner Sicht für den Kündigungsentschluss entscheidend waren, sog. Grundsatz der subjektiven Determination4, zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für die nachfolgende Kündigung. Dementsprechend kann der Arbeitgeber sich auch im Kündigungsschutzprozess grds. nur auf solche kündigungsrelevanten Tatsachen berufen, zu denen er zuvor den Betriebsrat angehört hat. Dem Betriebsrat nicht mitgeteilte Umstände können dagegen im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung i.d.R. nicht berücksichtigt werden.5
418
Von dem (unzulässigen) Einführen weiterer, nicht durch die Betriebsratsanhörung gedeckter Kündigungsgründe in den Kündigungsschutzprozess abzugrenzen ist die gegenüber dem Beteiligungsverfahren lediglich erweiterte Darlegung des Kündigungssachverhalts im gerichtlichen Verfahren. So ist der Arbeitgeber 1 BAG v. 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, AP Nr. 114 zu § 102 BetrVG 1972; einschränkend LAG Köln v. 7.8.1998 – 11 Sa 218/98, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 72, wonach zunächst eine Nachfrage beim Betriebsrat in Betracht zu ziehen ist und ein Bestreiten mit Nichtwissen nur zulässig ist, wenn sich die Partei das fehlende Wissen nicht in zumutbarer Weise verschaffen kann. 2 LAG Köln v. 7.8.1998 – 11 Sa 218/98, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 72. 3 BAG v. 18.9.1986 – 2 AZR 642/85 (n.v.); v. 18.1.1980 – 7 AZR 260/78, AP Nr. 1 zu § 626 BGB; zum Nachschieben von Kündigungsgründen vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 242 ff. 4 BAG v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 96; v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972. 5 BAG v. 7.11.1996 – 2 AZR 720/95, ArbuR 1997, 124.
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Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Rz. 420 Teil 12
berechtigt, im Rahmen der Anhörung nicht angeführte Tatsachen in den Prozess einzubringen, wenn und soweit diese ohne wesentliche Veränderung des Kündigungssachverhaltes lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der dem Betriebsrat bereits mitgeteilten Kündigungsgründe dienen. Hat der Arbeitgeber beispielsweise im Rahmen der Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung bestimmte Arbeitnehmer übersehen oder nicht für vergleichbar gehalten und deshalb insoweit dem Betriebsrat die für die soziale Auswahl (objektiv) erheblichen Umstände zunächst nicht mitgeteilt, so darf er auf entsprechende Rüge des Arbeitnehmers im Prozess insoweit seinen Vortrag ergänzen, ohne dass darin ein nach § 102 BetrVG unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen gesehen werden kann.1 Gleiches gilt bei einem ergänzenden Vorbringen des Arbeitgebers zum Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz nach Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer.2 Eine bloße Konkretisierung des Kündigungssachverhalts liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber die Kündigung dem Betriebsrat gegenüber mit dem ständigen Zuspätkommen des Arbeitnehmers und den damit einhergehenden Betriebsablaufstörungen begründet hat und im Kündigungsschutzprozess nähere Angaben zu den Verspätungen (z.B. genaue Datumsangabe) und den betrieblichen Auswirkungen macht.3 Da dem Betriebsrat die Folgen wiederholter Verspätungen bzw. Fehlzeiten auf den betrieblichen Ablauf i.d.R. selbst hinreichend bekannt sind, sind an die diesbezüglichen Mitteilungspflichten des Arbeitgebers insofern nicht die gleichen strengen Anforderungen zu stellen wie an seine Darlegungspflicht im Kündigungsschutzprozess.4 Nicht um erläuternde und ergänzende Angaben, sondern um ein unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen handelt es sich dagegen, wenn der Arbeitgeber Tatsachen vorträgt, die entweder einen neuen Kündigungssachverhalt begründen, eine andere Kündigungsart betreffen5, oder dem bisherigen Vortrag erst das Gewicht eines kündigungsrechtlich erheblichen Grundes geben. Letzeres gilt z.B. auch für den Vortrag des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess, der Arbeitnehmer sei wegen des gleichen Vertragsverstoßes im Leistungsbereich schon einmal abgemahnt worden, wenn dies dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurde.6
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4. Nachschieben von Kündigungsgründen Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen der zur Anhörung des Betriebsrats verpflichtete Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess zum Nach-
1 2 3 4 5
BAG v. 7.11.1996 – 2 AZR 720/95, ArbuR 1997, 124. BAG v. 7.11.1996 – 2 AZR 720/95, ArbuR 1997, 124. APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 166. BAG v. 24.11.1983 – 2 AZR 347/82, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972. Vgl. BAG v. 3.4.1986 – 2 AZR 324/85, AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung zu der zunächst mit dem Begehen einer Straftat begründeten Kündigung, die später auf den Verdacht der Straftat gestützt werden soll. 6 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972.
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Teil 12 Rz. 421
Kündigungsschutzprozess
schieben weiterer, von der bisherigen Betriebsratsanhörung nicht gedeckten Kündigungsgründe berechtigt ist. a) Voraussetzungen der Zulässigkeit 421
Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ist betriebsverfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn der Betriebsrat zu dem ursprünglich in Bezug genommenen Kündigungssachverhalt vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden ist. Andernfalls ist die Kündigung bereits gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit kann auch nicht dadurch nachträglich geheilt werden, dass vor einer Einbringung der nachzuschiebenden Kündigungssachverhalte in den Kündigungsschutzprozess eine insoweit ordnungsgemäße Anhörung stattgefunden hat.1
422
Neben der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung setzt das Nachschieben zusätzlicher Kündigungssachverhalte, sofern es im Einzelfall überhaupt als zulässig anzusehen ist (hierzu weiter unten Rz. 426 f.), grds. voraus, dass der Betriebsrat auch zu den nachzuschiebenden Gründen erneut angehört worden ist.2 Abweichendes gilt lediglich für den Fall, dass im Zeitpunkt des Nachschiebens ein Betriebsrat nicht oder nicht mehr vorhanden ist: Hier ist ein Nachschieben der bei Kündigungsausspruch bereits bestehenden Kündigungsgründe auch ohne Anhörung des Betriebsrats möglich, da Betriebsratsrechte in diesem Falle überhaupt nicht tangiert sein können.3 Strittig ist, ob eine nachträgliche Anhörung auch dann erforderlich ist, wenn zum Zeitpunkt des Nachschiebens der Kündigungsgründe erstmals ein – bei Kündigungsausspruch noch nicht bestehender – Betriebsrat vorhanden ist. Dies wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass die beteiligungspflichtige Kündigung bereits ausgesprochen und damit für eine erneute Beteiligung kein Raum sei.4 Angesichts dessen, dass mit dem Nachschieben neuer Kündigungsgründe zusätzliche Beendigungsgründe vorliegen, die ggf. auch unabhängig von dem zuvor an den Betriebsrat mitgeteilten Kündigungssachverhalt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen können, dürfte jedoch der Gegenansicht zuzustimmen sein, die in analoger Anwendung des § 102 BetrVG auch in diesem Falle eine Einführung der nachzuschiebenden Gründe in den Prozess erst im Anschluss an eine entsprechende Betriebsratsanhörung für zulässig erachtet.5
423
Ob Kündigungsgründe überhaupt nachgeschoben werden können oder ob der Arbeitgeber durch seine in § 102 BetrVG normierte Anhörungspflicht an einer Einführung weiterer Kündigungsgründe in den Prozess gehindert ist, hängt zum einen vom Zeitpunkt der Entstehung des betreffenden Kündigungssachverhalts, zum anderen davon ab, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber Kenntnis von diesem Sachverhalt erlangt hat. So können Kündigungsgründe, die erst nach Zugang der Kündigung entstanden sind, grds. auch nach einer weiteren Anhörung 1 2 3 4 5
KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 185b. BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 185d. APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 168. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 185c.
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Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Rz. 426 Teil 12
des Betriebsrats nicht zur Rechtfertigung dieser Kündigung herangezogen werden. Denn maßgeblich für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit sind die objektiven Umstände zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs, so dass später auftretende Sachverhalte i.d.R. nicht zu berücksichtigen sind.1 Eine Einführung nachträglich entstandener Gründe in den Kündigungsschutzprozess kann – nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats – lediglich ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die nachträglich entstehenden Gründe in unmittelbarem inneren Zusammenhang mit der vorhergehenden Kündigung stehen und die Umstände, die zu dieser Kündigung geführt haben, näher beleuchten.2 Ansonsten kann der später entstandene Kündigungssachverhalt vom Arbeitgeber nur zum Anlass für eine neuerliche Kündigung genommen werden. Was die vor Zugang der Kündigung entstandenen Kündigungsgründe anbetrifft, so können diese nach zutreffender Ansicht des BAG und des überwiegenden Teils des Schrifttums jedenfalls dann nicht nachträglich in den Kündigungsschutzprozess eingebracht werden, wenn sie dem Arbeitgeber bereits im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats bekannt sind bzw. vor Ausspruch der Kündigung bekannt werden, und der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht über sie informiert worden ist.3 Wegen Verletzung der dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtung, vor Ausspruch der Kündigung alle seine Kündigungsabsicht stützenden Kündigungsgründe dem Betriebsrat gegenüber darzulegen und diesem so eine Einflussnahme auf den Kündigungsentschluss zu ermöglichen, kommt ein Nachschieben von Gründen, die dem Arbeitgeber bereits vor Kündigungsausspruch bekannt waren, selbst dann nicht in Betracht, wenn der Betriebsrat der Kündigung bereits aufgrund der ihm mitgeteilten Kündigungsgründe zugestimmt hat.4 Denn die Zustimmung des Betriebsrats wäre bei gleichzeitiger Mitteilung des nachzuschiebenden Kündigungsgrundes möglicherweise überhaupt nicht erteilt worden.5
424
Werden im Zeitpunkt der Kündigung bereits vorliegende Kündigungsgründe dem Arbeitgeber hingegen erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt, ist ein Nachschieben nach überwiegender Ansicht zulässig, sofern – in entsprechender Anwendung des § 102 BetrVG – der Betriebsrat zuvor zu den nachzuschiebenden Kündigungsgründen angehört worden ist.6
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b) Verfahren des Nachschiebens und Prozessvortrag Was das Verfahren des Nachschiebens anbetrifft, so ist zu beachten, dass nur diejenigen nachträglich in das Kündigungsschutzverfahren eingeführten Tatsachen für die Rechtfertigung der Kündigung zu berücksichtigen sind, über die der 1 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 2 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 190a; Küttner/Eisemann, Personalbuch 2007, § 256 Rz. 74. 3 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; v. 18.12.1980 – 2 AZR 1006/78, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972 APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 169 ff. m.w.N.; vgl. ausführlicher zum Meinungsstand auch Teil 3 D IV.2. 4 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969; v. 1.4.1981 – 7 AZR 1003/78, AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972. 5 BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 6 BAG v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972.
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Teil 12 Rz. 427
Kündigungsschutzprozess
Betriebsrat – in direkter oder entsprechender Anwendung des § 102 BetrVG – zuvor ordnungsgemäß unterrichtet worden ist. Denn für den Betriebsrat muss nicht nur vor Ausspruch der Kündigung, sondern auch vor einem beabsichtigten Nachschieben von Kündigungsgründen die Möglichkeit bestehen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken und ihn möglicherweise von der Geltendmachung neuer kündigungsrelevanter Sachverhalte abzuhalten. Dementsprechend hat der Arbeitgeber, bevor er im Prozess weitere Kündigungsgründe vorträgt, zunächst dem Betriebsrat alle Umstände mitzuteilen, die für seinen Entschluss, die Kündigung nunmehr auch auf die nachzuschiebenden Gründe zu stützen, entscheidend waren. Bezüglich des Verfahrens sowie des Inhalts und des Umfangs der darzulegenden Tatsachen kommen dabei die im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG allgemein geltenden Grundsätze zur Anwendung (vgl. hierzu insbesondere unter Teil 2 Rz. 339 ff.). 427
" Praxistipp: Ist die Unterrichtung des Betriebsrats erfolgt, hat der Arbeit-
geber den zusätzlich zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogenen Sachverhalt mittels schlüssigen Vortrags in den Prozess einzuführen und ggf. zu beweisen, § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG.1 Auch für die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung ist letztlich der Arbeitgeber beweisbelastet, so dass erforderlichenfalls – d.h. bei einer diesbezüglichen Rüge des Arbeitnehmers – der Arbeitgeber vor Gericht die für eine ordnungsgemäße Anhörung sprechenden Umstände im Einzelnen vorzutragen bzw. nachzuweisen hat.2 Handelt es sich um einen erst nach Ausspruch der Kündigung nachgeschobenen Kündigungssachverhalt, hat der Arbeitgeber zudem darzutun sowie im Bestreitensfalle zu beweisen, dass ihm der Sachverhalt erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden ist. Gelingt ihm dies nicht, ist das Nachschieben der betreffenden Kündigungstatsachen von vornherein unzulässig.3
D. Folgen des Feststellungsurteils I. Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung 1. Nichteintritt einer Gestaltungswirkung 428
Gibt das Gericht der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG statt und erklärt die Kündigung als von Anfang an unwirksam, steht mit Rechtskraft des Urteils fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die konkrete, mit der Klage angegriffene Kündigung nicht zu dem in der Kündigung bestimmten Termin aufgelöst wurde, die mit der Kündigungserklärung bezweckte Gestaltungswirkung (= Beendigung des Arbeitsverhältnisses) also nicht eingetreten ist.
1 Vgl. Rz. 396 ff. 2 Zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast in diesen Fällen vgl. unter Rz. 409 ff. 3 Vgl. Rz. 422 ff.
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Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 433 Teil 12
Das stattgebende Urteil bewirkt demgemäß keine eigene Rechtsgestaltung im Sinne einer Veränderung der materiellen Rechtslage. Es beinhaltet lediglich eine Feststellung des bereits zuvor bestehenden Rechtszustandes, dass die Kündigungserklärung unwirksam und damit von vornherein nicht geeignet ist, das Arbeitsverhältnis zu beenden.
429
Über die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses durch eine bestimmte Kündigung hinaus wird mit dem stattgebenden Kündigungsschutzurteil nach zutreffender Auffassung zugleich auch rechtskräftig festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung überhaupt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Denn ohne die Existenz eines Arbeitsverhältnisses könnte über dessen Auflösung erst gar nicht entschieden werden.1
430
2. Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses Das stattgebende Kündigungsschutzurteil hat zur Folge, dass – sofern nicht ausnahmsweise andere, von der Entscheidung nicht erfasste2 Auflösungstatbestände eingreifen (z.B. Anfechtung des Arbeitsvertrages, Aufhebungsvertrag oder neuerliche Kündigung) oder das Arbeitsverhältnis nach §§ 9, 10 KSchG durch richterliches Gestaltungsurteil aufgelöst wird – das bisherige Arbeitsverhältnis, wie es vor Ausspruch der (unwirksamen) Kündigung existiert hat, fortbesteht. Mit Eintritt der Rechtskraft des entsprechenden Urteils ist daher der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer wie bisher weiterzubeschäftigen und ihm den vereinbarten Lohn zu zahlen, während der Arbeitnehmer die Erbringung der vertraglich festgelegten Arbeitsleistung schuldet.
431
Entsprechendes gilt im Falle der erfolgreich durchgeführten Änderungsschutzklage: Wird im Urteil die Sozialwidrigkeit oder die Unwirksamkeit eines unter Vorbehalt angenommenen Änderungsangebots aus anderen Gründen festgestellt, so hat der Arbeitgeber ab Rechtskraft dieser Entscheidung die bisher geltenden Arbeitsbedingungen wieder herzustellen. Darüber hinaus muss der Arbeitnehmer gemäß § 159 BGB so gestellt werden, wie er stünde, wenn er von vornherein zu den alten Bedingungen weitergearbeitet hätte.3
432
II. Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug 1. Allgemeines Gibt das Arbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag statt und besteht deshalb – vorbehaltlich dessen, dass ein Antrag nach §§ 9, 10 KSchG entweder nicht gestellt oder abgelehnt worden ist – das Arbeitsverhältnis wie bisher fort, kann der Arbeitnehmer, falls er bereits entlassen worden ist, grds. für die Zeit nach seiner 1 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, AP Nr. 44 zu § 4 KSchG 1969; LAG Hamm v. 25.10. 2000 – 4 Sa 821/00, DZWIR 2001, 245; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 137 m.w.N.; vgl. hierzu im Einzelnen unter Rz. 19 ff. 2 Zum Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage und der Einbeziehung weiterer Beendigungstatbestände vgl. Rz. 19 ff. 3 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969.
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Teil 12 Rz. 434
Kündigungsschutzprozess
Entlassung die Fortzahlung seiner Vergütung wegen arbeitgeberseitigen Annahmeverzuges verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. 434
Anspruchsgrundlage für den Annahmeverzugslohn ist § 615 Satz 1 BGB. Die auf den Annahmeverzug nach Obsiegen im Kündigungsschutzprozess zugeschnittene Vorschrift des § 11 KSchG bestimmt demgegenüber lediglich, was der Arbeitnehmer sich auf seinen Verzugslohnanspruch anrechnen lassen muss und stellt damit eine Sonderregelung zu der allgemeinen Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 KSchG dar.1 Beide Regelungen sind im Wesentlichen inhaltlich identisch; abweichend von § 615 Satz 2 BGB sieht § 11 KSchG jedoch keine Anrechnung von ersparten Aufwendungen aufgrund unterbliebener Arbeitsleistung vor und nimmt die Anrechnung öffentlich-rechtlicher Leistungen ausdrücklich in den Gesetzestext auf.
435
Die im Vergleich zu § 615 Satz 2 BGB günstigere Anrechnungsregelung des § 11 KSchG findet dann Anwendung, wenn „nach der Entscheidung des Gerichtes das Arbeitsverhältnis fortbesteht“, wenn also festgestellt wurde, dass das Arbeitsverhältnis durch die arbeitgeberseitige Kündigung nicht aufgelöst wurde. Diesem Sachverhalt gleichzustellen ist der Fall, dass der Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer vor Erlass eines Urteils im Kündigungsschutzprozess die Kündigung „zurücknimmt“ und den Arbeitnehmer weiterbeschäftigt2, da hiermit konkludent anerkannt wird, dass die Kündigung rechtsunwirksam und das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden ist.3 Auf den gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich, in dem die Parteien sich nach einer Kündigung auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses einigen, findet § 11 KSchG lediglich dann entsprechende Anwendung, wenn sich im Wege der Auslegung ergibt, dass das Arbeitsverhältnis rückwirkend wiederhergestellt werden und nicht lediglich eine erneute Begründung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft vereinbart werden sollte.4
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§ 11 KSchG gilt nur für die Zeit zwischen der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses („Entlassung“), die i.d.R. mit dem Ablauf der Kündigungsfrist bzw. – im Falle der fristlosen Kündigung – dem Kündigungszugang eintritt, und der Wiederaufnahme der Arbeit durch den Arbeitnehmer, sog. Nachzahlungszeitraum. Gerät der Arbeitgeber vor dem Beendigungszeitpunkt mit der Annahme der angebotenen Arbeitsleistung in Verzug, greift die allgemeine Anrechnungsregelung des § 615 Satz 2 BGB ein.5
437
Überhaupt kein Annahmeverzug liegt vor, wenn der Arbeitnehmer nach dem vorgesehenen Kündigungstermin weiterbeschäftigt wird, sei es aufgrund eines betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG, sei es aufgrund des von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs oder aufgrund einer vertraglich vereinbarten bzw. vom Arbeitgeber angebotenen Fortsetzung der Beschäftigung. 1 2 3 4 5
BAG v. 6.9.1990 – 2 AZR 165/90, AP Nr. 47 zu § 615 BGB. BAG v. 17.4.1986 – 2 AZR 308/85, AP Nr. 40 zu § 615 BGB. Vgl. auch BAG v. 26.7.1995 – 2 AZR 665/94, RzK I 13 b Nr. 27. APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 44. KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 9.
1042
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Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 438 Teil 12
Dem Arbeitnehmer steht in diesen Fällen ein Anspruch auf Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung nach § 611 BGB zu, der unabhängig vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits und von einer etwaigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses über §§ 9, 10 KSchG zu gewähren ist.1 2. Voraussetzungen des § 615 BGB a) Anspruchsentstehung aa) Ordnungsgemäßes Leistungsangebot Voraussetzung für eine Fortzahlung der Vergütung nach dem Entlassungszeitpunkt ist gemäß § 615 Satz 1 BGB, dass der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten ist, §§ 293 ff. BGB. Dazu muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zunächst ordnungsgemäß angeboten haben. Grds. ist hierfür gemäß § 294 BGB ein tatsächliches Arbeitsangebot erforderlich, d.h. der Arbeitnehmer muss zur vereinbarten Arbeitszeit am Arbeitsort erscheinen und sich zur Erbringung der geschuldeten Leistung zur Verfügung stellen. Ausnahmsweise reicht bereits ein wörtliches Angebot i.S.d. § 295 BGB aus, wenn die Bewirkung der Leistung eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers voraussetzt oder wenn der Arbeitgeber von vornherein erklärt, er werde die Arbeitsleistung nicht annehmen. Nach der älteren Rechtsprechung des BAG war eine solche Annahmeverweigerung konkludent bereits in dem Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber enthalten; das danach regelmäßig erforderliche wörtliche Arbeitsangebot sollte – ebenfalls konkludent – in der Erhebung der Kündigungsschutzklage zu sehen sein.2 Mittlerweile hält das BAG auch ein wörtliches Arbeitsangebot durch den Arbeitnehmer nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung nicht mehr für erforderlich. Denn nach seiner neueren Rechtsprechung stellt die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm Arbeit zuzuweisen, eine kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung i.S.d. § 296 BGB dar mit der Folge, dass ein Arbeitsangebot des Arbeitnehmers überflüssig ist, wenn der Arbeitgeber diesen Obliegenheiten nicht rechtzeitig nachkommt.3 Will der Arbeitgeber trotz der (sozialwidrigen) Kündigung nicht automatisch in Annahmeverzug geraten, muss er deshalb den gekündigten Arbeitnehmer für die Zeit nach dem Kündigungstermin rechtzeitig zur Arbeitsleistung auffordern.4
1 APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 4; KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 6. 2 BAG v. 21.5.1981 – 2 AZR 95/79, AP Nr. 32 zu § 615 BGB; v. 16.6.1976 – 3 AZR 36/75, AP Nr. 57 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; v. 10.4.1963 – 4 AZR 95/62, AP Nr. 23 zu § 615 BGB. 3 BAG v. 19.1.1999 – 9 AZR 679/97, AP Nr. 79 zu § 615 BGB; v. 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, AP Nr. 60 zu § 615 BGB; v. 24.10.1991 – 2 AZR 112/91, AP Nr. 50 zu § 615 BGB. 4 BAG v. 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, AP Nr. 45 zu § 615 BGB.
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Teil 12 Rz. 439
Kündigungsschutzprozess
bb) Leistungswilligkeit und -fähigkeit 439
Weitere Voraussetzung für den Annahmeverzug nach § 615 Satz 1 BGB ist die Leistungswilligkeit und die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt des Leistungsangebots bzw. der für die Mitwirkungshandlung nach § 296 BGB bestimmten Zeit, § 297 BGB.
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Leistungswillig ist der Arbeitnehmer, wenn er bereit ist, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.1 Der Entbehrlichkeit eines Arbeitsangebots durch den Arbeitnehmer nach arbeitgeberseitiger Kündigung (§ 296 BGB) entspricht es dabei, dass die Leistungswilligkeit nicht unbedingt die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur sofortigen Leistung voraussetzt; nach der Rechtsprechung genügt es vielmehr, wenn geleistet werden kann, sobald der Arbeitgeber zur Annahme oder sonstigen Mitwirkung gemäß § 296 BGB bereit ist.2
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Von einer den Annahmeverzugsanspruch ausschließenden Leistungsunwilligkeit wird demgemäss nur in Ausnahmefällen auszugehen sein. So ist fehlende Arbeitsbereitschaft etwa nicht schon allein deshalb anzunehmen, weil der Arbeitnehmer selbst unwirksam gekündigt hat, sofern die Arbeitsbereitschaft später dem Arbeitgeber gegenüber ausdrücklich bekundet wird oder von diesem aus einer entsprechenden Feststellungsklage des Arbeitnehmers entnommen werden kann.3 Auch die Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung führt nicht in jedem Falle zum Entfallen des Annahmeverzugsanspruchs, es sei denn, der fehlende Leistungswille steht zu diesem Zeitpunkt bereits definitiv fest.4
442
Der Arbeitnehmer muss zudem leistungsfähig, also tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Daran fehlt es insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist.5 Aufgrund der Bestimmung des § 297 BGB steht dem Arbeitnehmer für krankheitsbedingte Ausfallzeiten innerhalb des Annahmeverzugszeitraums lediglich ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach EFZG, nicht aber ein Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn zu. Der Ausschluss des Verzugsanspruchs gilt auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer wegen einer Alkoholabhängigkeit nicht zu der im Arbeitsvertrag vereinbarten Leistung eingesetzt werden kann.6 Nicht in Annahmeverzug gerät der Arbeitgeber auch dann, wenn ein Schwerbehinderter oder der einem solchen Gleichgestellte gesundheitlich außerstande ist, die arbeitsvertragliche Leistung zu erbringen, da hier ebenfalls ein nach § 297 BGB zu beurteilendes Unvermögen zur Arbeitsleistung vorliegt.7
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BAG v. 6.11.1986 – 2 AZR 744/85, RzK I 13 b Nr. 4. BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 552/94, RzK I 13 b Nr. 25. BAG v. 21.11.1996 – 2 AZR 660/95 (n.v.). BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 552/94, RzK I 13 b Nr. 25; v. 26.7.1995 – 2 AZR 655/94, RzK I 13 b Nr. 27. 5 BAG v. 29.10.1998 – 2 AZR 666/97, AP Nr. 77 zu § 615 BGB; v. 24.2.1981 – 6 AZR 334/78 (n.v.). 6 LAG Kiel v. 28.11.1988 – 4 Sa 382/88, LAGE § 615 BGB Nr. 17. 7 BAG v. 23.1.2001 – 9 AZR 287/99, EzA § 615 BGB Nr. 103.
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Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 445 Teil 12
Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, wonach aus gesundheitlichen Gründen ein Arbeitsplatzwechsel lediglich empfohlen wird, kann dagegen hieraus allein noch nicht auf die fehlende Leistungsfähigkeit des (leistungswilligen) Arbeitnehmers geschlossen werden. Denn da es keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, ist ein solches Attest i.d.R. nicht geeignet, eine in der Person des Arbeitnehmers bestehende Unmöglichkeit zur Arbeitsleistung im Sinne von § 297 BGB zu begründen.1 Zu beachten ist im Übrigen, dass die Darlegungsund Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers, im Annahmeverzugszeitraum die Arbeitsleistung zu erbringen, der Arbeitgeber trägt. Dazu reicht es allerdings aus, dass er Indizien vorträgt, aus welchen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann. In Betracht kommen insoweit insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Bestreitet er die vom Arbeitgeber vorgetragenen Indizien nicht, so gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Zum Zwecke des Nachweises der Leistungsunfähigkeit kann der Arbeitgeber ein Sachverständigengutachten einholen. Ein solches ist nicht deshalb unzulässig, weil es auf keiner gesicherten Tatsachenerkenntnis des Arbeitgebers, sondern auf dessen Vermutungen beruht. Der Arbeitgeber kann regelmäßig gar nicht beurteilen, ob der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsfähig ist. Eine Partei, die keine näheren Einblicke in dem Gegner bekannte Geschehensabläufe hat und deren Beweisführung deshalb erschwert ist, kann auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen.2
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Über den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hinaus scheiden Ansprüche aus Annahmeverzug auch in den Fällen aus, in denen gesetzliche Beschäftigungsverbote zum Tragen kommen, etwa bei Entzug der Fahrerlaubnis eines Berufskraftfahrers3, bei Fehlen einer erforderlichen Berufsausübungserlaubnis4 oder des Nichtvorliegens einer für die Tätigkeit des ausländischen Arbeitnehmers vorausgesetzten Arbeitserlaubnis.5
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Auch für die Dauer des Urlaubs oder während einer aus anderen Gründen erfolgten rechtswirksamen Freistellung von der Arbeit kann der Arbeitgeber grds. nicht in Annahmeverzug geraten.6 Dies gilt jedenfalls dann, wenn in einem Kündigungsschutzprozess ein rechtswirksamer Vergleich abgeschlossen worden ist, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund fristgemäßer arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Ende finden soll und wonach der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Bezüge bis zum vereinbarten Beendigungszeitpunkt von der Arbeitsleistung freigestellt worden ist
445
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BAG v. 17.2.1998 – 9 AZR 130/97, AP Nr. 27 zu § 618 BGB. BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02, SAE 2004, 202. BAG v. 18.12.1986 – 2 AZR 34/86, AP Nr. 2 zu § 297 BGB. BAG v. 31.8.1988 – 7 AZR 525/87, RzK I 13 a Nr. 30; v. 6.4.1974 – 5 AZR 313/73, DB 1974, 1168. 5 BAG v. 27.2.1990 – 2 AZR 359/89, AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung. 6 BAG v. 23.1.2001 – 9 AZR 26/00, AP Nr. 93 zu § 615 BGB.
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Teil 12 Rz. 446
Kündigungsschutzprozess
und während der Freistellung arbeitsunfähig erkrankt.1 Von einem Fortbestehen des Anspruchs auf Arbeitsvergütung i.S.v. § 297 BGB unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers und über die sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht hinaus ist auch bei dauernder unwiderruflicher Freistellung von der Arbeitspflicht nur dann auszugehen, wenn dies von den Parteien ausdrücklich vereinbart worden ist.2 Aus einem Aufenthalt im Ausland nach unwirksamer Kündigung lässt sich dagegen nicht folgern, der Arbeitnehmer sei gegenüber seinem Arbeitgeber nicht leistungswillig, sofern er jederzeit erreichbar und zur Rückkehr in der Lage ist.3 446
Berücksichtigt werden muss, dass sich die Beurteilung der Leistungsfähigkeit in allen Fällen allein nach objektiven Gesichtspunkten richtet. So kann ein objektiv fehlendes Leistungsvermögen wegen Krankheit nicht etwa durch die rein subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers ersetzt werden, er sei trotz der aus medizinischer Sicht bestehenden Leistungsunfähigkeit gesundheitlich in der Lage, einen Arbeitsversuch zu unternehmen.4
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Die Wiederherstellung der zunächst fehlenden Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers innerhalb des für den Annahmeverzug maßgeblichen Zeitraums konnte nach früherer BAG-Rechtsprechung nur dann einen (nachträglichen) Annahmeverzug begründen, wenn der Arbeitnehmer das Ende seiner Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber mitteilte und ihn aufforderte, ihm erneut Arbeit zuzuweisen.5 Diese Rechtsprechung ist in neueren Entscheidungen ausdrücklich aufgegeben worden. Das BAG geht nunmehr davon aus, dass, sofern der Arbeitnehmer durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder sonstigen Widerspruch gegen die unwirksame Arbeitgeberkündigung seine Leistungsbereitschaft hinreichend deutlich gemacht hat, die Annahmeverzugsfolgen auch unabhängig von einer Anzeige des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber über das Ende seiner Leistungsunfähigkeit eintreten.6 Dies soll sowohl den Fall betreffen, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der – später für unwirksam erklärten – Kündigung und danach mehrfach befristet arbeitsunfähig erkrankt war7 als auch den Fall, dass zum Kündigungszeitpunkt eine auf unabsehbare Zeit bestehende Arbeitsunfähigkeit vorlag.8
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Die Auffassung des BAG führt zu dem teilweise kritisierten Ergebnis9, dass es für das Vorliegen des Annahmeverzugsanspruchs nach unwirksamer Arbeitgeberkündigung und nachfolgender Erhebung einer Kündigungsschutzklage nur noch darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer objektiv arbeitsfähig war oder nicht. Dennoch dürfte die dargelegte Rechtsprechung zutreffend sein. 1 BAG v. 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, NJW 2008, 1550. 2 Vgl. BAG v. 29.9.2004 – 5 AZR 99/04, NZA 2005, 104; Geyer/Knorr/Krasney Entgeltfortzahlung Krankengeld Mutterschaftsgeld Stand August 2007 § 3 EFZG Rz. 45. 3 BAG v. 6.11.1986 – 2 AZR 714/85, RzK I 13 a Nr. 14. 4 BAG v. 29.10.1998 – 2 AZR 666/97, AP Nr. 77 zu § 615 BGB. 5 BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 374/83, AP Nr. 34 zu § 615 BGB. 6 BAG v. 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, AP Nr. 45 zu § 615 BGB. 7 BAG v. 24.10.1991 – 2 AZR 112/91, AP Nr. 50 zu § 615 BGB. 8 BAG v. 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, AP Nr. 60 zu § 615 BGB. 9 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 11 KSchG Rz. 16; Kaiser, Anm. zu AP Nr. 53 zu § 615 BGB.
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Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 451 Teil 12
Denn weder spricht die für die genannten Fälle anwendbare Regelung des § 296 BGB davon, dass für die vom Gläubiger vorzunehmende Mitwirkungshandlung (hier: Zuweisung der Arbeit) entsprechende Anhaltspunkte zur Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers vorhanden sein müssen, noch ist es einzusehen, warum der Arbeitgeber, der im Normalfall der unwirksamen Kündigung zur Nachzahlung der Vergütung nach § 615 BGB verpflichtet ist, daraus einen Vorteil ziehen sollte, dass der Arbeitnehmer zufällig zur Zeit der Kündigung arbeitsunfähig war.1 cc) Nichtannahme der Leistung und Zumutbarkeit Schließlich setzt § 615 Satz 1 BGB die Nichtannahme der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber voraus. Von einer fehlenden Annahme ist dabei nicht nur dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsangebot insgesamt ablehnt bzw. seine nach § 296 BGB erforderliche Mitwirkungshandlung komplett verweigert, sondern auch bereits dann, wenn er dem Arbeitnehmer eine andere als die vertraglich geschuldete Tätigkeit zuweist2 oder die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zwar annimmt, dafür aber nicht die geschuldete Arbeitsvergütung erbringen will, § 298 BGB. Ein Verschulden an der Nichtannahme der Leistung ist nicht erforderlich.3
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Auch bei einer Nichtannahme des Arbeitsangebots durch den Arbeitgeber tritt aber ausnahmsweise dann kein Verzug ein, wenn diesem die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht zugemutet werden kann. Zu beachten ist, dass hierfür nicht schon ein Verhalten des Arbeitnehmers ausreicht, das zu einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) berechtigen würde. Vielmehr ist erforderlich, dass ein besonders grober Vertragsverstoß vorliegt, durch den Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer, deren Schutz Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat, gefährdet sind.4 Letzteres ist etwa für den Fall anzunehmen, dass der dringende Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Kleinkindern in einer Kindertagesstätte durch einen Erzieher besteht.5
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b) Anspruchsende: Erfordernis der Arbeitsaufforderung durch Arbeitgeber Der Annahmeverzug endet, sobald eine der für seine Annahme erforderlichen Voraussetzungen wegfällt. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn auf Seiten des Arbeitnehmers keine Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft mehr besteht, weil dann gemäß § 297 BGB kein ordnungsgemäßes Leistungsangebot vorliegt. Auch die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den in der (unwirksamen) Kündigung festgelegten Kündigungstermin hinaus, etwa aufgrund eines betriebsverfassungsrechtlichen oder allgemeinen Weiterbeschäfti1 2 3 4
BAG v. 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, AP Nr. 60 zu § 615 BGB. BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 584/93, AP Nr. 32 zu § 2 KSchG 1969. MüKo/Schaub, § 615 BGB Rz. 30. BAG v. 1.7.1993 – 2 AZR 88/93, RzK I 13 b Nr. 21; v. 29.10.1987 – 2 AZR 144/87, NZA 1988, 465. 5 LAG Berlin v. 27.11.1995 – 9 Sa 85/95, LAGE § 615 BGB Nr. 46.
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Teil 12 Rz. 452
Kündigungsschutzprozess
gungsanspruchs oder aufgrund entsprechender vertraglicher Vereinbarung führt zu einem Wegfall der für den Annahmeverzug erforderlichen Voraussetzungen.1 Unabhängig von einer tatsächlichen Beschäftigung entfallen zudem die Voraussetzungen des Annahmeverzugs immer dann, wenn der Arbeitgeber sich bereit erklärt, den Arbeitnehmer vertragsgemäß weiterzubeschäftigen und ihm eine entsprechende Arbeit zuweist. Die Notwendigkeit einer solchen Arbeitszuweisung für die Beendigung des Annahmeverzugs besteht auch dann, wenn nach Rechtskraft des obsiegenden Kündigungsschutzurteils feststeht, dass das gekündigte Arbeitsverhältnis fortbesteht. Der Arbeitnehmer braucht also nach Abschluss des Verfahrens seine Arbeitskraft nicht von sich aus anzubieten, sondern kann abwarten, bis der Arbeitgeber ihn zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auffordert.2 452
Umstritten ist, ob der Annahmeverzug auch dadurch beendet wird, dass der Arbeitgeber zur Vermeidung von Verzugslohn dem Arbeitnehmer eine auf die Dauer des Kündigungsschutzprozesses befristete Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen anbietet und dieser das Angebot ablehnt.3 Das BAG verneint dies zu Recht mit dem Hinweis, dass die Arbeitsleistung in diesem Fall nicht als Erfüllung des mit dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrags entgegengenommen werden solle und der Arbeitgeber sich daher auch weiterhin gemäß § 293 BGB mit der Annahme der Leistung in Verzug befinde.4 Enden kann der Annahmeverzug des Arbeitgebers dementsprechend nur dann, wenn dieser mit dem Angebot der Weiterbeschäftigung auch klarstellt, dass er zu Unrecht gekündigt hat und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung als Erfüllung des fortbestehenden Arbeitsvertrags annimmt.5 Im Falle der Ablehnung einer nur befristet angebotenen Weiterbeschäftigung muss sich der Arbeitnehmer jedoch unter Umständen die Anrechnung eines sog. hypothetischen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB gefallen lassen, sofern darin im Einzelfall das böswillige Unterlassen eines Zwischenerwerbs zu sehen ist.6 Die Frage, ob das Unterlassen einer dem Arbeitnehmer von seinem bisherigen Arbeitgeber angebotenen befristeten Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als böswillig anzusehen ist, hängt dabei in erster Linie von der Art der Kündigung und ihrer Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsprozess ab. Handelt es sich um eine betriebsbedingte Kündigung, so ist dem Arbeitnehmer die vorläufige Weiterbeschäftigung in der Regel zumutbar und ihr Unterlassen böswillig i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 BGB. Wird dagegen eine Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt, so spricht dieser Umstand eher für die Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterarbeit für den Arbeitnehmer im Betrieb. 1 APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 4. 2 BAG v. 19.1.1999 – 9 AZR 679/97, NZA 1999, 925; v. 19.9.1991 – 2 AZR 619/90, RzK I 13 b Nr. 18. 3 Dafür: Löwisch/Spinner, § 4 KSchG Rz. 130; MüKo/Schaub, § 615 BGB Rz. 37. 4 BAG v. v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, AP Nr. 98 zu § 615 BGB; 6.11.1986 – 2 AZR 714/85, RzK I 13 a Nr. 14; v. 14.11.1985 – 2 AZR 98/84, AP Nr. 39 zu § 615 BGB. 5 Vgl. vorhergehende Fn; so auch KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 8; ErfK/Kiel, § 11 KSchG Rz. 14. 6 BAG v. 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969.
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Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 456 Teil 12
Auch Art und Schwere der gegenüber dem Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe können für ihn bereits die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit begründen.1
" Praxistipp: Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn wird nicht dadurch
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Auch der erfolglose Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG führt nicht zu einer Beendigung des Annahmeverzugs. Denn es würde zu einer bedenklichen Beschränkung der dort normierten Auflösungsmöglichkeit führen, wenn der Arbeitnehmer auch für den Fall, dass das Gericht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für zumutbar ansieht, ohne weiteres mit dem Verlust des Anspruchs aus Annahmeverzug rechnen müsste.3
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ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs ein anderes Arbeitsverhältnis aufnimmt. Denn hierzu ist er gemäß § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB ja gerade verpflichtet. Der anderweitig erworbene Verdienst wird aber entsprechend den genannten Regelungen auf den Anspruch aus § 615 Satz 1 BGB angerechnet.2
c) Tarifliche Verfallfristen und Verjährung Der Anspruch auf Nachzahlung der arbeitsvertraglichen Vergütung aus Annahmeverzug unterliegt – nicht anders als der entsprechende Entgeltanspruch auch – der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Zu beachten ist dabei, dass die Erhebung der Kündigungsschutzklage aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände von Kündigungsschutz- und Zahlungsklage die Verjährung weder zu einer Unterbrechung noch zu einer Hemmung des Nachzahlungsanspruchs führt4, so dass dieser rechtzeitig in Form einer gesonderten bzw. mit der Kündigungsschutzklage im Wege der objektiven Klagehäufung verbundenen Zahlungsklage geltend gemacht werden muss.
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Ob etwaige für die Geltendmachung des Annahmeverzugsanspruchs tariflich oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehene Ausschlussfristen durch Einleitung des Kündigungsschutzverfahrens gewahrt werden können, hängt von der Art der Verfallklausel ab.5 Schreibt diese vor, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich oder formlos geltend zu machen sind, reicht hierzu regelmäßig bereits die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage aus.6 Wird demgegenüber von vornherein oder – wie bei der zweistufigen Ausschlussfrist – nach vorheriger schriftlicher Geltendmachung die gerichtliche Geltendmachung vorausgesetzt, kann
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1 BAG v. v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, AP Nr. 98 zu § 615 BGB. 2 Vgl. BAG v. 19.9.1991 – 2 AZR 619/90, RzK I 13 b Nr. 18. 3 BAG v. 19.9.1991 – 2 AZR 619/90, RzK I 13 b Nr. 18; v. 18.1.1963 – 5 AZR 200/62, DB 1963, 554. 4 BAG v. 7.11.1991 – 2 AZR 159/91, NZA 1992, 1025; v. 29.5.1961 – 5 AZR 162/59, AP Nr. 2 zu § 209 BGB; v. 1.2.1960 – 5 AZR 20/58, AP Nr. 1 zu § 209 BGB mit Anm. v. Hueck; APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 37; ErfK/Kiel, § 4 KSchG Rz. 40. 5 Vgl. hierzu ausführlich A.I.1. Rz. 13–17 in diesem Teil; vgl. auch Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 sowie Löwisch, FS Canaris zum 70. Geburtstag, 1403. 6 BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02, DB 2004, 439; v. 7.11.1991 – 2 AZR 34/91, AP Nr. 114 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; v. 9.8.1990 – 2 AZR 579/89, DB 1991, 498; ebenso ErfK/ Kiel, § 4 KSchG Rz. 41.
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Teil 12 Rz. 457
Kündigungsschutzprozess
die tarifliche Frist nur durch eine entsprechende (fristgerechte) Zahlungsklage gewahrt werden.1 Der Arbeitnehmer muss in diesem Falle seinen Annahmeverzugslohn gesondert vor Gericht geltend machen (hierzu sowie zur Verjährungsunterbrechung vgl. ausführlicher unter Rz. 8 ff.). Dies gilt auch dann, wenn in einer zweistufigen Ausschlussfrist in Stufe 2 für den Arbeitgeber vorgesehen ist, dass dieser einen Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers schriftlich ablehnen muss, bevor der Arbeitnehmer diesen im Klagewege geltend machen kann und der Arbeitgeber keine ausdrückliche schriftliche Ablehnungserklärung abgegeben hat, sondern in einem laufenden Kündigungsschutzprozess lediglich fristwahrend Klageabweisung beantragt hat. Ein solcher Klageabweisungsantrag stellt eine schriftliche Ablehnung der mit einer Kündigungsschutzklage vom Arbeitnehmer geltend gemachten Vergütungsansprüche dar.2 3. Anrechnung von Zwischenverdienst a) Tatsächlicher Zwischenverdienst 457
Nach § 615 Satz 2 BGB, § 11 Nr. 1 KSchG muss der Arbeitnehmer sich auf das für die Zeit nach seiner Entlassung geschuldete Arbeitsentgelt nach § 615 Satz 1 BGB den Wert dessen anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat. Die Anrechnung setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer der anderweitige Verdienst gerade durch Einsatz seiner aufgrund der ungerechtfertigten Entlassung frei werdenden Arbeitskraft erst ermöglicht worden ist, das Freiwerden der Arbeitskraft also kausal für die Erzielung des Zwischenverdienstes war.3 Insbesondere der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer muss sich deshalb nicht jeden im Verzugszeitraum anderweit erzielten Verdienst anrechnen lassen. Die im Rahmen einer anderweitigen Teilzeitbeschäftigung erworbenen Vergütungsansprüche sind vielmehr nur dann zu anspruchsmindernd berücksichtigen, wenn sich aus subjektiven oder objektiven Umständen ergibt, dass der Arbeitnehmer nicht beide Teilzeitbeschäftigungen (seine bisherige sowie die nach der Entlassung wahrgenommene) nebeneinander ausgeübt hätte.4
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Welcher Art die Ersatztätigkeit ist, spielt für die Anrechnungsfähigkeit des anderweitigen Verdienstes keine Rolle. Unter § 11 Nr. 1 KSchG fallen daher neben dem in einem Arbeitsverhältnis erworbenen Zwischenverdienst auch die Einnahmen, die der Arbeitnehmer als freier Mitarbeiter oder in selbständiger Tätigkeit erzielt5, nicht jedoch die aus einer lediglich kapitalmäßigen Unternehmensbeteiligung ohne eigenen Arbeitseinsatz gewonnenen Einkünfte.6 1 BAG v. 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NJW 2006, 2653 unter Bestätigung von BAG v. 20.3. 1986 – 2 AZR 295/85 – EzA BGB § 615 Nr. 48 zu B II 2b der Gründe und unter Aufgabe von BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 510/00 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 145; v. 8.8.2000 – 9 AZR 418/99, DB 2001, 436 m.w.N. 2 BAG v. 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NJW 2006, 2653 unter Aufgabe von BAG v. 11.12. 2001 – 9 AZR 510/00 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 145 und unter Bestätigung von BAG v. 20.3.1986 – 2 AZR 295/85 – EzA BGB § 615 Nr. 48 zu B II 2b der Gründe. 3 BAG v. 6.9.1990 – 2 AZR 165/90, AP Nr. 47 zu § 615 BGB; KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 34; ErfK/Kiel, § 11 KSchG Rz. 6; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 11 KSchG Rz. 27. 4 BAG v. 6.9.1990 – 2 AZR 165/90, AP Nr. 47 zu § 615 BGB. 5 APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 18; Löwisch/Spinner, § 11 KSchG Rz. 8. 6 KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 35.
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Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 462 Teil 12
" Praxistipp: Die anderweitige Vergütung ist nach ständiger Rechtsprechung
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Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen und die Höhe der anzurechnenden Zwischenverdienste obliegt dem Arbeitgeber.3 Zur Milderung dieser Last steht ihm in entsprechender Anwendung des § 74c Abs. 2 HGB gegenüber dem Arbeitnehmer ein gesondert einklagbarer Anspruch auf Auskunft über die Höhe des während des Verzugszeitraums erzielten anderweitigen Verdienstes sowie – im Falle der begründeten Annahme, dass diese nur unvollständig erteilt wurde – auf Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung zu.4 Sofern der Annahmeverzug zur Zeit der Entscheidung über eine Vergütungsklage des Arbeitnehmers noch andauert, ist der Arbeitgeber allerdings darauf beschränkt, Auskunft über die Höhe des anderweitigen Verdienstes aus den Zeitabschnitten verlangen, für die der Arbeitnehmer fortlaufend seit Beginn des Annahmeverzugs Entgelt geltend gemacht hat. Zur Auskunft über den in späteren als den bisher eingeklagten Zeitabschnitten erworbenen oder noch zu erwerbenden anderweitigen Verdienst ist der Arbeitnehmer dagegen nicht verpflichtet.5
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" Praxistipp: Solange der Arbeitnehmer die berechtigterweise eingeforderte
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des BAG1 auf die gesamte Dauer des Annahmeverzugs und nicht nur auf die Vergütung für den Zeitabschnitt anzurechnen, in dem der Arbeitnehmer seine Dienste anderweitig verwendet hat. Nur auf diese Weise wird der Zweck des § 11 KSchG erreicht, wonach der Arbeitnehmer aus der anderweitigen Verwendung seiner Dienste keinen Gewinn auf Kosten des Arbeitgebers erzielen können soll.2
Auskunft nicht erteilt, kann der Arbeitgeber für den gesamten Annahmeverzugszeitraum die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern. Die Klage des Arbeitnehmers ist dann als zur Zeit unbegründet abzuweisen.6 Für den Fall, dass der Arbeitgeber erst nach seiner rechtskräftigen Verurteilung auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für einen bestimmten Zeitraum von einem anrechenbaren Verdienst des Arbeitnehmers erfährt, ist er durch das rechtskräftige Urteil nicht gehindert, den überzahlten Betrag nach § 812 BGB zurückzufordern bzw. bei der Endabrechnung über die restliche Zeit des Annahmeverzugs zur Anrechnung zu bringen.7
b) Fiktiver Zwischenverdienst (böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs, Rückkehraufforderung des Arbeitgebers, Widerspruch bei § 613a BGB) Nach § 11 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer zudem anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, 1 So z.B. BAG v. 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, AP Nr. 1 zu § 615 BGB; v. 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB. 2 Vgl. auch APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 19. 3 BAG v. 19.2.1997 – 5 AZR 379/94 (n.v.). 4 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB. 5 BAG v. 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, AP Nr. 1 zu § 615 BGB Anrechnung. 6 BAG v. 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, AP Nr. 1 zu § 615 BGB Anrechnung; v. 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB. 7 BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB.
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1051
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Teil 12 Rz. 463
Kündigungsschutzprozess
ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (sog. hypothetischer Zwischenverdienst). Trotz der ausdrücklich als Anrechnungsvoraussetzung normierten Zumutbarkeit der anderweitigen Beschäftigung besteht sachlich kein Unterschied zu der Regelung des § 615 Satz 2 BGB, da auch dort unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB zu prüfen ist, ob die Aufnahme eines Zwischenverdienstes zumutbar ist.1 463
Böswillig i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG handelt der Arbeitnehmer dann, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände (Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit, nachteilige Folgen für den Arbeitgeber) grundlos zumutbare Arbeit ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm zumutbare Arbeit angeboten wird.2 Eine Schädigungsabsicht ist hierzu nicht erforderlich; es genügt das vorsätzliche Außerachtlassen einer dem Arbeitnehmer bekannten Gelegenheit zu einer ihm zumutbaren Erwerbsarbeit.3
464
Welche Tätigkeit für den Arbeitnehmer zumutbar ist mit der Folge, dass ihr Unterlassen als böswillig anzusehen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu beachten ist, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich der Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung jedenfalls zu besonderen Anstrengungen regelmäßig nicht verpflichtet ist, da erst die (unrechtmäßige) Kündigung des Arbeitgebers ihn ja überhaupt in diese Situation gebracht hat.4 Dementsprechend besteht nach zutreffender Rechtsprechung des BAG keine Obliegenheit des Arbeitnehmers, sich bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender zu melden.5 Denn vom Arbeitnehmer kann nicht verlangt werden, dass er zugunsten des vertragswidrig handelnden Arbeitgebers Bemühungen zur Vermittlung eines anderweitigen Arbeitsplatzes unternimmt. Will der Arbeitgeber einen Annahmeverzug verhindern, muss er deshalb selbst tätig werden, etwa durch das Angebot, den Arbeitnehmer in seinem Betrieb bis zum Abschluss des Kündigungsschutzprozesses vorläufig weiterzubeschäftigen oder indem er den Arbeitnehmer über konkrete Stellenangebote informiert.
465
Ohnehin wird es auch bei Anwendung der gegenteiligen Auffassung kaum jemals zur Anrechnung eines hypothetischen Zwischenverdienstes kommen, da der hinsichtlich des böswilligen Unterlassens eines anderweitigen Verdienstes darlegungs- und beweispflichtige Arbeitgeber i.d.R. nicht nachweisen können wird, dass der Arbeitnehmer durch die Vermittlung der Agentur für Arbeit eine zumutbare Beschäftigung hätte erlangen können.6 1 BAG v. 11.10.2006 – AZR 754/05, NJW 2007, 2060; KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 39; ErfK/Kiel, § 11 KSchG Rz. 7; APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 21. 2 BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, AP Nr. 98 zu § 615 BGB; v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750. 3 BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, NZA 2006, 314; v. 16.5.2000 – 9 AZR 203/99, NZA 2001, 26. 4 Küttner/Griese, Personalbuch 2007, § 12 Rz. 17. 5 BAG v. 16.5.2000 – 9 AZR 203/99, NZA 2001, 26; v. 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969; LAG Rheinland-Pfalz v. 6.5.2005 – 11 Sa 741/04, NZA-RR 2005, 534; ebenso Küttner/Griese, Personalbuch 2007, § 12 Rz. 17; a.A. LAG Halle v. 12.8. 1998 – 5 (3) Sa 188/97 (n.v.); APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 23; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 11 KSchG Rz. 45; KR/Spilger, § 11 KSchG Rz. 40; ErfK/Kiel, § 11 KSchG Rz. 8. 6 Vgl. APS/Biebl, § 11 KSchG Rz. 23.
1052
Mues
Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug
Rz. 468 Teil 12
Demgegenüber kann die Anrechnung eines sogenannten hypothetischen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB beispielsweise dann in Betracht kommen, wenn die Möglichkeit einer zumutbaren Beschäftigung bei dem bisherigen Arbeitgeber besteht und der Arbeitnehmer dessen Angebot, die Arbeit jedenfalls vorläufig für die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits aufzunehmen, ablehnt.1 Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitnehmer einerseits die vorläufige Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen verlangt, andererseits aber das entsprechende Angebot des Arbeitgebers zurückweist.2 Die beschriebenen Verhaltensweisen sind regelmäßig als treuwidrig anzusehen und begründen damit ein böswilliges Unterlassen i.S.d. § 615 Satz 2 BGB. Ein Anrechnungstatbestand liegt allerdings dann nicht vor, wenn die Weiterbeschäftigung für den Arbeitnehmer ausnahmsweise unzumutbar ist, so z.B. aufgrund der Art und Schwere der im Zusammenhang mit der Kündigung gegen ihn erhobenen Vorwürfe oder aufgrund der Art der Kündigung.3 Auch handelt der Arbeitnehmer nicht böswillig, wenn er ein Urteil des Arbeitsgerichts, mit dem der Arbeitgeber verurteilt worden ist, den Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen, nicht vollstreckt.4 Bezieht der Arbeitnehmer jedoch während des Annahmerverzugs Arbeitslosengeld und unterlässt er zugleich böswillig eine ihm zumutbare Erwerbstätigkeit, hat eine proportionale Zuordnung der Anrechnung nach § 11 Satz 1 Nr. 2, 3 KSchG zu erfolgen.5
466
Im Falle des Betriebsübergangs nach § 613a BGB ist ein böswilliges Unterlassen des Erwerbs beim neuen Betriebsinhaber nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil der Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht wirksam ausgeübt hat. Stellt der Erwerber eine Weiterarbeit am selben Arbeitsplatz mit derselben Tätigkeit und zu denselben Arbeitsbedingungen in Aussicht, ist es dem Arbeitnehmer vielmehr zuzumuten, die angebotene Beschäftigung auch anzunehmen.6 Geschieht dies nicht, wird gemäß § 615 Satz 2 BGB der hypothetische Zwischenverdienst beim Betriebserwerber auf den gegenüber dem alten Betriebsinhaber bestehenden Annahmeverzugsanspruch angerechnet, so dass letzterer regelmäßig in vollem Umfang entfällt.
467
c) Besonderheit bei Vergleich im Kündigungsschutzprozess Die Parteien können sich im Wege des gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs rechtlich zulässig darauf einigen, dass sich der Arbeitnehmer auf seinen Vergütungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber aus dem Gesichtspunkt des 1 BAG v. 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, NZA 2000, 817; v. 14.11.1985 – 2 AZR 98/84, NZA 1986, 637. 2 LAG Köln v. 14.12.1995 – 6 Sa 933/95, AP Nr. 6 zu § 615 BGB Böswilligkeit. 3 Vgl. BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, AP Nr. 98 zu § 615 BGB; v. 14.11.1985 – 2 AZR 98/84, AP Nr. 39 zu § 615 BGB, wonach etwa eine verhaltensbedingte Kündigung eher für die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung spricht als eine krankheits- oder betriebsbedingte. 4 BAG v. 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969. 5 BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, NZA 2006, 314. 6 BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, AP Nr. 177 zu § 613a BGB.
Mues
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468
Teil 12 Rz. 469
Kündigungsschutzprozess
Annahmeverzuges nach § 615 Satz 1 BGB nicht gemäß § 11 Nr. 1 KSchG seinen bei einem anderen Arbeitgeber erzielten Verdienst anrechnen lassen muss.1 Eine solche Vereinbarung hat im Bestreitensfall der Arbeitnehmer nachzuweisen, da sie eine Ausnahme von der gesetzlichen Regelung der §§ 615 Satz 2 BGB, 11 Nr. 1 KSchG darstellt und der Arbeitnehmer grds. die Darlegungsund Beweislast für die Höhe des Arbeitsentgelts trägt.2 469
Umstritten ist in diesem Zusammenhang, inwieweit die vergleichsweise Vereinbarung, wonach der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt wird, zugleich als Verzicht des Arbeitgebers auf die Möglichkeit der Anrechnung anderweitiger Verdienste des Arbeitnehmers ausgelegt werden kann. So wird teilweise angenommen, die genannte Vereinbarung beinhalte in jedem Fall auch einen Ausschluss der Anrechnung anderweitigen Verdienstes.3 Diese Ansicht ist als zu weitgehend abzulehnen. Angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Anrechnungsvorschriften ist vielmehr davon auszugehen, dass bei Fehlen einer diesbezüglichen Vereinbarung ein Anrechnungsverzicht des Arbeitgebers nur anzunehmen ist, wenn weitere Umstände auf einen diesbezüglichen Willen der Parteien hindeuten4, zumindest aber die Parteien bei Vergleichsabschluss die Möglichkeit eines anderweitigen Erwerbs des Arbeitnehmers während des Freistellungszeitraums bereits bedacht und damit indirekt auch in die Vergleichsregelung mit einbezogen haben.5
III. Weiterbeschäftigungsanspruch 470
Das stattgebende Kündigungsschutzurteil hat auch Auswirkungen auf einen etwaigen arbeitnehmerseitig geltend gemachten (Weiter-)Beschäftigungsanspruch. Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang der vom Großen Senat des BAG entwickelte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch (dazu 1., Rz. 471 ff.), der Beschäftigungsanspruch aus § 611 BGB (dazu 2., Rz. 484) sowie der Weiterbeschäftigungsanspruch nach Widerspruch des Betriebsrats nach § 102 Abs. 5 BetrVG (dazu 3., Rz. 485 ff.).6
1 LAG Hamm v. 25.11.1996 – 17 Sa 1025/96, ZTR 1997, 236. 2 LAG Erfurt v. 21.11.2000 – 5 Sa 352/99, LAGE § 615 BGB Nr. 62; LAG Hamm v. 25.11. 1996 – 17 Sa 1025/96, ZTR 1997, 236. 3 LAG Hamm v. 27.2.1991 – 2 Sa 1289/90, DB 1991, 1577; LAG Köln v. 21.8.1991 – 7/5 Sa 385/91, NZA 1992, 123. 4 LAG Erfurt v. 21.11.2000 – 5 Sa 352/99, LAGE § 615 BGB Nr. 62. 5 LAG Erfurt v. 21.11.2000 – 5 Sa 352/99, LAGE § 615 BGB Nr. 62; LAG Hamm v. 11.10. 1996 – 10 Sa 104/96, LAGE § 615 BGB Nr. 49; LAG Stuttgart v. 21.6.1994 – 9 Sa 33/94, EzA § 615 BGB Nr. 87. 6 Ausführlich hierzu vgl. Nungeßer, A., Der Weiterbeschäftigungsanspruch, AR-Blattei SD 1805, 2008.
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Mues
Weiterbeschäftigungsanspruch
Rz. 472 Teil 12
1. Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch vor Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsurteils a) Interessenabwägung und Anspruchsentstehung Lange Zeit umstritten war, ob man dem Arbeitnehmer unabhängig von den Erfordernissen des gesetzlich vorgesehenen Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG unter bestimmten Voraussetzungen einen allgemeinen, auf dem Arbeitsvertrag beruhenden Anspruch auf Weiterbeschäftigung über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung hinaus zuerkennen sollte. Der Zweite Senat des BAG1 lehnte einen solchen Anspruch – abgesehen von dem Ausnahmefall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung – in der Vergangenheit grds. ab, im Gegensatz zu zahlreichen Instanzgerichten und Vertretern aus der Literatur2, die eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzverfahrens befürworteten. Auf entsprechende Vorlagebeschlüsse des Siebten3 und des Zweiten4 Senats hin hat sich schließlich der Große Senat des BAG der Fragestellung angenommen. In seiner Grundsatzentscheidung vom 27.2.19855 hat er dem gekündigten Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf (vorläufige) Weiterbeschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses zugebilligt unter der Voraussetzung, dass die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Hergeleitet hat das BAG den Weiterbeschäftigungsanspruch im Wesentlichen aus dem allgemein anerkannten, sich aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. dem allg. Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ergebenden Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses, der sich unter der genannten Voraussetzung über den Kündigungstermin hinweg für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens fortsetze.
471
Die Instanzgerichte sind dieser Entscheidung jedenfalls im Ergebnis überwiegend gefolgt6, wenn auch in Rechtsprechung und Literatur die dogmatische Begründung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs z.T. auf heftige Kritik gestoßen ist.7
472
1 BAG v. 26.5.1977 – 2 AZR 632/76, DB 1977, 2192. 2 LAG Mainz v. 28.3.1980 – 5 (6) Sa 653/79, NJW 1980, 2213; LAG Bremen v. 2.2.1982 – 4 Sa 392/81, DB 1982, 1278; Grunsky, NJW 1979, 86; Löwisch, DB 1978, Beilage Nr. 7; Richardi, JZ 1978, 485 (492). 3 BAG v. 21.12.1983 – 7 AZR 444/81, AP Nr. 10 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 4 BAG v. 29.3.1984 – 2 AZR 429/83, AP Nr. 12 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 5 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 6 So z.B. LAG Köln v. 6.2.1998 – 11 Sa 1044/97, LAGE § 284 BGB Nr. 1; v. 12.7.1994 – 10 Ta 132/94 (n.v.); LAG Frankfurt v. 30.9.1996 – 11 SaGa 1595/96 (n.v.); v. 11.3.1988 – 9 Ta 20/88, LAGE § 888 ZPO Nr. 16; LAG Hamm v. 17.1.1996 – 3 TaBV 61/95, LAGE § 25 BetrVG 1972 Nr. 4. 7 Vgl. LAG Niedersachsen v. 7.2.1986 – 3 Sa 101/85, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 4 KSchG Rz. 148 ff.
Mues
1055
Teil 12 Rz. 473
Kündigungsschutzprozess
473
Nicht anders als der Beschäftigungsanspruch ist auch der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen beider Arbeitsvertragsparteien abhängig. Er entsteht nur, wenn das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers das Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers im Einzelfall überwiegt.
474
Nach der Rechtsprechung des BAG begründet dabei die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses und die Tatsache, dass die tatsächliche Weiterbeschäftigung im Falle der Abweisung der Kündigungsschutzklage nicht mehr rückgängig zu machen ist, bis zum Erlass eines stattgebenden erstinstanzlichen Urteils im Kündigungsschutzprozess i.d.R. ein überwiegendes Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers.1 Dieses entfällt nur dann, wenn die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung offensichtlich unwirksam ist und damit objektiv eine Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht besteht, oder wenn der Arbeitnehmer besondere Gründe darlegen kann, die es rechtfertigen, die in der Regel geltende Interessenabwägung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers zu verändern.2 Voraussetzung für den erstgenannten Ausnahmefall ist, dass sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängt3, so beispielsweise, wenn eine Folgekündigung auf dieselben Gründe gestützt wird, die nach Auffassung des Arbeitsgerichts schon für die erste Kündigung nicht ausgereicht haben4, oder wenn die Kündigung ohne die erforderliche behördliche Zustimmung (z.B. nach § 85 SGB IX oder § 9 MuSchG) oder ohne die vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats (§§ 102 Abs. 1, 103 BetrVG) ausgesprochen worden ist. Besondere Gründe für ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung sind etwa dann anzunehmen, wenn das berufliche Ansehen des Arbeitnehmers oder die Erhaltung seiner beruflichen Fachkenntnisse und Fähigkeiten durch die Unterbrechung seiner Tätigkeit während des Kündigungsschutzprozesses ernsthaft beeinträchtigt würden.5
475
Die Interessenlage ändert sich, wenn dem Kündigungsschutzantrag in erster Instanz stattgegeben wird. Denn da in diesem Falle eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne des klagenden Arbeitnehmers eingetreten ist, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Vielmehr müssen zusätzliche Umstände hinzukommen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. In Betracht kommen dabei insbesondere solche Umstände, die auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber zur vorläufigen Suspendierung des Arbeit-
1 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 2 LAG Köln v. 26.11.1985 – 1 Sa 975/85, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 8. 3 BAG v. 19.12.1985 – 2 AZR 190/85, AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 4 BAG v. 19.12.1985 – 2 AZR 190/85, AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 5 BAG v. 8.4.1988 – 2 AZR 777/87, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung.
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Mues
Weiterbeschäftigungsanspruch
Rz. 479 Teil 12
nehmers berechtigen würden, wie z.B. der Verdacht des Verrats von Betriebsgeheimnissen durch den Arbeitnehmer.1 Fällt die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers aus und wird der Arbeitgeber vom Arbeitsgericht zur Weiterbeschäftigung verurteilt, ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits der Arbeitnehmer zu unveränderten Arbeitsbedingungen auf seinem alten Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.
476
Für die Vertragsparteien besteht im Falle einer solchen Entscheidung die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich unter der auflösenden Bedingung einer rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage fortzusetzen mit der Konsequenz, dass das Arbeitsverhältnis bis zur Rechtskraft des Kündigungsschutzurteils (bei Stattgabe auch darüber hinaus) fortbesteht und der Arbeitnehmer selbst bei Klageabweisung Anspruch auf die ihm nach seinem ursprünglichen Arbeitsvertrag zustehende Vergütung sowie auf die im Krankheitsfall vorgesehene gesetzliche Lohnfortzahlung hat.2 Wird der Arbeitnehmer hingegen nicht aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung, sondern lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung weiterbeschäftigt und besteht damit kein eigentlicher Rechtsgrund, steht dem Arbeitnehmer im Falle der später rechtskräftig festgestellten Wirksamkeit der Kündigung gegen den Arbeitgeber nur ein Anspruch auf Wertersatz in Höhe der üblichen Vergütung nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zu, §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., 818 Abs. 2 BGB; eine Entgeltfortzahlung wegen Urlaubs oder Krankheit scheidet aus, weil der Arbeitgeber insofern nicht bereichert ist.3 Das Vorliegen einer Weiterbeschäftigungsabrede ist vom Arbeitnehmer darzulegen und nachzuweisen.4
477
Zur Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs vgl. unter Rz. 161 ff. sowie unter Rz. 490 ff.
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b) Ausnahmen und Sonderfälle Ist im Falle des erstinstanzlich stattgebenden Kündigungsschutzurteils wegen Überwiegens des arbeitnehmerseitigen Interesses ein Weiterbeschäftigungsanspruch entstanden, bedeutet dies nicht, dass dieser in jedem Falle bis zum endgültigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses durch rechtskräftiges Urteil bestehen bleibt. Vielmehr sind Fälle denkbar, in denen sich die Interessenlage nach dem stattgebenden Urteil erster Instanz zugunsten des Arbeitgebers ändert und der Weiterbeschäftigungsanspruch nachträglich wieder entfällt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Arbeitgeber nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht in der Berufungsinstanz erstmalig gemäß §§ 9, 10 KSchG einen (zulässigen) Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung stellt. 1 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 2 BAG v. 15.1.1986 – 5 AZR 213/84 (n.v.). 3 BAG v. 12.2.1992 – 5 AZR 297/90, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung; v. 10.3. 1987 – 8 AZR 146/84, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung. 4 BAG v. 17.1.1991 – 8 AZR 483/89, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung.
Mues
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Teil 12 Rz. 480
Kündigungsschutzprozess
Denn die daraus folgende Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses entspricht derjenigen, die vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bestanden hat und begründet das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Klägers.1 Gleiches gilt für den Fall, dass nach einer Verurteilung zur Weiterbeschäftigung der Arbeitgeber eine weitere, auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützte Kündigung ausspricht und sein Vortrag es möglich erscheinen lässt, dass diese Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt.2 Eine weitere Kündigung aus denselben Gründen kann dagegen eine neue Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht begründen, so dass es in diesem Fall bei dem einmal zuerkannten Weiterbeschäftigungsanspruch bleibt. 480
Der Weiterbeschäftigungsanspruch entfällt schließlich auch dann, wenn das erstinstanzlich stattgebende Kündigungsschutzurteil in zweiter Instanz vom LAG durch ein nicht rechtskräftiges Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen wird, da durch die widersprechende zweitinstanzliche Entscheidung die der in erster Instanz vorliegende Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wieder hergestellt wird.3 Hebt im Anschluss das BAG die ablehnende, zur Revision zugelassene Entscheidung des LAG in dritter Instanz ebenfalls auf und verweist den Rechtsstreit an das LAG zurück, lebt dagegen – aufgrund des Wegfalls der entgegenstehende Entscheidung des LAG – der Weiterbeschäftigungsanspruch aus dem erstinstanzlichen Urteil wieder auf. c) Keine Arbeitspflicht bei Weiterbeschäftigungsanspruch (BAG)
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Wird dem Antrag des Arbeitnehmers stattgegeben und der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verurteilt, hat der Arbeitnehmer die Wahl, ob er die ihm damit eröffnete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in Anspruch nimmt oder nicht. Denn er ist durch das Weiterbeschäftigungsurteil zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses bei seinem bisherigen Arbeitgeber weiterzuarbeiten.4 Insbesondere ist der Arbeitnehmer nicht gehalten, den Weiterbeschäftigungstitel zu vollstrecken, wenn der Arbeitgeber sich weigert, diesen von sich aus zu erfüllen. Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs i.S.d. §§ 615 Satz 2 BGB, 11 Nr. 2 KSchG, das zur Anrechnung des hypothetischen Verdienstes auf den Annahmeverzugslohn führen würde, ist darin nicht zu sehen. Denn zum einen besteht kein Rechtssatz, wonach der Arbeitnehmer als Gläubiger des Weiterbeschäftigungsanspruchs zur Vermeidung der Anrechnung eines hypothetischen Verdienstes gehalten ist, aus einem hierüber erwirkten Titel gegen den Arbeitgeber als Schuldner der Pflicht zur Weiterbeschäftigung vorzugehen. Zum anderen ist es nicht Sinn der genannten Vorschriften, den Arbeitgeber vor den Folgen seiner eigenen Untätigkeit zu schützen.5
1 2 3 4 5
BAG v. 16.11.1995 – 8 AZR 864/93, AP Nr. 54 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX. BAG v. 19.12.1985 – 2 AZR 190/85, AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 276. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 2143. BAG v. 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969.
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Mues
Weiterbeschäftigungsanspruch
Rz. 485 Teil 12
Ebenso wenig kommt es zu einem Entfallen des Verzugslohnanspruchs, wenn der Arbeitgeber, befristet für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses, die Weiterbeschäftigung von sich aus anbietet bzw. den Arbeitnehmer dem Weiterbeschäftigungsurteil entsprechend zur Arbeitsleistung auffordert und der Arbeitnehmer die ihm derart zugewiesene Tätigkeit nicht aufnimmt. Der Arbeitgeber befindet sich vielmehr in diesem Falle auch weiterhin mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, da er die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht als vertragsgemäße Leistung sondern lediglich als Leistung im „Weiterbeschäftigungsverhältnis“, d.h. begrenzt durch die Dauer des Prozesses, entgegennehmen will (vgl. hierzu auch Rz. 451 ff.).
482
" Praxistipp: Tritt der Arbeitnehmer die ihm angebotene (zumutbare) Be-
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schäftigung nicht an, bedeutet dies jedoch i.d.R. ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs mit der Folge, dass der hypothetische, d.h. der bei Annahme des Arbeitsangebots zu erzielende Verdienst gemäß §§ 615 Satz 2 BGB, 11 Nr. 2 KSchG auf den Annahmeverzugsanspruch anzurechnen ist.1
2. Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch nach Rechtskraft des Feststellungsurteils Mit der rechtskräftigen Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, steht i.d.R. auch fest, dass das Arbeitsverhältnis in seiner bisherigen Form fortbesteht, sofern nicht im Einzelfall andere Beendigungstatbestände eingreifen. Der nur vorläufig, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses geltende allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch endet damit und wird durch den im bestehenden Arbeitsverhältnis geltenden allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers abgelöst. Letzterer ist zwar in §§ 611 ff. BGB nicht ausdrücklich erwähnt, ist von der Rechtsprechung aber aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers i.V.m. §§ 611 ff., 242 BGB hergeleitet worden und mittlerweile als arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers allgemein anerkannt.2 Der Arbeitnehmer kann daher, wenn und soweit das Arbeitsverhältnis wirksam fortbesteht, auch für die Zeit, die sich der Rechtskraft des Urteils anschließt, vom Arbeitgeber die Beschäftigung gemäß den vertraglichen vereinbarten Arbeitsbedingungen verlangen, es sei denn, es liegt ausnahmsweise ein Grund für eine Suspendierung vor (vgl. hierzu auch unter Rz. 161 ff.).
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3. Betriebsverfassungsrechtlicher Beschäftigungsanspruch, § 102 Abs. 5 BetrVG a) Voraussetzungen (Widerspruch, Klage, Beschäftigungsbegehren) Nach § 102 Abs. 5 BetrVG ist der Arbeitgeber unter den dort genannten Voraussetzungen verpflichtet, den Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist bis 1 BAG v. 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969; LAG Köln v. 14.12. 1995 – 6 Sa 933/95, AP Nr. 6 zu § 615 BGB Böswilligkeit. 2 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; v. 10.11. 1955 – 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 230.
Mues
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Teil 12 Rz. 486
Kündigungsschutzprozess
zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.1 Erforderlich ist dafür zunächst, dass der Betriebsrat unter Bezugnahme auf einen der in § 102 Abs. 3 Nr. 1–5 BetrVG genannten Widerspruchsgrund innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG schriftlich der geplanten ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber widersprochen hat.2 Ein verfristeter oder sonst nicht ordnungsgemäßer Widerspruch kann eine Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers nicht auslösen. Gleiches gilt für den nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung erklärten Widerspruch. Die von § 102 Abs. 5 BetrVG in Bezug genommene Regelung des § 102 Abs. 3 BetrVG sieht insofern ein Widerspruchsrecht des Betriebsrats und damit auch einen Weiterbeschäftigungsanspruch aufgrund des Widerspruchs ausdrücklich nur für die ordentliche Kündigung vor. Eine Ausnahme von dieser Beschränkung gilt allerdings für den Fall, dass es sich bei der gegenüber dem Arbeitnehmer ausgesprochenen Kündigung um eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist handelt. Hier wird angesichts dessen, dass die außerordentliche Kündigung nur ersatzweise für die vertraglich ausgeschlossene ordentliche Kündigung ausgesprochen worden ist, die Vorschrift des § 102 Abs. 5 BetrVG entsprechend angewendet.3 486
Weitere Voraussetzung für die Entstehung des betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs ist nach § 102 Abs. 5 BetrVG die fristgerechte Erhebung einer Kündigungsschutzklage i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG durch den Arbeitnehmer. Dieser muss, damit § 102 Abs. 5 BetrVG eingreift, nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben haben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Es reicht auch aus, wenn der Arbeitnehmer sich auf die Unwirksamkeit einer Kündigung aus anderen Gründen als Sozialwidrigkeit beruft. Den Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG können dementsprechend auch Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz nach dem KSchG und unabhängig von einem solchen Kündigungsschutz geltend machen.4 Voraussetzung ist aber, dass die Unwirksamkeit der Kündigung mit einer entsprechenden Kündigungsschutzklage angegriffen wird. Ist dies nicht der Fall, kann ein betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch nicht geltend gemacht werden. Der Gesetzeswortlaut des § 102 Abs. 5 BetrVG ist insoweit eindeutig.
487
Die Kündigungsschutzklage muss fristgerecht erhoben worden sein, da andernfalls die Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt und damit ein Anspruch aus § 102 Abs. 5 BetrVG ausscheidet. Bei nachträglicher Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG kommt eine Weiterbeschäftigung erst ab Rechtskraft des Zulassungsbeschlusses in Betracht.5 Beantragt der Arbeitnehmer mit seiner Klage die Auflösung des Arbeitsverhältnisses 1 BAG v. 9.7.2003 – 5 AZR 305/02, BAGE 107, 66; LAG Nürnberg v. 18.9.2007 – 4 Sa 586/07, BB 2008, 217. 2 Haas, H., Der vorläufige Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 102 BetrVG im Lichte der Rechtsprechung, NZA-RR 2008, 57–63 m.w.N. 3 BAG v. 4.2.1993 – 2 AZR 469/92, EzA § 626 BGB Nr. 144. 4 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 205a; HaKo/Nägele, § 102 BetrVg Rz. 203. 5 KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 207; a.A. Fitting, § 102 BetrVG Rz. 109, wonach die Erhebung der (verspäteten) Kündigungsschutzklage genügt.
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Mues
Weiterbeschäftigungsanspruch
Rz. 489 Teil 12
nach § 9 KSchG, greift § 102 Abs. 5 BetrVG nicht ein, weil in diesem Falle ein schützenswertes Interesse des Arbeitnehmers an einer vorläufigen Weiterbeschäftigung nicht besteht.1 Der Anspruch entsteht ferner nur dann, wenn der Arbeitnehmer sein Verlangen auf Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber ausdrücklich erklärt hat. Obwohl hierfür eine bestimmte Frist grds. nicht vorgesehen ist, ergibt sich aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung, zur Vermeidung einer Entfremdung des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz eine möglichst lückenlose Beschäftigung zu gewährleisten, dass das Weiterbeschäftigungsverlangen zumindest bis zum ersten Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist geltend gemacht sein muss.2
488
b) Entbindungsverfügung Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Das bisherige Arbeitsverhältnis besteht damit – auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage – mit allen Haupt- und Nebenpflichten der Parteien, insbesondere der Beschäftigungs- und Vergütungspflicht des Arbeitgebers sowie der Leistungspflicht des Arbeitnehmers, fort. Es besteht für den Arbeitgeber allerdings die Möglichkeit, sich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG durch einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Urteilsverfahren von seiner Weiterbeschäftigungspflicht entbinden zu lassen, wenn einer der dort genannten Entbindungsgründe vorliegt. Mit der Entbindungsentscheidung entfällt die genannte Weiterbeschäftigungs- und Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Bei diesem Ergebnis bleibt es auch dann, wenn der Kündigungsschutzklage erstinstanzlich stattgegeben wird und somit gemäß der vom Großen Senat des BAG3 entwickelten Grundsätze ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu bejahen wäre. Zu berücksichtigen ist, dass durch die Entbindung von Weiterbeschäftigungs- und Vergütungspflicht nicht etwa der durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage herbeigeführte Annahmeverzug des Arbeitgebers beseitigt wird. Auch im Falle einer positiven Entbindungsentscheidung kann vielmehr der Arbeitnehmer bei einem späteren Obsiegen im Kündigungsschutzrechtsstreit gegenüber dem Arbeitgeber Ansprüche nach § 615 BGB geltend machen, wenn dieser ihn – gemäß der Entbindungsentscheidung – nicht weiterbeschäftigt hat.4 Von der Entbindung nicht berührt werden auch die bis zur Entbindungsentscheidung bereits angefallenen Vergütungsansprüche.5 Der Weiterbeschäftigungsanspruch des § 102 Abs. 5 BetrVG bewirkt, dass das gekündigte bisherige Arbeitsverhältnis kraft Ge1 2 3 4 5
APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 205. BAG v. 11.5.2000 – 2 AZR 54/99, NZA 2000, 1055. BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9. KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 233. BAG v. 7.3.1996 – 2 AZR 432/95, AP Nr. 9 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung.
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Teil 12 Rz. 490
Kündigungsschutzprozess
setzes über den Entlassungstermin hinaus fortzusetzen ist, und zwar auflösend bedingt bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage.1 Selbst wenn also die Kündigungsschutzklage zugunsten des Arbeitgebers rechtskräftig abgewiesen wird, bestehen demgemäß bis dahin die beiderseitigen Hauptpflichten auf der Basis des bisher bestandenen Arbeitsverhältnisses fort, so dass der Arbeitgeber weiterhin Gläubiger der Arbeitsleistung bleibt und in Annahmeverzug gerät, wenn er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt.2 4. Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs 490
Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung nicht nach, besteht für diesen die Möglichkeit, den Anspruch im Wege der Klage bzw. des einstweiligen Verfügungsverfahrens durchzusetzen3, und zwar entweder im Rahmen eines vom Kündigungsschutzprozess unabhängigen Verfahrens oder durch einen gemäß § 260 ZPO neben dem Kündigungsschutzantrag gestellten Weiterbeschäftigungsantrag.4
491
In beiden Fällen hat der Arbeitnehmer darzulegen und ggf. zu beweisen bzw. – im Falle der einstweiligen Verfügung – glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG (= form- und fristgerechter Widerspruch des Betriebsrats gegen eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung, fristgerechte Erhebung einer Kündigungsschutzklage und Verlangen des Arbeitnehmers nach Weiterbeschäftigung) tatsächlich vorliegen. Ob darüber hinaus im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung auch ein Verfügungsgrund glaubhaft gemacht werden muss, ist umstritten5, dürfte aber aufgrund der Tatsache, dass eine solche Leistungsverfügung wegen ihrer Erfüllungswirkung nur in Ausnahmefällen gestattet sein kann, sowie aufgrund dessen, dass eine den Vorschriften des § 25 UWG, § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 899 Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechende Regelung zur Entbehrlichkeit der Darlegung eines Verfügungsgrundes in § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gerade nicht vorgesehen ist, zu bejahen sein (vgl. ausführlicher unter Rz. 161 ff.).
492
Die Vollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs erfolgt nach den Grundsätzen der für die Vollstreckung nicht vertretbarer Handlungen geltenden Regelung des § 888 ZPO mittels Zwangsgeld oder Zwangshaft, da die Verpflichtung 1 BAG v. 9.7.2003 – 5 AZR 305/02, BAGE 107, 66; KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 215 m.w.N. 2 Vgl. LAG Nürnberg v. 18.9.2007 – 4 Sa 586/07, BB 2008, 217. 3 LAG Nürnberg v. 27.10.1992 – 6 Sa 496/92, BB 1993, 444; LAG Hamburg v. 14.9.1992 – 2 Sa 50/92, NZA 1993, 140; LAG Köln v. 2.8.1984 – 5 Ta 1331/84, NZA 1984, 300. 4 Hierzu Rz. 161 ff. sowie ausführlich Fröhlich, O., Einstweilige Verfügung zur Durchsetzung von Beschäftigungsansprüchen, ArbRB 2007, 89. 5 Dafür: LAG Nürnberg v. 18.9.2007 – 4 Sa 586/07, ZTR 2008, 108; LAG Hamm v. 18.2. 1998 – 3 Sa 297/98, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 41; LAG Stuttgart v. 3.8.1993 – 15 Sa 35/93, LAGE § 102 BetrVG Beschäftigungspflicht Nr. 20; LAG München v. 10.2.1994 – 5 Sa 969/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 14; Münchner Prozessformularbuch ArbR/Reidel, 1. Kap. C II.1.1 Anm. 3; dagegen: LAG Hamburg v. 25.1.1994 – 3 Sa 113/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 21; LAG Nürnberg v. 27.10.1992 – 6 Sa 496/92, BB 1993, 444; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 213.
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Mues
Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG
Rz. 494 Teil 12
des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz zuzuweisen, eine allein von seinem Willen abhängige Mitwirkungshandlung darstellt.1 Voraussetzung für die Vollstreckung nach § 888 ZPO ist, dass der zu vollstreckende Titel bestimmt genug ist und einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. Dazu reicht es nicht aus, wenn der Urteilstenor lediglich eine Verurteilung zur Weiterbeschäftigung unter unveränderten Arbeitsbedingungen ausspricht; vielmehr müssen grds. auch Art und Inhalt der beanspruchten Beschäftigung entweder ausdrücklich bezeichnet sein oder sich zumindest im Wege einer Auslegung aus Tatbestand und Entscheidungsgründen entnehmen lassen.2 Dies sollte auch bei der Formulierung des Weiterbeschäftigungsantrags bereits bedacht und die betreffende Tätigkeit möglichst genau angegeben werden.
" Praxistipp: Die Zwangsvollstreckung ist unzulässig, wenn die Erfüllung der
Weiterbeschäftigungspflicht dem Arbeitgeber unmöglich geworden ist, etwa weil der Arbeitsplatz, auf dem die Beschäftigung geschuldet wird, nicht mehr existiert.3 Die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Umorganisation des Betriebes muss allerdings vom Arbeitgeber im Einzelnen substantiiert belegt werden. Eine Neustrukturierung, die der Arbeitgeber nur deshalb vornimmt, um sich seiner Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung zu entziehen, ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen und führt i.d.R. dazu, dass der Arbeitgeber sich gegenüber dem titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch nicht auf die Unmöglichkeit berufen kann.4
493
IV. Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG 1. Voraussetzungen Nach § 12 Satz 1 KSchG kann ein Arbeitnehmer, der im Kündigungsschutzprozess obsiegt und inzwischen ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, binnen einer Woche nach Rechtskraft des Urteils durch Erklärung gegenüber dem alten Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei diesem verweigern. Mit dem Zugang der Erklärung erlischt das alte Arbeitsverhältnis (§ 12 Satz 3 KSchG). Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift handelt es sich bei dem Recht des Arbeitnehmers aus § 12 KSchG nicht um ein bloßes Leistungsverweigerungsrecht, sondern um ein zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führendes fristgebundenes Sonderkündigungsrecht, das angesichts seiner sofortigen Beendigungswirkung der fristlosen Kündigung vergleichbar ist.5
1 LAG Berlin v. 14.6.2001 – 9 Ta 998/01, LAGE § 888 ZPO Nr. 46; LAG München v. 11.9. 1993 – 2 Ta 214/93, LAGE § 888 ZPO Nr. 34. 2 LAG Berlin v. 8.1.1993 – 12 Ta 17/92, LAGE § 888 ZPO Nr. 27; LAG Frankfurt v. 27.11. 1992 – 9 Ta 376/92, LAGE § 888 ZPO Nr. 30. 3 LAG Köln v. 23.8.2001 – 7 (13) Ta 190/01, NZA-RR 2002, 214; LAG Berlin v. 14.6.2001 – 9 Ta 998/01, LAGE § 888 ZPO Nr. 46; LAG Düsseldorf v. 8.10.1998 – 7 Ta 313/98 (n.v.). 4 LAG Köln v. 23.8.2001 – 7 (13) Ta 190/01, NZA-RR 2002, 214; vgl. auch LAG München v. 9.11.1993 – 2 Ta 214/93, LAGE § 888 ZPO Nr. 34. 5 HK-KSchG/Dorndorf, § 12 KSchG Rz. 22; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 5.
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Teil 12 Rz. 495
Kündigungsschutzprozess
495
Ziel des Lossagungsrechts ist es, die Kollision zweier unvereinbarer arbeitsvertraglicher Verpflichtungen aus dem alten und aus dem neuen Arbeitsverhältnis zu verhindern, die entsteht, wenn der Arbeitnehmer entsprechend seiner Verpflichtung zu einem zumutbaren anderweitigen Erwerb (vgl. §§ 11 Nr. 2 KSchG, 615 Satz 2 BGB) einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, später aufgrund stattgebenden Kündigungsschutzurteils aber seine Arbeitskraft wieder dem alten Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss. Bei Vorliegen der gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen steht dem Arbeitnehmer deshalb ein Wahlrecht zu, entweder das alte Arbeitsverhältnis fortzusetzen oder innerhalb der im Interesse des Arbeitgebers bestehenden Frist von einer Woche nach Rechtskraft des stattgebenden Kündigungsschutzurteils die Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses zu verweigern und stattdessen das neu eingegangene Arbeitsverhältnis fortzuführen. Möglich bleibt auch die anderweitige Auflösung des alten Arbeitsvertrages, etwa im Wege der ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung oder durch den Abschluss eines entsprechenden Aufhebungsvertrags. Der Arbeitnehmer ist insofern lediglich berechtigt, nicht aber verpflichtet, von dem ihm zustehenden Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen.1
496
Die Anwendung des § 12 KSchG setzt zunächst ein Kündigungsschutzurteil des Arbeitsgerichts voraus, in dem dieses den Fortbestand des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses feststellt. Dabei ist es unerheblich, ob eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers Gegenstand der betreffenden Kündigungsschutzklage gewesen ist, da über die Verweisung des § 13 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 KSchG das Wahlrecht des § 12 KSchG auch für den letztgenannten Fall gilt.2 Bezieht sich die Entscheidung des Gerichts dagegen nicht auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung, sondern wird in dem Urteil lediglich die Feststellung getroffen, dass die arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung aus sonstigen Gründen (etwa wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot) unwirksam sei, ist die Anwendung des § 12 KSchG gemäß § 13 Abs. 3 KSchG ausgeschlossen. Denn § 13 Abs. 3 KSchG bestimmt ausdrücklich, dass die Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG – mit Ausnahme der §§ 4–7 KSchG – auf die aus anderen Gründen rechtsunwirksame Kündigung nicht anzuwenden sind.3
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Neben dem Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess erfordert § 12 KSchG zudem, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch andere Beendigungstatbestände (z.B. weitere Kündigungen; Auslauf einer Befristung, Auflösungsurteil des Gerichts nach § 9 KSchG) aufgelöst worden ist, da es andernfalls mangels Fortbestandes des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht zu der in § 12 KSchG vorausgesetzten Konfliktsituation kommen kann.
498
Weitere Voraussetzung des Wahlrechts ist das Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer vor Rechtskraft des stattgebenden Kündigungsschutzurteils. Ein solches Arbeitsverhältnis kann jedes Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts sein, unabhängig davon, ob es befristet oder unbefristet ist, ob es sich um ein Berufsausbildungsverhältnis, ein Probe-, Leih- oder Aushilfsarbeitsverhältnis handelt. Auch das neu eingegangene Teilzeitarbeits1 KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 28. 2 APS/Biebl, § 12 KSchG Rz. 3. 3 So auch KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 5, 35.
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Mues
Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG
Rz. 498 Teil 12
verhältnis entspricht im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung grundsätzlich den Voraussetzungen des § 12 KSchG, selbst wenn die neue Teilzeittätigkeit ohne weiteres auch zeitlich neben dem alten Arbeitsverhältnis ausgeübt werden kann und es in diesem Falle an einer Pflichtenkollision fehlt, die eigentlich das in § 12 KSchG vorgesehene Sonderkündigungsrecht rechtfertigt.1 Nicht ausreichend für die Anwendung des § 12 KSchG ist auch die Aufnahme einer selbständigen Berufstätigkeit. Denn die gesetzliche Regelung setzt ausdrücklich das Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses voraus und erfasst somit gerade nicht den Fall der Begründung eines selbständigen Dienstverhältnisses.2 Die Gegenansicht, wonach bei einer selbständigen Tätigkeit eine ähnliche Interessen- und Pflichtenkollision vorliege, welche eine entsprechende Anwendung des § 12 KSchG rechtfertige3, vermag nicht zu überzeugen. Der systematische Zusammenhang zwischen § 12 und § 11 KSchG verdeutlicht, dass der Begriff „Arbeitsverhältnis“ in § 12 KSchG wörtlich zu nehmen ist und keine planwidrige Regelungslücke vorliegt, welche Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 12 KSchG bei der Frage nach der Gleichstellung von selbständiger Tätigkeit und Arbeitsverhältnis wäre.4 § 11 KSchG enthält eine Regelung über die Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes, den der Arbeitnehmer in der Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist erzielt hat (§ 11 Satz 1 Nr. 1 KSchG) oder hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare „Arbeit“ anzunehmen (§ 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG). Die Anrechnung anderweitiger Erwerbseinkünfte nach § 11 Satz 1 Nr. 1 KSchG hat nicht nur dann zu erfolgen, wenn der Arbeitnehmer ein anderes Arbeitsverhältnis eingegangen ist, sondern auch, wenn er durch anderweitige „Arbeit“ ein Einkommen erzielt hat. Anrechenbar ist daher auch ein Verdienst, den der Arbeitnehmer aus einer selbständigen Tätigkeit nach Ablauf der Kündigungsfrist erlangt hat.5 Die Verpflichtung zur Annahme einer zumutbaren „Arbeit“ i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG kann im Einzelfall auch die Verpflichtung zur Aufnahme einer selbständigen, nicht auf einem Dauerschuldverhältnis beruhenden Erwerbstätigkeit bedeuten.6 § 11 Satz 1 Nr. 1 und 2 KSchG stellt, anders als § 12 KSchG, gerade nicht auf den in „Arbeitsverhältnissen“ erlangten bzw. zu erzielenden Verdienst ab, sondern auf das, was der gekündigte Arbeitnehmer durch „Arbeit“ verdient hat oder hätte verdienen können. § 12 KSchG verlangt hingegen als Voraussetzung für die Ausübung des in der Vorschrift geregelten Sonderkündigungsrechts ausdrücklich das Eingehen eines „Arbeitsverhältnisses“. Das in der Vorschrift geregelte Sonderkündigungsrecht kann der Arbeitnehmer nur geltend machen, wenn er nach Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer bewusst nur für diesen Fall ein Sonderkündi1 Im Ergebnis ebenso: KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 8; KDZ/Kittner/Deinert, § 12 KSchG Rz. 6. 2 So im Ergebnis auch APS/Biebl, § 12 KSchG Rz. 5; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 2; a.A. KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 8a m.w.N. 3 Vgl. HK-KSchG/Dorndorf, § 12 Rz. 8; KDZ/Kittner, § 12 KSchG Rz. 6; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 8a. 4 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 662/06, DB 2008, 589. 5 BAG v. 16.6.2004 – 5 AZR 508/03, BAGE 111, 123, 130. 6 BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, BAGE 116, 359.
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Teil 12 Rz. 499
Kündigungsschutzprozess
gungsrecht einräumen wollte. Der gesetzliche Gesamtzusammenhang steht damit der Annahme entgegen, § 12 KSchG enthalte für den Fall der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit eine planwidrige Regelungslücke. Auch kann aus mehreren Gründen nicht davon ausgegangen werden, dass die Interessenlage bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit mit der bei Eingehung eines Arbeitsverhältnisses vergleichbar sei. Wenn sich ein Arbeitnehmer für eine selbständige Tätigkeit entscheidet, weiß er in der Regel, dass mit der Aufnahme einer derartigen selbständigen Tätigkeit nicht unerhebliche finanzielle Aufwendungen verbunden sind, für die er möglicherweise sogar Darlehensverpflichtungen eingehen muss. Er hat in vielen Fällen Geschäftsräume anzumieten, Material zu besorgen sowie Personal einzustellen und kostenintensive Werbemaßnahmen zu betreiben. Daraus folgt, dass ein Arbeitnehmer, der sich zur Selbständigkeit entschließt, typischerweise nicht nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess sein unwirksam gekündigtes Arbeitsverhältnis fortsetzen wird. Dann müsste er seine selbständige Tätigkeit aufgeben und seine Investitionen wären fehlgeschlagen. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitnehmer, der nach Ablauf der Kündigungsfrist eine selbständige Tätigkeit aufnehmen will, sein Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt kündigt, zu dem er seine selbständige Tätigkeit aufnehmen möchte. Demgemäß hat er den im Kündigungsschutzprozess gestellten Feststellungsantrag entsprechend zeitlich zu begrenzen. Dagegen ist die Interessenlage eines Arbeitnehmers, der nach Ablauf der Kündigungsfrist während des Kündigungsschutzprozesses bei einem anderen Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis eingeht, eine völlig andere. Zu bedenken ist zudem, dass der Arbeitnehmer Arbeitsangebote der Agentur für Arbeit, die sich auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses beziehen, gem. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III annehmen muss, wenn nicht ein gewichtiger Grund zur Ablehnung vorliegt und er nicht eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung in Kauf nehmen will. Mit dem Abschluss eines Arbeitsverhältnisses fallen dem Arbeitnehmer auch keine größeren finanziellen Aufwendungen zur Last. Hinzu kommt, dass die aus der persönlichen Abhängigkeit folgende besondere Pflichtenkollision eben nicht bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, sondern nur im Falle der Begründung eines Arbeitsverhältnisses besteht und dass diese Kollision eben durch das Sonderkündigungsrecht des Arbeitnehmers aus § 12 KSchG beseitigt werden soll. Eine typisierende Gesamtbetrachtung kann folglich nur zu dem Ergebnis führen, dass das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG dem Arbeitnehmer nicht zusteht, wenn er während des Kündigungsschutzprozesses eine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat.1 499
Das neue Arbeitsverhältnis muss „inzwischen“, d.h. nach Zugang der Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses, aber vor Rechtskraft des stattgebenden Kündigungsschutzurteils, eingegangen worden sein. Ein früher oder später begründetes Arbeitsverhältnis mag zwar rechtlich wirksam sein, führt jedoch, da es die Voraussetzungen des § 12 KSchG nicht erfüllt, nicht zu einem entsprechenden Wahlrecht des Arbeitnehmers.2 Der Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils richtet 1 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 662/06, NJW 2008, 1466. 2 KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 9 f.
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Mues
Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG
Rz. 504 Teil 12
sich dabei nach den allgemeinen prozessualen Regeln. So bestimmt § 705 ZPO, dass formelle Rechtskraft dann eintritt, wenn die Frist für die Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels (Berufung, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; Revision, § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; Nichtzulassungsbeschwerde, § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG; jeweils ein Monat) oder eines zulässigen Einspruchs (insbesondere gegen ein Versäumnisurteil, § 59 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, eine Woche) abgelaufen ist.
