278 49 19MB
German Pages 1100 [1312] Year 2021
Nagel/Gottwald
Internationales Zivilprozessrecht
.
Nagel/Gottwald
Internationales Zivilprozessrecht Begründet von
Dr. jur. Heinrich Nagel † Vizepräsident des OLG Bremen a.D. Honorarprofessor an der Universität Göttingen
Ab der 4. Auflage fortgeführt und neu bearbeitet von
Dr. jur. Dr. h.c. Peter Gottwald em. o. Professor für Bürgerliches Recht, Verfahrensrecht und Internationales Privatrecht an der Universität Regensburg
8. neu bearbeitete Auflage
2020
Zitierempfehlung: Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rz. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-47112-5 © 2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Griebsch & Rochol, Hamm Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Die Neuauflage dieses Handbuchs steht vor allem im Zeichen des Wandels, der Erweiterung und Verfeinerung des Europäischen Zivilprozessrechts. Dessen vorrangige Geltung wird durch die klare Trennung der Darstellung von den internationalen Übereinkommen und dem nur subsidiär geltenden autonomen deutschen Zivilprozessrecht hervorgehoben. Vervollständigt wird die Darstellung wie bisher durch umfangreiche Hinweise auf die Rechtslage in wichtigen ausländischen Staaten. Besonderes Gewicht hat die Darstellung der seit 2015 geltenden Regeln der Brüssel Ia-Verordnung (EuGVO nF) über Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Zivil-und Handelssachen. Die reiche Rechtsprechung des EuGH hierzu ist vollständig dokumentiert. Diese Darstellung wird ergänzt durch Abschnitte zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2005 und zum neuen Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen 2019. Ein weiterer Schwerpunkt bildet die Darstellung des internationalen Familien- und Erbrechtsverfahrensrechts. Neben den für die Praxis besonders wichtigen Verordnungen „Brüssel IIa“ (EheGVO) und zum Unterhalt werden die neuen Güterrechtsverordnungen (EuGüVO und EuPartVO, gültig seit 2019) und die Erbrechtsverordnung (gültig seit 2015) eingehend erörtert. Auf die bevorstehenden Änderungen durch die Brüssel IIb-Verordnung (2019/1111 ab 2022) und das Adoptionshilfe-Gesetz wird hingewiesen. Eingehend erläutert werden der wachsende Bereich europäischer Vollstreckungstitel und die Europäische Kontopfändungsverordnung. Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sind insb. die neuen institutionellen Schiedsgerichtsordnungen (wie ICC-Rules 2017 oder DIS-Rules 2018) und die Entwicklungen im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit berücksichtigt. Das abschließende Kapitel zum internationalen Insolvenzrecht steht jetzt ganz im Zeichen der Europäischen Insolvenzverordnung 2015. Selbstverständlich sind auch alle anderen Teile des Handbuches eingehend aktualisiert. Die Europäische Urkundenverordnung von 2016 ist ebenso eingearbeitet wie ausländische Reformen, etwa der Zivilprozessordnungen in Brasilien und Spanien. Die Neubearbeitung gibt die Rechtslage zum Juni 2020 wieder. Rechtsprechung und Literatur sind bis dahin verarbeitet, zum ausländischen Recht im Rahmen der Verfügbarkeit. Die Neuauflage will Praktikern wie Wissenschaftlern weiterhin ein zuverlässiger Führer durch das gesamte internationale Zivilverfahrensrecht sein. Regensburg, im Juli 2020
Peter Gottwald
V
VI
Inhaltsübersicht Seite V XIII XXVII
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die europäischen Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen zum internationalen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . .
§ 1 Einführung I. Allgemeine Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . III. Prozessrechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXI
Rz. Seite 1.1 1 1.56 21 1.93 34
§ 2 Grenzen der Gerichtsbarkeit I. Die Staatsimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Immunität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 2.59 2.86
38 59 66
3.1 3.400 3.500 3.600
78 215 228 260
4.1 4.45 4.113 4.116
285 297 316 316
§ 3 Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen I. II. III. IV.
Europäisches Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit nach Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten . . . . . . . . . . . . .
§ 4 Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen I. II. III. IV.
Zuständigkeit in Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Abstammungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Adoptionssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Inhaltsübersicht V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII.
Zuständigkeit in Ehewohnungs- und Haushaltssachen . . . . . . . . Zuständigkeit in Versorgungsausgleichssachen . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Güterrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Gewaltschutzsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in sonstigen Familiensachen . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Betreuungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit in Erbrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. Seite 4.124 318 4.127 319 4.130 320 4.160 330 4.175 335 4.177 336 4.184 338 4.191 339 4.202 342
§ 5 Ausländer als Verfahrensbeteiligte I. II. III. IV.
Der prozessuale Status von Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss . . . . . . . . . . . . . Ausländer und die Gerichtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1 5.72 5.122 5.171
354 372 385 394
6.1 6.200 6.300 6.400
400 433 461 468
7.1 7.2 7.27 7.57 7.76
477 478 484 491 496
§ 6 Inlandsverfahren mit Auslandsbezug I. II. III. IV.
Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . Ausländische Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen gegen ausländische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Internationales Anwaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 7 Internationale Rechtshilfe I. II. III. IV. V.
VIII
Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die traditionelle Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Rechtshilfe und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . Die grenzüberschreitende Kooperation der Gerichte . . . . . . . . . Das Europäische Justizielle Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsübersicht
I. II. III. IV. V. VI.
§ 8 Internationale Zustellungen
Die Zustellung im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 . . . . . . . . . Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 . . . . . . . . . Zustellungen nach HZPÜ v. 1.3.1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustellungen außerhalb von Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilaterale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. Seite 8.1 499 8.53 513 8.85 524 8.142 540 8.151 542 8.158 543
§ 9 Internationale Beweisaufnahmen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die EU-Verordnung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 . . . . . . . . . . . . . IV. Beweisaufnahmen nach dem Haager Zivilprozessübereinkommen v. 1.3.1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bilaterale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1
550
9.8 9.39
553 562
9.100 9.140 9.158
580 591 596
10.1 10.43 10.59 10.83
600 617 621 627
11.1 11.14 11.67
658 661 675
§ 10 Internationales Beweisrecht I. II. III. IV.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendigkeit und Zulässigkeit der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . Beweiswürdigung und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die einzelnen Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 11 Die Behandlung ausländischen Rechts I. Rechtshilfeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten . . . . . . .
IX
Inhaltsübersicht
§ 12 Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
Rz. Seite I. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 684 II. Anerkennung nach Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.102 716 III. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.118 720
§ 13 Anerkennung von Entscheidungen in Familien- und Erbrechtssachen I. Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen . . . . . . . . . . . . II. Anerkennung von Entscheidungen in Sorgerechts-/Kindschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anerkennung von Abstammungsentscheidungen . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung von Adoptionsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . V. Anerkennung von Entscheidungen in Ehewohnungs- und Haushaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Anerkennung von Entscheidungen in Gewaltschutzsachen . . . . VII. Anerkennung von Entscheidungen in Güterrechtssachen . . . . . VIII. Anerkennung von Entscheidungen in Versorgungsausgleichssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Anerkennung von Entscheidungen von Unterhaltssachen . . . . . X. Anerkennung von Entscheidungen in Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Anerkennung von Entscheidungen in Betreuungssachen . . . . . . XII. Anerkennung von Entscheidungen in Erbrechtssachen . . . . . . . XIII. Anerkennung von Personenstandsurkunden (Statusverhältnissen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.1
758
13.56 13.89 13.94
773 779 781
13.113 13.116 13.119
786 787 788
13.124 13.127
789 790
13.149 13.153 13.158
796 797 799
13.169
802
14.1 14.6 14.26 14.29 14.77 14.78
806 809 816 816 829 829
§ 14 Europäische Vollstreckungstitel I. II. III. IV. V. VI. X
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung . . . . . . . . . Vollstreckungstitel nach der EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen . . . . . . . Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts . . . . . . . . . . . . Der Europäische Zahlungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsübersicht Rz. Seite VII. Entscheidungen im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.92 VIII. Entscheidungen in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.98 IX. Entscheidungen in Gewaltschutzsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.118 X. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . 14.121
832 833 838 839
§ 15 Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel I. II. III. IV. V.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . 15.252 Andere Familiensachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.336 Erbrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.391
847 848 906 926 937
§ 16 Anerkennung und Vollstreckung im Ausland I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16.1
940
16.8
942
§ 17 Internationaler einstweiliger Rechtsschutz I. II. III. IV. V. VI.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 976 Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen . . . . . . 17.2 976 Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . 17.91 1004 Einstweiliger Rechtsschutz in Erbrechtsachen . . . . . . . . . . . . . . 17.123 1012 Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen im Inland. 17.128 1013 Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten . . . . . . 17.133 1014
§ 18 Internationale Schiedsgerichtsbarkeit I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Internationale Mediation und andere Formen alternativer Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationale Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18.1 1030 18.11 1036 18.13 1037 XI
Inhaltsübersicht Rz. 18.92 18.163 18.180 18.211
Seite 1061 1083 1091 1100
18.219 18.274 18.319 18.335
1104 1120 1132 1138
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung . . . . 19.16 Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.42 Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung . . . . . . . 19.46 Die einzelnen Vollstreckungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.49 Zwangsvollstreckung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.125
1149 1155 1160 1161 1162 1178
IV. V. VI. VII. VIII.
Das Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das in der Sache anzuwendende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht . . Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckbarerklärung und Aufhebung inländischer Schiedssprüche sowie Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht . . . . . . . . X. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland.
§ 19 Internationale Zwangsvollstreckung I. II. III. IV. V. VI.
§ 20 Internationales Insolvenzrecht I. II. III. IV. V. VI.
Allgemeine Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland . . . . . . . . . . . Insolvenzkollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . Sonderbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausländisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII
20.1 20.37 20.125 20.151 20.176 20.184
1181 1191 1215 1222 1229 1231 1233
Abkürzungsverzeichnis
a.A. ABGB Abs AcP ADR ADSp AdWirkG
AEntG AEUV a.F. AG AGB AJP AktG AmJCompL AmJIL AmtsG AnfG
Anh. Anm. AnwBl. ArbGG ArbInt AsylG Aufl. AUG
anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Alternative Dispute Resolution Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Gesetz über Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (Adoptionswirkungsgesetz) vom 5.11.2001 (BGBl. I, 2950), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.3.2020 (BGBl. I, 541) Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom 20.4.2009 (BGBl. I, 799), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2019 (BGBl. I, 1756) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (in der berichtigten konsolidierten Fassung vom 23.2.2017, ABl. EG Nr. C 59/1) alte Fassung Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktuelle Juristische Praxis (Zeitschrift, St. Gallen) Aktiengesetz vom 6.9.1965, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.2019 (BGBl. I, 2637) American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Amtsgericht Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens (Anfechtungsgesetz) vom 5.10.1994 (BGBl. I, 2911), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.3.2017 (BGBl. I, 654) Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Arbeitsgerichtsgesetz idF vom 2.7.1979 (BGBl. I, 853), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.6.2020 (BGBl. I, 1248) Arbitration International. The Journal of LCIA Arbitration International Asylgesetz idF der Bek. vom 2.9.2008 (BGBl. I, 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.11.2019 (BGBl. I, 1626) Auflage Auslandsunterhaltsgesetz vom 23.5.2011 (BGBl. I, 898), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.11.2019 (BGBl. I, 1724)
XIII
Abkürzungsverzeichnis
AuRAG
AusfG AVAG
AVR BAföG BAG BAnz BayObLG BB BerDGVR Beschl. BfJG BGB BGBl. BGH BGHZ BIT BKR BörsG BRAO BRD BR-Drucks. Brüssel I-VO Brüssel Ia-VO Brüssel IIa-VO
XIV
Gesetz zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens betreffend Auskünfte über ausländische Rechte (AuslandsRechtsauskunftsgesetz) vom 5.7.1974 (BGBl. I, 1433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.5.2015 (BGBl. I, 1474) Ausführungsgesetz Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz) i.d.F. vom 30.11.2015 (BGBl. I, 2146) Archiv des Völkerrechts Bundesausbildungsförderungsgesetz idF vom 7.12.2010 (BGBl. I, 1952), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.5.2020 (BGBl. I, 1073) Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebsberater (Zeitschrift) Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschluss Gesetz über die Errichtung des Bundesamts für Justiz vom 21.12.2006 (BGBl. I, 3171), geändert durch Gesetz vom 31.8.2015 (BGBl. I, 1474) Bürgerliches Gesetzbuch idF vom 2.1.2002, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.3.2020 (BGBl. I, 540) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bilateraler Investitionsschutzvertrag Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Börsengesetz vom 16.7.2007 (BGBl. I, 1330), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.11.2019 (BGBl. I, 1626) Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959 (BGBl. I, 565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.6.2020 (BGBl. I, 1403) Bundesrepublik Deutschland Bundesrats-Drucksache s. EuGVO a.F. s. EuGVO nF Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27.11.2003 (ABl. EG 2003 Nr. L 338/1) (EheGVO)
Abkürzungsverzeichnis
Brüssel IIb-VO
BT-Drucks. BVerfG BVerfGE CAS cc CCP Chap. CIEC CIETAC CIF CIM CISG CIV CJQ CMLR CMNI CMR COMI COTIF CPC CPLR CPR cprc. CR CYArb DAJV-NL DB DEuFamR DesignG
Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (ABl. vom 2.7.2019 Nr. L 178/1) Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Court of Arbitration for Sport französischer Code civil Code of Civil Procedure Chapter Commission Internationale de l’Etat Civil China International Economic and Trade Arbitration Commission Costs, Insurance, Freight (Klausel aus den Incoterms) Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern Convention on Contracts for the International Sale of Goods vom 11.4.1980 (BGBl. 1989 II, 588) Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck idF vom 3.6.1999 (BGBl. 2002 II, 2149) Civil Justice Quarterly Common Market Law Review Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt vom 22.6.2001 (BGBl. 2007 II, 298) Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom 19.5.1956 (BGBl. 1961 II, 1120) Centre of Main Interests Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr idF des Änderungsprotokolls vom 3.6.1999 (BGBl. 2002 II, 2142) Code de Procédure Civil (Frankreich) Civil Practice Law and Rules Civil Procedure Rules (England) (italienischer) Codice di procedura civile Computer und Recht (Zeitschrift) Czech Yearbook of Arbitration Newsletter der Deutsch-Amerikanischen Juristenvereinigung Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsches und Europäisches Familienrecht (Zeitschrift) Designgesetz idF vom 24.2.2014 (BGBl. I, 122), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.7.2017 (BGBl. I, 2541) XV
Abkürzungsverzeichnis
DGVZ DIS DNotZ DRiZ DZWIR ECC ECLI ed. EFTA EF-Z EG EGBGB EGGVG EGInsO EGMR EGV
EheGVO Einf. Einl. E.L.Rev. EMRK EO EPG EPGÜ ErbR ERPL ErwSÜ ErwSÜAG
XVI
Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Richterzeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht European Commercial Cases European Case Law Identifier edition European Free Trade Association Zeitschrift für Familien- und Erbrecht (Wien) Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum BGB idF der Bek. vom 21.9.1994 (BGBl. I 2494), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.6.2020 (BGBl. I, 1245) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 (RGBl. 77), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.2019 (BGBl. I, 2633) Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I 2911), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.6.2017 (BGBl. I, 1476) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Konsolidierte Fassung mit den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997 und von Lissabon vom 13.12.2007 (ABl. EG Nr. C 306/1) s. Brüssel IIa-VO Einführung Einleitung European Law Review (Zeitschrift) Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. 1952 II, 686, 953) (österr.) Exekutionsordnung vom 27.5.1896 (RGBl. Nr. 79/ 1896), idF vom 7.7.2020 (BGBl. I Nr. 16/2020) Einheitliches Patentgericht Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht, ABl. EU 2013 Nr. C 175/1) Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis European Review of Private Law (Zeitschrift) Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13.1.2000 (BGBl. 2007 II, 323) Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 17.3.2007 (BGBl. I, 314), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.7.2017 (BGBl. I, 2426)
Abkürzungsverzeichnis
ESÜ
ESUG EU EuBVO
EuErbVO
EuGFVO
EuGH EuGHE EuGüVO
EuGVO a.F.
EuGVO n.F.
EuGVÜ
Luxemburger Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts vom 20.5.1980 (BGBl. 1990 II, 220) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (BGBl. I, 2582) Europäische Union Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG Nr. L 174/1 vom 27.6.2001) Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4.7.2012 (ABl. EU Nr. L 201/107) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen vom 11.7.2007 (ABl. EU 2007 Nr. L 199/1), geändert durch VO (EU) 2015/2421 vom 16.12.2015 (ABl. EU 2015 Nr. L 341/1) Gerichtshof der Europäischen Union Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichts Erster Instanz Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts, der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands vom 24.6.2016 (ABl. Nr. L 183/1) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1) („Brüssel I-VO“) (zuletzt geändert durch VO Nr. 156/2012 vom 22.2.2012, ABl. EU Nr. L 50/3) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüssel Ia-VO”) (ABl. EU Nr. L 351/1 vom 20.12.2012) EG-Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1972 II, 773) idF des 4. Beitrittsübereinkommens vom 16.7.1998 (BGBl. 1998 II, 1411)
XVII
Abkürzungsverzeichnis
EuInsVO EuJLRef EuLF EuLRev EuMVVO EuPartVO
EuRAG EuSchutzMVO EuÜ EuUntVO
EuUrkVO
EuVTVO
EuZVO
EuZW EVÜ EWG EWiR XVIII
Verordnung (EU) Nr. 2015/848 des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren (ABl. EU Nr. L 141/19 vom 5.6.2015) European Journal of Law Reform The European Legal Forum (Zeitschrift) European Law Review Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 über das Europäische Mahnverfahren vom 12.12.2006 (ABl. EU Nr. L 399/1) idF der VO (EU) 2015/2421 vom 6.12.2015 (ABl. EU 2015 Nr. L 341/1) Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften vom 24.6.2016 (ABl. Nr. L 183/30) Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9.3.2000 (BGBl. I, 182), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.10.2017 (BGBl. I, 3618) Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen vom 12.6.2013 (ABl. Nr. L 181/4) Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 (BGBl. 1964 II, 425), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.10.2003 (BGBl. I, 2074) Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachenpflichten (ABl. EU 2009 Nr. L 7/1) Verordnung (EU) 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1204/2012 vom 6.7.2016 (ABl. Nr. L 200/1) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. EG Nr. L 143/15 vom 30.4.2004) Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2008 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten (ABl. EU Nr. L 324/79) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (BGBl. 1986 II, 810) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
Abkürzungsverzeichnis
EWIVVO EWR EWS FamFG
FamPra.ch FamRBint FamRZ FernUSG FF FMCA FOB FPR FRCP FRE FS FSIA GebrMG GeschmMG GewSchG GG GGV GP GPR GRURInt GS GVG HAdoptÜ
Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) (ABl. EG Nr. L 199/1) Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (BGBl. I, 2586), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.3.2020 (BGBl. I, 541) Die Praxis des Familienrechts (Zeitschrift, Bern) Familienrechts-Berater international (Quartalsbeilage zur Zeitschrift Der Familienrechts-Berater – FamRB) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fernunterrichtsgesetz idF vom 4.12.2000 (BGBl. I, 1670), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.3.2017 (BGBl. I, 626) Forum Familienrecht (Zeitschrift) Foreign Money Claims Act Free on bord (Klausel aus den Incoterms) Familie, Partnerschaft, Recht (Zeitschrift) Federal Rules of Civil Procedure (USA) Federal Rules of Evidence (USA) Festschrift US Foreign Sovereign Immunities Act 1976 Gebrauchsmustergesetz idF vom 28.8.1986 (BGBl. I, 1455), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.7.2017 (BGBl. I, 2541) s. DesignG Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) vom 11.12.2001 (BGBl. I, 3513), geändert durch Gesetz vom 1.3.2017 (BGBl. I, 386) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.11.2019 (BGBl. I, 1546) Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 12.12.2001 (ABl. EG 2002 Nr. 3/1) Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln im Handelsverkehr vom 24.8.1923 (RGBl. 1925 II, 47) Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877, idF vom 9.5.1975 (BGBl. I, 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.6.2020 (BGBl. I, 1474). Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption vom 29.5.1993 (BGBl. 2001 II, 1035) XIX
Abkürzungsverzeichnis
HAVÜ Hb. HBÜ HdbIZVR HGB HGÜ HKÜ h.M. HUP HUVÜ 58 HUVÜ 73 HZPÜ HZÜ IBA ICC ICDR ICLQ ICSID idF IDR IGH IHK IHR IIRev IJPL ILA ILM. XX
Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Vorteile in Zivil- oder Handelssachen vom 2.7.2019 Handbuch Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18.3.1970 (BGBl. 1977 II, 1472) Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. I 1982, Bd. II/1 1994, Bd. III/1 1984, Bd. III/2 1984 Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl, 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.2019 (BGBl. I, 2637) Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 (ABl. EU 2009 Nr. L 133/3) Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II, 207) herrschende Meinung Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. EU 2009 Nr. L 331/19) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (BGBl. 1961 II, 1006) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (BGBl. 1986 II, 826) Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954 (BGBl. 1958 II, 577) Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 (BGBl. 1977 II, 1452) International Bar Association International Chamber of Commerce (Paris) International Centre of Dispute Resolution, International Division of the American Arbitration Association International and Comparative Law Quarterly, London International Centre for Settlement of Investment Disputes in der Fassung Journal of International Dispute Resolution (Beilage zum BB) Internationaler Gerichtshof (Den Haag) Internationale Handelskammer in Paris Internationales Handelsrecht, Zeitschrift für das Recht des internationalen Warenkaufs und -vertriebs International Insolvency Review International Journal of Procedural Law International Law Association International Legal Materials (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis
ILPr Incoterms InsO IntErbRVG IntFamRVG IntGesR IntGüRVG IPR IPRax IPRG iS IWF IZPR IZVR JAmt JbItalR JBl JDI JIEL JIntArb JN JPIL JPS JR JW JZ KAGB KapMuG KG KSÜ
International Litigation Procedure (Zeitschrift), London International Commercial Terms, 1953 von der IHK veröffentlicht, Neufassung 2020 (wirksam seit 1.1.2020) Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I, 2866), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.6.2017 (BGBl. I, 1693) Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz vom 29.6.2015 (BGBl. I, 1042) Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz vom 26.1.2005 (BGBl. I, 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.1.2019 (BGBl. I, 54) Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Güterrechtsverfahrensgesetz vom 17.12.2018 (BGBl. I, 2573) Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Gesetz über das internationale Privatrecht (Schweiz. Bundesgesetz vom 18.12.1987; Italien. Gesetz Nr. 218 vom 31.5.1995) im Sinne Internationaler Währungsfonds Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht Das Jugendamt (früher: Der Amtsvormund) (Zeitschrift) Jahrbuch für italienisches Recht Juristische Blätter, Wien Journal du Droit International (Clunet), Paris Journal of International Economic Law Journal of International Arbitration Jurisdiktionsnorm (Österreich) vom 1.8.1895 (RGBl. Nr. 111/ 1895), idF v. 7.7.2020 (BGBl. I Nr. 61/2020) Journal of Private International Law Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Rundschau Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitalanlagegesetzbuch vom 16.5.2013 (BGBl. I, 1981), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.3.2020 (BGBl. I, 529) Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 19.10.2012 (BGBl. I, 2182), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.7.2019 (BGBl. I, 1002) (tritt zum 1.11.2020 außer Kraft) Kammergericht Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (BGBl. 2009 II, 603) XXI
Abkürzungsverzeichnis
KSzW KWG LEC LG LJV L.Q.Rev LuftVG LugÜ LugÜ 1988 MarkenVO MDR MIGA MittBayNot ML MMR MSA MÜ NA NAFTA NATO n.F. NILR NJ NJOZ NJW NotBZ NTS NVersZ NZI NZM O OHADA
XXII
Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Kreditwesengesetz (idF v. 9.9.1998, BGBl. I, 2776), zuletzt geändert durch Art. 267 VO v. 19.6.2020 (BGBl. 2020 I, 1328) Ley de Enjuiciamiento, Spanisches Prozessgesetz vom 7.1.2000, (Gesetz 1/2000, Boletín Oficial Nr. 7 vom 8.1.2000) Landgericht Landesjustizverwaltung Law Quarterly Review Luftverkehrsgesetz (idF v. 10.5.2007, BGBl. I, 698), zuletzt geändert durch Art. 340 VO v. 19.6.2020 (BGBl. I, 1328) Lugano-Übereinkommen vom 30.10.2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU 2009 Nr. L 147/5) Lugano-Übereinkommen vom 16.9.1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II 2658) Verordnung (EG) Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke vom 26.2.2009 (ABl. EU Nr. L 78/1), geändert durch VO (EU) 2015/2424 vom 16.12.2015 (ABl. EU Nr. L 341/21) (s. UMVO) Monatsschrift für Deutsches Recht Multilateral Investment Guarantee Agency Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins (Zeitschrift) Model Law Multi-Media und Recht (Zeitschrift) Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 (BGBl. 1971 II, 219) Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999 (BGBl. 2004 II, 459) Nachlassabkommen North American Free Trade Association North Atlantic Treaty Organization neue Fassung Netherlands International Law Review Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Zeitschrift für notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis NATO-Truppenstatut vom 19.6.1951 (BGBl. 1961 II, 1190) Neue Zeitschrift für Versicherungsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Mietrecht Order Organisation pour l’Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires
Abkürzungsverzeichnis
OHG OLG PatG PKH PKH-RiLi
ProzRB r RabelsZ RB RdC RDIPP Rev crit Rev int belge RG RGBl RGZ RHDI RIDC RiLi RIW (AWD) Rom I-VO
Rom II-VO
Rom III-VO
RURESA R.V. Rz.
Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Patentgesetz (idF v. 16.12.1980, BGBl. 1981 I, 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.10.2017 (BGBl. I, 3546) Prozesskostenhilfe Richtlinie des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. EG Nr. L 26 S 41) Der Prozessrechts-Berater (Zeitschrift) rule Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rättegångsbalk, schwedisches Prozessgesetz 1942 (1942:740), zuletzt geändert am 1.7.2020 (Lag 2020:318) Receuil des Cours de L’Académie de Droit International de La Haye Rivista di diritto internazionale privato e processuale Revue critique de droit international privé, Paris Revue de Droit international et de Droit comparé (Bruxelles) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue Hellénique de Droit International Revue international de droit comparé, Paris Richtlinie Recht der Internationalen Wirtschaft, Betriebs-Berater International (früher: Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) vom 17.6.2008 (ABl. EU Nr. L 177/6) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 11.7.2007 (ABl. EU Nr. L 199/40) Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und -trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20.12.2010 (ABl. EU Nr. L 343/10) Revised Uniform Reciprocal Enforcement of Support Act 1968 Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering 1838 (Niederlande), zuletzt geändert am 11.12.2019 (Stb. 2019, 483) Randziffer
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
SchiedsVfG SchiedsVZ SchKG SchlHA SeeGVG SGB VIII SGB X SJZ SkAufG StAZ StPO SZIER SZW/RSDA Tz. UFMJRA UKlaG
UMVO
UNCITRAL UNIDROIT UnthVG UNÜ UNUÜ Urt. USC
XXIV
Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22.12.1997 (BGBl. I, 3224) (aufgehoben) Zeitschrift für Schiedsverfahren Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (Schweiz) Schleswig-Holsteinische Anzeigen Seegerichtsvollstreckungsgesetz vom 6.6.1995 (BGBl. I, 778, 786), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.1.2002 (BGBl. I, 564, 565) Sozialgesetzbuch Achtes Buch Kinder- und Jugendhilfe idF vom 11.9.2012 (BGBl. I, 2022), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.4.2020 (BGBl. I, 960) Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz idF vom 18.1.2001 (BGBl. I, 130), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.6.2020 (BGBl. I, 1248) Schweizerische Juristen Zeitung Streitkräfteaufenthaltsgesetz vom 20.7.1995 (BGBl. II, 554), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I, 1328) Das Standesamt (Zeitschrift) Strafprozessordnung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Textziffer Uniform Foreign Money Judgment Recognition Act Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen idF vom 27.8.2002 (BGBl. I, 3422, ber. 4346), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.6.2020 (BGBl. I, 1474) Verordnung (EU) über die Unionsmarke 2017/1001 vom 14.6.2017 (ABl. L 154/1), ergänzt durch delegierte VO (EU) 2018/625 v. 5.3.2018 (ABl. EU L 104/1) u. DVO (EU) 2018/626 (ABl. EU L 104/37) United Nation Commission on International Trade Law Institut International pour l’Unification du Droit Privé Unterhaltsvorschussgesetz idF vom 17.7.2007 (BGBl. I, 1446), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.2019 (BGBl. I, 2451) New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 (BGBl. 1961 II, 123) New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.1956 (BGBl. 1959 II, 150) Urteil United States Code
Abkürzungsverzeichnis
UWG VAG VersAusglG VersR VIZ VO Vorbem VuR VVG VwVfG WA
wbl WIPO WM WpHG WRP WÜD WÜK YCA ZAG Zak ZANTS ZBB ZErb ZEuP ZEV ZfIR ZfRV ZHR ZInsO
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb idF vom 3.3.2010 (BGBl. 2010 I, 254), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.4.2019 (BGBl. I, 466) Versicherungsaufsichtsgesetz vom 1.4.2015 (BGBl. I, 434); zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.3.2020 (BGBl. I, 529) Versorgungsausgleichsgesetz vom 3.4.2009 (BGBl. I, 700), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.12.2019 (BGBl. I, 2053) Versicherungsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht Verordnung Vorbemerkung Verbraucher und Recht – Zeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht Versicherungsvertragsgesetz vom 23.11.2007 (BGBl. I 2631), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.5.2020 (BGBl. I, 1018) Verwaltungsverfahrensgesetz idF vom 23.1.2003 (BGBl. I, 102), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.6.2019 (BGBl. I, 846) Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12.10.1929 (RGBl. 1933 II, 1039) (ersetzt durch das Montrealer Übereinkommen) wirtschaftsrechtliche blätter (Zeitschrift, Wien) World Intellectual Property Organization Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Wertpapierhandelsgesetz (idF vom 9.9.1998, BGBl. I 2708), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.3.2020 (BGBl. I, 543) Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Wiener UN-Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (BGBl. 1964 II, 958) Wiener UN-Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl. 1969 II, 1587) Yearbook Commercial Arbitration Zusatzabkommen zum Warschauer Abkommen von Guadalajara vom 18.9.1961 (BGBl. 1963 II, 1159) Zivilrecht aktuell (Zeitschrift, Wien) Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II, 1218) Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht, Wien Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht XXV
Abkürzungsverzeichnis
ZIP ZPO ZRHO ZRVgl ZSR ZUM ZV ZVglRWiss ZZP ZZPInt
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Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung (in der Fassung der Bek. vom 5.12.2005, BGBl. I 3202), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.2019 (BGBl. I, 2633) Rechtshilfeordnung in Zivilsachen vom 9.10.1956 in der Bek. der Neufassung vom 16.4.2018 Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Wien) Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zusatzvereinbarung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
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Übersicht über die europäischen Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen zum internationalen Zivilprozessrecht I. Gerichtsbarkeit 1. United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property (Resolution by the General Assembly 59/38 of 16 December 2004) 2. Baseler Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16.5.1982 (BGBl. 1990 II, 35) 3. Wiener UN-Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) vom 18.4.1961 (BGBl. 1964 II, 958) 4. Wiener UN-Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24.4.1963 (BGBl. 1969 II, 1587) 5. New Yorker UN-Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13.6.1946 (BGBl. 1980 II, 943) 6. New Yorker UN-Übereinkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21.11.1947 (BGBl. 1954 II, 640) 7. Pariser Allgemeines Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarats vom 2.9.1949 (BGBl. 1954 II, 493) mit Zusatzprotokoll vom 6.11.1952 (BGBl. 1954 II, 501) 8. Londoner Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) vom 19.6.1951 (BGBl. 1961 II 1190) mit Bonner Zusatzabkommen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II, 1218) 9. Brüsseler Internationales Abkommen zur Einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10.4.1926 (RGBl. 1927 II, 484)
II. Internationale Zuständigkeit, anwendbares Recht 10. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (ABl. EU Nr. L 351/1 vom 20.12.2012) (EuGVO n.F., Brüssel Ia-VO) 11. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in XXXI
Übersicht über europäische Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen
Zivil- und Handelssachen (EuGVO) (ABl. EG Nr. L 12/1 vom 16.1.2001) (EuGVO a.F., Brüssel I-VO) 12. Brüsseler EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (BGBl. 1972 II, 774) idF des 4. Beitrittsübereinkommens vom 16.7.1998 (BGBl. 1998 II, 1411) (EuGVÜ) 13. Protokoll (zum EuGVÜ) vom 27.9.1968 (BGBl. 1972 II, 808) i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 16.7.1998 (BGBl. 1998 II, 1411) 14. Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof vom 3.6.1971 (BGBl. 1972 II, 846) idF des 4. Beitrittsübereinkommens vom 16.7.1998 (BGBl. 1998 II, 1411) 15. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 („Brüssel IIa“, EheGVO) (ABl. EG Nr. L 338/1) 16. Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen („Brüssel IIb“) (ABl. EU Nr. L 178/1) 17. Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten („Brüssel II“) (ABl. EG Nr. L 160/19) 18. Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. EU Nr. L 7/1 vom 10.1.2009) (EuUntVO) 19. Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4.7.2012 (ABl. EU Nr. L 201/107) (EuErbVO) 20. Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands vom 24.6.2016 (ABl. EU L Nr. 183/1) (EuGüVO) 21. Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtXXXII
II. Internationale Zuständigkeit, anwendbares Recht
licher Wirkungen eingetragener Partnerschaften vom 24.6.2016 (ABl. EU L Nr. 183/30) (EuPartVO). 22. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) vom 17.6.2008 (ABl. EU Nr. L 177/6) 23. Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 11.7.2007 (ABl. EU Nr. L 199/40) 24. Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts („Rom III“) vom 20.12.2010 (ABl. EU Nr. L 343/10) 25. Haager Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten vom 30.6.2006 (ABl. EU 2009 Nr. L 133/3) (HGÜ) 26. Haager Übereinkommen vom 2.7.2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen (HAVÜ) 27. Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. EU 2009 Nr. L 331/19) (HUP) 28. Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13.1.2000 (BGBl. 2007 II 323) (ErwSÜ) 29. Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II 207) (HKÜ) 30. Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 19.10.2005 (ABl. EG Nr. L 299/62 vom 16.11.2005) 31. Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (ABl. EU Nr. L 339/3) (LugÜ) 32. Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ 1988) vom 16.9.1988 (BGBl. 1994 II, 2660) 33. Verordnung (EU) Nr. 848/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren (Neufassung) vom 20.5.2015 (ABl. EU Nr. L 141/19) (EuInsVO) 34. Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG L 160/1 vom 30.6.2000) 35. Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom 19.5.1956 (BGBl. 1961 II, 1120) XXXIII
Übersicht über europäische Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen
36. Montrealer Übereinkommen vom 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (BGBl. 2004 II, 458) mit Durchführungsgesetz vom 6.4.2004 (BGBl. I, 550) (MÜ) 37. Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (WA) vom 12.10.1929 (RGBl. 1933 II, 1040) 38. Zusatzabkommen von Guadalajara zum Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die von einem anderen als dem vertraglichen Luftfrachtführer ausgeführte Beförderung im internationalen Luftverkehr (ZAG) vom 18.9.1961 (BGBl. 1963 II, 1161) 39. Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9.5.1980 (COTIF) (BGBl. 1985 II, 133) mit Anhang A (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck/CIV) und Anhang B (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern/CIM) 40. Internationales Übereinkommen zur Vereinheitlichung der Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen vom 10.5.1952 (BGBl. 1972 II, 653; 1973 II, 169) 41. Internationales Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über den Arrest in Seeschiffe vom 10.5.1952 (BGBl. 1972 II, 653; 1973 II, 172) 42. Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie vom 29.7.1960 (BGBl. 1976 II, 308) 43. Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28.5.1929 – Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrages (Nachlassabkommen) (RGBl. 1930 II, 748)
III. Internationaler Rechtsverkehr und Rechtshilfe 44. Haager Übereinkommen über den Zivilprozess (HZPÜ) vom 1.3.1954 (BGBl. 1958 II, 577) 45. Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HZÜ) vom 15.11.1965 (BGBl. 1977 II, 1453) 46. Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption vom 29.5.1993 (BGBl. 2001 II, 1035) (HAÜ) 47. Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivilund Handelssachen in den Mitgliedsstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. EU Nr. L 324/79) (EuZVO) XXXIV
III. Internationaler Rechtsverkehr und Rechtshilfe
48. Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten (ABl. EG Nr. L 160/37 vom 30.6.2000) 49. Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.3.1970 (BGBl. 1977 II, 1472) (HBÜ) 50. Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ABl. EG Nr. L 174/1 vom 27.6.2001) (EuBVO) 51. Verordnung (EU) 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.7.2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/ 2012 (ABl. EU Nr. L 200/1) (EuUrkVO) 52. Entscheidung des Rates vom 28.5.2001 über die Errichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen (2001/470/EG) (ABl. EG Nr. L 174/25 vom 27.6.2001); ergänzt durch Entscheidung 568/2009/EG (ABl. EU Nr. L 168/35) 53. Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. EU 2006 Nr. L 399/1) idF der Verordnung (EU) 2015/2421 des Europäischen Parlaments und des Rates ... vom 16.12.2015 (ABl. EU Nr. L 341/1) (EuMVVO) 54. Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. EU 2007 Nr. L 199/1) idF der Verordnung (EU) 2015/2421 des Europäischen Parlaments und des Rates ... vom 16.12.2015 (ABl. EU L Nr. 341/1) (EuGFVO) 55. Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. EG 2003 Nr. L 26/41) 56. Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 136/3) 57. Deutsch-belgische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 25.4.1959 (BGBl. 1959 II, 1524) 58. Deutsch-dänische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs vom 1.6.1910 (RGBl. 1910, 873) 59. Deutsch-französische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 6.5.1961 (BGBl. 1961 II, 1040) 60. Deutsch-luxemburgische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs vom 1.8.1909 (RGBl. 1909, 907) XXXV
Übersicht über europäische Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen
61. Deutsch-niederländischer Vertrag zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 30.8.1962 (BGBl. 1964 II, 468) 62. Deutsch-norwegische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 17.6.1977 (BGBl. 1979 II, 1292) 63. Deutsch-österreichische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des rechtlichen Verkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 6.6.1959 (BGBl. 1959 II, 1523) 64. Vereinbarung zwischen Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen zur weiteren Erleichterung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 1.3.1954 über den Zivilprozess vom 14.12.1992 (BGBl. 1994 II, 361) 65. Deutsch-schwedische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs vom 1.2.1910 (RGBl. 1910, 455) 66. Deutsch-schweizerische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs vom 30.4.1910 (RGBl. 1910, 674) 67. Deutsch-britisches Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928 (RGBl. 1928 II, 623) 68. Deutsch-griechisches Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts vom 11.5.1938 (RGBl. 1939 II, 848) 69. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik vom 2.2.2000 zur weiteren Erleichterung des Rechtshilfeverkehrs (BGBl. 2001 II, 1211) 70. Deutsch-türkisches Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen vom 28.5.1929 (RGBl. 1930 II, 6) 71. Deutsch-tunesischer Vertrag vom 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit (BGBl. 1969 II, 889) 72. Londoner Europäisches Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht vom 7.6.1968 (BGBl. 1974 II, 938) 73. Zusatzprotokoll vom 15.3.1978 zum Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl. 1987 II, 60) 74. New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (UNUÜ) vom 20.6.1956 (BGBl. 1959 II, 150) 75. Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 (BGBl. 1956 II, 488, 763) XXXVI
IV. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
IV. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen –
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (ABl. EU Nr. L 351/1 vom 20.12.2012) (Brüssel Ia-VO, EuGVO n.F.), s. oben Nr. 10
–
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I-VO, EuGVO a.F.), s. oben Nr. 11
–
Brüsseler EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) vom 27.9.1968/14.7.1998, s. oben Nr. 12
76. Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. EG Nr. L 143/15 vom 30.4.2004) (EuVTVO) –
Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (EheGVO, Brüssel IIa-VO), s. oben Nr. 15
–
Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (ABl. EU Nr. L 178/1) (Brüssel IIb-VO), s. oben Nr. 16
–
Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung, s. oben Nr. 17
–
Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) vom 30.10.2007, s. oben Nr. 32
–
Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ 1988) vom 16.9.1988, s. oben Nr. 33
–
Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands vom 24.6.2016 (ABl. EU L Nr. 183/1) (EuGüVO), s. oben Nr. 20
–
Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtXXXVII
Übersicht über europäische Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen
licher Wirkungen eingetragener Partnerschaften vom 24.6.2016 (ABl. EU L Nr. 183/30) (EuPartVO), s. oben Nr. 21 –
Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. EU Nr. L 7/1 vom 10.1.2009) (EuUntVO), s. oben Nr. 18
77. Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen vom 12.6.2013 (ABl. EU Nr. L 181/4 (EuSchutzMVO) –
Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4.7.2012 (ABl. EU Nr. L 201/107) (EuErbVO), s. oben Nr. 19
78. Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen vom 15.5.2014 (ABl. EU Nr. L 189/59) (EuBvKpfVO) –
Verordnung (EU) Nr. 848/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren (Neufassung) vom 20.5.2015 (ABl. EU Nr. L 141/19) (EuInsVO 2015; EuInsVO n.F.)
–
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) (ABl. EG Nr. L 160/1 vom 30.6.2000) (EuInsVO 2000, EuInsVO a.F.), s. oben Nr. 32
–
Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 (ABl. EU 2009 Nr. L 133/3) (HGÜ)
79. Haager Übereinkommen vom 2.7.2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen 80. Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 (ABl. EU 2011 Nr. L 192/51) (HUÜ 2007) 81. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (HUVÜ 1973) (BGBl. 1986 II, 826) 82. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (HUVÜ 1958) (BGBl. 1961 II, 1006) 83. Luxemburger Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (ESÜ) vom 20.5.1980 (BGBl. 1990 II, 220) XXXVIII
IV. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
84. Revidierte Rheinschiffahrtsakte vom 17.10.1868 (Mannheimer Akte) (BGBl. 1969 II, 598) 85. Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden (Neufassung des Internationalen Übereinkommens von 1969) vom 25.5.1984 (BGBl. 1988 II, 825) 86. Übereinkommen über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen vom 25.5.1962 (BGBl. 1975 II, 977) 87. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 30.6.1958 (BGBl. 1959 II, 766) 88. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 4.11.1961 (BGBl. 1963 II, 110) 89. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.7.1960 (BGBl. 1961 II, 301) 90. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 20.7.1977 (BGBl. 1980 II, 925, 1531) 91. Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 9.3.1936 (RGBl. 1937 II, 145) 92. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen vom 30.8.1962 (BGBl. 1965 II, 27) 93. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen vom 17.6.1977 (BGBl. 1981 II, 341) 94. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 6.6.1959 (BGBl. 1960 II, 1246) 95. Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 2.11.1929 (RGBl. 1930 II, 1066) XXXIX
Übersicht über europäische Rechtsakte und die wichtigsten Übereinkommen
96. Deutsch-schweizerisches Abkommen über das Verfahren bei Anträgen auf Vollstreckbarerklärung der in Art. 18 des Haager Abkommens bezeichneten Kostenentscheidungen vom 24.12.1929 (RGBl. 1930 II, 1) 97. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 14.11.1983 (BGBl. 1987 II, 35) –
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, s. oben Nr. 43
V. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit 98. New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) vom 10.6.1958 (BGBl. 1961 II, 122) 99. Genfer Europäisches Übereinkommen über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (EuÜ) vom 21.4.1961 (BGBl. 1964 II, 425) 100. Pariser Vereinbarung über die Anwendung des Europäischen Übereinkommens über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 17.12.1962 (BGBl. 1964 II, 449) 101. Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (GA) vom 26.9.1927 (RGBl. 1930 II, 1068) 102. Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln (GP) vom 24.9.1923 (RGBl. 1925 II, 47) 103. Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten vom 18.3.1965 (ICSID) (BGBl. 1969 II, 371)
XL
§1 Einführung I. Allgemeine Grundfragen . . . . . . . . 1.1 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 2. Bezeichnung als IZPR . . . . . . . . . . . . 1.2 3. Inhalt des IZPR . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 4. Rechtsquellen des IZPR . . . . . . . . . . 1.15 5. Verhältnis des IZPR zum Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.25 6. Die Gegenseitigkeit im IZPR . . . . . . 1.33 7. Unterschiede zwischen IZPR und IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.39 II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1.56 1. Prozessrechtsvereinheitlichung in Europa und weltweit . . . . . . . . . . . . . 1.56 2. Europäischer Gerichtshof und Europäisches Gericht erster Instanz . . . . 1.66 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.66 b) Erstinstanzliche Zuständigkeiten . . 1.67 c) Gericht für den öffentlichen Dienst der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.68
d) Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.69 e) Eilverfahren nach Art. 107 Verfahrensordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.84 3. Einheitliches Patentgericht . . . . . . . 1.85 4. Vorabentscheidungsverfahren zum EFTA-Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . 1.88 5. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.89 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.89 b) Einheitliche Standards . . . . . . . . . . . 1.90 c) Kooperation zwischen EGMR, EuGH und BVerfG . . . . . . . . . . . . . . 1.92 III. Prozessrechtsvergleichung . . . . . . . 1.93 1. Allgemeine Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . 1.93 2. Prozesskultur, Chancen und Risiken der Prozessführung im Ausland . . . 1.95
I. Allgemeine Grundfragen 1. Schrifttum J. Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2. Aufl. 2009; The American Law Institute, Restatement of the Law Third, The Foreign Relations Law of the United States, 2 Vol., 1987; E. Bachofner/P. Grolimund in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht (Teil P Streitbeilegung, Kap. 1 Internationales Zivilprozessrecht), 2. Aufl. 2017, S. 1991; D. Bamford/R. Caponi, Transnational Litigation and Elements of Fair Trial, in Gottwald/Hess, Procedural Justice, 2014, S. 473 u. 493; Ch. v. Bar/P. Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2003; J. Basedow, Qualifikation, Vorfrage und Anpassung im internationalen Zivilverfahrensrecht, in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 131; S. Baumgartner, Is transnational litigation different?, U.Pa.J.Int’L Econ.L. 25 (2004), 1297; G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in the United States, 5th ed. 2018; M. Brinkmann, Das lex fori-Prinzip und Alternativen, ZZP 129 (2016), 461; A. Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2006, S. 1 ff.; Ch. Campbell, International Civil Procedure, 2nd ed. 2011 ff.; J. Carruthers, Substance and Procedure in the Conflict of Laws, A continuing debate in relation to damages, ICLQ 53 (2004), 691; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law (Chapter 6 Substance and Procedure), 15th ed. 2017; A. Colman, Encyclopedia of International Commercial Litigation, 1994 ff.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, 15th ed., London, 2012; U. Ehricke, The impact of the
1
1.1
§ 1 Rz. 1.1 | Einführung European Convention for the protection of human rights and fundamental freedoms on civil procedure, Tel Aviv Univ Studies in Law 12 (1994), 115; J. Fawcett, The Interrelationships of Jurisdiction and Choice of Law in Private International Law, Current Legal Problems 1991, 39; R. Fentiman, International Commercial Litigation, 2nd ed. 2015; A. Furrer, Internationales Zivilprozessrecht im Wandel, SJZ 98 (2002), 141; A. Furrer, Verfassung, Völkerrecht und internationales Zivilverfahrensrecht, ZRVgl 5 (1992), 321 u. 401; R. Garnett, Substance and Procedure in Private International Law, 2012; R. Geimer, Menschenrechte im internationalen Zivilverfahrensrecht, in Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, 1994, S. 213; D. Gerber, The Substance-Procedure Distinction in United States Law, in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 113; St. Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, 1985 (S. 85 ff.); W. Grunsky, Lex fori und Verfahrensrecht, ZZP 89 (1976), 241; T. Hartley, International Commercial Litigation, 2015; A. Heldrich, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994; J. Hill, International Commercial Disputes in English Courts, 4th ed. 2010; B. v. Hoffmann/K. Thorn, Einführung in das internationale Privatrecht, 9. Aufl. 2007 (§ 3); F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori im internationalen Zivilprozessrecht, 1995; W. Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge als Problem des Völkerrechts, 1953; G. Kegel/K. Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004 (§ 22); X. Kramer/ C.H. van Rhee, Civil Litigation in a Globalising World: An Introduction, 2012; R. Kreindler/J. Fellas, Transnational Litigation, 3 Vol., 1997; H. Kronke, Das Lex-fori-“Prinzip“ im internationalen Zivilprozessrecht, ZZPInt 20 (2015), 399; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006; D. Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery, Grundfragen des Internationalen Zivilprozessrechts, 1989; D. Leipold/Carrington/Aoyama, Problems in International Litigation, in The International Symposium on Civil Justice in the Era of Globalisation, Tokyo 1993, 3 et seq.; J. Lookofsky/K. Hertz, Transnational litigation and commercial arbitration, 4th ed. 2017; A. Lowenfeld, International Litigation and the Quest for Reasonableness, Rec.d.Cours 245 (1994 I), 9; A. Lowenfeld, International Litigation and Arbitration, 3rd ed. 2006; Th. Main, Global issues in civil procedure, 2006; P. Mankowski, Über den Standort des Internationalen Zivilprozessrechts, RabelsZ 82 (2018), 576; I. Meier, Privatrecht und Prozessrecht, in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 1; F. Meili, Das internationale Civilprozessrecht, Zürich, 1906; F. Meili/A. Mamelok, Das Internationale Privat- und Zivilprozessrecht auf Grund der Haager Konventionen, Zürich, 1911; G. Morelli, Diritto processuale civile internazionale, Padova, 1954; G. Morelli, Studi di diritto processuale civile internazionale, Milano, 1961; V. Musin, The principle of international comity in the sphere of civil procedure, FS Boguslavskij, 2004, S. 223; H. Nagel, Chancen des internationalen Zivilprozessrechts beim Ausgleich von Schwierigkeiten aus Rechtsordnungen unterschiedlicher Weltanschauung, ZZP 82 (1969), 360; H. Nagel, Auf dem Wege zu einem europäischen Prozessrecht, 1963; Neuhaus, Internationales Zivilprozessrecht und internationales Privatrecht, eine Skizze, RabelsZ 20 (1955), 201; L. W. Newman/D. Zaslowsky, Litigating International Commercial Disputes, 1996; H. Niederländer, Materielles Recht und Verfahrensrecht im IPR, RabelsZ 20 (1955), 1; G. Panagopoulos, Substance and procedure in private international law, JPIL 1 (2005), 69; Th. Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 2017; H. Rixen, Die Anwendung ausländischen Verfahrensrechts im deutschen Zivilprozess, Diss. Regensburg 1999; H. Roth, Die Reichweite der lex-fori-Regel im internationalen Zivilprozessrecht, FS Stree u. Wessels, 1992, S. 1045; G. Rühl, Effizienzprobleme bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten, in Bork/Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts, 2009, S. 335; A. Svetlanov, The international civil process and conflict of laws, FS Boguslavskij, 2004, S. 199; I. Szászy, International Civil Procedure, 1967; I. Szászy, Conflict of Laws in the Western, Socialist and Developing Countries, Budapest, 1974; Tarko, Ein Europäischer Justizraum, Österr JZ 1999, 401; M. Virgos Soriano/ F. J. Garcimartin Alférez, Derecho Procesal Civil Internacional – Litigación internacional, 2000; P. Vlas, The Principles of Fair Trial in International Civil Litigation, Essays in Honour of Voskuil, 1992, 391; G. Walter, Neuere Entwicklungen im internationalen Zivilprozessrecht, FS G. Lüke, 1997, S. 921.
2
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.5 § 1
2. Bezeichnung als IZPR Die Begriffe „internationales Zivilprozessrecht“, „international“ oder „transnational litigation“ stehen nicht für ein fest gefügtes Regelwerk, sondern sind eine Kurzbezeichnung für die verschiedensten Fragen, die als Folge „internationaler“, grenzüberschreitender Elemente eines Rechtsstreits entstehen. Die Bezeichnung „international“ bezieht sich darauf, dass das IZPR alle prozessualen Regeln für auslandsbezogene Sachverhalte umfasst.1 Eine Auslandsbezogenheit kann begründet werden durch die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz, den gewöhnlichen oder einfachen Aufenthaltsort einer oder beider streitenden Parteien, durch die prozessuale Ermittlung ausländischen materiellen Rechts, durch Probleme der internationalen Rechtshilfe, durch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile, durch den Parteiwillen bei einer Gerichtsstandsvereinbarung, durch die belegene Sache (Streitgegenstand), durch den Tatort einer unerlaubten Handlung, durch den Sitz einer juristischen Person oder einer Gesellschaft.
1.2
Grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten beschäftigen in zunehmendem Maße Wirtschaftsexperten, Rechtsanwälte und Richter. Fragen des IZPR können teilweise bei Vertragsschluss geklärt werden, lange bevor ein Verfahren eingeleitet oder eine Entscheidung getroffen wird.
1.3
Seit Meili zu Beginn des 20. Jahrhunderts sein groß angelegtes Werk veröffentlichte, setzte sich die Bezeichnung des internationalen Zivilprozessrechts im deutschsprachigen Gebiet durch. Die Bezeichnung wurde fast wortgetreu in andere Sprachen übersetzt. Riezler und Guldener haben diese Benennung als unzutreffend, unbestimmt und wenig glücklich kritisiert, weil sie weder der Herkunft noch dem Inhalt dieses Rechtszweiges gerecht werde. Sie haben allerdings keine bessere Bezeichnung gefunden. Das IZPR ist bislang noch weitgehend Teil des jeweiligen nationalen Rechts, auch wenn europäische Verordnungen, Übereinkommen, bilaterale Staatsverträge und international erarbeitete Modellgesetze oder Regeln für eine gewisse Vereinheitlichung bzw. Abstimmung gesorgt haben2 und der Trend zu einer weiteren Vereinheitlichung ungebrochen ist.3
1.4
„Principles of Transnational Civil Procedure“ sind nach breiter internationaler Diskussion gemeinsam von ALI und UNIDROIT 2004 verabschiedet worden (s. Rz. 1.57, 1.62). Sie sind bisher aber nicht in staatliches Recht umgesetzt worden. Soweit nichts anderes angegeben, wird nachfolgend also das deutsche IZPR dargestellt.
1.5
1 E. Riezler, IZPR, S. 1; G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 47; Th. Rauscher, IPR, Rz. 8; I. Szászy, International Civil Procedure, S. 9: „International civil procedure regulates the international aspects of civil procedure.“ 2 Zum Einfluss der Haager Konferenz für IPR s. H. Schack, RabelsZ 57 (1993), 224. Für stärkere Ausbildung von Sonderregeln S. Baumgartner, U.Pa.J.Int’L Econ.L. 25 (2004), 1297. 3 Vgl. A. Schnyder, Zur Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts – international in Zivilprozessrecht, Arbeitsrecht, Kolloquium zu Ehren von A. Staehelin, 1997, S. 59.
3
§ 1 Rz. 1.6 | Einführung
1.6 Das deutsche IZPR ist ein Teil des Zivilverfahrensrechts.4 Es ist wie dieses in der ZPO, dem FamFG und dem GVG direkt oder indirekt geregelt; dazu kommen die EU-Verordnungen und Richtlinien sowie zahlreiche internationale Übereinkommen und Verträge. Da in vielen Ländern keine besonderen ArbG bestehen, werden Arbeitsstreitigkeiten mit behandelt.5 Von der EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) sind sie unstreitig mit erfasst.6
1.7 Das IZPR ist gleichzeitig Teil des IPR.7 Die IPR-Definition des amerikanischen Restatement, Conflict of Laws 2d (1971) passt ohne weiteres auch für das IZPR: „Conflict of laws is that part of the law of each state which determines what effect is given to the fact that the case may have a significant relationship to more than one state.“ Außerdem wird die Grenze zwischen materiellem Recht und Rechtsschutz von Land zu Land verschieden gezogen, gleiche Sachfragen werden ähnlich, aber konstruktiv verschieden behandelt. Viele Fragen lassen sich daher nur durch eine Art funktionaler Ganzheitsbetrachtung vernünftig lösen. Die IPR-Darstellungen enthalten daher regelmäßig zu Recht Grundzüge des IZPR.8 1.8 Vielfach wird vom internationalen Zivilverfahrensrecht gesprochen. Diese Bezeichnung erfasst auch die freiwillige Gerichtsbarkeit und das internationale Insolvenzrecht. Diese Rechtsgebiete werden hier mit behandelt, um einen vollständigen Überblick über das internationale Zivilverfahrensrecht zu bieten. 1.9 Der in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle gewählte Ausdruck „zwischenstaatliches Zivilprozessrecht“ (Einl. V)9 ist irreführend. Denn es geht nicht um die Prozessführung zwischen Staaten, und zum anderen bilden Staatsverträge, multilaterale Übereinkommen und europäische Verordnungen zwar einen wichtigen Teil des IZPR, der größte Teil ist aber nach wie vor (im Einzelnen divergierendes) nationales Recht. 3. Inhalt des IZPR
1.10 Die weitreichende Auslandsbezogenheit macht es erforderlich, alle für den Zivilprozess in Frage kommenden Normen und die entsprechenden Staatsverträge zu behandeln. Dazu gehören: – die Grenzen der deutschen Gerichtsbarkeit; 4 Vgl. Linke/Hau, IZVR, Rz. 1 ff. 5 Für eine vertiefte Darstellung s. H. Prütting in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, Einl K, Rz. 256 ff. 6 A. Schlewing in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 1 Rz. 23 f. 7 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 23 ff. 8 Vgl. J. Kropholler, IPR, §§ 56 ff.; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 3; Kegel/Schurig, IPR, § 22; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd I, 2. Aufl. 2003, § 5; K. Siehr, IPR, 2001, §§ 54 ff.; Th. Rauscher, IPR, §§ 12–20. 9 U. Becker in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, Einl. V.
4
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.13 § 1
– die internationale Zuständigkeit; – das zivilprozessuale Fremdenrecht; – Auswirkungen der unterschiedlich ausgestalteten Beweisrechte in verschiedenen Staaten auf das IZPR; – die prozessuale Behandlung ausländischen Rechts; – die internationale Rechtshilfe bei Zustellungen und Beweiserhebung; – die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile nach – der EuGVO, der Brüssel IIa-VO, EuUnthVO, EuErbVO und der EuVTVO – sowie hilfsweise den Vorschriften der ZPO und des FamFG; – Verträge bzw. Übereinkommen und EU-Verordnungen betreffend die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile; – die internationale Schiedsgerichtsbarkeit (Schiedsvereinbarungen, Schiedsverfahren und Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche).
1.11
Es werden nicht behandelt: – die das IZPR betreffenden Verträge zwischen ausländischen Staaten, an denen Deutschland nicht beteiligt ist; – die Staatsverträge betreffend die Schifffahrt und die besonderen Schifffahrtsgerichte gem. § 14 GVG; nämlich die Revidierte Rheinschifffahrtsakte v. 17.10.1868 sowie das Moselschifffahrtsabkommen v. 27.10.1956;10 – internationale Strafverfahren und Verwaltungsverfahren. Wie weit der Inhalt des IZPR geht, ist weitgehend eine Frage der Qualifikation, ob nämlich eine Vorschrift dem Prozessrecht oder dem materiellen Recht zugeordnet werden muss. Es muss damit gerechnet werden, dass grds das angerufene Gericht die Qualifikation nach seiner lex fori vornehmen wird.11 Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Grenzlinie zwischen prozessualem und materiellem Recht nicht überall gleich gezogen wird. Vorschriften des ausländischen Verfahrensrechts, die zur Verwirklichung einer materiellen Anspruchsnorm unentbehrlich sind, können deshalb international als materielles Recht qualifiziert werden (materiell-rechtliche Qualifikation).12 Deshalb können bestimmte Vorschriften in dem einen Land als materiell-rechtlich, in dem anderen als prozessrechtlich eingeordnet werden.13
1.12
Die Folgen lassen sich einfach am Beispiel der Verjährung verdeutlichen. Nach deutscher Auffassung wird sie dem materiellen Recht zugeordnet, sie gehört also nicht zu
1.13
10 Vgl. M. Wolff, Hdb IZPR Bd III/2, S. 515. 11 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen, 1995, S. 43; Th. Rauscher, IPR, Rz. 466 ff., 469. 12 Vgl. Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1979, Einl. Rz. 738, 739; A. Burgstaller, Rz. 1.3 (funktionale und teleologische Einordnung). 13 Vgl. St. Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, 1985, S. 85 ff.
5
§ 1 Rz. 1.13 | Einführung
dem Inhalt des IZPR. In einem Fall mit Auslandsberührung muss also der deutsche Richter feststellen, ob bei der Einrede der Verjährung der geltend gemachte Anspruch nach dem in Frage kommenden materiellen Recht verjährt ist.14 Im common law werden die Regeln, die die Durchsetzung eines Anspruchs hindern, also die Verjährungsvorschriften, dem Prozessrecht zugeordnet. Die Frage der Verjährung wird also nach der lex fori des angerufenen Gerichts entschieden.15 Die Probleme, die sich aus der unterschiedlichen Qualifikation ergeben, sind aber weitgehend gesetzlich oder durch Rechtsprechung gelöst worden (s. Rz. 6.70 ff.).
1.14 Zum Inhalt des IZPR gehören ebenfalls nicht die Regeln der Beweislastverteilung. Das englische Recht geht auch insoweit von einer Zuordnung zur lex fori aus, verschließt sich aber nicht der Anwendung der lex causae, wenn diese die Beweislast aus materiellen Gründen besonders regelt.16 Eindeutig geregelt ist die Frage in Art. 18 I Rom I-VO sowie Art. 22 I Rom II-VO. Danach regelt das maßgebende Statut auch die Beweislastverteilung. Die meisten Staaten neigen ebenfalls dazu, diese Frage dem materiellen Recht zuzuordnen.17 4. Rechtsquellen des IZPR Schrifttum: Schütze, Die Bedeutung der Rechtsprechung als Rechtsquelle im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, ZVglRWiss 92 (1993), 29.
1.15 Das deutsche IZPR ist (anders als etwa in der Schweiz im IPRG 1987) nicht kodifiziert. Sonderregeln für internationale Sachverhalte finden sich verstreut im gesamten Prozessrecht, teilweise in Sondergesetzen. Vielfach ist es den Gerichten überlassen, Regeln doppelfunktionell anzuwenden (s. Rz. 1.17). Durch die Überlagerung mit zahlreichen multilateralen und bilateralen Staatsverträgen ist die Regelung insgesamt relativ unübersichtlich.18 Soweit der Gesetzgeber Sachfragen nicht geregelt hat, kommt der Rechtsprechung und Lehre entscheidende Bedeutung zu.19 1.16 Die §§ 18 bis 20 GVG schreiben vor, welche Personen der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen sind. Hinzu kommen: – das Wiener Übereinkommen v. 18.4.1961 über diplomatische Beziehungen;20 – das Wiener Übereinkommen v. 24.4.1964 über konsularische Beziehungen;21 – das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität v. 16.5.1972;22 14 BGH, NJW 1960, 1721. 15 Dicey, Morris & Collins, Vol. 1, 15th ed. 2012, Rule 19 (7) (S. 227) (no. 7-055). 16 Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, Vol. 1, 15th ed. 2012, Rule 19 (3) (S. 217) (no. 7-034). 17 Für Frankreich Batiffol/Lagarde, no. 706; für Italien Cappelletti/Perillo, Civil Procedure in Italy, S. 187. 18 V. Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 5 Rz. 5 ff. 19 Vgl. R. Schütze, ZVglRWiss 92 (1993), 29; H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 7. 20 BGBl. 1965 II, 147. 21 BGBl. 1969 II, 1585. 22 BGBl. 1990 II, 35.
6
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.21 § 1
– das Nato-Truppenstatut v. 19.6.1951;23 – das Völkergewohnheitsrecht und eine Reihe weiterer Verträge. Für die deutsche internationale Zuständigkeit sind die Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) doppelfunktionell anzuwenden, soweit nicht, wie in Familiensachen (§§ 98–105 FamFG), ausdrückliche Regeln bestehen. Vorrangig sind jedoch die Gerichtsstände der EuGVO bzw. des LugÜ sowie der Brüssel IIa, der EuUntVO, der EuErbVO sowie der EuGüVO/EuPartVO zu berücksichtigen.
1.17
Das prozessuale Fremdenrecht wird behandelt in den §§ 50, 51, 55, 110 ZPO, § 188 GVG. Es kommen einige Sätze des Völkergewohnheitsrechts hinzu.
1.18
Die prozessuale Behandlung ausländischen Rechts ergibt sich aus § 293 ZPO. Es kommt hinzu das Europäische Übereinkommen v. 7.6.1968 betr. Auskünfte über ausländisches Recht (s. § 11).24
1.19
Hinsichtlich der internationalen Rechtshilfe ist zu unterscheiden:
1.20
Für Zustellungen im Ausland gelten die §§ 183, 184 ZPO. Einzelheiten ergeben sich aus – der Europäischen Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedsstaaten (s. Rz. 8.53 ff.),25 – dem Haager Übereinkommen v. 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen26 (s. Rz. 8.85 ff.) und – der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen (ZRHO) v. 19.10.1956 (i.d.F. der Bek. der Neufassung v. 16.4.2018).27 Auf Beweisaufnahmen im Ausland weist generell § 363 ZPO hin. Vorrangig zu beachten sind – die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates v. 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (s. Rz. 9.8 ff.), – das Haager Beweisübereinkommen von 1970 (s. Rz. 9.36 ff.) und – ergänzend die §§ 17 ff., 55 ff., 127 ff. ZRHO.
23 24 25 26 27
BGBl. 1961 II, 1183. BGBl. 1974 II, 937. ABl. EG Nr. L 324/79. BGBl. 1977 II, 1452. Im Internet abrufbar unter www. bundesjustizamt.de/DE/-Themen/Gerichte_Behoerden/IRZIM/Rechtshilfeordnung/ZRHO_node.html.
7
1.21
§ 1 Rz. 1.22 | Einführung
1.22 Sowohl für Zustellungen als auch für Beweisaufnahmen im Ausland gelten: – Das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1.3.1954;28 – die deutsch-belgische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 25.4.1955;29 – die deutsch-dänische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 1.6.1910 in der Fassung v. 6.1.1932;30 – die deutsch-französische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen v. 1.3.1954 über den Zivilprozess v. 6.5.1961;31 – die deutsch-luxemburgische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 1.8.1909;32 – die deutsch-niederländische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 31.7.1909;33 – der deutsch-niederländische Vertrag zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen v. 30.8.1962;34 – die deutsch-österreichische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des rechtlichen Verkehrs nach dem Haager Übereinkommen v. 6.6.1959;35 – die deutsch-polnische Vereinbarung zur weiteren Erleichterung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen v. 14.12.1992;36 – die deutsch-schwedische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 1.2.1910;37 – die deutsch-norwegische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 17.6.1977;38 – die deutsch-schweizerische Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs v. 30.4.1910;39 – das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928;40
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40
8
BGBl. 1958 II, 577. BGBl. 1959 II, 1525. RGBl. 1932 II, 20. BGBl. 1961, 1041. RGBl. 1909 II, 910. RGBl. 1909 II, 908. BGBl. 1964 II, 469. BGBl. 1959 II, 1523. BGBl. 1994 II, 361. RGBl. 1910 II, 456. BGBl. 1979 II, 1292. RGBl. 1910 II, 674. RGBl. 1928 II, 624.
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.23 § 1
– das deutsch-griechische Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts v. 11.5.1938;41 – der deutsch-tschechische Vertrag zur weiteren Erleichterung des Rechtshilfeverkehrs v. 2.2.2000;42 – das deutsch-türkische Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen v. 28.5.1929;43 – der deutsch-tunesische Vertrag über Rechtsschutz, Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 19.7.1966.44 Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile ist im autonomen deutschen Recht in den §§ 328, 722, 723 ZPO und in §§ 107–109 FamFG geregelt. Es gelten aber vorrangig: – EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) – EuGVO (Brüssel I-VO) – EuVTVO – EuEheVO (Brüssel IIa-VO) – EuMahnVO – EuGFVO – EuGüVO u. EuPartVO – EuSchutzMVO – EuUntVO – EuErbVO – EuBvKpfVO – das Brüsseler EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) v. 29.9.1968 i.d.F. v. 29.11.199645 und – das Lugano Übereinkommen (LugÜ) v. 30.10.2007;46 – das Lugano Übereinkommen (LugÜ) v. 16.9.1988;47
41 42 43 44 45 46 47
RGBl. 1939 II, 849. BGBl. 2001 II, 1211; vgl. BT-Drucks. 14/6101 v. 17.5.2001 und 14/6534 v. 3.7.2001. RGBl. 1930 II, 7. BGBl. 1969 II, 890. BGBl. 1998 II, 1411. Abl. EU 2009 L 147/5. BGBl. 1994 II, 2658.
9
1.23
§ 1 Rz. 1.23 | Einführung
– das deutsch-schweizerische Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen v. 2.11.1929;48 – das deutsch-italienische Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 9.3.1936;49 – das deutsch-belgische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen, Schiedssprüche und öffentlicher Urkunden in Zivil- und Handelssachen v. 30.6.1958;50 – der deutsch-österreichische Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Zivilund Handelssachen v. 6.6.1959;51 – das deutsch-britische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 14.7.1960;52 – der deutsch-griechische Vertrag über die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, Vergleiche, Schiedssprüche und öffentlicher Urkunden v. 4.11.1961;53 – der deutsch-niederländische Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen v. 30.8.1962;54 – der deutsch-tunesische Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 19.7.1966;55 – der deutsch-israelische Vertrag v. 20.7.1977 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen;56 – der deutsch-norwegische Vertrag v. 17.6.1977 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen;57 – der deutsch-spanische Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden zu Zivil- und Handelssachen v. 14.1.1987;58
48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
10
RGBl. 1930 II, 1065. RGBl. 1937 II, 145. BGBl. 1959 II, 765. BGBl. 1960 II, 1246. BGBl. 1961 II, 301. BGBl. 1963 II, 109. BGBl. 1965 II, 26. BGBl. 1969 II, 890. BGBl. 1980 II, 925. BGBl. 1981 II, 342. BGBl. 1987 II, 34.
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.26 § 1
– das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern v. 15.4.1958;59 – das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. 2.10.1973;60 – das Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen v. 23.11.2007.61 Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit unterliegt nach autonomem deutschem Recht keinen besonderen Regeln. Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche richtet sich nach der Reform des Schiedsrechts ganz nach dem UNÜ 1958 (§ 1061 ZPO). Zu beachten sind folgende Staatsverträge:
1.24
– Das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v. 10.6.1958 (UNÜ 1958);62 – das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 21.4.1961 (EuÜ);63 – die Pariser Vereinbarung über die Anwendung des Europäischen Übereinkommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 17.12.1962;64 – das Genfer Protokoll v. 24.9.1923 über die Schiedsklauseln;65 – das Genfer Abkommen v. 26.9.1927 zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche66 – Schließlich garantieren einige bilaterale Abkommen (s. Rz. 1.23) die Anerkennung von Schiedssprüchen. 5. Verhältnis des IZPR zum Völkerrecht Die vielen zweiseitigen und mehrseitigen Staatsverträge zeigen die Verbindung des IZPR zum Völkervertragsrecht deutlich auf. Insoweit steht das IZPR unter dem völkerrechtlichen Gebot „pacta sunt servanda“. Da zu erwarten ist, dass das Netz der völkerrechtlichen Verträge in Zukunft noch enger geknüpft wird, wirkt das Vertragsrecht in zunehmendem Maß auf das IZPR ein.
1.25
Ein Teil des IZPR, die Gerichtsbarkeit, die in § 2 behandelt wird, wird von dem Völkerrecht in besonderer Weise beeinflusst. Hier wird auch das Völkergewohnheitsrecht von Bedeutung.
1.26
59 60 61 62 63 64 65 66
BGBl. 1961 II, 1006. BGBl. 1986 II, 826. ABl. EU 2011 Nr. L 192/51. BGBl. 1961 II, 122. BGBl. 1964 II, 426. BGBl. 1964 II, 449. RGBl. 1925 II, 47. RGBl. 1930 II, 1068.
11
§ 1 Rz. 1.27 | Einführung
1.27 Das allgemeine Völkerrecht könnte durchaus Grundregeln für die Regelung in Lebensverhältnissen mit Auslandsberührung aufstellen. Bisher gibt es solche Regeln nach hM jedoch nicht. Der Geltungsbereich des eigenen Rechts bleibt im Wesentlichen dem nationalen Recht überlassen.67 Völkerrechtliche Bindungen ergeben sich primär aus Staatsverträgen zum IPR und IZPR.68 Außerhalb vertraglicher Bindung begrenzt das Völkerrecht die Gestaltungsfreiheit der einzelnen Staaten. Jeder Staat hat bei der Gestaltung seines Kollisionsrechts und bei der Regelung der internationalen Zuständigkeit seiner Gerichte auf die Belange anderer Staaten Rücksicht zu nehmen. Er darf die Zuständigkeit der Gerichte nicht auf Fälle ausdehnen, die keinerlei Inlandsbeziehung haben, und er darf die Anwendung fremden Rechts nicht generell ausschließen, muss also gewisse Kollisionsregeln aufstellen. Missbräuchlich sei etwa eine Zuständigkeit aufgrund der einmaligen Lieferung eines fehlerhaften Produkts in den Formstaat oder aufgrund eines kurzfristigen Aufenthalts.69
1.28 Schon frühzeitig ist ein Völkerrechtssatz des Inhalts anerkannt worden, dass die Gerichte eines Staats auch ausländischen Klägern, die sich in ihm aufhalten, zur Verfügung stehen.70 Durch den Aufenthalt des Ausländers wird eine Beziehung zum Urteilsstaat geschaffen. Die deutsche ZPO macht bis auf gewisse Ausnahmen, die unter dem zivilprozessualen Fremdenrecht behandelt werden, keine Unterschiede zwischen In- und Ausländern. Es sind auch immer mehr Staaten dazu übergegangen, Ausländern ihre Gerichte in gleichem Maß zur Verfügung zu stellen wie Inländern. Als Beispiele seien einige Zivilprozessordnungen aus den letzten Jahren erwähnt: Art. 3 der griechischen ZPO, Art. 1 franz. CPC v. 1.1.1976. Art. 6 I EMRK bestätigt diese Entwicklung. Danach hat innerhalb der Vertragsstaaten „jedermann“ ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit Anspruch auf ein unparteiisches Gerichtsverfahren. 1.29 Unterschiedliche Auffassungen werden darüber vertreten, in welchem Umfang eine Beziehung des Ausländers zu dem Urteilsstaat gegeben sein muss. Reicht schon das Vermögen des ausländischen Beklagten im Inland aus, um gegen ihn einen inländischen Gerichtsstand zu begründen? § 23 ZPO bejaht das. Andererseits ist § 23 ZPO als international „unerwünschter“ Gerichtsstand bezeichnet worden.71 International unerwünschte Gerichtsstände finden sich auch in den Zivilprozessordnungen anderer Staaten. Sie sind allerdings im Verhältnis der EWG-Staaten zueinander durch das EWG-Übereinkommen ausgemerzt worden. Dennoch kann nicht gesagt werden, dass es völkerrechtswidrig sei, wenn Staaten ihre Zuständigkeitsregeln auch auf international unerwünschte Gerichtsstände ausgedehnt haben. Eine Beziehung zum Urteilsstaat wird auch durch das Vermögen des Ausländers im Inland hergestellt. Eine Beziehung zum Urteilsstaat wird ferner dadurch geschaffen, dass 67 68 69 70 71
12
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd I/1, 2. Aufl. 1989, § 3 I 3 (S. 33). Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 47 III 3c (S. 323); H. Schack, IZVR, Rz. 20 ff. Dahm/Delbrück/Wolfrum, S. 324. L. van Praag, Jurisdiction et droit international public, Den Haag, 1935, S. 98. W. Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge, 1957, S. 221.
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.31 § 1
der ausländische Beklagte, der überdies noch im Ausland wohnt, sich rügelos auf einen Prozess im Inland einlässt. Eine Beziehung zum Urteilsstaat kann auch durch den Willen der Parteien geschaffen werden, indem sie die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts prorogieren. Einige Staaten knüpfen die Derogation ihrer Gerichte allerdings an gewisse Voraussetzungen. Besteht also eine – wenn auch nur lose Beziehung des ausländischen Klägers zu dem Urteilsstaat, so würde dieser völkerrechtswidrig handeln, wenn er dem Kläger seine Gerichte nicht zur Verfügung stellt. Das Problem der Rechtsverweigerung tritt auf, wenn ein Kläger in keinem Staat einen Gerichtsstand für seine Klage finden würde. Mit der Frage der Zurverfügungstellung inländischer Gerichte auch für ausländische Kläger hängt eng die Frage nach dem „freien und ungehinderten Zugang“ der Ausländer zu inländischen Gerichten zusammen.
1.30
Hierbei handelt es sich darum, ob Ausländer persönlich vor Gericht erscheinen können. Der Staat des Urteilsgerichts darf ihnen also weder die Einreise verweigern noch sie daran hindern, an den Sitzungen des Gerichts persönlich teilzunehmen, noch ihre Ausreise behindern (s. Rz. 5.10 ff.). Riezler spricht insoweit von einem Satz des Völkergewohnheitsrechts.72 Dieser Ansicht muss schon deshalb zugestimmt werden, weil die Staaten sich mit ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen würden, wenn sie einerseits Ausländern bei einer gewissen Beziehung ihre Gerichte zur Verfügung stellen müssen, ihnen andererseits nicht den „freien und ungehinderten“ Zugang zu den Gerichten verwehren dürfen.73 Die Staaten dürfen also in ihrem IZPR nicht Vorschriften aufnehmen, die dem Völkergewohnheitsrecht zuwiderlaufen. Hinsichtlich des Zugangs von Ausländern zu ihren Gerichten dürfen die Staaten mithin auch nicht die Verbürgung der Gegenseitigkeit fordern. Vgl. insoweit die Ausführungen zur Bedeutung der Gegenseitigkeit für das IZPR. Ausnahmen von dem Satz des Völkergewohnheitsrechts, wonach Staaten Ausländern bei einer gewissen Beziehung ihre Gerichte zur Verfügung stellen müssen, werden allgemein anerkannt, wenn es sich um Ehescheidungen von Ausländern oder um andere Statussachen für Ausländer handelt. § 98 I FamFG bietet hierfür ein treffendes Beispiel. Die Beziehung des Mannes oder der Frau durch den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland reicht für die Begründung der deutschen internationalen Zuständigkeit nicht aus. Es wird darüber hinaus die Anerkennung des deutschen Urteils durch das Heimatrecht des Mannes oder der Frau gefordert. Die Ausnahmeregelung wird dadurch verständlich, dass bei Statussachen die Interessen verschiedener Staaten besonders hart aufeinanderstoßen. Jeder Staat nimmt insoweit die Zuständigkeit seiner Gerichte für die Belange seiner Staatsangehörigen in Anspruch. Auf internationaler Ebene kann es nur begrüßt werden, wenn die Staaten bei der Ausgestaltung der Vorschriften ihres IZPR auf die Interessen anderer Staaten Rücksicht nehmen. Insoweit ist die Ausnahmebestimmung nicht nur verständlich, sondern auch gerechtfertigt. 72 E. Riezler, IZPR, S. 413. 73 Vgl. A. Verdross, RdC 37 (1931 III), 353; H. Kipp, Das Verbot der Diskriminierung im modernen Friedensvölkerrecht, AVR 1961, 137, 149.
13
1.31
§ 1 Rz. 1.32 | Einführung
1.32 Schließlich ergeben sich aus der Verfassung (Art. 1 ff., 101, 103 GG), der EU-Grundrechte-Charta (Art. 47 ff.) und der EMRK (Art. 6 I) Rechtsschutzansprüche, Rahmenbedingungen und Grenzen für die Ausübung grenzüberschreitender Gerichtsbarkeit,74 auch wenn im deutschen und europäischen Recht bisher – anders als in den USA – nicht versucht wurde, konkrete Grenzen für die Ausübung von jurisdiction aus der Verfassung abzuleiten. 6. Die Gegenseitigkeit im IZPR
1.33 Das deutsche IZPR stellt an drei Stellen auf die Verbürgung der Gegenseitigkeit ab: in § 328 I Nr. 5 ZPO und § 109 IV FamFG ausdrücklich, in der Neufassung von § 110 II Nr. 1 und 2 ZPO indirekt. Die Gegenseitigkeit war bereits bei Erlass der CPO umstritten. In der entscheidenden Kommissionssitzung v. 8.6.1875 hat sich der Abgeordnete Struckmann für die Verbürgung der Gegenseitigkeit mit der Begründung eingesetzt, das internationale Recht beruhe auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit.75 Trotz aller Kritik hat sich der deutsche nicht entschließen können, das Erfordernis der Gegenseitigkeit im Interesse des internationalen Handels und Verkehrs ganz aus dem IZPR zu streichen. Dabei hatte L. von Bar bereits 1862 davor gewarnt, den Verkehr mit dem Ausland dadurch zu erschweren, dass man ausländischen Urteilen mangels Gegenseitigkeit die Anerkennung versage, weil dadurch nur Nachteile für die eigenen Staatsangehörigen und Fremde entständen. Ähnliche Argumente sind in den folgenden Jahren immer wieder – aber leider – vergeblich vorgebracht worden. Ohne Rücksicht auf die Rechtsuchenden wird aus politischen Gründen an der Verbürgung der Gegenseitigkeit im IZPR festgehalten. Da die Praxis aber die Gegenseitigkeit auf Grund der formalen Gesetzeslage unterstellt, hat das Erfordernis viel von seinem Schrecken verloren. 1.34 Dabei wird dem deutschen Richter die schwierige Aufgabe überlassen, festzustellen, ob im Einzelfall die Gegenseitigkeit verbürgt ist oder nicht. Andere Staaten wie z.B. Österreich (§ 79 II EO), Liechtenstein, die Türkei (Art. 54 IPRG) verlangen, dass die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder Verordnungen bzw. durch Regierungserklärungen festgestellt ist.76 Die Schwierigkeiten sind für den deutschen Richter umso größer, als der Inhalt der Gegenseitigkeit bei den einzelnen Vorschriften ein anderer ist. Nach § 110 ZPO wird lediglich darauf abgestellt, ob von deutschen Klägern in anderen Staaten auf Verlangen des Beklagten eine Prozesskostensicherheit verlangt werden kann oder nicht. Kann sie nicht verlangt werden, so ist die Gegenseitigkeit verbürgt. Auf andere Tatsachen, z.B. ob der deutsche Kläger Vermögen in dem ausländischen Staat hat, wird nicht abgestellt. Es wird also eine volle Gegenseitigkeit verlangt.77
74 Vgl. Th. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 337 ff., 368 ff. 75 C. Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung von 1877, II. Abtlg, 1880, 887. 76 F. Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und internationalen Zivilprozessrecht, 1967, S. 68. 77 J. Niboyet, RdC 52 (1935 II), 271 spricht von einer „réciprocité symétrique“.
14
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.38 § 1
Das Gesetz, das das Armenrecht durch die Prozesskostenhilfe ersetzt hat,78 hat die Verbürgung der Gegenseitigkeit als Voraussetzung der Kostenhilfe abgeschafft. Bei der Verbürgung der Gegenseitigkeit, wie sie in § 328 I Nr. 5 ZPO und § 109 IV FamFG vorsieht, handelt es sich nicht um etwas Gleiches, das von einem anderen Staat gefordert wird, sondern es kommt darauf an, dass der andere Staat keine wesentlich anderen Bedingungen für die Anerkennung deutscher Urteile stellt. In beiden Fällen wird von anderen Staaten also ein entsprechendes Verhalten, eine aktive Handlung, gefordert. Rein wörtlich genommen setzen die deutschen Vorschriften eine Vorleistung seitens aller anderen Staaten, zu denen keine Verträge bestehen, voraus. Soweit Staaten es lediglich dulden, dass andere Staaten fremde Gerichtshandlungen auf ihrem Staatsgebiet vornehmen, sei es, dass Gerichte Briefe an Personen im Ausland senden, oder dass Konsuln oder diplomatische Vertreter in ihren Bezirken Ladungen vornehmen bzw. Zeugen, Sachverständige oder die Parteien hören, leisten sie internationale Rechtshilfe durch ein rein passives Verhalten. Dieses verträgt sich aber nicht mit dem Prinzip der Reziprozität, wie sie im IZPR gefordert wird. Soweit internationale Rechtshilfe also durch „Duldung“ gewährt wird, scheidet die Gegenseitigkeit aus.
1.35
Nach alledem führt die Verbürgung der Gegenseitigkeit im IZPR zu einer bedauerlichen Rechtsunsicherheit. Diese ist durch das RG noch gefördert worden, wenn es in dem Urteil v. 8.2.1924 heißt, die Voraussetzung der Gegenseitigkeit sei es, dass die Prozesslage für den deutschen Gläubiger in der Schweiz im Allgemeinen nicht ungünstiger sei als für die schweizerischen Gläubiger.79 Auf die Interessen der hinter dem Urteil stehenden Personen kommt es bei der Anerkennung gar nicht an.
1.36
Die in fast allen Zweigen des internationalen Rechts auftretende Gegenseitigkeit beruht auf der comitas gentium, wie sie von den Holländern Ulrich und Johannes Voet und Huber entwickelt worden ist, um das starre territoriale Souveränitätsprinzip zu mildern.80 Über die „courtoisie internationale“ ist viel geschrieben worden. Man hat optimistische und pessimistische Meinungen darüber vertreten. Comity ist allerdings kein Recht im strengen Sinn, sondern hat lediglich „Konventionalregeln in einer Mittelschicht zwischen dem Recht im eigentlichen Sinne des Wortes und der unverbindlichen Sitte“ zum Inhalt.81 Courtoisie werde aus freiem Willen geübt; es besteht keine Rechtspflicht zu ihrer Befolgung. Ihre Missachtung ist also keine völkerrechtswidrige Handlung, die völkerrechtliche Sanktionen auslösen könnte. In der Staatenpraxis werden Comity-Regeln vielfach nur bei Gegenseitigkeit angewendet; ihre Anwendung aber versagt, wenn sie nicht gewährleistet ist.