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass für das Eingehen eines neuen Arbeitsver-
500
Ohne Bedeutung ist es auch, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Feststellungsurteils zur Anfechtung des neuen Arbeitsverhältnisses berechtigt wäre oder möglicherweise vom Arbeitsvertrag zurücktreten bzw. diesen kündigen könnte. Selbst die bereits erklärte Kündigung des neuen Arbeitsverhältnisses lässt das Wahlrecht nicht entfallen, wenn die vertraglichen Beziehungen zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Kündigungsschutzurteils noch bestehen und damit die Gefahr einer Pflichtenkollision gegeben ist.
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hältnisses i.S.d. § 12 KSchG bereits der Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrages ausreicht. Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlich angetreten worden ist; denn die (konfliktträchtige) vertragliche Bindung des Arbeitnehmers besteht auch ohne die Aufnahme der vereinbarten Tätigkeit.1
2. Frist für Lossagung, Form und Inhalt der Erklärung Liegen die in § 12 Satz 1 KSchG bezeichneten Voraussetzungen vor, muss der Arbeitnehmer binnen einer Frist von einer Woche ab Rechtskraft des stattgebenden Kündigungsschutzurteils2 gegenüber dem Arbeitgeber erklären, dass er das Arbeitsverhältnis mit diesem nicht fortsetzen wolle. Die Versäumung der Erklärungsfrist führt zum Erlöschen des dem Arbeitnehmer zustehenden Sonderkündigungsrechts.3 Es handelt sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, gegen deren Überschreitung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.4
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Die Berechnung der Erklärungsfrist richtet sich nach den §§ 187 ff. BGB. Danach wird für den Fristbeginn der Tag, an dem die Rechtskraft des Feststellungsurteils eintritt, nicht mitgerechnet, § 187 Abs. 1 BGB. Die Frist endet daher gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf desjenigen Tages, der in seiner Benennung dem Tag des Eintritts der Rechtskraft entspricht; sofern es sich bei diesem Tag um einen Samstag, einen Sonntag oder einen staatlich anerkannten Feiertag handelt, mit Ablauf des darauffolgenden Werktages, § 193 BGB.
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Der fristgerechte Zugang der Nichtfortsetzungserklärung führt bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 12 KSchG zum Erlöschen des alten Arbeitsverhältnisses, § 12 Satz 3 KSchG. Hat der Arbeitnehmer – was zulässig ist5 – be-
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1 2 3 4 5
APS/Biebl, § 12 KSchG Rz. 7; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 10. Zum Zeitpunkt der Rechtskraft vgl. unter Rz. 494 ff. BAG v. 6.11.1986 – 2 AZR 744/85, RzK I 13 b Nr. 4. Löwisch/Spinner, § 12 KSchG Rz. 7; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 11. BAG v. 19.10.1972 – 2 AZR 150/72, AP Nr. 1 zu § 12 KSchG 1969.
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Teil 12 Rz. 505
Kündigungsschutzprozess
reits vor Rechtskraft des stattgebenden Kündigungsschutzurteils dem Arbeitgeber gegenüber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verweigert, tritt die Beendigungswirkung dagegen nicht mit dem Zugang der Erklärung, sondern erst dann ein, wenn das klagestattgebende Feststellungsurteil rechtskräftig wird und damit die gesetzlichen Voraussetzungen des Lossagungsrechts erfüllt sind.1 Auch wenn ausnahmsweise zum Zeitpunkt des Zugangs der Verweigerungserklärung die ordentliche Kündigungsfrist des streitig gekündigten Arbeitsverhältnisses noch nicht abgelaufen ist, verschiebt sich der Auflösungszeitpunkt. In diesem Fall ist auf den in der Kündigung vorgesehenen Beendigungstermin abzustellen.2 505
§ 12 KSchG enthält keine ausdrücklichen Regelungen im Hinblick auf die für die Nichtfortsetzungserklärung erforderliche Form. Die Tatsache, dass es sich bei dem Lossagungsrecht um ein fristgebundenes Sonderkündigungsrecht handelt, die Ausübung dieses Rechts also in der Sache eine Kündigung darstellt, spricht aber dafür, dass die für die Kündigung geltende Schriftform gemäß § 623 BGB auch hier zwingend einzuhalten ist.3 Nach § 12 Satz 2 KSchG wird die einwöchige Erklärungsfrist dabei bereits mit der fristgerechten Aufgabe des die Erklärung enthaltenden Schriftstücks zur Post gewahrt, ohne dass dieses dem Arbeitgeber zugleich auch zugegangen sein muss. Bedient sich der Arbeitnehmer hingegen zur Übermittlung des Schriftstücks eines Boten, gilt § 12 Satz 2 KSchG nicht, so dass die Erklärung nur dann Wirkung entfaltet, wenn sie vor Fristablauf in den Herrschaftsbereich des Arbeitgebers gelangt ist.4
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Ist die Nichtfortsetzungserklärung verspätet oder aus sonstigen Gründen unwirksam, kann sie gemäß § 140 BGB regelmäßig in eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses umgedeutet werden.5 Das alte Arbeitsverhältnis wird dann zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt nach Zugang der verfristeten Erklärung beendet. Darüber hinaus bleibt der Arbeitnehmer selbstverständlich auch zur anderweitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, insbesondere zur Kündigung nach den allgemeinen Kriterien oder zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages.
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Entscheidet sich der Arbeitnehmer demgegenüber zur Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses, ist er gegenüber seinem neuen Arbeitgeber verpflichtet, das neue Arbeitsverhältnis so rasch wie möglich zu beenden und seine ursprüngliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er bereits unmittelbar nach Ablauf der einwöchigen Sonderkündigungsfrist bei seinem alten Arbeitgeber arbeiten muss. Da die Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses wegen der damit verbundenen Anrechnung des Zwischenverdienstes regelmäßig im Interesse des alten Arbeitgebers liegt, ist der Arbeitnehmer vielmehr dazu berechtigt, dieses ordnungsgemäß abzuwickeln, bevor er seine alte Tätig1 KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 26. 2 ErfK/Kiel, § 12 KSchG Rz. 7; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 5; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 22; a.A. APS/Biebl, § 12 KSchG Rz. 12. 3 Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (350). 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 9; HK-KSchG/Dorndorf, § 12 KSchG Rz. 11; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 24. 5 LAG Berlin v. 15.10.1999 – 6 Sa 1235/99, MDR 2000, 281.
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Mues
Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis, § 12 KSchG
Rz. 509 Teil 12
keit wieder antritt.1 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass § 12 KSchG für den Arbeitnehmer keine besondere Regelung zur Lösung von dem neuen Arbeitsverhältnis vorsieht, insbesondere kein Recht zur außerordentlichen Kündigung, so dass dieses in der Regel nur unter Einhaltung der gesetzlich, vertraglich oder kollektivrechtlich vorgesehenen Kündigungsfrist gekündigt werden oder aber einvernehmlich aufgelöst werden muss. Dem Recht des Arbeitnehmers, das neue Arbeitsverhältnis zunächst ordnungsgemäß zu beenden, entspricht es, dass der alte Arbeitgeber grundsätzlich nicht zu einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung berechtigt ist, wenn sich die Wiederaufnahme der Beschäftigung durch den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des neuen Arbeitsverhältnisses verzögert.2 Hat sich der Arbeitnehmer allerdings längerfristig an den neuen Arbeitgeber gebunden, etwa durch Vereinbarung einer übermäßig langen Kündigungsfrist, kann unter besonderen Umständen eine neue Kündigung seitens des alten Arbeitgebers aus verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt sein.3 Eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung kann auch dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des neuen Arbeitsverhältnisses seine Arbeit bei dem alten Arbeitgeber nicht unverzüglich wieder aufnimmt.4
508
3. Differenzvergütung und Anspruchszeitraum gemäß § 12 Satz 4 KSchG Beendet der Arbeitnehmer das alte Arbeitsverhältnis durch eine fristgerechte Nichtfortsetzungserklärung, kann er nach § 12 Satz 4 KSchG von seinem bisherigen Arbeitgeber Zahlung des entgangenen Verdienstes nur für die Zeit zwischen seiner ungerechtfertigten Entlassung, d.h. dem in der sozialwidrigen Kündigung vorgesehenen Auflösungszeitpunkt, und dem Tag des Eintritts in das neue Arbeitsverhältnis verlangen. Im Vergleich zu dem Lohnzahlungsanspruch aufgrund Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1 BGB, § 11 KSchG ist damit der Anspruchszeitraum eingeschränkt: Während bei Geltung des § 615 Satz 1 BGB der Arbeitnehmer grundsätzlich bis zur Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses Annahmeverzugslohn fordern kann, endet der Anspruchszeitraum bei Ausübung des Verweigerungsrechts nach § 12 KSchG bereits mit Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses5, also – unabhängig vom Abschluss des entsprechenden Arbeitsvertrags – mit dem Zeitpunkt, zu dem die tatsächliche Arbeitsaufnahme bei dem neuen Arbeitgeber erfolgt und Vergütungsansprüche entstehen.6 Ausnahmsweise entfallen die Annahmeverzugsansprüche gegenüber dem alten Arbeitgeber sogar zu einem noch früheren Zeitpunkt, wenn nämlich der Arbeitnehmer – etwa im Hinblick auf einen bereits erfolgten Vertragsschluss mit dem neuen Arbeitgeber – noch vor Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses 1 LAG Köln v. 23.11.1994 – 8 Sa 862/94, LAGE § 12 KSchG Nr. 2. 2 KDZ/Kittner/Deinert, § 12 KSchG Rz. 16; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 17; v. HoyningenHuene/Linck, § 12 KSchG Rz. 4. 3 Bauer, BB 1993, 2444 (2445). 4 KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 19. 5 BAG v. 6.11.1986 – 2 AZR 744/85, RzK I 13 b Nr. 4. 6 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 7.
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Teil 12 Rz. 510
Kündigungsschutzprozess
die Fortsetzung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses verweigert. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn nur bis zum Zugang der betreffenden Verweigerungserklärung bei dem bisherigen Arbeitgeber verlangen. Denn gemäß § 12 Satz 3 KSchG erlischt das alte Arbeitsverhältnis mit Zugang der Erklärung und kann damit auch keine Entgeltforderungen mehr rechtfertigen.1 Ansprüche des Arbeitnehmers auf Zahlung des bisherigen Gehalts kommen dementsprechend maximal bis zum Zugang der Nichtfortsetzungserklärung in Betracht, wenn sie nicht mit dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses bereits zuvor weggefallen sind. Aus § 12 Satz 3–5 KSchG folgt ferner, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer sich durch eine Erklärung nach § 12 Satz 1 KSchG aus dem alten Arbeitsverhältnis löst, eine Anrechnung anderweitigen Erwerbs nur bezüglich eines bis zu dem in § 12 Satz 4 KSchG genannten Zeitpunkt (Eintritt in das neue Arbeitsverhältnis) erzielten Zwischenverdienstes erfolgt.2 510
Aus der Begrenzung des Anspruchszeitraums ergibt sich, dass der Arbeitnehmer, der bei seinem neuen Arbeitgeber vergleichsweise weniger verdient als bei seinem alten Arbeitgeber, nach Eintritt in das neue Arbeitsverhältnis nicht – wie dies unter normalen Umständen möglich wäre – die Differenzvergütung, d.h. das bisherige Gehalt unter Anrechnung des anderweitigen Verdienstes gemäß § 11 KSchG, beanspruchen kann, sondern auf die (geringere) Vergütung seines neuen Arbeitsverhältnisses angewiesen ist.
511
" Praxistipp: Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in derartigen Fällen die
Wochenfrist des § 12 KSchG verstreichen lässt, ohne eine Nichtfortsetzungserklärung abzugeben und das Arbeitsverhältnis danach ordentlich kündigt oder durch Abschluss eines Auflösungsvertrags beendet. Anstelle des § 12 Satz 4 KSchG kommen dann nämlich die §§ 615 Satz 1 BGB, 11 KSchG zur Anwendung mit der Folge, dass der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. des im Aufhebungsvertrag vorgesehenen Aufhebungstermins von seinem alten Arbeitgeber den Differenzbetrag zwischen alter und neuer Vergütung verlangen kann.3
4. Handlungsoptionen des Arbeitgebers 512
Setzt der Arbeitnehmer nach Ablauf der einwöchigen Erklärungsfrist das neue Arbeitsverhältnis fort, ohne gegenüber dem alten Arbeitgeber gegenüber eine § 12 KSchG entsprechende Erklärung abgegeben zu haben, behält er dabei unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach § 615 BGB seinen Vergütungsanspruch in der Regel auch dann, wenn er wegen der neuen vertraglichen Bindung die vertraglich geschuldete Leistung gegenüber seinem alten Arbeitgeber nicht mehr erbringen kann. § 297 BGB steht einem solchen Annahmeverzugsanspruch nicht entgegen, weil der Arbeitgeber die mangelnde Leistungsbereit1 Ebenso: KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 31; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 12 KSchG Rz. 7. 2 LAG Rheinland-Pfalz v. 30.11.2007 – 9 Sa 496/07, DB 2008, 592; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 35; ErfK/Kiel, § 12 KSchG Rz. 9. 3 Vgl. BAG v. 6.11.1986 – 2 AZR 744/85, RzK I 13 b Nr. 4; das mangels Gesetzeslücke zu Recht eine entsprechende Anwendung des § 12 Satz 4 KSchG auf Fälle dieser Art verneint.
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Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Rz. 514 Teil 12
schaft des Arbeitnehmers selbst herbeigeführt hat.1 Der alte Arbeitgeber muss daher grundsätzlich bis zur schnellstmöglichen Abwicklung des neuen Arbeitsvertrags die eventuelle Differenz zwischen der beim neuen Arbeitgeber erzielten und der vom ihm nach § 615 Satz 1 BGB geschuldeten Vergütung ausgleichen. Auch zur Kündigung des (alten) Arbeitsverhältnisses wegen Leistungsverweigerung ist der Arbeitgeber angesichts dessen, dass er selbst durch seine ungerechtfertigte Kündigung den Eintritt des Arbeitnehmers in ein anderes Arbeitsverhältnis und damit dessen Unfähigkeit zur Erbringung der bisher geschuldeten Tätigkeit herbeigeführt hat, regelmäßig nicht berechtigt.2 Macht der Arbeitnehmer von seinem Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG keinen Gebrauch und löst das Arbeitsverhältnis stattdessen durch Ausspruch einer ordentlichen Kündigung auf, um sich den Anspruch auf die Vergütungsdifferenz zwischen altem und neuem Arbeitsverhältnis zu erhalten, empfiehlt es sich für den bisherigen Arbeitgeber ebenfalls, den Arbeitnehmer nach Ablauf der Wochenfrist zur Arbeitsleistung aufzufordern. Kommt der Arbeitnehmer dem wegen seiner neuen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht nach, ist der Annahmeverzug des alten Arbeitgebers dann regelmäßig auch schon vor Abwicklung des neuen Arbeitsverhältnisses beendet. Denn in diesem Fall hat der Arbeitnehmer seine Leistungsunfähigkeit hier zumindest hinsichtlich des die Wochenfrist übersteigenden Zeitraums vorsätzlich herbeigeführt, indem er die vertragliche Doppelverpflichtung nicht auf dem schnellsten ihm möglichen Weg, nämlich durch Ausübung des Sonderkündigungsrechts, beseitigt, sondern stattdessen das alte Arbeitsverhältnis im Wege der ordentlichen Kündigung beendet hat.3
513
E. Auflösungsantrag und Auflösungsurteil I. Auflösungsantrag des Arbeitgebers Wird im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses die Sozialwidrigkeit der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung festgestellt, eröffnen die §§ 9, 10 KSchG dem Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, auf entsprechenden Antrag hin die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung durchzusetzen und so ggf. doch noch die Beendigung des zerrütteten Arbeitsverhältnisses zu erreichen.4 Auch entfällt die nach einem stattgebendem Kündigungsschutzurteil erster Instanz grundsätzlich bestehende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer 1 BAG v. 6.11.1986 – 2 AZR 744/85, RzK I 13 b Nr. 4; KR/Rost, § 12 KSchG Rz. 20; Löwisch/Spinner, § 12 KSchG Rz. 12. 2 LAG Köln v. 23.11.1994 – 8 Sa 862/94, LAGE § 12 KSchG Nr. 2. 3 Vgl. Bauer, BB 1993, 2444 (2445), der zu weitgehend sogar die außerordentliche Kündigung für begründet hält. 4 Ausführl. hierzu vgl. Gravenhorst, NZA-RR 2007, 57, sowie Holthausen/Holthausen, RR 2007, 449 m.w.N.; vgl. auch Sartorius, ZAP 2006, 857.
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Teil 12 Rz. 515
Kündigungsschutzprozess
für die Dauer des Prozesses weiterzubeschäftigen1, wenn der Arbeitgeber in der Berufungsinstanz einen zulässigen Auflösungsantrag stellt und damit die vor Erlass des Urteils bestehende Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wieder herstellt.2 515
Der arbeitgeberseitige Auflösungsantrag wird in der Regel als echter Hilfsantrag für den Fall gestellt, dass der Hauptantrag auf Abweisung der arbeitnehmerseitigen Kündigungsschutzklage keinen Erfolg hat und das Arbeitsverhältnis aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung fortbesteht.3 Denn dringt der Arbeitgeber mit seinem in der Hauptsache gestellten Klageabweisungsantrag durch, ist ohnehin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung wirksam beendet ist. Der Antrag kann gemäss § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. 1. Voraussetzung: Feststellung der Sozialwidrigkeit
516
Sowohl die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers als auch diejenige auf Antrag des Arbeitnehmers kommen nach § 9 KSchG nur dann in Betracht, wenn das Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung festgestellt hat.4 Wurde die in § 4 Satz 1 KSchG vorgeschriebene Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage versäumt und hat das Arbeitsverhältnis damit bereits aufgrund der aus § 7 KSchG folgenden Fiktion der Wirksamkeit der Kündigung sein Ende gefunden, ist eine gerichtliche Auflösung nicht mehr möglich.5 Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG unter Vorbehalt angenommen und daraufhin erfolgreich Änderungsschutzklage erhoben hat. Denn Streitgegenstand des Änderungsschutzprozesses ist nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine (ggf. sozialwidrige) Kündigung, sondern allein die soziale Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen.6 Hat der Arbeitnehmer das Änderungsangebot dagegen abgelehnt und Kündigungsschutzklage erhoben, gelten die allgemeinen Grundsätze, so dass nach § 9 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangt werden kann, wenn die Sozialwidrigkeit der (Änderungs-)Kündigung vom Gericht festgestellt worden ist.
517
Ist die Kündigung nicht wegen ihrer mangelnden sozialen Rechtfertigung, sondern ausschließlich aus anderen Gründen unwirksam (z.B. wegen fehlender Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG oder wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB X), finden die §§ 9, 10 KSchG keine Anwendung. 1 Zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch vgl. BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702. 2 BAG v. 16.11.1995 – 8 AZR 864/93, AP Nr. 54 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX. 3 BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 584/03, AP Nr. 18 zu § 174 BGB; KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 17. 4 BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, DB 1981, 2438 (2439). 5 Vgl. dazu KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 26. 6 BAG v. 26.8.2008 – 1 AZR 353/07, NZA-RR 2009, 300.
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Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Rz. 520 Teil 12
Dies ergibt sich aus § 13 Abs. 3 KSchG, der die Heranziehung anderer als die die Klagefrist betreffenden Vorschriften (§§ 4–7 KSchG) und somit auch die §§ 9–12 KSchG ausschließt. Hat der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess ausnahmslos andere Gründe als die Sozialwidrigkeit geltend gemacht, ist dem Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verwehrt. Nicht möglich ist es, dass er mit seinem Auflösungsantrag den durch arbeitnehmerseitigen Antrag auf eine Unwirksamkeit der Kündigung aus sonstigen Gründen festgelegten Streitgegenstand des Kündigungsschutzprozesses gegen den Willen des Arbeitnehmers auf die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung erweitert und eine entsprechende Feststellung des Gerichts herbeiführt.1 Umstritten ist, ob der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangen kann, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung neben ihrer Sozialwidrigkeit auch auf anderen Gründen i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG beruht, oder ob sein Antrag nur dann möglich ist, wenn ausschließlich die Sozialwidrigkeit der Kündigung gerichtlich festgestellt worden ist.
518
Dem Gesetzeswortlaut des § 9 KSchG lässt sich eine Beschränkung des arbeitgeberseitigen Auflösungsantrags auf Fälle der ausschließlich sozialwidrigen Kündigung nicht unmittelbar entnehmen. Eine Reduzierung des Anwendungsbereichs der §§ 9, 10 KSchG in diesem Sinne stößt deshalb teilweise auf Ablehnung.2 Demgegenüber wird sowohl in Literatur als auch in der Rechtsprechung ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nur erfolgen kann, wenn die vorangegangene Kündigung über ihre Sozialwidrigkeit hinaus nicht auch aus anderen Gründen unwirksam ist.3 Begründet wird diese Ansicht zu Recht damit, dass die Möglichkeit des Arbeitgebers, sich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG trotz unwirksamer Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis zu lösen, nach ihrem Sinn und Zweck dem Ausgleich der Nachteile dienen soll, die sich angesichts der erschwerten Kündigungsvoraussetzungen nach dem KSchG ergeben, und dass der Anlass für eine derartige Privilegierung entfällt, wenn die Kündigung bereits aus anderen als den im KSchG genannten Gründen unwirksam ist.4
519
Nach der Rechtsprechung des BAG soll allerdings der Auflösungsantrag des Arbeitgebers bei Unwirksamkeit der Kündigung auch aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit dann nicht ausgeschlossen sein, wenn diese „anderen Gründe“ allein der Wahrung der Interessen Dritter dienen. Nur wenn die zur Unwirksamkeit führende Norm den Zweck verfolge, dem Arbeitnehmer einen zusätz-
520
1 Vgl. BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 207/94, NZA 1995, 309. 2 KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 27 ff.; Auffarth DB 1969, 528. 3 St. Rspr. BAG v. 28.5.2009 – 2 AZR 949/07 (n.v.); v. 28.8.2008 – 2 AZR 63/07, NZA 2009, 275 m.w.N.; ebenso ErfK/Kiel, § 9 KSchG Rz. 3, 17; HaKo/Fiebig, § 9 KSchG Rz. 30; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 9 KSchG Rz. 16; KDZ/Zwanziger, § 9 KSchG Rz. 6; KR/ Etzel § 102 BetrVG Rz. 191; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 329; Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 46; MüKo/Hergenröder, 9 KSchG Rz. 30. 4 Vgl. eingehend BAG v. 28.8.2008 – 2 AZR 63/07, NZA 2009, 275.
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Teil 12 Rz. 521
Kündigungsschutzprozess
lichen Schutz zu verschaffen (z.B. § 9 MuSchG; § 15 KSchG) sei dem Arbeitgeber die Privilegierung der §§ 9, 10 KSchG zu versagen.1 521
" Praxistipp: Unschädlich für die Zulässigkeit des arbeitgeberseitigen Auf-
lösungsantrags ist es, wenn sich der Arbeitgeber auf unterschiedliche Kündigungssachverhalte beruft, die sowohl zur Sozialwidrigkeit wie auch zur Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen führen.2 Denn für den Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG reicht es aus, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung lediglich hinsichtlich eines Kündigungssachverhaltes allein auf der fehlenden sozialen Rechtfertigung beruht.
2. Beschränkung auf ordentliche Kündigung 522
Während der Arbeitnehmer gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung auch nach einer unberechtigten außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber verlangen kann, kommt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nur nach einer sozialwidrigen ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers in Betracht.3 Grund für diese gesetzgeberische Einschränkung zu Lasten des Arbeitgebers ist, dass in der nicht gerechtfertigten außerordentlichen Kündigung ein besonders schwer wiegender Rechtsverstoß liegt, der nicht durch Gewährung einer Auflösungsmöglichkeit noch belohnt werden soll.
523
Anders ist die Situation zu beurteilen, dass der Arbeitgeber neben der außerordentlichen Kündigung vorsorglich ordentlich gekündigt oder sich auf die Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung berufen hat (§ 140 BGB). In diesem Falle kann der Arbeitgeber unter der Voraussetzung einer sich ergebenden Sozialwidrigkeit der (vorsorglich erklärten oder mittels Umdeutung anzunehmenden) ordentlichen Kündigung nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 9, 10 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Kündigungsfrist begehren, ohne dass wegen seiner ebenfalls unberechtigten außerordentlichen Kündigung ein solcher Antrag ausgeschlossen wäre.4 3. Begründung des Auflösungsbegehrens a) Verhältnis von Kündigungsgründen und Auflösungsgründen
524
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers hin das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, wenn – vom Arbeitgeber im Streitfall nachzuweisende5 – Gründe vorliegen, die eine den Be1 BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 207/94, NZA 1995, 309; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 9 Rz. 18; HaKo/Fiebig § 9 KSchG Rz. 31a; Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 46. 2 BAG v. 21.9.2000 – 2 AZN 576/00, NZA 2001, 102. 3 BAG v. 26.10.1979 – 7 AZR 752/77, NJW 1980, 1484; v. 10.11.1994 – 2 AZR 207/94, NZA 1995, 309. 4 BAG v. 26.10.1979 – 7 AZR 752/77, NJW 1980, 1484. 5 Zur Darlegungs- und Beweislast vgl. BAG v. 25.10.1989 – 2 AZR 633/88, AP Nr. 36 zu § 611 BGB Direktionsrecht; v. 16.5.1984 – 7 AZR 280/82, AP Nr. 12 zu § 9 KSchG 1969.
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Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Rz. 526 Teil 12
triebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Zukunft nicht mehr erwarten lassen. Zu dem Verhältnis der Auflösungsgründe zu den vorgetragenen Kündigungsgründen werden von der Rechtsprechung im Hinblick auf die Zielsetzung des KSchG, den Arbeitnehmer vor einem Verlust seines Arbeitsplatzes durch sozialwidrige Kündigungen zu bewahren, strenge Anforderungen an die vom Arbeitgeber vorzutragenden Auflösungsgründe gestellt.1 So kann nach Ansicht des BAG der Antrag zwar prinzipiell auch auf solche Umstände gestützt werden, die (erfolglos) zur sozialen Rechtfertigung der vorangegangenen Kündigung herangezogen worden sind.2 Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall jedoch im Einzelnen darlegen, auf welche im Rahmen der Kündigung vorgetragenen Tatsachen er sich beruft und warum diese einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit entgegenstehen. Eine pauschale Bezugnahme auf die Kündigungsbegründung oder allgemeine Redewendungen etwa des Inhalts, die Vertrauensgrundlage sei weggefallen oder ein Zerwürfnis sei eingetreten, reicht dazu nicht aus.3 Es ist somit eine eindeutige Trennung zwischen der Begründung der Kündigung und der des Auflösungsantrages durch den Arbeitgeber erforderlich.4 Hinzu kommt, dass mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch der Schutzzweck des KSchG nicht umgangen werden darf. Dementsprechend ist ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers abzulehnen, wenn er lediglich auf die schon zur Rechtfertigung der Kündigung vorgebrachten Gründe gestützt wird und sein Erfolg die Rechtsprechung unterlaufen würde, an deren Voraussetzungen die Kündigung gescheitert ist, etwa im Falle der fehlenden Abmahnung vor einer verhaltensbedingten Kündigung.5 Aus den dargelegten Gründen wird es deshalb in der Regel erforderlich sein, neben den die Kündigung nicht rechtfertigenden Tatsachen zusätzlich weitere Auflösungsgründe vorzutragen, um mit dem Antrag nach § 9 KSchG durchdringen zu können.6
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Der generell strenge Prüfungsmaßstab bedeutet indessen nicht, dass die Anforderungen erfüllt sein müssen, die nach § 626 BGB für die außerordentliche Kündigung vorausgesetzt werden.7 Dies wäre auch widersinnig, da der Arbeitgeber bei Vorliegen eines wichtigen Grundes überhaupt nicht auf die Möglichkeit des Auflösungsantrags angewiesen ist, sondern – sofern er die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB einhält – das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung auflösen kann. Auch ein Sachverhalt, der nicht dazu führt, dass die Fortsetzung
526
1 BVerfG v. 22.10.2004 – 1 BvR 1944/01, EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 49; ebenso st. Rspr. des BAG zuletzt v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362; v. 2.6.2005 – 2 AZR 234/04, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 51 m.w.N. 2 BAG v. 26.10.1979 – 7 AZR 752/77 – AP Nr. 5 zu § 9 KSchG 1969. 3 BAG v. 14.1.1993 – 2 AZR 343/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 39; v. 30.6.1983 – 2 AZR 524/81, AP Nr. 15 zu Art. 140 GG. 4 BAG v. 21.1.1981 – 7 AZR 1133/78 (n.v.). 5 LAG Kiel v. 10.8.1999 – 3 Sa 73/99, RzK I 11 a Nr. 29; LAG Köln v. 13.5.1994 – 13 Sa 247/94, ARST 1994, 177. 6 LAG Hamm v. 30.1.1995 – 10 (19) Sa 1931/93, LAGE § 626 BGB Nr. 84. 7 BAG v. 14.5.1987 – 2 AZR 294/86, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969; ErfK/Kiel, § 9 KSchG Rz. 19; KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 52.
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Teil 12 Rz. 527
Kündigungsschutzprozess
des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 626 BGB unzumutbar ist, kann demnach einen Auflösungsgrund darstellen. 527
Ein zeitlich nach der sozialwidrigen Kündigung entstandener Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers, etwa durch die nach Ausspruch der Kündigung erfolgte Übernahme eines Betriebsratsamtes (§§ 15 KSchG, 103 BetrVG) oder die im Nachhinein eintretende Schwangerschaft (§ 9 MuSchG) oder Schwerbehinderung (§§ 85 ff. SGB IX), wirkt sich auch auf den vom Arbeitgeber gestellten Auflösungsantrag aus. Würde man hier die Auflösung des Arbeitsverhältnisses immer schon dann zulassen, wenn eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwartet werden kann, würde dies zu einer Umgehung der besonderen Kündigungsschutzvorschriften führen. Deshalb wird etwa bei einem Auflösungsantrag gegen ein nachträglich in den Betriebsrat eingerücktes Betriebsratsmitglied im Hinblick auf § 15 KSchG zu Recht angenommen, dass nur ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung i.S.d. § 626 BGB die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann1, und dies – entsprechend der Regelung des § 103 BetrVG – auch nur, wenn der Betriebsrat dem zuvor zugestimmt hat.2 Zu weitgehend wäre es jedoch anzunehmen, dass die gesetzlichen Bestimmungen über den besonderen Kündigungsschutz für Amtsträger als spezielle Regelungen dem § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorgingen und eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses deshalb von vornherein ausscheide.3
528
Wie im Falle der Betriebsratsmitgliedschaft des Arbeitnehmers sind auch bei einem nachträglich eingetretenen Mutter- oder Schwerbehinderten-Sonderkündigungsschutz die für den Auflösungsantrag die für eine entsprechende Kündigung geltenden Sondervorschriften einzuhalten.4 Vor einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses muss deshalb gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG durch die zuständige Landesbehörde die Kündigungssperre aufgehoben bzw. gemäß § 85 SGB IX durch das Integrationsamt die Zustimmung zur Auflösung erteilt werden.
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" Praxistipp: Nicht durch den Auflösungsantrag betroffen sind die Rechte des
Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Zulässig ist es daher, wenn der Arbeitgeber zur Begründung des Auflösungsantrages solche Tatsachen heranzieht, die nicht Gegenstand einer Betriebsratsanhörung waren.5
1 BAG v. 7.12.1972 – 2 AZR 235/72, BB 1973, 750; LAG Berlin v. 27.5.2004 – 13 Sa 313/04, NZA-RR 2005, 130. 2 HK/Hauck, § 9 KSchG Rz. 53; KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 62; Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 64; a.A. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 9 KSchG Rz. 61. 3 LAG Hamm v. 30.9.1999 – 16 Sa 2598/98, LAGE § 9 KSchG Nr. 33; KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 62. 4 So LAG Chemnitz v. 12.4.1996 – 2 (4) Sa 102/96, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 37 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses einer nach Ausspruch der Kündigung schwanger gewordenen Arbeitnehmerin; a.A. v. Hoyningen-Huene/ Linck, § 9 KSchG Rz. 62. 5 So jetzt BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 240/01, AP Nr. 45 zu § 9 KSchG 1969; LAG Stuttgart v. 23.3.2001 – 18 Sa 65/00 (n.v.); zustimmend: ErfK/Kiel § 9 KSchG Rz. 25; KDZ/ Zwanziger, § 9 KSchG Rz. 23; ablehnend: KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 58a.
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Mues
Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Rz. 531 Teil 12
b) Auflösungsgründe in der Prozessführung des Arbeitnehmers Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen, die eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr erwarten lassen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG), kann auf solche Umstände gestützt werden, die das persönliche Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistungen oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben sowie sein Verhältnis zu den Mitarbeitern betreffen.1 So ist die persönliche Beziehung zum Arbeitgeber beispielsweise dann in auflösungsträchtiger Weise gestört, wenn der Arbeitnehmer letzteren wahrheitswidrig in der Öffentlichkeit in Misskredit bringt2, insbesondere, wenn er ihn zu Unrecht einer Straftat bezichtigt und entsprechende Strafanzeige erhebt.3 Indes kann von einer zerstörten Vertrauensbasis nicht die Rede sein, wenn der Arbeitnehmer eine Vorstandsentscheidung kritisiert, welche die Auflösung seiner Betriebsstelle beinhaltete, wenn er sich dabei nicht ehrkränkend oder beleidigend geäußert hat. Gleiches gilt für eine – überzogene – Abfindungsvorstellung, die vom Arbeitnehmer auf Anfrage eines Vorstandsmitglieds geäußert wird.4 Betriebliche Gründe können hingegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur in Ausnahmefällen rechtfertigen, wenn hierdurch zugleich die für § 9 KSchG erforderliche Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber oder seinem Vertreter und dem Arbeitnehmer vorliegt.5
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Maßgeblich für die Prüfung des Bestehens von Auflösungsgründen ist – anders als für die Prüfung der Sozialwidrigkeit der Kündigung – der Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag. Als Auflösungsgrund kommt somit nicht nur das Verhalten des Arbeitnehmers bis zum Ausspruch der sozialwidrigen Kündigung in Betracht. Der Arbeitgeber kann vielmehr auch die Ereignisse einbeziehen, die sich nach Ausspruch der Kündigung bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zugetragen haben.6 Auch und vor allem das Verhalten des Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses (z.B. Beleidigungen oder sonstige ehrverletzende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber im Prozessvortrag) kann deshalb als Begründung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG herangezogen werden. Denn insbesondere im Verlauf des Rechtsstreits kann es zwischen den Parteien zu Spannungen kommen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als nicht gedeihlich erscheinen lassen, z.B. wenn der Arbeitnehmer im Prozess wahrheitswidrige Behauptungen aufstellt, die das ohnehin belastete Vertrauensverhältnis endgültig zerstören.7 Zu beachten ist allerdings, dass unzutreffende Rechtsausführungen des Arbeitnehmers, die dieser während des
531
1 BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 256/04, NZA 2006, 363; v. 14.5.1987 – 2 AZR 294/86, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969; LAG Hamm v. 31.5.2007 – 17 Sa 1857/06 (n.v.). 2 LAG Köln v. 29.9.1982 – 5 Sa 514/82, DB 1983, 124. 3 LAG Hamburg v. 27.6.1995 – 3 Sa 114/94, LAGE § 9 KSchG Nr. 26. 4 Vgl. LAG Hamm v. 31.5.2007 – 17 Sa 1857/06 (n.v.). 5 BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 158/01, NZA 2003, 261; KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 54; LAG Hamm v. 31.5.2007 – 17 Sa 1857/06 (n.v.). 6 BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 158/01, AP Nr. 42 zu § 9 KSchG 1969; ebenso ErfK/Kiel § 9 KSchG Rz. 12. 7 LAG Köln v. 29.9.1982 – 5 Sa 514/82, DB 1983, 124.
Mues
1077
Teil 12 Rz. 532
Kündigungsschutzprozess
Kündigungsschutzverfahrens äußert, grundsätzlich durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt sein können und deshalb nicht immer die Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen können. Aus diesem Grunde wird der Arbeitgeber im Falle einer gerichtlichen Geltendmachung von (überhöhten) Vergütungsansprüchen aus Annahmeverzug durch den Arbeitnehmer nicht erfolgreich argumentieren können, eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei schon deshalb nicht mehr zu erwarten, weil es dem Arbeitnehmer lediglich darum gehe, ihm zu schaden.1 Auch die unzutreffende Berufung des Arbeitnehmers auf eine Sitten- oder Treuwidrigkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung während des Kündigungsschutzverfahrens stellt grundsätzlich keinen Auflösungsgrund dar, zumindest, sofern sie in sachlicher Form erfolgt ist.2 Anders ist es allerdings zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer durch unzutreffenden, zur Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen nicht unbedingt erforderlichen Prozessvortrag das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien geschädigt hat. Hat etwa der Arbeitnehmer im Prozess den unbewiesenen Vorwurf des Prozessbetrugs und der Falschbeurkundung gegen seinen Arbeitgeber erhoben, kann dies Grund für einen erfolgreichen Auflösungsantrag des Arbeitgebers sein, sofern das schlichte Bestreiten des arbeitgeberseitigen Vortrags mit Nichtwissen der Wahrung berechtigter Interessen genügt hätte.3 Da das Vorliegen eines Auflösungsgrundes erst zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abschließend beurteilt wird, ist es im übrigen auch denkbar, dass mögliche Auflösungsgründe ihr Gewicht verlieren, weil die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände sich im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geändert haben.4 532
" Praxistipp: Auflösungsgründe erfordern kein Verschulden. Vielmehr kommt
es darauf an, ob die objektive Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Auflösung bei dem Arbeitgeber mit Recht die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht mehr gedeihlich ist. Dementsprechend hat das BAG entschieden, dass auch das unsachliche, beleidigende oder verleumderische Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess die Auflösung bedingen kann5, zumindest, sofern der Arbeitnehmer sich von diesem Verhalten nicht eindeutig distanziert. Das Verhalten eines unbeteiligten Dritten als Auflösungsgrund ist dem Arbeitnehmer demgegenüber nur dann zuzurechnen, wenn es durch das Verhalten des Arbeitnehmers in irgendeiner Weise veranlasst worden ist, was vom Arbeitgeber im Einzelnen darzulegen ist.6
1 BAG v. 16.5.1984 – 7 AZR 280/82, AP Nr. 12 zu § 9 KSchG 1969. 2 BAG v. 21.9.2000 – 2 AZR 440/99, AP Nr. 112 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 3 LAG Köln v. 28.8.1996 – 11 Sa 64/96, AE 1997, 87. 4 BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 158/01, AP Nr. 42 zu § 9 KSchG 1969. 5 BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 158/01, AP Nr. 42 zu § 9 KSchG 1969; v. 14.5.1987 – 2 AZR 294/86, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969; v. 3.11.1983 – 2 AZR 104/82 (n.v.). 6 BAG v. 14.5.1987 – 2 AZR 294/86, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969.
1078
Mues
Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Rz. 536 Teil 12
4. Auflösung ohne Begründung bei leitenden Angestellten, § 14 Abs. 2 KSchG Auch die gerichtliche Auflösung der Arbeitsverhältnisse von leitenden Angestellten richtet sich grundsätzlich nach den §§ 9, 10 KSchG. Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass – anders als dies § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die arbeitgeberseitige Auflösung sonstiger Arbeitsverhältnisse vorsieht – der Auflösungsantrag des Arbeitgebers hier gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG keiner Begründung bedarf und damit für den Arbeitgeber erheblich leichter zu realisieren ist.
533
a) Status des leitenden Angestellten im KSchG Der Begriff des leitenden Angestellten im KSchG ist ein anderer als der in dem hier vor allem interessierenden § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.
534
So ist einerseits der kündigungsschutzrechtliche Begriff des leitenden Angestellten restriktiver als der betriebsverfassungsrechtliche, hat also diesem gegenüber einen engeren Anwendungsbereich. Denn § 14 Abs. 2 KSchG setzt im Unterschied zu § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG voraus, dass der leitende Angestellte im Betrieb oder Unternehmen eine Position einnimmt, die der eines Geschäftsführers oder Betriebsleiters zumindest ähnlich ist, und stellt damit über die betriebsverfassungsrechtliche Regelung hinausgehende Anforderungen auch an die hierarchische Stellung des leitenden Angestellten. Andererseits ist es für die Regelung des § 14 Abs. 2 KSchG im Hinblick auf die erforderliche Personalkompetenz im Vergleich zu § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG statt der dort verlangten kumulativen Entlassungs- und Einstellungsbefugnis des leitenden Angestellten ausreichend, wenn alternativ entweder eine Entlassungs- oder eine Einstellungsbefugnis vorliegt, selbst wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG nicht nur dann erfüllt sind, wenn der Angestellte zur selbständigen Einstellung und Entlassung aller Arbeitnehmer des Betriebes oder der Betriebsabteilung befugt ist, sondern auch dann, wenn die Befugnisse sich nur auf einen Teil der Belegschaft beziehen.1 Steigt ein Angestellter innerhalb des Unternehmens auf und werden ihm Aufgaben eines leitenden Angestellten i.S.v. § 14 Abs. 2 KSchG übertragen, so führt diese Beförderung zu einer Verschlechterung des Bestandsschutzes, weil der Arbeitgeber gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG einen Auflösungsantrag nicht zu begründen braucht und sich so gegen Zahlung einer Abfindung von dem Angestellten trennen kann, ohne dass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 KSchG erfüllt sein müssen. Das Kündigungsschutzgesetz wandelt sich dann für den leitenden Angestellten im Gegensatz zum nicht leitenden Angestellten um in ein „Abfindungsgesetz“ und verliert seine Funktion als „Bestandsschutzgesetz“. Den Eintritt dieser Rechtsfolge kann der Arbeitnehmer nur erfolgreich bestreiten, wenn entsprechende besondere Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber getroffen wurden, die dieser Rechtsfolge eindeutig entgegenstehen.2
535
Für die leitende Position i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG ist der Begriff des Geschäftsführers untechnisch zu verstehen. Es ist nicht etwa der Geschäftsführer i.S.d.
536
1 BAG v. 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, DB 2008, 590. 2 BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, BB 2008, 390.
Mues
1079
Teil 12 Rz. 537
Kündigungsschutzprozess
§ 35 GmbHG gemeint, denn auf diesen finden gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG die Vorschriften des KSchG erst gar keine Anwendung.1 Geschäftsführer im Sinne des § 14 Abs. 2 KSchG ist – unabhängig von der durch die Parteien gewählten Bezeichnung – vielmehr derjenige Arbeitnehmer, dem allein oder im Zusammenwirken mit anderen Mitarbeitern die Führung eines Unternehmens obliegt.2 Die Wahrnehmung von Führungsaufgaben, beispielsweise im wirtschaftlichen, personellen oder kaufmännischen Bereich ist auch Voraussetzung dafür, dass ein Arbeitnehmer als Betriebsleiter i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG angesehen werden kann. So gilt als Betriebsleiter derjenige, der innerhalb eines Unternehmens einen selbständigen Betrieb eigenverantwortlich führt, dabei wesentliche unternehmerische Teilaufgaben wahrnimmt, zugleich Vorgesetzter der im Betrieb Beschäftigten mit entsprechendem Weisungsrecht (nicht lediglich Aufsichtsrecht) ist, und bei seiner Tätigkeit einen erheblichen Entscheidungsspielraum hat. Das BAG hat dies etwa für den Leiter der Filiale einer Restaurantkette angenommen, die aufgrund eines eigenen Budgets in weiten Teilen selbständig und von der Zentrale unabhängig geführt wurde und somit einen selbständigen Betrieb darstellte.3 Die außerdem in § 14 Abs. 2 KSchG aufgeführten „ähnlichen leitenden Angestellten“ müssen eine dem Geschäftsführer oder Betriebsleiter vergleichbare Funktion ausüben, also wie diese einer nicht geringen Anzahl von Arbeitnehmern gegenüber eine Vorgesetztenstelle innehaben sowie innerhalb des Unternehmens oder Betriebes eigenverantwortlich Führungsaufgaben wahrnehmen.4 Nicht ausreichend ist dafür eine lediglich beratende, ordnende, fachlich anleitende oder Aufsichtsfunktion, wie sie beispielsweise Werkmeister, Poliere oder auch Chefärzte in einem Krankenhaus in der Regel innehaben.5 537
Der Arbeitnehmer in einer solchen Position fällt nur dann unter den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 KSchG, wenn er zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht6 bezieht sich diese zusätzliche Voraussetzung des § 14 Abs. 2 KSchG nicht lediglich auf die Gruppe der „ähnlichen leitenden Angestellten“, sondern auf alle drei in der Vorschrift aufgeführten Personengruppen. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Regelung. Denn § 14 Abs. 2 KSchG geht auf die Vorschrift des § 12 Abs. 2 BRG zurück, nach dessen Wortlaut Geschäftsführer und Betriebsleiter ausdrücklich nur bei selbständiger Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis als leitende Angestellte anzusehen waren.7 1 2 3 4
LAG Stuttgart v. 13.2.1992 – 11 Sa 79/91, LAGE § 14 KSchG Nr. 2. LAG Stuttgart v. 13.2.1992 – 11 Sa 79/91, LAGE § 14 KSchG Nr. 2. BAG v. 25.11.1993 – 2 AZR 517/93, AP Nr. 3 zu § 14 KSchG 1969. BAG v. 28.9.1961 – 2 AZR 428/60, DB 1961, 1651; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 14 KSchG Rz. 19. 5 LAG Hamm v. 14.12.2000 – 8 Sa 1234/00, LAGE § 9 KSchG Nr. 35; LAG Stuttgart v. 13.2.1992 – 11 Sa 79/91, LAGE § 14 KSchG Nr. 2. 6 So z.B. ErfK/Kiel, § 14 KSchG Rz. 12; HaKo-Pfeiffer, § 14 KSchG Rz. 17; Löwisch/Spinner, § 14 KSchG Rz. 17. 7 BAG 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, AP Nr. 39 zu § 9 KSchG 1969; LAG Stuttgart v. 13.2. 1992 – 11 Sa 79/91, LAGE KSchG § 14 Nr. 2; zustimmend: KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 27; HK-KSchG/Dorndorf, § 14 KSchG Rz. 23; KDZ/Kittner/Deinert, § 14 KSchG Rz. 21a.
1080
Mues
Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Rz. 542 Teil 12
Ähnlich wie bei den leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung und Entlassung für eine nicht unbedeutende Anzahl von Arbeitnehmern bestehen. Dies bedeutet zwar nicht, dass der leitende Angestellte die Personalkompetenz hinsichtlich aller Arbeitnehmer eines Betriebes haben muss. So steht es beispielsweise einer Anwendung des § 14 Abs. 2 KSchG in der Regel nicht im Wege, wenn eine Aufteilung der Einstellungs- bzw. Entlassungsbefugnisse für gewerbliche und kaufmännische Mitarbeiter erfolgt ist und der leitende Angestellte nur für einen der beiden Bereiche zuständig ist. Nicht ausreichend ist es aber, wenn sich die Personalkompetenz lediglich auf einen eng begrenzten Personenkreis bezieht, da hier das Aufgabengebiet nicht ausreichend bedeutsam ist, um die Leitungsfunktion noch klar genug zum Ausdruck zu bringen.1
538
Das Erfordernis relevanter Personalkompetenz ist erfüllt, wenn die Personalkompetenz einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des leitenden Angestellten ausmacht und prägend für seine Stellung im Unternehmen oder Betrieb ist.2 Das ist dann nicht der Fall, wenn ihm in der Regionaldirektion eines Versicherungsunternehmens lediglich fünf Arbeitnehmer unterstellt sind.3
539
" Praxistipp: In der Praxis ist zu beachten, dass eine selbständige Einstel-
540
Ebenso wenig ist eine Personalverantwortung i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG anzunehmen, wenn der Angestellte aufgrund einer Prokura oder Generalvollmacht zwar nach außen hin Personalmaßnahmen treffen kann, intern aber nicht die Befugnis besitzt, selbständig über die Einstellung oder Entlassung von Personal zu entscheiden.6
541
Von einer selbständigen Einstellungsbefugnis kann deshalb beispielsweise weder im Außen- noch im Innenverhältnis die Rede sein, wenn ein Chefarzt für die Einstellung nachgeordneter Ärzte der vorherigen Zustimmung der Krankenhausleitung bedarf und die Abwicklung und Einstellung durch den Verwaltungsdirektor des Krankenhauses erfolgt.7
542
lungs- oder Entlassungsbefugnis nur dann vorliegt, wenn diese dem Angestellten sowohl dem rechtlichen Können als auch dem rechtlichen Dürfen des Angestellten entspricht.4 Dafür reicht es nicht aus, wenn der Angestellte lediglich im Innenverhältnis verbindliche Vorschläge machen darf, im Außenverhältnis aber nicht zum Vertragsabschluss bevollmächtigt ist.5
1 So für die insoweit vergleichbare Regelung des § 5 BetrVG: BAG v. 11.3.1982 – 6 AZR 136/79 – AP Nr. 28 zu § 5 BetrVG 1972. 2 BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 176/00, AP Nr. 6 zu § 14 KSchG 1969 bejaht dies bei personeller Entscheidungskompetenz bzgl. einer abgeschlossenen Gruppe von Mitarbeitern, deren Bedeutung für das Unternehmen und den unternehmerischen Erfolg wesentlich ist. 3 BAG 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, AP Nr. 39 zu § 9 KSchG 1969. 4 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 903/98, AP Nr. 5 zu § 14 KSchG 1969; vgl. auch BAG v. 11.3.1982 – 6 AZR 136/79, AP Nr. 28 zu § 5 BetrVG 1972 zu dem insoweit vergleichbaren § 5 BetrVG. 5 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 903/98, AP Nr. 5 zu § 14 KSchG 1969; LAG Nürnberg v. 10.11.1998 – 6 (4) Sa 509/97, NZA-RR 1999, 238 (239). 6 Vgl. Rumler, Der Kündigungsschutz leitender Angestellter 1990, 31 f. 7 BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 903/98, AP Nr. 5 zu § 14 KSchG 1969.
Mues
1081
Teil 12 Rz. 543
Kündigungsschutzprozess
b) Eigenständige Klärung der Statusfrage, Darlegungs- und Beweislast 543
Auf leitende Angestellte i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG findet § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG mit der Maßgabe Anwendung, dass der vom Arbeitgeber gestellte Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung bedarf, § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Mit der unter erleichterten Bedingungen möglichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber in diesen Fällen hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass zwischen dem leitenden Angestellten und dem Arbeitgeber in der Regel ein besonderes Vertrauensverhältnis herrscht, ohne das eine vernünftige Zusammenarbeit nicht denkbar wäre und dessen Fortbestehen letztlich nur durch den Arbeitgeber selbst – und nicht durch das Arbeitsgericht – beurteilt werden kann.1
544
Deshalb braucht der Arbeitgeber in den Fällen des § 14 Abs. 2 KSchG solche Auflösungsgründe weder darzulegen noch nachzuweisen.2 Das Arbeitsgericht muss vielmehr auf entsprechenden Antrag des Arbeitgebers nach einer sozialwidrigen Kündigung das Arbeitsverhältnis auch dann auflösen, wenn es überzeugt ist, dass eine Störung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrauensverhältnisses nicht vorliegt.
545
Effektiver Bestandsschutz besteht angesichts dieser Möglichkeit des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis nach einer sozialwidrigen Kündigung ohne jegliche Begründung auflösen zu lassen, für die leitenden Angestellten nicht. Für die Zahlung einer angemessenen Abfindung sind die §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 10 KSchG im Übrigen auch auf die Auflösung der Arbeitsverhältnisse leitendender Angestellter uneingeschränkt anwendbar.3
II. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers 546
Auch der Arbeitnehmer kann gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung erreichen. Nicht anders für den Antrag des Arbeitgebers setzt dies die Feststellung der Sozialwidrigkeit der zuvor vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung voraus. Darüber hinaus kommt für den Arbeitnehmer – anders als für den Arbeitgeber – eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch bei Vorliegen einer sittenwidrigen Kündigung in Betracht, § 13 Abs. 2 KSchG. Im Unterschied zum Auflösungsantrag des Arbeitgebers handelt es sich bei dem Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG um einen sog. uneigentlichen Eventualantrag, d.h. nur soweit der Antrag auf Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung begründet ist, sind auch die prozessualen Voraussetzungen für eine Entscheidung über den Auflösungsantrag erfüllt; ist der Hauptantrag dagegen unbegründet, ist der Auflösungsantrag automatisch gegenstandslos. Dementsprechend ist der Auflösungsantrag nicht hilfsweise, 1 Vgl. BT-Drucks. V/3913 zu Art. 1 Nr. 9; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 14 KSchG Rz. 37; Rumler, Der Kündigungsschutz leitender Angestellter 1990, 100. 2 ErfK/Kiel, § 14 KSchG Rz. 19; KDZ/Kittner/Deinert, § 14 KSchG Rz. 25; KR/Rost, § 14 KSchG Rz. 38; abweichend ohne Begründung: Säcker, RdA 1976, 91 (98), der den Arbeitgeber für darlegungspflichtig hält. 3 Vgl. BT-Drucks. V/3913, S. 14.
1082
Mues
Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Rz. 548 Teil 12
sondern zusätzlich neben dem betreffenden Kündigungsschutzantrag geltend zu machen, und zwar spätestens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Zu beachten ist jedoch, dass es in aller Regel ermessensfehlerhaft ist, wenn ein Gericht eher über einen Kündigungsschutzantrag hinsichtlich einer Kündigung und über einen darauf bezogenen Auflösungsantrag entscheidet als über einen zeitlich vorhergehenden Auflösungsantrag. Insoweit hat das BAG mit Urteil vom 27.4.2006 seine bis dahin aufrechterhaltene Auffassung aufgegeben, wonach vor Entscheidung über einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers rechtskräftig darüber entschieden sein musste, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt nachgehende Kündigungen zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt hätten, da eine derartige Beurteilung in aller Regel ermessensfehlerhaft sei.1 Bei Ausübung des Ermessens habe das Gericht mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dazu gehörten insbesondere die Prozesswirtschaftlichkeit, die Vermeidung der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen sowie der Beschleunigungsgrundsatz.2 Die genannten Aspekte schlössen es in aller Regel aus, über einen Kündigungsschutzantrag hinsichtlich einer Kündigung und über einen darauf bezogenen Auflösungsantrag eher zu entscheiden als über einen zeitlich vorgehenden Auflösungsantrag.3 1. Erforderlichkeit der Begründung Nicht anders als der arbeitgeberseitige Auflösungsantrag bedarf auch der Auflösungsantrag des Arbeitnehmers der Begründung. So kann der Arbeitnehmer gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur dann verlangen, wenn ihm dessen Fortsetzung nicht mehr zuzumuten ist, was anhand konkreter, die Unzumutbarkeit rechtfertigender Tatsachen von ihm darzulegen und – sofern nötig – auch zu beweisen ist. Tatsachen, die der Arbeitnehmer im Prozess nicht vorgebracht hat, dürfen dagegen für den Auflösungsantrag nicht berücksichtigt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie offenkundig sind.4
547
Im Rahmen der Prüfung, ob dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten oder das Arbeitsverhältnis aufzulösen ist, sind zudem nur solche Umstände von Bedeutung, die einen inneren Zusammenhang mit der zuvor ausgesprochenen sozialwidrigen Kündigung oder dem daraufhin eingeleiteten Kündigungsschutzprozess aufweisen. Davon unabhängige Sachverhalte, die aus Sicht des Arbeitnehmers für die Unzumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit sprechen, sind von ihm ggf. im Wege einer eigenständigen Kündigung geltend zu machen. Denn es ist nicht Sinn des § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG, dem Arbeitnehmer für ein zufälligerweise im Laufe des Kündigungsschutzprozesses eintretendes und mit diesem nicht in Verbindung stehen-
548
1 2 3 4
BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 360/05, NZA 2007, 229. Vgl. BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 33/04, MDR 2005, 947; vgl. BAGE 81, 27 v. 13.9.1995. BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 360/05, NZA 2007, 229. BAG v. 30.9.1976 – 2 AZR 402/75, AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969; Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 35.
Mues
1083
Teil 12 Rz. 549
Kündigungsschutzprozess
des Ereignis ein mit einer Abfindung verbundenes Sonderkündigungsrecht zu gewähren.1 549
Der Begriff der Unzumutbarkeit in § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist nicht mit dem wichtigen Grund in § 626 BGB für die außerordentliche Kündigung identisch. So machen zwar einerseits die Gründe, die den Arbeitnehmer zur fristlosen Kündigung berechtigen, stets auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzumutbar. Andererseits können aber auch schon solche Tatsachen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzumutbar machen, die für eine fristlose Kündigung nicht ausreichen.2 Der im Hinblick auf die Unzumutbarkeit unterschiedliche Beurteilungsmaßstab liegt im unterschiedlichen Normzweck der beiden Vorschriften begründet. Denn während bei § 626 Abs. 1 BGB darauf abzustellen ist, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zum vereinbarten Ende zumutbar ist, kommt es bei § 9 Abs. 1 KSchG darauf an, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit zumutbar ist.3 Behauptet beispielsweise der Arbeitgeber aus Anlass der Kündigung oder im Laufe des Kündigungsschutzprozesses zu Unrecht, dass dem Arbeitnehmer für seine Aufgaben die nötige Qualifikation fehle, so kann es dem Arbeitnehmer durchaus zuzumuten sein, mit dem Arbeitgeber noch bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zusammenzuarbeiten. Die Zumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit auf unbestimmte Zeit kann dagegen durch die unzutreffende Äußerung des Arbeitgebers entfallen sein, da der Arbeitnehmer befürchten muss, dass der Arbeitgeber auch in Zukunft seine Qualifikation nicht anerkennen und ihn nicht seinen Fähigkeiten entsprechend beschäftigen wird.4
550
Zu beachten ist andererseits aber auch, dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses in der Regel nicht schon allein deshalb unzumutbar ist, weil der Arbeitgeber eine sozialwidrige Kündigung ausgesprochen hat. Sofern nicht ausnahmsweise bereits die Kündigungsgründe unzutreffende ehrverletzende Behauptungen zu Lasten des Arbeitnehmers enthalten und damit die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, müssen deshalb grundsätzlich weitere dem Arbeitgeber zuzurechnende Umstände hinzukommen, aus denen sich ergibt, dass von dem Arbeitnehmer eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr verlangt werden kann.5
551
Als Auflösungsgründe kommen insbesondere unzutreffende ehrverletzende Behauptungen des Arbeitgebers zu Person oder Verhalten des Arbeitnehmers in Betracht, die entweder bereits im Zusammenhang mit der Kündigung selbst oder aber danach, etwa im Laufe des Kündigungsschutzprozesses, von diesem vorgebracht worden sind. Unzumutbar ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer beispielsweise dann, wenn der Arbeitgeber den zu1 BAG v. 24.9.1992 – 8 AZR 557/91, AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 9 KSchG Rz. 47. 2 BAG v. 26.11.1981 – 2 AZR 509/79, AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969. 3 BAG v. 24.9.1992 – 8 AZR 557/91, AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX. 4 BAG v. 26.11.1981 – 2 AZR 509/79, AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969. 5 BAG v. 24.9.1992 – 8 AZR 557/91, AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX.
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Mues
Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Rz. 553 Teil 12
vor wegen „Arbeitsmangels“ gekündigten Arbeitnehmer im Gütetermin als „nutzlos“ und „zu dumm, einen Besen zu halten“ bezeichnet.1 Aber auch andere das Vertrauensverhältnis störende Verhaltensweisen des Arbeitgebers (sei es im oder außerhalb des Prozesses) können die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, so wenn der Arbeitgeber sich, ohne hierzu berechtigt zu sein, im Zuge des Kündigungsschutzprozesses an den Arzt des gekündigten Arbeitnehmers wendet und diesem gegenüber Zweifel an der Berechtigung einer Krankschreibung des Arbeitnehmers äußert2, oder wenn er den Arbeitnehmer ohne jeglichen Grund während des Laufes der Kündigungsfrist von der Arbeit suspendiert.3 Das Verhalten dritter Personen kann dabei den Auflösungsantrag des Arbeitnehmers nur dann begründen, wenn der Arbeitgeber dieses Verhalten durch eigenes Tun veranlasst oder zumindest gebilligt hat.4 Schließlich kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch wegen zu erwartender Spannungen mit anderen Mitarbeitern unzumutbar sein, z.B. wenn der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess allein deswegen gewonnen hat, weil der Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl anstelle des Arbeitnehmers einen anderen von diesem näher bezeichneten, weniger schutzwürdigen Arbeitskollegen hätte entlassen müssen.5 Nicht ausreichend ist es aber, wenn in einem Kündigungsschutzprozess lediglich unzutreffende, nicht beleidigende Tatsachenbehauptungen über die Person oder das Verhalten des Arbeitnehmers aufgestellt werden bzw. solche Tatsachenbehauptungen, die als Kündigungsgrund nicht ausreichen oder im Prozess nicht bewiesen werden können.6 Auch reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht die Tatsache aus, dass ein Arbeitgeber angekündigte Gespräche mit dem Betriebsrat über die Einführung eines neuen Vergütungssystems nicht durchgeführt hat. Von einem derartigen Vorgang ist der Arbeitnehmer nämlich nicht unmittelbar betroffen. Vielmehr beruft er sich in diesem Fall auf die Verletzung von betriebsverfassungsrechtlich geschützten Positionen, gegen deren Beeinträchtigung sich der Betriebsrat selbst zur Wehr setzen kann. Von den betriebsverfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen der Betriebsparteien ist er nicht mehr und nicht weniger betroffen als alle übrigen Betriebszugehörigen auch. Die Unterlassung der angekündigten Unterredungen mit dem Betriebsrat vermögen daher keine Aufhebung des Einzelarbeitsvertrags zu begründen.7
552
Nimmt der Arbeitgeber die von ihm ausgesprochene Kündigung im Laufe des Kündigungsschutzprozesses zurück, hindert dies den Arbeitnehmer weder daran, an seinem einmal gestellten Auflösungsantrag festzuhalten, noch daran,
553
1 2 3 4
ArbG Dortmund v. 14.8.1990 – 5 Ca 1155/90, ArbuR 1991, 120. BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 803/96, RzK I 11 c Nr. 13. BAG v. 24.9.1992 – 8 AZR 557/91, AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX. Vgl. BAG v. 14.5.1987 – 2 AZR 294/86, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969 (zum Auflösungsantrag des Arbeitgebers). 5 LAG Hamm v. 23.5.1975 – 3 Sa 251/75, DB 1975, 1514; einschränkend: LAG Köln v. 2.2. 1987 – 2 Sa 1265/86, EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 25. 6 LAG Köln v. 26.1.1995 – 10 Sa 1134/94, LAGE § 9 KSchG Nr. 25; BAG v. 21.9.2000 – 2 AZR 440/99, AP Nr. 112 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 7 LAG Rheinland-Pfalz v. 17.10.2007 – 7 Sa 525/07 (n.v.).
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Teil 12 Rz. 554
Kündigungsschutzprozess
erst nach der Kündigungsrücknahme gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen. Denn die Erhebung der Kündigungsschutzklage beinhaltet nach zutreffender Ansicht keine antizipierte Zustimmung des Arbeitnehmers zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, so dass der Arbeitnehmer das in der Rücknahme der Kündigung liegende Vertragsangebot des Arbeitgebers durch Stellung eines entsprechenden Auflösungsantrags ohne weiteres ablehnen kann.1 554
" Praxistipp: In allen Fällen kann sich der Arbeitnehmer entsprechend § 162
Abs. 2 BGB nicht auf Auflösungsgründe berufen, die er selbst in treuwidriger Weise herbeigeführt hat.2 Hat er selbst durch sein Verhalten die Ursache für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gesetzt, ist eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht auf seinen Antrag, sondern allenfalls auf Antrag des Arbeitgebers hin möglich.
2. Auflösungsantrag bei außerordentlicher Kündigung 555
Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG kann der Arbeitnehmer – anders als der Arbeitgeber (vgl. unter Rz. 522 ff.) – nicht nur nach einer sozialwidrigen ordentlichen, sondern auch nach einer unberechtigten außerordentlichen Arbeitgeberkündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragen, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Voraussetzung ist hierfür jedoch, dass der Arbeitnehmer über §§ 1, 23 KSchG allgemeinen Kündigungsschutz genießt. Dies folgt im Umkehrschluss aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG, der die Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG grds. für unanwendbar erklärt und davon lediglich für die §§ 4–7, 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG, nicht jedoch für den § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG, eine Ausnahme macht.
556
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung ist ausweislich § 13 Abs. 1 Satz 4 KSchG der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat. Dies ist, wie die Begründung des Gesetzesentwurfs klarstellt, bei der fristlosen Kündigung der Zugang der Kündigungserklärung, bei einer außerordentlichen befristeten Kündigung der vom Arbeitgeber genannte Zeitpunkt und bei einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei ordentlicher Kündigung geendet hätte.3 Der Streitstand zur alten Rechtslage4 hat sich folglich erledigt.
557
Kommt die Umdeutung einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung in Betracht, so hat der Arbeitnehmer, wenn das Gericht beide Kündigungen für unwirksam erachtet, grundsätzlich die Wahl, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bezogen auf die fristlose Kündi1 BAG v. 19.8.1982 – 2 AZR 230/80, AP Nr. 9 zu § 9 KSchG 1969; noch offengelassen von BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, DB 1981, 2438; ArbG Dortmund v. 14.8.1990 – 5 Ca 1155/90, ArbuR 1991, 120. 2 BAG v. 24.9.1992 – 8 AZR 557/91, AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; v. 15.2.1973 – 2 AZR 16/72, AP Nr. 2 zu § 9 KSchG 1969. 3 Begründung des Regeierungsentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204. 4 Vgl. auch Bader in Bader/Bram/Dörner/Wenzel, 70. EL Juli 2009, § 13 KSchG Rz. 21.
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Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Rz. 558 Teil 12
gung oder nur auf die umgedeutete fristgerechte Kündigung zu beantragen. Er kann also wählen, ob das Arbeitsverhältnis gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 KSchG mit Kündigungszugang oder – etwa im Hinblick auf die bis zum Ende der Kündigungsfrist bestehenden Arbeitsentgeltansprüche – gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG erst nach Ablauf der jeweils geltenden Kündigungsfrist aufgelöst werden soll.1 Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitgeber gleichzeitig mit der außerordentlichen Kündigung hilfsweise auch eine ordentliche Kündigung ausgesprochen hat und laut gerichtlicher Feststellung beide Kündigungen unwirksam sind.2 3. Auflösungsantrag bei Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen Ist die Kündigung ausschließlich aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit (ordentliche Kündigung) oder des Fehlens eines wichtigen Grundes (außerordentliche Kündigung) unwirksam, so z.B. wegen Mangels der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform nach § 623 BGB oder wegen fehlender oder fehlerhafter Betriebsratsanhörung nach §§ 102, 103 BetrVG, kann der Arbeitnehmer angesichts des klaren Wortlauts des § 13 Abs. 3 KSchG eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG bzw. § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG nicht verlangen.3 Die Anwendbarkeit der §§ 1–14 KSchG – ausgenommen die §§ 4–7 KSchG – auf die aus anderen Gründen unwirksame Kündigung ist ausgeschlossen. Ist dem Arbeitnehmer infolge der ausschließlich aus anderen Gründen unwirksamen Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten, kann er deshalb lediglich seinerseits nach § 626 BGB fristlos kündigen und ggf. – falls ein Verschulden des Arbeitgebers vorlag – Schadenersatz nach § 628 BGB verlangen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer nicht neben der Unwirksamkeit aus sonstigen Gründen gleichzeitig auch die Sozialwidrigkeit der Kündigung bzw. den Mangel eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB geltend machen und für den Fall, dass letztere gerichtlich festgestellt werden, entsprechend den §§ 9 ff. KSchG die Vertragsauflösung erreichen könnte. Denn anders als im Falle des arbeitgeberseitigen Auflösungsantrags (vgl. unter Rz. 514 ff.) schließt beim Auflösungsantrag des Arbeitnehmers das zusätzliche Vorliegen anderer Unwirksamkeitsgründe i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG die Anwendbarkeit der Auflösungsvorschriften nicht aus.4 Voraussetzung für eine Auflösung ist allerdings, dass das Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung auch tatsächlich ausdrücklich festgestellt hat und diese Frage nicht etwa – z.B. im Hinblick auf die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen – offengelassen hat.5 Deshalb kann der Arbeitnehmer nach Stellung des Auflösungsantrages und Geltendmachung der So1 BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 159/93, AP Nr. 113 zu § 626 BGB. 2 KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 110. 3 BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, AP Nr. 30 zu § 9 KSchG 1969; v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969; Löwisch/Spinner, § 13 KSchG Rz. 56; APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 66; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 13 KSchG Rz. 68; abweichend: KR/ Friedrich, § 13 KSchG Rz. 351. 4 BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969. 5 BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, AP Nr. 30 zu § 9 KSchG 1969.
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Teil 12 Rz. 559
Kündigungsschutzprozess
zialwidrigkeit eine Entscheidung hierüber zur Ermöglichung der Auflösung ausdrücklich begehren. 559
Einer gerichtlichen Feststellung der Sozialwidrigkeit bedarf es nach ausnahmsweise dann nicht, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen auf einem Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) beruht. Der Arbeitnehmer (nicht jedoch der Arbeitgeber) kann in diesem Falle aufgrund der Sonderregelung des § 13 Abs. 2 KSchG auch ohne Vorliegen einer sozialwidrigen ordentlichen oder ungerechtfertigten außerordentlichen Kündigung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung verlangen, sofern ihm – was nach einer sittenwidrigen Kündigung der Regelfall sein dürfte – die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist. Neben der rechtzeitigen Erhebung der Kündigungsschutzklage (innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG), schon deshalb erforderlich ist, um zu verhindern, dass die Kündigung gemäß §§ 4, Satz 1, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt1, setzt die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 KSchG allerdings voraus, dass der betreffende Arbeitnehmer überhaupt Kündigungsschutz i.S.d. KSchG genießt, die persönlichen und sachlichen Anforderungen der §§ 1, 23 KSchG mithin erfüllt sind.2 Dies folgt im Umkehrschluss daraus, dass § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG über einen entsprechenden Verweis die §§ 4–7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG von den auf Kleinbetriebe grds. unanwendbaren Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG ausdrücklich ausnimmt, einen derartigen Verweis auf § 13 Abs. 2 KSchG aber nicht vorsieht. Findet das KSchG keine Anwendung, kann der Arbeitnehmer deshalb zwar die Nichtigkeit der Kündigung geltend machen. Auf die besonderen Befugnisse des § 13 Abs. 2 KSchG kann er sich dann aber nicht berufen.
III. Beiderseitiger Auflösungsantrag 560
Haben sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag gestellt, ist fraglich, inwiefern das Gericht nach Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung zur Prüfung der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist und dementsprechend für die Parteien die Notwendigkeit besteht, ihr Auflösungsbegehren zu begründen.
561
Teilweise wird die Auffassung vertreten, auch bei beiderseitigem Auflösungsantrag sei eine volle gerichtliche Überprüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen erforderlich. Ergebe die Prüfung, dass letztere nicht erfüllt seien, müssten notfalls beide Anträge abgewiesen und das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden.3 Nach dieser Ansicht sind beide Auflösungsanträge voneinander unabhängig zu prüfen, wobei dem Antrag des Arbeitnehmers als unechtem Hilfsantrag der Vorrang zukommt und erst, wenn sich dieser Antrag als unbegründet erweist, auf den echten Hilfsantrag des Arbeitgebers auf Auflösung 1 KR/Friedrich, § 13 KSchG Rz. 162. 2 Anders aber wohl APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 52. 3 KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 66; Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 89.
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Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils
Rz. 564 Teil 12
des Arbeitsverhältnisses einzugehen ist1 (sog. Staffelungsverhältnis der hilfsweisen Anträge). Diese Auffassung überzeugt nicht. Denn bereits die Tatsache, dass beide Parteien übereinstimmend die Auflösung beantragen, bringt deutlich zum Ausdruck, dass eine Fortsetzung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht mehr sinnvoll ist. So gibt der Arbeitnehmer durch seinen Auflösungsantrag indirekt zu verstehen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit von ihm nicht zu erwarten ist, während andererseits der Arbeitgeber bereits durch seinen Auflösungsantrag dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Eine weitergehende Sachprüfung der Auflösungsgründe durch das Gericht erscheint unter diesen Umständen überflüssig.2 Zudem wäre es auch widersinnig, die Parteien trotz der von beiden gewollten Auflösung an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten3, ohne dass hierfür ein einleuchtender Grund besteht.
562
" Praxistipp: Bei übereinstimmend beantragter Vertragsauflösung ist auch
563
ohne dahin gehende gerichtliche Überprüfung davon auszugehen, dass ein Auflösungsgrund vorliegt. Das Arbeitsgericht hat in derartigen Fällen neben der Sozialwidrigkeit der vorangegangenen Kündigung nur noch zu entscheiden, in welcher Höhe die Abfindung festzusetzen ist. Da bei der Bemessung der Abfindungshöhe auch Auflösungsgründe eine Rolle spielen können, wird auch in diesem Fall ein entsprechender Parteivortrag für die Begründung der Auflösung zu berücksichtigen sein.
IV. Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils 1. Gestaltungswirkung und Verhältnis zu Rechtskraft Mit Rechtskraft des stattgebenden Auflösungsurteils wird das Arbeitsverhältnis zu dem im Urteil festgesetzten Zeitpunkt beendet. Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere auf Entgeltzahlung oder auf Annahmeverzugslohn (§ 615 BGB) entfallen damit rückwirkend zu dem im Urteil bestimmten Termin bzw. können nach diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr neu entstehen. Die Auflösungsentscheidung stellt ein der Vollstreckung nicht zugängliches Gestaltungsurteil dar, dessen rechtsändernde Wirkung – die Auflösung des Arbeitsverhältnisses – erst eintritt, wenn es gerichtlich nicht mehr anfechtbar ist.4 Dies bedeutet aber nicht, dass der im Urteil zuerkannte Abfindungsanspruch nicht bereits vor Rechtskraft der Auflösungsentscheidung (vorläufig) vollstreckt wer1 KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 65. 2 So auch BAG v. 29.3.1960 – 3 AZR 568/58, AP Nr. 7 zu § 7 KSchG; LAG Köln v. 29.6. 2001 – 11 Sa 143/01, MDR 2002, 221; v. 23.4.1993 – 14 Sa 1065/92 (n.v.); LAG Hamm v. 3.12.1998 – 4 Sa 703/98 (n.v.); offen gelassen von BAG v. 23.6.1993 – 2 AZR 56/93, AP Nr. 23 zu § 9 KSchG 1969; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 9 KSchG Rz. 74. 3 So auch LAG Hamm v. 3.12.1998 – 4 Sa 703/98 (n.v.); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1212; KDZ/Zwanziger, § 9 KSchG Rz. 29; Hümmerich/Boecken/Düwell/Eylert, AnwK-ArbR Bd. 2, 2008, § 9 KSchG, Rz. 43. 4 BAG v. 28.1.1961 – 2 AZR 482/59, AP Nr. 8 zu § 7 KSchG; ErfK/Kiel, § 9 KSchG Rz. 2.
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Teil 12 Rz. 565
Kündigungsschutzprozess
den könnte. Denn zwar ist der Abfindungsanspruch von der Auflösung des Arbeitsverhältnisses abhängig. Bei der im Urteil ausgesprochenen Verpflichtung zur Abfindungszahlung handelt es sich jedoch im Gegensatz zu dem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses betreffenden Ausspruch um eine vollstreckungsfähige Verurteilung zu einer Leistung, so dass gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auch vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils die Zwangsvollstreckung gegen den Arbeitgeber möglich ist.1 2. Auflösungszeitpunkt 565
Das Gericht hat gemäß § 9 Abs. 2 KSchG für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, zu dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Maßgeblicher Auflösungszeitpunkt ist damit das Ende der regulären, d.h. der sich aus Gesetz, Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ergebenden Kündigungsfrist. Hat der Arbeitsgeber die im Einzelfall geltende Kündigungsfrist nicht eingehalten, sondern dem Arbeitnehmer zu einem früheren Termin gekündigt, hat das Gericht das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt aufzulösen, zu dem es bei fristgerechter Kündigung beendet worden wäre.2 Dies gilt auch für den Fall, dass eine unwirksame fristlose Kündigung des Arbeitgebers gemäß § 140 BGB nachträglich in eine ordentliche Kündigung umgedeutet wird.3 Bei der Kündigung zu einem späteren Termin ist dagegen letzterer für die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich.4
566
Das Gericht ist in Bezug auf die Festsetzung des Auflösungstermins an den in § 9 Abs. 2 KSchG bestimmten Zeitpunkt zwingend gebunden. Ein Ermessensspielraum steht ihm angesichts des eindeutigen Wortlauts der genannten Vorschrift nicht zu. Insbesondere kann das Gericht nicht aus Billigkeitserwägungen einen späteren als den nach § 9 Abs. 2 KSchG maßgebenden Auflösungszeitpunkt festsetzen, etwa weil der zur Auflösung vorgebrachte Umstand erst nach längerer Prozessdauer eingetreten ist und deshalb bei rückwirkender Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer nur eine erheblich unter dem im Falle des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses zu zahlenden Verzugslohn liegende Abfindung erhalten würde.5 Obwohl damit der Arbeitnehmer im Falle eines durch ihn oder den Arbeitgeber gestellten Auflösungsantrags finanziell u.U. schlechter dasteht als ein Arbeitnehmer, bei dem ein solcher Antrag nicht gestellt wurde, verstößt nach zutreffender Auffassung des BAG6 die den Auflösungszeitpunkt betreffende Regelung des § 9 Abs. 2 KSchG weder gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG noch gegen die in Art. 14 GG verankerte Eigentumsgarantie oder sonstige verfassungsrechtliche Prinzipien. Der für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorausgesetzte objektive Zerrüttungstatbestand rechtfertigt vielmehr als sachlicher Grund die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit und ohne Auflösungsantrag. Auch eine Verletzung 1 2 3 4 5 6
BAG v. 9.12.1987 – 4 AZR 561/87, AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979. KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 31; Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 72. Vgl. BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 159/93, AP Nr. 113 zu § 626 BGB. Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 72. BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 21/81, AP Nr. 10 zu § 9 KSchG 1969. BAG v. 16.5.1984 – 7 AZR 280/82, AP Nr. 12 zu § 9 KSchG 1969.
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Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils
Rz. 569 Teil 12
der in Art. 14 GG verankerte Eigentumsgarantie durch einen etwaigen Entzug der Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug wird zu Recht verneint, da es sich bei der Entscheidung des Gesetzgebers, anstelle eines Bestands- einen Abfindungsschutz zu gewähren, um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentumsrechts handelt, die nicht als enteignender Eingriff anzusehen ist.1 Die Verfassungsmäßigkeit der §§ 9, 10 KSchG ist mittlerweile auch durch das BVerfG bestätigt worden.2 Das Arbeitsverhältnis ist nach § 13 Abs. 1 Satz 4 KSchG zu dem Zeitpunkt aufzulösen, zu dem der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat. Dies ist bei fristloser Kündigung der Zugang der Kündigung, bei der außerordentlich befristeten Kündigung der vom Arbeitgeber genannte Zeitpunkt und bei der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei ordentlicher Kündigung geendet hätte.3
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3. Abfindungsanspruch Gibt das Arbeitsgericht dem Auflösungsantrag einer der beiden Arbeitsvertragsparteien statt, hat es gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1, 2 KSchG zugleich auch über die vom Arbeitgeber zu zahlende Abfindung zu entscheiden. Die Entscheidung erfolgt von Amts wegen und bedarf nicht des vorherigen Antrags durch den Arbeitnehmer.
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a) Obergrenzen für Höhe der Abfindung Bei der Bestimmung der Abfindungshöhe ist das Gericht an die in § 10 KSchG festgelegten Obergrenzen gebunden. Diese dienen dem Schutz des Arbeitgebers und dürfen vom Gericht im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens zwar unter-, nicht jedoch überschritten werden. Die gesetzlich zulässigen Höchstgrenzen sind entsprechend dem Lebensalter des betreffenden Arbeitnehmers und der Dauer des zwischen ihm und dem Arbeitgeber bestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl. hierzu Rz. 575 ff.) gestaffelt. So schreibt § 10 Abs. 1 KSchG für Arbeitnehmer, die zu dem vom Gericht nach § 9 Abs. 2 KSchG festgesetzten Auflösungszeitpunkt, also zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist im Falle der ordentlichen bzw. zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung im Falle der außerordentlichen Kündigung (vgl. Rz. 565 ff.) weder das fünfzigste Lebensjahr vollendet haben noch mindestens fünfzehn Jahre bei ihrem jetzigen Arbeitgeber beschäftigt waren, einen Abfindungs-Höchstsatz von zwölf Monatsverdiensten vor. Der genannte Abfindungsrahmen erhöht sich auf maximal fünfzehn Monatsverdienste, wenn zum Auflösungszeitpunkt der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre lang bestanden hat, bzw. auf achtzehn Monatsverdienste, wenn der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet 1 Vgl. auch KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 13a. 2 BVerfG v. 29.1.1990 – 1 BvR 42/82, EzA § 9 nF KSchG Nr. 34. 3 So die Begründung des Gesetzesentwurfs v. 24.6.2003, BT-Drucks. 15/1204.
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Teil 12 Rz. 570
Kündigungsschutzprozess
und das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre lang bestanden hat, § 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG. 570
Eine Sonderregelung sieht § 10 Abs. 2 Satz 2 KSchG für Arbeitnehmer vor, die zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die in § 35 Nr. 1 SGB VI bezeichnete Regelaltergrenze überschritten, also das 65. Lebensjahr vollendet haben: Für diese Arbeitnehmer gilt statt der erhöhten Abfindungsgrenzen des § 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG die normale Höchstgrenze von zwölf Monatsverdiensten, und zwar – da es nach der insoweit eindeutigen Regelung allein auf das Lebensalter ankommt – unabhängig davon, ob neben Erreichen der Altersgrenze gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI auch die allgemeine Wartezeit von derzeit fünf Jahren erfüllt und damit ein Anspruch auf Altersrente gegeben ist.
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In Berechnung des für die Höchstgrenzen maßgeblichen Monatsverdienstes sind gemäß § 10 Abs. 3 KSchG alle Geld- und Sachbezüge einzubeziehen, die der Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, normalerweise – also bei Weiterführung des Arbeitsverhältnisses – erhalten hätte. Abgestellt wird somit entgegen der früheren Regelung (§ 8 Abs. 1 Satz 2 KSchG a.F.) nicht mehr auf die betriebsübliche, sondern auf die für den von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer relevante, individuelle Arbeitszeit. Dies wirkt sich insbesondere für die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer aus, deren Abfindung nunmehr entsprechend ihrer persönlichen, im Vergleich zur betriebsüblichen Arbeitszeit verkürzten Arbeitszeit berechnet wird. Da es nach § 10 Abs. 3 KSchG für die Bestimmung des Monatsverdienstes auf die regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers ankommt, sind einmalige Abweichungen von der sonst üblichen, für den Arbeitnehmer relevanten Arbeitszeit nicht zu berücksichtigen. So wirkt es sich für den Arbeitnehmer weder verdiensterhöhend aus, wenn ausnahmsweise Überstunden anfallen, noch verdienstmindernd, wenn er vorübergehend Kurzarbeit leistet, es sei denn, diese Tatbestände stellen für den betreffenden Arbeitnehmer die Regel dar. Keinen Einfluss auf die Berechnung des Monatsverdienstes haben auch Arbeitsunterbrechungen, wie sie etwa für die Zeit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, des ihm zustehenden Erholungsurlaubs, der Freistellung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder einer Stillegung des Betriebs bestehen.1 Die monatliche Vergütung bemisst sich in diesen Fällen vielmehr nach der (fiktiven) normalerweise üblichen Arbeitszeit.
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Bei der Ermittlung des maßgeblichen Monatsverdienstes sind nach § 10 Abs. 3 KSchG sowohl die Geld- als auch die Sachbezüge, die dem Arbeitnehmer für den Auflösungsmonat zustehen, zu berücksichtigen. Die Geldbezüge beinhalten dabei neben der Grundvergütung, die in einem festen Geld- oder Naturallohn, aber auch in einem Zeit- oder Akkordlohn bestehen kann, auch regelmäßig zu zahlende Zulagen, z.B. Zuschläge für Nachtarbeit, Gefahren- und Schmutzzulagen, Prämien oder Provisionen. Auch zusätzliche Zuwendungen mit Entgeltcharakter, die – wie etwa ein 13. Monatsgehalt, Umsatzbeteiligungen oder Tantiemen – nicht monatlich, sondern bezogen auf einen längeren Beschäftigungszeit1 KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 30.
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Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils
Rz. 575 Teil 12
raum (i.d.R. ein Jahr) gewährt werden, sind als Geldbezüge i.S.d. § 10 Abs. 3 KSchG einzustufen. Sie sind bei der Berechnung des maßgeblichen Monatsverdienstes anteilig umzulegen, d.h. unabhängig vom Tag ihrer Auszahlung mit einem entsprechenden Bruchteil der für den Gesamtzeitraum geleisteten Bezüge zu berücksichtigen.1 Nicht zum Monatsverdienst hinzuzurechnen sind dagegen nach zutreffender Auffassung gratifikationsweise geleistete Zuwendungen, etwa in Form von Weihnachts- oder Urlaubsgeldern, da diese an besondere Bedingungen geknüpft und damit nicht Bestandteil der regelmäßigen Vergütung sind.2 Nicht anders als die Geldbezüge sind auch die dem Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistung gewährten Sachbezüge Teil des in § 10 Abs. 3 KSchG definierten Monatsverdienstes. Gängigstes Beispiel hierfür ist der dem Arbeitnehmer von Arbeitgeberseite zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellte Dienst-Pkw;3 aber auch die unentgeltliche Überlassung einer Dienstwohnung oder die Gewährung von Deputaten sind als Sachleistungen des Arbeitgebers i.S.d. § 10 Abs. 3 KSchG anzusehen. Zu beachten ist, dass sich die Bewertung der Sachbezüge nach dem wahren Wert der jeweiligen Leistung richtet; steuer- oder sozialrechtliche Bewertungsfaktoren sind insofern ohne Bedeutung.4
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" Praxistipp: Zu beachten ist, dass der nach § 10 Abs. 3 KSchG für die Abfin-
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dungshöhe maßgebliche Monatsverdienst als Bruttoverdienst anzusetzen ist, so dass die Berechnung unter Zugrundelegung der vom Arbeitgeber gezahlten Vergütung vor Abzug der Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge erfolgt.5 Anders kann es sich in einem Abfindungsvergleich verhalten. Die darin enthaltene Formulierung „brutto = netto“ bedeutet lediglich, dass der vereinbarte Abfindungsbetrag vom Arbeitgeber ungekürzt ausgezahlt werden soll. Es ist durch Auslegung zu ermitteln, wer von den Parteien die auf die Abfindung anfallende Steuer zu tragen hat, wenngleich grundsätzlich im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung ist.6
b) Bemessungskriterien für Höhe der Abfindung Im Unterschied zur nicht mehr gültigen Regelung des § 87 Betriebsrätegesetz 1920 (BRG)7, wonach für jedes Beschäftigungsjahr bis zu einem Zwölftel des letzten Jahresarbeitsverdienstes festgelegt werden durfte, sieht das KSchG keine bestimmten Regelsätze für die Bemessung der Abfindungshöhe vor. § 9 Abs. 1 1 Löwisch/Spinner, § 10 KSchG Rz. 3. 2 So auch APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 18; KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 33; a.A. Löwisch/ Spinner, § 10 KSchG Rz. 3; ErfK/Kiel, § 10 KSchG Rz. 3. 3 Zum Dienstwagen vgl. BAG v. 23.6.2004 – 7 AZR 514/03, NZA 2004, 1287. 4 Vgl. KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 34; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 10 KSchG Rz. 15; Brill, DB 1981, 2326 (2331); anders für die Bemessung des Schadensersatzes wegen unberechtigter Entziehung des zur privaten Nutzung überlassenen Dienstfahrzeugs: BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 412/2000 (n.v.). 5 KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 27; KDZ/Zwanziger, § 10 KSchG Rz. 18. 6 BAG v. 16.6.2004 – 5 AZR 521/03, NJW 2004, 3588; LAG Schleswig-Holstein v. 5.12. 2007 – 6 Sa 358/06 (n.v.). 7 Betriebsrätegesetz v. 4.2.1920, RGBl. I, S. 147.
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Teil 12 Rz. 576
Kündigungsschutzprozess
Satz 1 KSchG bestimmt lediglich, dass das Gericht im Rahmen der in § 10 KSchG festgelegten Obergrenzen den Arbeitgeber zur Zahlung einer der Höhe nach angemessene Abfindung zu verurteilen hat, ohne Angaben darüber zu machen, was damit im Einzelfall gemeint ist. Dementsprechend obliegt es dem Gericht, innerhalb der Grenzen seines pflichtgemäßen Ermessens den unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ zu konkretisieren und von Amts wegen die Höhe der Abfindung festzulegen; an die bezifferten Anträge der Parteien ist es dabei nicht gebunden.1 576
Im Rahmen der die Abfindungshöhe betreffenden Ermessensentscheidung hat das Arbeitsgericht alle im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände zu berücksichtigen. Eine schematische Bewertung wie die in der Praxis vielfach anzutreffende Abfindungsformel „ein halbes Bruttogehalt pro Beschäftigungsjahr“2 kann allenfalls als Anhaltspunkt für die Festsetzung der Abfindungshöhe dienen, stellt jedoch keine verbindliche Vorgabe für die Berechnung des Abfindungsanspruchs durch die Gerichte dar.3
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Welche im konkreten Fall bestehenden Umstände für die Bestimmung einer angemessenen Abfindungshöhe maßgeblich sein sollen und wie diese Umstände zu gewichten sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Anders als in der Vorgängerregelung des § 8 KSchG a.F., wonach die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers und die wirtschaftliche Situation der Parteien vom Gericht bei seiner Berechnung der Abfindungshöhe in besonderem Maße zu berücksichtigen waren, legt der Gesetzgeber in § 10 Abs. 2 KSchG lediglich für die Erhöhung der normalen Abfindungshöchstgrenze bestimmte Kriterien wie Lebensalter und Beschäftigungsdauer fest, verzichtet aber darauf, ähnliche Kriterien auch als Bemessungsfaktoren für die Bestimmung der Abfindungshöhe vorzuschreiben. Daraus folgt, dass das Arbeitsgericht grundsätzlich alle Umstände, die eine Erhöhung oder Verminderung des Abfindungsbetrags als gerechtfertigt erscheinen lassen, in seine Ermessensentscheidung mit einbeziehen kann, sofern es sich dabei an dem Zweck der Abfindungsregelung orientiert, dem Arbeitnehmer eine Entschädigung für die durch den Arbeitsplatzverlust entstandenen Nachteile zu gewähren4, und nicht völlig willkürliche Bemessungsfaktoren (etwa Herkunft, Geschlecht) für die Bewertung der Abfindungshöhe heranzieht.5
578
Eines der wichtigsten Bewertungskriterien bei der Bemessung der Abfindung ist die Dauer des bisherigen Arbeitsverhältnisses. Dies ergibt sich bereits aus der gesetzgeberischen Wertung des § 10 Abs. 2 KSchG, der die Beschäftigungsdauer als einen der maßgeblichen Faktoren für eine Steigerung der Abfindungsobergrenzen festlegt. Für eine vorrangige Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit spricht zudem, dass der nach § 9, 10 KSchG zu entschädigende „Wert“ des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer sich in erster Linie an dessen Dauer orientiert: Je länger das Arbeitsverhältnis bestanden hat, desto höher 1 BAG v. 26.6.1986 – 2 AZR 522/85, AP Nr. 3 zu § 10 KSchG 1969. 2 Zur diesbezüglichen Abfindungspraxis vgl. ausführlich Hümmerich, NZA 1999, 342 ff. 3 So auch LAG Köln v. 15.9.1994 – 10 Sa 595/94, NZA 1995, 993; KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 26. 4 Vgl. LAG Hamm v. 14.12.2000 – 8 Sa 1234/00, LAGE § 9 KSchG Nr. 35. 5 Löwisch/Spinner, § 10 KSchG Rz. 10.
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ist grundsätzlich auch der Verlust des sozialen Besitzstandes des Arbeitnehmers und damit die Höhe der Abfindung einzuschätzen.1 Das starke Gewicht der Beschäftigungsdauer bei der Bestimmung der Abfindungshöhe bedeutet indessen nicht, dass andere Umstände völlig unberücksichtigt bleiben müssten. So kann dem Arbeitnehmer trotz einer nur kurzen Betriebszugehörigkeit u.U. der höchstmögliche Abfindungsbetrag zuerkannt werden, wenn es andere Gründe gibt, die eine solche Entscheidung als angemessen erscheinen lassen.2 Für die Berechnung der Beschäftigungsdauer sind die für die Erfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG geltenden Grundsätze maßgeblich. Das Ende des Arbeitsverhältnisses richtet sich dabei nach dem im Abfindungsurteil festgelegten Auflösungszeitpunkt (vgl. hierzu Rz. 565 ff.).
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Neben der Beschäftigungsdauer ist insbesondere das zum Auflösungszeitpunkt erreichte Lebensalter des Arbeitnehmers für die Bemessung der Abfindungshöhe von Bedeutung. Im Grundsatz ist dabei die Abfindung mit steigendem Lebensalter höher zu bemessen, da es für den Arbeitnehmer mit zunehmendem Alter erfahrungsgemäß schwieriger wird, auf dem Arbeitsmarkt Ersatz für das aufgelöste Arbeitsverhältnis zu finden und ihn der Arbeitsplatzverlust somit i.d.R. härter trifft als einen vergleichbaren jungen Arbeitnehmer. Eine derartige Wertung lässt sich auch § 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG entnehmen, der für Arbeitnehmer über fünfzig bzw. über fünfundfünfzig Jahre die für die Abfindung geltenden Höchstgrenzen erweitert. Andererseits ergibt sich aus der Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 2 KSchG, wonach bei Erreichen des für die Regelaltersrente maßgeblichen Lebensalters durch den Arbeitnehmer eine Erhöhung des Abfindungsrahmens nicht stattfindet, dass sich das Lebensalter mit zunehmender Nähe zum gesetzlichen Rentenalter abfindungsmindernd auswirkt. Wird das Arbeitsverhältnis kurze Zeit vor Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres des Arbeitnehmers aufgelöst, kann daher auch eine geringere Abfindung festgesetzt werden, als es nach der im Einzelfall geltenden Höchstgrenze möglich wäre.3
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Grds. unerheblich für die Bemessung der Abfindung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers. So kann insbesondere ein beim Arbeitnehmer vorhandenes Vermögen keine entsprechende Minderung der Abfindungszahlung begründen, da andernfalls der sparsame Arbeitnehmer zu Unrecht benachteiligt würde.4 Berücksichtigungsfähig sind dagegen die wirtschaftlichen Nachteile, die für den Arbeitnehmer mit der vorzeitigen Vertragsauflösung verbunden sind, etwa der Wegfall von dem Arbeitnehmer zustehenden Entgeltansprüchen aus § 615 BGB oder der Verlust einer verfallbaren Versorgungsanwartschaft.5
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Bei der Bestimmung der Abfindungshöhe kann das Gericht auch die allgemeine Arbeitsmarktlage und die damit zusammenhängende Vermittlungsfähigkeit des
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1 2 3 4
KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 45. LAG Köln v. 15.9.1994 – 10 Sa 595/94, NZA 1995, 993. APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 22 m.w.N. KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 53; so im Wesentlichen auch ErfK/Kiel, § 10 KSchG Rz. 8 (Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse nur in Ausnahmefällen). 5 APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 27.
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Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt in seine Erwägungen mit einfließen lassen. Besteht etwa für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, eine andere Beschäftigung zu finden und damit die wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitsplatzverlustes abzumildern, kann dies u.U. als abfindungsmindernd gewertet werden.1 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Vermittlungsfähigkeit des Arbeitnehmers für das Gericht i.d.R. nur schwer zu beurteilen sein wird, da sie nicht nur von der objektiven Arbeitsmarktsituation, sondern insbesondere auch von subjektiven, in der Person des Arbeitnehmers liegenden Faktoren abhängt. Eine maßgebliche Bedeutung kommt der Situation auf dem Arbeitsmarkt daher im Rahmen der Abfindungsentscheidung nicht zu.2 583
Hat der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Abfindungsentscheidung bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden, ist dies regelmäßig durch eine Minderung der Abfindungssumme zu berücksichtigen.3 Die entgegenstehende Ansicht, die das besondere Engagement des Arbeitnehmers bei der Arbeitsplatzsuche nicht dem Arbeitgeber zugute kommen lassen will4, verkennt, dass die Abfindung eine Entschädigung der mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteile darstellt und deshalb konsequenterweise geringer ausfallen muss, wenn diese Nachteile durch Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses ausgeglichen werden. Richtig ist allerdings, dass bei der Abfindungsentscheidung auch zu berücksichtigen ist, ob und in welchem Umfang die Bedingungen des neuen Arbeitsverhältnisses zu Ungunsten des Arbeitnehmers von den im bisherigen Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen abweichen (z.B. bei geringerem Verdienst) und ob dem Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsplatzwechsels weitere Nachteile entstanden sind (z.B. Umzugskosten; kein Kündigungsschutz wegen – noch – fehlender Wartezeit; kein Anspruch auf Gratifikationen/Urlaubsgeld mangels längerer Betriebszugehörigkeit etc.).5 Eine Abfindungsminderung wird deshalb i.d.R. nur dann ermessensfehlerfrei sein, wenn der Arbeitsplatzwechsel für den Arbeitnehmer eine Verbesserung darstellt, zumindest aber keinen Nachteil beinhaltet.
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Keine Verkürzung der Abfindung findet statt, wenn der Arbeitnehmer einen – obwohl zumutbaren – neuen Arbeitsplatz ablehnt. Denn § 10 KSchG enthält keine Vorgaben, die eine Abfindung in derartigen Fällen entsprechend § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG entfallen lassen könnten.6
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Als weiteres Kriterium für die Bemessung der Abfindungshöhe kommt das Maß der Sozialwidrigkeit in Betracht7 sowie die Frage, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber die Auflösungsgründe schuldhaft mitverursacht haben.8 Beruht die Kün1 BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, AP Nr. 41 zu § 111 BetrVG 1972. 2 So auch KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 54; allgemein gegen die Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage: APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 25. 3 So die h.M.: KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 55; ErfK/Kiel, § 10 KSchG Rz. 7; v. HoyningenHuene/Linck, § 10 KSchG Rz. 20. 4 APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 26. 5 KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 55. 6 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 342/98, AP Nr. 37 zu § 113 BetrVG 1972. 7 BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 803/96, RzK I 11c Nr. 13; v. 25.11.1982 – 2 AZR 21/81 – AP Nr. 10 zu § 9 KSchG 1969; v. 15.2.1973 – 2 AZR 16/72, AP Nr. 2 zu § 9 KSchG 1969. 8 Vgl. hierzu auch LAG Hamm v. 14.12.2000 – 8 Sa 1234/00, LAGE § 9 KSchG Nr. 35.
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digung etwa darauf, dass der Arbeitnehmer den Kündigungssachverhalt selbst pflichtwidrig herbeigeführt hat, ist dies in die Ermessungsentscheidung über die Höhe der Abfindung einzubeziehen und kann im Einzelfall zu einer beträchtlichen Reduzierung des festzusetzenden Abfindungsbetrag führen.1 Hat dagegen der Arbeitgeber den Kündigungs- bzw. Auflösungssachverhalt in eigener Person oder durch ihm zuzurechnendes Verhalten Dritter veranlasst, wird i.d.R. eine höhere Abfindung zuzuerkennen sein; ebenso, wenn der vermeintliche Kündigungsgrund schon objektiv nicht gegeben und die Kündigung damit offensichtlich sozialwidrig ist.2 Schließlich ist nach richtiger Ansicht im Rahmen der vom Arbeitsgericht zu treffenden Ermessensentscheidung auch die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen.3 Ein derartiges Bemessungskriterium findet zwar in § 10 KSchG keine gesonderte Erwähnung, ist aber aus dem Rechtsgedanken des § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG herzuleiten, der für Sozialplanabfindungen eine Einbeziehung der wirtschaftlichen Situation auf Arbeitgeberseite ausdrücklich vorsieht, um eine Gefährdung anderer Arbeitsplätze oder gar der Existenz des Unternehmens durch die zu zahlende Abfindung zu verhindern.4 Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der wirtschaftlichen Belastung durch die Abfindungszahlung ist dabei die Leistungsfähigkeit des den Arbeitnehmer beschäftigenden Unternehmens, während es auf den einzelnen Beschäftigungsbetrieb nicht ankommen soll.5
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4. Sonstige Folgen der Auflösung a) SGB III: Sperrfrist, Erstattung nach § 147a SGB III Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG unter Gewährung einer Abfindung kann sich in bestimmten Fällen auch auf die sozialversicherungsrechtlichen Rechte und Pflichten der Parteien auswirken. Zwar unterliegen die nach §§ 9, 10 KSchG geleisteten Abfindungen nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung, da sie nicht für Zeiten des Arbeitsverhältnisses geleistet werden, sondern für Zeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und daher nicht als Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV anzusehen sind.6 Sozialversicherungsrechtliche Gesichtspunkte können aber insbesondere im Hinblick auf das in § 143a SGB III normierte Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Entlassungsentschädigung – dazu Rz. 588 ff. –, auf das Ruhen dieses Anspruchs bei Sperrzeit, § 144 SGB III – dazu Rz. 593 f. – sowie auf die Erstat-
1 LAG Düsseldorf v. 29.11.1994 – 16 Sa 1597/94, LAGE § 10 KSchG Nr. 2. 2 Vgl. LAG Köln v. 15.9.1994 – 10 Sa 595/94, NZA 1995, 993. 3 So auch APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 29; KR/Spilger, § 10 KSchG Rz. 60; Brill, DB 1981, 2326 (2328); v. Hoyningen-Huene/Linck, § 10 KSchG Rz. 22; einschränkend: Löwisch/ Spinner, § 10 KSchG Rz. 18; ablehnend: Gamillscheg, FS für F. W. Bosch, 209 (222). 4 APS/Biebl, § 10 KSchG Rz. 29. 5 So die h.M.: KR/Spilger, § 10 Rz. 61 m.w.N.; vgl. aber BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 803/96, RzK I 11 c Nr. 13. 6 So übereinstimmend BAG v. 9.11.1988 – 4 AZR 433/88, AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969; BSG v. 21.2.1990 – 12 RK 20/88, SozR 3–2400 § 14 Nr. 2.
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tungspflicht des Arbeitgebers nach § 147a SGB III – dazu Rz. 595 – betroffen sein.1 aa) § 143a SGB III 588
Die Regelung des § 143a SGB III sieht vor, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld bis zum Ablauf der im Einzelfall einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist ruht, wenn das Arbeitsverhältnis unter Zahlung einer wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleisteten Entlassungsentschädigung vorzeitig, d.h. ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Diese – nicht mit einer entsprechenden Verkürzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld verbundene – zeitliche Verlagerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld auf die Zeit nach Beendigung des Ruhenszeitraums dient dazu, einen Doppelbezug von Arbeitslosengeld und dem in der Entlassungsentschädigung nach gesetzlicher Regelvermutung stets mit enthaltenen Arbeitsentgelt vermeiden und gilt auch für den Fall der nach gerichtlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses gezahlten Abfindung.2
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In Bezug auf die nach §§ 9, 10 KSchG gewährte Abfindung ist zu beachten, dass gemäß § 9 Abs. 2 KSchG das Arbeitsverhältnis nach einer unberechtigten ordentlichen Kündigung stets zum Ende der nach gesetzlicher oder vertraglicher Regelung einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist aufzulösen ist, so dass mangels der in § 143a SGB III vorausgesetzten vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Ruhensregelung i.d.R. nicht eingreifen wird.
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Anderes gilt bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil im Anschluss an eine unbegründete außerordentliche Kündigung. Da hier das Arbeitsverhältnis bereits zu dem Zeitpunkt aufgelöst wird, zu dem es bei begründeter außerordentlicher Kündigung geendet hätte (vgl. Rz. 555 ff.), also vor Ablauf einer etwaigen ordentlichen Kündigungsfrist, kommt ohne weiteres § 143a SGB III zur Anwendung mit der Folge, dass vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der maßgeblichen ordentlichen Kündigungsfrist geendet hätte, der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht.3
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Ist die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, zeitlich begrenzt oder nur gegen Abfindung möglich, sind zudem die in § 143a Abs. 1 Satz 3, 4 SGB III festgelegten fiktiven Kündigungsfristen zu berücksichtigen. Sofern diese bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG unterschritten werden, sei es, weil nach einer dennoch erfolgten unberechtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis nach § 9 Abs. 2 KSchG zum ordentlichen Kündigungstermin aufgelöst wird und dieser Termin vor dem fiktiven Kündigungstermin liegt, sei es, weil das Arbeitsverhältnis nach einer unberechtigten außerordentlichen 1 Vgl. hierzu im Einzelnen unter Teil 13 Rz. 197 ff. (§ 143a SGB III) bzw. Teil 13 Rz. 289 ff. (§ 147a SGB III). 2 BSG v. 8.12.1987 – 7 RAr 48/86, SozR 4100 § 117 Nr. 21. 3 BSG v. 8.12.1987 – 7 RAr 48/86, SozR 4100 § 117 Nr. 21.
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Kündigung bereits zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs beendet wird, führt auch dies zu einem Ruhen des dem ausscheidenden Arbeitnehmer zustehenden Arbeitslosengeldanspruchs, und zwar bis zum Ablauf der gesetzlich bestimmten fiktiven Kündigungsfrist. Zur Beschränkung des Ruhenszeitraums nach § 143a Abs. 2 SGB III vgl. Teil 13 Rz. 268 ff.; zum Anspruchsübergang bei Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld nach §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X vgl. Teil 13 Rz. 272 ff.
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bb) § 144 SGB III Nach §§ 144, 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während einer Sperrzeit von i.d.R. zwölf Wochen ab dem Tag nach dem die Sperrzeit begründenden Ereignis, wenn der Arbeitslose den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit in vorwerfbarer Weise (mit-)verursacht hat1 ohne hierfür einen wichtigen Grund anführen zu können (hierzu im Einzelnen unter Teil 13 Rz. 83 ff.). Wie aus der Vorschrift des § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zu entnehmen ist, führt dabei das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs – anders als im Falle des § 143a SGB III – nicht lediglich zu einer zeitlichen Verlagerung, sondern zu einer der Sperrzeitdauer entsprechenden Verkürzung, so dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch gegen die BA auf das für diesen Zeitraum zu zahlende Arbeitslosengeld verliert.
593
Es fragt sich, ob der Sperrzeittatbestand des § 144 SGB III auch auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitsgerichtliches Urteil gem. §§ 9, 10 KSchG Anwendung findet. Selbst bei einer auf Antrag des Arbeitnehmers bzw. auf beiderseitigen Antrag hin erfolgte Auflösung des Arbeitsverhältnisses dürfte letzteres nach zutreffender Ansicht wohl zu verneinen sein. Denn zum einen wird man weder in dem Antrag des Arbeitnehmers2 noch erst recht in dem arbeitsgerichtlichen Urteil eine Auflösungshandlung i.S.d. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III sehen können. Zum anderen liegt in der für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers gemäß §§ 9, 10 KSchG vorausgesetzten Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugleich auch ein wichtiger Grund i.S.d. § 144 Abs. 1 SGB III, so dass eine Sperrzeit bereits aus diesem Grunde ausgeschlossen ist.3
594
cc) § 147a SGB III Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach unberechtigter ordentlicher oder außerordentlicher Kündigung kann gemäß § 147a SGB III auch zu der Verpflichtung des Arbeitgebers führen, ab Vollendung des 57. Lebensjahres des Arbeitslosen vierteljährlich und für längstens 32 Monate das durch die BA gewährte Arbeitslosengeld zu erstatten. Voraussetzung ist, dass 1 Vgl. hierzu BSG v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, BB 1996, 1510. 2 So auch ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 6. 3 Vgl. Gagel/Winkler, § 144 SGB III Rz. 47; zur ebenfalls als Sperrzeitanlass abgelehnten Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers vgl. Gagel/Winkler, SGB III Rz. 62.
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Teil 12 Rz. 596
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der nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidende Arbeitnehmer innerhalb der letzten vier Jahre vor Beginn der Arbeitslosigkeit mindestens 24 Monate lang versicherungspflichtig bei dem betreffenden Arbeitgeber beschäftigt war und keiner der in § 147a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 SGB III normierten Ausnahmetatbestände vorliegt (dazu im Einzelnen Teil 13 Rz. 289 ff.). Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers erfolgt ist, § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III und damit die von der Rechtsprechung für den Eintritt der Erstattungspflicht vorausgesetzte (Mit-)Verantwortung des Arbeitgebers an der Entlassung des Arbeitnehmers1 nicht gegeben ist. Allerdings werden an das Vorliegen von Befreiungssachverhalten i.d.R. strenge Anforderungen gestellt. So liegt kein der Eigenkündigung entsprechender Befreiungstatbestand vor, wenn das Arbeitsverhältnis nach einer ungerechtfertigten Kündigung durch den Arbeitgeber auf Antrag des Arbeitnehmers gemäß §§ 9, 10 KSchG gerichtlich aufgelöst worden ist. Zwar hat in diesem Fall der Arbeitnehmer durch seinen Auflösungsantrag nicht unerheblich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beigetragen. Der Arbeitgeber hat aber durch seine rechtsunwirksame Kündigung die spätere Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst ermöglicht, so dass vorliegend von einer die Erstattungspflicht begründenden Mitverantwortung für die Entlassung des Arbeitnehmers auszugehen ist. b) Sozialplanansprüche 596
Plant der Arbeitgeber eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG bzw. § 112a BetrVG, muss er zusammen mit dem Betriebsrat einen Sozialplan über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile aufstellen, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen, § 112 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 BetrVG. Ein solcher Sozialplan sieht i.d.R. die Zahlung von Abfindungen für die aufgrund der Betriebsänderung betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer vor, wobei in einem derartigen Sozialplan auch vorgesehen sein darf, Abfindungen für den Fall der Ablehnung zumutbarer Weiterbeschäftigungsangebote zu kürzen.2 In Sozialplänen kann darüber hinaus die Höhe der Abfindungen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig gemacht werden. Unter „Betriebszugehörigkeit“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch und der Rechtsterminologie der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Der Begriff verlangt, dass der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit dem Betrieb des Arbeitgebers angehörte. Das schließt Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber aus. Auch – frühere – Beschäftigungszeiten beim selben Arbeitgeber sind bei der Berechnung der Abfindung dann nicht zu berücksichtigen, wenn zwischen ihnen und dem letzten Arbeitsverhältnis kein enger sachlicher Zusammenhang besteht.3 Regelungen über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile müssen allerdings nicht ausschließlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in einem Sozialplan vereinbart werden. Auch können Tarifvertragsparteien Tarifverträge mit einem sozialplanähn1 Vgl. hierzu BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 44/86, BVerfGE 81, 156 (197 ff.); v. 10.11.1999 – 1 BvR 2296/96, DB 1999, 335. 2 BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 237. 3 BAG v. 13.3.2007 – 1 AZR 262/06, NZA 2008, 190.
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Wirkung und Folgen des Auflösungsurteils
Rz. 596 Teil 12
lichen Inhalt abschließen, in welchem die Voraussetzungen für die Zahlung von Abfindungen geregelt sind. Ist in einem tariflichen Sozialplan geregelt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung dann entfällt, wenn der gekündigte Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG erhebt und weist der Arbeitgeber hierauf vorher hin, so ist dieser Abfindungsausschluss rechtswirksam. Er verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen § 612a BGB.1 Die Befugnis zum Abschluss tariflicher Sozialpläne wird durch §§ 111, 112 BetrVG nicht eingeschränkt.2 Zulässig ist auch die Höchstbegrenzung einer mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigenden Sozialplanabfindung. Eine solche stellt auch unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben keine nach § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG a.F. verbotene Benachteiligung älterer Arbeitnehmer dar. Durch eine Höchstbetragsklausel, die ihrerseits nicht nach dem Alter differenziert, werden Arbeitnehmer wegen ihres Lebensalters unmittelbar weder bevorzugt noch benachteiligt. Es liegt auch keine mittelbare Altersdiskriminierung vor. Dies gilt auch dann, wenn von der in einem Sozialplan vorgesehenen Höchstbegrenzung der Abfindung typischerweise mehr ältere als jüngere Arbeitnehmer betroffen sind.3 Ist streitig, ob es sich um eine rechtswirksame Regelung in einem Sozialplan handelt oder lediglich um eine Absichtsbekundung, so richtet sich die Auslegung des Sozialplans wegen der normativen Wirkung seiner Regelungen (§ 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) nach den Grundsätzen der Tarifund Gesetzesauslegung. Deren Anwendung setzt nicht voraus, dass die Normqualität der auszulegenden Bestimmungen bereits feststeht. Entscheidend ist, wie Dritte – Normunterworfene und Gerichte – die Bestimmungen zu verstehen haben. Die Frage nach ihrem Inhalt und die Frage danach, ob es sich überhaupt um Normen handelt, lassen sich nicht getrennt beantworten. Beide sind nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zu beantworten.4 Bei der Auslegung der Bestimmungen ist der Wortlaut und der durch sie vermittelte Wortsinn maßgebend. Bei unklarem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der betrieblichen Regelungen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Daneben ist auf den Gesamtzusammenhang der Bestimmung abzustellen, da dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Betriebsparteien liefern kann. Reichen diese Auslegungskriterien im Einzelfall nicht aus und bleiben Zweifel, so können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere zurückgreifen, etwa auf die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt.5 Gemäß § 113 BetrVG kann den im Zuge einer Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmern zudem ein Anspruch auf Gewährung einer Abfindung in Form ei1 BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, NZA 2007, 821; vgl. auch Riple v. tariflicher Sozialplan und Abfindungsausschluss, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Sozialplan. 2 BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, NZA 2007, 821. 3 BAG v. 2.10.2007 – 1 AZN 793/07, BB 2008, 69. 4 BAG v. 3.5.2006 – 1 ABR 2/05, NZA 2007, 47, m.w.N. 5 St. Rspr., vgl. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 541/06 (n.v.); v. 3.5.2006 – 1 ABR 2/05, EzA BetrVG 2001 § 99 Umgruppierung Nr. 3 m.w.N.
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Kündigungsschutzprozess
nes Nachteilsausgleichs zustehen, wenn der Arbeitgeber von einem mit dem Betriebsrat abgestimmten Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht (§ 113 Abs. 1 BetrVG) oder wenn der Arbeitgeber, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt (§ 113 Abs. 3 BetrVG), und es dadurch zu einer Kündigung der betreffenden Arbeitnehmer kommt. Da beide Abfindungen demselben Ausgleichszweck dienen, ist der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur Verrechnung von Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüchen berechtigt.1 597
Dies wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die betriebsverfassungsrechtlichen zu den Abfindungsansprüchen nach KSchG stehen und ob beide ggf. auch nebeneinander geltend gemacht werden können. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass – anders als die auf der Unwirksamkeit der Kündigung beruhenden Ansprüche nach §§ 9, 10 KSchG – die Abfindungsansprüche nach §§ 111 ff. BetrVG regelmäßig nur unter der Voraussetzung in Betracht kommen, dass die zuvor ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung rechtswirksam ist – sei es nach der Fiktion der §§ 4, 7 KSchG oder gemäß entsprechender Feststellung durch das Arbeitsgericht. Denn durch den Sozialplan bzw. den Nachteilsausgleich soll der Arbeitnehmer ja gerade für die durch die Kündigung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile entschädigt werden. Solche Nachteile treten aber gar nicht erst auf, wenn der Arbeitnehmer im Wege der Kündigungsschutzklage die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. dessen Auflösung gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG erreicht.
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Die Ansprüche des Arbeitnehmers nach §§ 9, 10 KSchG und §§ 111 BetrVG schließen sich damit grds. aus. Der Arbeitnehmer sollte folglich genau abwägen, ob es für ihn im Einzelfall günstiger ist, die betriebsbedingte Kündigung akzeptieren und sich mit der ihm nach dem Sozialplan zustehenden Abfindung zufrieden zu geben oder Kündigungsschutzklage zu erheben mit dem Ziel, entweder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder im Rahmen der §§ 9, 10 KSchG eine höhere als die Sozialplanabfindung zu erreichen. Ist erst einmal die Sozialwidrigkeit der Kündigung gerichtlich festgestellt worden, entfallen seine Ansprüche nach §§ 111 BetrVG.2 Er kann deshalb weder die auf Abfindung gerichteten Sozialplanansprüche zusätzlich zu der gesetzlichen Abfindung nach § 9, 10 KSchG geltend machen, noch die Differenz zwischen der durch das Arbeitsgericht zuerkannten Abfindungssumme und einer diese Summe übersteigenden Sozialplanabfindung beanspruchen.3
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Anderes gilt aber, wenn der Sozialplan auch für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Auflösungsurteil eine Abfindungszahlung vorsieht. So kommt es häufig vor, dass Sozialpläne Klauseln enthalten, wonach eine Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG auf die Sozialplanabfindung lediglich anzurechnen ist, diese also nicht gänzlich entfallen lassen soll. Der Arbeitnehmer hat dann 1 BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01 (n.v.). 2 Löwisch/Spinner, § 9 KSchG Rz. 11; APS/Biebl, § 9 KSchG Rz. 117. 3 Abweichend insoweit KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 77, wonach der Arbeitnehmer den Differenzbetrag immer beanspruchen können soll.
1102
Mues
Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG
Rz. 600a Teil 12
Anspruch auf den die gesetzliche Abfindung übersteigenden Betrag.1 Eine Klausel im Sozialplan, wonach Abfindungsansprüche für den Fall ausgeschlossen sind, dass das Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf einen Betriebsoder Betriebsteilerwerber übergeht, ist ebenso zulässig wie eine Klausel, wonach Mitarbeiter von Sozialplanabfindungen ausgenommen sind, die den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber ohne anmerkenswerte Gründe durch Widerspruch verhindern.2 Der Ausschluss von Sozialplanleistungen setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer auf einem zumutbaren Platz hätte weiterbeschäftigt werden können. Dabei muss es sich nicht um den bisher innegehabten Arbeitsplatz im identischen Betrieb handeln. Aus § 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG ergibt sich vielmehr, dass auch eine mögliche Weiterbeschäftigung an einem anderen Ort zumutbar ist.3
F. Streitwert und Kosten des Prozesses I. Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG 1. Anwendungsfälle (entsprechende Anwendung im außergerichtlichen Bereich) Bis zum 30.6.2004 enthielt § 12 ArbGG Sonderregelungen für die Erhebung und Berechnung von Gerichtskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren sowie Vorgaben für die Streitwertfestsetzung. Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5.5.20044 mit Wirkung ab dem 1.7.2004 grundlegend geändert worden. Die bisherigen Regelungen über die Gerichtskosten und die Streitwertfestsetzung wurden in das GKG integriert. Allerdings sind die Auswirkungen der Neuregelung auf das Kostenrecht vor den Gerichten für Arbeitssachen überwiegend redaktioneller Art, sodass weiterhin auf die zu § 12 ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.5
600
In § 42 Abs. 3 GKG hat der Gesetzgeber für bestimmte Rechtsstreitigkeiten das dem Arbeitsgericht nach § 3 ZPO bei der Streitwertberechnung grds. zustehende Ermessen nach oben hin beschränkt mit dem Ziel, das Verfahren vor den Arbeitsgerichten aus sozialen Gründen möglichst kostengünstig zu gestalten.6 So schreibt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG vor, dass für Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts zu berücksichtigen ist, während Rechtsstreitigkeiten über wiederkehrende Leistungen, also insbesondere über Ansprüche auf Entgelt oder betriebliche Altersversorgung nach dem Wert des dreijährigen Bezugs und Eingruppie-
600a
1 St. Rspr., vgl. LAG Düsseldorf v. 8.5.2007 – 6 Ta 99/07, EzA-SD 2007, Nr. 14, 16; vgl. auch BAG v. 20.6.1985 – 2 AZR 427/84, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972. 2 BAG v. 5.2.1997 – 10 AZR 553/96. 3 BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 491/05. 4 BGBl. I S. 718. 5 ErfK/Koch, § 12 ArbGG Rz. 1. 6 BAG v. 30.11.1984 – 2 AZN 572/82 (B), AP Nr. 9 zu § 12 ArbGG 1979.
Mues
1103
Teil 12 Rz. 601
Kündigungsschutzprozess
rungsstreitigkeiten nach dem Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags zu bemessen sind, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistung geringer ist, § 42 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 GKG. 601
Im Rahmen des vorliegend behandelten Kündigungsschutzprozesses ist in erster Linie die Regelung des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG von Interesse. Sie umfasst alle sog. Bestandsstreitigkeiten, d.h. neben Streitigkeiten um die Rechtswirksamkeit einer Kündigung auch solche, die ganz allgemein das Zustandekommen oder den Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand haben. Darunter fallen beispielsweise Verfahren, in denen es um die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages bzw. einer etwaigen Anfechtung geht sowie Streitigkeiten um die Wirksamkeit einer Befristung oder eines Aufhebungsvertrages. Darüber hinaus gilt die Vorschrift des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG auch für solche Rechtsstreitigkeiten, bei denen es um die Frage geht, ob ein Arbeits- oder ein sonstiges Dienstverhältnis besteht. Sind sich die Parteien allerdings einig, dass es sich um ein sonstiges Dienstverhältnis handelt und steht lediglich die Frage in Streit, ob dieses sonstige Dienstverhältnis besteht oder nicht, findet § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG keine Anwendung. Denn da es sich hierbei um eine vor den allgemeinen Zivilgerichten und nicht um eine vor den Arbeitsgerichten zu klärende Frage handelt, sind auch die auf das Arbeitsverhältnis zugeschnittenen arbeitsgerichtlichen Kostenvorschriften nicht einschlägig.1 Letzteres gilt selbst dann, wenn der Rechtsstreit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung nach § 2 Abs. 4 ArbGG vor den Arbeitsgerichten geführt wird anstatt vor den an sich zuständigen allgemeinen Zivilgerichten.2
602
In jedem Falle anwendbar ist § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG hingegen auf Streitigkeiten, die den Bestand eines Berufsausbildungsverhältnisses betreffen, da der in § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG definierte und für die Geltung der arbeitsgerichtsgesetzlichen Vorschriften maßgebende Arbeitnehmerbegriff ausdrücklich auch die zur Berufsausbildung Beschäftigten mit umfasst.3
603
Der nach § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG bestimmte Streitwert ist zunächst lediglich für die Berechnung der Gerichtsgebühren maßgeblich.4 Darüber hinaus liegt der für das gerichtliche Verfahren geltende Gebührenstreitwert aber i.d.R. auch der Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren zugrunde. So sind nicht nur bei übereinstimmender gerichtlicher und anwaltlicher Tätigkeit die Gebühren des Rechtsanwalts nach dem vom Gericht für die Gerichtsgebühren festgesetzten Wert zu bemessen. Auch für den Fall, dass ein gerichtliches Verfahren nicht anhängig ist oder die anwaltliche von der gerichtlichen Tätigkeit abweicht, ist der für die Rechtsanwaltsgebühren maßgebende Streitwert regelmäßig nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften zu bestimmen, vorausgesetzt, der Gegenstand der Anwaltstätigkeit käme auch als Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens in Betracht.5 1 BGH v. 13.2.1986 – IX ZR 114/85, DB 1986, 1333; OLG München v. 12.3.1998 – 20 W 1073/98, OLGR München 1998, 162. 2 LAG Düsseldorf v. 5.2.1998 – 3 Sa 1837/96, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 112. 3 BAG v. 22.5.1984 – 2 AZB 25/82, AP Nr. 7 zu § 12 ArbGG 1979. 4 GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 6. 5 BAG v. 16.5.2000 – 9 AZR 279/99, AP Nr. 23 zu § 12 ArbGG 1979.
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Mues
Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG
Rz. 607 Teil 12
2. Berechnung des Streitwerts Grundlage für die Wertberechnung ist das Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach dem streitigen Beendigungszeitpunkt – höchstens drei Monate – hätte beanspruchen können.1 Als Anknüpfungspunkt dient hierbei im Regelfall der zu erwartende Bruttoverdienst, da dieser üblicherweise das vertraglich vereinbarte und vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt darstellt. Der Nettolohn ist lediglich dann maßgebend, wenn er zwischen den Parteien ausnahmsweise ausdrücklich als Arbeitsentgelt vereinbart worden ist.2
604
Das im Rahmen der Streitwertermittlung zu berücksichtigende Arbeitsentgelt umfasst alle Geld- und Sachleistungen, die der Arbeitgeber für die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung schuldet. Neben der Grundvergütung sind deshalb insbesondere Prämien oder Zuschläge mit Entgeltcharakter (z.B. Nacht- oder Gefahrenzuschläge) auf das Arbeitsentgelt anzurechnen. Anteilig zu berücksichtigen ist auch ein 13. oder 14. Monatsgehalt, sofern dieses unstreitig als Entgelt für geleistete Arbeit vereinbart wurde.3 Sonderzahlungen des Arbeitgebers, die nicht entgelt-, sondern (zumindest teilweise auch) gratifikationsweise gewährt werden, etwa Treueprämien oder zusätzliche Urlaubs- oder Weihnachtsgelder, sind dagegen nicht in die Berechnung des Streitwerts mit einzubeziehen4, da sie i.d.R. von dem Eintritt bestimmter Bedingungen (z.B. dem Bestehen des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Termin) abhängig sind und damit nicht als regelmäßiges Arbeitsentgelt angesehen werden können. Unberücksichtigt bleiben auch solche Zahlungen, die nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Ersatz für Aufwendungen des Arbeitnehmers erbracht werden, insbesondere Fahrtkostenpauschalen oder Spesen.
605
Umstritten ist, ob es sich bei dem nach § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG für die Wertberechnung höchstens zugrundezulegenden Vierteljahresverdienst entsprechend dem gesetzlichen Wortlaut um einen Höchststreitwert handelt, der innerhalb der vorgegebenen Grenzen eine freie Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts erlaubt, oder aber um einen Regelstreitwert, der nur bei Vorliegen besonderer Umstände unterschritten werden darf.
606
Nach Auffassung des BAG sowie einiger ihm folgender Instanzgerichte markiert der Vierteljahresverdienst lediglich die Obergrenze für den vom Gericht nach freiem (pflichtgemäßem) Ermessen festzusetzenden Streitwert. Wie hoch innerhalb dieses Rahmens der Wert des Streitgegenstandes im Einzelfall zu bemessen sei, hänge insbesondere von der bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Bei einem typisierenden, regelgebundenen Maßstab seien danach, wenn nicht
607
1 BAG v. 18.1.1996 – 8 AZR 440/94, AP Nr. 18 zu § 12 ArbGG 1979; v. 19.7.1973 – 2 AZR 190/73, AP Nr. 20 zu § 12 ArbGG 1953. 2 LAG Berlin v. 7.1.1981 – 2 Ta 96/80 (n.v.); GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 105; anders LAG Düsseldorf v. 7.1.1991 – 7 Ta 414/90, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 89, wonach in diesem Fall auf das Bruttoentgelt hochzurechnen ist. 3 LAG Köln v. 17.11.1995 – 5 Ta 288/95, NZA-RR 1996, 392. 4 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZN 151/96, AP Nr. 19 zu § 12 ArbGG 1979; v. 24.3.1981 – 4 AZR 395/78, AP Nr. 3 zu § 12 ArbGG 1979; LAG Köln v. 18.7.1994 – 10 Ta 113/94, BB 1994, 1868.
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Teil 12 Rz. 608
Kündigungsschutzprozess
besondere Umstände eine Erhöhung oder Herabsetzung rechtfertigten, bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zu sechs Monaten ein Monatsverdienst, von sechs bis zwölf Monaten zwei Monatsverdienste und von mehr als einem Jahr drei Monatsverdienste als Streitwerte anzusetzen. Als Regelstreitwert für jegliches den Bestand des Arbeitsverhältnisses betreffendes Gerichtsverfahren, von dem nur in Ausnahmefällen nach unten hin abgewichen werden kann, komme der Vierteljahresverdienst dagegen nicht in Betracht.1 608
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Denn der Wert des Streitgegenstands richtet sich nach dem aus dem Klageantrag ersichtlichen wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der Durchsetzung seiner geltend gemachten Ansprüche, vorliegend also nach dem Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Dieses Interesse ist aber ausschließlich zukunftsgerichtet, so dass entgegen der vom BAG vertretenen Meinung nicht die – vergangenheitsbezogene – Dauer des bisherigen Arbeitsverhältnisses als Maßstab für die Berechnung des Streitwerts herangezogen werden kann.2
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Vielmehr ist nach zutreffender, von den Instanzgerichten überwiegend vertretener Auffassung der Streitwert regelmäßig nach dem Betrag der Bruttovergütung zu bestimmen, die für den Zeitraum zu zahlen wäre, für den nach dem Klageantrag die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses begehrt wird. Wegen der in § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG vorgesehenen Begrenzung des Gebührenwerts kann dabei maximal ein Streitwert von drei Monatsverdiensten festgesetzt werden, der allerdings in allen Fällen, in denen das wirtschaftliche Interesse über dieser Grenze liegt, maßgebend ist, also insbesondere immer dann, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit in Frage steht. Ein geringerer Streitwert ist nur dann anzusetzen, wenn der tatsächliche wirtschaftliche Wert des Streitgegenstands unter dem genannten Betrag liegt.
610
Nach richtiger Ansicht ist der Vierteljahresverdienst daher als Regelstreitwert anzusehen, der nur ausnahmsweise, wenn der geltend gemachte Fortbestand des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate ausmacht, unterschritten werden kann.3
611
Nicht einheitlich beurteilt wird auch die Frage, wie der Streitwert im Falle einer streitigen Änderungskündigung zu berechnen ist, wenn nach Annahme des Än1 BAG v. 30.11.1984 – 2 AZN 572/82 (B), AP Nr. 9 zu § 12 ArbGG 1979; LAG Kiel v. 16.10.2000 – 3 Ta 119/00, FA 2001, 184; LAG Nürnberg v. 5.6.1987 – 6 Ta 10/87, JurBüro 1987, 1384; so auch KR/Friedrich, § 4 KSchG Rz. 277 f. m.w.N. 2 GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 100 ff. 3 So auch LAG Hamm (Westfalen) v. 27.7.2007 – 6 Ta 357/07 (n.v.); LAG Frankfurt v. 21.1.1999 – 15 (6) Ta 699/98, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 117; LAG Erfurt v. 7.10.1996 – 8 Ta 135/96, AGS 1997, 18; LAG Halle v. 15.8.1995 – 1 Ta 71/95 (n.v.); LAG Hannover v. 13.7.1993 – 10 Ta 210/93, AnwBl 1994, 152; LAG Hamburg v. 15.5. 1990 – 2 Ta 21/89, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 85; LAG Bremen v. 28.2.1986 – 4 Ta 8/86, LAG München v. 22.11.1985 – 6 Ta 150/85, ARST 1987, 173; LAG Düsseldorf v. 17.10.1985 – 7 Ta 302/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 41 LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 49; LAG Hamm v. 27.6.1985 – 8 Ta 184/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 38; LAG München v. 22.11.1985 – 6 Ta 150/85, ARST 1987, 173; LAG Düsseldorf v. 17.10.1985 – 7 Ta 302/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 41; so auch GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 103.
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Mues
Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG
Rz. 613 Teil 12
derungsangebots unter Vorbehalt gemäß §§ 2, 4 KSchG nur noch die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebots in Streit steht. Teilweise wird die Vorschrift des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG direkt oder analog auch auf die Änderungsschutzklage angewendet und der Streitwert nach dem – ggf. im Wege der Schätzung nach § 3 ZPO zu ermittelnde – Wert der vierteljährlichen Differenz zwischen den bisherigen und den geänderten Arbeitsbedingungen bemessen.1 Demgegenüber vertreten einige Instanzgerichte die Auffassung, es sei für die Streitwertberechnung nicht von der vierteljährlichen Vergütungsdifferenz auszugehen, sondern – nicht anders als bei der Beendigungskündigung auch – von dem für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelt. Wegen der gegenüber der Beendigungskündigung geminderten wirtschaftlichen Tragweite der Änderungskündigung seien jedoch anstelle der drei regelmäßig nur zwei Monatsverdienste festzusetzen.2 Nach Ansicht des BAG3 sowie einer wachsenden Anzahl der Instanzgerichte4 ist schließlich entsprechend den Vorschriften der § 3 ZPO iVm. § 42 Abs. 3 Satz 2 GKG der Streitwert grds. nach dem dreifachen Jahresbetrag des (nach freiem Ermessen festzusetzenden) Wertes der Änderung der Arbeitsbedingungen zu bemessen, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Der zu ermittelnde Wert soll dabei allerdings auf den in § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG vorgeschriebenen dreimonatigen Bruttoverdienst zu begrenzen sein, um Wertungswidersprüche im Hinblick auf die Beendigungskündigung zu vermeiden und dem auf Kostenbegrenzung gerichteten Schutzzweck des § 42 Abs. 3 GKG Genüge zu tun.
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Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Einer an § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG orientierten Streitwertberechnung, wie sie von den beiden erstgenannten Auffassungen propagiert wird, steht entgegen, dass bei der Änderungsschutzklage im Gegensatz zu der gegen eine Beendigungskündigung gerichteten Klage nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses betroffen ist. Vielmehr geht es um die Frage, zu welchen Bedingungen das Arbeitsverhältnis fortzusetzen ist, also darum, welches wirtschaftliche Interesse der Arbeitnehmer an der Vermeidung der drohenden Vertragsänderung, insbesondere an der aufgrund der Änderungskündigung vorenthaltenen Vergütung, hat. Dieses Interesse kann aber nur mit dem für wiederkehrende Leistungen geltenden Gegenstandswert des dreijährigen Bezuges, hier entsprechend des dreijährigen Differenzbetrages zwischen den bisherigen und den angebotenen Arbeitsbedingungen, angemessen erfasst werden, da auch die durch die Änderungskündigung modifizierten Vertragsbedingungen
613
1 LAG Hamm v. 19.10.1989 – 8 Ta 385/89, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 82: LAG Rheinland-Pfalz v. 25.4.1985 – 1 Ta 76/85 – NZA 1986, 34; GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 119. 2 LAG Düsseldorf v. 12.11.2001 – 7 Ta 375/01, NZA-RR 2002, 103; LAG Berlin v. 24.11. 2000 – 7 Ta 6057/00, MDR 2001, 636; v. 17.7.1998 – 7 Ta 17/98, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 119. 3 BAG v. 23.3.1989 – 7 AZR 527/85, AP Nr. 1 zu § 17 GKG 1975. 4 LAG Köln v. 19.8.1999 – 13 Ta 252/99, NZA-RR 2000, 662; LAG Frankfurt v. 18.2.1999 – 15/6 Ta 352/98, DB 1999, 1276 (unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung); LAG Hamburg v. 2.6.1998 – 4 Ta 8/98, BB 1998, 1695.
Mues
1107
Teil 12 Rz. 614
Kündigungsschutzprozess
solche wiederkehrende Leistungen zum Gegenstand haben (Höhe der Vergütung, vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung).1 3. Kumulation bei Verbindung mit weiteren Anträgen 614
Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, in welcher Weise Folgekündigungen, die der Arbeitnehmer im Wege der objektiven Klagehäufung zusätzlich angreift, bei der Festsetzung des Wertes der Kündigungsschutzklage zu berücksichtigen sind, d.h. ob für alle Streitigkeiten ein einheitlicher und dann nach § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG begrenzter Streitwert festzusetzen ist, oder ob den weiteren Kündigungen ein zusätzlicher Wert beigemessen werden kann.
615
Ein verbindlicher Maßstab für die Bewertung von Folgekündigungen hat sich in Literatur und Rechtsprechung nicht herausgebildet. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, der Streitwert müsse für jeden Kündigungsfeststellungsantrag gesondert berechnet und die im gleichen Klageverfahren geltend gemachte Feststellungsansprüche gemäß § 5 ZPO zusammengerechnet werden, wobei jeweils der volle Betrag von drei Monatsgehältern anzusetzen sei.2 Andere sind zwar für eine getrennte Streitwertberechnung, setzen aber für Folgekündigungen nicht den Höchstwert des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG, sondern lediglich einen reduzierten Streitwert, i.d.R. mindestens ein Monatsgehalt, an.3 Das BAG und einige ihm folgende Instanzgerichte gehen demgegenüber davon aus, dass mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Kündigungen, die in einem Rechtsstreit durch unterschiedliche Kündigungsschutzanträge angegriffen werden, als wirtschaftliche Einheit zu begreifen und dementsprechend insgesamt nicht höher als ein Vierteljahresverdienst zu bewerten seien.4 Gegen die vom BAG befürwortete einheitliche Bewertung wird nicht ganz zu Unrecht eingewendet, dass nach der punktuellen Streitgegenstandstheorie5 jeder Feststellungsantrag, der sich auf eine konkrete Kündigung bezieht, einen jeweils eigenen Streitgegenstand darstellt, so dass einiges dafür spricht, grds. auch den Streitwert für jede Kündigung getrennt zu berechnen.6 Allerdings ist dem BAG insoweit recht zu geben, als es bestimmte Fälle gibt, in denen in denen mehrere angegriffene Kündigungen ausnahmsweise wirtschaftlich identisch und deshalb streitwertmäßig nicht getrennt zu berücksichtigen sind, beispielsweise dann, wenn eine mittels objektiver Klagehäufung im selben Verfahren angegriffene, zeitlich unmittelbar 1 BAG v. 23.3.1989 – 7 AZR 527/85, AP Nr. 1 zu § 17 GKG 1975. 2 So z.B. LAG Erfurt v. 14.11.2000 – 8 Ta 134/00, MDR 2001, 538; LAG Hamburg v. 8.2. 1994 – 4 Ta 20/93, NZA 1995, 495. 3 LAG Kiel v. 10.5.2000 – 4 Ta 63/00 (n.v.); LAG Frankfurt v. 21.1.1999 – 15/6 Ta 630/98, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 116; LAG Düsseldorf v. 9.9.1993 – 7 Ta 188, 93, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 99; v. 8.7.1985 – 7 Ta 244/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 39; LAG Köln v. 8.3.1989 – 5 Ta 3/89, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 79; LAG Hamburg v. 23.4.1987 – 5 Ta 7/87, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 64. 4 BAG v. v. 16.12.1984 – 2 AZR 754/79, AP Nr. 8 zu § 12 ArbGG 197; zustimmend: LAG München v. 20.7.2000 – 3 Ta 326/00, MDR 2000, 1254. 5 Vgl. dazu Teil 10 A.II.1. 6 LAG Frankfurt v. 21.1.1999 – 15/6 Ta 630/98, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 116; LAG Halle v. 20.9.1995 – 1 (3) Ta 93/95, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 104; LAG Hamburg v. 8.2.1994 – 4 Ta 20/93, NZA 1995, 495.
1108
Mues
Streitwertbegrenzung gemäß § 42 Abs. 3 GKG
Rz. 616 Teil 12
nach der ersten Kündigung ausgesprochene Folgekündigung lediglich dazu dient, einen Formmangel der vorhergehenden Kündigung (etwa mangelnde Schriftform oder fehlende Betriebsratsanhörung) zu beheben; wenn der außerordentlichen Kündigung kurzfristig eine hilfsweise ordentliche Kündigung hinterhergeschoben wird; oder wenn sich die streitigen Kündigungen auf denselben Kündigungsgrund stützen.1 Denn der Zweck des § 42 Abs. 3 GKG, den Prozess für die Beteiligten möglichst kostengünstig zu gestalten, gebietet es, zumindest in den Fällen, in denen durch einen engen zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang der Kündigungssachverhalte ein einheitliches wirtschaftliches Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses anzunehmen ist, von einem Gesamtstreitwert mit der Begrenzung des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG auszugehen. Ist eine wirtschaftliche Identität hingegen nicht vorhanden, sind die Folgekündigungen in Bezug auf ihren Streitwert eigens zu berechnen und zu dem Streitwert des ersten Kündigungsschutzantrags hinzuzuaddieren. Dabei ist jedoch entgegen der zuerst erwähnten Ansicht2 nicht für jede Kündigung der volle, sich aus § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG ergebende Betrag anzusetzen, da dies dem bereits erwähnten sozialen Zweck der Vorschrift (Kostensenkung für die Prozessbeteiligten) widersprechen würde. Nach zutreffender Ansicht ist vielmehr lediglich die erste Kündigung mit dem Höchstwert des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG zu bewerten und der Streitwert der nachfolgenden Kündigungen nach der Differenz des Vergütungsanspruchs für den Zeitraum zwischen dem Beendigungszeitpunkt der ersten und der jeweiligen nachfolgenden Kündigung zu bemessen, da sich hauptsächlich darin das wirtschaftliche Interesse des Arbeitnehmers an dem Vorgehen gegen die Folgekündigungen zeigt.3 Als wertmäßige Untergrenze ist dabei i.d.R. ein Bruttomonatsverdienst von einem Monat anzusehen.4 Regelmäßig nicht mit einem eigenen Streitwert zu berücksichtigen ist der mit einem konkreten Kündigungsschutzantrag verbundene Antrag auf Feststellung des unveränderten Bestandes des Arbeitsverhältnisses nach § 256 ZPO.5 Er dient lediglich dazu, unabhängig von der Frist des § 4 KSchG die Einführung weiterer, im Laufe des Verfahrens ausgesprochener Kündigungen in den Prozess zu ermöglichen, und hat insofern keinen eigenen Feststellungswert.6 Anders ist 1 So auch LAG Mainz v. 13.6.2001 – 2 Ta 619/01, MDR 2001, 1174; LAG Hamburg v. 8.2. 1994 – 4 Ta 20/93, NZA 1995, 495. 2 LAG Erfurt v. 14.11.2000 – 8 Ta 134/00, MDR 2001, 538; LAG Hamburg v. 8.2.1994 – 4 Ta 20/93, NZA 1995, 495. 3 Vgl. LAG Düsseldorf v. 8.7.1985 – 7 Ta 244/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 39; LAG Köln v. 8.3.1989 – 5 Ta 3/89, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 79. 4 LAG Kiel v. 10.5.2000 – 4 Ta 63/00 (n.v.); LAG Frankfurt v. 21.1.1999 – 15/6 Ta 630/98, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 116; LAG Düsseldorf v. 9.9.1993 – 7 Ta 188, 93, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 99; v. 8.7.1985 – 7 Ta 244/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 39; LAG Köln v. 8.3.1989 – 5 Ta 3/89, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 79; LAG Hamburg v. 23.4.1987 – 5 Ta 7/87, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 64. 5 Vgl. hierzu im Einzelnen unter Teil 11 A.II.2. 6 So auch LAG Düsseldorf v. 8.5.2007 – 6 Ta 99/07, EzA-SD 2007, Nr. 14, 16; LAG Kiel v. 10.5.2000 – 4 Ta 63/00 (n.v.); LAG Köln v. 8.9.1998 – 4 Ta 207/98, LAGE § 12 ArbGg 1979 Streitwert Nr. 115; GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 111.
Mues
1109
616
Teil 12 Rz. 617
Kündigungsschutzprozess
es, wenn nach Stellung des allgemeinen Feststellungsantrags tatsächlich weitere Kündigungen klageerweiternd in den Prozess eingebracht werden. In diesem Fall ist eine gesonderte Streitwertberechnung erforderlich1, die sich dann nach den zuvor bereits dargelegten Grundsätzen richtet. 617
Zusammen mit der Kündigungsschutzklage geltend gemachte Leistungsansprüche, insbesondere auf Zahlung von Vergütung2, sind jedenfalls dann streitwerterhöhend zu berücksichtigen, wenn sie schon vor dem Kündigungstermin fällig waren, vom Ausgang des Prozesses also unabhängig sind. Denn in diesem Fall liegen unzweifelhaft zwei selbständige Streitgegenstände vor. Ob erst nach dem Kündigungstermin fällig gewordene und während des Kündigungsschutzverfahrens geltend gemachte Vergütungsansprüche dem Kündigungsstreitwert hinzuzurechnen sind oder nicht, ist hingegen umstritten. Vielfach wird eine Streitwertaddition abgelehnt mit der Begründung, dass es sich um zwei selbständige, streitwertmäßig voneinander unabhängige Ansprüche handele.3 Zudem sehe § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG für wiederkehrende Leistungen, also insbesondere für Vergütungsansprüche, eine besondere Streitwertregelung vor, was ebenfalls auf eine gesondert vorzunehmende Berechnung hindeute.4 Das BAG vertritt demgegenüber zu Recht die Auffassung, der Anspruch auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und der Anspruch auf Vergütung seinen wirtschaftlich identisch, so dass eine Streitwertaddition nicht stattzufinden habe.5 Dafür spricht insbesondere die Überlegung, dass der Feststellungsanspruch die Rechtsgrundlage für die nach dem Kündigungstermin fällig werdende Gehaltsforderung bildet, letztere also vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits nicht etwa unabhängig ist. Zu beachten ist außerdem auch hier wieder der soziale, auf Kostenersparnis der Verfahrensbeteiligten ausgerichtete Zweck des § 42 Abs. 3 GKG. Anders als die Gegenmeinung annimmt, steht einer einheitlichen Streitwertberechnung auch nicht etwa die abweichende Streitwertregelung für wiederkehrende Leistungen entgegen, da die in Bezug genommene Vorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG ebenso gut lediglich die vom Kündigungsrechtsstreit unabhängigen Vergütungsansprüche betreffen könnte.
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Der für die Vergütungsforderung anzusetzende Streitwert kommt allenfalls dann zum Tragen, wenn er höher ist als der Streitwert der Kündigungsschutzklage, da hinsichtlich des überschießenden Betrages eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist.6
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Wird zusammen mit der Kündigungsschutzklage im Wege der objektiven Klagehäufung gleichzeitig ein Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht, so 1 LAG Kiel v. 10.5.2000 – 4 Ta 63/00 (n.v.); LAG Köln v. 8.9.1998 – 4 Ta 207/98, LAGE § 12 ArbGg 1979 Streitwert Nr. 115. 2 Vgl. dazu Teil 11 A.II.3. 3 LAG Frankfurt v. 1.8.1994 – 6 Ta 139/94, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 101; LAG Hamburg v. 15.5.1990 – 2 Ta 21/89, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 85; LAG Berlin v. 15.10.1982 – 2 Ta 60/82, DB 1983, 833. 4 GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG, Rz. 114. 5 BAG v. 16.1.1968 – 2 AZR 156/66, AP Nr. 17 zu § 12 ArbGG 1953; LAG Nürnberg v. 12.2.1988 – 6 Ta 22/87, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 73. 6 So auch LAG Nürnberg v. 12.2.1988 – 6 Ta 22/87, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 73; GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 106.
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Ausschluss der Erstattung von Anwaltskosten gemäß § 12a ArbGG
Rz. 622 Teil 12
ist dieser nach ganz überwiegender Auffassung bei der Festsetzung des Gegenstandswertes gesondert zu bewerten und gemäß § 5 ZPO zum Wert des Feststellungsanspruchs hinzuzuaddieren.1 Grund hierfür ist, dass es sich bei Kündigungsschutzantrag und Weiterbeschäftigungsanspruch nicht um identische Streitgegenstände handelt; vielmehr erfordert der Weiterbeschäftigungsanspruch über die für die Kündigungsschutzklage vorzunehmende Prüfung der Unwirksamkeit der Kündigung hinaus zusätzlich eine Interessenabwägung2 und geht damit über den mit der Kündigungsschutzklage erfassten Lebenssachverhalt hinaus. Was die Beurteilung der für den Weiterbeschäftigungsanspruch maßgeblichen Streitwerthöhe anbetrifft, so beträgt diese je nach Rechtsprechung der Instanzgerichte zwischen einem3 und zwei4 Monatsentgelten; teilweise wird sie auch dem Wert des Kündigungsschutzantrages bemessen.5
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" Praxistipp: Nicht zum Streitwert der Kündigungsschutzklage hinzuzu-
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addieren sind gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 GKG die anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlenden Abfindungen, sofern sie nicht auf einer eigenen, vom Ausgang des Kündigungsschutzstreits unabhängigen Anspruchsgrundlage beruhen und damit einen eigenen Streitgegenstand darstellen. Unberücksichtigt bleibt danach insbesondere eine nach §§ 9, 10 KSchG festgesetzte oder in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindungszahlung, während Sozialplan- oder Nachteilsausgleichsansprüche nach dem BetrVG regelmäßig nicht unter die Regelung des § 42 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 GKG fallen.6
II. Ausschluss der Erstattung von Anwaltskosten gemäß § 12a ArbGG Anders als im zivilrechtlichen Verfahren (§§ 91 ff. ZPO) ist nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren erster Instanz ein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung für Zeitversäumnis sowie auf Erstattung ihrer Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands ausgeschlossen. Die Vorschrift dient – wie auch die Regelung des § 42 Abs. 3 GKG – dazu, das arbeitsgerichtliche Verfahren kostengünstiger 1 LAG Hannover v. 17.4.2001 – 3 Ta 118/01, NZA-RR 2001, 495; LAG Nürnberg v. 24.8. 1999 – 6 Ta 166/99, BB 2001, 205; LAG Chemnitz v. 15.5.1997 – 7 Ta 101/97, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 111 LAG Hamm v. 11.9.1986 – 8 Ta 218/86, MDR 1987, 85; LAG Mainz v. 21.1.1986 – 1 Ta 10/86 (n.v.). 2 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 3 LAG Hannover v. 17.4.2001 – 3 Ta 118/01, NZA-RR 2001, 495; LAG Nürnberg v. 24.8. 1999 – 6 Ta 166/99, BB 2001, 205; LAG Chemnitz v. 15.5.1997 – 7 Ta 101/97, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 111; LAG Hamburg v. 30.3.1989 – 6 Ta 32/88, AnwBl 1990, 49; ArbG Regensburg v. 6.10.2000 – 3 Ca 1624/00, JurBüro 2001, 310. 4 LAG Köln v. 19.4.1982 – 1 Ta 41/82, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 11; LAG Düsseldorf v. 23.10.1980 – 25 Sa 434/80, ArbuR 1981, 156; LAG Hamm v. 6.5.1982 – 8 Ta 102/82 (n.v.). 5 So LAG Hamm v. 11.9.1986 – 8 Ta 218/86, MDR 1987, 85 (2/3 des Kündigungsschutzantrags). 6 LAG Berlin v. 17.3.1995 – 1 Ta 6/95, NZA 1995, 1072; vgl. hierzu auch GMPM/Germelmann, § 12 ArbGG Rz. 123.
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zu gestalten und dem Arbeitnehmer so die Rechtsverfolgung vor den Arbeitsgerichten zu erleichtern.1 Sie gilt ihrem Wortlaut gemäß lediglich für die erstinstanzlichen Streitigkeiten vor dem Arbeitsgericht, die im Urteilsverfahren (§§ 46 ff. ArbGG) entschieden werden; eine (entsprechende) Anwendung auf die im Beschlussverfahren nach §§ 80 ff. ArbGG zu entscheidenden Fälle findet nicht statt. 623
§ 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG bestimmt zunächst, dass in erster Instanz kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigungsleistungen wegen Zeitversäumnisses besteht, so dass insbesondere keine Erstattung des durch die Vorbereitung des Verfahrens oder durch die Wahrnehmung von Gerichtsterminen entstandenen Verdienstausfalls verlangt werden kann. Nicht erstattungsfähig sind nach der genannten Vorschrift zudem die Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands, wobei als Prozessbevollmächtigte i.S.d. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht nur Rechtsanwälte anzusehen sind, sondern auch Verbandsvertreter oder sonstige Personen, die mit der rechtlichen Interessenwahrnehmung beauftragt worden sind.2
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Von dem Erstattungsausschluss erfasst sind neben den Gebühren auch die Auslagen des Prozessbevollmächtigten, also insbesondere Schreib- und Telekommunikationskosten, sowie die Kosten, die außergerichtlich für die Vorbereitung des Rechtsstreits erforderlich waren3, selbst wenn es dann tatsächlich zu einem Prozess gar nicht gekommen ist;4 auch Kosten für die Anfertigung eines Privatgutachtens, sofern dieses nicht den nachfolgenden Prozess gefördert und die Erstattung eines gerichtlichen Gutachtens erspart hat.5 Dabei beschränkt sich die in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorgesehene Kostentragungspflicht nicht auf die seitens der Parteien entstandenen Vertretungskosten, sondern gilt darüber hinaus auch für die Kosten, die für die Vertretung eines Nebenintervenienten oder Streitverkündeten entstanden sind.6
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Vom Erstattungsausschluss ausgenommen sind gemäß § 12a Abs. 1 Satz 3 ArbGG die durch die Anrufung eines unzuständigen Gerichts entstandenen Kosten des Beklagten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten, und zwar nicht nur diejenigen, die gegenüber der direkten Anrufung des zuständigen Gerichts zusätzlich angefallen sind7, sondern die bei dem unzuständigen Gericht insgesamt für die anwaltliche Vertretung entstandenen Gebühren und Auslagen. Dafür spricht bereits der Wortlaut der Regelung, der ausdrücklich die vor dem unzuständigen Gericht „entstandenen“ Kosten, also gerade nicht die bloßen Mehrkosten, betrifft.8 Die vor den unzuständigen Gericht angefallenen Anwaltskosten des Beklagten sind daher vom Kläger stets voll zu erstatten. 1 2 3 4 5
BAG v. 30.11.1982 – 3 AZR 1173/79, AP Nr. 50 zu § 52 RegelungsG. GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 13. LAG Köln v. 14.7.1982 – 1 Ta 81/82, ZIP 1982, 1005. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2007, § 350 Rz. 2. LAG Hamm v. 9.8.1984 – 8 Ta 193/84, AP Nr. 33 zu § 91 ZPO; LAG Düsseldorf v. 14.5. 1963 – 8 Ta 47/62, AP Nr. 28 zu § 91 ZPO. 6 LAG Stuttgart v. 27.9.1982 – 1 Ta 182/82, AP Nr. 2 zu § 12a ArbGG 1979. 7 So aber LAG Bremen v. 5.7.1996 – 2 Ta 30/96, LAGE § 12a ArbGG 1979 Nr. 19. 8 LAG Erfurt v. 14.8.2000 – 8 Ta 87/00, NZA 2001, 1216; LAG Frankfurt v. 8.3.1999 – 9/6 Ta 651/98, DB 1999, 1276.
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Ausschluss der Erstattung von Anwaltskosten gemäß § 12a ArbGG
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Nach § 12a ArbGG zu erstatten sind auch die im Zusammenhang mit der Prozessführung entstandenen sonstigen Aufwendungen wie Reise – und Übernachtungskosten der Partei oder des Rechtsanwalts, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig gewesen sind, vgl. § 91 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO. Erspart die Partei solche an sich erstattungsfähigen Aufwendungen dadurch, dass sie einen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt, so sind dessen Gebühren und Auslagen bis zur Höhe dieser ersparten Aufwendungen erstattungsfähig. Denn es entspricht einem Grundsatz des Kostenerstattungsrechtes, dass an sich nicht erstattungsfähige Kosten in dem Umfange zu erstatten sind, in dem durch ihre Aufwendung erstattungspflichtige Kosten erspart werden.1 Umgekehrt kann die Partei i.d.R. die vollen Reisekosten verlangen, auch wenn ihr bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt nur geringere Kosten entstanden wären. Denn da die Rechtsanwaltskosten nach der gesetzlichen Regelung grds. nicht erstattungsfähig sind, ist die Reise für die Partei auch dann notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO, wenn die Beauftragung eines am Gerichtsort praktizierenden Anwalts an sich kostengünstiger gewesen wäre.2
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Nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind die Reisekosten hingegen dann, wenn die Möglichkeit einer kostengünstigeren – nicht anwaltlichen – Vertretung am Gerichtsort bestanden hätte, so wenn anstelle eines auswärtigen Rechtsanwalts oder eines Mitarbeiters des nicht am Gerichtsort niedergelassenen Betriebes eine dort ansässige Filialdirektion oder Außenstelle die Rechte der Partei hätte wahrnehmen können.3 In diesen Fällen findet gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO trotz fehlender Anwendbarkeit des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG eine Erstattung nicht statt.
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1. Belehrungserfordernis und Schadenersatzhaftung bei Verletzung Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist der Rechtsanwalt verpflichtet, vor Abschluss der Vereinbarung über die Vertretung den Mandanten auf den Ausschluss der Kostenerstattung in der ersten Instanz hinzuweisen, und zwar sowohl darauf, dass er unabhängig von einem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess die außergerichtlichen wie die gerichtlichen Rechtsanwaltskosten selbst zu tragen hat, als auch darauf, dass kein Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis besteht. Kommt der Rechtsanwalt seiner diesbezüglichen Verpflichtung nicht oder nicht in ausreichender Weise nach, kann er sich unter dem Gesichtspunkt eines Verschuldens bei Vertragsschluss schadensersatzpflichtig machen mit der Folge, dass die für die anwaltliche Vertretung in Rechnung gestellten Gebühren – in denen ja der Schaden für den Mandanten besteht – durch Aufrechnung mit einem entsprechenden Schadensersatzanspruch des Mandanten in voller Höhe entfällt. Voraussetzung für die Entstehung eines solchen Schadensersatzanspruchs ist allerdings, dass die unterbliebene Belehrung kausal für den Vertragsabschluss gewesen ist, der Mandant den Rechtsanwalt bei erfolgter Belehrung also nicht mit seiner Vertretung beauftragt hätte.4 1 LAG Nürnberg v. 22.11.1994 – 6 Ta 155/94, JurBüro 1995, 266. 2 LAG Hamburg v. 13.8.1992 – 2 Ta 8/92, LAGE § 12a ArbGG 1979 Nr. 18. 3 LAG Berlin v. 6.7.1994 – 2 Ta 44/94, DB 1994, 1628; LAG Mainz v. 15.1.1991 – 9 Ta 246/90 (n.v.). 4 Vgl. GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 36.
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" Praxistipp: Der Hinweis auf mangelnde Kostenerstattung ist auch dann
nicht entbehrlich, wenn ein Kostenrisiko überhaupt nicht besteht, z.B. weil seitens der Rechtsschutzversicherung des Mandanten bereits eine feste Zusage zur Übernahme der entsprechenden Kosten vorliegt. Auch wenn dem Mandanten die Kostentragungspflicht aus vorangegangenen arbeitsrechtlichen Prozessen generell bereits bekannt ist, kann sich eine gesonderte Belehrung erübrigen.1
2. Geltung des Erstattungsausschlusses im außergerichtlichen Bereich 630
Fraglich ist, ob neben dem prozessualen, d.h. dem aus § 91 ZPO folgenden Kostenerstattungsanspruch auch etwaige materiell-rechtliche Ansprüche auf Ersatz der erstinstanzlich entstandenen Kosten eines Prozessbevollmächtigten von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG erfasst sind. In Betracht kommen insbesondere Schadensersatzansprüche, die darauf gestützt werden, dass der Schuldner seine Verpflichtungen nicht rechtzeitig erfüllt und dadurch die Kosten der arbeitsgerichtlichen Geltendmachung verursacht hat. Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist jeder „Anspruch der obsiegenden Partei“ „auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten“ ausgeschlossen. Damit ist bereits dem Wortlaut nach jeder Kostenerstattungsanspruch unabhängig von seiner Anspruchsgrundlage und folglich auch ein materiell-rechtlich begründeter Kostenerstattungsanspruch entsprechend gemindert. Für einen Ausschluss prozesswie materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche spricht auch der Normzweck einer Verbilligung des erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahrens, der andernfalls ohne weiteres durch die Geltendmachung entsprechender außergerichtlicher Ersatzansprüche unterlaufen werden könnte.2
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Der Erstattungsausschluss gilt allerdings nach überwiegend vertretener und zutreffender Auffassung nicht für den auf die Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten gerichteten Schadensersatzanspruch aus § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO, wenn wegen fehlender, mangelhafter oder verspäteter Auskunft des Drittschuldners gegenüber dem Pfändungsgläubiger der gegen den Drittschuldner angestrengte Prozess erfolglos bleibt. Denn der Zweck des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, einen sonst nach prozessualen Vorschriften bestehenden Kostenerstattungsanspruch (§ 91 ZPO) auszuschließen, kann in diesen Fällen nicht erreicht werden, da dem Pfändungsgläubiger wegen Unterliegens im Drittschuldnerprozess ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch ohnehin nicht zustünde.3
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Vom Erstattungsausschluss ausgenommen bleibt auch die von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG abweichende vertragliche Vereinbarung einer Kostenübernahme1 GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 33. 2 BAG v. 30.4.1992 – 8 AZR 288/91, AP Nr. 6 zu § 12a ArbGG 1979; v. 30.11.1982 – 3 AZR 1173/79, AP Nr. 50 zu § 52 RegelungsG; GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 9. 3 So auch BAG v. 16.5.1990 – 4 AZR 56/90, AP Nr. 6 zu § 840 ZPO (unter Aufgabe von BAG v. 18.12.1972 – 5 AZR 248/72, AP Nr. 13 zu § 61 ArbGG 1953 Kosten); LAG Düsseldorf v. 14.2.1995 – 16 Sa 1996/94, AP Nr. 7 zu § 840 ZPO; GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 10 f. m.w.N.
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Ausschluss der Erstattung von Anwaltskosten gemäß § 12a ArbGG
Rz. 634 Teil 12
verpflichtung, etwa durch einen zwischen den Parteien abgeschlossenen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich. Da die erstinstanzlichen Anwaltskosten kraft Gesetzes grds. nicht erstattungsfähig sind, bedarf es aber für ihre materiell-rechtliche Übernahme einer klaren und zweifelsfreien Vereinbarung;1 andernfalls verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung, wonach die betreffenden Kosten von der unterliegenden Partei nicht zu tragen sind. Sind die nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ausgeschlossenen Vertretungskosten eindeutig übernommen worden, so ist jedenfalls für die im Wege des Prozessvergleichs vereinbarten Kosten streitig, ob sie im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 103 ZPO festgesetzt werden können.2 Letzteres dürfte nach zutreffender Ansicht zu verneinen sein, da das Kostenfestsetzungsverfahren nur der Ermittlung der gesetzlichen Prozesskosten zugänglich ist und auf privatrechtlich übernommene Kosten – selbst wenn sie den Prozess betreffen und durch Prozessvergleich vereinbart wurden – keine Anwendung findet.3 Die im Prozessvergleich übernommenen Kosten müssen deshalb ggf. in einem gesonderten Verfahren eingeklagt werden. Gleiches gilt unstreitig auch für die in einem außergerichtlichen Vergleich vereinbarte Kostenerstattungsverpflichtung.4
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3. Ausnahmen: Kostenerstattung bei Zwangsvollstreckung Der Erstattungsausschluss des § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG gilt nur im arbeitsgerichtlichen Erkenntnisverfahren. Auf die im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens aufzuwendenden Anwaltskosten findet er hingegen keine Anwendung. Denn der auf Kostenbegrenzung ausgerichtete Schutzzweck der Norm erfasst nicht solche Fälle, in denen aufgrund eines bereits erstrittenen Titels die Gefahr eines Unterliegens und einer damit verbundenen Kostentragungspflicht gar nicht mehr besteht.5 Die im Rahmen der Zwangsvollstreckung angefallenen Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten können daher ungeachtet des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG gemäß § 788 ZPO gegen den Schuldner festgesetzt werden. Zu beachten ist allerdings, dass solche Verfahren, deren Durchführung nicht lediglich aus Anlass der Zwangsvollstreckung stattfindet, so insbesondere die Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO und die Drittwiderspruchsklage des § 771 ZPO, aber auch die Drittschuldnerklage, mit der ja ein Titel erst noch erstritten werden soll, nicht zum Vollstreckungs- sondern zum Erkenntnisverfahren gehören, so dass die Kostentragungsregelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG hier voll zum Tragen kommt.6
1 LAG Nürnberg v. 2.8.2000 – 1 Ta 198/00, MDR 2000, 1340. 2 Dafür: LAG München v. 4.12.1978 – 1 Ta 90/78, AnwBl 1979, 67; dagegen: LAG Düsseldorf v. 1.4.1986 – 7 Ta 93/86, LAGE Nr. 9 zu § 12a ArbGG 1979. 3 So auch LAG Nürnberg v. 8.2.1999 – 4 Ta 13/99, JurBüro 1999, 356. 4 Vgl. GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 30. 5 LAG Berlin v. 17.2.1986 – 9 Sa 110/85, LAGE § 9 KSchG Nr. 1; GMPM/Germelmann, § 12a ArbGG Rz. 27. 6 OLG München v. 31.5.1990 – 11 W 932/90, MDR 1990, 931; vgl. auch Zöller/Stöber, 26. Auflage 2007, § 788 ZPO Rz. 12.
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III. Beiordnung eines Rechtsanwalts 1. Voraussetzungen 635
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kann im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens auf zwei unterschiedlichen Wegen erreicht werden: Zum einen durch entsprechenden Antrag im Rahmen eines Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß §§ 11a Abs. 3 ArbGG i.V.m. 114 ff. ZPO; zum anderen durch einen vom Prozesskostenhilfeverfahren unabhängigen Antrag auf Beiordnung gemäß § 11a ArbGG. Beide Verfahren bestehen nebeneinander, so dass es der Partei freisteht, von welcher Möglichkeit der anwaltlichen Beiordnung sie bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen Gebrauch machen will. Hat die Partei Prozesskostenhilfe beantragt, kann ihr allerdings ein Rechtsanwalt nur dann über § 11a ArbGG (und nicht über § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO) beigeordnet werden, wenn sie ausdrücklich zu erkennen gibt, dass der Prozesskostenhilfeantrag als Antrag nach § 11a ArbGG behandelt werden soll.1
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§ 11a ArbGG bestimmt, dass der Vorsitzende des Arbeitsgerichts einer Partei, die außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, und die nicht durch ein Mitglied oder einen Angestellten einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern vertreten werden kann, auf ihren Antrag einen Rechtsanwalt beizuordnen hat, wenn die Gegenpartei durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Die Regelung dient der Durchsetzung des Prinzips der Waffengleichheit im arbeitsrechtlichen Prozess, indem wirtschaftlich schlechter gestellten Parteien die Möglichkeit einer von der Staatskasse finanzierten anwaltlichen Vertretung eröffnet wird.
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Voraussetzung für die Beiordnung ist zunächst ein entsprechender Antrag der betreffenden Partei bei dem Arbeitsgericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, ggf. auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle, §§ 11a Abs. 3 ArbGG, 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Antrag muss vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden sein; gemäß §§ 11a Abs. 3 ArbGG, 117 Abs. 2 ZPO ist ihm zudem eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen beizufügen. Nach § 11a Abs. 2 ArbGG ist die Partei von dem Gericht auf die Möglichkeit der Beiordnung und ihr dementsprechendes Antragsrecht hinzuweisen.
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Der Antragsteller muss die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Beiordnung erfüllen, d.h. er muss außerstande sein, ohne Beeinträchtigung des für ihn oder seine Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten. Wie im Rahmen der Prozesskostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO ist dabei das für die Rechtsverfolgung einzusetzende Einkommen des Antragstellers nach Abzug der in § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO aufgeführten Positionen von maßgebender Bedeutung.
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Das berücksichtigungsfähige Einkommen richtet sich im Wesentlichen nach dem im Sozialrecht geltenden Kriterien. Erfasst sind alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 82 Abs. 1 SGB XII, also Geld1 GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 1.
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Beiordnung eines Rechtsanwalts
Rz. 640 Teil 12
und Sachbezüge aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit ebenso wie staatliche Leistungen, etwa Lohnersatzleistungen oder Wohngeld; entgegen anderslautender Ansicht wohl auch Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII1, da diese von ihrer Zielsetzung her dem Lebensunterhalt des Betroffenen und damit auch der Bestreitung etwaiger Prozesskosten dienen sollen. Ob das dem Antragsteller zufließende Kindergeld zu dessen Einkünften zu zählen ist, ist umstritten, dürfte angesichts dessen, dass auch im Sozialhilferecht das Kindergeld in der Regel dem Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils zugerechnet und in voller Höhe auf die Sozialhilfe angerechnet wird, aber zu bejahen sein.2 Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Situation im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch die Möglichkeit des Antragstellers zu berücksichtigen, von seiner Ehefrau einen Prozesskostenvorschuss nach § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB zu erlangen, da dieser prozesskostenhilferechtlich zum Vermögen i.S.d. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO gehört.3 Nicht dem für die Rechtsverfolgung einzusetzenden Einkommen hinzuzurechen ist dagegen wegen seiner besonderen Zielsetzung das Erziehungsgeld nach dem BErzGG.4 Von dem so ermittelten (Brutto-)Einkommen abzusetzen sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 zunächst die in § 82 Abs. 2, 3 SGB XII im Einzelnen aufgeführten Beträge, also auf das Einkommen zu entrichtende Steuern, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, Beiträge zu sonstigen Versicherungen, soweit diese gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind sowie Werbungskosten. Zusätzlich sind für die Partei und ihren Ehepartner sowie für jede unterhaltsberechtigte Person Unterhaltsfreibeträge zu berücksichtigen, § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO. Eigene Einkünfte der unterhaltsberechtigten Person sind dabei in Abzug zu bringen, so dass sich bei doppelverdienenden Ehegatten der Unterhaltsfreibetrag entsprechend vermindert und u.U. auch völlig entfallen kann. Der maßgebende Grundbetrag wird jedes Jahr für den Zeitraum vom 1. Juli des Jahres bis zum 30. Juni des Folgejahres vom Bundesministerium der Justiz im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben. Abzusetzen sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO weiterhin die Kosten der Unterkunft und Heizung, wozu neben dem Nettomietzins auch die Mietnebenkosten einschließlich vertraglich vereinbarter Umlagen der Betriebskosten gehören. Nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen sind diese Kosten lediglich dann, wenn sie in einem auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen, wenn also die Kosten im Hinblick auf die wirtschaftlichen und persönlichen Umstände der Partei ohne nachzuvollziehenden Grund in erheblichem Maße 1 So auch OLG Bamberg v. 12.8.1999 – 8 W 44/99, OLGR Bamberg 1999, 343; OLG München v. 18.5.1995 – 2 WF 764/95, FamRZ 1996, 42; GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 31; a.A. OLG Düsseldorf v. 12.7.1993 – 3 W 289/93, Rechtspfleger 1994, 28. 2 OLG Dresden v. 14.1.2002 – 22 WF (n.v.); OLG Naumburg v. 16.1.2001 – 3 WF 443/01, FamRZ 2001, 1470; LAG Berlin v. 2.9.1992 – 9 Ta 15/92, LAG München v. 17.10.1986 – 7 Ta 236/86, LAGE § 115 ZPO Nr. 24; LAGE § 115 ZPO Nr. 47; GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 29 m.w.N.; a.A. LAG Mainz v. 5.11.1997 – 10 Ta 165/97, Rpfleger 1998, 164LAG Bremen v. 19.2.1986 – 2 Ta 1/86, LAGE § 115 ZPO Nr. 16. 3 BAG v. 29.10.2007 – 3 AZB 25/07, NJW 2008, 1400. 4 OLG Düsseldorf v. 12.7.1993 – 3 W 289/93, Rechtspfleger 1994, 28; LAG Hamm v. 18.5. 1988 – 14 Ta 177/88, ARST 1989, 36.
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1117
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Teil 12 Rz. 641
Kündigungsschutzprozess
überhöht sind.1 Dies wird indes nur in Ausnahmefällen und beispielsweise nicht schon dann anzunehmen sein, wenn die Ehewohnung während einer Trennungszeit nur von einem Ehepartner bewohnt wird.2 641
Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO sind schließlich besondere Belastungen von dem berücksichtigungsfähigen Einkommen abzuziehen, etwa Zahlungsverpflichtungen, die der Antragsteller in Unkenntnis des bevorstehenden Prozesses eingegangen ist3, Unterhaltsleistungen, die ohne gesetzliche Verpflichtung erbracht werden, sofern sie nach Grund und Höhe angemessen erscheinen4 oder PKH-Raten, die in einem anderen Verfahren zu zahlen sind.5 Auch ein behinderungsbedingter Mehrbedarf ist nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO vom Einkommen abzusetzen, wobei angesichts der gesetzlichen Vermutung des in Bezug genommenen § 1610a BGB ein konkreter Nachweis des Mehrbedarfs nicht erbracht werden muss.
642
Neben seinem nach § 115 Abs. 1 ZPO berücksichtigungsfähigen Einkommen hat der Antragsteller außerdem sein Vermögen einzusetzen, sofern dieses i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII verwertbar ist, also unmittelbar zur Beseitigung der Hilfsbedürftigkeit zur Verfügung steht, und sein Einsatz dem Antragsteller i.S.d. § 115 Abs. 3 ZPO, § 90 Abs. 3 SGB XII zuzumuten ist. Von vornherein nicht verwertbar sind die in § 90 Abs. 2 SGB XII aufgeführten Vermögensgegenstände, die – wie etwa ein angemessener Hausrat oder für Ausbildung oder Erwerbstätigkeit benötigte Gegenstände – für die normale Lebensführung unentbehrlich sind. Welche Vermögensgegenstände darüber hinaus unverwertbar sind, muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.6 Umstritten ist insbesondere, ob auch Abfindungen, die über §§ 9, 10 KSchG oder im Wege des Vergleichs für den Verlust des Arbeitsplatzes geleistet werden, als verwertbares Vermögen einzusetzen sind. Hierzu wird teilweise die Ansicht vertreten, die Zweckbestimmung der Abfindung als „soziales Schmerzensgeld“ mache deren Einsatz für den Antragsteller von vornherein unzumutbar, so dass eine Anrechnung als verwertbares Vermögen nicht in Betracht komme.7 Die mittlerweile herrschende Auffassung geht demgegenüber zu Recht davon aus, dass Kündigungsabfindungen nicht anders als andere Vermögensbestandteile auch i.d.R. als anzurechnendes Vermögen zu berücksichtigen sind.8 Denn die Abfindungen unterliegen der freien Verfügung des Antragstellers, so dass nicht einzusehen ist, dass sie wegen einer Zweckbindung nicht als Vermögensbestandteil sollen eingesetzt werden können. Dem wirtschaftlichen Zweck der Abfindung wird darüber hinaus bereits im Rahmen der nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebotenen entsprechenden Anwendung des § 90 SGB XII und der dazu ergangenen Durch1 2 3 4 5 6 7
Vgl. hierzu OLG Brandenburg v. 16.10.2000 – 9 WF 187/00, FamRZ 2001, 1085. OLG München v. 24.6.1996 – 12 WF 835/96, FamRZ 1997, 299. LAG Nürnberg v. 25.8.2000 – 5 Ta 209/00, LAGE § 115 ZPO Nr. 57. OLG Bremen v. 3.6.1996 – 5 WF 59/96, FamRZ 1997, 298. OLG Köln v. 4.9.1996 – 2 W 181/96, VersR 1998, 76. Vgl. dazu genauer Reichold in Thomas/Putzo, 28. Auflage 2007, § 115 ZPO Rz. 17 ff. So etwa LAG Bremen v. 20.7.1988 – 1 Ta 38/88, LAGE § 115 ZPO Nr. 29; LAG Berlin – 12 Sa 63/81, NJW 1981, 2775; LAG Hamburg – 4 Ta 10/80, BB 1980, 1801. 8 LAG Nürnberg v. 27.1.2000 – 3 Sa 140/99, MDR 2000, 588; LAG Bremen v. 17.4.1998 – 4 Ta 20/98, LAGE § 115 ZPO Nr. 55; LAG Hamburg v. 13.8.1997 – 1 Ta 3/97, LAGE § 115 ZPO Nr. 52; LAG Mainz v. 6.3.1995 – 4 Ta 14/95, LAGE § 115 ZPO Nr. 51.
1118
Mues
Beiordnung eines Rechtsanwalts
Rz. 646 Teil 12
führungsverordnung genügend Rechnung getragen. Festzustellen ist daher allein, in welcher Höhe der Einsatz der Abfindung nach diesen Vorschriften zumutbar ist.1 Die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 11a ArbGG setzt weiterhin voraus, dass die Partei nicht durch ein Mitglied oder einen Angestellten einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern vertreten werden kann, § 11a Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Denn in diesem Falle ist die Prozessvertretung bereits auf andere Weise sichergestellt, so dass die anwaltliche Vertretung nicht mehr erforderlich ist. Trotz anderslautenden Wortlauts des § 11a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist der Begriff des Verbandsvertreters in dieser Vorschrift ebenso auszulegen wie derjenige in § 11 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach die Vertretung durch Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen oder Zusammenschlüssen dieser Verbände erfolgt und nur zulässig ist, wenn die betreffenden Personen kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei des Verfahrens sind. Die insoweit unterschiedliche Formulierung von § 11 Abs. 1 Satz 2 ArbGG und § 11a Abs. 1 Satz 1 ArbGG beruht auf einem Redaktionsversehen.2
643
Fraglich ist, ob auch die mögliche Interessenwahrnehmung durch den Vertreter einer selbständigen Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung die Beiordnung eines Rechtsanwalts ausschließt. Dies dürfte im Hinblick auf die mangelnde Erwähnung in § 11a ArbGG sowie angesichts dessen, dass § 11 ArbGG eine Gleichstellung mit den übrigen Verbandsvertretern ausdrücklich nicht vorsieht (vgl. insbesondere § 11 Abs. 2 Satz 2, der eine Vertretung in zweiter Instanz nur durch die in Abs. 1 Satz 2 erwähnten Verbandsvertreter zulässt) wohl zu verneinen sein.
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Die Verbandsvertretung muss möglich und dem Antragsteller zuzumuten sein. An der erstgenannten Voraussetzung fehlt es insbesondere dann, wenn nach der Satzung kein Anspruch des Antragstellers auf eine Vertretung durch den Verband besteht, während die Zumutbarkeit beispielsweise für die Fälle zu verneinen ist, dass die Partei nicht das nötige Vertrauen in die Verbandsvertretung haben kann3 oder der Verband die Gewährung von Rechtsschutz ablehnt.4
645
§ 11a Abs. 1 Satz 1 ArbGG findet nur dann Anwendung, wenn die Gegenseite durch einen Rechtsanwalt vertreten wird. Denn nur bei fachkundiger Unterstützung des Gegners besteht ja überhaupt die Gefahr einer Benachteiligung der „armen“, anwaltlich nicht vertretenen Partei. Angesichts des klaren Wortlauts der Regelung kann nur die anwaltliche Vertretung eine Beiordnung rechtfertigen. Es reicht deshalb nicht aus, wenn die Interessen der Gegenpartei durch einen Verbandsvertreter wahrgenommen werden, mag dieser auch Volljurist sein.5 Streitig ist, ob die Rechtslage anders zu beurteilen und eine Beiordnung
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1 2 3 4 5
LAG Nürnberg v. 27.1.2000 – 3 Sa 140/99, MDR 2000, 588. GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 52. LAG München v. 26.6.1987 – 8 Ta 17/87, AnwBl 1987, 499. LAG Berlin v. 8.6.1984 – 4 Ta 159/84, NZA 1984, 236. LAG Düsseldorf v. 9.6.1988 – 14 Ta 135/88, LAGE § 11a ArbGG 1979 Nr. 5; LAG München v. 10.8.1965 – 4 Ta 123/65 (n.v.); so auch GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 55.
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Teil 12 Rz. 647
Kündigungsschutzprozess
zu gewähren ist, wenn der Verbandsvertreter zugleich eine Zulassung als Rechtsanwalt besitzt. Im Schrifttum wird dies unter Hinweis auf den Regelungszweck der Norm, den Parteien Waffengleichheit zu garantieren, z.T. bejaht1, während nach der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung die Beiordnung nach § 11a ArbGG auch im Falle eines als Verbandsvertreter auftretenden Rechtsanwalt ausgeschlossen ist.2 Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Wie sich bereits aus dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 11a ArbGG ergibt, ist es für die Beiordnung erforderlich, dass der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Vertreter des Anwaltsstandes und Organ der Rechtspflege auftritt und nicht als – von der Stellung her nicht vergleichbarer – Verbandsvertreter. Anderes kann lediglich dann gelten, wenn sich der Verbandsvertreter im Prozess ausdrücklich als Rechtsanwalt bezeichnen lässt und als solcher auch auftritt.3 647
Nach § 11a Abs. 2 kann die Beiordnung trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen unterbleiben, wenn sie aus besonderen Gründen nicht erforderlich ist.
648
Besondere Gründe, die eine Beiordnung als nicht erforderlich erscheinen lassen, liegen immer dann vor, wenn die Partei aufgrund ihrer persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auch ohne anwaltliche Vertretung in der Lage ist, den Prozess zu führen. Letzteres kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Partei selbst oder ihr Vertreter rechtskundig ist.4 Angesichts des in § 11a ArbGG verankerten Grundsatzes der Waffengleichheit wird allerdings die Rechtskenntnis einer Partei in den seltensten Fällen zu einer Versagung der Beiordnung eines Rechtsanwalts führen.
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Von der Beiordnung kann gemäß § 11a Abs. 2 ArbGG zudem dann abgesehen werden, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich mutwillig erscheint. Dies ist – anders als bei dem nach §§ 114 ff. ZPO zu beurteilenden Antrag auf Prozesskostenhilfe – nicht schon dann der Fall, wenn das Gericht die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung nicht für aussichtsreich hält. Auch eine „einfache“ Mutwilligkeit, wie sie § 114 Abs. 1 ZPO als Ausschlussgrund vorsieht, reicht für die Versagung der Beiordnung nicht aus. Von einer „offensichtlichen Mutwilligkeit“ kann vielmehr nur dann ausgegangen werden, wenn das Rechtsbegehren der armen Partei schon auf den ersten Blick erfolglos erscheint5 und auf keinerlei sachlich vernunftvolle Erwägungen gestützt werden kann6, so wenn der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts unter offenkundiger Verkennung des Rechtswegs bei einem Arbeitsgericht gestellt wird, obwohl dieses zuvor ausdrücklich auf die Unzulässigkeit des Rechtswegs hingewiesen hat.7 1 GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 48; Kasseler Hdb. ArbR/Ascheid, Kap. 9 Rz. 192. 2 LAG Stuttgart v. 17.7.1998 – 22 Ta 3/98, MDR 1998, 1169; LAG Düsseldorf v. 9.6.1988 – 14 Ta 135/88, LAGE § 11a ArbGG 1979 Nr. 5; LAG München v. 10.8.1965 – 4 Ta 123/65 (n.v.). 3 LAG Stuttgart v. 17.7.1998 – 22 Ta 3/98, MDR 1998, 1169. 4 Vgl. GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 67. 5 LAG Düsseldorf v. 29.10.1986 – 14 Ta 245/86, LAGE § 11a ArbGG 1979 Nr. 4. 6 LAG Frankfurt v. 14.10.1983 – 10 Ta 284/83 (n.v.). 7 ArbG Hanau v. 16.5.1997 – 3 Ha 1/97, ARST 1998, 63.
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Mues
Beiordnung eines Rechtsanwalts
Rz. 651 Teil 12
Anstelle der Beiordnung nach § 11a ArbGG kann die betroffene Partei gemäß §§ 114 ff. ZPO auch Prozesskostenhilfe beantragen und sich über § 121 ZPO einen Prozessbevollmächtigten beiordnen lassen. Es gelten hierfür, was die Antragstellung und die Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse anbelangt, im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie für die Beiordnung nach § 11a ArbGG. Die Selbstbeiordnung eines Rechtsanwalts kommt allerdings nicht in Betracht. Wäre diese zulässig, ginge es nicht um die Ermöglichung des Zugangs zum Gericht, sondern um die Eröffnung einer Einnahmequelle des prozessführenden Rechtsanwalts zu Lasten der Staatskasse. Dies ist vom Zweck des Prozesskostenhilferechts und der Beiordnungsvorschriften nicht gedeckt.1
650
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich die Beiordnung nach ZPO und die nach ArbGG nicht nur im Hinblick auf ihre Rechtsfolgen unterscheiden (dazu unter unter Rz. 652 ff.), sondern auch bereits von ihren Voraussetzungen her differieren. So setzt die Gewährung von Prozesskostenhilfe anstelle der § 11a ArbGG für die Beiordnung normierten Erfordernisse gemäß § 114 ZPO zusätzlich voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn die Klage von vornherein unschlüssig oder das Verteidigungsvorbringen unerheblich ist. Keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 114 ZPO hat auch eine Kündigungsschutzklage, wenn die Klagefrist des § 4 KSchG versäumt wurde und auch ein Antrag auf nachträgliche Klagezulassung keine Erfolgsaussicht hat, was dann der Fall ist, wenn eine anwaltlich vertretene Arbeitnehmerin nicht ohne Verschulden i.S.d. § 5 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO verhindert gewesen ist, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben.2 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht i.S.d. § 114 ZPO ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs.3 Die für eine Beiordnung nach §§ 114 ff. ZPO zu erfüllenden Anforderungen sind im Übrigen grds. weitergehend als die Anforderungen an eine Beiordnung über § 11a ArbGG. Dem entspricht es auch, dass die Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe bereits bei einer mutwillig erscheinenden Prozessführung zu versagen ist4, während die Beiordnung nach § 11a ArbGG lediglich für den Fall eines offensichtlich mutwilligen Rechtsbegehrens ausgeschlossen ist, also in vergleichsweise seltenen Fällen. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Verfahren liegt darin, dass § 11a ArbGG seinem Wortlaut gemäß (Beiordnung durch den „Vorsitzenden des Arbeitsgerichts“) nur die anwaltliche Vertretung in erster Instanz betrifft, während die Beiordnung nach §§ 114 ff. ZPO auch in zweiter oder dritter Instanz erfolgen kann.5 Die Beiordnung nach § 121 ZPO ist somit zwar prinzipiell an strengere
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1 2 3 4
BAG v. 14.11.2007 – 3 AZB 26/07, NJW 2008, 604. LAG Rheinland-Pfalz v. 17.1.2008 – 3 Ta 258/07 (n.v.). LAG Rheinland-Pfalz v. 1.4.2008 – 9 Ta 53/08 (n.v.). Vgl. dazu beispielsweise LAG Mainz v. 23.1.2001 – 2 Ta 5/01, ArbuR 2001, 197; LAG Kiel v. 28.7.2000 – 4 Ta 102/00 (n.v.) (Antrag auf Weiterbeschäftigung vor Scheitern des Gütetermins). 5 LAG Berlin v. 26.8.1980 – 9 Sa 39/80, AP Nr. 1 zu § 11a ArbGG 1979.
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Teil 12 Rz. 652
Kündigungsschutzprozess
Voraussetzungen geknüpft als die Beiordnung nach § 11a ArbGG. Sie umfasst dafür aber einen weiteren Anwendungsbereich. 2. Verfahren der Beiordnung und Rechtsfolgen 652
Sowohl das Beiordnungsverfahren nach ArbGG als auch das nach ZPO werden durch einen entsprechenden Antrag der betroffenen Partei, dem gemäß § 117 Abs. 2 ZPO eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie diesbezügliche Belege beigefügt sein müssen, bei dem zuständigen Prozessgericht in Gang gesetzt, § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im Rahmen der Prüfung des Antrags hat das Gericht dann die Möglichkeit, gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO die Glaubhaftmachung der im Antrag gemachten Angaben zu verlangen und die Vorlegung von Urkunden anzuordnen sowie den Antrag betreffende Auskünfte einzuholen. Die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zur Klärung des Sachverhalts ist hingegen generell unzulässig. Die für das Prozesskostenhilfeverfahren geltende Ausnahmeregelung des § 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO, wonach eine solche Vernehmung statthaft sein kann, wenn auf andere Weise die Erfolgsaussicht des Rechtsbegehrens und die Frage der Mutwilligkeit nicht zu klären ist, findet im Verfahren nach § 11a ArbGG keine Anwendung, da die vorgenannten Fragen dort überhaupt nicht geprüft werden. Auch die in § 118 Abs. 1 Satz 3–5 ZPO für das Verfahren nach §§ 114 ff. ZPO vorgesehene Ladung der Parteien zur mündlichen Erörterung ist auf das Bewilligungsverfahren nach § 11a ArbGG nicht übertragbar. Dies folgt daraus, dass letzteres im Gegensatz zum Prozesskostenhilfeverfahren stets im Rahmen eines bereits anhängigen Hauptverfahrens stattfindet.1
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Im Prozesskostenhilfe- wie im Bewilligungsverfahren nach § 11a ArbGG muss das Gericht vor einer Entscheidung über den Antrag gemäß § 118 Abs. 1 ZPO der Gegenseite grds. Gelegenheit zur Stellungnahme geben, was in mündlicher oder schriftlicher Form, auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle, geschehen kann.2 Das rechtliche Gehör beschränkt sich dabei i.d.R. auf die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung des Antragstellers. Eine Anhörung des Gegners zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Partei kommt demgegenüber wegen § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur dann in Betracht, wenn die Partei der Weitergabe ihrer Erklärung und der im Zusammenhang damit eingereichten Belege ausdrücklich zugestimmt hat.3
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Die Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung erfolgt durch den Vorsitzenden der zuständigen Kammer ohne mündliche Verhandlung durch einen entsprechend zu begründenden Beschluss (127 Abs. 1 ZPO). Aus diesem muss sich nicht nur ein bestimmter beigeordnete Rechtsanwalt ergeben, sondern auch etwaig zu entrichtende Raten nach ihrer Höhe und ihrem Zahlungsbeginn sowie ggf. einzusetzendes Vermögen. Zu beachten ist, dass die Beiordnung grds. auch rückwirkend und sogar nach Abschluss des Verfahrens noch gewährt werden kann. Voraussetzung ist hierfür allerdings, dass der Bewilligungsantrag mit 1 Vgl. GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 72. 2 Vgl. Reichold in Thomas/Putzo, 28. Auflage 2007, § 118 ZPO Rz. 2. 3 GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 76, 77.
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Mues
Beiordnung eines Rechtsanwalts
Rz. 657 Teil 12
den erforderlichen Unterlagen bereits während des Verfahrens vorgelegen hat und damit zumindest die Möglichkeit einer positiven Entscheidung vor Abschluss der Instanz bestanden hätte.1 Eine Rückwirkung über den Zeitpunkt hinaus, zu dem der Antragsteller durch einen formgerechten Antrag unter Beifügung der erforderlichen Unterlagen von seiner Seite aus die Voraussetzungen für die Beiordnung geschaffen hat, kommt grds. nicht in Betracht.2 Gegen die ablehnende Entscheidung des Gerichts ist binnen einer Notfrist von einem Monat seit Zustellung des Beschlusses, maximal drei Monate danach, gemäß § 127 Abs. 2 ZPO die sofortige Beschwerde möglich.3 Die Bewilligung einer Beiordnung nach § 11a ArbGG hat zur Folge, dass die Staatskasse für die Kosten des beigeordneten Rechtsanwalts aufkommt. Dieser kann umgekehrt seinen Anspruch auf Erstattung von Gebühren und Auslagen nicht mehr gegen die von ihm vertretene Partei geltend machen, sondern erhält seine Vergütung aus der jeweiligen Landeskasse.
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Zu beachten ist, dass die Partei über § 11a ArbGG lediglich von ihren Rechtsanwaltskosten und nicht auch von den während Verfahrens anfallenden Gerichts- und Gerichtsvollzieherkosten befreit wird. Letztere sind deshalb auch im Falle eines erfolgreichen Antrags von der Partei selbst zu tragen. Von der Kostenbefreiung unberührt bleibt entsprechend § 123 ZPO grds. auch die Verpflichtung der Partei, die dem Gegner aufgrund des Verfahrens entstandenen Kosten zu erstatten. Die Bestimmung des § 123 ZPO hat allerdings im Rahmen des Verfahrens nach § 11a ArbGG nur eine sehr untergeordnete Bedeutung. Denn eine Erstattungspflicht kommt ohnehin kaum jemals in Betracht, da eine Beiordnung nach § 11a ArbGG nur in erster Instanz erfolgen kann und dort – von dem Ausnahmefall des § 12a Abs. 1 Satz 3 ArbGG abgesehen – eine Kostenerstattung gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG regelmäßig ausscheidet.
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Im Unterschied zu der Beiordnung nach § 11a ArbGG werden bei einer Bewilligung der Beiordnung im Prozesskostenhilfeverfahren nicht nur die Rechtsanwaltskosten der Partei, sondern gemäß § 122 ZPO zusätzlich auch die Gerichts- und Gerichtsvollzieherkosten von der Staatskasse übernommen. Nicht von der Befreiung erfasst sind dagegen auch hier die dem Gegner entstandenen Kosten, die – sofern sie nicht in der ersten Instanz angefallen und nach § 12a ArbGG nicht erstattungsfähig sind – die Partei selbst zu tragen hat.
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1 LAG Köln v. 19.5.1998 – 11 Ta 70/98, LAGE § 117 ZPO Nr. 8; LAG Nürnberg v. 11.5. 1988 – 3 Ta 55/88, LAGE § 117 ZPO Nr. 6. 2 LAG Nürnberg v. 11.5.1988 – 3 Ta 55/88, LAGE § 117 ZPO Nr. 6. 3 Hierzu im Einzelnen GMPM/Germelmann, § 11a ArbGG Rz. 85 ff.
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1123
Teil 13 Sozialversicherungsrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
A. Vorbemerkung I. Allgemeines Arbeits- und Sozialversicherungsrecht sind in ganz wesentlichen Punkten eng miteinander verflochten. Gerade im Fall der entweder einseitig durch Ausspruch einer Kündigungserklärung oder einvernehmlich durch Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung veranlassten Auflösung des Arbeitsverhältnisses zeigt sich dies plastisch: Es können sozialversicherungsrechtliche Folgen eintreten, die vor allem für den Arbeitnehmer, zum Teil aber auch für den Arbeitgeber durchaus nicht unerhebliche finanzielle Nachteile mit sich bringen. Die im Zusammenhang mit der Auflösung von Arbeitsverhältnissen bedeutsamen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften werden vom Gesetzgeber seit vielen Jahren ständig reformiert, wobei eine Zielsetzung deutlich im Vordergrund steht. Die sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen sollen häufig mit derartigen finanziellen Nachteilen verbunden sein, dass die Arbeitsvertragsparteien möglichst Abstand zumindest von einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nehmen.
1
Im Nachfolgenden sollen deshalb die sozialversicherungsrechtlichen Instrumentarien näher erläutert werden, die im Zusammenhang von Kündigungen und Aufhebungsverträgen vom Gesetzgeber bewusst als Steuerungsinstrument eingesetzt werden.
2
II. Überblick über die Gesetzesentwicklung Das Arbeitsförderungsrecht enthält Regelungen über die sehr unterschiedlichen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit und der ihr nachgeordneten Agenturen für Arbeit, die über die Arbeitsvermittlung und eigentliche Vorsorge für den Versicherungsfall Arbeitslosigkeit hinausgehen und insbesondere präventive Sicherungen vor Arbeitslosigkeit enthalten. Dieser weitgesteckte Aufgabenbereich verdeutlicht, weshalb der Gesetzgeber nicht von der Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung, sondern von der Beitragspflicht zur Bundesagentur für Arbeit spricht. Aus der Beitragspflichtigkeit ergeben sich in bestimmten Fällen aber auch Leistungsansprüche von aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmern gegen die Bundesagentur für Arbeit. Die damit zusammenhängenden Rechtsbeziehungen sind ebenfalls Gegenstand des Arbeitsförderungsrechtes.
3
Das alte AFG ist in seinen wesentlichen Elementen mit Ablauf des 31.12.1997 außer Kraft getreten. An seine Stelle ist das SGB III seit 1.1.1998 getreten. Für
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Laber
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Teil 13 Rz. 5
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
einige materiellrechtliche bedeutsame Regelungen sah das Gesetz eine Übergangsfrist bis zum 6.4.1999 (insoweit maßgeblich der Tag des Eintritts der Arbeitslosigkeit) vor; dies betraf vor allem die allgemeine Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld nach § 140 SGB III. Daneben galten aber auch einige Regelungen aus dem alten AFG, nämlich die §§ 117 Abs. 2, 117a, 128 AFG, für diese Übergangszeit weiter. 5
Der Gesetzgeber hat sich dann recht kurzfristig entschlossen, im Rahmen des sog. Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes vom 24.3.19991 die generelle Anwendbarkeit der Vorschrift des § 140 SGB III ab dem 7.4.1999 auszuschließen und an seine Stelle alte Regelungen des AFG in das SGB III zu überführen: Danach wurde der alte § 128 AFG mit unverändertem Inhalt in den bis 31.12.2003 geltenden § 147a SGB III und der alte § 117 Abs. 2 AFG in § 143a SGB III transformiert. Der für die Übergangszeit bis zum 6.4.1999 fortbestehende § 117a AFG wurde dagegen nicht in das SGB III übernommen.