1.37
Ist die Gegenseitigkeit durch einen Staatsvertrag verbürgt, so ist sie sicherlich unter das vertragliche Völkerrecht einzuordnen. Wo die Gegenseitigkeit aber durch ein tat-
1.38
78 79 80 81
BGBl. 1980 I, 677. RGZ 107, 308. Mejers, RdC 49 (1934 III), 663. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1, S. 74.
15
§ 1 Rz. 1.38 | Einführung
sächliches Verhalten verbürgt wird, gehen die Staaten nicht so sehr von einem „do ut des“ aus. Der eine Staat wartet vielmehr, dass der andere vorangehe, damit dann eine Gegenseitigkeitslage festgestellt werden kann. Der Gegenseitigkeitsgedanke kann sich auch im Verhältnis zu Lasten von Bewohnern von Drittstaaten nachteilig auswirken.82 7. Unterschiede zwischen IZPR und IPR
1.39 Das IPR enthält Regeln für Privatrechtsverhältnisse, die ein internationales, grenzüberschreitendes Element enthalten. Meist handelt es sich um rein nationale Regeln, zunehmend aber (auf der Grundlage von Übereinkommen) um in den Vertragsstaaten geltendes internationales Einheitsrecht. Das IZPR ist zunächst ebenso zu definieren, als Regeln für Prozessrechtsverhältnisse, die ein grenzüberschreitendes Element aufweisen. Diese Sonderregeln sind weitgehend nationaler Art; auch hier findet sich zunehmend eine Vereinheitlichung durch Staatsverträge. 1.40 Der Hauptunterschied besteht in Deutschland in der Regelungstechnik. Art. 3 I 1 EGBGB definiert IPR im engeren Sinne als Kollisionsregeln, die bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staats angeben, welche Rechtsordnung anzuwenden ist.83 Diese Definition ist freilich unvollständig und ungenau. Denn das IPR enthält auch direkt anwendbare (besondere) Sachnormen, etwa Eingriffsnormen, und schon im klassischen Kollisionsrecht lassen sich die allgemeinen methodischen Regeln, wie Kollisionsnormen anzuwenden oder nicht anzuwenden sind, selbst nicht ohne weiteres als Kollisionsnormen verstehen. Das Schwergewicht liegt aber bei Kollisionsnormen, die bestimmen, welches inländische oder ausländische Recht einen Fall sachgerecht regeln soll. 1.41 Das deutsche IZPR regelt primär das Verfahren vor den eigenen, nationalen Gerichten und enthält dazu besondere, unmittelbar anwendbare Sachnormen des eigenen Rechts. 1.42 Streitig ist freilich, ob dieser Unterschied nur relativ ist, ob also auch das IZPR Kollisionsnormen enthalten kann und enthält. Das Verfahren vor den eigenen Gerichten kann aus praktischen Gründen grds nur nach der eigenen Prozessordnung, der lex fori, abgewickelt werden.84 In Deutschland und in den meisten Ländern wird das lex fori-Prinzip als selbstverständlich unterstellt.85 Ausdrücklich festgehalten ist es in Art. 12 italien. IPRG 1995, Art. 8.2 span. Código Civil und Book 10 Art. 3 Burgerlijk Wetboek der Niederlande.86 Die lex fori-Regel folgt weder aus dem Völkerrecht noch dem Territorialitätsprinzip oder dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Prozess82 J. Kropholler, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, BerDGVR 1988, 106. 83 J. Kropholler, IPR, § 1 I 3. 84 OLG Koblenz, RIW 1997, 328; vgl. B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 5 ff.; Kegel/ Schurig, § 22 III (S. 1055 f.); D. Leipold, S. 25 ff.; D. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 83 ff.; R. Schütze, Rz. 51 ff. 85 BGH, NJW 1985, 552, 553 = MDR 1985, 215; BGHZ 78, 108, 114 = NJW 1981, 126, 127 = MDR 1981, 128. 86 Vgl. M. ten Wolde, YearbookPIL 13 (2011), 389, 395.
16
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.45 § 1
rechts, sondern ist primär Folge der Erfordernisse von Rechtssicherheit und Prozessökonomie.87 Vor staatlichen Gerichten handelt es sich nie um die Wahl der anwendbaren Prozessordnung selbst, sondern nur darum, ob einzelne Elemente eventuell kollisionsrechtlich zu beurteilen sind. Eine generelle kollisionsrechtliche Verknüpfung der lex judicarii mit dem zu beurteilenden Rechtsverhältnis, wie sie Szaszy vorgeschlagen hatte,88 ist für staatliche Gerichte letztlich nicht durchführbar und sachgerecht. Man kann das Service-Unternehmen „Justiz“ nicht für den jeweiligen Einzelkunden anders führen. Möglich und nötig ist lediglich eine Anpassung des „Service“ an besondere Bedürfnisse des Kunden, also eine Modifizierung „sachrechtsbezogener“ Verfahrensnormen.89 Unterstellt man das materielle Recht Kollisionsnormen und damit ggf. ausländischem materiellem Recht, das Verfahren aber der lex fori, so entstehen Spannungen, wenn beide Rechtsordnungen
1.43
– (1) jeweils prozessuale und materielle Begriffe verwenden, – (2) „substance“ und „procedure“ unterschiedlich abgrenzen,90 – (3) das anzuwendende Recht in verfahrensrechtlichen Formen zu verwirklichen ist, die die lex fori an sich nicht kennt, oder umgekehrt die prozessuale lex fori Anforderungen stellt, die ganz auf Besonderheiten des eigenen materiellen Rechts zugeschnitten sind. Diese Fragen sind durch vernünftige rechtsschutzfreundliche Auslegung (funktionelle Qualifikation) der einschlägigen Normen,91 notfalls durch Anpassung der lex fori an die Bedürfnisse des materiellen Rechts zu lösen.92
1.44
Kollisionsnormen könnte das Prozessrecht enthalten, soweit es ausdrücklich oder sinngemäß auf ausländisches Recht verweist.93 Nach § 50 ZPO ist etwa parteifähig, wer rechtsfähig ist. Für Ausländer wird damit sinngemäß auf ihr Personalstatut verwiesen. Nach § 52 ZPO ist prozessfähig, wer selbst (ohne Vertreter) Verträge abschließen kann. Für Ausländer wird damit wieder (vorbehaltlich des § 55 ZPO) auf das Personalstatut verwiesen. Hieraus (und aus anderen Regeln) hat man zum Teil abgeleitet, dass es auch im Prozessrecht Kollisionsnormen gebe, wenngleich seltener.94
1.45
87 F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori, S. 27 ff., 51; R. Geimer, IZPR, Rz. 321 f.; H. Schack, IZVR, Rz. 45 ff.; Ch. v. Bar/P. Mankowski, IPR, Bd 1, § 5 Rz. 78. 88 International Civil Procedure, S. 255. 89 Vgl. H. Kronke, ZZPInt. 20 (2015), 399. 90 Vgl. D. Gerber in Schlosser, S. 113; J. Carruthers, ICLQ 53 (2004), 691; G. Panagopoulos, JPIL 1 (2005), 69. 91 Vgl. J. Basedow, S. 131 ff.; R. Schütze, Rz. 57 ff. 92 Vgl. D. Looschelders, Die Anpassung im IPR, 1995; F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori, 1995, S. 134 ff.; Linke/Hau, IZVR, Rz. 55 ff.; v. Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 9 f. 93 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 4 ff. 94 M. Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 249; W. Grunsky, ZZP 89 (1976), 249; I. Szaszy, International Civil Procedure, S. 227; auch J. Kropholler, IPR, § 56 IV 5.
17
§ 1 Rz. 1.46 | Einführung
1.46 Dagegen wird eingewandt, es handele sich nur um eine Anpassung des deutschen Verfahrens an ausländische Sachverhalte, nicht aber um (räumliche) allseitig zu denkende Kollisionsnormen.95 Indes leitet selbst eine allseitig formulierte Kollisionsnorm nur die Rechtsanwendung des inländischen Richters (bzw. eines inländischen Juristen).96 Auch Kollisionsrecht ist nur nationales Recht; viele Kollisionsnormen enthalten nur Sachverweisungen. Richtig ist allerdings, dass stets nur die Prozessfähigkeit vor den eigenen Gerichten, nicht die im Ausland in Rede steht usf. 1.47 Jedoch gibt es zwei Bereiche, in denen das Prozessrecht Kollisionsnormen im vollen sonstigen Sinn verwendet, nämlich bei Gerichtsstands- und Schiedsgerichtsvereinbarungen. Nach welcher Rechtsordnung die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung, die Vereinbarung eines Verfahrensstatuts und des Sitzes des Schiedsgerichts zu beurteilen ist, ist eine „offene“ kollisionsrechtliche Frage. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen legen zwar die gewählte und die abgewählten Verfahrensordnungen fest, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist. Aber die Fragen der vertraglichen Einigung bleiben Fragen des allgemeinen internationalen Vertragsrechts.97 In Sonderbereichen kennt daher auch das Prozessrecht Kollisionsnormen. 1.48 Über rein begriffliche Unterscheidungen ist zudem zu bedenken: Das klassische common law kennt keine materiellen Kollisionsnormen, sondern regelt, wann personal jurisdiction besteht, und ordnet, wenn diese bejaht wird, grds die Anwendung des eigenen materiellen Rechts an. Wird ausländisches Recht als Tatsache behandelt, so ändert auch eine Beachtung solcher „Tatsachen“ nichts daran. All matters appertaining to procedure are governed exclusively by the law of the forum.“98 (In den USA haben sich die modernen IPR-Theorien, z.B. der better law-approach, freilich von diesem einfachen Ausgangspunkt teilweise entfernt.99) Ob man aus den jurisdiction Regeln verdeckte Kollisionsnormen ableiten kann,100 stehe dahin. Wichtig ist, dass die prozessualen Regeln über internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung für streitig entschiedene Fälle eine Art „zweite Kollisionsrechtsordnung“ aufstellen.101 Akzeptiert ein Gericht seine Zuständigkeit, so bestimmt dies die weitere kollisionsrechtliche und materielle Rechtsanwendung, Inhalt und Wirkung der Entscheidung. IPR und IZPR müssen deshalb, soweit erforderlich, auf gleichen Wertungen aufbauen und aufeinander abgestimmt sein. Schließlich sind die Schwierigkeiten ausländischen Rechts zu ermitteln, dieselben, ob es nun per echter Kollisionsnorm oder nur als Element der eigenen Verfahrensnorm anzuwenden ist. 1.49 Ein anderer Weg, sachliche Widersprüche bei der Anwendung der prozessualen lex fori und eines ausländischen Sachstatuts zu vermeiden, ist der der Qualifikation als 95 S. v. Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rz. 76, 84 ff.; F. Jaeckel, Reichweite der lex fori, S. 146 ff., 155. 96 H. Schack, IZVR, Rz. 7. 97 Vgl. P. Gottwald, FS Henckel, 1995, S. 295. 98 Cheshire North & Fawcett, Private international law, 15th ed. 2017, p 73. 99 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 2.18 ff., 2.26. 100 Vgl. J. Kropholler, IPR, § 13 IV 1, § 25 (versteckte Rückverweisung). 101 v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 5 Rz. 134, 139; Th. Pfeiffer in Kube u.a., Leitgedanken des Rechts, Bd. 2, 2013, S. 1315, 1318 (Rz. 8).
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I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 1.52 § 1
materiell-rechtlich oder prozessual.102 Regeln des ausländischen Verfahrensrechts werden teleologisch dem materiellen Recht zugerechnet, andere Regeln als unbeachtliches Verfahren gewertet. Beweislast und Verjährung werden i.d.R. materiell qualifiziert, Beweismittelverbote, Zeugnisverweigerungsrechte usw. als prozessual. Unterschiedliche Ansichten bestehen, nach welcher Rechtsordnung zu qualifizieren ist: nach der eigenen lex fori, nach der lex causae oder nach Mischformen. Regeln, nach denen das Gericht verfährt, sind – um alle Parteien gleich zu behandeln – stets nach der lex fori zu qualifizieren. Im Ausgangspunkt sind IPR- und IZPR-Normen als Teil des eigenen Rechts auch nach der lex fori zu qualifizieren (bzw. auszulegen).103 Im Einzelnen kann aber differenziert werden: Normen, die das Parteiverhalten regeln, müssen ebenfalls prozessuale Gleichberechtigung gewährleisten und sind daher meist ebenfalls nach der lex fori zu qualifizieren. Im Einzelfall kann aber nach Sinn und Zweck einer Regelung dieses Ziel auch und besser durch Anwendung der lex causae erreicht werden,104 sog. Materiellrechtsfreundliche Qualifikation.105 Zweifel ergeben sich vor allem im Beweisrecht, inwieweit Regeln, die die Wahrheitsermittlung beschränken, als materiell-rechtlich zu qualifizieren und der lex causae zu entnehmen sind (s. Rz. 10.46 f.). Nur nach der lex causae ist nur ausnahmsweise zu qualifizieren, etwa wenn das Wirkungsstatut einer Gleichbehandlung aller seiner Staatsangehörigen verlangt, damit eine Entscheidung anerkannt wird.106 Eine allgemein gültige Abgrenzung ist danach nicht möglich, vielmehr ist nach Fallgruppen zu unterscheiden.
1.50
Verfahrensnormen sind häufig ganz auf inländische Sachverhalte hin abgefasst (sachrechtsbezogene Verfahrensnormen). In internationalen Fällen ist jeweils in teleologischer Auslegung zu bestimmen, ob der inländische Sachverhalt durch ein ausländisches Äquivalent ersetzt werden kann (Substitution).107 Die Anerkennung einer entsprechenden Entscheidung (nach § 328 ZPO, Art. 36 ff. EuGVO n.F. oder §§ 108 f. FamFG) ist für die Substitution weder erforderlich noch ausreichend. Entscheidend ist, ob die ausländische Rechtstatsache nach Sinn und Zweck der inländischen Sachnorm geeignet ist, die inländische Rechtstatsache zu ersetzen. Ist Rechtshängigkeit im Ausland zu beachten, und ab wann (s. Rz. 6.200 ff.)?
1.51
Keine Probleme entstehen, soweit das inländische Verfahrensrecht selbst die Berücksichtigung bzw. Anwendung ausländischen (Prozess-)Rechts vorschreibt (ausdrückliche Verweisung), z.B. in §§ 98 I Nr. 4, 109 II 2 FamFG oder in Art. 9 II HBÜ.
1.52
102 Vgl. Linke/Hau, Rz. 61 ff. 103 So h.M.; F. Jaeckel, S. 57 ff.; H. Schack, Rz. 52 ff.; auch Restatement, Conflict of Laws 2d, § 7 (2). 104 St. Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, 1985, S. 85 ff. 105 Vgl. F. Jaeckel, S. 65 ff.; Stein/Jonas/Schumann, Einl. Rz. 738. 106 St. Grundmann, S. 89. 107 Vgl. S. Hug, Die Substitution im IPR, 1983; C. Schulz, Die Subsumtion ausländischer Rechtstatsachen, 1997; H.-P. Mansel, FS W. Lorenz, 1991, S. 689; Staudinger/Looschelders (2019), Einl. zum IPR, Rz. 1219 ff.
19
§ 1 Rz. 1.53 | Einführung
1.53 Größere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn im deutschen Verfahren Rechtsinstitute nach materiellem ausländischem Recht zu verwirklichen sind, die das deutsche Recht nicht oder nicht in dieser Form kennt. Da den Parteien auch in diesen Fällen kraft Verfassungsrecht Rechtsschutz zu gewähren ist, ist das Verfahren hier soweit anzupassen, dass die ausländische lex causae im deutschen Verfahren verwirklicht werden kann. Als Grenze wird die sog. wesenseigene Zuständigkeit angesehen: Vom deutschen Richter können Tätigkeiten nicht verlangt werden, die ihm vollständig fremd sind.108 In diesen Grenzen sind aber Anpassungen zulässig und geboten.109 Allgemein anerkannt ist etwa, dass deutsche Gerichte die Trennung ausländischer Ehegatten von Tisch und Bett aussprechen können,110 obwohl dies in § 111 Nr. 1, 121 FamFG nicht vorgesehen ist. Auch eine Vertragsaufhebung durch Urteil gem. Art. 1184 franz. Code civil kommt in Betracht.111 1.54 Unterschiede zwischen IPR und IZPR bestehen hinsichtlich des Prinzips der Gegenseitigkeit. Im IPR hat sich die Idee durchgesetzt, dass internationale Gerechtigkeit am besten durch allseitige Kollisionsnormen verwirklicht werden kann, ohne Rücksicht darauf, wie andere Staaten, zu denen der Fall Beziehungen hat, anknüpfen. Im IZPR hat der deutsche Gesetzgeber dagegen aus fremdenrechtlichen Gründen überwiegend daran festgehalten, dass Ausländern voller Rechtsschutz nur bei gleicher Behandlung Deutscher durch den Heimatstaat gewährt wird. Dies gilt im Grundprinzip weiterhin für die Sicherheitsleistung für Prozesskosten (§§ 110 ff. ZPO) und für Urteilsanerkennung und -vollstreckung (§§ 328 I Nr. 5; 723 II 2 ZPO; § 109 IV FamFG). Für die Prozesskostenhilfe ist die Gegenseitigkeit 1980 glücklicherweise aufgegeben worden. Die Gegenseitigkeitsregel wird aufgestellt, damit der ausländische Staat sich ebenfalls fremdenfreundlich verhalten kann und Gleichbehandlung im Ausland gewährleistet ist. Kann oder will ein ausländischer Gesetzgeber aber nicht reagieren (etwa, weil er kein ausreichendes Bedürfnis dafür sieht), so behindert das Erfordernis den Rechtsschutz konkreter Parteien, sinnwidrig auch der eigenen Staatsbürger, die dadurch eigentlich geschützt werden sollten. Die Parteien können diese objektive Hürde nur zum Teil durch Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung überwinden. 1.55 In der Praxis ist die Gegenseitigkeit mit den meisten Staaten gewährleistet. Lücken des Systems erweisen sich aber gerade deshalb als bittere „Überraschung“. Zu Recht wird schließlich betont, dass Zivilrechtsschutz nicht primär als begünstigendes Staatshandeln, sondern als Dienstleistung für die Parteien zu begreifen ist, die das Gericht erbringen soll, das dazu am sachnächsten oder -kundigsten ist. Die Gründe, die im IPR gegen die Gegenseitigkeit sprechen, haben daher auch im IZPR Gültig-
108 J. Kropholler, IPR, § 57 II; A. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, S. 255 ff.; Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. IV Rz. 17. 109 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 5 Rz. 84, 93. 110 BGHZ 47, 324 = NJW 1967, 2109, 2111 = JZ 1967, 671 (A. Heldrich); BGH, MDR 1994, 690 = FamRZ 1994, 825; H. Schack, IZVR, Rz. 573; Staudinger/Spellenberg (2016), § 98 FamFG Rz. 18. 111 Vgl. B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, 9. Aufl. 2007, § 3 Rz. 11; H. Schack, IZVR, Rz. 573.
20
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.56 § 1
keit.112 Gerichte sollten Rechtsanwendung und Rechtsschutz nicht von der Haltung des jeweiligen Auslandes abhängig machen. Kurz gesagt: „The effect of lack of reciprocity seems a political rather than a legal question.“113
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht 1. Prozessrechtsvereinheitlichung in Europa und weltweit Schrifttum: Europa: P. Baviati, Is flexibility a way to the harmonization of civil procedural law in Europe?, in Carpi/Lupoi, Essays on transnational and comparative civil procedure, 2001, S. 85; F. Carpi, Riflessioni sull’armonizzazione del diritto processuale civile in Europa in relazione alla convenzione di Bruxelles del 1968, Riv.trim.dir.proc.civ 67 (1993), 1037; (= in engl. Sprache) FS Mancini, Vol. II, 1998, S. 111; F. Ferrand, L’harmonisation de la procédure civile dans le monde: Quels défis et guels espoirs pour le XXléme siècle?, FS Sonnenberger, 2004, S. 791; F. Frattini, European Area of Civil Justice, ZEuP 2006, 225; A. Fuchs, Aktuelles zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, ERA-Forum 2/2005, S. 162; R. Geimer, „Law making“ in Europa – Bemerkungen zur justiziellen Zusammenarbeit, FS Ereciński, 2011, S. 1003; P. Gilles, Vereinheitlichung und Angleichung unterschiedlicher nationaler Rechte – Die Europäisierung des Zivilprozessrechts als ein Beispiel, ZZPInt 87 (2002), 3; Hakenberg, Vorschläge zur Reform des Europäischen Gerichtssystem, ZEuP 2000, 860; W. Hau, Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, GS Unberath, 2015, S. 139; Ch. Heinze, Zivilprozessrecht unter europäischem Einfluss, JZ 2011, 709; A. Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Zivilprozess, 2007; B. Heß, Die „Europäisierung“ des internationalen Zivilprozessrechts durch den Amsterdamer Vertrag, NJW 2000, 23; B. Heß, Aktuelle Perspektiven der europäischen Prozessrechtsangleichung, JZ 2001, 573; B. Heß, The integrating effect of European civil procedure law, EurJLawReform 4 (2002), 5; B. Heß, Neue Rechtsakte und Rechtssetzungsmethoden im Europäischen Justizraum, ZSR 124 (2005) II, 183; B. Heß, Deutsches Zivilprozessrecht zwischen nationaler Eigenständigkeit und europäischem Anpassungszwang, Ritsumeikan Law Review Int. Ed. No 27 (2010), 191; St. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren, 2007; A. Junker, Das internationale Privat- und Verfahrensrecht im Zugriff der Europäischen Union, FS Sonnenberger, 2004, S. 417; K. Kerameus, Procedural Harmonization in Europe, AmJCompL 43 (1995), 401; K. Kerameus, Political Integration and Procedural Convergence in the European Union, AmJCompL 45 (1997), 919; K. Kerameus, Une Procédure civile sans frontières – Harmonisation et unification du droit procédural, RHDI 52 (1999), 515; K. Kerameus, Angleichung des Zivilprozessrechts in Europa, RabelsZ 66 (2002), 1; K. Kerameus, Quelques limites à l’harmonisabilité de la procédure civile, FS Nemeth, 2003, S. 439; K. Kerameus, Some reflections on procedural harmonisation, Uniform L.Rev. 8 (2003), 443; K. Kerameus, Der Zivilprozess und die internationale Rechtsentwicklung, ÖJZ 2004, 661; H. Koch, Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verfahren, EuZW 1995, 78; H. Koch, Procédure civile nationale et exigences communitaires, Études à J. Normand, 2003, S. 253; H. Koch, Konvergenzen der Rechte im Europäischen Zivilprozess, FS Beys, 2002, S. 753; K. Kreuzer, Vom bilateralen Staatsvertrag zum Einheitsgesetz, FS Sonnenberger, 2004, S. 823; St. Leible, Die Angleichung der nationalen Zivilprozessrechte – Vom „Binnenmarktprozess“ zu einer europäischen ZPO?“, in Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 55; Leisle, Dependenzen auf dem Weg vom EuGVÜ, über die EuGVVO zur EuZPO, 2002; Lubinski, Unifying trends in the progress of 112 J. Kropholler, IPR, § 60 IV 6; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 5 Rz. 60 ff.; P. Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 279 ff.; K. Siehr, IPR, § 53 IV 1c. 113 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 24.34.
21
1.56
§ 1 Rz. 1.56 | Einführung
1.57
the law of civil procedure, Comparative Law Review Ed. Nich. Copernicus Univ 8 (1998), 93; W. Münzberg, Das Verfahren des EuGH im Vergleich zum deutschen Zivilprozess: Ansätze für einen europäischen Prozess?, Symposium Baur, 1992, S. 69; F. Netzer, Status quo und Konsolidierung des Europäischen Zivilprozessrechts: Vorschlag zum Erlass einer EuZPO, 2011; Th. Pfeiffer, Die Vergemeinschaftung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts, in Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 75; H. Prütting, Die Entwicklung des europäischen Zivilprozessrechts, 1992; H. Prütting, Die Strukturen des Zivilprozesses unter Reformdruck und europäische Konvergenz?, FS Schumann, 2001, S. 309; Rehm, Auf dem Weg zu einer Europäischen Zivilprozessordnung und Instanzgerichtsbarkeit?, FS Heldrich, 2005, S. 955; van Rhee, Civil procedure: a European Ius Commune?, ERPL 2000, 589; van Rhee, European Tradition in Civil Procedure, 2005; H. Roth, Grundfreiheiten des EG-Vertrags und nationales Zivilprozessrecht, in Müller-Graff/Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2001, S. 351; H. Roth, Die Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), 271; P. Schlosser, Neue Dimensionen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Ziviljustiz, FS W. Lorenz, 2001, S. 409; A. Schnyder, Zur Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts – international, Kolloquium für A. Staehelin, 1997, S. 59; A. Stadler, Die Europäisierung des Zivilprozessrechts, Festgabe BGH, Bd. 3, 2000, S. 645; M. Storme, Rapprochement du droit judiciaire de l’Union européenne, 1994; M. Storme, Das Prozessrecht in Europa, FS Drobnig, 1998, S. 177; M. Storme, L’unification de la Procédure Civile en Union Européenne, FS Broniewicz, 1998, S. 397; M. Storme, L’apport de la doctrine et de la science de la procédure civile pour l’harmonisation un Union Européenne, FS Nemeth, 2003, S. 809; M. Storme, Un rêve de bâtisseur de cathédrales: Une procédure civile pour l’ Europe, Liber amicorum Raymond Martin, 2004, S. 197; M. Storme, L’unification de la procédure civile en Union Européenne: Réve ou réalité?, 2. Europäischer Juristentag, 2009, S. 409; R. Stürner, Die Struktur des deutschen und des europäischen Zivilprozesses, FS Broniewicz, 1998, S. 417; R. Stürner, Der europäische Zivilprozess, Symposium für Baur, 1992, S. 1; R. Stürner, Die Struktur des europäischen Zivilprozesses, FS Schumann, 2001, S. 491; Tarzia, L’harmonisation des règles de procédure civile dans les pays de la communauté européenne, FS Mitsopoulos, 1993, S. 1255; R. Wagner, Fünfzehn Jahre justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, IPRax 2014, 217; R. Wagner, Grenzüberschreitender Bezug in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, ZZP 131 (2018), 183; Wannemacher, Die Außenkompetenzen der EG im Bereich des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 2003; G. Walter, Zum Entwurf einer Europäischen Zivilprozessordnung, ASP/PJA 1994, 425; M. Wolf, Abbau prozessualer Schranken im europäischen Binnenmarkt, Symposium Baur, 1992, S. 35. Weltweit: American Law Institute/UNIDROIT, Principles of Transnational Civil Procedure von 2004; N. Andrews, The modern procedural synthesis: the american law institute and UNIDROIT’s „Principles and rules of transnational civil procedure“, Revista de Processo (São Paulo) 164 (2008), 109; R. Berizonce/F. Ferrand, Lois modèles et Traditions nationales, in Gottwald/Hess, Procedural Justice, 2014, S. 69; P. Gottwald, Die Principles of Transnational Civil Procedure und das deutsche Zivilprozessreccht, FS Leipold, 2009, S. 33; Hazard/Taruffo, Cornell Intern.L.J. 30 (1997), 493; St. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren, 2007; K. Kerameus, Une procedure civile sans frontières – Harmonisation et unification du droit procédure, RHDI 52 (1999), 515; Nakamura, Auf dem Weg zu einer Globalisierung des Zivilprozessrechts, Dike Int. 2001, 813; Th. Pfeiffer, Harmonising Transnational Civil Procedure, Rev. dr. unif. 2001, 1015; van Rhee, Towards a procedural ius commune?, in J. Smits/G. Lubbe, Remedies in Zuid-Afrika en Europa, 2003, S. 217; A. Stadler, Principles of transnational civil procedure – auch ein Modellgesetz für Europa?, FS Kerameus, 2009, S. 1355; R. Stürner, The Principles of Transnational Civil Procedure, RabelsZ 69 (2005), 201; M. Taruffo, Drafting Rules for Transnational Litigation, ZZPInt 2 (1997), 449; S. Vrellis, Major problems of international civil procedure as compared to the ALI/UNIDROIT principles and rules, RHDI 56 (2003), 91; S. Vrellis, Un juriste Grec face au projet de procedure civile trans-
22
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.60 § 1 nationale d’ALI/UNIDROIT, Mélanges en l’honneur de Lagarde, 2005, S. 817; G. Walter, Regeln für internationale Zivilprozesse, ZZP 112 (1999), 204; G. Walter/S. Baumgartner, Improving the Prospects of the Transnational Rules of Civil Procedure Project, ZZPInt 5 (2000), 477; G. Walter/S. Baumgartner, Utility and Feasibility of Transnational Rules of Civil Procedure, Texas Int.L.J. 33 (1998), 463; G. Walter/F. Walther, International Litigation: Past Experiences and Future Perspectives, 2000; D. Waterstraat, ALI/UNIDROIT Principles and Rules of Transnational Civil Procedure, 2006.
An der systematischen Zuordnung und dem strukturellen Inhalt des IZPR ändert sich nichts, wenn es sachlich auf europäischer Ebene, teilweise auch darüber hinaus durch Staatsverträge oder auf der Grundlage von Modellgesetzen vereinheitlicht wird.114 Die Rechtsvereinheitlichung115 erleichtert aber die Rechtsverfolgung in internationalen Fällen innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsraumes ganz entscheidend. Über die Brüssel I und II-Verordnungen bzw. das EuGVÜ bzw. LugÜ hinausgehende Bestrebungen, die nationalen Prozessordnungen zu vereinheitlichen oder ganz oder teilweise durch eine europäische Prozessordnung zu ersetzen,116 stehen wohl erst in den Anfängen. Allerdings kann sich in Einzelfällen bereits jetzt aus den Grundfreiheiten des EG-Vertrags in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) ein Zwang zur Vereinheitlichung nationaler Vorschriften ergeben.117
1.58
Art. K 1 Nr. 6 des Unions-Vertrags von 1992 (Maastricht-Vertrag) sah (über Art. 293 EGV n.F. hinausgehend) eine generelle justizielle Zusammenarbeit der Unionsstaaten in Zivilsachen vor.118 Art. 65 EGV (i.d.F. des Amsterdamer Vertrags vom 2.10.1997) gab der grenzüberschreitenden justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen eine neue Basis.119 Art. 81 AEUV (v. 1.12.2009) hat diese erneut verbreitert.120 Art. 81 AEUV verlangt einen grenzüberschreitenden Bezug, der Bezug zu einem Drittstaat genügt.121
1.59
Auf dieser Grundlage wurden inzwischen die EG-Verordnung Nr. 44/2001 („Brüssel I“), die Verordnung Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen („Brüssel II“), die zum 1.3.2005 durch die Verordnung Nr. 2201/2003 („Brüssel IIa“) abgelöst wurde, die Europäische Zustellungsverordnung Nr. 1348/2000 (abgelöst durch die VO (EG) Nr. 1393/2007), die Europäische Beweisaufnahmeverordnung Nr. 1206/2001 und die
1.60
114 Vgl. M. Storme, FS Matscher, 1993, S. 495; K. Kerameus, AmJCompL 43 (1995), 401. 115 Vgl. generell H. Muir Watt, Globalisation and Comparative Law in Reimann/Zimmermann, Comparative Law, 2006, S. 579. 116 Vgl. M. Storme, Rapprochement ..., 1994; G. Walter/F. Walther, S. 33 ff.; krit. H. Roth, ZZP 109 (1996), 271. 117 Vgl. H. Roth in Recht und Rechtswissenschaft, S. 351; G. Walter/F. Walther, S. 8 ff.; R. Koch, EuZW 1995, 78. 118 Zur derzeitigen Lage s. D. McIntosh/M. Holmes, Civil Procedures in EC Countries, 1991. 119 Vgl. I. Tarko, österr JZ 1999, 401; B. Heß, NJW 2000, 23; St. Leible/A. Staudinger, Art. 65 EGV im System der EG-Kompetenzen, EuLF 2000/01, 225. 120 Vgl. R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 184 f.; Geiger/Khan/Kotzur, EUV, AEUV, Art. 81 AEUV Rz. 1 ff. 121 R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 189; W. Hau, GS Unberath, 2015, S. 139.
23
§ 1 Rz. 1.60 | Einführung
VO über den Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen Nr. 805/2004, die VO Nr. 1896/2006 v. 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, die VO Nr. 861/2007 v. 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, die VO Nr. 4/2009 v. 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, die VO Nr. 650/ 2012 v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses und schließlich die VO Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) erlassen. Die Erbrechtsverordnung und die Neufassung der EuGVO sind erst ab 2015 anwendbar.
1.61 Auf seiner Sondertagung in Tampere am 15./16.10.1999 hatte der Europäische Rat auch einen „besseren Zugang zum Recht in Europa“ gefordert. Dazu sollten u.a. „besondere gemeinsame Verfahrensregeln für vereinfachte und beschleunigte grenzüberschreitende Gerichtsverfahren bei verbraucher- und handelsrechtlichen Klagen mit geringem Streitwert sowie bei Unterhaltsklagen und bei unbestrittenen Forderungen“ verabschiedet werden.122 Diese Forderungen sind in einem Maßnahmenprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 30.11.2000123 konkretisiert worden. Inzwischen sind diese Pläne im Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union v. 4./5.11.2004 fortgeschrieben124 worden. Auf dieser Grundlage hat der Europäische Rat am 17.6.2005 einen Aktionsplan gebilligt.125 Außerdem wurde durch Entscheidung des Rates v. 28.5.2001 ein Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen errichtet126 (s. Rz. 7.68), um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit generell und im Einzelfall zu erleichtern.127 1.62 Verfahrenskoordinierung ist ein Kernstück einer Rechtsgemeinschaft, hier der justiziellen Zusammenarbeit im europäischen Justizraum. Sie wird beherrscht von den Grundsätzen des wechselseitigen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der Justiz der EU-Mitgliedstaaten, dem Zugang des Unionsbürgers zum Recht, der Voraussehbarkeit der internationalen Zuständigkeit, der Urteilsanerkennung und dem Schutz der schwächeren Prozesspartei.128
122 123 124 125 126
„Schlussfolgerungen des Vorsitzes Europäischer Rat“, NJW 2000, 1925. ABl EG 2001 Nr. C 12/1 = IPRax 2001, 163. ABl EU 2005 Nr. C 53/1. ABl EU 2005 Nr. C 198/1; vgl. dazu R. Wagner, IPRax 2005, 494. ABl EG v. 27.6.2001 Nr. L 174/25–31; zum Vorschlag der Kommission vgl. ABl EG v. 30.1.2001 Nr. C 29E/281. 127 Vgl. P. Schlosser, FS W. Lorenz, S. 409, 410. 128 B. Hess, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 179, 189.
24
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.66 § 1
Die Vereinheitlichung des Prozessrechts macht nicht an den Grenzen der Europäischen Gemeinschaft halt. Unter Führung von G. Hazard und M. Taruffo hat das American Law Institute zusammen mit UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure 2004 verabschiedet, die zu einer Harmonisierung des Prozessrechts der sog. common law-Staaten, insb der USA, und der sog. civil law-Staaten beitragen sollen.129 ELI und UNIROIT sind dabei, diese Transnational Principles zu European Rules of Civil Procedure fortzuentwickeln.
1.63
Dem gleichen Ziel dienten die Verhandlungen über ein weltweites Haager Übereinkommen über internationale Zuständigkeit und Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, die nach einem zwischenzeitlichen Scheitern 2019 im Ergebnis zu einem allgemeinen Anerkennungsvertrag geführt haben (s. § 12 Rz. 122 ff.).
1.64
Im Bereich des Schiedsverfahrensrechts bemühen sich vor allem UNCITRAL, UNIDROIT und die International Bar Association um einheitliche Regeln, insb. für Schlichtungsverfahren, Schiedsvereinbarungen und für Beweisaufnahmen in internationalen Schiedsverfahren.130
1.65
2. Europäischer Gerichtshof und Europäisches Gericht erster Instanz a) Schrifttum Ch. Berger, Beweisaufnahme vor dem Europäischen Gerichtshof, FS Schumann, 2001, S. 27; P. Biavati, Diritto processuale comunitario, 3. Aufl. 2005; P. Biavati, Diritto processuale dell’ Unione Europea, 5. Aufl. 2015; P. Biavatti, European Civil Procedure, 2011; F. Gräfin von Brühl/S. Wienhues, Rechtsschutz durch die europäischen Gerichte, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 39, 2. Aufl. 2010, S. 2335; A. Dashwood/A. Johnston, The Future of the Judicial System of the European Union, 2001; Dauses, Empfiehlt es sich, das System des Rechtsschutzes und der Gerichtsbarkeit in der Europäischen Union ... weiterzuentwickeln?, Gutachten D für den 60. DJT, 1994; Dauses/Ludwigs/Klinke, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2 Teil P Gerichtsbarkeit der EU, 44. EL 2018; W. Hakenberg, Vorschläge zur Reform des europäischen Gerichtssystems, ZEuP 2000, 860; W. Hakenberg, Verfahren vor dem Gerichtshof der EU, 4. Aufl. 2020; W. Hakenberg/Ch. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005; G. Hirsch, Europäischer Gerichtshof und BVerfG, NJW 1997, 2457; N. Hunnings, The European Courts, 1996; Jung, Das Gericht erster Instanz, 1991; U. Karpenstein/E. Eckart, Neue Verfahrensordnung vor dem EuGH: Änderungen für die anwaltliche Praxis, AnwBl. 2013, 247; Kirschner/Klüpfel, Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, 2. Aufl. 1998; Lenaerts/Arts/ Maselis/Bray, Procedural Law of the European Union, 3rd ed. 2012; Lenaerts/Maselis/Gutman, EU Procedural Law, 2014; Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014; C. O. Lenz, Die Gerichtsbarkeit in der Europäischen Gemeinschaft nach dem Vertrag von Nizza, EuGRZ 2001, 433; Lipp, Entwicklung und Zukunft der europäischen Gerichtsbarkeit, JZ 1997, 326; V. Luszcz/C. Zatschler, European Court Procedure, 2015; Pechstein/Görlitz/ Kubicki, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011; J. Pirrung, Zur Zukunft der europäischen Gerichtsbarkeit in Zivilsachen, FS H. Stoll, 2001, S. 647; R. Plender, Procedure in the European Courts: 129 Vgl. R. Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201. 130 Vgl. K. H. Böckstiegel, Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001; H. Raeschke-Kessler in Gottwald, Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht, 2000, S. 211, 231 ff.; H. Raeschke-Kessler, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 641.
25
1.66
§ 1 Rz. 1.66 | Einführung Comparisons and Proposals, RdC 267 (1997), 9; R. Plender, European Courts Procedure, 2000; Rabe, Zur Reform des Gerichtssystems der Europäischen Gemeinschaften, EuR 2000, 811; Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014; H. Rösler, Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts, 2012; J. Sack, Zur künftigen europäischen Gerichtsbarkeit nach Nizza, EuZW 2001, 77; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rz. 725 ff.; J. Sladič, Einstweiliger Rechtsschutz im Gemeinschaftsprozessrecht, 2008; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014; B. Waegenbaur, The Statute and Rules of Procedure of the ECJ, 2009; B. Waegenbaur, Court of Justice of the EU, 2013; Wienhues/Horvath, Änderungen im Verfahrensrecht der Gerichte der Europäischen Union, EWS 2006, 358; V. Luszcz/C. Zatschler/, European Court Procedure, 2015.
– Satzung des Gerichtshofs, konsolidierte Fassung, Protokoll Nr. 3, VO Nr. 741/ 2012, ABl. Nr. L 228/1), zuletzt geändert durch VO 2019/629 v. 17.4.2019 (ABl. Nr. L 111/1) – Verfahrensordnung des Gerichtshofs v. 25.9.2012 in konsolidierter Fassung v. 1.5.2019, (zuletzt m Änderungen v. 9.4.2019, ABl. Nr. L 111/73) – Zusätzliche Verfahrensordnung des Gerichtshofs v. 1.2.2014 (ABl. Nr. L 32/37) – Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019 C 380/1) – Beschluss des Gerichtshofs v.16.10.2018 über die Einreichung und die Zustellung von Verfahrensschriftstücken im Wege der Anwendung von e-Curia (ABl. Nr. L 293/36) – Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz der EG v. 4.3.2015 (ABl. Nr. L 105/1), zuletzt geändert am 11.7.2018 (ABl. Nr. L 240/68). b) Erstinstanzliche Zuständigkeiten
1.67 Das Gericht erster Instanz der EU (EuG) ist gem. Art. 256 AEUV in folgenden Fällen für den unmittelbaren Individualrechtsschutz natürlicher und juristischer Personen zuständig:131 (1) Nichtigkeitsklagen und Untätigkeitsklagen (Art. 263 IV, 265 III AEUV), (3) Schadenersatzklagen wegen außervertraglicher Haftung der Gemeinschaft, unabhängig davon, ob der Schaden durch administratives oder normatives Handeln entstanden ist (Art. 268 AEUV), (4) Schiedsklagen aus vertraglichen Rechtsbeziehungen der Gemeinschaft, die aufgrund einer Schiedsklausel anstelle der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit der Zuständigkeit des Gerichtshofs unterstellt sind (Art. 272 AEUV). Der Europäische Gerichtshof wird in diesen Fällen nur als Rechtsmittelgericht gegen Entscheidungen des Gerichts erster Instanz tätig.132
131 Vgl. C. O. Lenz, EuGRZ 2001, 433, 436; A. Thiele, § 2 Rz. 54 f. 132 Vgl. A. Thiele, § 2 Rz. 60; J. Molinier, Juris-Cl. Droit Intern. Fasc. 161–24 (2000).
26
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.70 § 1
c) Gericht für den öffentlichen Dienst der EU Für Klage der Beamten und sonstigen Bediensteten gegen die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft ist seit 2.11.2004 das Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union zuständig (Art. 256, 257, 270 AEUV; Anhang I des Protokolls Nr. 3 zum AEUV).
1.68
d) Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV Schrifttum: J. Axtmann, Die Vorlageberechtigung von Sportschiedsgerichten zum Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV, 2016; J. Basedow, Schiedsgerichte und EU-Recht: Über „indirekte“ Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof, FS Klamaris, 2016, S. 63; P. Biavati, European Civil Procedure, 2011, para. 79 et seq; Broberg/Fenger, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2014; Brück, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 2001; Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, 2. Aufl. 1995; Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2 Teil P II Vorabentscheidungsverfahren, 2000; M. Foerster, Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV und Anhängigkeit derselben Rechtsfrage am EuGH, EuZW 2011, 901; H. H. Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren und nationales Zivilprozessrecht, 2009; Gebauer/Wiedmann/Wienhues, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 41 Gemeinsamer Rechtsschutz durch die deutschen Gerichte und den Europäischen Gerichtshof, 2. Aufl. 2010, S. 2381; B. Gsell/W. Hau, Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem, 2012; B. Hess, Rechtsfragen des Vorabentscheidungsverfahrens, RabelsZ 66 (2002), 470; B. Hess, Die Zukunft des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 19 EUV und Art. 267 AEUV, in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem, 2012, S. 181; Hummrich, Die Vorlage an den EuGH im Zivilprozess, DRiZ 2007, 43; J. Kokott/Th. Henze/Ch. Sobotta, Die Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und die Folgen ihrer Verletzung, JZ 2006, 633; Ch. Kovács, Die temporale Wirkung von Urteilen des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, 2014; J. Kropholler/J. von Hein, Eine Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs jenseits des EuGVÜ, FS Großfeld, 1999, S. 615; P. Ludewig, Die zeitliche Beschränkung der Wirkung von Urteilen des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, 2012; B. Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2. Aufl. 2005; M. Schmid, Die Grenzen der Auslegungskompetenz des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG, 2005; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht (§ 9), 2. Aufl. 2014, S. 174.
1.69
Ähnlich wie das deutsche BVerfG nach Art. 100 GG entscheidet der Europäische Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, um die Rechtseinheit in der Europäischen Union zu sichern.
1.70
Nach Art. 267 AEUV entscheidet der Gerichtshof a) über die Auslegung der EU-Verträge, b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Einzelentscheidung oder Verordnung). Eine Auslegungskompetenz besteht auch für das Lugano-Übereinkommen 2007 (Präambel zu Protokoll Nr. 2 nach Art. 75 LugÜ II).133
133 BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 41) = MDR 2014, 1081.
27
§ 1 Rz. 1.70 | Einführung
Mit Auslegung der EU-Verträge (Art. 267 I lit. a AEUV) ist die Auslegung des gesamten primären Unionsrechts gemeint,134 mit der Gültigkeit und Auslegung von Handlungen der Organe ist das gesamte sekundäre Unionsrecht angesprochen.135
1.71 Vorlageberechtigt ist nach Art. 267 AEUV jedes Gericht (nicht nur ein letztinstanzliches),136 gleichgültig in welcher Verfahrensart das Ausgangsverfahren stattfindet, nicht jedoch private Schiedsgerichte.137 Auch Verwaltungsbehörden, wie ein nationaler Rechnungshof, sind nicht vorlageberechtigt.138 Eine Vorlage ist auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grds zulässig.139 Allerdings könnte das Schiedsgericht ggf. das staatliche Gericht zur Vornahme einer sonstigen richterlichen Handlung ersuchen, zu der es selbst nicht befugt ist (§ 1050 Satz 1 ZPO) und das Gericht legt die Frage dann seinerseits dem EuGH vor.140 1.72 Soweit es um die Auslegung von Maßnahmen nach Titel IV des EG-Vertrags (Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr) ging, beschränkte Art. 68 I EGV a.F. die Vorlagebefugnis auf letztinstanzliche Gerichte. Diese Einschränkung ist in Art. 267 AEUV nicht mehr enthalten. 1.73 Auch ein Art. 68 III EGV a.F. entsprechendes „objektives“ Auslegungsverfahren auf Antrag des Rates, der Kommission oder eines Mitgliedstaats ist nicht mehr vorgesehen. 1.74 Nach Art. 267 II AEUV kann jedes Gericht eine Vorlage an den EuGH beschließen. Nach Art. 267 III AEUV sind nur letztinstanzliche Gerichte zur Vorlage verpflichtet. Ob ein Gericht in letzter Instanz entscheidet, richtet sich nach dem im konkreten Fall offenen Rechtsmittelzug. Kommt gegen eine Entscheidung nur eine Zulassungsrevision oder eine Rechtsbeschwerde in Betracht, so ist das OLG nur vorlagepflichtig, soweit keine Nichtzulassungsbeschwerde statthaft ist.141 1.75 Alle anderen Gerichte können über die Vorlage nach ihrem Ermessen entscheiden. Eine Vorlagepflicht besteht allerdings nach der Rechtsprechung des EuGH, wenn (1) das Gericht die Gültigkeit einer sekundärrechtlichen Unionshandlung bezweifelt und sie deshalb nicht anwenden will, sowie, wenn (2) das nationale Gericht die Gültigkeit einer solchen Handlung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bezweifelt und sie nicht anwenden will.142 134 135 136 137
138 139 140 141 142
28
A. Thiele, § 9 Rz. 18. A. Thiele, § 9 Rz. 19 ff. A. Thiele, § 9 Rz. 7. EuGHE 2005, I-923 (Guy Denuit v. Transorient v. Mosaique Voyages) = RIW 2005, 454; EuGHE 1999, I-3055 Rz. 34 (Eco Swiss v. Benetton) = EuZW 1999, 565; A. Thiele, § 9 Rz. 13; J. Kokott/Th. Henze/Ch. Sobotta, JZ 2006, 633 f.; J. Axtmann, Die Vorlageberechtigung von Sportschiedsgerichten zum Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV, 2016. EuGH, C-363/11, ECLI:EU:C:2012:825 – Epitropos tou Elegktikou Synedriou. Vgl. H. H. Fredriksen, S. 311 ff., 316 ff. Vgl. J. Basedow, FS Klamaris, 2016, S. 63, 70 ff. A. Thiele, § 9 Rz. 68. A. Thiele, § 9 Rz. 55 ff., 58 ff.
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.79 § 1
Gegenstand der Vorlage kann jede Frage der Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts sein, sofern das vorlegende Gericht berechtigte Zweifel hinsichtlich der Lösung hegt. Soweit es um die Auslegung einer Verbraucherschutzrichtlinie geht („missbräuchliche Klausel“), muss das vorlegende Gericht prüfen, ob die streitige Vertragsklausel in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt und möglicherweise missbräuchlich ist.143 Der EuGH ist auch zuständig zur Auslegung von Übereinkommen, die die EU selbst geschlossen hat,144 nicht aber von internationalen Übereinkommen, die Mitgliedsstaaten mit Drittstaaten geschlossen haben.145 Der EuGH entscheidet jeweils nur die Auslegungsfrage; die Anwendung auf den konkreten Fall bleibt Sache des nationalen Richters.146
1.76
Eindeutige oder eindeutig auslegbare Regelungen bedürfen keiner Vorlage (Acteclair-Doktrin).147 Soweit bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH zu einer Frage vorliegt, bedarf es einer erneuten Vorlage nur, wenn das Gericht erhebliche Zweifel gegen die bisherige Auslegung durch den EuGH hat, diese selbst auslegungsbedürftig ist oder seither in der Literatur ernstliche Zweifel an der Auslegung aufgekommen sind, nicht aber, wenn sich das Gericht der Ansicht des EuGH anschließt.148
1.77
Für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist der EuGH gesetzlicher Richter i.S.v. Art. 101 I 2 GG. Soweit eine Vorlagepflicht besteht, muss sich ein deutsches Gericht damit zumindest konkret auseinandersetzen, so dass es im Hinblick auf die Vorlagepflicht vertretbar erscheint.149 Soweit es um die Auslegung von Recht der Europäischen Union geht, muss die Frage dem EuGH vorgelegt werden; eine Vorlage nach Art. 100 GG an das BVerfG ist unzulässig, es sei denn, das vorlegende Gericht stütze den Verfassungsverstoß auf einen eigenständigen Verfassungsverstoß in dem deutschen Umsetzungsgesetz.150
1.78
Zusammen mit der Vorlage an den EuGH setzt das vorlegende Gericht sein Verfahren aus. Ob die Vorlage weiteren Stellen mitzuteilen ist, richtet sich nach nationalem Recht.151 Gegen die Aussetzung wegen der Vorlage an den EuGH ist nach h.M.
1.79
143 EuGHE 2010, I-10847 (VB Pénzügyi Lízing Zrt.) = RIW 2010, 876, 879 (Tz. 49 ff.). 144 Z.B. des Lugano-Übereinkommens 2007; s. Präambel zu Protokoll Nr. 2; BGHZ 195, 166 (Rz. 22) = MDR 2013, 112 = ZIP 2013, 286. 145 EuGH, C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 – TNT Express Nederland v. AXA Versicherung, EuGHE 2010, I-4107 = NJW 2010, 1736, 1739 (Rz. 62). 146 A. Thiele, § 9 Rz. 32. 147 EuGHE 2005, I-8191 (Rz. 33); BGHZ 185, 30 = MDR 2010, 720 (Rz. 33); BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 41) = MDR 2014, 1081; vgl. H. H. Fredriksen, S. 180 ff.; Gebauer/Wiedmann/ Wienhues, Kap. 41 Rz. 16; A. Thiele, § 9 Rz. 74. 148 EuGHE 1982, 3415 (Rz. 13 f.) (SolCILFIT) = NJW 1983, 1257; BGH, ZIP 2012, 444 (Rz. 25) = MDR 2012, 356; A. Thiele, § 9 Rz. 72. 149 BVerfG, RIW 2010, 792 = NJW 2011, 288. 150 Für erneute Vorlage daher M. Foerster, EuZW 2011, 901. 151 EuGHE 2010, I-10847 (VB Pénzügyi Lízing Zrt.) = RIW 2010, 876, 878 (Rz. 28 ff.).
29
§ 1 Rz. 1.79 | Einführung
(ebenso wie bei einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG) keine sofortige Beschwerde zulässig.152
1.80 Die Vorabentscheidung muss für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sein (Art. 267 II AEUV). Ist ein Vorlageverfahren wegen derselben Rechtsfrage bereits beim EuGH anhängig, so genügt es nach der Praxis, wenn das Gericht sein Verfahren analog § 148 ZPO aussetzt, ohne die Frage selbst erneut vorzulegen.153 Da auf diese Weise eine Beteiligung der Parteien am Verfahren vor dem EuGH abgeschnitten wird, ist diese Praxis nicht ganz unbedenklich.154 1.81 Grundsätzlich beurteilt das vorlegende Gericht, ob diese Erheblichkeit vorliegt. Der EuGH ist an die Vorlage grds gebunden, kann freilich offensichtlich unberechtigte Vorlagen, durch die das Vorlageverfahren missbraucht werden soll, zurückweisen, wenn (1) offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der begehrten Auslegung und dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht oder (2) es sich bei der Vorlage nur um einen hypothetischen Fall handelt.155 Bedarf die Vorlagefrage aus der Sicht des EuGH keiner erneuten Entscheidung, kann nunmehr darüber in einem „beschleunigten Verfahren“ entschieden werden.156 1.82 Die Entscheidung des EuGH über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat Bindungswirkung gegenüber dem mit dem Ausgangsverfahren befassten Gericht.157 Eine absolute Bindungswirkung für andere Verfahren und dritte Parteien besteht dagegen nicht.158 Auch ist es dem Gerichtshof selbst möglich, von seiner Entscheidung auf eine erneute Vorlage hin abzuweichen. Entscheidet der EuGH über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht, so fehlt eine § 31 II BVerfGG entsprechende Bindung. Stellt der Gerichtshof freilich die Ungültigkeit einer Handlung eines Gemeinschaftsorgans fest (Einzelentscheidung oder Verordnung), so kann jedes nationale Gericht diese Handlung als ungültig ansehen.
1.83 Nach Art. 102 VerfOEuGH entscheidet das vorlegende Gericht über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens als Teil der Kosten des nationalen Verfahrens. Da im Vorabentscheidungsverfahren keine Gerichtskosten anfallen, geht um die Verteilung der Parteikosten.159
152 Pechstein, EU-Prozessrecht, Rz. 879 ff.; Greger in Zöller, § 252 ZPO Rz. 1b; a.A. A. Thiele, § 9 Rz. 87. 153 BVerfG, NJW 2000, 1484, 1485; BGHZ 162, 373, 378 = FamRZ 2005, 1081; BGH, FamRZ 2012, 632; BAG, NJW 2011, 1836; BGH, RIW 2012, 405; A. Thiele, § 9 Rz. 73. 154 BVerfG, RIW 2011, 864; BAG, NJW 2011, 1836. 155 EuGH, C-218/16, ECLI:EU:C:2017: 755 – Kubicka (Rz. 32 ff.), IPRax 2019, 58; A. Thiele, § 9 Rz. 41 f.; B. Hess, EuZPR, § 12 Rz. 21; Gebauer/Wiedmann/Wienhues, Kap. 41 Rz. 13. 156 C. O. Lenz, EuGRZ 2001, 433, 435. 157 A. Thiele, § 9 Rz. 103 ff. 158 Vgl. H. H. Fredriksen, S. 231 f. 159 A. Thiele, § 9 Rz. 122.
30
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.85 § 1
e) Eilverfahren nach Art. 107 Verfahrensordnung Schrifttum: Dörr, Das beschleunigte Vorabentscheidungsverfahren, EuGRZ 2008, 349; Kühn, Grundzüge des neuen Eilverfahrens, EuZW 2008, 263; J. Pirrung, Vorrangige, beschleunigte und Eilverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in Ehe- und Sorgerechtssachen, FS v. Hoffmann, 2011, S. 698; Rieck, Neues Eilvorlageverfahren zum EuGH, NJW 2008, 2958.
1.84
Um die Effektivität des Rechtsschutzes sicherzustellen, hat der EuGH 2008 ein Eilvorlageverfahren eingeführt.160 Dieses Verfahren kann in dringenden Fällen auf Antrag des vorlegenden nationalen Gerichts oder des EuGH-Präsidenten durchgeführt werden. Zur Beschleunigung sind der Kreis der Beteiligten, die Fristen zur Stellungnahme und der Übersetzungsaufwand reduziert.161 In der Verfahrensordnung v. 25.9.2012 findet sich dieses Eilverfahren in den Art. 107 ff. 3. Einheitliches Patentgericht Schrifttum: H.-P. Götting, Das EU-Einheitspatent, ZEuP 2014, 349; K. Grabinski, Der Entwurf der Verfahrensordnung für das Einheitliche Patentgericht, GRUR-Int. 2013, 310; B. Hansen, Die internationale Zuständigkeit bei der Verletzung von Unionsschutzrechten, 2018, S. 283 ff.; C. Honorati, Der einheitliche Patentschutz in der Europäischen Union: Gerichtsbarkeit und anwendbares Recht, Jb f. ital. Recht 29 (2017), 3; A. Ilardi, The new European patent, 2015; A. Ilardi, The new European Patent, 2015; Th. Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit für Immaterialgüterrechte, 2013, S. 580 ff.; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015, S. 747; D. Kaneko, EU-Einheitspatent und Schiedsverfahren, 2018; R. Lutz/St. Luginbuehl, A patent court for Europe – status and prospects, FS Kaissis, 2012, S. 577; F. Paschold, Verfahrensprinzipien des Einheitlichen Patentgerichts, 2019.
a) Das Gericht. Gleichzeitig mit der Einführung eines Europäischen Einheitspatents zum 1.1.2014 für 25 EU-Mitgliedstaaten, die sich an der verstärkten Zusammenarbeit162 beteiligen (nicht Italien und Spanien),163 soll ein Einheitliches Patentstreitregelungssystem eingeführt werden. Durch Übereinkommen (EPGÜ) soll rechtzeitig ein Einheitliches Patentgericht (EPG) errichtet werden.164 Dieses Gericht umfasst ein Gericht erster Instanz, ein Berufungsgericht und eine Kanzlei. In erster Instanz sollen eine Zentralkammer mit Sitz in Paris und zwei Außenstellen in London und München sowie örtliche und regionale Kammern in den Vertragsstaaten geschaffen werden. Das Berufungsgericht soll seinen Sitz in Luxemburg erhalten. Als Folge des Brexit muss das Übereinkommen aber wohl wieder geändert werden.
160 ABl. EU v. 29.1.2008 Nr. L 24/39; jetzt Art. 23a Satzung des EuGH Protokoll Nr. 3 zum AEUV. 161 Vgl. J. Rieck, NJW 2008, 2958; J. Pirrung, FS Spellenberg, 2010, S. 467. 162 Vgl. dazu R. Streinz, Die verstärkte Zusammenarbeit, JuS 2013, 892. 163 Gemäß VO (EU) Nr. 1257/2012 v. 17.12.2012 (ABl. EU Nr. L 361/1). 164 Rat der EU, Dok. 16351/12 (PI 148 COUR 77) v. 11.1.2013. Diese Fassung wurde am 10.12.2012 von den EU-Ministern im Wettbewerbsrat und am 11.12.2012 vom Europäischen Parlament gebilligt.
31
1.85
§ 1 Rz. 1.86 | Einführung
1.86 b) Die internationale Zuständigkeit des EPG soll sich aus der Neufassung der EuGVO (VO Nr. 1215/2012) oder aus dem Lugano Übereinkommen ergeben (E Art. 31 EPGÜ). 1.87 Nach E Art. 32 I EPGÜ soll das Einheitliche Patentgericht die ausschließliche Zuständigkeit erhalten für (a) Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten, (a1)Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Patenten, (b) Klagen auf Erlass von einstweiligen Maßnahmen, (c) Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten, (c1)Widerklagen auf Nichtigerklärung von Patenten, (d) Klagen auf Schadenersatz oder auf Entschädigung aufgrund eines vorläufigen Schutzes. (e) Klagen wegen der Benutzung einer Erfindung vor Erteilung eines Patents, (f) Klagen auf Zahlung einer Lizenzvergütung, und (g) Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamtes. Für sonstige Klagen in Bezug auf Patente sind weiterhin die nationalen Gerichte der Vertragsmitgliedstaaten zuständig (E Art. 32 II EPGÜ). Das Gericht soll eine eigene Verfahrensordnung erhalten. Hierfür liegt bisher nur ein Entwurf von „Rules of Procedure of the Unified Patent Court“ vor (zuletzt: 18th Draft of 19 October 2015). 4. Vorabentscheidungsverfahren zum EFTA-Gerichtshof
1.88 Schrifttum: C. Baudenbacher, Das Vorabentscheidungsverfahren im EFTA-Pfeiler des EWR in 90 Jahre Fürstlicher Oberster Gerichtshof, FS G. D. Karth, 2013, S. 1; H. H. Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren und nationales Zivilprozessrecht, 2009.
Auch die EFTA-Staaten haben einen Gerichtshof in Luxemburg errichtet. Nach Art. 34 des Abkommens zwischen den EFTA-Staaten über die Errichtung einer EFTA-Überwachungsbehörde und eines EFTA-Gerichtshofes können dem EFTAGerichtshof Fragen der Auslegung des EFTA-Rechts im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt werden. Das Verfahren gleicht weitgehend dem Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV an den EuGH.165
165 Vgl. H. H. Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren und nationales Zivilprozessrecht, 2009, S. 4 ff.
32
II. Europäisches und internationales Zivilprozessrecht | Rz. 1.92 § 1
5. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte a) Schrifttum J. Adolphsen, Aktuelle Fragen des Verhältnisses von EMRK und Europäischem Zivilprozessrecht, in Renzikowski, Die EMRK im Privat-, Straf- und öffentlichen Recht, 2004, S. 39; A. Bärdsen, Reflections on „Fair Trial“ in Civil Proceedings According to Article 6 § 1 of the European Convention on Human + Rights, Scandinavian Studies in Law 51 (2007), 99; R. Geimer, Menschenrechte im internationalen Zivilverfahrensrecht, BerDGesVR 33 (1993), 213; S. Haß, Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 2006; B. Hess, EMRK, Grundrechte-Charta und europäisches Zivilverfahrensrecht, FS Jayme, 2004, S. 339; J. MayerLadewig/H. Petzold, Der neue ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 1999, 1165; J. Mayer-Ladewig/H. Petzold, Die Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR, NJW 2005, 15; E. Pache, Der Grundsatz des fairen gerichtlichen Verfahrens auf europäischer Ebene, EuGRZ 2000, 601; H.-J. Papier, Umsetzung und Wirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Perspektive der nationalen deutschen Gerichte, EuGRZ 2006, 1; V. Schlette, Europäischer Menschenrechtsschutz nach der Reform der EMRK, JZ 1999, 219; M. Wolf, Zivilprozessuale Verfahrensgarantien in Art. 6 I EMRK als Grundlage eines europäischen Zivilprozessrechts, FS Söllner, 2000, S. 1279.
1.89
b) Einheitliche Standards Einheitliche Standards des Zivilrechtsschutzes in Europa ergeben sich aus den Verfahrensgarantien des Art. 6 I EMRK. Diese Norm garantiert ein faires Verfahren, auch vor den Zivilgerichten der Mitgliedstaaten.166
1.90
Entscheidungen des EGMR binden nach Art. 46 EMRK. Sie sind im Inland zu beachten, führen aber nicht unmittelbar zur Durchbrechung der Rechtskraft.167 Nach der Neufassung von § 580 Nr. 8 ZPO kann eine Entscheidung aber mittels Restitutionsklage beseitigt werden, wenn der EGMR festgestellt hat, dass diese Art. 6 I EMRK verletzt.168 Auch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert Rechte auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht einschließlich des Anspruchs auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.169
1.91
c) Kooperation zwischen EGMR, EuGH und BVerfG Schrifttum: R. Arnold, BVerfG und Europäischer Gerichtshof: Kooperation oder Konflikt?, in Roth, Europäisierung des Rechts, 2010, S. 1; Ch. Grabenwarter/E. Vranes, Kooperation der Gerichte im europäischen Verfassungsverbund, 2013; M. Klatt, Die praktische Konkordanz von Kompetenzen, 2014; Ch. Kohler, Dialog der Gerichte im europäischen Justizraum, FS Baudenbacher, 2007, S. 141; A. Proelss, BVerfG und überstaatliche Gerichtsbarkeit, 2014; H. Sauer, Europas Richter Hand in Hand?, EuZW 2011, 94; H. Sauer, Jurisdiktionskonflikte in
166 Vgl. E. Pache, EuGRZ 2000, 601; J. Adolphsen in Renzikowski, S. 39. 167 Vgl. BVerfGE 111, 307 = FamRZ 2004, 1857 (G. Rixe); S. Haß, S. 129 ff.; H.-J. Papier, EuGRZ 2006, 1. 168 Vgl. J. Braun, Restitutionsklage wegen Verletzung der EMRK, NJW 2007, 1620. 169 Vgl. ABl EG v. 18.12.2000 Nr. C 364/1.
33
1.92
§ 1 Rz. 1.92 | Einführung Mehrebenensystemen, 2008; E. Schumann, Gerichtliche Kompetenzen und Inkompetenzen in Europa: Menschenrechtsgerichtshof, EU-Gerichtshof und BVerfG, in Roth, Europäisierung des Rechts, 2010, S. 197.
Entscheidungen des EGMR, des EuGH und des BVerfG können von den jeweils anderen Gerichten anhand zumindest teilweise voneinander abweichender Maßstäbe überprüft werden. Die beteiligten Gerichte sind freilich bemüht, ihre Kompetenzen in wechselseitiger Rücksichtnahme und Kooperation auszuüben. Das Bundesverfassungsgericht hält aber daran fest, dass es Akte der Organe und Einrichtungen der Europäischen Union einer Ultra-Vires-Kontrolle unterziehen könne. Diese greife, wenn die Einrichtung der EU das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung überschritten, also Kompetenzen in Anspruch genommen habe, die eine Änderung des EU-Vertrages und in Deutschland ein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderten.170
III. Prozessrechtsvergleichung 1. Allgemeine Ziele 1.93 Schrifttum: A. Ateia, Le regroupement des families juridiques en droit judiciaire, in Andoli-
na, Transnational Aspects of Procedural Law, 1998, S. 627; O. Chase/H. Herskoff u.a., Civil Litigation in a Comparative Context, 2007; M. Damaška, The faces of justice and state authority, 1986; F. Gascón Inhausti, Prozessrechtsvergleichung in der Europäischen Union, in Hess, Europäisches Insolvenzrecht – Grundsätzliche Fragestellungen der Prozessrechtsvergleichung, 2019, S. 111; F. Gascón Inhausti, Comparative perspectives in Procedural Law, in Cadiet/ Hess/Requejo Isidro, Approches to Procedural Law, 2018, S. 15; D. Gerber, Comparing procedural systems, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 665; P. Gilles, Prozessrechtsvergleichung, 1996; P. Gilles u. Lubinski, Eigenheiten der Prozessrechtsvergleichung, in Andolina, Transnational Aspects of Procedural Law, 1998, S. 967 u 1091; St. Goldstein, The Utility of the Comparative Perspective in Understanding, Analyzing and Reforming Procedural Law, Oxford 1999 (= Comparative Law Review Japan 33 (1999), 87; P. Gottwald, Zum Stand der Prozessrechtsvergleichung, FS Schlosser, 2005, S. 227; W. Habscheid, Introduzione al diritto processuale comparato, 1985; B. Hess, Effektiver Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten aus deutscher und vergleichender Sicht, in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes, 2006, S. 121; St. Huber, Prozessrechtsvergleichung heute, in Hess, Europäisches Insolvenzrecht ..., 2019, S. 77 (Vortrag Wien 2017); A. Ishikawa/T. Mikami, Legal Families in Procedural Law, Keio Law Review 1995 (8), 21; J. Jolowicz, On the comparison of procedures in Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, 721; J. Jolowicz, Civil Procedure in the Common and Civil Law, in DoekerMach/Ziegert, Law, Legal Culture and Politics in the 21st Century, 2004, S. 55; Th. Kadner Graziano, Rechtsvergleichung vor Gericht, RIW 2014, 473; Ch. Kern, Statistical Methods in Comparative Civil Procedure, in Cadiet/Hess/Requeo Isidro, Approaches to Procedural Law, 2018, S. 121; Ch. Kern, In der Zange der Zahlen: Rechtsvergleichung und wissenschaftlicher Zeitgeist, ZVglRWiss 116 (2017), 419; H. Koch, Neuordnung der Rechtsfamilien im Prozessrecht, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 119; H. Koch, Prozessrechtsvergleichung: Grundlage europäischer Verfahrensrechtspolitik und Kennzeichnung von Rechtskreisen, ZEuP 2007, 735; H. Koch, Verfahrensrechtsvergleichung zur Kennzeichnung von Rechtskreisen, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 563; T. Kojima, Legal families in procedural law
170 BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 859/15 Rz. 110 (Beanstandung des vom EuGH gebilligten Anleihekaufprogramms der EZB), ZIP 2020, 966.
34
III. Prozessrechtsvergleichung | Rz. 1.95 § 1 revisited in Andolina, Transnational Aspects of Procedural Law, 1998, S. 567; G. Miller, The Legal-Economic Analysis of Comparative Civil Procedure, AmJCompL 45 (1997), 905; A. Nylund/M. Strandberg, Civil Procedure and Harmonisation of Law, 2019; J. Parker, Comparative Civil Procedure and Transnational „Harmonisation“, in Bork/Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts, 2009, S. 387; C. H. van Rhee, European Traditions in Civil Procedure, 2005; C. H. van Rhee, English and continental civil procedure: similarities today and in the past, Studies in honour of W. Litewski, 2003, S. 201; R. Schütze, Prozessrechtsvergleichung, FS G. D. Karth, Wien 2013, S. 913; R. Stürner/Ch. Kern, Comparative Civil ProcedureFundamentals and Recent Trends, GS Konuralp, 2009, S. 997; R. Stürner/A. Stadler, Eigenarten der Prozessrechtsvergleichung, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 263; P. Taelman, Civil Procedure: International Encyclopedia of Laws, 1991 ff.; M. Taruffo, Globalizing procedural justice. Some general remarks, RePro 39 (237) 2014, 459; A. Uzelac, Kann die Effizienz der Justiz gemessen werden?, in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes, 2006, S. 41; St. Vogenauer/Ch. Hodges, Civil Justice Systems in Europe, 2010; M. Woo, Comparative Law: A Plurality of Methods in Cadiet/Hess/Requeo Isidro, Approaches to Procedural Law, 2018, S. 47; M. Woo, Comparative Law in a Time of Nativism in Hess, Europäisches Insolvenzrecht ..., 2019, S. 141; J. Zekoll, Comparative Civil Procedure in Reimann/Zimmermann, The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, S. 1327.
Bereits de lege lata sollte bei der Auslegung der Normen des IZPR einer Auslegung der Vorrang gegeben werden, die zu einer harmonischen Zusammenarbeit zwischen den Staaten und zu einer Harmonisierung der Rechtsordnungen beiträgt. Der gegenseitigen Information, dem Kennenlernen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, aber auch der Erarbeitung von Vorschlägen zur Rechtsangleichung dienen Grundlagenstudien der Prozessrechtsvergleichung.
1.94
2. Prozesskultur, Chancen und Risiken der Prozessführung im Ausland Schrifttum: D. Bamford/R. Caponi, Transnational Litigation and Elements of fair Trial, General reports XIV World Congress of Procedural Law, 2011; O. Chase, Law, Culture and Ritual, 2005; O. Chase, American „Exceptionalism“ and Comparative Procedure, AmJCompL 50 (2002), 277; R. Cotterrell, Comparative Law and Legal Culture, in Reimann/Zimmermann, Comparative Law, 2006, S. 709; S. Elsing, Konflikte der Rechtskulturen bei der Beilegung internationaler Streitfälle, ZVglRWiss 106 (2007), 123; V. Gessner, Foreign Courts, Civil Litigation in Foreign Legal Cultures, 1996; V. Gessner, Europas holprige Rechtswege – die rechtskulturellen Schranken der Rechtsverfolgung im Binnenmarkt, FS Reich, 1997, S. 263; B. Hess, Aktuelle Brennpunkte des transatlantischen Justizkonflikts, AG 2005, 897; Th. Ingenhofen, Prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten ausländischer Unternehmen im Forum London, Diss. Tübingen 1999; J. Langbein, The German Advantage in Civil Procedure, U.Chi.L.Lev. 52 (1985), 823; C. Larsen, Is there (still) a „German Advantage“ in Civil Procedure?, FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 799; R. Marcus, Putting Americas Procedural Exceptionalism into a Globalized Context, AmJCompL 53 (2005), 709; J. Maxeiner, Die Gefahr der Übertragung des deutschen Rechtsdenkens auf den US-amerikanischen Zivilprozess, RIW 1990, 440; R. Michaels, US-Gerichte als Weltgerichte, DAJV-NL 2006, 46; P. Nouel, International Practice of Law, Liber amicorum Th. Bär und R. Karrer, 1997, S. 183; W. Posch, „Amerikanisierung“ oder „Verwilderung der Sitten“?, FS Jelinek, 2002, S. 209; J. Reitz, Grundlegende Unterschiede zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Zivilprozessrecht, ZZP 104 (1991), 381; G. Rühl, Effizienzprobleme bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten, in Bork/Eger/ Schäfer, Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts, 2009, S. 335; R. Schütze, Konzeptionelle Unterschiede der Prozessführung vor US-amerikanischen und deutschen Gerichten, WM 1983, 1078; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016; R. Schütze, Internationales Zivilprozessrecht und Politik, FS Georgiades, 2005, S. 577; R. Stürner, U.S.-amerikanisches
35
1.95
§ 1 Rz. 1.95 | Einführung und europäisches Verfahrensverständnis, FS Stiefel, 1987, S. 763; R. Stürner, Prozessrecht und Rechtskulturen, in Gilles/Pfeiffer, Prozessrecht und Rechtskulturen, 2004, S. 31; R. Stürner, Class actions und Menschenrechte, FS Georgiades, 2005, S. 1299; M. Taruffo, Legal cultures and models of civil justice, FS Nakamura, 1996, S. 621; A. Wise, Prozessführung und Schiedsverfahren in den USA, Die Kanzlei 2002, 28.
1.96 Ein Prozess im Ausland ist wegen seiner internationalen Dimension (Zustellungszeiten, Postlauf, Übersetzungen, Befassung in- und ausländischer Anwälte) häufig zeitlich und finanziell erheblich aufwendiger als ein Inlandsverfahren.171 1.97 Nationale Prozessordnungen enthalten zwar vielfach vergleichbare Regelungen. Dennoch unterscheidet sich die Prozesskultur von Land zu Land erheblich, Keine Partei darf erwarten, dass Institute des nationalen Verfahrensrechts im Ausland in gleicher Weise gehandhabt würden. Vielmehr bestehen in der Praxis praktische und konzeptionelle Unterschiede hinsichtlich des Verfahrensablaufs, etwa, weil sich die Rollenverteilung zwischen den Beteiligten und die Ziele des Verfahrens beträchtlich unterscheiden. Dies gilt insb. hinsichtlich des Beweisrechts zwischen Verfahren kontinentaleuropäischen Zuschnitts und dem US-amerikanischen .Zivilprozess, aber auch gegenüber Verfahren in Japan.172 Unterschiede bestehen hinsichtlich der Möglichkeit der Vollstreckung aus nicht rechtskräftigen Entscheidungen173 und der Dauer des Verfahrens. 1.98 Hinzuweisen ist auf die Risiken von Sammelklagen (class action) und Klagen auf Ersatz von punitive damages,174 das Discovery-Verfahren und die Ziviljury, die generelle American rule fehlender Kostenerstattung,175 die höheren Anwaltskosten und die Dauer des Prozesses in den USA.176 Regelmäßig zwingen diese Gründe zu einem Vergleich;177 nur ein minimaler Prozentsatz der anhängig gemachten Verfahren erreicht ein trial. Ein Kläger, der die Wahl zwischen einem Prozess in den USA und Deutschland hat, hat diese Unterschiede im konkreten Fall gegeneinander abzuwägen; die beste Lösung ist dann evtl. ein „midatlantic-settlement“.178 Gleichwohl locken die Hoffnung auf hohen Schadenersatz nach einem jury trial und die Möglichkeit der class action viele Kläger zu einem Verfahren in den USA.
171 Vgl. H. G. Schermers, Essays in honour of Voskuil, 1992, 279. 172 Vgl. N. Yamanouchi/S. Cohen, Understanding the incidence of litigation in Japan, Int. Lawyer 25 (1991), 443. 173 Vgl. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 428, 465, 505. 174 Vgl. R. Schütze, RIW 2004, Heft 7 (Erste Seite); R. Stürner, FS Georgiades, S. 1299. 175 Vgl. S. Neufang, Kostenverteilung im US-amerikanischen Zivilprozess, 2002, S. 31 ff. 176 Vgl. R. Weintraub, The United States as a Magnet Forum, in Goldsmith, International Dispute Resolution, 1997, S. 213 ff.; Ch. Platto, Economic Consequences of Litigation Worldwide, 1999. 177 Vgl. P. Heidenberger, RIW 1997, 464. 178 E. Silva, Texas Int’lL.J. 28 (1993), 479, 495 ff.
36
III. Prozessrechtsvergleichung | Rz. 1.100 § 1
Das IPR der jeweiligen lex fori bestimmt das in der Sache anwendbare Recht. Da das IPR nicht vereinheitlicht ist, können sich aus der Wahl des Gerichtsstaats erhebliche Vorteile (forum shopping) oder Nachteile ergeben.179
1.99
Schließlich ist zu bedenken, ob aus der Entscheidung tatsächlich vollstreckt werden kann, d.h. ob der Beklagte Vermögen im Gerichtsstaat hat oder die Entscheidung in Staaten, in denen Vollstreckungsobjekte belegen sind, anerkannt werden kann.180
1.100
179 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 103 ff.; vgl. P. de Vareilles-Sommières, Forum shopping in the European Judicial Area, 2007. 180 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 109 ff.
37
§2 Grenzen der Gerichtsbarkeit I. Die Staatsimmunität . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Immunität ausländischer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Act of State-Doktrin . . . . . . . . 5. Die Immunität ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder, Staatsorgane . . . . . . . . . . . . 6. Die Immunität von Personen des öffentlichen Rechts und Staatsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wirkung der Immunität im Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . a) Zustellung der Klage an den ausländischen Staat . . . . . . . . . . . . . . . b) Tätigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . c) Entscheidung unter Verstoß gegen Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fehlende Klagbarkeit kraft Besatzungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Arrestverfahren und Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten . .
2.1 2.1 2.2 2.5 2.32 2.33 2.36 2.38 2.39 2.46 2.48
10. Die Immunität von Staatsschiffen 2.53 II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.59 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.59 2. Die Immunität von Mitgliedern der diplomatischen Missionen . . . . . . 2.60 3. Die Unverletzlichkeit des Gesandtschaftsgebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . 2.73 4. Die Immunität von Mitgliedern der konsularischen Vertretungen . . . . 2.75 5. Wirkungen der Immunität . . . . . . 2.82 III. Die Immunität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . 2.86 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.86 2. Funktionale Immunität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . 2.87 3. Die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte, insbesondere von NATO-Truppen . . . . . . . . . . . . . . . 2.107
2.50 2.51
I. Die Staatsimmunität 1. Schrifttum
2.1 a) Allgemeines: E. Bankas, The State Immunity Controversy in International Law, 2005; L.A.
N.M. Barnhoorn, The Service of Process on a foreign state, Essays in Honour of Voskuil, 1992, 1; S. Baumgartner, Human rights and civil litigation in US courts, Washington Univ.L.Q. 80 (2002), 835; M. Berentelg, Die Act of State-Doktrin als Zukunftsmodell für Deutschland, 2010; J. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998; K. Beys, Die Staatenimmunität im Lichte des Grundsatzes der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde, FS Geimer, 2002, S. 67; M.M. Boguslawskij, Die Regelung der Staatenimmunität in der Gesetzgebung der GUS-Staaten, IPRax 2002, 43; G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, 6th ed. 2018; L. Collins, Revolution and Restitution: Foreign States in National Courts, Rec. d. Cours 326 (2007), 9; Czech Yearbook of International Law, Vol. 10 State Sovereignty, 2019; G. Dahlhoff, Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen exterritoriale Schuldner in Deutschland, BB 1997, 321; G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989; H. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985; G. Delaume, Law and Practice of Transnational Contracts, 1988 (S. 223–280); O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rück-
38
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§ 2 Rz. 2.1 | Grenzen der Gerichtsbarkeit er, State Immunity: Some Recent Developments, 1988; Ch. Schreuer, Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen ausländische Staaten, österr. JZ 1991, 41; I. Seidl-Hohenveldern, Neue Entwicklungen im Recht der Staatenimmunität, FS Beitzke, 1979, S. 1081; I. Seidl-Hohenveldern, Staatenimmunität gegenüber Dienstnehmerklagen von Botschaftspersonal, IPRax 1993, 190; K. Siehr, Deutsche Kriegsverbrechen in Griechenland vor deutschen Zivilgerichten, FS Kerameus, 2009, S. 1293; R. Steger, Staatenimmunität und Kriegsverbrechen, 2013; T. Stein/Ch. v. Buttlar/M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017; H. Steinberger, State Immunity in Encyclopedia of Public International Law, Vol. 4, 2000, 615; D. R. Stewart, The UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and their Property, AJIL 2005, 194; B. Stern, Immunités et doctrine de l’Act of State, JDI 133 (2006), 63; H. Strebel, Staatenimmunität: Die Europakonvention und die neuen Gesetze der Vereinigten Staaten und Großbritannien, RabelsZ 44 (1980), 66; M. Stürner, Staatenimmunität und Brüssel I-Verordnung, IPRax 2008, 197; S. Sucharitkul, Immunity of Foreign States before National Authorities, RdC 149 (1976 I), 85; P. Trooboff, Foreign State Immunity, RdC 200 (1986 V), 235; P. Vischer, Der ausländische Staat als Kläger, IPRax 1991, 209; W. Graf Vitzthum/A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016 (Abschn. III 89 ff.); E. Voyiakis, Access to Court v State Immunity, ICLQ 52 (2003), 297; P. de Waart u. Y. Schrevelius, Embassy employees and state immunity in W. Heere, International law and The Hague’s 750th anniversary, 1999, S. 111; R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260; R. Wagner, Staatenimmunität in zivilgerichtlichen Verfahren, RIW 2014, 851; G. Walter, Immunität in der Zwangsvollstreckung im deutschen und schweizerischen Recht, FS Waseda Universität, 1988, S. 771; P.-F. Walter, Gibt es eine Beweislastverteilung bei der Immunität von Staaten?, RIW 1984, 9; K. Weitz, Jurysdykcja krajowa w pustepowaniu cywilnym (Inländische Gerichtsbarkeit im Zivilverfahren), 2005; V. Yarkov, The evolution of jurisdictional immunity doctrine, FS Boguslavskij, 2004, S. 231; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 3, 2013, 223. – United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property (Resolution adopted by the General Assembly 59/38 of 16 December 2004) (abgedruckt in Rev arb 2005, 806 mit Einführung Leboulanger, S. 803); dazu Denza, Fox, Gardiner, Hall, Dickinson u. McGregor ICLQ 55 (2006), 395 ff.; Foakis/Wilmshurst, State immunity: The United Nations Convention and its effect, Chatham House, ILP BP 05/01; D. Stewart, The UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and their Property, AJIL 99 (2005), 194. – Baseler Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität v. 16.5.1972 (BGBl. 1990 II, 35). b) Menschenrechtsverletzungen: Ch. Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, 2007; J. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, 1997; W. Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, AVR 41 (2003), 201; M. Gebauer/G. Schulze, Kalifornische Holocaust-Gesetze zugunsten von NS-Zwangsarbeitern und geschädigten Versicherungsnehmern und die Urteilsanerkennung in Deutschland, IPRax 1999, 478; B. Heß, Staatenimmunität und völkerrechtlicher Rechtsschutz bei politischem Mord, IPRax 1993, 110; B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, FS Schütze, 1999, S. 269; B. Heß, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vor US-amerikanischen und deutschen Zivilgerichten, AG 1999, 145; B. Heß, Kriegsentschädigung aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht in Entschädigung nach bewaffneten Konflikten, 2003, S. 107; B. Heß, Abgrenzung der acta iure gestionis und acta iure imperii. IPRax 2018, 351; St. Hobe, Durchbrechung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen – NS-Delikte vor dem Areopag, IPRax 2001, 368; M. Kohler, Zivilrechtliche Individualverantwortung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen unter dem Alien Tort Claims Act, FS P. Lindblom, Uppsala 2004, S. 335; P. Oberhammer/A. Reinisch, Zwangsarbeiter vor deutschen Gerichten, IPRax 2001, 211; N. Paech, Staatenimmunität und Kriegs-
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I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.2 § 2 verbrechen, AVR 47 (2009), 36; M. Payandeh, Staatenimmunität und Menschenrechte, 2012, 949; M. Rau, Schadenersatzklagen wegen extraterritorial begangener Menschenrechtsverletzungen: der US-amerikanische Alien Tort Claims Act, IPRax 2000, 558; M. Rau, Haftung privater Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen?, IPRax 2001, 372; A. Reinisch, NS-Verbrechen und „potitical questions“, IPRax 2000, 32; Th. Rensmann, Internationale Verbrechen und Befreiung von staatlicher Gerichtsbarkeit, IPRax 1999, 268; Ch. Safferling, Zwangsarbeit vor US-amerikanischen Gerichten, NJW 2000, 1922; O. Sandrock, Ausländische Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen vor US-amerikanischen Gerichten, RIW 2013, 497; A. Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997; R. Steger, Staatenimmunität und Kriegsverbrechen, 2013; M. Stürner, Die territorialen Grenzen der Human Rights Litigation in den USA, JZ 2014, 13; Ch. Tomuschat, Rechtsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die Bundesrepublik Deutschland?, IPRax 1999, 237; S. Vrellis, State Immunity in War Atrocities. The German Massacres in Greece – A Judiciary Saga in International Law, FS Klamaris, 2016, S. 875. c) Staatsoberhäupter: J. Dellapenna, Sueing foreign governments and their corporations, 1988; G. Gornig, Immunität von Statsoberhäuptern, FS Rauschning, 2001, S. 457; G. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002; Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002; A. Watts, The legal position in international law of heads of states, heads of governments and foreign ministers, Rec.d.Cours 247 (1994 III), 9. d) Staatsunternehmen: P. Busl, Ausländische Staatsunternehmen im deutschen Vollstreckungsverfahren, 1992; R. Esser, Zur Immunität rechtlich selbständiger Staatsunternehmen, RIW 1984, 577; L. Gramlich, Staatliche Immunität für Zentralbanken?, RabelsZ 45 (1981), 545; P. Herz, Die Immunität ausländischer Staatsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1996; B. Krauskopf/Ch. Steven, Immunität ausländischer Zentralbanken im deutschen Recht, WM 2000, 269; C.-P. Martens, Doctrine of State Immunity concerning State Enterprises in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 221; J. Pullen, Die Immunität von Staatsunternehmen im zivilrechtlichen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, 2012.
2. Einführung Jeder Staat besitzt die Justizhoheit und damit grds die Befugnis, auf seinem Hoheitsgebiet Recht zu sprechen. Insoweit steht ihm die Gerichtsbarkeit zu. Aus der Tatsache, dass alle Staaten für sich eine solche Gerichtsbarkeit in Anspruch nehmen, folgt bereits ein negativer Satz des Völkerrechts, dass kein Staat auf dem Gebiet eines anderen seine Gerichtsbarkeit ausüben darf und dass keinem Staat die Gerichtsbarkeit über einen anderen Staat zusteht. Die inländische Gerichtsbarkeit (facultas iurisdictionis) findet ihre Grenze also an der Immunität fremder Staaten. Diese können demnach grds nicht vor einem inländischen Gericht verklagt werden. Die Immunität der Staaten beruht auf dem Völkergewohnheitsrecht.1 Von vielen ist immer wieder der Satz wiederholt worden „par in parem non habet imperium“. Genau genommen beruht die Immunität der Staaten auf den drei Grundsätzen des Völkerrechts: der Unabhängigkeit, der Gleichheit und der Würde der Staaten. Soweit sich ein ausländischer Staat in Ausübung seiner Hoheitsgewalt betätigt, unterliegt er nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staats.2 1 BGH, NJW 1979, 1101. 2 Ipsen/Epping, Völkerrecht, 7. Aufl. 2018, § 7 Rz. 263 ff.; T. Stein/Ch. v. Buttlar/M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, § 41 Rz. 717 ff.
41
2.2
§ 2 Rz. 2.3 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
2.3 Der Staat darf aber indirekt oder direkt im Wege der Rechtshilfe (s. §§ 7 ff.) gegenüber Parteien oder Dritten handeln, die sich im Ausland aufhalten. Seine Gerichte dürfen Vorgänge beurteilen, die sich im Ausland ereignet haben, sofern ihre internationale Entscheidungszuständigkeit besteht (s. §§ 3, 4). 2.4 Soweit sich ein Staat hoheitlich betätigt, sind seine Handlungen allein deshalb der Jurisdiktion anderer Staaten entzogen (funktionelle Immunität). Dagegen besteht heute keine allgemeine völkerrechtliche Immunität, wenn sich der Staat oder sein Repräsentant privatrechtlich betätigt („acta iure gestionis“). Der Gerichtsstaat kann aber auch insoweit Immunität als persönliches Vorrecht gewähren.3 Zudem macht die Abgrenzung zwischen beiden Bereichen gewisse Schwierigkeiten. 3. Die Immunität ausländischer Staaten
2.5 § 20 II GVG lautet: „Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch nicht auf andere als die in den §§ 18 und 19 genannten Personen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind.“ Nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechts sind fremde Staaten von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Bei Bundesstaaten sind grds auch die einzelnen Gliedstaaten immun.4 Dies gilt nicht im Anwendungsbereich von Art. 28 EuStImmÜ (s. Rz. 2.21).
2.6 a) Lange Zeit wurden Staaten als „absolut immun“ angesehen. Kein Staat konnte gegenüber einem anderen Staat Gerichtsbarkeit ausüben. Seitdem sich die Staaten aber direkt oder indirekt durch Untergliederungen, Agenturen, Behörden oder sonstige Organisationen am internationalen Handel und Wirtschaftsverkehr beteiligen, ließ sich diese Ansicht aus praktischen Gründen nicht mehr aufrechterhalten. Vor allem die sozialistischen Staaten unter Führung der ehemaligen Sowjetunion hatten lange Zeit an der Lehre von der absoluten Souveränität des Staats und der absoluten Staatenimmunität festgehalten.5 Ursprünglich sollten danach auch Handelsvertretungen und Außenhandelsorganisationen an der staatlichen Immunität teilhaben. In den 80er Jahren wurde diese Ansicht dagegen im Interesse geordneter internationaler Wirtschaftsbeziehungen aufgegeben und die rechtliche Selbständigkeit sozialistischer staatlicher Unternehmen und damit ihre Gerichtspflichtigkeit betont.6
3 4 5 6
42
Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 71 II, S. 453. Soergel/Kronke, Anh. IV Art. 38 Rz. 8; R. Geimer, IZPR, Rz. 567 ff. G. Reß, ZaöRV 40 (1980), 217, 230 ff.; B. Heß, Staatenimmunität, S. 189 ff. F. Enderlein, RIW 1988, 333; für China vgl. Wang, China’s Attitude toward State Immunity, in International Symposium in Commemoration of the Centennial of The Japanese Association of International Law, 1997, S. 168.
I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.10 § 2
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Auflösung des Ostblocks und dem sukzessiven Übergang zu marktwirtschaftlichen Ordnungen ist aber davon auszugehen, dass die meisten ehemals sozialistischen Staaten für ihre Handelsbeziehungen heute keine Immunität mehr beanspruchen.7 Art. 401 russ. ZPO von 2002 sieht für allgemeine Zivilsachen immer noch eine absolute Staatsimmunität als Grundsatz vor. Art. 251 russ. APO von 2002 gewährt Staatenimmunität nur für Tätigkeiten in hoheitlicher Funktion.8 Gleiches gilt für das Recht der Volksrepublik China. Auch Indien und Myanmar sollen noch absolute Immunität beanspruchen und gewähren.9
2.7
Die heute bei weitem vorherrschende Lehre von der restriktiven Staatsimmunität unterscheidet danach, ob ein Staat hoheitsrechtlich (acta iure imperii) tätig geworden ist, oder ob er sich wie ein Privater am Wirtschaftsleben beteiligt hat (acta iure gestionis). Im ersten Fall ist der ausländische Staat jeder Gerichtsbarkeit eines anderen Staats entzogen.10 Hierzu gehören etwa die Folgen der Erhebung oder Nichterhebung von Mautgebühren oder der Schließung eines Flughafens.11 Wegen Bombenschäden, die seine Luftwaffe anderen zugefügt hat, kann er daher nicht im Ausland verklagt werden (s. aber Rz. 2.13 ff., 2.17).12
2.8
b) Nach inzwischen h.M. im Völkerrecht ist der ausländische Staat dagegen nicht immun, soweit er sich wie eine Privatperson betätigt, insb Handel treibt. Da sich der moderne Wohlfahrtsstaat aber vielfach aus politischen Gründen wirtschaftlich betätigt, ist die konkrete Abgrenzung im Bereich der staatlich kontrollierten Wirtschaft zweifelhaft und wird in der Staatenpraxis nicht völlig einheitlich beantwortet.13
2.9
Bei privatwirtschaftlicher Betätigung (commercial transaction) können sich die Staaten nicht auf eine Immunität berufen, sondern unterliegen der Gerichtsbarkeit anderer Staaten (so ausdrücklich Art. 10 UN-Convention). Das BVerfG hat mehrfach ausgesprochen, dass es keine Regel des allgemeinen Völkerrechts gibt, wonach die inländische Gerichtsbarkeit für Klagen gegen einen ausländischen Staat auch in Bezug auf seine nicht hoheitliche Tätigkeit in jedem Fall ausgeschlossen sei.14 Der ausländische Staat kann daher auf Bezahlung des Werklohns aus einer Reparatur an seinem Botschaftsgebäude verklagt werden.15
2.10
7 Vgl. M.M. Boguslawskij, IPRax 2002, 43, 45. 8 M.M. Boguslawskij in Boguslawskij/Trunk, Reform des Zivil- und Wirtschaftsprozessrechts in den Mitgliedstaaten der GUS, 2004, S. 19, 31. 9 So R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 93. 10 Vgl. Argentine Republic v. Amerada Hess Shipping Corp., 488 U.S. 428 (tort by armed forces). 11 Vgl. BGH, SchiedsVZ 2013, 110 (Rz. 12). 12 Österr. OGH, IPRax 1996, 41; BGH, RIW 2013, 307 (Rz. 11) = NJW 2013, 3184; I. SeidlHohenveldern, Staatenimmunität bei Kriegshandlungen, IPRax 1996, 52. 13 Vgl. G. Reß, ZaöRV 40 (1980), 217 ff.; T. Stein/Ch. v. Buttlar/M. Kotzur, Völkerrecht, § 41 Rz. 719 f. 14 BVerfGE 15, 25 = NJW 1963, 435; BVerfGE 16, 27 = NJW 1963, 1732 (Reparatur an Heizung des Botschaftsgebäudes); vgl. B. Heß, Staatenimmunität, S. 39 ff., 146 ff., 292 ff.; B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 19 f. 15 BVerfGE 16, 27 = NJW 1963, 1732; J. Kropholler, IPR, § 57 I 3a; Soergel/Kronke, Anh. IV Art. 38 Rz. 4.
43
§ 2 Rz. 2.11 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
2.11 Keine Immunität besteht auch für Streitigkeiten zwischen einem Staat und einem privaten Arbeitnehmer, der seine Arbeit in einem anderen Staat leistet.16 Sowohl nach Art. 11 I UN-Convention als nach Art. 5 I EuStImmÜ kann der Arbeitnehmer den ausländischen Staat verklagen. Dies gilt jedoch nicht, soweit der Arbeitnehmer hoheitliche Funktionen für den ausländischen Staat ausübt,17 Diplomaten- oder Konsulstatus hat, Staatsangehöriger des ausländischen Staats ist, der Prozess die Sicherheitsinteressen des ausländischen Staats beeinträchtigen würde oder die Zuständigkeit der Gerichte im Arbeitsvertrag (soweit zulässig) schriftlich ausgeschlossen wurde. 2.12 Ob im Einzelfall ein Hoheitsakt oder eine privatrechtliche Tätigkeit vorliegt, ist nach der Natur der staatlichen Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses zu entscheiden. Für die Qualifikation ist die nationale lex fori des angerufenen Gerichts maßgeblich.18 Freilich muss dabei zumindest auf den Kernbereich dessen Rücksicht genommen werden, was nach überwiegender Ansicht der Staaten hoheitliche bzw. nicht hoheitliche Tätigkeit ist.19 Verschiedene OLG haben inzwischen bestätigt, dass ausländische Staaten der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, sofern sie sich im Inland privatrechtlich betätigen. So hat das OLG Frankfurt die Tätigkeit der staatlichen spanischen Verkehrsämter als privatrechtlich qualifiziert, auch wenn diese Verkehrsämter als Behörden organisiert seien.20 Das OLG München hat in seinem Urteil v. 19.12.1974 bestätigt, dass keine Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist, wenn eine nicht hoheitliche Betätigung eines ausländischen Staats vorliegt. Der beklagte Staat hatte ein Grundstück zur Errichtung eines Generalkonsulats erworben. In dem Rechtsstreit ging es um die Maklergebühr.21 Als nicht hoheitlich sind qualifiziert worden: der Kauf von Waffen, das Betreiben einer Staatsreederei oder einer Omnibuslinie durch die Staatsbahn, der Betrieb eines (Atom-)Kraftwerkes zur Energieversorgung,22 der Bau eines Staudammes,23 die Planung einer neuen Stadt,24 die Übernahme einer Bürgschaft oder Garantie für eine privatrechtliche Verbindlichkeit, die Ausgabe von Staatsanleihen oder Anleihen einer Zentralbank, Verträge über Pipelines und Gasleitungen, ein Pachtvertrag zum Betrieb einer Gaststätte,25 das Betreiben eines public relations-Instituts.26 Auch für Verkehrsunfälle27 und 16 Vgl. P. de Waart, S. 111 ff. und Y. Schrevelius, S. 127 ff. 17 BAG, RIW 2014, 691 (verneint für Fahrer von Personen und gewöhnlicher Post); BAG v. 1.7.2010 – 2 AZR 270/09, RIW 2011, 167; ArbG Köln, RIW 1999, 623 m. Anm. U. Kollatz. 18 BVerfGE 16, 27 = NJW 1963, 1732; Ipsen/Epping, § 7 Rz. 266; Soergel/Kronke, Anh. IV Art. 38 Rz. 5. 19 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 1173; für Abgrenzung nach der objektiven Natur der staatlichen Handlung Ipsen/Epping, § 7 Rz. 266. 20 RIW/AWD 1977, 720. 21 RIW/AWD 1977, 49. 22 B. Heß, Staatenimmunität, S. 154 ff. 23 OLG Frankfurt, IPRax 1999, 247, 249 (dazu W. Hau, S. 232). 24 BGHZ 209, 191 = RIW 2016, 365. 25 Corte di Cassazione (IT), EuLF 2018, 135. 26 R. Geimer, IZPR, Rz. 583 m.w.N. 27 B. Heß, Staatenimmunität, S. 152 f.
44
I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.14 § 2
Produkthaftungsklagen besteht keine Immunität.28 Bei gesetzlichen Eingriffen in Staatsanleihen wurde dagegen die hoheitliche Betätigung bejaht.29 c) Von den USA ausgehend wird zunehmend behauptet, gegenüber Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen bestehe auch bei hoheitlichem Handeln des Staats keine Immunität.30 Soweit ersichtlich wurde bisher zwar die Immunität des Staats respektiert,31 aber der einzelne Amtsträger, der insoweit nicht kraft Amtes, sondern deliktisch gehandelt habe, in Anspruch genommen.32 Seit 1997 sind gem. § 1605 (a) (7) FSIA Schadenersatzklagen in den USA gegen ausländische Staaten zulässig, die den Terrorismus gefördert haben. Allerdings muss ein US-Bürger Verletzter und ein schiedsgerichtliches Streitbeilegungsverfahren gescheitert sein.33 Das Luxemburger Bezirksgericht hat ein entsprechendes Urteil aber wegen Verstoß gegen die Staatsimmunität nicht anerkannt.34 In der Literatur wird dagegen teilweise eine generelle Ausnahme von der Immunität für Schadenersatzklagen wegen Menschenrechtsverletzungen gemacht.
2.13
In Europa wurden Schadenersatzklagen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen ausländische Staaten und ihre Amtsträger meist nicht zugelassen, doch ist Deutschland 1997 in Griechenland zunächst zum Schadenersatz wegen eines SS-Massakers aus dem Jahre 1944 verurteilt worden.35 Erst der griechische Oberste Sondergerichtshof hat schließlich die Staatsimmunität für unerlaubte Handlungen bewaffneter Kräfte bejaht.36 Das BVerfG hat die Abweisung einer nochmals in Deutschland erhobenen Klage auf Verfassungsbeschwerde bestätigt und dabei ausgeführt, dass ein Staat nach geltendem Völkerrecht für hoheitliches Verhalten von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staats befreit sei.37 Auch der IGH in Den Haag hat im Rechtsstreit Deutschland v Italien 2012 bestätigt, dass Deutschland gegenüber Klagen auf Scha-
2.14
28 U.S Court of Appeals (5th Cir.), [1996] ILPr 515. 29 BGH, NJW 2018, 854 = IPRax 2018, 401 (dazu krit. B. Heß, S. 351); BGHZ 209, 191 (Rz. 19) = RIW 2016, 362; OLG Schleswig, ZIP 2015, 1253 ff.; vgl. O. Sandrock, RIW 2017, 549. Anders Republic of Argentina v. Weltover, Inc., 504 U.S. 607. 30 Vgl. B. Stephens, International Human Rights Litigation in U.S Courts, 2nd ed. 2008; J. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, 1997; C. Hailer, Menschenrechte vor Zivilgerichten, 2006; S. Baumgartner, Washington U.L.Rev. 80 (2002), 835. 31 Cicippio-Pulco v. Islamic Republic of Iran, 353 F. 3d 1024; U.S. Court of Appeals, D.C., RIW 1994, 771; vgl. Th. Rensmann, IPRax 1999, 268. 32 Vgl. B. Heß, FS Schütze, S. 269, 272 ff.; J. Gibbons/T. Myers/R. Dolzer, RIW 2004, 899, 900. 33 Vgl. B. Heß, FS Schütze, S. 269, 274. 34 Vgl. B. Hess, Keine juristische Fußnote: Klagen aus „9/11“ vor luxemburgischen Gerichten, IPRax 2019, 442. 35 Court of First Instance of Levadia, [1998] AJIL 765 (Bantekas); vgl. St. Hobe, IPRax 2001, 368; K. Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. 2018, § 7 Rz. 265 ff. 36 Dike International 2002, 1382 (deutsche Übersetzung); vgl. BGHZ 155, 279 = NJW 2003, 3488; S. Vrellis, FS Klamaris, 2016, S. 875. 37 BVerfG, NJW 2006, 2542 (Distimo); vgl. K. Siehr, FS Kerameus, 2009, S. 1293. Zur Vollstreckungsimmunität s. Rz. 19.26 ff.
45
§ 2 Rz. 2.14 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
densersatz wegen Menschenrechtsverletzungen im Zweiten Weltkrieg Immunität zusteht.38
2.15 Nach dem Völkerrecht haben Einzelpersonen bei völkerrechtswidrigem. Verhalten keinen eigenen Ersatzanspruch, lediglich ihr Heimatstaat kann selbst auf diplomatischem Wege Wiedergutmachung für seine Bürger verlangen und den Ersatz an die Betroffenen verteilen.39 In der Literatur wird die Ansicht vertreten, bei Scheitern diplomatischer Streitbeilegungsversuche könne der Einzelne in seinem Heimatstaat klagen; für diese Klage sei eine Notzuständigkeit zu eröffnen.40 Allgemein anerkannt dürfte diese These von der eingeschränkten Immunität bei Hoheitsakten aber noch nicht sein.41 2.16 Art. 18 Abs. 3 des Haager Entwurfs eines Zuständigkeits- und Anerkennungsübereinkommens v. 30.10.1999 sah dementsprechend vor, dass die Verfolgung von Schadenersatzklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Übereinkommen nicht eingeschränkt werden soll (wobei über Einzelfragen keine Einigung erzielt wurde). 2.17 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob verletzte Privatpersonen Ansprüche gegen private Unternehmen geltend machen können, die einen Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen haben.42 Lange Zeit wurde die Geltendmachung von Ersatzforderungen von NS-Zwangsarbeitern gegen deutsche Unternehmen im Hinblick auf das Londoner Schuldenübereinkommen v. 27.2.195343 als ausgeschlossen angesehen. Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ v. 2.8.200044 sieht vor, dass ehemalige Zwangsarbeiter und andere von nationalsozialistischem Unrecht Betroffene aus einem kollektiven Fonds, der vom Bund und der deutschen Wirtschaft finanziert wird, entschädigt werden sollen. Nach § 16 dieses Gesetzes sollen weitergehende Ansprüche „im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht“ ausgeschlossen sein. Diese kollektive Abgeltung ist inzwischen auch von einem New Yorker Gericht akzeptiert worden.45 38 IGH, Iurisdictional Immunities of the State (Germany v Italy), Judgment of 3.2.2012 (zur Vollstreckungsimmunität); s. dazu R. Steger, Staatenimmunität und Kriegsverbrechen, 2013. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 96. 39 R. Geimer, IZPR, Rz. 135 ff. 40 B. Heß, FS Schütze, S. 269, 283. 41 St. Hobe, IPRax 2001, 368, 371 f. Zu Entschädigungsklagen von Folteropfern ausländischer Staaten s aber W. Cremer, AVR 41 (2003), 137, 164. 42 Bejaht von LG Stuttgart, IPRax 2001, 240 (dazu P. Oberhammer/A. Reinisch, S. 211); vgl. Ch. Safferling, NJW 2000, 1922; A. Reinisch, IPRax 2000, 32 und M. Rau, IPRax 2000, 558 (zu Klagen in USA); M. Rau, IPRax 2001, 372; B. Heß, DAJV-NL 1999, 33; B. Heß, AG 1999, 145; M. Gebauer/G. Schulze, IPRax 1999, 478 (zu kalifornischen Holocaust-Gesetzen); Ch. Kohler, Zivilrechtliche Verantwortung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen unter dem Alien Tort Claims Act, Festskrift till Per Lindblom, 2004, S. 335; A. Feldberg, Der Alien Tort Claims Act, 2008. 43 BGBl. 1953 II, 331; vgl. B. Heß, DAJV-NL 1999, 33, 37; B. Heß, AG 1999, 145, 150 f. 44 BGBl. 2000 I, 1263. 45 Vgl. D. Vagts/P. Murray, Entschädigungsklagen der Zwangsarbeiter, ZZPInt 7 (2002), 333; R. Schütze, Internationales Zivilprozessrecht und Politik, FS Georgiades, 2005, S. 577.
46
I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.22 § 2
Wieder eine andere Frage ist, ob Zwangsarbeiter wegen Amtshaftungsdelikten, die NS-Machthaber begangen haben, die Bundesrepublik in Deutschland verklagen können. Solche Ansprüche werden durch § 8 BEG-SchlG ausgeschlossen.46 Das LG Bonn hat eine Schadenersatzklage wegen der deutschen Beteiligung an einem NATO-Luftangriff auf Jugoslawien 1999 nur als unbegründet abgewiesen.47
2.18
Das OLG Frankfurt verneinte sachliche Immunität von Forderungen aus der Abwicklung von Verträgen über den Bau von Pipelines und Gasleitungen. Ob kraft Völkergewohnheitsrecht die eigentliche Ausbeutung von Erdölvorkommen zum inneren Bereich der staatlichen Souveränität gehört, konnte offengelassen werden. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage geprüft, ob der Gerichtsstand des Vermögens, § 23 ZPO, überhaupt heranzuziehen sei. Das OLG lehnte in allen Fällen eine persönliche oder sachliche Immunität ab.48 Was im Einzelfall zum Kernbereich der staatlichen Souveränität gehört, ist danach noch offen.
2.19
Auch der Betrieb eines Atomreaktors wurde im Fall Tschernobyl als nichthoheitliche Tätigkeit eingestuft.49 Art. 13 (e) des Pariser Übereinkommens über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie v 29.7.196050 sieht ausdrücklich vor, dass sich eine Vertragspartei für Klagen, die unter das Übereinkommen fallen, für das Erkenntnisverfahren nicht auf Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen kann.
2.20
d) Im Europäischen Übereinkommen über die Staatenimmunität v. 16.5.197251 wurde kasuistisch festgelegt, wann einem Staat keine Immunität zukommt.52 Die grobe Unterscheidung zwischen acta jure imperii und acta iure gestionis wurde in dem Übereinkommen aufgegeben. Gliedstaaten sind nicht immun (Art. 28 I). Nach Art. 28 II kann aber jeder Vertragsstaat gegenüber dem Generalsekretär des Europarates erklären, dass auch seinen Teilstaaten Immunität zustehen soll. Diese Erklärung haben Deutschland53 und Österreich abgegeben. Das Übereinkommen gilt bisher für Belgien, Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz, das Vereinigte Königreich und Zypern.
2.21
Der ausländische Staat ist danach gerichtspflichtig,
2.22
– wenn er sich ausdrücklich der Gerichtsbarkeit unterworfen hat (Art. 2) oder – auf das Verfahren rügelos einlässt (Art. 3).
46 Vgl. OLG Köln, IPRax 1999, 251, 253 (dazu Ch. Tomuschat, S. 237). 47 LG Bonn, JZ 2004, 572 (dazu O. Dörr). 48 OLG Frankfurt, IPRax 1983, 68; krit. M. Albert, IPRax 1983, 55; L. Gramlich, NJW 1981, 2618. 49 AG Bonn, IPRax 1988, 351 (dazu L. Gündling, S. 338); H. Schack in Umweltschutz im Völkerrecht und Kollisionsrecht, 1992, 315, 322. 50 BGBl. 1976 II, 308. 51 BGBl. 1990 II, 34. 52 Vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 668; B. Heß, Staatenimmunität, S. 210 ff. 53 Vgl. BT-Drucks. 11/4307, 37.
47
§ 2 Rz. 2.22 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
– Er ist grds gerichtspflichtig für vertragliche Ansprüche, die im Gerichtsstaat zu erfüllen sind (Art. 4), – für Arbeitsstreitigkeiten im Gerichtsstaat (außer mit eigenen Staatsangehörigen) (Art. 5), – für (interne) Streitigkeiten aus der Beteiligung an einer Gesellschaft (Art. 6), – aus Handelsgeschäften (Art. 7), – aus gewerblichen Schutzrechten (Art. 8), – aus unbeweglichem Vermögen oder Erbschaften im Gerichtsstaat (Art. 9, 10) – sowie bei Klagen auf Ersatz von Personen- oder Sachschäden, die im Gerichtsstaat eingetreten sind (Art. 11). Da Deutschland eine Erklärung gem. Art. 24 I abgegeben hat, unterliegen ausländische Staaten hier für actae iure gestionis wie bisher der inländischen Gerichtsbarkeit.54
2.23 e) Auch nationale Gesetze, wie der US Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) 1976,55 der britische State Immunity Act 1978,56 der Sovereign Immunity Act 1981 von Südafrika, der kanadische State Immunity Act 1982 oder der Foreign States Immunities Act 1985 von Australien folgen bei Unterschieden im Detail demselben restriktiven Ansatz.57 Nach 28 USC § 1330 sind amerikanische Bundesgerichte nur dann für eine Klage gegen einen ausländischen Staat zuständig, wenn nach dem FSIA keine Immunität besteht.58 Dementsprechend hat der US Supreme Court „subject matter jurisdiction“ für eine Klage in Amerada Hess Shipping Corp. gegen die Republik Argentinien verneint, womit Schäden eingeklagt werden sollten, die Schiffe der Klägerin durch argentinische Luftangriffe im Rahmen des Krieges um die Falkland-Inseln erlitten hatten.59 28 USC § 1605 (a) (2) verlangt außerdem, dass der Fall „caused a direct effect in the United States“, damit eine Klage zulässig ist. Bei Streitigkeiten aus internationalen Anleihen genügte es, dass dadurch der Status von New York als internationaler Finanzplatz gefestigt wurde.60 2.24 „Commercial activities“, für die keine Immunität besteht, definiert 28 USC § 1603 (d) als „either a regular course of commercial conduct or a particular commercial 54 H. Schack in Umweltschutz im Völkerrecht, 1992, 315, 323. 55 Vgl. Republic of Austria v Altmann, 124 S.Ct. 2240 (June 7, 2004); Shapiro v Rep. of Bolivia, 930 F.2d 1013 (2nd Cir. 1991); R. Esser, S. 25 ff.; B. Heß, Staatenimmunität, S. 79 ff.; Ipsen/Epping, § 26 Rz. 25. 56 Vgl. H. Fox, ICLQ 43 (1994), 193; R. Esser, S. 61 ff.; J. Jacob, Private International Litigation, 1988, S. 291 ff.; B. Heß, Staatenimmunität, S. 120 ff. 57 Rechtsvergleichender Überblick bei BVerfGE 64, 1, 24 ff. = NJW 1983, 2766; vgl. B. Heß, Staatenimmunität, S. 135 ff. 58 Vgl. M. Reimann, IPRax 1995, 123, 126. 59 488 U.S 428 (1988); Amerada Hess Shipping Corp. v Argentine Rep., 638 F.Supp. 73 (S.D. N.Y. 1986); dazu W. Webster, Hasting L.J. 39 (1988), 1109. 60 Weltover v Rep. of Argentina, 941 F.2d 145, 153 (2nd Cir. 1991).
48
I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.29 § 2
transaction or act. The commercial character of an activity shall be determined by reference to the nature of the course of conduct or particular transaction or act, rather than by reference to its purpose“.61 Der Vertrag eines Opernsängers mit einem Stadttheater ist danach kommerzieller Natur.62 Wird ein Staat aus Anlass einer wirtschaftlichen Aktivität verklagt, so trifft ihn die Beweislast, wenn er sich darauf beruft, in Wirklichkeit handele es sich um Folgen hoheitlicher Tätigkeit, für die er Immunität genieße.63
2.25
Der ausländische Staat kann sich aber der Gerichtsbarkeit unterwerfen und ausdrücklich oder durch Einlassung auf den Rechtsstreit auf seine Immunität verzichten.64 Der Beklagte kann sich in diesem Fall voll verteidigen und auch eine konnexe Widerklage erheben (Art. 1 II EuStImmÜ). Ferner besitzt der ausländische Staat als Grundstückseigentümer keine Immunität gegenüber rein dinglichen Klagen (Art. 9 EuStImmÜ).65 Der Verzicht muss freilich eindeutig erfolgen. Aus einer Einlassung des Staats als Verwalter eines Fremdvermögens folgt kein Verzicht für ein Verfahren gegen den Staat selbst.66
2.26
Aus der Unterwerfung unter ein Erkenntnisverfahren folgt freilich nicht, dass sich der Staat auch der Zwangsvollstreckung unterwirft (Art. 23 EuStImmÜ). Allerdings ist eine Vollstreckung in Wirtschaftsvermögen des Staats auch ohne eine derartige Unterwerfung zulässig.67
2.27
Anders als vor dem staatlichen Gericht besitzt der Staat vor dem Schiedsgericht keine Immunität, da diese nur gegenüber der Hoheitsgewalt eines anderen Staats besteht.68 Durch Abschluss eines Schiedsvertrags unterwirft sich der Staat auch dem Verfahren zur Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs, nicht aber der anschließenden Zwangsvollstreckung.69
2.28
Die Immunität hindert den ausländischen Staat nicht, selbst als Kläger aufzutreten. Mit seiner Klage unterwirft sich der Staat – soweit nötig – der Gerichtsbarkeit. Über eine solche Klage ist daher nach allgemeinen Regeln zu verhandeln und zu entschei-
2.29
61 Vgl. Federal Insurance Co v Richard Rubin, U.S Court of App., 3rd Civ., [1996] I.L. 434; Shapiro v Republic of Bolivia, 930 F. 2d. 1013 (2nd Cir. 1991). 62 Bybee v Oper der Stadt Bonn, [1997] ILPr 42. 63 Vgl. P.-F. Walter, RIW 1984, 9. 64 BGH, SchiedsVZ 2013, 110 (Rz. 13 ff.); OLG Schleswig, ZIP 2015, 1253, 1257 f.; H. Schack, IZVR Rz. 190 f.; R. Esser, S. 161 f. 65 Vgl. Verdross/Simma, § 1174. 66 Drexel Burnham Lambert Group Inc. v Committee of Receivers for A.W. Galadari, US Court of Appeals, 2nd Cir. [1994] ILPr 655. 67 BVerfGE 64, 1, 40 = NJW 1983, 2766; BVerfGE 46, 342, 388 = NJW 1978, 485; BVerfGE 117, 141 = NJW 2007, 2605; Verdross/Simma, § 1175. 68 J. Langkeit, Staatenimmunität und Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, 51 ff.; Ch. Berger, RIW 1989, 956. 69 BGH, SchiedsVZ 2013, 110, 111 (Rz. 14); J. Langkeit, S. 203 ff.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 4 Rz. 12.
49
§ 2 Rz. 2.29 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
den.70 Dies gilt auch für Widerklagen und selbständige Abwehrklagen (z.B. nach §§ 767, 771 ZPO).71 Zur Parteifähigkeit des Staats s. Rz. 5.37.
2.30 Jedoch kann der ausländische Staat auf die Rechtshilfe der Gerichte eines anderen Staats – vorbehaltlich abweichender staatsvertraglicher Regelung – nur zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche vertrauen; ausländische hoheitliche Ansprüche werden grds nicht durchgesetzt. Über die Abgrenzung sollte freilich nicht nach einer rein innerstaatlichen Qualifikation (lege fori), sondern nach den Bedürfnissen einer internationalen Kooperation entschieden werden.72 Unterhaltsregressansprüche öffentlicher Stellen sind deshalb stets klagbar.73 2.31 Ansprüche aus öffentlichen Anleihen, die ein ausländischer Staat direkt oder durch seine Zentralbank ausgegeben hat, gehören zu den wirtschaftlichen Staatsaktivitäten, so dass sich weder Staat noch Zentralbank auf eine Immunität berufen können.74 Auch eine bestehende Staatsinsolvenz hindert nicht die Rechtsverfolgung kraft völkerrechtlichen Notstands.75 Schadenersatzansprüche wegen gesetzlicher Eingriffe in Staatsanleihen sollen dagegen an der Staatsimmunität scheitern.76 4. Die Act of State-Doktrin
2.32 Schrifttum: M. Berentelg, Die Act of State-Doktrin als Zukunftsmodell für Deutschland?, 2010.
Mit der Immunität verwandt, aber nicht gleichzusetzen ist die in den common lawStaaten anerkannte Lehre, dass fremde Hoheitsakte zu beachten sind und die Gerichte eines Staats nicht über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von Hoheitsakten eines anderen Staats, sei es als Haupt- oder als Vorfrage entscheiden können, wenn dieser Hoheitsakt in Ausübung ausschließlicher Zuständigkeiten im öffentlichen Interesse ergangen ist.77 Mit der Act of State-Doktrin kann aber auf extraterritoriale 70 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 19 Rz. 17, 24; für England: J. Jacob, Private International Litigation, 1988, S. 309. 71 H. Schack, Rz. 191. 72 Vgl. A. Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, S. 147 ff.; G. Delaume, Sovereign Immunity and Public Debt, Int.Lawyer 23 (1989), 811; F. Mann, FS Kegel 1987, S. 365, 374 ff.; weitergehend: St. Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlicher Ansprüche im Inland, 1994; für freie Durchsetzung A. Dutta, Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006. 73 R. Frank, RabelsZ 34 (1970), 70; B. Brückner, Unterhaltsregress im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1994, S. 145 ff. 74 US Supreme Court, Rep. of Argentina and Banco Central v Weltover, Inc., 113 S.Ct. 1471 (1993); Vorinstanz: 941 F. 2d 145 (2nd Cir. 1991); dazu G. Delaume, AmJIntL 88 (1994), 257; R. Esser, S. 186, 201, 221, 237, 258; vgl. B. Krauskopf/Ch. Steven, WM 2000, 269. 75 LG Frankfurt, JZ 2003, 1010 m. Anm. A. Reinisch. 76 OLG Schleswig, ZIP 2015, 1253, 1255. 77 Vgl. Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398 (1964); Restatement of Foreign Relations Law (Third), 1987, § 443; K. Hailbronner in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 1997, 3. Abschn. Rz. 75; B. Heß, Staatenimmunität, S. 51 ff.; M. Holstein, Act of State, passim; B. Stern JDI 133 (2006), 63; M. Berentelg, S. 28 ff.; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, 291 ff.
50
I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.34 § 2
Wirkungen fremder Hoheitsakte, auch auf Enteignungen aus politischen Gründen oder auf schwere Menschenrechtsverletzungen nicht sinnvoll reagiert werden.78 Diese Doktrin muss daher ihre Grenzen am inländischen ordre public finden.79 Auch darf geprüft werden, ob der Akt dem Recht des erlassenden Staats entspricht.80 Die Act of State-Doktrin ist kein Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, die deutschen Gerichte haben sie nicht anerkannt.81 5. Die Immunität ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder, Staatsorgane Die Immunität des Staats erstreckt sich auf die Staatsoberhäupter. Sie genießen „funktionelle“ Immunität für ihr amtliches Handeln und als Person „persönliche“ Immunität.82 Sie sind damit im gleichen Umfang wie der Staat selbst von der Zivilgerichtsbarkeit befreit. Diese Immunität besteht für amtliches Handeln auch nach dem Ende der Amtszeit, auch für amtlich begangene Verbrechen.83 Persönliche Immunität bei offiziellen Reisen genießen auch die Familienangehörigen des Staatsoberhauptes, die es begleiten, sowie die Mitglieder seiner Suite.84 Die Immunität endet mit Ende der Amtszeit. Ab diesem Zeitpunkt kann das frühere Staatsoberhaupt wegen privater Handlungen auch rückwirkend verklagt werden.85 Für frühere Amtshandlungen besteht die Immunität nach bisher h.M. fort, doch hat das englische House of Lords dem ehemaligen chilenischen Präsidenten Pinochet die Immunität im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgesprochen.86
2.33
Die Immunität gilt nicht nur für den Staat selbst, sondern auch für seine Organe, durch die er gehandelt hat (Regierung, Minister, Beamte etc).87
2.34
Immunität genießen danach der Staat mit seinen Behörden, aber auch Zentralbanken,88 Behörden für Zivilluftfahrt, staatliche Presseorgane oder Kulturinstitute, jeweils soweit sie hoheitlich tätig sind, unabhängig davon, ob sie organisatorisch selbständig oder unselbständig auftreten.89
78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89
Vgl. R. Geimer, ZRVgl 5 (1992), 321, 333; M. Berentelg, S. 142 ff. M. Berentelg, S. 21. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 75 III 2 (S. 486). Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 75 III 4 (S. 490); vgl. A. Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 29 III, IV; Ipsen/Epping, § 7 Rz. 286; vgl. G. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002; Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002; G. Gornig, FS Rauschning, S. 457, 480. Vgl. Th. Rensmann, IPRax 1999, 268, 269; M. Lüke, S. 92 ff.; Ipsen/Epping, § 7 Rz. 286. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 29 III 2 (S. 253). Ipsen/Epping, § 7 Rz. 286; Stein/v. Buttlar/Kotzur, Rz. 725. House of Lords, ILM 1999, 581; vgl. Stein/v. Buttlar/Kotzur, Rz. 726 ff.; M. Lüke, S. 250 ff., 277 ff. BGH, NJW 1979, 1101 (Leiter von New Scotland Yard); M. Lüke, S. 103 ff. Vgl. B. Krauskopf/St. Stevens, WM 2000, 269; L. Gramlich, RabelsZ 1981, 545. BGH, RIW 2010, 72, 73 (Russisches Haus).
51
§ 2 Rz. 2.35 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
2.35 Nach dem Völkergewohnheitsrecht sind Regierungsmitglieder den Staatsoberhäuptern und Diplomaten nicht ohne weiteres gleichgestellt. Diplomatische Immunität genießt ein Regierungsmitglied nur, wenn es „als diplomatischer Vertreter seines Staats in besonderer Mission“ zu betrachten ist. Soweit Regierungsmitglieder ihre Staaten bei internationalen Organisationen und deren Sitzungen vertreten, ist ihnen i.d.R. vertraglich Immunität zugestanden. Aber auch außerhalb des Vertragsrechts besteht im Rahmen amtlicher Auslandsreisen dienstliche Immunität.90 Soweit sie sich auf amtliche Einladung in Deutschland aufhalten, genießen sie mit ihrer Begleitung Immunität nach § 20 I GVG.91 6. Die Immunität von Personen des öffentlichen Rechts und Staatsunternehmen
2.36 Ausländischen Staatsunternehmen und Staatshandelsgesellschaften wird i.d.R. keine Immunität gewährt, soweit sie nicht im konkreten Fall hoheitlich gehandelt haben.92 Es kommt also nicht darauf an, ob ein Staatsunternehmen rechtlich selbständig ist oder nicht, sondern nur, ob es als Organ des ausländischen Staats gehandelt hat und dieser für die Handlung Immunität genießen würde.93 2.37 Selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts, Provinzen, Gemeinden, Körperschaften und öffentliche Stiftungen genießen nach h.M. keine Immunität,94 zunehmend wird aber auf die Funktion abgestellt, die das Staatsunternehmen erfüllt.95 Dies gilt insb. für die Immunität von Zentralbanken.96 7. Wirkung der Immunität im Erkenntnisverfahren
2.38 Besondere Probleme ergeben sich hinsichtlich der Zustellung der Klage an einen ausländischen Staat, der Vertretung des ausländischen Staats im Verfahren, bei der Durchführung der Beweisaufnahme, bei der etwa erforderlichen Urteilsvollstreckung
90 Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 30 II 2; Ipsen/Epping, § 7 Rz. 287, § 27 Rz. 4. 91 Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 20 GVG Rz. 3, 5. 92 BVerfGE 64, 1, 23 ff. = NJW 1983, 2766; OLG Frankfurt, RIW 1982, 439; R. Esser, RIW 1984, 577; Ipsen/Epping, § 7 Rz. 284 ff.; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1684; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 97. 93 Kuwait Airways v Iraqi Airways, House of Lords, [1996] ILPr 339, 349 ff.; Verdross/Simma, § 1176; P. Herz, Die Immunität ausländischer Staatsunternehmen, 1996; R. Esser, S. 239 ff.; C.-P. Martens, S. 221 ff.; vgl. Dole Food Co. v. Patrickson, 538 U.S. 468. 94 Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 71 IV 3; B. Heß, Staatenimmunität, S. 70 ff. 95 H. Schack, Rz. 181 ff.; vgl. Kuwait Airways Corp. v Iraqi Airways Co., [1995] 1 W.L.R. 1147 = [1996] ILPr 339 [H.L.]; Th. Rensmann, IPRax 1998, 44; P. de Sena, Diritto internazionale e immunita funzionale degli organi statale, 1996; R. Esser, 164 ff., 258 f.; B. Heß, Staatenimmunität, S. 60 ff.; Soergel/Kronke, Anh. IV Art. 38 Rz. 8. 96 H. Schack, Rz. 185 ff.; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 98 f.; R. Esser, 170, 258 f.; B. Krauskopf/Ch. Steven, WM 2000, 269.
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I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.41 § 2
und schließlich beim einstweiligen Rechtsschutz, insb. beim dinglichen Arrest gegen Vermögen des ausländischen Staats.97 Es ergeben sich also Fragen, ob der fremde Staat Immunität genießt bzw. in welchem Umfang diese gegeben ist, ob gewisse Personen eine Exemtion, d.h. eine Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit, genießen, ob die Exterritorialität von Teilen des deutschen Staatsgebietes einer Klage im Wege stehen. Die Frage der Zuständigkeit eines deutschen Gerichts wird erst berührt, wenn die Gerichtsbarkeit gegeben ist, denn die internationale Zuständigkeit setzt die Gerichtsbarkeit voraus.98 a) Zustellung der Klage an den ausländischen Staat Eine Klage gegen einen ausländischen Staat ist dem nach seinem internen Recht zuständigen Organ auf dem in den § 183 ZPO vorgeschriebenen Weg zuzustellen. Vorrangig ist im Wege der internationalen Rechtshilfe nach der EuZustVO bzw. den einschlägigen Übereinkommen (Haager Übereinkommen von 1954 oder HZÜ 1965) zuzustellen. Wegen der Bedeutung der Sache ist i.d.R. auf diplomatischem Wege zuzustellen (§ 54 ZRHO). Die Justizverwaltung darf die Weiterleitung eines Zustellungsersuchens nicht mit der Begründung ablehnen, dem ausländischen Staat stehe Immunität zu. Denn hierüber entscheidet das Gericht; außerdem kann sich der ausländische Staat auf das Verfahren einlassen und auf seine Immunität verzichten. Diese Chance darf dem Kläger nicht von vornherein genommen werden.99 Weigert sich der beklagte Staat, die Zustellung entgegenzunehmen, kommt eine öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 3 und 4 ZPO in Betracht.100
2.39
Staatsvertraglich geregelt ist die Zustellung an ausländische Staaten nur in Art. 16 des Baseler Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität.101 Nach Art. 16 II ist das das Verfahren einleitende Schriftstück (in Deutschland: die Klageschrift oder der Mahnbescheid) in Urschrift oder Abschrift dem Außenministerium des beklagten Staats auf diplomatischem Weg zur Weiterleitung an die zuständige Behörde gemeinsam mit einer Übersetzung in eine Amtssprache des beklagten Staats zu übermitteln. Zwischen den Vertragsstaaten hat dieses Verfahren ausschließliche Geltung und Vorrang vor dem HZustÜ 1965.102
2.40
Nach Art. 16 III gilt die Zustellung als bewirkt mit Eingang beim Außenministerium des beklagten Staats. Art. 16 IV gewährt dem beklagten Staat eine Einlassungsfrist von mindestens zwei Monaten ab diesem Zeitpunkt. Das Gericht darf keine kürzere
2.41
97 Vgl. OLG Frankfurt, IPRax 1982, 71 (dazu R. Hausmann, S. 51); OLG Frankfurt, RIW 1981, 484 und IPRax 1983, 68 (dazu M. Albert, S. 55). Vgl. auch Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and their Property, adopted by International law Commission 1991, ILM 30 (1991), 1565 und Revised Draft Articles for a Convention on State Immunity, Report of the 66th Conference, ILA 1994, S. 22. 98 R. Hausmann, IPRax 1982, 52. 99 So zu Recht F. Mann, NJW 1990, 618. 100 OLG Köln, IPRax 1987, 223 (dazu H.-P. Mansel, S. 212); B. Heß, RIW 1989, 254 ff. 101 BGBl. 1990 II 35; Jayme/Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 142. 102 L.A.N.M. Barnhoorn, FS Voskuil, 1992, S. 1, 10.
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§ 2 Rz. 2.41 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
Einlassungsfrist bestimmen (Art. 16 V). Beteiligt sich der ausländische Staat am Verfahren, gilt die Zustellung als genehmigt (Art. 16 VI). Ein Versäumnisurteil darf gegen den Staat nur ergehen, wenn die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt und die Einlassungsfrist abgelaufen ist (Art. 16 VII).
2.42 Nach US-amerikanischem Recht ist einem ausländischen Staat, einer seiner politischen Untergliederungen, einer Behörde oder sonstigen Einrichtung eine Klage gem. 28 USC § 1608 und FRCP 4 (j) auf diplomatischem Weg zuzustellen. Die Zustellung an den Staat, ein staatliches Unternehmen oder eine andere staatliche Einrichtung gilt als erfolgt mit der Ablieferung einer Kopie der Ladung und der Klage an den jeweiligen „chief executive officer“ oder nach einer Zustellung entsprechend den Zustellungsregeln im Empfangsstaat. 2.43 Soweit die Zustellung nach den Haager Übereinkommen zu bewirken ist, darf sie nach HZPÜ 1954 (Art. 4) bzw. HZustÜ 1965 (Art. 13 I) abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Was unter Gefährdung der Hoheitsrechte und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines deutschen Landes zu verstehen ist, ist in der ZRHO beispielhaft aufgezählt. Es handelt sich dabei u.a. um Anträge auf Zustellung einer Klage, eines Zahlungsbescheides, einer Streitverkündung gegen die Bundesrepublik Deutschland oder gegen ein deutsches Land (§ 84 ZRHO). 2.44 Bei der Erkenntnis der Tatsache, dass die Staaten sich weitgehend am Wirtschaftsleben beteiligen und dass die Immunität daher durchlöchert ist, wird die deutsche Haltung in der ZRHO schwer verständlich. Es kann deshalb nicht erstaunen, wenn andere Staaten sich ähnlich verhalten. Besondere Schwierigkeiten tauchen immer wieder bei den ordnungsgemäßen Zustellungen auf. Das OLG Köln103 hat dazu entschieden: „Ist bei einer Klage gegen einen fremden Staat lediglich zweifelhaft, ob die Weiterleitung des Zustellungsersuchens durch das Auswärtige Amt erfolgen werde, so liegen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vor; es ist dem Kläger zuzumuten, zunächst zu klären, ob eine Auslandszustellung durchführbar ist.“ – Der Kläger verlangte von der UdSSR, vertreten durch die zuständige Behörde, 700 DM wegen Schäden an seiner Gartenanlage durch den Reaktorunfall des Kernkraftwerkes Tschernobyl. – Zunächst hatte der Kläger das Passivrubrum so gewählt, dass der Botschafter der UdSSR in Bonn als Vertreter der Beklagten benannt war. Der zuständige Landgerichtspräsident hatte die Weiterleitung des Gesuchs abgelehnt unter Bezugnahme auf einen Erlass des Justizministers. Nach Änderung des Rubrums meinte das OLG Köln, es sei noch zweifelhaft, ob nunmehr eine Weiterleitung des Gesuchs erfolgen werde. – UE wird deutschen Klägern schon von deutschen Gerichten und Behörden vieles zugemutet. Ein Kläger sollte vielmehr belehrt werden, dass mit einer Ausführung der Zustellung schon nach § 84 ZRHO kaum zu rechnen sei. Bei einer öffentlichen Zustellung müsse weiter damit gerechnet werden, dass aus einem Versäumnisurteil in dem fremden Staat nicht mit einer Vollstreckung gerechnet werden könne.104 103 OLG Köln, IPRax 1987, 233. 104 Vgl. hierzu G. Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 119; B. Heß, Zur Zustellung von Klagen gegen fremde Staaten, RIW 1989, 254.
54
I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.48 § 2
Die Folge davon ist es, dass eine ordnungsgemäße Zustellung nicht bewirkt werden kann. Sicher, es bleibt die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung gem. § 185 Nr. 3 ZPO. Bei dieser handelt es sich um eine Fiktion. Es fragt sich, ob der deutsche Richter unter solchen Umständen gegen die nicht erschienene Partei – einen fremden Staat – ein Versäumnisurteil erlassen wird. Zumindest wird er gem. § 139 ZPO alle diese Schwierigkeiten, auch die einer möglichen Vollstreckung aus einem dennoch ergehenden Versäumnisurteil, mit der klagenden Partei erörtern müssen. Liegt wirklich ein Fall der Immunität vor, so wird der Richter auf einen sachdienlichen Antrag hinwirken, der dahin geht, dass die Klage zurückgenommen wird. Ist die Immunität des beklagten Staats zweifelhaft, so muss ein Versäumnisurteil ergehen, falls das Gericht der Überzeugung ist, der Beklagte habe iure gestionis gehandelt. Dann bleibt nur der Weg über den Einspruch. Kommt dagegen das Gericht zu der Überzeugung, der Beklagte falle unter die Immunität, so muss es die Klage als unzulässig abweisen.
2.45
b) Tätigkeit des Gerichts Gegen einen Gerichtsbefreiten darf das Gericht nicht tätig werden. Zustellung der Klage, Terminsbestimmung105 oder schriftliches Vorverfahren sind danach unzulässig, wenn die Immunität nach Aktenlage zweifelsfrei besteht.106 Diese Wirkung der Immunität ist mit Art. 6 I EMRK vereinbar.107
2.46
In einer Zeit der eingeschränkten Immunität ist jeder Richter aber in Zweifelsfällen gehalten, bei Eingang einer Klage gegen einen Exterritorialen den Zivilprozess in Gang zu setzen.108 Er muss also entweder gem. § 275 ZPO einen frühen ersten Termin anberaumen oder ein schriftliches Vorverfahren gem. § 276 ZPO einleiten. Auch über das Bestehen oder Nichtbestehen von Immunität kann nur im ordentlichen Verfahren entschieden werden.
2.47
c) Entscheidung unter Verstoß gegen Immunität Übersieht das Gericht die Immunität, so liegt ein „error in procedendo“ und damit eine Verletzung des Rechts vor. Ein Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 223 ZPO bietet sich schon deswegen an, weil der Beklagte ohne sein Verschulden eine Frist versäumt hat, denn er brauchte sich als nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegend gar nicht auf ein Verfahren einzulassen. Macht der Beklagte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, so mag in solchen Ausnahmefällen ein völkerrechtswidriges Urteil hingenommen werden. Man mag dann von einer Wir105 So OLG Hamburg, MDR 1953, 109. 106 So E. Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, S. 360; Soergel/Kronke, Anh. IV Art. 38 Rz. 13; O. Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, 1958, S. 161, geht von einer Prozesswirksamkeitsvoraussetzung aus, deren Mangel zu einer Abweisung „a limine“ führe; Wieczorek/Schütze/Schreiber, § 18 GVG Rz. 5. 107 Holland v Lampen-Wolte, [2001] ILPr 773, 778 (H. L.). 108 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 19 Rz. 14; a.A. lediglich für formlose Terminsmitteilung und abgesonderte Verhandlung in Zweifelsfällen H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 3.6.
55
2.48
§ 2 Rz. 2.48 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
kungslosigkeit des Urteils sprechen.109 Besser sollte von einem fehlerhaften Urteil die Rede sein.110 Dasselbe gilt für Entscheidungen gegenüber Staatsoberhäuptern, ihren Familienmitgliedern und Bediensteten.
2.49 Eine Sachentscheidung, die unter Verstoß gegen eine objektiv bestehende Immunität erlassen wird, ist nichtig und wirkungslos;111 dies gilt auch für Entscheidungen, die günstig für den Gerichtsbefreiten sind.112 Gegen das Urteil kann aber Rechtsmittel eingelegt werden. Bejaht das Gericht die Gerichtsbarkeit durch rechtskräftig gewordenes Zwischenurteil gem. § 280 ZPO, so sind die Gerichte daran nicht gebunden.113 Eine ausländische Entscheidung unter Verstoß gegen eine Immunität wird im Inland nicht anerkannt (s. Rz. 12.163). 8. Fehlende Klagbarkeit kraft Besatzungsrechts
2.50 Nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts durch den Moskauer Vertrag v. 12.9.1990 gibt es nur noch wenige Beschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit. Eine Fortwirkung des Überleitungsvertrags i.d.F. v. 23.10.1954114 wird etwa weiterhin hinsichtlich von den Alliierten beschlagnahmten deutschen Vermögens angenommen,115 nicht aber für Ansprüche von Zwangsarbeitern.116 9. Arrestverfahren und Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten
2.51 Die Frage wurde akut, als auf Antrag amerikanischer Gläubiger Bankguthaben eines iranischen Staatsunternehmens mit Arrest belegt wurden. Das OLG Frankfurt hatte zu prüfen, ob dieses sich auf die Immunität berufen konnte.117 Es führte im Beschluss v. 11.5.1981118 u.a. aus, die Frage, ob einem fremden Staat Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit zu gewähren sei, sei getrennt für das Erkenntnisverfahren und das Zwangsvollstreckungsverfahren zu beantworten. 2.52 Für das Zwangsvollstreckungsverfahren bestehe eine allgemeine Regel des Völkerrechts dahin, dass gegen einen fremden Staat aus einem Vollstreckungstitel, der über ein nicht hoheitliches Verhalten dieses Staats ergangen ist, in der Bundesrepublik 109 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 19 Rz. 15, § 62 Rz. 23. 110 W. Habscheid, FamRZ 1972, 214. 111 BGHZ 182, 10, 16 (Rz. 20) = NJW 2009, 3164; Kegel/Schurig, IPR, § 22 I (S. 894); Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Hunke, Einf. §§ 18–20 GVG Rz. 2; Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 18 GVG Rz. 5. 112 Wieczorek/Schütze/Schreiber, § 18 GVG Rz. 10. 113 BGHZ 182, 10, 16 (Rz. 20) = NJW 2009, 3164. 114 BGBl. 1955 II, 405. 115 Vgl. OLG Köln, VIZ 1998, 213; BVerfG, IPRax 1998, 482; dazu B. Fassbender, NJW 1999, 1445. 116 Vgl. LG Stuttgart, IPRax 2001, 240 (dazu P. Oberhammer/A. Reinisch, S. 211); s. Rz. 2.17 f. 117 OLG Frankfurt, IPRax 1982, 71; OLG Frankfurt, RIW/AWD 1981, 484; OLG Frankfurt, IPRax 1983, 68. 118 OLG Frankfurt, RIW/AWD 1981, 484 = NJW 1981, 2650.
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I. Die Staatsimmunität | Rz. 2.55 § 2
Deutschland in dort befindliche Gegenstände dieses Staats nicht vollstreckt werden darf, soweit diese im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahmen hoheitlichen Zwecken des fremden Staats dienen119 (s. Rz. 19.25 ff.). Dient das Vermögen dagegen nicht hoheitlichen Zwecken, so steht es dem Vollstreckungszugriff offen.120 Die Abgrenzung von hoheitlichen und nichthoheitlichen Zwecken ist nach der Rechtsordnung des Gerichtsstaats vorzunehmen.121 10. Die Immunität von Staatsschiffen Kriegs- und Staatsschiffe, ausländische Streitkräfte, Militärflugzeuge etc sind, soweit sie sich im Hoheitsgebiet eines anderen Staats aufhalten, nicht exterritorial, also nicht Teil des ausländischen Staatsgebiets, sondern nehmen lediglich an der Immunität des ausländischen Staats teil.122 Befinden sich Staatsschiffe fremder Staaten in den Häfen oder Küstengewässern der Bundesrepublik Deutschland, so kann diese keine amtlichen Handlungen auf ihnen vornehmen. Zustellungen und Ladungen können also ohne Zustimmung des Kapitäns nicht bewirkt werden. Arreste, Beschlagnahmen, Durchsuchungen, Zwangsversteigerungen dürfen nicht vorgenommen werden. Die Art. 95, 96 UN-Seerechtsübereinkommen 1982 regeln nur die Immunität von Kriegsschiffen oder anderen im Staatsdienst (nicht für Handelszwecke) genutzten Schiffen auf Hoher See.
2.53
Diese Grundsätze waren bereits in dem am 10.4.1926 in Brüssel unterzeichneten Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität von Staatsschiffen enthalten.123 Vertragsstaaten waren damals das Deutsche Reich, Belgien, Brasilien, Dänemark, Island, Spanien, Estland, Frankreich, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, Indien, Ungarn, Italien, Japan, Lettland, Mexiko, Norwegen, die Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Schweden.124
2.54
Nach Art. 1 UN-Seerechtsübereinkommen werden die einem Staate gehörenden oder von ihm verwendeten Schiffe grds den gleichen Regeln über die Verantwortlichkeit und den gleichen Verbindlichkeiten wie private Schiffe, Ladungen und Schifffahrtsunternehmungen unterworfen. Ebenso wird nach Art. 2 grds die gleiche Zuständigkeit der Gerichte und der gerichtlichen Verfahren wie für die einer Privatperson gehörenden Handelsschiffe oder wie bei privaten Ladungen bejaht. Nach Art. 3 sind hiervon jedoch ausgenommen: Kriegsschiffe, Staatsjachten, Schiffe des Überwachungsdienstes, Hospitalschiffe, Hilfsschiffe, Proviantschiffe und andere Fahrzeuge, die einem Staate gehören oder von ihm verwendet werden und die zur Zeit des
2.55
119 BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485 ff.; BVerfGE 117, 141, 153 ff. = NJW 2007, 2605 (Vollstreckung in Botschaftskonten); BVerfG, NJW 2012, 293, 295. 120 BGH, WM 2008, 2302. 121 BVerfG, NJW 2012, 293, 295. 122 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 74 II, III; Verdross/Simma, § 1027; E. Menzel, Die Immunität der Staatsschiffe, 1961; H. Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, 2007, § 21 (S. 1160). 123 RGBl. 1927 II, 484; vgl. B. Heß, Staatenimmunität, S. 206 ff. 124 Vgl. G. Hoog, Probleme der Immunität von Staatsschiffen, AVR 20 (1982), 314.
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§ 2 Rz. 2.55 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
Entstehens der Forderung ausschließlich für einen staatlichen Dienst und nicht für Handelszwecke bestimmt sind und verwendet werden. Es heißt ausdrücklich: „diese Schiffe werden nicht zum Gegenstand einer Beschlagnahme, Arrestierung oder Zurückbehaltung durch irgendeine gerichtliche Maßregel gemacht und unterliegen keinem gerichtlichen Verfahren „in rem“.“
2.56 Nach Art. 3 § 1 II können die Beteiligten aber gewisse Ansprüche bei den zuständigen Gerichten des Staats, dem das Schiff gehört oder der es verwendet, geltend machen, ohne dass dieser Staat sich auf eine Immunität berufen kann. Dabei handelt es sich um folgende Ansprüche: „1. Ansprüche aus Anlass von Schiffszusammenstößen oder anderen Schifffahrtsunfällen, 2. Ansprüche aus Anlass von Hilfeleistung und Bergung in Seenot oder großer Havarie, 3. Ansprüche aus Anlass von Ausbesserungen, Lieferungen oder anderen das Schiff betreffenden Verträgen.“ Nach Art. 3 § 2 finden die gleichen Regeln Anwendung auf Ladungen, die einem Staat gehören und an Bord der genannten Schiffe befördert werden. Nach Art. 3 § 3 sind auch Ladungen, die einem Staat gehören und an Bord von Privatschiffen für staatliche und nicht für Handelszwecke befördert werden, nicht Gegenstand einer Beschlagnahme, Arrestierung oder Zurückbehaltung durch irgendeine gerichtliche Maßnahme und unterliegen keinem gerichtlichen Verfahren „in rem“. Wegen der in Art. 3 § 1 II aufgezählten Ansprüche gelten wiederum Ausnahmen.
2.57 In dem am 24.5.1934 in Brüssel unterzeichneten Zusatzprotokoll125 zu dem internationalen Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität von Staatsschiffen von 1926126 sind gewisse Begriffsbestimmungen festgelegt worden. Abraham meint, das Abkommen von 1926 beschränke im Hinblick auf den Kredit staatlicher Handelsschiffe und staatlicher Ladungen deren Immunität gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen.127 Colombos128 wies zu Recht darauf hin, dass das Brüsseler Abkommen von 1926/1934 die gefährliche Möglichkeit einer in der Praxis unterschiedlichen Auslegung in sich birgt, weil die von einem diplomatischen Vertreter des betreffenden Staats ausgestellte Bescheinigung den Beweis über die Art des Dienstes, für den das Schiff bestimmt ist, erbringt.
2.58 Der auf der Genfer Seerechtskonferenz im Jahre 1958 angenommene Grundsatz, dass die einem Staat gehörenden oder von ihm betriebenen und nur nichtgewerb125 126 127 128
58
RGBl. 1936 II, 303. RGBl. 1927 II 183. G. Schaps/H.J. Abraham, Das Seerecht in der BRD, 1. Teil 1978, 42. C. J. Colombos, Internationales Seerecht, 1963, S. 221.
II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln | Rz. 2.61 § 2
lichen Regierungszwecken dienenden Schiffe die volle Immunität von der Gerichtsbarkeit aller anderen als ihres Flaggenstaats haben, enthält insofern eine Weiterentwicklung des Brüsseler Abkommens von 1926/1934, als er auch für Staaten gilt, die nicht Vertragsstaaten der Brüsseler Abkommen sind. Soweit Seeschiffe mehr wirtschaftlichen Zwecken dienen, müssen die subjektiven Anwendungsgrenzen des Brüsseler Übereinkommens v. 10.5.1952 über den Arrest von Seeschiffen129 berücksichtigt werden.130 Für Handelsschiffe können keine Immunitäten beansprucht werden. Gleichwohl ist zweifelhaft, inwieweit sie der Jurisdiktion des jeweiligen Küstenstaats unterliegen.131
II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln 1. Schrifttum C. Barker, The abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, 1996; W. Bolewski, Les privilèges diplomatiques dans la pratique, Rev.dr.int. dr. comp 2005, 295; J. Brown, Diplomatic Immunity; State Practice under the Vienna Convention, ICLQ 37 (1988), 53; E. Denza, Diplomatic Law, 4th ed. 2016; G. Hecker/G. Müller-Chorus/Th. Bachmann, Handbuch der konsularischen Praxis, 2005; H. Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, 2007 (§§ 11–16); D. Leipold, Immunität vs. Rechtsschutzgarantie, FS G. Lüke, 1997, S. 353; Ch. Lewis, State and Diplomatic Immunity, 3rd ed. 1990; G. McClanahan, Diplomatic Immunity, 1989; C. Esposito Massicci/F. Garcimartin Alférez, Grundrechte und Immunität der Angehörigen ausländischer diplomatischer Missionen, IPRax 1997, 129; St. Nahlik, Development of Diplomatic Law, RdC 1990 III, 187; M. Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Aufl. 2010; U. Seidenberger, Die diplomatischen und konsularischen Immunitäten und Privilegien, 1994.
2.59
2. Die Immunität von Mitgliedern der diplomatischen Missionen
2.60
§ 18 GVG lautet: „Die Mitglieder der im Geltungsbereich dieses Gesetzes errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten sind nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen v 18.4.1961 (BGBl. 1964 II, 957 ff) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Das gilt auch, wenn ihr Entsendestaat nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist; in diesem Falle findet Art. 2 des Gesetzes v 6.8.1964 zu dem Wiener Übereinkommen v 18.4.1961 über diplomatische Beziehungen (BGBl. 1964 II, 957) entsprechende Anwendung.“ Zum Verständnis des § 18 GVG muss also das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v 18.4.1961 herangezogen werden. In diesem Überein129 BGBl. 1972 II, 653. 130 K. Kerameus, FS Nagel, 1987, S. 133. 131 Vgl. H. Yang, Jurisdiction of the Costal State over Foreign Merchant Chips in International Waters and the Territorial Sea, 2006.
59
2.61
§ 2 Rz. 2.61 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
kommen wird an verschiedenen Stellen von der Immunität von der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Empfangsstaats gesprochen. Immunität bedeutet nicht, dass der Diplomat exterritorial oder nicht den allgemeinen Rechtsregeln unterworfen wäre, sondern nur Freistellung von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats, primär wegen seiner Amtstätigkeit (funktionelle Immunität). Zur Amtstätigkeit gehört auch die Anmietung einer privaten Wohnung für sich und seine Familie.132 Als Repräsentant seines Staats genießt der Diplomat insoweit auch persönliche Immunität. Der Diplomat darf nicht gegen seinen Willen verklagt oder sonst in ein Verfahren verwickelt werden. Das schließt auch Verfahren in Familiensachen, Betreuungssachen oder Insolvenzverfahren ein.133 Er braucht daher auch nicht als Zeuge (Art. 31 II WÜD) oder Sachverständiger auszusagen, kann aber dazu (ohne Ladung) aufgefordert werden.134 Zwangsmaßnahmen jeder Art, auch Arreste und einstweilige Verfügungen sind mit der Immunität unvereinbar.135 Diese Vorrechte bestehen ab der Einreise in den Empfangsstaat bis zur Ausreise (Art. 39 WÜD). Die Immunität besteht aber nur für den Diplomaten und die mit geschützten Personen, nicht für eine Haftpflichtversicherung, bei der die Dienstfahrzeuge versichert sind.136 Ist der Diplomat ausnahmsweise ein Staatsangehöriger des Entsendestaates, genießt er dort nach Art. 38 I WÜD nur Amtsimmunität.
2.62 Die zivilgerichtliche Immunität der Diplomaten kennt nach Art. 31 I 2 WÜD drei Ausnahmen. Zulässig sind danach: „a) dingliche Klagen in Bezug auf privates, im Hoheitsgebiet des Empfangsstaats gelegenes unbewegliches Vermögen, es sei denn, dass der Diplomat dieses im Auftrag des Entsendestaates für die Zwecke der Mission in Besitz hat; b) Klagen in Nachlasssachen, in denen der Diplomat als Testamentsvollstrecker, Verwalter, Erbe oder Vermächtnisnehmer in privater Eigenschaft und nicht als Vertreter des Entsendestaats beteiligt ist; c) Klagen im Zusammenhang mit einem freien Beruf oder einer gewerblichen Tätigkeit, die der Diplomat im Empfangsstaat neben seiner amtlichen Tätigkeit ausübt“. Die erste Ausnahme betrifft Klagen „in rem“, keine persönlichen Ansprüche.137 Soweit der Diplomat auf dem Grundstück wohnt, hat er es aber im Auftrag des Entsendestaates in Besitz, so dass die Ausnahme nicht greift.138 Die zweite Ausnahme greift nur, wenn der Diplomat als Privatperson betroffen ist, nicht aber wenn er als Vertreter seines Staates agiert.139 Die letzte Ausnahme steht in einem gewissen Wider132 M. Richtsteig, Art. 31 WÜD Anm. 2 a bb; E. Denza, Art. 31.1 (p. 243 ff.). 133 E. Denza, Art. 31.1 (p. 235). 134 Verdross/Simma, § 903; E. Denza, Art. 31.2 (p. 260 ff.); Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 377 Rz. 10. 135 Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 35 I 4. 136 E. Denza, Art. 31.1 (p. 236 ff.). 137 Vgl. E. Denza, Art. 31.1 (p. 240 ff.). 138 E. Denza, Art. 31.1 (p. 243 ff.). 139 E. Denza, Art. 31.1 (p. 248).
60
II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln | Rz. 2.66 § 2
spruch zu Art. 42, wonach ein Diplomat im Empfangsstaat keinen freien Beruf und keine gewerbliche Tätigkeit, die auf persönlichen Gewinn gerichtet ist, ausüben darf. Betroffen sind nicht einzelne Geschäfte, sondern eine ständige Tätigkeit. Unter lit. c sollen etwa häufiges Spekulieren an der Börse, aber auch private Investitionen (mit laufenden Einkünften) fallen.140 Soweit danach keine Immunität besteht, sind gegen den Diplomaten auch Vollstreckungsmaßnahmen zulässig, vorausgesetzt sie berühren nicht die Unverletzlichkeit der Person oder seiner Wohnung (Art. 31 III WÜD). Zulässig ist somit etwa die Pfändung eines Bankkontos oder die Pfändung eines vor dem Haus geparkten privaten Pkw.141
2.63
Begünstigte der diplomatischen Immunität. Nach Art. 37 I WÜD genießen die zum Haushalt eines Diplomaten gehörenden Familienmitglieder die gleiche Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit. Es wird allerdings eine Ausnahme gemacht: die Familienmitglieder des Diplomaten dürfen nicht die Staatsangehörigkeit des Entsendestaates besitzen, in Deutschland also nicht deutsche Staatsangehörige sein. Zu den Familienmitgliedern zählen (nach der deutschen Praxis) Ehegatten, Lebenspartner, minderjährige unverheiratete Kinder und volljährige, nicht verheiratete Kinder, sofern sie von den Eltern wirtschaftlich abhängig sind und das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.142 Auch Enkelkinder und abhängige Elternteile können zur Familie gehören.143 Soweit Familienmitglieder im Entsendestaat einer Erwerbstätigkeit nachgehen, besteht nach dem Sinn des Art. 31 I lit. c WÜD keine Immunität.144
2.64
Nach Art. 37 II genießen die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Mission und die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaats noch in demselben ständig ansässig sind, die Immunität für Handlungen, die sie in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommen haben – die sog. Amtsexemtion.145 Dieselbe Amts-Exemtion genießen die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals der Mission, die weder Angehörige des Empfangsstaats noch in demselben ständig ansässig sind (Art. 37 III). Nach Art. 38 I genießen Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaats oder in demselben ständig ansässig sind, ebenfalls nur eine Amtsexemtion.146
2.65
Private Hausangestellte von Mitgliedern der Mission genießen grds überhaupt keine Exemtion. Eine solche und deren Umfang muss der Empfangsstaat besonders zugelassen haben (Art. 37 IV WÜD).
2.66
140 141 142 143 144 145 146
M. Richtsteig, Art. 31 WÜD Anm. 2a cc, 5; E. Denza, Art. 31.1 (p. 251 ff.). M. Richtsteig, Art. 31 WÜD Anm. 2c. M. Richtsteig, Art. 37 WÜD Anm. 2, 3a, 4. Vgl. E. Denza, Art. 37.1 (p. 320 ff.). E. Denza, Art. 37.1 (p. 324 ff.). Ipsen/Heintze, § 25 Rz. 32; E. Denza, Art. 37.2-4 (p. 333 f.). Vgl. Ipsen/Heintze, § 25 Rz. 28.
61
§ 2 Rz. 2.67 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
2.67 Art. 40 WÜD gewährt (im Dienst) durchreisenden, in Drittstaaten akkreditierten Diplomaten, ihren Familienmitgliedern und dem Personal dieselben Befreiungen wie zu Rz. 2.60 f. ausgeführt ist.147 Dies gilt auch für diplomatische Kuriere im Durchreiseverkehr (Art. 40 III, 27 V, VI WÜD).
2.68 Die Immunität hindert die betreffenden Personen nicht, ihrerseits Klagen vor den Gerichten des Empfangsstaats zu erheben, und zwar ohne Zustimmung des Entsendestaats.148 In diesen Fällen können sie sich allerdings nicht auf die Immunität von dessen Gerichtsbarkeit berufen, wenn die beklagte Partei eine Widerklage, die mit der Hauptklage in unmittelbarem Zusammenhang steht, erhebt (Art. 32 III WÜD). Das Übereinkommen unterstellt also für diese Fälle einen Immunitätsverzicht des Entsendestaates.149 2.69 Der Entsendestaat kann auch sonst auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats verzichten. Ein solcher Verzicht muss jedoch ausdrücklich erklärt werden. Ist er aber erklärt, ist er für das Verfahren unwiderruflich.150 Er gilt nicht zugleich als Verzicht auf die Immunität von der Urteilsvollstreckung. Hierfür wird ein besonderer Verzicht des Entsendestaats gefordert (Art. 32 I, II, IV WÜD). Die geschützte Person kann also durch rügelose Einlassung nicht auf die Immunität verzichten. 2.70 Die Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats befreit die betreffenden Personen nicht von der Gerichtsbarkeit des Entsendestaats (Art. 31 IV WÜD).151 Diese Vorschrift entspricht § 15 ZPO, wonach Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, sowie die im Ausland beschäftigten deutschen Angehörigen des öffentlichen Dienstes den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes behalten. Wenn sie einen solchen Wohnsitz nicht hatten, haben sie ihren allgemeinen Gerichtsstand am Sitz der Bundesregierung. Danach können also alle unter die Exemtion von der deutschen Gerichtsbarkeit fallenden Personen in ihren Heimatländern verklagt werden.152 2.71 Durch das Europäische Übereinkommen über die Staatenimmunität scheint in die persönlichen Exemtionen der Diplomaten Bewegung zu kommen. Der OGH von Österreich hat die Immunität der Vereinigten Staaten verneint, als es um den Schaden ging, der aus einem Verkehrsunfall anlässlich einer Dienstfahrt einer US-Botschaft entstanden war.153 147 Vgl. E. Denza, Art. 40 (p. 367 ff.). 148 BGHZ 189, 87 = FamRZ 2011, 788 (P. Gottwald) = JR 2012, 119 (M. Brunner); Vorinstanz: KG, FamRZ 2010, 1589 (Scheidungsklage eines deutschen Diplomaten in Albanien); vgl. auch E. Denza, Art. 32 (p. 281 f.). 149 M. Richtsteig, Art. 32 WÜD Anm. 2. 150 E. Denza, Art. 32 (p. 278). 151 Vgl. E. Denza, Art. 31.4 (p. 266 ff.). 152 Vgl. D. Leipold, FS G. Lüke, S. 353, 360 ff. 153 Zustimmend R. Geimer, IZPR, Rz. 586.
62
II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln | Rz. 2.74 § 2
Die Mitglieder von ständigen diplomatischen Vertretungen bei solchen Organisationen, Mitglieder von Delegationen zu einem Organ oder zu einer Konferenz der Organisation genießen Vorrechte und Immunitäten wie die bei einem Staat akkreditierten Diplomaten.154 Zusätzlich ist nach Völkergewohnheitsrecht die Immunität von diplomatischen Mitgliedern von Spezialmissionen, die mit dem Empfangsstaat vereinbart sind, anzuerkennen.155 Die UN-Konvention über Spezialmissionen v 16.12.1969 ist von Deutschland jedoch nicht ratifiziert worden.
2.72
3. Die Unverletzlichkeit des Gesandtschaftsgebäudes Im Interesse eines geordneten und guten diplomatischen Verkehrs zwischen den Staaten sind die Räume der diplomatischen Missionen sowie die (Privat-)Wohnungen der Diplomaten (Art. 30 WÜD) mit allen dazu gehörenden Einrichtungen unverletzlich (Art. 22 I WÜD), d.h. vor dem Zugriff der Behörden des Empfangsstaats geschützt. Sie werden freilich nicht so behandelt, als wären sie exterritorial, lägen also quasi außerhalb des Empfangsstaats. Die Unverletzlichkeit schließt Vollstreckungsakte gegen oder in den geschützten Räumen aus, deren Durchsuchung und die Durchsuchung der darin befindlichen Personen (Art. 22 III WÜD). Unzulässig ist die Zustellung von Ladungen oder von Urteilen außerhalb des diplomatischen Verkehrs.156
2.73
In dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen hat man sich gem. Art. 22157 auf folgenden Begriff der Exterritorialität, sofern man noch von einer solchen sprechen will, geeinigt:
2.74
„(1) Die Räumlichkeiten der Mission sind unverletzlich. Vertreter des Empfangsstaats dürfen sie nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten. (2) ... (3) Die Räumlichkeiten der Mission, ihre Einrichtung und die sonstigen darin befindlichen Gegenstände sowie die Beförderungsmittel der Mission genießen Immunität von jeder Durchsuchung, Beschlagnahme, Pfändung und Vollstreckung.“ Nach Art. 24 WÜD sind die Archive und Schriftstücke der Mission jederzeit unverletzlich, wo immer sie sich befinden. Ebenso ist die amtliche Korrespondenz der Mission unverletzlich (Art. 27 II WÜD). Das diplomatische Kuriergepäck darf nicht geöffnet und zurückgehalten werden (Art. 27 III WÜD). Art. 30 WÜD betrifft die Privatwohnungen der Diplomaten. Diese werden ebenso geschützt wie die Räumlichkeiten der Mission. Papiere, Korrespondenz und Vermögen der Diplomaten sind ebenfalls unverletzlich.
154 155 156 157
Verdross/Simma, § 939. Ipsen/Heintze, § 27 Rz. 1 ff.; zum Fall Tabatabai vgl. BGHSt 32, 275 = NJW 1984, 2048. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 38 I 3, II 2; Verdross/Simma, § 895. BGBl. 1964 II, 971.
63
§ 2 Rz. 2.75 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
4. Die Immunität von Mitgliedern der konsularischen Vertretungen
2.75 § 19 GVG lautet: „Die Mitglieder der im Geltungsbereich dieses Gesetzes errichteten konsularischen Vertretungen einschließlich der Wahlkonsularbeamten sind nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl. 1969 II, 1585) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Dies gilt auch, wenn ihr Entsendestaat nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist; in diesem Falle findet Art. 2 des Gesetzes vom 26.8.1969 zu dem Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen entsprechende Anwendung. Besondere völkerrechtliche Vereinbarungen über die Befreiung der in Abs. 1 genannten Personen von der deutschen Gerichtsbarkeit bleiben unberührt.“
2.76 Die Einzelheiten ergeben sich aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen. Nach Art. 43 I WÜK unterliegen Konsularbeamte und Bedienstete des Verwaltungsoder technischen Personals wegen Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, weder der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats noch Eingriffen seiner Verwaltungsbehörden. Bei Zivilklagen werden zwei Ausnahmen gemacht: a) wenn diese aus einem Vertrag entstehen, den ein Konsularbeamter oder Bediensteter des Verwaltungs- oder technischen Personals geschlossen hat, ohne dabei ausdrücklich oder sonst erkennbar im Auftrag des Entsendestaats zu handeln; b) wenn diese von einem Dritten wegen eines Schadens angestrengt werden, der aus einem im Empfangsstaat durch ein Land-, Wasser- oder Luftfahrzeug verursachten Unfall entstanden ist (Art. 43 II WÜK). Im Gegensatz zu den Diplomaten genießen Konsuln nur Amtsimmunität,158 keine persönliche Immunität.159 Die Familienmitglieder der Konsularbeamten unterliegen anders als bei Diplomaten voll der inländischen Gerichtsbarkeit.160
2.77 Der Konsul untersteht grds der Jurisdiktion des Aufenthaltsstaats. Er hat daher einer Ladung als Zeuge Folge zu leisten, auszusagen und muss sich vereidigen lassen (Art. 44 I WÜK).161 Bei der Vernehmung sind jedoch die Bedürfnisse des konsularischen Dienstes zu berücksichtigen (Art. 44 II WÜK). Zeugnis über Angelegenheiten, die mit der Wahrnehmung ihrer amtlichen Aufgaben zusammenhängen, brauchen Mitglieder einer konsularischen Vertretung nicht zu geben; diesbezügliche amtliche Korrespondenzen und Schriftstücke brauchen sie nicht vorzulegen. Sie sind auch berechtigt, die Aussage als Sachverständige über das Recht des Entsendestaats zu verweigern (Art. 44 III WÜK). 158 159 160 161
64
Vgl. LG Hamburg, NJW 1986, 3034; M. Lüke, S. 88 ff. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 44 II 1; Schack, Rz. 162. Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 19 GVG Rz. 4. Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 377 Rz. 13 ff.
II. Die Immunität von Diplomaten und Konsuln | Rz. 2.83 § 2
Hinsichtlich der Widerklage und des Verzichts auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats gilt das Gleiche wie unter Rz. 2.63 ausgeführt worden ist (Art. 45 I, II, III, IV WÜK).
2.78
Nach Art. 58 WÜK gilt für Wahlkonsulatsbeamte dasselbe, was für gewöhnliche Konsularbeamte (Rz. 2.76 ff.) ausgeführt worden ist. Werden konsularische Aufgaben durch eine diplomatische Mission wahrgenommen, so bleibt es bei den diplomatischen Vorrechten (Art. 70 IV WÜK).
2.79
Zu einer Reihe von Staaten bestehen besondere Konsularverträge,162 die durch das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen nicht berührt werden, gegenwärtig aber keine weiterreichenden Immunitäten als nach dem WÜK vorsehen.163
2.80
Nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen sind die konsularischen Räumlichkeiten, die konsularischen Archive und Schriftstücke unverletzlich (Art. 31 und 33).164
2.81
5. Wirkungen der Immunität Soweit Diplomaten und Konsuln Immunität genießen, ist eine Klage gegen sie im Empfangsstaat unzulässig.165 Von der generellen Immunität gibt es aber Ausnahmen, und zwar gem. Art. 31 I des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (s. Rz. 2.62). Selbst in diesen wenigen Ausnahmefällen bereitet eine Klage vor einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland große Schwierigkeiten, da die das Verfahren einleitende Ladung und andere Zustellungen nicht in den Räumlichkeiten der diplomatischen Mission bewirkt werden können. Es bleibt nur die Möglichkeit über eine Zustellung im Wege der internationalen Rechtshilfe oder eine öffentliche Zustellung, sofern die erste Alternative versagt.166
2.82
Soweit sich privates unbewegliches Vermögen des geschützten Personals oder bei Klagen in Nachlasssachen bewegliches oder unbewegliches Vermögen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befindet, haben Klagen vor einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland durchaus Aussicht auf Erfolg, weil auch die Vollstreckung gewährleistet erscheint. Als Folge der weitreichenden persönlichen Exemtion der Diplomaten und der diesen gleichgestellten Personen sind dingliche Klagen nur in beschränktem Ausmaß zulässig. Mit Urteil v. 31.1.1969167 entschied der BGH, dass der Klage gegen den Entsendestaat auf Einwilligung in die Berichtigung des Grundbuchs eine Immunität nicht 162 163 164 165
Vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Hunke, § 19 GVG Rz. 5. Vgl. H. G. Steinmann, MDR 1965, 706, 708. BGBl. 1969 II, 1595. Die prozessualen Konsequenzen im Detail richten sich aber nach der jeweiligen lex fori, E. Denza, Art. 31.1 (p. 255). 166 Vgl. B. Heß, RIW 1989, 254. 167 BGH, MDR 1970, 222.
65
2.83
§ 2 Rz. 2.83 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
entgegenstehe. Der Antrag auf Grundbuchberichtigung und ein Zahlungsantrag (Nutzungsentschädigung) beeinträchtige nicht dessen diplomatischen Funktionen. Aus dieser Entscheidung folgt, dass Klagen gegen einen fremden Staat in weiterem Maße zulässig sind als gegen seinen Diplomaten.
Diese Tatsache wird auch den Gegebenheiten gerecht, denn die Diplomaten handeln gewöhnlich als Vertreter ihres Entsendestaats. Soweit sie Verhandlungen über Grundstücke führen oder solche abschließen, ist Partei des entsprechenden Vertrags der von ihnen vertretene Staat. Hinsichtlich der Frage, ob sie sich hoheitsrechtlich betätigt haben oder nicht, wird in den verschiedenen Staaten allerdings eine unterschiedliche Qualifikation vorgenommen. Sonnenberger168 weist darauf hin, dass Erwerbsverträge über Grundstücke in Frankreich als „actes de puissance publique“ betrachtet würden, während die deutsche Rechtsprechung zu einer privatrechtlichen Qualifikation neige.