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Überwiegend mit Wirkung zum 1.1.2003 sind das „Erste und Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“2 („Hartz-Gesetze“) vom 23.12. 2002 in Kraft getreten (ausgenommen ist z.B. der Bereich der sog. „Mini-Jobs“; um eine reibungslose Einführung zu gewährleisten, ist dieser Teil des Gesetzespakets erst am 1.4.2003 in Kraft getreten). Gerade das Erste Gesetz („Hartz I“) enthält eine ganze Reihe von an das Arbeitsrecht angrenzenden Änderungen im Sozialrecht, speziell im SGB III. Inhaltlich konzentriert es sich vor allem auf neue Rahmenbedingungen für die Vermittlung von Arbeit sowie auf die Schaffung neuer Felder der Beschäftigung einschließlich Zeitarbeit. Im Zweiten Gesetz („Hartz II“) sollen die Wege in die Selbständigkeit (etwa durch „Ich-AGs“) erleichtert und Schwarzarbeit stärker als bislang bekämpft werden. Darüber hinaus wurde eine Gleitzone für Beschäftigungsverhältnisse zwischen 400 Euro und 800 Euro eingerichtet, und „Mini-Jobs“ bis 400 Euro werden mit 25 % Pauschalabgaben belegt (Sonderregelung in Privathaushalten).
7
Am 13.8.2003 hat das Bundeskabinett die Entwürfe des „Dritten und Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“3 zum Umbau der Arbeitsverwaltung und des Leistungsrechts beschlossen, die die bisherigen Reformschritte zu Minijob und Leiharbeit ergänzen. Kernpunkte sind die Modernisierung der Bundesanstalt für Arbeit, die seit dem 1.1.2005 „Bundesagentur für Arbeit“ heißt („Hartz III“) und die Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II („Hartz IV“). Hartz III ist zum 1.1. 2004 in Kraft getreten4, bestimmte Übergangsregelungen führten jedoch dazu, dass einige Regelungen erst seit 2006 voll greifen. Hartz IV ist in der im Vermittlungsausschuss erarbeiteten Fassung in weiten Teilen erst zum 1.1.2005 wirksam geworden.5 Die Auswirkungen dieser Neuregelungen auf die im Zusammenhang mit der Auflösung von Arbeitsverhältnissen bedeutsamen sozialver-
1 2 3 4 5
BGBl. 1999 I, 396. BGBl. 2002 I, 4621. BGBl. 2003 I, 2954. BGBl. 2003 I, 2848. BGBl. 2003 I, 2954.
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Überblick über die Gesetzesentwicklung
Rz. 8d Teil 13
sicherungsrechtlichen Vorschriften des SGB III sind jedoch größtenteils eher begrifflicher als inhaltlicher Natur. Ebenfalls am 1.1.2004 ist schließlich das durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats beschlossene „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“1 vom 24.12.2003 in Kraft getreten. Durch Artikel 3 dieses Gesetzes wurde unter anderem die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verkürzt. Auch hier führten Übergangsregelungen jedoch dazu, dass einige Regelungen erst seit 2006 voll greifen. Außerdem ist die in § 147a SGB III enthaltene Erstattungspflicht des Arbeitgebers durch die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gemäß § 434l SGB III ausgelaufen.
8
Durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 22.12.20052 wurde die erst zum 1.7.2003 eingeführte Meldeobliegenheit nach § 37b SGB III zum 1.1.2006 modifiziert. Arbeitnehmer müssen sich nunmehr unabhängig von der Art und Weise der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses frühestens drei Monate vor dem Eintritt der Beschäftigungslosigkeit arbeitssuchend melden. § 140 SGB III, der eine Minderung des Arbeitslosengeldes bei Verletzung der Meldeobliegenheit vorsah, wurde aufgehoben. Stattdessen kann die Verletzung der Meldeobliegenheit nunmehr eine einwöchige Sperrzeit auslösen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7, Abs. 6 SGB III).
8a
Mit dem 31.12.2007 ist schließlich die sog. „58er-Regelung“ des § 428 SGB III, dessen Geltung noch durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des SGB III um zwei Jahre verlängert wurde, endgültig ausgelaufen, wonach auch Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet hatten und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nicht erfüllten, weil sie nicht arbeitsbereit waren und nicht alle Möglichkeiten nutzten und nutzen wollten, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden, Anspruch auf Arbeitslosengeld I hatten.
8b
Durch das Siebte Gesetz zur Änderung des SGB III vom 8.4.2008 wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer rückwirkend zum 1.1.2008 wieder verlängert, jedoch nicht auf den Stand vor dem 1.1.2004. Trotz der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitslose wurde die Erstattungspflicht des Arbeitgebers für geleistetes Arbeitslosengeld nicht wieder eingeführt.3
8c
Das zum 1.1.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.20084 brachte die Stärkung der Arbeitsvermittlung durch Einführung eines Vermittlungsbudgets gemäß § 45 SGB III. § 37b SGB III a.F., der die Meldepflicht des Arbeitssuchenden statuierte, wurde durch den weitestgehend inhaltsgleichen § 38 SGB III ersetzt. Durch das Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland (sog. „Konjunkturpaket II“) vom 5.3.20095 wurde der Bezug von Kurzarbeitergeld
8d
1 BGBl. 2003 I, 3022. 2 BGBl. 2005 I, 3676; vgl. dazu Preis/Schneider, NZA 2006, 177; Hoehl, NZS 2006, 189; Giesen, NJW 2006, 721 (726). 3 BGBl. 2008 I, 681; vgl. dazu Hoehl, NZS 2008, 76. 4 BGBl. 2008 I, 2917. 5 BGBl. 2009 I, 416.
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Teil 13 Rz. 9
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
durch Einführung des § 421t SGB III erleichtertet, um Beschäftigung zu sichern. Die Förderung beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen wurde ausgebaut und der Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung auf 14,9 % gesenkt. 9
Das SGB III – jedenfalls der mit Kündigungen und Aufhebungsverträgen zusammenhängende sozialversicherungsrechtliche Bereich – ist dennoch keine umfassende inhaltliche Reform. Das Gesetz enthält vielmehr aus dem AFG bekannte Begriffe, Regelungsmechanismen und Leistungstypen, zu denen indes neue Leistungsarten hinzugetreten sind und bisherige Instrumentarien des Arbeitsförderungsrechts weiterentwickelt wurden.
B. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld 10
Der Umfang des Anspruchs auf Arbeitslosengeld eines aus einem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers hängt entscheidend von Form, Inhalt und Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab.
11
Zu beachten ist, dass im Zuge des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die – noch bis zum 31.12.2004 unterschiedlichen – Entgeltersatzleistungen Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld (= Lebensunterhalt von Teilnehmern an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung) aus verwaltungsökonomischen Gründen mit Wirkung zum 1.1.2005 zusammengefasst worden sind. Wird der Begriff „Arbeitslosengeld“ verwandt, ist damit nunmehr eine einheitliche Versicherungsleistung bei Arbeitslosigkeit und bei beruflicher Weiterbildung gemeint (vgl. § 117 Abs. 1 SGB III).
12
§ 124a SGB III1 regelt seit dem 1.1.2005 die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung. Als Maßnahme der beruflichen Weiterbildung gilt die Zeit vom ersten bis zum letzten Tag mit Unterrichtsveranstaltungen, § 77 SGB III. Erforderlich ist, dass alle Voraussetzungen für eine Übernahme der Weiterbildungskosten nach § 77 SGB III erfüllt sind, insbesondere die Notwendigkeit einer Weiterbildung im Einzelfall feststeht.
13
Die Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit sind abschließend in § 118 Abs. 1 SGB III aufgeführt, der dem bis zum 31.12.2004 geltenden § 117 Abs. 1 SGB III inhaltlich entspricht. Konkret müssen folgende Voraussetzungen vorliegen: – Arbeitslosigkeit, § 119 SGB IIII (insb. Verfügbarkeit für die Agentur für Arbeit, § 119 SGB III) – Arbeitslosmeldung bei der Agentur für Arbeit, § 122 SGB III – Anwartschaftszeit, § 123 SGB III i.V.m. § 124 SGB III
14
Der Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld ist im Gegensatz zu früher nicht mehr materielle Voraussetzung. Er ist aber weiterhin Verfahrensvoraussetzung für die Gewährung, wobei allerdings zur Vereinfachung der Antrag als gestellt fingiert wird, wenn die Meldung erfolgt, § 323 SGB III. 1 Zu beachten ist die Übergangsregelung des § 434j Abs. 10 SGB III.
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Arbeitslosigkeit
Rz. 18 Teil 13
" Praxistipp: Nach dem durch das Gesetz zur Anpassung der Regelalters-
grenze an die demographische Entwicklung zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung – RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.20071 – zum 1.1.2008 geänderten § 117 Abs. 2 SGB III haben Arbeitnehmer, die das für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches erforderliche Lebensjahr vollendet haben, vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das bedeutet, dass auch die Altersgrenze für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wie die Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung stufenweise auf 67 Jahre beginnend von 2012 an mit dem Jahrgang 1947 bis zum Jahr 2029 angehoben wird.
15
Zu den Anspruchsvoraussetzungen gilt im Einzelnen Folgendes:
I. Arbeitslosigkeit Die seit dem 1.1.2005 geltende Neuregelung des § 119 SGB III fasst die Vorschriften zur Arbeitslosigkeit und zur Beschäftigungssuche zusammen. Arbeitslos ist danach, wer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Inhaltliche Änderungen gegenüber der bis zum 31.12.2004 geltenden Regelung des § 118 SGB III gehen mit der sprachlichen Neufassung der Definition in § 119 SGB III allerdings nicht einher.
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1. Beschäftigungslosigkeit Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III darf der Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Der sozial-/beitragsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses ist nicht mit dem Begriff „Arbeitsverhältnis“ gleichzusetzen. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses schließt die Unterbrechung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht aus. Ein Beschäftigungsverhältnis besteht nur, wenn und solange das Arbeitsverhältnis tatsächlich vollzogen wird, m.a.W., der Arbeitnehmer muss eine tatsächliche Erwerbstätigkeit ausüben2. Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien über den Fortbestand ihres Beschäftigungsverhältnisses haben dabei nur indizielle Bedeutung.3
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Beschäftigungslos i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist somit nur derjenige, der keine aktive Erwerbstätigkeit ausübt. Relevant ist insoweit allerdings nur eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Nach § 119 Abs. 3 SGB III wird die Arbeitslosigkeit nicht durch eine geringfügige Beschäftigung des Arbeitslosen ausgeschlossen. Dabei stellt das Gesetz nicht auf sämtliche allgemeinen Geringfügigkeitsgrenzwerte des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ab, sondern bezieht
18
1 BGBl. 2007 I, 554. 2 BSG v. 10.9.1998 – B 7 AL 96/97 R, NZS 1999, 305 (306). 3 BSG v. 28.9.1993 – 11 RAr 69/92, NZS 1994, 140; v. 9.9.1993 – 7 Rar 96/92, NZS 1994, 142.
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Sozialversicherungsrechtliche Folgen
sich nur auf die Zeitgrenze von unter 15 Wochenstunden, nicht dagegen auf die ansonsten zur Begründung einer Geringfügigkeit heranzuziehende Verdienstobergrenze von. 400 Euro. Allerdings hat der Arbeitslose in einem solchen Fall eine Anrechnung der Vergütung auf das Arbeitslosengeld nach § 141 SGB III hinzunehmen. Dabei kommt ihm lediglich ein monatlicher pauschaler Freibetrag in Höhe von 165 Euro zugute.1
" Praxistipp: Ein nur gelegentliches Überschreiten der 15-Wochenstunden-
Grenze ist im Hinblick auf die Einordnung als Arbeitsloser unbedeutend. Mehrere Beschäftigungsverhältnisse sind zusammenzurechnen.
19
Setzt der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in § 119 SGB III mithin die rein tatsächliche Beschäftigung voraus, so können sich Konstellationen ergeben, wo der Arbeitnehmer im noch fortbestehenden Arbeitsverhältnis gleichwohl arbeitslos i.S.d. § 119 SGB III ist, nämlich bereits dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr beschäftigt. Wichtigster Anwendungsfall ist insoweit der langzeiterkrankte Arbeitnehmer, dessen Krankengeldanspruch ausgelaufen ist (sog. ausgesteuerter Arbeitnehmer). Hier kann bei fortbestehender Erkrankung Arbeitslosengeld sogar ungeachtet fehlender Verfügbarkeit nach § 125 Abs. 1 SGB III bis zu einer Entscheidung über die Feststellung einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gewährt werden.2 2. Eigenbemühungen
20
„Hartz III“ hat die Anspruchsvoraussetzung der Eigenbemühungen sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen neu gefasst. Der Arbeitslose hat im Rahmen der Eigenbemühungen alle Möglichkeiten, die sich ihm zur beruflichen Eingliederung bieten, zu nutzen, § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III. § 119 Abs. 4 SGB III bestimmt in beispielhafter Aufzählung, welche Anstrengungen der Arbeitslose zu unternehmen hat. Konkret handelt es sich dabei um die Wahrnehmung der Verpflichtungen aus einer Eingliederungsvereinbarung (§ 37 Abs. 2 SGB III), die Mitwirkung bei der Vermittlung durch Dritte und die Inanspruchnahme der Selbstinformationseinrichtungen der Agentur für Arbeit (§ 119 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB III). Bei unzureichenden Eigenbemühungen bzw. einem unzureichenden Nachweis der Eigenbemühungen entfällt nicht wie vor dem 1.1.2005 der Leistungsanspruch, vielmehr kommt es nunmehr zu einer Sperrzeit (vgl. § 144 Abs. 1 Nr. 3 SGB III) von zwei Wochen (§ 144 Abs. 5 SGB III). Dem Arbeitslosen können die Leistungen zwar nicht nach § 66 SGB I versagt werden.3 Ein völliges Untätigbleiben des Arbeitslosen nach seiner Arbeitslosmeldung führt jedoch zum Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen.4 Vorausset-
1 Im Gegensatz zu dem vor dem 1.1.2005 geltenden monatlichen Freibetrag in Höhe von 20 % des monatlichen Arbeitslosengeldes. 2 Vgl. dazu BSG v. 28.9.1993 – 11 RAr 69/92, NZS 1940, 140; LAG Düsseldorf v. 22.10. 1997 – 11 Sa 1053/97, ZTR 1998, 281; ArbG Nürnberg v. 23.4.2001 – 5 Ca 1948/01. 3 BSG v. 31.1.2006 – B 11a AL 5/05 R, BSGE 96, 40. 4 Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 84.
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Arbeitslosigkeit
Rz. 26 Teil 13
zung hierfür ist aber weitergehend, dass die erforderlichen Eigenbemühungen zuvor durch den Arbeitsvermittler konkretisiert worden sind.1 3. Verfügbarkeit für die Bundesagentur für Arbeit Das Merkmal der Verfügbarkeit (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III) ist das Bindeglied zwischen Arbeitsvermittlung und den Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Es bewirkt, dass Leistungen der Arbeitslosenversicherung grundsätzlich nur derjenige Arbeitslose erhält, der allein deshalb nicht in eine Arbeit vermittelt werden kann, weil Arbeitsplätze, für die er in Betracht kommt, nicht frei sind. Nur wer bereit und in der Lage ist, sich vermitteln zu lassen, also der Arbeitsvermittlung sowohl objektiv als auch subjektiv zur Verfügung steht, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld.
21
Die im AFG noch als eigenständige Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgeführte Verfügbarkeit ist im SGB III als Unterfall der Voraussetzung Arbeitslosigkeit geregelt. Nach Vorstellung des Gesetzgebers sucht derjenige eine Beschäftigung, der alle Möglichkeiten zur Beendigung seiner Beschäftigungslosigkeit nutzt und nutzen will und den Bemühungen um Vermittlung der Agentur für Arbeit auch tatsächlich zur Verfügung steht (§ 119 Abs. 5 SGB III).
22
Daraus folgt, dass der Begriff der Beschäftigungssuche zwei Elemente umfasst: Zum einen muss der Arbeitslose selbstverständlich der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen. Zum anderen wird er aber auch verpflichtet, selbst aktiv für seine berufliche Wiedereingliederung Sorge zu tragen. Seit dem 1.1.2005 bedarf es eines ausdrücklichen und individuellen Hinweises der Agentur für Arbeit hierauf nicht mehr.
23
Von ungleich größerem praktischem Interesse sind freilich die sich aus der Voraussetzung der Verfügbarkeit ergebenden Fragestellungen.
24
Verfügbar ist nach § 119 Abs. 3 SGB III, wer die objektiven gesetzlichen Anforderungen an die Arbeitsfähigkeit erfüllt und entsprechend seiner Arbeitsfähigkeit auch subjektiv arbeitsbereit ist.
25
a) Objektive Verfügbarkeit Ein Arbeitsloser ist objektiv verfügbar, wenn er eine zumutbare, die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausüben kann und darf. Der Arbeitslose muss also ohne Verzug eine zumutbare Beschäftigung sofort aufnehmen können.2 Eine in der Zukunft liegende vertragliche Bindung des Arbeitslosen ändert an dessen Verfügbarkeit nichts, wenn der Arbeitslose bereit ist, sich unter Inkaufnahme der voraussichtlichen Folgen einer Vertragsverletzung über diese Bindungen hinwegzusetzen.3 1 BSG v. 31.1.2006 – B 11a AL 5/05R, NZS 2006, 603; v. 20.10.2005 – B 7a AL 18/905R, NZS 2006, 436; Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 86. 2 BSG v. 29.9.1987 – 7 RAr 15/86, SozR 4100 § 103 Nr. 39. 3 LSG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2006 – L 8 AL 110/05.
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Sozialversicherungsrechtliche Folgen
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Nicht ausreichend ist die Bereitschaft des Arbeitslosen, sein tatsächliches Verhalten künftig zu ändern. Die Fähigkeit zur Ausübung einer Beschäftigung beurteilt sich vielmehr nach den objektiv vorliegenden Gesamtumständen unter besonderer Berücksichtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie des beruflichen Kenntnisstandes des Arbeitslosen. Stehen objektive Umstände, wie etwa häusliche Bindungen oder fehlende Mobilität des Arbeitslosen einer für seine Vorbildung entsprechenden Tätigkeit entgegen, so reicht es auch, dass die verbleibende Arbeitsmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt verwertbar ist.1 Die tatsächlich bestehende Minderung der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen steht seiner Verfügbarkeit nicht grundsätzlich entgegen. Nach § 125 SGB III wird nämlich bei nicht nur vorübergehender Leistungseinschränkung die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten, unterstellt, solange nicht der Rentenversicherungsträger Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit festgestellt hat. Auch wer also zu keiner verwertbaren Arbeit mehr fähig ist, hat deshalb u.U. bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rentenversicherungsträgers Anspruch auf Arbeitslosengeld. Sobald eine entsprechende Feststellung indes vorliegt, entscheidet die Bundesagentur für Arbeit von da ab, ob noch ausreichendes Leistungsvermögen vorhanden ist, eine auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Beschäftigung auszuüben, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Feststellung vor oder erst nach der Arbeitslosigkeit getroffen wurde.2 Auf diese Weise kann selbst der Arbeitsunfähige im Sinne der Krankenversicherung daneben arbeitslos und verfügbar sein.
28
Fraglich ist, ob ein Arbeitnehmer wegen Kündigung oder Freistellung ohne Vergütung vor Ablauf der Kündigungsfrist, also noch während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, objektiv verfügbar ist und damit Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Die Möglichkeit, den Arbeitnehmer zu vermitteln, besteht regelmäßig schon während des Arbeitsverhältnisses. Aber auch die objektive Verfügbarkeit wird man im Regelfall bejahen können: Der Arbeitnehmer muss zwar zur Aufrechterhaltung seines Anspruchs gegen den Arbeitgeber aus Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 BGB) weiterhin bereit sein, jederzeit das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen – es sei denn, er ist zuvor rechtswirksam und unwiderruflich von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung vom Arbeitgeber freigestellt worden – solange der Arbeitnehmer aber noch kein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, ist dies ohne weiteres möglich, so dass von einer objektiven Verfügbarkeit in diesem Fall auch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses auszugehen ist (vgl. dazu §§ 143a Abs. 4, 143 Abs. 3 SGB III).
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Führt ein Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber wegen des Ausspruchs einer Kündigung einen Kündigungsschutzprozess, so begehrt er regelmäßig nach § 4 Satz 1 KSchG die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Ziel des Prozesses ist also der Erhalt des bisherigen Arbeitsplatzes. Aus diesem Grunde kann der Arbeitnehmer nicht zur Übernahme langfristiger Tätigkeiten verpflichtet werden, die dieses berechtigte Ziel gefährden. Vielmehr ist in diesem Fall dem Arbeitnehmer nur die Aufnahme solcher Tätig-
1 BSG v. 26.9.1989 – 11 RAr 131/88 SozR 4100 § 103 Nr. 43. 2 BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 1/89, SozR 3-4100 § 105a Nr. 1.
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Arbeitslosigkeit
Rz. 34 Teil 13
keiten zuzumuten, die er im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB ebenfalls aufzunehmen hätte. In die Prüfung der objektiven Verfügbarkeit einzubeziehen ist auch die rechtliche Zulässigkeit der Ausübung der erforderlichen Beschäftigung. Insbesondere bei den gesetzlichen Beschäftigungsverboten (z.B. nach dem MuSchG, IfSG, JArbSchG, GaststättenG) oder nicht vorliegenden Zulassungsvoraussetzungen (z.B. Fahrerlaubnis, Musterberechtigung eines Piloten, Approbation etc.) kann die Zulässigkeit zu verneinen sein.
30
b) Subjektive Verfügbarkeit Neben seiner objektiven Verfügbarkeit wird die Bereitschaft des Arbeitslosen erwartet, alle zumutbaren Beschäftigungen anzunehmen, die er ausüben kann und darf (sog. Deckungsgleichheit von objektiver und subjektiver Verfügbarkeit).
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Die bloße Äußerung von Wünschen hinsichtlich der Arbeitsvermittlung berührt die Verfügbarkeit nicht.1 Auch eine Einschränkung des Arbeitnehmers auf die Vermittlung in Teilzeitbeschäftigungen von mindestens 15 Stunden wöchentlich schließt dessen Verfügbarkeit nicht aus, wenn Teilzeitstellen auf dem für den Arbeitnehmer in Betracht kommenden Arbeitsmarkt üblich sind. Dies stellt § 120 Abs. 4 SGB III klar, der nach der Gesetzesbegründung die Förderung der unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten sinnvollen Teilzeitarbeit bezweckt.2 Wenn der Arbeitslose jedoch seine Verfügbarkeit auf eine Tätigkeit bei bestimmten Arbeitgebern beschränkt, liegt keine subjektive Verfügbarkeit mehr vor.3
32
Die subjektive Verfügbarkeit erfordert auch die Bereitschaft des Arbeitslosen zur Teilnahme an zumutbaren Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben (d.h. Aus- und Fortbildung sowie Umschulung, Arbeitsberatung und berufliche Reha).
33
Welche Beschäftigung für den Arbeitslosen als zumutbar zu werten ist, wurde früher aus der sog. „Zumutbarkeits-Anordnung“ abgeleitet. Nach den Änderungen durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz gelten bereits seit dem 1.4.1997 andere Zumutbarkeitskriterien, bei denen eine Zuordnung von Arbeitslosen zu bestimmten Qualifikationsstufen nicht mehr vorgesehen ist (vgl. § 121 SGB III). § 121 SGB III wird durch die DA zu § 121 SGB III konkretisiert. Aus personenbezogenen Gründen ist eine Beschäftigung dem Arbeitslosen vor allem dann nicht mehr zumutbar, wenn das daraus erzielbare Arbeitsentgelt bestimmte Grenzen nicht erreicht, § 121 Abs. 3 SGB III.
34
1 BSG v. 1.8.1978 – 7 RAr 49/77, SozR 4100 § 103 Nr. 18. 2 BT-Drucks. 15/1515, 83. 3 LSG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2006 – L 4 AL 57/04.
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Teil 13 Rz. 35
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Dauer der Arbeitslosigkeit
1.–3. Monat
4.–6. Monat
Jede Beschäftigung ist zumutbar, sofern das vereinbarte Arbeitsentgelt mindestens …
… 80 % von dem Arbeitsentgelt beträgt, nach dem das ALG bemessen wird.
… 70 % von dem Arbeitsentgelt beträgt, nach dem das ALG bemessen wird.
ab dem 7. Monat
netto dem ALG entspricht.
35
Der von der Hartz-Kommission vorgeschlagene „hydraulische Zumutbarkeitsbegriff“, nach dem sich die Zumutbarkeit mit der Dauer der Arbeitslosigkeit erhöht, wurde entgegen der Ankündigung der Bundesregierung nicht in das seit dem 1.1.2005 geltende Recht übernommen.
36
Ebenfalls aus personenbezogenen Gründen kann dem Arbeitslosen eine Beschäftigung nicht zugemutet werden, wenn damit unverhältnismäßig lange Pendelzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verbunden sind. Als unverhältnismäßig lang werden in der Regel Pendelzeiten angesehen, die insgesamt 2,5 Stunden bei einer Beschäftigung von mehr als 6 Stunden pro Tag bzw. 2 Stunden bei einer Beschäftigung von weniger als 6 Stunden pro Tag ausmachen.1
37
Das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ hat zu einer Umformulierung des § 121 Abs. 4 SGB III mit Wirkung zum 1.1.2003 und damit zu einer nicht unbeträchtlichen Erweiterung der Zumutbarkeitskriterien geführt. Die verlangte Mobilität bei der Arbeitsaufnahme wurde auf das gesamte Bundesgebiet nach folgenden Maßgaben erweitert: – wenn nicht zu erwarten ist, dass der Arbeitslose innerhalb der ersten 3 Monate der Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung innerhalb des zumutbaren Pendelbereichs aufnehmen wird, ist ihm ein Umzug zur Aufnahme einer Beschäftigung außerhalb des zumutbaren Pendelbereichs zumutbar; – vom 4. Monat der Arbeitslosigkeit an ist einem Arbeitslosen ein Umzug zur Aufnahme einer Beschäftigung grundsätzlich zumutbar; – die erweiterte Mobilität greift allerdings dann nicht, wenn dem Umzug ein „wichtiger Grund“ entgegensteht, insbesondere familiäre Bindungen vorliegen (§ 121 Abs. 4 SGB III).
38
Andererseits ist eine Beschäftigung nicht bereits deshalb unzumutbar, weil sie – befristet ist, – vorübergehend eine getrennte Haushaltsführung erfordert oder – nicht zum Kreis der Beschäftigungen zählt, die der Arbeitslose bislang ausgeübt hat oder für die er eine Ausbildung erfahren hat (§ 121 Abs. 5 SGB III).
39
§ 428 SGB III, der für Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, eine Sonderregelung vorsieht, kommt mittlerweile keine Bedeutung mehr zu. Nach § 428 Abs. 1 Satz 3 SGB III gelten die erleichterten Voraussetzungen nur für Fälle, in denen der Anspruch vor dem 1.1.2008 entstanden ist und der Arbeitslose vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hat. 1 Vgl. 2. SGB III-Änderungsgesetz, BGBl. 1999 I, 1648.
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Arbeitslosigkeit
Rz. 44 Teil 13
§ 125 SGB III sieht vor, dass auch derjenige Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, der allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind.
40
Diese Leistung kann allerdings nur bis zur Feststellung einer verminderten Erwerbsfähigkeit gewährt werden. Aus diesem Grunde fordert die Agentur für Arbeit solche Leistungsbezieher regelmäßig auf, einen Antrag auf Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen. Seit dem 1.1.2004 ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, soweit der Arbeitslose seine ihm gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflichten bei der Feststellung der Erwerbsminderung verletzt.
41
" Praxistipp: Häufiger Anwendungsfall dieses privilegierten Arbeitslosen-
geldanspruchs stellen langzeiterkrankte Arbeitnehmer dar, die im fortbestehenden Arbeitsverhältnis aus dem Krankengeldanspruch nach Ablauf der gesetzlichen Höchstbezugsdauer von 78 Wochen (vgl. § 48 SGB V) herausgefallen sind (sog. „ausgesteuerte Arbeitnehmer“).
Arbeitslosengeld kann in diesem Fall ungeachtet des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses deshalb bezogen werden, weil im Sozialrecht zwischen dem (arbeitsrechtlichen) Anstellungsverhältnis und dem (sozialversicherungsrechtlichen) tatsächlichen Beschäftigungsverhältnis unterschieden wird.1 Der Arbeitslosengeldanspruch richtet sich ausschließlich danach, ob ein Beschäftigungsverhältnis besteht oder nicht. Wird ein Arbeitnehmer trotz fortbestehenden Arbeitsverhältnisses tatsächlich nicht beschäftigt, so ist er im sozialrechtlichen Sinne arbeitslos.
42
c) Erreichbarkeit Zur Verfügbarkeit i.S.d. § 119 SGB III gehört schließlich auch die Erreichbarkeit des Arbeitslosen. Einzelheiten sind in der Erreichbarkeitsanordnung der Bundesagentur für Arbeit vom 23.10.19972 geregelt. Danach genügt ein Arbeitsloser den Anforderungen an die Erreichbarkeit nur dann, wenn die Agentur für Arbeit ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift briefpostalisch zu erreichen in der Lage ist (sog. Residenzpflicht des Arbeitslosen).
43
Ist der Arbeitslose wegen Ortsabwesenheit (z.B. nach einem Umzug) nicht für die Arbeitsvermittlung verfügbar, so kann er seine Erreichbarkeit auch nicht durch Stellen eines Nachsendeantrages herstellen.3 Es kommt auch nicht etwa darauf an, ob sich ein Postnachsendeauftrag mit den gegenwärtigen technischen Möglichkeiten ohne Zeitverlust abwickeln lässt.4 Er muss deshalb ei-
44
1 2 3 4
BSG v. 28.4.1993 – 11 RAr 69/92, SozR 3-4100 § 101 Nr. 5. Zuletzt geändert durch AO v. 26.9.2008. BSG v. 15.5.1985 – 7 RAr 103/83, NZA 1986, 38 (39). BSG v. 20.6.2001 – B 11 AL 10/01 R, SozR 3-4300 § 119 Nr. 3.
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Teil 13 Rz. 45
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
nen Umzug der Agentur für Arbeit melden.1 Die tägliche Erreichbarkeit ist auch bereits dann durchgehend zu verneinen, wenn der Arbeitslose an mehreren Tagen in der Woche ortsabwesend ist, ohne die Tage der Agentur für Arbeit bekannt zu geben, so dass die Vermittlungstätigkeit zumindest in ganz erheblichem Umfang beeinträchtigt wird.2 Ausreichend ist es allerdings, wenn der Arbeitslose die am Samstag eingehende Briefpost am Sonntag zur Kenntnis nehmen kann, um sich z.B. am Montag bei einem neuen Arbeitgeber vorzustellen.3 Allerdings genügt ein Nachsendeauftrag für die Post nach einem Umzug nicht, um zeitnah auf die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit für eine neue Stelle reagieren zu können.4
II. Arbeitslosmeldung 45
Neben der Arbeitslosigkeit ist gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III die Meldung der Arbeitslosigkeit notwendige Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Nach der alten Regelung in § 105 AFG war sowohl die Arbeitslosmeldung als auch die Antragstellung jeweils eigenständige konstitutive Voraussetzung des Arbeitslosengeldanspruchs. Nach § 118 Abs. 1 SGB III hat nur noch die Arbeitslosmeldung materielle Bedeutung. Ist sie erfolgt, so gilt im Zweifel auch der Antrag als gestellt (§ 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III).
46
" Praxistipp: Es empfiehlt sich eine möglichst rasche Arbeitslosmeldung, da
47
Die mit dem AFRG (Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung) vom 24.3.19975 eingeführte Verpflichtung des Arbeitslosen, sich mindestens alle drei Monate von sich aus bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden (§ 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III a.F.), ist durch das 2. SGB III-Änderungsgesetz vom 21.7.19996 wieder aufgehoben worden. Die Pflicht, Aufforderungen zur Meldung zu einem bestimmten Termin nachzukommen, besteht dagegen nach wie vor (§ 309 SGB III).
48
Der Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld dient der formellen Einleitung des Leistungsverfahrens. Die Arbeitslosmeldung dokumentiert dagegen die Verfügbarkeit des Arbeitslosen und leitet die Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit ein. Da die Meldung nach § 118 Abs. 1 SGB III materielle Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist und ihre Herbeiführung
nach §§ 323 Abs. 1, 325 Abs. 2 SGB III Arbeitslosengeld nicht rückwirkend geleistet wird. Nach § 122 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist eine persönliche Arbeitslosmeldung auch zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten 3 Monate zu erwarten ist.
1 2 3 4 5 6
BSG v. 29.11.1989 – 7 RAr 138/88, SozR 4100 § 103 Nr. 47. BSG v. 3.3.1993 – 11 RAr 43/91, NZS 1993, 465. BSG v. 3.5.2001 – B 11 AL 71/00 R, SozR 3-4300 § 119 Nr. 2. BSG v. 9.8.2001 – B 11 AL 17/01 R, SozR 3-4300 § 119 Nr. 4. BGBl. 1997 I, 594. BGBl. 1999 I, 1648.
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Arbeitslosmeldung
Rz. 54 Teil 13
ausschließlich von der freien Entscheidung des Arbeitslosen abhängt, hat dieser die Möglichkeit, das Entstehen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld – und damit auch dessen versicherungsrechtliche Folgen – selbst zu steuern; mit der Entscheidung, wann die Meldung erfolgt, wird u.a. über die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und die Versicherung in der Krankenversicherung sowie Rentenversicherung entschieden. Die Möglichkeit, den Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs selbst zu bestimmen, gewährt § 118 Abs. 2 SGB III dem Arbeitslosen aber sogar noch zeitlich nach dessen Arbeitslosmeldung.
49
§ 122 Abs. 3 SGB III sieht eine Sonderregelung für die Fälle vor, dass sich der Arbeitslose am ersten Tag der Arbeitslosigkeit nicht arbeitslos melden kann, weil die Agentur für Arbeit an diesem Tag nicht dienstbereit ist. Meldet sich in einem solchen Fall der Arbeitslose an dem nächsten Tag, an dem die Agentur für Arbeit dienstbereit ist, arbeitslos und beantragt Arbeitslosengeld, so gilt nach §§ 122 Abs. 3, 325 Abs. 2 SGB III die Arbeitslosmeldung als am 1. Tag der Arbeitslosigkeit erfüllt. Dies hindert freilich den Arbeitslosen nicht, durch ausdrückliche Erklärung zu bewirken, dass sein Anspruch z.B. erst am Montag entsteht, obwohl er bereits seit Samstag oder Sonntag arbeitslos ist. Er kann wirksam auf die gesetzlich fingierte Rückwirkung verzichten, da diese ausschließlich seinem Schutz dient.
50
Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.20081, in Kraft getreten zum 1.1.2009, wurden die Vorschriften zur Arbeitssuchendmeldung neu geordnet. Die Pflicht, sich arbeitssuchend zu melden, ergibt sich nunmehr aus § 38 SGB III, der den insoweit gleichlautenden § 37b SGB III a.F. abgelöst hat. Hiernach ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, hat die Meldung innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu erfolgen.
51
Bis zum 31.12.2005 führte ein Verstoß gegen die Meldeobliegenheit zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes (vgl. § 140 SGB III a.F. i.V.m. § 37b SGB III a.F.).
52
Mit dem 5. SGB III-Änderungsgesetz vom 22.12.20052 wurde § 140 SGB III a.F. durch § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III abgelöst. Eine verspätete Arbeitsuchendmeldung führt seit dem 1.1.2006 also nicht mehr zu einer Verringerung des Arbeitslosengeldes, sondern ggf. zu einer Sperrzeit i.S.d. § 144 SGB III. Die Sperrzeit beträgt nach § 144 Abs. 6 SGB III eine Woche. Wird eine einwöchige Sperrzeit verhängt, hat dies gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III auch eine Minderung der Anspruchsdauer um eine Woche zur Folge.
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Voraussetzung einer Sperrzeit ist jedoch, dass der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund schuldhaft die rechtzeitige Meldung versäumt hat.3 Bereits zur alten Re-
54
1 BGBl. 2008, 2917. 2 BGBl. 2005 I, 3676. 3 Preis/Schneider, NZA 2006, 177 (180 f.).
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Teil 13 Rz. 55
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
gelung des § 37b SGB III i.V.m. § 140 SGB III hat das BSG entschieden, dass die Verletzung der Meldeobliegenheit schuldhaft erfolgen muss, d.h. dem Arbeitnehmer muss ein zurechenbares Fehlverhalten vorgeworfen werden können.1 Dies setzt Kenntnis von der bzw. fahrlässige Unkenntnis über die Meldepflicht voraus. Bei einem Arbeitnehmer, der erstmals oder nach langer Zeit arbeitslos wird, kann eine derartige Kenntnis nicht unterstellt werden.2 Die Arbeitsagentur ist auch nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer auf die Notwendigkeit einer frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung hinzuweisen. Diese Rechtsprechung gilt auch für § 38 SGB III.3 55
Neue Anforderungen stellt seit 1.1.2003 in diesem Zusammenhang § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III an den Arbeitgeber. Dieser soll den Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung sowie über die Meldepflicht gemäß § 38 SGB III informieren, ihn hierzu freistellen und die Teilnahme an erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen ermöglichen.
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Die ursprünglich vorgesehene Regelung über eine bezahlte Freistellung in § 629a BGB (von 4 bis zu 10 Arbeitstagen) ist nicht in die „Hartz-Gesetze“ aufgenommen und aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden. Der Vermittlungsausschuss hat insoweit auf die allgemeinen Regelungen der §§ 616, 629 BGB verwiesen.
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Inhalt, Reichweite und Folgen des Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III waren zunächst unklar. Sanktionen sieht das Gesetz selbst nicht vor. Auf die Wirksamkeit der Kündigung oder des Aufhebungsvertrages hat der Verstoß des Arbeitgebers gegen die Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III deshalb keinerlei Einfluss.4 Es handelt sich bei der Norm nicht um einen unverbindlichen Programmsatz, sondern um eine Informationspflicht mit arbeitsmarktpolitischer Zielsetzung.5 Der Gesetzgeber hat eine besondere Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in Form einer Hinweispflicht geschaffen.6 Diese darf allerdings – insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BAG zu den Hinweispflichten7 – nicht überspannt werden. Grundsätzlich hat nämlich jeder Vertragspartner selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalles. Sie sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Hierbei spielen außergewöhnliches Informationsbedürfnis einerseits und Initiative sowie Veranlassung andererseits eine entscheidende Rolle. Von daher darf der Arbeitgeber gerade in der konkre1 BSG v. 17.10.2007 – B 11a/7a AL 72/06 R, NZS 2008, 609; v. 18.8.2005 – B 7a/7 AL 94/04 R, NZS 2006, 500; v. 25.5.2005 – B 11a/11 AL 81/04 R, NZS 2006, 219. 2 Vgl. Niesel/Brand, § 37 SGB III Rz. 11. 3 Kossens, AuA 2006, 13 (14); Preis/Schneider, NZA 2006, 177 (180, 181); Rolfs, DB 2006, 1009 (1010). Tschöpe/Hiekel, Teil 7 A Rz. 22. 4 Zutreffend: Kappelhoff, ArbRB 2003, 48, 51; Bauer/Krets, NJW 2003, 537; a.A. Kreutz, AuR 2003, 201; Ziegelmeier, DB 2004, 1830. 5 Gitter, SAE 2006, 190. 6 So LAG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 12 Sa 1323/04, LAGE § 2 SGB III Nr. 2; LAG Berlin v. 29.4.2005 – 13 SHa 724/05, EzA-SD 2005, Nr. 11, 13. 7 BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 62.
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Arbeitslosmeldung
Rz. 59 Teil 13
ten Situation der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht generell und übermäßig mit Aufklärungspflichten über sozialrechtliche Folgen der verspäteten Meldung des Arbeitnehmers bei der Agentur für Arbeit belastet werden. Das bedeutet, dass eine Verletzung der Informationsverpflichtung in der Regel nicht zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber führt.1 § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III kann auch nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB angesehen waren, da die Norm beabsichtigt, die Versichertengemeinschaft vor zu langer Arbeitslosigkeit und nicht den Arbeitnehmer vor der Minderung seines Arbeitslosengeldes zu schützen.2 Ausnahmsweise kann eine Schadensersatzpflicht in Betracht kommen, wenn den Arbeitgeber eine besondere Beratungspflicht, etwa beim Abschluss von Aufhebungsverträgen auf Veranlassung des Arbeitgebers, trifft.3
u
Musterformulierung:
Wir weisen darauf hin, dass Sie nach § 38 SGB III verpflichtet sind, sich spätestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses/innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses [in dem Fall, dass zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als 3 Monate liegen] sich persönlich bei der für Sie zuständigen Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Kommen Sie dieser Pflicht schuldhaft nicht nach, so müssen Sie mit Nachteilen beim Bezug von Arbeitslosengeld rechnen.
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" Praxistipp: Nachdem geklärt ist, dass dem Arbeitgeber bei Verletzung der
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Belehrungsverpflichtung regelmäßig kein Schadensersatz droht, sollten sich Arbeitgeber überlegen, ob sie der Informationspflicht überhaupt nachkommen.4 Denn unterlässt der Arbeitgeber die Belehrung, darf dem Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BSG mangels Kenntnis von der Meldeobliegenheit auch keine Sperrzeit verhängt werden.5 Mangels Schaden beim Arbeitnehmer würde auch deswegen eine Ersatzpflicht ausscheiden. Eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Bundesagentur für Arbeit besteht nicht.
1 BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 571/04, NZA 2005, 1406; v. 29.9.2005 – 8 AZR 49/05; LAG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 12 Sa 1323/04, LAGE § 2 SGB III Nr. 2; Gitter, SAE 2006, 190 (191); Kühl/Vogelsang, RdA 2006, 224 (226); Otto, NZS 2005, 288 (289); Vetter, BB 2005, 88 (89); a.A. Kreutz, AuR 2003, 201 (202); Seel, MDR 2005, 241 (245); ders, NZS 2006, 525 (529); Zieglmeier, DB 2004, 1830 (1834). 2 Bauer, Gedächtnisschrift Heinze (2005), S. 31 (39); Gitter, SAE 2006, 190 (191); Seel, NZS 2006, 525 (529). 3 Vgl. Kühl/Vogelsang, RdA 2006, 224 (227). 4 Vgl. Urban-Crell, NJW 2005, 3763 (3765), die davon abrät, der Belehrungspflicht nachzukommen. 5 BSG v. 25.5.2005 – B 11a/11 AL 81/04 R, NJW 2005, 3803; Otto, NZS 2005, 288 (290) abl. Seel, NZS 2006, 525 (526 f.).
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Teil 13 Rz. 60
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
III. Anwartschaft 60
Schließlich ist neben der Arbeitslosigkeit und der Arbeitslosmeldung gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 3 SGB III die Erfüllung der Anwartschaftszeit Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Die versicherungsmäßige Voraussetzung des § 123 SGB III stellt sicher, dass der Anspruchsteller für eine Mindestzeit zur Versichertengemeinschaft gehört hat. Die Anwartschaftszeit ist regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitslose in der Rahmenfrist von zwei Jahren (§ 124 Abs. 1 SGB III) mindestens zwölf Monate in einer die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung (§ 24 SGB III) gestanden hat oder gemäß § 26 SGB III in anderer Weise der Versicherungspflicht unterlag. Für die Berechnung gilt § 339 Satz 2 SGB III.
61
" Praxistipp: Bei der Anwendung der Bestimmungen über die Erfüllung der
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§ 123 SGB III stellt auf die Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse in den letzten zwei Jahren ab. Entscheidend ist dabei nicht, ob Beiträge tatsächlich gezahlt wurden, vielmehr ist ausreichend, dass eine entsprechende Pflicht bestand. Ebenfalls nicht notwendig ist es, dass die Anwartschaftszeit am Stück erworben wurde. Die Ausübung mehrer kurzzeitiger versicherungspflichtiger Beschäftigungen genügt. Das alleinige Abstellen des Gesetzgebers auf die objektive Versicherungspflicht hat folgende Auswirkungen:
für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erforderlichen Anwartschaftszeit sowie der Bestimmungen über die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld entspricht 1 Monat 30 Kalendertagen.
– Eine tatsächliche Beitragszahlung ist unbeachtlich, wenn ihr keine Versicherungspflicht zu Grunde lag. – Die tatsächliche Zahlung von Beiträgen in Zeiten der Versicherungspflicht ist unbeachtlich. – Beides zuvor Gesagte gilt auch dann, wenn mehrmalige Betriebsprüfungen keinerlei Beanstandungen ergeben haben oder die Einzugsstelle Beiträge mit Bescheid angefordert hat1. 63
Insoweit ist allerdings gemäß § 336 SGB III nunmehr eine Verbesserung eingetreten: Stellt nämlich die Einzugsstelle die Versicherungspflicht durch Verwaltungsakt fest, so kann der Betroffene bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Zustimmung stellen.
64
Diese Folgerung mag erstaunen, folgt allerdings zwingend aus der Trennung von Beitrags- und Leistungsrecht sowie den unterschiedlichen Zuständigkeiten. So ist es beispielsweise denkbar, dass die Krankenkasse bei der Entscheidung über Krankengeld eine versicherungspflichtige Beschäftigung bejaht, während die Bundesagentur für Arbeit bei einer anschließenden Prüfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld dieselbe verneint.
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Zur Erfüllung der Anwartschaftszeit des § 123 SGB III dienen nicht nur beitragspflichtige Beschäftigungen, sondern auch bestimmte gleichgestellte Zeiten. 1 BSG v. 5.2.1992 – 7 RAr 134/90, NZA 1992, 1003 (1005).
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Anwartschaft
Rz. 69 Teil 13
Nach Maßgabe des § 26 SGB III sind beispielsweise Wehrdienstleistende und Gefangene versicherungspflichtig. Auch Zeiten des Sozialleistungsbezugs begründen teilweise eine Versicherungspflicht nach dem SGB III, wie etwa Krankengeld und der Bezug von Krankentagegeld einer privaten Versicherung. All dies wirkt sich beim Arbeitslosengeld aus, weil grundsätzlich nicht nach der Art des Versicherungspflichtverhältnisses unterschieden wird (§§ 123, 127 SGB III).
66
" Praxistipp: Nachdem das AFG in das SGB III überführt wurde und dabei die
67
Auch Zeiten im Ausland können für die Anwartschaft heranzuziehen sein, soweit internationale Vereinbarungen dies vorsehen, wie etwa Art. 67 EWGVO 1408/71.
68
Unter Umständen können auch Beschäftigungszeiten ohne dabei erzieltes Arbeitsentgelt zur Erfüllung der Anwartschaftszeit herangezogen werden5. Soweit der Arbeitslose bereits einmal eine Anwartschaft erfüllt hat, endet die neue Rahmenfrist nach § 124 Abs. 2 SGB III spätestens an dem Tag vor Beginn der vorherigen Rahmenfrist. Für den Bereich der europäischen Union hat der EuGH entschieden, dass sich die Anwartschaftszeit, die der Anspruchsteller erfüllt haben muss, ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates bestimmt, in dem die Leistungen begehrt werden. Diese Zeit gilt allerdings auch durch Beiträge als erfüllt, die ganz oder teilweise zu den Systemen der sozialen Sicherheit eines oder mehrerer anderer Mitgliedsstaaten entrichtet wurden.6
69
Regelung des § 107 AFG a.F. wegfiel, konnten seit dem 1.1.1998 durch den Bezug von Mutterschaftsleistungen und Erziehungsgeld Anwartschaften nicht mehr erworben werden. Das BSG1 hatte sodann dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob das SGB III insofern mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 4 GG vereinbar ist, als Frauen, die eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung unterbrochen und Mutterschaftsgeld beziehen, anders als Bezieher von Krankengeld nicht versicherungspflichtig sind. Mit der Neufassung des § 26 SGB III durch das „Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.20012 hat der Gesetzgeber reagiert und in dieser Frage den alten Rechtszustand vor Überführung des AFG in das SGB III mit Wirkung zum 1.1.2003 wieder hergestellt. Das BVerfG hat auf den Vorlagebeschluss des BSG hin nunmehr die Unvereinbarkeit des zwischenzeitlichen Rechtszustandes, also des Rechtszustandes zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2002, mit Art. 6 Abs. 4 GG festgestellt.3 Für diesen Zeitraum ist aufgrund des mit dem durch das Gesetz zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen vom 19.4.20074 eingeführten § 427a SGB III das vor dem 1.1.1998 geltende Recht, also § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst. B AFG, anzuwenden.
1 2 3 4 5 6
BSG v. 20.6.2001 – B 11 AL 20/01 R. BGBl. 2001 I, 3443, 3446. BVerfG v. 28.3.2006 – 1 BvL 10/01, BVerfGE 115, 259 = NJW 2006, 1721. BGBl. 2007 I, 538. BSG v. 3.12.1998 – B 7 AL 108/97, NZS 1999, 465 (466 ff.). EuGH v. 25.2.1999 – Rs. C-326/95, EuroAS 1999, 41.
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Teil 13 Rz. 70
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Die 2-jährige Rahmenfrist des § 124 SGB III verkürzt sich in den Fällen, in denen sie in eine andere, vorausgegangene Rahmenfrist hineinreichen würde. Insoweit soll vermieden werden, dass ein und dieselbe Beschäftigungszeit zweimal eine Anwartschaft begründet. Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist in der Zeit vom 1.1.2010 bis zum 28.2.2011 arbeitslos. Ab 1.3.2011 steht er wieder in einem Beschäftigungsverhältnis. Dieses wird zum 31.8.2011 beendet. Die gesetzliche Rahmenfrist zur Ermittlung des Arbeitslosengeldanspruchs ab 1.9.2011 reicht nur bis zum 1.1.2010 zurück. Innerhalb dieser insoweit verkürzten Rahmenfrist hat der Arbeitnehmer weniger als 12 Monate in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, sodass er keinen neuen Arbeitslosengeldanspruch erworben hat. Ist der vormalige Anspruch durch Inanspruchnahme vom 1.2.2010 bis 28.2.2011 aufgebraucht, erhält der Arbeitnehmer kein Arbeitslosengeld mehr.
IV. Höhe des Arbeitslosengeldes 70
Das Recht der Bemessung der Höhe des Arbeitslosengeldes hat sich im Laufe der Jahre aufgrund von zahlreichen sich hinter dem Stichwort „Einzelfallgerechtigkeit“ verbergenden Sonder- und Ausnahmeregelungen zu einem überaus komplexen und nur schwer durchschaubaren Regelungssystem entwickelt. Im Zuge der „Hartz-Gesetze“ wurden die §§ 130 ff. SGB III mit der Zielsetzung neu gefasst, die detaillierten Einzelregelungen durch ein größeres Maß an Pauschalisierungen zu ersetzen, um auf diese Weise eine Vereinfachung des Regelungssystems zu erreichen. Die Vorschriften sind zum 1.1.2005 in Kraft getreten, wobei die Übergangsregelung des § 434j Abs. 5 SGB III klarstellt, dass eine Neufestsetzung für Ansprüche auf Arbeitslosengeld, die vor dem 1.1.2005 entstanden sind, nur möglich ist, soweit dies aufgrund eines Sachverhaltes erforderlich ist, der nach dem 31.12.2004 eingetreten ist.
71
Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt nach § 129 SGB III derzeit für Arbeitslose mit unterhaltsberechtigtem Kind 67 % (erhöhter Leistungssatz), für die übrigen Arbeitslosen 60 % (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoarbeitsentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß dem seit 1.1.2005 geltenden § 130 Abs. 1 SGB III die Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr und endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehen des Anspruches auf Arbeitslosengeld. § 130 SGB III in der Fassung seit dem 1.1.2005 hat die §§ 130 und 131 SGB III in der noch bis zum 31.12. 2004 geltenden Fassung zusammengefasst und den von der Rechtsprechung entwickelten Begriff des Bemessungsrahmens aufgenommen.
72
" Praxistipp: Zur Angleichung an die übrigen Sozialversicherungszweige
wurde die bisherige Wochenbetrachtungsweise auf eine Jahres- bzw. Tagesbetrachtungsweise umgestellt. Maßgeblich ist dabei das tatsächlich zugeflossene Bruttoentgelt. Als zugeflossen gelten nach § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden
1142
Laber
Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs
Rz. 77 Teil 13
aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, wenn sie (später noch) zugeflossen sind oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.1 Enthält der Bemessungszeitraum, etwa wegen längerer Erkrankungen oder unbezahlten Urlaubs, weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Entgelt, wird der Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert. Eine solche Erweiterung ist gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB III zudem bei unbilliger Härte auf Verlangen des Arbeitslosen vorzunehmen. Mit Wirkung zum 1.1.2005 sind Änderungen der §§ 130–134 SBG III im Zuge von „Hartz III“ in Kraft getreten, die zu einer Vereinfachung der Berechnung des Arbeitslosengeldanspruchs führen sollen. Nunmehr erfolgt die Arbeitslosengeldberechnung auf der Grundlage versicherungspflichtiger (Brutto-)Arbeitsentgelte aus „typischen“ Beschäftigungsverhältnissen. „Atypische“ Sonderversicherungspflichtverhältnisse bleiben außer Betracht (z.B. Wehr- und Zivildienst). Lässt sich ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf „normales“ Arbeitsentgelt innerhalb eines Bemessungsrahmens von 2 Jahren nicht nachweisen, so folgt gemäß § 132 Abs. 1 SGB III eine fiktive Einstufung nach 4 gesetzlich festgelegten Entgeltstufen in Abhängigkeit von der Qualifikation des Arbeitslosen.
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Bemessungsentgelt ist nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III das im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf den Tag entfallende Entgelt, welches der Erhebung der Beiträge zu Grunde lag. Berücksichtigt wird somit nur das Einkommen bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung.
74
" Praxistipp: Das für die Berechnung des Arbeitslosengeldes relevante Entgelt
75
Nach § 133 SGB III liegt dem Arbeitslosengeld schließlich das sog. Leistungsentgelt als das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt zu Grunde. Pauschalierte Abzüge sind eine Pauschale in Höhe von 21 Prozent des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach einer Lohnsteuertabelle und der Solidaritätszuschlag ohne Berücksichtigung der Kinderfreibeträge, wobei nach § 133 Abs. 2 Satz 1 SGB III grundsätzlich auf die Verhältnisse zu Beginn eines jeweiligen Kalenderjahres abzustellen ist. Die Kirchensteuer wird seit 1.1.2005 nicht mehr als Entgeltabzug berücksichtigt, da auf absehbare Zeit nicht mehr – wie vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23.3.19942 angeführt – zweifelsfrei davon ausgegangen werden kann, dass eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer Kirchensteuer erhebenden Kirche angehört.
76
ist im Einzelnen in § 134 SGB III definiert.
V. Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs Die exakte Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs orientiert sich an der Beschäftigungszeit sowie dem Alter des Arbeitlosen (§§ 127, 128 SGB III). Die einzelnen Leistungsstufen differieren jeweils um zwei Monate. Der Monat wird mit 1 Vgl. hierzu BSG v. 29.1.2008 – B 7/7a AL 40/06 R. 2 BVerfG v. 23.3.1994 – 1 BvL 8/85, SozR 3-4100 § 111 Nr. 6.
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Teil 13 Rz. 78
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
30 Tagen angesetzt (§ 339 Satz 1 SGB III). Wer also die für die höhere Dauer (Stufe) erforderliche längere Zeit nur um einen Tag versäumt, fällt in die niedrigere Stufe. 78
" Praxistipp: Wer sich nur einen Tag vor Vollendung des 45., 47., 52. oder 57.
79
Das Arbeitslosengeld wird gemäß § 134 Satz 1 SGB III für Kalendertage berechnet und geleistet. Ein voller Kalendermonat wird mit 30 Tagen angesetzt, so dass die Höhe keinen Schwankungen unterliegt.
80
§ 127 SGB III wurde durch das Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze1 zum 1.8.2009 neu gefasst. Es ist somit für die Berechnung der Arbeitslosengelddauer nach der Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse innerhalb der um drei Jahre erweiterten Rahmenfrist und dem Lebensalter zu unterscheiden.
81
Einstweilen frei.
82
Es gilt ausweislich § 127 Abs. 2 SGB III folgende Leistungstabelle:
Lebensjahrs arbeitslos meldet, kommt nicht in den Genuss der seinem Alter entsprechenden höheren Stufe. Hier sollte zuvor nachgerechnet werden, ob die Arbeitslosmeldung erst am Geburtstag wirtschaftlich nicht sinnvoller ist, um einen verlängerten Anspruchszeitraum geltend machen zu können. Allerdings muss sich der Arbeitslose für die Zwischenzeit nach § 19 Abs. 2 SGB V selbst um seinen Krankenversicherungsschutz bemühen.
Versicherungspflichtverhältnis (Monate) mindestens
Rahmenfrist Jahre
Ab dem … Lebensjahr
Anspruchsdauer in Monaten
12 Monaten
3
6
16 Monaten
3
8
20 Monaten
3
10
24 Monaten
3
30 Monaten
3
50.
15
36 Monaten
3
55.
18
48 Monaten
3
58.
24
12
Nach der derzeitigen Rechtslage beträgt damit die längstmögliche Anspruchsdauer 24 Monate für Arbeitslose, die bei Anspruchsbeginn mindestens das 58. Lebensjahr vollendet haben und nicht weniger als 48 Monate in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben.
1 BGBl. I 2009, 1959.
1144
Laber
Vorbemerkung
Rz. 86 Teil 13
C. Kürzungen beim Arbeitslosengeld I. Vorbemerkung In der Arbeitslosenversicherung gilt die Besonderheit, dass Versicherungsschutz bei Verlust des Arbeitsplatzes auch dann gewährt wird, wenn der Arbeitslose diesen Versicherungsfall selbst vorsätzlich herbeigeführt hat. Auch im Fall der Eigenkündigung des Arbeitnehmers erhält dieser also grundsätzlich Arbeitslosengeld. Die Rechtfertigung für diesen weitgehenden Schutz folgt unmittelbar aus den Freiheitsrechten des Grundgesetzes, wie etwa der Religions- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG), des Zusammenlebens mit anderen Personen, insbesondere mit Ehepartner/in und Kindern (Art. 6 GG), der freien Wahl des Wohnortes (Art. 11 GG) und auf jeden Fall der freien Wahl von Beruf und Arbeitsplatz (Art. 12 GG).1 Auch der weniger Bemittelte soll einen gewissen finanziellen Rückhalt haben, der es ihm erst ermöglicht, die genannten Grundrechte ausüben zu können.
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Die Sperrzeit ist das Schutzinstrument, allzu leichtfertige Belastungen der Arbeitslosenversicherung zurückzudrängen. Sie ist allerdings keine Strafe und hat auch keinen erzieherischen Charakter, sondern schützt vielmehr die Versichertengemeinschaft lediglich objektiv dagegen, dass das Risiko manipuliert wird, indem in bestimmten Fällen für eine begrenzte Zeit die Übernahme des Risikos abgelehnt wird.2 Eine Sperrzeit soll daher nur dann eintreten, wenn dem Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann.3
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In der Praxis hat die Verhängung von Sperrzeiten große Bedeutung. Allein im Jahr 2007 wurden von den Arbeitsagenturen 639 222 Sperrzeiten verhängt. Davon entfielen 170 654 auf den Sperrzeitgrund der Arbeitsaufgabe.4
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§ 144 SGB III hat im Wesentlichen wortgleich zum 1.1.1998 die alte Regelung des § 118 AFG übernommen. Durch „Hartz III“ wurde der Wortlaut des § 144 SGB III jedoch mit Wirkung zum 1.1.2004 geändert. Eine Sperrzeit wird danach verhängt, wenn den Arbeitnehmer am Eintritt der Arbeitslosigkeit zumindest eine Mitverantwortung trifft oder wenn er seine Vermittlungsmöglichkeiten erschwert, sprich bei versicherungswidrigem Verhalten des Arbeitnehmers. Ausnahmsweise entfällt eine Sperrzeit, wenn der Arbeitslose für sein Verhalten einen wichtigen Grund anführen kann.
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Da als Rechtsfolge die Dauer des Arbeitslosengeldanspruches erheblich eingeschränkt werden kann, max. für einen Zeitraum von acht Monaten, sollte auf die Sperrzeitproblematik bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein besonderes Augenmerk gerichtet werden.
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1 Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 144 Rz. 19 ff. 2 BSG v. 25.4.2002 – B 11a AL 65/01, BSGE 89, 243 = NZS 2003, 330; Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 144 Rz. 25; Hümmerich, NJW 2007, 1025 (1026). 3 St. Rspr. vgl. nur BSG v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06, DB 2008, 1048. 4 BT-Drucks. 16/8284, S. 7.
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Sozialversicherungsrechtliche Folgen
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Die gesetzlichen Sanktionen einer Sperrzeit nach den §§ 144, 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III treten ein, sobald ein versicherungswidriges Verhalten des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer den Eintritt der Arbeitslosigkeit (mit)verursacht hat und ein wichtiger Grund i.S.v. § 144 Abs. 1 SGB III für sein Verhalten nicht vorliegt. – Mit anderen Worten scheiden personen- und betriebsbedingte Kündigungen durch den Arbeitgeber aus.
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Die Prüfung erfolgt mithin zweistufig: Zunächst ist festzustellen, ob dem Arbeitnehmer der Vorwurf eines versicherungswidrigen Verhaltens gemacht werden kann; soweit dies zu bejahen ist, sind die Rechtsfolgen einer Sperrzeit für den Arbeitnehmer nur dann zu vermeiden, wenn er für sein Verhalten einen „wichtigen Grund“ i.S.v. § 144 Abs. 1 SGB III vorbringen kann.
II. Sperrzeitfälle 89
Der Eintritt einer Sperrzeit nach §§ 144, 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III kommt nach dem Gesetz von vornherein nur in solchen Fällen in Betracht, in denen dem Arbeitslosen der Vorwurf gemacht werden muss, dass er den Eintritt der Arbeitslosigkeit (mit)verursacht hat.
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Die Bundesagentur für Arbeit hat im Anschluss an die Grundsatzentscheidung des BSG vom 9.11.19951 ihre Weisungslage zur Verhängung einer Sperrzeit Anfang des Jahres 1997 in wesentlichen Passagen zur seinerzeitigen Regelung in § 119 AFG verändert. Die Weisungslage ist für § 144 SGB III übernommen worden. Danach wird vor allem bei folgenden Tatbeständen eine vom Arbeitnehmer (mit)verursachte Arbeitslosigkeit angenommen: – Eigenkündigung des Arbeitnehmers – Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung des Arbeitgebers aus verhaltensbedingten Gründen.
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Weiterhin kommt die Verhängung einer Sperrzeit in Frage, wenn und soweit der Arbeitslose seine Vermittlungsmöglichkeiten erschwert: – Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III – Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen, § 144 Abs. 1 Nr. 3 SGB III – Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme, § 144 Abs. 1 Nr. 4 SGB III – Sperrzeit bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme – Sperrzeit bei Meldeversäumnis, § 144 Abs. 1 Nr. 6 SGB III – Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung, § 144 Abs. 1 Nr. 7 SGB III.
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Bei der Bundesagentur für Arbeit existiert zur Auslegung der Sperrzeitenregelung eine umfangreiche interne Weisungslage, die in der Vergangenheit – nicht immer stringent – vielfach überarbeitet und der höchstrichterlichen Rechtsprechung angepasst worden ist, jedoch nicht immer mit ihr übereinstimmt. Dort 1 BSG v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, BB 1996, 1510.
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Sperrzeitfälle
Rz. 95c Teil 13
wird im Einzelnen dargestellt, unter welchen Voraussetzungen eine „Mitverantwortung des Arbeitslosen für den Eintritt der Arbeitslosigkeit“ sowie ein „wichtiger Grund für sein Verhalten“ angenommen werden soll.1
" Praxistipp: Bedauerlicherweise ist die Weisungslage in wesentlichen Passa-
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Im Einzelnen gilt Folgendes in Bezug auf die vorliegend allein interessierende Frage der Beendigung von Arbeitsverhältnissen:
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gen wenig praxisgerecht. Die betriebliche Praxis muss sich daher damit abfinden, dass die Agenturen für Arbeit in der Auslegung der Weisungslage und damit der Anwendung von § 144 SGB III wenig einheitlich vorgehen.
1. Eigenkündigung des Arbeitnehmers Die Eigenkündigung des Arbeitnehmers ist der „klassische“ Fall, der die Verhängung einer Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld zur Folge hat. Erfasst wird grundsätzlich die ordentliche wie die außerordentliche Arbeitnehmerkündigung.2 Bei berechtigter außerordentlicher Arbeitnehmerkündigung wird indes stets ein „wichtiger Grund“ i.S.v. § 144 Abs. 1 SGB III vorliegen. Allerdings verlangt das BSG, dass der Arbeitnehmer zunächst versucht haben muss, auf eine Beseitigung des vertrags- oder rechtswidrigen Verhaltens seines Arbeitsgebers hinzuwirken. Erst wenn dies erfolglos geblieben ist, kann er ohne spätere Einbußen beim Arbeitslosengeld kündigen.3
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Die Aufgabe einer geringfügigen Beschäftigung durch Kündigung kann nur dann eine Sperrzeit zur Folge haben, wenn die aufgegebene geringfügige Beschäftigung versicherungspflichtig war.4 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitnehmer mehrere geringfügige Beschäftigungen hat.
95a
Die Eigenkündigung kann nach Auffassung des BSG auch dann eine Sperrzeit zur Folge haben, wenn sie nicht unmittelbar zur Arbeitslosigkeit führt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag kündigt und unmittelbar anschließend eine befristete Beschäftigung aufnimmt und erst nach Auslaufen der Befristung mangels Anschlussarbeitsverhältnisses arbeitslos wird.5 Dies erscheint bedenklich, da nicht die Kündigung, sondern erst der ggf. einige Jahre später eintretende Zeitablauf kausal für die Arbeitslosigkeit ist. Das BSG hat dies bislang auch nur für den Fall bejaht, dass nach dem ersten, auf wenige Monate befristeten Arbeitsvertrag die Arbeitslosigkeit eintritt.
95b
Die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit ist bei einer Eigenkündigung immer dann mindestens grob fahrlässig, wenn der Arbeitnehmer nicht konkrete Aus-
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1 Aktuelle Version abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de. Hier in der Suchmaske „DA 144 SGB III“ eingeben. 2 BSG v. 26.8.1965 – 7 RAr 32/64, SozR Nr. 5 zu § 80 AVAVG. 3 BSG v. 6.2.2003 – B 7 AL 72/01 R, ArbRB 2003, 67. 4 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.5. 5 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 55/05 R, NZA 2006, 1362 = NJW 2006, 3517; a.A. ErfK/ Rolfs, § 144 SGB III, Rz. 15; Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 27; Weber, AuB 2004, 97 (102).
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Teil 13 Rz. 96
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
sichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hat.1 Konkrete Aussichten bedeuten nicht, dass eine feste Zusicherung vorliegen muss; vielmehr genügt es, dass der Arbeitnehmer konkrete Anhaltspunkte für die Annahme hat, dass er nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtzeitig ein neues unbefristetes Arbeitsverhältnis aufnehmen kann.2 Dass diese recht strengen Anforderungen der gewünschten Flexibilität der Arbeitnehmer entgegenstehen, hat auch das BSG erkannt und billigt dem Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für die Lösung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zur Aufnahme eines befristeten Arbeitsverhältnisses zu, wenn mit dem Wechsel z.B. eine Erweiterung der beruflichen Einsatzmöglichkeiten verbunden ist.3 96
Von der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ist der Fall des Nichtantritts einer Arbeitsstelle zu unterscheiden. Dieser ist in § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III geregelt und kann nur dann zur Sperrzeit führen, wenn es sich um eine von der Agentur für Arbeit vermittelte Stelle gehandelt hat.
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Nicht als Auflösung des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 144 Abs. 1 SGB III ist die Beendigung der Tätigkeit wegen Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses (etwa nach § 9 AÜG) anzusehen, weil eine rechtliche Beendigung bereits wegen bestehender Nichtigkeit nicht in Betracht kommt. Entsprechendes gilt auch für die Anfechtung des Arbeitsvertrages, weil auch hier das Arbeitsverhältnis zu keinem Zeitpunkt wirksam zustande gekommen ist. Nicht als Sperrzeit auslösende Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist auch das Auslaufenlassen eines befristeten Arbeitsvertrages ohne Nutzung von Verlängerungs- oder Übernahmemöglichkeiten anzusehen.4
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Nach der Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit ist auch die Ablehnung einer im Wege der Änderungskündigung unterbreiteten Vertragsänderung keine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitnehmer mit der Folge des § 144 SGB III.5 Soweit dies vereinzelt6 unter Berufung auf § 2 Abs. 5 SGB III bestritten wird, wird übersehen, dass § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nur Beschäftigungen erfasst, deren Arbeitsbedingungen der Arbeitslose selbst einmal zugestimmt hat.7 Auch § 121 SGB III kann auf bestehende Arbeitsverhältnisse nicht in dem Sinne angewandt werden, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit verpflichtet ist, während des laufenden Arbeitsverhältnisses einseitige Veränderungen der Arbeitsinhalte, der Vergütung, das Arbeitsortes etc. stets zu akzeptieren. Im Extremfall könnte dies nämlich zur Folge haben, dass der Arbeitgeber etwa die Vergütung wiederholt herabsetzen könnte, weil es anders als bei eingetretener Arbeitslosigkeit keine feste Ver1 BSG v. 20.4.1977 – 7 RAr 112/75, BSGE 43, 269; v. 12.7.2006 – B 11a AL 55/05 R, NZA 2006, 1362 = NJW 2006, 3517. 2 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 55/05 R, NZA 2006, 1362 = NJW 2006, 3517. 3 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 55/05 R, NZA 2006, 1362 = NJW 2006, 3517. 4 Maties, NZS 2006, 73 (80); Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 17; Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 144 Rz. 33; Stück, MDR 2007, 1355 (1356). 5 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.9; ebenso Niesel/ Niesel, § 144 SGB III Rz. 17. 6 Löwisch, NZA 1998, 729 (730). 7 SG Fulda v. 23.1.1992 – S1c Ar 82/91, info also 1993, 172 f.
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Sperrzeitfälle
Rz. 100 Teil 13
gleichsgröße gibt. So würde schon innerhalb eines Arbeitsverhältnisses und deutlich schneller als durch § 121 Abs. 3 SGB III die berufliche und soziale Deklassierung des Arbeitslosen, die jene Vorschrift bewirkt, erreicht werden. Die Ablehnung einer Änderungskündigung muss dem Arbeitnehmer daher sperrzeitrechtlich schon deshalb erlaubt sein, weil der Arbeitgeber über die betrieblichen Gründe für eine Kündigung letztlich ohne wirksame gerichtliche Kontrolle verfügen kann. Nicht zur Verhängung einer Sperrzeit führt auch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitsgerichtliches Urteil gemäß §§ 9, 10 KSchG, selbst wenn sie auf Antrag des Arbeitnehmers (oder beider Parteien) ausgesprochen wird. Weder der Antrag des Arbeitnehmers noch erst recht das Urteil des Arbeitsgerichts werden deshalb zu Recht als Auflösungshandlungen i.S.v. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III angesehen.1
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Ob ein später arbeitslos gewordener Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widerspricht und dessen Arbeitsverhältnis anschließend von dem bisherigen Betriebsinhaber wegen Wegfall des Arbeitsplatzes aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt wird, eine Sperrzeit befürchten muss, wird nicht einheitlich beurteilt. Soweit generell die Verhängung einer Sperrzeit in einem solchen Fall befürwortet wird2, vermag dies nicht zu überzeugen. Folgt man der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zum Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers im Rahmen eines Betriebsübergangs3 und berücksichtigt man zudem den Willen des Gesetzgebers, wie er in § 613a Abs. 6 BGB zum Ausdruck kommt, so spricht vieles dafür, dass der Widerspruch des Arbeitnehmers bezüglich des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebs(teil)erwerber keine Sperrzeit auslöst, wenn anschließend der bisherige Betriebsinhaber betriebsbedingt kündigt.4 Zudem ist zu bedenken, dass der Arbeitnehmer gerade nicht das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat, sondern lediglich die Kündigung des Betriebsveräußerers billigend in Kauf genommen hat.5 Dennoch ist nicht zu verkennen, dass der widersprechende Arbeitnehmer die betriebsbedingte Kündigung beim bisherigen Betriebsinhaber erleichtert, in bestimmten Fällen er sie sogar geradezu herausfordert. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es daher, dass der Arbeitnehmer die entscheidende oder jedenfalls eine wesentliche Bedingung für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gesetzt hat.6 Das dürfte dann der Fall sein,
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1 Ebenso ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 6; Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 17; siehe dazu auch Teil 11 Rz. 593 ff. 2 So Puttmeyer, NJW 1996, 2537 (2544); vgl. auch LSG Baden-Württemberg v. 11.5.2007 – L 8 AL 271/05, wonach eine Sperrzeit jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn dem Betriebsübergang ohne Angabe von Gründen widersprochen wurde. 3 BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB; v. 21.7.1977 – 3 AZR 703/75, AP Nr. 8 zu § 613a BGB; v. 6.2.1980 – 5 AZR 275/78, AP Nr. 21 zu § 613a BGB; v. 15.2.1984 – 5 AZR 123/82, NZA 1984 32; v. 30.10.1986 – 2 AZR 101/85, NZA 1987, 524 (525 f.). 4 Bauer, VIII. 64; Maties, NZS 2006, 73 (80); Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 23; Hauck/Noftz/Valgolio, SGB III, Stand 2008, § 144 Rz. 42; ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 6; vgl. auch SG Frankfurt a.M. v. 26.2.1991 – S-14/Ar-1747/88, AiB 1992, 471. 5 Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 15. 6 Ausführlich Engesser Means/Klebeck, NZA 2008, 143 (145).
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Teil 13 Rz. 101
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
wenn es für den bisherigen Betriebsinhaber keine Möglichkeit gibt, den widersprechenden Arbeitnehmer zu beschäftigen, z.B. weil der Betrieb bereits stillgelegt wurde. Ebenso dürfte ein eine Sperrzeit auslösendes Lösen des Arbeitsverhältnisses vorliegen, wenn der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widerspricht, obwohl der bisherige Arbeitgeber inzwischen erloschen ist (z.B. im Falle einer Umwandlung).1 Denn in diesen Fällen ist der Arbeitnehmer seiner Obliegenheit, ein zumutbares Arbeitsverhältnis fortzusetzen, nicht nachgekommen. 2. Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses 101
Der Aufhebungsvertrag ist die schriftliche (§ 623 BGB) Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer oder aber vom Arbeitgeber ausgegangen ist.2 Auch die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt für den betroffenen Arbeitnehmer in aller Regel zur Verhängung einer Sperrzeit, weil er aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit den Eintritt der Arbeitslosigkeit (mit)verursacht hat. Unerheblich ist dabei, ob das Arbeitsverhältnis auch durch rechtmäßige Kündigung hätte beendet werden können; es kommt vielmehr entscheidend darauf an, dass der Aufhebungsvertrag gegen den Willen des Arbeitslosen nicht zustande gekommen wäre.3
102
" Praxistipp: Dies soll auch dann gelten, wenn die Initiative für den Ab-
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Eine Sperrzeit kann auch in dem Fall eintreten, dass der Aufhebungsvertrag im Rahmen eines Prozessvergleichs vor dem Arbeitsgericht auf Anregung des Arbeitgebers geschlossen wurde.6 Dies hat das BSG jüngst noch einmal bestätigt.7 Allerdings hat es bei Aufhebungsverträgen im Rahmen von Prozessvergleichen eine gewisse Kehrtwende vollzogen: Da ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, gegen eine Kündigung durch eine Kündigungsschutzklage vorzugehen, könne es ihm regelmäßig nicht zum Nachteil gereichen, wenn er dennoch gegen eine ar-
schluss des Aufhebungsvertrages nicht vom Arbeitnehmer, sondern vom Arbeitgeber ausgeht.4 Die Frage der Initiative ist allerdings wichtig für das Vorliegen eines die Sperrzeit ausschließenden wichtigen Grundes. So liegt nach ständiger Rechtsprechung ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrages und damit die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses vor, wenn der Arbeitgeber mit einer objektiv rechtmäßigen Kündigung aus nicht verhaltensbedingten Gründen droht.5
1 Vgl. hierzu Altenburg/Leister, NZA 2005, 15 (23). 2 BSG v. 5.6.1997 – 7 RAr 22/96, NZA-RR 1998, 184; v. 13.8.1986 – 7 RAr 1/86, NZA 1987, 180. 3 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009 144.11. 4 BSG v. 12.4.1984 – 7 Rar 28/83, DBlR Nr. 2959 zu § 119 AFG; v. 13.3.1997 – 11 Rar 17/96, NZA-RR 1997, 495 (497); Seel, NZS 2006, 184 (185); Voelzke, NZA 2005, 281 (284); kritisch hierzu Schuldt, NZA 2005, 861. 5 Vgl. nur BSG v. 12.7.2007 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359. 6 Niesel/Niesel, § 144 SGB III, Rz. 31. 7 BSG v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06, DB 2008, 1048.
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Sperrzeitfälle
Rz. 104a Teil 13
beitgeberseitige Kündigung vorgeht und sodann im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Klage zurücknehme oder – gegen Zahlung einer Abfindung – einen Vergleich schließe.1 Ein gerichtlicher Vergleich, der die Arbeitslosigkeit nicht zu einem früheren Zeitpunkt herbeiführe, dürfe daher grundsätzlich auch keine Sperrzeit auslösen. Der gerichtliche Vergleich stelle in diesen Fällen regelmäßig einen wichtigen Grund im Sinne des § 144 SGB III dar. Das soll selbst dann gelten, wenn die im Vergleich vorgesehene Abfindung höher ist als die in §§ 1a Abs. 2, 10 KSchG genannten Beträge.2 Entscheidend ist allein, ob der Arbeitnehmer nach dem Stand des Kündigungsschutzprozesses davon ausgehen durfte, er könne den Eintritt der Beschäftigungslosigkeit nicht mehr verhindern, z.B. weil sein Arbeitsplatz weggefallen ist. Allerdings entbindet die sperrzeitrechtliche Privilegierung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs nicht von einer genauen Prüfung der Umstände seines Zustandekommens, wenn Anhaltspunkte für Umgehungsgeschäfte vorliegen. Von einem solchen Umgehungsgeschäft, d.h. einer Manipulation zu Lasten der Versichertengemeinschaft, kann nach Ansicht des BSG ausgegangen werden, wenn eine Klage gegen eine offensichtlich rechtswidrige Arbeitnehmerkündigung einvernehmlich mit dem Ziel eines Prozessvergleichs zur Vermeidung einer Sperrzeit erhoben wurde.3
" Praxistipp: Durch die Rechtsprechungsänderung dürften somit zumindest
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Demgegenüber ist die in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II als Einkommen leistungsmindernd zu berücksichtigen, wenn die Abfindungszahlung erst während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen erfolgt, etwa weil der Arbeitgeber trotz Fälligkeit nicht zahlt und der Arbeitnehmer nicht während des Bezugszeitraums von Arbeitslosengeld Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hat.6 Nach dem BSG sind Abfindungen nämlich nicht von einer bedarfsmindernden Anrechnung auf das Arbeitslosengeld ausgenommen, da sie nicht nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II als „zweckbestimmte Einnahmen“ privilegiert sind. Eine solche Privilegierung setzte voraus, dass die Abfindung einem anderen Zweck als der Grundsicherung nach dem SGB II diente. Das sei aber nicht der Fall, weil der Arbeitgeber mit der Abfindung lediglich den titulierten Anspruch seines ehemaligen Arbeitnehmers erfüllen wolle.
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„echte“ Prozessvergleiche keine Sperrzeiten mehr zur Folge haben.4 Auf die Höhe der Abfindung kommt es nicht an. Die vom BSG erwähnten Umgehungsgeschäfte dürften tatsächlich nur selten vorkommen. Auch nach der aktuellen Durchführungsanweisung (DA) der Bundesagentur löst ein arbeitsgerichtlicher Vergleich keine Sperrzeit aus.5
1 So bereits Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88 (91); Spellbrink, BB 2006, 1274 (1276). 2 Vgl. auch Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88 (94); Voelzke, NZS 2005, 281 (286); Seel, NZS 2007, 513 (515); ErfK/Rolfs, § 144 Rz. 7, 34. 3 BSG v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06, DB 2008, 1048; zustimmend Gaul/Niklas, NZA 2008137 (142); Fröhlich, in: Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Handbuch der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge, 5. Auflage 2009, Teil 6 Rz. 107. 4 So auch Tschöpe/Schulte, Teil 3 C Rz. 75; vgl. ebenfalls DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.19. 5 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.19. 6 BSG v. 3.3.2009 – B 4 AS 47/08 R, NJW 2009, 3323.
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Teil 13 Rz. 105
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
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Wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer außerhalb der mündlichen Verhandlung ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO abgeschlossen, so ist dies ein vollwertiger gerichtlicher Vergleich. Auch ein derartiger Vergleich löst somit grundsätzlich keine Sperrzeit aus.1 Es ist für einen sperrzeitunschädlichen Vergleich nicht erforderlich, dass das Arbeitsgericht den Vergleich vorgeschlagen hat oder auf den Inhalt Einfluss genommen hat. Schließen die Arbeitsvertragsparteien während eines Prozesses – nach einer Güteverhandlung oder mündlichen Verhandlung – eine Aufhebungs- oder Abwicklungsvereinbarung und wird daraufhin die Klage zurückgenommen oder der Rechtsstreit für erledigt erklärt, dürfte dies ebenfalls keine Sperrzeit auslösen.2
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Fraglich ist, ob und wenn ja in welchem Umfang den Arbeitgeber beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags eine Pflicht zur Aufklärung des Arbeitnehmers über mögliche Sperrzeitrisiken trifft. Grundsätzlich ist es nach der Rechtsprechung zwar Sache des Arbeitnehmers, sich über sozialversicherungsrechtliche Folgen eines Aufhebungsvertrages zu informieren. Eine Ausnahme wird aber dann gemacht, wenn der Arbeitgeber weiß, dass eine Sperrzeit droht. In diesem Fall hat er den Arbeitnehmer vor Abschluss darauf hinzuweisen.3 Eine Aufklärungspflicht obliegt dem Arbeitgeber ferner dann, wenn die Initiative zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags ausschließlich von ihm ausgeht und der Arbeitnehmer ausdrücklich nach möglichen Nachteilen fragt. Gegebenenfalls ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, eine entsprechende Auskunft bei der Agentur für Arbeit einzuholen.4 Verletzt der Arbeitgeber seine Aufklärungspflicht und wird eine Sperrzeit verhängt, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 BGB verlangen.5
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" Praxistipp: Der Arbeitgeber sollte dem Arbeitnehmer grundsätzlich keine
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Zur Auflösung durch Vereinbarung zählt auch die Herabsetzung der Stundenzahl unter die Kurzzeitigkeitsgrenze des § 119 Abs. 3 SGB III, in der Regel unter 15 Stunden wöchentlich.8 Schließt der bislang unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer einen befristeten Altersteilzeitvertrag ab, nach dessen Ende Arbeitslosigkeit eintritt, liegt darin zwar grds. eine die Sperrzeit auslösende Auflösung
Auskünfte über die sozialrechtlichen Folgen eines Aufhebungsvertrages erteilen. Denn wenn er Auskünfte erteilt, müssen diese richtig und vollständig sein.6 Es empfiehlt sich daher eine Klausel in den Aufhebungsvertrag aufzunehmen, wonach sich der Arbeitnehmer bei der zuständigen Agentur für Arbeit über die Auswirkungen des Aufhebungsvertrages informiert.7
1 Gaul/Niklas, NZA 2008, 137 (142 f.). 2 Stück, MDR 2007, 1355 (1356). 3 BAG v. 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, AP Nr. 99 zu § 611 Fürsorgepflicht; ArbG Lübeck v. 20.6.2006 – 3 Ca 698/06, AE 2007, 42; so auch ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 12. 4 BAG v. 23.9.2003 – 3 AZR 658/02, AP Nr. 30 zu § 611 BGB; ArbG Lübeck v. 20.6.2006 – 3 Ca 698/06, AE 2007, 42. 5 ArbG Lübeck v. 20.6.2006 – 3 Ca 698/06, AE 2007, 42. 6 BAG v. 23.9.2003 – 3 AZR 658/02, AP Nr. 30 zu § 611 BGB; LAG Rheinland-Pfalz v. 28.2.2007 – 9 Sa 833/06. 7 Vgl. Lipinski/Kumm, BB 2008, 162 (165). 8 So bereits zum AFG: BSG v. 9.12.1982 – 7 RAr 31/82, SozR 4100 § 119 Nr. 21.
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Sperrzeitfälle
Rz. 111 Teil 13
des Arbeitsverhältnisses.1 Ein wichtiger Grund für diese Vereinbarung liegt jedoch dann vor, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber beabsichtigt hatte, nahtlos nach Ende der Altersteilzeit Altersrente zu beziehen und deshalb prognostisch von einem sicheren Ausscheiden aus dem Arbeitsleben auszugehen war.2 Wäre dies der Fall, würde nämlich der Eintritt einer Sperrzeit den Zielen des Altersteilzeitgesetzes widersprechen. Seit der Entscheidung des BSG vom 5.8.1999 ist nunmehr Sperrzeit auslösend auch der Fall, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis, welches der Arbeitgeber bereits gekündigt hat, durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu einem Zeitpunkt vor Ablauf der Kündigungsfrist löst, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben, auch wenn er Arbeitslosengeld erst für die Zeit beansprucht, in der er ohnedies aufgrund der Kündigung arbeitslos geworden wäre.3 Das BSG meint, dass nur dann, wenn der Arbeitslose sich erst arbeitslos melde, wenn das Sperrzeitereignis mehr als 1 Jahr zurückliege, er einer Sperrzeit entgehen könne (§ 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III). Allerdings hält das BSG die Bundesagentur für Arbeit für verpflichtet, den Arbeitslosen über die Möglichkeit, durch eine spätere Meldung eine Sperrzeit zu vermeiden, zu belehren.4 Bei Verletzung dieser Verpflichtung kann der Arbeitslose im Wege des Herstellungsanspruchs so zu stellen sein, als ob er sich erst nach Ablauf der Frist des § 128 Abs. 2 Satz 1 SGB III arbeitslos gemeldet hätte. Allerdings setzt dies voraus, dass er wirtschaftlich in der Lage ist, einen Zeitraum von 1 Jahr ohne Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zu überbrücken.
109
Diese Rechtsprechung des BSG kann sich sicherlich auf den Wortlaut der Vorschrift des § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III berufen. Allerdings hat sich das BSG im Urteil vom 5.8.1999 überhaupt nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Erstreckung der Sperrzeitregelung auf Fälle, in denen die Arbeitslosenversicherung durch das Verhalten des Arbeitslosen überhaupt nicht belastet wird, dieser vielmehr durch die späte Meldung die wirtschaftlichen Folgen des selbstverschuldeten Teils seiner Arbeitslosigkeit alleine trägt, nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.5
110
Zur Vermeidung der dargestellten Folgen des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages ist bis zum Grundsatzurteil des BSG vom 18.12.20036 in der Literatur teilweise empfohlen worden, einen sog. Abwicklungsvertrag mit dem Arbeitgeber abzuschließen.7 Durch den Abwicklungsvertrag sollte eine Sperrzeit dadurch vermieden werden, dass kein „klassischer“ Aufhebungsvertrag (zur Vermeidung einer Kündigung) zwischen den Arbeitsvertragsparteien geschlossen wurde. Vielmehr sollte eine Arbeitgeberkündigung erfolgen und durch eine Verein-
111
1 LSG Nordrhein-Westfalen v. 20.2.2008 – L 12 AL 47/07, zitiert nach juris. 2 So die Revision BSG v. 21.7.2009 – B 7 AL 6/08 R, zitiert nach juris. 3 BSG v. 5.8.1999, B 7 AL 14/99 R, EzA § 144 SGB III Nr. 2; v. 5.8.1999, B 7 AL 38/98 R, NZS 2000, 155 (157); Gagel, FA 2000, 9 (10 f.). 4 BSG v. 5.8.1999 – B 7 AL 38/98 R, NZS 2000, 155 (157). 5 Zutreffend Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 144 Rz. 81. 6 BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661. 7 Vor allem Hümmerich, NZA 1994, 200 (201); NJW 1986, 2081; NZA 1997, 409; Hümmerich/Holthausen/Welslau, NZA 2003, 7 (12).
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1153
Teil 13 Rz. 111a
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
barung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich die Modalitäten der Abwicklung anlässlich des Ausscheidens geregelt werden, wobei hier insbesondere die Frage der Zahlung einer Abfindung des Arbeitgebers im Vordergrund stand. Die Annahme einer Sperrzeitunschädlichkeit der „Wunderwaffe“ Abwicklungsvertrag wurde auf die gefestigte Rechtsprechung des BSG gestützt, wonach die bloße Hinnahme der Arbeitgeberkündigung den Tatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III i.d.R. nicht erfüllt.1 111a
Mit Urteil vom 18.12.20032 entzog das BSG der bisherigen Praxis des zur Vermeidung einer Sperrzeit vereinbarten Abwicklungsvertrages im Wesentlichen die Grundlage. Nachdem das Gericht die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses vorliegt, wenn der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Arbeitgeberkündigung mit diesem Vereinbarungen über die Folgen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses trifft, lange offen gelassen hatte3, stellte es nunmehr ausdrücklich klar, dass die nachträgliche Einigung ebenso wie die vorherige Absprache zwischen den Arbeitsvertragsparteien in aller Regel einen Lösungssachverhalt begründet. Denn, so das Gericht, es sei „nicht zweifelhaft […] dass der Arbeitnehmer auch durch den Abschluss eines sog. Abwicklungsvertrages, in dem er ausdrücklich oder konkludent auf die Geltendmachung seines Kündigungsschutzes verzichtet, einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung seiner Beschäftigungslosigkeit leistet.“
111b
Folge dieser Rechtsprechung war, dass sowohl Aufhebungs- als auch nunmehr auch Abwicklungsverträge in der Praxis nur noch eine Rolle spielten, wenn der Arbeitnehmer bereits eine sichere Anschlussbeschäftigung hatte.
111c
Die Ansicht des BSG wurde wegen der weitgehenden Entwertung des außergerichtlichen Abwicklungsvertrages und der damit verbundenen Verlagerung der Problematik ins arbeitsgerichtliche Verfahren im Schrifttum vielfach kritisch kommentiert.4 Beanstandet wurde insbesondere, dass ein Arbeitnehmer, der einen Abwicklungsvertrag schließt, letztlich nur die Kündigung hinnimmt, aktiv jedoch auf rechtsgeschäftlichem Wege nichts zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses beitrage.5
111d
Hingewiesen wurde ferner auf den zum 1.1.2004 – und damit nur wenige Tage nach der Entscheidung vom 18.12.2003 in Kraft getretenen – eingeführten Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG bei betriebsbedingten Kündigungen.6 Da1 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 89/01 R, NZA-RR 2003, 162; v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, NZA-RR 1997, 109 (110). 2 BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661. 3 In der bisherigen Rechtsprechung ist lediglich eine Abgrenzung insoweit vorgenommen worden, als die Sperrzeit nicht an die bloße Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung im Hinblick auf eine zugesagte Vergünstigung anknüpft, sondern eine aktive Mitwirkung an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und eine dadurch verursachte Arbeitslosigkeit voraussetzt; vgl. BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 89/01 R, SozR 3-4100, § 119 Nr. 24; v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, SozR 3-4100, § 119 Nr. 9. 4 Vgl. Kliemt, ArbRB 2004, 212 (213 f.); Bauer/Krieger, NZA 2004, 640 (642); Kern/Kreutzfeldt, NJW 2004, 3081 (3082); Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046; zustimmend dagegen: Lepsien/Welslau, FA 2004, 232 ff. 5 Hümmerich, NJW 2007, 1025 (1028). 6 Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046 (2048).
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Sperrzeitfälle
Rz. 113 Teil 13
nach hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abfindung nach Ablauf der Kündigungsfrist, wenn der Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Erfordernissen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt, in der Kündigung hierauf und den Abfindungsanspruch nach Verstreichenlassen der Klagefrist hinweist. Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass es weder arbeitsrechtlich noch sozialrechtlich zu missbilligen ist, dass der Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Entschädigung erhält, und damit das Prinzip „dulde und liquidiere“ gesetzlich anerkannt. Zwischen einer grundsätzlich sperrzeitunschädlichen betriebsbedingten Kündigung mit Abfindungsangebot nach § 1a KSchG und der Abwicklungsvereinbarung besteht ferner im Ergebnis kein Unterschied.1 Die Bundesagentur für Arbeit stellte sich durch Ergänzung ihrer Dienstanweisungen ebenfalls auf den Standpunkt, dass die Zahlung einer Abfindung gemäß § 1a KSchG nicht zur Verhängung einer Sperrzeit führen soll. Kein Sperrzeittatbestand soll also vorliegen, wenn eine nicht offensichtlich rechtswidrige arbeitgeberseitige Kündigung auf betriebsbedingte Gründe gestützt wird und eine Abfindung gemäß § 1a KSchG gezahlt wurde. Die Auffassung der BA entsprach der ganz überwiegenden Literaturmeinung.2
111e
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 12.7.20063 in einem obiter dictum eine Rechtsprechungsänderung aufgrund der neuen Rechtslage angedeutet.4 Für Streitfälle ab dem 1.1.2004 unter Heranziehung der Grundsätze des § 1a KSchG wurde erwogen, auf eine ausnahmslose Prüfung der Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen bzw. angedrohten Arbeitgeberkündigung zu verzichten, wenn die Abfindungshöhe die in § 1a KSchG vorgesehene Höhe nicht überschreitet.5 Diese angekündigte Rechtsprechungsänderung bedeutet eine erhebliche Aufweichung der bisherigen Rechtsprechung, da danach sowohl bei Aufhebungsals auch bei Abwicklungsverträgen nicht mehr generell mit einer Sperrzeit zu rechnen ist. Es wird daher bereits aufgrund dieses obiter dictums von einer „Renaissance von Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen“ gesprochen.6
112
Die Ankündigung einer Rechtsprechungsänderung hat nunmehr auch die Bundesagentur zum Anlass genommen, die DA zur Sperrzeit bei Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen erneut zu ändern7 und an die zu erwartende Rechtsprechungsänderung anzupassen. Danach wird beim Abschluss eines Aufhebungsbzw. Abwicklungsvertrags8 keine Sperrzeit verhängt, wenn:
113
1 Ausführlich Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88 (96 f.). 2 Vgl. nur Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046 (2048); Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88 (94); Maties, NZS 2006, 73 (80); von Steinau/Steinrück/Hurek, ZIP 2004, 1486 (1488 ff.). 3 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359. 4 NZA 2006, 1359; zustimmend: Seel, NZS 2007, 513 (515). 5 Ebenso bereits Peters-Lange/Gagel, NZA 2005, 740 (741); Voelzke, NZS 2005, 281 (288); kritisch zu dieser Begrenzung Preis/Schneider, NZA 2006, 1297 (1303); Oberthür, ArbRB 2007 113 (115). 6 Hümmerich, NJW 2007, 1025 (1027). 7 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.103. 8 Nach Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.109 werden Abwicklungsverträge wie Aufhebungsverträge behandelt.
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Teil 13 Rz. 114
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
– eine Kündigung durch den Arbeitgeber mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt worden ist, – die drohende Arbeitgeberkündigung auf betriebliche Gründe gestützt wurde, – die Arbeitgeberkündigung zu demselben Zeitpunkt, zum dem das Beschäftigungsverhältnis geendet hat, oder früher wirksam geworden wäre; – der Arbeitnehmer nicht unkündbar war und – eine Abfindung von 0,25 bis zu 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr an den Arbeitnehmer gezahlt wird.1 114
Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, wird die Rechtmäßigkeit der (hypothetischen) Kündigung nicht mehr geprüft.2 Das für die Berechnung der Abfindungshöhe zugrunde zu legende Monatsgehalt ist dabei das Entgelt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, an Geld und Sachbezügen zusteht.3 Die Abfindungshöhe ist entsprechend der Regelungen des § 1a Abs. 2 KSchG i.V.m. § 10 Abs. 3 KSchG zu ermitteln.
115
Zu beachten ist indes, dass die Durchführungsanweisungen nicht deckungsgleich mit der Rechtsprechung sind. Erstaunlich ist insbesondere die Mindestabfindungshöhe von 0,25 Monatsgehältern. Beträgt die Abfindung weniger als 0,25 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr oder mehr als 0,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr soll nur dann ein wichtiger Grund vorliegen, wenn die drohende Arbeitgeberkündigung sozial gerechtfertigt gewesen wäre.4 Es ist aber nicht ersichtlich, warum ein Arbeitnehmer, der eine geringere Abfindung akzeptiert, mit einer Sperrzeit bestraft werden soll.5 Vielmehr spricht eine geringe Abfindung eher für die Rechtmäßigkeit einer ausgesprochenen oder angedrohten Kündigung. Aus einer geringen Abfindung auf eine missbräuchliche Gestaltung zu schließen, erscheint daher nicht gerechtfertigt.6 Ferner beschränken die Durchführungsanweisungen den Ausschluss einer Sperrzeit auf ausgesprochene bzw. angedrohte betriebsbedingte Kündigungen. Nach dem obiter dictum des BSG im Urteil vom 12.7. 2006 ist jedoch nicht danach zu differenzieren, ob es sich um eine angedrohte bzw. ausgesprochene betriebsbedingte, personen- oder verhaltensbedingte Kündigung handelt.