2.84 Steinmann169 weist zu Recht darauf hin, dass bei Klagen von deutschem Personal gegen eine ausländische diplomatische Mission, deren Leiter oder deren Entsendestaat die deutschen Gerichte vielfach an einer Nachprüfung gehindert seien, da eine solche das interne Funktionieren der fremden Vertretung berühren könnte. 2.85 Bei allen unter II behandelten Möglichkeiten ist die Frage, ob im Einzelfall die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist, von den Gerichten in jeder Instanz besonders und unabhängig von der Frage nach der internationalen Zuständigkeit zu prüfen.170
III. Die Immunität internationaler Organisationen 1. Schrifttum
2.86 A. Bender, Die Immunität der NATO als internationaler Organisation im Zivilprozess, IPRax
1998, 1; H. Berger, Die Verfahrensstandschaft für die Stationierungsstreitkräfte, 1995; A. Börner, Probleme der internationalen Zuständigkeit und der Immunität in Arbeitsstreitigkeiten zwischen örtlich rekrutierten Mitarbeitern der Liga Arabischer Staaten und ihrem Arbeitgeber in Islamisches und arabisches Recht als Problem der Rechtsanwendung, Symposium für Elwan, 2001, S. 73; Ch. Dominicé, L’immunité de jurisdiction d’exécution des organisations internationales, RdC 187 (1984-IV), 145; Ch. Dominicé, La nature et l’étendue de l’immunité de juridiction des organisations internationales, FS Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 93; E. Gaillard/ I. Pingel-Lenuzza, International organisations and immunity from jurisdiction, ICLQ 51 (2002), 1; E. Habscheid, Die durch Art. 6 I EMRK beschränkte Immunität internationaler Organisationen im Erkenntnisverfahren, IPRax 2001, 396; E. Habscheid, Immunität internationaler Organisationen und Art. 6 I EMRK, FS Geimer, 2002, S. 255; W. Habscheid, Immunität internationaler Organisationen, FS Heini, 1995, S. 147; W. Habscheid, Die Immunität internationaler Organisationen im Zivilprozess, ZZP 110 (1997), 269; M. Koster, Immunität internationaler Richter, 2002; H. Kraatz, Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Forderungen und Schuldtitel aus Vertrags- und Schadenersatzrecht gegen die Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, NJW 1987, 1126; J. Kumrey, Die Immunität der Vereinten Nationen, 2018; H. P. Kunz-Hallstein, Privilegien und Immunitäten internationaler Orga168 H. J. Sonnenberger, AcP 162, 509. 169 H. G. Steinmann, MDR 1965, 796. 170 So statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 19 Rz. 14 f.; vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 643 ff.
66
III. Die Immunität internationaler Organisationen | Rz. 2.89 § 2 nisationen im Bereich nicht hoheitlicher Privatrechtsgeschäfte, NJW 1992, 3069; K. Odendahl, Immunität internationaler Organisationen bei Dienstrechtsstreitigkeiten, IPRax 2007, 339; A. Peters, Die funktionale Immunität internationaler Organisationen und die Rechtsweggarantie, SZIER 2011, 397; A. Reinisch, International Organizations Before National Courts, 2000; Ch. Sato, Immunität internationaler Organisationen, 2004; I. Seidl-Hohenveldern, Die Immunität internationaler Organisationen in Dienstrechtsstreitfällen, 1981; I. Seidl-Hohenveldern, Immunität der Arabischen Liga im Arbeitsstreit mit örtlich rekrutierten Bediensteten, IPRax 1999, 273; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, 7. Aufl. 2000; M. Wenckstern, Verfassungsrechtliche Fragen der Immunität internationaler Organisationen, NJW 1987, 1113; M. Wenckstern, Die Immunität internationaler Organisationen in Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. II/1, 1994.
2. Funktionale Immunität internationaler Organisationen Internationale Organisationen171 genießen Immunität, soweit dies zur Erfüllung ihrer spezifischen Aufgaben notwendig ist.172 Die Vertretungen anerkannter internationaler Organisationen und ihre Vertreter genießen die gleichen Rechte wie diplomatische Vertretungen und Diplomaten, freilich nur funktional für ihre amtliche Tätigkeit und amtliche Reisen.173 Allerdings besteht diese Immunität nur in Staaten, die die Organisation anerkannt haben.174 Die Bediensteten in den Büros solcher Organisationen werden i.d.R. für „amtliche“ Zwecke tätig, können also grds nicht die staatlichen Gerichte am Arbeitsort anrufen. Die internationale Organisation muss deshalb eine eigene „Gerichtsbarkeit“ für solche Fälle bereitstellen.175
2.87
Soweit eine internationale Organisation eine Schiedsvereinbarung schließt, gilt das für die Staaten Ausgeführte entsprechend (s. Rz. 2.28).176 Die Mitglieder von ständigen diplomatischen Vertretungen bei solchen Organisationen, Mitglieder von Delegationen zu einem Organ oder zu einer Konferenz der Organisation genießen Vorrechte und Immunität wie die bei einem Staat akkreditierten Diplomaten.177
2.88
Für die Vereinten Nationen, ihre Unterorganisationen, ihre Bediensteten gilt Folgendes:
2.89
Art. 105 der Charta der Vereinten Nationen178 schreibt vor: „Die Organisation genießt im Hoheitsgebiet jedes Mitglieds die Vorrechte und Immunitäten, die zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich sind. – Vertreter der Mitglieder der Vereinten Nationen und Bedienstete der Organisation genießen ebenfalls 171 Auflistung bei Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 20 GVG Rz. 16. 172 A. Peters, SZIER 2011, 397, 407. 173 Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 41 II 3, 4; Klein/Schmahl in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, 4. Abschn. Rz. 106 ff.; Ipsen/Epping, § 8 Rz. 77 ff. 174 Vgl. M. Wenckstern in HdbIZVR, Bd. II/1, 1994, Rz. 76 ff. 175 A. Börner, S. 77, 79 ff. (für die Liga Arabischer Staaten). 176 Ferner Ch. Dominicé, FS Lalive 1993, S. 483; W. Habscheid, FS Heini, 1995, S. 147. 177 Verdross/Simma, § 939. 178 BGBl. 1973 II, 497.
67
§ 2 Rz. 2.89 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
die Vorrechte und Immunitäten, deren sie bedürfen, um ihren mit der Organisation zusammenhängenden Aufgaben in voller Unabhängigkeit nachgehen zu können.“
2.90 Die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen bestimmen sich im Einzelnen nach dem entsprechenden Übereinkommen v. 13.2.1946 (Art. 1 des Zustimmungsgesetzes v. 16.8.1980).179 Nach Art IV Abschnitt 11 (a) des Übereinkommens genießen „die Vertreter der Mitglieder bei den Haupt- und Nebenorganen der Vereinten Nationen und auf den von den Vereinten Nationen anberaumten Konferenzen ... während der Wahrung ihrer Aufgaben und während ihrer Reisen nach und von dem Tagungsort a) Immunität von jeder Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen ...“ Nach Abschnitt 12 wird ihnen diese Immunität „auch dann noch gewährt, wenn sie nicht mehr Vertreter von Mitgliedern sind“. Diese Immunitäten gelten aber nicht im eigenen Heimatstaat (Abschnitt 15). Die Immunität ist kein persönliches Vorrecht. Deshalb ist der vertretene Staat verpflichtet sie aufzuheben, „wenn sie ... verhindern würde, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht“, und wenn „sie ohne Schädigung des Zweckes, für den sie gewährt wird, aufgehoben werden kann“ (Art IV Abschnitt 14).
2.91 Die Bediensteten der Organisation der Vereinten Nationen genießen Amtsimmunität (Art V Abschnitt 18 [a]), der Generalsekretär und die beigeordneten Generalsekretäre mit Ehegatten und minderjährigen Kindern diplomatische Immunität (Art V Abschnitt 19). Auch Sachverständige, die Aufträge der UN durchführen, genießen insoweit Amtsimmunität (Art VI Abschnitt 22 [b]). 2.92 Für die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen und ihre Bedienstete bestimmen sich die Immunitäten nach dem Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der UN v. 21.11.1947.180 Der Anwendungsbereich wird durch Rechtsverordnung näher festgelegt;181 darin kann auch diplomatische Immunität zuerkannt werden (Art. 3 des ZustG182). Nach Art III § 4 des Abkommens über die Vorrechte sind die Sonderorganisationen selbst von der Gerichtsbarkeit befreit.
2.93 Nach Art. V § 13 genießen Vertreter der Mitglieder auf den durch eine Sonderorganisation einberufenen Tagungen während der Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeiten und auf ihren Reisen Amtsimmunität: Befreiung von der Verhaftung und Festnahme und von der Beschlagnahme ihres persönlichen Gepäcks in Bezug auf Handlungen, die sie in amtlicher Eigenschaft vornehmen; nach § 14 Befreiung von der Ge179 180 181 182
68
BGBl. 1946 II, 941. BGBl. 1954 II, 640. Vgl. zuletzt Bek. v. 20.1.2003 (BGBl. 2003 II, 122). I.d.F. v. 16.8.1980, BGBl. 1980 II, 942.
III. Die Immunität internationaler Organisationen | Rz. 2.98 § 2
richtsbarkeit in Bezug auf ihre mündlichen und schriftlichen Äußerungen und Handlungen, die sie in Ausübung ihres Amtes vornehmen. Nach Art. VI § 19 (a) sind Beamte der Sonderorganisationen von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf die von ihnen in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen befreit. Nach Art. VI § 21 genießen der Leiter jeder Sonderorganisation sowie jeder in seinem Namen während seiner Abwesenheit tätige Beamte für sich selbst, seinen Ehegatten und seine minderjährigen Kinder die diplomatischen Immunitäten.
2.94
Sachverständige der Internationalen Arbeitsorganisation183 genießen wiederum nur Befreiung von jeder gerichtlichen Verfolgung wegen der von ihnen in Ausübung ihrer Amtsgeschäfte vorgenommenen Handlungen.
2.95
Bedienstete der Organisationen der Vereinten Nationen genießen somit nur eine Amtsexemtion. Der diplomatische Status einer weitergehenden Exemtion wird nur den Leitern der Organisationen, deren Stellvertretern bei Abwesenheit der Leiter, deren Ehefrauen und minderjährigen Kindern gewährt. Eine solche Exemtion genießt danach auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen einschließlich seiner Familienangehörigen. Das gilt auch für die Richter des Internationalen Gerichtshofes. Im Einzelnen ist insoweit das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v. 18.4.1961 (s. Rz. 2.60 ff.) heranzuziehen.
2.96
Für die Exemtion der Europäischen Gemeinschaften (Europäischen Union) ist das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften zu beachten.184 In den ersten beiden Artikeln wird auf die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und Gebäude und der Archive der Gemeinschaften hingewiesen. Den Mitgliedern der Versammlung steht nach Art. 10 während der Dauer der Sitzungsperiode der Versammlung im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staats die den Parlamentsmitgliedern eingeräumte Unverletzlichkeit zu. Im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats können sie weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden. Danach genießen die Mitglieder der Versammlung insoweit für sich persönlich volle Exemtion von der Gerichtsbarkeit eines anderen Mitgliedstaats.
2.97
Nach Art. 11 werden Vertretern der Mitgliedstaaten während der Ausübung ihrer Tätigkeiten die üblichen Vorrechte und Befreiungen gewährt. Beamte genießen gem. Art. 12 Befreiung von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen. In beiden Fällen handelt es sich wiederum nur um eine Amtsexemtion. Diese wird gem. Art. 21 auch den Richtern, Generalanwälten, dem Kanzler und den Hilfsberichterstattern der Europäischen Gerichtshöfe gewährt.
2.98
Das 7. Protokoll zum Vertrag über die Europäische Union v. 7.2.1992 hat die Vorrechte auf die Europäische Zentralbank erstreckt.
183 BGBl. 1954 II, 653. 184 BGBl. 1965 II, 1482.
69
§ 2 Rz. 2.99 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
2.99 Vorrechte und Befreiungen ergeben sich aus dem Protokoll über Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Atomenergiekommission.185 2.100 Die Europäische Zentralbank besitzt Immunität entsprechend den UN-Sonderorganisationen.186 2.101 Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) (mit Sitz in Basel) genießt, abgesehen von Streitigkeiten aus eigenen Bank- und Finanzgeschäften, Befreiung von jeglicher Gerichtsbarkeit.187 2.102 Für den Europarat und seine Unterorganisationen gilt das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Allgemeinen Abkommen v. 2.9.1949 über die Vorrechte und Befreiungen des Europarats mit Zusatzprotokoll v. 6.11.1952.188 Es wird wiederum differenziert: Vertreter im Ministerkomitee sind gem. Art. 10 von der Gerichtsbarkeit für Handlungen, die sie in Ausübung ihres Amtes vorgenommen haben, befreit. 2.103 Abgeordnete der Beratenden Versammlung genießen gem. Art. 13 während der Dauer der Tagungen Schutz gegen jede Verhaftung und gerichtliche Verfolgung. Beamte des Rates erfreuen sich nur einer Amtsexemtion (Art. 18). Nur der Generalsekretär und sein Stellvertreter genießen für sich selbst, für ihre Ehegatten und minderjährigen Kinder die Immunitäten, Vorrechte und Befreiungen, die nach dem Völkerrecht diplomatischen Vertretern zugebilligt werden. 2.104 Im Dritten Protokoll zum Übereinkommen sind Immunitäten des Wiedereingliederungsfonds des Europarats festgelegt.189 2.105 Eine Diplomaten vergleichbare Immunität genießen auch die Richter der internationalen Gerichtshöfe, wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.190 2.106 Auch die Europäischen Schulen genießen Immunität im Kernbereich ihrer Autonomie.191 3. Die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte, insbesondere von NATOTruppen
2.107 Schrifttum: A. Bender, Die Immunität der NATO als internationaler Organisation im Zivilprozess, IPRax 1998, 1; H. Berger, Die Verfahrensstandschaft für die Stationierungsstreitkräfte, 1995; A. Börner, Probleme der internationalen Zuständigkeit und der Immunität in Ar185 186 187 188 189 190 191
70
BGBl. 1957 II, 1212. VO v. 22.10.1998, BGBl. 1998 II, 2744. Vgl. A. Peters, SZIER 2011, 397, 399 f., für Auslegung i.S. funktionaler Immunität, S. 418 ff. BGBl. 1954 II, 493. BGBl. 1963 II, 238. Vgl. M. Koster, Immunität internationaler Gerichte, 2002. BGHZ 182, 10, 17 (Rz. 24 ff.) = NJW 2009, 3164.
III. Die Immunität internationaler Organisationen | Rz. 2.110 § 2 beitsstreitigkeiten zwischen örtlich rekrutierten Mitarbeitern der Liga Arabischer Staaten und ihrem Arbeitgeber in Islamisches und arabisches Recht als Problem der Rechtsanwendung, Symposium für Elwan, 2001, S. 73; F. Burkhardt/H. Granow, Das Abkommen zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (ZA TS), NJW 1995, 424; Ch. Dominicé, L’immunité de jurisdiction d’exécution des organisations internationales, RdC 187 (1984-IV), 145; Ch. Dominicé, La nature et l’étendue de l’immunité de juridiction des organisations internationales, FS Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 93; M. Dumbs, Schadensregulierung in der Verteidigungslastenverwaltung nach dem NATO-Truppenstatut, VersR 2007, 27; M. Dumbs, Regulierung von NATO-Truppenschäden in Deutschland, VersR 2007, 1183; E. Gaillard/I. Pingel-Lenuzza, International organisations and immunity from jurisdiction, ICLQ 51 (2002), 1; E. Habscheid, Die durch Art. 6 I EMRK beschränkte Immunität internationaler Organisationen im Erkenntnisverfahren, IPRax 2001, 396; E. Habscheid, Immunität internationaler Organisationen und Art. 6 I EMRK, FS Geimer, 2002, S. 255; W. Habscheid, Immunität internationaler Organisationen, FS Heini, 1995, S. 147; W. Habscheid, Die Immunität internationaler Organisationen im Zivilprozess, ZZP 110 (1997), 269; M. Koster, Immunität internationaler Richter, 2002; H. Kraatz, Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Forderungen und Schuldtitel aus Vertrags- und Schadenersatzrecht gegen die Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, NJW 1987, 1126; H. P. Kunz-Hallstein, Privilegien und Immunitäten internationaler Organisationen im Bereich nicht hoheitlicher Privatrechtsgeschäfte, NJW 1992, 3069; K. Odendahl, Immunität internationaler Organisationen bei Dienstrechtsstreitigkeiten, IPRax 2007, 339; A. Reinisch, International Organizations Before National Courts, 2000; Ch. Sato, Immunität internationaler Organisationen, 2004; I. Seidl-Hohenveldern, Die Immunität internationaler Organisationen in Dienstrechtsstreitfällen, 1981; I. SeidlHohenveldern, Immunität der Arabischen Liga im Arbeitsstreit mit örtlich rekrutierten Bediensteten, IPRax 1999, 273; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, 7. Aufl. 2000; M. Wenckstern, Verfassungsrechtliche Fragen der Immunität internationaler Organisationen, NJW 1987, 1113; M. Wenckstern, Die Immunität internationaler Organisationen, in Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. II/1, 1994.
a) Die NATO ist von der deutschen Zivilgerichtsbarkeit nach §§ 1, 3 NATO-VorrechteVO i.V.m. Teil II Art. 5 und Teil V Art. 24 (a) NATO-StatusÜ befreit.192 Bei zivilen Rechtsgeschäften wird i.d.R. ein Schieds- oder Schlichtungsverfahren zur Beilegung vereinbart.193
2.108
Soweit sich ausländische Truppen auf fremdem Gebiet mit Einverständnis des Empfangsstaats aufhalten, ist ihre Jurisdiktionsunterworfenheit i.d.R. vertraglich näher geregelt.194 Mangels einer Regelung sind ausländische Streitkräfte nicht „exterritorial“, sondern unterstehen dem Recht des Aufenthaltsstaats. Als hoheitlich tätige Organe des Entsendestaats genießen sie als solche aber Immunität. Das Gleiche gilt für das dienstliche Verhalten der Truppenmitglieder; privates Handeln außerhalb der Kasernen und sonstigen Truppenanlagen unterliegt dagegen der Gerichtsbarkeit.195
2.109
Damit der einzelne Bürger gegenüber Schäden, die NATO-Truppen verursachen, nicht rechtlos gestellt ist, kann er diese gegen die Bundesrepublik Deutschland als Prozessstandschafter geltend machen (s. Rz. 2.112).
2.110
192 193 194 195
A. Bender, IPRax 1998, 1, 2; M. Wenckstern, Rz. 226. A. Bender, IPRax 1998, 1, 6 ff.; M. Wenckstern, Rz. 463, 473, 478. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 74 IV. Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 74 V 1, 4, 5; Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 20 GVG Rz. 9, 16.
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§ 2 Rz. 2.111 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
2.111 b) Im Einzelnen geregelt ist die Stellung der NATO-Truppen. Das Gesetz zum NATO-Truppenstatut (NTS) v. 18.8.1961196 und das Zusatzabkommen zum NATOTruppenstatut (ZANTS) v. 3.8.1959197 enthalten eine Reihe von besonderen Bestimmungen hinsichtlich des IZPR.198 2.112 NTS Art VIII (5)-(7) regelt im Detail, wie Privatpersonen Ansprüche gegen NATOTruppen, Mitglieder der Truppe oder eines zivilen Gefolges aus Ausübung des Dienstes oder aus privatem Verhalten geltend machen können. Ansprüche aus dienstlichem Verhalten gegen einen Entsendestaat sind nach Art. 41 ZANTS und Art. 6 ff. Gesetz zum NTS bei der deutschen Verteidigungslastenverwaltung anzumelden. Erkennt die Verwaltung den Anspruch nicht an, so hat der Berechtigte die Bundesrepublik Deutschland vor den ordentlichen Gerichten als Prozessstandschafterin für den Entsendestaat zu verklagen (Art. 12 I, II; 25 Gesetz z. NTS).199
2.113 c) Entsprechendes gilt für die Verfolgung von Ansprüchen aus Schäden, die Streitkräfte anderer Staaten, die im Rahmen des Übereinkommens mit der NATO an „der Partnerschaft für den Frieden“ teilnehmen nach Art. 2 I des Gesetzes zum PfPTruppenstatut v. 9.7.1998.200 Mitglieder ausländischer Streitkräfte, die sich vorübergehend in Deutschland aufhalten, unterliegen der deutschen Zivilgerichtsbarkeit (§ 7 I SkAufG),201 soweit sie außerdienstliche Schäden verursachen. Solche Ansprüche werden nach Art. 2 II G zum PfP-Truppenstatut gem. Art. 2 S. 1 mit § 16 V SkAufG abgewickelt. 2.114 d) Art. 31 ZANTS betrifft das Armenrecht (jetzt: Prozesskostenhilfe) und die Sicherheitsleistung für Prozesskosten: „Die Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges genießen hinsichtlich des Armenrechtes und der Befreiung von der Sicherheitsleistung für Prozesskosten die Rechte, die in den auf diesen Gebieten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem betreffenden Entsendestaat geltenden Abkommen festgesetzt sind. Die dienstliche Anwesenheit der genannten Personen im Bundesgebiet gilt für die Anwendung dieser Abkommen als ständiger Aufenthalt.“ Mit den Vertragsstaaten des Zusatzabkommens: Belgien, Frankreich, Kanada, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, sowie mit den Vereinigten Staaten bestehen seitens der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Verträge, so dass die Gegenseitigkeit sowohl hinsichtlich der Prozesskostensicherheit als auch der Prozesskostenhilfe verbürgt ist.
196 BGBl. 1961 II, 1183. 197 BGBl. 1961 II, 1218; vgl. F. Burkhardt/H. Granow, NJW 1995, 424. 198 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Goertz, ZPO, Schlussanh. III, S. 2823. 199 Vgl. B. Heß, Staatenimmunität, S. 235 ff. 200 Zum Geltungsbereich s. IPRax 1999, 398. 201 BGBl. 1995 II, 554.
72
III. Die Immunität internationaler Organisationen | Rz. 2.116 § 2
2.115
Art. 32 ZANTS betrifft Zustellungen: „(1) a) Eine Klageschrift oder eine andere Schrift oder gerichtliche Verfügung, die ein nichtstrafrechtliches Verfahren vor einem deutschen Gericht oder einer deutschen Behörde einleitet, wird Mitgliedern einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder Angehörigen über eine Verbindungsstelle zugestellt, die von jedem Entsendestaat errichtet oder bestimmt wird. Die deutschen Gerichte und Behörden können die Verbindungsstelle um Durchführung der Zustellung anderer Schriftstücke in solchen Verfahren ersuchen. b) Die Verbindungsstelle bestätigt unverzüglich den Eingang jedes Zustellungsersuchens, das ihr von einem deutschen Gericht oder einer deutschen Behörde übermittelt wird. Die Zustellung ist bewirkt, wenn das zuzustellende Schriftstück dem Zustellungsempfänger von dem Führer seiner Einheit oder einem Beauftragten der Verbindungsstelle übergeben ist. Das deutsche Gericht oder die deutsche Behörde erhält unverzüglich eine Urkunde über die vollzogene Zustellung. c) i) Hat das deutsche Gericht oder die deutsche Behörde binnen 21 Tagen, gerechnet vom Ausstellungsdatum der Eingangsbestätigung durch die Verbindungsstelle an, weder eine Urkunde über die vollzogene Zustellung nach Buchstabe b) noch eine Mitteilung darüber erhalten, dass die Zustellung nicht erfolgen konnte, so übermittelt das Gericht oder die Behörde eine weitere Ausfertigung des Zustellungsersuchens der Verbindungsstelle mit der Ankündigung, dass 7 Tage nach Eingang bei ihr die Zustellung als bewirkt gilt. Mit Ablauf der Frist von 7 Tagen gilt die Zustellung als bewirkt. ii) Die Zustellung ist jedoch nicht als bewirkt anzusehen, wenn vor Ablauf der Frist von 21 oder gegebenenfalls von 7 Tagen die Verbindungsstelle dem deutschen Gericht oder der deutschen Behörde mitteilt, dass sie die Zustellung nicht durchführen konnte. Die Verbindungsstelle teilt dem deutschen Gericht oder der deutschen Behörde die Gründe mit, die sie an der Zustellung gehindert haben. iii) In dem unter Ziffer ii) vorgesehenen Fall kann die Verbindungsstelle auch bei dem deutschen Gericht oder der deutschen Behörde unter Angabe der Gründe eine Fristverlängerung beantragen. Entspricht das deutsche Gericht oder die deutsche Behörde diesem Verlängerungsantrag, so finden die Ziffern i) und ii) auf die verlängerte Frist entsprechende Anwendung. (2) Stellt ein deutsches Gericht oder eine deutsche Behörde ein Urteil oder eine Rechtsmittelschrift zu, so wird eine Abschrift des Schriftstückes, falls der betreffende Entsendestaat im Einzelfall oder allgemein darum ersucht, der Verbindungsstelle dieses Staates unverzüglich übermittelt, sofern nicht die Verbindungsstelle selbst in Anwendung von Abs 1 Buchstabe a) Satz 2 um die Zustellung ersucht wird.“ Es handelt sich bei Art. 32 I nur um solche Zustellungen, durch die ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird. Auch wenn diese Zustellungen nicht nach den Vorschriften der ZPO erfolgen, obwohl sie auf deutschem Staatsgebiet bewirkt werden, kann nicht von einer Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit gesprochen werden. 1955 wurde die deutsche Gerichtsbarkeit in vollem Umfang wiederhergestellt. Im Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut sind lediglich Besonderhei73
2.116
§ 2 Rz. 2.116 | Grenzen der Gerichtsbarkeit
ten der Zustellung an Truppenangehörige (Art. 32), deren Ladung (Art. 37) usw. vereinbart202 . Diese Sonderstellung zeigt sich etwa in Art. 33, wonach Mitgliedern einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder Angehörigen keine Nachteile entstehen dürfen, wenn sie wegen dienstlicher Obliegenheiten oder einer rechtmäßigen Abwesenheit vorübergehend in nicht strafrechtlichen Verfahren, an denen sie beteiligt sind, am Erscheinen verhindert sind. Die Verhinderung ist den deutschen Stellen ohne schuldhaften Aufschub mitzuteilen.
2.117 Nach Art. 36 können deutsche Gerichte und Behörden Zustellungen an Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges und an Angehörige nicht durch öffentliche Zustellung bewirken. Hierdurch werden die Mitglieder der Truppen besonders geschützt, wenngleich die zuständige Behörde einem deutschen Zustellungsbeamten, der ein Schriftstück an eine Person, die sich in einer Anlage der Truppe befindet, zustellen soll, helfen soll, damit die Zustellung durchgeführt werden kann. Nach Art. 37 tragen die Militärbehörden dafür Sorge, dass Mitglieder einer Truppe, die zu einem Gerichtstermin geladen sind, auch erscheinen, soweit nicht militärische Erfordernisse dem entgegenstehen.
2.118 Art. 38 und 39 betreffen Besonderheiten bei der Vernehmung eines Mitgliedes der Truppe als Zeuge oder Sachverständiger. Art. 38: „(1) Ergibt sich im Verlauf eines strafrechtlichen oder nichtstrafrechtlichen Verfahrens oder einer Vernehmung vor einem Gericht oder einer Behörde einer Truppe oder der Bundesrepublik, dass ein Amtsgeheimnis eines der beteiligten Staaten oder beider oder eine Information, die der Sicherheit eines der beteiligten Staaten oder beider schaden würde, preisgegeben werden könnte, so holt das Gericht oder die Behörde vorher die schriftliche Einwilligung der zuständigen Behörde dazu ein, dass das Amtsgeheimnis oder die Information preisgegeben werden darf. Erhebt die zuständige Behörde Einwendungen gegen die Preisgabe, so trifft das Gericht oder die Behörde alle in ihrer Macht stehenden Maßnahmen, einschließlich derjenigen, auf die sich Abs 2 bezieht, um die Preisgabe zu verhüten, vorausgesetzt, dass die verfassungsmäßigen Rechte einer Partei dadurch nicht verletzt werden. (2) Die Vorschriften des deutschen GVG (§§ 172 bis 175) über den Ausschluss der Öffentlichkeit von Verhandlungen in strafrechtlichen und nichtstrafrechtlichen Verfahren und die Vorschriften der deutschen StPO (§ 15) über die Möglichkeiten der Übertragung von Strafverfahren an das Gericht eines anderen Bezirks werden in Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden, in denen eine Gefährdung der Sicherheit einer Truppe oder eines zivilen Gefolges zu besorgen ist, entsprechend angewendet.“
2.119 Art. 39: „Die Rechte und Vorrechte der Zeugen und Sachverständigen bestimmen sich nach dem Recht der Gerichte oder der Behörden, vor denen sie erscheinen. Das Gericht oder die Behörde berücksichtigt jedoch die Rechte und Vorrechte angemessen, wel202 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Göertz, ZAbkNTrSt, Einl. Rz. 3.
74
III. Die Immunität internationaler Organisationen | Rz. 2.120 § 2
che Zeugen und Sachverständige, wenn sie Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder Angehörige sind, vor einem Gericht des Entsendestaates, und wenn sie nicht zu diesem Personenkreis gehören, vor einem deutschen Gericht haben würden.“ Das Bemerkenswerte an dieser Vorschrift bleibt die Feststellung, dass der deutsche Richter nicht an seine lex fori hinsichtlich der Zeugeneigenschaft oder des Zeugnisverweigerungsrechts gebunden ist, sondern diese Vorrechte prüfen muss im Verhältnis zu denen, die der Entsendestaat Zeugen oder Sachverständigen einräumt, um diese angemessen zu berücksichtigen. Der deutsche Richter wird zumindest angewiesen, ausländisches Verfahrensrecht zu berücksichtigen. Die Art. 34 und 35 betreffen die Vollstreckungshilfe seitens der Militärbehörden bei der Durchsetzung vollstreckbarer Titel deutscher Gerichte in nichtstrafrechtlichen Verfahren und die Vollstreckung in Zahlungsansprüche. Zu beachten ist auch Art VIII (5) (g) des NATO-Statuts.203 Danach darf ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges einem Verfahren zur Vollstreckung eines Urteils nicht unterworfen werden, das in dem Aufenthaltsstaat in einer aus der Ausübung des Dienstes herrührenden Angelegenheit gegen die betreffende Person ergangen ist. Schwenk204 will hieraus ableiten, dass Klagen gegen Schädiger, deren unerlaubte Handlungen im Dienste begangen sind, unzulässig seien, weil es an einem Rechtsschutzinteresse fehle. Diese Ansicht steht jedoch nicht im Einklang mit dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung. Wird aber die Vollstreckung aus einem deutschen Urteil untersagt, so wird auch insoweit die deutsche Gerichtsbarkeit begrenzt.
203 BGBl. 1961 II, 1212. 204 E. Schwenk, NJW 1976, 1562.
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2.120
§3 Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen I. Europäisches Zivilprozessrecht . 3.1 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 3. Einheitliche Auslegung . . . . . . . . 3.15 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15 b) Autonome Auslegung . . . . . . . . . . 3.16 c) Auslegung der EuGVO . . . . . . . . . 3.17 d) Auslegung des EuGVÜ . . . . . . . . . 3.19 e) Auslegung der Lugano-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.21 4. Das System der direkten Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.23 5. Sachlicher Anwendungsbereich . 3.27 6. Der Wohnsitzgerichtsstand . . . . 3.39 7. Die Ausschaltung der exorbitanten Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . 3.49 8. Geltung gegenüber Drittstaatsangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.51 9. Die besonderen Zuständigkeiten nach Art. 7–9 n.F. (Art. 5–7 a.F.) 3.58 a) Gerichtsstand des Erfüllungsortes 3.60 b) Gerichtsstand für unerlaubte Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.91 c) Gerichtsstand für Adhäsionsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.116 d) Gerichtsstand der Herausgabe eines Kulturguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.117 e) Gerichtsstand der Niederlassung . 3.119 f) Gerichtsstand für trust-Klagen . . . 3.127 g) Gerichtsstand für Berge- und Hilfelohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.129 h) Gerichtsstand der Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.133 i) Gerichtsstand der Gewährleistungsoder Interventionsklage . . . . . . . . . 3.143 j) Gerichtsstand der Widerklage . . . 3.149 k) Dinglicher Gerichtsstand für Vertragsklagen kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.154 l) Haftungsbeschränkung des Schiffseigentümers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.156 10. Die Zuständigkeiten in Versicherungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.157
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a) Klagen gegen den Versicherer . . . 3.159 b) Klagen des Versicherers . . . . . . . . 3.167 c) Weitere Sonderregeln . . . . . . . . . . 3.168 11. Die Zuständigkeiten in Verbrauchersachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.171 a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . 3.172 b) Klagen gegen den Unternehmer . 3.196 c) Klagen gegen den Verbraucher . . 3.201 d) Widerklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.202 e) Gerichtsstandsvereinbarungen . . . 3.203 12. Die Zuständigkeiten für individuelle Arbeitsverträge . . . . . . . . . . . . 3.206 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.206 b) EuGVO/LugÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.207 13. Gerichtsstandsvereinbarungen . 3.228 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.228 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . 3.229 c) Formvorschriften für Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . 3.248 (1) Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 3.249 (2) Mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung (halbe Schriftlichkeit) . . . . . . . . . . . . . 3.254 (3) Den Gepflogenheiten der Parteien entsprechende Form . . . 3.256 (4) Vereinbarung nach Handelsbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.257 (5) Elektronischer Vertragsschluss 3.264 (6) Form nach CMR . . . . . . . . . . . 3.265 d) Wirkungen der Vereinbarung . . . 3.266 e) Subjektive Reichweite . . . . . . . . . . 3.278 f) Beschränkungen der Prorogationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.283 14. Die rügelose Einlassung . . . . . . . . 3.289 15. Die ausschließlichen Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.303 a) Der dingliche Gerichtsstand . . . . . 3.306 b) Klagen über den Bestand von Gesellschaften und über die Wirksamkeit von Gesellschaftsbeschlüssen 3.319 c) Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register . . . . . . . . . . . . . . 3.327 d) Gültigkeit von gewerblichen Schutzrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.328
Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen | § 3 e) Verfahren über die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen . . . . . . 3.336 16. Amtsprüfung der Zuständigkeit . 3.341 17. Zuständigkeit für Streitigkeiten über Unionsmarken . . . . . . . . . . . . 3.344 18. Zuständigkeit für Streitigkeiten über Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Unionsdesign) . . . . . . . . . 3.353 19. Zuständigkeit für Streitigkeiten über den Sortenschutz . . . . . . . . . 3.359 20. Zuständigkeiten für Streitigkeiten über Gemeinschaftspatente . . . . . 3.363 II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.400 1. Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.400 2. Luftverkehrs-Übereinkommen . . 3.414 a) Montrealer Übereinkommen . . . . . 3.414 b) Warschauer Abkommen . . . . . . . . 3.417 3. CMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.420 4. Gütertransport auf See . . . . . . . . . 3.429 5. Eisenbahnverkehr . . . . . . . . . . . . . . 3.430 6. Gütertransport mit Binnenschiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.431 7. Übereinkommen über besondere Unfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.433 III. Autonomes deutsches Recht . . . . 3.500 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.500 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.501 3. Begriff der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.502 4. Die Regelung der internationalen Zuständigkeit gem. §§ 12 ff. ZPO 3.519 a) Wohnsitz des Beklagten . . . . . . . . . 3.522 b) Gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . . 3.523 c) Gerichtsstände einer juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.525 d) Gerichtsstand des Vermögens . . . . 3.530 e) Gerichtsstand des Erfüllungsortes 3.539 f) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.548 g) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.549 h) Ausschließliche internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.557 5. Gerichtsstandsvereinbarungen . . 3.558 6. Rügelose Einlassung . . . . . . . . . . . 3.585
7. Internationale Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs . . . . . 3.590 a) Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.591 b) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.592 c) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.593 d) Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . 3.595 e) Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . 3.596 8. Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . 3.597 IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . 3.600 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.600 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.601 3. Abweichende Gerichtsstandskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.605 a) Anwesenheit im Gerichtsstaat (Presence of Person) . . . . . . . . . . . . . . . 3.605 b) Vorübergehende Anwesenheit (transient jurisdiction) . . . . . . . . . . 3.608 c) Place of Incorporation . . . . . . . . . . 3.611 d) Laufende Geschäftstätigkeit (doing business) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.612 e) Service out of the jurisdiction . . . . 3.619 f) Gerichtsstand der Niederlassung oder Geschäftsstelle . . . . . . . . . . . . 3.620 g) Gerichtsstand des Vertragsschlusses (forum actoris) . . . . . . . . . . . . . 3.624 h) Klägergerichtsstand nach Erbringung der Gegenleistung . . . . . . . . . 3.625 i) Gerichtsstand der Streitgenossen . 3.626 j) Zuständigkeit gegenüber Konzernmuttergesellschaften (Durchgriffszuständigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.627 k) „Non-economic activity within the forum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.628 l) „Foreseeable effect within the state“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.629 m) Sachzusammenhang mit economic activities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.630 n) Deliktstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . 3.631 o) Forum legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.635 p) Admirality jurisdiction in rem . . . 3.636 q) Quasi in rem jurisdiction – Arrestgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.638 r) Heimatgerichtsstand (Art. 14, 15 franz. Code Civil) . . . . . . . . . . . . . . 3.641 s) Gerichtsstand des früheren Wohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.642 t) Klägergerichtsstand (Art. 638 belg. G.W.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.644
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§ 3 Rz. 3.1 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen u) Gerichtspflichtigkeit nach Due Process . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.645 4. Gerichtsstandsvereinbarungen . . 3.646
5. Forum non conveniens . . . . . . . . 3.659
I. Europäisches Zivilprozessrecht 1. Schrifttum
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§ 3 Rz. 3.2 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.3 § 3 Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Klagen unter besonderer Berücksichtigung des EuGVÜ, 2000; J. Bauerreiss, Das französische Rechtsinstitut der action directe, 2001; J.-P. Beraudo, Convention de Bruxelles du 27 Septembre 1968, Juris-Classeur Procédure Civile Fasc. 52–10 (Généralités), 1996; Fasc. 52–20 (Champs d’application), 1996; Fasc. 52–30 (Compétence), 1999; Fasc. 52–34, 52–36 (Règles ordinaires de compétence), 1999; M. Bogdan, The Brussels Jurisdiction and Enforcement Convention, 1997; E. Brödermann, Der europäische GmbH-Gerichtsstand, ZIP 1996, 491; B. Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998; P. Byrne, The European Union and Lugano Convention on Jurisdiction and the Enforcement of Judgements, 1994; D. Coester-Waltjen, Die Bedeutung des EuGVÜ und des Luganer Übereinkommens für Drittstaaten, FS Nakamura, 1996, S. 89; D. Coester-Waltjen, Die Aufrechnung im internationalen Zivilprozessrecht, FS G. Lüke, 1997, S. 35; D. Coester-Waltjen, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, FS Schütze, 1999, S. 175; A. Conrad, Qualifikationsfragen des Trust im Europäischen Zivilprozessrecht, 2001; M. de Cristofaro, Il foro delle obbligazioni, 1999; Ch. Erwand, Forum non conveniens und EuGVÜ, 1996; J. Fawcett, A new approach to jurisdiction over companies in private international law, ICLQ 37 (1988), 645; R. Fentiman, Jurisdiction, Discretion and the Brussels Convention, Cornell Intern.L.J. 26 (1993), 59; R. Fentiman/A. Nuyts/H. Tagaras/N. Watté, L’espace judiciare européen en matières civile et commerciale, 1999; H. Gaudemet-Tallon, Le „forum non conveniens“, une menace pour la convention de Bruxelles?, Rev.crit. 80 (1991), 491; H. Gaudemet-Tallon, Les Conventions de Bruxelles et de Lugano, 1993; M. Gebauer, Drittstaaten- und Gemeinschaftsbezug im europäischen Recht der internationalen Zuständigkeit, ZEuP 2001, 943; R. Geimer, Fehlen des Gerichtsstandes der Mitgliedschaft als gravierender Mangel im Kompetenzsystem der Brüsseler und der Luganer Konvention, FS Schippel, 1996, S. 869; R. Geimer, The Brussels Convention – sucessful model and old-timer, EurJLawReform 4 (2002), 19; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 1997; Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, 1993; P. Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000; J. Haubold, Internationale Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche und konzernrechtliche Haftungsansprüche nach EuGVÜ und LugÜ, IPRax 2000, 375; K. Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort under the Brussels Convention, 1998; J. Hill, The law relating to international commercial disputes, 1994; P. Huber, Forum non conveniens und EuGVÜ, RIW 1993, 977; P. Huber, Die englische Forum-non-conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, 1994; E. Jayme (Hrsg), Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa, 1992; E. Jayme (Hrsg), Die internationale Zuständigkeit bei Haustürgeschäften, FS Nagel, 1987, S. 123; E. Jayme (Hrsg), Der Gerechtigkeitsgehalt des EuGVÜ, in Reichelt, Europäisches Kollisionsrecht, 1993, S. 23; M. Junker, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, 2001; M. Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998; P. Kaye, Law of the European Judgments Convention, Vol. 1–3, 1999; D. Lasok/P. Stone, Conflict of Laws in the European Community, 1987, S. 149 ff, 197 ff; M. Lechner/P. Mayr, Das Übereinkommen von Lugano, 1996; M. Lenenbach, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nach Art. 21 EuGVÜ?, EWS 1995, 361; H. Linke, Der „Kleineuropäische“ Niederlassungsgerichtsstand (Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ), IPRax 1982, 46; M. Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt (Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 GVÜ), 1991; J. Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, 1997; P. Mankowski, Spezialabkommen und EuGVÜ, EWS 1996, 301; P. Mayr, EuGVÜ und LGVÜ, 2001; Ch. Möllers, Internationale Zuständigkeit bei der Durchgriffshaftung, 1987, S. 79ff; M. Niegisch, Mehrspurigkeit des Internationalen Zivilverfahrensrechts in den Mitgliedstaaten der EG am Beispiel des Vereinigten Königreichs: die Doktrin forum non conveniens und das EuGVÜ im Vereinigten Königreich, 1993; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, S. 649 ff; M. Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993; K. v. Rönn, Die Anwendung des EuGVÜ im Vereinigten Königreich, 1996; N. Rosner, Cross-Border Recognition and Enforce-
81
§ 3 Rz. 3.3 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.4
3.5
3.6
ment of Foreign Money Judgments in Civil and Commercial Matters (Ch. 2), 2004, S. 55 ff; H. Roth, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, RIW 1999, 819; B. Rudisch, Grenzüberschreitender Verbraucherschutz, in Schnyder, Internationales Verbraucherschutzrecht, 1995, S. 192; H. Schack u. G. Walter, Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Zivilprozessrecht, ZZP 107 (1994), 279; Th. Scheich, Exorbitante Gerichtsstände im Lichte des EuGVÜ, 1994; A. Schnyder, Produkthaftung international – kollisions- und verfahrensrechtliche Aspekte, FS Walder, 1994, S. 385; N. Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens nach dem Brüsseler und dem Luganer Übereinkommen, FS Schütze, 1999, S. 777; N. Schoibl, Adhäsionsverfahren und Europäisches Zivilverfahrensrecht, FS Sprung, 2001, S. 321; Th. Senff, Wer ist Verbraucher im internationalen Zivilprozess?, 2001; Th. Simons, Die Prozessaufrechnung im europäischen Zivilprozessrecht, Forum des internationalen Rechts 1996, 24; D. Spahl, Die positive Forderungsverletzung und der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte im IPR und internationalen Zivilprozessrecht, 2001; U. Spellenberg, Das EuGVÜ als Kern eines europäischen Zivilprozessrechts, EuR 1980, 329; A. Stadler, Die internationale Durchsetzung von Gegendarstellungsansprüchen, JZ 1994, 642; D. Stauder, Die internationale Zuständigkeit in Patentverletzungsklagen, FS Schricker, 2005, S. 917; T. Taylor/N. Cooper, European Litigation Handbook, 1995; L. Valloni, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Lugano- und Brüsseler Übereinkommen, 1998; Ch. Wadlow, Enforcement of intellectual property in European and international law, 1998; G. Wagner, Ehrenschutz und Pressefreiheit im europäischen Zivilverfahrens- und Internationalen Privatrecht, RabelsZ 62 (1998), 243; G. Wagner, Die Aufrechnung im Europäischen Zivilprozess, IPRax 1999, 65; J. Weiß, Die Konketisierung der Gerichtsstandsregeln des EuGVÜ durch den EuGH, 1997. c) Zum Lugano Übereinkommen von 2007: A. Bonomi/E. Cashin-Ritaine/G. P. Romano, La Convention de Lugano – Passe, present et devenir, 2007; A. Bucher, Loi sur le droit international privé (LDIP)/Convention de Lugano (CL), 2011; A. Buhr, Europäischer Justizraum und revidiertes Lugano-Übereinkommen, 2010; F. Dasser/P. Oberhammer, Lugano-Übereinkommen (LugÜ), 2. Aufl. 2011; P. Mankowski, Ist die Auslegung der Brüssel Ia-VO und mittelbar anderen EU-Rechts Orientierungsmarke für die Auslegung des LugÜ?, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 203; B. A. Marshall, Imbalanced Jurisdiction clauses under the Lugano Convention, ZEuP 2016, 515; Ch. Oetiker/Th. Weibel, Basler Kommentar Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl. 2016; R. Rodriguez/A. Markus, The implementation of the revised Lugano Convention in Swiss procedural law, Yearbook PIL 12 (2010), 435; A. Schnyder/D. Acocella, Lugano-Übereinkommen zum internationalen Zivilverfahrensrecht, 2011. d) Zum Verhältnis Lugano-Übereinkommen zur Brüssel Ia-Verordnung: A. Furrer/A. Markus/M. Prestelli, Die Herausforderungen des Europäischen Zivilverfahrensrechts für Lugano- und Drittstaaten, 2016; P. Schlosser, Brüche im EuGVVO-LugÜ-Gefüge?, FS Isaak Meier, 2015, S. 579; W. Rechberger, LGVÜ 2007 und Brüssel Ia-VO, FS Isaak Meier, 2015, S. 537. Zum Lugano Übereinkommen 1988: E.-M. Bajons, Das Luganer Parallelübereinkommen zum EuGVÜ, ZfRV 34 (1993), 45; J.-P. Beraudo, Convention de Lugano, J.-Cl., Procédure Civile, Fasc. 53–2 ff., 1991; A. Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2000, S. 25 ff.; F. Cometta/P. Volken u a, La Convenzione di Lugano nella pratica forense e nel suo divenire, 2002; Y. Donzallaz, La convention de Lugano, Bd I/II, 1996; F. Heerstrassen, Die künftige Rolle von Präjudizien des EuGH im Verfahren des Luganer Übereinkommens, RIW 1993, 179; M. Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweizerischen internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998; L. Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem Lugano-Übereinkommen, 1993; S. Mäder, Die Anwendung des Lugano-Übereinkommens im gewerblichen Rechtsschutz, 1999; F. Walther, Die Schweiz und das europäische Zivilprozessrecht – quo vadis?, ZSR 124 (2005) II 301.
82
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.9 § 3
2. Einführung a) Das Brüsseler EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968 (EuGVÜ)1 trat für Deutschland am 1.2.1973 in Kraft. Seither wurde das Übereinkommen viermal geändert. Das 1. Beitrittsübereinkommen mit Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich v. 9.10.19782 gilt für Deutschland seit 1.11.1986. Das 2. Beitrittsübereinkommen mit Griechenland v. 25.10.19823 gilt für Deutschland seit 1.4.1989. Das 3. Beitrittsübereinkommen (von Donostia-San Sebastian) mit Portugal und Spanien ist von Deutschland am 20.4.1994 ratifiziert worden4 und am 1.12.1994 für Deutschland in Kraft getreten. Das 4. Beitrittsübereinkommen (mit Österreich, Finnland und Schweden) ist in Brüssel am 29.11.1996 unterzeichnet worden.5 Für Deutschland6 ist es am 1.1.1999 in Kraft getreten. Das EuGVÜ wurde zum 1.3.2002 durch die EuGVO (Brüssel I-VO) abgelöst (s. Rz. 3.9).
3.7
b) Das Parallel-Übereinkommen von Lugano v. 16.9.1988 mit den EFTA-Staaten (damals: Norwegen, Schweden, Finnland, Island, Schweiz und Österreich)7 ist ebenfalls ratifiziert worden8 und für Deutschland am 1.3.1995 im Verhältnis zu Finnland, Island (zum 1.12.1995), Norwegen, Österreich (zum 1.9.1996), Schweden und der Schweiz in Kraft getreten.9 Liechtenstein als neues EFTA-Mitglied hat das Übereinkommen nicht ratifiziert.10 Finnland, Österreich und Schweden sind zum 1.1.1995 Mitglied der Europäischen Union geworden und sind dann dem EuGVÜ direkt beigetreten. Das Übereinkommen galt seit 1.2.2000 auch im Verhältnis zu Polen,11 bis Polen der EU (am 1.4.2004) beigetreten ist.
3.8
c) Durch Art. 65 EGV (i.d.F. des Amsterdamer EG-Vertrags v. 2.10.1997) wurde die justizielle Zusammenarbeit der Staaten in Zivilsachen zu einer echten Gemeinschaftsangelegenheit.12 Als Folge davon hat die EU das EuGVÜ in revidierter Fas-
3.9
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BGBl. 1972 II, 774. BGBl. 1983 II, 803. BGBl. 1988 II, 453. BGBl. II, 518. ABl. EG v. 15.1.1997 Nr. C 15. BGBl. 1998 II, 1411. Dazu J. Pirrung in Stoll, Stellungnahmen und Gutachten zum Europäischen Internationalen Zivilverfahrens- und Versicherungsrecht, 1991, S. 161. BGBl. 1994 II, 2658. Zum Verhältnis beider Übereinkommen s. N. Watté, Les relations des conventions de Bruxelles et de Lugano, in Fentiman, L’espace judicaire europeen, 1999, 3. Vgl. A. Wittwer, Liechtenstein und das Europäische Zivilprozessrecht, FS G. D. Karth, 2013, S. 1035. BGBl. 2000 II, 1246; vgl. R. Wagner, WiRO 2000, 47; D. Martiny/U. Ernst, IPRax 2001, 29. Vgl. D. Besse, ZEuP 1999, 107; P.-Ch. Müller-Graff/F. Kainer, DRiZ 2000, 350; St. Leible/A. Staudinger, EuLF 2000/01, 225; K. Wannemacher, Die Außenkompetenzen der EG im Bereich des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 2003; R. Hausmann, unalex Kommentar, Brüssel I-VO, Einl. Rz. 27.
83
§ 3 Rz. 3.9 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
sung als Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates neu erlassen.13 Diese EuGVO (Brüssel I-VO) trat zum 1.3.2002 im Verhältnis zu allen EU-Mitgliedstaaten (ausgenommen Dänemark) an die Stelle des früheren Brüsseler Übereinkommens (Art. 68, 76 EuGVO). Die EuGVO gilt seit dem Beitritt am 1.4.2004 auch im Verhältnis zu den zehn Mitgliedstaaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern.14 Seit dem 1.1.2007 gilt die Verordnung auch im Verhältnis zu Bulgarien und Rumänien,15 seit dem 1.7.2013 auch im Verhältnis zu Kroatien. Das EuGVÜ ist weiterhin für die (überseeischen) Gebiete der Mitgliedstaaten anzuwenden, für die das Gemeinschaftsrecht nach Art. 299 EGV (jetzt Art. 355 AEUV) nicht gilt (EuGVO Erwägungsgrund 23; EuGVO n.F. Erwägungsgrund 9).16
3.10 d) Durch Abkommen der EG mit Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 19.10.200517 wurde (mit Wirkung v. 1.7.2007) vereinbart, dass die EuGVO (Brüssel I-VO) auf die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Dänemark anzuwenden ist.18 Nach Art. 3 dieses Abkommens steht es Dänemark frei, auch Änderungen der EuGVO zu akzeptieren19 und damit auch die neue EuGVO anzuwenden (s. Erwägungsgrund 41 EuGVO n.F.). Dänemark hat die entsprechenden Erklärungen abgegeben,20 so dass die Brüssel Ia-VO seit 1.6.2013 auch im Verhältnis zu Dänemark gilt. 3.11 e) Am 30.10.2007 wurde zwischen der EG und den EFTA-Staaten das neue Luganer Übereinkommen geschlossen, mit dem eine Gleichheit von EuGVO und LugÜ wiederhergestellt wird.21 Das neue Luganer Übereinkommen von 2007 ist am 1.1.2010 in Kraft getreten und seither im Verhältnis zu Norwegen anwendbar. Im Verhältnis zur Schweiz gilt es seit dem 1.1.2011.22 Für Island gilt das neue Übereinkommen seit dem 1.5.2011. Liechtenstein ist dem Übereinkommen bisher nicht beigetreten.23 13 ABl. EG Nr. L 12/1 v. 16.1.2001; vgl. R. Hausmann, EuLF 2000, 40 ff.; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325; J.-P. Beraudo, JDI 128 (2000), 1033. 14 Vgl. B. Hess, IPRax 2004, 374. 15 ABl. EU 2005 L 157/11 v. 21.6.2005. 16 Vgl. E. Jayme/Ch. Kohler, IPRax 2005, 481, 486; N. Schoibl, JBl 2003, 149, 152; R. Hausmann, unalex Kommentar, Brüssel I-VO, Einl. Rz. 41 f.; vgl. Wagner in Stein/Jonas, Einl. vor Art. 1 EuGVO Rz. 21 ff. 17 ABl. EU Nr. L 299/62; ratifiziert durch Beschluss des Rates v. 27.4.2006, ABl. EU Nr. L 120/22. Zu den Ergänzungen des AVAG s. BR-Drucks. 547/06 v. 11.8.2006. 18 Auf Angaben zum EuGVÜ wird deshalb nachfolgend verzichtet. 19 Vgl. P. Nielsen, Denmark and EU Civil Cooperation, ZEuP 2016, 300, 307. 20 ABl. EU 2013 Nr. L 79/4 und ABl. EU 2014 Nr. L 240/1. 21 Vgl. Entwurf eines deutschen Durchführungsgesetzes, BT-Drucks. 16/10119 v. 13.8.2008. 22 Vgl. R. Rodriguez/A. Markus, The implementation of the Revised Lugano Convention in Swiss Procedural Law, Yearbook PIL 12 (2010), 435. 23 Vgl. M. Frick, Chancen und Risiken im Zusammenhang mit einem Beitritt Liechtensteins zum Lugano-Übereinkommen, ZVglRWiss 111 (2012), 442.
84
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.13 § 3
f) Neufassung der EuGVO (Brüssel Ia-VO). Nach Art. 73 EuGVO a.F. sollte die Kommission über die praktischen Erfahrungen bei der Anwendung der EuGVO berichten. Dieser Bericht wurde am 21.4.2009 auf der Grundlage des sog. Heidelberg Report24 vorgelegt.25 Beide Berichte veranlassten die Kommission, am 14.12.2010 einen Vorschlag für eine Neufassung der EuGVO (auf der Grundlage von Art. 67 IV, 81 II AEUV) vorzulegen.26 Dieser Vorschlag war Gegenstand einer umfangreichen rechtspolitischen Diskussion (s. Rz. 3.1). Das Europäische Parlament forderte in seinem Bericht v. 28.6.2011 erhebliche Änderungen.27 Am 1.6.2012 beschloss der Rat der Europäischen Union eine Kompromissfassung,28 die endgültige Neufassung hat die Konferenz der Justizminister der EU am 7.12.2012 beschlossen.29 Sie ist als VO (EU) Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012 verkündet worden.30 Diese Neufassung der EuGVO gilt ab 10.1.2015 (Art. 81 EuGVO n.F.). Gleichzeitig tritt die bisherige VO (EG) Nr. 44/2001 außer Kraft (Art. 80 Satz 1 EuGVO n.F.). Soweit die Neufassung von der bisherigen Fassung abweicht, wird sie nachfolgend besonders dargestellt und als „EuGVO n.F.“ zitiert.
3.12
g) Den EU-Staaten ist es mit dem EuGVÜ bereits vor 50 Jahren gelungen, sich auf einen einheitlichen Zuständigkeitskatalog hinsichtlich der internationalen – zum Teil auch der örtlichen – Zuständigkeit zu einigen und eine europäische Zuständigkeitsordnung zu schaffen. Dies kann nicht hoch genug bewertet werden. Dadurch ist zugleich die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb des Gebietes der Vertragsstaaten so sehr gefördert worden, dass man von der „Freizügigkeit“ der Urteile in Zivil- und Handelssachen innerhalb der Gemeinschaft sprechen kann. Insoweit ist es berechtigt, von einem „Europäischen Zivilprozessrecht“ zu sprechen.31
3.13
Die Einigung auf einen gemeinsamen Gerichtsstandskatalog für die internationale Zuständigkeit war nur dadurch möglich, dass das EuGVÜ in die nationalen Gerichtsstandskataloge der Vertragsstaaten eingriff und sie in den Grenzen des Übereinkommens beiseite schob. Bei jedem auslandsbezogenen Fall muss also zunächst geprüft werden, ob von der Zuständigkeitsregelung des Übereinkommens oder von den autonomen Zuständigkeitsbestimmungen der betreffenden Vertragsstaaten ausgegangen werden muss. Nicht vereinheitlicht wurde bisher das Kollisionsrecht,32 so dass ein forum shopping möglich wird, soweit Gerichtsstände in verschiedenen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen.33 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
B. Hess/Th. Pfeiffer/P. Schlosser, The Brussels I Regulation 44/2001, 2008. KOM (2009) 174 endg. KOM (2010) 748 endg. Stellungnahme des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments (Zwiefka-Report), 2010/0383 (COD). Dok. Nr. 10609/12 ADD 1. Dok. PE-CONS 56/12 v. 30.11.2012. ABl. EU Nr. L 351/1 v. 20.12.2012. Vgl. U. Spellenberg, EuR 1980, 329. Zum heutigen Stand vgl. J.-M. Leisle, Dependenzen auf dem Weg vom EuGVÜ, über die EuGVVO zur EuZPO, 2002. Vgl. P. Mankowski, FS Heldrich, 2005, S. 867. Vgl. P. de Vareilles-Sommières, Forum shopping, 2007; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 126 ff.
85
§ 3 Rz. 3.14 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.14 h) Folgen des Brexit. Nach Art. 67 Abs. 1 lit. a des Austrittsabkommens zwischen der EU und Großbritannien v. 24.1.202034 finden die Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO im beiderseitigen Verhältnis noch auf Dauer auf alle Zivilverfahren Anwendung, die bis zum Ablauf der Übergangszeit (derzeit 31.12.2020) begonnen wurden. 3. Einheitliche Auslegung a) Schrifttum
3.15 M. Audit, L’Interpretation autonome du droit international privé communautaire, JDI 131
(2004), 789; C. Buck, Über die Auslegungsmethoden des EuGH, 1998; A. Buhr, Europäischer Justizraum und revidiertes Lugano-Übereinkommen, 2010; B. Hess, Methoden der Rechtsfindung und Rechtsanwendung im Europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, IPRax 2006, 348, 351 ff.; J. Kropholler, Die Auslegung von EG-Verordnungen zum Internationalen Privatund Verfahrensrecht, in Aufbruch nach Europa, 2001, S. 583; P.Mankowski, Ist die Auslegung der Brüssel Ia-VO und mittelbar anderen EU-Rechts Orientierungsmarke für die Auslegung des LugÜ?, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 203; D. Martiny, Autonome und einheitliche Auslegung im Europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, RabelsZ 45 (1981), 427; J. Newton, The uniform interpretation of the Brussels and Lugano Conventions, 2002; Th. Pfeiffer, Grundlagen und Grenzen der autonomen Auslegung des EuGVÜ, Jb junger RWiss. 1991, 71; F. Ries, Die Auslegung des Luganer Parallelübereinkommens nach der EuGVVO-Novelle, RIW 2019, 32; E. Scheibeler, Begriffsbildung durch den Europäischen Gerichtshof, 2004; P. Schlosser, Vorabentscheidungsverfahren und neues justizielles Europarecht, FS Nemeth, 2003, S. 777; J. Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015; T. SchmidtParzefall, Die Auslegung des Parallel-Übereinkommens von Lugano, 1995; I. Scholz, Das Problem der autonomen Auslegung des EuGVÜ, 1998; I. Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, 2004; I. Schwander, Das Lugano-Übereinkommen, 1990; D. Tebbens, Die einheitliche Auslegung des Lugano-Übereinkommens, in Reichelt, Europäisches Kollisionsrecht, 1993, S. 49.
b) Autonome Auslegung
3.16 Auszulegen sind EuGVO35 (in alter und neuer Fassung), LugÜ36 wie alle Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die nicht ausdrücklich auf nationales Recht verweisen, in autonomer, einheitlicher, integrationsbegünstigender Weise;37 andernfalls wäre eine Rechtseinheit letztlich nicht zu erzielen. Auch der EuGH folgt grds. der autonomen, rechtsvergleichenden Auslegung.38 Lediglich für die Bestimmung des Erfüllungsorts in Art. 7 Nr. 1 a, c EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.) hat er aus Gründen der 34 ABl. EU 2020 Nr. L 29/7. 35 D. Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427; Th. Pfeiffer, Jb junger Rwiss. 1991, 71; H. Schack, IZVR, Rz. 98; M. Audit, JDI 2004, 789; J. Newton, The uniform interpretation, 2002; B. Hess, IPRax 2006, 348, 351; Wagner in Stein/Jonas, Einl. vor Art. 1 EuGVO Rz. 31 ff. 36 A. Buhr, Europäischer Justizraum, Rz. 575 ff. 37 So EuGH – C-316/05 – Nokia, EuGHE 2006, I-12083 (Rz. 21) = RIW 2007, 384; Mayr/ Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 90 ff. 38 EuGHE 1993, I-4075, 4102 (Mulox v Geels) = IPRax 1997, 110 (dazu V. Holl, S. 88); EuGH – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 – Pula Parking (Rz. 33), IPRax 2018, 79 (dazu H. Roth, S. 41, 42); vgl. R. Hausmann, unalex Kommentar, Brüssel I-VO Einl. Rz. 46 ff.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.20 § 3
Rechtssicherheit an einer Verweisung auf die lex causae festgehalten (s. Rz. 3.70 ff.). Spezifische gemeinschaftsrechtliche Vorgaben können bei der Auslegung des LugÜ mit berücksichtigt werden. c) Auslegung der EuGVO Die Zuständigkeit des EuGH für die Auslegung der neuen EuGVO ergibt sich jetzt unmittelbar aus Art. 267 AEUV. Nach dem früheren Art. 68 I EGV war die Befugnis zur Vorlage auf konkret letztinstanzliche Gerichte beschränkt.39 Diese Beschränkung ist im AEUV von 2009 nicht mehr enthalten. Vorlageberechtigt ist nach Art. 267 II AEUV jedes Gericht, nach Art. 267 III AEUV sind letztinstanzliche Gerichte zur Vorlage verpflichtet. Vorzulegen ist dem EuGH eine Frage zur Auslegung der EuGVO, wenn das Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seiner Entscheidung für erforderlich hält. Der EuGH kann eine Vorlage nicht zurückweisen, weil er die vorgelegte Frage schon entschieden hat oder, weil er die Vorlagefrage nicht als entscheidungserheblich ansieht.
3.17
Unabhängig von jedem konkreten Einzelfall konnten daneben nach Art. 68 II EGV der Rat, die Kommission oder ein Mitgliedstaat dem Gerichtshof eine Frage der Auslegung der EuGVO zur Entscheidung vorlegen.40 Eine solche abstrakte Vorlage ist nie erfolgt. Diese Möglichkeit ist in Art. 267 AEUV nicht mehr vorgesehen.
3.18
d) Auslegung des EuGVÜ Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entscheidet über die Auslegung des EuGVÜ nach dem Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens v. 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof v. 3.6.1971.41 Deutschland hatte dazu ein Ausführungsgesetz v. 7.8.1972 erlassen.42
3.19
In Art. 4 des Auslegungsprotokolls war ferner ein objektives Vorlageverfahren bei divergierenden rechtskräftigen Entscheidungen (ohne Einfluss auf die Entscheidung, die Anlass dazu gegeben hat) vorgesehen. Von diesem Verfahren ist allerdings nie Gebrauch gemacht worden.
3.20
Da die EuGVO inzwischen seit 2002 in Kraft ist, sind neue Vorlagen zur Auslegung des EuGVÜ nicht mehr zu erwarten. Von einer näheren Darstellung wird daher abgesehen.
39 Vgl. EuGHE 2002, I-3383 (Marseille Fret); EuGHE 2002, I-3393 (Tilly Reichling); J. Kropholler, in Aufbruch nach Europa, 2001, S. 583, 587; P. Schlosser, FS Nemeth, S. 777; J. Dietze/D. Schnichels, EuZW 2003, 581, 582; krit. H. Schack, IZVR, Rz. 91. 40 Vgl. Ch. Kohler/A. Knapp, ZEuP 2001, 116, 118. 41 BGBl. 1972 II, 846. 42 BGBl. 1972 II, 845.
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§ 3 Rz. 3.21 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
e) Auslegung der Lugano-Übereinkommen
3.21 Grundsätze für die einheitliche Auslegung des Lugano-Übereinkommens von 1988 enthält das Protokoll Nr. 2 v. 16.9.1988.43 Eine einheitliche Auslegungsinstanz war danach nicht vorgesehen. Die zum parallelen Brüsseler Übereinkommen ergangenen Entscheidungen des EuGH sowie die neuen Entscheidungen der Gerichte der Vertragsstaaten sind zu beachten.44 3.22 Das Luganer Übereinkommen von 2007 unterliegt dagegen der Auslegungskompetenz des EuGH, da die EU diesen Staatsvertrag selbst abgeschlossen hat.45 Diese Auslegung ist freilich direkt nur für die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten verbindlich. Die Gerichte der EFTA-Staaten legen das Übereinkommen an sich unabhängig davon aus. Eine einheitliche Auslegung soll aber durch gegenseitige Berücksichtigung der Entscheidungen und eine Verständigung entsprechend dem Protokoll Nr. 2 zum LugÜ 2007 erreicht werden.46 Eine etwaige Abweichung ist zu begründen.47 Allerdings gilt dies nur, soweit LugÜ und EuGVO n.F. übereinstimmen.48 4. Das System der direkten Zuständigkeit
3.23 Im Gegensatz zu anderen von der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten abgeschlossenen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen, folgen EuGVÜ/LugÜ und die neue EuGVO dem System der direkten Zuständigkeit.49 Dieses System zwingt den Richter jedes Mitglieds- bzw. Vertragsstaats, bei der Prüfung seiner Zuständigkeit von dem Zuständigkeitskatalog der EuGVO bzw. des LugÜ auszugehen. Den Zuständigkeitskatalog seiner eigenen ZPO, also die lex fori, darf er nicht berücksichtigen. Man spricht insoweit von Befolgungsregeln.50 3.24 Dieses System begründet nach kontinentaler Tradition feste Zuständigkeiten. Die Gerichte haben kein Ermessen, eine gegebene Zuständigkeit aus Gründen der Zweckmäßigkeit („forum non conveniens“) nicht auszuüben und dürfen den Kläger
43 ABl. EG 1988 Nr L 319/31; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 55 ff.; Report on the national caselaw relating to the Lugano-Convention, IPRax 2001, 262. 44 Vgl. F. Heerstrassen, RIW 1993, 179; T. Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des LuganoParallelübereinkommens, 1995; Wagner in Stein/Jonas, Einl vor Art. 1 EuGVO Rz. 105 ff.; ferner: Report on the national case law relating to the Lugano convention, IPRax 2001, 262. 45 H. Schack, IZVR, Rz. 132; R. Hausmann, unalex Kommentar, Brüssel I-VO, Einl. Rz. 87; Wagner in Stein/Jonas, Einl. vor Art. 1 EuGVO Rz. 111. 46 Vgl. Ch. Kohler, Dialog der Gerichte im europäischen Justizraum, FS Baudenbacher, 2007, S. 141. 47 Vgl. F. Ries, RIW 2019, 32, 34. 48 Vgl. P. Mankowski, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 203. 49 Vgl. Kropholler/v. Hein, Vor Art. 2 EuGVO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Vor Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 2. 50 Anlehnung an W. Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge, 1953, S. 116.
88
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.27 § 3
nicht an ein sachnäheres Gericht verweisen,51 auch nicht wenn als alternatives Forum nur ein Drittstaatgericht in Frage kommt.52 Soweit die EuGVO nur internationale Zuständigkeiten eines EU-Mitgliedstaates festlegt, sind dessen Gerichte verpflichtet, die nationalen Regeln so auszulegen, dass ein sachlich und örtlich zuständiges Gericht bestimmt werden kann.53
3.25
Die Frage der Anerkennung und Vollstreckung seiner Entscheidung im Ausland berührt den Erstrichter nicht, sie wird erst für den Zweitrichter, der über die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung befinden soll, von Bedeutung. Da nach Art. 45 EuGVO n.F. (Art. 35 EuGVO a.F./LugÜ) vor dem Zweitrichter grds. nicht mehr über die internationale Zuständigkeit gestritten werden darf, ist diese vor dem Erstrichter von besonderer Bedeutung. Die internationale Zuständigkeitsregelung der EuGVO bzw. des LugÜ geht als Sonderregelung den entsprechenden Vorschriften der ZPO vor.54 Als Gemeinschaftsrecht haben EuGVO und LugÜ 2007 stets Vorrang vor nationalem Recht.55 Gleiches galt und gilt auch für das EuGVÜ/LugÜ 1988. Über die Rechtsnatur des EuGVÜ wurden zwar unterschiedliche Auffassungen vertreten: primäres Gemeinschaftsrecht oder gewöhnlicher völkerrechtlicher Vertrag.56 Aber auch wer das Übereinkommen nur als völkerrechtlichen Vertrag einordnete, sah einen Vorrang vor früheren und späteren nationalen Vorschriften.57
3.26
5. Sachlicher Anwendungsbereich Schrifttum: M. Benedettelli, ‚Communitarization‘ of International Arbitration, ArbInt 27 (2011), 583; S. Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren, 2020; J. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und die Reform der EuGVVO, 2015; T. Domej, Alles klar? – Bemerkungen zum Verhältnis zwischen staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten unter der neu gefassten EuGVVO, FS Gottwald, 2014, S. 97; R. Fentiman, Arbitration in Europe: Immunity or Regulation?, IJPL 1 (2011), 151; L. Hauberg Wilhelmsen, The Recast Brussels I Regulation – Revisited or Revised?, ArbInt 30 (2014), 169; L. Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I regulation, 2018; B. 51 P. Huber, RIW 1993, 977; Ch. Kohler, FS Matscher, 1993, S. 251; H. Schack, Rz. 569; Ch. Erwand, S. 185 ff., 206; a.A. R. Fentiman, Cornell Intern.L.J. 26 (1993), 59; P. M. North, IPRax 1992, 183; für Einführung einer Verweisungsmöglichkeit de lege ferenda M.-R. McGuire, ZfRV 2005, 83; vgl. N. Trocker, Party autonomy and iudicial discretion in transnational litigation, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 177. 52 EuGHE 2005, I-1383 (Owusu v. Jackson), IPRax 2005, 244 (dazu Ch. Heinze/A. Dutta, S. 224) = JZ 2005, 887 (A. Bruns) = ZZPInt 10 (2005), 277 (P. Huber/Ch. Stieber); vgl. Ch. Thiele, RIW 2002, 696; P. Gottwald, FS Jayme, 2004, S. 277; F. Blobel, GPR 2005, 140; Th. Rauscher/A. Fehre, ZEuP 2006, 459; krit. R. Fentiman, CMLR 43 (2006), 705. 53 EuGH – C-94/14, ECLI:EU:C:2016:148 – Flight Refund Ltd. (Rz. 63 f.), IPRax 2017, 277 (dazu U.P. Gruber, S. 259). 54 Kropholler/v. Hein, Einl. Rz. 40. 55 EuGH – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 – Corman Colllins, RIW 2014, 145. 56 Geimer/Schütze, I, 50. 57 Kreuzer/Wagner, Q 87.
89
3.27
§ 3 Rz. 3.27 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen Hess, Die Reform der Verordnung Brüssel I und die Schiedsgerichtsbarkeit, FS von Hoffmann, 2011, S. 648; B. Hess, Binnenverhältnisse im Europäischen Zivilprozessrecht, in von Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 67; M. Illmer, Brussels I and Arbitration Revisited, RabelsZ 75 (2011), 645; M. Illmer, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der Schnittstelle der EuGVO mit der Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2011, 248; A. Kastanidis, Procedural issues of international arbitration under the Brussels Ibis Regulation and the New York Arbitration Convention of 1958 ..., EuLF 2018, 89; V. Lazić, The Commission’s proposal to amend the arbitration exception in the EC Jurisdiction Regulation, JIntArb 29 (2012), 19; B. Laukemann, Die Absonderungsklage im Europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2013, 150; W. Lüke/A. Scherz, Zu den Wirkungen des Solvent Scheme of Arrangement in Deutschland, ZIP 2012, 1101; R. Magnus, Der grenzüberschreitende Bezug als Anwendungsvoraussetzung im europäischen Zuständigkeitsund Kollisionsrecht, ZEuP 2018, 507; P. Mankowski, Insolvenznahe Verfahren im Grenzbereich zwischen EuInsVO und EuGVVO, NZI 2010, 508; P. Mankowski, Die Schiedsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO, IHR 2015, 189; P. Mankowski, Griechische Staatsanleihen und griechischer Schuldenschnitt vor dem EuGH, ZIP 2019, 193; B. Steindl, Die EuGVVO 2012 und die Schiedsgerichtsbarkeit – Bestandsaufnahme und Ausblick, FS Torggler, 2013, S. 1181; M. Stürner, Staatenimmunität und Brüssel I-Verordnung, IPRax 2008, 197; C. Toader, La notion de matière civile et commerciale, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 515; St. Weber, Von Torpedos, Tankern und deutsch-französischen Gefechten – Gerichte und Schiedsgerichte im Binnenmarkt, FS 60 Jahre Europa-Institut, 2011, S. 607; L. Wilhemsen Hauberg, International commercial arbitration and the Brussels I Regulation, 2018.
3.28 a) Nach Art. 1 I ist die EuGVO n.F. bzw. das LugÜ nur auf Zivil- und Handelssachen anzuwenden. Dieser Begriff ist autonom auszulegen.58 „Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff der Zivilsache in Art 1 als autonomer Begriff zu verstehen, für dessen Auslegung zum einen die Ziele und der Aufbau des Übereinkommens und zum anderen die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergebenden allgemeinen Grundsätze heranzuziehen sind.“59 Der Begriff ist danach weit zu fassen; Einschränkungen, die auf nationalen Besonderheiten beruhen, sind für die EuGVO n.F. bzw. das LugÜ irrelevant. Die deutsche Abgrenzung von Zivil- und Verwaltungsrechtsweg (§ 13 GVG und § 40 VwGO) ist nicht übertragbar. FamFG-Streitsachen und arbeitsgerichtliche Streitigkeiten sind daher Zivilsachen.60 Sinngemäß ist die EuGVO n.F. aber nur anwendbar, wenn der Fall einen Auslandsbezug hat, etwa weil der Beklagte Ausländer ist oder der Streit bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat anhängig ist.61 58 EuGHE 2006, I-4557 (Rz. 22) (Land Oberösterreich v ČEZ) = RIW 2006, 624; EuGHE 1976, 1541 (LTU Eurocontrol) = NJW 1977, 489; EuGHE 1993, I-1963 (Sonntag v Waidmann) = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (dazu B. Hess, S. 10) = ZZP 108 (1995), 241 (dazu U. Haas, S. 219); U. Soltész, Der Begriff der Zivilsache im europ. Zivilprozessrecht, 1998; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 3 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 10 ff. 59 EuGHE 1993, I-1963 (Rz. 18) (Sonntag v Waidmann) = NJW 1993, 2091; vgl. R. Geimer, IPRax 2003, 512. 60 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 9, 12; Kropholler/v. Hein, Art. 1 R EuGVO z 12. 61 R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 195; R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 516 ff.; Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.45 ff.
90
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.30 § 3
Ansprüche, die aus der Ausübung hoheitlicher Befugnisse eines Staats oder einer Behörde entstanden sind, sind danach ausgeschlossen. Schadenersatzansprüche wegen Kriegsverbrechen sind keine Zivilsachen.62 Keine Zivilsachen sind auch Klagen auf Erfüllung einer durch staatliches Gesetz gekürzten Staatsanleihe.63 Auch ein Gebührenanspruch, den eine Behörde einseitig für die Inanspruchnahme von Diensten festlegt, ist danach keine Zivilsache.64 Im Urteil v. 16.12.1980 hat der EuGH entschieden: Der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ i.S.v. Art. 1 I EuGVÜ umfasst nicht eine Rechtsstreitigkeit, die vom Verwalter der öffentlichen Wasserstraßen angestrengt wird, um von dem kraft Gesetzes Haftpflichtigen den Ersatz der Kosten für die Beseitigung eines Wracks zu erlangen, die der Verwalter in Ausübung hoheitlicher Befugnisse hat vornehmen lassen.65 Streitigkeiten aus einer Schiffsklassifizierung sind nur dann keine Zivilsache, wenn die eingeschaltete Stelle hoheitlich tätig wurde.66 Ein Streit um einen Kammerbeitrag zu einer Anwaltskammer ist nur Zivilsache, wenn er nicht hoheitlich geltend gemacht wurde.67 Der Anspruch auf Rückzahlung einer überzahlten Wiedergutmachung wurde dagegen als Zivilsache angesehen, ebenso der Anspruch auf Schadensersatz wegen hinterzogener Mehrwertsteuer.68 Eine Klage auf Schadensersatz wegen einer strafbaren Handlung ist auch dann eine Zivilsache, wenn sie bei einem Strafgericht eingereicht wird.69 Der Anspruch eines ausländischen Anwalts auf Zahlung seines Honorars ist dagegen eine Zivilsache, auch wenn er in Strafsachen oder öffentlich-rechtlich tätig war.70 Der Anspruch eines deutschen Notars auf Kostenerstattung ist dagegen öffentlich-rechtlicher Natur.71
3.29
Ansprüche aus Staatshaftung (z.B. nach Art. 34 GG) sind keine Zivilsache, wohl aber Ansprüche gegen öffentliche Unternehmen, solange sie nicht hoheitlich tätig wurden. Im Urteil v. 21.4.199372 hat der EuGH einen Amtshaftungsanspruch gegen ei-
3.30
62 EuGHE 2007, I-1519 (Lechouritou v Deutschland) = NJW 2007, 2464 = IPRax 2008, 250 (dazu R. Geimer, S. 225); M. Stürner, IPRax 2008, 197; vgl. IGH „Immuniés Juridictionelles de l’Ètat, Allemagne v Italie“ v. 4.2.2012; dazu B. Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201. 63 EuGH – C-308/17, ECLI:EU:C:2018:911 – Kuhn, ZIP 2018, 2290, IPRax 2019, 417 (krit. St. Arnold/Th. Garber, S. 385) = RIW 2019, 44 (krit. P. Mankowski, ZIP 2019, 193); BVerfG, WM 2020, 1111; M. Weller/St. Walter, BKR 2019, 123; M. Kerber, WM 2019, 1333; P. Hauser, BKR 2019, 333; auch O. Sandrock, Schuldenschnitt fremder Staaten vor deutschen Gerichten, RIW 2017, 549, a.A. Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.74; ohne eindeutige Aussage noch EuGH – C-226/13 u.a., ECLI:EU: C:2015:383 – St. Fahnenbrock, RIW 2015, 499. 64 EuGHE 1976, 1541 = NJW 1977, 489, 490 (m. Anm. R. Geimer). 65 EuGHE 1980, 3807 (Niederlande v Rüffer) = IPRax 1981, 169 (dazu P. Schlosser, S. 154). 66 EuGH – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 – Rina, EWS 2020, 161. 67 EuGH – C-421/18, ECLI:EU:C:2018:1053- Ordre des avocats du barreau de Dinant, EuZW 2020, 102 (F. Rieländer) = NJW 2020, 449. 68 EuGH – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 – Sunico u.a., RIW 2013, 780. 69 EuGH – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 – Aannemingsbedrijf Aertssen, IPRax 2019, 147 (dazu Ch. Kohler, S. 120). 70 LG Paderborn, EWS 1995, 248; Geimer in Zöller, Art. 1 EuGVVO Rz. 23. 71 Kropholler/v. Hein, Art. 1 Rz. 7. 72 EuGHE 1993, I-1963 (Sonntag v Waidmann), IPRax 1994, 37 (dazu B. Hess, S. 10).
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§ 3 Rz. 3.30 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
nen deutschen beamteten Lehrer als Zivilsache angesehen, da zwischen der Haftung des Lehrers an einer Privatschule und einer öffentlichen Schule kein Unterschied bestehen könne.73 Die Klage aus einer Bürgschaft für eine Zollforderung ist eine von der EuGVO erfasste Zivilsache,74 ebenso eine Klage aus Mietverträgen der öffentlichen Hand.75 Zivilsache ist der Streit über eine Parkgebühr auf einer öffentlichen Straße.76 Unterhaltsregressforderungen öffentlicher Behörden sind nur dann Zivilund Handelssachen, wenn der unveränderte Anspruch auf die öffentliche Hand übergegangen ist, nicht dagegen, soweit die öffentliche Stelle besondere Befugnisse hat.77 Schadenersatzklagen wegen Wettbewerbsverstößen sind auch dann Zivilsachen, wenn der Verstoß auch auf staatlich fixierten Entgelten beruht.78 Verbandsklagen nach §§ 1 ff. UKlaG gehören zu den Zivilsachen.79 Zivilsache ist auch das Verfahren über die Gestattung der Einsicht in personenbezogene Daten nach § 14 III-V TMG.80 Unter EuGVO/LugÜ fallen auch Entscheidungen der Strafgerichte in Adhäsionsverfahren (vgl. Art. 7 Nr. 4 n.F. EuGVO n.F., Art. 5 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ).
3.31 b) In Art. 1 II sind ausdrücklich die Gebiete aufgezählt, auf die die EuGVO bzw. das LugÜ nicht anzuwenden sind. Die in Art. 1 II ausgeschlossenen Rechtsgebiete sind autonom zu bestimmen.81 Ausgeschlossen ist der Streitgegenstand nur, wenn er unmittelbar das relevante Rechtsgebiet betrifft; eine Vorfragenkompetenz bleibt bestehen. Im Einzelnen handelt es sich um (1) Statusfragen, Rechts- und Handlungsfähigkeit,82 die ehelichen Güterstände83 (einschl. Versorgungsausgleich),84 das Erbrecht (s. auch [6]).85 Für Ehesachen und 73 Abschlussentscheidung: BGHZ 123, 268 = NJW 1993, 3269 = JZ 1994, 254 (E. Eichenhofer) = IPRax 1994, 118 (dazu R. Geimer, S. 82); U. Haas ZZP 108 (1995), 219; S. Kubis, ZEuP 1995, 854; Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 23. 74 EuGHE 2003, I-4867 (Préservatrice Foncière v Staat der Nederlanden), IPRax 2003, 528 (dazu R. Geimer, S. 512). 75 R. Hausmann, unalex-Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 26; vgl. Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 25. 76 EuGH – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 – Pula Parking (Rz. 33 ff.), IPRax 2018, 79 (dazu H. Roth, S. 41). 77 EuGHE 2002, I-10489 (Gemeente Stenbergen v Baten), IPRax 2004, 237 (dazu D. Martiny, S. 195) = ZZPInt 2002, 317 (Th. Rauscher); EuGHE 2004, I-981 (Freistaat Bayern v Blijdenstein), NJW 2004, 1439 = IPRax 2004, 240 (dazu D. Martiny, S. 195) = FamRZ 2004, 513; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 EuGVO Rz. 28 f. 78 EuGH – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 – flyLAL – Lithuanian Airlines, RIW 2014, 830 = IPRax 2015, 543 (dazu Ch. Kohler, S. 500). 79 BGH, RIW 1990, 63 (früher §§ 13, 22 AGBG); R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 38. 80 BGH, GRUR 2020, 101. 81 EuGHE 1979, 733 (Gourdain v Nadler) = RIW 1979, 273; Kropholler/v. Hein, Art. 1 Rz. 16. 82 EuGH – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 – Schneider, FamRZ 2013, 1873 (A. Wendenburg) (betreuungsrechtliche Genehmigung); dazu auch J. v. Hein, IPRax 2015, 198. 83 Vgl. R. Hausmann, FamRZ 1980, 418; Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 31. 84 Vgl. A. Burgstaller, Rz. 2.20; krit. D. Henrich, IPRax 1998, 396 f. 85 Zu Regelungen zum Scheidungsrecht sowie zum Erbrecht s. § 4 Rz. 4 ff., 94.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.32 § 3
Sorgerechtsstreitigkeiten gilt inzwischen die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 v. 27.11.200386 (Brüssel IIa; EheGVO) über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren über die elterliche Verantwortung (s. Rz. 4.1 f., 4.45 ff.). Unterhaltsklagen fallen nach Art. 5 Nr. 2 unter das LugÜ, innerhalb der EU seit 2011 freilich unter die EuUntVO (s. Rz. 4.130 ff.). Die Abgrenzung von Güterstand und Unterhalt richtet sich danach, ob sich der Anspruch an der Bedürftigkeit des Berechtigten und an der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten orientiert. Ist dies der Fall, handelt es sich um Unterhalt.87 Aufgrund des Vorrangs der EuGVO n.F. sind die §§ 105, 232 III Nr. 3 FamFG nur anwendbar, wenn das europäische Recht nicht eingreift. EuGVO bzw. LugÜ sind ohne weiteres auf alle vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten anwendbar, die keinen Zusammenhang mit der Ehe aufweisen.88 Ansprüche, die sich unmittelbar aus der Ehe oder ihrer Auflösung ergeben, sind dagegen vom Anwendungsbereich der EuGVO n.F. ausgeschlossen.89 Für Güterrechtssachen sind seit 29.1.2019 die EU-Verordnungen 2016/1103 und 2016/1104 anwendbar (s. Rz. 4.160 ff.). Klagen, die die Vermögensauseinandersetzung zwischen Partnern einer nur faktischen Lebensgemeinschaft betreffen, fallen dagegen in den Anwendungsbereich der EuGVO.90 (2) Konkurse,91 Vergleiche, Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters gehören zum Konkurs- bzw. Insolvenzrecht,92 ebenso Haftungsklagen gegen GmbH-Geschäftsführer (wegen wrongful trading, Insolvenzverschleppung usf) im Insolvenz-
86 ABl. EG Nr. L 338/1; durch sie wurde die VO (EG) Nr. 1347/2000 v. 29.5.2000 (Brüssel II) m.W.z. 1.3.2005 aufgehoben. 87 EuGHE 1997, I-1147 (van den Boogard) = IPRax 1999, 35 (dazu M. Weller); BGH, FamRZ 2009, 1659, 1661 (D. Henrich); Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 31. 88 Vgl. H. P. Stolz, Zur Anwendbarkeit des EuGVÜ auf familienrechtliche Ansprüche, 1995. 89 EuGH – C- 67/17, ECLI:E:C:2017:459 – Iliev (Rz. 27 ff.) (Streit über die Teilung einer während der Ehe erworbenen beweglichen Sache), IPRax 2018, 616 (dazu D. Looschelders, S. 591). 90 EuGH – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 – Ágnes Weil (Rz. 38 ff.), FamRZ 2019, 1557 (M. Brosch). 91 Vgl. OLG Zweibrücken v. 30.6.1992 – 3 W 13/92, EWS 1993, 264; OLG München, RIW 2002, 66, 67; ferner: F. Strobel, Die Abgrenzung zwischen EuGVVO und EuInsVO im Bereich insolvenzrechtlicher Einzelentscheidungen, 2006. 92 EuGH – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 – Kornhaas, NZI 2016, 48 = IPRax 2016, 276 (dazu S. Mock, S. 237); EuGHE 2009, I-767 (Deko Marty) = NZI 2009, 199 = ZIP 2009, 427 (Zuständigkeit analog Art. 3 I EuInsVO); BGH, RIW 1990, 221 = NJW 1990, 990; A. Flessner/M. Schulz, IPRax 1991, 162; M. v. Campe, Insolvenzanfechtung in Deutschland, 1996, 349; U. Haas, NZG 1999, 1148; M. Zeuner/Th. Elsner, DZWiR 2008, 1; OLG München, IHR 2007, 80 (dazu I. Saenger/U. Klockenbrink, S. 60); Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 47 ff.; a.A. OLG Frankfurt, ZIP 2006, 769 = ZInsO 2006, 715 (abl. W.-G. Ringe, S. 700; zust. Ch. Thole, ZIP 2006, 1383); Geimer/Schütze, Art. 1 Rz. 131.
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3.32
§ 3 Rz. 3.32 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
fall,93 nicht aber Eigenkapitalersatzklagen94 und individuelle Haftungsklagen gegen Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung,95 Regressklagen wegen nach Insolvenzreife geleisteter Zahlungen96 oder Schadenersatzklagen wegen existenzvernichtenden Eingriffs97 sowie Gläubigeranfechtungsklagen (außerhalb der Insolvenz) nach dem AnfG98 und Schadenersatzklagen gegen den Insolvenzverwalter.99 Zu den Insolvenzsachen gehören eine Klage auf Feststellung des Bestehens einer Forderung zum Zweck der Anmeldung im Insolvenzverfahren100 sowie eine Klage gegen Mitglieder des Gläubigerausschusses wegen ihrer Abstimmung über einen Sanierungsplan des Schuldners.101 Aktivklagen des Insolvenzverwalters auf Erfüllung eines vorinsolvenzlichen Vertrages sind dagegen allgemeine Zivilsachen.102 Eine Klage wegen eines Streits mit einem Insolvenzverwalter über die Erfüllung einer mit diesem abgeschlossenen Vereinbarung, hängt nicht direkt mit dem Insolvenzverfahren zusammen, sondern ist ebenfalls eine allgemeine Zivilsache.103 Gleiches gilt für eine Schadenersatzklage wegen unlauteren Wettbewerbs gegen den Erwerber eines im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erworbenen Geschäftsbereichs.104 Die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Dritten auf Schadensersatz wegen einer die Gläubigergesamtheit schädigenden unerlaubten Handlung ist eine Zivilsache.105 Auch die Klage eines Gläubigers aus einer vom Insolvenzverwalter abgetretenen Insolvenzanfechtungsforderung ist eine Zivilsache.106 Strei-
93 EuGHE 1979, 733 (Gourdain v Nadler) = RIW 1979, 273; Geimer/Schütze, Art. 1 Rz. 89; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 19; a.A. P. Kindler, FS Ulmer, 2003, S. 305, 308. 94 EuGH – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFAB, ZIP 2013, 1932, 1933 (Rz. 24 ff.) = JZ 2014, 40 (Ch. Osterloh-Konrad); OLG Koblenz, NZI 2002, 56, 57; G. Schwarz, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, S. 503, 513 f.; Kropholler/v. Hein, Art. 1 Rz. 35 f.; diff. R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 94. 95 OLG Köln, ZIP 2005, 322, 324. 96 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 85. 97 Vgl. P. Mankowski, RIW 2005, 561, 569; Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 84. 98 EuGH – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 – Feniks (Rz. 30 ff.), RIW 2018, 760 (krit. dazu J. Hoffmann, GPR 2019, 168 u. A. Swieczok, DZWiR 2019, 526 = IPRax 2019, 521 (dazu Ch. Kern/Ch. Uhlmann, S. 488); A. Burgstaller, Art. 1 EuGVO Rz. 15; Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 71; P. Schlosser, IPRax 1991, 29. 99 Kropholler/v. Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 37 (a.E.). 100 EuGH – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 – Riel, NZI 2019, 861 (P. Mankowski) = RIW 2019, 757; dazu auch J. Schmidt, ZInsO 2019, 2448. 101 EuGH – C-649/16, ECLI:EU:C:2017; 986 – Villach, ZIP 2018, 185 = NJW 2018, 843; dazu S.-H. Undritz, EWiR 8/2018, 243. 102 EuGH – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 – Nickel & Goeldner Spedition (Rz. 20 ff.), IPRax 2015, 417 (dazu Ch. Thole, S. 396); BGH, NZI 2015, 1033 (P. Mankowski). 103 BGH, NJW 2014, 2798 (Rz. 15) = IPRax 2015, 571 (dazu H. Roth, S. 538). 104 EuGH – C-641/16, ECLI:C:2017:847 – Tünkers (Rz. 19 ff.), NZI 2018, 45. 105 EuGH – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 – NK/BNP Paribas Fortis NV, NZI 2019, 302 (P. Mankowski) = IPRax 2019, 518 (dazu Ch. Thole, S. 518). 106 EuGH – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 – F-Tex, ZIP 2012, 1049, 1050 (Rz. 30 ff.), NZI 2012, 469; dazu M. Brinkmann, EWiR Art. 5 EuInsVO 5/12, 383.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.34 § 3
tigkeiten über Masseforderungen,107 über Absonderungsrechte108 und über Aussonderungsansprüche109 sind ebenfalls keine Insolvenzforderungen. Auch Klagen gegen einen Gesellschafter und Geschäftsführer, bestimmte Maßnahmen innerhalb einer insolventen Gesellschaft zu unterlassen, gehören nicht zu ähnlichen Verfahren wie ein Konkurs.110 Ob es bei Anspruchskonkurrenz eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs nach EuInsVO oder EuGVO gibt, ist zweifelhaft. Das LG Essen hat die Frage dem EuGH vorgelegt.111 Ein englisches Scheme of Arrangement-Verfahren ist ein vorkonkursliches Verfahren und daher nicht von der Konkursausnahme erfasst.112 Sofern die Beteiligten die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte vereinbart hatten, hat der englische High Court of Justice daher seine Zuständigkeit zur Genehmigung nach der EuGVO bejaht.113 (3) Die die soziale Sicherheit betreffenden Fälle. Der Begriff entspricht der Definition in Art. 4 VO (EWG) Nr. 1408/71.114 Regressforderungen nach Leistung von Unterhalt sowie Ausbildungsförderung fallen nicht unter die soziale Sicherheit i.S.v. Art. 1 II Nr. 3, soweit Grundlage des Regresses die allgemeinen Deliktsregeln (Ersatzpflicht nach Unfall) oder Unterhaltspflichten bilden.115 Ansprüche aus privaten Rentenversicherungen und Betriebsrentenansprüche gegen den Arbeitgeber sind ebenfalls gewöhnliche Zivilsachen.116 Gleiches gilt für Ansprüche eines Sozialversicherungsträgers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung von Zuschlägen zu einem Urlaubsentgelt für in einen anderen Mitgliedstaat entsandte Arbeitnehmer.117 Der Versorgungsausgleich gehört ebenfalls nicht zur sozialen Sicherheit, ist aber als Teil des ehelichen Güterrechts einzuordnen (s. Rz. 3.26). Zur sozialen Sicherheit gehören Ansprüche gegen Sozialversicherungsträger, auf Leistung von Sozialhilfe, Grundsicherung usw, auch Ansprüche auf Zahlung von Insolvenzgeld.118
3.33
(4) Die Schiedsgerichtsbarkeit,119 Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Bei der Reform der EuGVO sollten Streitigkeiten von über
3.34
107 A. Burgstaller, Art. 1 EuGVO Rz. 19; Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 78; Kropholler/v. Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 37. 108 Vgl. B. Laukemann, IPRax 2013, 150, 152. 109 EuGH – C-339/07, EuGHE 2009, I-8421 (German Graphics), NZI 2009, 741; dazu P. Mankowski, NZI 2010, 508. 110 Choudhary v Bhatter, English CA I.L.Pr. 130, 142 (Rz. 30 ff.). 111 LG Essen, ZIP 2011, 875; Ch. Thole, ZIP 2012, 605. 112 Vgl. St. Sax/A. Swierczok, ZIP 2017, 601, 602. 113 High Court of Justice (Chancery Division) ZIP 2012, 440; abl. W. Lüke/A. Scherz, ZIP 2012, 1101, 1105 f. 114 EuGHE 2002, I-10489 (Gemeente Steenbergen) = FamRZ 2003, 85; BAG, RIW 2008, 726, 727; Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 55 ff. 115 EuGHE 2002, I-10489 (Gemeente Steenbergen v Baten) = IPRax 2004, 237 (dazu D. Martiny, S. 195) = ZZPInt 7 (2002), 317 (Th. Rauscher). 116 Th. Rauscher, IPR, Rz. 1766. 117 EuGH – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 – Gradbeništvo Korana, RIW 2019, 213. 118 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 102. 119 Vgl. P. Mankowski, IHR 2015, 189; L. Killias, EurJLawReform 4 (2002), 119; A. Besson, Études en l’honneur de Poudret, 1999, 329; J.-P. Beraudo, The Arbitration Exception of
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§ 3 Rz. 3.34 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen zunächst in den Anwendungsbereich der EuGVO einbezogen werden, um Torpedoklagen und Parallelverfahren besser als bisher verhindern zu können. Auch die Zulässigkeit einstweiliger Maßnahmen in Bezug auf Schiedsverfahren sollte präzisiert werden.120 Entsprechend der Kompromissfassung des Rates der EU v. 1.6.2012 bleibt es dagegen bei der bisherigen Rechtslage.
3.35 Die Ausnahme für Schiedssachen wird in der Neufassung der EuGVO lediglich in Erwägungsgrund 12 EuGVO n.F. ausführlich konkretisiert. Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte, dass Schiedsvereinbarungen wirksam oder unwirksam sind, fallen danach nicht in den Anwendungsbereich der EuGVO. Da es auch kein einheitliches Recht für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung gibt, können insoweit unterschiedliche Entscheidungen in den Mitgliedstaaten ergehen. Ausgenommen sich auch Hilfsentscheidungen des staatlichen Gerichts, die dem Schiedsverfahren dienen sollen, z.B. die Entscheidung über die Bildung des Schiedsgerichts, die Ernennung von Schiedsrichtern,121 die Durchführung des Schiedsverfahrens und die Hilfe bei der Beweisaufnahme.122 Schließlich erfasst die EuGVO nicht die Anfechtung, Aufhebung bzw. Überprüfung von Schiedssprüchen und deren Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Unter die EuGVO fällt dagegen der Erlass einstweiliger Maßnahmen, die, wie die Leistung einer Sicherheit lediglich der Sicherung eines Anspruchs dienen, nicht aber der Durchführung des Schiedsverfahrens oder der Vollstreckung des Schiedsurteils.123 Unzulässig nach der EuGVO n.F. ist weiterhin eine sog. anti-suit injunction, durch die das Gericht eines EU-Mitgliedstaates einer Partei die Fortführung eines Verfahrens vor dem Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaates zugunsten eines schiedsgerichtlichen Verfahrens verbietet.124 Nicht in den Anwendungsbereich der EuGVO fällt dagegen die Anerkennung einer anti-suit injunction eines Schiedsgerichts gegen das Betreiben eines Verfahrens vor dem staatlichen Gericht eines EU-Mitgliedstaates. Hierüber entscheidet das Gericht nur nach dem New Yorker Übereinkommen und dem nationalen Prozessrecht des Anerkennungsstaates.125
120 121 122 123 124 125
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the Brussels and Lugano Conventions, JIntArb 18 (1) (2001), 13; C. Ambrose ArbInt 19 (2003), 3; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.107 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 1 EuGVO Rz. 58 ff. Vgl. Vorschlag zur Neufassung von Art. 1 Abs. 2 lit. d, 29 Abs. 4, 36 EuGVO; vgl. M. Benedettelli, ArbInt 27 (2011), 583. EuGHE 1991, I-3855 (Marc Rich v Societá Italiana Impianti PA) = NJW 1993, 189 = IPRax 1992, 312 (dazu U. Haas, S. 292); Walter/Domej, IZPR in der Schweiz, S. 193 f. OLG Hamburg, RIW 1996, 862; A. Burgstaller, Rz. 2.24 f.; Wieczorek/Schütze/Schulze, Brüssel Ia-VO, Rz. 98. BGH, RIW 2009, 238 = MDR 2009, 645 (Rz. 10). EuGH – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 – Allianz v WestTankers, NJW 2009, 1655; vgl. Wieczorek/Schütze/Schulze, Brüssel Ia-VO, Art. 1 Rz. 111; P. Kindler, Prozessführungsverbote zwischen Brüssel Ia und Schiedsgerichtsbarkeit, FS Geimer, 2017, S. 321. EuGH – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom v Republik Litauen, RIW 2015, 427.
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.40 § 3
(5) Art. 1 II lit. e EuGVO n.F. nimmt familienrechtliche Unterhaltspflichten jetzt ausdrücklich vom Anwendungsbereich der EuGVO n.F. aus, da insoweit seit 2011 die Europäische Unterhaltsverordnung (EuUntVO) eingreift.
3.36
(6) Das Gebiet des Erbrechts und Testamentsrechts (einschl. des erbrechtlichen Unterhalts) wird von Art. 1 II lit. f EuGVO n.F. gesondert ausgenommen. Insoweit gilt seit 17.8.2015 die EuErbVO. Zu den erbrechtlichen Streitigkeiten gehören alle Ansprüche von Erben und Vermächtnisnehmern auf und an dem Nachlass. Gleiches gilt von Klagen von Pflichtteilsberechtigten. Schenkungen von Todes wegen sind ebenfalls erbrechtliche einzuordnen. Allgemeine Zivilsachen sind freilich Streitigkeiten über Nachlassverbindlichkeiten126 oder Streitigkeiten über Ansprüche des Nachlasses gegen Dritte.127 Auch Streitigkeiten des Erben gegen einen Erbschaftsbesitzer will die hM. als allgemeine Zivilsache einordnen.128
3.37
Vorrang haben die besonderen Regelungen für Spezialgebiete (Art. 71 EuGVO bzw. Art. 67 LugÜ). Hierzu zählen
3.38
– die CMR129 (s. Rz. 3.420 ff.) und – das Montrealer Übereinkommen (s. Rz. 3.413 ff.) 6. Der Wohnsitzgerichtsstand Schrifttum: T. Domej, Unbekannter Aufenthalt, Justizgewährungsanspruch und rechtliches Gehör im europäischen Zivilprozessrecht, FS Prütting, 2018, S. 261; M. Hahn, Die Verortung der natürlichen Person im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2011; W. Hau, Die Verortung natürlicher Personen – Ein Beitrag zum Allgemeinen Teil des Europäischen Zivilverfahrensrechts, GS M. Wolf, 2011, S. 409; B. Lurger, Die Verortung natürlicher Personen im europäischen IPR und IZVR, in v. Hein/G. Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 202; U. Spellenberg, Internationale Zuständigkeit kraft Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, FS Kerameus, 2009, S. 137; P. de VareillesSommières, The mandatory nature of Article 2 of the Brussels Convention and derogation from the rule it lays down, in P. de Vareilles-Sommières, Forum shopping, 2007, p. 101; F. Wedemann, Die Verortung juristischer Personen im europäischen IPR und IZVR, in von Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 182.
3.39
Die EuGVO bzw. das LugÜ folgen der Grundregel: actor sequitur forum rei, weil sie dem Beklagten die Verteidigung erleichtert.130 Für Personen mit Wohnsitz bzw. Sitz
3.40
126 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 76; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 17. 127 Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 173 ff. 128 Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 176; vgl. aber S. Weber, S. 249 ff. 129 EuGHE 2004, I-10327 (Nürnberger Allgemeine v Portbridge) = NJW 2005, 44 = IPRax 2006, 256 (dazu J. Haubold, S. 224); BGH, IPRax 2006, 257; BGH, RIW 2003, 722; zur Auslegung von Art. 71 vgl. auch EuGH – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 – Nipponkoa Insurance, RIW 2014, 141. 130 EuGHE 2000, I-5925 (Rz. 34) (Josi Group Reinsurance) = NJW 2000, 3121 = RIW 2000, 787, 788 = IPRax 2000, 520 (dazu A. Staudinger, S. 483) = ZZPInt 6 (2001), 187 (R. Geimer).
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§ 3 Rz. 3.40 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat ist daher als allgemeiner internationaler Gerichtsstand die Zuständigkeit dieses Mitglied- bzw. Vertragsstaats vorgesehen (Art. 4 I EuGVO n.F., Art. 2 I EuGVO a.F./LugÜ). Die örtliche Zuständigkeit ist nicht geregelt, sondern bestimmt sich nach nationalem Recht.131 Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es nicht an. Der Wohnsitz muss nicht bereits bei Prozessbeginn bestehen; es genügt, dass er im Laufe des Verfahrens begründet wird. Die einmal begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, auch wenn der Wohnsitz noch während des Verfahrens wieder aufgegeben wird.132 Ist der Wohnsitz des Beklagten unbekannt, kann die Klage am letzten bekannten Wohnsitz erhoben werden.133
3.41 Gleichgültig ist auch, wo der Kläger seinen Wohnsitz/Sitz hat, in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat,134 soweit nicht die Regeln der EuGVO bzw. des LugÜ ausnahmsweise selbst voraussetzen, dass der Kläger seinen Wohnsitz/Sitz in einem Mitglied-/Vertragsstaat hat. Universelle Anwendung finden EuGVO n.F. (EuGVO a.F./LugÜ) dennoch nur in den ausdrücklich bestimmten Ausnahmefällen. 3.42 Dem Aufenthaltsort wird grds. die Fähigkeit abgesprochen, eine internationale Zuständigkeit zu begründen. Insoweit verdrängen EuGVO bzw. LugÜ die grds. mit der örtlichen verknüpfte deutsche internationale Zuständigkeitsregelung. Von den allgemeinen Gerichtsständen der §§ 12 ff. ZPO kann also nur noch der Wohnsitz des Beklagten die allgemeine internationale Zuständigkeit i.S.d. Übereinkommens begründen. 3.43 a) Den Begriff des Wohnsitzes natürlicher Personen bestimmt die lex fori, wenn der Beklagte im Gerichtsstaat wohnt (Art. 62 I EuGVO n.F., Art. 59 I EuGVO a.F./LugÜ). Wohnt der Beklagte in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat, so wird der Wohnsitz nach dem Recht dieses Staats bestimmt (Art. 62 II EuGVO n.F., Art. 59 II EuGVO a.F./LugÜ.135 Da der Wohnsitz nach der jeweiligen lex fori zu bestimmen ist, kann eine Person den Wohnsitz in mehreren Staaten haben, unabhängig davon, ob diese intern einen Doppelwohnsitz anerkennen.136 131 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 25 ff.; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 2 Brüssel I-VO Rz. 9. 132 BGHZ 188, 373, 377 ff. = NJW 2011, 2515 = ZIP 2011, 833 = JR 2012, 192 (D. Looschelders); Wagner in Stein/Jonas, Art. 2 EuGVO Rz. 12 ff: Wieczorek/Schütze/Gebauer, Brüssel Ia-VO Rz. 29 f. 133 EuGH – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecní banka v Lindner (Rz. 55), NJW 2012, 1199; vgl. auch EuGH – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 – G. v. Cornelius de Visser, EuZW 2012, 381 (I. Bach); Wieczorek/Schütze/Gebauer, Brüssel Ia-VO, Art. 6 Rz. 7 ff.; T. Domej, FS Prütting, 2018, S. 261, 262 ff.; S. Lukas, Die Person mit unbekanntem Aufenthalt im zivilrechtlichen Erkenntnsiverfahren, 2018. 134 EuGHE 2000, I-5925 (Rz. 59 ff.) = NJW 2000, 3121 = RIW 2000, 787, 789 = IPRax 2000, 520 (dazu A. Staudinger, S. 483 f.); M. Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rz. 10; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 30; R. Hausmann, unalex Kommentar, Vor Art. 2–4 Brüssel I-VO Rz. 6. 135 Vgl. Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.185 ff.; Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 62 Brüssel Ia-VO Rz. 1, 4; J.-P. Beraudo, JDI 128 (2000), 1033, 1039 f.; P. Grolimund, Drittstaatenproblematik, Rz. 61 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 2 EuGVO Rz. 8 f. 136 Th. Rauscher, IPR, Rz. 1781 f.
98
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.47 § 3
b) Bei juristischen Personen und Gesellschaften ist auf deren Sitz abzustellen.137 Nach Art. 53 I 1 EuGVÜ war bzw. ist hierzu der Sitz nach dem IPR am Sitz des angerufenen Gerichts zu bestimmen. Unterschiede ergaben bzw. ergeben sich vor allem zwischen Ländern, in denen der Registrierungsort den Sitz bestimmt, und denen, die auf den Ort des tatsächlichen Sitzes der Hauptverwaltung abstellen.138 Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, sieht Art. 63 EuGVO n.F. (Art. 60 I EuGVO a.F./ LugÜ) vor, dass sich der „Wohnsitz“ von juristischen Personen alternativ (1) am satzungsmäßigen Sitz, (2) am Sitz der Hauptverwaltung oder (3) am Sitz der Hauptniederlassung befindet. Fallen diese Anknüpfungen auseinander, hat der Kläger die freie Wahl.139 Im Vereinigten Königreich und in Irland ist unter dem satzungsmäßigen Sitz das „registered office“ zu verstehen. Hilfsweise ist auf den place of incorporation (Ort der Erlangung der Rechtsfähigkeit), nochmals hilfsweise auf den Ort, nach dessen Recht die formation (Gründung) erfolgt ist, abzustellen (Art. 63 II EuGVO n.F., Art. 60 II EuGVO a.F./LugÜ).140 Die Wahlmöglichkeit vergrößert im Einzelfall die Gerichtspflichtigkeit der juristischen Person und der Kläger kann im Rahmen seiner Wahlmöglichkeiten forum shopping betreiben.141
3.44
Der Sitz eines trust ist wie bisher nach dem IPR des angerufenen Gerichts zu bestimmen (Art. 63 III EuGVO n.F., Art. 60 III EuGVO a.F./LugÜ).
3.45
Für Parteien kraft Amtes (Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter) ist nicht auf deren persönlichen Wohnsitz, sondern je nachdem, ob der Schuldner eine natürliche Person oder eine juristische Person oder Personengesellschaft ist, auf deren Wohnsitz nach Art. 62 oder 63 EuGVO n.F. (Art. 59 oder 60 EuGVO a.F./LugÜ)abzustellen. Erst die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 19a ZPO.142
3.46
Für die Begründung der Zuständigkeit genügt es, wenn der Wohnsitz erst nach Klageerhebung in dem betreffenden Mitgliedstaat (vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) begründet wurde.143 Die einmal begründete Zuständigkeit bleibt nach dem Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 III Nr. 2 ZPO) erhalten, wenn der Wohnsitz im Laufe des Verfahrens in einen anderen Staat verlegt wird.144
3.47
137 Vgl. A. Schnyder, Der Sitz von Gesellschaften im internationalen Zivilverfahrensrecht, FS Schütze, 1999, S. 767; O. Olano, Der Sitz der Gesellschaft im internationalen Zivilverfahrens- und Insolvenzrecht der EU und der Schweiz, 2004. 138 Vgl. St. Travers, Der Beweis des Anknüpfungskriteriums „tatsächlicher Sitz der Hauptverwaltung“, 1998; BGH, RIW 2003, 877 (Luxemburger Briefkastenfirma). 139 Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 63 Brüssel Ia-VO Rz. 10 ff.; R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 43; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 327; Markus, SZW/RSDA 1999, 205, 209; krit. G. Wagner in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften, 2005, S. 223, 244. 140 Vgl. D. King v Crown Energy Trading AG [2003] ILPr 28 (p. 489). 141 Krit. G. Anliker, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, 2018, S. 259 ff. 142 B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 46; Fasching/Simotta, Art. 2 Rz. 38; Gottwald in MünchKomm/ ZPO, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 20; a.A. Rauscher/Mankowski, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 13. 143 BGHZ 188, 373, 376 (Rz. 11 ff.) = NJW 2011, 2515. 144 BGHZ 188, 373, 382 (Rz. 23 ff.) = NJW 2011, 2515.
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§ 3 Rz. 3.48 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.48 In Ländern, die wie Frankreich und Luxemburg in ihrem autonomen Recht auf die Staatsangehörigkeit abstellen, gewinnt der Wohnsitz damit an Bedeutung. Um die Ausländer mit den Inländern gleichzustellen, gibt Art. 6 II EuGVO n.F. (Art. 4 II EuGVO a.F./LugÜ) den Personen, die ihren Wohnsitz in den betreffenden Ländern haben, die Möglichkeit, gegen Beklagte, die keinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet der Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten haben, diese nach den in den betreffenden Ländern geltenden Zuständigkeitsregeln zu verklagen (Frankreich und Luxemburg Art. 14 und 15 cc). Insoweit führen EuGVO bzw. LugÜ in diesen Ländern zu einer Erweiterung der internationalen Zuständigkeit.145 Ein deutscher Kläger mit Wohnsitz in Paris könnte also seinen Geschäftspartner mit Wohnsitz in New York vor dem Gericht in Paris verklagen, auch wenn dies von den Parteien weder ausdrücklich noch stillschweigend vereinbart worden ist. 7. Die Ausschaltung der exorbitanten Gerichtsstände
3.49 Alle anderen Gerichtsstände gem. Art. 7–26 EuGVO n.F. (Art. 5–24 EuGVO a.F./ LugÜ sind nur als enumerative Ausnahmen vom Beklagtengerichtsstand zugelassen (Art. 5 I EuGVO n.F., Art. 3 I EuGVO a.F./LugÜ).146 Zum Schutze der schwächeren Partei kennen EuGVO bzw. LugÜ ausnahmsweise auch Klägergerichtsstände.147 Jedoch ergibt sich aus der Systematik der Regelungen, dass Klägergerichtsstände die Ausnahme bleiben sollen und dem Kläger nicht generell ein Gericht an seinem Wohnsitz/Sitz zur Verfügung stehen soll. Bereits aus Art. 5 I EuGVO n.F. (Art. 3 I EuGVO a.F./LugÜ) ergibt sich, dass andere (nationale) Zuständigkeiten in der EU bzw. in den LugÜ-Vertragsstaaten keine Geltung haben.148 3.50 Lediglich zur Klarstellung („insb“) werden die betroffenen „exorbitanten“ Gerichtsstände, die gegen eine in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat wohnende Person nicht mehr geltend gemacht werden dürfen, konkret aufgelistet, in Art. 3 II EuGVÜ selbst, in Anhang I zur EuGVO a.F.149 bzw. jetzt in einer aufgrund der Mitteilungen der Mitgliedstaaten erstellten Liste 1 nach Art. 5 II, 76 I lit. a, II EuGVO n.F.150 Vom deutschen Recht betroffen ist der Gerichtsstand des Vermögens gem. § 23 ZPO. Ein in Frankreich wohnender Beklagter, der Vermögen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland besitzt, kann also nicht gestützt auf § 23 ZPO vor deutschen Gerichten verklagt werden. Mit der Ausmerzung der „exorbitanten“ Gerichtsstände hat bereits das EuGVÜ einen Markstein für die allgemeine Entwicklung der internationalen Zuständigkeit gesetzt.
145 Th. Rauscher, IPR, Rz. 1785 ff.; krit. dagegen K. Nadelmann, Jurisdictionally improper fora in treaties, 67 Col.L.Rev. (1967), 995. 146 EuGH – C-304/17, ECLI:EU:2018:701 – Helga Löber (Rz. 18), EuZW 2018, 998. 147 EuGHE 2000, I-5925 (Rz. 38 ff.) (Group Josi) = NJW 2000, 3121 = RIW 2000, 787, 788. 148 Geimer/Schütze, 606.41. 149 Vgl. R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 3 Brüssel I-VO Rz. 7 ff. 150 ABl. EU 2015 Nr. C 4/2.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.55 § 3
8. Geltung gegenüber Drittstaatsangehörigen Schrifttum: D. Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensachverhalte, 2014; A. Borrás, Application of the Brussels I Regulation to external situations, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 333; T. Domej, Das Verhältnis nach „außen“ – Europäische v Drittstaatensachverhalte, in von Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privatund Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 90; L. Gillies, Creation of subsidiary jurisdiction rules in the recast of Brussels I: Back to the drawing board?, JPIL 8 (2012), 489; P. Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000; Th. Kruger, Civil jurisdiction rules of the European Union and their impact on third states, 2008; P. Mankowski/L. Knöfel, Verhältnis zu Drittstaaten, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 10; J. Weber, Universal Jurisdiction and Third States in the Reform of the Brussels I regulation, RabelsZ 75 (2011), 619; M. Yoshida, Changes of Jurisdiction Rules and Relevance for Third States, IJPL 5 (2015), 5.
3.51
Die internationale Zuständigkeitsregelung von EuGVO bzw. LugÜ findet grds. keine Anwendung, wenn der Beklagte keinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Mitglied- bzw. Vertragsstaats hat. Ihm gegenüber bleibt also die internationale Zuständigkeitsregelung des jeweiligen autonomem Rechts anwendbar (Art. 6 I EuGVO n.F., Art. 4 I EuGVO a.F./LugÜ).151 Art. 6 I EuGVO n.F. (Art. 4 I EuGVO a.F./LugÜ) greift aber nicht, solange der Beklagte seinen Wohnsitz vermutlich in einem Mitgliedstaat hat, lediglich der konkrete Wohnsitz unbekannt ist.152
3.52
Die Zuständigkeitsordnung der EuGVO 2001 galt nach Art. 4 I aber im Hinblick auf die ausschließlichen Zuständigkeiten von Art. 22 EuGVO a.F. und die Gerichtsstandvereinbarungen von Art. 23 a.F. ausdrücklich auch gegenüber Personen mit Wohnsitz in Drittstaaten.
3.53
Der Vorschlag für eine Neufassung der EuGVO enthielt zunächst eine umfassende internationale Zuständigkeitsordnung, so dass die bisherigen Zuständigkeiten durch eine Notzuständigkeit ergänzt werden sollten.153 Die letztlich beschlossene Neufassung der EuGVO von 2012 führt zwar entgegen dem ursprünglichen Plan kein umfassendes Zuständigkeitssystem in Bezug auf Personen aus Drittstaaten ein, sieht aber vor, dass jetzt auch die Zuständigkeitsvorschriften zum Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten anwendbar sind (Erwägungsgrund 14 n.F.; Art. 6 I, 18 I, 21 II EuGVO n.F.).
3.54
Die Art. 4 ff. EuGVO n.F. (Art. 2 ff. EuGVO a.F./LugÜ)finden schon dann Anwendung, wenn zwar beide Parteien ihren Wohnsitz in demselben Mitglied- bzw. Vertragsstaat haben, das Forum aber in einem anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat
3.55
151 Vgl. E. Pataut, Études à Normand, 2003, S. 365; P. Grolimund, Rz. 58; P. Schlosser, FS Heldrich, S. 1007. Für Einführung einer Notzuständigkeit in Drittstaatsfällen de lege ferenda M. Stürner/F. Pförtner, Residual jurisdiction: Back to the future?, GPR 2019, 222; Wagner in Stein/Jonas, Art. 4 EuGVO Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Brüssel IaVO, Art. 6 Rz. 11. 152 EuGH – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 – Cornelius v de Visser, EuZW 2012, 381 (Bach). 153 Krit L. Gillies, JPIL 8 (2012), 489.
101
§ 3 Rz. 3.55 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
liegt.154 Art. 4 EuGVO n.F. (Art. 2 EuGVO a.F./LugÜ)gilt auch, wenn beide Parteien im Forumstaat wohnen und nur der Fall selbst Verbindungen zu einem Drittstaat hat. Der Bezug zu einem zweiten Mitgliedstaat ist nicht erforderlich.155 Daher scheiden nur reine Inlandssachverhalte aus. Gerichtsstandsvereinbarungen gem. Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) gelten auch gegenüber Personen mit Wohnsitz außerhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsstaaten, weil danach nur auf den Wohnsitz einer Partei innerhalb dieser Hoheitsgebiete abgestellt wird.156. Allerdings hat das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 nach Art. 26 VI HGÜ Vorrang, wenn es sich um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Parteien handelt, von denen eine ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat des HGÜ hat, der nicht der Europäischen Union angehört.
3.56 Von diesen Bereichen abgesehen bleiben weitergehende „nationale“ Gerichtsstände aber gegenüber Beklagten mit Wohnsitz/Sitz in einem Drittstaat anwendbar (Art. 6 I EuGVO n.F., Art. 4 EuGVO a.F./LugÜ).157 Ist ein Beklagter (Unionsbürger) unbekannten Aufenthalts, so bleiben aber die Art. 4, 7 ff. EuGVO n.F. (Art. 2, 5 ff. EuGVO a.F./LugÜ) anwendbar, solange es nicht starke Indizien dafür gibt, dass der Beklagte seinen Wohnsitz tatsächlich außerhalb des Gebiets der Europäischen Union bzw. eines LugÜ-Vertragsstaats hat.158 Die exorbitanten Zuständigkeiten bleiben auch innerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes anwendbar (Art. 35 EuGVO n.F.) (s. Rz. 17.14 f.). Die in einem solchen Gerichtsstand ergangenen Entscheidungen sind zudem in allen Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten anzuerkennen bzw. zu vollstrecken.
3.57 Wohnt ein Drittstaatsangehöriger dagegen in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat, genießt er den Schutz der Art. 4, 7 ff. EuGVO n.F. (Art. 2, 5 ff. EuGVO a.F./LugÜ) gem. Art. 4 II EuGVO n.F. (Art. 2 II EuGVO a.F./LugÜ). Diese Regel hat allerdings kaum praktische Bedeutung, da die Mitgliedstaaten bei ihren Zuständigkeitsregeln nicht zwischen Inländern und Ausländern unterscheiden.159
154 J. M. Aull, S. 90 ff.; P. Grolimund, Rz. 344 ff.; M. Gebauer, ZEuP 2001, 949, 952. 155 EuGHE 2005, I-1383 (Owusu v Jackson) = IPRax 2005, 244 (dazu Ch. Heinze/A. Dutta, S. 224); vgl. P. Mankowski, RIW 2005, 561, 564; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Brüssel IaVO Art. 4 Rz. 23; A. Burgstaller, Art. 1 EuGVO Rz. 25 f, Art. 2 EuGVO Rz. 10; Geimer/ Schütze, Art. 2 Rz. 111 ff. 156 EuGHE 2000, I-9337 (Rz. 16 ff.) (Coreck Maritime) = NJW 2001, 501 = ZIP 2001, 213, 215; J. Samtleben, NJW 1974, 1590; B. v. Hoffmann, RIW/AWD 1973, 58; Geimer/Schütze/Auer, Art. 17 Rz. 19 ff.; M. Gebauer, ZEuP 2001, 949; P. Grolimund, S. 71 ff., 151 f.; B. Piltz, NJW 2002, 789, 790. 157 Krit. zur entspr. Diskriminierung Th. Rauscher, IPR, Rz. 1789; zur Verteidigung dieser Lösung s. R. Geimer, IZPR, Rz. 1382 f. 158 EuGH – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 – Cornelius de Visser, EuZW 2012, 381. 159 Vgl. Wieczorek/Schütze/Gebauer, Brüssel Ia-VO Art. 4 Rz. 41; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 4 Brüssel I-VO Rz. 9; Wagner in Stein/Jonas, Art. 4 EuGVO Rz. 13 f.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.60 § 3
9. Die besonderen Zuständigkeiten nach Art. 7–9 n.F. (Art. 5–7 a.F.) Nach Art. 4 I EuGVO n.F. (Art. 2 I EuGVO a.F./LugÜ) ist der Beklagte grds. bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Gericht zu verklagen. Diese Regelung deckt sich mit dem allgemeinen Gerichtsstand der §§ 12, 13 ZPO. Dieser allgemeine Gerichtsstand wird zwar durch die besonderen Zuständigkeiten ergänzt. Nach Ansicht des EuGH sind diese aber eng auszulegende Ausnahmen.160
3.58
Umgekehrt hat jede Partei einen festen Anspruch darauf, dass das Gericht über die in einem zulässigen Gerichtsstand erhobene Klage sachlich entscheidet. Soweit eine Zuständigkeit besteht, kann der Kläger auch sog. forum shopping betreiben.161 Für eine Abweisung, weil ein anderes Gericht über die Sache günstiger bzw. sachnäher entscheiden könne (forum non conveniens), ist in dem Gerichtsstandssystem von EuGVO und LugÜ kein Raum.162
3.59
Art. 7 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) setzen in allen Fällen voraus, dass eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat hat, in einem anderen verklagt werden soll. a) Gerichtsstand des Erfüllungsortes Schrifttum: E.-M. Bajons, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, FS Geimer, 2002, S. 15; E.M. Bajons, Autonome Bestimmung des Erfüllungsorts und Incoterms, FS Simotta, 2012, S. 57; P. Berlioz, La notion de fourniture de services an sens de l’article 5-1b, du règlement „Bruxelles I“, JDI 135 (2008), 675; D. Coester-Waltjen, Der Erfüllungsort im internationalen Zivilprozessrecht, FS Kaissis, 2012, S. 91; B. Dostal, Zur internationalen Zuständigkeit für Klagen aus grenzüberschreitenden Vertriebsverträgen, EuZW 2018, 945 u. 983; M. Dubiel, Der Erfüllungsortsbegriff des Vertragsgerichtstandes im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht, 2010; K. de la Durantaye, Auseinanderfallen von Gerichtsstand und anwendbarem Recht bei Versendungskaufverträgen, FS Simotta, 2012, S. 115; Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011; P. Franzina/A. de Franceschi, Jurisdiction over sales contracts under the Brussels I Regulation, IHR 2012, 137; D. Girsberger, The Internet and Jurisdiction based on Contracts, EuJLRef 2002, 615; P. Gottwald, Streitiger Vertragsschluss und Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ), IPRax 1983, 13; J. Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2019; G. Hager/F. Bentele, Der Lieferort als Gerichtsstand, IPRax 2004, 73; W. Hau, Der Vertragsgerichtsstand zwischen judizieller Konsolidierung und legislativer Neukonzeption, IPRax 2000, 354, 357; W. Hau, Die Kaufpreisklage des Verkäufers im reformierten europäischen Vertragsgerichtsstand – ein Heimspiel?, JZ 2008, 974; M. Henrich, Der Vertrags- und Deliktsgerichtsstand der EuGVVO ..., GPR 2018, 232; J. Hill, Jurisdiction in matters relating to a contract under the Brussels Convention, ICLQ 44 (1995), 591; J. Hoffmann, Die Gerichtsstände der EuGVVO zwischen Vertrag und Delikt, ZZP 128 (2015), 465; V. Holl, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, WiB 1995, 462; A. Junker, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach der Brüssel I-Verordnung, FS Kaissis, 2012, S. 439; A. Junker, Der Gerichtsstand für internationale Verträge nach der Brüssel I-Verordnung, FS Martiny, 2014,
160 EuGHE 1988, 5565 (Kalfelis v Schröder) = IPRax 1989, 288. 161 Vgl. P. Vareilles-Sommières, Forum shopping in the European Judicial Area, 2007. 162 EuGHE 2005, I-1383 (Owusu v Jackson) = IPRax 2005, 244; P. Huber, RIW 1993, 977; s. Rz. 3.21.
103
3.60
§ 3 Rz. 3.60 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen S. 761; Th. Kadner, Gerichtsstand des Erfüllungsortes im EuGVÜ, Jura 1997, 240; Th. Kadner Graziano, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO n.F. – Zur Entkoppelung des international-zivilprozessualen vom materiell-rechtlichen Erfüllungsort, RIW 2016, 14; F. Kienle, Eine ökonomische Momentaufnahme zu Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO, IPRax 2005, 113; P. Kindler, Der europäische Vertragsgerichtsstand beim Warenkauf..., GS Unberath, 2015, S. 253; M. Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2005; J. Kropholler/M. von Hinden, Die Reform des europäischen Gerichtsstands am Erfüllungsort (Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ), GS Lüderitz, 2000, S. 401; S. Laimer/Ch. Perathoner, Jurisdiction based on place of performance in the case of a multimodal transport, EuLF 2019, 39; St. Leible, Der Erfüllungsort i.S.v. Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO – ein Mysterium?, FS Spellenberg, 2010, S. 451; D. Leipold, Internationale Zuständigkeit am Erfüllungsort, GS Lüderitz, 2000, S. 431; H. van Lith, International Jurisdiction and Commercial Litigation, Uniform Rules for Contract Disputes, 2009; Q. Lobach, Internationale Zuständigkeit der Gerichte am Erfüllungsort des Beförderungsvertrages für Ausgleichsansprüche des Fluggastes ..., IPRax 2019, 391; M. Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, 1991; M. Lubrich, Der Gesamtschuldnerrückgriff im Zuständigkeitssystem der EuGVVO, 2018; M. Lupoi, The „new“ forum for contractual disputes in regulation (EU) 44/2001, FS Kerameus, Athen 2009, S. 733; Th. Lynker, Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort in der Brüssel I-Verordnung (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO), 2006; P. Mankowski, Der europäische Erfüllungsortsgerichtsstand bei grenzüberschreitenden Anwaltsverträgen, AnwBl. 2006, 806; P. Mankowski, EuGVVU/revLugÜ und CISG im Zusammenspiel – insb beim Erfüllungsortsgerichtsstand, FS Schwenzer, 2011, S. 1175; P. Mankowski, Ungerechtfertigte Bereicherung und die EuGVVO, RIW 2017, 322; A. Markus, Tendenzen beim materiell-rechtlichen Vertragserfüllungsort im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2009; A. Markus, Vertragsgerichtsstände nach Art. 5 Ziff. 1 revLugÜ/ EuGVVO – ein EuGH zwischen Klarheit und großer Komplexität, AJP/PJA 2010, 971; D. Martiny, Internationale Zuständigkeit für „vertragliche Streitigkeiten“, FS Geimer, 2002, S. 641; M. Müller, Objektive Anknüpfungsmomente für Schuldverhältnisse im europäischen IPR und IZV, in von Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 243; B. Piltz, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach EuGVÜ, NJW 1981, 1876; Th. Rauscher, Zuständigkeitsfragen zwischen CISG u Brüssel I, FS Heldrich, 2005, S. 933; R. Rodriguez, Beklagtenwohnsitz und Erfüllungsort im europäischen IZVR, 2005; H. Roth, Der Versendungskauf bei Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO, FS Simotta, 2012, S. 495; G. Schwarz, International-zivilverfahrensrechtliche Probleme grenzüberschreitender Eigenkapitalersatzklagen, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 503; Ch. v. d. Seipen, Italienische Aktionäre vor deutschen Gerichten – Treuepflicht des Gesellschafters und Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, FS Jayme, 2004, S. 859; U. Spellenberg, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, ZZP 91 (1978), 38; A. Staudinger, Gemeinschaftsrechtlicher Erfüllungsortsgerichtsstand bei grenzüberschreitender Luftbeförderung, IPRax 2008, 493; H. Stoll, Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ bei streitigem Vertragsschluss, IPRax 1983, 52; W. Theiss/F. Bronnen, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im europäischen Zivilprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung des Werklieferungsvertrags, EWS 2004, 350; A. Wadenburg/ M. Schneider, Vertraglicher Gerichtsstand bei Ansprüchen aus Delikt?, NJW 2014, 1633; H. Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013; J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2011, S. 224 ff.; S. Weppner, Internationale Zuständigkeit für die spruchverfahrensrechtliche Durchsetzung von Zuzahlungs- und Barabfindungsansprüchen bei grenzüberschreitender Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, RIW 2011, 144; N. Wernicke/V. Hoppe, Die neue EuGVVO – Auswirkungen auf die internationale Zuständigkeit bei Internetverträgen, MMR 2002, 643; T. Wilcke, Internationaler Online-Handel und Verbraucherschutz, 2011, S. 108; F. Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, 2008.
104
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.61 § 3
(1) Dieser Gerichtsstand steht gegen Beklagte mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat zur Verfügung, „wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“. Unstreitig sind die Begriffe „Vertrag“ oder „Ansprüche aus Vertrag“ autonom für EuGVO bzw. LugÜ zu definieren.163 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzen diese Begriffe nicht notwendig den Abschluss eines Vertrages voraus, erfassen aber nur Verpflichtungen, die eine Partei gegenüber der anderen freiwillig eingegangen ist.164 Vertraglich einzuordnen sind Klagen eines Vereins, einer juristischen Person oder einer Gesellschaft gegen Mitglieder bzw. Gesellschafter auf Zahlung von Beitragsleistungen oder um die Wirksamkeit eines Vertrags,165 auf Rückerstattung rechtsgrundlos gezahlter Beiträge zwischen den Vertragsparteien,166 auf Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen,167 alle mit actio pro socio geltend gemachten Ansprüche der Gesellschaft168 oder einer GmbH gegen ihren Geschäftsführer wegen Verletzung von Geschäftsführerpflichten.169 Zuzahlungs- oder Barabfindungsansprüche bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften haben ihre Grundlage im Gesellschaftsstatut und sind daher vertraglich zu qualifizieren.170 Vertraglich zu qualifizieren ist der Anspruch einer Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zahlung der Jahresbeiträge für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums.171 Gleiches gilt für den Anspruch gegen einen Wechselbürgen.172 Der Vertrag muss nicht ausdrücklich geschlossen sein; bei einer langjährigen Geschäftsbeziehung kann er auch still163 EuGHE 1998, I-6511 ff. (Réunion européenne) = IPRax 2000, 210 (dazu H. Koch, S. 186); EuGHE 1988, 1539 (Arcado v Haviland) = IPRax 1989, 227 (dazu E. Mezger, S. 207); EuGH – C-419/11, ECLI:EU:C:2012:165 -Česka spořitelna, RIW 2013, 292; EuGH – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 – Brogsitter (Rz. 18), NJW 2014, 1648; EuGH – C375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolossa, JZ 2015, 942 (Rz. 37); EuGH – C-274/16, ECLI: EU:C:2018:160 – flightright (Rz. 58),NJW 2018, 2105; D. Martiny, FS Geimer, S. 641, 667; H. Schack, IZVR, Rz. 291; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 14; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 12. 164 EuGHE 1992, I-3967 (Rz. 10) (Handte) = JZ 1995, 90; EuGHE 2002, I-7357 (Rz. 19) (Sacconi); EuGHE 2004, I-1543 (Rz. 24) (Frahuil) = ZZP Int 9 (2004), 168 (M. Lehmann); EuGH – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolossa, JZ 2015, 942 (Rz. 39); EuGH – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 – Kerr v Postnov (Rz. 24 f.), NJW 2019, 2991; BGH, NJW 2019, 2780, 2783; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.216. 165 EuGHE 1983, 2503 (Gerling v Amministrazione del tesoro) = IPRax 1984, 259 (dazu U. Hübner, S. 237). 166 BGH, NJW 2019, 2780, 2783 (Rz. 35). 167 G. Anliker, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, 2018, S. 154 f. 168 Vgl. S. Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 281 ff. 169 OLG München, IPRax 2000, 416, 417 (dazu J. Haubold, S. 375); Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 31. 170 S. Weppner, RIW 2011, 144, 149. 171 EuGH – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 – Kerr v Postnov (Rz. 27 f.), NJW 2019, 2991; dazu P. Mankowski, ZMR 2019, 565; C. Thomale, IPRax 2020, 18; B. Scraback, GPR 2020, 13. 172 EuGH – C-419/11, ECLI:EU:C:2013:165 – Česká spořitelna, RIW 2013, 292, 295 (Rz. 41 ff.).
105
3.61
§ 3 Rz. 3.61 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
schweigend zustande gekommen sein, wenn entsprechende Indizien bestehen.173 Der Anspruch auf Zahlung eines Beitrags zur Anwaltskammer fällt nur dann unter Art. 7 Nr. 1, wenn der Beitrag freiwillig vereinbart ist.174
3.62 Zu Klagen aus einem Vertrag gehören auch Klagen aus einer Gewinnzusage (§ 661a BGB), selbst wenn es nicht zu einer Warenbestellung gekommen ist.175 3.63 Als vertraglichen Anspruch hat der EuGH auch den Anspruch aus Gläubigeranfechtung eingeordnet, wenn sie auf der Grundlage von Forderungen erhoben wird, die mit dem ursprünglichen Vertragsschluss übernommen wurden.176 3.64 Zu den Vertragsansprüchen gehören auch alle Sekundäransprüche, aus Nichterfüllung, Vertragsverletzung, Schadenersatz wegen Sachmängeln,177 Rückabwicklungsverhältnissen (nach Rücktritt oder aufgrund Leistungskondiktion wegen Nichtigkeit des Kaufvertrages)178 oder auf Vertragsauflösung wegen Schlechterfüllung.179 Vertraglicher Natur ist der Regressanspruch eines vertraglich haftenden Gesamtschuldners gegen den anderen.180 Auch Ansprüche auf Leistung einer Vertragsstrafe181 oder auf Rückzahlung gem. §§ 32a, 32b GmbHG182 oder nach § 31 GmbHG183 zählen dazu. Schadenersatzansprüche, die auf einer Vertragsverletzung beruhen, fallen auch dann unter Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.), wenn sie national deliktisch eingeordnet werden.184 Vertraglich einzuordnen ist der pauschale Schadensersatz nach 173 EuGH – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 – Granarolo (Rz. 23 ff.), NJW 2016, 3087. 174 EuGH – C-421/18, ECLI:EU:C:2018:1053 – Ordre des avocats du barreau de Dinant, EuZW 2020, 102 (F. Rieländer) = NJW 2020, 449. 175 EuGHE 2005, I-481 (Rz. 29, 60) (Engler v Janus Versand) = NJW 2005, 811 (dazu St. Leible, S. 796) = IPRax 2005, 239 (dazu S. Lorenz/H. Unberath, S. 219); BGHZ 165, 172, 175 = NJW 2006, 230, 231 = RIW 2006, 144 = JZ 2006, 519 (C. Schäfer). 176 EuGH – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 – Feniks (Rz. 42 ff.), NZI 2019, 134 (F. Fuchs), DZWiR 2019, 526 (A. Swierczok); krit. J. Hoffmann, GPR 2019, 168. 177 BGH, NJW 2016, 409 (Rz. 7). 178 EuGH – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM (Rz. 52 ff.); V. Holl, IPRax 1998, 120; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 18; Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 14; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 7 EuGVVO Rz. 5; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 38; unentschieden F. Jault-Seseke/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Brüssel I-VO Nr. 1 Rz. 15, 22; BGH, NJW 2019, 2780 (Rz. 35, nicht aber der Anspruch aus Durchgriffskondiktion); a.A. für Leistungskondiktion House of Lords, [1997] 4 All ER 641; Kreuzer/ Wagner, Q 158. 179 Agnew v Länsförsäkringsbolagens A.B. [2001] ILPr 345, 354 ff. (H.L.). 180 EuGH – C-249/16, ECLI:EU:C:2017:472 – Kareda (Rz. 32), ZIP 2017, 1734; vgl. M. Lubrich, S. 151 ff. 181 Bilbao Court of First Instance, [1996] ILPr 240. 182 OLG Bremen, RIW 1998, 63; OLG Koblenz, NZG 2001, 759 (G. Ch. Schwarz); Geimer in Zöller, Art. 7 EuGVVO Rz. 31; krit. G. Ch. Schwarz, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 503, 516 ff. 183 OLG Koblenz, NZI 2002, 56, 57. 184 EuGH – C-548/12, ECLI:U:C:2014:148 – Brogsitter (Rz. 20 ff.), NJW 2014, 1648 (zust. A. Wendenburg/M. Schneider, S. 1633), IPRax 2016, 149 (dazu Th. Pfeiffer, S. 111); krit. M. Henrich, GPR 2018, 232.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.68 § 3
der Fluggastrechte-VO, selbst wenn der Flug Bestandteil einer Pauschalreise war und der Fluggast mit dem Luftfahrtunternehmen selbst keinen Vertrag geschlossen hat,185 nicht aber ein weitergehender Schadensersatzanspruch. Die Zuständigkeit für diesen richtet sich nach Art. 33 MÜ.186 Im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.) kann auch Feststellung der Wirksamkeit des Vertrags oder die negative Feststellung begehrt werden, dass keine vertraglichen Ansprüche bestehen. Auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Vertrags kommt es für die Zuständigkeit nicht an.187
3.65
Der Gerichtsstand gilt für die Vertragsparteien und ihre jeweiligen Rechtsnachfolger, auch bei Legalzession.188 Er gilt auch für und gegen den Insolvenzverwalter.189
3.66
Nicht zu den vertraglichen Ansprüchen gehören nach Ansicht des EuGH solche aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen, soweit es an einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt.190 Nicht zu Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.) gehören daher Ansprüche aus der Verletzung von Schutzpflichten. Zweifelhaft ist freilich, ob Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten weiterhin unter Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.) fallen. Eine vertragliche Qualifikation ist allenfalls möglich, wenn es zum Vertragsschluss (im Rahmen eines Vorvertrags, letter of intent) gekommen ist.191 Da Art. 12 Rom II-VO Ansprüche aus c.i.c. unabhängig vom Vertragsschluss als deliktisch einordnet, ist diese Unterscheidung freilich zweifelhaft geworden.192
3.67
Zweifelhaft ist auch, ob Ansprüche aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte unter Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.) fallen.193 Im Fall der Schadenersatzklage des Empfängers von Ware gegen den tatsächlichen Verfrachter und nicht gegen den Aussteller des Konnossements hat der EuGH nur eine deliktische Anspruchsgrundlage gese-
3.68
185 EuGH – C-215/18, ECLI:EU:C:2020:235 – Libuše Králová v Primera Air Scandinavia, EWS 2020, 117 = RIW 2020, 359. 186 EuGH – C-213/18, ECLI:EU:C:2019:927 – Adriano Guaitoli, RIW 2020, 44 = EuZW 2020, 74. 187 Schweiz. BG, IPRax 2008, 544, 545 (dazu T. Domej, S. 550); EuGHE 1982, 825 (Effer v Kantner) = IPRax 1983, 31; EuGH – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolossa v Barclays Bank, JZ 2015, 942 (Rz. 38) (J. v. Hein); vgl. Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 22 f. 188 Österr. OGH, IPRax 2006, 489 (dazu W. Hau, S. 507); K. Thoma, Der internationale Regress, 2007, S. 187 ff. 189 OLG Bremen, RIW 1998, 63. 190 EuGHE 2002, I-7357 (Tacconi v HWS) = NJW 2002, 3159 = IPRax 2003, 143 (dazu P. Mankowski, 127); M. Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rz. 41. 191 BGH, NJW 2016, 409 (Rz. 11); U. Schmidt, Rz. 84; ähnlich Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 7 EuGVVO Rz. 5; Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 30; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 18; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 35; A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 26; für vertragliche Qualifikation des Vertragsinteresses H. Schack, IZVR, Rz. 293. 192 Vgl. F. Jault-Seseke/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO Rz. 19. 193 Ablehnend A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 25.
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§ 3 Rz. 3.68 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
hen.194 Dagegen betont der BGH aber, dass die Verpflichtung gegenüber dem Dritten auf einer Vertragsauslegung, also einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung beruht. Dies würde eher für eine vertragliche Qualifizierung sprechen.
3.69 Nicht zu den vertraglichen Ansprüchen gehören weiter sonstige Bereicherungsansprüche195 (Eingriffskondiktion), Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag,196 nicht der Regressanspruch des Bürgen gegen den Gläubiger, wenn dieser der Bürgschaft nicht zugestimmt hat,197 sowie sonstige gesetzliche Ausgleichsansprüche und Ansprüche aus Verlöbnisbruch.198 Ansprüche gegen ein herrschendes Konzernunternehmen aus §§ 302, 303 AktG fallen ebenfalls nicht unter Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.).199 3.70 (2) Der Erfüllungsort nach Nr. 1 lit. a und c Wie der vertragliche Erfüllungsort zu bestimmen ist, war für das EuGVÜ anfänglich streitig.200 Schon 1976 entschied allerdings der EuGH, dass es auf den Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung ankommt, die den Gegenstand der Klage bildet; eine einheitliche Anknüpfung an den Ort der vertragscharakteristischen Leistung lehnte er ab.201 Nebenansprüche sind im Gerichtsstand des Hauptanspruchs geltend zu machen.202 Bei einer Feststellungsklage kommt es auf den Erfüllungsort der streitigen Leistungspflicht,203 bei einer Klage auf Rückerstattung oder Schadenersatz auf den Erfüllungsort der ursprünglichen Hauptleistungspflicht204 an. Enthält ein Vertrag mehrere Hauptleistungspflichten mit Erfüllungsorten in verschiedenen Staaten, so besteht keine Gesamtzuständigkeit.205 Der Erfüllungsort für 194 EuGHE 1998, I-6511 (Réunion européenne v Spliethoff’s Bevrachtingskantoor) (Rz. 20 ff.) = IPRax 2000, 210 (dazu H. Koch, S. 186). 195 BGH, NJW 2019, 2780, 2783 (Rz. 36) (Durchgriffskondiktion im Fall des § 358 IV 3 BGB a.F., jetzt § 358 IV 5 BGB n.F.). 196 OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 210; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 37 f. 197 EuGHE 2004, I-1543 (Frahuil) = ZZPInt 9 (2004), 168 (M. Lehmann). 198 So BGHZ 132, 105 ff. = JZ 1997, 88 (P. Gottwald). 199 OLG Frankfurt, IPRax 2000, 525 (dazu R. Kulms, S. 488). 200 Vgl. U. Spellenberg, ZZP 91 (1978), 38 ff.; H. Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Prozessrecht, 1985. 201 EuGHE 1976, 1497 (De Bloos v Bouyer) = NJW 1977, 490 (R. Geimer) = RIW 1977, 42 (H. Linke); ebenso: BGH, NJW 1996, 1819; BGH, EuZW 1992, 518, 520; OLG Karlsruhe, RIW 1994, 1046, 1047. 202 U. Banniza v. Bazan, S. 96 ff., 107 f.; V. Holl, WiB 1995, 462, 464; a.A. F. Jault-Seseke/ Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO Rz. 44. 203 OLG Stuttgart, IPRax 1999, 103 (dazu Ch. Wolf, S. 82). 204 Burgstaller/Ritzberger, Rz. 2.57; Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 22, 32; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 62. 205 EuGHE 1999, I-6747 (Leathertex v Bodetex) = NJW 2000, 721 = ZZPInt 5 (2000), 266 (K. Otte) = IPRax 2000, 402 (dazu W. Hau, S. 354); BGHZ 185, 241 = JR 2011, 342 (D. Looschelders) = ZIP 2010, 1150 (zu Art. 5 Nr. 1 LugÜ 1988) (dazu O. Mörsdorf, EWiR Art. 5 LugÜ 1/10, 621); Cour de Cass. [2001] ILPr 82 (Erfüllungsort des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters unabhängig von dem der Handelsvertreterpflichten); ähnl. Cour de Cass. [2001] ILPr 28.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.73 § 3
einen Scheck ist nicht identisch mit dem für die zugrunde liegende Kaufpreisschuld.206 Der EuGH hat für die allgemeine Bestimmung des Erfüllungsortes stets auf das nach dem IPR des angerufenen Gerichts anzuwendende materielle Recht (lex causae) abgestellt.207
3.71
In der Tessili-Entscheidung208 heißt es hierzu: „Der Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre iS von Art 5 Nr 1 des Übereinkommens ..., bestimmt sich nach dem Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist“.209 Nach deutschem IPR bestimmt sich der Erfüllungsort nach Art. 3, 4 Rom I-VO; bei Vereinbarung des Erfüllungsortes ist auch Art. 10 II Rom I-VO zu beachten.210 Das materielle deutsche Recht regelt den Erfüllungsort in §§ 269, 270 BGB. Bei einem Handelsvertretervertrag kann der Schadenersatzanspruch des Handelsvertreters wegen Vertragsbruchs des Prinzipals an dem Ort erhoben werden, an dem dieser den Handelsvertreter mit Waren zu versorgen gehabt hätte.211 Bei einem Rechtsanwalt ist nach Ansicht des BGH sein Kanzleisitz nicht Erfüllungsort.212 Erfüllungsort für einen Regelanerkennungsvertrag im internationalen Sport ist am Ort der Hauptverwaltung des Verbandes.213 Ansprüche aus einem gesellschftsrechtlichen Verhältnis sind grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen.214
3.72
Unentgeltliche Dienstleistungen fallen unter Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO a.F./LugÜ), nicht unter lit. b.215 Bei Online-Dienstleistungen, die auch online abgerechnet werden, soll der Kunde, der seine Gegenleistung erbracht hat, Schadenersatz wegen Nicht- oder Schlechterfüllung an seinem eigenen Wohnsitz einklagen können.216
3.73
206 BGHZ 157, 224 = ZIP 2004, 428, 431. 207 Zuletzt in EuGHE 1999, I-6307 (GIE Groupe Concorde) = IPRax 2000, 399. Ebenso BGH, EWS 1993, 260, 261; KG, IPRax 2000, 405; OLG Frankfurt, RIW 2004, 864; Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 EuGVÜ Rz. 49 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 42; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.288 ff.; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1810 f.; krit. P. Schlosser, NJW 1977, 459; U. Spellenberg, ZZP 91 (1978), 46, die an einer vertragsautonomen Qualifikation festhalten wollen. 208 EuGHE 1976, 1473 (Tessili v Dunlop) = NJW 1977, 491 (R. Geimer) = RIW 1977, 40 (H. Linke); EuGHE 1976, 1497 (De Bloos v Bouyer), NJW 1977, 490 (R. Geimer). 209 Vgl. auch LG Köln, RIW 1988, 644/45. 210 Vgl. OLG Karlsruhe, RIW 1994, 1046/47. 211 Cour d’appel de Paris, [1996] ILPr 299. 212 BGHZ 157, 20 = FamRZ 2004, 98 (krit P. Gottwald). 213 H. Grothe, FS v. Hoffmann, 2011, S. 601, 611. 214 G. Anliker, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, 2018, S. 158 ff. 215 OLG Saarbrücken, IPRax 2013, 74, 78 (Rz. 68) (dazu J. v. Hein, S. 54). 216 K. Boele-Woelki, BerDGVR 39 (2000), 307, 324.
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§ 3 Rz. 3.74 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.74 Im Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens über Verträge über den internationalen Warenkauf v. 11.4.1980 (CISG)217 war der Erfüllungsort danach zu bestimmen.218 Der Kaufpreis konnte danach am Ort der Niederlassung des Verkäufers eingeklagt werden (Art. 57 I [a] CISG).219 Gleiches galt für das zuvor geltende EKG (Art. 59).220 Dies soll nicht mehr für die Klage eines Zessionars gelten, dessen Niederlassung sich in einem anderen Staat befindet.221 In der Stawa-Metallbau-Entscheidung222 hat der EuGH – entgegen den Schlussanträgen des Generalanwalts – ausdrücklich an der kollisionsrechtlichen Bestimmung des Erfüllungsortes festgehalten und eine autonome Interpretation insoweit abgelehnt.223
3.75 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur vielfach kritisiert worden: der Weg für das IPR sei nicht nur umständlich, er führe überdies meist auch zu einem Klägergerichtsstand, was mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Art. 2 und Art. 5 Nr. 1 nicht vereinbar sei. Plädiert wurde deshalb für eine autonome, einheitliche prozessuale Bestimmung des Erfüllungsorts. Diese Ansicht hat sich bei der Revision des EuGVÜ in erheblichem Umfang durchgesetzt. Der gefundene Kompromiss ist zwar weder konzeptionell noch praktisch wirklich überzeugend,224 doch wird man wohl mit ihm leben müssen. 3.76 (3) Der Erfüllungsort nach Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO a.F./LugÜ) Art. 7 Nr. 1b legt den Erfüllungsort für Ansprüche aus einem Vertrag (vorbehaltlich abweichender Vereinbarung des prozessualen Erfüllungsortes) wie folgt fest: – Für den Verkauf beweglicher Sachen an dem Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
217 BGBl. 1989 II 588; abgedruckt in Jayme/Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 77. 218 OLG Düsseldorf, RIW 1993, 845. 219 Krit W. Hau, FS v. Hoffmann, 2011, S. 617, 625. Warum diese Lösung im B2B-Bereich ungerecht sein soll, leuchtet allerdings nicht ein. 220 EuGHE 1994, I-2913 (Custom Made v Stawa Metallbau) = RIW 1994, 876 = IPRax 1995, 31 (krit. dazu E. Jayme, S. 13) = NJW 1995, 183 = JZ 1995, 244 (R. Geimer) = ZEuP 1995, 244 (krit. H. Schack); dazu auch P. Huber, ZZPInt 1996, 167; H. Koch, RIW 1996, 379; BGH, EWS 1994, 177, 178. 221 OLG Celle, IPRax 1999, 456 (dazu M. Gebauer, S. 432). 222 EuGHE 1994, I-2913 = NJW 1995, 183. 223 Aus Gründen der Rechtssicherheit bestätigt in EuGHE 1999, I-6342 (Rz. 17 ff., 32) (GIE Group Concorde) = NJW 2000, 719 und in EuGHE 1999, I-6747 (Rz. 33) (Leathertex) = NJW 2000, 721, beide in IPRax 2000, 399 (dazu W. Hau, S. 354), letztere auch in ZZPInt 5 (2000), 279 (W. Hau); krit. zu GIE Group Concorde S. Kubis, ZEuP 2001, 742. 224 Vgl. D. Leipold, GS Lüderitz, S. 431, 445; J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 403; N. Schoibl, JBl 2003, 149, 158 (verunglückter Kompromiss); H. Schack, IZVR, Rz. 303, 304.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.80 § 3
– für die Erbringung von Dienstleistungen an dem Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Wie sich bereits aus dem Eingangssatz zu Art. 7 EuGVO n.F. (Art. 5 EuGVO a.F./ LugÜ) ergibt, ist die Bestimmung insgesamt, aber auch Nr. 1 lit. b nur gegenüber Personen mit Wohnitz in einem EU-Mitglied- bzw. Vertragsstaat anwendbar.225 Der Erfüllungsort ist danach (mangels Vereinbarung) „autonom“,226 d.h. wie im französischen Recht, rein faktisch, losgelöst vom anwendbaren materiellen Recht zu ermitteln. Abzustellen ist im Zweifel auf den realen Ablieferungsort.227 Beim Werklieferungsvertrag ist Erfüllungsort der Ort der realen oder hypothetischen Übergabe der Ware an den Käufer.228
3.77
Um den Verkauf beweglicher Sachen handelt es sich (wie nach Art. 3 I CISG) auch, wenn der Verkäufer diese erst, ggf. nach Vorgaben des Käufers, herzustellen hat, solange der Verkäufer die zur Herstellung notwendigen Materialien selbst beschafft.229
3.78
Auch beim Kauf ist schon nach dem Wortlaut von Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 b EuGVO a.F./LugÜ) primär auf den vertraglich vereinbarten Erfüllungsort abzustellen. Neben den konkreten Vertragsklauseln sind dabei auch Handelsusancen zu berücksichtigen. Hat der Verkäufer nach den Incoterms „FOB“ zu liefern, so liegt der Liefer- und Erfüllungsort am Ort des Verschiffungshafens.230 Auch die Incoterm-Klausel „Ex works“ bestimmt zugleich den prozessualen Erfüllungsort.231
3.79
Ohne solche Vertragsklauseln ist beim grenzüberschreitenden Versendungskauf auf den Ort abzustellen, an dem die Übertragung der Sachen auf den Käufer endgültig abgeschlossen ist und der Käufer die volle Verfügungsgewalt über die Waren erlangt
3.80
225 EuGH – C-274/16, C-447/16 u. C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160 – flightright (Rz. 51) = NJW 2018, 2105. 226 EuGHE 2010, I-1255 (CarTrim v KeySafety) = NJW 2010, 1059, 1061 (Rz. 53) (B. Piltz); BGHZ 186, 81 = NJW 2010, 3452 = RIW 2010, 327; OLG Köln, RIW 2005, 778. 227 OLG Hamm, IPRax 2006, 290; J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 405, 406 ff.; W. Hau, IPRax 2000, 354, 358; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 328; J.P. Beraudo, JDI 128 (2000), 1033, 1042; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.207, 3.265, 3.283; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 59, 61; zweifelnd A. Markus, SZW/RSDA 1999, 205, 212 f. 228 BGH, NJW-RR 2010, 1217; dazu U. Schroeter, EWiR Art. 5 EuGVVO 1/11, 149. 229 EuGHE 2010, I-1255 (CarTrim v KeySafety) = NJW 2010, 1059, 1060 (Rz. 34 ff.); dazu A. Metzger, IPRax 2010, 420; P. Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVVO 1/10, S. 287 und FS Schwenzer, 2010, S. 1175, 1177; ergangen auf Vorlage von BGH, EuZW 2008, 704; dazu M. Micha, EuLF 2009, II-1. 230 BGH, NJW 2009, 2606 (Rz. 18 ff.); dazu Th. Rauscher, IPR, Rz. 1818. 231 EuGH – C-87/10, ECLI:EU:C:2011:375 – Electrosteel, JW 2011, 3018, RIW 2011, 632; vgl. A. Wittwer/A. Fussenegger, ZEuP 2013, 812, 815 ff. .
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§ 3 Rz. 3.80 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
oder hätte erlangen müssen.232 Dies soll auch bei einem Kauf gelten, der dem CISG unterliegt. Art. 31 CISG bestimmt also nur den materiell-rechtlichen, nicht den prozessualen Erfüllungsort.233 Gibt es mehrere Lieferorte ist nach dem EuGH auf den Ablieferungsort der Hauptlieferung abzustellen.234 Bei gleichrangigen Hauptpflichten besteht kein einheitlicher Erfüllungsort.235 Grundsätzlich ist Erfüllungsort der Bestimmungsort eines Transports oder der Auslieferungsort der Ware. Bei einer Luftbeförderung ist es sowohl der (vereinbarte) Abflugort als auch der der Ort der Ankunft des Flugzeugs.236 Wird Ware an den Wohnsitz des Käufers geliefert, so steht diesem für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag ein Klägergerichtsstand zur Verfügung.237 Wird nicht geleistet, ist der hypothetische Erfüllungsort ebenfalls primär nach den faktischen Absprachen zu bestimmen.238 Wird Direktlieferung an den Abnehmer des Käufers usf vereinbart, so ist aus dem Vertrag sinngemäß die Vereinbarung zu entnehmen, dass der tatsächliche Ablieferungsort nicht Erfüllungsort sein soll, sondern der Ort der Übergabe der Ware an den ersten Beförderer. Wird der Bestimmungsort erst während des Transports festgelegt oder abgeändert,239 so scheidet eine Anknüpfung an den realen Ablieferungs- oder Aufenthaltsort der Ware wohl ebenfalls aus.
3.81 Den „autonomen“ Erfüllungsort nach Nr. 1 (b) gibt es überdies nur, wenn der reale Ablieferungsort innerhalb eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats liegt. Liegt er in einem Drittstaat, so bleibt es bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung nach Nr. 1 (a),240 was zu wenig überzeugenden Ergebnissen führt.
232 EuGH – C-87/10, ECLI:EU:C:2011:375 – Electrosteel, ZIP 2011, 1282, NJW 2011, 3018; dazu P. Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVVO 3/11, 497; BGHZ 186, 81 = NJW 2010, 3452 = ZIP 2010, 1874, 1876; dazu M. Becker, EWiR Art. 5 EuGVVO 3/10, 817; krit. P. Mankowski, FS Schwenzer, 2010, S. 1175, 1187 f. 233 Krit P. Mankowski, FS Schwenzer, 2010, S. 1175, 1187. 234 EuGHE 2007, I-3699 (Color Drack v. Lexx) = NJW 2007, 1799 (B. Piltz); dazu B. Sujecki, EWS 2007, 398; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.270; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 67. 235 BGHZ 185, 241 (Rz. 24) = NJW 2010, 2442. 236 EuGHE 2009, I-6073 (Peter Rehder v Air Baltic Corp.) = NJW 2009, 2801 = IPRax 2010, 160; dazu A. Staudinger, IPRax 2010, 140 u. R. Wagner, IPRax 2010, 143; P. Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVVO 2/09, 607. 237 Krit S. Kubis, ZEuP 2001, 742, 749 f. 238 J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 409 f.; a.A. Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 51 (bei Nichterfüllung „rechtlicher“ Erfüllungsort); Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 65 (Abstellen auf gemeineuropäische Prinzipien wie UNIDROIT Principles). 239 Krit S. Kubis, ZEuP 2001, 742, 750. 240 BGH, RIW 2009, 568, 569 (Rz. 16); S. Kubis, ZEuP 2001, 742, 751; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 47; anders nach dem Vorentwurf, vgl. W. Hau, IPRax 2000, 354, 360.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.82 § 3
Unter Dienstleistungen sind (in autonomer Bestimmung)241 alle Arten gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit (abhängige Arbeit ausgenommen), Werklieferungen, Werkleistungen und Geschäftsbesorgungen zu verstehen, die auf Herbeiführung eines Erfolgs gerichtet sind (s. Art. 57 AEUV).242 Dazu gehören auch (Exklusiv)-Vertriebsverträge,243 Verträge über die Einlagerung von Waren244 sowie Seefrachtverträge.245 Erforderlich ist stets, dass die Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird.246 Eine Beförderungsleistung ist ebenfalls eine Dienstleistung.247 Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen großer Verspätung nach der EU-Fluggastrechte-VO kann deshalb auch am Abflugsort eingeklagt werden.248 Wird die Flugreise durch mehrere Luftfahrtunternehmen ausgeführt, kann der Anspruch auch gegen ein Unternehmen im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 b n.F. (Art. 5 Nr. 1 b a.F.) eingeklagt werden, mit dem direkt kein Vertrag geschlossen wurde. Denn dieses Unternehmen handelt im Namen der Vertragspartei und erfülle eine freiwillig eingegangene Verpflichtung.249 Werden mehrere Flüge ohne nennenswerten Aufenthalt zwischen den Teilstrecken einheitlich gebucht, kann der Ausgleichsanspruch wegen Verspätung sowohl am Abflugsort de ersten Fluges als am Ankunftsort des letzten Fluges eingeklagt werden.250 Kreditverträge (Darlehensverträge) sind nicht nur wirtschaftlich Finanzdienstleistungen, sondern auch Dienstleistungen i.S.d. Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F.).251 Lizenzverträge sind keine Dienstleistungsverträge, da der Lizenzgeber nur zur Lizenzgewährung, nicht aber zu irgendwelchen Serviceleistungen verpflichtet ist.252 241 BGH, NJW 2012, 1817 (Rz. 16); BGH, NJW 2006, 1806, 1807; OLG Köln, RIW 2005, 778, 779. 242 EuGH – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 – Granarolo (Rz. 37), NJW 2016, 3087; D. Leipold, GS Lüderitz, S. 431, 446; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 328; Mayr/ Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.274 ff. 243 EuGH – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 41), EuZW 2018, 944 (B. Dostal); EuGH – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 – Corman-Collins (Rz. 27 f, 41), EuZW 2014, 181 (K. Lenzing); F. Jault-Seseke/M. Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO Rz. 30, 38. 244 EuGH – C-469/19, ECLI:EU:C:2013:788 – Krejici Lager, TranspR 2014, 31. 245 Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten, S. 32 ff. 246 OLG Saarbrücken, IPRax 2013, 74, 78 (Rz. 68) (dazu J. v. Hein, S. 54). 247 Vgl. EuGH – C-88/17, ECLI:EU:C:2018:558 – Zurich Insurance (Rz. 18 ff.), IPRax 2019, 56 (dazu P. Schlosser, S. 23; S. Laimer/Ch. Perathoner, EuLF 2019, 39); BGH, NJW 2008, 2121; S. Laimer/Ch. Perathoner, EuLF 2019, 39. 248 BGHZ 188, 85 = NJW 2011, 2056. 249 EuGH – C-274/16, C-447/16 u. C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160 – flightright (Rz. 60 ff.), NJW 2018, 2105 = IPRax 2019, 421 (dazu Q. Lobach, S. 391). 250 EuGH – C-606/19, ECLI:EU:C:2020:101 – flightright, NJW 2020, 1130; BGH, RIW 2019, 449. 251 EuGH – C-249/16, ECLI:EU:C:2017:472 – Kareda (Rz. 36), ZIP 2017, 1734; BGH, ZIP 2012, 941 f (Rz. 16 ff.) = NJW 2012, 1817; OLG Hamm, IPRax 2019, 57 (Rz. 24) (dazu R. Magnus, S. 23); Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 124; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 27; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 328. 252 EuGHE 2009, I-3327 (Falco Privatstiftung) = NJW 2009, 1865 = IPRax 2009, 509 (M. Brinkmann, S. 487); M.-R. McGuire, GPR 2010, 97; krit. F. Jault-Seseke/M. Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 35.
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3.82
§ 3 Rz. 3.83 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.83 Bei Dienstleistungen ist Erfüllungsort der Ort der tatsächlichen Leistungserbringung.253 Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 b EuGVO a.F./LugÜ) ist auch dann anwendbar, wenn die Dienstleistungen in mehreren Mitgliedstaaten zu erbringen sind; zuständig ist dann das Gericht, in dessen Bezirk sich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung befindet.254 Sofern nichts anderes vereinbart ist, ist dies der Ort des Wohnsitzes des Leistungserbringers.255 Bei einem Architektenvertrag mit Bauleitung kommt es aber nicht auf den Ort/Sitz des Architektenbüros, an dem die Vorplanung erfolgte, sondern auf den Ort des Bauwerks an.256 Werden Güter mit Zwischenstopps und mit mehreren Transportmitteln befördert, sind sowohl der Ort der Versendung als der Ort der Lieferung als Orte der Erbringung der Beförderungsleistung anzusehen.257 Dies gilt auch bei Seetransporten.258 Ist die Auslieferung auf Grund eines Konnossements geschuldet, ist nur der Ablieferungsort entscheidend.259 Bei einer Flugreise sind Erfüllungsorte sowohl der Abflugsort als der Ankunftsort.260 Dies gilt nicht nur bei einem Direktflug, sondern auch bei einem aus mehreren Teilstrecken bestehenden (als Einheit gebuchten) Flug. Am Ankunftsort können daher sämtliche Ansprüche auch einer vorherigen Teilstrecke, die von einem Nichtvertragspartner durchgeführt wurde, eingeklagt werden.261 Bei einem Handelsvertreter ist auf den Hauptort abzustellen, an dem der Vertreter seine Tätigkeit für den Unternehmer zu erbringen hatte. Kann dieser Ort nicht anhand des Handelsvertretervertrags ermittelt werden, ist auf den Ort abzustellen, an dem der Handelsvertreter tatsächlich überwiegend tätig geworden ist.262 3.84 Anders als bisher ist dieser Erfüllungsort für alle Ansprüche aus dem Vertrag einheitlich nach der charakteristischen vertragstypischen Leistung zu bestimmen; das bisherige Abstellen auf die jeweilige Hauptpflicht entfällt.263 Bei einem Kaufvertrag ist nicht nur die Lieferpflicht, sondern sind sämtliche Klagen aus dem Vertrag er-
253 OLG Saarbrücken, IPRax 2018, 61 (Rz. 75); F. Jault-Seseke/M. Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO Rz. 66; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 45. 254 EuGH – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 45), RIW 2018, 206.; OLG Hamm, IPRax 2018, 57 (Rz. 33) (dazu R. Magnus, S. 23). 255 EuGH – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 47), RIW 2018, 206. 256 Österr. OGH, IPrax 2019, 259 (dazu K. Duden, S. 262). 257 EuGH – C-88/17, ECLI:EU:C:2018:558 – Zurich Insurance (Rz. 23), IPRax 2019, 56 (dazu P. Schlosser, S. 23). 258 Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten, S. 50. 259 Ph. Egler, S. 68. 260 EuGH – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Rehder (Rz. 43, 47). 261 EuGH – C-274/16, C-447/16 u. C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160 – flightright (Rz. 70 ff.), NJW 2018, 2105. 262 EuGHE 2010, I-2121 (Wood Floor Solutions v Silva Trade) = NJW 2010, 1189; dazu P. Mankowski, EWiR, Art. 5 EuGVVO 2/10, 355. 263 BGH, NJW 2006, 1806, 1807; LG München II, IPRax 2005, 143, 144 (dazu F. Kienle, S. 113); J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 406; W. Hau, IPRax 2000, 354, 359; A. Markus, SZW/RSDA 1999, 205, 212; Musielak/Voit/Stadler, 15. Aufl. 2018, Art. 7 EuGVVO Rz. 10; U. Schmidt, Rz. 90.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.86 § 3
fasst.264 War die Dienstleistung in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten zu erbringen (und ist dort erbracht worden), kommt es darauf an, wo der örtliche Schwerpunkt der Dienstleistung war, da ein einziger Gerichtsstand für alle Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag zu bestimmen ist. Wird ein Anwalt mit der Vertretung der Partei vor einem Schiedsgericht mit Ort der mündlichen Verhandlung in einem anderen Mitgliedstaat beauftragt, so wird der Schwerpunkt der Tätigkeit zumeist in der vorbereitenden Sachbearbeitung am Kanzleisitz liegen.265 Art. 7 Nr. 1b EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 b EuGVO a.F./LugÜ) lässt aber ausdrücklich abweichende Parteivereinbarungen des zuständigkeitsbegründenden Erfüllungsorts zu266 (s. Rz. 3.74). Bei Flugreisen von einem Mitgliedstaat in einen anderen sollte für den einheitlichen Erfüllungsort auf den Abflugort abgestellt werden.267 Bei einem Kreditvertrag wird der Gerichtsstand für den Regress eines Gesamtschuldners gegen den anderen durch den Sitz des Kreditinstituts bestimmt.268
3.85
(4) Der Erfüllungsort für Verträge anderer Art Für Ansprüche aus Verträgen anderer Art, aber auch in Fällen, die zur Zuständigkeit eines Drittstaats führen,269 bleibt es gem. Art. 7 Nr. 1 c EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1c EuGVO a.F./LugÜ)) ausdrücklich bei der Anwendung von Nr. 1a). Dies bedeutet, dass insoweit wie zuvor zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ der Erfüllungsort kollisionsrechtlich zu bestimmen ist270 (s. Rz. 3.70 ff.). Dies gilt etwa für einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag.271 Als sonstige vertragliche Verpflichtung ist auch der Anspruch aus einer Wechselbürgschaft einzuordnen.272 Art. 7 Nr. 1 a EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1a EuGVO a.F./LugÜ) bleibt also die Grund- und Auffangnorm.273 Eingewandt wird allerdings, man müsse nunmehr zumindest auch für diese Verträge einen einheitlichen Erfüllungsort und nicht mehr einen Erfüllungsort für jede Hauptpflicht vereinbaren.274 Verletzt der Beklagte eine vertragliche, weltweit geltende Unterlassungspflicht, so kann der Kläger nicht etwa in jedem beliebigen Land seiner Wahl klagen; nach Ansicht des EuGH lässt sich hier kein konkreter Erfüllungsort bestimmen, so dass Art. 7 Nr. 1 n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F./LugÜ) ganz ausscheide und auf Art. 4 n.F. (Art. 2 a.F./ 264 OLG Hamm, IHR 2012, 216. 265 BGH, NJW 2006, 1806, 1808 = WuB VII B. Art. 5 EuGVVO 4.06 (m. Anm. Th. Rauscher). 266 Krit. D. Leipold, GS Lüderitz, S. 431, 449 f. 267 BGH, NJW 2008, 2121 (Vorlage an EuGH); dazu A. Staudinger, IPRax 2008, 493. 268 EuGH – C-249/16, ECLI:EU:2017:472 – Kareda (Rz. 41 ff.), ZIP 2017, 1734. 269 D. Leipold, GS Lüderitz, S. 431, 450 f.; J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 411; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 Rz. 47. 270 Musielak/Voit/Stadler, Art. 7 EuGVVO Rz. 14; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 45, 79; krit. D. Leipold, GS Lüderitz, S. 431, 451 („innerer Bruch“); J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 409; A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 7. 271 EuGHE 2009, I-3327 (Falco Privatstiftung) = NJW 2009, 1865. 272 EuGH – C-419/11, ECLI:EU:C:2013:165 – Česka spořitelna v Feichter, RIW 2013, 292. 273 J. Kropholler/M. v. Hinden, GS Lüderitz, S. 401, 408; A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 20. 274 H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 329.