116
Des Weiteren soll nach den Durchführungsanweisungen der Bundesagentur eine Sperrzeit bei Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrags nicht eintreten, wenn der Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung entweder gar keine oder eine um mindestens zehn Prozent niedrigere Abfindung erhalten oder eine
1 Vgl. dazu in der Literatur: Lützeler/Bissels, AuA 2008, 141; Gaul/Niklas, NZA 2008, 137(139, 140); Lembke, DB 2008, 293; Lipinski/Kumm, BB 2008, 162. 2 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.140. 3 Lipinksi/Kumm, BB 2008, 162 (164); Lembke, DB 2008, 293. 4 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.103. 5 Vgl. Lipinski/Kumm, BB 2008, 162 (163); Lembke, DB 2008, 293; a.A. Seel, NZS 2007, 513 (515). 6 So jedoch Seel, NZS 2007, 513 (515).
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Sperrzeitfälle
Rz. 120 Teil 13
arbeitgeberseitige Kündigung objektive Nachteile für das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers gehabt hätte.1
" Praxistipp: Durch die angedeutete Rechtsprechungsänderung und die Ände-
117
Damit sind aber nicht alle Unwägbarkeiten bei Abfindungen im Rahmen von Aufhebungs- bzw. Abwicklungsverträgen ausgeräumt. So ist es fraglich, ob auch dann keine Sperrzeit eintritt, wenn zwar die Abfindungshöhe von 0,25 bis 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr eingehalten wird, der Abfindungsanspruch jedoch anders als der Anspruch nach § 1a KSchG vererblich ausgestaltet wird. Dafür spricht, dass durch eine derartige Klausel nicht die Anspruchshöhe verändert wird. Die Verhängung einer Sperrzeit darf zudem nicht davon abhängen, ob der Abfindungsanspruch erst mit Ablauf der Kündigungsfrist oder schon vorher entsteht.
118
Wird aufgrund kollektivrechtlicher Vereinbarungen eine Abfindung von mehr als 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr gezahlt, so dürfte dies ebenfalls keine Sperrzeit zur Folge haben. Denn in diesen Fällen handelt es sich letztlich nur um eine sperrzeitunschädliche Hinnahme einer arbeitgeberseitigen Kündigung.3 Ein früherer entsprechender Hinweis ist in der aktuellen Fassung der DA nicht mehr enthalten.4
119
rung der DA haben Aufhebungs- und Abwicklungsverträge wieder an Bedeutung gewonnen.2 Der Abschluss von Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen mit Abfindungen innerhalb der Bandbreite von 0,25 bis 0,5 Monatsgehältern wird somit regelmäßig zu keiner Sperrzeit mehr führen. Wird eine Abfindung in diesem Rahmen gezahlt, kann es hilfreich sein, die Berechnungsgrundlagen, d.h. Monatsverdienst und Beschäftigungsdauer, im Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag anzugeben. Bei einer Abfindung außerhalb dieser Bandbreite kann eine Sperrzeit allerdings z.B. durch einen Prozessvergleich vermieden werden.
3. Hinnahme einer offensichtlich rechtswidrigen personen- oder betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung Anders als der Abschluss eines Aufhebungsvertrages löst die Hinnahme einer betriebs- oder personenbedingten ordentlichen Arbeitgeberkündigung grundsätzlich keine Sperrzeit aus.5 Der vom Gesetzgeber in § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III verwandte Begriff der „Lösung“ setzt einen aktiven Lösungsakt voraus, der sich vom bloßen Schweigen des Arbeitnehmers auf eine Kündigung unterscheidet.6 Die fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers, sich gegen den Willen des Arbeitgebers im Beschäftigungsverhältnis weiter zu behaupten, rechtfertigt nach der 1 2 3 4
Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.104 u. 144.105. Vgl. Lipinski/Kumm, BB 2008, 162 ff. Gaul/Niklas, NZA 2008, 137 (140). Vgl. Moderegger, ArbRB 2007, 361 (362), der von einem redaktionellen Versehen ausgeht. 5 SG Berlin v. 25.1.2007 S 60 AL 2084/05; Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.18. 6 SG Duisburg v. 19.10.2006 – S 12 (31) AL 46/06; Stück, MDR 2007, 1355 (1356).
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Teil 13 Rz. 121
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Rechtsprechung des BSG grundsätzlich für sich allein nicht die Verhängung einer Sperrzeit.1 121
" Praxistipp: In der Praxis ist allerdings darauf zu achten, dass die Agenturen
122
Diese Praxis, die sich aus der Dienstanweisung vom 19.12.19963 ergibt, stellt letztlich eine Schlussfolgerung aus der Grundsatzentscheidung des BSG vom 9.11.1995 dar:
für Arbeit grundsätzlich bei arbeitgeberseitigen Kündigungserklärungen, die mit der Zahlung einer Abfindung verknüpft sind, im Rahmen von Fragebögen an die ehemaligen Arbeitsvertragsparteien Ermittlungen dahin gehend anstellen, ob nach den Umständen des Einzelfalles keine einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeberkündigung, sondern eine vom Arbeitnehmer mitgetragene einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag.2
Darin wird zunächst bestätigt, dass die bloße Hinnahme einer Kündigung des Arbeitgebers sowie das bloße Unterlassen des Erhebens einer Kündigungsschutzklage nach bisheriger Rechtsprechung den Eintritt einer Sperrzeit nicht begründen. Allerdings wird weiter klargestellt, dass eine rechtsgeschäftliche Erklärung zur Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht nur dann vorliegt, wenn der Arbeitslose diese ausdrücklich abgegeben hat. Entscheidend sei vielmehr der auf die angestrebte Rechtsfolge gerichtete wirkliche Wille der Arbeitsvertragsparteien, nicht dagegen der Wortlaut oder die äußere Form der von ihnen abgegebenen Erklärungen (§ 133 BGB). Insoweit hat der 11. Senat des BSG auf die in der Praxis gebräuchlichen Abwicklungsverträge gezielt, soweit bei ihnen de facto einvernehmlich die Kündigung vorausgegangen ist. Das BSG ist aber in seiner Entscheidung vom 9.11.1995 dabei nicht stehen geblieben:4 123
Es hat vielmehr angekündigt, seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Verhängung einer Sperrzeit noch zu verschärfen: „Nach der Rechtsprechung des BSG löst ein Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis, wenn er selbst kündigt, was hier nicht geschehen ist oder einen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Vertrag schließt (…). Ein solcher Vertrag muss nicht unmittelbar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. Auch durch eine Vereinbarung über eine noch auszusprechender Arbeitgeberkündigung (und ihre Folgen) löst der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis. Es ist gerade Sinn einer solchen Vereinbarung, das Ende des Beschäftigungsverhältnisses herbei zu führen. Nichts anderes gilt, wenn nach reiner Arbeitgeberkündigung „Abwicklungsverträge“ über Abfindungen, Entschädigungen oder ähnliche Leistungen anlässlich des Ausscheidens getroffen werden (a.A. Hümmerich, NZA 1994, 200). Auch durch solche Verträge beteiligt sich ein Arbeitnehmer an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, weil er sich der Möglichkeit entzieht, die Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend zu machen (…).“
1 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 89/01 R, SozR 3-4300 § 144 Nr. 9; v. 20.4.1977 – 7 RAr 81/75, DBlR § 117 AFG Nr. 2226a. Diese Rechtsprechung wird in BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R noch einmal ausdrücklich bestätigt. 2 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Anlagen zur DA zu § 144 SGB III. 3 NZA 1997, 427 ff. 4 BSG v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, BB 1996, 1510.
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Laber
Sperrzeitfälle
Rz. 127 Teil 13
An anderer Stelle führt der 11. Senat im Rahmen seiner Entscheidung vom 9.11. 1995 weiter Folgendes aus:
124
„Zutreffend weist das LSG darauf hin, dass die bloße Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung und das Unterlassen einer Kündigungsschutzklage nach der Rechtsprechung des BSG den Eintritt einer Sperrfrist nicht begründen. (…) Sollten die weiteren Ermittlungen des LSG einen konstitutiven Aufhebungsvertrag oder eine sonstige Vereinbarung für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht ergeben, stellt sich allerdings die Frage, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist oder ob eine Sperrzeit jedenfalls dann eintritt, wenn der Arbeitnehmer eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung im Hinblick auf eine zugesagte finanzielle Vergünstigung hinnimmt. Eine solche Rechtsfortbildung i.S. eines offeneren Lösungsbegriffes ist nahe liegend. Indes hält der Senat die Klärung nach der bisherigen Rechtsprechung entscheidungserheblichen Sachverhalt für vorrangig. (…)“1
Gestützt auf diese Rechtsprechung des 11. Senats des BSG hat die Bundesagentur für Arbeit die nachfolgenden Fälle angeführt, in denen ungeachtet des Vorliegens einer Arbeitgeberkündigung „auf dem Papier“ der Eintritt einer Sperrzeit in Betracht kommt:
125
– Der Arbeitnehmer hat eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung des Arbeitgebers hingenommen. Dies wird angenommen bei Kündigungen, die gegen einen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutz verstoßen. Ob eine Kündigung sozial gerechtfertigt oder ungerechtfertigt i.S. von § 1 KSchG ist, ist für den Arbeitnehmer grundsätzlich nicht offensichtlich.2 – Ausnahmsweise löst die Hinnahme einer nicht offensichtlich rechtswidrigen Kündigung durch einen ordentlich kündbaren Arbeitnehmer eine Sperrzeit dann aus, wenn dieser nach Überzeugung der Agentur für Arbeit positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit hatte. Dies wird unterstellt, wenn der Arbeitnehmer von „sachkundiger Stelle“ über diese Rechtswidrigkeit informiert worden war, z.B. von einem Rechtsanwalt.
" Praxistipp: In diesem Zusammenhang ist in der Praxis darauf zu achten,
126
Grundsätzlich bleibt aber festzuhalten, dass die Bundesagentur für Arbeit die Hinnahme einer ordentlichen betriebs- oder personenbedingten Arbeitgeberkündigung so lange akzeptiert, als die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten
127
dass die Agenturen für Arbeit im Rahmen eines Fragebogens vom antragstellenden Arbeitnehmer genaue Informationen zu Art und Weise der Kündigung abfragen. Insbesondere wird hinterfragt, ob mit der Kündigung „Zusatzvereinbarungen“ verknüpft waren, z.B. ein ausdrücklicher Verzicht des Arbeitnehmers auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Damit ist freilich das Risiko verbunden, dass die Agentur für Arbeit trotz formellen Vorliegens einer Arbeitgeberkündigung eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses fingiert. Dies kann zur Verhängung einer Sperrzeit führen. Allein die schriftliche oder mündliche Zusage der Zahlung einer Abfindung kann allerdings noch nicht als eine Zusatzvereinbarung gewertet werden, bei der eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterstellt wird.
1 BSG v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, BB 1996, 1510 (1511). 2 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.17.
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Teil 13 Rz. 128
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
ist, bestehender Sonderkündigungsschutz nicht unterlaufen und damit verletzt wird und mangels zusätzlicher Vereinbarungen eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu unterstellen ist. Diese Praxis kann sich auf die Rechtsprechung des 7. Senats des BSG stützen, der bislang betont, dass der Arbeitnehmer sich nicht durch eine Kündigungsschutzklage gegen den Beendigungswillen des Arbeitgebers behaupten muss.1 Der 11. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 9.11.1995 diese Rechtsprechung des 7. Senats lediglich angezweifelt, ohne sie freilich zu verwerfen, da er letztlich nicht darüber zu entscheiden hatte, wann nach seiner Meinung eine Absprache über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im dortigen Fall vorlag. Gegen die Auffassung des 11. Senats spricht aber, dass § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III eine Sperrzeit an eine Kündigung des Arbeitgebers nur für den Fall einer Arbeitsvertragsverletzung des Arbeitnehmers knüpft. Eine Erweiterung auf unverschuldete Arbeitgeberkündigungen ist mit dem eindeutigen, anders nicht auslegbaren Wortlaut des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht vereinbar.2 128
Das BSG hat zwischenzeitlich in seiner Entscheidung vom 25.4.20023 klargestellt, dass ein Bedürfnis dafür, den Begriff der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses im Wege der Rechtsfortbildung offener zu fassen, nicht mehr besteht. Auch in der Entscheidung des BSG vom 18.12.20034 ist noch einmal ausdrücklich bestätigt worden, dass allein die fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers, sich gegen den Willen des Arbeitgebers im Beschäftigungsverhältnis zu behaupten, den Eintritt einer Sperrzeit nicht rechtfertigt. Die 1995 angedrohte Rechtsprechungsänderung bei bloßer Hinnahme einer Kündigung ist nunmehr somit gegenstandslos geworden. Eine Obliegenheit des Arbeitnehmers zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage besteht somit nicht, zumal er die erstinstanzlichen Kosten nach § 12a Abs. 1 ArbGG selbst im Falle eines Obsiegens zu tragen hätte.5 4. Kündigung des Arbeitgebers aus verhaltensbedingten Gründen
129
Aus der Formulierung in § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III „durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass… gegeben“ ergibt sich, dass im Falle des Ausspruchs einer Arbeitgeberkündigung die Verhängung einer Sperrzeit nur dann in Betracht kommt, soweit die Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt wird. Es muss sich also entweder um eine rechtswirksame außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB oder um eine sozial gerechtfertigte verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 KSchG handeln.6 Das vertragswidrige Verhalten 1 BSG v. 20.4.1977 – 7 RAr 81/75, DBlR Nr. 2226a zu § 117 AFG; v. 12.4.1984 – 7 RAr 28/83 SozSich 1984, 388. 2 Zutreffend: LSG Baden-Württemberg v. 3.5.1995 – L Ar 474/94, Breithaupt 1996, 429; Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 38. 3 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 89/01 R, EzA-SD 2002, Nr. 24, 20, 21. 4 BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661. 5 Stück, MDR 2007, 1355 (1356). 6 So bereits BSG v. 26.8.1965 – 7 RAr 32/64, Breithaupt 1966, 74; v. 25.4.1990 – 7 RAr 106/89, NZA 1990, 791; Stück, MDR 2007, 1355 (1357); Tschöpe/Hiekel, Teil 7 A Rz. 34.
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Sperrzeitfälle
Rz. 132 Teil 13
des Arbeitnehmers muss Anlass für den Arbeitgeber gewesen, sein, die Kündigung auszusprechen. Es muss also für den Kündigungsentschluss selbst ursächlich gewesen sein.1 Nicht ausreichend ist es, wenn zwar ein vertragswidriges Verhalten vorliegt, sich der Arbeitgeber jedoch aus einem ganz anderen Grunde zum Ausspruch der Kündigung entschließt. Ebenso tritt eine Sperrzeit nicht ein, wenn ein befristetes Arbeitsverhältnis nach einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers unbefristet fortgesetzt wird, der Arbeitgeber jedoch dann das unbefristete Arbeitsverhältnis aus Anlass des früheren Verhaltens kündigt.2
" Praxistipp: Nach § 312 SGB III ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei Beendi-
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Auch das vom Arbeitnehmer zu vertretende Unvermögen, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen (hier: Kündigung eines Berufskraftfahrers wegen Entziehung der Fahrerlaubnis bei außerdienstlicher Fahrt), kann nach der Rechtsprechung des BSG ein vertragswidriges Verhalten i.S.d. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III darstellen.3 Dagegen spricht indes, dass die private Trunkenheitsfahrt eines Berufskraftfahrers mit Entzug der Fahrerlaubnis in der Regel kein arbeitsvertragswidriges Verhalten darstellt und deshalb auch nur eine personenbedingte Kündigung zur Folge haben kann.4 Bei einer personenbedingten Kündigung kommt ebenso wie bei einer betriebsbedingten Kündigung jedoch eine Sperrzeit nicht in Betracht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Parteien in Wirklichkeit einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen haben.
131
Das von § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III verlangte vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers setzt Verschulden, mithin Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit, voraus. Dabei ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Maßstab auszugehen, so dass nicht § 276 BGB gilt, sondern wie im Strafrecht ein individueller, an den Kenntnissen und Fähigkeiten des Arbeitnehmers ausgerichteter Maßstab.5 Ob ein solches vertragswidriges schuldhaftes Verhalten vorliegt, ist ggf. von den Sozialgerichten zu klären. Der in § 144
132
gung des Beschäftigungsverhältnisses alle Tatsachen zu bescheinigen, die für die Entscheidung über den Anspruch auf Arbeitslosengeld erheblich sein können. Er hat dabei den von der Bundesagentur für Arbeit hierfür vorgesehenen Vordruck zu verwenden. Nach § 312 Abs. 1 Nr. 2 SGB III hat der Arbeitgeber auch den Grund für die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses dort einzutragen. Stellt er die Arbeitsbescheinigung nicht ordnungsgemäß aus, so droht dem Arbeitgeber nach § 321 Nr. 1 SGB III eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Arbeitsverwaltung.
1 BSG v. 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, BSGE 96, 22; ebenso ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 20; Tschöpe/Hiekel, Teil 7 A Rz. 36. 2 BSG v. 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, BSGE 96, 22. 3 BSG v. 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, BSGE 96, 22; v. 6.3.2003 – B 11 AL 69/02 R, ArbRB 2003, 99; v. 25.8.1981 – 7 RAr 44/80, BB 1982, 559; SG Aachen v. 19.12.2006 – S 11 AL 97/06; Stück, MDR 2007, 1355 (1357); Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 40, 45. 4 Ebenso SG Stuttgart v. 18.7.2007 – S 20 AL 7291/05; SG Kassel v. 7.12.2007 – S 3 AL 2245/04; Hauck/Noftz/Valgolio, SGB III, Stand 2008, § 144 Rz. 69; vgl. auch BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, AP Nr. 137 zu § 626 BGB. 5 BSG v. 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, BSGE 96, 22; Stück, MDR 2007, 1355 (1357); Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 47.
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Teil 13 Rz. 132a
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Abs. 1 Nr. 1 SGB III formulierte Schuldvorwurf bezieht sich aber nur auf die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit, nicht auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten, das zur Kündigung geführt hat und das regelmäßig ebenfalls Verschulden voraussetzt.1 Der Arbeitnehmer führt seine Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbei, wenn er keine konkreten Aussichten auf einen unmittelbaren Anschlussarbeitsplatz hat.2 Das bedeutet, dass bloße Erwartungen oder Hoffnungen nicht ausreichend sind. Allerdings ist auch keine feste Zusage für einen sich unmittelbar anschließenden Arbeitsvertrag erforderlich. Das Schreiben eines potentiellen Arbeitgebers, der dem Arbeitnehmer voraussichtlich einen Arbeitsvertrag anbietet, soll indes nicht ausreichend sein.3 132a
Das arbeitsvertragswidrige Verhalten muss für die Verhängung einer Sperrzeit nachgewiesen sein.4 Umstritten ist, ob auch eine rechtmäßige Verdachtskündigung auf Grund eines dringenden, durch objektiv nachweisbare Tatsachen begründeten Verdachts einer Straftat von erheblichem Gewicht die Verhängung einer Sperrzeit rechtfertigen kann.5 Dagegen spricht bereits, dass grundsätzlich die Arbeitsverwaltung die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, ob sich der Versicherte tatsächlich arbeitsvertragswidrig verhalten hat oder nicht.6 Die Rechtmäßigkeit der Verdachtskündigung ändert hieran nichts. Verdachtskündigungen sind nur zulässig, weil durch den Verdacht einer Straftat das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört und eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich ist. Die Verdachtskündigung ist somit ein Unterfall der personenbedingten Kündigung, die jedoch kein Sperrzeit auslösender Tatbestand ist.
133
" Praxistipp: Es wird darauf hingewiesen, dass die Bundesagentur für Arbeit
nicht an bestimmte Formulierungen in Prozessvergleichen gebunden ist.7 Für die Frage der Verhängung einer Sperrzeit ist es daher unbeachtlich, wenn eine berechtigte verhaltensbedingte Kündigung vor dem Arbeitsgericht durch Prozessvergleich in eine betriebsbedingte umbenannt wird, obgleich die Voraussetzungen hierfür tatsächlich nicht vorgelegen haben.8 Wie schon zur Zeit der Geltung der Bestimmung des § 117 Abs. 2 bis 3a) AFG a.F. werden deshalb nicht selten Kündigungsschutzfragen in das sozialgerichtliche Verfahren verlagert, auch wenn sie vor den Arbeitsgerichten durch Vergleich erledigt worden sind. Wird deshalb im Kündigungsschutzprozess ein Vergleich abgeschlossen, so sollte grundsätzlich auf zwei Dinge geachtet werden:
1 2 3 4 5
BSG v. 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, BSGE 96, 22. Stück, MDR 2007, 1355 (1357); Curkovic in NK-DGB III, § 144 Rz. 48. LSG Nordrhein-Westfalen v. 6.11.2002 – L 12 AL 227/01. SG Aachen v. 26.1.2007 – S 8 AL 11/06. Bejahend LSG Rheinland-Pfalz v. 6.8.2002 – L 1 AL 127/01; Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 25. 6 SG Aachen v. 26.1.2007 – S 8 AL 11/06. 7 Stück, MDR 2007, 1355 (1356); Curkovic in NK-DGB III, § 144 Rz. 25. 8 So ausdrücklich BSG v. 25.4.1991 – 11 RAr 99/90, NZA 1992, 95; v. 3.6.2004 – B 11 AL 70/03, NZA-RR 2005, 52; ebenso Bauer, VIII.75; Niesel/Niesel, § 144 SGB III, Rz. 42.
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Sperrzeitfälle
Rz. 137 Teil 13
a) Die Beweisaufnahme sollte in wesentlichen Punkten durchgeführt werden. Nur so ist gesichert, dass ein vertragswidriges Verhalten nicht vorlag. Sofern sie den Tatsachen nicht widersprechen, können vorbereitende Schriftsätze und Protokollerklärungen Klarstellungen bringen. Es ist auf jeden Fall zu empfehlen, im Vergleich oder zumindest im Sitzungsprotokoll die Tatsachen aufzunehmen, von denen die Vergleichsschließenden ausgehen.
134
Nun mag zwar eingewandt werden, dass derartige Erklärungen keine Bindungswirkung gegenüber der Bundesagentur für Arbeit erzeugen. Gleichwohl können sie in vielen Fällen, soweit sie einleuchtend und schlüssig erscheinen, eine Überprüfung entbehrlich erscheinen lassen oder eine solche in gewissem Umfang auch gestalten. Soweit nämlich die Wertung von Verhalten in Rede steht, besteht häufig eine gewisse Bandbreite, an deren Grenzen sich die Parteien durchaus verständigen können, zumal sie die konkrete Situation und das jeweils Übliche und/oder Gebotene oft sehr viel besser einschätzen können als ein außenstehender Dritter.
135
b) Darüber hinaus ist es zwingend erforderlich darzustellen, aus welchen nachweisbaren Gründen das Arbeitsverhältnis nunmehr aufgelöst wird. Andernfalls ist der Prozessvergleich als einvernehmliche Auflösung anzusehen mit der Folge, dass aus diesem Grunde eine Sperrzeit ausgelöst wird. Die Umwandlung einer verhaltensbedingten Kündigung in eine personen- oder betriebsbedingte Kündigung im Rahmen eines Vergleiches vermeidet eine Sperrzeit regelmäßig nur dann, wenn die Gründe hierfür deutlich gemacht werden, rechtlich überzeugen und nachweisbar sind. Allein die in der Praxis häufig anzutreffende Formulierung „die gegenüber dem Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe werden nicht weiter aufrecht erhalten“ in einem Prozessvergleich bei gleichzeitiger „Umwandlung“ einer verhaltensbedingten in eine betriebsbedingte Kündigung dürfte vor allem dann nicht ausreichend sein, wenn zuvor in den wechselseitigen Schriftsätzen ausnahmslos über verhaltensbedingte Gründe vorgetragen und repliziert wird.
136
Nach der Rechtsprechung des BSG soll eine Sperrzeit auch dann verhängt werden, wenn der Arbeitslose durch ein vertragswidriges Verhalten Anlass zur Kündigung des Arbeitgebers gegeben hat, die Kündigung aber aus anderen, formellen Gründen (z.B. wegen fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) unwirksam ist.1 In dieser Allgemeinheit kann der Ansicht des BSG nicht gefolgt werden. Wird eine verhaltensbedingte Kündigung vom Arbeitsgericht beispielsweise deshalb für sozial ungerechtfertigt erachtet, weil eine fehlende und vergebliche Abmahnung nach der neueren Rechtsprechung des 2. Senats des BAG2 zuvor nicht ausgesprochen worden ist, so hat der Arbeitnehmer jedenfalls die Arbeitslosigkeit zumindest nicht grob fahrlässig herbei geführt.3
137
1 BSG v. 29.3.2004 – B 11 AL 220/03 B; v. 25.3.1987 – 7 RAr 95/85, DBlR § 119 AFG Nr. 3272; Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 30. 2 BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, NZA 1997, 1281 (1283 f.). 3 Zutreffend Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 451, 54; Bauer, VIII.78; Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 144 Rz. 86.
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Teil 13 Rz. 138
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
138
Der Tatbestand des § 144 SGB III – und insoweit ist der Rechtsprechung des BSG zu folgen – wird allerdings nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber die Kündigung nicht formgerecht erklärt hat. Denn auch in diesem Fall hat der Arbeitnehmer durch sein vertragswidriges Verhalten Anlass zum Ausspruch der Kündigung gegeben, die letztlich wirksam wurde. Unerheblich ist daher etwa auch ein Verstoß gegen gesetzliche Kündigungsverbote (§ 9 MuSchG, § 85 SGB IX, § 15 KSchG, § 18 BEEG, § 5 PflegeZG), wegen nicht eingeholter erforderlicher Zustimmungen (Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen), nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG, Verstoßes gegen Formvorschriften (vgl. etwa §§ 623, 626 Abs. 2 Satz 1 BGB).1
139
Rechtfertigt vertragswidriges Verhalten des Arbeitslosen eine ordentliche, nicht aber die vom Arbeitgeber erklärte außerordentliche fristlose Kündigung, so kann eine Sperrzeit nicht vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist eintreten.2 Beispiel:
140
Der Arbeitgeber spricht am 22.2.2010 eine außerordentliche fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.9.2010 aus. Urteilt das Arbeitsgericht rechtskräftig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen Kündigung mit Ablauf des 30.9.2010 endet, so kann die Sperrzeit erst ab 1.10.2010 einsetzen.
141
Soweit der Arbeitgeber aus mehreren Gründen, also etwa personen- und verhaltensbedingt, gekündigt hat, so tritt eine Sperrzeit nur ein, wenn die Kündigung zwar insgesamt rechtswirksam war, ohne den Vertragsverstoß aber nicht gerechtfertigt gewesen wäre.3
142
Steht fest, dass der Arbeitnehmer ohne das vertragswidrige Verhalten, auf das die Kündigung gestützt wurde, ohnehin zum gleichen Zeitpunkt, z.B. aus betrieblichen Gründen, entlassen worden wäre, so tritt ebenfalls eine Sperrzeit ein. 5. Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz
143
Eine Sperrzeit kann auch dann eintreten, wenn das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Regelungen einen besonderen Kündigungsschutz genießt, unter Verletzung dieser Schutzvorschriften vorzeitig beendet wird und der Arbeitnehmer sich – ausdrücklich oder konkludent – damit einverstanden erklärt hat. Verzichtet etwa der tariflich ordentlich unkündbare Arbeitnehmer im Falle einer – ordentlichen – Kündigung durch den Arbeitgeber unter Gewährung einer finanziellen Vergünstigung auf die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage, so kann darin nach Auffassung des BSG4 im Einzelfall eine sperrzeitbegründende Aufhebungsvereinbarung zu se1 BSG v. 25.3.1987 – 7 RAr 95/85, DBlR § 119 AFG Nr. 3272; vgl. dazu Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 443, 44. 2 BSG v. 25.4.1990 – 7 RAr 106/89. NZA 1990, 791. 3 LSG Hessen v. 24.4.1980 – L 1 Ar 1497/78. 4 BSG v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95, BB 1996, 1510.
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Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 148 Teil 13
hen sein. Gleiches gilt, wenn die Kündigung unter Verstoß gegen gesetzliche Kündigungsverbote (etwa § 9 MuSchG, § 15 KSchG, § 18 BEEG, § 5 PflegeZG) zustande gekommen ist und der Arbeitnehmer dies gebilligt hat. Der Verstoß gegen Kündigungsschutzvorschriften allein stellt dagegen noch keinen Grund für den Eintritt einer Sperrzeit dar.1 Ohne Bedeutung für den Ruhenstatbestand des § 144 Abs. 1 SGB III ist es daher auch, wenn die Kündigung eines Arbeitnehmers die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens voraussetzt (z.B. die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB XI im Falle der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers) und dieses vom Arbeitgeber nicht berücksichtigt worden ist.
144
III. Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1. Allgemeines Auch bei Vorliegen einer (mit-)verursachten Arbeitslosigkeit tritt eine Sperrzeit nicht ein, wenn der Arbeitnehmer für sein versicherungswidriges Verhalten einen „wichtigen Grund“ i.S.d. § 144 Abs. 1 SGB III vorbringen kann.
145
Ein „wichtiger Grund“ ist nach Auffassung des BSG immer dann gegeben, wenn Umstände vorliegen, unter denen nach verständiger Abwägung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar war.2
146
Erforderlich ist demnach eine auf die Umstände des Einzelfalles eingehende Abwägung zwischen anerkennenswerten Interessen des Arbeitnehmers und den Belangen der Sozialversicherung. Dabei sind insbesondere die in § 121 SGB III für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Beschäftigung niedergelegten Kriterien zu berücksichtigen.3 Der Arbeitnehmer hat beispielsweise nicht hinzunehmen, dass der Arbeitgeber gegen gesetzliche, tarifliche oder mittels Betriebsvereinbarung festgelegte Arbeitsschutzbestimmungen oder Bestimmungen über Arbeitsbedingungen verstößt (§ 121 Abs. 2 SGB III). Auch eine Arbeitsleistung, zu der er personenbedingt (etwa aufgrund gesundheitlicher oder altersbedingter Beschwerden) nicht in der Lage ist, ist dem Arbeitnehmer nicht zumutbar (§ 121 Abs. 1 SGB III).
147
Zu beachten ist, dass der „wichtige Grund“ zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses objektiv vorliegen muss.4 Irrelevant ist es daher, ob der Arbeitnehmer den wichtigen Grund gekannt und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf diesen gestützt hat.5 Umgekehrt kann sich der Arbeitnehmer
148
1 Hauck/Noftz/Valgolio, SGB III, Stand 2008, § 144 Rz. 75. 2 So die st. Rspr. des BSG, z.B. BSG v. 13.8.1986 – 7 RAr 1/86, NZA 1987, 180; vgl. auch BT-Drucks. zu V/4110 S. 20 f. 3 Henkes/Baur/Kopp/Polduwe, Handbuch Arbeitsförderung, „Sperrzeit“ Anm. 4b). 4 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, AP Nr. 9 zu § 119 AFG; v. 25.4.2002 – B 11 AL 100/01, ArbuR 2002, 239; v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06, DB 2008, 1048; Stück, MDR 2007, 1355 (1358); ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 27; a.A. Preis/Schrader, FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht (2005), 1300 (1313). 5 BSG v. 28.6.1991 – 11 RAr 81/90, NZA 1992, 285 (287).
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Teil 13 Rz. 149
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
nicht darauf berufen, dass er irrtümlicherweise einen tatsächlich nicht gegebenen wichtigen Grund angenommen bzw. fälschlich einen Umstand als wichtig eingestuft hat.1 149
Der „wichtige Grund“ muss nicht nur die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, sondern auch erkennen lassen, weshalb eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerade zu dem vom Arbeitnehmer gewählten – und nicht etwa zu einem späteren – Zeitpunkt notwendig war.2
150
Soweit der Arbeitnehmer Kenntnis vom Vorliegen eines wichtigen Grundes hat, ist er zunächst verpflichtet, alle ihm zumutbaren Schritte zu unternehmen, um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und seine Arbeitslosigkeit zu verhindern.3
151
Auf einen wichtigen Grund kann sich daher nicht berufen, wer zugunsten der Erziehung seines Kindes eine Vollzeitbeschäftigung gänzlich aufgegeben hat, obwohl auch eine Teilzeitbeschäftigung möglich gewesen wäre, oder wer bei Störungen durch andere Arbeitnehmer (z.B. Rauchbelästigung) den Arbeitgeber nicht vor Ausspruch einer Eigenkündigung um Abhilfe gebeten hat. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer wegen eines im Zusammenhang mit einer Eheschließung geplanten Wohnortwechsels die Kündigung erklärt hat, ohne sich darum bemüht zu haben, eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst zum geplanten Heirats- und Umzugstermins zu erreichen.4
152
Liegt ein „wichtiger Grund“ nicht vor, so ist ggf. zu prüfen, ob aufgrund besonderer Härte für den Arbeitnehmer eine Herabsetzung der Sperrzeit von 12 auf 6 Wochen (§ 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b SGB III) oder bei Verursachung geringfügiger Arbeitslosigkeit von zwölf auf sechs bzw. drei Wochen (§ 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2a SGB III) möglich ist. 2. Anerkannte „wichtige Gründe“
153
„Wichtige Gründe“, die dem Eintritt einer Sperrzeit entgegenstehen, sind zum einen im arbeitsrechtlichen, zum anderen im persönlichen Bereich denkbar. a) Arbeitsrechtliche Gründe
154
„Wichtige Gründe“ für die (Mit-)Verursachung der Arbeitslosigkeit können unter anderem arbeitsrechtlich begründet sein. So ist ein „wichtiger Grund“ immer dann anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die den Arbeitnehmer berechtigen würden, das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB fristlos zu kündigen5, etwa bei groben Vertragsverletzungen durch den Arbeitgeber, bei 1 BSG v. 29.11.1989 – 7 RAr 86/88, NZA 1990, 628 (631); v. 13.3.1997 – 11 RAr 25/96, NZS 1997, 583 (586). 2 BSG v. 12.11.1981 – 7 RAr 21/81, SozR 4100 § 119 Nr. 17; Stück, MDR 2007, 1355 (1358). 3 BSG v. 26.3.1998 – B 11 AL 49/97 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 14; ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 27; Stück, MDR 2007, 1355 (1358). 4 BSG v. 29.11.1988 – 11/7 RAr 91/87, NJW 1989, 1628 (1629). 5 BSG v. 17.7.1964 – 7 RAr 4/64, SozR Nr. 3 zu § 80 AVAVG; ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 28; Hauck/Noftz/Valgolio, SGB III, Stand 2008, § 144 Rz. 120.
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Laber
Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 157 Teil 13
Lohnrückständen oder bei untertariflicher Vergütung des Arbeitnehmers.1 Aber auch Tatsachen, die eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würden, können einen „wichtigen Grund“ im o.g. Sinne darstellen, sofern sie dem Arbeitnehmer eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. § 144 Abs. 1 SGB III geht damit über den in § 626 Abs. 1 BGB normierten Begriff des „wichtigen Grundes“ hinaus.2 Der Eintritt einer Sperrzeit kann durch vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers (z.B. Nichteinhaltung von Sicherheitsvorschriften) ausgeschlossen sein.3 So kommt z.B. ein wichtiger Grund für die Aufgabe der Beschäftigung in Betracht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht wirksam vor den Gefahren des Tabakrauchs schützt und somit gegen § 5 ArbStättV verstößt.4 Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitgeber sich weigert, ein Rauchverbot im Betrieb zu erlassen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitnehmer vor der Kündigung beim Arbeitgeber vergeblich gegen die Belästigungen durch den Tabakrauch interveniert hat. Ebenso darf keine Sperrzeit verhängt werden, wenn ein Fernfahrer kündigt, weil der Arbeitgeber wiederholt die Nichteinhaltung der Lenkzeitregelungen gefordert hat.5
155
Auch das Verhalten von Arbeitskollegen kommt als „wichtiger Grund“ in Betracht, wenn beispielsweise der Arbeitnehmer durch Mobbing zur Aufgabe seiner Beschäftigung bewegt werden soll und ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter diesen Umständen nicht zumutbar ist.6 Berechtigte und angemessene Kritik ist vom Arbeitnehmer indes zu akzeptieren. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es daher, wenn der Arbeitnehmer gegenüber der Agentur für Arbeit substantiiert die einzelnen Mobbinghandlungen sowie deren Folgen darlegt.7 Auch eine Arbeitsaufgabe aufgrund von Benachteiligungen nach § 3 AGG dürfte einen „wichtigen Grund“ i.S.d. § 144 SGB III darstellen, da diese nach § 7 Abs. 3 AGG ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers darstellen.8 Sexuelle Belästigungen vom Arbeitgeber sind ebenfalls ein wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe wie sexuelle Belästigungen von Arbeitskollegen, wenn der Arbeitgeber diese nicht unterbindet.9
156
Ein „wichtiger Grund“ kann ferner anzunehmen sein, wenn ein Facharbeiter nur noch unterqualifiziert beschäftigt werden kann und ihm dies unter Berück-
157
1 Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 127. 2 ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 28; Küttner/Voelzke, „Sperrzeit“ Rz. 27; Niesel/Niesel, SGB III, § 144 SGB Rz. 127. 3 Beachte aber BSG v. 6.2.2003 – B 7 AL 72/01 R, ArbRB 2003, 67. 4 So bereits LSG Hessen v. 11.10.2006 – L 6 AL 24/05, NJW 2007, 1837 vor der Änderung des § 5 ArbStättV; vgl. auch Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 155. 5 SG Osnabrück v. 12.3.1979 – S 5 Ar 175/78; Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 149. 6 BSG v. 21.10.2003 – B 7 AL 92/02 R, NZS 2004, 382; ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 32. 7 Stück, MDR 2007, 1355 (1358 f.); Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (497); Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 153. 8 Cornelius/Lipinksi, BB 2007, 496 (497 f.). 9 Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 164.
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Teil 13 Rz. 158
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
sichtigung seines Alters und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit nicht zugemutet werden kann.1 158
Ist der Arbeitgeber aufgrund einer krisenhaften Situation des Betriebes kurzfristig zu einem drastischen Personalabbau gezwungen und scheidet ein älterer Arbeitnehmer gegen Abfindung aus dem Betrieb aus, um jüngere Arbeitskollegen vor der Entlassung zu bewahren, kann ebenfalls ein „wichtiger Grund“ vorliegen.2 Nach der Rspr. des BSG3 setzt eine solche Krisensituation jedoch voraus, dass innerhalb eines Jahres mindestens ein Viertel der Belegschaft entlassen wird und der örtliche Arbeitsmarkt die Arbeitslosigkeit nicht auffangen kann. Dagegen soll die Absicht eines jüngeren Arbeitnehmers, durch seine Arbeitsaufgabe dem Arbeitgeber zu ermöglichen, einen älteren Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen oder wieder einzustellen, keinen wichtigen Grund darstellen, da es nicht Aufgabe eines einzelnen Arbeitnehmers sei, Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.4
158a
Des Weiteren soll nunmehr nach der neu gefassten DA ein wichtiger Grund für die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses vorliegen, wenn die Insolvenz des Arbeitgebers eingetreten ist.5 Ob dies voraussetzt, dass ein wirksamer Eröffnungsantrag vorliegt oder gar das Insolvenzverfahren eröffnet ist, ist fraglich. Ausreichend dürfte es sein, dass der Arbeitgeber die Löhne nicht mehr zahlen kann. Ein Insolvenzantrag muss also noch nicht gestellt sein. Denn der Arbeitnehmer darf bei ausbleibendem Arbeitsentgelt das Beschäftigungsverhältnis lösen. Er ist nicht verpflichtet, zunächst selbst einen Insolvenzantrag zu stellen.6 Wurde ein Eröffnungsantrag gestellt oder ist das Insolvenzverfahren sogar bereits eröffnet, kann bei einer Eigenkündigung oder einem Aufhebungsvertrag ebenfalls keine Sperrzeit mehr verhängt werden.
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Die drohende Kündigung durch den Arbeitgeber stellt i.d.R. keinen „wichtigen Grund“ für eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers bzw. eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses dar. Denn es ist dem Arbeitnehmer zuzumuten, die Kündigung des Arbeitgebers abzuwarten.7 Etwas anderes kann sich nach der Rechtsprechung des BSG nur unter folgenden kumulativ vorliegenden Voraussetzungen ergeben:8 – Die Kündigung ist durch den Arbeitgeber eindeutig in Aussicht gestellt worden, ohne dass der Arbeitnehmer hierzu durch sein Verhalten einen Anlass gegeben hat. 1 BSG v. 13.8.1986 – 7 RAr 1/86, NZA 1987, 180; LSG Niedersachsen v. 6.8.2001 – L 8 AL 469/00; Stück, MDR 2007, 1355 (1359). 2 BSG v. 17.2.1981 – 7 RAr 90/97, SozR 4100 § 119 Nr. 14; v. 25.4.1990 – 7 RAr 84/88, SozSich 1991, 94. 3 BSG v. 29.11.1989 – 7 RAr 86/88, NZA 1990, 628. 4 BSG v. 15.6.1988 – 7 RAr 3/87, BehR 1990, 86. 5 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.87; vgl. dazu Pohlmann-Weide/Ahrendt, ZIP 2008, 589. 6 Pohlmann-Weide/Ahrend, ZIP 2008, 589 (590). 7 ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 33. 8 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359 = NJW 2006, 3514; siehe hierzu auch die Dienstanweisung der BA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.105.
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Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 159c Teil 13
– Die in Aussicht gestellte Kündigung wäre zu demselben Zeitpunkt wirksam geworden, wie das Beschäftigungsverhältnis durch die Eigenkündigung oder den Aufhebungsvertrag geendet hätte. – Die Kündigung wäre arbeitsrechtlich im Hinblick auf die soziale Rechtfertigung und den Beendigungszeitpunkt rechtmäßig gewesen. – Dem Arbeitnehmer war es nicht zumutbar, die Kündigung durch den Arbeitgeber hinzunehmen. Eine Kündigung muss ein Arbeitnehmer insbesondere in folgenden Fällen nicht hinnehmen: – Der Arbeitnehmer vermeidet durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags objektive Nachteile für sein berufliches Fortkommen, weil etwa in das Zeugnis nunmehr das einvernehmliche Ausscheiden anstatt einer Kündigung mit evtl. Rechtsstreit als Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgenommen werden kann. – Durch einen Aufhebungsvertrag kann sich der Arbeitnehmer eine Abfindung sichern, wobei deren Höhe unerheblich ist.1 – Durch einen Aufhebungsvertrag erhält der Arbeitnehmer andere Vorteile wie eine spätere Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Outplacementleistungen, bezahlte Freistellungen usw.2 Das Interesse am Erhalt einer Abfindung kann allerdings für sich allein einen wichtigen Grund nicht rechtfertigen, schließt ihn auf der anderen Seite auch nicht aus.3
" Praxistipp: Aufgrund der Rechtsprechung des BSG sollte in einem Auf-
159a
Wird bei einer einvernehmlichen Auflösung durch Aufhebungsvertrag oder aufgrund eines Abwicklungsvertrags vom Arbeitgeber eine Abfindung gezahlt, sind die Durchführungsanweisungen der BA sowie die neuere Rechtsprechung des BSG zur Abfindungshöhe zu beachten. Vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 112 ff.
159b
Zumindest bei leitenden Angestellten i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG kann auch die Sicherung der in einem Aufhebungsvertrag zugesicherten Abfindung einen wichtigen Grund darstellen, wenn dem leitenden Angestellten ohne Abschluss des Aufhebungsvertrags die fristgerechte Kündigung und für den Fall ihrer Sozialwidrigkeit die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG droht. In diesen Fällen kann der Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnis-
159c
hebungsvertrag die Formulierung enthalten sein, dass der Arbeitsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer sonst erfolgenden arbeitgeberseitig veranlassten und zum selben (oder sogar früheren) Zeitpunkt wirksamen und arbeitsrechtlich zulässigen ordentlichen Kündigung unter Angabe des Kündigungsgrundes (z.B. Betriebsstilllegung) in beiderseitigem Einvernehmen beendet wird.
1 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359 = NJW 2006, 3514. 2 Stück, MDR 2007, 1355 (1360). 3 BSG v. 17.10.2007 – B 11a AL 51/06 R, DB 2008, 1048.
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Teil 13 Rz. 160
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
ses nicht wirksam verhindern, so dass das Interesse an der Sicherung einer Abfindung als schützenswert anzusehen ist.1 160
Die Beendigung eines Ausbildungsverhältnisses durch den Arbeitnehmer stellt jedenfalls dann einen die Sperrzeit ausschließenden „wichtigen Grund“ dar, wenn die Ausbildungsinhalte nicht der vom Arbeitnehmer angestrebten beruflichen Weiterbildung entsprechen, die Ausbildung nicht fachgerecht erfolgt oder der Arbeitnehmer für die Ausbildungsstelle ungeeignet ist. Dem Auszubildenden muss schon im Hinblick auf das in Art. 12 GG verankerte Grundrecht auf freie Berufswahl der Abbruch einer für ihn nicht passenden Ausbildung ermöglicht werden, ohne dass er deshalb Nachteile in Form von Kürzungen beim Arbeitslosengeld zu befürchten hat.2 b) Persönliche Gründe
161
Auch im persönlichen Bereich sind „wichtige Gründe“ für die arbeitnehmerseitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses denkbar.
162
Insbesondere gesundheitliche Gründe können einen „wichtigen Grund“ für den Arbeitnehmer abgeben, das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung bzw. einvernehmliche Auflösung zu beenden.3 Die Sperrzeit entfällt daher i.d.R., wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer dauerhaften Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen und deshalb das Arbeitsverhältnis gekündigt oder einem Aufhebungsvertrag zugestimmt hat.
163
" Praxistipp: Es reicht für die Annahme eines „wichtigen Grundes“ nicht
164
Gleiches gilt für sog. ausgesteuerte Arbeitnehmer, also langzeiterkrankte Arbeitnehmer, die nach Ablauf des Krankengeldbezuges Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen. Auch hier muss demnach eine weitere Arbeitsunfähigkeit von mindestens sechs Monaten nachgewiesen werden. Zu berücksichtigen ist in diesen Fällen zusätzlich, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nur dann in Betracht kommt, wenn weder Erwerbsunfähigkeit noch teilweise Erwerbsminderung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden sind (vgl. § 125 SGB III).
aus, wenn aufgrund von Erkrankungen des Arbeitnehmers in der Vergangenheit sowie aufgrund einer negativen Zukunftsprognose die nach der Rspr. des BAG erforderlichen Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte krankheitsbedingte Kündigung vorliegen. Nach der Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit muss der Arbeitnehmer vielmehr mittels ärztlicher Atteste belegen, dass er zumindest während der nächsten sechs Monate nicht in der Lage sein wird, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Voraussetzungen für die Annahme eines „wichtigen Grundes“ gehen damit über die für eine krankheitsbedingte Kündigung erforderliche negative Gesundheitsprognose hinaus.
1 BSG v. 17.11.2005 – 11a/11AL 69/04, BSGE 95, 232. 2 BSG v. 13.3.1990 – 11 RAr 69/88, SozR 3-4100 § 199 Nr. 2. 3 BSG v. 21.10.2003 – B 7 AL 92/02 R, SozR 4-4300 § 144 Nr. 4.
1170
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Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 167a Teil 13
Scheidet der dauerhaft arbeitsunfähige Arbeitnehmer auf eigene Veranlassung hin ohne Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis aus, liegt nach zutreffender Ansicht1 ebenfalls ein „wichtiger Grund“ vor. Denn es wäre unsinnig, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen, wenn der Arbeitnehmer ohnehin zu der geschuldeten Arbeitsleistung dauerhaft nicht mehr in der Lage ist und dementsprechend auch keinen Vergütungsanspruch mehr begründen kann.
165
Ein Wohnortwechsel aus persönlichen Gründen kann ebenfalls die Aufgabe des bisherigen Arbeitsplatzes erfordern, wenn die Entfernung zum Arbeitsplatz und die damit verbundenen Pendelzeiten unverhältnismäßig lang sind. Die Beurteilung der Frage, welche täglichen Pendelzeiten der Arbeitnehmer insofern noch hinzunehmen hat, richtet sich dabei nach den Maßstäben des analog heranzuziehenden § 121 Abs. 4 SGB III.
166
Insbesondere der Wohnortwechsel und die damit verbundene Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses wegen Zuzugs zum Ehepartner stellen i.d.R. einen Sperrzeit verhindernden „wichtigen Grund“ dar, wenn ein Arbeitsloser seine bisherige Arbeitsstelle nicht von der gemeinsamen Wohnung aus zumutbar erreichen kann.2 Dies gilt auch für den Zuzug zum Partner, wenn zwar die Ehe noch nicht geschlossen ist, die Heirat aber bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen soll und erfolgt.3 Beim Zuzug zum Verlobten besteht für die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses ein „wichtiger Grund“ i.S. des Ausschlusses einer Sperrzeit grds. nur, wenn die Aufgabe zum gewählten Zeitpunkt notwendig war, um ab dem beabsichtigten Heiratstermin die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen.4
167
Allerdings liegt ein wichtiger Grund für die Auflösung eines Beschäftigungsverhältnisses auch dann vor, wenn ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz aufgibt, um zum zukünftigen Ehepartner zu ziehen, wenn die Eheschließung in absehbarer Zeit beabsichtigt ist und der Umzug zum Wohl seines Kindes auf den Schuljahreswechsel vorgezogen wird.5 In diesen Fällen geht das Kindeswohl dem Interesse der Versichertengemeinschaft vor.
167a
In den Fällen der Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses wegen Wohnortwechsels, um zum (zukünftigen) Ehepartner zu ziehen, dürfen auch keine zu hohen Anforderungen an die rechtzeitigen Bemühungen um einen Anschlussarbeitsplatz gestellt werden. Das bedeutet, dass sich der Arbeitnehmer zwar mit Ausspruch der Kündigung bzw. Abschluss des Aufhebungsvertrags beim Arbeitsamt als arbeitssuchend melden, jedoch keine umfassenden Eigenbemühungen tätigen muss.6
1 BSG v. 21.10.2003 – B 7 AL 92/02 R, NZS 2004, 382; Stück, MDR 2007, 1355 (1358). 2 BSG v. 27.5.2003 – B 7 AL 4/02 R, SozR 4-4300 § 144 Nr. 3; v. 20.4.1977 – 7 RAr 112/75, SozR 4100 § 119 Nr. 2. 3 BSG v. 27.5.2003 – B 7 AL 4/02 R, SozR 4-4300 § 144 Nr. 3. 4 BSG v. 29.11.1988 – 11/7 RAr 91/87, NZA 1989, 616. 5 BSG v. 17.11.2005 – B 11a/11 AL 49/04 R, Breith 2006, 510. 6 Vgl. BSG v. 26.3.1998 – B 11 AL 49/97 R, NZS 1988, 537; v. 17.11.2005 – B 11a/11 AL 49/04 R, Breith 2006, 510.
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Teil 13 Rz. 168
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
168
Die Herstellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft hat das BSG früher als „wichtigen Grund“ abgelehnt mit der Begründung, dass für diese Partnerschaften kein der Ehe entsprechender verfassungsrechtlicher Schutz (Art. 6 GG) bestehe.1 Anderes sollte nur gelten, wenn die Heirat kurz bevorstand oder der Zuzug im Interesse gemeinsamer Kinder unumgänglich war.2 Inzwischen erkennt das BSG grundsätzlich einen „wichtigen Grund“ auch für den Fall an, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft besteht und der Umzug in den Ort der gemeinsamen Wohnung und die damit zusammenhängende Aufgabe der Beschäftigung dazu dient, ein engeres Zusammenleben mit dem Lebenspartner zu ermöglichen.3 Voraussetzung für die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft war nach Ansicht des BSG zunächst, dass die Lebensgemeinschaft bereits seit mindestens drei Jahren bestanden hat und damit ihre Ernsthaftigkeit und Kontinuität zum Ausdruck gekommen ist.4 Diese zeitliche Grenze wurde zwischenzeitlich dahingehend modifiziert, als nach den Umständen des Einzelfalles auch eine geringere Dauer als ausreichend angesehen werden kann.5 Die erstmalige Herstellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist allerdings weiterhin grundsätzlich nicht als wichtiger Grund anzusehen.6 Allerdings bildet nach neuer Rechtsprechung des BSG die erstmalige Herstellung einer ernsthaften und auf Dauer angelegten Erziehungsgemeinschaft durch Zuzug mit dem minderjährigen Kind zum nichtehelichen Partner unabhängig davon, ob es sich bei dem Partner um ein leibliches Elternteil handelt, einen wichtigen Grund, wenn Gründe des Kindeswohls dies erfordern. Das ist insbesondere der Fall, wenn durch den Zuzug eine Verbesserung der Unterbringung, Verpflegung oder Betreuung des Kindes gewährleistet ist.7 Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird also – unabhängig davon, ob es sich um ein gemeinsames Kind handelt – für den Fall der Erziehungsgemeinschaft einer ehelichen Lebensgemeinschaft gleichgestellt.
168a
Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn eine eheähnliche Gemeinschaft fortgesetzt wird. Unter einer eheähnlichen Gemeinschaft ist eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einer Frau und einem Mann zu verstehen, die so eng ist, dass sie von den Partnern ein gegenseitiges Einstehen im Bedarfsfall erwarten lässt. Dies soll nach der aktuellen Weisungslage der Bundesagentur8 dann der Fall sein, – – – –
wenn die Partner bereits mehr als ein Jahr zusammenleben oder mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben oder Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
1 2 3 4 5 6 7
Zuletzt BSG v. 27.9.1989 – 11 RAr 127/88, FamRZ 1990, 876. BSG v. 12.11.1981 – 7 RAr 21/81, SozR 4100 § 119 Nr. 17. BSG v. 29.4.1998 – B 7 AL 56/97 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 15. BSG v. 29.4.1998 – B 7 AL 56/97 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 15. BSG v. 17.10.2002 – B 7 AL 96/00 R, BSGE 90, 90. BSG v. 17.10.2002 – B 7 AL 96/00 R, BSGE 90, 90. BSG v. 17.10.2007 – B 11a/7a AL 52/06 R; ebenso jetzt auch Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 06/2008, 144.94a. 8 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.95.
1172
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Wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 169a Teil 13
Auch die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem am 1.7.2008 in Kraft getretenen Pflegezeitgesetz (§ 3 PflegeZG) löst keine Sperrzeit aus, obwohl der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis zumindest bei einer vollständigen Freistellung für die Dauer der Pflegezeit löst.1
168b
Löst der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aufgrund von Gewissenskonflikten, wird z.B. ein Kriegsdienstverweigerer unmittelbar mit der Herstellung oder Wartung von Waffen beschäftigt2, führt dies i.d.R. nicht zum Eintritt einer Sperrzeit. Gleiches gilt, wenn die Beschäftigung dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Religionszugehörigkeit nicht zumutbar ist, so etwa, wenn er entgegen den Glaubensregeln seiner Religionsgemeinschaft gezwungen wird, am Samstag zu arbeiten.3 Der weitgehende Versicherungsschutz des Arbeitslosen rechtfertigt sich hierbei unmittelbar aus der verfassungsrechtlich gewährleisteten Religions- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG). Etwas anderes gilt auch nicht, wenn der bei einem kirchlichen Arbeitgeber angestellte Arbeitnehmer aus der Kirche austritt, obwohl arbeitsvertraglich festgelegt ist, dass Arbeitnehmer, die aus der Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden können. Eine Aufgabe des Arbeitsplatzes zur Verwirklichung der negativen Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG wird regelmäßig durch einen wichtigen Grund i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III gerechtfertigt sein, da auch bei einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Klausel Raum für eine Gewissensentscheidung bestehen muss.4 Es ist nicht erforderlich, dass eine Güterabwägung dazu führt, dass das Interesse an der Verwirklichung einer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit schwerer wiegt als die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung.
169
Der Wechsel eines Arbeitnehmers von einem unbefristeten in ein befristetes Arbeitsverhältnis mit anschließender Arbeitslosigkeit kann durch einen wichtigen Grund jedenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die unmittelbare Aufnahme der befristeten Beschäftigung mit einem Wechsel in ein anderes Berufsfeld verbunden ist und dadurch zusätzliche Fertigkeiten und Erfahrungen erlangt werden, die zu besseren beruflichen Einsatzmöglichkeiten führen.5 Beispiele sind etwa Erfahrungen und Sprachkenntnisse durch einen Auslandsaufenthalt oder neue Qualifikationen. Auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder ein höheres Gehalt stellen einen wichtigen Grund dar, um aus einem unbefristeten in ein befristetes Arbeitsverhältnis zu wechseln.6
169a
1 2 3 4
Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.100a. BSG v. 18.2.1987 – 7 RAr 72/85, SozR 4100 § 119 Nr. 30. BSG v. 10.12.1980 – 7 RAr 93/79, NJW 1981, 1526. SG Mainz v. 24.3.2004 – S 13 AL 545/03 (rkr.): In der Berufungsinstanz bejahte das LSG Rheinland-Pfalz (LSG Rheinland-Pfalz v. 30.3.2006 – L 1 AL 162/05, NZA-RR 2006, 386), die Rechtmäßigkeit der Sperrzeit. Nach Hinweisen des BSG in der mündlichen Verhandlung vom 29.5.2008 im anschließenden Revisionsverfahren (B 11a AL 63/06 R) nahm die Bundesagentur ihre Berufung zurück, so dass das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig wurde. Vgl. auch Seifert, AuR 2006, 450. 5 BSG v. 12.7.2006 – B 11a AL 55/05 R, NZA 2006, 1362 = NJW 2006, 3517. 6 BSG v. 12.7.2006 – B 11a 73/05 R, AP Nr. 9 zu § 144 SGB III; v. 12.7.2006 – B 11a 57/05 R; Niesel/Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 144 Rz. 139.
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Teil 13 Rz. 169b
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
169b
" Praxistipp: Je länger die Befristung des sich anschließenden Arbeitsverhält-
170
" Praxistipp: Als „wichtige Gründe“ i.S.v. § 144 SGB III kommen allgemein
nisses ist, desto eher dürfte ein wichtiger Grund im Sinne des § 144 SGB III vorliegen. in Betracht:
– vom Arbeitnehmer erwartete oder verlangte Arbeit gegen gesetzliche Bestimmungen (z.B. Arbeitsschutzvorschriften), bindende Tarifverträge oder die guten Sitten – Sittenwidrige Entlohnung1 – Insolvenz des Arbeitgebers – Nachweisbare gesundheitliche Beeinträchtigungen (z.B. Schlafstörungen, Depressionen) – Mobbing oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz2 – Zerstörung des Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch ungerechtfertigte verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitgebers – Arbeit ist dem Arbeitnehmer nach seinem Leistungsvermögen nicht zumutbar – Erforderlichkeit einer doppelten Haushaltsführung, wenn dadurch der Unterhalt, Versorgung oder Pflege von Angehörigen nicht gesichert ist – Beeinträchtigung der Religions- und Gewissensfreiheit – Begründung, Aufrechterhaltung, Wiederherstellung einer ehelichen oder eheähnlichen Gemeinschaft, eingetragenen Lebenspartnerschaft, Erziehungsgemeinschaft – Eintritt in eine BQG/Transfergesellschaft (§ 216a ff. SGB III) – (unter bestimmten Voraussetzungen) Aufgabe einer unbefristeten zugunsten einer befristeten Beschäftigung – drohende Arbeitgeberkündigung 171
Keine „wichtigen Gründe“ i.S.v. § 144 SGB III sind: – Zuzug zur Herstellung einer erst kurze Zeit bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft – Eigenkündigung eines älteren Arbeitnehmers, um nach einjähriger Arbeitslosigkeit Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch zu nehmen – Vermittlung des Arbeitslosen in ein Leiharbeitsverhältnis. 3. Beweislast
172
Ein ständiges Problem im Rahmen des § 144 SGB III ist die Frage der Beweislastverteilung. Bis zum 31.12.2002 waren die in § 144 Abs. 1 SGB III niedergelegten 1 Vgl. SG Fulda v. 17.3.2004 – S 1 AL 77/03. Nach der wohl herrschenden Rechtsprechung kann dies bei einer Entlohnung von mindestens 30 % unter dem maßgeblichen Tariflohn oder der ortsüblichen Bezahlung angenommen werden; vgl. nur BAG v. 23.5.2001 – 5 AZR 527/99, EzA § 138 BGB Nr. 29. 2 Stück, MDR 2007, 1355 (1358).
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Dauer der Sperrzeit
Rz. 176 Teil 13
Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit von der Bundesagentur für Arbeit darzulegen und ggf. zu beweisen, auch das als negatives Tatbestandsmerkmal formulierte Fehlen eines „wichtigen Grundes“. Der Bundesagentur für Arbeit oblag daher neben dem Nachweis, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitslosigkeit (mit-)verursacht hat, auch der Nachweis, dass kein die Sperrzeit ausschließender „wichtiger Grund“ für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegt.1 Nur ausnahmsweise sollte der Arbeitnehmer die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes tragen, wenn nämlich die diesbezüglichen Tatsachen aus seiner Sphäre stammten und diese für die Bundesagentur für Arbeit nicht feststellbar waren, etwa, weil sich der Arbeitnehmer erst nachträglich darauf berief.
173
Mit Wirkung zum 1.1.2003 ist durch die „Hartz-Gesetzgebung“ die Beweislast für den wichtigen Grund bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses in § 144 Abs. 1 Satz 4 SGB III drastisch zu Lasten des Arbeitnehmers verändert worden: Er hat nunmehr die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgeblichen Tatsachen darzulegen und auch nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen. Begründet wird diese Änderung mit der Rechtsprechung des BSG, wonach der Arbeitslose in derartigen Fällen die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen eines wichtigen Grundes habe, wenn er sich auf Umstände aus seinem persönlichen Bereich berufe; diese könne er leichter nachweisen als die Agentur für Arbeit. Gleiches gelte, soweit er sich nachträglich auf Gründe stütze, für deren Prüfung und Klärung die Agentur für Arbeit mangels zeitnaher Angaben des Arbeitslosen zunächst keinen Anlass gesehen habe.2
174
IV. Dauer der Sperrzeit 1. Beginn Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit, § 144 Abs. 2 Satz 1, 1. und 2. Alt. SGB III.
175
Sie tritt kraft Gesetzes ein und läuft kalendermäßig ab, und zwar unabhängig davon, ob der Versicherte überhaupt einen Anspruch auf Leistungen der Agentur für Arbeit hat und ob ein entsprechender Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt worden ist.3 Auch das Vorliegen weiterer Ruhenstatbestände, etwa des § 143 SGB III, hat auf den Ablauf der Sperrzeit i.d.R. keinen Einfluss.4
176
1 BSG v. 17.10.2002 – B 7 AL 92/01 R, info also 2003, 77; v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, AP Nr. 9 zu § 119 AFG; v. 25.4.2002 – B 11 AL 100/01, ArbuR 2002, 239; v. 26.11.1992 – 7 RAr 38/92, SozR 3-4100 § 119 Nr. 7. 2 BSG v. 26.11.1992 – 7 Rar 38/92, SozR 3-4100 § 119 Nr. 7. 3 BSG v. 5.8.1999 – B 7 AL 14/99 R, DB 1999, 1961. 4 Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 143.
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Teil 13 Rz. 177
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
177
" Praxistipp: Zu berücksichtigen ist, dass bei Sperrzeiten i.S.d. § 144 Abs. 1
177a
Auswirkungen hat dies insbesondere in Fällen der Freistellung: Wird ein Arbeitnehmer nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder einer Eigenkündigung unwiderruflich freigestellt, liegt während der Zeit der Freistellung trotz bestehenden Arbeitsverhältnisses Beschäftigungslosigkeit vor. Eine mögliche Sperrzeit beginnt in diesem Fall nicht erst mit Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern bereits mit Beginn der Freistellung.2
Nr. 1 SGB III (Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer oder vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers) das für den Sperrzeitbeginn maßgebliche Ereignis nicht bereits in der entsprechenden Kündigungserklärung oder in dem Aufhebungsvertrag zu sehen ist. Vielmehr kommt es auf die durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses herbeigeführte Beschäftigungslosigkeit an. Beschäftigungslosigkeit bedeutet, dass die weiteren Merkmale der Arbeitslosigkeit als Leistungsvoraussetzung für das Arbeitslosengeld, Verfügbarkeit und Beschäftigungssuche, nicht erforderlich sind. Beschäftigungslosigkeit ist mithin auch unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts gegeben. Sie liegt bereits bei tatsächlicher Nichtbeschäftigung vor.1 Somit kann eine Sperrzeit auch dann beginnen, wenn kein Arbeitslosengeld bezogen worden wäre.
Beispiel: Soweit die Freistellungszeit mindestens 12 Wochen beträgt, wirkt sich die parallel laufende Sperrzeit für den Arbeitnehmer nicht nachteilig aus. Es verbleibt indes der Nachteil der Kürzung der Gesamtbezugsdauer (§ 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III), den der Arbeitnehmer zu befürchten hat.
177b
" Praxistipp: Bei Freistellungen im Rahmen von Aufhebungsvereinbarungen
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Problematisch kann es werden, wenn nicht abschließend geklärt ist, ob und wann das Arbeitsverhältnis endet. So kann sich im Laufe eines Kündigungs-
sollte nicht nur die Möglichkeit einer Sperrzeit, sondern auch deren tatsächlicher Beginn berücksichtigt werden. Ggf. ist eine Sperrzeit bereits vor Ablauf der Freistellung abgelaufen.3 Zu beachten ist indes, dass nach der DA zu § 144 nunmehr im Falle einer Vorverlegung der Beschäftigungslosigkeit durch eine einseitige Freistellung, die Sperrzeit nicht mit dem ersten Tag der Freistellung, sondern mit dem Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses beginnen soll.4 Des Weiteren führt eine Sperrzeit immer zu einer Kürzung der Anspruchsdauer nach § 128 SGB III. Eine Sperrzeit von zwölf Wochen führt zu einer Minderung um mindestens 1/4 der Anspruchsdauer. Bei einer Bezugsdauer von 24 Monaten kann dies zu einer Minderung von mindestens sechs Monaten führen. Ausführlich zu den sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer Freistellung siehe Rz. 293 ff.
1 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, BSGE 89, 243; Voelzke, FS Küttner (2006), 345 (351); vgl. auch DA zu § 144, Stand 09/2009, 144.121. 2 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, BSGE 89, 243. 3 Vgl. Felser, AiB 2006, 74 (78). 4 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144, Stand 09/2009, 144.121.
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Dauer der Sperrzeit
Rz. 181 Teil 13
schutzprozesses herausstellen, dass das vertragswidrige Verhalten eines Arbeitnehmers nicht die vom Arbeitgeber zunächst ausgesprochene außerordentliche fristlose, sondern nur eine ordentliche fristgemäße Kündigung rechtfertigt. Dadurch können sich im Nachhinein das Ende des Arbeitsverhältnisses und damit auch die Sperrzeit verschieben, die erst nach Ablauf der für die konkrete Kündigung maßgeblichen Frist zu laufen beginnt.1 Die Agenturen für Arbeit haben daher zunächst nur eine vorläufige Entscheidung über Entstehen und Beginn der Sperrzeit zu treffen, die später ggf. – dem Ergebnis des Kündigungsschutzprozesses entsprechend – von Amts wegen zu korrigieren ist. Nicht in Betracht kommt eine nachträgliche Korrektur des Beginns der Sperrzeit aber in den Fällen, in denen das Ende des Beschäftigungsverhältnisses lediglich durch einen der tatsächlichen Sach- und Rechtslage widersprechenden Prozessvergleich auf einen späteren Zeitpunkt festgelegt wurde. Dies folgt daraus, dass die einmal vorliegenden Voraussetzungen für eine Sperrzeit nicht durch bloße Vereinbarung einfach rückwirkend entfallen können.
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Fällt der Beginn einer Sperrzeit in eine bereits laufende Sperrzeit, so verschiebt sich ihr Beginn auf den Tag nach dem Ende der vorangegangenen Sperrzeit (§ 144 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGB III). Diese Regelung ist in erster Linie als Sanktionsinstrument für die Fälle gedacht, in denen der Arbeitnehmer innerhalb einer bestehenden Sperrzeit Arbeitsangebote der Agenturen für Arbeit ausschlägt. Werden mehrere Sperrzeiten durch dasselbe Ereignis begründet, folgen sie in der Reihenfolge des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 7 SGB III einander nach. Diese Regelung, die durch das Fünfte SGB-III-Änderungsgesetz vom 22.12.2005 eingeführt wurde, kann z.B. zum Tragen kommen, wenn neben einem eine Sperrzeit auslösenden Aufhebungsvertrag auch die Arbeitsuchendmeldung verspätet erfolgt.
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2. Umfang Die Dauer der Sperrzeit umfasst i.d.R. für alle in § 144 Abs. 1 SGB III genannten Tatbestände zwölf Wochen. Dies gilt nach der seit 1.1.2003 geltenden Fassung des § 144 Abs. 3 SGB III jedoch nicht schrankenlos. Vielmehr ist die Sperrzeitenregelung differenzierter ausgestaltet als in der Vergangenheit. Das starre „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, d.h. keine oder eine zwölfwöchige Sperrzeit anzuordnen, ist gewichen zugunsten gefächerter, nach verschiedenen Tatbeständen geordneter Sperrzeiten. Diese reichen nach der seit 1.1.2005 geltenden Rechtslage von einer Woche bei Meldeversäumnissen oder verspäteter Arbeitslosmeldung (§ 144 Abs. 6 SGB III) über zwei Wochen bei unzureichenden Eigenbemühungen (§ 144 Abs. 5 SGB III), drei Wochen bzw. sechs Wochen in den Fällen des § 144 Abs. 4 SGB III bis hin zu zwölf Wochen (§ 144 Abs. 3 SGB III). An dieser Stelle hat der Gesetzgeber erkennbar die Rechtsprechung des BSG2 zum Verhältnismäßigkeitsprinzip berücksichtigt.
1 BSG v. 25.4.1990 – 7 RAr 106/89, NZA 1990, 791. 2 BSG v. 9.2.1995 – 7 RAr 34/94, NZA-RR 1996, 69.
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Teil 13 Rz. 182
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
182
Die bisherige Grundregel von zwölf Wochen wurde beibehalten (§ 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Diese Sperrzeit ist auf drei Wochen zu verkürzen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Wochen nach dem sperrzeitbegründenden Ereignis ohne Sperrzeit geendet hätte (§ 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB III).1 Auf sechs Wochen wird die Sperrzeit verkürzt, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwölf nach dem sperrzeitbegründenden Ereignis ohne Sperrzeit geendet hätte oder – wie bislang schon – die Verhängung einer zwölfwöchigen Sperrzeit eine besondere Härte für den Arbeitslosen bedeuten würde (§ 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB III). Dafür kommt vor allem ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers unterhalb der Schwelle des „wichtigen Grundes“ oder aber ein entschuldbarer Irrtum über das Vorliegen eines wichtigen Grundes in Betracht.2
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Die Frage, ob ein Härtefall vorliegt, der im konkreten Einzelfall die Verhängung der Regelsperrzeit als objektiv unverhältnismäßig erscheinen lässt, hat die Agentur für Arbeit von Amts wegen zu prüfen. Dabei ist zu beachten, dass ihm bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „besondere Härte“ kein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, seine Entscheidung also voll gerichtlich überprüfbar ist.3 Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Härtefall vorliegt, sind gemäß § 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b) SGB III nur die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Umstände zu berücksichtigen, während außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegende Umstände, z.B. finanzielle oder soziale Auswirkungen die Sperrzeit für den Arbeitnehmer, i.d.R. keine Rolle spielen. So kann eine besondere Härte nicht damit begründet werden, dass der Arbeitslose außer dem Arbeitslosengeld keine weitere Einnahmequelle hat; denn das ist der Regelfall.4
184
Anderes gilt, wenn die finanziellen Umstände maßgeblich für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses waren, wenn also beispielsweise der Arbeitnehmer wegen zu niedrigen Einkommens die Kündigung ausgesprochen hat. Auch Tatsachen, die erst nach dem für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Ereignis eintreten, etwa die Beendigung der vom Arbeitnehmer verursachten Arbeitslosigkeit durch Annahme einer neuen Arbeitsstelle, können grundsätzlich bei der Beurteilung der besonderen Härte nicht berücksichtigt werden. Gleichwohl deutet sich insoweit eine Lockerung an, als der 11. Senat des BSG seit der Jahrtausendwende die Auffassung vertritt, dass zu prüfen sei, ob die Regelsperrzeit von 12 Wochen nicht unverhältnismäßig sei. Insoweit sind – zumindest ausnahmsweise – auch die Folgen einer Sperrzeit zu berücksichtigen.5
185
Die Halbierung der Sperrzeit nach § 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b) SGB III kommt etwa bei Irrtümern des Arbeitnehmers aufgrund falscher oder unzureichender 1 Eine weitere Verkürzung der Sperrzeit ist nach BSG v. 5.2.2004 – B 11 AL 31/03 R, ArbRB 2004, 66 nicht möglich (Ablehnung einer Verkürzung der Sperrzeit auf die Dauer der durch die vorzeitige Lösung des Arbeitsverhältnisses verursachten längeren Arbeitslosigkeit). 2 BSG v. 13.3.1997 – 11 RAr 25/96, NZS 1997, 583 (586). 3 BSG v. 22.3.1979 – 7 RAr 23/78, BSGE 48, 109 (114); Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 159. 4 BSG v. 19.6.1979 – RAr 43/78. 5 BSG v. 10.8.2000 – B 11 AL 115/99 R, DBIR 4639a, AFG/§ 119.
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Dauer der Sperrzeit
Rz. 190 Teil 13
Auskünfte in Betracht, insbesondere, wenn der Arbeitnehmer die Voraussetzungen eines „wichtigen Grundes“ objektiv falsch beurteilt, z.B. seinen Gesundheitszustand nicht richtig einschätzt, oder wenn er einem Irrtum über die mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Rechtsfolgen unterliegt. Voraussetzung ist jedoch, dass der Irrtum unverschuldet, d.h. für den Arbeitnehmer unvermeidbar war. Dies soll nach Ansicht des BSG nur dann der Fall sein, wenn der Irrtum durch konkrete Auskünfte einer hiermit vertrauten Stelle zustande gekommen oder verstärkt worden ist.1 Als kompetente Stelle in diesem Sinne kommt insbesondere die Agentur für Arbeit in Betracht. Aber auch auf die Auskunft eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers soll der Arbeitnehmer sich im Einzelfall verlassen dürfen.2 Verlässt sich der Arbeitnehmer hingegen auf eigenes Wissen, handelt er auf eigene Gefahr. Auch private Falschauskünfte, z.B. die auf einer anwaltlichen Beratung beruhenden, begründen i.d.R. keinen Härtefall.3 Eine besondere Härte wird ferner angenommen, wenn der Arbeitgeber verhaltensbedingt kündigt, obwohl der Arbeitnehmer sich nur geringfügige Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen, auf die auch mit einer Abmahnung ausreichend hätte reagiert werden können.4
186
Wer das Arbeitsverhältnis wegen Zuzugs zu seinem Verlobten aufgibt und kurz danach heiratet, kann sich ebenfalls auf eine Verkürzung der Sperrzeit berufen, sofern die Regelsperrzeit in die Zeit der Ehe hineinreichen würde.5
187
Besonders großzügig wird die Härteregelung ausgelegt, wenn das die Arbeitslosigkeit verursachende Verhalten auf einer Gewissensentscheidung des Arbeitnehmers beruht.6 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung von Religions- und Gewissensfreiheit in Art. 4 GG gebietet es, auch in den Fällen, in denen der Gewissenskonflikt ausnahmsweise keinen die Sperrzeit ausschließenden „wichtigen Grund“ darstellt, in verstärktem Maße Feststellung und Umfang der Sperrzeit zu überdenken. Gleiches muss für Entscheidungen des Arbeitnehmers gelten, die seine Berufswahl betreffen (Art. 12 GG), denn beide Grundrechte besitzen die gleiche verfassungsrechtliche Wertigkeit.
188
Grundsätzlich unerheblich für die Beurteilung einer besonderen Härte ist die Dauer der Arbeitslosigkeit. Diese lässt sich i.d.R. erst bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit feststellen. Der Umfang der Sperrzeit muss aber bereits zum Zeitpunkt des die Sperrzeit begründenden Ereignisses feststehen, da andernfalls erhebliche Rechtsunsicherheiten auftreten würden.7
189
Einstweilen frei.
190
1 2 3 4 5 6 7
BSG v. 13.3.1997 – 11 RAr 25/96, NZS 1997, 583 (586). SG Berlin v. 7.4.1993 – S 53 Ar 2268/92. Niesel/Niesel, § 144 SGB III Rz. 164; Curkovic in NK-SGB III, § 144 Rz. 172. BSG v. 21.7.1988 – 7 RAr 41/86, SozR 4100 § 119 Nr. 32. BSG v. 29.11.1988 – 11/7 RAr 91/87, NJW 1989, 1628 (1630). BSG v. 23.6.1982 – 7 RAr 89/81, SozR 4100 § 119 Nr. 19. BSG v. 15.11.1995 – 7 RAr 32/95, SozR 3-4100 § 119a Nr. 3.
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Teil 13 Rz. 191
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
V. Rechtsfolgen der Sperrzeit 191
Liegt ein Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 SGB III vor und greift kein „wichtiger Grund“ ein, beginnt mit dem Tag, der der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgt, von Gesetzes wegen die – ggf. verkürzte – Sperrzeit.
192
Während der Dauer der i.d.R. zwölfwöchigen Sperrzeit ruht nach § 144 Abs. 1 SGB III der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld, d.h., der Arbeitnehmer erhält für diesen Zeitraum keine entsprechenden Leistungen der Agentur für Arbeit.
193
Da der Leistungsausschluss i.d.R. zeitlich begrenzt ist, kann nach Ablauf der Sperrzeit der Restanspruch auf Arbeitslosengeld geltend gemacht werden. Das sog. Stammrecht des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld bleibt also bestehen.1
194
Als weitere Rechtsfolge bestimmt § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III eine der Dauer der Sperrzeit entsprechende Minderung der verbleibenden Ansprüche auf Arbeitslosengeld, im Fall einer ungekürzten Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens um ein Viertel der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld.
195
" Praxistipp: Die prozentuale Leistungskürzung wirkt sich umso gravieren-
196
Die Sperrzeit hat auch sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen:
der aus, je länger der erworbene Arbeitslosengeldanspruch ist. Im für den Arbeitnehmer schlimmsten Fall kann beim (derzeit) maximalen Arbeitslosengeldanspruch von 24 Monaten eines 58 Jahre alten Arbeitslosen somit eine Leistungskürzung um mindestens sechs Monate eintreten.
– Der Arbeitnehmer genießt während der Dauer der Sperrzeit i.d.R. keinen Rentenversicherungsschutz.2 Die Bundesagentur für Arbeit leistet für diesen Zeitraum keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, da mit dem Wegfall der Leistungspflicht während der Dauer der Sperrzeit auch ihre Beitragspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI entfällt. Auch eine Berücksichtigung der Sperrzeit als Anrechnungszeit i.S.d. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI kommt nicht in Betracht3, da dies voraussetzen würde, dass der Arbeitslose Leistungen der Agentur für Arbeit bezieht oder nur wegen seines zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezieht. Bei einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist aber beides nicht der Fall.4 Der Arbeitslose ist daher gezwungen, sich freiwillig zu versichern, wenn er einen lückenlosen Rentenversicherungsschutz erhalten will. – Auch der Krankenversicherungsschutz des Arbeitslosen in der gesetzlichen Krankenversicherung ist während der Sperrzeit eingeschränkt. Ein Versicherungsschutz besteht erst ab dem 2. Monat der Sperrzeit (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Zuvor kommt allenfalls ein sog. „Nachversicherungsschutz“ nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 SGB V in Betracht. Privat versicherte Arbeitnehmer müssen dementsprechend während dieses Zeitraums selbst für ihren Versicherungsschutz sorgen. 1 2 3 4
ErfK/Rolfs, § 144 SGB III Rz. 53. Tschöpe/Hiekel, Teil 7 A Rz. 63. Zutreffend BSG v. 24.3.1988 – 5/5b RJ 84/86, BB 1988, 1964. Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 144 Rz. 234.
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Vorbemerkung
Rz. 199 Teil 13
– Erkrankt der Arbeitnehmer während der Sperrzeit, erhält er kein Krankengeld. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange und soweit für die Dauer der Sperrzeit das Arbeitslosengeld ruht. – In der Pflegeversicherung sind gemäß § 20 Nr. 2 SGB XI die fünfte bis zwölfte Woche der Sperrzeit versichert, weil für diesen Zeitraum wie bei der Krankenversicherung die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit als bezogen gelten. Während der ersten vier Wochen der Sperrzeit besteht überhaupt kein Versicherungsschutz, da § 19 Abs. 2 SGB V nur einen nachgehenden Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse anordnet. Das SGB XI kennt dagegen keinen nachgehenden Versicherungsschutz, so dass insofern nur eine freiwillige Weiterversicherung möglich ist (§ 26 SGB XI).
D. Ruhen von Leistungen bei Entlassungsentschädigungen I. Vorbemerkung 1. Entstehungsgeschichte Wird das Arbeitsverhältnis vorzeitig, d.h. unter Missachtung der für den Arbeitgeber maßgeblichen Frist für eine ordentliche Kündigung, beendet, und erhält der Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) oder einen Anspruch hierauf, greift die Regelung des § 143a SGB III ein. Diese Vorschrift sieht vor, dass unter den zuvor genannten Voraussetzungen der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu dem Zeitpunkt ruht, an dem das Arbeitsverhältnis fristgemäß geendet hätte.
197
Grund für diese Regelung ist die Überlegung, dass Abfindungen, die bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem arbeitsrechtlich vorgesehenen Kündigungstermin geleistet werden, i.d.R. zumindest teilweise auch Arbeitsentgelt für die Zeit zwischen Beendigung und Ende der ordentlichen Kündigungsfrist enthalten, eine zusätzliche Zahlung von Arbeitslosengeld für diesen Zeitraum also nicht notwendig ist (Verhinderung eines Doppelbezuges von Leistungen). Das Gesetz stellt insofern eine Regelvermutung auf, deren Geltung unwiderleglich ist.1
198
§ 143a SGB III entspricht im Wesentlichen der alten Regelung des § 117 Abs. 2, 3 AFG, der für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung ebenfalls ein Ruhen des Anspruchs bestimmte. An seine Stelle trat mit Wirkung zum 1.4.1997 zunächst die Regelung des § 115a AFG, ab 1.1. 1998 die – ähnlich lautende – Regelung des § 140 SGB III, die – unter Berücksichtigung entsprechend festgelegter Freibeträge – statt eines Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld die Anrechnung der Entlassungsentschädigung auf die Hälfte des Arbeitslosengeldes vorsahen. Durch Einführung des § 143a
199
1 BSG v. 17.2.1981 – 7 RAr 94/71, SozR 4100 § 117 Nr. 5; BT-Drucks. 8/857 S. 9.
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Teil 13 Rz. 200
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
SGB III hat der Gesetzgeber nunmehr die vor dem 1.4.1997 gültige Gesetzeslage (Ruhen des Anspruchs statt Anrechnung der Entlassungsentschädigung) im Wesentlichen wiederhergestellt. 200
Einstweilen frei. 2. Voraussetzungen
201
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht nach § 143a Abs. 1 SGB III unter folgenden Voraussetzungen: – Der Arbeitnehmer muss vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sein (Nichteinhaltung einer der Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist), und – dem Arbeitnehmer wird eine Abfindung wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt.
202
Eine Ruhenszeit i.S.d. § 143a SGB III tritt nur dann ein, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, wenn also die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitsgebers entsprechenden Frist beenden. Diese Frist beginnt bei Kündigungen mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, bei Aufhebungsvereinbarungen mit dem Zeitpunkt der Vereinbarung zu laufen, § 143a Abs. 1 Satz 2 SGB III; ihre Dauer richtet sich nach den für den Arbeitgeber durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag festgelegten Fristen.
203
Für den Fall des Ausschlusses oder einer zeitlichen Begrenzung der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung sind die fiktiven Kündigungsfristen des § 143a Abs. 1 Satz 3, 4 SGB III zu beachten; weitere Bestimmungen zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalten § 143a Abs. 2 Nr. 2 SGB III (befristetes Arbeitsverhältnis) und § 143a Abs. 2 Nr. 3 SGB III (Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung).
204
" Praxistipp: Die Nichteinhaltung der ordentlichen bzw. fiktiven Kündi-
205
Wird das Arbeitsverhältnis aufgrund eines – einseitigen oder gemeinsamen – Irrtums der Arbeitsvertragsparteien über die Dauer der Kündigungsfrist vorzeitig beendet, schließt dies die Anwendung des § 143a SGB III nicht aus.1 Maßgeb-
gungsfristen ist Voraussetzung für die Anwendung des § 143a SGB III. Die Vorschrift greift daher nicht ein, wenn die Kündigungsfristen beachtet worden sind, und zwar selbst dann nicht, wenn dem Arbeitnehmer eine Entlassungsentschädigung gezahlt wurde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war oder nicht, aus welchem Grunde sie erfolgt ist oder wer die Kündigung bzw. Auflösung des Arbeitsverhältnisses initiiert hat. Solange das Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar gewesen ist und die Beendigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist erfolgt ist, kommt ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gemäß § 143a SGB III nicht in Betracht.
1 BSG v. 25.10.1989 – 7 RAr 108/88, SozR 4100 § 117 Nr. 26.
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Vorbemerkung
Rz. 209 Teil 13
lich sind insofern nur die tatsächlich vertraglich oder gesetzlich festgelegten Kündigungsfristen. Andernfalls wäre entsprechenden Schutzbehauptungen der Arbeitsvertragsparteien Tor und Tür geöffnet, da im Nachhinein kaum nachzuvollziehen ist, ob tatsächlich ein die Kündigungsfrist betreffender Irrtum vorgelegen hat oder nicht. Weitere Voraussetzung für das Eingreifen des § 143a SGB III ist das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Gewährung einer Entlassungsentschädigung („wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses“).1 Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer die Leistung ohne die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht oder zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt hätte beanspruchen können.2 Wird beispielsweise ein Arbeitsverhältnis bei Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitnehmers aufgelöst und dem Arbeitnehmer im Anschluss daran eine Betriebsrente gezahlt, auf die laut Betriebsvereinbarung erst ab dem 60. Lebensjahr ein Anspruch besteht, so sind die bis dahin erbrachten Rentenzahlungen kausal auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuführen und damit als Entlassungsentschädigungen zu betrachten.
206
An dem für das Eingreifen des § 143a SGB III erforderlichen Ursachenzusammenhang fehlt es hingegen bei Arbeitgeberleistungen, die der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses erworben hat und die lediglich zeitgleich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden. Als Beispiel hierfür sind insbesondere Entgeltzahlungen zu nennen, aber auch die Abfindung von Betriebsrenten, sofern bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ein Anspruch auf Auszahlung besteht. Der ausgezahlte Geldbetrag gilt nur dann als Entlassungsentschädigung i.S.d. § 143a SGB III, wenn ohne die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf ihn bestanden hätte.3
207
Nach Auffassung des BSG ist nicht erforderlich, dass die Abfindungszahlung auf der vorzeitigen Beendigung der Beschäftigung beruht. Eine Abfindung, die auch ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gezahlt worden wäre, kann daher trotz mangelnder Kausalität zwischen Vorzeitigkeit und Entlassungsentschädigung ebenfalls dazu führen, dass ein Ruhenstatbestand gemäß § 143a SGB III vorliegt.4
208
Die Vorschrift des § 143a SGB III verfolgt den Zweck, durch zeitliche Verlagerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach hinten einen Doppelbezug von Arbeitsentgelt und Arbeitslosengeld zu vermeiden.5 Sie beruht auf der Regelvermutung, dass Leistungen, die bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, i.d.R. zumindest in gewissem Umfang auch eine Entschädigung für entgangenen Verdienst des Arbeitnehmers darstellen und damit Ar-
209
1 BSG v. 3.3.1993 – 11 RAr 57/92, SozR 3-4100 § 117 Nr. 10. 2 Henkes/Baur/Kopp/Polduwe, Handbuch Arbeitsförderung „Entlassungsentschädigung“ Anm. 2. 3 BSG v. 22.4.1984 – 7 RAr 55/82, SozR 4100 § 118 Nr. 13. 4 BSG v. 21.9.1995 – 11 RAr 41/95, BSGE 76, 294; ebenso Niesel/Düe, § 143a SGB III Rz. 15. 5 BSG v. 14.2.1978 – 7 RAr 57/76, SozR 4100 § 117 Nr. 2 m.w.N.; Hauck/Noftz/Valgolio, SGB III, Stand 2008, § 143a Rz. 8.
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Teil 13 Rz. 210
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
beitsentgeltansprüche enthalten;1 und zwar selbst dann, wenn dem Arbeitslosen aufgrund dauernder Arbeitsunfähigkeit überhaupt kein Arbeitsentgelt zustehen konnte.2 Diese gesetzliche Wertung ist auch zu berücksichtigen, wenn bestimmt werden soll, welche Leistungen des Arbeitgebers als Entlassungsentschädigung anzusehen sind, die zu einem Ruhen des Anspruchs führen. 210
§ 143a SGB III erfasst dementsprechend grundsätzlich neben Abfindungen und Entschädigungen auch alle anderen Leistungen mit Entschädigungscharakter, die der Arbeitgeber bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Beendigung gezahlt hat.3 Ruhenswirksam können auch Leistungen Dritter sein, die diese für den Arbeitgeber erbringen, z.B. wenn die im Sozialplan vorgesehene Abfindung des Arbeitnehmers aus öffentlichen Zuwendungen stammt. Leistungen, die der Arbeitnehmer im Laufe seiner Beschäftigung selbst erworben hat, etwa Urlaubsabgeltungen oder Abfindungen von Betriebsrenten, auf die dem Arbeitnehmer ein Anspruch zusteht, sind dagegen bei der Berechnung der Entlassungsentschädigung nicht zu berücksichtigen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist in diesem Fall nicht ursächlich für die Entschädigungszahlung, da die Leistung ohnehin zu dem betreffenden Zeitpunkt fällig geworden wäre; sie erfolgt lediglich anlässlich des Beschäftigungsendes.4
211
" Praxistipp: Unter den Begriff der Entlassungsentschädigung fallen bei Berücksichtigung der o.g. Gesichtspunkte insbesondere die folgenden Leistungen:
– Fortzahlung des Arbeitsentgelts über das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus5, – Betriebsrenten, auf deren vorzeitige Auszahlung kein Anspruch bestand6, – Gewährung von Darlehen bzw. Übernahme von Darlehensrückzahlungen an Dritte durch den Arbeitgeber, sofern sich die Parteien darüber einig sind, dass der Arbeitnehmer sie nicht zurückzahlen muss7, – Schadensersatzzahlungen an den Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, z.B. nach § 628 Abs. 2 BGB, wenn der Arbeitgeber durch vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Arbeitnehmers veranlasst hat8, – Gewährung einer Abfindung aufgrund eines Sozialplans nach außerordentlicher Kündigung des Arbeitnehmers9,
1 2 3 4 5 6
BT-Drucks. 8/857 S. 9. BSG v. 20.1.2000 – B 7 AL 48/99 R, SozR 3-4100 § 117 Nr. 20. Niesel/Düe, § 143a SGB III Rz. 7 ff. m.w.N. Vgl. Johannsen, ZTR 1999, 241 (244). Gagel in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 143a Rz. 32. BSG v. 22.2.1984 – 7 RAr 55/82, SozR 3-4100 § 118 Nr. 13; v. 4.11.1999 – B 7 AL 72/98 R, SozR 3-4100 § 117 Nr. 19. 7 BSG v. 3.3.1993 – 11 RAr 57/92, SozR 3-4100 § 117 Nr. 10. 8 BSG v. 13.3.1990 – 11 RAr 69/89, NZA 1990, 829. 9 BSG v. 29.8.1991 – 7 RAr 130/90, SozR 3-4100 § 117 Nr. 6.
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Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III
Rz. 213 Teil 13
– Zahlung einer sozialplanmäßigen Abfindung aus Anlass einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG1, – Auszahlung von Treueprämien, Gewinnanteilen, Weihnachtsgeldern und ähnlicher durch Eigenleistung des Arbeitnehmers erdienter Leistungen, die für Zeiten nach Beschäftigungsende gewährt werden2, – vom Arbeitgeber zu leistende Abfindungszahlungen nach §§ 9, 10 KSchG bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitsgerichtliches Urteil.3 Nicht als Entlassungsentschädigung anzusehen sind dagegen die nachfolgend aufgeführten Sachverhalte:
212
– Zahlung rückständigen Arbeitslohns oder Abgeltung von nicht in Anspruch genommenem Urlaub (hier greift jedoch die Ruhensregelung des § 143 SGB III ein), – Abfindungen für eine erworbene Anwartschaft auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung, – Auszahlung von Treueprämien, Gewinnanteilen, Weihnachtsgeldern und ähnlichen Leistungen, die vor Beschäftigungsende entstanden sind, – Leistungen des Arbeitgebers, die erst nach dem Ende der Beschäftigung erworben werden, z.B. Karenzentschädigungen wegen eines Wettbewerbsverbots.4 Diese Leistungen werden nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt und sind insofern für die Berechnung der Entlassungsentschädigung unbeachtlich. – Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung oder zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, die der Arbeitgeber nach § 187a SGB VI zur Aufstockung des Rentenanspruchs des Arbeitslosen erbringt, um eine Rentenminderung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente zu vermeiden. Die Nichtanrechnung dieser Leistungen auf die Entlassungsentschädigung ist in § 143a Abs. 1 Satz 6 und 7 SGB III ausdrücklich vorgeschrieben. Voraussetzung für die Nichtberücksichtigung ist jedoch, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitslosen frühestens mit Vollendung des 55. Lebensjahres beendet wird und die Zahlungen unmittelbar für die Rentenversicherung oder die berufsständische Versorgungseinrichtung aufgewandt werden.
II. Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III 1. Kriterien § 143a SGB III enthält für die Bestimmung des Ruhenszeitraums fünf Begrenzungen: 1 BSG v. 9.2.2006 – B 7a AL 44/05 R, BSGE 96, 64; v. 24.5.2006 – B 11a AL 21/05, AuR 2006, 225 (Ls.). 2 Henkes/Baur/Kopp/Polduwe, Handbuch Arbeitsförderung „Entlassungsentschädigung“ Anm. 2a). 3 BSG v. 8.12.1987 – 7 RAr 48/86, NZA 1988, 443 (445 f.). 4 Gagel in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 143a Rz. 37.
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213
Teil 13 Rz. 214
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
– ordentliche (oder fingierte) Kündigungsfrist, § 143a Abs. 1 SGB III – Befristung des Arbeitsverhältnisses, § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III – Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung, § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III – Zeitraum, der sich nach § 143a Abs. 2 SGB III aus der Abfindung errechnet – Begrenzung des Ruhenszeitraums auf ein Jahr, § 143a Abs. 2 Satz 1 SGB III 214
" Praxistipp: Es empfiehlt sich zu prüfen, welche der genannten Fristen für
215
Der Ruhenszeitraum beginnt i.d.R. im Anschluss an das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses. Der (frühere) Zeitpunkt der Kündigung bzw. der Aufhebungsvereinbarung ist dagegen für den Beginn der Ruhensdauer unerheblich, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, der ruhen könnte.
den Arbeitnehmer die günstigste ist. Diese ist sodann für die Festlegung der Ruhenszeit relevant.
a) Zeitpunkt der regulären Beendigung des Arbeitsverhältnisses 216
217
Der Ruhenszeitraum beim Arbeitslosengeld richtet sich zunächst nach den in § 143a Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 SGB III aufgezählten Tatbeständen, die im Wesentlichen darauf abstellen, wann das Arbeitsverhältnis ohne die Zahlung der Abfindung geendet hätte. Die Tatbestände lassen sich in vier Fallgruppen unterteilen: – Der Arbeitnehmer ist ordentlich kündbar und das Arbeitsverhältnis wird ohne Einhaltung der für den Arbeitgeber geltenden Kündigungsfrist aufgelöst, dazu Rz. 218 ff. Für diese Fälle legt Abs. 1 Satz 1 ein Ruhen des Leistungsanspruchs bis zum Ablauf der arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist fest. – Die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung ist ausgeschlossen, zeitlich begrenzt oder nur gegen Abfindung möglich, dazu Rz. 223 ff. Die Dauer des Ruhenszeitraums bestimmt sich dann nach den fiktiven Kündigungsfristen des Abs. 1 Satz 3 und 4. – Das Arbeitsverhältnis ist befristet, dazu Rz. 245 ff. In diesem Fall hängt die Dauer des Ruhens vom Zeitpunkt des Auslaufens der Befristung ab, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2. – Dem Arbeitgeber stand das Recht zur fristlosen Kündigung zu, Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, dazu Rz. 249 ff. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht in diesem Fall nicht länger als bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber fristlos hätte kündigen können. aa) Ordentlich kündbarer Arbeitnehmer
218
Ist der Arbeitnehmer ordentlich kündbar und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung ohne Einhaltung der für den Arbeitgeber geltenden ordentlichen Kündigungsfrist aufgelöst worden, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Aus1186
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Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III
Rz. 225 Teil 13
spruch einer ordentlichen Kündigung geendet hätte, § 143a Abs. 1 Satz 1 SGB III. Diese Vorschrift erfasst zum einen die Fälle einer nicht fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch eine der beiden Arbeitsvertragsparteien.
219
" Praxistipp: Es ist zu beachten, dass auch der Arbeitnehmer die vom Arbeit-
220
Zum anderen gilt die Regelung für die einvernehmliche Auflösungsvereinbarung, durch die das Arbeitsverhältnis vor der vom Arbeitgeber zu beachtenden Kündigungsfrist beendet wird.
221
geber einzuhaltende ordentliche Kündigungsfrist zu berücksichtigen hat, um im Falle einer Abfindungszahlung eine Ruhenszeit zu vermeiden, und zwar selbst dann, wenn die von ihm einzuhaltende Frist im Einzelfall kürzer wäre.1 Das Privileg der verkürzten Arbeitnehmereigenkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB beschränkt sich mithin auf den Bereich des Arbeitsrechts und lässt sich nicht auf das Sozialrecht übertragen.
Schließlich findet nach Ansicht des BSG § 143a Abs. 1 Satz 1 SGB III auch Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis nach einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers durch arbeitsgerichtliches Urteil gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung aufgelöst wird, §§ 9, 10 KSchG.2 Als ordentliche Kündigungsfristen gelten auch besondere Kündigungsfristen, z.B. die in § 622 Abs. 3 BGB für die Kündigung in der Probezeit vorgesehene Zwei-Wochen-Frist oder die in § 113 Satz 2 InsO für die Kündigung im Insolvenzverfahren vorgeschriebene Drei-Monats-Frist.