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3.86
§ 3 Rz. 3.86 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
LugÜ) zurückzugreifen sei.275 Anders ist es dagegen bei einer auf einen bestimmten Staat begrenzten Unterlassungspflicht.276 Gleiches gilt für Leistungspflichten, die in einer Vielzahl von Staaten zu erfüllen sind, ohne dass eine Hauptverpflichtung in einem bestimmten Staat bestünde.277
3.87 (5) Wird Schadenersatz geltend gemacht, so ist zu prüfen, ob der Anspruch auf Vertrag oder Delikt gestützt wird. Im Gerichtsstand des Erfüllungsortes können nach h.M. nur vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden.278 Eine Annexkompetenz für deliktische Ansprüche besteht nach h.M. grundsätzlich nicht.279 Der EuGH hat allerdings mit Urteil v. 13.3.2014 Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F. (jetzt Art. 7 Nr. 1 n.F.) auch Schadenersatzansprüche wegen einer Wettbewerbsverletzung zugeordnet, die nach deutschem Recht deliktisch eingeordnet werden, wenn das beanstandete Verhalten als Verstoß gegen Vertragspflichten angesehen werden kann.280 Ansprüche eines Nichtkäufers gegen den Warenhersteller aus (gesetzlicher) Produkthaftung fallen nicht unter Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 a.F./LugÜ).281 Auch Schadenersatzansprüche des Erwerbers einer Schuldverschreibung, die er von einem Dritten erworben hat, gegen den Emittenten sind nicht vertraglicher Art.282 Ansprüche wegen Transportschäden, die nicht gegen den Aussteller des Konnossements, sondern gegen den tatsächlichen Verfrachter geltend gemacht werden, sind deliktischer Natur.283 Wie im autonomen deutschen Recht sollte aufgrund der Interessenlage der Parteien bei Anspruchsgrundlagenkonkurrenz auch für Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs für alle Anspruchsgrundlagen anerkannt werden.284 3.88 (6) Die Vereinbarung des Erfüllungsortes durch die Parteien wird durch Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) nicht ausgeschlossen. Der wirksam vertraglich vereinbarte Erfüllungsort hat Vorrang vor dem rechtlichen Erfüllungs-
275 EuGHE 2002, I-1699 (Rz. 48 ff.) (Besix v Kretzschmar) = NJW 2002, 1407 = IPRax 2002, 392 (dazu B. Heß, S. 376) = ZZPInt 7 (2002), 207 (W. Hau); krit. P. Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/02, 519. 276 F. Jault-Seseke/M. Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO Rz. 45. 277 Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 80 f. 278 Cour de Cassation, Urt. v. 16.5.1977, Rspr. Übersicht, Folge 3, 1979, Nr. 95. 279 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 212; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1806; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 17; S. Zogg, JPIL 9 (2013), 39; vgl. Linke/Hau, IZVR, Rz. 5.61; s. Rz. 3.80. 280 EuGH – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 – Brogsitter, RIW 2014, 305; dazu T. Dornis, GPR 2014, 352; Ch. Wendelstein, ZEuP 2015, 622. 281 EuGHE 1992, I-3967 (Handte v TMCS) = EWS 1994, 245 = JZ 1995, 90 m. Anm. K.-N. Pfeifer; Kreuzer/Wagner, Q 157; krit. T. Hartley, EurLRev. 18 (1993), 506; Cass. [1996] ILPr 133. 282 EuGH – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolassa v Barclays Bank (Rz. 36 ff.). 283 EuGHE 1998, I-6511 (Réunion européenne) = IPRax 2000, 210 (dazu H. Koch, S. 186). 284 U. Banniza v. Bazan, S. 141 ff.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, 1998, S. 520 ff.; Wieczorek/Schütze/Brüssel Ia-VOArt. 7 Rz. 19; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 34; auch Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 79; a.A. Holl, WiB 1995, 462, 463.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.91 § 3
ort.285 Denn der Erfüllungsort ist einmal auf der Grundlage des Vertrags zu bestimmen und zum anderen gilt lit. b ausdrücklich nur vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung.286 Bei der Vertragsauslegung sind alle einschlägigen Bestimmungen und Klauseln des Vertrags einschließlich der allgemein anerkannten und im internationalen Handelsverkehr üblichen Bestimmungen, wie der Incoterms 2000, zu berücksichtigen, sofern sie eine eindeutige Bestimmung des Lieferortes ermöglichen.287 Diese Auslegung muss ohne Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare Recht erfolgen.288 Entgegen der bisher h.M. kommt es also auf das nach den Kollisionsregeln anwendbare materielle Recht nicht mehr an.289 Nach Ansicht des EuGH290 muss die Form des Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nicht eingehalten werden. Erforderlich ist aber ein Zusammenhang dieses Ortes mit der Vertragswirklichkeit.291 Für eine sog. abstrakte Erfüllungsortvereinbarung, durch die kein realer Leistungsort, sondern nur ein Gerichtsstand bestimmt werden soll, gilt dies dagegen nicht. Sie sind nach Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) zu beurteilen.292 Dies gilt auch innerhalb des neu gefassten Art. 7 Nr. 1 b EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1b EuGVO a.F./LugÜ).293
3.89
Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes des Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) steht dem Kläger auch dann zur Verfügung, wenn der Abschluss des Vertrags, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zwischen den Parteien streitig ist.294
3.90
b) Gerichtsstand für unerlaubte Handlungen Schrifttum: S. Adena, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet, RIW 2010, 868; H.-J. Ahrens, Die internationale Zuständigkeit bei Verletzung von Rechten des Geistigen Eigentums, FS Klamaris, 2016, S. 1; H.-J. Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl. 2017, Kap. 16 Rz. 14 ff.; J. Antomo, Verleitung zum Bruch einer 285 Österr. OGH, IPRax 2020, 252 (Rz. 22). 286 Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 72; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 7 EuGVO Rz. 31; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.241 ff. 287 EuGH – C-87/10, ECLI:EU:C:2011:375 – Electrosteel, ZIP 2011, 1282 (Rz. 18 ff.), NJW 2011, 3018; F. Jault-Seseke/M. Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO Rz. 60. 288 EuGH, ZIP 2011, 1282 (Rz. 16). 289 Anders noch BGH, WM 1980, 70; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 35 f.; U. Spellenberg, IPRax 1981, 75; M. Klemm, S. 85 ff.; M. Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rz. 44. 290 EuGHE 1980, 89 (Zelger v Salinitri) = IPRax 1981, 89. 291 BGH, RIW 2009, 568, 570 (Rz. 23). 292 EuGHE 1997, I-911, 932 (MSG, Mainschifffahrts-Genossenschaft) = JZ 1997, 839 (H. Koch) = ZZPInt. 2 (1997), 161 (P. Huber) = RIW 1997, 415 (V. Holl); BGH, RIW 1997, 871 = IPRax 1999, 34 (dazu S. Kubis, S. 10); Klemm, S. 97 ff., 202 ff.; Schlosser/Hess/ Schlosser, Art. 7 EuGVVO Rz. 11. 293 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 328; zweifelnd D. Leipold, GS Lüderitz, S. 431, 448. 294 EuGHE 1982, 825 (Effer v Kantner) = IPRax 1983, 31 (hierzu P. Gottwald, S. 13 und H. Stoll, S. 52).
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3.91
§ 3 Rz. 3.91 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen internationalen Gerichtsstandsvereinbarung – deliktischer Schadensersatz und EuGVVO-Erfolgsort?, ZEuP 2018, 261; I. Bach, Fake News and Cyber Mobbing – Zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, EuZW 2018, 68; F. Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, 2011; J. Basedow, International Cartels and the Place of acting under Article 5 (3) of the Brussels I Regulation, in Basedow/Franq/Idot, International Antitrust Litigation, 2012, S. 31; K. P. Berger, Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites, GRUR-Int. 2005, 465; M. Bogdan, Contract or Tort under Article 5 of the Brussels I Regulation: Tertium non Datur?, FS v. Hoffmann, 2011, S. 561; P.-A. Brand, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, E-Commerce und „Fliegender Gerichtsstand“, NJW 2012, 127; E. Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung, 2006; J. Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten, 2003, S. 29 ff.; D. Coester-Waltjen, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechts-verletzungen, FS Schütze, 1999, S. 175; M. Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EC Competition Law Claims, 2010; H. Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2011; Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011; R. Freitag, Internationale Zuständigkeit für Schadenersatzklagen aus Insolvenzverschleppungshaftung, ZIP 2014, 302; V. Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 286; M. Gebauer, Negative Feststellungsklage am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, ZEuP 2013, 870; K. Grabinski, Zur Bedeutung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (Brüsseler Übereinkommen) und des Lugano-Übereinkommens in Rechtsstreitigkeiten über Patentverletzungen, GRUR-Int. 2001, 199; J. Ch. Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2019; T. Hartley, Jurisdiction in Tort Claims for Non-Physical Harm under Brussels 2012, ICLQ 2018, 987; R. Hausmann, Die Verletzung gewerblicher Schutzrechte im europäischen internationalen Privat- und Verfahrensrecht, EuLF 2003, 278; J. v. Hein, Deliktischer Kapitalanlegerschutz im europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2005, 17; M. Henrich, Der Vertrags- und Deliktsgerichtsstand der EuGVVO ..., GPR 2018, 232; U. Hönle, Die deliktische Grundanknüpfung im IPR und IZVR, 2011; J. Hoffmann, Die Gerichtsstände der EuGVVO zwischen Vertrag und Delikt, ZZP 128 (2015), 465; C. Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa, 2004, S. 176ff; R. Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, 2005; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 10 IV), 2015, S. 323; A. Junker, Der Gerichtsstand des Deliktsortes nach der Brüssel I-Verordnung bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet, FS Rüßmann, 2013, S. 811; E.-M. Kieninger, Internationale Zuständigkeit bei der Verletzung ausländischer Immaterialgüterrechte: Common Law auf dem Prüfstand des EuGVÜ, GRUR-Int. 1998, 280; P. Kindler, Der europäische Deliktsgerichtsstand und die gewerblichen Schutzrechte, GRUR 2018, 1107; M. Klöpfer, Persönlichkeitsrechtsverletzung über das Internet: Internationale Zuständigkeit nach EuGVVO und anwendbares Recht, JA 2013, 165; O. Knöfel, Grenzüberschreitender Rechtsschutz gegen die Autocomplete-Funktion von Suchmaschinen, IPRax 2018, 439; G. Kosmehl, Welchen Wert hat der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im europäischen Zivilprozessrecht?, Liber amicorum Rauscher, 2005, S. 79; E. Körner, Internationale Rechtsdurchsetzung von Patenten und Marken nach europäischem Prozessrecht, FS Bartenbach, 2005, S. 401; S. Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999; P. Lange, Der internationale Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach dem EuGVÜ bei Verletzungen von nationalen Kennzeichen, WRP 2000, 940; M. Lehmann/F. Eichel, Globaler Klimawandel und Internationales Privatrecht – Zuständigkeit und anzuwendendes Recht für transnationale Klagen wegen klimawandelbedingter Individualschäden, RabelsZ 83 (2019), 77; D. Leipold, Neues zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach europäischem Zivilprozessrecht, FS Nemeth, 2003, S. 631; W. Lindacher, Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlas-
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Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom auszulegen.295 Das Gegenstück zur unerlaubten Handlung bildet die Zuständigkeit aus Vertrag gem. Art. 7 Nr. 1 295 EuGH – C-304/17, ECLI:EU:C:2018: 701 – Helga Löber (Rz. 17), EuZW 2018, 998; EuGH – C-12/15, ECLI:EU:2016:161 – Universal Music International Holding (Rz. 25),
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3.92
§ 3 Rz. 3.92 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ). Erfasst von Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) sind daher alle Schadenshaftungen, die nicht an einen Vertrag,296 auch nicht an einen stillschweigend geschlossenen,297 anknüpfen.
3.93 Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) gehen aber Regeln in Spezialübereinkommen, auch die Art. 79 ff. Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) Nr. 6/2002 vor.298 3.94 Unter Art. 7 Nr. 2 n.F. (Art. 5 Nr. 3 a.F.) fallen alle Deliktstatbestände, Ersatzansprüche aus ärztlicher Behandlung ohne wirksame Einwilligung,299 Fälle der Gefährdungshaftung und der Entschädigung wegen Aufopferung,300 der c.i.c., jedenfalls soweit es um reine Schutzpflichtverletzungen geht, auch entsprechende Ansprüche aus „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte“,301 Ersatzansprüche wegen der Verletzung von Immaterialgüterrechten,302 von Wettbewerbs- oder Kartellrechtsverstößen,303 Ansprüche der Verwertungsgesellschaften auf Zahlung von Kopierabgaben bzw. Leerkassettenvergütung,304 Schadensersatz wegen Untreue bzw. Betrug bei Kapitalanlagen,305 Schadenersatz aus Prospekthaftung oder wegen Verletzung von Informationspflichten,306 der Schadenersatzanspruch nach § 823 II BGB i.V.m. § 32 KWG,
296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306
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NJW 2016, 2167 = EuZW 2016, 583 (P. Mankowski); EuGH – C-352/13, ECLI:EU: C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2045 (Rz. 37); EuGH – C-375/ 13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolossa, ZIP 2015, 1456 (Rz. 43); EuGHE 2002, I-8111 (Verein für Konsumenteninformation v Henkel), NJW 2002, 3617, 3618 (Rz. 35); EuGHE 1992, I-3967 (Handte v TMCS), JZ 1995, 90 (K.-N. Peifer); EuGHE 1997, I-3767 (Rz. 12) (Benincasa), JZ 1998, 896 (P. Mankowski); BGH, ZIP 2010, 1998, 1999 (Rz. 23); BGH, ZIP 2014, 1997, 1998 (zum LugÜ). EuGH – C-304/17, ECLI:EU:C:2018:701 – Helga Löber (Rz. 19), EUZW 2018, 998; EuGH, ECLI:EU:C:2016:286 – Austro Mechana (Rz. 32), EuZW 2016, 547; BGH, ZIP 2014, 1997, 1998 (Rz. 20). EuGH – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 – Granarolo (Rz. 23 ff.), NJW 2016, 3087 = EuZW 2016, 747 (J. Landbrecht). EuGH – C-433/16, ECLI:EU:C:2017:550 – BMW (Rz. 37 ff.), IPRax 2018, 198 (für Klage auf Feststellung der Nichtverletzung eines Gemeinschaftsgescmacksmusters). BGHZ 176, 342 = RIW 2008, 711, 712 = IPRax 2009, 150 (dazu A. Spickhoff, S. 128). Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 130. Spahl, S. 159 ff., 163 ff.; s. aber Rz. 3.55. R. Janal, § 10 Rz. 13 ff.; A. Metzger, German national reports, S. 327, 342 ff. EuGH – C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635 – Tibor-Trans Fuvarozó, RIW 2019, 594 = EuZW 2019, 792 (J. Grothaus/G. Haas); Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.308; B. Kreße, GPR 2020, 65; G. Mäsch, IPrax 2020, 305. EuGH – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286 – Austro-Mechana (Rz. 39 ff.), EuZW 2016, 547 (A. Anderl/B. Heinzl) = EWS 2016, 290 (dazu H.-E. Rasmussen-Bonne/M. Servatius, S. 275), IPRax 2016, 586 dazu T. Lutzi, S. 550). BGH, ZIP 2010, 1998; BGH, RIW 2008, 399 = EWiR Art. 5 LugÜ 1/08 (P. Mankowski); OLG Köln, IPRax 2006, 479 (dazu J. v. Hein, S. 460). EuGH – C-304/17, ECLI:EU:2018:701 – Helga Löber (Rz. 20 ff.), EuZW 2018, 998 = IPRax 2019, 312 (dazu T. Lutzi, S. 290); EuGH – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolassa v Barclays Bank (Rz. 42 ff.), JZ 2015, 942 (J. v. Hein); österr. OGH, IPRax 2020, 252 (Rz. 30 ff.) (dazu D. Looschelders, S. 257).
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.96 § 3
soweit er sich nicht gegen den Vertragspartner, sondern dessen Organe richtet,307 Produkthaftungsansprüche von Nichtvertragspartnern,308 Unterlassungsansprüche wegen Eigentumsbeeinträchtigung309 und sonstige negatorische Ansprüche jeweils einschließlich vorbereitender Auskunftsansprüche.310 Deliktisch zu qualifizieren ist auch der Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich zwischen Deliktsschuldnern.311 Deliktisch einzuordnen sind auch Klagen zur Verhinderung des Eintritts von Schäden (durch kollektive Arbeitskampfmaßnahmen)312 sowie wegen der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in AGB.313 Die Haftung aus einer (mündlichen) Gewinnzusage hat der BGH ursprünglich als deliktisch eingeordnet.314 Deliktisch zu qualifizieren sind schließlich individuelle Ansprüche gegen GmbH-Gesellschafter wegen materieller Unterkapitalisierung,315 wegen existenzvernichtenden Eingriffs316 oder wegen Insolvenzverschleppung.317 Die Haftung der Geschäftsführer nach § 64 Satz 1 GmbHG wegen Zahlungen nach Eintritt der Insolvenz ist dagegen insolvenzrechtlich zu qualifizieren; insoweit greift die Annexzuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO n.F. bzw. analog Art. 3 EuInsVO.318
3.95
Außervertragliche Ansprüche ohne Bezug zu einer Unrechtshandlung, wie Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigter Bereicherung319 oder der Vindikationsanspruch werden nicht von Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) erfasst.320 In Fällen der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz ist das
3.96
307 BGH, ZIP 2014, 1997, 1999 (Rz. 25 ff.). 308 EuGHE 2009, I-6917 (Zuid Chemie v Philippo’s) = IPRax 2010, 358 (dazu J. v. Hein, S. 330); EuGH – C-014, C-45/13, ECLI:EU:C:2014:7 – Andreas Kainhz v Pantherwerke, EuZW 2014, 232 (J. Dietze). 309 BGH, RIW 2006, 310 = IPRax 2006, 502 (E. Jayme) = WuB VII B. Art. 5 EuGVVO 3.06 (Th. Rauscher); Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.309. 310 Umfassende Auflistung bei TenWolde/Knot/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rz. 12; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 74 f. 311 Vgl. M. Lubrich, Der Gesamtschuldnerrückgriff im Zuständigkeitssystem der EuGVVO, 2018, S. 151 ff. 312 EuGHE 2004, I-1417 (DFDS Torline v LO Landesorganisationen) = RIW 2004, 543 = IPRax 2006, 161 (dazu M. Franzen, S. 127). 313 BGHZ 185, 359 = NJW 2010, 2719 = ZIP 2010, 1904, 1905. 314 BGH, NJW 2003, 426; dazu R. Häcker, ZVglRWiss 103 (2004), 464; zur Haltung des EuGH s. Rz. 3.50 u. Rz. 3.142. 315 EuGH – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFAB, ZIP 2013, 1932, 1934 (Rz. 35 ff.); dazu Ch. Thole, GPR 2014, 113; Ch. Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44. 316 Vgl. P. Mankowski, RIW 2005, 561, 569. 317 EuGH – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFAB, ZIP 2013, 1932; dazu F. Freitag, ZIP 2014, 302. 318 EuGH – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 – H v H.K., ZIP 2015, 196 = NZI 2015, 88 (Ch. Poertzgen); a.A. OLG Karlsruhe, EuZW 2010, 3597; dazu H. Wais, IPRax 2011, 138; U. Haas, NZG 2010, 495. 319 P. Mankowski, RIW 2017, 322 ordnet Fälle der Leistungskondiktion Art. 7 Nr. 1, Fälle der Eingriffskondiktion Art. 7 Nr. 2 zu. 320 EuGH – C- 304/17, ECLI:EU:C:2018:701 – Helga Löber (Rz. 22), EuZW 2018, 998; Ten Wolde/Knot/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rz. 15 ff.; vgl. Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 239.
121
§ 3 Rz. 3.96 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Gericht der Deliktsklage nach h.M. nicht zuständig, im Wege des Sachzusammenhangs auch über konkurrierende Ansprüche (aus Vertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, Bereicherung etc) zu entscheiden.321 Diese Trennung wird freilich den Interessen der Parteien nicht gerecht.322
3.97 Während § 32 ZPO auf den Ort abstellt, an dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, knüpft Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) an den Ort an, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Im Ergebnis läuft das aber auf dasselbe hinaus, denn der Beklagte kann nach Wahl des Klägers vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verletzung eingetreten ist (Erfolgsort), oder vor dem Gericht des Ortes des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) verklagt werden.323 3.98 Bei einem Betrug liegt der Tatort dort, wo der Geschädigte getäuscht worden ist.324 Bei Ansprüchen nach §§ 37b 37c WpHG (Zurückhaltung von Insiderinformationen bzw. unzutreffenden Ad-hoc-Mitteilungen) liegt der Erfolgsort am Sitz der Börse, bei der die streitigen Papiere zum Handel zugelassen sind.325 Bei Kartelldelikten ist Tatort der Ort der Gründung des Kartells bzw. der Ort, an dem die entscheidenden Absprachen getroffen wurden.326 In Produkthaftungsfällen ist zuständigkeitsbegründender Handlungsort der Herstellungsort des betreffenden Produkts.327 Bei Ersatzansprüchen wegen Geschäftsfortführung trotz Unterkapitalisierung und eingetrete321 EuGHE 1988, 5565 (Kalfelis v Schröder), NJW 1988, 3088 (R. Geimer); BGH, IPRax 2006, 40, 43 (dazu D. Looschelders, S. 14, 15); zust. M. Lohse, S. 25 ff.; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 124 ff.; Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 71; H. Schack, IZVR, Rz. 396; S. Zogg, JPIL 9 (2013), 39; krit. P. Gottwald, IPRax 1989, 272; s. Rz. 3.73. 322 Ebenso K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 504 ff., 520 ff.; U. Banniza v. Bazan, S. 141 ff.; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 163. 323 EuGH – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – Lithuanian Airlines (Rz. 28), NZKart 2018, 357; EuGH – C-12/15, ECLI:EU:C:2016:161 – Universal Music International Holding (Rz. 28), NJW 2016, 2167, 2168; EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2045 (Rz. 38); EuGH (16.5.2013 – C-228/11 – Melzer), ZIP 2013, 1787 (Rz. 25); EuGHE 1976, 1735 (Bier v Mines de Potasse d’Alsace), RIW 1977, 356 (H. Linke); EuGHE 2004, I-6009 (Kronhofer), NJW 2004, 2441 = IPRax 2005, 32 (dazu J. v. Hein, S. 17); EuGHE 2009, I-6917 (Zuid-Chemie v. Philippo’s Mineralenfabriek), NJW 2009, 3501 = RIW 2009, 719; EuGH – C-523/10, ECLI:EU: C:2012:220 – Wintersteiger (Rz. 19) (dazu M.-R. McGuire ZEuP 2014, 155); BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 29); BGH, ZIP 2010, 1998, 1999; ebenso Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 Rz. 107 ff.; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 251 ff.; Ten Wolde/Knot/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rz. 5; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 143 f.; R. Janal, § 10 Rz. 17 ff. 324 RIW 2008, 399, 401. 325 OLG Frankfurt, ZIP 200, 2217; dazu P. Mankowski, EWiR § 37b WpHG 1/10, 725. 326 EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide (Rz. 43 ff.); Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 86; 327 EuGH – C-45/13, ECLI:EU:C:2014:7 – Andreas Kainz v Pantherwerke (Rz. 26 ff.), EuZW 2014, 232 (J. Dietze) = EWS 2014, 91 (B. Sujecki); Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 85.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.100 § 3
ner Insolvenz ist der Schadensort an dem Ort zu lokalisieren, an dem sich der Geschäftsbetrieb des Unternehmens befunden hat.328 Erfolgsort ist stets nur der Ort des Erstschadens; mittelbare Schäden oder Folgeschäden begründen keinen Erfolgsort.329 Bei reinen Vermögensschäden ist der Ort des ersten unmittelbar verletzten Interesses maßgeblich. Ist schon die Anbahnung eines Rechtsgeschäfts rechtswidrig, so ist der Ort Erfolgsort, an dem das Fehlverhalten erste Wirkung entfaltet (Handlungswirkungsort).330 Ist der Schaden durch den Abschluss eines ungünstigen Vergleichs vor einem Schiedsgericht konkretisiert worden, hat der EuGH als Erfolgsort auf den Ort des Vergleichsschlusses abgestellt.331 Bei einer Klage auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem vorsätzlich erschlichenen Titel kann die Klage am Handlungsort (Ort der Täuschung des Notars) erhoben werden.332 Bei einem deliktischen Telefonanruf ist der Handlungsort dort, wo der Täter das Telefongespräch geführt hat.333 Bei Mittätern kann jeder Schädiger nur an seinem eigenen Handlungsort verklagt werden; Handlungsorte anderer möglicher Verursacher werden (anders als nach autonomem deutschem Recht)334 nicht zugerechnet.335
3.99
Erfolgsort ist der Ort, an dem sich der durch das Ereignis verursachte Schaden konkret zeigt; mittelbare Schadensfolgen (z.B. Auswirkungen auf das Vermögen des Geschädigten) begründen keinen Erfolgsort.336 Bei der Schädigung eines Anlegers kann der Erfolgsort ggf. am Ort des Bankkontos des Anlegers liegen,337 teilweise wird auch an den Marktort angeknüpft.338 Vermögensschäden müssen danach nicht notwendig am Wohnsitz des Geschädigten eintreten; bei Vermögenanlagen in einem anderen Staat treten sie dort ein.339 Bei der Arzthaftung wegen unzureichender Aufklärung
3.100
328 329 330 331 332 333 334 335
336
337 338 339
EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12 – „ÖFAB“, ZIP 2013, 1932, 1936 (Rz. 52 ff.). Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 80. BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 36). EuGH – C-12/15, ECLI:EU:C:2016:161 – Universal Music International Holding (Rz. 31, 38), NJW 2016, 2167 (krit. M. Müller). OLG Saarbrücken, NJW 2019, 1468 (Rz. 20 ff.). Österr. OGH, IPrax 2020, 366 (Rz. 24). Dazu A. Spickhoff, IPrax 2020, 368. BGHZ 184, 365 (Rz19) = IPRax 2011, 497 (dazu A. Engert/G. Groh, S. 458). EuGH – C-228/11, ECLI:EU:C:2013:305 – Melzer, NJW 2013, 2099 = IPRax 2013, 555 (dazu J. v. Hein, S. 505); EUGH – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 – Hi Hotel, NJW 2014, 1793; EuGH – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany, NJW 2014, 2339; a.A. Ch. Thole, FS Schilken, 2015, S. 523, 530 ff. EuGH – C-304/17, ECLI:EU:C:2018:701 – Helga Löber (Rz. 23), EuZW 2018, 998; EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2046 (Rz. 52); EuGH – C-189/08 – Zuid-Chemie, IPRax 2010, 358 (Rz. 27) (dazu J. v. Hein, S. 330); BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 31 ff.); OLG Schleswig, ZIP 2015, 1253, 1259 (Eingriff Griechenlands in von Deutschen gezeichnete Staatsanleihen). EuGH – C-304/17, ECLI:EU:C:2018:701 – Helga Löber, IPRax 2019, 312 (dazu krit. T. Lutzi, S. 290). Vgl. Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 103 ff. EuGH – C-168/02, EuGHE 2004, I-6009 – Kronhofer, IPRax 2005, 32 (dazu J. v. Hein, S. 17).
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§ 3 Rz. 3.100 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
liegt der Erfolgsort in dem Staat, in dem der Patient die Wirkungen der ärztlichen Behandlung erleidet.340 Bei einem deliktischen Telefongespräch liegt der Erfolgsort dort, wo die Äußerung den Empfänger erreicht.341 Bei einer Manipulation von Abgaswerten durch einen Kfz-Hersteller liegt der Erfolgsort in dem Mitgliedstaat, in dem der Letzterwerber das Fahrzeug erworben hat.342 Bei der Verleitung zum Bruch einer Gerichtsstandsvereinbarung (Delikt nach englischem Recht) soll Erfolgsort dort sein, wo vertragswidrig Klage erhoben wurde.343 Bei Transportschäden ist als Erfolgsort der Ort anzusehen, an dem der tatsächliche Verfrachter die Ware auszuliefern hatte. Keine Zuständigkeit besteht dagegen an dem sonstigen Ort, an dem ein Transportschaden erstmals festgestellt wird.344 Soweit Immissionen nicht direkt zur einer Schädigung führen, sondern nur mittelbar über einen Beitrag zum Klimawandel einen Schaden verursachen, wird angenommen, dass es überhaupt keine Erfolgsortzuständigkeit gibt, der Emittent vielmehr nur an seinem Handlungsort verklagt werden kann.345
3.101 Bei Mittätern ist der Ort des Schadenserfolges allen Mittätern zuzurechnen.346 Bei der Beteiligung an fremder unerlaubter Handlung oder der Haftung für Verrichtungsgehilfen ist als Handlungsort der Ort der Haupttat bzw. der Tat des Verrichtungsgehilfen anzusehen.347 Bei einer Beihilfe zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen finanziellen Schädigung wurde als Ort der Schädigung der Ort des Sitzes des Kreditinstituts angenommen, von dem aus der Geschädigte Geld an den Schädiger überwiesen hat.348 3.102 Die Zuständigkeit ist begründet, wenn der Eintritt der Verletzung an dem entsprechenden Ort behauptet wird und dies nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Die Zuständigkeit ist dagegen nicht davon abhängig, ob eine Verletzung tatsächlich eingetreten ist.349 3.103 Bei einem Streudelikt, etwa einer ehrverletzenden oder kreditschädigenden Presseveröffentlichung ist der Gerichtsstand am Sitz der Druckerei, am Sitz der Niederlassung des Verlages (für den gesamten Schaden) oder an jedem Verbreitungs- bzw. Verkaufsort (begrenzt auf den in diesem Land erlittenen Schaden) gegeben (sog. Mo340 BGHZ 176, 342 = NJW 2008, 2344 = MedR 2009, 282 (K.A. v. Sachsen Gessaphe); Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 149. 341 Österr. OGH, IPrax 2020, 366, 368 (Rz. 29); dazu A. Spickhoff, IPrax 2020, 368. 342 EuGH – C-343/19 v. 9.7.2020, ZIP 2020, 1426. 343 AMT Futures Ltd. v Marzellier [2017] UKSC 13; krit. J. Antomo, ZEuP 2018, 261 (für Ort, an dem hätte geklagt werden können). 344 EuGHE 1998, I-6511 (Rz. 33 f.) (Réunion européenne), IPRax 2000, 210, 213 (dazu H. Koch, S. 186); Burgstaller/Ritzberger Rz. 2.83. 345 So M. Lehmann/F. Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77, 92. 346 EuGH – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – flyLAL-Lithuanian Airlines (Rz. 42), NZKart 2018, 357; EuGH – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 – Hi Hotel, NJW 2004, 1793. 347 BGH, ZIP 2010, 1998, 1999 (Rz. 29 ff.); BGH, ZIP 2010, 2004 (Rz. 27 ff.); vgl. M. Weller, IPRax 2000, 202, 208; BGH, RIW 2013, 85 (Vorlage an EuGH). 348 BGH v. 15.11.2011 – XI ZR 54/09, ZEuP 2013, 659 (A. Schnyder). 349 BGH, RIW 2005, 465 = JZ 2005, 736 (A. Ohly).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.105 § 3
saik-Prinzip).350 Bei einer pflichtwidrigen Weitergabe vertraulicher Informationen entsteht der Schaden an jedem Ort, an dem ihr berechtigter Inhaber sie gewerblich nutzen wollte, insb für seinen Inlandsmarkt an seinem Sitz.351 Bei unerlaubter Veröffentlichung von Fotos ist Handlungsort der Ort der Veröffentlichung, nicht der Ort der Fotoaufnahme (§ 22 KunstUrhG).352 Bei sittenwidrigem Telefonverkauf von Börsenpapieren ist Erfolgsort der Wohnsitz des Geschädigten.353 Bei falschen Anschuldigungen ist Erfolgsort der Ort der Anschuldigung, nicht der Ort, an dem der Beschuldigte davon Kenntnis erlangt.354 Bei territorial beschränkten Immaterialgüterrechten muss der Verletzungsort im Schutzstaat liegen.355 Der Ort der Marktbeeinflussung in einem Nichtschutzstaat genügt nicht.356 Die Verletzungshandlung kann dagegen (entgegen einer wohl hM) auch von einem Nichtschutzstaat aus erfolgen.357 Werden Schutzrechte mehrerer Mitgliedstaaten verletzt, so besteht an einem Verletzungsort keine umfassende Kognitionsbefugnis für alle verletzten Rechte.358 Mögliche Verletzungshandlungen von Kennzeichen sind die in § 14 III, IV MarkenG untersagten Verhaltensweisen.359 Für Patentverletzungsklagen gilt Art. 24 Nr. 4 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 4 EuGVO a.F./ LugÜ) nicht (s. Rz. 1.332 ff.).
3.104
Für Klagen wegen Verletzung des neuen Europäischen Einheitspatents ist nach seiner Einführung aber das neu errichtete einheitliche Europäische Patentgericht zuständig (Art. 32 (1) (a) eines Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht)360 (s. Rz. 1.86).
3.105
350 EuGHE 1995, I-415 (Fiona Shevill v Press Alliance) = NJW 1995, 1881; dazu Th. Rauscher, ZZPInt 1996, 145; G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243, 261 ff.; S. Kubis, S. 121 ff., 150 ff., 226 ff. (für Anknüpfung an Handlungsort; gegen Unterscheidung von Handlungs- und Erfolgsort); V. Fricke, S. 296 ff.; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 256 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 167 ff.; krit. Kreuzer/Wagner, Q 176; G. Kosmehl, Liber amicorum Rauscher, S. 79, 90 ff.; A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 53; H. Schack, IZVR, Rz. 343; I. Bach, EuZW 2018, 68, 69. 351 English High Court, Ch., 21.1.1994 (Kitechnology v Unicor) [1994] ILPr 560. 352 AG Hamburg, RIW 1990, 319 f. 353 OLG Düsseldorf, RIW 1996, 681. 354 Vgl. Alfred Dunhill Ltd v Diffusion Internationale [2002] ILPr 128. 355 Kreuzer/Wagner, Q 177; J. Bukow, S. 45 ff., 73 f, 124. 356 J. Bukow, S. 83 ff. 357 R. Pansch, EuLF 2000/01, 353, 355 ff. m.N.; K. Otte, IPRax 2001, 315, 316 ff.; J. Adolphsen, Patentsachen, 2. Aufl. 2009, Rz. 490; J. Adolphsen, ZZPInt 11 (2006), 137, 156; R. Hye-Knudsen, S. 69 ff.; a.A. OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 336; K. Grabinski, GRUR-Int. 2001, 199, 204; H. Schack, IZVR, Rz. 343 (kein vom Handlungsort verschiedener Erfolgsort); vgl. D. Stauder, Grenzüberschreitende Verletzungsverbote im gewerblichen Rechtsschutz, IPRax 1998, 317; P. Lange, WRP 2000, 940, 944 ff. 358 J. Adolphsen, Patentsachen, 2. Aufl. 2009, Rz. 495; J. Adolphsen, ZZPInt 11 (2006), 137, 157; J. Bukow, S. 96 ff. 359 P. Lange, WRP 2000, 940, 941 f. 360 Rat der EU, Dok. 16351/12 (PI 148 COUR 77) v. 11.1.2013.
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§ 3 Rz. 3.106 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.106 Bei Wettbewerbs-, Marken- oder Urheberrechtsverletzungen im Internet ist Handlungsort der Ort des Uploading des Täters oder am Belegenheitsort des Servers, weil die verletzenden Informationen dort gespeichert und abrufbar sind.361 Erfolgsorte könnten grds. alle Orte der Abrufbarkeit sein, was zu weltweiten Erfolgsorten führen könnte (sog. „fliegender Gerichtsstand“). Allerdings sollten nur Erfolgsorte relevant sein, die zum objektiv bestimmungsgemäßen Verbreitungsgebiet oder zum umworbenen Markt gehören.362 Auf den gewöhnlichen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt des geschädigten Mitbewerbers kommt es nicht an.363 Insoweit ist auf dieselben Indizien wie beim Ausrichten nach Art. 17 I lit. c EuGVO n.F. (Art. 15 I lit. c EuGVO a.F./LugÜ)abzustellen (Sprache, Disclaimer, Top-Level-Domain, Werbung, Vertragsschlussmöglichkeit, Zugangssperren, Gelocation, Meta-Tag Coverage).364 Bei einer Klage wegen eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 7 UWG durch eine englischsprachige herabsetzende Internetveröffentlichung hat der BGH einen inländischen Erfolgsort nur angenommen, wenn sich der Internetauftritt bestimmungsgemäß auf den inländischen Markt auswirken soll.365 Bei einem Verstoß gegen eine selektive Vertriebsvereinbarung mit Verbot des Wiederverkaufs außerhalb des Vertriebsnetzes liegt der Erfolgsort im Hoheitsgebiet des Staates, der das Vertriebsverbot schützt und in dessen Gebiet der Schaden eingetreten sein soll.366 3.107 Bei einer Urheberrechtsverletzung durch unbefugte Herstellung einer CD und deren anschließender Veräußerung an Dritte, die sie auf einer Website zugänglich machen, kann der Urheber den erlittenen Vermögensschaden an seinem Wohnsitz als Erfolgsort einklagen, allerdings begrenzt auf den in seinem Wohnsitzstaat entstandenen Schaden.367 Bei einer Urheberrechtsverletzung durch unbefugte Veröffentlichung im Internet hat der EuGH als Erfolgsort jeden Ort, an dem die Website aufgerufen kann, akzeptiert; allerdings könne der Verletzte dort nur den in diesem Staat entstandenen Schaden liquidieren.368 3.108 Bei einer möglichen Markenrechtsverletzung durch Auftrag zur Bereitstellung eines Addons kann im Schutzstaat der Marke als dem Verletzungsort und im Staat, in 361 Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 142; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 299 f, 301 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 173; Ten Wolde/Knot/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rz. 39. 362 R. Hye-Knudsen, S. 78 ff.; R. Pichler, Jb junger Rechtswiss. 1998, 229, 248 f.; vgl. F. Koch, CR 1999, 121; P. Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203; B. Bachmann, IPRax 1998, 179, 182 ff. 363 BGH v. 12.12.2013 – I ZR 131/12, RIW 2014, 377. 364 Vgl. F. Banholzer, S. 62 ff., 104 ff. 365 BGH, MDR 2014, 604 – „Englischsprachige Pressemitteilung“ (Rz. 25 ff.), GRUR 2014, 601. 366 EuGH – C-618/15, ECLI:EU:C:2016:976 – Concurrence Sàrl, EuZW 2017, 99 (J. Landbrecht) = IPRax 2017, 605 (dazu T. Lutzi, S. 552); Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel IaVO Art. 7 Rz. 92. 367 EuGH – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 – Hi Hotel, NJW 2014, 1793; EuGH – C-170/ 12, ECLI:EU:C:2013:635 – Pickney, NJW 2013, 3627 (H. Schack) = RIW 2013, 785; dazu P. Fischer, UFITA 2014, 407. 368 EuGH – C-441/13, ECLI:EU:C:2015:28 – Hejduk (Rz. 28 ff.), RIW 2015, 149.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.111 § 3
dem der Verletzer den Bereitstellungsauftrag erteilt hat, als dem Handlungsort auf Unterlassung oder Schadenersatz geklagt werden. Der Ort, an dem sich der Server befindet, ist irrelevant.369 Der durch den Inhalt einer Website in seinen Persönlichkeitsrechten Verletzte kann den gesamten Schaden, den er erlitten hat, bei den Gerichten des Niederlassungsstaats des Urhebers oder in dem Staat, in dem er selbst den eigenen Mittelpunkt seiner Interessen hat, d.h. im Zweifel im Staat seines Wohnsitzes bzw. des satzungsmäßigen Sitzes, einklagen.370 War die verletzende Website auch in anderen Staaten zugänglich, so kann auch dort geklagt werden, allerdings beschränkt auf den in diesem Staat erlittenen Schaden.371 Wird eine jur. Person hauptsächlich nicht im Staat ihres satzungsmäßigen Sitzes tätig, sind die Gerichte des Tätigkeitsstaates als Gerichte am Ort des Schadenserfolgs zuständig.372 Die bloße Abrufbarkeit im Inland ergibt daher keinen relevanten Erfolgsort; der ehrverletzende Inhalt muss vielmehr einen deutlichen Inlandsbezug aufweisen. Dazu muss ein Aufruf im Inland nahe liegen und dabei auch tatsächlich eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts eintreten.373 Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet ergibt sich keine Erfolgsortzuständigkeit im Inland, wenn zwar der Verletzte die Äußerungen im Inland abruft, diese aber aufgrund ausländischer Sprache und Schrift und ihres Inhalt ganz überwiegend an Adressaten im Ausland gerichtet sind.374
3.109
Verlangt ein Sportler nach einer ungerechtfertigten Dopingsperre Schadenersatz wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts oder Eingriffs in seinen ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb, so tritt der Erstschaden am Ort seines sportlichen Lebensmittelpunktes, d.h. am Sitz seines Heimatvereins bzw. -verbands ein.375
3.110
Bei Klagen auf Ersatz von primären Vermögensschäden fallen zuständigkeitsbegründender Erfolgsort als Ort der Rechtsgutverletzung und Schadensort zusammen.376 Abzustellen ist danach auf den Ort, an dem der „Erstschaden“ am konkret geschädigten Vermögensgegenstand eintritt; der Ort, an dem finanzielle Folgeschä-
3.111
369 EuGH – C-523/10 – Wintersteiger, RIW 2012, 391 = JZ 2012, 1014 (M. Lehmann/M. Stieper). 370 Vgl. öOGH, IPRax 2018, 434 (dazu O. Knöfel, S. 439); krit. gegen den damit eröffneten „Klägergerichtsstand I. Bach, EuZW 2018, 68, 70. 371 EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09 – eDate Advertising, RIW 2011, 869 = NJW 2012, 137 = JZ 2012, 139; dazu P.-A. Brand, NJW 2012, 127; G. Spindler, AfP 2012, 114; M. Bogdan, YearbookPIL 13 (2011), 483; M. v. Hinden, ZEuP 2012, 940; Endentscheidung BGH, NJW 2012, 2197. 372 EuGH – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen, ZIP 2018, 146 (Rz. 29 ff.) = JZ 2018, 91 (A. Stadler); für Anknüpfung an den Schadensschwerpunkt dagegen I. Bach, EuZW 2018, 68, 71. 373 BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752 (A. Staudinger); dazu auch O. Schlüter, AfP 2010, 340. 374 BGH v. 29.3.2011 – VI ZR 111/10, MDR 2011, 812 (LS). 375 H. Grothe, FS v. Hoffmann, 2011, S. 601, 613. 376 LG Dortmund, IPRax 2005, 542 (dazu G. Mäsch, S. 509).
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§ 3 Rz. 3.111 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
den eingetreten sind, ist irrelevant.377 Grundsätzlich liegt der Erfolgsort danach am Sitz des Geschädigten.378 Offen ist derzeit, ob beim Kauf eines manipulierten KfZ in Deutschland durch einen Ausländer der Erfolgsort für den Eintritt des Vermögensschadens doch im Ausland liegt.379 Bei Vermögensanlagen im Ausland unter Einschaltung inländischer Vermittler befindet sich der Erfolgsort am Ort der Minderung des Kontoguthabens im Inland.380 Keine Gerichtspflichtigkeit besteht dagegen an einem Ort, an dem ein Vermögensschaden als Folge eines in einem anderen Vertragsstaat erlittenen Erstschadens eingetreten ist381 oder an dem ein mittelbar Geschädigter einen Schaden erlitten hat.382 Erfolgsort ist aber nur ein Ort, mit dem der Handelnde rechnen musste. Bei einem Telefongespräch von einem fingierten Ort aus, ist der wirkliche Gesprächsort nicht Erfolgsort.383 Bei Kartelldelikten wird die Zuständigkeit am Erfolgsort an den Marktort angeknüpft.384 Marktort ist der Ort, an dem die Marktpreise verfälscht wurden, also das Kartell gegründet oder die spezifischen Absprachen getroffen wurden und dem Geschädigten ein Schaden entstanden ist.385
3.112 Ob der Gerichtsstand auch für eine vorbeugende Unterlassungsklage, insb bei Wettbewerbsverstößen, eröffnet ist, war für Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zweifelhaft.386 Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass die Klage auch dort erhoben werden kann, wo das „schädigende Ereignis ... einzutreten droht“.387 Dies gilt auch bei der Gefahr der Erstbegehung.388 Ob es einen
377 EuGH – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – Lithuanian Airlines (Rz. 32), NZKart 2018, 357; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 159 ff.; Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO, Art. 7 Rz. 80; H. Dehnert, S. 162 ff., 178. 378 EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2046 (Rz. 52). 379 Vgl. T. Bachmeier/M. Freytag, Neues zum europäischen Deliktsgerichtsstand bei reinen Vermögenschäden im imternationalen Warenverkehr, RIW 2020, 337. 380 EuGH – C-304/17, ECLI:EU:C:2018:701 – Helga Löber (Rz. 28 ff., 35), EuZW 2018, 998 (B. Sujecki); BGH, BRK 2012, 78; dazu A. Schnyder, ZEuP 2013, 659. 381 EuGH – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – Lithuanian Airlines (Rz. 32), NZKart 2018, 357; EuGHE 1995, I-2719 (Marinari v Lloyds Bank) = JZ 1995, 1107 (R. Geimer) = EuZW 1995, 765 (V. Holl); EuGHE 2004, I-6009 (Kronhofer v Maier), IPRax 2005, 32 (dazu J. v. Hein, S. 17) = ZZPInt 9 (2004), 197 (A. Junker); (krit. P. Mankowski, RIW 2005, 561 f.); F. Blobel, EuLF 2004, 187, 190; Kreuzer/Wagner, Q 175. 382 EuGHE 1990, I-49, 74 (Dumez France v Hessische Landesbank) = NJW 1991, 631. 383 OLG München, EuZW 1994, 191 = NJW-RR 1994, 190. 384 Vgl. H. I. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 94 ff., 123 ff., 152 ff.; für Anknüpfung auch an den Ort der Vereinbarung und an den der konzertierten Aktion J. Basedow in International Antitrust Litigation, 2012, S. 31, 33 ff. 385 EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide (Rz. 56), RIW 2015, 598; EuGH – C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635 – Tibor-Trans Fuvarozo, RIW 2019, 594. 386 BGH, RIW 1994, 591. 387 Vgl. H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 329. 388 BGH, NJW 2006, 689 (dazu H. Roth, LMK 2006, 176147); R. Hye-Knudsen, S. 112 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 135 f.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.115 § 3
vorbeugenden Unterlassungsanspruch gibt, bestimmt freilich die anwendbare lex causae. (Vorbeugende) Unterlassungsklagen privater Verbraucherverbände, z.B. auf Untersagung der Verwendung missbräuchlicher AGB-Klauseln fallen ebenfalls unter Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ).389
3.113
Bejaht man mit der Verordnung („oder einzutreten droht“) die Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage, so muss auch eine negative Feststellungsklage zulässig sein.390 Entgegen dem EuGH bestehen freilich Bedenken, sie auch am Wohnsitz des Feststellungsklägers als dem Ort der geleugneten Tathandlung zuzulassen.391 Die Gefährdungshaftung wird von Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) (in Parallele zu Erwägungsgrund 11 Satz 3 Rom II-VO) mitumfasst.392
3.114
Der Gerichtsstand kann von dem Verletzten, dessen Rechtsnachfolger393 oder vom Rückgriffsberechtigten, aber auch vom Verletzer geltend gemacht werden.394 Die positive Klage kann sich gegen jeden Schuldner eines deliktischen Anspruchs oder seinen Rechtsnachfolger richten.395 Das nationale Recht des angerufenen Gerichts entscheidet darüber, ob die Versicherung vor dem Gericht verklagt werden kann, vor dem die Klage gegen den Versicherten (Schädiger) anhängig ist.396 Ob ein Anspruch aus unerlaubter Handlung gegeben ist, ist nach der „lex causae“, also primär mit Hilfe der Rom II-VO und nur außerhalb deren Anwendungsbereichs nach dem jeweiligen nationalen IPR zu ermitteln.
3.115
389 EuGHE 2002, I-8111 (Verein für Konsumenteninformation v Henkel) = IPRax 2003, 341 (dazu Ch. Michailidou, S. 223) = ZZPInt 7 (2002), 277 (A. Stadler); BGHZ 182, 24, 27 (Rz. 12) = NJW 2009, 3371; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 329; N. Schoibl, JBl 2003, 149, 158 f. 390 EuGH – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664 – Folien Fischer, EuZW 2012, 493 (auf Vorlage des BGH, ZIP 2011, 975 = MDR 2011, 445); OLG Celle, IPRspr. 2012 Nr. 236 (Beweisnähe zur angeblichen Tathandlung); Ten Wolde/Knot/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rz. 18; dazu P. Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVVO 2/11, 253; M. Gebauer, ZEuP 2013, 870. 391 P. Gottwald, MDR 2016, 936, 939. 392 Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 74; Kreuzer/Wagner, Q 170. 393 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12 („ÖFAB“), ZIP 2013, 1932, 1936 (Rz. 56 ff.); EuGH – C352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2045 (Rz. 35). 394 Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 93; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 178; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 116; K. Thoma, Der internationale Regress, 2007, S. 248 ff. 395 Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 93; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 62; Fasching/Simotta, § 92a JN Rz. 30. 396 Geimer/Schütze, I/1 619.
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§ 3 Rz. 3.116 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
c) Gerichtsstand für Adhäsionsklagen
3.116 Schrifttum: P. Mankowski, Zivilverfahren vor Strafgerichten und die EuGVVO, Festgabe für R. Machacek u. F. Matscher, 2008, S. 785; N. Schoibl, Adhäsionsverfahren und Europäisches Zivilverfahrensrecht, FS Sprung, 2001, S. 321.
Schadenersatz- oder Restitutionsklagen, die auf einer strafbaren Handlung aufbauen, können danach auch vor dem zuständigen Strafgericht eingeklagt werden, soweit dies nach seinem autonomen Recht397 über zivilrechtliche Ansprüche entscheiden kann. Diese Zuständigkeit hat selbständige Bedeutung, wenn sie nicht mit der nach Art. 4 oder Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 2 oder Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) zusammenfällt.398 Adhäsionsklagen sind im romanischen Rechtskreis weit verbreitet. In Deutschland kann der Verletzte oder sein Erbe seine Ansprüche im Strafverfahren vor dem AG geltend machen (§§ 403 ff. StPO). Nach § 405 StPO kann das Gericht aber von einer Entscheidung absehen. In diese Regelung greift Art. 7 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ)nicht ein. Besonders zu beachten ist Art. 64 EuGVO n.F. (Art. 61 EuGVO a.F./LugÜ(, wonach eine Entscheidung, die über den Anspruch aus einem Rechtsverhältnis des Zivilrechts ergangen ist, in den anderen Mitgliedstaaten weder anerkannt noch vollstreckt zu werden braucht, wenn der Angeklagte der Anordnung, persönlich vor Gericht zu erscheinen, nicht gefolgt ist und sich nicht verteidigen konnte.399 d) Gerichtsstand der Herausgabe eines Kulturguts
3.117 Schrifttum: J. v. Hein, Der Kulturgütergerichtsstand in Art. 7 Nr. 4 der neugefassten EuG-
VO, FS Lindacher, 2017, S. 151; E. Ploil, Verbesserter internationaler Kulturgüterschutz durch Art. 7 Z. 4 EuGVVO n.F.?, Bulletin Kunst & Recht 2/2014, 45; K. Siehr, Das Forum rei sitae in der neuen EuGVO (Art. 7 Nr. 4 EuGVO n.F.) und der internationale Kulturgüterschutz, FS Martiny, 2014, S. 837.
3.117a Neu eingefügt wurde in die Neufassung der EuGVO von 2012 der Gerichtsstand zur Wiedererlangung eines Kulturguts i.S.v. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 93/7/EWG v. 15.3.1993.400 Ist ein Kulturgut unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbracht worden, so kann der Eigentümer eine Klage auf Rückgabe vor dem Gericht des Ortes erheben, an dem sich das Kulturgut zur Zeit der Anrufung des Gerichts befindet (s. Erwägungsgrund 17 n.F.). Relevant wird der Gerichtstand, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz zwar innerhalb der EU, aber nicht in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Kulturgut belegen ist. Hat der Beklagte seinen Wohnsitz in ei397 Vgl. P. Mankowski, FS Machacek u. Matscher, 2008, S. 785, 789 f. 398 Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 182; Wieczorek/Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 110; krit. D. Leipold, FS H. Stoll, 2001, S. 625, 643; auch N. Schoibl, FS Sprung, S. 321, 324, 328. 399 Vgl. EuGHE 2000, I-1935 (Krombach v Bamberski) = JZ 2000, 723 (Ch. v. Bar); P. Mankowski, FS Machacek und Matscher, 2008, S. 785, 792 ff.; Kropholler/v. Hein, Art. 61 Rz. 3; Geimer/Schütze, Bd. I 1638; s. Rz. 12.53. 400 ABl. EG v. 27.3.1993 Nr L 74/74; neu gefasst durch die Richtlinie 2014/60/EU v. 15.5.2014 (ABl. 2014 Nr. L 159/1); vgl. Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 119; A. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 273 ff.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.121 § 3
nem Drittstaat, richtet sich die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuGVO n.F. nach nationalem Recht.401 Diese private Klage ist nach Satz 2 des Erwägungsgrundes 17 n.F. unabhängig von dem in der Richtlinie 73/7/EWG vorgesehenen Rückgabeverfahren zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten und der in Art. 5 der Richtlinie vorgesehenen Klage des um Rückgabe ersuchenden Staats auf Herausgabe gegen den „Eigentümer“ bzw. „Besitzer“ des Kulturguts.402
3.118
e) Gerichtsstand der Niederlassung Schrifttum: Ch. Albers, Die Begriffe der Niederlassung und der Hauptniederlassung im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2009; Th. Müller-Froelich, Der Gerichtsstand der Niederlassungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2008.
3.119
Aus dem Sinn von EuGVO bzw. LugÜ ergibt sich, dass der Gerichtsstand der Zweigniederlassung usw nur in Frage kommt, wenn Klagen gegen den Inhaber der Zweigniederlassung gerichtet sind. Er gilt also nicht für Aktivprozesse des Inhabers der Zweigniederlassung.403 Ausnahmen bestehen für Streitigkeiten aus Versicherungssachen, Art. 11 II EuGVO n.F. (Art. 9 II EuGVO a.F./LugÜ).
3.120
Bei Art. 7 Nr. 5 wird vorausgesetzt, dass die Person oder Gesellschaft, die hinter der Niederlassung steht, ihren Wohnsitz in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat hat, aber in einem anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat verklagt wird. Im Gegensatz zu § 21 ZPO ist der Kreis der Niederlassungen weit gezogen. Der Begriff der sonstigen Niederlassungen ist nicht auf kaufmännische Unternehmungen beschränkt, sondern erfasst auch die freien Berufe.404 Die Begriffe „Niederlassung, Zweigniederlassung, Agentur“ sind autonom auszulegen. Verlangt wird ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf eine gewisse Dauer als Außenstelle des Stammhauses auftritt und mit eigener Geschäftsführung befugt ist, Geschäfte mit Dritten zu betreiben.405 Die Zweigniederlassung einer ausländischen Bank i.S.d. § 53 I 1 KWG erfüllt zweifellos diese Voraussetzungen. Eine „virtuelle“ Niederlassung durch Betreiben eines Servers im Gerichtsstaat genügt 401 S. Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 194 ff. 402 Vgl. J. Schwarze, Der Schutz nationalen Kulturguts im europäischen Binnenmarkt, JZ 1994, 111; A. Weidner (Fn. 379), S. 275 f. 403 So zu Recht Geimer/Schütze, I 543; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 101; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 84; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 423; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 201. 404 R. Geimer, WM 1976, 146; Fasching/Simotta, § 87 JN Rz. 54; A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 67. 405 EuGH – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – Lithuanian Airlines (Rz. 59), NZKart 2018, 357; EuGHE 1978, 2183 (Somafer v Saar-Ferngas), RIW/AWD 1979, 56; EuGH – C154/11, ECLI:EU:C:2012:491 – Mahamdia (Botschaft als Niederlassung des Entsendestaates), IPRax 2013, 572 (dazu D. Martiny, S. 536); Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 EuGVÜ Rz. 147, 151 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 192; Wieczorek/Schütze/ Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 122; Ten Wolde/Knot/Weller, unalex Kommentar, Art. 5 Nr. 5 Brüssel I-VO Rz. 6.
131
3.121
§ 3 Rz. 3.121 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
nicht,406 ebenso nicht die Vertretung auf einer auf wenige Tage im Jahr beschränkten Messe.407 Selbständige Handelsvertreter oder Tochterunternehmen sind keine Niederlassung, es sei denn ihr Auftreten nach außen begründe den Rechtsschein einer Niederlassung.408
3.122 Die Klage muss sich auf eine Streitigkeit aus dem Betrieb der Niederlassung beziehen.409 Erfasst sind vertragliche und außervertragliche Ansprüche.410 Bei einem Verstoß gegen Wettbewerbsrecht muss die Zweigniederlassung daran tatsächlich in bedeutsamer Weise beteiligt gewesen sein.411 Nicht erforderlich ist dagegen, dass die Verpflichtung aus diesen Verträgen in dem Mitglied- bzw. Vertragsstaat zu erfüllen ist, in dem sich die Zweigniederlassung befindet.412 Jedoch muss es sich um Streitigkeiten mit externen Kunden handeln. Der Streit um Zahlungen eines Gesellschafters an die Gesellschaft am Ort der Niederlassung ist nicht erfasst.413
3.123 Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk sich die Niederlassung befindet. Der Gerichtsstand wird nicht nur durch die unselbständige Niederlassung oder Agentur eines ausländischen Unternehmens begründet, sondern nach dem Sinn des Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) auch über eine gleichnamige selbständige Gesellschaft mit identischer Geschäftsführung, die praktisch wie eine Außenstelle auftritt.414 Dies gilt auch, wenn es zwar an einer identischen Geschäftsführung fehlt, die selbständige Außenstelle aber sämtliche Geschäfte für die im anderen Vertragsstaat ansässige juristische Person abwickelt.415 Von diesen Ausnahmefällen abgesehen ist ein Tochterunternehmen aber nicht als Niederlassung zu behandeln.416 406 Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 427; F. Banholzer, Handbuch Multimediarecht, 48. EL 2019, Kap. 25 Rz. 86; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 21 Rz. 9 (die beiden letzteren zu § 21 ZPO). 407 Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 426. 408 EuGH – C-218/86, ECLI:EU:C:1987:536 – SAR Schotte, NJW 1988, 625; Wieczorek/ Schütze/Thole, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rz. 123. 409 BGHZ 188, 85 = NJW 2011, 2056 (nicht bei Ansprüchen nach der EU-FluggastrechteVO). 410 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 83; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 110; Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 EuGVÜ Rz. 160; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 202. 411 EuGH – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – Lithuanian Airlines (Rz. 63 ff.), NZKart 2018, 357. 412 EuGHE 1995, I-961 (Lloyd’s Register of Shipping v Campenon) = RIW 1995, 585 = EuZW 1995, 409; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 450 ff.; vgl. Durbeck GmbH v Den Norske Bank ASA [2003] ILPr 27 (p. 473). 413 Societe des Etablissements J. Verdier v da Silva, Cour de Cass. [2001] ILPr 34; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 Rz. 203. 414 EuGHE 1987, 4905 (SAR Schotte v Parfums Rothschild) = NJW 1988, 625 = RIW 1988, 136 (R. Geimer), S. 220; vgl. M. Otto, S. 141 ff. 415 OLG Düsseldorf, RIW 1995, 769 = EWS 1995, 280; vgl. E. Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung, 2006. 416 Th. Müller-Froelich, S. 178 ff.
132
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.127 § 3
Eine bloße Kontakt- oder Anlaufadresse („c/o“) begründet keine Niederlassung, wenn dort keine Geschäftstätigkeit von gewisser Selbständigkeit stattfindet.417
3.124
Nach EuGH418 liegen die Merkmale einer Zweigniederlassung oder Agentur gem. Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) nicht vor, wenn ein Handelsvertreter selbständig und frei seine Tätigkeit entfaltet, der Unternehmer ihm die gleichzeitige Vertretung von konkurrierenden Unternehmen nicht untersagen kann und seine Tätigkeit auf die bloße Weiterleitung von Aufträgen an das Stammhaus beschränkt ist.419 Ein Agentur-Gerichtsstand wird daher nicht schon dadurch begründet werde, dass ein Handelsvertreter in Deutschland für eine ausländische Firma tätig wird.420 Alleinvertriebshändler, Handelsmakler und Tochtergesellschaften sind grds. nicht als Zweigniederlassung anzusehen.421 Die juristische Selbständigkeit schließt freilich nicht aus, eine Firma als Zweigniederlassung anzusehen,422 wenn sie Dritten gegenüber als Niederlassung auftritt, also ein entsprechender Rechtsschein besteht.423
3.125
Hat ein Unternehmen lediglich eine Zweigniederlassung, nicht aber seinen Hauptsitz in einem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat, so ist Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ)nach dem Eingangssatz von Art. 7 EuGVO n.F. (Art. 5 EuGVO a.F./LugÜ) nicht anzuwenden.424 In Deutschland gilt dann § 21 ZPO. Allerdings ist dabei Art. 63 I EuGVO n.F. (Art. 60 I EuGVO a.F./LugÜ) zu beachten. Danach ist Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) anwendbar, wenn zwar der satzungsmäßige Sitz in einem Drittstaat ist, das Unternehmen seine Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung aber in einem EU-Mitglied-/LugÜ-Vertragsstaat hat.425
3.126
f) Gerichtsstand für trust-Klagen Für Binnenstreitigkeiten zwischen Begründer, trustee und Begünstigten eines trusts (nach dem Recht von Großbritannien und Irland) kennt Art. 7 Nr. 6 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 6 EuGVO a.F./LugÜ) einen besonderen Gerichtsstand vor den Gerichten des Staats, in dessen Gebiet der trust seinen Sitz hat. Diese Sonderregelung erfolgte, weil der trust selbst nicht rechtsfähig ist und daher nicht nach Art. 4 EuGVO n.F. 417 418 419 420 421 422 423
424 425
LG Wuppertal, NJW-RR 1994, 191; Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 158. EuGHE 1981, 819 (Blanckaert & Willems v Trost) = RIW 1981, 341 = IPRax 1982, 64. H. Linke, IPRax 1982, 46. LG Frankfurt, IPRax 1982, 250. Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 104 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 199; G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 241. OLG Düsseldorf, RIW 1995, 769 u. RIW 1996, 681, 682. EuGHE 1987, 4905 (SAR Schotte v Parfums Rothschild) = NJW 1988, 625; Fasching/ Simotta, § 87 JN Rz. 65; vgl. P. Mankowski, RIW 1996, 1001, 1004; G. Wagner, Scheinauslandsgesellschaften, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften, 2005, S. 223, 254 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 195 f. Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 100; Geimer/Schütze, I, 541; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 190. Th. Müller-Froelich, S. 115.
133
3.127
§ 3 Rz. 3.127 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
(Art. 2 EuGVO a.F./LugÜ) verklagt werden kann und eine Zuständigkeit am Wohnsitz des trustee zu Schwierigkeiten bei dessen Wohnsitzwechsel führt.426 Die Zuständigkeit ist nicht ausschließlich.
3.128 Im Außenverhältnis tritt der trustee für den trust als gewöhnlicher Rechtsinhaber auf. Für Streitigkeiten des trustee mit Dritten gelten die allgemeinen Regeln, nicht Art. 7 Nr. 6 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 6 EuGVO a.F./LugÜ).427 g) Gerichtsstand für Berge- und Hilfelohn
3.129 Nach Art. 7 Brüsseler Übereinkommen über den Arrest in Seeschiffe v. 10.5.1912 kann wegen Seeforderungen aus Hilfeleistung oder Bergung in dem Staat prozessiert werden, in dem das Schiff mit Arrest belegt worden ist. Diese Regelung hat nach Art. 67 EuGVO/LugÜ Vorrang vor dem europäischen Zuständigkeitsrecht. 3.130 Art. 7 Nr. 7 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 7 EuGVO a.F./LugÜ) ergänzt das Brüsseler Übereinkommen von 1952 durch einen Gerichtsstand am Ort, an dem die Ladung des Schiffes oder Frachtforderungen mit Arrest belegt worden sind oder dafür Bürgschaft oder Sicherheitsleistung erbracht worden sind. Inhabern von Seeforderungen soll also ein vorrangiger Zugriff auf diese wirtschaftlichen Werte gesichert werden, wenn der Wert des Schiffes nicht mehr ausreicht oder das Schiff selbst nicht gerettet werden konnte. 3.131 Art. 7 Nr. 7 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 7 EuGVO a.F./LugÜ) gelten nur für Schiffsgläubiger, die ein Haftungsvorrecht an Ladung und Frachtansprüchen haben, nicht für Streitigkeiten aus einem Bergungs- oder Hilfeleistungsvertrag; insoweit gilt Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ).428 3.132 Der Gerichtsstand ist nach seinem Sinn nur für Klagen gegen den Schuldner des Berge- und Hilfelohns eröffnet, nicht für Klagen des Schiffseigners gegen den Berger.429 h) Gerichtsstand der Streitgenossenschaft
3.133 Schrifttum: St. Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996; A. Auer, Die internationale Zuständigkeit des Sachzusammenhangs im erweiterten EuGVÜ-System, 1996; U. Banniza v. Bazan, Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, 1995; J. Basedow/Ch. Heinze, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen im europäischen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 6 Nr. 1 EuGVO), FS Möschel, 2011, S. 63; F. Brandes, Der gemeinsame Gerichts-
426 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 114, 119; Wagner in Stein/Jonas, Art. 5 EuGVO Rz. 205 ff.; A. Conrad, Qualifikationsfragen des Trust im Europäischen Zivilprozessrecht, 2001. 427 Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 117; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Rz. 459 f.; Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 165, 168; für Aktivklagen Dritter gegen trust-Beteiligte B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 80. 428 Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 125; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 274. 429 Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 275; Rauscher/Leible, Art. 75 Brüssel Ia-VO Rz. 171; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 7 EuGVVO Rz. 24; a.A. Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 126.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.135 § 3 stand, 1998; J. Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten, 2003, S. 135 ff.; D. Coester-Waltjen, Konnexität und Rechtsmissbrauch – zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, FS Kropholler, 2008, S. 747; E. R. Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 2005; R. Geimer, Fora connexitatis, WM 1979, 350; R. Geimer, Forum Codefensoris, FS Kropholler, 2008, S. 777; R. Geimer, Forum actoris für Kapitalanlegerklagen, FS Martiny, 2014, S. 711; H. Grothe, Die Streitgenossenzuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 1 EuGVO und das Schicksal der Wohnsitzklage, FS Kerameus, Athen 2009, S. 469; R. Harms, Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO) bei kartellrechtlichen Schadenersatzklagen, EuZW 2014, 129; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 10 VI), 2015, S. 349; A. Kirschstein/J. Dornbusch, Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, RIW 2015, 193; O. Knöfel, Gerichtsstand der prozessübergreifenden Streitgenossenschaft gem. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO?, IPRax 2006, 503; U. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2010, S. 95; N. Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014; P. Mankowski, Der europäische Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO bei Schadenersatzklagen bei Kartelldelikten, WuW 2012, 947; K. Otte, Umfassende Entscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, S. 649 ff.; H. Roth, Das Konnexitätserfordernis im Mehrparteiengerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVO, FS Kropholler, 2008, S. 885; K. Schurig, Der Konnexitätsgerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, FS Musielak, 2004, S. 493; B. Sujecki, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO in Verfahren über die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte, EWS 2014, 138; M. Weller, Kartellprivatrechtliche Klagen im Europäischen Prozessrecht, ZVglRWiss 112 (2013), 89; W. Winter, Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Zivilverfahrensrecht am Beispiel des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, Art. 6 EuGVVO, 2007; A. Wolf, Die Zuständigkeit deutscher Gerichte beim Kartellinnnenregress, IPRax 2018, 475.
Die Regel betrifft den Fall, dass mehrere Beklagte in verschiedenen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten wohnen. Dann kann der Kläger alle vor einem Gericht verklagen, in dessen Bezirk einer der Beklagten bei Prozesseinleitung seinen Wohnsitz (Sitz) hat. Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) regelt damit die internationale und die örtliche Zuständigkeit. Bei einem Auslandsunfall kann der Geschädigte mit Wohnsitz in Deutschland alle Schädiger in Deutschland verklagen, wenn einer von ihnen seinen Wohnsitz in Deutschland hat.430 Die Zustellung an den die Zuständigkeit auslösenden Beklagten muss nicht vor der an die anderen Beklagten erfolgen.431 Ob eine Klagenverbindung zulässig ist, bestimmt an sich das nationale Prozessrecht, in Deutschland also die §§ 59, 60 ZPO, doch dürfte eine faktische Möglichkeit der Verbindung genügen.432
3.134
Ähnliche Regeln finden sich in vielen Staaten,433 u.a. in England (CPR r. 6.20 [3]) und in Österreich (§ 93 I JN). Das autonome deutsche Recht kennt dagegen keine allgemeine internationale Zuständigkeit gegenüber (notwendigen) Streitgenossen. Die §§ 59, 60 ZPO regeln nur die Zulässigkeit der subjektiven Klagehäufung, begründen aber keine selbständige Zuständigkeit. Eine gemeinsame Zuständigkeit kann
3.135
430 OLG Brandenburg, IPRax 2018, 409 (Rz. 22 f.) (dazu krit. A. Staudinger/S. Friesen, S. 366). 431 Canada Trust Co. v Stolzenberg, ILPr 631 (H.L.). 432 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 33. 433 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 665 ff.
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§ 3 Rz. 3.135 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
aber im Rahmen des § 36 Nr. 3 ZPO durch gerichtliche Bestimmung herbeigeführt werden.
3.136 Der Text von Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ enthielt unmittelbar keine Mindestanforderungen an die passive Streitgenossenschaft. Der EuGH hat aber 1988 in der Sache Kalfelis/Schröder zu Recht entschieden, dass zwischen den Klagen „ein Zusammenhang bestehen [muss], der eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheinen lässt, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen“,434 also das Konnexitätskriterium des Art. 22 III EuGVÜ (Art. 28 III EuGVO a.F. bzw. jetzt Art. 30 III EuGVO n.F.) auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) übertragen.435 Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. und Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ sehen dies nun ausdrücklich im Text vor. Konnexität der Klagen liegt danach vor, wenn bei derselben Sach-und Rechtslage die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht.436 Im Fall einer negativen Feststellungsklage besteht ein solcher Zusammenhang mit einer Klage gegen einen weiteren Beklagten nur, wenn dieser bereits Ansprüche gegen den Kläger geltend macht.437 Für die einfache Streitgenossenschaft ist zusätzlich erforderlich, dass gleichartige Pflichtverletzungen vorliegen.438 Bei einer Schadenersatzklage gegen die Teilnehmer an einer unzulässigen Kartellabsprache ist dies sicherlich der Fall.439 Da die Ansprüche gegen die Kartellteilnehmer nach Art. 6 Abs. 3 lit. b Rom II-VO dem gleichen Recht unterstehen, besteht auch insoweit ein enger Zusammenhang.440 Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. greift also auch beim Innenregress gegen andere Kartellteilnehmer.441 Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) greift selbst dann, wenn gegen die im Forumstaat wohnhafte Partei ein Klageverfahren wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht durchgeführt werden kann,442 oder wenn die Klage gegen den sog. Anker434 EuGHE 1988, 5565 (Kalfelis v Schröder) = NJW 1988, 3088 (R. Geimer) = IPRax 1989, 288 (dazu P. Gottwald, S. 272) = RIW 1988, 987 (P. Schlosser); vgl. Cour de Cass (27.6.2000), EuLF 2000/01, 363 (J. v. Hein) (keine Konnexität zwischen Hauptforderung und Garantie im Rückforderungsprozess). 435 Vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 706 ff.; Corneloup/Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 23 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 24. 436 EuGH – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:22 – Sapir (Rz. 43), NJW 2013, 1661; EuGH – C98/06, ECLI:EU:C:2007:595, EuGHE 2007, I-8340 – Freeport (Rz. 40), NJW 2007, 3702; BGHZ 210, 292 (Rz. 17) = NJW 2016, 2266; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.364 ff. 437 So Lord Woolf, M.R. in Messier-Dowty Ltd v Sabena SAILPr 38, 50 ff. (Rz. 43 ff., 50). 438 ILPr 405; a.A. Walter/Domej, IZPR der Schweiz, S. 246 f (auch Fälle der einfachen Streitgenossenschaft, aber nicht alle). 439 Vgl. P. Mankowski, WuW 2012, 947; M. Wilderspin, Jurisdiction Issues: Brussels I Regulation Articles 6 (1), 23, 27 and 28, in Antitrust Litigation, Basedow/Franq/Idot, International Antitrust Litigation, 2012, S. 41, 46 ff. 440 Vgl. J. Basedow/Ch. Heinze, FS Möschel, 2011, S. 63, 71 ff. 441 OLG Hamm, IPRax 2018, 501 (dazu A. Wolf, S. 475). 442 EuGHE 2006, I-6827 (Reisch AG v Kiesel GmbH), RIW 2006, 683 (Rz. 26 ff., 31) = NJW-RR 2006, 1568 = ZZPInt 11 (2006), 176 (M. Würdinger); dazu auch Ch. Althammer, IPRax 2006, 558; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 38; abl R. Janal, § 10 Rz. 80.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.138 § 3
beklagten unbegründet ist oder nachträglich zurückgenommen wird.443 Die Zuständigkeit nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) besteht auch dann, wenn zuvor eine internationale Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) verneint wurde.444 Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) begründet die Zuständigkeit auch dann, wenn die Haftung gegen die Beklagten auf unterschiedliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird.445 Werden gegen den Täter Ansprüche wegen einer Untreue geltend gemacht, so können in diesem Gerichtsstand auch Ansprüche gegen den ausländischen Gehilfen eingeklagt werden.446 Eine Klage gegen den weiteren Streitgenossen kann dagegen nicht auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) gestützt werden, soweit für diesen eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 oder eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 22, 23 EuGVO a.F./LugÜ) besteht.447 Ein Berufssportler kann nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./ LugÜ) Schadenersatz wegen einer ungerechtfertigten Sperre sowohl gegen den internationalen Verband, der die Sperre ausgesprochen hat, als gegen den nationalen Verband, der sie umgesetzt hat, im gleichen Gerichtsstand einklagen.448
3.137
Bei der Verletzung nationaler gewerblicher Schutzrechte durch gleichartige Verletzungshandlungen mehrerer Verletzer in den Mitgliedstaaten ergibt Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) keine Zuständigkeit für eine Bündelung aller Verletzungsklagen am Sitz eines Verletzers.449 Dies gilt bei Verletzungen paralleler Schutzrechte im Rahmen eines europäischen Patents selbst dann, wenn die Verletzer zu einem Konzern gehören und die Handlungen auf einer gemeinsamen Geschäftspolitik beruhen, die eine Gesellschaft ausgearbeitet hat.450 Wird ein europäisches Patent jedoch durch die Vornahme vorbehaltener Handlungen in Bezug auf dasselbe Erzeugnis von Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten ver-
3.138
443 EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2045 (Rz. 26 ff.); Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 40; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 9. 444 BGH, MDR 2019, 368. 445 EuGHE 2007, I-8319 (Freeport v Arnoldsson), NJW 2007, 3702 (B. Sujecki) = RIW 2008, 67 (M. Würdinger) = IPRax 2008, 253 (dazu Ch. Althammer, S. 228); in Abgrenzung zu EuGHE 1998, I-6511 (Réunion européenne) = IPRax 2000, 210, 214 (Rz. 50) (dazu H. Koch, S. 186). 446 BGH, IPRax 2010, 533 (dazu S. Mock, S. 510). 447 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 5. 448 H. Grothe, FS v. Hoffmann, 2011, S. 601, 614. 449 J. Bukow, S. 135 ff., 167; 202. 450 EuGHE 2006, I-6535 (Roche Nederland BV v Primus u. Goldenberg) = RIW 2006, 685 (Rz. 27 ff., 33 ff.) = EuZW 2006, 573; Rauscher/Leible, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 13 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 30 f, 37 (für Anwendung dieser Rspr. auch auf Klagen wegen Wettbewerbsverletzung oder Produkthaftung); krit. J. Adolphsen, ZZPInt 11 (2006), 137, 158; vgl. J. Bukow, S. 167 ff., 179; K. Grabinski, GRUR-Int. 2001, 199, 206 f.
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§ 3 Rz. 3.138 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
letzt, so soll die Regel grds. anwendbar sein.451 Bei der inhaltlich identischen Verletzung von Urheberrechten soll Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./ LugÜ) dagegen eingreifen, obgleich dabei auf die Verletzung in jedem Mitgliedstaat unterschiedliche nationale Rechtsgrundlagen anzuwenden sind; insoweit soll genügen, dass bei getrennten Verfahren die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen besteht.452 Bei der Verletzung einer Unionsmarke durch Beklagte mit Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten ist Art. 8 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F.) ohne weiteres anwendbar.453 Gleiches gilt auch bei der Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters.454 Eine Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht nicht schon dann, wenn sich die Begründetheit einer Klage auf den Umfang des mit der anderen Klage geltend gemachten Interesses auswirken kann.455
3.139 Zwar darf Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) nicht zu einer Zuständigkeitserschleichung missbraucht werden. Die Einschränkung der Nr. 2, dass die Klage nicht erhoben sein darf, um einen weiteren Beklagten der Gerichtsbarkeit seines Wohnsitzstaats zu entziehen, ist jedoch im Rahmen von Nr. 1 nicht zu prüfen. Nach Ansicht des EuGH genügt das Erfordernis des Sachzusammenhangs bereits voll, um einen Missbrauch zu verhindern.456 3.140 Die Neufassung von Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) nimmt die Formel der EuGH-Entscheidung direkt in ihren Wortlaut auf. Die Bestimmung ist damit ausdrücklich als forum connexitatis ausgestaltet. 3.141 Auch in der Neufassung ist der Gerichtsstand nur eröffnet, wenn der sog. Ankerbeklagte an seinem Wohnsitz verklagt wird. Soll er an einem anderen Gerichtsstand verklagt werden, so können die anderen (durch keine entsprechende Vereinbarung gebundenen) Beklagten nicht in diesen Prozess hineingezogen werden.457
451 EuGH – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 – Solvay v Honeywell (Rz. 30), RIW 2012, 627; dazu H. Schacht, GRUR 2012, 1110; B. Sujecki, GRUR-Int. 2013, 201. 452 EuGH v. 1.12.2011 – C-145/10 (Painer v Standard Verlags GmbH), RIW 2012, 55 (Rz. 80 ff.); krit. N. Lund, RIW 2012, 377. 453 Rauscher/Leible, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 14; S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 33. 454 EuGH – C-24/16 u. C-25/16, ECLI:E:C:2017:724 – Nintendo (Rz. 44), GRUR 2017, 1120 (A. Kur). 455 EuGH – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM (Rz. 59 ff.), RIW 2016, 357. 456 EuGHE 2007, I-8319 (Freeport) (Rz. 51 ff.) = NJW 2007, 3702, 3705 = RIW 2008, 67 (M. Würdinger) = IPRax 2008, 253 (dazu Ch. Althammer, S. 228) Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuGVO Rz. 15; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 43; Wieczorek/Schütze/ Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 28. 457 BGH, NJW 2015, 2429, 2430 (Rz. 14 ff.); Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.363; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 Rz. 7, 22 f.; S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 36; Rauscher/Leible, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 6.
138
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.144 § 3
Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) setzt voraus, dass alle Beklagten ihren Wohnsitz in einem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat haben. Eine analoge Anwendung gegenüber Beklagten mit Wohnsitz in einem Drittstaat erschiene sinnvoll, soll aber an Art. 6 EuGVO n.F. scheitern.458 Sollen mehrere Beklagte im Inland zusammen mit Beklagten mit Wohnsitz in EU-Mitgliedstaaten verklagt werden, soll Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) nur im Verhältnis zu den Beklagten aus den anderen EU-Staaten gelten; im Übrigen sei ein gemeinsamer Gerichtsstand nach § 36 I Nr. 3 ZPO zu bestimmen.459
3.142
i) Gerichtsstand der Gewährleistungs- oder Interventionsklage Schrifttum: F. Fuchs, Grenzüberschreitende Streitverkündung und Gewährleistungsklage am Beispiel des deutsch-portugiesischen Rechtsverkehrs, IPRax 2019, 568; U. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2010, S. 69; U. v. Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht, 2011; K. Thoma, Der internationale Regress, 2007, S. 281.
3.143
Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) sieht (nach dem Vorbild der romanischen Prozessordnungen)460 den besonderen Gerichtsstand der Gewährleistungs- oder Interventionsklage vor. Um eine einheitliche Entscheidung zu erreichen, kann danach einem Regresspflichtigen nicht nur wie in Deutschland der Streit verkündet werden (§ 71 ZPO), sondern er kann direkt am Gerichtsstand des Hauptprozesses verklagt werden,461 es sei denn die Hauptklage wäre nur erhoben, um den Regresspflichtigen seinem sonst zuständigen Gericht zu entziehen.462 Diese Zuständigkeit gilt weder in Deutschland, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Österreich, Polen, Slowenien, Ungarn und Zypern, wohl aber seit dem Inkrafttreten der schweiz. Zivilprozessordnung von 2008 in der Schweiz (Art. 16 Schweiz. ZPO).463 Ein entsprechender Vorbehalt findet sich in Art. 65 I EuGVO (aF und n.F.)464 sowie Art II (1) Protokoll Nr. 1 zum LugÜ. Der Vorbehalt gilt jedoch nicht, soweit Personen, die in diesen Staaten wohnen, vor Gerichten anderer Mitglied- bzw. Vertragsstaaten verklagt werden.465 Deutsche können also auf der Grundlage von Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) vor den Gerich458 EuGH – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 – Land Berlin v Sapir, NJW 2013, 1661; Th. Rauscher, IPR Rz. 1868; a.A. noch OLG Stuttgart, NJW 2013, 83, 84; Kropholler/v. Hein, Art. 6 Rz. 7; Geimer/Schütze, Art. 6 Rz. 23; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 6; S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 21; krit. Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 21; nur de lege ferenda Rauscher/Leible, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 9. 459 BayObLG, RIW 1997, 596; krit. A. Kirschstein/J. Dornbusch, RIW 2015, 193, 195. 460 In Frankreich: Art. 331–338 CPC; in Italien: Art. 32, 106, 269 cpc. 461 M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 116 ff. 462 Vgl. EuGHE 2005, I-4509 (GIE Réunion européenne) = IPRax 2005, 535, 536 (Rz. 25 ff.) (dazu Th. Rüfner, S. 500); U. Köckert, S. 81 ff. 463 Vgl. Sutter-Somm/Hedinger in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO-Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 16 Rz. 1 ff. 464 S. Liste 2 der Information gem. Art. 76 VO (EU) Nr. 1215/2012, ABl. EU C 2015 C 4/2. 465 Geimer/Schütze, I 390.
139
3.144
§ 3 Rz. 3.144 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
ten der anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten ohne weiteres verklagt werden466 (selbst eine Zuständigkeit nach autonomem Recht bei einem Hauptprozess gegen einen Drittstaatsangehörigen soll genügen),467 dürfen aber selbst in Deutschland keine Regressklage auf dieser Grundlage erheben, so dass der Ausschluss sich eher nachteilig auswirkt.468 In den Vorbehaltsstaaten kann ein Dritter nur mittels Streitverkündung in das Verfahren einbezogen werden.469
3.145 Grundlage für eine Zuständigkeit gegenüber dem deutschen Dritten kann jede Zuständigkeit für den Hauptprozess, insb gem. Art. 4 oder Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 2 oder Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) sein.470 Anders als bei einem third party complaint nach US-amerikanischem Recht müssen die allgemeinen Zuständigkeitsregeln gegenüber dem Drittbeteiligten nicht erfüllt sein. Der Antrag darf nicht abgelehnt werden, weil der Dritte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat als dem des Hauptprozesses hat.471 Im Übrigen kann der Antrag auf Zulassung einer Gewährleistungsklage aber nach dem nationalen Prozessrecht abgelehnt werden. 3.146 Der Hauptbeklagte kann im Gerichtsstand von Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) nur Regressansprüche, nicht aber eigene Schadenersatzansprüche gegen Dritte geltend machen, selbst wenn sie auf demselben Lebenssachverhalt (z.B. Unfall) beruhen.472 Der Dritte soll im gleichen Prozess zwar Regress gegen einen Vierten erheben,473 nicht aber Gegenangriffe gegen den Beklagten verfolgen können.474 Aber diese Beschränkung erscheint nicht zutreffend. Da der Dritte eine volle Beklagtenstellung einnimmt, muss er auch Widerklage gegen den (Haupt-)Beklagten gem. Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) erheben können. 3.147 Nach dem Zweck der Regelung ist Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) auch anwendbar, wenn ein Dritter gegen den Beklagten des Hauptprozesses eine Regressforderung auf Erstattung der Leistungen geltend macht, die er an den Kläger des Hauptprozesses gezahlt hat.475 3.148 Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) begründet keine ausschließliche Zuständigkeit. Die Gerichtspflichtigkeit aufgrund dieser Norm entfällt 466 Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuGVO Rz. 20. 467 Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 6 EuGVO Rz. 21. 468 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 729 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 66. 469 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 42. 470 EuGHE 1990, I-1845 = ECLI:EU:1990:203 – Kongress Agentur Hagen v Zeehaghe = NJW 1991, 2621 = IPRax 1992, 310 (dazu Coester-Waltjen, S. 290); S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 50; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 53; K. Thoma, Der internationale Regress, 2007, S. 285 ff.; U. Köckert, S. 77. 471 EuGHE 1990, I-1845 (Kongress-Agentur Hagen v Zeehage), NJW 1991, 2621 = IPRax 1992, 310 (dazu D. Coester-Waltjen, S. 290). 472 Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 6 EuGVO Rz. 22. 473 Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 6 Rz. 34. 474 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 730. 475 EuGH – C-521/14, ECLI:EU:C:2016:41 – SOVAG, DAR 2016, 79 (A. Staudinger).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.151 § 3
daher, wenn zwischen der regressbegehrenden Hauptpartei und dem Dritten eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung besteht. Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung schließt den Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) auch ohne ausdrückliche Erwähnung sinngemäß aus.476 j) Gerichtsstand der Widerklage Schrifttum: St. Arnold, Der internationale Gerichtsstand bei Drittwiderklagen im europäischen und internationalen Zivilverfahrensrecht, FS Schütze, 2014, S. 17; E.-M. Berling, Die Aufrechnung im internationalen Verfahren vor deutschen Gerichten, 2015; W. Junge, Die Kognitionsbefugnis über Zurückbehaltungsrechte im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2017; G. Kotsoukou, Die Aufrechnung im europäischen Kollisions- und Verfahrensrecht (§§ 9 ff.), 2018, S. 353; J. Mohamed, Die Aufrechnung bei anderweitiger internationaler Gerichtszuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung, ZZPInt 22 (2017), 255; A. Okońska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, 2015; H. Roth, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit nach deutschem und europäischem Prozessrecht, RIW 1999, 819; J. Stamm, Die Frage nach der .internationalen Zuständigkeit für die Widerklage und die Prozessaufrechnung, GS Koussoulis, 2012, S. 559; F. Wilke, Auf Umwegen zurück zum Wortlaut: Der EuGH zur Widerklage, GPR 2018, 283.