222
bb) Fiktive Beendigungsfristen Für den Fall, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen oder begrenzt ist, sind für die Bestimmung der Ruhenszeit die fiktiven Kündigungsfristen des § 143a Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB III heranzuziehen.
223
Da eine Kündigung in diesen Fällen nur aus „wichtigem Grund“ möglich ist, wird bei einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitverhältnisses ohne „wichtigen Grund“ die Entlassungsentschädigung regelmäßig als Kompensation für das entgangene Arbeitsentgelt anzusehen sein, was das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während der vorgeschriebenen Zeiträume rechtfertigt.
224
Die fiktiven Beendigungsfristen kommen auch dann zum Tragen, wenn das Arbeitsverhältnis eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers unter Einhaltung der arbeitsrechtlich maßgeblichen längsten ordentlichen Kündigungsfristen aufgelöst wird. Derartige soziale Auslauffristen begründen keine der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechende Frist i.S.d. § 143a Abs. 1 Satz 1 SGB III. Das Arbeitsverhältnis gilt vielmehr immer dann als vorzeitig be-
225
1 BSG v. 21.9.1995 – 11 RAr 23/95, NZA-RR 1996, 311. 2 BSG v. 8.12.1987 – 7 RAr 48/86, NZA 1988, 443 (445 f.).
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Teil 13 Rz. 226
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
endet, wenn die allein maßgeblichen fiktiven Beendigungsfristen nicht eingehalten worden sind.1 (1) Zeitlich unbegrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung 226
Ist die Möglichkeit der arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen, ist für die Berechnung des Ruhenszeitraums eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten zugrunde zu legen (§ 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB III). Die Vorschrift verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG oder die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien.2 Ein dauerhafter Ausschluss liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer bis zum Ende seines Arbeitslebens, also regelmäßig bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, nicht mehr ohne wichtigen Grund gekündigt werden kann.
227
" Praxistipp: Von Bedeutung ist die Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
228
Ist die ordentliche Kündigung insoweit zwar zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen, wird sie aber in dem jeweiligen einschlägigen Tarifwerk unter bestimmten Voraussetzungen doch wieder möglich (etwa bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit, Vorliegen einer Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG, Zustimmung der Tarifparteien), so findet die fiktive Kündigungsfrist des § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB III keine Anwendung, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade aufgrund dieses besonderen Sachverhaltes erfolgt.3 Demnach wird die Anwendung der fiktiven Kündigungsfrist also nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass hypothetisch eine derartige Möglichkeit zur Kündigung bestanden hätte. Die Frage der Wiederherstellung der ordentlichen Kündbarkeit ist vielmehr konkret zu betrachten. Nur wenn der besondere Kündigungsschutz vor Ausspruch der Kündigung beseitigt wurde, besteht Sicherheit, dass die fiktive Kündigungsfrist keine Anwendung findet.4
229
Ist tarifvertraglich die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, besteht aber die Möglichkeit der Änderungskündigung, so gilt die 18-monatige fiktive Kündigungsfrist nicht, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ohne Vorbehalt gemäß § 2 Satz 1 KSchG ablehnt und im anschließenden Kündigungsschutzprozess unterlegen ist.
SGB III insbesondere im Rahmen der tariflichen Alterssicherung, etwa wenn tarifvertragliche Bestimmungen zugunsten älterer Arbeitnehmer vorsehen, dass bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze oder einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit nur noch die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht kommt.
1 2 3 4
BSG v. 12.12.1984 – 7 RAr 16/84, SozR 4100 § 117 Nr. 14. Vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg v. 26.7.2006 – L 3 AL 1308/05, NZS 2006, 609. Vgl. insoweit BSG v. 5.2.1998 – B 11 AL 65/97 R, SozR 3-4100 § 117 Nr. 15. Vgl. dazu Schneider, AuA 1999, 333.
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Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III
Rz. 236 Teil 13
(2) Zeitlich begrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung oder fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund Bei zeitlich begrenztem Ausschluss der ordentlichen Kündigung kommt die 18-Monats-Frist des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 nicht zum Tragen. Es gilt die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss maßgeblich gewesen wäre, d.h. die üblicherweise zu beachtende ordentliche Kündigungsfrist, § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 1. Halbs. SGB III.
230
Der vorübergehende Ausschluss der ordentlichen Kündigung kann sowohl auf (tarif-)vertraglichen als auch auf gesetzlichen Bestimmungen beruhen:
231
Zu nennen ist beispielsweise § 9 MuSchG, der für die Zeit während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung die ordentliche Kündigung verbietet. Ein zeitlich beschränktes Kündigungsverbot ergibt sich auch aus § 18 BEEG (Ausschluss der ordentlichen Kündigung während der Elternzeit und bis zu acht Wochen davor), § 15 KSchG (Unzulässigkeit der ordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds während seiner Amtszeit sowie ein Jahr danach) und seit dem 1.7.2008 § 5 PflegeZG1 (Ausschluss der Kündigung von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder der Pflegezeit).
232
Für die Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern gelten die Einschränkungen der §§ 85 ff. SGB IX, die eine Kündigung erst nach Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes erlauben.
233
In allen diesen Fällen ruht der Leistungsanspruch des Arbeitslosen für den der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Zeitraum, sofern das Arbeitsverhältnis trotz des Kündigungsverbots bzw. ohne Einhaltung des Kündigungsverfahrens gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst worden ist.
234
Die ordentliche Kündigungsfrist ist auch dann für die Berechnung der Ruhenszeit heranzuziehen, wenn bei einem auf Dauer ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ausnahmsweise die Voraussetzungen einer fristgebundenen Kündigung aus wichtigem Grund vorliegen, § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 2. Halbs. SGB III.
235
Mit der Einfügung dieser Vorschrift zum 1.1.1993 hat der Gesetzgeber auf einen entsprechenden Vorlagebeschluss des BSG an das BVerfG reagiert, in dem die Verfassungsmäßigkeit der bis dahin geltenden Regelung in Frage gestellt worden war.2 Das BSG hatte die ausnahmslos geltende fiktive arbeitsförderungsrechtliche Kündigungsfrist von 18 Monaten in den Fällen für verfassungswidrig gehalten, in denen dem unkündbaren Arbeitnehmer ausnahmsweise aus wichtigem Grund fristgebunden hätte gekündigt werden können.3 Diese Bedenken sind durch die jetzige Regelung weitgehend ausgeräumt, da für Fälle der fristgebundenen Kündigung aus wichtigem Grund nunmehr statt der 18-monatigen Frist die Fiktion der ordentlichen Kündigungsfrist gilt.
236
1 Vgl. hierzu Fröhlich, ArbRB 2008, 84 (86); Freihube/Sasse, DB 2008, 1320 (1322). 2 BSG v. 13.3.1990 – 11 RAr 107/89, NZA 1990, 917 (918 f.). 3 BSG v. 13.3.1990 – 11 RAr 107/89, NZA 1990, 917 (918 f.).
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Teil 13 Rz. 237
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
237
Die Vorschrift des § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 2. Halbs. SGB III ist insbesondere für den Fall der Betriebsstilllegung von Bedeutung. Diese stellt regelmäßig einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung eines ansonsten unkündbaren Arbeitnehmers dar, da bei fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber i.d.R. unzumutbar ist (Entgeltzahlung ohne entsprechende Gegenleistung).1
238
Kündigt der Arbeitgeber aufgrund der Betriebsstilllegung außerordentlich, muss er dennoch die – gesetzliche oder tarifliche – ordentliche Kündigungsfrist einhalten. Andernfalls würde sich der zugunsten des unkündbaren Arbeitnehmers vorgesehene Sonderkündigungsschutz ins Gegenteil verkehren, da diesem im Gegensatz zu einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden könnte.2 Es würde zu der – nicht gewollten – Folge kommen, dass der kündbare Arbeitnehmer besser behandelt würde als der unkündbare. Dementsprechend ist auch sozialrechtlich die fingierte Kündigungsfrist auf die Dauer der ordentlichen Kündigung zu beschränken. Bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist führt deshalb die Zahlung einer Entlassungsentschädigung zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während eines der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Zeitraums, § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 2. Halbs. SGB III. Die 18-monatige Frist des Abs. 1 Satz Nr. 1 ist insofern unbeachtlich. (3) Ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung
239
Für die Fälle, in denen die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers erst durch Zahlung einer Entlassungsentschädigung eröffnet wird, ordnet § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr an. Wird diese Kündigungsfrist nicht eingehalten, gilt das Arbeitsverhältnis als „vorzeitig“ aufgelöst mit der Folge, dass das Arbeitslosengeld bis zu dem Tag ruht, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der fingierten Frist geendet hätte.
240
Nach der früheren Rechtslage war als ordentliche Kündigung auch die Kündigung anzusehen, die erst in Verbindung mit der Zahlung von Abfindungen möglich wurde. Bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist trat dementsprechend trotz der Zahlung von Abfindungen kein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ein.3
241
Mit Einfügung des neuen, der Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III entsprechenden Satzes 4 in den damaligen § 117 Abs. 2 AFG durch das AFKG vom 22.12.1981 hat der Gesetzgeber nunmehr das über die ordentliche Kündigungsfrist hinausgehende Ruhen von Arbeitslosengeld wegen einer Abfindung auch auf Fälle dieser Art ausgedehnt. In der Gesetzesbegründung4 wird dazu ausgeführt, dass die Abfindung nicht nur als Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstandes, sondern zumindest teilweise auch als Entschädigung für entgan1 2 3 4
BSG v. 12.12.1984 – 7 RAr 16/84, SozR 4100, § 117 Nr. 14. BSG v. 12.12.1984 – 7 RAr 16/84, SozR 4100, § 117 Nr. 14. Vgl. BSG v. 21.5.1980 – 7 RAr 81/79, SozR 4100 § 117 Nr. 3. BT-Drucks 9/846, S. 44 zu Nr. 35.
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Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III
Rz. 244 Teil 13
gene Arbeitsentgeltansprüche diene. Bei einem starken Kündigungsschutz sei dieser Arbeitsentgeltanteil entsprechend größer einzuschätzen, was auch die längeren fingierten Kündigungsfristen rechtfertige. Mit der jetzigen Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III berücksichtigt der Gesetzgeber, dass der Kündigungsschutz der nur bei Abfindungszahlung ordentlich kündbaren Arbeitnehmer zwar geringer ist als bei den Arbeitnehmern, denen in keinem Fall ordentlich gekündigt werden kann, aber stärker ist als bei den Arbeitnehmern, denen auch ohne Zahlung einer Abfindung ordentlich gekündigt werden kann.1 Die fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr ist dementsprechend zwischen der 18-Monats-Frist des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und der arbeitsrechtlich vorgesehenen ordentlichen Kündigungsfrist angesiedelt. Von der Regelung des Abs. 1 Satz 4 sollen vor allem die Fälle erfasst werden, in denen dem Arbeitgeber tarifvertraglich die ordentliche Kündigung nur noch für den Fall des Bestehens eines Sozialplans vorbehalten ist und der Sozialplan für den betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung vorsieht.2 Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist, dass im konkreten Fall die aufgrund des Sozialplans eröffnete Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers nur bei Zahlung einer Abfindung bestand. Sieht dagegen der Tarifvertrag alternativ Möglichkeiten vor, auch ohne Abfindung ordentlich zu kündigen, kann u.U. die Geltung des Abs. 1 Satz 4 ausgeschlossen sein. Ein solcher Ausschluss kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber die alternative Kündigungsmöglichkeit auch im konkreten Falle ohne Abfindung realisieren kann.3 Handelt es sich lediglich um die abstrakte Möglichkeit einer abfindungsfreien ordentlichen Kündigung, steht dies der Anwendung des Abs. 1 Satz 4 nicht entgegen.4
242
Nach Ansicht des BSG5 ist die fingierte Kündigungsfrist von einem Jahr teleologisch auf die ordentliche Kündigungsfrist zu reduzieren, wenn bei – hypothetischer – Prüfung gleichzeitig die Voraussetzungen einer fristgebundenen Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen hätten. Dem ist zuzustimmen, da nicht einzusehen ist, dass der unter der Einschränkung der Abfindungszahlung ordentlich kündbare Arbeitnehmer hinsichtlich der Berücksichtigung des Arbeitsentgelts bei seinem Arbeitslosengeldanspruch schlechter steht als derjenige, bei dem die ordentliche Kündigung schlechthin ausgeschlossen ist und nur ausnahmsweise die Voraussetzungen der fristgebundenen außerordentlichen Kündigung vorliegen.
243
Insofern gilt wiederum die bereits zuvor erwähnte Vermutung, dass die Abfindung in umso höherem Maße Ersatz für ausgefallenes Arbeitsentgelt enthält, je
244
1 BT-Drucks 9/846, S. 44 zu Nr. 35. 2 Vgl. BSG v. 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R, BSG 87, 250; v. 5.2.1998 – B 11 AL 65/97 R, SozR 3-4100 § 117 Nr. 15; v. 9.2.2006 – B 7a AL 44/05 R, BSGE 96, 64. 3 BSG v. 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R, BSGE 87, 250; v. 9.2.2006 – B 7a AL 44/05 R, BSGE 96, 64. 4 BSG v. 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R, BSGE 87, 250; v. 5.2.1998 – B 11 AL 65/97 R, SozR 3-4100 § 117 Nr. 15. 5 BSG v. 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R, BSGE 87, 250; v. 9.2.2006 – B 7a AL 44/05 R; BSGE 96, 64.
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Teil 13 Rz. 245
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
höher der erreichte Kündigungsschutzstatus ist. Danach muss sich auch die Länge der fingierten Kündigungsfrist richten. cc) Befristete Arbeitsverhältnisse 245
Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis vorzeitig, d.h. vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Befristung beendet, und wird wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung gezahlt, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld entsprechend der Regelung des § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Befristung ausgelaufen wäre.
246
Das Auslaufen eines befristeten Arbeitsverhältnisses führt dagegen trotz Zahlung einer Abfindung nicht zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, da mit dem Ende der Befristung das Arbeitsverhältnis ohnehin geendet hätte und es damit an der notwendigen Kausalität zwischen Abfindungszahlung und Beendigung der Beschäftigung fehlt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Auslauf der Befristung ist insofern nicht anders zu behandeln als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Auslauf der ordentlichen Kündigungsfrist i.S.d. § 143a Abs. 1 Satz 1 SGB III.
247
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die rechtliche Zulässigkeit der Befristung, sofern der Arbeitnehmer die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Befristung hingenommen hat.1 Anderes gilt, wenn die Wirksamkeit oder das Ende der Befristung streitig waren und der Rechtsstreit vor dem ArbG durch einen Abfindungsvergleich beendet worden ist. Das SozG ist dann verpflichtet zu prüfen, wann das Arbeitsverhältnis ohne den Vergleich geendet hätte, wobei es auf die objektive Rechtslage abzustellen hat. Die Beweislast für die Unwirksamkeit der Befristung hat dabei i.d.R. die Bundesagentur für Arbeit zu tragen.
248
War dem Arbeitslosen die Möglichkeit eingeräumt, die Befristung durch rechtzeitige Erklärung zu verlängern – etwa aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder aufgrund der Vorschrift des § 78a BetrVG, die bei entsprechender Erklärung eines dem Betriebsrat oder einer vergleichbaren Interessenvertretung angehörenden Auszubildenden die Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses vorsieht – und hat er davon keinen Gebrauch gemacht, ist dies für ein etwaiges Ruhen des Leistungsanspruchs irrelevant. Zwar besteht in solchen Fällen die Gefahr, dass der Arbeitgeber durch Zahlung der Abfindung einen Verzicht des Arbeitnehmers auf sein Verlängerungsrecht erwirkt. Die abschließende Aufzählung der Ruhenstatbestände in § 143a SGB III verbietet jedoch eine Ausdehnung der Vorschrift auf derartige Sachverhalte.2 dd) Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung
249
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht nicht über den Tag hinaus, an dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung 1 Gagel in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 143a Rz. 81 ff. 2 Gagel in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 143a Rz. 78 ff.
1192
Laber
Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III
Rz. 256 Teil 13
einer Kündigungsfrist hätte kündigen können, § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III. Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass der Arbeitgeber, der trotz Vorliegens eines die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grundes bereit ist, dem Arbeitnehmer eine Abfindung zu zahlen, i.d.R. keine entgangenen Entgeltansprüche abgelten will.1 Denn solche hätten dem Arbeitnehmer bei einer fristlosen Kündigung gar nicht mehr zugestanden.
250
Unerheblich ist, ob der Arbeitgeber die fristlose Kündigung tatsächlich ausgesprochen hat. Auch die formellen Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung (z.B. die Zustimmung des Integrationsamtes bei der Kündigung eines Schwerbehinderten) müssen nicht erfüllt sein. Ausreichend ist, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses materiell-rechtlich ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliegt.
251
Tritt dagegen erst nach der vorzeitigen, mit Zahlung einer Abfindung verbundenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Grund für eine fristlose Kündigung auf, greift die Regelung des Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 nicht ein. Grund ist, dass zum Zeitpunkt der (vorzeitigen) Kündigung bzw. Aufhebungsvereinbarung dem Arbeitgeber noch nicht das Recht zur fristlosen Kündigung zustand, so dass davon auszugehen ist, dass in die Abfindungszahlung auch Entgeltansprüche wegen der vorzeitigen Beendigung der Beschäftigung eingerechnet sind. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht in diesen Fällen – wie üblich – bis zum Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist.
252
b) Maximaler Ruhenszeitraum Das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 SGB III auf maximal ein Jahr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begrenzt. Bedeutung hat diese Regelung vor allem für die Fälle, in denen die – ordentliche oder fingierte – Kündigungsfrist erst zwölf Monate nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses abläuft. Dabei ist zu beachten, dass die Kündigungsfrist bereits zum Zeitpunkt der Kündigung/Aufhebungsvereinbarung zu laufen beginnt, die Jahresfrist des § 143a Abs. 2 Satz 1 SGB III dagegen erst bei rechtlicher Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.
253
c) Höhe des anrechnungsfähigen Teils der Entlassungsentschädigung Die Dauer der Ruhenszeit wird weiterhin begrenzt durch die Höhe des anrechnungsfähigen Teils der Entlassungsentschädigung.
254
Als Entlassungsentschädigung gilt dabei der volle Bruttobetrag der ausgezahlten Entschädigung einschließlich etwaiger darauf entfallender Steuerzahlungen.
255
Welcher Teil der Entlassungsentschädigung anrechnungsfähig ist, ergibt sich aus den Vorschriften des § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3 SGB III.
256
1 BSG v. 17.2.1981 – 7 RAr 94/79, SozR 4100 § 117 Nr. 5.
Laber
1193
Teil 13 Rz. 257
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
257
Grundsätzlich gilt, dass der Ruhenszeitraum nicht über den Tag hinausgeht, bis zu dem der Arbeitslose bei Weiterzahlung des zuletzt kalendertäglich verdienten Bruttoarbeitsentgelts einen Betrag von 60% der ihm ausgezahlten Entlassungsentschädigung als Arbeitsentgelt verdient hätte, § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III.
258
Dieser Pauschalbetrag verringert sich jedoch je nach Höhe des Lebensalters und Länge der Betriebszugehörigkeit des ausgeschiedenen Arbeitnehmers. So vermindert sich der anrechnungsfähige Teil der Abfindung für je fünf Jahre der Beschäftigung in demselben Betrieb sowie für je fünf Lebensjahre nach Vollendung des 35. Lebensjahres um je 5%. Insgesamt sind jedoch mindestens 25% des Abfindungsbetrags in die Berechnung der Ruhenszeit einzubeziehen (§ 143a Abs. 2 Satz 3 SGB III).
259
Die Differenzierung der anzurechnenden Entlassungsentschädigung nach der unterschiedlichen sozialen Situation der verschiedenen Arbeitnehmer trägt dem Umstand Rechnung, dass die Abfindung nicht nur eine arbeitsentgeltähnliche Leistung beinhaltet, sondern zumindest teilweise auch eine Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes darstellt. Damit entspricht die Vorschrift des § 143a Abs. 2 Satz 3 SGB III einem im Jahre 1976 ergangenen Beschluss des BVerfG, in dem festgestellt wird, dass eine Entlassungsentschädigung neben dem Ausgleich für entgangenes Arbeitsentgelt in jedem Falle auch einen sozialen Anteil enthält.1
260
Aus der folgenden Tabelle ergibt sich, welcher Teil der Abfindung im Einzelnen bei der Berechnung der Ruhenszeit zu berücksichtigen ist. Lebensalter am Ende des Arbeitsverhältnisses Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit
261
unter 40 Jahre
ab 40 Jahre
ab 45 Jahre
ab 50 Jahre
ab 55 Jahre
ab 60 Jahre
weniger als 5 Jahre
60
55
50
45
40
35
5 und mehr Jahre
55
50
45
40
35
30
10 und mehr Jahre
50
45
40
35
30
25
15 und mehr Jahre
45
40
35
30
25
25
20 und mehr Jahre
40
35
30
25
25
25
25 und mehr Jahre
35
30
25
25
25
25
30 und mehr Jahre
–
25
25
25
25
25
35 und mehr Jahre
–
–
25
25
25
25
Für die Berechnung der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters ist auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen und nicht auf den Zeitpunkt der Kündigung/Aufhebungsvereinbarung, da es nach § 143a Abs. 2 Satz 3 SGB III auf die tatsächliche Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers ankommt.
1 BVerfG v. 12.5.1976 – 1 BvL 31/73, JuS 1977, 57 f.
1194
Laber
Bestimmung des Ruhenszeitraums gemäß § 143a SGB III
Rz. 267 Teil 13
Bei der Festlegung der Dauer der Betriebszugehörigkeit sind zudem alle Zeiten zu berücksichtigen, in denen der Arbeitnehmer im Betrieb oder Unternehmen desselben Arbeitnehmers beschäftigt war; verschiedene Beschäftigungszeiträume sind zusammenzurechnen.
262
Ist der anrechnungsfähige Teil der Entlassungsentschädigung nach den o.g. Kriterien ermittelt worden, muss weiterhin errechnet werden, in welchem Zeitraum der zuvor festgestellte Entschädigungsteilbetrag unter Zugrundelegung des letzten kalendertäglichen Bruttoarbeitsentgelts verdient worden wäre. Der so bestimmte Zeitraum entspricht der in § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Satz 3 SGB III vorgesehenen Ruhensdauer.
263
Das bisherige kalendermäßige Bruttoarbeitsentgelt (= Bemessungsentgelt) richtet sich dabei nach den am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträumen der letzten zwölf Monate, § 143a Abs. 2 Satz 4 SGB III. Diese müssen seit dem 1.1.2005 mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten; anderenfalls wird gemäß § 130 Abs. 3 SGB III der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert. Außer Betracht bleiben Arbeitsentgeltkürzungen, die infolge von Krankheit, Kurzarbeit, Arbeitsausfall oder Arbeitsversäumnis entstanden sind sowie einmalig gezahlte Arbeitsentgelte (§ 143a Abs. 2 Satz 5 SGB III). Sie werden so behandelt, als ob sie nicht erfolgt wären.
264
Aus den Arbeitsentgelten der so ermittelten Abrechnungszeiträume wird der kalendertägliche Durchschnitt errechnet, der für die Berechnung des Ruhenszeitraums maßgebend ist.
265
Beispielsfall: Das Arbeitsverhältnis eines 58-jährigen Arbeitnehmers wird nach 27 Jahren Betriebszugehörigkeit trotz tarifvertraglichen Ausschlusses der arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung aufgelöst. Das durchschnittliche Bruttoarbeitsgehalt des Arbeitnehmers während der letzten 12 Monate betrug 3 900 Euro. Als Entlassungsentschädigung erhält der Arbeitnehmer 52 000 Euro.
266
Nach der obigen Tabelle sind entsprechend dem Alter und der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers 25 % der Entlassungsentschädigung, also 13 000 Euro, für die Berechnung der Ruhenszeit zu berücksichtigen. Diesen Betrag hätte der Arbeitnehmer unter Zugrundelegung seiner durchschnittlichen kalendertäglichen Bruttovergütung (3 900 Euro : 30) in 100 Kalendertagen verdient, so dass sich eine entsprechend lange Ruhenszeit ergibt. Auch unter Berücksichtigung der zeitlichen Begrenzung des Ruhenszeitraums durch den Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich keine andere Beurteilung: Wegen des tarifvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung gilt gemäß § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten, die über die errechneten 100 Kalendertage hinausgeht.
267
Laber
1195
Teil 13 Rz. 268
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
III. Folgen des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld 268
Das Ruhen des Anspruchs führt gemäß § 143a SGB III zu einer Hinausschiebung des Beginns der Arbeitslosengeldzahlungen bzw. Arbeitslosenhilfezahlungen für eine bestimmte Zeit (Ruhenszeit). Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wird dadurch freilich nicht verkürzt; das Stammrecht bleibt – anders als bei der Sperrzeit nach § 144 SGB III (vgl. § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III) – unberührt. Faktisch wirkt sich das Ruhen allerdings wie eine Kürzung des Arbeitslosengeldanspruches aus, wenn der Arbeitslose vor Ausschöpfung des vollen Arbeitslosengeldanspruchs wieder dauerhaft eine neue Beschäftigung findet.
269
Während des Ruhenszeitraums steht dem Arbeitslosen kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu. Die Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wird durch das Ruhen nicht gehindert. Er entsteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 118 SGB III, und zwar unabhängig davon, ob eine Ruhenszeit besteht oder nicht.1
270
" Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Agentur für Arbeit für die Dauer des
271
In der Rentenversicherung gilt die Ruhenszeit als Anrechnungszeit i.S.v. § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI, da – anders als im Falle der Sperrzeit – bei einem Ruhen des Anspruchs wegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung das Arbeitslosengeld nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens (hier: der Abfindung) des Berechtigten nicht bezogen wird (vgl. den Gesetzeswortlaut des § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB IV).
Ruhenszeitraums keine Renten- und Krankenversicherungsbeiträge abführt. Der Arbeitslose genießt daher während der Ruhenszeit keinen Kranken- und Pflegeversicherungsschutz, sofern er nicht ausnahmsweise von der Nachversicherung des § 19 Abs. 2 SGB V profitiert, der den Versicherungsschutz für Versicherungspflichtige nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses um einen Monat verlängert. Nach Ablauf dieses Monats kann sich der Arbeitslose i.d.R. lediglich über eine freiwillige Krankenversicherung für den Krankheitsfall absichern. Läuft allerdings parallel zu der Ruhenszeit eine Sperrzeit i.S.d. § 144 SGB III, kommt die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zum Tragen, die ab dem zweiten Monat der Sperrzeit einen Kranken- und Pflegeversicherungsschutz für den Arbeitslosen vorsieht.
IV. Anspruchsübergang gemäß §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X 1. Gleichwohlgewährung 272
Das Arbeitslosengeld wird nach § 143a Abs. 4 SGB III trotz Ruhens des Anspruchs gewährt, wenn und soweit der Arbeitslose eine ihm zustehende Entlassungsentschädigung tatsächlich nicht erhält (sog. Gleichwohlgewährung). Zweck der Regelung ist die finanzielle Überbrückung des Zeitraums, für den der Arbeitslose keine Leistungen des Arbeitgebers ausgezahlt bekommt und für die ihm wegen der Ruhenszeit an sich auch kein Anspruch auf Arbeitslosen1 BSG v. 9.8.1990 – 11 RAr 141/88, SozR 3-4100 § 105a Nr. 2.
1196
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Anspruchsübergang gemäß §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X
Rz. 276 Teil 13
geld zusteht. Der Arbeitslose wird daher zunächst so gestellt, als wäre eine Entlassungsentschädigung zu seinen Gunsten nicht vereinbart worden und damit auch kein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld eingetreten. Hauptfall der sog. Gleichwohlgewährung ist der Streit um die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung vor dem Arbeitsgericht. Der Anspruch auf die Entlassungsentschädigung geht allerdings auf die Bundesagentur für Arbeit in der Höhe und für den Zeitraum über, in dem Arbeitslosengeld gezahlt worden ist, obwohl eigentlich eine Gewährung gar nicht hätte stattfinden dürfen (vgl. § 143a Abs. 4 SGB III i.V.m. § 115 SGB X). Insoweit droht dem Arbeitgeber im Wege des Rückgriffs eine Inanspruchnahme. Voraussetzung für die Gleichwohlgewährung ist, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entlassungsentschädigung zum Zeitpunkt der Bewilligung und Zahlung des Arbeitslosengeldes noch nicht erfüllt worden ist.1 Hat der Arbeitnehmer die Entlassungsentschädigung bereits vor Auszahlung des Arbeitslosengeldes erhalten, liegt keine Gleichwohlgewährung i.S.d. § 143a Abs. 4 SGB III vor mit der Folge, dass auch die speziellen Erstattungsvorschriften der §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X nicht eingreifen und ein Übergang der dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zustehenden Abfindungsforderung auf die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 115 Abs. 1 SGB X nicht in Betracht kommt (dazu unten). Eine Erstattung des gewährten Arbeitslosengeldes nach den o.g. Vorschriften ist der Bundesagentur für Arbeit in diesen Fällen verwehrt. Da jedoch die Gewährung von Arbeitslosengeld bei Fehlen der Voraussetzungen für eine Gleichwohlgewährung rechtswidrig ist, kann die Bundesagentur für Arbeit u.U. nach Maßgabe der allgemeinen Rückabwicklungsvorschriften der §§ 45 ff., 50 SGB X die erbrachten Leistungen vom Arbeitnehmer zurückfordern.
273
Eine nach Gewährung des Arbeitslosengeldes an den Arbeitnehmer oder die Bundesagentur für Arbeit gezahlte Entlassungsentschädigung hat dagegen keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der bewilligten Leistung.2 Insbesondere lässt sie die einmal bestehenden Voraussetzungen der Gleichwohlgewährung nicht rückwirkend wieder entfallen.3 Die gegenüber § 50 SGB X speziellen Erstattungsvorschriften der Gleichwohlgewährung bleiben damit anwendbar.
274
§ 143a Abs. 4 SGB III findet nur dann Anwendung, wenn der Arbeitslose die Entlassungsentschädigung tatsächlich nicht erhält. Damit zielt die Vorschrift in erster Linie auf die Fälle ab, in denen der Arbeitgeber einen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unstreitig bestehenden Abfindungsanspruch nicht erfüllt. Einzubeziehen sind aber auch die Fälle, in denen schon das Entstehen des Anspruchs streitig oder ungewiss ist (Erst-recht-Schluss aus § 143a Abs. 4 SGB III).
275
Wird der Anspruch auf Entlassungsentschädigung nicht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig und bestehen keine Zweifel an einer späteren Zahlung, kommt eine Gleichwohlleistung von Arbeitslosengeld dagegen zunächst nicht in Betracht. Die Agentur für Ar-
276
1 BSG v. 3.3.1993 – 11 RAr 49/92 und 57/92, SozR 3-4100 § 117 Nr. 9 und 10. 2 BSG v. 3.12.1998 – B 7 AL 34/98 R, SozR 4100 § 117 Nr. 17. 3 BSG v. 29.11.1988 – 11/7 RAr 79/87, SozR 4100 § 117 Nr. 23.
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1197
Teil 13 Rz. 277
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
beit ist jedoch ggf. verpflichtet, rückwirkend Arbeitslosengeld zu gewähren, wenn sich herausstellt, dass die Entlassungsentschädigung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht gezahlt wird.1 277
Das aufgrund des § 143a Abs. 4 SGB III „gleichwohl“ gewährte Arbeitslosengeld stellt eine endgültige Leistung der Agentur für Arbeit dar, die auch bei späterer Zahlung der Entlassungsentschädigung durch den Arbeitgeber nicht aufgehoben wird.2 Da somit während des Zeitraums der Gleichwohlgewährung der Anspruch auf Arbeitslosengeld vorbehaltlos erfüllt ist, vermindert sich gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 1 SGB III die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld in entsprechender Höhe. Eine Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf die Anspruchsdauer unterbleibt nur dann, wenn der Arbeitgeber den gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Anspruch des Arbeitnehmers auf Entlassungsentschädigung in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes an die Bundesagentur für Arbeit auszahlt.3 Die Bundesagentur für Arbeit ist freilich nach Ansicht des BSG nicht verpflichtet, die übergegangene Forderung gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Will der Arbeitnehmer die Anspruchsminderung verhindern, bleibt ihm daher keine andere Möglichkeit, als gegen den Arbeitgeber Klage auf Zahlung an die Bundesagentur für Arbeit zu erheben.4 2. Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber
278
Liegen die Voraussetzungen des § 143a Abs. 4 SGB III vor und gewährt die Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld, geht gemäß § 115 Abs. 1 SGB X der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung der Entlassungsentschädigung in Höhe des geleisteten Arbeitslosengeldes automatisch auf die Bundesagentur für Arbeit über. Der Anspruchsübergang erfolgt jedoch nur, soweit dem Arbeitslosen tatsächlich entsprechende Leistungen der Agentur für Arbeit zufließen, also gewissermaßen Zug-um-Zug gegen Auszahlung des Arbeitslosengeldes. Das bloße Bestehen eines Anspruchs auf Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld reicht demgegenüber für einen Anspruchsübergang nicht aus.
279
Mit Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit tritt diese in die Gläubigerstellung des Arbeitnehmers ein, d.h. sie wird Inhaberin des gegen den Arbeitgeber bestehenden Abfindungsanspruchs.
280
Bei Durchsetzung der Forderung ist indes zu berücksichtigen, dass diese durch evtl. bestehende Gegenrechte belastet sein kann, die – soweit sie auch gegenüber der Bundesagentur für Arbeit als neuer Gläubigerin wirken – die Geltendmachung der Forderung entsprechend beschränken.5 So können gemäß §§ 412, 404, 406 BGB die gegen die Forderung bestehenden Einwendungen oder Gegen1 2 3 4 5
Vgl. Winkler in Gagel, SGB III, 31. EL Januar 2008, § 143 Rz. 57. BSG v. 29.11.1988 – 11/7 RAr 79/87, SozR 4100 § 117 Nr. 23. BSG v. 24.7.1986 – 7 RAr 4/85, SozR 4100 § 117 Nr. 16. BSG v. 29.11.1988 – 11/7 RAr 79/87, SozR 4100 § 117 Nr. 23. BSG v. 22.6.1994 – 10 RAr 3/93, SozR 3-4100 § 160 Nr. 1.
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Anspruchsübergang gemäß §§ 143a Abs. 4 SGB III, 115 SGB X
Rz. 284 Teil 13
forderungen, die dem Schuldner (= Arbeitgeber) gegen den bisherigen Gläubiger (= Arbeitnehmer) zugestanden haben, unter den dort genannten Voraussetzungen auch dem neuen Gläubiger (= Bundesagentur für Arbeit) entgegengesetzt werden. Von Bedeutung sind auch die Vorschriften der §§ 412, 407 BGB. Danach muss die Bundesagentur für Arbeit eine in Unkenntnis des Forderungsübergangs bewirkte Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer gegen sich gelten lassen mit der Folge, dass wegen Erfüllung (§ 362 BGB) eine Geltendmachung des übergeleiteten Anspruchs gegenüber dem Arbeitgeber ausgeschlossen ist. Der Bundesagentur für Arbeit steht in derartigen Fällen lediglich ein Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Erstattung des gewährten Arbeitslosengeldes aus § 143a Abs. 4 Satz 2 SGB III zu; eine Erstattungsverpflichtung des Arbeitgebers besteht hingegen nicht. Die Rechtsfolge der §§ 412, 407 BGB tritt nicht ein, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Abfindungszahlung der Übergang der Forderung auf die Bundesagentur für Arbeit bekannt war.
281
Um zu vermeiden, dass der Arbeitgeber mit befreiender Wirkung an den Arbeitnehmer leistet, wird daher die Agentur für Arbeit in den Fällen der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld den Arbeitgeber regelmäßig durch entsprechende Überleitungsanzeigen über den Anspruchsübergang informieren. Der Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit gegen den Arbeitgeber bleibt dann trotz Auszahlung der Entlassungsentschädigung an den Arbeitnehmer bestehen. Die ohne befreiende Wirkung an den Arbeitnehmer erbrachte Leistung kann der Arbeitgeber in Höhe der übergeleiteten Forderung nach § 812 BGB zurückverlangen, da sie ohne Rechtsgrund erfolgt ist.
282
Der Anspruch auf Entlassungsentschädigung stellt einen zivilrechtlichen Anspruch dar, dessen Durchsetzung dementsprechend vor den Arbeitsgerichten betrieben werden muss.1 Eine Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit ist nur dann gegeben, wenn die Bundesagentur für Arbeit Erstattung sozialversicherungsrechtlicher Beiträge (z.B. an die Renten- oder Krankenversicherung) verlangt.
283
3. Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegen den Arbeitnehmer Ein Rückgriff der Bundesagentur für Arbeit auf den Arbeitnehmer kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Hierbei sind zwei Fallgestaltungen denkbar: – Zum einen kann die Agentur für Arbeit – sofern die Gewährung des Arbeitslosengeldes rechtswidrig war – nach §§ 45, 50 SGB X den Bewilligungsbescheid aufheben und die gewährten Leistungen vom Arbeitnehmer zurückfordern. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen der Arbeitnehmer bereits vor Auszahlung des Arbeitslosengeldes eine Entlassungsentschädigung des Arbeitgebers erhalten hat, so dass die Voraussetzungen für eine Gleichwohlgewährung gar nicht erst vorlagen. – Zum anderen besteht ein Anspruch der Bundesagentur für Arbeit auf Erstattung der Entlassungsentschädigung, die der Arbeitgeber trotz Übergangs der 1 BSG v. 13.3.1990 – 11 RAr 125/89, SozR 3-4100 § 117 Nr. 1.
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Teil 13 Rz. 285
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Forderung an die Bundesagentur für Arbeit mit befreiender Wirkung an den Arbeitnehmer ausgezahlt hat. Da Regressansprüche gegen den Arbeitgeber hier nicht in Betracht kommen, erlaubt die Regelung des § 143a Abs. 4 Satz 2 SGB III ausnahmsweise den Rückgriff auf den Arbeitnehmer. 285
Voraussetzung für den Eintritt der befreienden Wirkung ist, dass der Arbeitgeber bei der Leistung an den Arbeitnehmer oder einen Dritten keine Kenntnis vom Übergang der Forderung auf die Bundesagentur für Arbeit hatte. Nach Auffassung des BSG soll die Bundesagentur für Arbeit darüber hinaus aber auch bei einer Kenntnis des Arbeitgebers vom Forderungsübergang die befreiende Wirkung herbeiführen können, indem sie die Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer konkludent genehmigt.1 Die Bundesagentur für Arbeit hat es damit selbst in der Hand, sich ggf. einen Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer zu verschaffen. Unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters des § 143a Abs. 4 Satz 2 SGB III sollte von dieser Möglichkeit allerdings nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.2
V. Zusammentreffen von Sperrzeit und Ruhenszeitraum 286
Mehrere Ruhenszeiträume i.S.d. §§ 142–143a SGB III sind zusammenzurechnen, so dass sich über die Grenze des § 143a Abs. 2 Satz 1 SGB III hinaus insgesamt auch eine Ruhensphase von mehr als einem Jahr ergeben kann. Dies gilt z.B. für den Fall, dass der Arbeitnehmer neben der Entlassungsentschädigung eine Urlaubsabgeltung nach § 143 Abs. 2 SGB III zu beanspruchen oder erhalten hat, wobei es bei tatsächlicher Auszahlung der Urlaubsabgeltung nicht darauf ankommen soll, ob dem Arbeitnehmer hierauf arbeitsrechtlich überhaupt ein Anspruch gegen den Arbeitgeber zustand. Das BSG hat sich zur Auslegung des früheren § 117 Abs. 1a AFG wie folgt geäußert: „Ebenso wie die Ruhensfolgen des § 117 Abs. 2 AFG anerkanntermaßen eintreten, wenn der Arbeitnehmer, ohne einen Rechtsanspruch darauf zu haben, eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten hat, tritt die Rechtsfolge des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Falle des § 117 Abs. 1a AFG ein, wenn der Arbeitslose eine Urlaubsabgeltung erhält, auf die er keinen Rechtsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis hat.“3
287
Letzteres gilt insbesondere für arbeitsrechtlich verfallenen Urlaub.
288
Treffen Ruhenszeitraum nach § 143a SGB III und Sperrzeit nach § 144 SGB III zusammen, findet keine Addition statt; vielmehr laufen beide Zeiträume nebeneinander.
1 BSG v. 16.10.1991 – 11 RAr 137/90, SozR 3-4100 § 117 Nr. 7; 22.10.1998 – B 7 AL 106/97 R, SozR 3-4100 § 117 Nr. 16. 2 Vgl. auch APS/Masuch, SozR Rz. 668. 3 BSG v. 29.7.1993 – 11 RAr 17/92, EzA § 117 AFG Nr. 9.
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Zusammentreffen von Sperrzeit und Ruhenszeitraum
Rz. 293 Teil 13
E. Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit bei Entlassung älterer Arbeitnehmer Wird das Arbeitsverhältnis eines älteren Arbeitnehmers, der bereits längere Zeit bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, von diesem beendet, sieht § 147a SGB III unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung des Arbeitgebers vor, der Bundesagentur für Arbeit das gewährte Arbeitslosengeld zu erstatten.
289
In der Praxis hat die Vorschrift indes keine Bedeutung mehr. Mit dem Gesetz zu den Reformen am Arbeitsmarkt hat der Gesetzgeber eine Regelung zum Auslaufen der Erstattungspflicht des Arbeitgebers getroffen. Nach den Übergangsvorschriften der §§ 434l Abs. 1, 4 SGB III entfällt die Erstattungspflicht für Ansprüche auf Arbeitslosengeld, die nach dem 31.1.2006 entstanden sind und deren Dauer sich nach § 127 Abs. 2 SGB III in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung richtet.
290
Ab dem 1.2.2006 gibt es somit keine Neufälle der Erstattungspflicht nach § 147a SGB III.
291
F. Beitragsrechtliche Folgen einer Entlassungsentschädigung Auch wenn eine Entlassungsentschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt wird, ist sie sozialversicherungsrechtlich nicht der früheren, versicherungspflichtigen Beschäftigung zuzuordnen. Das bedeutet, dass Abfindungen – solange sie nicht verdecktes Arbeitsentgelt sind – im Rahmen der Sozialversicherungspflicht nicht beitragspflichtig sind.1 Dies gilt auch, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wird.
292
G. Exkurs: Sozialversicherungsrechtliche Folgen einer Freistellung2 Verbunden mit dem Ausspruch einer Kündigung ist oftmals die auch als „Suspendierung“ oder „Beurlaubung“ bezeichnete Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Gründe der Freistellung sind vielfältig. In der Regel wird der Arbeitgeber kein Interesse mehr an der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers haben, sei es, weil dessen Motivation nach der Kündigung nachlässt oder weil der Arbeitgeber verhindern will, dass dieser weiterhin Kenntnisse über Kunden, Geschäftsgeheimnisse und Betriebsabläufe erhält. Eine einseitige Freistellung ist nicht ohne Weiteres zulässig, da auch noch während der Kündigungspflicht der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers fortbesteht. In vielen Fällen wird eine Frei1 Bauer, GS Heinze (2005), S. 31. 2 Vgl. ausführlich dazu Laber/Goetzmann, ArbRB 2006, 122.
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Teil 13 Rz. 294
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
stellung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts allerdings auch dem Wunsch des Arbeitnehmers entsprechen. Durch die Freistellung befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug. Eines wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf es nicht. Die Freistellungserklärung kann bereits in der Kündigung enthalten sein, kann aber auch später noch einseitig erklärt werden. Möglich ist auch eine Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag, wobei eine derartige Klausel aufgrund § 307 BGB nur bei Vorliegen sachlicher Gründe Bestand haben soll.1 Als sachlicher Grund kommt z.B. der Fall der Kündigung in Betracht.2
I. Arten der Freistellung 294
Neben der einseitigen Freistellungserklärung können Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch eine Freistellungsvereinbarung treffen. Wird im Rahmen eines Aufhebungsvertrags die Freistellung des Arbeitnehmers vereinbart, handelt es sich stets um eine solche einvernehmliche Freistellung. In diesem Fall entfällt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung, so dass sich der Arbeitgeber auch nicht in Annahmeverzug befindet.3
295
Wichtig ist des Weiteren, ob die Freistellung widerruflich oder unwiderruflich erfolgt. Erklärt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer nur, dass er ihn von der Arbeitsleistung freistelle, ohne dass etwa eine Urlaubsanrechnung erfolgt, soll es sich nach Ansicht des BAG um eine widerrufliche Freistellung handeln.4 Da der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nur durch eine unwiderrufliche Freistellung erfüllen kann, ist dagegen eine Freistellung unter Anrechnung noch offener Urlaubsansprüche als unwiderrufliche Freistellung aufzufassen.5
II. Sperrzeit als Folge einer Freistellung 296
Durch die Freistellung wird das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Der freigestellte Arbeitnehmer kann indes – mangels Beschäftigung – als arbeitslos gelten, so dass er, falls der Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt mehr zahlt, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben kann. Zwar ruht in einem solchen Fall der Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil der Anspruch auf Arbeitsentgelt während der Freistellungszeit weiter besteht. Aufgrund der sog. Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III wird Arbeitslosengeld jedoch auch für die Zeit geleistet, für die der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht enthält. Im Gegenzug geht allerdings der Anspruch auf das Arbeitsentgelt in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes auf die Bundesagentur für Arbeit über. 1 Fröhlich, ArbRB 2006, 84; a.A. Kappenhagen, FA 2007, 167. 2 LAG Köln v. 20.2.2006 – 14 (10) Sa 1394/05, NZA-RR 2006, 342; Bauer, NZA 2007, 409 (412). 3 BAG v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, ZIP 2002, 2186. 4 BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG. 5 Vgl. Bauer, NZA 2007, 409.
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Beitragsrechtliche Folgen einer Freistellung
Rz. 299 Teil 13
Die Bundesagentur für Arbeit unterscheidet in ihren Durchführungsanweisungen zu § 119 SGB III zwischen der unwiderruflichen und der widerruflichen Freistellung. Danach führt nur eine unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers zu einer Beendigung des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses.1 Wird im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung eine unwiderrufliche Freistellungsvereinbarung getroffen, so droht eine Sperrzeit, weil der Arbeitnehmer an der Beschäftigungslosigkeit mitgewirkt hat.2 Das Sperrzeitereignis ist indessen grundsätzlich das Ende des Beschäftigungsverhältnisses, das heißt Beginn der Freistellung, und nicht das Ende des Arbeitsverhältnisses.3 Die Sperrzeit tritt somit bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis ein.4 Das bedeutet, dass für den Fall, dass der Arbeitnehmer bereits zwölf Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich unwiderruflich freigestellt wird, die Sperrzeit vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet, so dass die Sperrzeit für den Arbeitnehmer zunächst ohne Folgen ist, da er sein Gehalt vom Arbeitgeber weiter erhält und im Anschluss daran Arbeitslosengeld I bezieht. Zu beachten ist indes die Weisungslage der Bundesagentur. Danach beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses und nicht mit dem ersten Tag der Freistellung, wenn die Beschäftigungslosigkeit durch einseitige Freistellung nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorverlegt wird.5
297
" Praxistipp: Nicht vernachlässigt werden darf, dass durch die Sperrzeit auch
298
eine Minderung der Anspruchsdauer nach § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III erfolgt. Bei einer Sperrzeit von zwölf Wochen wird die Anspruchsdauer mindestens um ein Viertel der Anspruchsdauer gekürzt. Bei einer Bezugsdauer von 24 Monaten sind das sechs Monate. Sie entfällt nur bei den in der Praxis nur selten vorkommenden Freistellungen von mehr als einem Jahr (§ 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III).
III. Beitragsrechtliche Folgen einer Freistellung Es war ganz überwiegende Auffassung, dass eine Freistellung nach einer Kündigung keine Auswirkungen auf die Versicherungspflicht des Arbeitnehmers hatte. Die Freistellung ließ, da das Arbeitsverhältnis fortbestand, somit die Sozialversicherungspflicht und damit auch den Sozialversicherungsschutz unberührt. Zu erheblicher Verunsicherung hat in diesem Zusammenhang allerdings ein Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger, d.h. der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit, vom 5./6.7.2005 geführt. Danach sollte es bei einer einvernehmlichen, unwiderruflichen Freistellung trotz Fortzahlung des Ar1 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 119 SGB III, Stand 09/2009, 119.4a; zustimmend Voelzke, FS Küttner (2006), 345 (350). 2 BSG v. 17.10.2002 – B 7 AL 16/02 R. 3 BSG v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, BSGE 89, 243 = NZA-RR 2003, 105; v. 17.10.2002 – B 7 AL 16/02 R. 4 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.7. 5 Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 144 SGB III, Stand 09/2009, 144.121.
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299
Teil 13 Rz. 300
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
beitsentgelts zu einer Beendigung des (versicherungsrechtlichen) Beschäftigungsverhältnisses und damit auch zu einem Ende der Versicherungspflicht kommen. 300
Die Konsequenzen dieser Auffassung wären für den Arbeitnehmer gravierend gewesen: Einen Monat nach dem letzten Arbeitstag endete der nachwirkende Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Eine Versicherung über die Bundesagentur für Arbeit wäre ausgeschieden, weil wegen der Fortzahlung des Entgelts kein Arbeitslosengeld gezahlt würde (vgl. § 5 Abs. 1 SGB V). Danach hätte sich der Arbeitnehmen selbst entweder privat oder gesetzlich absichern müssen.1 Die Versicherungspflicht für die Rentenversicherungspflicht endete sogar mit Beginn der Freistellung. Eine Entrichtung wäre nur noch freiwillig nach § 7 SGV VI möglich, wobei der Arbeitnehmer auch den zuvor vom Arbeitgeber entrichteten Anteil hätte tragen müssen. Ferner entstünden während der Freistellung keine Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung.
301
Die Literatur hat den Standpunkt der Spitzenverbände daher mehrheitlich abgelehnt.2 Dem ist das BSG mit Entscheidung vom 24.9.20083 beigetreten. Es hat die Ansicht der Literatur bestätigt, dass zwischen dem leistungsrechtlichen und dem versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis getrennt werden muss. Für beide gelten unterschiedliche Grundsätze. Das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis sei davon geprägt, den Versicherungsfall, also die Arbeitslosigkeit, zu konkretisieren. Dagegen liege ein versicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis immer dann vor, wenn und solange Arbeitgeber und Arbeitnehmer vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausgehen und der Arbeitnehmer – unabhängig vom tatsächlichen Erbringen der Arbeitsleistung – Anspruch auf das Arbeitsentgelt hat. Dem ist zuzustimmen.
302
In Reaktion auf die Entscheidung des BSG vom 24.9.2008 haben die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger bei einer Besprechung am 30./31.3.2009 ausdrücklich klargestellt, an ihrem Besprechungsergebnis vom 5./6.7.2005 nicht festzuhalten.4 Das durch nichtselbstständige Arbeit in einem tatsächlich vollzogenen Arbeitsverhältnis begründete versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis ende bei einer vereinbarten Freistellung von der Arbeitsleistung zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht bereits mit der Einstellung der tatsächlichen Arbeitsleistung, sondern mit dem regulären (vereinbarten) Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsentgelt gezahlt wird.
303
" Praxistipp: Nachdem die Rechtslage nunmehr geklärt scheint, besteht wieder uneingeschränkt die Möglichkeit, unwiderrufliche Freistellungsverein-
1 Vgl. hierzu Bauer/Krieger, DB 2005, 2242 (2244). 2 Bauer/Krieger, DB 2005, 2242 (2243); Laber/Goetzmann, ArbRB 2006, 122; Schlegel, NZA 2005, 972; Voelzke, FS Küttner (2006), 345 (355). 3 24.9.2008 – B 12 KR 22/07 R, NZA-RR 2009, 272; ebenso bereits die Vorinstanz LSG Rheinland-Pfalz v. 21.6.2007 – L 5 KR 231/06. 4 Abrufbar unter www.arbeit-und-arbeitsrecht.de/downloads.
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Beitragsrechtliche Folgen einer Freistellung
Rz. 304 Teil 13
barungen zu treffen. Einseitige unwiderrufliche Freistellungen waren von der abweichenden Ansicht der Spitzenverbände nicht betroffen. Auf die möglichen sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer Freistellungsvereinbarung (z.B. Sperrzeit) hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Regel nicht gesondert hinzuweisen, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen verantwortlich ist. Es dürfte indes die vom BAG zur Hinweispflicht bei Aufhebungsverträgen ergangene Rechtsprechung auf Freistellungsvereinbarungen übertragbar sein.1 Das bedeutet, dass Hinweis- und Aufklärungspflichten bestehen können, wenn die Initiative zur Freistellungsvereinbarung vom Arbeitgeber ausgeht und der Arbeitnehmer offensichtlich nicht ausreichend informiert ist.
1 Bauer, NZA 2007, 409 (412); Bauer/Krieger, DB 2005, 2242 (2243).
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304
Teil 14 Steuerrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitsverhältnisse werden – wie dargestellt – aus den verschiedensten Gründen einseitig (durch Kündigung des Arbeitgebers) oder durch Parteivereinbarung aufgelöst. Dementsprechend besteht ein immerwährendes Bedürfnis, die mit der Auflösung für den Arbeitnehmer einhergehenden materiellen Einbußen durch ein entsprechendes Entgelt, die Abfindung, auszugleichen. Bei der Ermittlung der Höhe dieser Abfindung ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass die sorgfältige Analyse der Chancen und Risiken eines eventuellen oder eines anhängigen Gerichtsverfahrens die früher starre, rein dienstzeitabhängige Berechnung verdrängt. Abfindungen i.d.S. gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S.v. § 19 EStG und sind damit grds. einkommensteuerpflichtig.
1
Mit Ablauf des 31.12.2005 hat der Gesetzgeber die bis dahin geltende, mehrfach geänderte und zuletzt nur noch eingeschränkte Steuerbefreiung für Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG durch das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm1 abgeschafft. Abfindungen können jedoch als Entschädigungen nach § 24 Nr. 1a bzw. b EStG dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG (sog. Fünftelungsregelung) unterliegen, wenn eine sog. Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum vorliegt. Die Tarifermäßigung wird nach der Abschaffung der Steuerfreiheit an Bedeutung gewinnen. Abfindungen sind somit weiterhin von Vergütungsansprüchen, für die die Steuerermäßigung des § 34 EStG – soweit es sich nicht um eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG handelt (Beispiel: vertraglich vereinbarte Kapitalisierung einer Betriebsrentenversicherung2) – keine Anwendung findet, abzugrenzen. Darüber hinaus ist eine Differenzierung zwischen Abfindungen, die dem § 24 Nr. 1a bzw. b EStG unterfallen, und steuerfreien Entschädigungen, d.h. Schadensersatzleistungen, erforderlich.
2
A. Steuerermäßigung nach §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG I. Allgemeines Voraussetzung für eine steuerliche Begünstigung nach den §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ist das Vorliegen eines Entschädigungstatbestandes i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen erbracht werden (§ 24 Nr. 1a EStG) und solchen, die der Arbeitgeber für die Aufgabe oder Nicht1 BGBl. I 2005, 3682. 2 FG Hamburg v. 20.4.2005 – VI 113/03.
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3
Teil 14 Rz. 4
Steuerrechtliche Folgen
ausübung einer Tätigkeit gewährt (§ 24 Nr. 1b EStG). Beide genannten Entschädigungsleistungen stellen – sofern sie dem Arbeitnehmer innerhalb eines Veranlagungszeitraums zugeflossen sind – außerordentliche Einkünfte i.S.d. § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG dar, die bei entsprechendem Antrag auf Tarifermäßigung einem nach § 34 Abs. 1 Satz 2–4 EStG zu berechnenden ermäßigten Steuersatz unterliegen. Ziel dieser Privilegierung ist es, einer durch die steuerrechtliche Progressionswirkung bedingten, unangemessen hohen Steuerbelastung von Entschädigungszahlungen entgegenzuwirken.1 Dadurch erklärt sich auch die in § 34 Abs. 1 EStG vorausgesetzte Zusammenballung der zu begünstigenden (außerordentlichen) Einkünfte auf einen Veranlagungszeitraum.
II. Voraussetzungen 1. Entschädigung a) Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen, § 24 Nr. 1a EStG 4
Als Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG werden solche Zahlungen bezeichnet, die vom Arbeitgeber zum Ausgleich für entgangene oder noch entgehende Einnahmen erbracht werden. Erforderlich ist – wie beim früheren § 3 Nr. 9 EStG – ein Kausalzusammenhang zwischen dem Wegfall der Einnahmen und den vom Arbeitgeber gewährten Entschädigungsleistungen2, d.h. ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Entschädigungszahlung und dem aufgelösten Dienstverhältnis.3 Entschädigungen können nicht nur Abfindungszahlungen i.S.v. §§ 9, 10 KSchG, sondern auch andere Leistungen sein, wie Vorruhestandsgelder, Ausgleichszahlungen für Lebensversicherungen4, Schmerzensgeld5 usw. Auch Schadensersatz, der einem (ehemaligen) Arbeitnehmer infolge einer schuldhaft verweigerten Wiedereinstellung trotz Wiedereinstellungszusage zufließt, ist eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG.6 Leistungen, die nicht als Ersatz für einen Ausfall von Einnahmen dienen, sondern lediglich bereits entstandene Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag abgelten sollen (z.B. rückständiger Arbeitslohn, anteiliges Urlaubsgeld, Urlaubsabgeltung, Weihnachtsgeld, Tantiemen, Gratifikationen), sind daher nicht von § 24 Nr. 1a EStG erfasst.7 Eine Entschädigung scheidet aber nicht bereits dann aus, wenn sie Beträge oder Leistungen enthält, auf die der frühere Arbeitnehmer bei Fortbestand des Dienstverhältnisses einen Anspruch gehabt hätte. Denn durch die Auflösung des Dienst1 BT-Drucks. 14/23 S. 259 f., Rz. 17 ff. 2 BFH v. 29.10.1969 – IV 175/65, BStBl. II 1970, 315 (316); v. 25.3.1975 – VIII R 183/73, BStBl. II 1975, 634 (635); v. 13.12.2005 – XI R 8/05, BFH/NV 2006, 1071; v. 1.8.2007 – XI R 18/05, BFH/NV 2007, 2104. 3 BFH v. 1.8.2007 – XI R 18/05, BFH/NV 2007, 2104. 4 BFH v. 16.6.2004 – XI R 55/03, BFHE 206, 544. 5 BFH v. 16.11.2005 – XI R 32/04, GmbHR 2006, 389. 6 BFH v. 6.7.2005 – XI R 46/04, BFHE 210, 498. 7 BFH v. 20.10.1978 – VI R 107/77, BStBl. II 1979, 176; v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006. 2042 = GmbHR 2006, 1169; v. 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361.
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Voraussetzungen
Rz. 6 Teil 14
verhältnisses sind diese Ansprüche wegfallen, und stattdessen wird eine Entschädigung aufgrund einer neuen Vereinbarung gezahlt.1 Voraussetzung einer Entschädigung i.S.d. §§ 24 Nr. 1a, 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG ist die Beendigung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift, folgt nach Ansicht des BFH aber aus dem Normzweck sowie dem Zusammenhang der Tatbestände des § 24 Nr. 1a–c EStG und dem Vergleich zu den in § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG aufgeführten Tatbeständen.2 Dementsprechend ist eine Abfindung, die geleistet wird, um eine arbeitgeberseitig veranlasste Einschränkung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und den damit verbundenen Einnahmeausfall auszugleichen, nicht als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG anzusehen.3 Wie beim früheren § 3 Nr. 9 EStG ist für die Abgrenzung zwischen Entschädigungs- und Erfüllungsleistung maßgeblich auf den Zeitpunkt der zivilrechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen.4 Vor diesem Zeitpunkt entstandene Ansprüche wie z.B. rückständige Gehaltsforderungen, Gratifikationen u.Ä., können dementsprechend i.d.R. nicht als Entschädigungen angesehen werden. Da die Arbeitsvertragsparteien den Zeitpunkt der Beendigung selbst bestimmen können, liegt es – bis zur in § 42 AO festgelegten Grenze des Gestaltungsmissbrauchs – bei ihnen, inwieweit steuerpflichtige Lohnansprüche durch Entschädigungen ersetzt werden.5 Wird vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer lediglich von der Arbeit freigestellt, ändert dies nichts am Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Konsequenz, dass Zahlungen, die während der Freistellung von der Arbeit geleistet werden, nicht als Entschädigungen, sondern als – entsprechend zu versteuernde – Entgeltleistungen anzusehen sind.6 Wird dagegen das Vertragsverhältnis vorzeitig beendet und zahlt der Arbeitgeber die insofern „eingesparte“ Vergütung als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, so kann diese eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG darstellen.
5
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss endgültig sein, um die Auszahlung einer Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG begründen zu können. Dies ist nicht der Fall, wenn das bisherige Dienstverhältnis übergangslos fortgeführt wird. Nimmt beispielsweise der Arbeitnehmer im Rahmen einer Änderungskündigung das Angebot des Arbeitgebers zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen an, können Ausgleichszahlungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen leistet, mangels Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG gewertet werden.7 Andererseits steht es der
6
1 BFH v. 19.10.2005 – XI R 24/04, BFH/NV 2006, 928. 2 BFH v. 12.4.2000 – XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195. 3 BFH v. 23.1.2000 – XI R 7/00, BFH/NV 2001, 1061 (mit Hinweis auf die Möglichkeit einer Steuerbegünstigung nach § 24 Nr. 1b EStG). 4 BFH v. 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361. 5 BFH v. 15.10.2003 – XI R 17/02, BFHE 203, 490 = BStBl. II 2004, 264; v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006. 2042 = GmbHR 2006, 1169. 6 BFH v. 27.4.1994 – XI R 41/93, BB 1994, 1550 (1551). 7 BFH v. 16.7.1997 – XI R 85/96, BStBl. II 1997, 666 (667); v. 10.10.1986 – VI R 178/83, DB 1987, 515; Offerhaus, DStZ 1981, 445 (449).
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Teil 14 Rz. 7
Steuerrechtliche Folgen
Anwendung des § 24 Nr. 1a EStG nicht entgegen, wenn nach Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber zu anderen Konditionen ein neues Arbeitsverhältnis begründet wird.1 7
Auch ein (Teil-)Betriebsübergang führt trotz Wechsels des Arbeitgebers i.d.R. nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da das ursprüngliche Arbeitsverhältnis mit dem neuen Betriebsinhaber fortgesetzt wird.2
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Die Umsetzung eines Arbeitnehmers zu einem anderen Unternehmen innerhalb des Konzerns bewirkt infolge des damit verbundenen Arbeitgeberwechsels, dass das bisherige Arbeitsverhältnis aufgelöst und ein neues begründet wird. Grds. müsste daher eine anlässlich einer solchen Umsetzung gewährte Zuwendung als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG gelten. Im Rahmen des § 3 Nr. 9 EStG a.F. führte jedoch nach Ansicht des BFH der Arbeitgeberwechsel nicht in jedem Fall zu einer Abfindung. So kann – trotz gegenteiliger arbeitsrechtlicher Beurteilung – die Umsetzung im Einzelfall als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausgestaltet sein.3 Die Entscheidung richtete sich deshalb stets nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls. Sind das alte und das neue Dienstverhältnis derart miteinander verquickt, dass das bestehende Dienstverhältnis zwar mit dem neuen Arbeitgeber, ansonsten in Bezug auf den Tätigkeitsbereich, die Vergütung und die Wahrung des sozialen Besitzstandes im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird, so hat der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht verloren. Das Arbeitsverhältnis ist aus steuerrechtlicher Sicht nicht beendet worden.
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Ein einheitliches Dienstverhältnis i.d.S. hat der BFH etwa für den Fall angenommen, dass das bestehende Dienstverhältnis zwar formal mit einem neuen Arbeitgeber, aber im übrigen in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im wesentlichen unverändert fortgesetzt wird.4 Auch eine arbeitsvertraglich vorgesehene Konzernversetzungsklausel, die dem Arbeitgeber von vornherein die Möglichkeit einer Versetzung des Arbeitnehmers innerhalb des Konzerns einräumt, spricht für die Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses nach der Versetzung. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach dem Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber vertraglich ein unbegrenztes Rückkehrrecht hat, die Dienstzeiten des alten Arbeitsverhältnisses auf das neue angerechnet werden und die Pensionsordnung des alten Arbeitsverhältnisses auch weiterhin Geltung hat.5 In diesem Fall liegt eine so enge Verflechtung zwischen altem und neuem 1 BFH v. 16.7.1997 – XI R 85/96, BStBl. II 1997, 666 (667); v. 10.10.1986 – VI R 178/83, BStBl. II 1987, 186 (188). 2 BFH v. 22.6.2001 – XI B 27/01, BFH/NV 2001, 1551; v. 12.4.2000 – XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195; v. 16.7.1997 – XI R 85/96, BStBl. II 1997, 666 (667). 3 BFH v. 21.6.1990 – X R 48/86, BStBl. II 1990, 1021 (1022); v. 16.7.1997 – XI R 85/96, BStBl. II 1997, 666 (667); kritisch: Offerhaus, DStZ 1981, 445 (449). 4 BFH v. 16.7.1997 – XI R 85/96, BStBl. II 1997, 666 (667); v. 8.7.2005 – XI B 32/03, BFH/NV 2005, 1859; v. 13.12.2005 – XI R 8/05, BFH/NV 2006, 1071; v. 10.10.2006 – XI B 118/05, BFH/NV 2007, 415; v. 9.5.2007 – XI R 52/05, GmbHR 2007, 1169. 5 BFH v. 21.6.1990 – X R 48/86, BStBl. II 1990, 1021 (1022); vgl. auch FG Köln v. 8.2.2001 – 10 K 4874/96, EFG 2001, 570.
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Voraussetzungen
Rz. 13 Teil 14
Dienstverhältnis vor, dass von einem einheitlichen Dienstverhältnis auszugehen ist. Ist allerdings der einzige Umstand, der für eine Verknüpfung zwischen altem und neuem Dienstverhältnis spricht, die Regelung, dass die Pensionszusage aufrechterhalten werden solle, während in Bezug auf den Arbeitsbereich oder die Vergütung erhebliche Änderungen vereinbart worden sind, kann dies für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprechen.1 Die nicht mit einem Arbeitgeberwechsel verbundene Umsetzung und die Versetzung führen dagegen – soweit sie sich innerhalb des dem Arbeitgeber zustehenden Direktionsrechts halten – i.d.R. nicht zur Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses. Diesbezüglich erfolgte Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers können allerdings unter § 24 Nr. 1b EStG fallen.2
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Wird ein Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers in ein freies Mitarbeiterverhältnis umgewandelt, liegt darin eine Auflösung des bisherigen Dienstverhältnisses, so dass § 24 Nr. 1a EStG Anwendung findet, sofern eine Abfindung gezahlt wird.3 Wird ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer beendet und schließt anschließend der Arbeitnehmer einen Anstellungsvertrag als Geschäftsführer einer von ihm mit gegründeten GmbH ab, an der er zu 50 % beteiligt ist, die im Wege eines Management buy out den Geschäftsbetrieb des früheren Arbeitgebers fortführt, so kann dies als eine endgültige Auflösung des bisherigen Dienstverhältnisses gesehen werden.4
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Nach der Rspr. des BFH kann eine Leistung nur dann als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG anerkannt werden, wenn sie im Vergleich zu den bisherigen Einnahmen auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht.5 Denn die Entschädigung wird ersatzweise für entgangene oder entgehende Einnahmen erbracht, setzt also den Wegfall der bisherigen Einnahmequelle und ihrer rechtlichen Grundlagen voraus.
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Nach der früheren Rechtsprechung stellten sich Leistungen, die schon im Arbeitsvertrag für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart wurden, nicht als Entschädigung für einen Einnahmeverlust dar, sondern dienten der Erfüllung bereits bestehender Ansprüche aus dem ursprünglichen Arbeitsverhältnis.6 Diese Rechtsprechung hat der BFH inzwischen aufgegeben. Vielmehr liegt eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG auch dann vor, wenn bereits bei Beginn des Dienstverhältnisses ein Ersatzanspruch für den Fall der betriebsbedingten Kündigung oder Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses besteht oder
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1 FG Düsseldorf v. 13.12.2000 – 16 K 7483/98 E, EFG 2001, 502. 2 Vgl. Bauer, VII. Rz. 51. 3 FG Münster v. 16.5.1997 – 1 K 1409/97 E, EFG 1997, 1298 (rkr., zu § 3 Nr. 9 a.F. EStG); Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Rz. 317. 4 BFH v. 9.5.2007 – XI R 52/05, GmbHR 2007, 1169. 5 BFH v. 27.2.1991 – XI R 8/87, BStBl. II 1991, 703; v. 25.3.1975 – VIII R 183/73, BStBl. II 1975, 634; v. 10.9.2003 – XI R 9/02, BFHE 204, 65 = BStBl. II 2004, 349; v. 16.11.2005 – XI R 32/04, GmbHR 2006, 389. 6 BFH v. 27.2.1991 – XI R 8/87, BFHE 164, 2423 = BStBl. II 1991, 703; FG Münster v. 20.10. 1998 – 8 K 3247/95 E, EFG 1999, 170 (rkr.); FG München v. 16.9.1999 – 16 K 4486/97, EFG 2000, 67 (rkr.).
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Teil 14 Rz. 14
Steuerrechtliche Folgen
vereinbart worden ist.1 Denn selbst wenn bereits im Dienstvertrag die Ersatzleistung für den Fall der Entlassung geregelt ist, handelt es sich verglichen mit dem bisherigen Anspruch auf Erfüllung von Gehaltsforderungen um einen neuen Rechtsgrund.2 Nach Auffassung des BFH ist es im Hinblick auf den von § 34 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG verfolgten Zweck, die Progression bei zusammengeballtem Zufluss von Entschädigungen zu glätten, unerheblich, ob der Ersatzanspruch durch Gesetz (z.B. § 1a KSchG), durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder individualvertragliche Vereinbarung entsteht und ob dieser erst anlässlich der Beendigung entsteht. 14
Als Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Entschädigung kommen neben einem im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Aufhebungsvertrag, der auch im Rahmen eines Prozessvergleichs erfolgen kann, insbesondere Betriebsvereinbarungen (z.B. Sozialpläne) in Betracht. Auch auf §§ 9, 10 KSchG gestützte arbeitsgerichtliche Urteile beruhen auf einer vom bisherigen Arbeitsverhältnis unabhängigen rechtlichen Grundlage. Billigkeitsgrundlage kann eine sittliche Verpflichtung, der Grundsatz von Treu und Glauben oder die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sein.3
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Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn die bisherige vertragliche Basis bestehen geblieben ist und sich nur Zahlungsmodalitäten geändert haben.4 Eine Änderung der Zahlungsmodalitäten liegt aber nicht bereits dann vor, wenn in einer Versorgungsvereinbarung ein Ablösungsrecht des Arbeitgebers für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalten ist, denn in diesem Fall tritt die Kapitalzahlung ersatzweise an die Stelle der eigentlich vorgesehenen monatlichen Pensionszahlung.5 Keine Entschädigung im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 1a liegt dagegen vor, wenn die Kapitalisierung auf einem Wahlrecht des Arbeitnehmers beruht.6 Ebenfalls keine Entschädigung stellt eine bereits bei Abschluss oder während des Arbeitsverhältnisses vereinbarte Abfindung dar, die für den Verlust späterer Pensionsansprüche infolge der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Wahl des Arbeitgebers in einem Betrag ausgezahlt wird.7
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Soll durch eine vom Arbeitgeber gezahlte Abfindung eine betriebliche Versorgungsanwartschaft des Arbeitnehmers abgegolten werden, so ist für die Anwendbarkeit des § 24 EStG zwischen unverfallbarer und verfallbarer Versorgungsanwartschaft zu unterscheiden:
17
Um eine sog. unverfallbare Versorgungsanwartschaft handelt es sich, wenn die Voraussetzungen des § 1b Abs. 1 BetrAVG erfüllt sind, der Arbeitnehmer also 1 BFH v. 10.9.2003 – XI R 9/02, BFHE 204, 65 = BStBl. II 2004, 349; v. 16.6.2004 – XI R 55/03, BFHE 206, 544 = BStBl. II 2004, 1055; v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006, 2042 = GmbHR 2006, 1169; v. 26.11.2007 – VIII B 117/07. 2 BFH v. 10.9.2003 – XI R 9/02, BFHE 204, 65 = BStBl. II 2004, 349. 3 Schmidt/Seeger, § 24 EStG Rz. 9; v. Schilling, FR 1978, 584; Wacker, § 24 EStG Rz. 11. 4 BFH v. 11.1.2005 – IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044; v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006, 2042 = GmbHR 2006, 1169; FG Münster v. 13.9.2006 – 10 K 6336/04 F, EFG 2006, 1909 (Az. BFH IV R 94/06). 5 BFH v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006, 2042 = GmbHR 2006, 1169. 6 BFH v. 30.1.1991 – XI R 21/88, BFH/NV 1992, 646. 7 BFH v. 27.2.1991 – XI R 8/87, BFHE 164, 243 = BStBl. II 1991, 703.
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Voraussetzungen
Rz. 20 Teil 14
zumindest das 25. Lebensjahr vollendet hat und die Versorgungszusage für ihn mindestens 5 Jahre bestanden hat. Ist dies der Fall, hat der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Betriebsrente bereits eine gesicherte Rechtsposition erlangt; seine Versorgungsanwartschaft bleibt gemäß § 1b Abs. 1 BetrAVG auch dann bestehen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet. Zahlungen, die der Arbeitgeber zur Abgeltung einer solchen unverfallbaren Anwartschaft erbringt, können deshalb nicht als Ausgleich der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile angesehen werden, denn solche hat der Arbeitnehmer gar nicht erlitten.1 Es handelt sich vielmehr um vorgezogene Rentenzahlungen, die der Arbeitnehmer vor der Vertragsbeendigung durch eigene Leistung erworben hat und die in keinem Kausalitätsverhältnis zu der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehen. Zu beachten ist, dass eine Abgeltung der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverfallbaren Versorgungsanwartschaft wegen des Abfindungsverbotes in § 3 Abs. 1 BetrAVG nur in den Ausnahmefällen des § 3 Abs. 2 bis 6 BetrAVG überhaupt in Betracht kommt. Die Zulässigkeit der Abfindung richtet sich dabei seit der Änderung des BetrAVG durch das zum 1.1.1999 in Kraft getretene RRG 992 nach der Höhe der Anwartschaft und nicht mehr nach ihrer Dauer, wie dies in der Vorgängerregelung der Fall war.
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Anders als die Abfindung von unverfallbaren Versorgungsanwartschaften sind die anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit sog. verfallbaren Versorgungsanwartschaften erbrachten Entschädigungszahlungen zu beurteilen. Diese bieten dem Arbeitnehmer einen Ausgleich dafür, dass er durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr die Möglichkeit zum Erwerb eines gesicherten Ruhegeldanspruchs hat. Sie sind deshalb „wegen“ der Beendigung des Dienstverhältnisses geleistet, so dass die ermäßigte Besteuerung nach §§ 24 Nr. 1a, 34 EStG hier zur Anwendung kommt.3 Wird dagegen die Reduzierung einer vertraglich eingeräumten, noch verfallbaren Pensionszusage vereinbart, während das Arbeitsverhältnis im Übrigen unverändert fortgesetzt wird, so handelt es sich bei der für den (teilweisen) Verlust der Pensionsanwartschaft erbrachten Ausgleichszahlung nicht um eine steuerfreie Entschädigung.4
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Werden neben einer Entlassungsentschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG (erstmals) lebenslängliche betriebliche Bar- oder Sachleistungen zugesagt, sind diese als Einkünfte nach § 24 Nr. 2 EStG zu behandeln. Sie sind daher keine außerordentlichen Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG und für die begünstigte Besteuerung der daneben gezahlten Entlassungsentschädigung unschädlich.5 Beispiele sind etwa ein verbilligtes oder unentgeltliches Wohnrecht oder ein Verzicht des Arbeitgebers auf die Kürzung oder das Vorziehen einer lebenslänglichen Betriebsrente. Auch die Umwandlung eines (noch) verfallbaren An-
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1 BFH v. 24.4.1991 – XI R 9/87, BStBl. II 1991, 723 (724) m.w.N.; Hümmerich/Spirolke, NZA 1998, 225 (228). 2 BGBl. I 1997, 3025 ff. 3 BFH v. 24.4.1991 – XI R 9/87, BStBl. II 1991, 723 (724). 4 FG Köln v. 22.3.2001 – XI R 7/2000, BStBl. II 2001, 541. 5 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04; Bauer, VII Rz. 59.
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Teil 14 Rz. 21
Steuerrechtliche Folgen
spruchs auf Betriebsrente in einen unverfallbaren Anspruch ist keine Entlassungsentschädigung, sondern wird von § 24 Nr. 2 EStG erfasst.1 21
Sieht die Entlassungsvereinbarung neben der Geldzahlung weitere Leistungen des früheren Arbeitgebers vor, so kann es sich um Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG handeln. Beispiele sind die unentgeltliche Nutzung oder Übereignung des Dienstwagens, Dienstcomputers, Vorruhestandsgelder etc. Die verschiedenen Entschädigungsleistungen werden dabei grundsätzlich einheitlich beurteilt.2 Werden zusätzliche Leistungen dagegen nicht nur bei einem vorzeitigen Ausscheiden, sondern auch in anderen Fällen (vor allem auch bei altersbedingtem Ausscheiden) gewährt, liegt keine Entschädigung vor. Gewährt der Arbeitgeber also z.B. grundsätzlich weiterhin auch nach einem Ausscheiden Mitarbeiterrabatte, Sondertarife oder Deputatlieferungen unterfallen diese Leistungen § 24 Nr. 2 EStG und sind für eine begünstigte Besteuerung der im Übrigen gezahlten Entlassungsentschädigung unschädlich.3
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Weitere Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG ist nach der Rspr. des BFH, dass es sich bei dem Einnahmeausfall um ein für den Arbeitnehmer unfreiwilliges Ereignis handelt.4 Die Auflösung des einnahmebegründenden Arbeitsverhältnisses muss auf die Veranlassung einer dritten Person (zumeist des Arbeitgebers) zurückzuführen sein, wobei die auch im Rahmen des früheren § 3 Nr. 9 EStG maßgeblichen Kriterien zur Anwendung kommen.5 Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist durch den Arbeitgeber veranlasst, wenn er die entscheidenden Ursachen für die Beendigung gesetzt hat6. Eine arbeitgeberseitige Kündigung ist hierfür nicht erforderlich. Während der BFH in früheren Entscheidungen eine steuerbegünstigte Entschädigung von vornherein ausgeschlossen hat, soweit eine Mitwirkung des Arbeitnehmers an dem zum Wegfall der Einnahmen führenden Ereignis vorlag7, vertritt er nunmehr die Auffassung, dass die Mitwirkung des Steuerpflichtigen an dem Einnahmeausfall unbeachtlich ist, wenn er unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat.8 Es ist somit nicht mehr erforderlich, dass das Schadensereignis ohne oder gegen den Willen des Arbeitnehmers eingetreten ist. Daher führt auch eine Vereinbarung, die die Vertragsparteien im Rahmen eines Aufhebungsvertrages oder Prozessvergleichs über eine Entschädigungsleistung treffen, nicht automatisch zu einem Ausschluss des § 24 Nr. 1a EStG.9 Vielmehr kann im Regelfall davon ausgegangen 1 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04. 2 BFH v. 14.5.2003 – XI R 12/00, BFHE 203, 38 = BStBl. II 2004, 449; v. 16.6.2004 – XI R 55/03, BFHE 26, 544 = BStBl. II 2004, 1055; v. 23.2.2005 – XI R 3/04, BFH/NV 2005, 1269; v. 28.6.2006 – XI R 58/05, BFHE 214, 319 = BStBl. II 2006, 835. 3 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04. 4 BFH v. 20.10.1978 – VI R 107/77, BStBl. II 1979, 176 (177). 5 Bauer, VII Rz. 47; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, HdB Aufhebungsverträge, Teil 7 Rz. 21. 6 BFH v. 28.11.1991 – XI R 7/90, BFH/NV 1992, 305. 7 BFH v. 20.11.1970 – VI R 183/6, BStBl. II 1971, 263; v. 30.10.1970 – VI R 273/67, BStBl. II 1971, 138 (141). 8 BFH v. 20.7.1978 – IV R 43/74, BStBl. II 1979, 9; v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006. 2042 = GmbHR 2006, 1169. 9 Vgl. BFH v. 16.6.2004 – XI R 55/03, BFHE 206, 544 = BStBl. II 2004, 1055.
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Voraussetzungen
Rz. 24 Teil 14
werden, dass bei Zahlung einer Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG oder aber des § 1a KSchG der Arbeitgeber die Auflösung veranlasst hat.1 Der Arbeitnehmer darf das schadensstiftende Ereignis jedoch nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben. Dies kann der Fall sein, wenn ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt, das eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde (z.B. Diebstahl, Tätlichkeiten oder Beleidigungen gegenüber Vorgesetzten oder Kollegen). Denn in diesen Fällen hat nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer die für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entscheidende Ursache gesetzt.2 Die Steuerermäßigung nach §§ 24, 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt voraus, dass sich der Steuerpflichtige in einer Zwangslage befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen und der damit verbundenen Progressionssteigerung nicht entziehen kann.3
" Praxistipp: Die (Mit-)Veranlassung durch den Arbeitgeber wird i.d.R. be-
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Keine Veranlassung durch den Arbeitgeber liegt grundsätzlich dagegen vor, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis von sich aus gelöst hat, insbesondere durch Eigenkündigung. Auch in derartigen Fallkonstellationen ist allerdings immer danach zu fragen, ob die Gründe für die Vertragsbeendigung nicht eigentlich in der Sphäre des Arbeitgebers zu suchen sind, so etwa, wenn erst vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers überhaupt zu der erwähnten Eigenkündigung geführt hat. In diesem Fall steht dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB zu. Dieser unterfällt § 24 Abs. 1 Nr. 1a EStG.6 Gleiches gilt, wenn zwar der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis zunächst aus eigenem Antrieb zum nächstmöglichen Kündigungstermin gekündigt hat, es daraufhin aber auf Veranlassung des Arbeitgebers zu einem Aufhebungsvertrag kommt, in dem gegen Abfindungszahlung die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart wird.7 Denn die vorzeitige Vertrags-
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reits durch die Zahlung der Abfindung indiziert sein.4 Insoweit besteht eine widerlegbare Vermutung, dass der Arbeitgeber die Auflösung veranlasst hat, da er sich andernfalls in der Regel nicht zur Zahlung der Abfindung bereit erklären würde. Dennoch empfiehlt es sich, insbesondere im Fall der einvernehmlichen Vertragsauflösung, die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Vertragsbeendigung in einem Aufhebungsvertrag bzw. Vergleich schriftlich festzuhalten. Dadurch wird die Steuerverwaltung zwar nicht gebunden, es wird jedoch jedenfalls eine Vermutung für die arbeitgeberseitige Veranlassung der Vertragsbeendigung begründet.5
1 BFH v. 10.11.2004 – XI R 14/04, BFH/NV 2005, 1247; v. 19.10.2005 – XI R 24/04. 2 BFH v. 17.5.1977 – VI R 150/76, BStBl. II 1977, 735 (737); Schreiben des BMF v. 3.10. 1977, BStBl. I 1977, 488 zum früheren § 3 Nr. 9 EStG. 3 BFH v. 7.3.1995 – IX R 54/94, DStR 1995, 1054; v. 10.4.2003 – XI R 4/02, BFHE 202, 290 = DStBl. II 2003, 748; v. 13.12.2005 – XI R 55/04, BFH/NV 2006. 2042 = GmbHR 2006, 1169. 4 Offerhaus, DB 1982, Beilage 10, 1. 5 Vgl. LStR § 9 Abs. 2 Satz 2; Bauer, NZA 1991, 617 (618); Weber/Ehrich/Burmester/ Fröhlich, HdB Aufhebungsverträge, Teil 7 Rz. 18. 6 BFH v. 17.5.1977 – VI R 161/78, BStBl. II 1977, 718; Bauer, VII. Rz. 27; ErfK/Müller-Glöge, § 628 Rz. 44. 7 FG Köln v. 1.8.1991 – 13 V 547/91, EFG 1991, 646 (rkr.) zum früheren § 3 Nr. 9 EStG.
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Teil 14 Rz. 25
Steuerrechtliche Folgen
auflösung ist in diesem Fall allein auf die Initiative des Arbeitgebers zurückzuführen, so dass trotz der vorherigen Kündigungserklärung des Arbeitnehmers von einer arbeitgeberseitigen Veranlassung auszugehen ist. 25
Das vertragsgemäße Auslaufen eines befristeten Arbeitsverhältnisses stellt dagegen unzweifelhaft keine vom Arbeitgeber veranlasste Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Auf etwaige aus diesem Anlass vom Arbeitgeber erbrachte Ausgleichszahlungen findet § 24 EStG deshalb keine Anwendung.1 Anders ist es freilich zu beurteilen, wenn vor Ablauf der Befristung auf Veranlassung des Arbeitgebers der Arbeitsvertrag gelöst wird. Hier hat der Arbeitgeber die maßgebliche Ursache für die Vertragsbeendigung selbst gesetzt, so dass eine diesbezüglich gezahlte Abfindung in den gesetzlich vorgesehenen Grenzen steuerfrei bleibt. Eine Steuerbegünstigung kommt auch für Abfindungen in Betracht, die gezahlt werden, um eine zwischen den Parteien bestehende Streitigkeit über die Wirksamkeit der Befristung zu beseitigen.2
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" Praxistipp: Dementsprechend können Ausgleichszahlungen, die bei der ar-
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Ein erheblicher rechtlicher oder wirtschaftlicher Druck liegt auch dann nicht vor, wenn der Steuerpflichtige selbst freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsspielraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss aber für den Arbeitnehmer vorhersehbar gewesen sein.6 Aus diesem Grunde gelten beispielsweise Streikunterstützungen nicht als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG, sofern der Arbeitnehmer mit seinem freiwilligen Beitritt zur Gewerkschaft das schadensstiftende Ereignis des Streiks selbst in zurechenbarer Art und Weise mit herbeigeführt hat.7
beitnehmerseitigen veranlassten Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach einer Eheschließung gezahlt werden3, ebenso wenig als Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG angesehen werden wie Abfindungsbeträge, die vom Arbeitgeber geleistet werden, nachdem der Arbeitnehmer wegen Ablehnung seines Begehrens auf Teilzeitbeschäftigung das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.4 Denn in beiden Fällen liegt die Ursache für die zur Vertragsbeendigung führende Zwangslage in der Sphäre des Arbeitnehmers.5
b) Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, § 24 Nr. 1b EStG 28
Nach §§ 24 Nr. 1b, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG sind Entschädigungen steuerlich begünstigt, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt werden. Im Gegensatz zu den Entschädigungen nach § 24 Nr. 1a EStG wird hier kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der Entschädigungs1 BFH v. 16.4.1980 – VI R 86/77, BFHE 130, 168 (172); v. 18.9.1991 – XI R 8/90, BStBl. II 1992, 34 jeweils zum früheren § 3 Nr. 9 EStG. 2 Bauer, VII. Rz. 48. 3 BFH v. 21.6.1990 – X R 46/86, BStBl. II 1990, 1020. 4 BFH v. 28.11.1991 – XI R 7/90, BFH/NV 1992, 305. 5 Vgl. auch BFH v. 24.10.1990 – X R 161/88, BStBl. II 1991, 337 (339 f.) zur Frage der Streikunterstützung (der BFH verneint den Entschädigungscharakter). 6 BFH v. 7.3.1995 – IX R 54/94, DStR 1995, 1054. 7 BFH v. 24.10.1990 – X R 161/88, BStBl. II 1991, 337 (339 f.).
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Voraussetzungen
Rz. 31 Teil 14
leistung und dem Wegfall von Einnahmen vorausgesetzt. Vielmehr reicht es aus, wenn im Zeitpunkt der Vereinbarung über die Ausgleichszahlung der Einnahmeausfall durch die Aufgabe bzw. Nichtausübung der Tätigkeit absehbar ist.1 So ist beispielsweise bei einer Entschädigung für ein Wettbewerbsverbot nicht darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer die Möglichkeit gehabt hätte, die ihm untersagte Tätigkeit während des betreffenden Zeitraums tatsächlich auszuüben und dadurch Einnahmen zu erzielen2, sondern allein darauf, ob er ohne das Wettbewerbsverbot in Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entsprechende Einnahmen erzielt hätte.3 Anders als für Entschädigungsleistungen nach § 24 Nr. 1a EStG setzt die Rspr. des BFH im Rahmen des § 24 Nr. 1b EStG eine neue Rechts- oder Billigkeitsgrundlage nicht voraus.4 Die Entschädigung kann daher auch bereits im Arbeitsvertrag vereinbart sein, sofern sie über die Ansprüche hinausgeht, die der Arbeitnehmer ohnehin im Laufe seines Dienstverhältnisses erworben hat, etwa Lohnforderungen oder Ansprüche auf Urlaubsgeld.
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Auch das Merkmal der Unfreiwilligkeit gehört im Unterschied zu § 24 Nr. 1a EStG nicht zu den Voraussetzungen einer Entschädigung nach § 24 Nr. 1b EStG. Die Aufgabe oder Nichtausübung der Tätigkeit muss dementsprechend nicht notwendigerweise auf Druck des Arbeitgebers hin zustande gekommen sein; auch Zahlungen, die im Zusammenhang mit einer freiwilligen, einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgt sind, können über §§ 24 Nr. 1b, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG steuerlich begünstigt sein.5 Sieht beispielsweise der Arbeitvertrag bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze die Möglichkeit eines (freiwilligen) Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gegen entsprechende Ausgleichszahlungen vor und nimmt der Arbeitnehmer diese Option wahr, handelt es sich bei den ausgleichsweise gewährten Zuwendungen um Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1b EStG.6
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Der Arbeitnehmer muss sich entweder zur endgültigen Aufgabe oder zur vorübergehenden, zeitlich begrenzten Nichtausübung seiner bisherigen Tätigkeit verpflichtet haben. Letzteres hat der BFH auch für den Fall angenommen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich gegen Zahlung einer Entschädigung auf ein Wettbewerbsverbot geeinigt haben.7 Denn in der Wettbewerbsabrede verpflichtet sich der Arbeitnehmer, seine Arbeitskraft zumindest für einen bestimmten Zeitraum nur beschränkt, in dem vertraglich vorgegebenen Umfang, zu nutzen, was jedenfalls eine zeitlich begrenzte Nichtausübung der bisherigen Tätigkeit bedeutet. Dabei ist es nach neuerer Rspr. des BFH unerheblich, ob das Wett-
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BFH v. 5.10.1976 – VIII R 38/72, BFHE 119, 471 (477). BFH v. 13.2.1987 – VI R 230/83, BStBl. II 1987, 386 (387). Vgl. auch v. Bornhaupt, BB 1980, Beil. 7, 1 (14). BFH v. 13.2.1987 – VI R 230/83, BStBl. II 1987, 386 (388); v. 16.3.1993 – XI R 10/92, BStBl. II 1993, 497 (498). 5 BFH v. 2.4.1976 – VI R 67/74, BFHE 119, 141 (144); v. 8.8.1986 – VI R 28/84, BStBl. II 1987, 106 (107); Blümich/Stuhrmann, 98. EL, EStG, § 24 Rz. 52; v. Bornhaupt, BB 1980, Beil. 7, 1 (13 f.). 6 BFH v. 8.8.1986 – VI R 28/84, BStBl. II 1987, 106 (107). 7 BFH v. 12.6.1996 – XI R 43/94, BStBl. II 1996, 516 (517).
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Teil 14 Rz. 32
Steuerrechtliche Folgen
bewerbsverbot bereits im ursprünglichen Arbeitsvertrag als vertragliche Nebenleistung vereinbart, oder ob es als Hauptpflicht eines erst später abgeschlossenen Vertrages (insbesondere: Aufhebungsvertrages) festgeschrieben wird.1 Ebenso wenig erfordert die Anwendung des § 24 Nr. 1b EStG eine Beschränkung des Wettbewerbsverbotes auf eine bestimmte, einer steuerrechtlichen Einkunftsart zuzuordnenden Tätigkeit, so dass – entgegen der älteren Rspr.2 – auch Wettbewerbsentschädigungen, die für eine umfassende Unterlassungspflicht gezahlt werden, und die mangels Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart als sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG einzustufen sind, als Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1b EStG anzusehen sind.3 32
Die in § 24 Nr. 1b EStG vorgeschriebene (endgültige) Aufgabe der bisherigen Tätigkeit bedeutet nicht, dass der Arbeitnehmer gleichzeitig seinen Beruf aufgeben muss. Nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses bleibt deshalb die Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber grds. möglich, ohne dass die Steuerermäßigung für die vom bisherigen Arbeitgeber erbrachte Entschädigung entfällt.4 Genauso wenig setzt die Entschädigung für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit zwingend die Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses voraus. Denn anders als § 24 Nr. 1a EStG umfasst sie nicht lediglich den Ausgleich finanzieller Einbußen anlässlich der Auflösung eines Rechtsverhältnisses, sondern auch solche Ausgleichszahlungen, die als Gegenleistung für den Verzicht auf eine mögliche Einkunftserzielung erbracht werden und damit ein bestehendes Rechtsverhältnis zwischen Entschädigendem und Entschädigtem gerade nicht voraussetzen.5 § 24 Nr. 1b EStG kann daher z.B. auch auf solche Entschädigungen Anwendung finden, die wegen der Umsetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen, im Vergleich zu dem bisherigen schlechter bezahlten Arbeitsplatz mit unterschiedlichem Tätigkeitsbereich, gezahlt werden. 2. Außerordentliche Einkünfte (§ 34 EStG)
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Nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG gehören die im Rahmen des § 24 Nr. 1 EStG gewährten Entschädigungen grds. zu den außerordentlichen Einkünften i.S.d. § 34 EStG. Voraussetzung ist jedoch, dass sie dem Steuerpflichtigen innerhalb eines Veranlagungszeitraums zugeflossen sind (= Zusammenballung von Einkünften). Ist dies der Fall, unterliegt die Entschädigung bei entsprechendem Antrag einem reduzierten Steuersatz, der nach dem in § 34 Abs. 1 Satz 2–4 EStG geschilderten sog. Fünftelungsverfahren zu berechnen ist. Dieses ist an die Stelle der bis zum Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Besteuerung nach 1 BFH v. 12.6.1996 – XI R 43/94, BStBl. II 1996, 516 (518); zustimmend: Herrmann/Heuer/ Raupach/Horn, EStG, § 24 Rz. 48 m.w.N.; anders noch BFH v. 21.9.1982 – VIII R 140/79, BStBl. II 1983, 289 (291 f.), wonach als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1b EStG nur die in vertraglicher Nebenabrede vereinbarte Karenzentschädigung in Betracht kommen sollte, da die Entschädigung als bloße Ersatzleistung kein Entgelt für eine in der Unterlassung von Wettbewerb bestehenden Hauptleistungspflicht sein könne. 2 BFH v. 21.9.1982 – VIII R 140/79, BStBl. II 1983, 289. 3 BFH v. 23.3.1999 – IX R 86/95, BStBl. II 1999, 590 (591); v. 12.6.1996 – XI R 43/94, BStBl. II 1996, 516 (517). 4 BFH v. 8.8.1986 – VI R 28/84, BStBl. II 1987, 106 (107). 5 BFH v. 23.1.2000 – XI R 7/00, BFH/NV 2001, 1061.
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Voraussetzungen
Rz. 37 Teil 14
dem halben durchschnittlichen Steuersatz getreten. Nach der Fünftelungsregelung sollen – vereinfacht ausgedrückt – die außerordentlichen Einkünfte auf fünf Jahre verteilt werden. a) Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum Die Steuerermäßigung nach §§ 24, 34 EStG soll der übermäßigen Steuerprogression und der damit verbundenen höheren steuerlichen Belastung entgegenwirken, die dadurch entsteht, dass es innerhalb eines Veranlagungszeitraumes zu einer Zusammenballung von Einnahmen kommt, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Veranlagungszeiträume verteilt hätten (1. Prüfungsschritt)1 und die – wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt – zumindest über die Einkünfte hinausgehen, die bei Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses angefallen wären (2. Prüfungsschritt).2 Entsprechend diesem Regelungszweck sind nach der Rspr. des BFH nur solche Entschädigungen i.S.d. § 34 EStG steuerlich begünstigt, die dem Arbeitnehmer binnen eines Kalenderjahres/Veranlagungszeitraums zugeflossen sind.3 Dabei ist der Steuersatz selbst dann zu ermäßigen, wenn mit der Entschädigungsleistung tatsächlich keine konkrete zusätzliche Progressionsbelastung verbunden ist.4
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Wird die Entschädigung in laufenden Zahlungen erbracht, die sich über zwei oder mehr Veranlagungszeiträume erstrecken, können diese mangels Zusammenballung i.d.R. nicht als außerordentliche Einkünfte berücksichtigt werden.5 Dies gilt nicht, wenn die Entschädigungssumme dem Steuerpflichtigen zwar in mehreren Teilbeträgen, aber innerhalb eines Kalenderjahres zufließt. Denn hier liegt eine Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum und damit die Gefahr einer Progressionssteigerung gleichermaßen vor wie bei der in Form einer Einmalzahlung erbrachten Entschädigung. In diesen Fällen kommt deshalb u.U. trotz Ratenzahlung für den gesamten Abfindungsbetrag eine Steuerermäßigung in Betracht.6
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" Praxistipp: Auch „Abschläge“ auf die Abfindung werden wie echte Raten
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Von dem o.g. Grundsatz, dass die Abfindung binnen eines Kalenderjahres dem Steuerpflichtigen zugeflossen sein muss, Ratenzahlungen über mehrere Veranlagungszeiträume also nicht steuerlich begünstigt sind, hat der BFH bisher le-
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behandelt. Dies hat zur Folge, dass die Zahlung eines Abschlags in einem Jahr und die der Hauptabfindung im zweiten Jahr die Anwendung der §§ 24, 34 EStG grundsätzlich ausschließt.