3.149
Nach Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) ist der Gerichtsstand der Widerklage bei dem Gericht gegeben, bei dem die Klage anhängig ist, sofern die Widerklage auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage gestützt wird.477 Derselbe Sachverhalt ist etwa gegeben, wenn das Gericht bei der Widerklage prüfen muss, ob die die Hauptklage betreffenden Handlungen rechtmäßig sind.478 Ein bloßer Sachzusammenhang genügt nicht.479 Erst recht wird die notwendige Konnexität nicht durch eine Prozessaufrechnung mit einer inkonnexen Forderung begründet.480 Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) sind analog anzuwenden, wenn der Kläger und Widerbeklagte seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat.481 Inkonnexe Widerklagen sind freilich zulässig, soweit sich eine Zuständigkeit aus anderen Gründen ergibt.482
3.150
Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) gilt auch für die WiderWiderklage, nicht aber für die parteierweiternde Widerklage gegen Dritte.483
3.151
476 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 24; Geimer/Schütze, Art. 6 Rz. 45; S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 53; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 61. 477 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 97 Rz. 17 ff.; Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuGVO Rz. 38; S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 59 f. 478 EuGH – C-306/17, ECLI:EU:C:2018:360 – Nothartová, RIW 2018, 438; kit. F. Wilke, GPR 2018, 283. 479 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 68. 480 Österr. OGH, IPRax 2008, 548 (dazu P. Oberhammer/M. Slonina, S. 555). 481 Geimer/Schütze, I 211; Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuGVO Rz. 37; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 71; a.A. BGH, NJW 1981, 2644 = RIW 1981, 703. 482 Dänischer Højesteret [2002] ILPr 53. 483 Musielak/Voit/Stadler, EuGVVO Art. 8 Rz. 9; Rauscher/Leible, (2016) Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 37; Geimer in Zöller, EuGVVO Art. 8 Rz. 25 f.
141
§ 3 Rz. 3.152 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.152 Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) bezieht sich nur auf Widerklagen. Er regelt nicht die Voraussetzungen der Prozessaufrechnung; diese bestimmen sich nach nationalen Regeln über Verteidigungsmittel.484 Der BGH ging insoweit in ständiger Rspr. davon aus, dass über eine Aufrechnungsforderung nur entschieden werden darf, wenn das Gericht für diese Forderung international zuständig ist,485 hat sich nunmehr aber für konnexe Forderungen davon distanziert.486 Da aber für die Aufrechnung als Verteidigungsmittel keine Zuständigkeitsvoraussetzungen bestehen, dürfte es eher zutreffen, dass in europäischen Fällen kein Zuständigkeitserfordernis besteht.487 Rechne der Beklagte mit einer Gegenforderung auf, für die Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines anderen Gerichts bestehe, so verzichte er quasi auf Rechte auf dieser Vereinbarung; ein Interesse des Klägers daran festzuhalten, sei nicht ersichtlich.488 3.153 Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) regelt auch nicht direkt die Zuständigkeit zur Entscheidung über Gegenforderungen, für die ein Zurückbehaltungsrecht besteht. Man wird die Norm aber analog anwenden können.489 k) Dinglicher Gerichtsstand für Vertragsklagen kraft Sachzusammenhangs
3.154 Das ursprüngliche EuGVÜ sah keine Möglichkeit vor, dingliche und vertragliche Ansprüche vor einem Gericht geltend zu machen. Diese Lücke wurde mit der Einfügung von Art. 6 Nr. 4 EuGVÜ durch das 3. Beitrittsübereinkommen von 1989 geschlossen. EuGVO, LugÜ und EuGVO n.F. haben den Gerichtsstand unverändert übernommen. Danach können (ähnlich wie gem. § 25 ZPO) im dinglichen Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) neben dinglichen Ansprüchen auch konkurrierende vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden. Der Gerichts484 EuGHE 1995, I-2053 (Rz. 18) (Danvaern Production v Schuhfabriken Otterbeck) = EuZW 1995, 639 m. Anm. R. Geimer = IPRax 1997, 114 (dazu A. Philip, S. 97); Mayr/ Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.387 f.; vgl. H. Roth, RIW 1999, 819, 823; M. Kannengiesser, S. 145 ff.; Th. Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit, 2005; R. Bork, FS Beys, 2003, S. 119. 485 BGH, NJW 1993, 2753 = ZZP 107 (1994), 211 (D. Leipold); OLG Celle, IPRax 1999, 456, 457 (dazu M. Gebauer, S. 432); LG München I, IPRax 1996, 31, 32/33; OLG München, IPRax 2019, 314 (dazu P.-A. Brand, S. 294) (für Berufung auf vorprozessual erklärte Aufrechnung); G. Wagner, IPRax 1999, 65, 72 ff.; krit. Kropholler/v. Hein, Art. 6 Rz. 42 ff.; a.A. LG Berlin, IPRax 1998, 97 (dazu M. Gebauer, S. 79); s. Rz. 3.203. 486 BGHZ 149, 120, 127 = JZ 2002, 605 (B. Hess/Müller); s. aber BGH, NJW 2015, 1118, 1119 (Rz. 19) (ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung kann entgegenstehen). 487 Busse, MDR 2001, 729, 731; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 89 ff.; Geimer/Schütze, Art. 6 Rz. 76 ff.; Rauscher/Leible, Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 47; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 76; D. Coester-Waltjen, FS Lüke, S. 35, 46 ff.; Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuGVO Rz. 45; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1888; Wagner in Stein/Jonas, Art. 6 EuGVO Rz. 88 ff., 94. 488 J. Mohamed ZZPInt 22 (2017), 255, 265. 489 So OLG München, IPRax 2019, 314 (dazu P.-A. Brand, S. 294); W. Junge, S. 64 ff.; a.A. (Anwendung von § 33 ZPO) H. Roth, RIW 1999, 819, 822.
142
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.157 § 3
stand ist nur fakultativ, so dass die vertraglichen Ansprüche auch in den Gerichtsständen nach Art. 4 oder Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 2 oder 5 Nr. 1 EuGVO a.F./ LugÜ) eingeklagt werden können.490 Die Verbindung der vertraglichen mit den dinglichen Ansprüchen setzt voraus, (1) dass sie sich gegen denselben Beklagten richten und (2) dass die Klagen verbunden werden können. Es muss daher ein enger Sachzusammenhang bestehen, dessen konkrete Ausformung sich nach dem Prozessrecht am Ort des dinglichen Gerichtsstands, in Deutschland nach § 25 ZPO, richtet.491 Der häufigste Fall betrifft die Verbindung von Darlehensklage oder Leibrentenklage mit der Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück aus Hypothek, Grundschuld oder Reallast.
3.155
l) Haftungsbeschränkung des Schiffseigentümers Art. 9 EuGVO n.F. (Art. 7 EuGVO a.F./LugÜ) eröffnet eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs für die selbständige Klage, mit der ein Schiffseigentümer seine Haftung gegenüber Anspruchsprätendenten (etwa geschädigten Ladungseigentümern) beschränken will. Ohne diese Regelung könnte der Schiffseigentümer diese Feststellungsklage i.d.R. nur in Gerichtsständen nach Art. 4 und 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 2 und 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) erheben. Umgekehrt können die Geschädigten den Schiffseigentümer aber an seinem Wohnsitz am Deliktsort oder in einem vereinbarten Forum verklagen. Art. 9 EuGVO n.F. (Art. 7 EuGVO a.F./LugÜ) gibt dem Schiffseigentümer die Möglichkeit, seine Klage auf Haftungsbegrenzung (gem dem Londoner Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen v. 19.11.1976)492 vor jedem Gericht geltend zu machen, vor dem er wegen der Haftpflicht verklagt werden kann. Dieser Gerichtsstand ist nicht ausschließlich, kann also durch Vereinbarung gem. Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) derogiert werden.493
3.156
10. Die Zuständigkeiten in Versicherungssachen Schrifttum: Czernich/Geimer/Hausmann, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 2 A 3. Gerichtsstandsvereinbarungen mit strukturell unterlegenen Personen), 2017, S. 267; M. Fricke, Internationale Zuständigkeit und Anerkennungszuständigkeit in Versicherungssachen, in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch (§ 3), 3. Aufl. 2015, sowie in VersR 1997, 399; R. Geimer, Die Sonderrolle der Versicherungssachen im Brüssel I-System, FS Heldrich, 2005, S. 627; H. Heiss, Gerichtsstandsfragen in Versicherungssachen nach europäischem Recht, ZSR Beiheft 34 (2000), 105; H. Heiss, Die Direktklage vor dem EuGH, VersR 2007, 327; H. Heiss, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 4. Aufl. 2011, 490 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 79. 491 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rz. 94 f.; Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuGVO Rz. 51; S. Corneloup/Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 69; Rauscher/Leible, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 51. 492 BGBl. 1986 II, 786. 493 Wieczorek/Schütze/Garber, Brüssel Ia-VO, Art. 9 Rz. 5; Kropholler/v. Hein, Art. 7 EuGVO Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 9 Brüssel Ia-VO Rz. 1.
143
3.157
§ 3 Rz. 3.157 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen Kap. 7 II, S. 496; L. Henning, Zur Reichweite von Gerichtssstandsvereinbarungen in internationalen Versicherungsprogrammen, VersR 2020, 394; D. Herrmann, Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers bei einer Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer?, VersR 2007, 1470; T. Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen nach der VO 44/01/ EG (EuGVVO), 2005; E. Jayme, Der Klägergerichtsstand für Direktklagen am Wohnsitz des Geschädigten (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 EuGVO): Ein Danaergeschenk des EuGH für die Opfer von Verkehrsunfällen, FS v Hoffmann, 2011, S. 656; E.-M. Kieninger, Der Schutz schwächerer Personen im Schuldrecht, in v. Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privatund Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 307; D. Looschelders, Der Klägergerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers, IPRax 1998, 86; D. Looschelders, Rechtsstreitigkeiten aus internationalen Rückversicherungsverträgen vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten, FS Elsing, 2015, S. 947; D. Looschelders, Internationale Zuständigkeit für Klagen gegen ausländische Entschädigungsstelle und Grüne-Karten-Büros, IPRax 2018, 360; O. Riedmeyer, Internationale Zuständigkeit bei Schadenersatzklagen nach Verkehrsunfällen im Ausland, FS G. Müller, 2009, S. 473; H. Roth, Argumente und Prinzipien im Recht der internationalen Zuständigkeit von Direktklagen gegen den Versicherer nach Art. 11 Abs. 2 EuGVVO und Art. 10 Abs. 2 LugÜ, GS Konuralp, Bd. 1, 2009, S. 869; A. Staudinger/P. Czaplinski, Verkehrsopferschutz im Lichte der Rom I-, Rom II- sowie Brüssel I-Verordnung, NJW 2009, 2249; A. Staudinger/P. Panagiotis, Zum Wohnsitzgerichtsstand des Geschädigten gem. Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 b EuGVVO, VersR 2018, 978; P. Tereszkiewicz, Begriff eines Geschädigten in Versicherungssachen nach Brüssel I-Verordnung, GPR 2018, 280; M. Wandt/J. Gal, Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungssachen im Anwendungsbereich des § 215 VVG, GS M. Wolf, 2011, S. 579; F. Wedemann, Die D&O-Versicherung im Spiegel des Internationalen Zivilverfahrens- und Kollisionsrechts, ZIP 2014, 2469.
3.158 Die Art. 10 bis16 EuGVO n.F. (Art. 8 bis14 EuGVO a.F./LugÜ) regeln die Zuständigkeit für Versicherungssachen abschließend. Sinn der Regelung ist der Schutz der schwächeren Vertragspartei, also des privaten Versicherungsnehmers. Nach den Grundsätzen von Art. 1 II lit. c sind von dieser Regelung ausgenommen die öffentlich-rechtlich ausgestalteten Versicherungsverhältnisse sowie die Sozialversicherung.494 Es sind nur private Versicherungen betroffen. Nicht erfasst sind auch Rückversicherungen495 und der Rückgriff des Versicherers gegen den Schädiger496 oder dessen Versicherer,497 ferner nicht der Anspruch einer Sozialhilfeinstitution gegen den Versicherer aus übergegangenem Recht.498
494 Kreuzer/Wagner, Q 203; Wagner in Stein/Jonas, Art. 8 EuGVO Rz. 13; T. Hub, S. 59 ff. 495 EuGHE 2000, I-5925 (Rz. 65 ff.) (Group Josi Reinsurance) = NJW 2000, 3121 = RIW 2000, 787, 789 = ZZPInt 6 (2001), 187 (R. Geimer); vgl. D. Looschelders, FS Elsing, 2015, S. 947, 951; A. Staudinger, IPRax 2000, 483; T. Hub, S. 63 ff.; Geimer/Schütze/Auer, Art. 7 Rz. 16. 496 Vgl. Geimer/Schütze/Auer, Art. 7 Rz. 20; Wagner in Stein/Jonas, Art. 8 EuGVO Rz. 15; im Einzelnen Geimer/Schütze, I 401. 497 EuGHE 2005, I-4509 (GIE Réunion européenne) = IPRax 2005, 535 (dazu Th. Rüfner, S. 500); LG Bremen, VersR 2001, 782 = JuS 2001, 1026 (G. Hohloch). 498 EuGHE 2009, I-8661 (Vorarlberger Gebietskrankenkasse v WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherung) = IPRax 2011, 255 (dazu A. Staudinger, S. 229); Wieczorek/ Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 10 Rz. 25.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.160 § 3
a) Klagen gegen den Versicherer Nach Art. 11 u 12 EuGVO n.F. (Art. 9 und 10 EuGVO a.F./LugÜ) können Versicherer, die ihren Wohnsitz in dem Gebiet eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats haben, verklagt werden499 vor:
3.159
1. dem für ihren Wohnsitz oder der tätig gewordenen Zweigniederlassung zuständigen Gericht; 2. dem für den (zur Zeit der Klageerhebung bestehenden) Wohnsitz des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigten500 zuständigen Gericht; dies gilt auch bei Gruppenversicherungen;501 3. falls es sich um einen Mitversicherer handelt, vor dem für den federführenden Versicherer geltenden Gerichtsstand;502 4. Hat der Versicherer keinen Wohnsitz in dem Gebiet der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten, so wird fingiert, als hätte er einen solchen, falls er in dem Gebiet eines Vertragsstaats eine Zweigniederlassung, eine Agentur oder sonstige Niederlassung hat (Art. 11 II EuGVO n.F., Art. 9 II EuGVO a.F./LugÜ). Fingiert wird nur der Wohnsitz in dem betreffenden Staat; die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem nationalen Recht des angerufenen Gerichts.503 In allen solchen Fällen muss es sich um (aktive oder passive) Streitigkeiten aus dem Betriebe der Zweigniederlassung usw handeln.504 5. Handelt es sich um eine Haftpflichtversicherung oder um eine solche für unbewegliche Sachen, so kann der Versicherer auch vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden (Art. 12 EuGVO n.F., Art. 10 EuGVO a.F./LugÜ).505 Diese Regelung gilt für Klagen aus Individualverträgen und aus Gruppenverträgen.506 Bei diesen Klagen gegen den Versicherer wird vorausgesetzt, dass es sich um einen auslandsbezogenen Fall handelt. In den Fällen von Art. 11 I (a) EuGVO n.F. (Art. 9 I (a) EuGVO a.F./LugÜ) ist nur die internationale, nicht auch – wie in den übrigen Fällen – die örtliche Zuständigkeit festgelegt. Ist auf diese Weise die internationale
499 500 501 502 503 504 505 506
Vgl. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 11 Rz. 3 ff.; T. Hub, S. 72 ff. Zur Auslegung dieser Begriffe s. Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 5. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 11 Rz. 6. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 11 Rz. 11 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 8 EuGVO Rz. 9 f.; vgl. T. Hub, S. 97 ff. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 11 Rz. 23. Vgl. P. Mayr, unalex Kommentar, Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 7; Th. Rauscher, IPR, Rz. 2014 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 9 EuGVO Rz. 14 ff.; T. Hub, S. 36 ff. Vgl. T. Hub, S. 106 ff.; Rauscher/Staudinger, Art. 12 Brüssel Ia-VO Rz. 2. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 330; Geimer/Schütze, Art. 9 Rz. 7; für Nichtanwendung auf Gruppenversicherungen M. Fricke in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 3 Rz. 33.
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3.160
§ 3 Rz. 3.160 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben, so ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus den §§ 12 ZPO, 215 VVG, 109 VAG.507
3.161 Für Versicherungsverträge mit Lloyd’s, die nicht über eine inländische Niederlassung geschlossen wurden, ist die Prozessführungsbefugnis des bevollmächtigten Unterzeichners des Versicherungsscheins nach § 216 VVG zu beachten, mit der Klagen gegen alle Einzelversicherer vermieden werden.508 Die im Reformvorschlag der Kommission vorgesehene Erweiterung dieser Regeln auf alle Versicherer mit Sitz in Drittstaaten ist bei der Neufassung der EuGVO entsprechend dem Kompromissvorschlag des Rates v. 1.6.2012 nicht umgesetzt werden.
3.162 Soweit das anwendbare Recht eine Direktklage (genauer einen Direktanspruch) des Geschädigten gegen den Versicherer vorsieht, sind hierfür ebenfalls die Gerichtsstände der Art. 11, 12 EuGVO n.F. (Art. 9, 10 EuGVO a.F./LugÜ) eröffnet (Art. 13 II EuGVO n.F., Art. 11 II EuGVO a.F./LugÜ).509 Dieser Gerichtsstand steht auch juristischen Personen als Geschädigten (Leasinggebern, Vermietern, Sicherungseigentümern) offen.510 Der Geschädigte kann daher den ausländischen Versicherer (zugestellt an den inländischen Vertreter, den Schadenregulierungsbeauftragten, § 7b VAG511) an seinem eigenen Wohnsitz verklagen,512 nicht aber den Schädiger persönlich,513 so dass dieser im Verfahren gegen die Versicherung als Zeuge zur Verfügung steht. Der Schadensregulierungsbeauftragte ist aber keine Niederlassung des ausländischen Versicherers.514 (Ein Nachteil ist freilich, dass das Gericht am Wohnsitz des Geschädigten in der Sache fremdes Recht anwenden muss und eine grenzüberschreitende Beweisaufnahme aufwendig ist.515) Dem Geschädigten steht der Gerichtsstand 507 So Geimer/Schütze/Auer, Art. 8 Rz. 5; Bericht zu dem EG-Übereinkommen, Art. 8. 508 Vgl. Wagner in Stein/Jonas, Art. 9 EuGVO Rz. 13; Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 216 Rz. 1 ff. 509 Vgl. J. Bauerreiss, Das französische Rechtsinstitut der action directe, 2001; Kropholler/ v. Hein, Art. 11 Rz. 4; Rauscher/Staudinger, Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 5 ff.; T. Hub, S. 194 ff. 510 Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 13 Rz. 8; P. Mayr, unalex Kommentar, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 2; Rauscher/ Staudinger, Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 6b. 511 Rauscher/Staudinger, (2016) Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 11; vgl. auch Art. 152 Abs. 1 Solvabilitäts-Richtlinie II 2009/138/EG (ABl. EU 2009 Nr. L 335/1). 512 EuGHE 2007, I-11321 (FBTO Schadeverzekeringen v. Odenbreit) = RIW 2008, 72 = NJW 2008, 819 (St. Leible); dazu A. Staudinger/P. Czaplinski, NJW 2009, 2249, 2251; BGHZ 176, 276 = RIW 2008, 635 = NJW 2008, 2343; BGH, NJW 2015, 2429, 2430 (Nr. 12); OLG Frankfurt, IPRax 2015, 148 (dazu P. Mankowski, S. 115); D. Herrmann VersR 2007, 1470; Art. 11 Rz. 11; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.409 ff.; Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 6b; Wagner in Stein/Jonas, Art. 11 EuGVO Rz. 11; vgl. A. Fuchs, IPRax 2007, 302; zum anwendbaren Recht s. M. Micha, ZVersWiss 2010, 579. 513 BGH, NJW 2015, 2429, 2430 (Rz. 14 ff.); Th. Rauscher, IPR, Rz. 2019. 514 Vgl. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 10 Rz. 35; Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 11a. 515 Vgl. Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 13 Rz. 12; E. Jayme, FS v. Hoffmann, 2011, S. 656.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.166 § 3
an seinem Wohnsitz stets offen; an eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Versicherer und Schädiger ist er nicht gebunden.516 Der Gerichtsstand steht aber nur dem Geschädigten offen. Ein nur mittelbar Geschädigter, dem ein Direktanspruch zusteht, kann nur am Wohnsitz des Erstgeschädigten klagen.517 Der Erbe ist Geschädigter und kann an seinem eigenen Wohnsitz klagen.518 Ein gewerblich tätiger Schadensregulierer kann eine ihm abgetretene Forderung nicht in diesem Gerichtsstand geltend machen.519 Hat ein Arbeitgeber seinem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer den Lohn fortbezahlt und ist dadurch in dessen Rechte gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Unfall beteiligten Fahrzeugs eingetreten, so ist er als Geschädigter anzusehen und kann die Versicherung an seinem eigenen Sitz verklagen.520 Sozialhilfe- oder Sozialversicherungsträger und Kasko-Versicherer können Klagen aus übergeleitetem oder abgetretenem Recht dagegen nicht an ihrem eigenen Sitz erheben.521
3.163
Soweit sich der Geschädigte im Rahmen des Grüne-Karten-Systems an das Behandelnde Büro im Unfallstaat wendet und die Regulierungsvoraussetzungen vorliegen, tritt das Behandelnde Büro in die Pflichten des Haftpflichtversicherers. Anders als dieser kann es aber nicht im Wohnsitzstaat des Geschädigten, sondern nach Art. 4 EuGVO n.F. (Art. 2 EuGVO a.F./LugÜ) nur in seinem eigenen Sitzstaat verklagt werden.522
3.164
Soweit der Versicherer oder sein Schadenregulierungsbeauftragter nicht innerhalb von drei Monaten auf einen Schadenersatzantrag mit Gründen reagieren oder das schädigende Fahrzeug oder dessen Versicherung nicht innerhalb von zwei Monaten vermittelt werden können, kann der Geschädigte seinen Ersatzantrag an die Entschädigungsstelle seines Wohnsitzstaates richten (Art. 24, 25 Richtlinie 2009/103/ EG). Die Entschädigungsstelle kann gem. Art. 4 EuGVO n.F. (Art. 2 EuGVO a.F./LugÜ) an ihrem Sitz verklagt werden. In Deutschland ist dies der Verein Verkehrsopferhilfe e.V. in Berlin.
3.165
Klagt ein Geschädigter gegen einen haftpflichtversicherten Schädiger, so kann dieser den Haftpflichtversicherer nach Art. 13 I EuGVO n.F. (Art. 11 I EuGVO a.F./LugÜ)
3.166
516 EuGH – C-368/16, ECLI:EU:C:2017:546 – Assens Havn, NJW 2017, 2813, IPRax 2018, 259 (dazu P. Mankowski, S. 233). 517 Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 6c; a.A. Wieczorek/Schütze/ Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 30. 518 Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 6i; Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 31. 519 EuGH – C-106/17, ECLI:EU:C:2018:50 – Hofsoe, RIW 2018, 143; dazu P. Tereszkiewicz, GPR 2018, 280; A. Staudinger/P. Papadopoulos, VersR 2018, 978. 520 EuGH – C-340/16, ECLI:EU:C:2017:576 – KABEG (Rz. 36), IPRax 2018, 196 (dazu H. Dörner, S. 158). 521 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.401; für Anwendung zugunsten aller Zessionare Rauscher/Staudinger, Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 6 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 11 EuGVO Rz. 13. 522 D. Looschelders, IPRax 2018, 360, 363; vgl. LG Darmstadt, IPRax 2018, 407.
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§ 3 Rz. 3.166 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
im Wege der Interventionsklage vor das Gericht des Haftpflichtprozesses laden. Nach Art. 65 I EuGVO n.F./a.F. bzw. Art II des 1. Protokolls zum LugÜ 2007 kann diese Zuständigkeit nicht in Deutschland, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Österreich, Polen, Ungarn und Zypern geltend gemacht werden. Die in diesen Ländern mögliche Streitverkündung wird durch Art. 13 III EuGVO n.F. (Art. 11 III EuGVO a.F./LugÜ) ausdrücklich zugelassen.523 Bei einer Direktklage des Geschädigten an seinem Wohnsitz gegen den Versicherer, kann dieser danach dem Versicherungsnehmer bzw. dem Versicherten den Streit verkünden.524 Streitverkünder kann nur der Versicherer sein; der Geschädigte kann nicht dem Versicherungsnehmer den Streit verkünden.525 b) Klagen des Versicherers
3.167 Art. 14 EuGVO n.F. (Art. 12 EuGVO a.F./LugÜ) regelt die Zuständigkeit bei Klagen des Versicherers. Der Versicherer kann nur vor den Gerichten des Mitglieds- bzw. Vertragsstaats klagen, in dem der Beklagte, sei es der Versicherungsnehmer, der Versicherte oder Begünstigte, seinen Wohnsitz hat. Wiederum handelt es sich nur um die Regelung der internationalen Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus § 12 ZPO und § 215 VVG. Über Art. 10 u Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 8 u Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) kann der Versicherer auch am Gericht der Zweigniederlassung des Versicherungsnehmers klagen, wenn der Streit zu dieser Bezug hat.526 Hat der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, richtet sich die internationale Zuständigkeit über Art. 10 und Art. 6 EuGVO n.F. nach dem jeweiligen nationalen Recht.527 c) Weitere Sonderregeln
3.168 Die Bestimmung des Art. 14 II EuGVO n.F. (Art. 12 II EuGVO a.F./LugÜ) über die Widerklage modifiziert die Widerklagemöglichkeit nach Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) für alle Beteiligten.528 3.169 Zum Schutze des Versicherten lässt Art. 15 EuGVO n.F. (Art. 13 EuGVO a.F./LugÜ) eine Gerichtsstandsvereinbarung (abweichend von Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nur in beschränktem Maße zu.529 Zulässig sind sie nach Entstehen der Streitigkeit und unter Vereinbarung eines zusätzlichen Gerichtsstandes für den Versicherten oder Begünstigten. Haben Versicherungsnehmer und Versicherung 523 Vgl. T. Hub, S. 118 ff. 524 Wagner in Stein/Jonas, Art. 11 EuGVO Rz. 14; krit. Kropholler/v. Hein, Art. 11 EuGVO Rz. 4. 525 Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 41; s. aber Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 13 Rz. 13b. 526 T. Hub, S. 114 f.; Rauscher/Staudinger, Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 4. 527 Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 14 Rz. 6; Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 14 Rz. 4. 528 Rauscher/Staudinger, Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 529 Vgl. Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Art. 15 Rz. 4 ff.; Wieczorek/Schütze/ Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 15 Rz. 9 ff.; T. Hub, S. 158 ff.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.171 § 3
bei Vertragsschluss ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat, so kann außerdem der Gerichtsstand des Schadensortes in einem anderen Staat ausgeschlossen werden. Allerdings muss dies das nationale Recht zulassen. In Deutschland (§ 38 ZPO) kann die Versicherung dies nur mit Kaufleuten vereinbaren. Eine solche Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer, mit der die Gerichte des gemeinsamen Wohnsitzstaats vereinbart werden, bindet nicht die begünstigten Versicherten, wenn das schädigende Ereignis im Ausland eingetreten ist.530 Zulässig sind schließlich Zuständigkeitsvereinbarungen mit Versicherungsnehmern mit Wohnsitz in Drittstaaten, es sei denn, sie beziehen sich auf Pflichtversicherungen oder auf Immobiliarversicherungen von Risiken in EU-Mitgliedstaaten (Art. 15 Nr. 4 EuGVO n.F., Art. 13 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ).531 Uneingeschränkt zulässig sind Gerichtsstandsvereinbarungen bei Versicherungen von Schiffen, Luftfahrzeugen und anderen Großrisiken gem. Art. 15 Nr. 5 u. Art. 16 EuGVO n.F. (Art. 13 Nr. 5 und Art. 14 EuGVO a.F./LugÜ).532 Entsprechende Vereinbarungen wirken aber nicht gegen Versicherte, die selbst nicht gewerblich tätig sind, der Klausel nicht zugestimmt haben und in einem anderen Mitgliedstaat als Versicherungsnehmer und Versicherer wohnen.533 Hat die eigene Versicherung dem Geschädigten Leistungen erbracht, kann sie den Erstattungsanspruch über Art. 8 Nr. 2 mittels Interventionsklage (sofern diese zulässig ist) auch im Hauptverfahren des Geschädigten gegen die Versicherung des Schädigers geltend machen.534
3.170
11. Die Zuständigkeiten in Verbrauchersachen Schrifttum: P. de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, 1992, 121 ff.; S. Collet, Der Europäische Verbrauchergerichtsstand – Spielball im Netz des World Wide Web, 2015; Czernich/Geimer/Hausmann, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 2 A II 3 Gerichtsstandsvereinbarungen mit strukturell unterlegenen Personen), 2017, S. 267; A. Engert/G. Groh, Internationaler Kapitalanlegerschutz vor dem BGH, IPRax 2011, 458; J. Fetsch, Grenzüberschreitende Gewinnzusagen im europäischen Binnenmarkt, RIW 2002, 936; N. Ganssauge, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Verbraucherverträgen im Internet, 2004, S. 39 ff.; Th. Garber, Die Stellung des Verbrauchers im Europäischen Zivilprozessrecht, ÖJZ 2011, 22; R. Geimer, Forum actoris für Kapitalanlegerklagen, FS Martiny, 2014, S. 711; B. Gsell, Entwicklungen im Europäischen Verbraucherzuständigkeitsrecht, ZZP 127 (2014), 431; S. Harb, Zum Schutz des Verbrauchers nach Art. 15–17 EuGVVO, in Clavora/Garber, Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, S. 47; B. Hei530 EuGHE 2005, I-3707 = ECLI:EU:C:2005:280 – Société industrielle et financière du Peloux = NJW 2005, 2135 = IPRax 2005, 531 (dazu H. Heiss, S. 497); Th. Rauscher, IPR, Rz. 2028 ff.; a.A. T. Hub, S. 141; vgl. F. Wedemann, ZIP 2014, 2469. 531 Vgl. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 15 Rz. 24 ff.; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 13 EuGVO Rz. 17 ff. 532 Vgl. Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 16 Rz. 3 ff.; M. Fricke in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 3 Rz. 45 ff; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 330; T. Hub, S. 170 ff.; Ph. Egler, Seerechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011, S. 254 ff. 533 EuGH – C-803/18, ECLI:EU:C:2020:123 – AAS „Balta“, RIW 2020, 219. 534 EuGH – C-521/14, ECLI:EU:C:2016:41 – SOVAG, DAR 2016, 79 (A. Staudinger).
149
3.171
§ 3 Rz. 3.171 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen derhoff, Zum Verbraucherbegriff der EuGVVO und des LugÜ, IPRax 2005, 230; K. Hofmann, Verfahrensrechtliche Aspekte grenzüberschreitender Gewinnzusagen nach § 661a BGB, 2007; M. Huber-Lehmann, Erfordernis der Kausalität beim Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 Ziff. 1 lit. c LugÜ, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 133; E.-M. Kieninger, Grenzenloser Verbraucherschutz?, FS Magnus, 2014, S. 449; E.-M. Kieninger, Der Schutz schwächerer Personen im Schuldrecht, in v. Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 307; St. Leible/M. Müller, Die Bedeutung von Websites für die internationale Zuständigkeit in Verbrauchersachen, NJW 2011, 495; P. Mankowski, Änderungen im internationalen Verbraucherprozessrecht durch die Neufassung der EuGVVO, RIW 2014, 625; J. Mörsdorf-Schulte, Revisibler internationaler Verbrauchergerichtsstand für den bloßen Gewinner, ZZPInt 8 (2003), 407; Th. Mronz, Rechtsverfolgung im weltweiten E-Commerce, 2004; R. Nagel, Neue Anforderungen an internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, BKR 2002, 146; J. Øren, International Jurisdiction over Consumer Contracts in e-Europe, ICLQ 52 (2003), 665; R. Pichler, Internationale Zuständigkeit im Zeitalter globaler Vernetzung, 2008; N. Reich/A. P. Gambogi Carvalho, Gerichtsstand bei internationalen Verbraucherstreitigkeiten im e-commerce, VuR 2001, 269; H. Rösler/V. Siepmann, Der Beitrag des EuGH zur Präzisierung von Art. 15 I EuGVO, EuZW 2006, 76; H. Roth, Wer ist im Europäischen Prozessrecht ein Verbraucher?, FS v Hoffmann, 2011, S. 715; H. Roth, Schadenshaftung und erforderliche Vertragsanknüpfung bei Art. 15 EuGVO (LugÜ), FS Kaissis, 2012, S. 819; M. Roth, Der Schutz des Verbrauchers im internationalen Privat- und Verfahrensrecht bei Internet-Verträgen, FS Rechberger, 2005, S. 471; K. Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozessrecht, 2006; K. Schaltinat, Internationale Verbraucherstreitigkeiten, 1998; I. Scheuermann, Internationales Verfahrensrecht bei Verträgen im Internet, 2004; N. Schoibl, Die Zuständigkeit für Verbrauchersachen nach europäischem Zivilverfahrensrecht, JBl 1998, 700 u. 767; A. Simotta, Die Rechtsstellung des Konsumenten bei Gewinnzusagen nach Art. 15 ff. EuGVVO, in Clavora/Garber, Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, S. 77; G. Spindler, Internationales Verbraucherschutzrecht im Internet, MMR 2000, 18; A. Staudinger, Der EuGH hat es (aus)gerichtet – Harmonie zwischen Brüssel I- und Rom I-VO, AnwBl. 2011, 327; A. Staudinger/B. Steinrötter, Verfahrens- und kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz bei Online-Geschäften, EWS 2011, 70; B. Sujecki, Grenzüberschreitender Verbraucherschutz beim elektronischen Rechtsverkehr nach der EuGVVO und der Rom I-VO, EWS 2010, 360; E. Teuber, Die internationale Zuständigkeit bei Verbraucherstreitigkeiten, 2003; Ch. Thole, Verbrauchergerichtsstand aufgrund schlüssiger Behauptung für eine Kapitalanlegerklage gegen die Hausbank des Anlagefonds?, IPRax 2013, 136; R. Wagner, Internationale und örtliche Zuständigkeit in Verbrauchersachen, WM 2003, 116; T. Wilcke, Internationaler Online-Handel und Verbraucherschutz, 2011.
a) Anwendungsbereich
3.172 Die ursprünglichen Art. 13 bis 15 EuGVÜ/LugÜ hat das 1. Beitrittsübereinkommen neu gefasst und auf Verbrauchersachen erweitert. Die Art. 17 bis 19 EuGVO n.F. (Art. 15 bis 17 EuGVO a.F./LugÜ) enthalten eine revidierte, den prozessualen Verbraucherschutz verallgemeinernde Fassung. Art. 17 I EuGVO n.F. (Art. 15 I EuGVO a.F./LugÜ) erfasst nunmehr Streitigkeiten aus Verträgen jeder Art, die ein Verbraucher mit einem Unternehmer535 abgeschlossen hat (ausgenommen Versicherungsverträge), auch den Streit über Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags und
535 Geschäfte unter Privatleuten sind ausgeschlossen, Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 25 f.
150
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.174 § 3
die Rückabwicklung des Vertrags.536 Eine Wertgrenze gibt es nicht. Der notwendige grenzüberschreitende Vertrag liegt auch dann vor, wenn beide Vertragsparteien ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, der Vertrag aber über einen Stellvertreter oder Vermittler geschlossen wurde, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.537 Der Vertragsbegriff ist hier wie in Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) autonom auszulegen.538 Lange Zeit galten die Regeln nur für vertragliche Ansprüche, nicht für konkurrierende deliktische Anspruchsgrundlagen.539 Allerdings genügt es, wenn der Kläger vertragliche Ansprüche schlüssig behauptet.540 Im Urteil v. 11.7.2002541 hat der EuGH die vertragliche Zuständigkeit auf „andere Klagen“ erweitert, „die zu diesem Vertrag eine so enge Verbindung aufweisen, dass sie von ihm nicht getrennt werden können“. Entsprechend hat der BGH den Verbrauchergerichtsstand sogar dann gewährt, wenn der Verbraucher seine Klage nur auf § 823 II BGB i.V.m. § 32 I KWG gestützt hat.542 Art. 17 ff. EuGVO n.F. (Art. 15 ff. EuGVO a.F./LugÜ) gelten nicht, wenn der Verbraucher Ansprüche nicht gegenüber seinem Vertragspartner, sondern gegenüber dessen Vertragspartner oder anderen „Hintermännern“ geltend macht. Ein Schadensersatzanspruch wegen Prospekthaftung gegen eine Wertpapieremittentin kann daher nicht auf Art. 15 gestützt werden, wenn der Verbraucher die Papiere bei einem Dritten erworben hat. In solchen Fällen kommt nur eine Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) in Betracht.543
3.173
Bislang setzte die Anwendung voraus, dass das Unternehmen seinen Sitz, zumindest eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat hat (Art. 15 I, II EuGVO a.F./LugÜ). Nach der Neufassung der EuGVO kommt es hierauf nicht mehr an. Der Verbraucher mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat kann auch Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat am Gericht seines Wohnsitzes verklagen (Art. 17 I, 18 I EuGVO n.F.). Ein Vertragsschluss im Internet wird dann vollständig erfasst.544 Die Art. 17 ff. EuGVO n.F. (Art. 15 ff. EuGVO a.F./LugÜ) kennen aber keinen allgemei-
3.174
536 Rauscher/Staudinger, Vorbem. Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Rz. 3; A. Burgstaller, Vor Art. 1 EuGVO Rz. 20; Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 32; a.A. für negative Feststellungsklage A. Schwartze, unalex Kommentar, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 1. 537 EuGH – C-478/12, ECLI:EU:C:2013:735 – Maleticu. Maletic, EuZW 2014, 33 (M. Müller). 538 BGH, ZIP 2012, 444, 445 (Rz. 14); Kropholler/v. Hein, Art. 15 EuGVO Rz. 3. 539 EuGH – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolassa (Rz. 28 ff.), NJW 2015, 1581; Rauscher/Staudinger, Vorbem. Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Rz. 4; a.A. Geimer/Schütze, Art. 15 Rz. 26. 540 BGH, ZIP 2012, 444, 445 (Rz. 12, 14) = NJW 2012, 455; dazu A. Baumert, EWiR 2012, 243. 541 EuGHE 2002, I-6367 (Rz. 56) (Gabriel) = NJW 2002, 2697 = IPRax 2003, 50 (dazu St. Leible, S. 28). 542 BGHZ 187, 156 = NJW 2011, 532 = IPRax 2011, 488 (dazu A. Engert/G. Groh, S. 458); BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809 = IPRax 2013, 168 (dazu St. Arnold, S. 141). 543 EuGH – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolossa v Barclays Bank, JZ 2015, 942 (J. v. Hein) = IPRax 2016, 143 (dazu A. Staudinger/Ch. Bauer, S. 107). 544 Vgl. Th. Rauscher, IPR, Rz. 2040, 2055 ff.
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§ 3 Rz. 3.174 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
nen Verbrauchergerichtsstand, sondern privilegieren den Verbraucher nur unter bestimmten Voraussetzungen.545
3.175 Verbraucher ist (in autonomer Auslegung) jede natürliche Person, die den Vertrag zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs, d.h. zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.546 Wer privat Kapital anlegt, ist Verbraucher.547 Verbraucher kann auch sein, wer als Privatperson mit einer Broker-Gesellschaft Transaktionen am internationalen Devisenmarkt oder wer über eine Finanzgesellschaft finanzielle Differenzgeschäfte tätigt; ein „Kleinanleger“ muss er nicht sein.548 Wer einen Wechsel als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter einer Gesellschaft persönlich als Wechselbürge zeichnet, handelt dagegen nicht als Verbraucher.549 Die Regeln gelten auch für den Rechtsnachfolger, der selbst Verbraucher ist,550 nicht aber für den (gewerblichen) Rechtsnachfolger eines Verbrauchers (s. Rz. 3.191),551 auch nicht für Verbandsklagen von Verbraucherschutzvereinigungen.552 Sie sind dagegen anwendbar, wenn der Verbraucher über einen professionellen Vermögensverwalter handelt.553 Nicht geschützt wird der Verbraucher, wenn der Vertragsgegenstand oder die Dienstleistung auch zu (gegenwärtigen oder künftigen554) beruflichen Zwecken verwendet wird, es sei denn die Verbindung zur beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit ist völlig untergeordnet.555 Dagegen schadet es der Verbrauchereigenschaft nicht, wenn der Verbraucher in Bezug auf den anstehenden Prozess Bücher publiziert, Websites betreibt, Spenden
545 W. Hau, FS v. Hoffmann, 2011, S. 617, 630; R. Pichler, Rz. 509 ff. 546 EuGHE 2005, I-481 (Engler v Janus Versand) = NJW 2005, 811, 812; EuGHE 1999, I2277 (Mietz v Intership Yachting Sneek) (dazu Ch. Wolf EuZW 2000, 11); EuGH – C541/99 u. C-542/99, ECLI:EU:C:2001:625 – Cape u. Idealservice MN RE, NJW 2002, 205; BGH, ZIP 2012, 941, 943 (Rz. 28) = NJW 2012, 1817; BGHZ 167, 83 (Rz. 18) = NJW 2006, 1672, 1673; OLG Nürnberg, IPRax 2005, 248 (dazu B. Heiderhoff, S. 230); Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 17; B. Heß, IPRax 2000, 370) vgl. N. Ganssauge, S. 43 ff. 547 Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 23. 548 EuGH – C-208/18, ECLI:EU:C:2019:825 – Petruchová v FIBO Group, RIW 2019, 810 (P. Mankowski); EuGH – C-500/18, ECLI:EU:C:2020:264 – AU v Reliantco Investments, RIW 2020, 353. 549 EuGH – C-419/11, ECLI:EU:C:2013:165 – Česka spořitelna v Feichter, RIW 2013, 292. 550 Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 26. 551 EuGHE 1993, I-139 (Shearson Lehman Hutton) = IPRax 1995, 92; LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2010, 1368; dazu L. Tiedemann, EWiR Art. 15 EuGVVO 2/10, 487; Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 15. 552 EuGHE 2002, I-8111, 8138 (Verein für Konsumenteninformation v Henkel) = NJW 2002, 3617 = IPRax 2003, 341; Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 16. 553 OLG Hamburg, IPRax 2005, 251 (dazu B. Heiderhoff, S. 230); a.A. (wenn Verband den Verbraucher kraft Gesetzes vertritt) Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 2. 554 A. Schwartze, unalex Kommentar, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 5; Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 21. 555 EuGHE 2005, I-439 (Gruber v BayWa) = NJW 2005, 653 = IPRax 2005, 537 (dazu Mankowski, S. 503 sowie RIW 2005, 563); BGH, ZIP 2012, 941, 943 (Rz. 29).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.178 § 3
sammelt und sich Ansprüche anderer Verbraucher abtreten lässt.556 Die Beweislast für die Verbrauchereigenschaft liegt bei demjenigen, der sich darauf beruft.557
3.176
Neben Streitigkeiten (a) aus dem Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung, und (b) aus einem in Raten zurückzuzahlenden Darlehen oder anderem Kreditgeschäft, das zur Finanzierung des Kaufs beweglicher Sachen bestimmt ist, erfasst Art. 17 I EuGVO n.F. (Art. 15 I (c) EuGVO a.F./LugÜ) Streitigkeiten (c) aus allen anderen Fällen, bei denen der Vertragspartner (i) im Wohnsitzstaat des Verbrauchers eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt, oder (ii) seine derartige Tätigkeit von außen auf diesen Mitgliedstaat ausrichtet und der Vertrag in diesen Tätigkeitsbereich fällt. Bei der Frage, ob ein Verbraucherkreditvertrag vorliegt, ist nicht zu prüfen, ob die Obergrenzen für Verbraucherdarlehen nach der Richtlinie 2008/48/EG beachtet sind.558 Der Kauf von Wertpapieren und ein Kreditgeschäft zur Finanzierung eines solchen Geschäfts fallen nicht unter Art. 17 I lit. a und b EuGVO n.F. (Art. 15 I lit. a und b EuGVO a.F./LugÜ).559 Buchstabe (c) enthält aber eine Generalklausel, die die Fälle (a) und (b) eigentlich mit umfasst und darüber hinausgeht. Die früheren zusätzlichen Anforderungen, die Art. 13 I Nr. 3 EuGVÜ/LugÜ 1988 an das Zustandekommen des Vertrags stellte, und die Schwierigkeiten, die sich aus dem Abstellen auf Dienstleistungen ergeben,560 sind zu Recht fallen gelassen worden, weil sie den heutigen Möglichkeiten des Vertragsabschlusses, insb durch Telekommunikationsmittel nicht mehr gerecht wurden.561 Der Verordnungsgeber wollte wie bisher die konventionellen grenzüberschreitenden Werbe- und Vertriebsformen erfassen, aber auch den internetbasierten Vertrieb in angemessener Weise mit einbeziehen. Der Verbrauchergerichtsstand ist also nicht auf Fernabsatzgeschäfte beschränkt.562
3.177
Erforderlich ist in allen Fällen ein Ausrichten der Tätigkeit auf den entsprechenden nationalen Markt. Diese Regel ist entsprechend Erwägungsgrund 24 zur Rom I-VO parallel zu Art. 6 I Rom I-VO auszulegen.563 Der Gewerbetreibende muss danach sei-
3.178
556 EuGH – C-498/16, ECLI:EU:C:2018: 37 – Schrems, ZIP 2018, 1317; dazu M. Stürner/ Ch. Wendelstein, JZ 2018, 1083; C. Meller-Hannich, ZEuP 2019, 205. 557 BGH, ZIP 2012, 941, 943 (Rz. 32); Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 23. 558 EuGH – C-694/17, ECLI:EU:C:2019:345 – Pillar Secularisation Sàrl, RIW 2019, 371. 559 ÖOGH, ZIP 2010, 1154. 560 R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 45; vgl. BGH, ZIP 2013, 93, 94 (Vermögensverwaltung als Dienstleistung). 561 H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 331; M. Jametti Greiner, AJP/PJA 1999, 1135, 1138; N. Ganssauge, S. 53 ff. 562 EuGH – C-190/11, ECLI:EU:C:2012:542 – Mühlleitner, NJW 2012, 3225 (A. Staudinger/B. Steinrötter); Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 65. 563 Vgl. J. v. Hein, JZ 2011, 954, 955; M. Würdinger, RabelsZ 75 (2011), 102, 120 f.
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§ 3 Rz. 3.178 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
nen Willen zum Ausdruck gebracht haben, dass er mit Kunden dieses Mitglied- bzw. Vertragsstaats Vertragsbeziehungen aufnehmen will.564 Dies ist bei allen absatzfördernden Maßnahmen der Fall, die (auch) auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet sind.565 Für das konkrete Geschäft muss die Initiative zur Unterbreitung eines Angebots aber nicht vom Unternehmer ausgegangen sein.566
3.179 Eine ausländische Bank, die in Deutschland ein Nostro-Konto unterhält und damit wirbt, dass sie die darauf überwiesenen Gelder auf ein ausländisches Zielkonto weiterleiten wird, übt eine gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers aus und hat ihre Tätigkeit auf diesen Staat ausgerichtet.567 Insoweit genügt für Art. 17 EuGVO n.F. (Art. 15 EuGVO a.F./LugÜ) die einseitige Verpflichtung des Gewerbetreibenden, der Verbraucher muss insoweit keine eigene Verpflichtung eingegangen sein.568 3.180 Bei einer Werbung in Rundfunk, Fernsehen oder Landespresse ist dies gegeben. Die bloße Zugänglichkeit der Website (mit Kontaktangaben) im Wohnsitzstaat des Verbrauchers genügt dagegen nicht.569 Als Anhaltspunkte für ein Ausrichten hat der EuGH angesehen: den internationalen Charakter der Tätigkeit; die Angabe von Anfahrtbeschreibungen aus anderen Mitgliedstaaten; die Verwendung der Sprache und/ oder der Währung des Wohnsitzstaats des Verbrauchers; Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um Verbrauchern aus anderen Staaten den Zugang zu erleichtern; Telefonnummern mit internationaler Vorwahlangabe (?); Verwendung einer besonderen Top-Level-Domain (?).570 Es genügt aber auch sonst jede absatzfördernde Tätigkeit,571 auch über einen Kooperationspartner; bloßes doing business reicht nicht.572 Kann ein Verbraucher eine Leistung im Ausland über eine „aktive“ Website buchen, ist der Vertragspartner im Wohnsitzstaat des Verbrauchers gerichtspflichtig.573 Für ein „Ausrichten“ kann aber auch eine „passive“ Website genü564 BGH, ZIP 2012, 444, 447 (Rz. 21) = IPRax 2013, 164, 167 (dazu Ch. Thole, S. 136); Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 43; vgl. E.-M. Kieninger, FS Magnus, 2014, S. 449, 455 ff. 565 Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.469 ff. 566 BGHZ 190, 28, 37 (Rz. 28) = NJW 2011, 2809 = IPRax 2013, 168 (dazu St. Arnold, S. 141). 567 BGH, ZIP 2012, 444 = NJW 2012, 455 (Rz. 6) = IPRax 2013, 164. 568 BGH, ZIP 2012, 444 = NJW 2012, 455 (Rz. 14) = IPRax 2013, 164 (dazu Ch. Thole, S. 136, 138 ff.). 569 EuGH – C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740 – Prammer u. Hotel Alpenhof (Rz. 94), NJW 2011, 505; BGH, RIW 2009, 82, 83 (Kontaktadresse eines deutschsprachigen Athener Anwalts auf Website der deutschen Botschaft); Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 62; Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 45 f. 570 EuGH – C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740 – Pammer u. Hotel Alpenhof, NJW 2011, 505 = JZ 2011, 949 (J. v. Hein); dazu St. Leible/M. Müller, NJW 2011, 495; A. Staudinger, AnwBl. 2011, 327; M. Bogdan, YearbookPIL 12 (2010), 565; Ch. Strasser, Vom Urlaub auf dem Bauernhof zum Alpenhotel – grenzüberschreitende Werbung als prozessualer Fallstrick für agrarische Anbieter, Agrarrecht Jahrbuch 2013, 205. 571 BGH, IPRax 2018, 620 (Rz. 15 f.) (dazu L. Rademacher, S. 600). 572 Österr. OGH, ZIP 2010, 1154. 573 Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.473 f.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.184 § 3
gen, wenn sie alle Angaben enthält, dass ein Verbraucher den Unternehmer zu einem Vertragsschluss kontaktieren kann. Es genügt etwa die Aufforderung auf der Website per Fax zu bestellen.574 Wer seine Produkte in deutscher Sprache auf einer Internetseite anbietet, „richtet“ seine Tätigkeit auf Deutschland „aus“ und ist hier nach Art. 17 I lit. c EuGVO n.F. (Art. 15 I lit. c EuGVO a.F./LugÜ) gerichtspflichtig.575 Der deutsche Anbieter, der auf seiner Website einen „Extra service voor Nederland“ anpreist, ist in den Niederlanden gerichtspflichtig.576 Einem ausländischen Anbieter ist die Tätigkeit mit ihm kooperierender inländischer Vermittler zuzurechnen.577
3.181
Nach der Rechtsprechung des BGH muss die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtete Tätigkeit des Unternehmers den Vertragsschluss des Verbrauchers (im Anschluss an Erwägungsgrund 24 zur Rom I-VO zumindest motiviert haben, muss also kausal geworden sein.578 Diese Ansicht hat der EuGH zu Recht zurückgewiesen; der bewiesene Kausalzusammenhang sei lediglich ein Indiz für das erforderliche Ausrichten der Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers.579 Würde man dagegen den Nachweis der Kausalität fordern, würde der Verbraucherschutz weitgehend leerlaufen.
3.182
Für Art. 15 Nr. 1 c LugÜ hält das Schweizer Bundesgericht wohl prinzipiell am Erfordernis der Kausalität fest, bejaht diese aber bereits, wenn neben einer erreichbaren Website noch andere Umstände, etwa eine Drittempfehlung, zum Vertragsschluss geführt haben.580
3.183
Ein Ausrichten auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers liegt aber nicht vor, wenn der Vertragspartner erst aufgrund des mit dem Verbraucher geschlossenen (Werk-) Vertrag eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dessen Wohnsitzstaat entfaltet.581 Ein ausländischer Anbieter, der von einem deutschen Verbraucher in seinem Heimatland kontaktiert wird, wird aber nicht in Deutschland gerichtspflichtig.582 Da-
3.184
574 J. v. Hein, JZ 2011, 954, 956; Rauscher/Staudinger, Art. 18 Brüssel Ia-VO Rz. 13a, 14; Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 17 Rz. 77, 78 ff. 575 OLG Dresden, IPRax 2006, 44 (dazu J. v. Hein, S. 16). 576 LG München I, EWiR Art. 15 EuGVVO 1/08, 245 (P. Mankowski). 577 ÖOGH, EWiR Art. 15 EuGVVO 1/10 (P. Mankowski). 578 BGH, ZIP 2012, 941, 944 (Tz. 38); M. Würdinger, RabelsZ 75 (2011), 102, 122; Wagner in Stein/Jonas, Art. 15 EuGVO Rz. 49. 579 EuGH – C-218/12, ECLI:EU:C:2013:666 – Emrek, JZ 2014, 297 (krit. M. Klöpfer/Ch. Wendelstein), IPRax 2014, 63 (dazu G. Rühl, S. 41); dazu auch P. Mankowski, EWiR, Art. 15 EuGVVO 2/13; M. Lubrich, GPR 2014, 116; krit. Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.479; Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 69; A. Stadler/M. Klöpfer, ZEuP 2015, 732, 745 f. 580 Vgl. M. Huber-Lehmann, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 133, 147, 155. 581 BGHZ 167, 83 (Rz. 24 ff.) = NJW 2006, 1672 = JR 2007, 457 (D. Looschelders); vgl. B. Paal, Grenzüberschreitende Bauverträge und Internationales Zivilprozessrecht, BauR 2008, 228. 582 BGH, MDR 2009, 44 = IPRax 2009, 258, 259 (Tz. 10 f.) (dazu P. Mankowski, S. 238).
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§ 3 Rz. 3.184 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
gegen genügt es, wenn der Anbieter seine Website auf den Wohnsitzstaat ausgerichtet hat und der Verbraucher dann den Geschäftssitz des Anbieters aufsucht und dort den Vertrag abschließt. Ein Abschluss im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ist daher nicht erforderlich.583 Nach Ansicht des EuGH ist auch eine einseitige Gewinnzusage (§ 661a BGB), die einem Verbraucher im Rahmen der Vertragsanbahnung gemacht wird, wie ein Vertrag zu behandeln.584 Erforderlich ist aber weiterhin, dass der Vertragspartner unabhängig von dem konkreten Vertrag eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübt.585
3.185 Die Zuständigkeit erstreckt sich auch auf einen weiteren Vertrag, den Verbraucher und Unternehmer geschlossen haben, wenn dieser eine enge Verbindung zu einem Vertrag aufweist, der die Voraussetzungen des Art. 17 EuGVO n.F. (Art. 15 EuGVO a.F./LugÜ) erfüllt, etwa wenn der Vertrag geschlossen wurde, damit der wirtschaftliche Erfolg des ersten Vertrages verwirklicht werden kann.586 3.186 Ausgenommen sind nach Art. 17 III EuGVO n.F. (Art. 15 III EuGVO a.F./LugÜ) reine Beförderungsverträge; Reiseverträge, die eine Beförderung und Unterbringung zu einem Pauschalpreis vorsehen, sind dagegen erfasst.587 Dies ist auch bei einer Reise auf einem Frachtschiff der Fall.588 Auch Timesharing-Verträge i.S.d. Richtlinie 94/ 47/EG fallen unter Art. 17 I, III EuGVO n.F. (Art. 15 I, III EuGVO a.F./LugÜ).589 Auch Ansprüche gegen einen Reiseveranstalter auf zeitweise Überlassung eines Ferienhauses fallen unter die Art. 17 ff. EuGVO n.F. (Art. 15 ff. EuGVO a.F./LugÜ).590
583 EuGH – C-190/11; ECLI:EU:C:2012:542 – Mühlleitner, BB 2012, 2317; ergangen auf Vorlage des BGH, BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809 = IPRax 2013, 168 (dazu St. Arnold, S. 141); s. auch BGH, RIW 2012, 403 u BGH, RIW 2012, 325 = NJW-RR 2012, 436; dazu M. Stöber, EWiR Art. 15 EuGVVO 2/12, 345. 584 EuGHE 2002, I-6367 (Gabriel) = NJW 2002, 2697, ZZPInt 7 (2002), 264 (H. Koch); ebenso BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426 (dazu R. Häcker, ZVglRWiss 103 (2004), 464; St. Leible, NJW 2003, 407; J. Mörsdorf-Schulte ZZPInt 8 (2003), 407; krit. J. Fetsch, RIW 2002, 936, 942 f.); s. aber jetzt BGH, NJW 2006, 230, 231. 585 BGH, NJW 2006, 1672, 1673 = RIW 2006, 464. 586 EuGH – C-297/14, ECLI:EU:C:2015:844 – Hobohm (Rz. 33 ff.), NJW 2016, 697 (P. Mankowski) = RIW 2016, 220 (G. Kodek) = EuZW 2016, 266 (R. Wagner); BGH, MDR 2016, 1043, 1044 (Rz. 17 ff.); Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 14. 587 Entsprechend dem Ziel der Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG; vgl. EuGH – C-400/ 00, ECLI:EU:C:2002:272 – Club-Tour, EWS 2002, 283 (K. Tonner); H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 330. 588 EuGHE 2010, I-12527 (Peter Pammer v. Reederei Schlüter) = NJW 2011, 505 = RIW 2011, 241 (D. Berg) = BB 2011, 200 (F. Breckheimer); dazu A. Staudinger/B. Steinrötter, EWS 2011, 70; M. Bogdan, Yearbook PIL 12 (2010), 565. 589 R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 45; H.-W.Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 330; A. Markus, SZW/RSDA 1999, 205, 213. 590 BGH, MDR 2013, 995; BGH, NJW 2013, 308.
156
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.190 § 3
Art. 13 LugÜ 1988 war (wie das EuGVÜ) enger und kasuistischer gefasst.591 Erfasst waren Verträge mit nicht gewerblichen Endverbrauchern, aber nur (1) Teilzahlungskäufe beweglicher Sachen, (2) Ratendarlehen und Kauffinanzierungen, (3) andere Dienstleistungs- und Lieferverträge.592 Ausgenommen waren Beförderungsverträge aller Art (Art. 13 III). Der dadurch definierte Begriff des Verbrauchervertrags war autonom auszulegen.593
3.187
Wegen des engen Sachzusammenhangs kann auch ein Ersatzanspruch aus § 823 II BGB i.V.m. § 32 KWG (bei einer Vermögensverwaltung) aus einem Vertrag geltend gemacht werden.594 Auch Ansprüche aus c.i.c. wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht werden insoweit als Ansprüche aus einem Vertrag angesehen, wenn es tatsächlich zum Vertragsschluss gekommen ist.595
3.188
Erforderlich ist jeweils ein ausreichender Inlandsbezug zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers: Angebot oder Werbung müssen im Inland erfolgt sein, und zusätzlich muss der Verbraucher seine eigene Vertragserklärung im Inland abgegeben haben.596 Es ist aber nicht erforderlich, dass die Initiative zur Unterbreitung des Angebots vom Unternehmer ausgegangen ist.597 Inlandswerbung iS einer invitatio ad offerendum genügt.598
3.189
Wertpapiere sind nicht als bewegliche Sachen anzusehen; Verträge über den Kauf599 oder zur Finanzierung von Wertpapierkäufen fielen daher nicht unter Art. 13 I Nr. 2 LugÜ 1988600 (fallen aber jetzt unter Art. 17 I lit. c EuGVO n.F., Art. 15 I lit. c EuGVO/LugÜ 2007). Erfasst von Art. 13 I Nr. 3 LugÜ 1988 war aber ein Vermögensverwaltungsvertrag.601 Warentermingeschäfte waren von Art. 13 I LugÜ 1988 erfasst, soweit eine Partei nicht-termingeschäftsfähig ist.602
3.190
591 Vgl. BGH, ZIP 2012, 941, 945 (Rz. 39); K. Schaltinat, S. 47 ff.; Fasching/Simotta, Vor §§ 83a u. 83b JN Rz. 101 ff. 592 Vgl. EuGHE 1999, I-1597 (Trasporti Castelletti v Trumpy) = IPRax 2000, 411 (dazu B. Heß, S. 370). 593 K. Thorn, IPRax 1995, 294, 295 f. 594 EuGH – C-500/18, ECLI:EU:C:2020:264 – AU v Reliantco Investments, RIW 2020, 353; BGHZ 187, 156, 166 (Rz. 22) = NJW 2011, 532 = ZIP 2010, 2264, 2267 (dazu A. Engert/ G. Groh, IPRax 2011, 458); BGH, BGHZ 190, 28 = ZIP 2011, 1382, 1385 (Rz. 32); krit. J. v. Hein, EuZW 2011, 369, 370. 595 BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809, 2813 (Rz. 32, 43). 596 Vgl. P. de Bra, S. 130 ff.; Kreuzer/Wagner, Q 222. 597 BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809, 2811 = ZIP 2011, 1382, 1384 (Rz. 28). 598 BGHZ 190, 28 = ZIP 2011, 1382, 1384 (Tz. 27). 599 ÖOGH, EWiR Art. 15 EuGVVO 1/10, 323 (P. Mankowski). 600 LG Darmstadt, IPRax 1995, 318 (dazu K. Thorn, S. 294). 601 BGHZ 187, 156, 166 = IPRax 2011, 488 (dazu A. Engert/G. Groh, IPRax 2011, 458); BGHZ 190, 28 = ZIP 72011, 1382, 1384 (Rz. 23 f.). 602 EuGHE 1993, I-139 (Shearson v TVB Treuhandgesellschaft) = NJW 1993, 1251; OLG Düsseldorf, RIW 1996, 681 (dazu P. Mankowski, S. 1001, 1005); M. Dannhoff, Das Recht der Warentermingeschäfte, 1993, S. 209 ff.; vgl. OLG Düsseldorf, RIW 1996, 681, 682 f.
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§ 3 Rz. 3.191 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.191 Die Verbindung von Kauf- und Finanzierungsvertrag dürfte für den deutschen Juristen keine Schwierigkeiten mit sich bringen. Der EuGH hat eine Vorlagefrage wie folgt beantwortet: „Der Begriff des Kaufs beweglicher Sachen auf Teilzahlung iS von Art 13 erstreckt sich nicht auf den Kauf einer Maschine, den eine Firma mit einer anderen Firma zu einem Preis vereinbart, der durch Wechsel mit abgestuften Verfallszeiten beglichen werden soll.“603 In dieser Entscheidung hat der EuGH u.a. ausgesprochen, dass der privilegierte Gerichtsstand ausschließlich schutzbedürftigen Käufern vorbehalten sei. 3.192 Nach Ansicht der Cour d’appel de Colmar ist ein Darlehen zum Zwecke der Eigenheimfinanzierung als Dienstleistung i.S.d. Art. 13 LugÜ anzusehen.604 3.193 Der Rechtsnachfolger eines Verbrauchers kann sich auf Schutz und Zuständigkeiten von Art. 17 EuGVO n.F. (Art. 15 EuGVO a.F./LugÜ) nur berufen, wenn er selbst Verbraucher ist, nicht aber wenn er gewerblich tätig ist.605 Die Verbraucherschutzregeln sind nicht anzuwenden bei Verträgen, die sich auf die gegenwärtige oder künftige606 berufliche oder gewerbliche Tätigkeit beziehen. Kauft ein Arzt einen Laptop, so ist entscheidend, ob er diesen für seine Praxis oder privat benutzt.607 Im Übrigen spielen Fragen des Eigentumsvorbehalts und der Übergabe der Ware keine Rolle. 3.194 Der Schutz nach Art. 15 EuGVO a.F./LugÜ greift nur gegenüber einem Verkäufer mit Sitz in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat oder einer Zweigniederlassung in einem solchen Staat (Art. 15 II EuGVO a.F./LugÜ); er gilt dagegen nicht, wenn der ausländische Verkäufer seine Geschäfte über ein selbständiges Tochterunternehmen mit Sitz in der EU abwickelt.608 3.195 Die seit 2015 geltende Neufassung der EuGVO schützt den Verbraucher nach ihrem Art. 18 I ausdrücklich „ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners“, greift also auch gegenüber Verkäufern mit Sitz in Drittstaaten (s. Rz. 3.174). Für Widerklagen gilt Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ).
603 EuGHE 1978, 1431 (Bertrand v Ott), RIW 1978, 685. 604 Cour d’appel de Colmar, ZIP 1999, 1209 (N. Reich) = IPRax 2001, 251 (dazu S. Neumann/W. Rosch, S. 257). 605 EuGHE 1993, I-139 (Shearson v TVB Treuhand) = RIW 1993, 420; BGH, RIW 1993, 670; Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz. 25 ff.; vgl. H. Koch, IPRax 1995, 71. 606 EuGHE 1997, I-3767 (Benincasa v Dentalkit) = RIW 1997, 775 = JZ 1998, 896 (P. Mankowski). 607 Geimer/Schütze, I, 404. 608 EuGHE 1994, I-4275 (Brenner u Noller v Dean Witter Reynolds) = EWS 1994, 353 = RIW 1994, 1045 = IPRax 1995, 315 (dazu Th. Rauscher, S. 289); BGH, RIW 1995, 150 = EuZW 1995, 190; OLG Schleswig, RIW 1997, 955 (krit. P. Mankowski, S. 990).
158
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.199 § 3
b) Klagen gegen den Unternehmer Nach Art. 18 I EuGVO n.F. (Art. 16 I EuGVO a.F./LugÜ) kann der „andere Vertragspartner“ mit Wohnsitz in einem der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten
3.196
(1) vor den Gerichten des Staats, in dem der Unternehmer seinen Wohnsitz hat, oder (2) vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Die erste Alternative regelt nur die internationale Zuständigkeit, die zweite auch die örtliche. Während die zweite Alternative in Art. 16 EuGVO a.F./LugÜ voraussetzt, dass der Vertragspartner seinen Wohnsitz/Sitz in einem Mitglieds-/Vertragsstaat hat, sieht Art. 18 I EuGVO n.F. ausdrücklich vor, dass der Verbraucher an seinem Wohnsitz klagen kann „ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners. Der Verbraucher kann also auch den Anbieter aus einem Drittstaat an seinem Wohnsitz verklagen (s. Rz. 3.174, 3.196).609 Maßgeblich ist der Wohnsitz des Verbrauchers zur Zeit der Klageerhebung. Bei einem Wechsel des Wohnsitzstaats zwischen Vertragsschluss und Klageerhebung wird der Unternehmer daher in einem neuen Staat gerichtspflichtig.610 Die örtliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers besteht auch gegenüber einem Unternehmen, das seinen Sitz im Wohnsitzstaat des Verbrauchers hat, wenn dieses den Vertrag über einen Vermittler mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat abgeschlossen hat.611
3.197
Die Privilegierung des Art. 18 I EuGVO n.F. (Art. 16 I EuGVO a.F./LugÜ) kann der Verbraucher nur in Anspruch nehmen, soweit er persönlich Kläger oder Beklagter des Verfahrens ist. Sie steht dagegen nicht zur Verfügung, soweit der Verbraucher Ansprüche geltend macht, die ihm andere Verbraucher abgetreten haben.612
3.198
Dem Wohnsitz/Sitz des Vertragspartners gleichgestellt ist die EU-Niederlassung eines Nicht-EU-Anbieters (Art 17 II EuGVO n.F., Art 15 II EuGVO a.F./LugÜ).613 Ob sich die Niederlassung und der Wohnsitz des Verbrauchers in verschiedenen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten befinden, ist irrelevant.614 Ob eine Niederlassung vorliegt,
3.199
609 Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 18 Rz 6 ff; Gottwald in MünchKomm/ ZPO, Art. 18 Brüssel Ia-VO Rz 6. 610 Rauscher/Staudinger, Brüssel Ia-VO Art. 18 Rz 5; Musielak/Voit/Stadler, EuGVVO Art. 18 Rz 4; Galič/Schwartze, unalex Kommentar, Art 16 Brüssel I-VO Rz 11; für Wahl des Verbrauchers zwischen Klage im alten oder neuen Wohnsitzstaat Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art 18 Rz 5. 611 EuGH – C-478/12, ECLI:EU:C:2013;735 – Maletic v lastminute, NJW 2014. 530. 612 EuGH – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Schrems (Rz. 30 ff.), ZIP 2018, 1317; krit. C. Meller-Hannich, ZEuP 2019, 205, 209 ff. 613 Vgl. K. Wach/Th. Weberpals, AG 1989, 193; P. Mankowski, RIW 2005, 561, 570. 614 Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO Rz 19; Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rz 83; Schütze; a.A. OLG München, RIW 1994, 59.
159
§ 3 Rz. 3.199 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
hängt nicht davon ab, ob diese rechtlich selbständig oder unselbständig organisiert ist, sondern allein davon, ob die handelnde Stelle für den Kunden als „Außenstelle“ des Vertragspartners erscheint.615 Teilweise wird freilich zusätzlich verlangt, dass der Prozessgegner diesen Rechtsschein zurechenbar gesetzt habe.616
3.200 Soweit nur die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte festgelegt war, bestimmte sich die örtliche Zuständigkeit aus §§ 12, 13, 16, 17 ZPO.617 Aufgrund der zweiten Alternative von Art. 18 I EuGVO n.F. (Art. 16 I EuGVO a.F./LugÜ erhält der Verbraucher aber jetzt stets einen Klägergerichtsstand an seinem Wohnsitz.618 c) Klagen gegen den Verbraucher
3.201 Nach Art. 18 II EuGVO n.F. (Art. 16 II EuGVO a.F./LugÜ) kann der „andere Vertragspartner“ den Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagen, in dem dieser seinen (aktuellen) Wohnsitz hat. Diese Bestimmungen regeln nur die internationale Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich in Deutschland aus §§ 12, 13 ZPO, ggf. auch aus § 16 oder § 20 ZPO.619 Ist der aktuelle Wohnsitz des Verbrauchers unbekannt, so kann er an seinem letzten bekannten Wohnsitz verklagt werden.620 Hat der Verbraucher seinen aktuellen Wohnsitz in einem Drittstaat, so richtet sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 17 I i.V.m. Art. 6 I EuGVO n.F. nach dem autonomen Recht des angerufenen Gerichts.621 Art. 18 II EuGVO n.F. gilt nur bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen. Die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gilt aber auch bei nationalen Verträgen. Art. 7 I der Richtlinie steht aber einer Klausel nicht entgegen, wonach der Unternehmer Ersatz wegen Nichterfüllung wahlweise am Wohnsitz des Verbrauchers oder am Erfüllungsort des Vertrages einklagen kann, sofern dies nicht das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf übermäßig einschränkt.622 d) Widerklagen
3.202 Nach Art. 18 III EuGVO n.F. (Art. 16 III EuGVO a.F./LugÜ) kann der Verbraucher gegen die Klage des Unternehmers, der Unternehmer gegen die Klage des Verbrau615 LG Darmstadt, EWiR Art. 15 EuGVVO 2/04 (P. Mankowski); LG Bad Kreuznach, EWiR Art. 15 EuGVVO 1/05 (P. Mankowski); a.A. OLG München, RIW 1994, 59. 616 So OLG Koblenz, RIW 2006, 311, 312. 617 LG Konstanz, IPRax 1994, 448 (dazu K. Thorn, S. 426); für analoge Anwendung von Art. 14 I EuGVÜ H. Schack, IZVR, Rz. 315. 618 LG Darmstadt, ZIP 2004, 1924 = EWiR Art. 15 EuGVVO 1/04 (R. Geimer); KG, IPRax 2001, 44 (dazu P. Mankowski, S. 33); H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 331. 619 H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 332; Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 18 Rz. 11; Rauscher/Staudinger, (2016), Brüssel Ia-VO, Art. 18 Rz. 1. 620 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10 (Hypotecni banka v Lindner), ZIP 2011, 23777, 2379 (Rz. 42 ff.); dazu A. Baumert, EWiR, Art. 16 EuGVVO 1/12, 19. 621 Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO Art. 18 Rz. 10. 622 EuGH – C-266/18, ECLI:EU:C:2019:282 – Aqua Med; dazu A. Piekenbrock/D. Rodi, GPR 2019, 233.
160
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.205 § 3
chers Widerklage erheben, sofern sich die Widerklage (gem Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F., Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) auf denselben Vertrag oder Sachverhalt bezieht.623 e) Gerichtsstandsvereinbarungen Zum Schutze des Verbrauchers sind Gerichtsstandsvereinbarungen wie in Versicherungssachen nur in beschränktem Maße zulässig.624 Gerichtsstandsvereinbarungen sind erst nach Entstehung der Streitigkeit frei (Art. 19 Nr. 1 EuGVO n.F., Art. 17 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ). Zuvor darf lediglich dem Verbraucher ein zusätzlicher Gerichtsstand eingeräumt werden (Art. 19 Nr. 2 EuGVO n.F., Art. 17 Nr. 2 EuGVO/ LugÜ).625
3.203
Gerichtsstandsvereinbarungen mit Verbrauchern unterliegen anhand der KlauselRichtlinie626 von Amts wegen einer AGB-Kontrolle auf Missbräuchlichkeit.627 Art. 19 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 17 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) betrifft anfängliche reine Inlandsfälle. Verbraucher und sein Vertragspartner haben ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Vertragsstaat und vereinbaren die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staats, und zwar für den Fall, dass einer von ihnen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem prorogierten Staat verlegt. Damit wird eine Auslandsbeziehung geschaffen. Art. 19 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 17 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) erkennt die Gerichtsstandsvereinbarung für diesen Fall an, es sei denn, sie sei nach dem Recht des vereinbarten Staats unzulässig.628 Nach § 38 III Nr. 2 ZPO kann eine Gerichtsstandsvereinbarung für den Fall getroffen werden, dass die zu verklagende Partei nach Vertragsschluss ihren gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegen oder der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort des Beklagten im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist.
3.204
Auch in Verbrauchersachen kann die internationale Zuständigkeit schließlich durch rügelose Einlassung nach Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ) begründet werden.629
3.205
623 Wieczorek/Schütze/Nordmeier, Brüssel Ia-VO, Art. 18 Rz. 12 f. 624 Vgl. K. Schaltinat, S. 102 ff.; N. Ganssauge, S. 65 ff. 625 BGHZ 190, 28 = ZIP 2011, 1382, 1383 (Rz. 19); Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 19 Rz. 22 ff. 626 Richtlinie 93/13/EWG v. 5.4.1993, ABl. EG Nr. L 95/29 v. 21.4.1993. 627 EuGHE 2000, I-4941 (Murciano Quintero) = EuZW 2000, 506; EuGHE 2009, I-4713 (Pannon) = RIW 2009, 628; dazu J. Heinig, EuZW 2009, 885; Th. Pfeiffer, NJW 2009, 2369. 628 Galič/Schwartze, unalex Kommentar, Art. 17 Brüssel I-VO Rz. 6 ff.; Rauscher/Staudinger, Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 629 EuGHE 2010, I-4545 (ČPP, Vienna Insurance Group v Bilas) = RIW 2010, 468 (dazu A. Staudinger, IPRax 2011, 548; A. Sperlich/S. Wolf, VersR 2010, 1101); OLG Koblenz, IPRax 2001, 334; Rauscher/Staudinger, Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 1 (Abs. 2); Musielak/ Voit/Stadler, Art. 26 EuGVVO Rz. 4; Wagner in Stein/Jonas, Art. 17 EuGVO Rz. 4; N. Ganssauge, S. 71 ff.; a.A. für Passivprozesse gegen den Verbraucher: P. Mankowski, IPRax 2001, 310, 312 ff.
161
§ 3 Rz. 3.206 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
12. Die Zuständigkeiten für individuelle Arbeitsverträge a) Schrifttum
3.206 V. Behr, Internationale Zuständigkeit in Individualarbeitsrechtsstreitigkeiten im Europäischen
Verfahrensrecht, GS W. Blomeyer, 2004, S. 15; R. Birk, Die internationale Zuständigkeit in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nach dem EuGVÜ, RdA 1983, 143; R. Bosse, Probleme des europäischen internationalen Arbeitsprozessrechts, 2007; Czernich/Geimer/Hausmann, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 2 A 3 III), 2017, S. 277; W. Däubler, Die internationale Zuständigkeit der deutschen ArbG, NZA 2003, 1297; Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011, S. 117; M. Franzen, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in Arbeitsverträgen, RIW 2000, 81; Th. Garber, Zum Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes i.S.d. Art. 19 Abs. 2 lit. a EuGVVO insb. bei der Verrrichtung der arbeitsvertraglichen Tätigkeit an Bord eines Schiffes, FS Kaissis, 2012, S. 221; Th. Garber, Zum Schutz des Arbeitnehmers in der Neufassung der Brüssel I-VO, FS Schütze, 2015, S. 81; A. Junker, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in Arbeitssachen, ZZPInt 1998, 179; A. Junker, Gewöhnlicher Arbeitsort und vorübergehende Entsendung im IPR, FS Heldrich, 2005, S. 719; A. Junker, Internationale Zuständigkeit für Arbeitssachen nach der Brüssel I-Verordnung, FS Schlosser, 2005, S. 299; A. Junker, Internationalprivat- und -prozessrechtliche Fragen des Arbeitnehmereinsatzes im Ausland, FS Kühne, 2009, S. 735; D. Leipold, Einige Bemerkungen zur Internationalen Zuständigkeit in Arbeitssachen nach Europäischem Zivilprozessrecht, GS W. Blomeyer, 2004, S. 143; P. Mankowski, Der gewöhnliche Arbeitsort im internationalen Privat- und Prozessrecht, IPRax 1999, 332; P. Mankowski, Internationale Zuständigkeit, in Dieterich/Neef/Schwab, Arbeitsrechts-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit V E (Stand 2007) Rz. 82 ff.; F. Mosconi, La giurisdizione in materia di lavoro nel regolamento (CE) n. 44/2001, FS Sonnenberger, 2004, S. 549; C. Müller, Die internationale Zuständigkeit deutscher ArbG und das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht, 2004; A. Nuyts, La compétence en matière de contrat de travail, in Fentiman, L’espace judiciaire européen, 1999, 33; K. Pateter, Der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsorts im europäischen Zivilund Zivilverfahrensrecht, in Clavora/Garber, Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, S. 139; L. Polivka, Die gerichtliche Zuständigkeit in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nach revidiertem Lugano-Übereinkommen, 2001; Th. Rauscher, Arbeitnehmerschutz – ein Ziel des Brüsseler Übereinkommens, FS Schütze, 1999, S. 695; Th. Simons, Gerichtsstand und Vertragsstatut im komplexen Arbeitsverhältnis, EuLF 2003, 183; C. Trenner, Internationale Gerichtsstände in grenzüberschreitenden Arbeitsstreitigkeiten, 2001; E. Tscherner, Der Gerichtsstand des entsandten Arbeitnehmers am vorübergehenden Arbeitsort, in Clavora/ Garber, Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, S. 157; A. Winterling, Die Entscheidungszuständigkeit in Arbeitssachen im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2006.
b) EuGVO/LugÜ
3.207 EuGVO und LugÜ 2007 regeln die internationale Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge in Abschnitt 5 (Art. 20–23 EuGVO n.F., Art. 18–21 EuGVO a.F./LugÜ). Die Regelung ist abschließend und verdrängt alle anderen Gerichtsstände mit Ausnahme der ausdrücklich zugelassenen Gerichtsstände nach Art. 6, 7 Nr. 5 u Art. 8 Nr. 1 u 3 EuGVO n.F. (Art. 4, 5 Nr. 5 und 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ).630
630 BAG, RIW 2010, 232, 234 (Rz. 40); Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO Art. 20 Rz. 36; Th. Simons, unalex Kommentar, vor Artt. 18–21 Brüssel I-VO Rz. 7.
162
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.209 § 3
Unter einem individuellen Arbeitsvertrag ist in autonomer Auslegung eine Vereinbarung zu verstehen, die eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit während einer bestimmten Zeit zum Gegenstand hat, bei der der Arbeitnehmer in einer bestimmten Weise in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist.631 Ob ein entsprechendes Unterordnungsverhältnis vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Geschäftsführer einer GmbH sind keine Arbeitnehmer, wenn sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen selbst bestimmen können632 oder wenn sie selbst erhebliche Gesellschaftsanteile besitzen und insoweit wiederum über ihre eigenen Rechte und Pflichten mit entscheiden.633 Entsprechendes gilt für Schiffskapitäne.634 Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind in keinem Fall Arbeitnehmer.635 Auch Scheinselbständige sind Arbeitnehmer.636 Handelsvertreter sind i.d.R. keine Arbeitnehmer. Anders ist es wohl bei Einfirmenvertretern ohne eigene Mitarbeiter.637
3.208
Unterschieden wird ähnlich wie in Verbrauchersachen zwischen der Klage des Arbeitnehmers und der des Arbeitgebers.638 Dem Arbeitnehmer wird die Rechtsverfolgung erleichtert. Nach Art. 21 EuGVO n.F. (Art. 19 EuGVO a.F./LugÜ) kann er den Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Mitglieds-/Vertragsstaat verklagen (1) vor den Gerichten des Staats, in dem der Arbeitgeber seinen Wohnsitz bzw. Sitz (i.S.d. Art. 62, 63 EuGVO n.F., Art. 59, 60 EuGVO a.F./LugÜ) hat, (2) in einem anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat vor dem Gericht des gewöhnlichen Arbeitsortes des Arbeitnehmers. Hat der Arbeitnehmer gewöhnlich nicht nur in einem Staat gearbeitet, kann er auch vor dem Gericht des Ortes klagen, an dem sich die Niederlassung, die ihn eingestellt hat, befindet oder befand. Ist der Arbeitnehmer ausgeschieden, kommt es auf den letzten gewöhnlichen Arbeitsort an. Kein Gerichtsstand besteht am Wohnsitz des Arbeitnehmers; freilich wird dieser Wohnsitz häufig im Zuständigkeitsbezirk des Arbeitsortes liegen.639
631 EuGH – C-176/96, ECLI:EU:C:2000:201 – Lehtonen u. Castors Braine (Rz. 45), RIW 2000, 552; EuGHE 1992, I-1027 (Raulin v Minister van Onderwijs en Wetenschappen); BAG, RIW 2010, 232, 235 (Rz. 40); Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO Art. 20 Rz. 80 ff., 87; Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 18 Brüssel I-VO Rz. 3. 632 EuGH, ECLI:EU:C:2019:310 – Peter Bosworth, RIW 2019, 503 (P. Mankowski); dazu Th. Garber, GPR 2019, 229. 633 EuGH, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie, RIW 2015, 816; Mayr/ Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.525; Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO Art. 20 Rz. 99 (ab Stimmrechtsmehrheit). 634 Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011, S. 125 ff. 635 Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.524. 636 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 20 Rz. 103. 637 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 20 Rz. 101. 638 Vgl. R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 46. 639 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 21 Rz. 2.