1 BFH v. 2.9.1992 – XI R 63/89, DB 1993, 2008 (2009); v. 20.10.1978 – VI R 107/77, BStBl. II 1979, 176 (178). 2 BFH v. 16.7.1997 – XI R 13/97, DStR 1997, 1531 (1532); v. 4.3.1998 – XI R 46/97, DB 1998, 1266. 3 BFH v. 20.10.1978 – VI R 107/77, BStBl. II 1979, 176 (178); v. 4.3.1998 – XI R 46/97, DB 1998, 1266. 4 BFH v. 17.12.1982 – III R 136/79, BStBl. II 1983, 221 (222); v. 21.3.1996 – XI R 51/95, DB 1996, 1503 (1504). 5 BFH v. 21.11.1980 – VI R 179/78, BStBl. II 1981, 214; v. 28.6.2006 – XI R 58/05, BFHE 214, 319 = BStBl. II 2006, 835. 6 Blümich/Lindberg, EStG, 98. EL, § 34 Rz. 43.
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Teil 14 Rz. 38
Steuerrechtliche Folgen
diglich in eng begrenzten Ausnahmefällen Abweichungen in Erwägung gezogen, etwa wenn die Entschädigung ursprünglich als Einmalzahlung geplant war, dann aber wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt wurde, oder wenn der Entschädigungsempfänger – bar aller Existenzmittel – dringend auf den baldigen Bezug einer Vorauszahlung angewiesen war und deshalb die Entschädigung in auf verschiedene Veranlagungszeiträume verteilten Raten ausgezahlt wurde.1 Von dieser Ausnahmerechtsprechung ist der BFH nunmehr allerdings wieder abgerückt.2 In seiner Entscheidung vom 6.9.20003 weist das Gericht jedenfalls ausdrücklich darauf hin, dass bei einer Verteilung der Entschädigung auf zwei Veranlagungszeiträume eine Berücksichtigung als außerordentliche Einkünfte allenfalls im Wege der Billigkeit stattfinden kann, wenn besonders gelagerte Ausnahmen (z.B. Fälle finanzieller Existenznot) vorliegen. Eine Zusammenballung von Einkünften wird darüber hinaus ausnahmsweise auch dann anzunehmen sein, wenn die im ersten Kalenderjahr gezahlten Abfindungsraten die Steuerfreibeträge gem. § 3 Nr. 9 EStG a.F. nicht übersteigen und alle übrigen Raten im nächsten Kalenderjahr zufließen, da sich dann die steuerpflichtigen Abfindungsbestandteile (und nur für diese gelten ja die §§ 24, 34 EStG!) wiederum auf nur ein Kalenderjahr konzentrieren.4 38
Entsprechend dem Inhalt des BMF-Schreibens zu Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der ertragsteuerlichen Behandlung von Entlassungsentschädigungen vom 24.5.20045 besteht zudem in bestimmten Fällen die Möglichkeit, durch Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO eine in mehreren Veranlagungszeiträumen zugeflossene Entlassungsentschädigung auf einen Veranlagungszeitraum zu beziehen, womit § 34 EStG auf die einzelnen Zahlungen anwendbar bleibt. Erfasst sind Fälle, in denen es planwidrig zu einem über mehrere Kalenderjahre verteilten Zufluss der Entschädigung gekommen ist, obwohl die Parteien zuvor eindeutig einen einmaligen Zufluss vereinbart hatten. Eine solche Planwidrigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der Arbeitgeber versehentlich einen zu niedrigen Entschädigungsbetrag ausgezahlt hat, dies von den Parteien erst nach Ende des Kalenderjahres erkannt wird und die Auszahlung der verbleibenden Abfindungssumme dementsprechend während eines späteren Veranlagungszeitraums erfolgen muss. Entsprechend ist es zu beurteilen, wenn die Höhe der Entschädigung zwischen den Parteien streitig ist und der Arbeitgeber innerhalb des Veranlagungszeitraums zunächst nur einen Teil der Summe ausgezahlt hat, während die den Restbetrag betreffenden Ansprüche vor Gericht geklärt werden sollen. Die aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder Vergleichs in einem späteren Veranlagungszeitraum geleistete Nachzahlung wird dann so be1 BFH v. 2.9.1992 – XI R 63/89, DB 1993, 2008 (2009); v. 1.2.1957 – VI 87/55 U, BStBl. III 1957, 104 (105). 2 Vgl. BFH v. 16.11.2005 – XI R 32/04, GmbHR 2006, 389. 3 BFH v. 6.9.2000 – XI R 19/00, BFH/NV 2001, 431. 4 BFH v. 2.9.1992 – XI R 44/91, DB 1992, 2602; v. 20.7.1988 – I R 250/83, BStBl. II 1988, 936; v. 28.6.2006 – XI R 58/05, BFHE 214, 319 = BStBl. II 2006, 835, wonach dies nicht für den umgekehrten Fall gilt, wenn die nach Auffassung der Vertragsparteien § 3 Nr. 9 a.F. unterfallenden nicht als erste Rate ausgezahlt wird. 5 BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 17.
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Voraussetzungen
Rz. 41 Teil 14
handelt, als sei sie in dem Veranlagungszeitraum zugeflossen, in dem auch der erste Entschädigungsteil ausbezahlt wurde. Die Billigkeitsregelung kann in diesem Fall aber nur eingreifen, wenn der Arbeitnehmer hinsichtlich einer etwaigen Steuermehrbelastung keinen Ersatzanspruch gegenüber dem Arbeitgeber hat.1
" Praxistipp: Voraussetzung für die Anwendung der Billigkeitsregelung ist
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Falls der Arbeitnehmer in einem nachfolgenden Veranlagungszeitraum die Einmalabfindung ganz oder teilweise zurückzuzahlen hat, so wird die Rückzahlung als Korrektur der Einmalabfindung behandelt. Das bedeutet, dass der tarifbegünstigte Betrag des Veranlagungszeitraums, in dem die Abfindung zugeflossen ist, um den Rückzahlungsbetrag zu mindern ist. Bei einem bestandskräftigen Steuerbescheid für diesen Veranlagungszeitraum erfolgt eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.2
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Weitere Ausnahmen vom Grundsatz des zusammengeballten Zuflusses der Entschädigungsleistungen in einem Veranlagungszeitraum sind ferner vom BFH in Fällen ergänzender Zusatzleistungen, die Teil der einheitlichen Entschädigung sind und in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit gewährt werden, zugelassen worden.3 Abgeleitet wird dies aus einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.4 Derartige Zusatzleistungen setzen weder eine Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers noch eine besondere nachvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers voraus.5 Die Leistungen können für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung unschädlich sein.6 Beispiele hierfür sind monat-
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ein Antrag des Steuerpflichtigen bei dem zuständigen Finanzamt. Wird diesem stattgegeben, ist die planwidrige Nachzahlung in den Veranlagungszeitraum mit einzubeziehen, in dem die Hauptentschädigung zugeflossen ist. Der diesbezügliche Steuerbescheid ist gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entsprechend abzuändern und die gesamte Entschädigungssumme nach § 34 EStG begünstigt zu versteuern. Bei Ablehnung des Antrags muss dagegen mangels Zusammenballung von Einkünften die Tarifermäßigung für die im ersten Veranlagungszeitraum ausgezahlte Hauptentschädigungssumme rückwirkend versagt werden, ebenfalls unter entsprechender Abänderung des Steuerbescheides.
1 BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 19. 2 BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 18. 3 BFH v. 14.8.2001 – XI R 22/00, BFHE 196, 500 = BStBl. II 2002, 180; v. 24.1.2002 – XI R 43/99, BFHE 197, 522 = BStBl. II 2004, 442; v. 6.3.2002 – XI R 16/01, BFHE 198, 484 = BStBl. II 2004, 446; v. 23.2.2005 – XI R 3/04, BFH/NV 2005, 1269; v. 28.6.2006 – XI R 58/05, BFHE 214, 319 = BStBl. II 2006, 835. 4 BFH v. 14.8.2001 – XI R 22/00, BFHE 196, 500 = BStBl. II 2002, 180. 5 BFH v. 3.7.2002 – XI R 80/00, BFHE 199, 395 = BStBl. II 2004, 447; v. 14.5.2003 – XI R 23/02, BFHE 202, 491 = BStBl. II 2004, 451; v. 21.1.2004 – XI R 22/03, BFH/NV 2004, 1226. 6 BFH v. 14.4.2005 – XI R 11/04, BFH/NV 2005, 1772.
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Teil 14 Rz. 42
Steuerrechtliche Folgen
liche Zusatzleistungen zum Arbeitslosengeld1, Jubiläumszuwendungen2, Aufzahlungen zum Ausgleich aus der betrieblichen Altersversorgung3 oder Zahlungen aus einem besonderen Härtefonds4, insbesondere wenn sie auf Sozialplänen beruhen. Diese Zusatzleistungen sind jedoch nicht auch noch tarifbegünstigt nach § 34 EStG zu versteuern.5 42
Erfolgt indes aufgrund der Zusatzleistungen eine umfassende Versorgung des ehemaligen Arbeitnehmers (z.B. Übernahme der Kosten der Wohnung, des Pkw usw.) kann nicht mehr von ergänzenden Zusatzleistungen gesprochen werden, so dass eine Tarifermäßigung für die gesamte Entschädigung ausscheidet.6 Welchen Umfang die Zusatzleistungen haben dürfen, ist fraglich. Vorgeschlagen wird, dass die Zusatzleistungen nicht mehr als 50 % der Hauptleistung erreichen dürfen.7 Nach der Rechtsprechung müssen sie betragsmäßig einen ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung bilden, sie dürfen ihrer Höhe nach die Zusammenballung der Hauptleistung nicht in Frage stellen, d.h. sie dürfen sie der Höhe nach also bei weitem nicht erreichen.8 Dies gilt selbst dann, wenn die Übergangsgelder aufgrund eines tarifvertraglichen Anspruchs geleistet werden.9
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Die Zusammenballung von Einkünften setzt nach Ansicht des BFH nicht voraus, dass die Entschädigung die entgehenden Einnahmen mehrerer Jahre abdecken soll. Auch wenn der Einnahmeverlust nur eines Kalenderjahres ersetzt werden soll, kann § 34 EStG deshalb anwendbar sein.10 Es ist auch nicht erforderlich, dass die Entschädigung höher als eine Jahresvergütung ist, solange der gezahlte Betrag eigentlich zwei Veranlagungszeiträume betrifft, jedoch aufgrund der Auszahlung nur in einem Veranlagungszeitraum steuerlich erfasst wird.11 Entscheidend ist, ob es in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Konzentration von Einkünften gekommen ist, dem Steuerpflichtigen also unter Berücksichtigung der Entschädigungssumme höhere Einkünfte zugeflossen sind als dies bei Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses der Fall gewesen wäre.12 Diese 1 BFH v. 24.1.2002 – XI R 43/99, BFHE 197, 522 = BStBl. II 2004, 442; v. 14.4.2005 – XI R 11/04, BFH/NV 2005, 1772. 2 BFH v. 14.5.2003 – XI R 23/02, BFHE 202, 491 = BStBl. II 2004, 451. 3 BFH v. 21.1.2004 – XI R 22/03, BFH/NV 2004, 1226. 4 BFH v. 6.3.2002 – XI R 16/01, BFHE 198, 484 = BStBl. II 2004, 446. 5 BFH v. 14.8.2001 – XI R 22/00, BFHE 196, 500 = BStBl. II 2002, 180; v. 6.3.2002 – XI R 16/01, BFHE 198, 484 = BStBl. II 2004, 446; v. 16.6.2004 – XI R 55/03, BFHE 206, 544 = BStBl. II 2004, 1055. 6 BFH v. 23.2.2005 – XI R 3/04, BFH/NV 2005, 1269. 7 Wagner, AuR 2006, 46, 48. 8 BFH v. 24.1.2002 – XI R 2/01, BFHE 197, 536 = BStBl. II 2004, 444; v. 15.10.2003 – XI R 17/02, BFHE 203, 490 = BStBl. II 2004, 264; v. 28.6.2006 – XI R 58/05, BFHE 214, 319 = BStBl. II 2006, 835; FG München v. 27.1.2004 – 2 K 640/00, DStRE 2006, 976. 9 FG München v. 27.1.2004 – 2 K 640/00, DStRE 2006, 976 (n. rkr.; Az. beim BFH IX R 55/05). 10 BFH v. 4.3.1998 – XI R 46/97, DB 1998, 1266, v. 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361. 11 Zweifelnd unter Hinweis auf den neuen § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG Bauer, VII Rz. 64. 12 BFH v. 16.7.1997 – XI R 13/97, DB 1997, 1957; v. 4.3.1998 – XI R 46/97, DB 1998, 1266; v. 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361.
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Laber
Voraussetzungen
Rz. 45 Teil 14
Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen nicht übersteigt und der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen (etwa aus Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber oder aufgrund von Lohnersatzleistungen1) bezieht, die er bei Fortbestand des Vertragsverhältnisses nicht bezogen hätte.2 Der BFH wendet sich in seiner Entscheidung vom 4.3.19983 ausdrücklich gegen die bis dahin geltende Auffassung der Finanzverwaltung. Danach sollte eine innerhalb eines Veranlagungszeitraums zugeflossene Entschädigungszahlung grds. über § 34 EStG tarifbegünstigt sein, und zwar selbst dann, wenn sie der Höhe nach den Betrag eines früheren Jahresgehalts nicht überstieg und weitere Einnahmen nicht erzielt wurden.4 Nach der neuen Rechtslage hängt die Zusammenballung von Einkünften in erster Linie davon ab, ob der Steuerpflichtige im Entschädigungsjahr zumindest geringfügig höhere Einnahmen bezogen hat als es bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses anzunehmen gewesen wäre. Für die Beurteilung dieser – hypothetischen – Frage sind die im Vorjahr erzielten Einkünfte vergleichsweise heranzuziehen und den im Entschädigungsjahr tatsächlich zugeflossenen Einkünften gegenüberzustellen5, wobei die Vergleichsberechnung grundsätzlich anhand der jeweiligen Einkünfte des Steuerpflichtigen laut Steuerbescheid bzw. Steuererklärung vorzunehmen ist.6 Unter Geltung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. war umstritten, ob bei der Vergleichsberechnung steuerfreie Beträge abzuziehen sind. Der BFH hat dies abgelehnt.7 Entsprechend werden in die Berechnung der während des Entschädigungsjahres erzielten tatsächlichen Einnahmen auch die lediglich unter dem Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 EStG stehenden, ansonsten jedoch steuerfreien Lohnersatzleistungen (z.B. Arbeitslosengeld) einbezogen. Zum Verhältnis zwischen Progressionsvorbehalt und Tarifermäßigung im Rahmen der Steuerberechnung siehe unter Rz. 57.
44
Beispiel 1: Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2010. Die Entschädigung im Jahr 2010 beträgt 15 000 Euro. Der Arbeitnehmer findet zum 1.7.2010 einen neuen Arbeitsplatz. Er verdient dort wie in seinem alten Arbeitsverhältnis 50 000 Euro im Jahr. Weitere Einnahmen hat er nicht.
1 2 3 4
Seitz, DStR 1998, 1377 (1378 f.). BFH v. 4.3.1998 – XI R 46/97, DB 1998, 1266. BFH v. 4.3.1998 – XI R 46/97, DB 1998, 1266 (1267). BMF v. 18.11.1997, BStBl. I 1997, 973; vgl. jedoch nun BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 18. 5 BFH v. 4.3.1998 – XI R 46/97; DB 1998, 1266; einschränkend FG Münster v. 14.6.2007 – 3 K 3466/05 E, EFG 2007, 1777 (Az. beim BFH IX R 85/07) für den Fall, dass sich die finanziellen und arbeitszeitlichen Bedingungen gegenüber dem Vorjahr geändert haben; weitere Beispielsfälle bei Bauer, VII, Rz. 68. 6 BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 12. 7 BFH v. 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361.
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45
Teil 14 Rz. 46
Steuerrechtliche Folgen
Vergleichsberechnung Jahr 2009 Einkünfte i.S.d. § 19 EStG (50 000 Euro ./. 920 Euro1) Einkünfte aus den übrigen Einkunftsarten Summe
49 080 Euro 0 Euro 49 080 Euro
Jahr 2010 Einkünfte i.S.d. § 19 EStG aus bisherigem Arbeitsverhältnis
25 000 Euro
Einkünfte i.S.d. § 19 EStG aus neuem Arbeitsverhältnis
25 000 Euro
./. AN-Pauschbetrag
920 Euro 49 080 Euro
zzgl. Entschädigung
15 000 Euro
Summe
64 080 Euro
Die Entschädigung übersteigt nicht den Betrag der entgangenen Einnahmen aus dem früheren Arbeitsverhältnis. Aus dem alten und dem neuen Arbeitsverhältnis hat der Arbeitnehmer allerdings so hohe Einkünfte, dass es unter Einbeziehung der Entschädigung zu einer die bisherigen Einkünfte übersteigenden Zusammenballung von Einkünften kommt. § 34 EStG ist folglich anwendbar.
Beispiel 2: Wie Beispiel 1. Allerdings beträgt die Abfindung 20 000 Euro und der Arbeitnehmer findet im Jahr 2010 keinen neuen Arbeitsplatz mehr. Vergleichsberechnung Jahr 2009 Einkünfte i.S.d. § 19 EStG (50 000 Euro ./. 920 Euro) Einkünfte aus den übrigen Einkunftsarten Summe
49 080 Euro 0 Euro 49 080 Euro
Jahr 2010 Einkünfte i.S.d. § 19 EStG aus bisherigem Arbeitsverhältnis ./. AN-Pauschbetrag
25 000 Euro 920 Euro
Zzgl. Entschädigung
20 000 Euro
Summe
44 080 Euro
Die Entschädigung übersteigt nicht den Betrag der entgehenden Einkünfte. Der Arbeitnehmer hat somit im Jahr 2010 trotz der Entschädigung geringere Einkünfte als 2009. Damit kommt mangels Zusammenballung § 34 EStG nicht zur Anwendung.
46
Die wegen Einnahmeverlustes gewährte Entschädigung ist bei der Prüfung der Zusammenballung grds. stets einheitlich zu beurteilen, selbst wenn sie sich in zeitlicher oder in sachlicher Hinsicht aus unterschiedlichen Teilleistungen zusammensetzt2, wenn also beispielsweise verschiedene Auszahlungstermine 1 Sog. Arbeitnehmerpauschbetrag nach § 9a EStG. 2 BFH v. 21.3.1996 – XI R 51/95, DB 1996, 1503.
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Laber
Voraussetzungen
Rz. 48 Teil 14
vereinbart werden oder neben der Auszahlung eines Geldbetrages zusätzliche Entschädigungsleistungen des Arbeitgebers (z.B. die unentgeltliche Weiternutzung eines Dienstwagens, einer Firmenwohnung oder betrieblicher Einrichtungen – Telekommunikationsmittel, Büro u.Ä. – nach Beendigung des Dienstverhältnisses) vorgesehen sind. Folge der einheitlichen Beurteilung ist, dass für die gesamte Entschädigungssumme eine Steuerermäßigung nur in Betracht kommt, wenn alle Teilleistungen dem Arbeitnehmer innerhalb eines Kalenderjahres zufließen.1 Nur ausnahmsweise soll nach Ansicht des BFH von dem Grundsatz der einheitlichen Beurteilung abgewichen werden können und eine selbständige Entschädigungsleistung anzunehmen sein, etwa wenn der Arbeitnehmer bei Auflösung mehrerer Arbeitsverhältnisse in einem Veranlagungszeitraum unterschiedliche Ausgleichszahlungen erhält oder wenn neben eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG ein Wettbewerbsverbot i.S.d. § 24 Nr. 1b EStG tritt.2.
47
Eine einheitliche Beurteilung von Entschädigungs-Teilleistungen ist dagegen geboten, wenn der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer neben der Auszahlung einer Entschädigungssumme gleichzeitig eine sog. Outplacement-Beratung zusagt.3 Denn die Beratungsleistung ist als geldwerter Vorteil des Arbeitnehmers und damit als Bestandteil der Gesamtentschädigung anzusehen.4 Zwar mag auch der Arbeitgeber an der Zusage der Beratungsleistung ein eigenes betriebliches Interesse haben (etwa die Verbesserung des Firmenimages oder des Betriebsklimas). Wesentlich für die Annahme eines geldwerten Vorteils ist jedoch, dass der Arbeitnehmer durch die Beratung bereichert ist und damit eine zusätzliche Entschädigungsleistung erhält.5 Übernimmt der Arbeitgeber die Kosten einer Outplacement-Beratung, kann hierin eine Entschädigungszusatzleistung aus sozialer Fürsorge liegen, die einer ermäßigten Besteuerung nach § 34 EStG auch dann nicht entgegensteht, wenn sie in anderen Veranlagungszeiträumen erbracht wird.6 Die Outplacement-Beratung muss aber auch tatsächlich erbracht werden. Verzichtet der Arbeitnehmer auf diesen Service und lässt sich stattdessen die ersparten Aufwendungen in einem späteren Veranlagungszeitraum auszahlen, liegt keine Zusammenballung mehr vor und eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG scheidet aus.7 Wenn der frühere Arbeitgeber die Aufwendungen für eine Outplacement-Beratung im Rahmen eines Vertrags zu Gunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB übernimmt, können diese Leistungen beim Arbeitnehmer allerdings auch als vorweggenommene Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit oder als vorweggenommene Betriebsausgaben aus selbständiger Tätigkeit abzugsfähig sein, was für
48
1 BFH v. 9.7.1992 – XI R 5/91, BStBL. II 1993, 27. 2 BFH v. 16.3.1993 – XI R 10/92, BStBl. II 1993, 497 (498 f.); v. 21.3.1996 – XI R 51/95, DB 1996, 1503. 3 FG Düsseldorf v. 5.4.2000 – 13 K 9505/97 E, EFG 2000, 740 (741). 4 Ebenso Küttner/Huber, Arbeitsvermittlung (private) Rz. 11 unter Bezugnahme auf FG Düsseldorf v. 5.4.2000 – 13 K 9505/97 E, EFG 2000, 740; vgl. auch FG Baden-Württemberg v. 6.3.2007 – 4 K 280/06, EFG 2007, 832. 5 FG Düsseldorf v. 5.4.2000 – 13 K 9505/97 E, EFG 2000, 740 (741). 6 BFH v. 14.8.2001 – XI R 22/00, BFHE 196, 500 = BStBl. II 2002, 480. 7 Bauer, VII Rz. 77.
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Teil 14 Rz. 49
Steuerrechtliche Folgen
den Arbeitnehmer günstiger als eine Besteuerung nach § 34 EStG sein kann. Denn bei dieser Konstellation liegt ein Fall des sog. abgekürzten Vertragswegs vor, der besagt, dass die Direktzahlung eines Dritten dem Zahlungsumweg über den Steuerpflichtigen im Rahmen zweier zweiseitiger Rechtsbeziehungen gleichzusetzen ist1: Der frühere Arbeitgeber wendet dem ausscheidenden Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil zu, bewirkt aber zugleich durch die Leistung an den Dritten die Vertragserfüllung und damit die Entreicherung des Arbeitnehmers.2 Dies gilt nach derzeitiger Rechtsprechung des BFH zum abgekürzten Vertragsweg nur, wenn der Zuwendungsgegenstand ein Geldbetrag ist.3 Handelt es sich bei der Outplacement-Beratung dagegen um ein Dauerschuldverhältnis, das nicht in einer einmaligen Zahlung abgegolten wird, dürften daher abzugsfähige Werbungskosten beim Arbeitnehmer ausscheiden.4 Erbringt der Arbeitgeber oder eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) nach einer Entlassung Qualifikations- und Trainingsmaßnahmen nach dem SGB III (§§ 216a ff. SGB III), stellt dies keinen Arbeitslohn dar.5 49
" Praxistipp: Abfindungsregelungen, die die Übernahme von Outplacement-
50
Wird im Rahmen eines Aufhebungsvertrags vereinbart, dass der arbeitsvertraglich zur dienstlichen und privaten Nutzung bereitgestellte Dienstwagen auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses weiterhin unentgeltlich oder teilentgeltlich vom Arbeitnehmer genutzt werden kann, so kann es sich bei dieser Vergünstigung um einen Teil des Gesamtentschädigungsanspruchs handeln.8 Dieser Anspruch wird durch die weitere Nutzung in dem jeweiligen Kalenderjahr erfüllt, so dass § 34 EStG insgesamt nicht anwendbar ist, wenn der Dienstwagen auch in einem anderen als dem Veranlagungszeitraum genutzt wird, in dem die übrige Entschädigung zufließt. Anderes soll nach Auffassung einiger Finanzgerichte ausnahmsweise dann gelten, wenn die Summe der in zwei Veranlagungszeiträumen zugeflossenen Sachbezüge in Form der Pkw-Nutzung im Verhältnis zu der steuerpflichtigen Abfindungssumme äußerst geringfügig gewesen
Beratungen durch den Arbeitgeber zusagen, sind nicht nur aus lohnsteuerrechtlicher Sicht schwierig. Hinzu kommt, dass bei einer Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber immer dann ein Vorsteuerabzug für die gezahlte Umsatzsteuer auf die Beratungsleistung ausscheidet, weil Leistungsempfänger der Arbeitnehmer ist.6 Entsprechendes gilt bei der Übernahme der Anwaltskosten des Arbeitnehmers im Aufhebungsvertrag durch den Arbeitgeber.7
1 Vgl. BFH v. 15.11.2005 – IX R 25/03, BFHE 2111, 318 = BStBl. II 2006, 623. Bezüglich dieser Entscheidung besteht jedoch ein sog. Nichtanwendungserlass des BMF (BMFSchreiben v. 9.8.2006, BStBl. I 2006, 492). 2 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 6.3.2007 – 4 K 280/06, EFG 2007, 832, zustimmend Kern/Wege, NZA 2008, 564 (566). 3 BFH v. 2.12.1999 – IX R 45/95, BFHE 191, 24 = BStBl. II 2000, 310. 4 Vgl. BMF-Schreiben v. 7.7.2008 – IV C 1 – S 211/07/10007; ablehnend Kern/Wege, NZA 2008, 563 (566). 5 Küttner/Huber, private Arbeitsvermittlung, Rz. 11. 6 Kern/Wege, NZA 2008, 563 (566). 7 Vgl. hierzu Kern/Wiege, NZA 2008. 563 ff. 8 BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 14.
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Voraussetzungen
Rz. 53 Teil 14
ist.1 Nicht als Teil einer einheitlichen Entschädigungsleistung gilt die Zusage einer zeitlich unbefristeten Nutzung des Dienstwagens über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus. Denn wie bereits dargestellt, sind lebenslängliche Sachleistungen nicht als außerordentliche Einkünfte i.S.d. § 34 EStG, sondern als Einkünfte i.S.d. § 24 Nr. 2 EStG zu qualifizieren, und damit nicht als Teil der im Übrigen gezahlten Entlassungsentschädigung anzusehen.2 b) Ermäßigter Steuersatz – Fünftelungsregelung Sind die für eine Zusammenballung von Einkünften erforderlichen Kriterien erfüllt, unterliegt die Entschädigung dem nach § 34 Abs. 1 Satz 2–4 EStG reduzierten Steuersatz für außerordentliche Einkünfte.
51
Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.3.19993 sind die Bestimmungen des § 34 EStG teilweise neu gefasst und die Besteuerungsmodalitäten für außerordentliche Einkünfte abgeändert worden. Während nach der bis dahin geltenden Rechtslage die Tarifermäßigung für Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG nach der Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes und die ermäßigt zu versteuernden Einnahmen auf einen Höchstbetrag von 15 Mio. DM beschränkt waren, gilt für die seit dem Veranlagungszeitraum 1999 zugeflossenen Entschädigungszahlungen das sog. Fünftelungsverfahren nach § 34 Abs. 1 Satz 2–4 EStG n.F. Wie § 34 EStG a.F. hat auch die Neuregelung in erster Linie die Abmilderung einer übermäßigen Steuerprogression im Auge, die jedoch nicht mehr durch eine pauschale Reduzierung des Steuerersatzes um die Hälfte, sondern dadurch erreicht wird, dass zunächst nur ein Fünftel der außerordentlichen Einkünfte bei der Besteuerung berücksichtigt und die darauf entfallende Einkommenssteuer daraufhin verfünffacht wird, § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG.
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Im Einzelnen vollzieht sich die Berechnung der Steuerermäßigung in folgenden Schritten:
53
– Zunächst ist anhand der allgemeinen Steuertabellen die Steuer auf das gesamte zu versteuernde Einkommen des jeweiligen Kalenderjahres – ohne die Abfindung – zu ermitteln (1. Stufe). – Anschließend ist – wie bei Stufe 1 – die normale Steuer auf das gesamte zu versteuernde Einkommen zu ermitteln, wobei ein Fünftel der Abfindung hinzuzurechnen ist (2. Stufe). – Sodann wird die Differenz zwischen den beiden Steuerbeträgen (1. und 2. Stufe), d.h. der auf ein Fünftel der Abfindung entfallende Steuerbetrag, ermittelt (3. Stufe). – Der in der 3. Stufe errechnete Betrag wird verfünffacht und stellt die auf die Entschädigung entfallende Einkommensteuer dar (4. Stufe). – Die insgesamt festzusetzende Einkommensteuer ergibt sich schließlich aus der Summe des nach der Stufe 4 für die Entschädigung und des aus der nor1 BFH v. 11.12.2002 – XI R 37/01, BFH/NV 2003, 747 (1,78 % der Abfindungssumme); v. 3.7.2002 – XI R 34/01, BFH/NV 2003, 447 (1 % der Barentschädigung). 2 BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 14. 3 BGBl. I 1999, 402.
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Teil 14 Rz. 54
Steuerrechtliche Folgen
malen Steuer aus der Stufe 1 auf das sonstige Einkommen entfallenden Betrages. 54
Ist das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer, § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG.
55
" Praxistipp: Die sich aus der Fünftelungsregelung ergebenden Steuervorteile
56
Dies verdeutlichen folgende Berechnungsbeispiele:1
hängen für den einzelnen Arbeitnehmer entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab. Steuerpflichtige, deren Einkommen bereits unter Außerachtlassen der außerordentlichen Einkünfte in den Bereich der oberen Proportionalzone des Steuertarifs hineinreichen, erlangen in der Regel für ihre außerordentlichen Einkünfte keine Steuerermäßigung. Aber auch bei mittleren Einkommen kommt es oftmals nur zu einer vergleichsweise geringen Steuerentlastung.
Beispiel 1: Ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen (zvE) von 40 000 Euro erhält eine Abfindung von 25 000 Euro.2 1. Schritt Steuerlast zvE 40 000 Euro
6 013,50 Euro
2. Schritt Steuerlast 45 000 Euro (1/5 von 25 000 Euro + 40 000 Euro)
7 482,06 Euro
3. Schritt Differenz Schritt 2. und 1.
1 468,56 Euro
4. Schritt Steuerbelastung der Abfindung (1 468,56 Euro × 5)
7 342,80 Euro
5. Schritt Gesamtsteuerbelastung Schritt 1. + Schritt 4.
13 356,30 Euro
Vergleichsberechung ohne §§ 24, 34 EStG Steuerlast zvE 65 000 Euro (40 000 Euro + 25 000 Euro) Vorteil durch die Fünftelungsregelung
13 963,98 Euro 607,58 Euro
Beispiel 2: Ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 100 000 Euro erhält eine Abfindung von 25 000 Euro 1. Schritt Steuerlast zvE 100 000 Euro
27 632,56 Euro
2. Schritt Steuerlast 105 000 Euro (1/5 von 25 000 Euro + 100 000 Euro)
29 826,96 Euro
3. Schritt Differenz Schritt 2. und 1.
2 194.40 Euro
4. Schritt Steuerbelastung der Abfindung (2 194,40 Euro × 5)
10 972,00 Euro
5. Schritt Gesamtsteuerbelastung Schritt 1. + Schritt 4.
38 604,56 Euro
1 Weitere Berechnungsbeispiele finden sich bei Bauer, VII Rz. 80 ff. sowie bei Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, HdB Aufhebungsverträge, Teil 7 Rz. 55 f. 2 Die angegebene Steuerlast enthält bereits den Solidaritätszuschlag.
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Voraussetzungen
Rz. 57 Teil 14
Vergleichsberechung ohne §§ 24, 34 EStG Steuerlast zvE 65 000 Euro (40 000 Euro + 25 000 Euro) Vorteil durch die Fünftelungsregelung
38 688,96 Euro 84,40 Euro
" Praxistipp: Je niedriger der Arbeitnehmer in der steuerlichen Progression
angesiedelt ist, desto günstiger kann sich für ihn die Fünftelungsregelung des § 34 Abs. 1 EStG auswirken. Die Progressionsmilderung ist mit der rechnerischen Verteilung des steuerpflichtigen Teils der Abfindung auf fünf Jahre verbunden. Sie kann sich dort nicht mehr auswirken, wo nur noch eine geringe Progression stattfindet oder diese sogar komplett entfällt.
Da der Arbeitnehmer häufig im Jahr der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld oder andere Lohnersatzleistungen neben der tarifbegünstigten Entschädigung erhält, stellt sich die Frage, wie diese steuerfreien, lediglich dem Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG unterliegenden Einkünfte im Rahmen der Einkommensteuerberechnung nach § 34 EStG zu berücksichtigen sind. Der Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG ist grundsätzlich neben der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG anwendbar.1 In welchem Verhältnis die beiden Normen zueinander stehen, ist jedoch nicht geregelt. In der Literatur und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wurden hierzu verschiedene Berechnungsmethoden vertreten, die zu erheblich unterschiedlichen Steuerbelastungen führen. Nach einer in der Literatur sowie vom FG Baden-Württemberg vertretenen Auffassung sind die Vorschriften der §§ 34, 32b EStG zunächst getrennt anzuwenden und die jeweiligen steuererhöhenden und steuerermäßigenden Wirkungen anschließend auszugleichen (sog. additive Methode).2 Der BFH lehnt diese Berechnungsmethode ab und nimmt eine integrierte Steuerberechnung vor3. Danach sind Progressionseinkünfte bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 EStG grundsätzlich in vollem Umfang und nicht nur zu einem Fünftel steuererhöhend zu berücksichtigen. Ergibt sich nach Abzug der der Tarifermäßigung unterliegenden außerordentlichen Einkünfte nach § 24 Nr. 1 EStG ein negatives zu versteuerndes Einkommen, richtet sich die Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG: Nur der Betrag, um den die außerordentlichen Einkünfte das negative Einkommen übersteigen, wird „gefünftelt“. In diesem Fall sind die Progressionseinkünfte, d.h. das bezogene Arbeitslosengeld, nur insoweit zu berücksichtigen, als sich nach einer Verrechnung mit dem negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommen ein positiver Differenzbetrag ergibt. Durch diese Methode wird verhindert, dass sich bei Anwendung des Progressionsvorbehalts eine höhere Steuerbelastung ergibt als bei Bezug steuerpflichtiger Einkünfte in Höhe der Progressionseinkünfte, was dem 1 BFH v. 15.11.2007 – VI R 66/03, DStR 2008, 241; v. 17.1.2008 – VI R 44/07, DStR 2008, 499. 2 FG Baden-Württemberg v. 29.3.2007 – 8 K 172/03, EFG 2007, 1947; ebenso Siegel/Korezkij, DStR 2005, 577 (580). 3 BFH v. 17.1.2008 – VI R 44/07, DStR 2008, 499; ebenso H 34.2 Beispiel 4 EStH 2006; vgl. jedoch BFH v. 15.11.2007 – VI R 66/03, DStR 2008, 241 für einen Fall des „negativen“ Progressionsvorbehalts.
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Teil 14 Rz. 58
Steuerrechtliche Folgen
Zweck des Progressionsvorbehalts widersprechen würde. Eine höhere Steuerbelastung könnte sich dann ergeben, wenn die außerordentlichen Einkünfte das zu versteuernde Einkommen deutlich übersteigen. Von daher ist im Ergebnis der Auffassung des BFH zu folgen.
III. Anwendung des § 34 EStG im Lohnabzugsverfahren 58
Für die Anwendung des § 34 EStG im Lohnabzugsverfahren ist § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG maßgeblich. Danach ist die Lohnsteuer bei einem sonstigen Bezug im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 und 4 EStG in der Weise zu ermäßigen, dass der sonstige Bezug bei der Ermittlung der Jahreslohnsteuer mit einem Fünftel anzusetzen und der Unterschiedsbetrag im Sinne des Satzes 8 zu verfünffachen ist. Der Arbeitgeber darf dabei auch solche Einnahmen bzw. Einkünfte berücksichtigten, die der Arbeitnehmer nach Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses erzielt. Sind vom Arbeitgeber die hierzu erforderlichen Feststellungen nicht zu treffen, ist die Besteuerung im Lohnsteuerabzugsverfahren ohne Anwendung des § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG durchzuführen. Der Arbeitgeber ist also nicht verpflichtet, die Fünftelungsregelung anzuwenden.1 Die begünstigte Besteuerung erfolgt dann erst im Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers nach § 46 EStG.2
IV. „Brutto = Netto“-Abfindung 59
Insbesondere in arbeitsgerichtlichen Vergleichen und Urteilen, aber auch in Aufhebungsverträgen der Parteien trifft man im Zusammenhang mit vom Arbeitgeber zu leistenden Abfindungs- bzw. Entschädigungszahlungen des Öfteren auf den Zusatz „Brutto = Netto“.
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Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Klausel auf die steuerrechtliche Inanspruchnahme der Arbeitsvertragsparteien hat, wer also die in Verbindung mit der Ausgleichszahlung anfallenden Steuern übernehmen muss. Dabei ist von Bedeutung, in welchem Sinne die Vereinbarung zu verstehen ist: Handelt es sich um eine Bruttolohnvereinbarung, trifft die steuerliche Belastung regelmäßig den Arbeitnehmer3, während bei einer Nettolohnvereinbarung i.d.R. der Arbeitgeber das Steuerrisiko zu tragen hat. Von ihrem objektiven Erklärungswert her spricht die Formulierung „Brutto = Netto“ am ehesten dafür, dass dem Arbeitnehmer eine eigentlich als Bruttobetrag geschuldete Abfindungssumme auch nach Abzug der Steuern in vollem Umfang erhalten bleiben soll, der Arbeitgeber mithin für eine etwaige steuerliche Belastung aufzukommen hat (= Nettolohnvereinbarung).4 Der objektive Aussagewert der Formulierung ist allerdings nicht allein maßgebend. Vielmehr muss sich eine Auslegung der „Brutto = Netto“-Vereinbarung in erster Linie am Willen der Parteien orien1 2 3 4
Braun, ZTR 2006, 129 (130). BMF v. 24.5.2004 – IV A 5 – S 2290 – 20/04, Rz. 13. LAG Köln v. 18.12.1995 – 4 (11) Sa 962/95, LAGE § 9 KSchG Nr. 27. So auch Bauer, VII Rz. 94.
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Das Prinzip vom Zufluss der Einnahmen
Rz. 63 Teil 14
tieren. Wollen diese trotz der objektiv anders zu deutenden „Brutto = Netto“-Klausel die Abfindung als Bruttobetrag verstanden wissen, muss die Klausel deshalb auch in diesem Sinne ausgelegt werden.1 Lässt sich der Parteiwille nicht eindeutig ermitteln oder gelingt dem – insoweit beweispflichtigen2 – Arbeitnehmer nicht der Nachweis, dass die Abfindung als Nettobetrag vereinbart werden sollte, gilt grds. eine Brutto-Abfindung als vereinbart, so dass im Zweifel der Arbeitnehmer das steuerliche Risiko trägt. Die Klausel „Brutto = Netto“ betrifft damit regelmäßig nur die Zahlungsmodalität, indem festgelegt wird, dass der Abfindungsbetrag ungekürzt an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist und dieser die darauf anfallende Lohnsteuer selbst abzuführen hat.3
" Praxistipp: Die Vereinbarung einer „Brutto = Netto“-Klausel im Zusam-
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Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien – ausnahmsweise – eine „steuerfreie“ Auszahlung einer Abfindung an den Arbeitnehmer, so verpflichtet sich der Arbeitgeber damit noch nicht, auch die steuerliche Belastung zu übernehmen, die durch den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 2 EStG verursacht wird. Erst wenn der Arbeitgeber verspricht, für die Dauer der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers die Steuern zu übernehmen, soweit sie „für das Übergangsgeld anfallen“4, beinhaltet dies, den Arbeitnehmer steuerlich auch von der Zusatzbelastung durch den Progressionsvorbehalt freizustellen. Damit ist der Arbeitgeber verpflichtet, die den Nettobetrag des zugesagten Übergangsgelds mindernde Steuerbelastung zu tragen, soweit sie auf der Berücksichtigung der bezogenen Arbeitslosenunterstützung bei der Einkommensteuer beruht.5
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menhang mit Entschädigungsleistungen des Arbeitgebers führt zu unnötigen Auslegungsschwierigkeiten. Die Abfindung sollte deshalb ausdrücklich als „Brutto“- oder „Netto“-Abfindung bezeichnet werden.
V. Das Prinzip vom Zufluss der Einnahmen Das in § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG geregelte Zuflussprinzip besagt, dass Einnahmen i.d.R. innerhalb des Kalenderjahres bezogen sind, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Der Zufluss ist zu bejahen, sobald der Steuerpflichtige über die Einnahme wirtschaftlich verfügen kann. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sehen die §§ 11 Abs. 1 Satz 3, 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG im Hinblick auf laufende Arbeitslohnzahlungen vor. Diese gelten unabhängig vom Zeitpunkt ihres Zuflusses in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Zeit1 LAG Hamm v. 5.3.1980 – 14 Sa 1102/79, DB 1980, 2396; LAG Niedersachsen v. 10.12. 1984 – 2 Sa 110/84, DB 1985, 658; LAG Bremen v. 22.1.1988 – 4 Sa 94/87, BB 1988, 408 (409); LAG Frankfurt v. 7.12.1988 – 10 Sa 1059/88, LAGE § 9 KSchG Nr. 10; LAG Köln v. 18.12.1995 – 4 (11) Sa 962/95, LAGE § 9 KSchG Nr. 27; LAG Baden-Württemberg v. 17.4.1997 – 11 Sa 132/96, LAGE § 9 KSchG Nr. 31; LAG Schleswig-Holstein v. 5.12. 2007 – 6 Sa 358/06. 2 LAG Bremen v. 22.1.1988 – 4 Sa 94/87, BB 1988, 408 (409). 3 LAG Schleswig-Holstein v. 5.12.2007 – 6 Sa 358/06. 4 BAG v. 29.7.2003 – 9 AZR 450/02, EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 5. 5 BAG v. 29.7.2003 – 9 AZR 450/02, EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 5; v. 8.9.1998 – 9 AZR 255/97, NZA 1999, 769 (771).
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Steuerrechtliche Folgen
raum, für den der laufende Arbeitslohn gezahlt wird (= Lohnzahlungszeitraum) endet. Bedeutung erlangt diese Ausnahmevorschrift in erster Linie, wenn während des Lohnzahlungszeitraums ein Jahreswechsel stattfindet (so z.B. bei einem Abrechnungszeitraum vom 27.12.2004 bis zum 26.1.2005), der Lohn aber bereits in dem vergangenen Kalenderjahr an den Arbeitnehmer ausgezahlt wurde. Das betreffende Monatsgehalt wird dann, trotz Zuflusses im Vorjahr, erst für das nachfolgende Jahr (= Ende des Lohnzahlungszeitraums) veranschlagt. Die geschilderte Ausnahmeregelung gilt jedoch nur, soweit es sich um laufenden Arbeitslohn handelt. Für sonstige Bezüge, d.h. für Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer nicht regelmäßig zufließt, gilt dagegen der Grundsatz vom Bezug bei Zufluss der Einnahmen. Nicht laufend gezahlter Arbeitslohn ist in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zugeflossen ist.1 Somit fallen auch die (einmaligen) Entschädigungszahlungen unter das Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. 64
Ein Zufluss von Einnahmen ist nach der Rspr. des BFH bereits dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Einnahmen erlangt.2 Eine (Bar-)Auszahlung der zu erbringenden Geldleistung ist dagegen nicht erforderlich. So gilt etwa die in Form eines Bar- oder Verrechnungsschecks geleistete Entschädigungssumme dem Arbeitnehmer nicht erst mit Einlösung, sondern grds. bereits mit der Übergabe des Schecks zugeflossen.3 Auch bei Überweisungen kommt es nicht darauf an, wann dem Steuerpflichtigen der Betrag tatsächlich ausgezahlt wird. Entscheidend für die Beurteilung des Einnahmezuflusses ist vielmehr der Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Konto des Steuerpflichtigen.4 Sofern es um den Abfluss von Leistungen beim Steuerpflichtigen geht, wird der Leistungszeitpunkt bei Überweisungen sogar noch weiter vorverlagert und auf den die Erteilung des Überweisungsauftrages an die Bank verlegt.5 Erfolgt die Entschädigungsleistung an den Arbeitnehmer durch Forderungszession, wird dagegen prinzipiell nicht durch die Abtretung, sondern erst durch Einziehung der Forderung ein Zufluss von Einnahmen begründet.6 Anderes gilt nach Rspr. des BFH nur dann, wenn die abgetretene Forderung fällig, unbestritten und einziehbar ist, da der Zessionar in diesem Fall schon mit der Forderungsabtretung die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt hat.7
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Grds. unerheblich für die Frage, wann die Einnahmen als zugeflossen gelten, ist der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit8. Wird etwa die Auszahlung einer Entschädigung erst für das kommende Jahr vereinbart, aber bereits im aktuellen Jahr, also vor Eintritt der Fälligkeit, erbracht, ist auf den Leistungszeitpunkt abzustellen und 1 BFH v. 11.11.2009 – IX R 1/09, DB 2010, 148. 2 BFH v. 11.11.2009 – IX R 1/09, DB 2010, 148; v. 10.12.1985 – VIII R 15/83, BStBl. II 1986, 342 (343). 3 BFH v. 30.10.1980 – IV R 97/78, BStBl. II 1981, 305. 4 Vgl. Schmidt/Heinicke, § 11 EStG Rz. 30 „Überweisungen“. 5 BFH v. 6.3.1997 – IV R 47/95, BStBl. II 1997, 509; v. 7.7.2005 – IX R 7/05, BStBl. II 2005, 726. 6 Schmidt/Heinicke, § 11 EstG Rz. 12, Rz. 30 „Forderungen“. 7 BFH v. 30.10.1980 – IV R 97/78, BStBl. II 1981, 305 (307). 8 BFH v. 11.11.2009 – IX R 1/09, DB 2010, 148.
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Auskunft des Betriebsstättenfinanzamtes
Rz. 68 Teil 14
nicht auf das Fälligkeitsdatum. Gleiches gilt, wenn die Auszahlung erst nach Eintritt der Fälligkeit erfolgt. Nach der Rspr. des BFH kann die Fälligkeit aber ausnahmsweise Indiz für die wirtschaftliche Verfügungsmacht des Leistungsempfängers sein, so dass u.U. auch vor der tatsächlichen Leistung ein Zufluss von Einnahmen anzunehmen ist.1
" Praxistipp: Da der Bezug der Entschädigung davon abhängt, zu welchem
Zeitpunkt sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen ist, können die Parteien durch Vereinbarung einer späteren bzw. früheren Auszahlung des Abfindungsbetrages die Höhe der Einkünfte und damit auch deren Besteuerung während eines bestimmten Veranlagungszeitraums beeinflussen. In gleicher Weise können die Parteien eine einmal getroffene Vereinbarung über die Fälligkeit einer Abfindungszahlung vor der ursprünglich vereinbarten Fälligkeit einvernehmlich in beiderseitigem Interesse zwecks Steueroptimierung wieder ändern. Rechtsmissbräuchlich (§ 42 AO) ist dies nach Ansicht des BFH nicht.2
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So kann es steuerlich günstiger sein, die Abfindung nicht schon in dem Jahr zu gewähren, in dem der Arbeitnehmer ausscheidet, sondern erst zu Beginn des Folgejahres. Eine solche Vereinbarung empfiehlt sich beispielsweise, wenn damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer in dem Jahr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine oder nur geringe zu versteuernde Einkünfte bezieht. Denn in diesen Fällen sind die Progressionssteigerung geringer und die Auswirkungen einer Tarifermäßigung nach § 34 EStG größer als in den Fällen, in denen neben der Entschädigung noch andere steuerpflichtige Einkünfte bestehen.
B. Auskunft des Betriebsstättenfinanzamtes " Praxistipp: Zur Vermeidung steuerlicher Nachteile kann es sinnvoll sein,
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Nach § 42e EStG hat das Betriebsstättenfinanzamt auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind. Die Vorschrift dient in erster Linie dazu, das Haftungsrisiko des Arbeitgebers, der nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die ordnungsgemäße Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer verantwortlich ist, durch eine verbindliche amtliche Auskunft zu mindern.3 Die Auskunft des Betriebsstättenfinanzamts bewirkt nämlich, dass im Falle einer der Auskunft entsprechenden Lohnsteuerabführung durch den Arbeitgeber dessen Haftung nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG entfällt und auch eine Nacherhebung nach
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vor oder nach Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung eine sog. Lohnsteueranrufungsauskunft einzuholen, um zu erfahren, wie das Finanzamt eine bestimmte Abfindung oder Entschädigung steuerlich behandeln wird.
1 BFH v. 21.10.1981 – I R 230/78, BStBl. II 1982, 139 (140). 2 BFH v. 11.11.2009 – IX R 1/09, DB 2010, 148. 3 BFH v. 16.11.2005 – VI R 23/02, BFHE 212, 59 = BStBl. II 2006, 210; Thomas, FS Küttner (2006), S. 239 (254).
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Steuerrechtliche Folgen
§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (Lohnsteuerpauschalierung) ausscheidet.1 Dies gilt auch dann, wenn die Anrufungsauskunft materiell unrichtig ist.2 Zu beachten ist aber, dass nach h.M. die Bindungswirkung lediglich gegenüber der Person besteht, die die Anrufungsauskunft eingeholt hat.3 Eine gegenüber beiden Parteien verbindliche Auskunft kann daher nur durch eine gemeinsame Anfrage beim Betriebsstättenfinanzamt erreicht werden. Eine erteilte Anrufungsauskunft ist kein Verwaltungsakt, sondern eine bloße Wissenserklärung, ob und inwieweit im jeweiligen Fall, die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind.4 Die Bindungswirkung beruht allein auf dem durch die Auskunft entstandenen Vertrauenstatbestand und entfällt auch ohne ausdrückliche Mitteilung des Finanzamtes, wenn sich die zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften ändern.5 69
Auskunftsberechtigt sind neben dem Arbeitgeber auch weitere Personen, die als Haftungspflichtige in Betracht kommen, etwa gesetzliche Vertreter natürlicher oder juristischer Personen, Verfügungsberechtigte oder Vermögensverwalter (z.B. Nachlass-, Insolvenz- oder Zwangsverwalter). Auch der Arbeitnehmer als Steuerschuldner zählt nach h.M. zu den „Beteiligten“ i.S.d. § 42e EStG und hat damit ein Recht auf Auskunft.6
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Die Anfrage der auskunftsberechtigten Person muss sich auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Sie kann alle Rechtsfragen betreffen, die mit der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer zusammenhängen, so insbesondere die Klärung der Frage, ob eine Abfindung über §§ 24, 34 EStG steuerlich begünstigt ist. Kein Auskunftsrecht i.S.d. § 42e EStG besteht dagegen für mit dem Lohnsteuerabzugsverfahren nicht in Zusammenhang stehende steuerliche Fragen, etwa ob der Arbeitnehmer bestimmte Aufwendungen als Werbungskosten geltend machen kann. Für derartige das Veranlagungsverfahren betreffende Entscheidungen ist allein das Wohnsitz-Finanzamt zuständig.
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Dementsprechend ist auch die rechtliche Verbindlichkeit der Auskunft auf das bei dem Betriebsstättenfinanzamt durchzuführende Lohnsteuerabzugsverfahren beschränkt. Eine diesbezügliche Bindung des zuständigen Wohnsitz-Finanzamtes im nachfolgenden Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers besteht nicht.7
1 BFH v. 16.11.2005 – VI R 23/02, BFHE 212, 59 = BStBl. II 2006, 210. 2 BFH v. 16.11.2005 – VI R 23/02, BFHE 212, 59 = BStBl. II 2006, 210; Schmidt/Drenseck, § 42e EStG Rz. 8; a.A. Kirchhof/Eisgruber, EStG, § 42e Rz. 6. 3 BFH v. 28.8.1991 – I R 3/89, BStBl. II 1992, 107; H 147 LStR; a.A. Schmidt/Drenseck, § 42e EStG Rz. 8, der die Anrufungsauskunft nicht als reine Wissenserklärung sondern als VA mit Drittwirkung einstuft. 4 FG Düsseldorf v. 8.5.2003 – 15 K 1455/00 H (L), DStRE 2003, 961; a.A. Schmidt/Drenseck, § 42e EStG Rz. 7. 5 FG Düsseldorf v. 8.5.2003 – 15 K 1455/00 H (L), DStRE 2003, 961. 6 BFH v. 9.3.1979 – VI R 185/76, BStBl. II 1979, 451 (452). 7 BFH v. 9.10.1992 – VI R 97/90, BStBl. II 1993, 166; v. 16.12.1996 – VI R 51/96, BFHE 182/161 = BStBl. II 1997, 222; v. 22.5.2007 – VI B 143/06, DStRE 2007, 1098; ebenso Schmidt/Drenseck, § 42e EstG Rz. 10; anders noch BFH v. 9.3.1979 – VI R 185/76, BStBl. II 1979, 451 (453) bei Identität von Betriebsstätten- und Wohnsitzfinanzamt.
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Lohnsteuernachforderungen nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 75 Teil 14
Die Lohnsteueranrufungsauskunft nach § 42e EStG unterliegt nicht der durch das Jahressteuergesetz 2007 eingeführten Gebührenpflicht für verbindliche Auskünfte nach § 89 Abs. 3 AO1. Auch die ab dem 8.12.2007 geltende SteuerAuskunftsverordnung (StAuskV)2 findet keine Anwendung.
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C. Nachträgliche Änderung steuerungünstiger Vereinbarungen? Beinhaltet die Anrufungsauskunft des Betriebsstättenfinanzamtes eine für die Parteien ungünstige steuerliche Beurteilung der beabsichtigten bzw. bereits abgeschlossenen Abfindungs-/Entschädigungsvereinbarung, so ist fraglich, ob die betreffende Regelung nachträglich abgeändert und durch eine steuerlich günstigere ersetzt werden kann. An eine solche – einvernehmliche – Änderung ist beispielsweise zu denken, wenn die Auszahlung einer Entschädigung laut Aufhebungsvertrag in mehreren, über mindestens zwei verschiedenen Veranlagungszeiträume verteilten Raten erbracht werden soll und es damit an der für eine Steuerbegünstigung nach §§ 24, 34 EStG erforderlichen Zusammenballung von Einnahmen fehlt. In diesem Falle könnte durch nachträgliche Vereinbarung einer einmaligen Auszahlung der Entschädigungssumme ggf. eine Tarifermäßigung doch noch erreicht werden.
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Die Zulässigkeit der nachträglichen Änderung einer steuerlich nachteiligen Vereinbarung hängt in erster Linie davon ab, ob diese zu dem Zeitpunkt, in dem die Anrufungsauskunft erteilt ist, bereits umgesetzt worden ist.3 So kommt eine Modifikation der Vereinbarung nicht mehr in Betracht, wenn der Arbeitgeber zum fraglichen Zeitpunkt die Entschädigung bereits vollständig ausgezahlt hat. Anders verhält es sich, wenn die Vereinbarung zwar von beiden Parteien unterzeichnet, aber noch nicht durchgeführt wurde bzw. wenn lediglich ein unverbindlicher Entwurf existiert. In diesen Fällen steht es den Arbeitsvertragsparteien offen, den Vertrag nachträglich zu modifizieren. Denn im Gegensatz zu den Fällen einer Vollziehung der Entschädigungsvereinbarung sind hier noch keine „vollendeten Tatsachen“ geschaffen worden.4
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D. Lohnsteuernachforderungen nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses Die Finanzbehörden haben im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung nach § 42f EStG die Befugnis, auch nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses und Auszahlung der Entschädigung bzw. sonstiger der Lohnsteuer unterliegender Bezüge durch den Arbeitgeber die ordnungsgemäße Einbehaltung und Abführung der 1 2 3 4
Vgl. AEAO zu § 89 Nr. 4.1.4, BStBl. I 2007, 894. BGBl. I 2007, 2783. So auch Bauer, VII Rz. 111. BFH v. 11.11.2009 – IX R 1/09, DB 2010, 148.
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Teil 14 Rz. 76
Steuerrechtliche Folgen
Lohnsteuer zu überprüfen und ggf. Nachforderungen zu stellen. Die Parteien müssen deshalb jedenfalls bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist darauf gefasst sein, mit Lohnsteuernachzahlungen konfrontiert zu werden. 76
Zuständig für die Lohnsteueraußenprüfung ist gem. § 42 f Abs. 1 EStG das Betriebsstättenfinanzamt, das jedoch ggf. nach § 195 Satz 2 u. 3 AO auch einem anderen Finanzamt die Durchführung der Prüfung übertragen kann. Stellt das Finanzamt im Rahmen der Außenprüfung fest, dass tatsächlich Lohnsteuer nachzuzahlen ist, etwa weil die Parteien eine Abfindung oder Entlassungsentschädigung zu Unrecht steuerlich begünstigt (§§ 24, 34 EStG) gehalten haben, haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer grds. als Gesamtschuldner für die Nachforderung. Das Finanzamt kann daher nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) sowohl den Arbeitnehmer als Steuerschuldner i.S.d. § 38 Abs. 2 EStG in Anspruch nehmen (durch Änderung des Einkommensteuerbescheides) als auch – durch Haftungsbescheid gem. § 42d Abs. 1 EStG oder Nachforderungsbescheid in Form einer Pauschalierung nach § 40 EStG – den Arbeitgeber, der ja nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG neben dem Arbeitnehmer für die Lohnsteuer haftet. Die Festsetzungsfrist für einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid endet nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer (§ 191 Abs. 3 Satz 4 1. Halbsatz AO). Für den Beginn der die Lohnsteuer betreffenden Festsetzungsfrist ist die Lohnsteuer-Anmeldung (Steueranmeldung) und nicht die Einkommensteuererklärung der betroffenen Arbeitnehmer maßgebend.1
" Praxistipp: Meldet der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht an oder führt er sie nicht ab, kann das Finanzamt sie ferner durch Schätzungsbescheid gegenüber dem Arbeitgeber festsetzen, obwohl nicht er, sondern der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer ist.2
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Welcher der beiden Gesamtschuldner in Anspruch genommen wird, liegt grds. im Ermessen des Finanzamtes (Auswahlermessen). Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, wonach der Arbeitnehmer als Steuerschuldner vorrangig zur Nachzahlung heranzuziehen ist.3 Insbesondere wenn sich bei der Außenprüfung herausstellt, dass gegenüber mehreren Arbeitnehmern Lohnsteuernachforderungen bestehen, kann unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten der – gegenüber der Inanspruchnahme der einzelnen Arbeitnehmer unproblematischere – Rückgriff auf den Arbeitgeber gerechtfertigt sein.4 Dagegen stellt sich nach Ansicht des BFH ein Rückgriff auf den Arbeitgeber als Haftenden i.d.R. als ermessensfehlerhaft dar, wenn die Lohnsteuer bei dem Arbeitnehmer genauso schnell und einfach hereingeholt werden kann, insbesondere, wenn der Arbeitnehmer ohnehin zu veranlagen ist oder Einkommensteuerbescheide nach § 173 AO nur zu berichtigen sind.5 Die Nachforderung der Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitgeber gilt auch dann als ermessensfehlerhaft, wenn die zu Unrecht erfolgte Ein1 2 3 4
BFH v. 6.3.2008 – VI R 5/05, DB 2008, 1359. BFH v. 7.7.2004 – VI R 171/00, BFHE 206, 562 = BStBl. II 2004, 1087. BFH v. 6.5.1959 – VI 252/57 U, BStBl. III 1959, 292 (294). BFH v. 24.1.1992 – VI R 177/88, BStBl. II 1992, 696; v. 18.8.2005 – VI R 32/03, BFHE 210, 420 = BStBl. II 2006, 30. 5 BFH v. 12.1.1968 – VI R 117/66, BFHE 91, 306; v. 20.6.1990 – I R 157/87, BStBl. II 1992, 43.
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Lohnsteuernachforderungen nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 78 Teil 14
behaltung der Lohnsteuer auf einem entschuldbaren Rechtsirrtum des Arbeitgebers beruht, wenn z.B. aufgrund einer unklaren Sachbehandlung durch das Finanzamt der Eindruck hervorgerufen worden ist, dass seine Lohnsteuerberechnung gebilligt werde (etwa weil die von ihm angewandte falsche Steuerberechnungsmethode in einem früheren Lohnsteuerprüfungsbericht nicht beanstandet worden ist)1 oder wenn sich die Auffassung der Rspr. und des Schrifttums zur Lohnsteuerpflicht erst zum Ende des Prüfungszeitraums über die Lohnsteuereinbehaltung geändert hat und die entsprechenden Leistungen des Arbeitgebers bei früheren Lohnsteuerprüfungen als steuerfrei behandelt worden sind.2 Eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers kann auch dann ausscheiden, wenn er sich auf unklare Verwaltungsanweisungen berufen kann und sein auf dieser Unklarheit beruhender Rechtsirrtum entschuldbar ist.3 Gerade in schwierigen Fällen, etwa wenn dem Arbeitgeber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Zweifel kommen müssen, kann allerdings der Verzicht auf eine Anrufungsauskunft vorwerfbar sein, so dass eine Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid auch im Falle eines Rechtsirrtums rechtmäßig ist.4 Ermessensfehlerhaft ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auch dann, wenn der Verwaltungsaufwand, der dem Arbeitgeber bei der Einbehaltung der Lohnsteuer von solchen Arbeitnehmern entsteht, die nicht mehr in seinen Diensten stehen, deutlich höher ist als es die Versendung von Kontrollmitteilungen für die Finanzverwaltung ist.5 Entscheidet sich das Finanzamt im Rahmen seines Ermessens dafür, die Lohnsteuer durch Haftungsbescheid gegenüber dem Arbeitgeber festzusetzen, so kann dieser vom Arbeitnehmer finanziellen Ausgleich für die geleistete Nachzahlung verlangen.6 Anspruchsgrundlage hierfür ist § 670 BGB7 bzw. nach Ansicht des BFH § 426 BGB.8 Der Arbeitgeber kann indes keinen Ausgleich verlangen, wenn er nicht alles ihm Zumutbare unternommen hat, um eine – unberechtigte – Nachforderung abzuwehren. Außerdem muss er den Arbeitnehmer vom Nachversteuerungsverlangen des Finanzamtes umfassend und frühzeitig unterrichten.9 Sieht der Arbeitgeber von der Durchsetzung seines Regressanspruchs freiwillig ab, wendet er auch dann einen geldwerten Vorteil zu, der entsprechend zu versteuern ist, wenn kein gesonderter Erlassvertrag geschlossen wird („Lohnsteuer auf die Lohnsteuer“).10 1 FG Baden-Württemberg v. 7.2.1980 – X (VII) 279/76, EFG 1980, 342 (rkr.); vgl. auch BFH v. 24.1.1992 – VI R 177/98, BFHE 167, 359 = BStBl. II 1992, 696. 2 FG Niedersachsen v. 29.11.1991 – XI 76/88, EFG 1992, 365 (rkr.). 3 BFH v. 18.8.2005 – VI R 32/03, BFHE 210, 420 = BStBl. II 2006, 30. 4 Vgl. BFH v. 18.8.2005 – VI R 32/03, BFHE 210, 420 = BStBl. II 2006, 30; Schmidt/Drenseck, § 42d EStG Rz. 27. 5 BFH v. 19.7.2005 – VI B 28/95, BFH/NV 1996, 32; FG München v. 22.6.2005 – 10 K 1822/03. 6 BFH v. 5.3.2007 – VI B 41/07, DStRE 2007, 691. 7 So LAG Düsseldorf v. 14.10.2002 – 10 Sa 869/02. 8 BAG v. 16.6.2004 – 5 AZR 521/03, BAGE 111, 131 = NZA 2004, 274; LAG SchleswigHolstein v. 5.12.2007 – 6 Sa 358/06: offengelassen von BFH v. 5.3.2007 – VI B 41/07, DStRE 2007, 691. 9 LAG Düsseldorf v. 14.10.2002 – 10 Sa 869/02. 10 BFH v. 5.3.2007 – VI B 41/07, DStRE 2007, 691.
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Teil 14 Rz. 79 79
Steuerrechtliche Folgen
Keine Gesamtschuldnerschaft liegt vor, wenn es um die Nacherhebung einer pauschalen Lohnsteuer i.S.d. §§ 40–40b EStG geht. In diesen Fällen wird die entsprechende Nachforderung durch Pauschalierungsbescheid gegenüber dem Arbeitgeber als alleinigem Steuerschuldner (§ 40 Abs. 3 EStG) geltend gemacht.
E. Steuerfreie Entschädigungen 80
Von der „klassischen“ Abfindung bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu unterscheiden. Sie gewährt einen Schadensersatzanspruch wegen immaterieller Schäden aufgrund eines diskriminierenden Verhaltens des Arbeitgebers. Mit dieser Entschädigung soll keine (zukünftige) Vergütung abgegolten oder ersetzt werden, sondern es soll eine durch eine Diskriminierung erlittene Persönlichkeitsverletzung ausgeglichen werden.1 Eine derartige Entschädigung fällt nicht unter § 24 EStG, sondern zählt zu den privaten, nicht steuerbaren Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG.2 Für den Arbeitnehmer ist eine Diskriminierungsentschädigung somit attraktiver als die steuerbare Abfindung. Diese Attraktivität wird noch dadurch verstärkt, dass im Falle einer Diskriminierung und der Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG unabhängig von deren Höhe keine Sperrzeit verhängt werden kann, da bei einer Lösung des Beschäftigungsverhältnisses auf Grund einer Diskriminierung selbst im Fall der Eigenkündigung oder des Aufhebungsvertrages immer ein wichtiger Grund im Sinne des § 144 SGB III vorliegt.3
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Diese Vorteile können Arbeitnehmer insbesondere bei Verhandlungen über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder im Rahmen eines Abwicklungsvertrages dazu veranlassen, anstatt der Zahlung einer Abfindung eine Diskriminierungsentschädigung vorzuschlagen. Auch für den Arbeitgeber kann eine Diskriminierungsentschädigung attraktiv sein, da diese insbesondere aufgrund der Steuerfreiheit niedriger als die andernfalls zu leistende Bruttoabfindung sein kann.
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" Praxistipp: Von der Vereinbarung einer Diskriminierungsabrede, ohne dass
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Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer begehen durch ein solches Umdeklarieren eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO, wobei der Arbeitgeber diese bereits durch die fehlerhafte Lohnsteueranmeldung verwirklicht.4 Außerdem kommt ein (versuchter) Betrug zu Lasten der BA durch den Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. Beihilfe zum Betrug durch den Arbeitgeber – aufgrund der Ausstellung einer falschen Arbeitsbescheinigung – in Betracht, da durch die Abrede
tatsächlich eine Diskriminierung vorliegt, ist jedoch dringend abzuraten. Eine derartige Vereinbarung birgt sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber erhebliche strafrechtliche Risiken.
1 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (498); Klein, ArbRB 2008, 18. 2 Bauer, VII Rz. 5; Klein, ArbRB 2008, 18; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, HdB Aufhebungsverträge, Teil 7 Rz. 114 ff. 3 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (498); Klein, ArbRB 2008, 18. 4 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (500); Klein, ArbRB 2008, 18 (19).
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Steuerfreie Entschädigungen
Rz. 87 Teil 14
der Eintritt einer Sperrzeit verhindert werden sollte.1 Des Weiteren begeht der Arbeitgeber durch das Ausstellen einer falschen Arbeitsbescheinigung eine Ordnungswidrigkeit nach § 404 Abs. 2 Nr. 19 SGB III2. Abgesehen von den strafrechtlichen Konsequenzen einer fingierten Diskriminierungsabrede müssen die hinterzogenen Steuern selbstverständlich (nach-)gezahlt werden und es kann eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld verhängt werden.3 Liegen jedoch Anhaltspunkte für eine Diskriminierung vor oder ist eine Diskriminierung gar erwiesen, ist die Vereinbarung einer Diskriminierungsentschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (auch neben einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes) zulässig.4 Ist eine Diskriminierung für den Arbeitgeber im Ergebnis nicht aufklärbar, bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte, können Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese Ungewissheit durch einen Vergleich beseitigen.5 Ein vereinbarter Schadensersatzanspruch ist dann steuerfrei.6 Bestehen Zweifel hinsichtlich der Steuerfreiheit kommt auch hier eine Anrufungsauskunft beim Finanzamt in Betracht.
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" Praxistipp: Hinsichtlich der Beweislast gilt § 22 AGG. Das bedeutet, dass
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Anders als zur Höhe einer Abfindung besteht für die Höhe einer Entschädigung wegen Diskriminierung keine gefestigte Rechtspraxis. Die Höhe der Entschädigung ist z.B. abhängig von der Schwere und der Häufigkeit der Diskriminierung, sowie vom Grad der Verantwortung.7 Die Arbeitsvertragsparteien sind daher nicht an die „Faustregeln“ und die in § 1a KSchG festgelegte Abfindungshöhe gebunden, vielmehr liegt die angemessene Höhe in ihrem Ermessen und ist nur eingeschränkt überprüfbar.8 Die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG enthaltene Obergrenze für Entschädigungen ist nur auf Einstellungsentscheidungen anwendbar und erfasst daher nicht Entschädigungen wegen Diskriminierung, die im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden. Es kann daher auch eine deutlich höhere Entschädigung vereinbart werden.
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" Praxistipp: Möglich ist auch eine Kombination aus einer Entschädigung
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der Arbeitgeber beweisen muss, dass keine Diskriminierung vorlag, wenn der Arbeitnehmer Anzeichen für eine Diskriminierung plausibel vorträgt. Da dies dem Arbeitgeber nur schwer möglich sein wird, bietet sich der Abschluss eines Vergleiches – auch vorgerichtlich – an.
wegen Diskriminierung und einer Abfindung. Die Vereinbarung einer Gesamtsumme sollte in diesen Fällen unterbleiben. Vielmehr empfiehlt sich
1 Bauer, VII Rz. 37; Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (499 f.); Klein, ArbRB 2008, 18 (19). 2 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (501). 3 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (499). 4 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (498) mit einzelnen Fallgruppen; Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, HdB Aufhebungsverträge, Teil 7 Rz. 118 ff. 5 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (501); Klein, ArbRB 2008, 18 (21). 6 Klein, ArbRB 2008, 18 (21); sowie bei Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, HdB Aufhebungsverträge, Teil 7 Rz. 122. 7 Bauer/Günther, NJW 2007, 113 (117); Deinert, DB 2007, 398 (401). 8 Bauer, VII Rz. 33; Klein, ArbRB 2008, 18 (20).
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Teil 14 Rz. 88
Steuerrechtliche Folgen
im Vertrag eine klare und ausgewogene Aufteilung in eigenständige Beträge mit entsprechender Bezeichnung.1 88
Außerdem ist es denkbar, dass eine aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung wegen des in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurfes zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers führt.2 Dem Arbeitnehmer kann in diesem Fall ein Schmerzensgeldanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zustehen, Allerdings ist dies nur dann Fall, wenn die Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht nach Grad und Verschulden, die Schwere der Beeinträchtigung sowie Anlass und Beweggrund des Handelns eine Genugtuung erfordern und wenn die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Auch ein auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts gestützter Schadensersatzanspruch ist steuerfrei. Keine steuerfreie Entschädigung liegt dagegen vor, wenn einem Arbeitnehmer Schmerzensgeld wegen Rufschädigung gezahlt wird, da er aufgrund der Kündigung für längere Zeit keine adäquate Stelle erhält. Denn in diesem Fall handelt es sich letztlich um Ersatz für entgangenen Arbeitslohn.3
F. Im Ausland ansässige Arbeitnehmer 89
Komplizierte steuerliche Probleme können sich ergeben, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung im Ausland ansässig ist. Nach dem durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15.12.20034 eingeführten § 49 Abs. 1 Nr. 4d EStG gehören Entlassungsabfindungen zu den inländischen Einkünften und sind daher nicht nur für unbeschränkt, sondern auch für beschränkt Steuerpflichtige in Deutschland zu versteuern. Hat der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz in einem ausländischen Staat, der mit der Bundesrepublik Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen hat, richtet sich das Besteuerungsrecht nach diesen Abkommen. Die DBA gehen als völkerrechtliche Verträge dem EStG vor. Abfindungen, die dem Arbeitnehmer anlässlich seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis gezahlt werden, sind regelmäßig Vergütungen aus unselbständiger Arbeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens, dem die meisten DBA folgen. Sie stellen jedoch kein zusätzliches Entgelt für die frühere Tätigkeit und sind in dem Staat zu besteuern, in dem der Arbeitnehmer zum Zeitpunkte der Auszahlung ansässig ist (Art. 15 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. OECD-MA).5 Mit einigen Staaten (z.B. Belgien und der Schweiz) wurden von den Finanzministerien nachträglich sogenannte Verständigungsvereinbarungen getroffen, wonach das Besteuerungsrecht für Abfindungen, die für die Beendigung eines Arbeitsvertrages gezahlt 1 Bauer/Günther, NJW 2007, 113 (117); Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (498); Klein, ArbRB 2008, 18 (20); zu den Abgrenzungsproblemen Bauer, VII Rz. 28 ff. 2 Vgl. Zimmerling, FA 2006, 136 ff. 3 BFH v. 16.11.2005 – XI R 32/04, GmbHR 2006, 389. 4 BGBl. I 2003, 2645. 5 BMF-Schreiben v. 14.9.2006 – IV B 6 – S 1300 – 367/06, Tz. 6.3; a.A. Bauer, VII Rz. 79.
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Im Ausland ansässige Arbeitnehmer
Rz. 92 Teil 14
werden, dem Staat, in dem der Arbeitnehmer tätig war, zustehen soll. Ob sich durch diese Verständigungsvereinbarungen tatsächlich das Besteuerungsrecht geändert hat, ist zweifelhaft, da es an einem wirksamen Zustimmungsgesetz für eine derartige Änderung der Rechtslage fehlt.1
" Praxistipp: Problematisch sind vor allem die Fälle, in denen der Arbeitneh-
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Hinzuweisen ist ferner auf § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG. Danach sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen sind, bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur dann freigestellt, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.
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Zieht ein deutscher Arbeitnehmer, der bis dahin in Deutschland wohnhaft war, im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ins Ausland, ist darüber hinaus auch die sogenannte Wegzugsbesteuerung nach § 2 AStG zu beachten, falls der Arbeitnehmer nunmehr in seinem Wohnsitzstaat einer niedrigeren Besteuerung unterliegt.
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mer seinen Wohnsitz im Zusammenhang mit der Zahlung der Abfindung ins Ausland verlegt. In diesen Fällen wird das Finanzamt genau überprüfen, ob zum Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung der inländische Wohnsitz tatsächlich bereits aufgegeben war und für das Jahr des Wegzugs Einkommensteuererklärungen anfordern.2 Wenn der Auszahlungszeitpunkt auf Wunsch des Arbeitnehmers bis zum Zeitpunkt der Aufgabe des Wohnsitzes hinausgeschoben wurde, kommt ferner ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO in Betracht.
1 Vgl. FG Köln v. 30.1.2008 – 4 V 3366/07 (bzgl. DBA Belgien); FG Hamburg v. 28.9.2007 – 6 K 94/05, EFG 2008, 300 (bzgl. DBA Schweiz). 2 Vgl. OFD Hannover, Vfg. v. 15.12.2006 – S 2369–24-StO 211, LSt-Kartei ND § 39b EStG Nr. 1.
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Stichwortverzeichnis Halbfette Zahlen verweisen auf die Teile, magere Zahlen auf die Randziffern innerhalb der Teile.
Abfindung – Aufhebungvc svertrag 1 869 ff. – bei Auflösungsantrag siehe Abfindung bei Auflösungsantrag – „brutto = netto“ 14 59 ff. – Drohung mit Nichtzahlung 1 1018 – einsetzbares Vermögen bei Prozesskostenhilfe 2 722 – Höhe 1 871 ff. – nach § 1a KSchG siehe Abfindungsanspruch – Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld 13 206 ff. – Sozialplan~, Bemessung 2 531 – Steuerermäßigung 14 3 ff. – Steuerfreiheit, Abschaffung 14 2 Abfindung bei Auflösungsantrag 12 568 ff. – Bemessung der Höhe 12 575 ff. – Erstattung des Arbeitslosengeldes bei älteren Arbeitnehmern 12 595 – Obergrenze 12 569 ff. – Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld 12 588 ff. – und Sozialplanabfindung 12 596 ff. – sozialversicherungsrechtliche Folgen 12 587 ff. – Sperrfrist 12 593 f. – Streitwert 12 621 Abfindungsanspruch 2 671 ff. – Ablauf Klagefrist 2 711 ff. – Änderungskündigung 2 682 – Anwendungsbereich 2 679 ff. – betriebsbedingte Kündigung 2 685 f. – Einkommensteuer 2 718 – einsetzbares Vermögen bei Prozesskostenhilfe 2 722 – Erstattungspflicht bei älteren Arbeitnehmern 2 721 – Hinweis des Arbeitgebers 2 687 ff. – Höhe 2 714 ff.
– Kündigung mit Abfindungsangebot 1 718 ff. – Rechtsnatur 2 675 ff. – sozialversicherungsrechtliche Folgen 1 720; 2 719 ff. – Sperrzeit 2 720; 13 111e – Verstreichenlassen der Klagefrist 2 701 ff. – Voraussetzungen 2 684 ff. Abkehrwille – verhaltensbedingte Kündigung 4 141 ff. Abmahnung 4 53 ff. – Anhörung des Arbeitnehmers 1 520 – Anhörung des Betriebsrats/ Personalrats 1 521 – Befugnis 1 514 – Beschwerde gegenüber Betriebsrat 1 549 – Betriebsbereich 1 524 – Betriebsbuße, Abgrenzung 1 513 – betriebsverfassungsrechtliche ~ 1 556 f. – Dokumentationsfunktion 1 511 – Entbehrlichkeit 1 526 ff. – Entfernung aus Personalakte 1 540 ff. – kein Entfernungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1 551 – Erforderlichkeit 1 522 ff. – Ermahnung, Abgrenzung 1 512 – Formfreiheit 1 515 – Frist 1 516 f. – Funktion 1 508 ff. – gesetzliche Regelung 1 503 – Kündigung als ~ 1 497 – Kündigung bei Gleichartigkeit 1 537 f. – Leistungsbereich 1 523 – Leistungsklage auf Entfernung 1 552 1243
Stichwortverzeichnis
– letztmalige ~, Muster 1 535 – mehrmalige ~ 1 533 ff. – Nachschieben von ~sgründen 1 553 f. – Organmitglieder 1 529 ff. – personenbedingte Kündigung 3 13 f. – rechtliche Grundlagen 1 500 ff. – Rügefunktion 1 509 – schwerwiegender Vertragsverstoß 1 527 – sonstige mildere Mittel 4 64 ff. – Verbrauch von Kündigungsvorwürfen 1 536 – Vertrauensbereich 1 525 – Verwirkung 1 517 – Verwirkung/Präklusion 1 550 – Vorbereitung einer Kündigung 1 532 ff. – vorweggenommene ~ 1 528 – Vorwerfbarkeit 1 504 ff. – Warnfunktion 1 510 – Wirkungsdauer 1 539 – Zugang 1 518 f. Abwerbung – verhaltensbedingte Kündigung 4 146 ff. Abwicklungsvertrag – Aufhebungsvertrag, Abgrenzung 1 706 ff. – Muster 1 717 – Musterformulierung 1 711 – Schriftform 1 725 – sozialrechtliche Nachteile, Hinweispflichten 1 777 – Sperrzeit 13 111 ff. – unechter ~ 1 714 f. AGB-Kontrolle – Aufhebungsvertrag 1 808 ff. – Ausgleichsklausel 1 985 ff. – Dienstwagen 1 954 ff. – Konzernversetzungsklausel 2 40 – Kündigungsverzichtsvereinbarung 1 1058 – Nebenpflichten in Aufhebungsvertrag 1 810 ff. – Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten 1 931, 939 – Vertragsstrafenregelung 1 926 – Wettbewerbsverbot 1 925 f. 1244
AGG – siehe Benachteiligung nach AGG Aids/HIV-Infektion – Druckkündigung 3 312 f. – Frage nach ~ 1 687 – krankheitsbedingte Kündigung 3 306 ff. – maßregelnde Kündigung 5 43 – sittenwidrige Kündigung 5 12 Alkoholgenuss – verhaltensbedingte Kündigung 4 150 ff. – verhaltensbedingte/krankheitsbedingte Kündigung, Abgrenzung 4 148 f. Alkoholsucht – krankheitsbedingte Kündigung 3 315 ff. – krankheitsbedingte/verhaltensbedingte Kündigung, Abgrenzung 4 148 f. Alter – personenbedingte Kündigung 3 190 ff. Altersgrenze 1 1047 ff. – als Befristung 1 1047 – Benachteiligung nach AGG 1 1048 ff.; 3 198a – diskriminierende Vereinbarung 3 197a ff. – frühere als das 67. Lebensjahr 1 1050 ff. – Vereinbarung 3 194 ff. Altersgruppenbildung – Sozialauswahl 2 464 ff. Altersstruktur – ausgewogene ~ bei Sozialauswahl 2 462 ff. – Herstellung 2 467 – Massenentlassungen 2 468 Änderungskündigung 1 396 ff. – Abfindungsanspruch 2 682 – Ablehnung des Änderungsangebots 2 194, 196 ff. – Änderungsangebot 2 202 ff.; 4 304 ff. – Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt 2 193, 196 ff.; 4 316 ff. – Annahme des Änderungsangebots ohne Vorbehalt 2 192
Stichwortverzeichnis
– Anzeigepflicht bei Massenentlassungen 2 500 – Arbeitsort, Änderung 2 210 ff. – außerordentliche betriebsbedingte ~ 2 222 ff. – Beschäftigungsvolumen, Änderung 2 203 ff. – Betriebsratsbeteiligung 2 905 ff. – Direktionsrecht, Abgrenzung 1 399 f.; 2 211 ff. – Feststellungsantrag 12 175 ff. – Interessenausgleich mit Namensliste 2 645 – Klage 4 319 f. – Klagefrist 2 195 – Leistungs-/Lohngefüge, Änderung 2 209 – maßregelnde Kündigung nach Ablehnung des Änderungsangebotes 5 24 – ordentliche betriebsbedingte ~ 2 189 ff. – personenbedingte außerordentliche ~ 3 79 ff. – personenbedingte ordentliche ~ 3 73 ff. – Potestativbedingung 1 26 – Rechtsfolgen einer wirksamen ~ 1 480 – Schriftform 1 157 – Sozialauswahl 2 199 ff. – soziale Rechtfertigung 4 324 ff. – Streitwert 12 611 ff. – Unkündbarkeit nach BAT 2 226 f. – verhaltensbedingte außerordentliche ~ 4 28 ff., 333 ff. – verhaltensbedingte ordentliche ~ 4 26 f., 293 ff. – verhaltensbedingter Grund 4 327 ff. – Zumutbarkeit der geänderten Fortsetzung 2 215 ff.; 4 331 f. Anfechtung – Arbeitsvertrag siehe Anfechtung des Arbeitsvertrages – Aufhebungsvertrag siehe Anfechtung des Aufhebungsvertrages – Eigenkündigung 1 50 – Kündigung 1 47 ff.
Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 648 ff. – arglistige Täuschung 1 665 ff. – Erklärungsirrtum 1 653 f. – Erkrankung 1 669 – fachliche Qualifikation, Frage 1 677 – Fehlen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft des Arbeitnehmers 1 655 ff. – Gesundheit, Frage 1 678 ff. – Gesundheitszustand 1 660 – Gewerkschaftszugehörigkeit, Frage 1 682 – HIV-Infektion, Frage 1 687 – Inhaltsirrtum 1 652, 654 – Kündigungsverbot nach MuSchG 6 75 f. – Leistungsfähigkeit 1 659 – Offenbarungspflicht 1 667 – Parteimitgliedschaft, Frage 1 683 – Religionszugehörigkeit, Frage 1 684 f. – Schriftform der Kündigung 12 96 – Schwangerschaft 1 662, 671 – Schwangerschaft, Frage 1 688 – Schwerbehinderteneigenschaft 1 661, 670 – Schwerbehinderteneigenschaft, Frage 1 686; 3 204 ff. – Scientology, Frage 1 685 – unrichtige Beantwortung zulässiger Fragen 1 673 ff. – Unverzüglichkeit 1 693 ff. – Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages 1 699 f. – Vertrauenswürdigkeit 1 663 – Verwirkung des Rechts 1 697 – Vorstrafen 1 672, 689 – widerrechtliche Drohung 1 691 ff. Anfechtung des Aufhebungsvertrages 1 991 ff. – arglistige Täuschung 1 997 ff. – Darlegungs- und Beweislast 1 993 – Drohung 1 1001 f. – Drohung mit außerordentlicher Kündigung 1 1013 f. – Drohung mit betriebsbedingter Kündigung 1 1012 – Drohung mit Betriebsratsanhörung 1 1019 1245
Stichwortverzeichnis
– Drohung mit „keinem guten“ Zeugnis 1 1017 – Drohung mit krankheitsbedingter Kündigung 1 1011 – Drohung mit Kündigung 1 1004 ff. – Drohung mit ordentlicher Kündigung 1 1007 ff. – Drohung mit Nichtzahlung einer Abfindung 1 1018 – Drohung mit personenbedingter Kündigung 1 1010 f. – Drohung mit Schadensersatzforderung 1 1020 – Drohung mit „schlechtem“ Zeugnis 1 1016 – Drohung mit Strafanzeige 1 1021 f. – Drohung mit verhaltensbedingter Kündigung 1 1009 – Inhalts-/Erklärungsirrtum 1 994 ff. – Motivirrtum 1 995 – Rechtsirrtum 1 996 – „verständiger Arbeitgeber“ bei Drohung 1 1005 f. – widerrechtliche Drohung 1 1001 ff. – Zeitdruck 1 1015 Anhörung des Arbeitnehmers 1 91 ff. – Verdachtskündigung 1 93 f.; 4 350 ff. Anhörung des Betriebsrats – siehe Betriebsratsbeteiligung Annahmeverzugslohn 12 433 ff. – Arbeitsaufforderung durch Arbeitgeber 12 451 ff. – Aufhebungsvertrag 1 834 ff. – Ausschlussfrist, tarifliche 12 456 – böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs 12 462 ff. – Leistungsangebot 12 438 – Leistungswilligkeit und -fähigkeit 12 439 ff. – Nichtannahme der Leistung 12 449 – Vergleich im Kündigungsschutzprozess und ~ 12 468 f. – Verjährung 12 455 – Zumutbarkeit 12 450 – Zwischenverdienst, fiktiver 12 462 ff. – Zwischenverdienst, tatsächlicher 12 457 ff. Anwesenheitsprämie – und Aufhebungsvertrag 1 867 f. 1246
Arbeitnehmerähnliche Person – Arbeitnehmer, Abgrenzung 2 113 ff. – Pflegezeit 11 10 Arbeitnehmereigenschaft 2 89 ff. – arbeitnehmerähnliche Person, Abgrenzung 2 113 ff. – Berufsausbildungsverhältnis 2 106 ff. – Eingliederung 2 101 f. – Familienmitglieder 2 127 f. – Fremdnützigkeit 2 103 – Fremdpersonal, Abgrenzung 2 118 – GmbH-Geschäftsführer 2 124 f. – Heimarbeiter, Abgrenzung 2 117 – Massenentlassungen 2 489 ff. – Organmitglieder 2 120 ff. – persönliche Abhängigkeit 2 93 ff. – Selbständiger, Abgrenzung 2 112 – Weisungsgebundenheit 2 96 ff. – wirtschaftliche Abhängigkeit 2 104 Arbeitnehmerüberlassung – statt Einsatz eigener Arbeitnehmer 2 291 – konzerninterne 2 39 – Kündigungsberechtigung 1 284 – Stammarbeitnehmer auf Leiharbeitnehmer-Arbeitsplätzen 2 334 Arbeitsentgelt – siehe auch Annahmeverzugslohn – im Aufhebungsvertrag 1 832 ff. – Streitwert 12 617 f. – Wiedereinstellungsanspruch 2 751 ff. Arbeitserlaubnis/-genehmigung – personenbedingte Kündigung 3 93 ff. Arbeitskampf – verhaltensbedingte Kündigung wegen Teilnahme 1 421 ff.; 4 158 ff. Arbeitslosengeld 13 10 ff. – Anspruchsvoraussetzungen 13 13 ff. – Anwartschaft 13 60 ff. – Arbeitslosigkeit 13 16 ff. – Arbeitslosmeldung 13 45 ff. – Beschäftigungslosigkeit 13 17 ff. – Dauer 13 77 ff. – Eigenbemühungen 13 20 – Erreichbarkeit 13 43 f.
Stichwortverzeichnis
– Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber 13 278 ff. – Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitnehmer 13 284 f. – Erstattungspflicht bei älteren Arbeitnehmern siehe dort – Gleichwohlgewährung 13 272 ff. – Hinweispflicht des Arbeitgebers 13 55 ff. – Höhe 13 70 ff. – Kürzungen 13 83 ff. – Leistungstabelle 13 82 – objektive Verfügbarkeit 13 26 ff. – Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld siehe dort – Sperrzeit siehe dort – subjektive Verfügbarkeit 13 31 ff. – Verfügbarkeit 13 21 ff. Arbeitsmangel – beschränkte Missbrauchskontrolle 2 253 – betriebsbedingte Kündigung 2 249 ff. – Zeitpunkt 2 254 – Arbeitsort – Änderungskündigung 2 210 ff. Arbeitspapiere – Aufhebungsvertrag 1 968 f. Arbeitsunfähigkeit – Kündigung wegen Ankündigung 4 242 ff. – Kündigung gesundheitsschädlichen Verhaltens 4 248 ff. – Kündigung wegen Unterlassen ärztlicher Untersuchung 4 251 – Kündigung wegen unterlassener Rückmeldung 4 241 – Kündigung wegen Verstoß gegen Anzeige- und Nachweispflichten 4 238 ff. – Kündigung wegen Vortäuschen 4 247 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – verhaltensbedingte Kündigung 4 238, 240 Arbeitsverdichtung – betriebsbedingte Kündigung 2 237 ff.
Arbeitsverhältnis – Anfechtung des Arbeitsvertrages siehe dort – Darlegungs- und Beweislast 12 387 – enger sachlicher Zusammenhang 2 146 ff. – Konzernbezug 2 35 ff. – Nichtigkeit des Arbeitsvertrages siehe dort – Zustimmungsvorbehalt bei Kündigungen, Vereinbarung 1 378 ff. Arbeitsverweigerung – Abmahnung 4 172 – Beharrlichkeit 4 171 f. – verhaltensbedingte Kündigung wegen ~ 4 163 ff. Aufhebungsvertrag – Abfindung 1 869 ff. – Abfindung einer unverfallbaren Anwartschaft 1 943 ff. – Abschluss 1 722 ff. – Abwicklungsvertrag, Abgrenzung 1 706 ff. – AGB-Kontrolle 1 808 ff. – Anfechtung des Aufhebungsvertrages siehe dort – Annahme 1 739 ff. – Annahmeverzug 1 834 ff. – Anwesenheitsprämie 1 867 f. – Arbeitspapiere 1 968 f. – bei Arbeitsplatzwechsel 1 704 – Aufklärung über Sperrzeitrisiken 13 106 f. – Aufklärungspflichten siehe Hinweispflichten bei Aufhebungsvertrag – Auflösung 1 824 – Aufrechnung 1 974, 977 – Ausgleichsklausel 1 981 ff. – ausländischer Arbeitnehmer 1 745 – Auslegung 1 806 f. – außerordentliche Kündigung vor dem Auflösungszeitpunkt 1 1034 – Bedeutung 1 701 – Bedingung 1 748 ff. – Beendigungsgründe 1 830 f. – Benachteiligung nach AGG 1 817 ff. – Berufsausbildungsverhältnis 1 747 – betriebliche Altersversorgung 1 940 ff. 1247
Stichwortverzeichnis
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Bonus 1 841 Darlegungs- und Beweislast 1 758 Dienstwagen 1 950 ff. Dissens 1 743 f. drohender Kündigungsschutzprozess 1 798, 802 ff. Erfindungen 1 911 ff. ergänzende Vergütungsbestandteile 1 839 ff. Erledigungsklausel und betriebliche Altersversorgung 1 949 Firmeneigentum, Herausgabe 1 903 ff. Freistellung 1 876 ff. Fristsetzung 1 742 gerichtlicher Vergleich 1 1036 ff. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse 1 908 ff. Gratifikation 1 856 ff. Grundvergütung 1 833 ff. Hinweispflichten bei Aufhebungsvertrag siehe dort Inhalt 1 823 ff. Kündigungsbestätigungsvertrag, Abgrenzung 1 721 Kündigungsverbot nach MuSchG 6 79 Massenentlassung 1 805; 2 515 Minderjähriger 1 746 Mindestinhalt 1 824 ff. Muster 1 716 ordentliche Kündigung nach Abschluss eines ~s 1 1035 Outplacementberatung 1 891 ff. Provision 1 846 ff. Regelungsgegenstände 1 806 ff. Rücktrittsrecht 1 1025 und Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten 1 927 ff. Schriftform 1 723 ff. Sittenwidrigkeit 1 990 Sonderzahlungen 1 855 ff. Sperrzeit 13 101 ff., 112 ff. Sprachregelung 1 899 ff. Tantieme 1 851 ff. „Turbo-Prämie“ 1 895 ff. Umdeutung einer Kündigungserklärung 1 755 ff. unverfallbare Versorgungsanwartschaft 1 941 ff. Unwirksamkeit 1 988 ff.
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– Urlaub 1 884 ff. – verfallbare Versorgungsanwartschaft 1 941 f. – Vergütung 1 832 ff. – Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot 1 989 – Vorteile 1 702 ff. – Wegfall der Geschäftsgrundlage 1 1028 ff. – Werkwohnung 1 962 ff. – Wettbewerbsverbote 1 918 ff. – Widerrufsrecht, gesetzliches 1 1024 – Widerrufsrecht, individualvertragliches 1 1027 – Widerrufsrecht, tarifliches 1 1026 – Wiedereinstellungsanspruch 2 748 – Zeugnis 1 970 ff. – Zurückbehaltungsrecht 1 975 ff. – Zustandekommen 1 737 ff. Auflösungsantrag des Arbeitgebers 12 514 ff. – Abfindung siehe Abfindung bei Auflösungsantrag – Auflösungszeitpunkt 12 565 ff. – Begründung 12 524 ff. – Feststellung der Sozialwidrigkeit 12 516 ff. – Gestaltungswirkung 12 564 – Kündigungsgründe und Auflösungsgründe 12 524 ff. – Kündigungsverbot nach MuSchG 6 80 f. – leitende Angestellte 12 533 ff. – ordentliche Kündigung 12 522 f. – wegen Prozessführung des Arbeitnehmers 12 530 ff. – Sonderkündigungsschutz 12 527 f. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers 12 546 ff. – Abfindung siehe Abfindung bei Auflösungsantrag – Auflösungszeitpunkt 12 565 ff. – außerordentliche Kündigung 12 555 ff. – Begründung 12 547 ff. – Gestaltungswirkung 12 564 – Kündigungsverbot nach MuSchG 6 80
Stichwortverzeichnis
Auflösungsantrag, beiderseitiger 12 560 ff. – Abfindung siehe Abfindung bei Auflösungsantrag – Auflösungszeitpunkt 12 565 ff. – Gestaltungswirkung 12 564 Aufrechnung – Aufhebungsvertrag 1 974, 977 Auftragsrückgang – beschränkte Missbrauchskontrolle 2 253 – betriebsbedingte Kündigung 2 249 ff. – Zeitpunkt 2 254 Ausgleichsklausel – AGB-Kontrolle 1 985 ff. – Aufhebungsvertrag 1 981 ff. – nicht erfasste Ansprüche 1 984 – große ~ 1 981 – Musterformulierung 1 983 – tarifliche Rechte 1 984 Aushilfen – Kleinbetriebsklausel 2 81 Auskunftsverlangen zur Sozialauswahl – Interessenausgleich mit Namensliste 2 667 ff. Ausländerfeindliches Verhalten – verhaltensbedingte Kündigung 4 205 ff. Ausländische Arbeitnehmer – Aufhebungsvertrag 1 745 – Kündigungserklärung 1 100 Auslegung – Aufhebungsvertrag 1 806 f. – ergänzende ~ bei Aufhebungsvertrag 1 807 Auslegung der Kündigungserklärung 1 53 f., 75 ff. – außerordentliche Kündigung 1 81 ff. – Beendigungstermin 1 84 f. – Begleitumstände 1 77 f. – Begriff „Kündigung“ 1 79 – Empfängerhorizont 1 76 – Fristen, falsch berechnete/bezeichnete 1 89 f. – mehrere Deutungsmöglichkeiten 1 80
Ausschlussfrist – Annahmeverzugslohn und tarifliche ~ 12 456 – in Betriebsvereinbarung vereinbarte ~ 1 345 – einzelvertraglich vereinbarte ~ 1 340 ff. Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 4 105 ff. – Ablauf 1 304; 4 127 ff. – und Anhörung des Betriebsrats 1 307 f.; 4 117 ff. – und Anhörung des Personalrats 1 308 – Beginn 1 291, 295 ff.; 4 109 ff. – Begründungspflicht 4 134 f. – Berechnung 1 304 – Beurteilungszeitpunkt 4 136 – Darlegungs- und Beweislast 1 306 – Dauergründe 1 299 ff. – Hemmung 4 113 ff. – Kenntnis der Kündigungstatsachen 1 295 ff. – Kündigungsberechtigter 4 121 ff. – Mutterschutz 1 310 – Nachschieben von Kündigungsgründen 1 136; 4 130 ff. – Rechtsfolgen bei Ablauf 1 313 ff. – Sachverhaltsaufklärung 1 296 ff.; 4 113 ff. – Schwerbehinderte 1 311 f. – Selbstbeurlaubung 1 301 f. – und Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern 1 319 ff. – Verdachtskündigung 4 360 ff. – Zweck 1 289 ff. Außerdienstliches Verhalten – verhaltensbedingte Kündigung 4 190 ff. Außerordentliche Kündigung 1 390 f. – Anfechtung, Abgrenzung 1 649 f. – Auflösungsantrag des Arbeitnehmers 12 555 ff. – vor dem Auflösungszeitpunkt eines Aufhebungsvertrages 1 1034 – mit Auslauffrist 1 391 – Auslegung als ~ 1 81 ff. – Ausschluss des Rechts 1 5 – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung siehe dort 1249
Stichwortverzeichnis
– betriebsbedingte Kündigung 2 170 ff. – Betriebsratsanhörung bei Umdeutung 1 453 – Drohung mit außerordentlicher Kündigung 1 1013 f. – hilfsweise ordentlichen Kündigung 4 12a – Klagefrist, Beginn 12 80 ff. – krankheitsbedingte ~ 3 67 ff. – Kündigungsberechtigung 1 291 ff. – von Mandatsträgern siehe Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern – Mitteilung der Kündigungsgründe 1 109 f. – ordentliche Kündigung hilfsweise 1 30 – personenbedingte ~ 3 59 ff. – Umdeutung in Aufhebungsvertrag 1 447 – Umdeutung in ordentliche Kündigung 1 59, 442 f. – trotz Unkündbarkeit 1 566 f., 606 ff. – Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen 12 558 f. – verhaltensbedingte ~ 4 13 ff., 95 ff. – Verhältnis zur ordentlichen Kündigung 4 12 f. – Verzicht auf ~ 1 71 – bei Zustimmung des Betriebsrats – tarifliche Regelung 1 372 f. Austauschkündigung 2 289 ff. Auswahlrichtlinien – Betriebsvereinbarung 2 424 f. – grobe Fehlerhaftigkeit 2 428 ff. – Sozialauswahl 2 421 ff. Bedingung – Aufhebungsvertrag 1 748 ff. Bedingung bei Kündigung – grundsätzliche Unzulässigkeit 1 20 f. – Leistungsverbesserung 1 23 – Potestativbedingung 1 25 ff. – Rechtsbedingung 1 27 f. – Verbundkündigung 1 28 ff. – Verhaltensänderung 1 23 – Wiedereinstellungszusage 1 22 1250
Befristete Arbeitsverhältnisse – Altersgrenze 1 1047 ff. – Ausschluss der ordentlichen Kündigung 1 7 ff., 593 – Beendigung 1 1043 ff. – Kündigung wegen Entfristungsklage 5 31 f., 97 f. – Kündigung bei unwirksamer Befristungsabrede 1 1046 – Kündigung bei wirksamer Befristungsabrede 1 1045 – Kündigungsverbot nach MuSchG 6 77 – Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld 13 245 ff. – Steuerermäßigung bei Auslaufen 14 25 Beiordnung eines Rechtsanwalts – Antrag 12 637 – Einkommen 12 639 ff. – Entscheidung 12 654 f. – nicht erforderliche 12 647 ff. – Prozesskostenhilfe 12 650 f. – Verbandsvertreter 12 643 ff. – Verfahren 12 652 ff. – Vermögen 12 642 – Voraussetzungen 12 635 ff. Beleidigung – verhaltensbedingte Kündigung 4 271 ff. Benachteiligung nach AGG – ältere Arbeitnehmer, Ausnahme bei Aufhebungsverträgen 1 822 – Altersgrenze 1 1048 – Altersgrenze, tarifvertragliche 1 1049; 3 198a – Aufhebungsvertrag 1 817 ff. – Benachteiligung 1 818 – Bereichsausnahme 2 388b – Entschädigung 1 819 – Frage nach Gesundheitszustand 1 680 f. – Frage nach Schwangerschaft 1 688 – Frage nach Schwerbehinderung 1 686 – Frage nach Scientology-Zugehörigkeit 1 685 – Fragerecht des Arbeitgebers 1 675 – krankheitsbedingte Kündigung 3 215b ff. – bei Kündigung 1 418 ff.
Stichwortverzeichnis
– Kündigung älterer Arbeitnehmer wegen Kurzerkrankungen 3 266a – Kündigung wegen fehlender Sprachkenntnisse 3 132c f. – Lebensalter bei Sozialauswahl 2 388a, 388d – mittelbare 1 818 – Schadensersatz 1 819 f. – Sozialauswahl 2 388a ff. – steuerfreie Entschädigung 14 80 ff. – Unkündbarkeitsregelungen 1 615 f.; 3 72a – unmittelbare 1 818 Benachteiligung, EG-rechtliche – Altersgrenze, Vereinbarung 3 197a ff. – krankheitsbedingte Kündigung 3 215a Berufsausbildungsverhältnis – Arbeitnehmereigenschaft 2 106 ff. – Aufhebungsvertrag 1 747 – Kündigungsbeschränkungen 1 585 – Kündigungsgründe, Angabe 1 113 f., 240 – und Wartezeit 2 136 Beschäftigungszeiten – Anrechnung 2 161 ff. Bestechlichkeit – verhaltensbedingte Kündigung 4 275 Beteiligung des Betriebsrats – siehe Betriebsratsbeteiligung Betrieb – Betriebsbegriff siehe dort – Zuordnung eines Arbeitnehmers 2 23 f. Betriebliche Altersversorgung – Abfindung einer unverfallbaren Anwartschaft 1 943 ff. – und Aufhebungsvertrag 1 940 ff. – Aufhebungsvertrag, Hinweispflichten 1 781 ff., 795 – Steuerermäßigung bei Abgeltung von Anwartschaft 14 16 ff. Betriebliches Eingliederungsmanagement 3 219a ff. – Ablauf 3 219r – Ablehnung des Beschäftigten 3 219n f. – alle Beschäftigten 3 219e
– keine Anwendung des KSchG 3 219x – Art der Erkrankung 3 219c – Betriebs- oder Personalrat 3 219j, 219p – Betriebs-/Dienstvereinbarung 3 219q – Darlegungs- und Beweislast bei durchgeführtem BEM 3 219s ff. – Darlegungs- und Beweislast bei fehlender Durchführung 3 219y f. – und Drohung mit krankheitsbedingter Kündigung 1 1011 – Einführung eines standardisierten Verfahrens 3 219q – finanzielle Unterstützung 3 219l – Folgen ordnungsgemäßer Durchführung 3 219s ff. – Folgen nicht ordnungsgemäßer Durchführung 3 219v ff. – nicht formalisiertes Verfahren 3 219f – Kleinbetrieb 3 219d – Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 3 219w – Mindeststandards 3 219g f. – organisatorische Vorbereitungen 3 219k – Schwerbehindertenvertretung 3 219p – Zustimmung des Beschäftigten 3 219m ff. Betriebsablaufstörung – häufige Kurzzeiterkrankungen 3 240 ff. – personenbedingte Kündigung 3 27 ff. Betriebsänderung – Einigungsstelle 2 532 ff. – Interessenausgleich mit Namensliste 2 635 – Massenentlassung 2 527 ff. Betriebsärzte – Sonderkündigungsschutz 1 574 Betriebsbedingte Kündigung 2 1 ff. – Abfindungsanspruch 2 685 f. – Altersaufbau der Belegschaft 3 192 f. – Änderung von Anforderungsprofilen 2 305 ff. 1251
Stichwortverzeichnis
– anderweitige Beschäftigung auf Leiharbeitnehmer-Arbeitsplätzen 2 334 – Arbeits-/Leistungsverdichtung 2 237 ff. – Arbeitsmangel 2 249 ff. – Auftragsrückgang 2 249 ff. – außerordentliche ~ bei Unkündbarkeit 1 610 – außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung 2 222 ff. – außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung 2 170 ff. – Austauschkündigung 2 289 ff. – Beförderungsstelle, Umgestaltung 2 307 – Betriebs-/Betriebsteilstilllegung 2 180 ff. – Betriebskonzept, Änderung 2 286 ff. – Betriebsratsbeteiligung bei betriebsbedingter Kündigung siehe dort – Betriebsstilllegung 2 260 ff. – Darlegungs- und Beweislast 12 401 ff. – dringende betriebliche Erfordernisse 2 228 ff. – Dringlichkeit 2 334 ff. – Drittmittelfinanzierung 2 308 f. – Drohung mit betriebsbedingter Kündigung 1 1012 – freie Mitarbeiter statt Arbeitnehmer 2 287 – Freiheit der Unternehmerentscheidung 2 325 ff. – Insolvenzabwicklung 2 293 ff. – Kontrolle der Unternehmerentscheidung 2 329 ff. – Kündigungsarten 2 164 ff. – Leiharbeitnehmer statt eigene Arbeitnehmer 2 291 – von Mandatsträgern siehe Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern – ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung 2 189 ff. – ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung 2 164 ff. – Qualifikationsniveau, Änderung 2 306 1252
– Rationalisierung 2 256 ff. – Restrukturierung der Arbeitsorganisation 2 284 f. – Sperrzeit wegen Hinnahme 13 111 ff. – Stellenabbau 2 236 ff. – Umverteilung von Beschäftigungsvolumen 2 246 ff. – Unkündbarkeit 2 173 ff. – Unternehmerentscheidung 2 321 ff. – Wegfall von Beschäftigungsvolumen 2 234 f. – Wegfall einzelner Arbeitsplätze 2 183 ff. – zeitlich befristeter Verzicht bei „betrieblichen Bündnissen“ oder Sanierungstarifverträgen 1 613 Betriebsbegriff 2 3 ff. – Übertragung des ~s des BetrVG in das KSchG 2 9 ff. – Verkennung 2 18 f. – Zusammenfassung betrieblicher Einheiten 2 28 ff. Betriebsbuße – Abmahnung, Abgrenzung 1 513 Betriebsgeheimnis – Aufhebungsvertrag 1 908 ff. – personenbedingte Kündigung 3 115 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 210 ff. Betriebsrat – siehe auch Betriebsratsbeteiligung; Betriebsratsbeteiligung bei Kündigung – Entlassung betriebsstörender Arbeitnehmer 2 316 ff. – Versetzung betriebsstörender Arbeitnehmer 2 316 ff. Betriebsratsbeteiligung – siehe auch Betriebsratsbeteiligung bei Kündigung – Anhörung bei Anmahnung 1 521 – betriebliches Eingliederungsmanagement 3 219j, 219p – Drohung mit Betriebsratsanhörung 1 1019 – Klagefrist bei unterbliebener/fehlerhafter ~ 12 239 ff. – Wiedereinstellungsanspruch 2 738
Stichwortverzeichnis
Betriebsratsbeteiligung bei betriebsbedingter Kündigung 2 759 ff. – Änderungskündigung 2 905 ff. – Anhörung „auf Vorrat“ 2 815 ff. – Art der Kündigung 2 781 f. – ausdrückliche Nichtstellungnahme des Betriebsrats 2 878 – außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung 2 808 ff. – Darlegung fehlender anderweitiger Einsetzbarkeit 2 773 ff. – Darstellung von Auswirkungen auf andere Arbeitsplätze 2 806 f. – Daten des Arbeitnehmers 2 783 ff. – Dringlichkeit 2 792 ff. – vor Eintritt des Kündigungsschutzes 2 818 ff. – Fristverlängerung 2 852 ff. – Information zur Sozialauswahl 2 795 ff. – Interessenausgleich mit Namensliste 2 658 ff. – konkrete Information zum betroffenen Arbeitsplatz 2 771 f. – Kündigungsfrist 2 787 ff. – leitende Angestellte 2 899 ff. – leitende Angestellte in Zweifelsfälle 2 811 ff., 904 ff. – Massenentlassungen 2 572 ff. – Mitteilung der Gründe 2 762 ff. – Mitteilung der Rahmenbedingungen 2 777 ff. – Nachbesserung der Anhörung 2 841 ff. – Nachschieben von Kündigungsgründen 2 843 ff. – Reaktion des Betriebsrats 2 867 ff. – Restmandat 2 918 – Schweigen des Betriebsrats 2 875 ff. – subjektive Determination der Mitteilungspflicht 2 767 ff. – Tendenzunternehmen 2 822 ff. – Übergangsmandat 2 919 ff. – Vorkenntnisse des Betriebsrats 2 830 ff. – vorsorgliche ordentliche Kündigung 2 808 ff.; 4 22 f. – vorsorgliche Wiederholungskündigung 2 862 ff. – Widerspruch des Betriebsrats 2 879 ff.
– Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs 2 856 ff. Betriebsratsbeteiligung bei Kündigung 4 366 ff. – siehe auch Betriebsratsbeteiligung bei betriebsbedingter Kündigung; Betriebsratsbeteiligung bei personenbedingter Kündigung; Betriebsratsbeteiligung bei verhaltensbedingter Kündigung – Abgabe der Kündigungserklärung 1 148 – Abschrift der Stellungnahme an Arbeitnehmer 1 108 – und Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 1 307 f.; 4 117 ff. – außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist 1 612 – Bestreiten des Arbeitnehmers 12 411 f. – Darlegungs- und Beweislast 12 409 ff. – Kongruenz mit Prozessvortrag 12 416 ff. – konkrete Einlassungspflicht des Arbeitnehmers 12 415 – Nachschieben von Kündigungsgründen 1 139 ff.; 2 843 ff.; 12 420 ff. – Schwerbehinderte 8 55 f. – Umdeutung einer außerordentlichen in ordentliche Kündigung 1 453 – Umdeutung einer Kündigung 1 450 ff. – Umfang der Vortragspflicht des Arbeitgebers 12 413 f. – Verdachtskündigung 1 417 – Zustimmungsvorbehalt bei sämtlichen Kündigungen aufgrund Betriebsvereinbarung 1 374 ff. Betriebsratsbeteiligung bei personenbedingter Kündigung 3 339 ff. – Auswahlrichtlinie, Verstoß 3 385 – Daten des Arbeitnehmers 3 347 ff. – Information über negative Zukunftsprognose 3 351 ff. – Interessenabwägung 3 371 ff. – Mitteilung der Gründe 3 347 ff. 1253
Stichwortverzeichnis
– Schilderung der betrieblichen Beeinträchtigung 3 362 ff. – Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahme 3 387 – Unterlagen, Vorlage 3 375 ff. – unzureichende Sozialauswahl 3 384 – Vertragsbedingungen, Änderung 3 388 f. – Weiterbeschäftigung auf anderem Arbeitsplatz 3 386 – Widerspruch des Betriebsrats 3 380 ff. – Widerspruchsgründe 3 381 ff. Betriebsratsbeteiligung bei verhaltensbedingter Kündigung 4 366 ff. – Gegenstand des Anhörungsverfahrens 4 368 f. – Verfahren 4 370 ff. Betriebsratsmitglied – Abmahnung 1 556 f. – außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung 3 72 – Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern siehe dort Betriebsstilllegung – außerordentliche Kündigung 2 180 ff. – Begriff 2 260 – betriebsbedingte Kündigung 2 260 ff. – Betriebsveräußerung, Abgrenzung 2 269 f. – Massenentlassung 2 488 – nachwirkender Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern 2 974 f. – Restmandat des Betriebsrats 2 925 ff. – Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern 1 590; 2 933 ff. Betriebsteil 2 20 f. Betriebsteilstilllegung – außerordentliche Kündigung 2 180 ff. – betriebsbedingte Kündigung 2 265 f. – Massenentlassung 2 488 – Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern 2 945 ff. Betriebsübergang – Anfechtbarkeit des Widerspruchs 2 378 1254
– Begriff 2 277 ff. – betriebsbedingte Kündigung 2 271 ff. – Betriebsstilllegung, Abgrenzung 2 269 f. – Rationalisierung nach Erwerberkonzept 2 274 – Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern 2 956 ff. – Sozialauswahl 2 372 ff. – Sozialauswahl und Betriebsteilübergang 2 380 – Widerspruch 1 1059 ff. – Widerspruch und Sozialauswahl 2 377 – Wiedereinstellungsanspruch 2 745a; 12 55 ff. Betriebsvereinbarung – Ausschlussfrist für Ausspruch der Kündigung eines Arbeitsvertrages 1 345 – Auswahlrichtlinien 2 424 f. – betriebliches Eingliederungsmanagement 3 219q – Erweiterung des Kündigungsschutzes 1 603 – Kündigung bei Zustimmung der Arbeitnehmervertretung 1 374 ff. Betriebszugehörigkeit – Sozialauswahl 2 389 f. Beweisverwertungsverbote 4 89 ff. Bonus – und Aufhebungsvertrag 1 841 ff. – Freiwilligkeitsvorbehalt 1 843 – Stichtagsklausel 1 844 Brief – abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme 1 206 – Hausbriefkasten 1 205 – Kündigung per ~ 1 203 ff. – Postfach 1 204 – Zugangsnachweis 1 211 Bundesagentur für Arbeit – Information über Unterrichtung des Betriebsrats über Massenentlassungen 2 598 f. – Massenentlassungsanzeige 2 554 ff. Bundestagsabgeordnete – Sonderkündigungsschutz 1 580 f.
Stichwortverzeichnis
Darlegungs- und Beweislast 12 386 ff. – Anfechtung eines Aufhebungsvertrags 1 993 – Anhörung des Betriebsrats 12 409 ff. – Arbeitsmangel 2 252 – Arbeitsverdichtung 2 241 ff. – Arbeitsverhältnis 12 387 – Aufhebungsvertrag 1 758 – Auftragsrückgang 2 252 – Auskunftsverlangen zur Sozialauswahl bei Interessenausgleich mit Namensliste 2 667 ff. – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 1 306 – betriebliches Eingliederungsmanagement, nicht ordnungsgemäß durchgeführtes 3 219y z. – betriebliches Eingliederungsmanagement, ordnungsgemäß durchgeführtes 3 219s ff. – betriebsbedingte Kündigung 12 401 ff. – Gemeinschaftsbetrieb 2 87 – Interessenausgleich mit Namensliste 2 660 ff. – Kenntnis des Arbeitgebers über Schwangerschaft 6 13 ff. – Kleinbetriebsklausel 2 84 ff.; 12 390 ff. – krankheitsbedingte Kündigung 12 400 – Kündigungsgrund 12 396 ff. – Leistungsschwäche 3 174c ff. – maßregelnde Kündigung 5 44 ff. – Minderleistung 3 174d ff.; 4 265 – Organmitglieder 12 389 – personenbedingte Kündigung 3 56 ff. – Schwangerschaft 6 41 – Schwangerschaft, Mitteilung 6 33 f. – sittenwidrige Kündigung 5 17 – Sonderkündigungsschutz bei Elternzeit 7 9 f. – Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter 8 15 – Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger 9 17 f. – Sozialauswahl 12 405 ff. – Sperrzeit 13 172 ff.
– treuwidrige Kündigung 5 52, 83 f., 102 f. – Umverteilung von Beschäftigungsvolumen 2 247 f. – unternehmerische Entscheidung 2 323 f. – verhaltensbedingte Kündigung 4 85 ff.; 12 399 – Wartezeit 12 393 ff. – Zugang der Kündigung 1 253 ff. Datenschutzbeauftragter – Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten siehe dort Diebstahl – verhaltensbedingte Kündigung 4 276 ff. Dienstwagen – AGB-Kontrolle 1 954 ff. – Aufhebungsvertrag 1 950 ff. – als Entschädigungsleistung und Steuerermäßigung 14 50 – Entziehung des ~ 1 959 – nur dienstliche Zwecke 1 951 – Privatzwecke 1 952 f. – Widerruf des Nutzungsrechts 1 956 ff. Direktionsrecht – Änderungskündigung, Abgrenzung 1 399 f.; 2 211 ff. – Versetzungsklausel 2 212 Diskriminierung – Benachteiligung nach AGG siehe dort Doppelbesteuerungsabkommen 14 89 Drittmittelfinanzierung – betriebsbedingte Kündigung 2 308 f. Drogensucht – krankheitsbedingte Kündigung 3 315 ff. Druckkündigung 1 409 ff.; 2 310 ff. – AIDS 3 312 f. – Androhung eines erheblichen Nachteils 2 313 – echte ~ 1 413 – Fürsorgepflicht 2 314 – unechte ~ 1 412 – verhaltensbedingte Kündigung 4 213 ff. 1255
Stichwortverzeichnis
Ehebruch – personenbedingte Kündigung 3 110 f. Ehegattenarbeitsverhältnis – personenbedingte Kündigung 3 112 f. Eheschließung – personenbedingte Kündigung 3 103 ff. Ehrenamt – personenbedingte Kündigung 3 100 ff. Eigengruppe – Kündigungsberechtigung 1 286 Eigenkündigung – Anfechtung 1 50 – Kündigungsverbot nach MuSchG 6 82 – Sperrzeit 13 95 ff. – Steuerermäßigung 14 24 Eigentumsdelikte – verhaltensbedingte Kündigung 4 276 ff. Eignungsmängel – mangelnde persönliche Eignung 3 91 ff. – personenbedingte Kündigung 3 85 ff. Einigungsstelle – keine Einigung über Interessenausgleich 2 532 ff. – Verfahren 2 540 ff. – Zustimmungsvorbehalt des Betriebsrats bei sämtlichen Kündigungen 1 376 Einkommensteuer – Abfindungsanspruch 2 718 – auslandsansässige Arbeitnehmer 14 89 ff. – „Brutto = Netto“-Abfindung 14 59 ff. – Doppelbesteuerungsabkommen 14 89 – Lohnsteuernachforderung nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses 14 75 ff. – nachträgliche Änderung steuerungünstiger Vereinbarungen 14 73 f. – Steuerermäßigung siehe dort – Zuflussprinzip 14 63 ff. 1256
Einschreiben – Kündigungserklärung 1 173 – Kündigungsschutzklage 12 191 – Zugang der Kündigung 12 124 f. – Zugang der Kündigung bei ~ Einwurf 1 217 f., 257 f. – Zugang der Kündigung bei ~ Rückschein 1 212 ff., 260 Einstweilige Verfügung – Entbindung von Weiterbeschäftigungspflicht 2 891 ff. – Weiterbeschäftigung 12 165 ff. – Weiterbeschäftigung bei Betriebsratswiderspruch 2 887 f. Elternzeit – siehe auch Sonderkündigungsschutz bei Elternzeit – sittenwidrige Kündigung wegen Inanspruchnahme 5 33 f. E-Mail – Kündigung per ~ 1 178 – verhaltensbedingte Kündigung wegen ~-Nutzung 4 214 ff. Empfangsbote – Zugang der Kündigung 1 223, 227 ff., 231 Empfangsvertreter – Zugang der Kündigung 1 223 ff., 230 Entbindung – Sonderkündigungsschutz nach MuSchG 6 4, 6 f. Entgeltfortzahlung – Kündigung wegen Inanspruchnahme von ~ 5 28 f. – personenbedingte Kündigung wegen ~skosten 3 31 ff. – personenbedingte Kündigung wegen ~skosten in Kleinbetrieb 5 91 ff. Erfindungen – Aufhebungsvertrag 1 911 ff. Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB – siehe Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung Ermahnung – Abmahnung, Abgrenzung 1 512 Erstattungspflicht bei älteren Arbeitnehmern 13 289 ff. – Abfindung bei Auflösungsantrag 12 595 – Abfindungsanspruch 2 721
Stichwortverzeichnis
– Fiktion der sozialen Rechtfertigung 12 220 Erwerbsminderung – personenbedingte Kündigung 3 213 Extremistisches Verhalten – verhaltensbedingte Kündigung 4 205 ff. Fachkräfte für Arbeitssicherheit – Sonderkündigungsschutz 1 574 Fachliche Ungeeignetheit – Berufsausübungserlaubnisse 3 178 ff. – Kenntnisse 3 176 f. – personenbedingte Kündigung 3 170 ff. – physische 3 175 – Qualifikationsnachweise 3 178 ff. – unterdurchschnittliche Leistungen 3 174 ff. Fahrerlaubnisentzug – außerordentliche personenbedingte Kündigung 3 64 – personenbedingte Kündigung 3 187 ff. Faktisches Arbeitsverhältnis 1 641 ff.; 2 119 – besonders schwerer Mangel 1 643 – Vollzug des Arbeitsverhältnisses 1 642 Familiäre Verhältnisse – personenbedingte Kündigung 3 103 ff. Familienmitglieder – Arbeitnehmereigenschaft 2 127 f. Fehlen, unentschuldigtes – verhaltensbedingte Kündigung 4 184 f. Feststellungsantrag – bei Änderungskündigung 12 175 ff. – bei Beendigungskündigung 12 172 ff. – Streitwert 12 616 – weitere Kündigungen 12 27 ff. Feststellungsklage – siehe auch Verlängerung der Klagefrist – Feststellungsinteresse 12 4 ff. – Kündigungsschutzklage 12 1 ff. – Leistungsklage 12 8 ff.
Fiktion der sozialen Rechtfertigung – Reichweite 12 216 f. – Sperrzeittatbestand 12 218 f. – Wirkung außerhalb des Arbeitsverhältnisses 12 218 ff. Filialen – Sozialauswahl 2 384 f. Fluguntauglichkeit – krankheitsbedingte Kündigung 3 296 f. Fortbildungsmaßnahme – statt personenbedingter Kündigung 3 50 f. Fortsetzungsfeststellungszusatz – Kündigungsschutzklage 12 26 ff., 180 Fragerecht – Behinderung 1 678 – fachliche Qualifikation 1 677 – Gesundheit 1 678 ff. – Gewerkschaftszugehörigkeit 1 682 – HIV-Infektion 1 687 – Parteimitgliedschaft 1 683 – Religionszugehörigkeit 1 684 f. – Schwangerschaft 1 688 – Schwerbehinderteneigenschaft 1 686 – Schwerbehinderung 3 205 f. – Scientology 1 685 – Vorstrafen 1 689 – zulässige Eigenschaften 1 656 ff. Freie Mitarbeiter – statt Arbeitnehmer 2 287 Freistellung – kein Anspruch auf ~ 1 883 – Arten 13 294 f. – Aufhebungsvertrag 1 876 ff. – beitragsrechtliche Folgen 13 299 ff. – Freistellungsklausel 1 882 – während Kündigungsfrist 1 498 – sozialversicherungsrechtliche Folgen 13 293 ff. – Sperrzeit als Folge 13 296 ff. – Unwiderruflichkeit 1 876 f. – Wettbewerbsverbot 1 919 f. Freiwilligkeitsvorbehalt – Bonus 1 843 Fristlose Kündigung – siehe Außerordentliche Kündigung Fürsorgepflicht – Druckkündigung 2 314 1257
Stichwortverzeichnis
Gegendarstellung – in Personalakte 1 546 ff. Gemeinschaftsbetrieb 2 41 ff. – Darlegungs- und Beweislast 2 87 – Sozialauswahl 2 383 Gerichtsvollzieher – Beweis des Zugang der Kündigung 1 256 – Zustellung der Kündigung 1 199 ff. Geschäftsfähigkeit 1 33 ff. – beschränkte ~ 1 34 – Erweiterung bei Minderjährigen 1 39 ff. – Erweiterung bei Minderjährigen und Kündigungszugang 1 241 ff. – Klagefrist bei mangelnder/beschränkter ~ 12 283 ff. Geschäftsgeheimnis – Aufhebungsvertrag 1 908 ff. – personenbedingte Kündigung 3 115 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 210 ff. Geschlechtsumwandlung – personenbedingte Kündigung 3 119 Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Kündigungsberechtigung 1 280 ff. Gesellschafter 2 126 Gesetzesverstoß – unwirksame Kündigung „aus anderen Gründen“ 12 226 ff. Gesetzliches Verbot – Arbeitsvertrag 1 627 ff. – Arbeitszeitregelungen 1 631 – Aufhebungsvertrag 1 989 – faktisches Arbeitsverhältnis 1 641 ff. – Gesetzumgehung 1 632 – Rechtsfolgen eines Verstoßes 1 640 ff. – Teilnichtigkeit 1 645 f. – Unwirksamkeit von Anfang an 1 640 Gesundheitsschädliches Verhalten – verhaltensbedingte Kündigung 4 248 ff. Gesundheitszustand – Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 660 1258
Gewässerschutzbeauftragter – Sonderkündigungsschutz 1 596 Gewissensentscheidung – personenbedingte Kündigung 3 120 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 168 ff. Gleichbehandlung – Benachteiligung nach AGG siehe dort Gleichwohlgewährung – Arbeitslosengeld 13 272 ff. GmbH-Geschäftsführer – siehe auch Organmitglieder – Arbeitnehmereigenschaft 2 124 f. Gratifikation – und Aufhebungsvertrag 1 856 ff. – Rückzahlungsvorbehalt siehe dort – Stichtag 1 857 Gruppenarbeitsverhältnis – Kündigungsberechtigung 1 285 Haft – personenbedingte Kündigung 3 65 f., 146 ff. – Untersuchungshaft 3 152 f. Heimarbeiter – Arbeitnehmer, Abgrenzung 2 117 Heirat – personenbedingte Kündigung 3 103 ff. Hinweispflichten bei Aufhebungsvertrag 1 759 ff., 978 ff. – Abdingbarkeit 1 797 ff. – Betriebsratsmitglied, hinzugezogenes 1 761 – Initiative des Arbeitgebers 1 766 ff. – Initiative des Arbeitnehmers 1 763 ff. – kollektivvertragliche Widerrufsklauseln 1 789 – Musterformulierung Abbedingung 1 798, 800 – Rechtsanwalt 1 760 – Rechtsfolgen bei Verletzung der Pflicht 1 793 ff. – Richtigkeit bei Auskunft 1 792 – Sonderkündigungsschutz 1 788 – sozialrechtliche Nachteile 1 774 ff.
Stichwortverzeichnis
– sozialrechtliche Nachteile, Muster 1 779 – steuerrechtliche Nachteile 1 780 – Umfang 1 790 ff. – versorgungsrechtliche Nachteile 1 781 ff. – Versorgungsschaden 1 795 Immissionsschutzbeauftragter – Sonderkündigungsschutz 1 587 Insolvenz – betriebsbedingte Kündigung 2 293 ff. Integrationsamt – Ablehnung der Kündigung 8 40 – Antrag bei außerordentlicher Kündigung 8 42 ff. – Antrag bei ordentlicher Kündigung 8 19 ff. – Entscheidung bei außerordentlicher Kündigung 8 48 ff. – Entscheidung bei ordentlicher Kündigung 8 24 ff. – Negativattest 8 34 – Zustimmung zur Kündigung 1 350 ff.; 8 34 ff. – Zustimmungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung 1 353; 8 41 ff. – Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung 1 352; 8 19 ff. Interessenabwägung – Alkohol-/Drogensucht 3 322 ff. – außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung 4 104 – dauernde krankheitsbedingte Leistungsunfähigkeit 3 295 – dauernde Leistungsminderung 3 305 – häufige Kurzzeiterkrankungen 3 255 ff. – Langzeiterkrankung 3 283 ff. – personenbedingte Kündigung 3 52 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 79 ff. Interessenausgleich – Einigungsstelle 2 532 ff. – Massenentlassungen 2 528 ff. – Nachteilsausgleich 2 548 ff.
Interessenausgleich mit Namensliste 2 303 f., 629 ff. – Auskunftsverlangen zur Sozialauswahl 2 667 ff. – beschränkte Überprüfbarkeit auf grobe Fehlerhaftigkeit 2 647 ff. – Beteiligung des Betriebsrats 2 658 ff. – Betriebsänderung 2 635 ff. – betriebsbedingte Änderungskündigungen 2 645 – Darlegungs- und Beweislast 2 660 ff. – einheitliche Urkunde 2 637 – Herausnahme einzelner Arbeitnehmer 2 654 – namentliche Bezeichnung 2 639 – ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss 2 638 – Rechtsfolgen 2 643 ff. – Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung 2 644 ff. – Voraussetzungen 2 633 ff. – wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage 2 650 ff. Internetnutzung – verhaltensbedingte Kündigung 4 214 ff. Kirchen – Ehebruch 3 110 f. – Eheschließung als Kündigungsgrund 3 104 ff. – personenbedingte Kündigung 3 156 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 202 ff. Klage – Weiterbeschäftigung bei Betriebsratswiderspruch 2 887 f. Klageantrag – Feststellungsantrag bei Änderungskündigung 12 175 ff. – Feststellungsantrag bei Beendigungskündigung 12 172 ff. – Fortsetzungsfeststellungszusatz 12 180 Klagefrist – Ablauf bei Abfindungsanspruch 2 711 ff. – Änderungskündigung 2 195 1259
Stichwortverzeichnis
– Beginn bei außerordentlicher Kündigung 12 80 ff. – Beginn bei ordentlicher Kündigung 12 75 ff. – behördliche Zustimmung 12 296 ff. – Berechnung 12 136 ff. – Eingang bei einem Arbeitsgericht 12 181 ff. – falsche Kündigungsfrist 12 282 – Fiktion der sozialen Rechtfertigung 12 216 ff. – Geschäftsfähigkeit, mangelnde/ beschränkte 12 283 ff. – Massenentlassungsanzeige, fehlende 12 293 f. – Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage siehe dort – sittenwidrige Kündigung 12 264, 272 ff. – und Sonderkündigungsschutz bei Elternzeit 12 233 f. – und Sonderkündigungsschutz nach MuSchG 12 233 f. – und Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter 12 228 ff., 234 – tarifvertragliche Unwirksamkeit 12 249 ff. – treuwidrige Kündigung 12 263 ff. – Unkenntnis 12 334 f. – unwirksame/fehlerhafte Gremiumsanhörung 12 239 ff. – Unwirksamkeit aus anderen Gründen 12 221 ff. – Verlängerung der Klagefrist siehe dort – Versäumung 12 211 ff., 306 f. – Verstoß gegen Schriftformerfordernis 12 280 f. – Verstreichenlassen bei Abfindungsanspruch 2 701 ff. – vertragliche vereinbarte Kündigungsbeschränkung 12 257 ff. – Vertretungsmängel 12 287 ff. – Verzicht auf Kündigungsschutz vor Ablauf der ~ 1 1056 – Zugang der Kündigungserklärung 12 90 ff. Klageschrift – Antrag 12 150 – deutsche Sprache 12 158 f. – formelle Anforderungen 12 139 ff. 1260
– – – –
gesetzlicher Vertreter 12 143 ff. Klagegegenstand 12 147 Klagegrund 12 148 f. materieller Mindestinhalt 12 160 ff. – Parteien 12 140 ff. – Unterschrift 12 151 ff. – Weiterbeschäftigungsantrag 12 161 ff. Kleinbetriebsklausel 2 51 ff. – Aushilfen 2 81 – Beginn des Arbeitsverhältnisses 2 65 ff. – Berechnung der Schwellenwerte 2 72 ff. – Darlegungs- und Beweislast 2 84 ff.; 12 390 ff. – fehlerhafte Kündigungsauswahl 5 76 ff. – Fremdpersonal 2 82 f. – grundrechtliche Schutzpflichten 5 77 f. – Schwellenwerte 2 55 ff. – Sozialauswahl zwischen Alt- und Neuarbeitnehmern 2 69 ff. – Teilzeitbeschäftigte 2 77 ff. – treuwidrige Kündigung 5 80 ff. Konkurrenztätigkeit – verhaltensbedingte Kündigung 4 232 ff. Konzern – Arbeitnehmerüberlassung im ~ 2 39 – Arbeitsverhältnis mit/ohne ~bezug 2 35 ff. – Kündigungserklärungsfrist 4 126 – Unternehmen, Abgrenzung 2 33 ff. – Versetzungsklausel 2 212 – Versetzungsklausel, AGB-Kontrolle 2 40 – Wartezeit nicht ~bezogen 2 141 f. Kopftuchtragen 4 169a Krankheit – siehe auch Arbeitsunfähigkeit – Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 669, 678 ff. – außerordentliche personenbedingte Kündigung 3 67 ff. – Begriff 3 216 f. – Frage des Arbeitgebers 1 678 ff. – Kündigung wegen arbeitsplatzbedingter ~ 5 96
Stichwortverzeichnis
– Kündigung wegen Krankenhausaufenthalt 5 94 f. – Kündigung bei Verweigerung von Arbeitsleistung bei Krankschreibung 5 27 – nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage 12 326 ff. – Urlaub und Dauererkrankung 1 888 – verhaltensbedingte Kündigung wegen Ankündigung 4 242 ff. – verhaltensbedingte Kündigung wegen Unterlassen ärztlicher Untersuchung 4 251 – verhaltensbedingte Kündigung wegen Vortäuschung 4 247 – Wirksamkeit des Arbeitsvertrages 1 1063 Krankheitsbedingte Kündigung 3 214 ff. – AIDS 3 306 ff. – Alkoholsucht 3 315 ff. – Alter des Arbeitnehmers bei Kurzzeiterkrankungen 3 265 ff. – außerordentliche Kündigung 3 67 ff. – Beeinträchtigung betrieblicher Belange bei Alkohol-/Drogensucht 3 321 – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei dauernder Leistungsminderung 3 300 ff. – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei dauernder Leistungsunfähigkeit 3 291 ff. – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei Kurzzeiterkrankungen 3 239 ff. – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei Langzeiterkrankungen 3 279 ff. – Betriebsablaufstörungen bei häufigen Kurzzeiterkrankungen 3 240 ff. – Betriebsratsmitglied 3 72 – Darlegungs- und Beweislast 12 400 – Dauer des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses bei Kurzzeiterkrankungen 3 261 ff. – dauernde Leistungsminderung 3 298 ff.
– dauernde Leistungsunfähigkeit 3 286 ff. – Drei-Stufen-Modell 3 219 – Drogensucht 3 315 ff. – Drohung mit krankheitsbedingter Kündigung 1 1011 – familiäre Verhältnisse bei Kurzzeiterkrankungen 3 268 – Fluguntauglichkeit 3 296 f. – häufige Kurzzeiterkrankungen 3 220 ff. – Interessenabwägung bei Alkohol-/ Drogensucht 3 322 ff. – Interessenabwägung bei dauernder Leistungsminderung 3 305 – Interessenabwägung bei dauernder Leistungsunfähigkeit 3 295 – Interessenabwägung bei häufigen Kurzzeiterkrankungen 3 255 ff. – Interessenabwägung bei Langzeiterkrankungen 3 283 ff. – Krankheitsbegriff 3 216 f. – Langzeiterkrankungen 3 269 ff. – negative Prognose bei Alkohol-/ Drogensucht 3 318 ff. – negative Prognose bei dauernder Leistungsminderung 3 299 – negative Prognose bei dauernder Leistungsunfähigkeit 3 287 ff. – negative Prognose bei häufigen Kurzzeiterkrankungen 3 221 ff. – negative Prognose bei Langzeiterkrankungen 3 271 ff. – Spielsucht 3 327 f. – Ursachen häufiger Kurzzeiterkrankungen 3 256 ff. – Wiedereinstellungsanspruch nach langandauernder Erkrankung 3 329 ff. – wirtschaftliche Belastungen bei Kurzzeiterkrankungen 3 245 ff. Kündigung – mit Abfindungsangebot 1 718 ff. – Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats 1 108 – Anfechtung 1 47 ff. – Anhörung, vorherige 1 91 ff. – Ausschluss des ~srechts 1 4 ff. – Begründung 1 106 ff. – betriebsstörender Arbeitnehmer auf Verlangen des Betriebsrat 2 316 ff. 1261
Stichwortverzeichnis
– diskriminierende 1 418 ff. – Drohung mit ~ 1 1004 ff. – Erlöschen des ~srechts durch Zeitablauf 1 65 ff. – ex nunc-Wirkung 1 482 – Generalklauseln 1 56 – Gestaltungsrecht 1 12 ff. – herausgreifende 1 425 – keine Legaldefinition 1 2 – Minderjährige 1 34 ff. – Rechtsfolgen einer unwirksamen ~ 1 486 ff. – Rechtsfolgen einer wirksamen ~ 1 478 ff. – Rücknahme der Kündigung siehe dort – Schriftform der Kündigung siehe dort – Sittenwidrige Kündigung siehe dort – Stellvertretung 1 60 ff. – Treuwidrige Kündigung siehe dort – Umdeutung der Kündigung siehe dort – unabdingbares Recht 1 3 – Ungehörigkeit bei Zugang am Heiligen Abend 5 68 ff. – Unwirksamkeit aus anderen Gründen 12 221 ff. – zur Unzeit 5 63 ff. – Verzicht auf ~srecht 1 71 – vorsorgliche 1 29, 392 ff. – Widerruf 1 19 – Wirkung 1 15 ff. – Zugang der Kündigung siehe dort – Zustimmungserfordernisse 1 346 ff. Kündigungsberechtigung – Arbeitgeber 1 261 f. – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 4 121 ff. – außerordentliche Kündigung 1 291 ff. – Drittbezug bei Arbeitsverhältnissen 1 283 ff. – Eigengruppe 1 286 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 1 280 ff. – Gruppenarbeitsverhältnis 1 285 – Leiharbeitsverhältnis 1 284 – Vertreter 1 263 ff. 1262
Kündigungsbeschränkungen 1 558 ff. – siehe auch Sonderkündigungsschutz; Unkündbarkeit – gesetzliche ~ 1 572 ff. – zu Gunsten des Arbeitnehmers 2 177 ff. – kollektivrechtliche ~ 1 597 ff. – Kündigungsverbote mit Zustimmungsvorbehalt 1 574 ff. – Kündigungsverbote ohne Zustimmungsvorbehalt 1 580 ff. – vertragliche ~ 1 559 ff. – Verwirkung des Kündigungsrechts 1 568 ff. Kündigungsbestätigungsvertrag 1 721 Kündigungserklärung 1 1 ff. – Abgabe 1 142 ff. – Anfechtung 1 47 ff. – Auslegung 1 53 f. – Auslegung der Kündigungserklärung siehe dort – Einschreiben 1 173 – E-Mail 1 178 – Klarheit und Bestimmtheit 1 73 f. – Schriftform der Kündigung siehe dort – SMS 1 176 – sprachliche Anforderungen 1 98 ff. – Telefax 1 177 – Zugang der Kündigung siehe dort Kündigungsfrist – Betriebszugehörigkeitszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres 2 787a f. – falsch berechnete/bezeichnete ~ 1 89 f. – falsche ~ und Klagefrist 12 282 – bei „Lebenszeitanstellung“ 1 564 f. – Mitteilung an Betriebsrat bei betriebsbedingter Kündigung 2 787 ff. – Umdeutung bei unzulässig kurzer ~ 1 448 f. – Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der ~ 2 742 ff. – Zumutbarkeit bei verhaltensbedingter Kündigung 4 6 ff. Kündigungsgrund – keine Angabe als Treuwidrigkeit 5 61 f.
Stichwortverzeichnis
– bei außerordentlicher Kündigung 1 109 f. – Berufsausbildungsverhältnis 1 113 f., 240 – Darlegungs- und Beweislast 12 396 ff. – erneute Kündigung bei gleichem ~ 1 406 – Mitteilung 1 106 ff. – Nachschieben von Kündigungsgründen siehe dort – pauschale Schlagworte 1 117 – schuldrechtlicher Anspruch auf Mitteilung 1 120 ff. – Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Wegfall 2 731 ff. – Zwang zur Begründung 1 112 ff. Kündigungsschutz – siehe auch Kündigungsbeschränkungen; Unkündbarkeit; Sonderkündigungsschutz – Betriebsratsbeteiligung vor Eintritt des ~es 2 818 ff. – Verzicht 1 1053 ff. – Verzicht nach Kündigungszugang 1 1054 ff. Kündigungsschutzklage – siehe auch Kündigungsschutzprozess – Annahmeverzugslohn 12 433 ff. – Computerfax 12 197, 199 – Eingang bei einem Arbeitsgericht 12 181 ff. – Eingang beim falschen Gericht 12 200 ff. – Eingang eines Schriftsatzes 12 187 ff. – Einschreiben 12 191 – Erhebung als Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses 1 473 f. – Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung 12 428 ff. – Feststellungsklage 12 1 ff. – Feststellungsklage/Leistungsklage, Verhältnis 12 8 ff. – Fortsetzungsfeststellungszusatz 12 26 ff. – Klageantrag 12 172 ff. – Klageschrift 12 139 ff. – Leistungsklage 12 39 f.
– Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis siehe dort – Nachtbriefkasten 12 189 – Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage siehe dort – Niederschrift bei Geschäftsstelle/ Rechtsantragsstelle 12 184 ff. – objektive Klagehäufung 12 38 ff. – örtliche Zuständigkeit 12 200 ff. – Postfach 12 190 – punktueller Streitgegenstand 12 19 ff. – Rechtswegzuständigkeit 12 207 ff. – Rücknahme der Kündigung nach Erhebung der ~ 1 469 ff. – Streitgegenstand 12 19 ff. – Telefax 12 192 ff. – Weiterbeschäftigungsantrag 12 42 ff. – Wiedereinstellungsanspruch siehe dort Kündigungsschutzprozess 12 1 ff. – siehe auch Kündigungsschutzklage – Annahmeverzugslohn 12 433 ff. – Arbeitsaufnahme 1 496 – Aufhebungsvergleich 1 1036 ff. – Aufhebungsvertrag bei drohendem ~ 1 798, 802 ff. – auflösende Aufhebungsvereinbarung 1 750 f. – Darlegungs- und Beweislast siehe dort – erneute Kündigung nach ~ 1 406 ff. – Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis siehe dort – Nachschieben von Kündigungsgründen siehe dort – Rücknahme der Kündigung 1 469 ff. – Umdeutung der Kündigung 1 440 f. – Wiedereinstellungsanspruch siehe dort Kur – personenbedingte Kündigung 3 210 ff. Kurzerkrankungen – Alter des Arbeitnehmers 3 265 ff. – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 3 239 ff. – Dauer des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses 3 261 ff. 1263
Stichwortverzeichnis
– – – –
familiäre Verhältnisse 3 268 Indizwirkung 3 222 Interessenabwägung 3 255 ff. krankheitsbedingte Kündigung 3 220 ff. – negative Prognose 3 221 ff. – Ursachen 3 256 ff. – wirtschaftliche Belastungen 3 245 ff. Landtagsabgeordnete – Sonderkündigungsschutz 1 582 Langzeiterkrankungen – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 3 279 ff. – Interessenabwägung 3 283 ff. – krankheitsbedingte Kündigung 3 269 ff. – negative Prognose 3 271 ff. Lebensalter – Benachteiligung nach AGG bei Berücksichtigung bei Sozialauswahl 2 388a, 388d – Sozialauswahl 2 387 ff. Lebenswandel – verhaltensbedingte Kündigung 4 192 ff. Leiharbeit – siehe Arbeitnehmerüberlassung Leistungsminderung – außerordentliche personenbedingte Kündigung 3 71 – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 3 300 ff. – Interessenabwägung 3 305 – krankheitsbedingte Kündigung 3 298 ff. – negative Prognose 3 299 Leistungsschwäche – Darlegungs- und Beweislast 3 174c ff. – Kündigungsgrund 3 174a ff. – Low Performer 3 174a – negative Zukunftsprognose 3 174b – sittenwidrige Kündigung 5 15 – Vergleich mit Durchschnittsleistung 3 174d – verhaltensbedingte Kündigung 4 264 ff. 1264
Leistungsträgerklausel 2 444 ff. – berechtigte betriebliche Interessen 2 445 ff. – Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen 2 455 ff. Leistungsunfähigkeit – Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 3 291 ff. – Interessenabwägung 3 295 – krankheitsbedingte Kündigung 3 286 ff. – negative Prognose 3 287 ff. Leistungsverdichtung – betriebsbedingte Kündigung 2 237 ff. Leistungsverweigerungsrecht 4 165 ff. Leitender Angestellter – Auflösungsantrag des Arbeitgebers 12 533 ff. – Betriebsratsbeteiligung in Zweifelsfällen bei betriebsbedingter Kündigung 2 811 ff., 904 ff. – im KSchG 12 534 ff. Lohnsteueranrufungsauskunft 14 67 ff. Lohnwucher – Arbeitsvertrag 1 636 ff. – subjektive Komponente 1 639 – verkehrsübliche Vergütung 1 647 – zwei Drittel der tariflichen Vergütung 1 637 Lossagungsrecht bei neuem Arbeitsverhältnis – Anspruchszeitraum 12 510 f. – Differenzvergütung 12 509 – Frist 12 502 ff. – Handlungsoptionen des Arbeitgebers 12 512 f. – Voraussetzungen 12 494 ff. Low Performer – siehe Minderleistung Massenentlassungen 1 329 ff.; 2 478 ff. – Anzeige bei Bundesagentur für Arbeit 1 330; 2 554 ff. – nicht anzeigepflichtiges Ausscheiden 2 496 ff. – Arbeitnehmerbegriff 2 489 ff. – Arbeitnehmerzahl 2 501 f.
Stichwortverzeichnis
– Aufhebungsvertrag 1 805; 2 515 – ausgewogene Altersstruktur 2 468 – ausgewogene Personalstruktur 2 461 – Beteiligung des Betriebsrats 2 572 ff. – Betrieb 2 481 ff. – Betriebsänderung 2 527 ff. – Entlassungen, Begriff 1 333 ff.; 2 493 ff. – Form der Anzeige 2 555 ff. – Freifrist 1 331 ff.; 2 506 ff., 616 – Herausnahme aus der Sozialauswahl 2 446 ff. – Information der Bundesagentur für Arbeit über Betriebsratsunterrichtung 2 598 f. – Inhalt der Anzeige 2 558 ff. – Interessenausgleich 2 528 ff. – Klagefrist und fehlende Anzeige 12 293 f. – Rechtsfolgen einer unwirksamen Anzeige 2 619 ff. – Rechtsfolgen einer wirksamen Anzeige 2 617 – Regelbeschäftigte 2 486 ff. – Sozialplan 2 528 ff. – Sperrfrist 1 330; 2 604 ff. – Sperrfrist als Mindestkündigungsfrist 2 600 – Stellungnahme des Betriebsrats 2 564 ff. – stufenweise Entlassungen 2 601 – Verhältnis zu § 112a BetrVG 2 517 ff. – Vorruhestandsvereinbarungen 2 516 – Zeitpunkt der Anzeige 2 600 ff. – Zeitraum 2 503 ff. Maßregelnde Kündigung 5 20 ff. – Ablehnung eines Änderungsangebotes 5 24 – Anwendungsfälle 5 27 ff. – Darlegungs- und Beweislast 5 44 ff. – Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Befristung 5 31 f. – HIV-Infektion 5 43 – Inanspruchnahme von Elternzeit 5 33 f. – Inanspruchnahme von Entgeltfortzahlung 5 28 ff.
– Inanspruchnahme des Rechts zur gerichtlichen Überprüfung einer Personalmaßnahme 5 41 f. – prozessuale Behandlung 5 44 ff. – Vertrauensverlust bei Ablehnung von privatem Geheimnisverrat 5 35 f. – Verweigerung von Arbeitsleistung bei Krankschreibung 5 27 – Zeugenaussage gegen den Arbeitgeber 5 37 ff. – zulässige Rechtsausübung 5 21 f., 25 Maßregelungsverbot bei unzulässiger Rechtsausübung – sittenwidrige Kündigung 12 277 ff. Mehrarbeitsverweigerung – verhaltensbedingte Kündigung 4 181 ff. MfS-Tätigkeit – personenbedingte Kündigung 3 133 ff. Minderleistung – siehe Leistungsschwäche Minderjährige – Arbeitsmündigkeit 1 621 f. – Arbeitsvertrag 1 619 ff. – Aufhebungsvertrag 1 746 – Erweiterung der Geschäftsfähigkeit 1 39 ff. – Kündigung 1 34 ff. – Zugang der Kündigung 1 237 ff. Mischtatbestände 3 10 f. Mitbestimmung – siehe Betriebsratsbeteiligung Mobbing – verhaltensbedingte Kündigung 4 252 ff. Mutterschutz – siehe Sonderkündigungsschutz nach MuSchG Nachschieben von Kündigungsgründen 1 128 ff.; 2 843 ff. – Ausschlussfrist 1 136 – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 4 130 ff. – Betriebsratsbeteiligung 1 139 ff.; 2 843 ff.; 12 420 ff. 1265
Stichwortverzeichnis
– nach Kündigung entstandene Gründe 1 130; 2 850 – vor Kündigung entstandene Gründe 2 846 ff. – Prozessvortrag 12 427 – Verfahren 12 426 – Voraussetzungen der Zulässigkeit 12 421 ff. Nachteilsausgleich – Verfahren 2 548 ff. Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage 12 212 ff., 305 ff. – Angaben zum Hinderungsgrund und dessen Wegfall 12 357 ff. – Antragsfrist 12 342 ff. – Antragsfrist-Beginn ab Beseitigung des Hinderungsgrundes 12 344 ff. – Anwaltsverschulden 12 310 ff. – Falschauskunft 12 337 – fristwahrender Eingang des Antrags bei Gericht 12 350 f. – Inhalt des Antrags 12 352 ff. – Krankheit 12 326 ff. – Mittel zur Glaubhaftmachung 12 358 ff. – Nachholung der Klageerhebung 12 364 – Nachtbriefkasten 12 325 – Postlaufzeit 12 321 – Telefax 12 322 f. – unerkannte Schwangerschaft 12 338 ff. – Urlaub 12 329 ff. – Verkennung der Kündigungserklärung 12 332 ff. – Versäumung der Klagefrist 12 306 f. – Verschuldensfreiheit 12 308 f. Namensliste – siehe Interessenausgleich mit Namensliste Nebentätigkeit – verhaltensbedingte Kündigung 4 257 ff. Nichtfortsetzungserklärung – Schriftform der Kündigung 12 95 Nichtigkeit – Nichtigkeit des Arbeitsvertrages siehe dort – unwirksame Kündigung 1 486 ff. 1266
Nichtigkeit des Arbeitsvertrages 1 618 ff. – Formverstoß 1 623 ff. – Kündigungsverbot nach MuSchG und ~ 6 74 – Lohnwucher 1 636 ff. – Minderjährige 1 619 ff. – Sittenwidrigkeit 1 633 ff. – Teil-~ 1 645 f. – Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot 1 627 ff. Öffentlicher Dienst – verfassungsfeindliche Aktivitäten 3 166 f. – verhaltensbedingte Kündigung 4 200 Ordentliche Kündigung 1 387 ff. – nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages 1 1035 – Ausschluss des Rechts 1 6 ff. – Ausschluss des Rechts bei Befristung 1 593 – Ausschlussfrist, einzelvertraglich vereinbarte 1 340 ff. – befristeter Arbeitsvertrag 1 1045 f. – betriebsbedingte Kündigung 2 164 ff. – Drohung mit ordentlicher Kündigung 1 1007 ff. – keine Frist für Kündigungsausspruch 1 287 f. – Klagefrist, Beginn 12 75 ff. – sofortige ~ 1 389 – Umdeutung in Anfechtungserklärung 1 445 f. – Umdeutung in Aufhebungsvertrag 1 447 – Umdeutung in außerordentliche Kündigung 1 444 – Verhältnis zur außerordentlichen Kündigung 4 12 f. – vorsorgliche weitere ~ 1 29 Organmitglieder 2 120 ff. – Abmahnung 1 529 ff. – Darlegungs- und Beweislast 12 389 Outplacement – Aufhebungsvertrag 1 891 ff.
Stichwortverzeichnis
– Beratung als Entschädigungsleistung und Steuerermäßigung 14 48 f. Personalakte – Entfernung einer Abmahnung 1 540 ff. – Gegendarstellung 1 546 ff. Personalstruktur, ausgewogene 2 461 ff. – Altersgruppenbildung 2 464 ff. – Altersstruktur 2 462 ff. Personenbedingte Kündigung 3 1 ff. – Abmahnung 3 13 f. – Alter 3 190 ff. – Altersgrenze, Vereinbarung 3 194 ff. – Änderungskündigung, außerordentliche 3 79 ff. – Änderungskündigung, ordentliche 3 73 ff. – außerordentliche ~ 3 59 ff. – außerordentliche ~ bei Unkündbarkeit 1 610 – Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen 3 25 ff. – Begriff 3 2 ff. – Betriebsablaufstörung 3 27 ff. – Betriebsratsbeteiligung bei personenbedingter Kündigung siehe dort – Beurteilungszeitpunkt 3 15 ff. – Darlegungs- und Beweislast 3 56 ff. – Drohung mit personenbedingter Kündigung 1 1010 f. – Eignungsmängel 3 85 ff. – Entgeltfortzahlungskosten 3 31 ff. – Entgeltfortzahlungskosten in Kleinbetrieb 5 91 ff. – Fahrerlaubnisentzug 3 64 – Fortbildungsmaßnahme 3 50 f. – Haftverbüßung 3 65 f. – Interessenabwägung 3 52 ff. – Krankheitsbedingte Kündigung siehe dort – Leistungsminderung 3 71 – mangelnde Arbeitsfähigkeit 3 190 ff. – negative Prognose 3 21 ff. – ordentliche ~ 3 2 ff.
– Prüfungsstufen 3 19 ff. – Sicherheitsrisiko 3 63 – Sperrzeit wegen Hinnahme 13 120 ff. – Straftat 3 62 – Überbrückungsmaßnahmen 3 38 ff. – Ultima-ratio-Prinzip 3 36 ff. – Umschulungsmaßnahme 3 50 f. – Unkündbarkeit und Änderungskündigung 3 81 ff. – verhaltensbedingte Kündigung, Abgrenzung 3 6 ff.; 4 50 ff. – Versetzung an anderen Arbeitsplatz 3 42 ff. – wirtschaftliche Belastung 3 31 ff. Pflegezeit 11 1 ff. – Anspruchsberechtigte 11 7 ff. – Arbeitgeber 11 12 – Arbeitnehmer 11 8 – arbeitnehmerähnliche Personen 11 10 – zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte 11 9 – Beschäftigte 11 7 – keine Entgeltfortzahlung 11 5 – kurzzeitige Arbeitsverhinderung 11 3 – nahe Angehörige 11 13 f. – Pflegebedürftigkeit 11 15 – Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit siehe dort Pflichtenkollision 4 170 Politische Betätigung – personenbedingte Kündigung 3 164 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 205 ff. Potestativbedingung 1 25 ff. Probezeit – Kündigung wegen Homosexualität 5 86 ff. – Kündigung wegen nicht zufriedenstellender Leistungen 5 89 f. Provision – und Aufhebungsvertrag 1 846 ff. – Überhang-~ 1 848 Prozesskostenhilfe – Abfindung als einsetzbares Vermögen 2 722 1267
Stichwortverzeichnis
– statt Beiordnung eines Rechtsanwalts 12 650 f. Prozessvergleich – und Annahmeverzugslohn 12 468 f. – auflösende Aufhebungsvereinbarung 1 750 f. – Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1 1036 ff. – „Brutto = Netto“-Abfindung 14 59 ff. – schriftliches Verfahren 1 1038 – im Sitzungsprotokoll 1 1037 – Sperrzeit 1 1041 f.; 13 133 ff. – Sperrzeit bei Aufhebungsvertrag im Rahmen eines ~s 13 103 f. – Vorteile 1 1040 f. – Wiedereinstellungsanspruch 2 749; 12 64 ff. Punkteschema – Sozialauswahl 2 418 ff. Rationalisierung – betriebsbedingte Kündigung 2 256 ff. – nach Erwerberkonzept und Betriebsübergang 2 274 Rechtsanwalt – Beiordnung eines Rechtsanwalts siehe dort – Organisationsverschulden 12 316 ff. – Telefaxstörung 12 315 – Verschulden und Versäumung der Klagefrist 12 310 ff. Rechtsanwaltskosten – Ausschluss der Erstattung 12 622 ff. – außergerichtlicher Bereich 12 630 ff. – Belehrung über Ausschluss der Kostenerstattung 12 628 f. – Zwangsvollstreckung 12 634 Rechtsextremistisches Verhalten – verhaltensbedingte Kündigung 4 205 ff. Rechtsgeschäft 1 31 ff. Restmandat des Betriebsrats 2 918 – Betriebsstilllegung 2 925 ff. 1268
Rücknahme der Kündigung 1 18, 457 ff. – Ablehnung im Kündigungsschutzprozess 1 475 ff. – einseitige Erklärung 1 458 ff. – einvernehmliche 1 462 ff. – im Kündigungsschutzprozess 1 469 ff. Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten – AGB-Kontrolle 1 931, 939 – Aufhebungsvertrag 1 927 ff. – Beendigungsgrund in Sphäre des Arbeitgebers 1 936 – Beendigungsgrund in Sphäre des Arbeitnehmers 1 937 – beruflicher Vorteil 1 929 – innerbetrieblicher Nutzen 1 930 – kürzere Fortbildung 1 933 – sachlicher Grund 1 935 – Zeitpunkt der Vereinbarung 1 934 Rückzahlungsvorbehalt – Auszahlung in Teilbeträgen 1 860 – bis ein Monatsverdienst 1 858 – Gratifikation 1 858 ff. – Höhe eines Monatsverdienstes 1 858 – zu lange Bindungsdauer 1 862 – mehr als ein Monatsverdienst 1 858 – Sockelbetrag 1 863 – vorzeitige Gratifikationsauszahlung 1 861 – Zeitpunkt der Auszahlung 1 859 Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld – siehe auch Sperrzeit – Auflösungsabfindung 12 588 ff. – befristete Arbeitsverhältnisse 13 245 ff. – Entlassungsentschädigung 13 206 ff. – Entlassungsentschädigung, Begriff 13 211 f. – Entstehungsgeschichte 13 197 ff. – Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber 13 278 ff. – Erstattungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitnehmer 13 284 f.
Stichwortverzeichnis
– fiktive Beendigungsfristen 13 223 ff. – Folgen 13 268 ff. – fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund 13 230 ff. – Gleichwohlgewährung 13 272 ff. – Höhe des anrechnungsfähigen Teils der Entlassungsentschädigung 13 254 ff. – maximaler Ruhenszeitraum 13 253 – mehrere Ruhenszeiträume 13 286 – ordentlich kündbarer Arbeitnehmer 13 218 ff. – ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung 13 239 ff. – Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung 13 249 ff. – reguläre Beendigung des Arbeitsverhältnisses 13 216 f. – Voraussetzungen 13 201 ff. – vorzeitiges Ausscheiden 13 202 ff. – zeitlich begrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung 13 230 ff. – zeitlich unbegrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung 13 226 ff. – Zeitraum 13 213 ff. Schadensersatz – Benachteiligung nach AGG 1 819 f. – Drohung mit ~forderung 1 1020 – unterbliebene Zielvereinbarung 1 845 Scheidung – personenbedingte Kündigung 3 109 ff. Schlechtleistung – verhaltensbedingte Kündigung 4 264 ff. Schriftform – Abwicklungsvertrag 1 725 – Arbeitsvertrag 1 623 ff. – Aufhebungsvertrag 1 723 ff. – Kündigungserklärung siehe Schriftform der Kündigung
Schriftform der Kündigung 1 52, 149 ff.; 12 90 ff. – alle Arten von Arbeitsverhältnissen 1 154 – Änderungskündigung 1 157 – Anfechtung des Arbeitsvertrags 12 96 – Anwendungsbereich 12 93 ff. – Nichtfortsetzungserklärung 12 95 – Nichtigkeit bei Nichteinhaltung 1 150 f. – notarielle Beurkundung 1 171 – Sinn und Zweck 1 152 – Stellvertreter 1 160 f. – Teilkündigung 1 158 – Treuwidrigkeit 1 180 ff.; 12 105 ff. – Unabdingbarkeit 1 153 – Unterschrift 1 162, 164 ff.; 12 98 – Verstoß 12 103 ff. – Verstoß und Klagefrist 12 280 f. Schulden – personenbedingte Kündigung 3 161 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 195 ff. Schwangerschaft – Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 662, 671 – nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei unerkannter ~ 12 338 ff. – personenbedingte Kündigung 3 200 ff. – Sonderkündigungsschutz nach MuSchG siehe dort Schwellenwerte – Aushilfen 2 81 – Berechnung 2 72 ff. – Fremdpersonal 2 82 f. – Kleinbetriebsklausel, Sozialauswahl zwischen alten und neuen Arbeitnehmern 2 55 ff. – Teilzeitbeschäftigte 2 77 ff. Schwerbehindertenvertretung – Beteiligung bei Kündigung 8 57 – betriebliches Eingliederungsmanagement 3 219p – Sonderkündigungsschutz 1 594 f. Schwerbehinderter – siehe auch Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter 1269
Stichwortverzeichnis
– Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 661, 670 – Frage 3 205 f. – personenbedingte Kündigung 3 203 ff. – Sozialauswahl 2 396 ff., 441 Scientology-Mitgliedschaft – personenbedingte Kündigung 3 127 Selbständiger – Arbeitnehmer, Abgrenzung 2 112 Sexuelle Belästigung – verhaltensbedingte Kündigung 4 285 ff. Sicherheitsrisiko – außerordentliche personenbedingte Kündigung 3 63 – personenbedingte Kündigung 3 128 ff. Sittenwidrige Kündigung 1 56, 426 ff.; 5 1 ff. – Anwendungsfälle 5 9 ff. – Darlegungs- und Beweislast 5 17 – herausgreifende Kündigung 5 16 – HIV-Infektion 5 12 – Klagefrist 12 264, 272 ff. – Maßregelnde Kündigung siehe dort – Maßregelungsverbot bei unzulässiger Rechtsausübung 12 277 ff. – Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme bei Kündigungsauswahl 5 11 – objektiv ~ 5 4 ff. – prozessuale Behandlung 5 17 ff. – nicht spezifizierte Leistungsschwäche 5 15 – Verheimlichung der Unsicherheit des neuen Arbeitsplatzes 5 13 f. – Verwerflichkeit 5 3 – zugrundeliegendes Motiv 5 7 – zugrundeliegender Zweck 5 7 Sittenwidrigkeit – Arbeitsvertrag 1 633 ff. – Aufhebungsvertrag 1 990 – übermäßige Vertragsbindung 1 634 – Überwälzung des Betriebs- oder Wirtschaftsrisikos 1 634 Sonderkündigungsschutz – Aufhebungsvertrag, Hinweispflichten 1 788 – Auflösungsantrag des Arbeitgebers 12 527 f. 1270
– Betriebsärzte 1 574 – Bundestagsabgeordnete 1 580 f. – Datenschutzbeauftragter siehe Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten – bei Elternzeit siehe Sonderkündigungsschutz bei Elternzeit – Fachkräfte für Arbeitssicherheit 1 574 – Gewässerschutzbeauftragter 1 596 – Immissionsschutzbeauftragter 1 587 – Landkreis- und Gemeindeabgeordnete 1 583 – Landtagsabgeordnete 1 582 – Mandatsträger siehe Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern – nach MuSchG siehe Sonderkündigungsschutz nach MuSchG – Pflegezeit siehe Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit – Schwerbehindertenvertretung 1 594 f. – schwerbehinderter Menschen siehe Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter – Sozialauswahl 2 364 ff. – Sperrzeit 13 143 f. – Wehrpflichtige siehe Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten 1 586; 10 1 ff. – Ausschluss der ordentlichen Kündigung 10 19 ff. – befristete Bestellung des Datenschutzbeauftragten 10 26 ff. – Bestellung des Datenschutzbeauftragten 10 5 ff. – Fremdvergabe 10 12 f. – nachwirkender ~ 10 23 ff. – Widerruf der Bestellung des Datenschutzbeauftragten 10 9 ff. Sonderkündigungsschutz bei Elternzeit 1 365 ff., 575; 7 1 ff. – Beginn 7 11, 13 – behördliche Zulässigerklärung der Kündigung 1 366 f.; 7 18 ff. – behördliche Zulässigerklärung der Kündigung und Klagefrist 12 300 f. – Darlegungs- und Beweislast 7 9 f. – Dauer 7 11 ff.
Stichwortverzeichnis
– Ende des Kündigungsverbots 7 14 – und Klagefrist 12 233 f. – persönlicher Geltungsbereich 7 3 ff. – sonstiger Kündigungsschutz 7 26 – Teilzeitbeschäftigte 7 5 – Verstoß 7 15 ff. – Voraussetzungen 7 6 ff. Sonderkündigungsschutz von Mandatsträgern 1 316 ff., 360 ff., 577, 588 ff.; 2 931 ff. – aktive Betriebsratsmitglieder 2 931 ff. – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 1 319 ff. – außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung 2 963 – außerordentliche betriebsbedingte Kündigung 2 959 ff. – Betriebsstilllegung 1 590; 2 933 ff. – Betriebsstilllegung und nachwirkender Kündigungsschutz 2 974 f. – Betriebsteilstilllegung 2 945 ff. – Einwand des Rechtsmissbrauchs 2 993 ff. – nach Ende des Mandats 2 965 ff. – Ersatzmitglieder 2 976 ff. – Wahlbewerber 2 980 ff. – Wahlvorstände 1 589 f.; 2 980 f., 989 ff. – Widerspruchs gegen Betriebsübergang 2 956 ff. – zeitweilige Vertretung 2 979 – Zustimmungsersetzungsverfahren und Ausschlussfrist 1 321 ff. – Zustimmungsvorbehalt des Betriebsrats 1 360 ff. – Zweck 1 316 Sonderkündigungsschutz nach MuSchG 1 355 ff., 578; 6 1 ff. – Anfechtung des Arbeitsvertrags 6 75 f. – Anforderungen an nachträgliche Mitteilung 6 17 ff. – Aufhebungsvertrag 6 79 – Ausschlussfrist bei außerordentliche Kündigung 1 310 – Beendigung durch gerichtliche Entscheidung 6 80 f. – befristeter Arbeitsvertrag 6 77 – Beginn 6 36 ff.
– Begründungspflicht bei Arbeitgeberkündigung 6 70 ff. – behördliche Zulässigerklärung der Kündigung 1 356 ff.; 6 53 ff. – behördliche Zulässigerklärung der Kündigung und Klagefrist 12 300 ff. – Darlegungs- und Beweislast zur Kenntnis des Arbeitgebers 6 13 ff. – Darlegungs- und Beweislast bei nachträglicher Mitteilung 6 33 f. – Dauer 6 35 ff. – Eigenkündigung 6 82 – Ende 6 42 ff. – Entbindung 6 4, 6 f. – Frist bei nachträglicher Mitteilung 6 22 ff. – Inhalt 6 46 ff. – Kenntnis des Arbeitgebers 6 8 ff. – und Klagefrist 12 233 f. – nachträgliche Mitteilung der Schwangerschaft/Entbindung 6 16 ff. – nichtiger Arbeitsvertrag 6 74 – persönlicher Geltungsbereich 6 2 f. – Probearbeitsverhältnis 6 78 – Rechtsbehelfe gegen Entscheidung der Behörde 6 69 – Schwangerschaft 6 4 f. – Verfahren der behördlichen Zulassung 6 54 ff. – Verzicht 6 50 ff. – Voraussetzungen 6 4 ff. – Voraussetzungen der Zulassung der Kündigung 6 61 ff. – Wirkung 6 49 – Wirkung der Zulässsigerklärung 6 66 ff. – Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Arbeitgebers 6 12 Sonderkündigungsschutz in der Pflegezeit 1 368 f., 592; 11 1 ff. – akute Pflegesituation 11 20 f. – Ankündigung der Pflegezeit 11 30 – Anspruchsberechtigte 11 7 ff. – Anzeige der akuten Pflegesituation 11 22 f. – Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen 11 47 – behördliche Zulassung der Kündigung 11 45 f. – Dauer 11 38 ff. 1271
Stichwortverzeichnis
– Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt 11 16 – kurzzeitige Arbeitsverhinderung 11 18 ff. – mehr als 15 Beschäftigte 11 28 – Mindestankündigungsfrist 11 32 – nachträgliche Verlängerung der Pflegezeit 11 41 – Nachweis der Pflegebedürftigkeit 11 29 – keine Nachwirkung 11 42 – Nichtigkeit einer Kündigung 11 43 – pflegebedürftige nahe Angehörige 11 13 ff. – rechtsmissbräuchliche Ankündigung der Pflegezeit 11 33 ff. – Schriftform der Anzeige der Pflegezeit 11 31 – andere Sonderkündigungsschutztatbestände 11 48 – Unterbrechung der Pflegezeit 11 39 – Voraussetzungen 11 16 ff. – vorheriger Verzicht 11 44 – vorzeitige Beendigung der Pflegezeit 11 40 – keine Wartezeit 11 26 f. Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter 1 579; 8 1 ff. – Ablehnung der Kündigung durch Integrationsamt 8 40 – Antrag beim Integrationsamt bei außerordentlicher Kündigung 8 42 ff. – Antrag beim Integrationsamt bei ordentlicher Kündigung 8 19 ff. – Ausschlussfrist bei außerordentliche Kündigung 1 311 f. – Beteiligung des Betriebsrats/Personalrats 8 55 f. – Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung 8 57 – Darlegungs- und Beweislast 8 15 – Entscheidung des Integrationsamtes und Klagefrist 12 300 f. – Entscheidung des Integrationsamts bei außerordentlicher Kündigung 8 48 ff. – Entscheidung des Integrationsamts bei ordentlicher Kündigung 8 24 ff. – Gegenstand des Kündigungsschutzes 8 17 ff. 1272
– Gleichstellung 8 13 – und Klagefrist 12 228 ff., 234 – andere Kündigungsschutznormen 8 59 f. – Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft 8 9 f. – Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft 8 8 – Negativattest 8 34 – offenkundige Schwerbehinderung 8 12 – persönlicher Anwendungsbereich 8 6 ff. – Rechtsfolgen bei Verletzung des Kündigungsverbots 8 52 ff. – sachlicher Anwendungsbereich 8 3 ff. – schwerbehinderte Arbeitnehmer 8 6 ff. – Voraussetzungen 8 3 ff. – Zustimmung des Integrationsamt zur Kündigung 8 34 ff. – Zustimmung des Integrationsamtes 1 350 ff. – Zustimmungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung 8 41 ff. – Zustimmungsverfahren bei ordentlicher Kündigung 8 19 ff. Sonderkündigungsschutz Wehrpflichtiger 1 584; 9 1 ff. – außerordentliche Kündigung 9 12 ff. – Darlegungs- und Beweislast 9 17 f. – Verbot der ordentlichen Kündigung 9 8 ff. – Voraussetzungen 9 3 ff. – Wehrpflichtige 9 3 – Zivildienstleistende 9 4 Sonderzahlungen – und Aufhebungsvertrag 1 855 ff. Sozialauswahl 2 338 ff. – Änderungskündigung 2 199 ff. – Auskunftsverlangen bei Interessenausgleich mit Namensliste 2 667 ff. – Austauschbarkeit 2 342 ff. – Auswahlrichtlinien 2 421 ff. – Benachteiligung nach AGG 2 388a ff. – Betriebsteilübergang 2 380 – Betriebszugehörigkeit 2 389 f. – Beurteilungsspielraum 2 411 ff.
Stichwortverzeichnis
– Darlegungs- und Beweislast 12 405 ff. – Dominotheorie 2 470a f. – fehlerhafte 2 470 ff. – Filialen 2 384 f. – Gemeinschaftsbetrieb 2 383 – horizontale Vergleichbarkeit 2 354 ff. – Kleinbetriebsklausel, ~ zwischen alten und neuen Arbeitnehmern 2 69 ff. – Kollision mit § 613a BGB 2 372 ff. – Kriterien 2 386 ff. – Lebensalter 2 387 ff. – Leistungsträgerklausel 2 444 ff. – Nichteinbeziehen bestimmter Arbeitnehmer 2 444 ff. – Punkteschema 2 418 ff. – rechtliche Austauschbarkeit 2 350 ff. – Schwerbehinderter 2 396 ff. – Schwerbehinderter, maßgebender Zeitpunkt 2 441 – Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur 2 461 ff. – Sonderkündigungsschutz 2 364 ff. – sonstige Umstände 2 407 ff. – überbetriebliche 2 382 ff. – Umfang gerichtlicher Nachprüfung 2 475 f. – Umwandlung 2 381 – Unkündbarkeit 2 367 ff. – Unterhaltspflichten 2 391 ff. – Unterrichtung des Betriebsrats 2 795 ff. – Vergleichbarkeit 2 341 ff. – Voll- und Teilzeitbeschäftigte 2 359 ff. – Wiedereinstellungsanspruch 2 739 f. – Zeitpunkt des Kündigungszugangs 2 439 ff. Sozialplan – Abfindung aufgrund ~ und Auflösungsabfindung 12 596 ff. – Abfindung aufgrund ~, Bemessung 2 531 – Einigungsstelle 2 532 ff. – Interessenausgleich mit Namensliste 2 636
– Massenentlassungen 2 517 ff., 528 ff. Sozialversicherungsfreiheit – personenbedingte Kündigung wegen Wegfalls 3 169a Sozialversicherungsrecht 13 1 ff. – bei Abfindung 12 587 ff. – bei Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG 1 720; 2 719 ff. – Abwicklungsvertrag, Hinweispflichten 1 777 – Arbeitslosengeld siehe dort – Aufhebungsvertrag, Hinweispflichten 1 774 ff. – Freistellung 13 293 ff. – Gesetzesentwicklung 13 3 ff. Sperrzeit 13 84 ff. – Abfindung nach § 1a KSchG 13 111e – Abfindungsanspruch 2 720 – Abwicklungsvertrag 13 111 ff. – Aufhebungsvertrag 13 101 ff., 112 ff. – Auflösungsabfindung 12 593 f. – Beginn 13 175 ff. – Darlegungs- und Beweislast 13 172 ff. – Dauer 13 175 ff. – Eigenkündigung 13 95 ff. – entgegenstehender arbeitsrechtlicher Grund 13 154 ff. – entgegenstehender persönlicher Grund 13 161 ff. – Fiktion der sozialen Rechtfertigung 12 218 f. – Freistellung, ~ als Folge 13 296 ff. – Härtefall 13 182 ff. – Hinnahme einer personen-/betriebsbedingten Kündigung 13 120 ff. – Hinnahme einer verhaltensbedingten Kündigung 13 129 ff. – Prozessvergleich 1 1041 f.; 13 133 ff. – Rechtsfolgen 13 191 ff. – Sonderkündigungsschutz 13 143 f. – Umfang 13 181 ff. – wichtiger Grund für Beendigung des Arbeitsverhältnisses 13 145 ff. 1273
Stichwortverzeichnis
Spielsucht – krankheitsbedingte Kündigung 3 327 f. Sprachkenntnisse, fehlende – keine Benachteiligung nach AGG 3 132c f. – personenbedingte Kündigung 3 132a ff. Sprecherausschussbeteiligung bei betriebsbedingter Kündigung 2 759 ff., 896 ff. Stasi-Tätigkeit – personenbedingte Kündigung 3 133 ff. Stellenabbau – betriebsbedingte Kündigung 2 236 ff. Stellvertretung – fehlende Vertretungsmacht 12 287 ff. – fehlende Vollmachtsurkunde 1 269 ff. – gesetzliche 1 263 – „i.A.“ 1 268 – „i.V“ 1 268 – Kündigung 1 60 ff.; 12 287 ff. – im Namen des Arbeitgebers 1 267 – Schriftform der Kündigung 1 160 f. – Unterschrift 1 170 – Urkunde 1 265 – Vertreter ohne Vertretungsmacht 1 279 – Vollmacht 1 264 – Voraussetzungen 1 263 ff. – Zurückweisung der Kündigung 1 273 ff.; 12 290 ff. Steuerermäßigung 14 3 ff. – Abgeltung einer Versorgungsanwartschaft 14 16 ff. – Anwendung des § 34 EStG im Lohnabzugsverfahren 14 58 – Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit 14 28 ff. – außerordentliche Einkünfte 14 33 ff. – Beendigung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses 14 4 – befristetes Arbeitsverhältnis, Auslaufen 14 25 – Dienstwagennutzung nach Beendigung des Dienstverhältnisses 14 50 1274
– Eigenkündigung 14 24 – einheitliches Dienstverhältnis 14 8 f. – endgültige Beendigung des Arbeitsverhältnisses 14 6 – Entschädigung 14 4 ff. – Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen 14 4 ff. – freies Mitarbeiterverhältnis, Umwandlung 14 11 – Fünftelungsregelung 14 33, 51 ff. – integrierte Steuerberechnung 14 57 – Outplacementberatung 14 48 f. – Rechtsgrundlage der Entschädigung 14 14 ff. – Umsetzung im Konzern 14 8 – unfreiwilliges Ereignis für Arbeitnehmer 14 22 ff. – Voraussetzungen 14 4 ff. – Zusammenballung 14 33 ff. Steuerfreiheit – Abschaffung bei Abfindungen 14 2 – Entschädigung nach AGG 14 80 ff. Steuerrecht – Aufhebungsvertrag, Hinweispflichten 1 780 – Lohnsteueranrufungsauskunft 14 67 ff. – Steuerermäßigung siehe dort – Steuerfreiheit siehe dort Stichtagsklausel – Bonus 1 844 Strafanzeige – Drohung mit ~ 1 1021 f. – verhaltensbedingte Kündigung wegen ~ 4 154 ff. Straftat – außerordentliche personenbedingte Kündigung 3 62 – personenbedingte Kündigung 3 141 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 199, 270 ff. Strafhaft – siehe Haft Streik – rechtswidriger 1 424 f. – verhaltensbedingte Kündigung wegen Teilnahme 1 421 ff.; 4 158 ff.
Stichwortverzeichnis
Streitwert – Abfindung und Kündigungsschutzantrag 12 621 – Änderungskündigung 12 611 ff. – Begrenzung 12 600 ff. – Berechnung 12 604 ff. – Feststellungsantrag und Kündigungsschutzantrag 12 616 – Folgekündigungen 12 614 f. – Höchststreitwert oder Regelstreitwert 12 606 ff. – Leistungsantrag und Kündigungsschutzantrag 12 617 f. – Weiterbeschäftigungsantrag und Kündigungsschutzantrag 12 619 f. Tantieme – und Aufhebungsvertrag 1 851 ff. Tarifvertrag – Altersgrenze, benachteiligende 1 1049; 3 198a – Ausgleichsklausel in Aufhebungsvertrag 1 984 – Ausschlussfrist für Ausspruch der Kündigung eines Arbeitsvertrages 1 345 – Kündigung bei Zustimmung der Arbeitnehmervertretung 1 371 ff. Tätlichkeiten – verhaltensbedingte Kündigung 4 282 ff. Teilkündigung 1 401 f. – Schriftform 1 158 Teilzeitbeschäftigte – Kleinbetriebsklausel 2 77 ff. – Sonderkündigungsschutz bei Elternzeit 7 5 – Vergleichbarkeit mit Vollzeitbeschäftigten bei Sozialauswahl 2 359 ff. – und Wartezeit 2 139 Telefax – Computerfax 12 197, 199 – Kündigung per ~ 1 177 – Kündigungsschutzklage 12 192 ff. – technische Störung 12 194 ff. – technische Störung und Anwaltsverschulden 12 315 – Übermittlungsprobleme 12 322 f.
Telefonate – verhaltensbedingte Kündigung 4 221, 290 ff. Tendenzbetrieb – Betriebsratsbeteiligung bei betriebsbedingter Kündigung 2 822 ff. – personenbedingte Kündigung 3 155 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 201 Tod – des Arbeitgebers 1 1065 – des Arbeitnehmers 1 1064 Transsexualität – personenbedingte Kündigung 3 119 Treuwidrige Kündigung 1 56, 431 f.; 5 50 ff. – keine Angabe von Gründen 5 61 f. – Anwendungsfälle 5 59 ff. – arbeitsplatzbedingte Erkrankung 5 96 – andere Beschäftigungsmöglichkeit 5 73 ff. – Darlegungs- und Beweislast 5 52, 102 f. – wegen Entfristungsklage 5 97 f. – fehlerhafte Kündigungsauswahl 5 76 ff. – Grundrechte 5 54 ff. – Klagefrist 12 263 ff. – Kleinbetrieb 5 80 ff. – Krankenhausaufenthalt 5 94 f. – Kündigung sieben Stunden vor Ablauf der Wartezeit 5 71 f. – Kündigung zur Unzeit 5 63 ff. – Kündigungszugang am Heiligen Abend 5 68 ff. – Probezeitkündigung wegen Homosexualität 5 86 ff. – unsubstantiierte Unzufriedenheit mit Arbeitsleistung 5 99 – unsubstantiierter Vertrauensverlust 5 59 f. – vorgeschobener Kündigungsgrund 5 100 f. – widersprüchliches Verhalten 5 90 – nicht zufriedenstellende Leistungen während Probezeit 5 89 Treuwidrigkeit bei Formfehlern 1 180 ff. Trotzkündigung 1 404 1275
Stichwortverzeichnis
Turbo-Prämie – Aufhebungsvertrag 1 895 ff. Übergangsmandat des Betriebsrats 2 919 ff. Überschuldung – personenbedingte Kündigung 3 161 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 195 ff. Ultima-ratio-Prinzip – außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung 4 96 – personenbedingte Kündigung 3 36 ff. – Überbrückungsmaßnahmen 3 38 ff. – verhaltensbedingte Kündigung 4 53 ff. – Versetzung an anderen Arbeitsplatz 3 42 ff. Umdeutung der Kündigung 1 57 ff., 433 ff. – Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags 1 58 – in Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags 1 755 ff. – in Aufhebungsvertrag 1 447 – außerordentliche in ordentliche Kündigung 1 59, 442 f. – behördliche Zustimmungserfordernisse 1 454, 456 – Betriebsratsanhörung 1 450 ff. – mutmaßlicher Wille der Parteien 1 439 – ordentliche in außerordentliche Kündigung 1 444 – ordentliche Kündigung in Anfechtungserklärung 1 445 f. – im Prozess 1 440 f. – bei Unkündbarkeit 4 20 – unwirksame Kündigung 1 437 – unzulässig kurze Kündigungsfrist 1 448 f. – unzulässiger Kündigungstermin 1 448 f. – Voraussetzungen des Ersatzgeschäfts 1 438 Umgruppierung – Betriebsratsbeteiligung 2 907 1276
Umschulung – statt personenbedingter Kündigung 3 50 f. Umwandlung – kündigungsrechtliche Folgen 2 24 ff. – Sozialauswahl 2 381 Unkündbarkeit 12 250 – Altersschutz in Tarifverträgen 1 614 ff. – Auslauffrist 1 610 ff.; 4 19 f. – außerordentliche Änderungskündigung 4 336 – außerordentliche Änderungskündigung und ~ nach BAT 2 226 f. – außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung 2 173 ff. – außerordentliche Kündigung trotz ~ 1 566 f., 606 ff. – außerordentliche personenbedingte Kündigung 3 81 ff. – Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer 1 615 f.; 3 72a – „Dauerstellung“ 1 562 ff. – kollektivrechtliche 1 597 ff. – „Lebensstellung“ 1 562 ff. – ordentliche Kündigung 1 566 f. – Sozialauswahl 2 367 ff. – Umdeutung einer fristlosen Kündigung 4 20 – vertragliche 1 559 ff. – zeitliche befristete bei „betrieblichen Bündnissen“ oder Sanierungstarifverträgen 1 613 Unpünktlichkeit – verhaltensbedingte Kündigung 4 186 ff. Unterhaltspflichten – Sozialauswahl 2 391 ff. Unternehmen 2 7 f., 31 ff. – Konzern, Abgrenzung 2 33 ff. – Wartezeit ~sbezogen 2 140 Unternehmerentscheidung – betriebsbedingte Kündigung 2 321 ff. – Darlegungs- und Beweislast 2 323 f. – Freiheit der ~ 2 325 ff. – Kontrolle der ~ 2 329 ff. – offenbar unsachliche ~ 2 330, 332 – offenbar unvernünftige ~ 2 331 f.
Stichwortverzeichnis
Unterschlagung – verhaltensbedingte Kündigung 4 276 ff. Unterschrift – Kündigungserklärung 1 162, 164 ff. Untersuchungshaft – siehe Haft Urlaub – Abgeltung 1 887 ff. – Aufhebungsvertrag 1 884 ff. – Dauererkrankung 1 888 – nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage 12 329 ff. – verhaltensbedingte Kündigung bei eigenmächtigem ~santritts 4 176 ff. Verdachtskündigung 1 415 ff.; 4 31 ff., 340 ff. – Anhörung des Arbeitnehmers 1 93 f.; 4 350 ff. – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 4 360 ff. – Betriebsratsbeteiligung 1 417 – dringender Verdacht 4 341 ff. – Interessenabwägung 4 358 f. – Vertrauenswürdigkeit 3 167a – zumutbare Anstrengungen zur Sachverhaltsaufklärung 4 350 ff. Verfassungstreue – personenbedingte Kündigung 3 166 f. Vergütung – siehe Arbeitsentgelt Verhaltensbedingte Kündigung 4 1 ff. – Abmahnung siehe dort – Alkoholsucht 3 316 – Änderungskündigung, außerordentliche 4 28 ff., 333 ff. – Änderungskündigung, ordentliche 4 26 f., 293 ff. – Auslauffrist 4 18 ff. – Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung 4 105 ff. – außerordentliche 4 13 ff., 95 ff. – außerordentliche ~ bei Unkündbarkeit 1 611 – Beurteilungszeitpunkt für Sozialwidrigkeit 4 83 – Beweisverwertungsverbote 4 89 ff.
– Darlegungs- und Beweislast 4 85 ff.; 12 399 – Drohung mit verhaltensbedingter Kündigung 1 1009 – fristlose Beendigung 4 15 ff. – Interessenabwägung 4 79 ff. – Interessenabwägung bei außerordentlicher Kündigung 4 104 – konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses 4 70 ff. – konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses bei außerordentlicher Kündigung 4 101 – Kündigungsfrist, Zumutbarkeit 4 6 ff. – negative Prognose 4 74 f. – objektiver Grund 4 69 ff. – ordentliche ~ 4 6 ff. – personenbedingte Kündigung, Abgrenzung 3 6 ff.; 4 50 ff. – Regelausschlussfrist 4 84 – schützenswerte Interessen des Arbeitgebers 4 80 – schützenswerte Interessen des Arbeitnehmers 4 81 f. – Sozialwidrigkeit 4 68 ff. – Sperrzeit wegen Hinnahme 13 129 ff. – Ultima-ratio-Prinzip 4 53 ff. – Ultima-ratio-Prinzip bei außerordentlicher Kündigung 4 96 – verhaltensbedingter Grund, Begriff 4 39 f. – Verschulden 4 76 ff. – Verschulden bei außerordentlicher Kündigung 4 102 f. – Vertragsverletzung 4 42 ff. – vorsorgliche ordentliche ~ 4 21 ff. – wichtiger Grund bei außerordentlicher Kündigung 4 97 ff. Verjährung – Annahmeverzugslohn 12 455 Verlängerung der Klagefrist 12 365 ff. – fristwahrende Klageerhebung 12 384 f. – Geltendmachung der Sozialwidrigkeit oder eines anderen Unwirksamkeitsgrundes 12 376 ff. – rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage 12 369 ff. 1277
Stichwortverzeichnis
Vermögensdelikte – verhaltensbedingte Kündigung 4 276 ff. Versetzung – Betriebsratsbeteiligung 2 907 – betriebsstörender Arbeitnehmer auf Verlangen des Betriebsrat 2 316 ff. – Direktionsrecht/Änderungskündigung, Abgrenzung 2 210 ff. – statt personenbedingter Kündigung 3 42 ff. Versorgungsanwartschaft – Steuerermäßigung bei Abgeltung 14 16 ff. Vertragsstrafe – AGB-Kontrolle 1 926 Vertragsverletzung – verhaltensbedingte Kündigung 4 42 ff. Vertrauenswürdigkeit – Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 663 – personenbedingte Kündigung 3 167a Verwirkung – Abmahnungsrecht 1 517 – Anfechtungsrecht 1 697 – Kündigungsrecht 1 64, 568 ff. Verzicht – AGB-Kontrolle einer Kündigungsverzichtsvereinbarung 1 1058 – Kündigungsrecht 1 69 ff. – Kündigungsschutz 1 1053 ff. – Kündigungsschutz nach Kündigungszugang 1 1054 ff. – Kündigungsverbot nach MuSchG 6 50 ff. – Sonderkündigungsschutz bei Pflegezeit 11 44 – Wiedereinstellungsanspruch 2 748 Vordienstzeiten – Anrechnung 2 161 ff. Vorratskündigung 1 395 Vorruhestandsvereinbarung – Massenentlassungen 2 516 Vorsorgliche Kündigung 1 392 ff. – Vorratskündigung 1 395 Vorstrafen – Anfechtung des Arbeitsvertrages 1 672 – Fragerecht 1 689 1278
Wahlvorstand – Sonderkündigungsschutz 1 589 f.; 2 980 f., 989 ff. Wartezeit 2 129 ff. – anderweitige Parteiregelungen 2 156 ff. – Anrechnung von Vordienstzeiten 2 161 ff. – Arbeitsbeschaffungsmaßnahme 2 137 – Ausbildungszeit 2 136 – Berechnung 2 130 ff. – Darlegungs- und Beweislast 12 393 ff. – enger sachlicher Zusammenhang 2 146 ff. – Konzernbezug 2 141 – Kündigung sieben Stunden vor Ablauf 5 71 f. – Teilzeitbeschäftigung 2 139 – Unterbrechung 2 143 ff. – Unternehmensbezug 2 141 f. Wegfall der Geschäftsgrundlage – Aufhebungsvertrag 1 1028 ff. – Interessenausgleich mit Namensliste 2 650 ff. Wehrdienst – personenbedingte Kündigung 3 168 – personenbedingte Kündigung bei ~ im Ausland 3 98 f. Weisungsgebundenheit – Arbeitnehmereigenschaft 2 96 ff. Weiterbeschäftigungsanspruch 12 470 ff. – keine Arbeitspflicht 12 481 ff. – einstweilige Verfügung 12 165 ff. – Kündigungsschutzklage 12 42 ff., 161 ff. – nach Rechtskraft des Feststellungsurteils 12 484 – Streitwert 12 619 f. Weiterbeschäftigungsanspruch bei Betriebsratswiderspruch 2 884 ff.; 12 470 – Durchsetzung 12 490 ff. – einstweilige Verfügung 2 887 f.; 12 165 ff. – Entbindungsverfügung 2 891 ff.; 12 489 – Entfallen 12 479 f.
Stichwortverzeichnis
– Klage 2 887 f. – Kündigungsschutzklage 12 42 ff., 161 ff. – unveränderte Arbeitsbedingungen 2 889 – Verlangen der Weiterbeschäftigung 2 885 – Voraussetzungen 12 485 ff. – Zwangsvollstreckung 12 492 f. Werkwohnung – Aufhebungsvertrag 1 962 ff. – Werkdienstwohnung 1 966 f. – Werkmietwohnung 1 964 f. Wettbewerb – verhaltensbedingte Kündigung 4 232 ff. Wettbewerbsverbot – AGB-Kontrolle 1 925 f. – Aufhebungsvertrag 1 918 ff. – Erledigungsklausel und nachvertragliches ~ 1 923 – Freistellung von der Arbeitsleistung 1 919 f. – nachvertragliches ~ 1 921 ff. Widerruf – Aufhebungsvertrag, gesetzliches ~srecht 1 1024 – Aufhebungsvertrag, individualvertragliches ~srecht 1 1027 – Aufhebungsvertrag, tarifliches ~srecht 1 1026 – Kündigung 1 19 Wiedereinstellungsanspruch 2 723 ff.; 12 45 ff. – nach Ablauf der Kündigungsfrist 2 742 ff. – Aufhebungsvertrag 2 748 – Beschäftigung am alten Arbeitsplatz 2 750 – Beteiligung des Betriebsrats 2 738 – Betriebsübergang 2 745a – Geltendmachung 12 50 ff. – hilfsweise Geltendmachung 12 50 ff. – Klageantrag 12 70 ff. – nach langandauernder Erkrankung 3 329 ff. – Möglichkeit und Zumutbarkeit 2 734 ff. – nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrundes 2 731 ff.
– – – – – – –
Rechtsfolgen 2 750 ff. Rechtsgrundlage 2 725 f. Rechtsnachfolger 12 55 ff. Sozialauswahl 2 739 f. Vergleich 2 749; 12 64 ff. Vergütungsanspruch 2 751 ff. verspätete Geltendmachung 2 757 f. – Verzicht 2 748 – Voraussetzungen 2 727 ff. – wirksame Beendigung durch Kündigung des Arbeitgebers 2 727 ff. – zeitliche Grenzen 2 741 ff. Wiederholungskündigung 1 403 ff. – Betriebsratsanhörung 2 862 ff. Wucher – Arbeitsvertrag 1 636 ff. Zeugnis – und Aufhebungsvertrag 1 970 ff. – Drohung mit „nicht gutem“ Zeugnis 1 1017 – Drohung mit „schlechtem“ Zeugnis 1 1016 Zielvereinbarung – und Aufhebungsvertrag 1 841 ff. – Schadensersatz bei unterbliebener ~ 1 845 Zivildienst – personenbedingte Kündigung 3 168 f. Zuflussprinzip 14 63 ff. Zugang der Abmahnung 1 518 f. Zugang der Kündigung 1 185 ff.; 12 112 ff. – abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme bei Brief 1 206 – bei Abwesenden 12 116 ff.; 1 196 ff. – bei Anwesenden 12 113 ff.; 1 191 ff. – ausländische Arbeitnehmer 1 101 f. – Bote 1 219 ff., 259 – einfacher Brief 1 203 ff. – Einschreiben 12 124 f. – Einschreiben Einwurf 1 217 f., 257 f. – Einschreiben Rückschein 1 212 ff., 260 – Empfangsbote 1 223, 227 ff., 231 – Empfangsvertreter 1 223 ff., 230 1279
Stichwortverzeichnis
– Erklärungsbote 1 232, 234 ff. – Erklärungsvertreter 1 232 f. – erweiterte Geschäftsfähigkeit bei Minderjährigen 1 241 ff. – Fiktionen des Zugangs 1 187 – Gerichtsvollzieher 1 199 ff., 256 – Minderjährige 1 237 ff. – nachfolgende Fristen 1 190 – Nachweis 1 253 ff. – Nachweis bei Brief 1 211 – Rechtsfolgen der Kündigung 1 189 – Umzug des Arbeitnehmers 1 208 f. – Urlaubsabwesenheit 12 111 – Vereitelung 1 245 ff.; 12 133 ff. – Wiedereinsetzung 1 207 – Wohnungsbriefkasten 1 205; 12 120 ff.
1280
– Zustellung des Kündigungsschreibens 1 196 ff. Zurückbehaltungsrecht – Aufhebungsvertrag 1 975 ff. Zurückweisung der Kündigung 1 273 ff.; 12 290 ff. – Inkenntnissetzung von Bevollmächtigung 1 276 f. – Unverzüglichkeit 1 274 f. Zusammenballung 14 33 ff. Zuständigkeit – örtliche 12 200 ff. – örtliche Unzuständigkeit 12 204 ff. – Rechtsweg~ 12 207 ff. Zwischenverdienst – fiktiver 12 462 ff. – tatsächlicher 12 457 ff.