163
3.209
§ 3 Rz. 3.210 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.210 Arbeitgeber ist grundsätzlich derjenige, der den Arbeitnehmer auf vertraglicher Grundlage beschäftigt.640 Bei Leiharbeitnehmern ist auch der Entleiher als Arbeitgeber i.S.d. Art. 20 ff. EuGVO n.F. (Art. 18 ff. EuGVO a.F./LugÜ) anzusehen.641 3.211 Diese Gerichtsstände stehen auch dem Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers offen, es sei denn er mache die Ansprüche im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit geltend.642 3.212 Der Begriff des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ ist autonom auszulegen.643 Abzustellen ist auf den (aktuellen) Ort (in einem Staat), an dem der Arbeitnehmer den größten Teil seiner Arbeitszeit leistet.644 Bei überwiegender Arbeit im häuslichen Büro oder von dort aus, ist dies der gewöhnliche Arbeitsort.645 In Entsendefällen bleibt der Arbeitsort beim entsendenden Arbeitgeber erhalten; ggf. wird am Entsendeort ein zweiter Arbeitsvertrag geschlossen und daraus ein neuer Arbeitsort begründet.646 3.213 Das Bordpersonal von Flugzeugen hat seinen gewöhnlichen Arbeitsort im Flugzeug; abzustellen war nach Ansicht des BAG auf den Ort der einstellenden Niederlassung, nicht auf den Registerstaat des Flugzeugs.647 Der EuGH stellt dagegen besser auf den Ort ab, von dem aus der Arbeitnehmer seine Dienste erbringt, an den er danach zurückkehrt, an dem er seine Arbeit organisiert und an dem sich seine Arbeitsmittel befinden. Dieser Ort könne, müsse aber nicht mit der „Heimatbasis“ des Flugzeugs übereinstimmen.648 3.214 Arbeitet jemand als Seemann im Rahmen des internationalen Seeverkehrs, so ist primär auf die Flagge abzustellen, unter der das Schiff fährt.649 Bei einem Binnenschiffer hat das BAG überzeugender auf den Ort abgestellt, von dem aus immer die Arbeit angetreten wird.650 Bei Arbeitnehmern, die in Küstengewässern oder dem angrenzenden Festlandsockel arbeiten, ist auf den Staat abzustellen, zu dem beide gehören.651 640 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 20 Rz. 117. 641 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 20 Rz. 124 f. 642 Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.505; Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 20 Rz. 144 ff. 643 BAG, RIW 2010, 232, 235 (Rz. 44); Rauscher/Mankowski, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 8 ff.; Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 21 Rz. 17 ff., 57. 644 BAG, RIW 2010, 232, 235 (Rz. 46); Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 19 Brüssel IVO Rz. 11 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 19 EuGVO Rz. 8 ff. 645 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 21 Rz. 82. 646 Vgl. Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 21 Rz. 69 ff.; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 19 EuGVO Rz. 17 ff. 647 Vgl. BAG, NZA 2002, 734, 736 = IPRax 2003, 258 (a.A. M. Franzen, S. 239); Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 19 Brüssel I-VO Rz. 28. 648 EuGH – C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017: 688 – Nogueira (Rz. 61 ff.), EuZW 2017, 943 (B. Ulrici); vgl. Rauscher/Mankowski, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 41 ff.; Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 21 Rz. 85 ff., 110 f. 649 BAG, RIW 2010, 232, 235/6 (Rz. 47); zu Recht krit. Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 19 Brüssel I-VO Rz. 26 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 19 EuGVO Rz. 21 ff. 650 BAG, RIW 2011, 883, 885 (Rz. 27 ff.). 651 Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011, S. 150 ff., 159 ff.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.219 § 3
Arbeitet der Arbeitnehmer in mehreren Staaten (z.B. als Auslandskorrespondent), ist Arbeitsort der Ort, der den tatsächlichen Mittelpunkt der Berufstätigkeit bildet oder von dem aus er den wesentlichen Teil seiner Arbeitspflichten aus erfüllt.652 Da die bisherige Regelung bei Flugpersonal und Seeleuten dem beabsichtigten sozialen Schutzzweck nicht gerecht wurde, erweitert Art. 21 I lit. b (i) EuGVO n.F. die Gerichtspflichtigkeit des Arbeitgebers auf das Gericht des Ortes, „von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“ (Ort des Arbeitsantritts).
3.215
Befindet sich der Arbeitsort gewöhnlich nicht nur in ein und demselben Staat, fehlt es also insoweit an einem gewöhnlichen Arbeitsort, ist nach Art. 21 I lit. b (ii) EuGVO n.F. (Art. 19 Nr. 2 lit. b EuGVO a.F./LugÜ) auf den Ort der Niederlassung abzustellen, die den Arbeitnehmer eingestellt hat.653 Zuständigkeitsbegründend ist nur die einstellende Niederlassung, nicht die Niederlassung, bei der der Arbeitnehmer als Beschäftigter geführt wird.654
3.216
Hat der Arbeitgeber seinen Wohnsitz nicht in einem EU-Mitgliedstaat kann er nach Art. 21 II EuGVO n.F. gem. Art. 21 I lit. b am gewöhnlichen Arbeitsort, dem Ort des gewöhnlichen Arbeitsantritts oder am Ort der einstellenden Niederlassung verklagt werden. Dies gilt nicht im Anwendungsbereich von EuGVO a.F. und LugÜ.
3.217
Befindet sich der gewöhnliche Arbeitsort in einem Drittstaat, besteht ein Gerichtsstand nach Art. 21 I lit. a EuGVO n.F. (Art. 19 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) nur dann in der EU/einem EFTA-Staat, wenn der Arbeitgeber seinen Wohnsitz in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat hat.655 Eine Anknüpfung an Art. 21 I lit. b (ii) EuGVO n.F. (Art. 19 Nr. 2 lit. b EuGVO a.F./LugÜ) (Ort der einstellenden Niederlassung) steht nur offen, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig nicht nur in einem Staat arbeitet.656 Ansonsten muss der Arbeitnehmer in dem Drittstaat klagen.
3.218
Wird ein Arbeitnehmer für zwei Arbeitgeber tätig, so kann der erste Arbeitgeber auch an dem Ort verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer für den zweiten Arbeitgeber arbeitet, wenn der erste Arbeitgeber bei Abschluss des zweiten Vertrags ein Interesse an der Erfüllung dieses Vertrags hatte.657
3.219
652 EuGHE 1997, I-57 (Rutten v Cross Medical) = IPRax 1999, 365, 367 (Rz. 22 ff.) (dazu P. Mankowski, S. 332); öOGH, IPRax 2010, 71 (dazu F. Temming, S. 59); vgl. auch EuGHE 2011, I-1595 (Koeltzsch) (zu Art. 6 EVÜ). Ein Arbeitsort auf dem Festlandsockel vor einem Mitgliedstaat wird als Ort innerhalb des Hoheitsgebiets behandelt, so EuGHE 2002, I-2013 (Weber v Universal Ogden Services), IPRax 2003, 45 (dazu P. Mankowski, 21) = ZZPInt 7 (2002), 220 (A. Junker). 653 BAG, RIW 2010, 232, 236 (Rz. 51); Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 19 Brüssel IVO Rz. 31. 654 Vgl. EuGH – C-384/10, EuGHE 2011, I-13275 (Voogsgeerd) = ZIP 2012, 143 (zu Art. 6 II EVÜ); dazu P. Mankowski, EWiR 2012, 109; vgl. Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 21 Rz. 125 ff. 655 Wagner in Stein/Jonas, Art. 19 EuGVO Rz. 27. 656 Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 19 Brüssel I-VO Rz. 32. 657 EuGHE 2003, I-3573 (Pugliese v Finmeccanica), IPRax 2004, 336 (dazu S. Krebber, S. 309) = RIW 2004, 133 (P. Mankowski) = ZZPInt 8 (2003), 486 (A. Junker).
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§ 3 Rz. 3.220 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.220 Die Regelung der Art. 21 f EuGVO n.F. (Art. 19 f EuGVO a.F./LugÜ) ist halbzwingend: Von ihr kann durch Vereinbarung nur nach Entstehen der Streitigkeit oder zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden (Art. 23 Nr. 1 EuGVO n.F., Art. 21 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ)). Zulässig ist auch die Vereinbarung zusätzlicher Gerichtsstände für den Arbeitnehmer (Art. 23 Nr. 2 EuGVO n.F., Art. 21 Nr. 2 EuGVO a.F./ LugÜ). 3.221 Zum Schutz von in einen anderen EU-Staat entsandten Arbeitnehmern sieht Art. 6 der Entsende-Richtlinie 96/71/EG658 einen zusätzlichen Gerichtsstand (Art. 67 EuGVO) für Klagen des Arbeitnehmers (einschließlich der Sozialkassen)659 vor. In Deutschland ist Art. 6 durch das AEntG umgesetzt worden. § 15 AEntG in der Neufassung von 2009 lautet wie folgt: „Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes entsandt sind oder waren, können eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Erfüllung der Verpflichtungen nach den §§ 2, 8 oder 14 auch vor einem deutschen Gericht für Arbeitssachen erheben. Diese Klagemöglichkeit besteht auch für eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 5 Nr 3 in Bezug auf die ihr zustehenden Beiträge.“ Nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer können danach im Inland Klage erheben. Dadurch wird erreicht, dass sie die ihnen (ohne Rechtswahl) nach Art. 8 II Rom I-VO nach deutschem Recht zustehenden Ansprüche auch vor deutschen Gerichten einklagen können.660
3.222 Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer dagegen nur vor den Gerichten seines Wohnsitzstaats verklagen sowie auf Arbeitnehmerklage hin Widerklage erheben (Art. 22 EuGVO n.F., Art. 20 EuGVO a.F./LugÜ). Diese Widerklage kann auch auf eine Forderung gestützt werden, die der Arbeitgeber durch Abtretung nach Klageerhebung erworben hat.661 Eine Klage am gewöhnlichen Arbeitsort ist grds. unzulässig. Diese Regelung schützt den Arbeitnehmer stärker als bisher, wenn Wohnsitz und Staat des gewöhnlichen Arbeitsorts auseinanderfallen. Auch diese Regel ist halbzwingend. Von ihr kann wiederum durch Vereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit (s. Rz. 3.284) und nur zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden (Art. 23 EuGVO n.F.; Art. 21 EuGVO a.F./LugÜ). In einem Aufhebungsvertrag kann daher keine Gerichtsstandsvereinbarung für eine Streitigkeit aus diesem Vertrag geschlossen werden.662 658 Die Richtlinie (EU) 2018/957 v. 28.6.2018 (ABl. EU Nr. L 173/16) hat Art. 6 nicht geändert. 659 Geimer in Zöller, EuGVVO Art. 21 Rz. 7. 660 Schlachter in ErfK, 19. Aufl. 2019, § 15 AEntG Rz. 1. Dieser Gerichtsstand bleibt nach dem Brexit auch im Verhältnis zu Großbritannien für alle Verfahren anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit am 31.12.2020 begonnen werden (Art. 67 Nr. 1b des Austrittsvertrages). 661 EuGH – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 – Petronas Lubricants Italy, ZIP 2018, 1898 = IPRax 2019, 535 (dazu M. Brinkmann, S. 501); dazu F. Wilke, GPR 2018, 283, 285. 662 Wieczorek/Schütze/Temming, Brüssel Ia-VO, Art. 23 Rz. 12.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.228 § 3
Verstöße gegen diese Zuständigkeitsregeln sind nach Art. 35 I EuGVO a.F./LugÜ im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren unbeachtlich.663 Nach der Neufassung der EuGVO 2015 sind dagegen die Anerkennung und die Vollstreckung einer Entscheidung, die gegen die Arbeitnehmerschutzregeln verstößt, auf Antrag nach Art. 45 I lit. e (i), 46 EuGVO n.F. zu versagen.
3.223
Nach Art. 20 I EuGVO n.F. (Art. 18 I EuGVO a.F./LugÜ) gelten die Art. 20 bis 23 EuGVO n.F. (Art. 18–21 EuGVO a.F./LugÜ) nur vorbehaltlich der Art. 6 und Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 4 und Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ). Sie gelten also nicht, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat. Handelt es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, so können Klagen nach Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor dem Gericht des Ortes der Zweigniederlassung erhoben werden. Hat der Arbeitgeber in einem EU-Mitgliedstaat keinen Sitz, sondern nur eine Zweigniederlassung, so ist diese für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb als Wohnsitz zu behandeln (Art. 20 II EuGVO n.F.; Art. 18 II EuGVO a.F./LugÜ).664 Nach Art. 22 II EuGVO n.F. (Art. 20 II EuGVO a.F./LugÜ) kann die Gegenpartei zudem stets eine Widerklage gem. Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) erheben.
3.224
Die Neufassung der EuGVO erweitert den prozessualen Arbeitnehmerschutz auf Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat. Nach Art. 21 II EuGVO n.F. kann ein solcher Arbeitgeber (1) vor dem Gericht des (letzten) gewöhnlichen Arbeitsortes, des Orts des gewöhnlichen Arbeitsantritts oder (2) bei gewöhnlicher Arbeit in mehr als einem Staat vor dem Gericht verklagen, das für die einstellende Niederlassung zuständig ist (s.o. Rz. 3.209, 3.216).
3.225
Allerdings bleibt neben den Art. 20 ff. EuGVO n.F. (Art. 18 ff. EuGVO a.F./LugÜ) nach h.M. bei deliktischen Ansprüchen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) anwendbar.665
3.226
Klagt der Arbeitnehmer gegen mehrere Arbeitgeber, kann er diese nach Art. 20 I i.V.m. Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. am Wohnsitz/Sitz eines von ihnen gemeinsam verklagen. Dies gilt dagegen nicht im Anwendungsbereich von Art. 18 ff. EuGVO a.F./ LugÜ, da dort nicht auf Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ verwiesen wird.666
3.227
13. Gerichtsstandsvereinbarungen a) Schrifttum (1) Zu Brüssel Ia-Verordnung/Lugano Übereinkommen 2007: M. Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 242; M. Ah663 R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 47; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 332. 664 EuGH – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 – Mahamdia, IPRax 2013, 572 (dazu D. Martiny, S. 536). 665 Rauscher/Mankowski, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 7; a.A. Th. Rauscher, FS Schütze, 1999, S. 695, 706; nur für Ansprüche ohne Bezug zum Arbeitsverhältnis Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 20 Brüssel I-VO Rz. 4. 666 EuGHE 2008, I-3965 (Glaxosmithkline v Rouard) = RIW 2008, 559.
167
3.228
§ 3 Rz. 3.228 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen med, The Nature and Enforcement of Choice of Court Agreements, 2017; J. Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung?, 2017; J. Antomo, Verleitung zum Bruch einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung – deliktischer Schadensersatz und EuGVVO-Erfolgsort?, ZEuP 2018, 261; J. Basedow, Zuständigkeitsderogation, Eingriffsnormen und ordre public, FS Magnus, 2014, S. 337; I. Bergson, The death of the Torpedo action? The practical operation of the Recasts reforms to enhance the protection for exclusive jurisdiction agreements within the European Union, JPIL 11 (2015), 1; E.-M. Berling, Die Aufrechnung im internationalen Verfahren vor deutschen Gerichten, 2015; F. Berner, Prorogation drittstaatlicher Gerichte und der Anwendungsvorrang der EuGVVO, RIW 2017, 792; A. Briggs, What should be done about jurisdiction agreements?, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 311; Czernich/Geimer/Garber, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 2 A Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Brüssel I VO), 2017, S. 201; K. Danelzik, Die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen ZPO, EuGVVO und HGÜ, 2019; F. Dasser, Die Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen – eine Echternacher Springprozession?, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 21; R. Fentiman, Parallel Proceedings and Jurisdiction Agreements in Europe, in P. de Vareilles-Sommières, Forum shopping in the European Judicial Area, 2007, p. 27; Q. Forner-Delaygua, Changes to jurisdiction based on exclusive jurisdiction agreements under the Brussels I Regulation Recast, JPIL 11 (2015), 379; Ch. Fountoulakis, Das für die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung maßgebliche Recht, IHR 2018, 61; R. Freitag, Halbseitig ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen unter der Brüssel I-VO, FS Magnus, 2014, S. 419; M. Gebauer, Das Prorogationsstatut im Europäischen Zivilprozessrecht, FS v. Hoffmann, 2011, S. 577; M. Gebauer, Zur subjektiven Reichweite von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Schütze, 2015, S. 95; M. Gebauer, Gerichtsstands-vereinbarungen zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts, GPR 2016, 245; P. Gottwald, Internationale Vereinbarungen des Erfüllungsortes und des Gerichtsstandes nach Brüssel I und Den Haag, FS Ereciński, 2011, S. 1067; T. Hartley, Choice-of-court Agreements under the European and International Instruments, 2013; J. v. Hein, Wirtschaftsrechtlich bedeutende Neuerungen in der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung von 2012. Gerichtsstandsvereinbarungen und Abschaffung des Exequatur, in Hopt/Tsouganatos, Das Europäische Wirtschaftsrecht vor neuen Herausforderungen, 2015, S. 233; Ch. Heinze, Choice of Court Agreements, Coordination of Proceedings and Provisional Measures in the Reform of the Brussels I Regulation, RabelsZ 75 (2011), 581; B. Hess, Die Auslegung kollidierender Gerichtsstandsklauseln im europäischen Zivilprozessrecht, FS Prütting, 2018, S. 337; D. Hohmeier, Zur Privilegierung ausschließlicher Zuständigkeitsvereinbarungen durch die Brüssel Ia-VO, IHR 2015, 217; M. Keyes/B.A. Marshall, Jurisdiction agreements: exclusive, optional and asymmetrical, JPIL 11 (2015), 345; A. Kistler, Effect of exclusive choice-of-court agreements in favour of third states within the Brussels I Regulation Recast, JPIL 14 (2018), 66; U. Magnus, Gerichtsstandsvereinbarungen im Vorschlag zur Reform der EuGVO, FS v. Hoffmann, 2011, S. 664; U. Magnus, Gerichtsstandsvereinbarungen unter der reformierten EuGVO, FS Martiny, 2014, S. 785; P. Mankowski, Der Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen vor abredewidrigen Klagen durch Art. 31 Abs. 2 EuGVO n.F., RIW 2015, 17; L. Merrett, Interpreting non-exclusive jurisdiction agreements, JPIL 14 (2018), 38; J. Mohamed, Die Aufrechnung bei anderweitiger internationaler Gerichtszuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung, ZZPInt 22 (2017), 255; C. F. Nordmeier, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach der EuGVVO n.F. RIW 2016, 331; B. Nunner-Krautgasser, Die Neuregelung der ausschließlichen Gerichtstandsvereinbarungen in der EuGVVO, ZZP 127 (2014), 461; A. Nuyts, The enforcement of jurisdiction agreements further to Gasser and the Community principle of abuse of right, in P. de Vareilles-Sommìères, Forum shopping, 2007, p. 55; E. Peiffer/M. Weiler, Vertraglicher Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Gerichtsstandsund Schiedsvereinbarungen, RIW 2020, 321; L. Radicati di Brozolo, Choice of Court and Arbitration Agreements and the Review of the Brussels I Regulation, IPRax 2010, 121; T. Ratkovič/D. Zgrabljič, Choice of Court Agreements under the Brussels I Regulation (Recast), JPIL 9
168
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.228 § 3 (2013), 245; F. Ries, Der Schadensersatzanspruch wegen der Missachtung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung, 2018; D.-A. Simotta, Die Gerichtsstandsvereinbarung nach der neuen EuGVVO, IJPL 3 (2013), 49; D.-A. Simotta, Zur materiellen Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO), FS Schütze, 2015, S. 541; K. Weitz, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen und positive international Kompetenzkonflikte – ein Beitrag zum Änderungsentwurf der Brüssel I-Verordnung, IJPL 1 (2011), 337; K. Weitz, Verbesserung der Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Brüssel IA-Verordnung, FS Klamaris, Bd. 2, 2016, S. 941; M. Weller, Die „verbesserte Wirksamkeit“ der europäischen Gerichtsstandsvereinbarung nach der Reform der Brüssel I-VO, ZZPInt 19 (2014), 251; M. Weller, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Haager Übereinkommen – Brüssel I Reform, FS Schütze, 2015, S. 705; M. Weller, Validity and Interpretation of International Choice of Court Agreements: The Case for an Extended Use of Transnational Non-State Contract Law, FS Bonell, Bd. 1, 2016, S. 393; M. Weller, Choice of court agreements under Brussels Ia and under the Hague convention: coherences and clashes, JPIL 13 (2017), 91; W. Wurmnest, Die Einbeziehung kartellrechtlicher Ansprüche in Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Magnus, 2014, S. 567. (2) Zur Brüssel I-Verordnung: P. Beaumont/B. Yüksel, The Validity of Choice of Court Agreements under the Brussels I Regulation and the Hague Choice of Court Agreements Convention, Liber Amicorum Siehr, 2010, S. 563; M. Boccatoschi, Zuständigkeits- und Gerichtsstandsvereinbarungen im deutschen und italienischen Recht, 2005; A. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law (Chap. 7), 2008, S. 237; S. Fernández, Choice-ofcourt agreemeents: Breach and damages within the Brussels I regime, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 377; U. Frauenberger-Feiler, Der „reine Binnensachverhalt“, Art. 23 EuGVVO und der öOGH, FS Rechberger, 2005, S. 125; M. Gebauer, Das Prorogationsstatur im Europäischen Zivilprozessrecht, FS v. Hoffmann, 2011, S. 577; J. Heinig, Die AGB-Kontrolle von Gerichtsstandsklauseln – zum Urteil Pannon des EuGH, EuZW 2010, 885; J. Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010; N. Horn, Einwand des Rechtsmissbrauchs gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung i.S.d. Art. 23 EuGVO?, IPRax 2006, 2; J. Jungermann, Die Drittwirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ/EuGVO und LugÜ, 2006; M. Lehmann/A. Grimm, Zulässigkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 23 Brüssel I-VO, ZEuP 2013, 890; St. Leible/E. Röder, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, RIW 2007, 481. W. Lindacher, Internationale Gerichtsstandsklauseln in AGB unter dem Geltungsregime von Brüssel I, FS Schlosser, 2005, S. 491; B. Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, 2002; L. Merrett, The enforcement of jurisdiction agreements within the Brussels regime, ICLQ 55 (2006), 315; L. Merrett, Article 23 of the Brussels I Regulation: A Comprehensive Code for Jurisdiction Agreements?, ICLQ 58 (2009), 545; F. Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen, 2006; P. Mülbert, Gerichtsstandsklauseln als materielle Satzungsbestandteile, ZZP 118 (2005), 313; C. Parenti, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Lex fori oder lex causae Anknüpfung?, ZfRV 2003, 221; E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum – Gültigkeit und Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Rechtsverkehr, 2013; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 8.1; H. Roth, Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit nach Art. 25 EuGVVO und Prüfung von Amts wegen im deutschen Zivilprozess, IPRax 2019, 397; J. Samtleben, Der Art. 23 EuGVO als einheitlicher Maßstab für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Ansay, 2008, S. 343; S. Sánchez Fernández, Choice-of-Court Agreements: Breach and Damages within the Brussels I Regime, Yearbook PIL 12 (2010), 377; M. Schaper/C.-Ph. Eberlein, Die Behandlung von Drittstaaten-Gerichtsstandsvereinbarungen vor europäischen Gerichten – de lege lata und de lege ferenda, RIW 2012, 43; D.-A. Simotta, Wie ‚international‘ muss eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 EuGVVO ... sein, FS Yes-
169
§ 3 Rz. 3.228 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen siou-Faltsi, 2007, S. 633; M. Stürner, Gerichtsstandsvereinbarungen und Europäisches Insolvenzrecht, IPRax 2005, 416; M. Stürner, Schweigen als Zustimmung zu Gerichtsstandsklausel?, ZEuP 2012, 351, A. Torbus, Umowa jurysdykcyjna w systeme międzynarodowego postępowania cywilnego, 2012; F. Vischer, Der Einbezug deliktischer Ansprüche in die Gerichtsstandsvereinbarung für den Vertrag, FS Jayme, 2004, S. 993; R. Welter, Bankgeschäfte und Neuigkeiten zum Europäischen Internationalen Verfahrensrecht, FS Hadding, 2004, S. 1191. (3) Zu EuGVÜ/LugÜ: M. Gebauer, Zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei Vertragsketten, IPRax 2001, 471; P. Gottwald, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Henckel, 1995, S. 293; D. Haß, Zur internationalen Gerichtsstandsvereinbarung in einer Patronatserklärung, IPRax 2000, 494; E. Hernández-Breton, Internationale Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1993; Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem LugÜ, 1993; L. Killias, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen mittels Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben?, Liber discipulorum Siehr, 2001, S. 65; Y.-J. Kim, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, 1995; St. Kröll, Gerichtsstandsvereinbarungen aufgrund Handelsbrauchs im Rahmen des GVÜ, ZZP 113 (2000), 135; D. Leipold, Zuständigkeitsvereinbarungen in Europa, Symposium für Schwab, 2000, S. 51; B. Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit, 2002; P. Mankowski, Ist eine vertragliche Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen möglich?, IPRax 2009, 1; F. Mormann, Satzungsmäßige Gerichtsstandsklauseln für informationsbedingte Kapitalanlegerklauseln im europäischen Zuständigkeitsregime, AG 2011, 10; R. Nagel, Neue Anforderungen an internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, BKR 2002, 146; Th. Pfeiffer, Gerichtsstandsklauseln und EG-Klauselrichtlinie, FS Schütze, 1999, S. 671; Th. Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999 (§ 22); D. Rabe, Drittwirkung von Gerichtsstandsklauseln nach Art. 17 EuGVÜ, TranspR 2000, 389; Th. Rauscher, Gerichtsstandsbeeinflussende AGB im Geltungsbereich des EuGVÜ, ZZP 104 (1991), 271; H. Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, 1995; E. Sahpekidou, Substantive requirements and effects of jurisdiction agreements, in Fentiman, L’espace judiciaire européen, 1999, 69; I. Saenger, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ und LugÜ, ZZP 110 (1997), 477; I. Saenger, Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Sandrock, 2000, S. 807; I. Saenger, Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ in international handelsgebräuchlicher Form, ZEuP 2000, 656; J. Samtleben, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem EuGVÜ und nach der Gerichtsstandsnovelle, NJW 1974, 1590; J. Samtleben, Europäische Gerichtsstandsvereinbarungen und Drittstaaten – viel Lärm um nichts?, RabelsZ 59 (1995), 670; O. Sandrock, Die Prorogation der internationalen Zuständigkeit eines Gerichts durch hilfsweise Sacheinlassung des Beklagten, ZVerglRWiss. 1979, 77; M. J. Schmidt, Kann Schweigen auf eine Gerichtsstandsklausel in AGB einen Gerichtsstand nach Art. 17 EuGVÜ/LuganoÜ begründen?, RIW 1992, 173; O. Sieg, Internationale Gerichtsstandsund Schiedsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, RIW 1998, 102; Ch. Soulard, Les conditions de forme des clauses atributives de jurisdiction, in Fentiman, L’espace judiciaire européen, 1999, 57; U. Spellenberg, Die Vereinbarung des Erfüllungsortes und Art. 5 Nr. 1 des EuGVÜ, IPRax 1981, 25; M. Staehelin, Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Handelsverkehr Europas, 1994; E. Stöve, Gerichtsstandsvereinbarungen nach Handelsbrauch, Art. 17 EuGVÜ und § 38 ZPO, 1993; E. Vial, Die Gerichtsstandswahl und der Zugang zum internationalen Zivilprozess im deutsch-italienischen Zivilprozess, 1999.
b) Anwendungsbereich
3.229 Gerichtsstandsvereinbarungen müssen sich nach der EuGVO bzw. dem LugÜ auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis beziehen. Dieses kann bereits entstanden oder noch künftig sein, doch muss es ausreichend individualisiert sein. Dies soll verhindern, 170
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.230 § 3
dass Parteien in überraschender Weise mit einer Gerichtsstandsvereinbarung konfrontiert werden, die sie aus völlig anderem Anlass abgeschlossen haben.667 Generell erfasst eine Gerichtsstandsvereinbarung aber alle konkurrierenden Ansprüche (vertraglicher und/oder deliktischer Art, die sich aus einem bestimmten Geschäft ergeben. Eine Gerichtsstandsvereinbarung über vertragliche Ansprüche erfasst jedoch nicht eine Klage auf deliktischen Schadensersatz wegen eines rechtswidrigen Kartells. Eine in Lieferverträgen enthaltene Gerichtsstandsklausel erfasst dagegen auch Schadensersatzansprüche wegen Verstoß gegen Art. 101 AEUV668 oder Art. 102 AEUV.669 Im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen kann eine generelle Vereinbarung für Geschäfte einer bestimmten Gattung geschlossen werden.670 Eine in Kaufverträgen laufend abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung erfasst nicht eine Streitigkeit über das Bestehen eines Vertragshändlervertrages.671 Das wirksam vereinbarte Gericht ist auch zuständig, wenn die Parteien über die Wirksamkeit des Vertrags streiten, dessen Bestandteil die Gerichtsstandsvereinbarung ist.672 In Art. 25 V 2 EuGVO n.F. ist nunmehr ausdrücklich vorgesehen, dass die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung von der des Hauptvertrages unabhängig ist. Nach Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) kann ein konkretes, örtlich und international zuständiges Gericht vereinbart werden. Es genügt aber, lediglich die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Staats oder einer Stadt673 zu fixieren. Die örtliche Zuständigkeit ist dann nach dem nationalen Prozessrecht des prorogierten Staats zu bestimmen.674 Zulässig ist auch, alternativ die Zuständigkeit der Gerichte in mehreren Mitglied- bzw. Vertragsstaaten zu vereinbaren.675 Auch asymmetrische Vereinbarungen, die nur eine Vertragspartei binden, sind zulässig (s. Rz. 3.260).676 Über die Vereinbarung hinaus bedarf es keines besonderen Inlandsbezuges der Streitsache zu dem prorogierten Staat; Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23
667 EuGH – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 – Apple Sales International (Rz. 21), NJW 2019, 349 = JZ 2019, 139 (P. Mankowski). 668 EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide (Rz. 69, 72), JZ 2015, 1138 (A. Stadler) = IPRax 2016, 362 (dazu W.-H. Roth). 669 EuGH – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 – Apple Sales International (Rz. 26 ff.), NJW 2019, 349 = JZ 2019, 139 (P. Mankowski) = IPRax 2019, 524 (dazu K. Sirakova/P. Westerhoven, S. 493). 670 OLG Oldenburg, IPRax 1999, 458 (dazu P. Kindler/K. Haneke, S. 435); Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 63. 671 OLG Bamberg, IPRax 2015, 154 (dazu H. Wais, S. 127). 672 EuGHE 1997, I-3767 (Benincasa v Dentalkit) = JZ 1998, 896 (P. Mankowski); BGHZ 167, 83 (Rz. 15) = NJW 2006, 1672, 1673; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 114 f. 673 EuGH – C-222/15, ECLI:U:C:2016:525 – Höszig (Rz. 45 ff.), ZIP 2016, 1700. 674 LG Mainz, EWiR Art. 23 EuGVVO 1/05, 825 (S. Schulte-Hillen/M. Friedl); Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 66; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 12. 675 L. Killias, S. 108. 676 Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.669; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Brüssel Ia-VO, Art. 25 Rz. 82.
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3.230
§ 3 Rz. 3.230 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
EuGVO a.F./LugÜ) lassen daher die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes zu.677
3.231 (1) Auf reine Binnensachverhalte ist Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nicht anzuwenden.678 Vereinbaren zwei inländische Parteien die Zuständigkeit eines inländischen Gerichts, so richtet sich die Wirksamkeit dieser Vereinbarung nach § 38 ZPO.679 (Klagt allerdings eine Partei in diesem Fall prorogationswidrig in einem anderen EU-Mitgliedstaat, so ist die Wirksamkeit der Prorogation dort nach Art. 25 EuGVO n.F. zu beurteilen.680) Vereinbaren die im gleichen Mitgliedstaat wohnenden Parteien die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaats, so ist Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) einschlägig; ein Inlandsfall liegt nicht mehr vor.681 Die Parteien können durchaus ein berechtigtes Interesse an einer solchen Vereinbarung haben; diese ist daher nicht per se als Missbrauchsfall einzustufen.682 Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) ist bereits dann anwendbar, wenn nur der Sachverhalt selbst Auslandsbezug hat.683 3.232 (2) Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) ist auch dann anzuwenden, wenn die Prorogation eines Gerichts eines Mitgliedstaats zur Derogation der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats führt. Beispiel: Ein Deutscher mietet von einem anderen Deutschen einen Pkw. Sie vereinbaren die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts. Der Mieter verursacht mit dem Pkw in Frankreich einen Unfall. Der Deliktgerichtsstand von EuGVO bzw. LugÜ ist derogiert; die EuGVO bzw. das LugÜ sind dagegen anwendbar.684 3.233 (3) Nach der Neufassung der EuGVO findet Art. 25 EuGVO n.F. immer Anwendung, wenn die Parteien die Zuständigkeit eines Gerichts eines EU-Mitgliedstaates vereinbart haben, unabhängig davon, wo die Parteien ihren Wohnsitz haben. Erfasst
677 EuGHE 1980, 89, 97 (Zelger v Salinitri) = IPRax 1981, 89, 91; F. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, S. 275 ff.; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.667; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Brüssel IaVO Rz. 23, 70; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 66. 678 M. Aull, S. 103 ff.; L. Killias, S. 52 ff.; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.617; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 4; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 25 Rz. 6; P. Mülbert, ZZP 118 (2005), 313, 324; a.A. Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 23 Rz. 36 f. 679 J. Samtleben, FS Ansay, S. 343, 356 f. 680 J. Samtleben, FS Ansay, S. 343, 357. 681 M. Aull, S. 125 ff.; E. Jayme/M. Aull, IPRax 1989, 80; U. Frauenberger-Feiler, FS Rechberger, S. 125; J. Samtleben, FS Ansay, S. 343, 358; D. Simotta, FS Yessiou-Faltsi, S. 633, 655 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 4; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 19; a.A. öOGH, JBl 2004, 187 (abl Th. Klicka); OLG Hamm, IPRax 1999, 244 (dazu M. Aull, S. 226); L. Killias, S. 69. 682 So aber Ch. Thole, ZZP 122 (2009), 423, 444 f. 683 Th. Rauscher, IPR, Rz. 1936, 1942 f. 684 M. Aull, S. 113 ff.; Ch. Kohler, IPRax 1983, 266; L. Killias, S. 74 ff.; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1936; Geimer/Schütze, EuZPR Art. 23 Rz. 37.
172
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.235 § 3
werden nunmehr selbst Vereinbarungen, bei denen beide Parteien ihren Wohnsitz in einem Drittstaat haben.685 (4) Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ setzen dagegen noch voraus, dass mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem der Mitgliedstaaten hat. Schwierigkeiten bestehen nicht, wenn beide Parteien der Vereinbarung in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnen, zumal dadurch eine hinreichende Auslandsbeziehung besteht. Wohnen aber beide Parteien in demselben Mitgliedstaat und vereinbaren sie die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, so wird dadurch ebenfalls eine ausreichende Auslandsbeziehung geschaffen (s. Rz. 3.231). Von Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ wird auch der Fall erfasst, dass die „nationale“ Gerichtsstandsvereinbarung eine Zuständigkeit in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat derogiert.686 Danach ist die Regel auch dann anzuwenden, wenn eine in Deutschland ansässige Firma mit ihrem New Yorker Geschäftspartner einen Gerichtsstand in Deutschland vereinbart.687 Diese Ansicht wird durch Erwägungsgrund (8) zur EuGVO bestätigt. Den Vertretern der Gegenmeinung ist entgegenzuhalten, dass es bei EuGVO bzw. LugÜ auch um die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen unter den Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten geht. Im gegebenen Fall müsste das deutsche Urteil in anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten anerkannt werden, Art. 36 EuGVO n.F. (Art. 33 EuGVO a.F./LugÜ). Dafür spricht insb auch die Tatsache, dass die Formvorschriften für eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) strenger sind als nach § 38 ZPO. Das gegebene Beispiel lässt sich erweitern. Befindet sich der New Yorker Geschäftspartner der Bremer Firma vorübergehend in Bremen und schließen die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der die Bremer Gerichte zuständig sein sollen, so liegt kein reiner Binnenfall vor. Eine Auslandsbeziehung besteht in der Person des zufällig in Bremen anwesenden Geschäftspartners. Auch auf diesen Fall ist Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) anzuwenden, weil eine Partei im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsbzw. Vertragsstaats wohnt. Durch die Prorogation eines deutschen Gerichts muss also nicht immer die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats derogiert werden.688
3.234
(5) Vereinbaren die in den Mitgliedstaaten wohnenden Parteien die Zuständigkeit eines Gerichts, das keinem Mitglied- bzw. Vertragsstaat angehört, so findet Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nach dem klaren Wortlaut des
3.235
685 Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 4 ff. 686 Geimer/Schütze/Auer, IRV, Art. 17 Rz. 27. 687 EuGHE 2000, I-5925 (Group Josi Reinsurance) = NJW 2000, 3121 = IPRax 2000, 520 (dazu A. Staudinger, S. 483, 484); EuGHE 2000, I-9337 (Rz. 16 ff.) (Coreck Maritime v Handelsveem) = NJW 2001, 501 = ZIP 2001, 215; M. Aull, S. 164 ff.; Burgstaller/Ritzberger, Rz. 2.138; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5; M. Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rz. 110; Geimer/Schütze/Auer, Art. 17 Rz. 21; L. Killias, S. 54 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 2; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1938 f.; a.A. J. Samtleben, NJW 1974, 1593; Bork in Stein/Jonas, § 38 ZPO Rz. 24. 688 Ebenso D. Coester-Waltjen, FS Nakamura, S. 89, 112; a.A. B. Piltz, NJW 1979, 1071. So auch O. Sandrock/H. Jung, 810; wie hier: Geimer/Schütze, I 257 und 891.
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§ 3 Rz. 3.235 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Abs. 1 keine Anwendung. Die zuständigkeitsbegründende Wirkung richtet sich nach der lex fori des prorogierten Staats. Die Derogationswirkung richtet sich dementsprechend nach verbreiteter Ansicht nach der lex fori des derogierten Gerichts, doch sollte Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 III EuGVO a.F./LugÜ) auf die Derogation zugunsten von Drittstaatgerichten analog angewendet werden.689
3.236 Maßgeblicher Zeitpunkt für das Wohnsitzerfordernis ist primär der Zeitpunkt des Vertragsschlusses;690 es genügt aber, wenn die Voraussetzungen nachträglich bei Klageerhebung (oder noch genauer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung) vorliegen.691 Umgekehrt besteht allerdings kein Vertrauensschutz in die Wirksamkeit einer Prorogation, die der Form des Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nicht genügt.692 3.237 (6) Haben beide Parteien ihren Wohnsitz in einem Drittstaat fand Art. 23 I EuGVO a.F./LugÜ keine Anwendung, jedoch war die Derogationswirkung der Vereinbarung in jedem Mitglieds-/Vertragsstaat nach Art. 23 III EuGVO a.F./LugÜ zu beachten, solange das prorogierte Gericht über seine Zuständigkeit noch nicht entschieden und diese nicht verneint hat. Zulässigkeit und Wirksamkeit der Prorogation richteten sich insoweit dennoch nach autonomem Recht.693 Da Art. 25 I EuGVO n.F. auch die Vereinbarung von Parteien aus Drittstaaten erfasst, enthält die Neufassung der EuGVO keine entsprechende Regel mehr. 3.238 (7) Nach dem Inkrafttreten des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen (s. Rz. 3.400 ff.) beschränkt sich der Vorrang von Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) auf innergemeinschaftliche Sachverhalte (Art. 26 VI HGÜ); im Verhältnis zu Vertragsstaaten des HGÜ, die nicht der EU angehören, hat also das HGÜ Vorrang.694 3.239 (8) Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) schließt es aus, dass in ihrem Geltungsbereich hinsichtlich der Gerichtsstandsvereinbarungen auf Regelungen in den nationalen Zivilprozessgesetzen zurückgegriffen wird. Die Prorogationsfreiheit darf also nicht erweitert (wie z.B. nach § 38 I ZPO) noch darf sie beschränkt werden. Nach EuGH695 steht es den Mitgliedstaaten nicht frei, zusätzlich zu den Formvor689 Geimer in Zöller, Art. 25 EuGVVO Rz. 12a; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 14: Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 14; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 30; M. Schaper/C.-Ph. Eberlein RIW 2012, 43, 45 (S 48 für generell analoge Anwendung von Art. 23); auch J. Samtleben, FS Ansay, S. 343, 354 f.; zweifelnd Wieczorek/Schütze/Weller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 10 f. 690 R. Geimer, IZPR, Rz. 1645. 691 Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 11 (Klageerhebung); Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 123; P. Mülbert ZZP 118 (2005), 313, 325. 692 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 45 f. 693 D. Coester-Waltjen, FS Nakamura, S. 89, 112; J. Samtleben, FS Ansay, S. 343, 359 f.; M. Schaper/C.-Ph. Eberlein, RIW 2012, 43, 45; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 43. 694 Vgl. K. Kreuzer, RabelsZ 70 (2006), 1, 52 f. 695 EuGHE 1981, 1671 (Elefanten Schuh v Jacqmain) = IPRax 1982, 234.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.243 § 3
schriften des Übereinkommens – etwa durch Sprachvorschriften – weitere Formvorschriften festzulegen.696,697 Da Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) keinen Unterschied zwischen Gerichtsstandsvereinbarungen unter Kaufleuten und solchen unter Nichtkaufleuten macht, können zwei in Deutschland wohnende Nichtkaufleute die Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaats vereinbaren. Es wird auch nicht darauf abgestellt, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort nach Vertragsschluss ins Ausland verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr bekannt ist.
3.240
(9) Die Parteien können die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats oder ein konkretes Gericht vereinbaren. Haben sie nur generell die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats vereinbart, so ist die örtliche Zuständigkeit nach autonomem Recht zu bestimmen.698 Sieht dieses keine örtliche Anknüpfung vor, so wollen manche Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ) (rügelose Einlassung) analog anwenden.699 Den Parteien sollte aber eine feste örtliche Zuständigkeit vorgegeben werden. Deshalb sollte in diesem Fall eine örtliche Notzuständigkeit, in Deutschland etwa am Gericht der Hauptstadt bestehen.700
3.241
Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, ist autonom zu bestimmen. Danach sind statutarische Gerichtsstandsklauseln grds. zulässig.701 Die Satzung einer Aktiengesellschaft kann deshalb für Ansprüche der Aktionäre untereinander eine entsprechende „Vereinbarung“ enthalten.702 Zulässig soll es auch sein, in der Satzung einen Gerichtsstand für Streitigkeiten der Aktionäre gegen die Gesellschaft aus dem Erwerb, dem Halten oder der Aufgabe der Beteiligung eines Aktionärs zu regeln.703
3.242
Ob im Einzelfall eine wirksame Vereinbarung vorliegt, ist hinsichtlich Zulässigkeit, Form und Wirkung nach Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) (als der lex fori), hinsichtlich des Abschlusstatbestandes (Geschäftsfähigkeit, Vollmacht, Fehlen von Willensmängeln) und der Wirksamkeit der Vereinbarung dagegen grds. nach der kollisionsrechtlich zu bestimmenden lex causae zu beurteilen.704 Eine Ver-
3.243
696 Zustimmend D. Leipold, IPRax 1982, 124. 697 Zu internationalrechtlichen Problemen bei Prorogation und Derogation vgl. im Einzelnen G. Roth, ZZP 93 (1980), 156. 698 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 23 Rz. 145. 699 So D.-A. Simotta, FS Yessiou-Faltsi, 2007, S. 633, 652. 700 Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 23 Rz. 146. 701 Vgl. J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2011, S. 440 ff. 702 EuGHE 1992, I-1745 (Powell Duffryn v Petereit) = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (dazu H. Koch, IPRax 1993, 19); BGHZ 123, 347 = WM 1993, 2123; D. Karré-Abermann, ZEuP 1994, 138, 142; R. Bork, ZHR 157 (1993), 48. 703 P. Mülbert, ZZP 118 (2005), 313 ff. 704 P. Gottwald, FS Henckel, 1995, S. 293; L. Killias, S. 9 ff., 13 ff.; M. Staehelin, S. 159 ff., 178 ff.; Kropholler/v. Hein, Art. 23 Rz. 28; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23
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§ 3 Rz. 3.243 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
einbarung verlangt, dass die Gerichtsstandsklausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist.705 Keine Einigung liegt vor, wenn jede Seite auf ihre AGBs verweist, sich diese widersprechen und das Geschäft dennoch ausgeführt wird.706 Allerdings wurde z.T. aus der Rspr. des EuGH, aber auch aus der Angleichung des Art. 25 an das Haager Gerichtsstandsübereinkommen abgeleitet, dass Konsens- und Formfragen weitgehend verschmolzen sind und die Unterscheidung nicht aufrechterhalten werden kann.707 Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ verdrängt daher die lex causae auch für das Zustandekommen der Einigung zumindest in den Fällen der Gepflogenheiten zwischen den Parteien und der Handelsbräuche.708
3.244 Mit der neu gefassten EuGVO hat sich die Rechtslage geändert: Nach Erwägungsgrund 20 und Art. 25 I EuGVO n.F. entscheidet über die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung jetzt nicht mehr die frei vereinbarte lex causae, sondern das Recht (einschließlich des Kollisionsrechts) des gewählten Mitgliedstaats709 (s. Rz. 3.246). Nach diesem Recht richtet sich auch die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung.710 3.245 Die Kompetenz zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Vereinbarung stand bisher dem zuerst angerufenen Gericht zu (vgl. Art. 29 EuGVO n.F., Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ). Eine vorrangige Kompetenz-Kompetenz des (angeblich) vereinbarten Gerichts bestand nicht.711 3.246 Auch insoweit hat sich die Rechtslage mit Inkrafttreten der neu gefassten EuGVO geändert. Nach Erwägungsgrund 22 und Art. 31 II, III EuGVO n.F. hat das in der Vereinbarung als zuständig bezeichnete Gericht eine vorrangige Kompetenz, über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu entscheiden. Jedes andere angerufene Gericht hat sein Verfahren solange auszusetzen, bis das „vereinbarte Gericht“
705 706 707 708 709 710 711
176
Brüssel I-VO Rz. 50, 52 f.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 25 ff., 87 ff.; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 25 EuGVO Rz. 3; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 40 f.; J. Adolphsen, ZZPInt 4 (1999), 243, 246 f.; G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 384; vgl. Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und darauf anwendbares Recht, 2002. EuGH – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 25), RIW 2018, 206; EuGH – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 – Leventis u. Vafeias (Rz. 34), RIW 2017, 507 = IPRax 2018, 55 (dazu P. Schlosser, S. 22). Vgl. Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.639. Vgl. Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rz. 13 ff.; E. Bachofner/P. Grolimund in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Teil P Rz. 34. So St. Kröll, ZZP 113 (2000), 135, 143 ff.; I. Saenger, FS Sandrock, S. 807, 809 ff., 815 ff.; C. Parenti, ZfRV 2003, 221, 223; vgl. auch S. Kubis, IPRax 1999, 10, 11 f. Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO, Art. 25 Rz. 44 ff.; J. Basedow, FS Magnus, 2014, S. 337, 341; M. Weller, ZZPInt 19 (2014), 251, 259 ff; M. Weller, Essays in honour of Bonell, 2016, S. 393, 399. Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO, Art. 25 Rz. 20 ff. Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 126; vgl. E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum prorogatum, 2013.
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.249 § 3
entschieden hat, dass es nicht aufgrund der Vereinbarung zuständig ist (Art. 31 II EuGVO n.F.). Bejaht das vereinbarte Gericht seine Kompetenz, erklärt sich das vereinbarungswidrig angerufene Gericht für unzuständig (Art. 31 III EuGVO n.F.). Ein deutsches Gericht weist die Klage dann als unzulässig ab. Nach Erwägungsgrund 22 Abs. 2 EuGVO n.F. soll diese Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel, nach der das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entscheidet, aber nicht gelten, wenn die Parteien widersprüchliche ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen haben. Bei dem zweiten dort genannten Ausnahmefall, dass die Parteien das ausschließlich vereinbarte Gericht zuerst anrufen, ist evident, dass sich eine sinnvolle Lösung bereits aus der Anwendung von Art. 29 EuGVO n.F. ergibt.
3.247
c) Formvorschriften für Gerichtsstandsvereinbarungen Die Parteien können eine Gerichtsstandsvereinbarung in schriftlicher (1), in mündlicher, schriftlich bestätigter Form (2), in einer den Gepflogenheiten der Parteien entsprechenden Form (3) oder in einer Handelsbräuchen entsprechenden Weise (4) vereinbaren.712 Ist die Form eingehalten wird vermutet, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich besteht.713 Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist nur wirksam, wenn sie einer dieser Formen genügt.
3.248
(1) Schriftlichkeit Schriftlichkeit liegt vor, wenn in beiden Vertragserklärungen ein Hinweis auf die Gerichtsstandsabrede oder eine direkte Bezugnahme auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die Gerichtsstandsklausel vorsehen, enthalten ist,714 sofern die AGB der Gegenseite bei Vertragsschluss tatsächlich übermittelt waren.715 Unterschrieben müssen die Erklärungen nicht sein;716 die fehlende Unterschrift ist aber ein Indiz für fehlende Zustimmung.717 Dieselbe Sprache müssen die Parteien nicht verwenden, bei sachlichen Divergenzen der verschiedenen Sprachfassungen ist es allerdings Tatfrage, ob sich die Parteien geeinigt haben.718
712 Vgl. LG München I, IPRax 1996, 266 (dazu A. Trunk, S. 249). 713 EuGHE 2000, I-9937 (Coreck Maritime) = NJW 2001, 501; EuGHE 1992, I-1745 (Powell Duffryn) = NJW 1992, 1671, 1672; BGHZ 167, 83 = NJW 2006, 1672; vgl. R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 56, 61; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 41, 45. 714 EuGHE 1976, 1831 (Estasis Salotti v Rüwa) = RIW 1977, 104; BayObLG, ZIP 2001, 1564. 715 EuGH, ECLI:EU:C:2016:525 – Höszig (Rz. 39 f.), ZIP 2016, 1700. 716 BGH, MDR 2017, 382; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 62; a.A. Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Rz. 95 (entbehrlich, soweit technisch nicht möglich). 717 Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 88. 718 Vgl. Geimer/Schütze, Art. 23 Rz. 93, 125.
177
3.249
§ 3 Rz. 3.250 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.250 Nicht ausreichend ist die bloße Beifügung der AGB zu einem Vertragsangebot oder die mittelbare Verweisung auf ein Klauselwerk, das seinerseits erst die Gerichtsstandsklausel enthält und das Schweigen darauf.719 Es genügt aber, wenn im Vertragstext deutlich sichtbar auf die AGB Bezug genommen wird, die die Gerichtsstandsvereinbarung enthalten.720 Im Urkundentext selbst muss die Gerichtsstandsabrede nicht enthalten sein.721 Es genügt, wenn die Klausel in AGBs enthalten ist, die der Auftragsbestätigung beigefügt sind und diese vom Kunden unterschrieben oder nochmals gegenbestätigt wird.722 Keineswegs genügt es, dass die Gerichtsstandsklausel nur in der Erklärung einer Vertragspartei enthalten ist, ohne dass ihr die andere Vertragspartei zugestimmt hat.723 Die konkrete Textseite mit der Gerichtsstandsklausel muss nicht unterschrieben sein.724 Nicht der Schriftform genügt die mündliche Annahme der schriftlich vorliegenden Gerichtsstandsklausel.725 Eine Gerichtsstandsklausel in einem Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen ist nur dann schriftlich vereinbart, wenn der bei der Emission auf dem Primärmarkt unterzeichnete Vertrag ausdrücklich auf den Prospekt Bezug genommen hat oder die Übernahme der Klausel direkt vorsieht.726
3.251 Im kaufmännischen Verkehr wurde in Deutschland vielfach die Ansicht vertreten, die Beifügung des Textes der AGB, die die Gerichtsstandsklausel enthalten, sei entbehrlich, wenn sich der Gegner diesen Text unschwer beschaffen kann.727 Im internationalen Rechtsverkehr erscheint dies aber als nicht akzeptabel. Daher werden insoweit strengere Anforderungen gestellt: Die bloße Bezugnahme auf AGB, die auf einer Internetseite eingestellt sind, genügt nicht. Erforderlich ist die tatsächliche Übersendung oder Vorkenntnis im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung.728 Nach der Art der Gestaltung und Bezugnahme kann aber die Bezugnahme auf AGBs überraschend und dann auch bei autonomer Auslegung unwirksam sein.729 Der bloße Hinweis oder die Bezugnahme nur in der Annahmeerklärung führen dagegen
719 LG Düsseldorf, RIW 1996, 774 ff.; Rauscher/Mankowski/Magnus, Art. 25 Rz. 96 ff.; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1959. 720 EuGH – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 27), RIW 2018, 206; EuGH – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 – Hőszig (Rz. 39), ZIP 2016, 1700; BayObLG, RIW 2001, 699; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 67 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 59 f. 721 OLG Köln, NJW 1988, 2182. 722 Cour de Cass., 18.10.1994 [1996] ILPr 133; OLG Hamm, RIW 1994, 877, 878. 723 OLG Saarbrücken, IPRax 2018, 61 (Rz. 68) (dazu G. Schulze, S. 26). 724 Cour de Cass. [2001] ILPr 164. 725 BGH, IPRax 2019, 426 (Rz. 25 ff.) (dazu H. Roth, S. 397). 726 EuGH – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM (Rz. 26 ff.), RIW 2016, 357. 727 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31. 728 OLG Celle, RIW 2010, 164, 165 (S. Jungemeyer); R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74 ff.; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.651; großzügiger Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 92. 729 OLG Düsseldorf, RIW 1990, 577.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.254 § 3
nicht zu einer Vereinbarung und genügen nicht dem Erfordernis der Schriftform.730 Nicht genügt die mehrfache Lieferung von Waren auf Bestellungen des Käufers, auf deren Rückseite AGB mit Gerichtsstandsklausel abgedruckt waren.731 Keine Vereinbarung liegt vor, wenn die Gerichtsstandsklausel erst in übersandten Rechnungen enthalten ist.732 Nicht genügt auch die bloße Erklärung, man habe von den Klauseln der Gegenseite Kenntnis erhalten.733 Die auf einem Formular des Gläubigers abgegebene Bürgschaftserklärung des Bürgen enthält keine Erklärung des Gläubigers, auch wenn sein Stempel auf dem Kopf der Erklärung abgedruckt ist; eine Vereinbarung über einen in der Bürgschaftserklärung vorgesehenen Gerichtsstand liegt daher nicht vor.734 Die Bank muss die Bürgschaftsverklärung daher annehmen. Die Satzung einer Aktiengesellschaft ist dem schriftlichen Vertrag gleichgestellt. An eine darin enthaltene Gerichtsstandsklausel für Streitigkeiten zwischen AG und Aktionären ist jeder Aktionär gebunden, unabhängig davon, ob er der Klausel zugestimmt hat.735 In gleicher Weise kann der Gesellschaftsvertrag einer GmbH oder einer Kommanditgesellschaft eine Gerichtsstandsklausel für Streitigkeiten zwischen GmbH bzw. Kommanditgesellschaft und Gesellschaftern enthalten.736
3.252
Trust-Bedingungen stehen nach Art. 25 IV EuGVO n.F. (Art. 23 IV EuGVO a.F./ LugÜ) einer Vereinbarung gleich, so dass die Begünstigten ohne ihre Mitwirkung gebunden sind.
3.253
(2) Mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung (halbe Schriftlichkeit) Halbe Schriftlichkeit verlangt, dass der mündlichen Einigung über die Gerichtsstandsabrede eine schriftliche Bestätigung von einer (beliebigen) Seite nachfolgt.737 Diese Form ist damit nicht gewahrt, wenn eine Annahmeerklärung erstmals einen Bezug auf AGB enthält und anschließend Ware abgesendet und damit konkludent die Annahme angenommen wird.738 Sie ist auch nicht gewahrt, wenn der Kläger das
730 BGH, RIW 1994, 508, 509; vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33. 731 Vgl. M. Stürner, ZEuP 2012, 351. 732 EuGH; C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 27 ff.), RIW 2018, 206. 733 BGH, RIW 2004, 938, 939. 734 BGH, RIW 2001, 456, 457 = IPRax 2002, 124 (dazu krit. St. Kröll, S. 113); Kropholler/ v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 33; krit. R. Welter, FS Hadding, 2004, S. 1191, 1196 ff. 735 EuGHE 1992, I-1756 (Powell Duffryn v Petereit) = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (dazu H. Koch, S. 19); R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 78; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 49 ff. 736 Vgl. F. Mormann, AG 2011, 10, 19 ff. 737 Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO, Art. 25 Rz. 28; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 65; H. Heiss, ZfRV 2000, 202, 207 ff. 738 EuGHE 1976, 1851 (Segoura v Bonakdarian), NJW 1977, 495; BGH, BB 2004, 853 = NJW-RR 2004, 1292; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 91.
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3.254
§ 3 Rz. 3.254 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
schriftliche Angebot der anderen Seite konkludent annimmt.739 Nichts anderes gilt bei laufenden Geschäftsbeziehungen. Auch hier muss festgestellt werden, dass der Vertrag aufgrund der konkludenten, mit aus der Geschäftsbeziehung folgenden Einigung zu den AGB mit der Gerichtsstandsklausel abgewickelt werden sollte.740 Eine Gerichtsstandsklausel, die erstmals in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben enthalten ist, genügt dieser Form nicht, führt aber ggf. zu einer Einigung nach Handelsbrauch (s. Rz. 3.258).
3.255 Wird ein Vertrag mit schriftlicher Gerichtsstandsklausel nach Zeitablauf formlos festgesetzt, so ist die Gerichtsstandsklausel weiterhin wirksam, wenn der Vertrag nach dem anwendbaren Recht formlos verlängert werden kann oder wenn der mündlichen (konkludenten) Vereinbarung die schriftliche Bestätigung einer Seite nachgefolgt ist und der Gegner nicht widersprochen hat.741 (3) Den Gepflogenheiten der Parteien entsprechende Form
3.256 Nach der durch das 3. Beitrittsübereinkommen 1989 gefundenen Fassung, die in die EuGVO übernommen wurde, ist eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dann wirksam, wenn sie den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind. Diese Formulierung lehnt sich bewusst an Art. 9 I CISG (das UN-Kaufrecht) an. Gepflogenheiten entstehen innerhalb einer andauernden Geschäftsverbindung. Praktisch erfasst werden damit wohl regelmäßig nur die stillschweigende, mündliche Verlängerung einer abgelaufenen Vereinbarung (unter Einbeziehung der bisherigen AGB) sowie die Vereinbarung aufgrund Schweigens auf ein Bestätigungsschreiben.742 In Betracht kommt auch die konkludente Billigung des einseitig vom Gegner unterschriebenen Textes.743 Ob zwischen den Parteien Gepflogenheiten entstanden sind, ist unter Beachtung aller Umstände zu entscheiden. Auf eine solche Übung kann bei einer länger dauernden Geschäftsbeziehung vor allem dann geschlossen werden, wenn diese bisher auf der Grundlage von Musterbedingungen eines Verbandes etc abgewickelt wurden, die branchenüblicherweise verwendet werden.744 Die „Gepflogenheiten“ ersetzen in jedem Fall nur die Schriftform, nicht die Einigung der Parteien.745 Da der Nachweis entsprechender Gepflogenheiten im Einzelfall problematisch sein kann, empfiehlt es sich dringend, den Gerichtsstand eindeutig schriftlich zu vereinbaren. Der bloße wiederholte Abdruck einer Gerichtsstandsklausel auf Rechnungen allein genügt nicht, um eine Vereinbarung anzunehmen.746 739 D. Haß, IPRax 2000, 494, 495 gegen LG Berlin, IPRax 2000, 526. 740 BGH, RIW 1994, 508, 510; vgl. R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 82. 741 EuGHE 1986, 3337 (Iveco Fiat v Van Hool) = NJW 1987, 2155; Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 44, 50; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 46 ff. 742 L. Killias, S. 176 ff.; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Rz. 113. 743 LG Karlsruhe, RIW 2001, 702, 704; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 105. 744 Th. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271, 286. 745 BGH, RIW 2004, 938 = IPRax 2005, 338 (dazu W. Hau, S. 301); Th. Rauscher, IPR, Rz. 1965; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 93. 746 Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 74.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.258 § 3
(4) Vereinbarung nach Handelsbrauch Die ursprünglich allein vorgesehene Schriftform hatte zu praktischen Schwierigkeiten geführt. Deshalb wurde Art. 17 EuGVÜ a.F. durch das 1. Beitrittsübereinkommen ergänzt und im 3. Beitrittsübereinkommen neu gefasst. Danach konnte die Vereinbarung eines Gerichtsstands im internationalen Handel auch in einer Form erfolgen, die einem in der betreffenden Branche für Verträge dieser Art üblichen Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten. Diese Regel ist in Art. 25 I (c) EuGVO n.F. (Art. 23 I (c) EuGVO a.F./LugÜ) in übernommen worden.
3.257
Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben kann deshalb zu einer Vereinbarung führen, wenn der Handelsbrauch dem Schweigenden bekannt sein musste.747 Eine vertragsmodifizierende Wirkung hat das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben nach h.M. insb im Anwendungsbereich von Art. 9 II CISG.748
3.258
Nach Ansicht des EuGH kann das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das eine Gerichtsstandsklausel enthält, zu einer Vereinbarung nach Handelsbrauch führen, wenn eine entsprechende Bindung (1) einem Handelsbrauch im Bereich des internationalen Handelsverkehrs entspricht, (2) die Parteien in diesem Bereich tätig sind und (3) ihnen dieser Handelsbrauch bekannt ist oder als ihnen bekannt angesehen werden muss. Dies sei insb der Fall, wenn der Brauch in diesem Geschäftszweig allgemein befolgt wird. Die Kenntnis wird auch unterstellt, wenn die Parteien früher untereinander oder in dem Geschäftszweig mit anderen Partnern solche Geschäfte geschlossen haben, bei denen diese Übung befolgt wurde, das Verhalten also in dem Geschäftszweig als konsolidierte Praxis angesehen werden kann.749 Das entsprechende Parteiverhalten braucht nicht für bestimmte Länder oder gar alle EU-Staaten nachgewiesen werden. Relevant ist nur die internationale Übung; nationale oder regionale Besonderheiten sind nur dann beachtlich, wenn sie allgemein bekannt sind.750 Ob ein Handelsbrauch besteht ist Tatfrage, keine § 293 ZPO unterstellte Rechtsfrage.751 Bestätigt ein Kunde Bestellungen ausdrücklich unter Hinweis auf seine AGB, die unabänderlich seien und in klarer Weise eine Gerichtsstandsregelung enthalten, so kommt eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Handelsbrauch zustande, wenn der 747 E. Stöve, S. 121 ff.; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1972; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 103; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 77; krit. L. Killias, S. 184 ff. 748 E. Stöve, S. 125 ff.; vgl. P. Schlosser, FS Medicus, 1999, S. 543. 749 EuGHE 1997, I-911 (Mainschifffahrts-Genossenschaft v Le Gravières Rhénanes Sarl) = NJW 1997, 1431 = JZ 1997, 839 (H. Koch) = ZZPInt 2 (1997), 161 (P. Huber) = IPRax 1999, 31 (dazu S. Kubis, S. 10); EuGHE 1999, I-1597 (Trasporti Castelletti v Hugo Trumpy) = ZZPInt 4 (1999), 233 (J. Adolphsen); dazu auch I. Saenger, ZEuP 2000, 656; D. Girsberger, IPRax 2000, 87. 750 EuGH – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM (Rz. 48 f.), RIW 2016, 357; Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 55; Rauscher/Mankowski, Art. 23 Brüssel IVO Rz. 32. 751 Rauscher/Mankowski, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 32.
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§ 3 Rz. 3.258 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Lieferant nicht widerspricht; eine schriftliche Bestätigung seinerseits ist nicht erforderlich.752
3.259 Kraft Handelsbrauchs ist der Befrachter an eine Gerichtsstandsklausel in dem einseitig vom Verfrachter ausgestellten Konnossement gebunden.753 3.260 Die Aufnahme einer Gerichtsstandsklausel in einem Emissionsprospekt kann der Form eines internationalen Handelsbrauchs entsprechen, wenn die entsprechenden Marktteilnehmer eine solche Klausel allgemein und regelmäßig vereinbaren und dies als ständige Übung hinreichend bekannt ist.754 3.261 Dem Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben ist ein Schweigen auf eine modifizierte Annahmeerklärung („Auftragsbestätigung“) dagegen nicht gleichzusetzen.755 3.262 Schließlich kann ein Gerichtsstand gegebenenfalls nach Handelsbrauch auch durch Abdruck einer entsprechenden Klausel auf einer Faktura (Warenrechnung) vereinbart werden, wenn diese widerspruchslos entgegengenommen und honoriert wird. Anders als im deutsch-österreichischen Anerkennungsvertrag (s. Rz. 15.178) ist der österreichische Fakturengerichtsstand (§ 88 II JN) in der Liste zu Art. 76 I lit. a EuGVO n.F. (Anh I zu Art. 3 EuGVO a.F.) nicht als exorbitant ausgeschlossen worden. Sofern in der betreffenden Branche daher ein entsprechender Handelsbrauch besteht, kommt deshalb auch der Fakturengerichtsstand in Betracht.756 Auch ein Fall von Art. 25 I 3 lit. b EuGVO n.F. (Art. 23 I 3 lit. b EuGVO a.F./LugÜ) (s. Rz. 3.256) kommt in Betracht. 3.263 Wird behauptet, in einer bestimmten Branche sei es Handelsbrauch, dass ein schriftliches Angebot mit Gerichtsstandklausel mündlich angenommen werde, so hat das Gericht das Bestehen eines solchen Handelsbrauches von Amts wegen im Wege des Freibeweises zu klären.757 (5) Elektronischer Vertragsschluss
3.264 Art. 25 II EuGVO n.F. (Art. 23 II EuGVO a.F./LugÜ) stellt Vertragserklärungen, die elektronisch, etwa per E-Mail, übermittelt werden, ausdrücklich der Schriftform gleich, sofern die Art der Übermittlung eine dauerhafte Aufzeichnung der Verein752 Hanomag v Payant, Grenoble Court of Appeal, [1996] ILPr 71, 76. 753 Gottwald in MünchKomm, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 52; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 123; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 110; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1971; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 78; Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten under der EuGVVO, 2011, S. 85 ff. 754 EuGH – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM (Rz. 40 ff.), RIW 2016, 357. 755 BGH, RIW 1994, 508/10 = JR 1995, 456 (H. Dörner); R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 104. 756 E. Stöve, S. 171 ff. 757 BGH, MDR 2018, 781 (Rz. 34 f.) = IPRax 2019, 426 (dazu H. Roth, S. 397).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.266 § 3
barung ermöglicht.758 Dies gilt auch für durch „click wrapping“ einbezogene Geschäftsbedingungen, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten.759 Erforderlich ist nur, dass die E-Mail gespeichert und ausgedruckt werden kann; eine qualifizierte Übermittlung mittels Verschlüsselung oder elektronischer Signatur wird von Art. 25 II EuGVO n.F. (Art. 23 II EuGVO a.F./LugÜ) bzw. nicht verlangt.760 SMS und Sprachaufzeichnungen dürften der elektronischen Form dagegen nicht genügen.761 (6) Form nach CMR Auch wenn die Gerichtsstandsvereinbarung den Anforderungen des Art. 25 I EuGVO n.F. (Art. 23 I EuGVO a.F./LugÜ) nicht genügt, kann das angerufene Gericht doch aufgrund von Art. 31 des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) zuständig sein, weil die CMR gem. Art. 71 EuGVO (aF und n.F.) bzw. Art. 67 I LugÜ als lex specialis fortgilt.762 Danach bedarf es für eine Zuständigkeitsvereinbarung keiner besonderen Form. Eine deutsche Reederei machte die Unzuständigkeit der belgischen Gerichte geltend und berief sich auf eine in dem Konnossement enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung, wonach die deutschen Gerichte zuständig sein sollten. Das belgische Gericht führte aus, nach Art. 31 CMR könne der Kläger die Klage nicht nur vor den durch Parteivereinbarung bestimmten Gerichten, sondern auch vor den Gerichten des Staats erheben, in dem die Güter übernommen oder abgeliefert werden sollten. Von dieser Bestimmung könne gem. Art. 41 CMR nicht durch Parteivereinbarung abgewichen werden, die CMR gehe als „lex specialis“ vor.
3.265
d) Wirkungen der Vereinbarung Eine internationale Zuständigkeitsvereinbarung nach Art. 25 I 2 EuGVO n.F. (Art. 23 I 2 EuGVO a.F./LugÜ) führt grds. zu einer ausschließlichen Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbaren. Was gilt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Gleiches galt im Rahmen von Art. 17 I 1 LugÜ 1988.763 Hierfür sprach auch Art. 17 IV LugÜ 1988. War eine Gerichtsstandsvereinbarung nämlich nur zugunsten einer der Parteien getroffen worden, so behielt diese das Recht, jedes andere Gericht anzurufen, das aufgrund des LugÜ zuständig ist.764 Auch eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung, wonach eine Partei aus758 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 79; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 126 ff.; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 253 Rz. 129 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 86 ff. 759 EuGH – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 – El Majdoub (Rz. 40), RIW 2015, 432 = EuZW 2015, 565 (W. Wurmnest). 760 BGH v. 7.1.2014 – VIII ZR 137/13, IHR 2014, 56 (Rz. 4); Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.656. 761 Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rz. 33. 762 RIW/AWD 1976, 588; vgl. auch OLG Düsseldorf, RIW 1990, 752. 763 Vgl. EuGHE 1978, 2133 (Meeth v Glacetal) = RIW 1978, 814; P. Gottwald, IPRax 1987, 82. 764 Vgl. BGH, IPRax 1999, 246 (dazu G. Schulze, S. 229); LG Trier, IPRspr. 1975 Nr. 145; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 125.
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3.266
§ 3 Rz. 3.266 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
schließlich das vereinbarte Gericht, die andere Partei dagegen auch andere kompetente Gerichte anrufen kann, ist nach wie vor wirksam.765
3.267 Die Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung steht unter dem Vorbehalt der rügelosen Einlassung nach Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ).766 3.268 Art. 23 I EuGVO a.F./LugÜ regelt nicht, ob die Gerichtsstandsvereinbarung auch bei Unwirksamkeit des materiellen Hauptvertrags Bestand hat. In gleicher Weise wie bei einer Schiedsklausel ist auch von der rechtlichen Selbständigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung auszugehen.767 Art. 25 V EuGVO n.F. stellt dies nunmehr ausdrücklich klar (s. Rz. 3.229). 3.269 Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich im Anschluss an Art. 5 I Haager Gerichtsstands-Übereinkommen von 2005 nach Erwägungsgrund 20 und Art. 25 I 1 EuGVO n.F. nunmehr nach dem Recht des vereinbarten Mitgliedstaats (einschl. seines Kollisionsrechts) zu beurteilen. Für die EuGVO a.F. und das LugÜ wurde dagegen überwiegend materiell auf die lex causae des Hauptvertrages abgestellt; nur Zulässigkeit und Wirkungen sollten sich nach der jeweiligen lex fori richten (s. Rz. 3.243).768 Für das LugÜ wird allerdings auch die Ansicht vertreten, man solle Art. 25 I EuGVO n.F. bei der Auslegung des LugÜ berücksichtigen und auch insoweit ganz auf die lex fori prorogati abstellen.769 3.270 Die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich nach dem Recht des vereinbarten Forums (einschließlich dessen IPR).770 Sachlich erfasst die Gerichtsstandsvereinbarung nicht nur alle sich aus dem Hauptvertrag ergebenden Ansprüche einschließlich der Rückabwicklungsansprüche (auch bei Nichtigkeit des Hauptvertrags), sondern auch Deliktsansprüche und andere gesetzliche Ansprüche (etwa aus c.i.c.), die in sachlichem Zusammenhang mit dem Hauptvertrag stehen.771 Eine Gerichtsstandsklausel in einem Vertriebsvertrag erfasst daher auch Schadensersatzansprüche wegen Wettbewerbsverstößen nach Art. 102 AEUV, auch wenn diese nicht ausdrücklich einbezogen sind.772 Um Zweifel auszuschließen, empfiehlt sich aber eine weite Fassung der Gerichtsstandsvereinbarung.773 765 F. Dasser, FS Kren Kostkiewicz, 2018, 21, 26 ff.; H. Wais, RabelsZ 81 (2017), 815, 823 ff.; a.A. Cour de Cassation Rec. Dalloz 2012, 2318 (krit. dazu M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 890); vgl. B. A. Marshall, Imbalanced Jurisdiction Clauses under the Lugano Convention, ZEuP 2016, 515. 766 EuGHE 1981, 1671 (Elefanten Schuh v Jacqmain) = IPRax 1982, 234 (dazu D. Leipold, S. 222). 767 Geimer/Schütze, Art. 23 Rz. 94; R. Geimer, IZPR, Rz. 1674a. 768 H. Schack, IZVR, Rz. 495; vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 1677. 769 F. Ries, RIW 2019, 32, 35 f. 770 W. Wurmnest, FS Magnus, 2014, S. 567, 571 ff. 771 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 142 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 212 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 127. 772 EuGH – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 – Apple Sales International (Rz. 20 ff., 29 f.), NJW 2019, 349. 773 Vgl. F. Dasser, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 21, 30 ff.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.275 § 3
Die Gerichtsstandsvereinbarung verändert auch die Zuständigkeit zum Erlass von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, soweit diese Zuständigkeit auf der Hauptsachezuständigkeit aufbaut; lediglich davon unabhängige Eilzuständigkeiten bleiben unberührt.774 Nach Art. 35 EuGVO n.F. (Art. 31 EuGVO a.F./LugÜ) kann die Zuständigkeit für Eilmaßnahmen aber auch auf das nationale Recht gestützt werden. Insoweit sind in Deutschland alle Zuständigkeiten nach § 802 ZPO prorogationsfest.775
3.271
Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung schließt sinngemäß eine Widerklage vor einem anderen Gericht (vorbehaltlich der rügelosen Einlassung) aus.776
3.272
Nach wohl noch h.M. ist auch die Prozessaufrechnung mit einer aktiv in einem anderen Staat oder vor einem Schiedsgericht zu verfolgenden (streitigen) Forderung nur zulässig, wenn sich der Kläger auf die Aufrechnungsforderung rügelos einlässt. Die Aufrechnung mit einer streitigen, inkonnexen Gegenforderung ist danach nur zulässig, wenn das Prozessgericht dafür international zuständig ist.777 M.E. kann aus einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht ohne weiteres auf ein Aufrechnungsverbot geschlossen werden.778
3.273
Ein ähnliches Problem ergibt sich bei der Geltendmachung eines (streitigen) Zurückbehaltungsrechts, wenn ein anderer Staat für die Geltendmachung der Forderung, auf der das Zurückbehaltungsrecht beruht, zuständig ist.779
3.274
Eine Gerichtsstandsvereinbarung schließt eine Streitverkündung vor einem anderen Gericht nicht aus, zumal diese nach deutschem Recht nicht voraussetzt, dass das Ge-
3.275
774 Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 136 ff.; teilweise a.A. (Frage des nationalen Rechts) Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 224 f.; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 161 f. 775 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 98. 776 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 129 f.; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1981; offener R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 153 f (Frage der Auslegung). 777 BGHZ 149, 120, 127 ff. = JZ 2002, 605 (B. Hess/Müller); BGH, IPRax 1994, 115 (dazu R. Geimer, S. 82); OLG München, IPRax 2019, 314 (dazu P.-A. Brand, S. 294); Fasching/ Konecny/Simotta, § 104 JN Rz. 202 (rügelose Einlassung möglich); a.A. (zu Recht) LG Berlin, IPRax 1998, 97 (dazu M. Gebauer, S. 79); Schlosser/Hess/Schlosser, Vor Art. 4 EuGVVO Rz. 15; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 132 ff., 135; krit. D. Coester-Waltjen, FS G. Lüke, 1997, S. 35, 46 ff.; M. Kannengiesser, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, S. 145 ff., 181; P. Gottwald, IPRax 1986, 10; s. Rz. 3.152. 778 So auch R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 155 ff.; J. Mohamed, ZZPInt 22 (2017), 255; für Frage der Auslegung Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 226 f. 779 Vgl. OLG München, IPRax 2019, 314 (dazu P.-A. Brand, S. 294); W. Junge, Die Kognitionsbefugnis über Zurückbehaltungsrechte im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2016.
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§ 3 Rz. 3.275 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
richt für eine Entscheidung gegenüber dem Streitverkündungsempfänger zuständig ist.780
3.276 Die Gerichtsstandsvereinbarung begründet eine gerichtliche Zuständigkeit oder derogiert sie. Zweifelhaft war, ob sie auch ein schuldrechtliches Versprechen der Parteien enthält, vor keinem anderen Gericht zu klagen. Eine (auch aus der Sicht des angerufenen Gerichts) prorogationswidrige Klage führt auf Rüge oder im Fall der Säumnis (Art. 28 I, 31 II, III EuGVO n.F., Art. 26 EuGVO a.F./LugÜ) lediglich zur Klageabweisung. Bisher wurde überwiegend angenommen, die durch eine prorogationswidrige Klage entstandenen Kosten können daher grds. nicht als Schadenersatz geltend gemacht werden,781 soweit nicht eine Kostenerstattung nach der Prozessabweisung stattfindet. Zulässig sei aber eine zusätzliche Vereinbarung eines Kostenerstattungs- oder Schadenersatzanspruchs.782 Auch die zusätzliche Vereinbarung einer Vertragsstrafe sei zulässig.783 In Betracht komme u.U. auch ein Schadensersatzanspruch gegen den eigenen Rechtsanwalt, der zu einer Klage vor dem unzuständigen Gericht geraten hat.784 Mit Urteil v. 17.10.2019 hat der BGH aber nun entschieden, dass die Vereinbarung eines (ausschließlichen) inländischen Gerichtstands die Verpflichtung begründet, nur in diesem Gerichtsstand zu klagen. Werde vertragswidrig in den USA geklagt und die Klage dort als unzulässig ohne Kostenerstattung abgewiesen, so stehe der Partei ein materieller Kostenerstattungsanspruch nach § 280 I BGB zu.785 3.277 Unzulässig ist es innerhalb der EU, gegen den Kläger einer prorogationswidrigen Klage eine sog. anti-suit injunction zu erwirken (s. Rz. 6.301 ff.). Es ist allein Sache des angerufenen Gerichts, über seine Zuständigkeit zu befinden. Nach der Neufassung der EuGVO hat das prorogierte Gericht aber eine vorrangige KompetenzKompetenz; wird ein anderes Gericht angerufen, muss es sein Verfahren zunächst aussetzen (s. Rz. 6.213).
780 Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 237; a.A. Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 141. 781 Ebenso Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 147 ff., 151. AA aus englischer Sicht L. Merrett, ICLQ 55 (2006), 315; M. Ahmed, S. 222; vgl. J. Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung?, 2016; E. Peiffer, S. 429 ff.; Th. Pfeiffer, Die Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen durch Vereinbarung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs, FS Lindacher, 2007, S. 72; P. Schlosser, Materiell-rechtliche Wirkungen von (nationalen und internationalen) Gerichtsstandsvereinbarungen?, FS Lindacher, 2007, S. 111. Für Ersatzpflicht nach dem nach Rom I-VO bzw. Rom II-VO anwendbaren Recht R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 167 f. 782 P. Mankowski, IPRax 2009, 1; Th. Pfeiffer, FS Lindacher, 2007, S. 77. 783 Vgl. E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, S. 504. 784 Vgl. AMT Futures Ltd. v Marzillier, Dr. Meier & Dr. Guntner [2017] UKSC 13; F. Berner, IPRax 2019, 333; J. Antomo, ZEuP 2018, 261. 785 BGHZ 223, 269 = MDR 2020, 31 (Rz. 43) = RIW 2020, 64 (P. Mankowski) = EuZW 2020, 149 (J. Antomo).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.279 § 3
e) Subjektive Reichweite Die Vereinbarung bindet grundsätzlich nur die Vertragsparteien786 und ihre Rechtsnachfolger.787 Eine vom Schuldner wirksam geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung bindet auch den Insolvenzverwalter; keine Bindung besteht jedoch für neu entstandene Anfechtungsansprüche und für Masseverbindlichkeiten.788 Ein Gesamtschuldner ist nicht gebunden, auch nicht der Vertreter einer der Parteien.789 Ein Subunternehmer ist an eine Gerichtsstandsvereinbarung des Hauptunternehmers nicht gebunden; ein entsprechender Handelsbrauch besteht nicht.790 Bei Vertragsketten muss also in jedem Verhältnis eine besondere Vereinbarung geschlossen werden.791 Auch ein Versicherer ist nicht hinsichtlich des bereicherungsrechtlichen Rückgriffsanspruchs eines Darlehensgebers aus verbundenen Geschäften gebunden.792 Der Bürge ist nicht an eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner gebunden.793
3.278
Die Gerichtsstandsklausel in einem Konnossement ist allenfalls zwischen Frachtführer und Befrachter vereinbart, wenn beide sich über die Konnossementbedingungen (mit der Gerichtsstandsklausel) schriftlich geeinigt haben oder die Klausel Gegenstand einer früheren Vereinbarung war und das Konnossement des Verfrachters als schriftliche Bestätigung dieser Vereinbarung anzusehen ist oder wenn die Konnossementbedingungen im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen vereinbart waren.794 Doch kann die Gerichtsstandsklausel in einem Konnossement der Form internationaler Handelsbräuche genügen.795 Besonders wichtig ist, dass nach Handelsbrauch auch der Empfänger der Ware im Verhältnis zum Verfrachter an die Gerichtsstandsklausel im Konnossement gebunden ist. Nach Ansicht des EuGH ist der Drittinhaber des Konnossements an die zwischen Verfrachter und Befrachter vereinbarte Gerichtsstandsklausel aber nur gebunden, wenn er nach dem anwendbaren nationalen
3.279
786 EuGH – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden (Rz. 30), RIW 2018, 206; EuGH – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 – Refcomp (Rz. 29), IPRax 2013, 52; BGH, NJW 2019, 2780 (Rz. 30). 787 BayObLG, ZIP 2001, 1564; M. Gebauer, IPRax 2001, 471; J. Jungermann, S. 193 ff.; F. Mohs, S. 43 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 230; Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rz. 37; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 92. 788 Vgl. M. Stürner, IPRax 2005, 416. 789 EuGH – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 – Georgios Leventis, IPRax 2019, 55 (dazu P. Schlosser, S. 22). 790 F. Pulkowski, IPRax 2001, 306, 307; Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 63; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 129. 791 EuGH – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 – Refcomp, IPRax 2013, 552 (dazu M. Weller, S. 501). 792 BGH, NJW 2019, 2780 (Rz. 31). 793 Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rz. 37; Gottwald in MünchKomm/ ZPO, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rz. 60. 794 EuGHE 1984, 2417, 2433/3 4 (Tilly Russ v Nova) = RIW 1984, 909 (P. Schlosser). 795 EuGHE 1999, I-1597 (Trasporti Castelletti v Trumpy) = IPRax 2000, 119 (dazu D. Girsberger, S. 87); BGH, RIW 2007, 312; J. Kropholler/A. Pfeifer, FS Nagel, S. 157, 164; E. Stöve, S. 162 ff.
187
§ 3 Rz. 3.279 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Recht Rechtsnachfolger des Befrachters ist oder wenn er der Klausel selbst zugestimmt hat.796
3.280 Der Drittbegünstigte aus einem Vertrag zugunsten Dritter ist grds. ebenfalls ohne eigene Mitwirkung an die darin enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden.797 Für Versicherungsverträge ist dies in Art. 15 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 13 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) ausdrücklich vorgesehen.798 3.281 Gebunden ist schließlich der Dritte bei der action directe.799 3.282 Nicht gebunden ist der gesetzliche oder der rechtsgeschäftliche Vertreter einer Partei in eigener Person; der Vertreter kann sich auf die Vereinbarung auch nicht zu seinen eigenen Gunsten berufen.800 Dagegen wird teilweise die Ansicht vertreten, der falsus procurator sei selbst an den vollmachtlos vereinbarten Gerichtsstand gebunden; eine Berufung darauf, er habe nicht für sich gehandelt, sei arglistig.801 Bestehen oder Nichtbestehen einer Vertretungsmacht ändern zwar nichts daran, dass der Vertreter keine eigene Verpflichtungserklärung abgibt. Auch ist die Haftung nach § 179 BGB ist keine vertragliche, sondern eine gesetzliche Haftung. Dennoch ist der falsus procurator verpflichtet, den Vertrag so zu erfüllen, wie er ihn abgeschlossen hat. Dazu gehört die Gerichtspflichtigkeit am vereinbarten Ort. f) Beschränkungen der Prorogationsfreiheit
3.283 Nach Art. 25 IV EuGVO n.F. (Art. 23 V EuGVO a.F./LugÜ) haben Vereinbarungen bzw. entsprechende Trust-Bedingungen keine Wirkung, wenn sie gegen Art. 15, 19 und 23 EuGVO n.F. (Art. 13, 17 und 21 EuGVO a.F./LugÜ) verstoßen oder in ausschließliche Zuständigkeiten nach Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) eingreifen. Darüber hinaus bestehen keine sachlichen Prorogationsbeschränkungen. Auch für kartellrechtliche Streitigkeiten können daher Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen werden.802 796 EuGHE 2000, I-9337 (Coreck Maritime v Handelsveem) = NJW 2001, 501 = ZIP 2001, 215; Kropholler/v. Hein, Art. 23 Rz. 66 f.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 187 ff.; vgl. D. Rabe, TranspR 2000, 389; weitergehend für generelle Bindung des Dritten: E. Stöve, S. 170 f. 797 P. Mankowski, IPRax 1996, 427, 430 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 BGB Rz. 89; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 229; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 90, 94. 798 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 65; R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 136; s. aber EuGHE 2005, I-3707 (SFIP) (Rz. 42) = NJW 2005, 2135. 799 Cour de Cass. Rev.crit. 2000, 224; dazu M. Gebauer, IPRax 2001, 471; gegen eine Bindung J. Jungermann, S. 207 ff. 800 EuGH – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 – Georgios Leventis, IPRax 2018, 55 (dazu P. Schlosser, S. 22). 801 So Th. Rauscher, IPRax 1992, 146; R. Geimer, IZPR, Rz. 1730; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 160 (Bindung gem. Vertretungsstatut); a.A. J. Jungermann, S. 212 ff. 802 W. Wurmnest, FS Magnus, 2014, S. 567, 569 ff.
188
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.288 § 3
Gerichtsstandsvereinbarungen in Arbeitssachen sind nur noch eingeschränkt zulässig. In individuellen Arbeitsverträgen sind sie nur zulässig, wenn sie nach Entstehung der Streitigkeit getroffen werden oder wenn dadurch dem Arbeitnehmer ein zusätzliches Forum neben dem Wohnsitz des Beklagten oder dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts (Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F., Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) eingeräumt wird. Dies ergibt sich für die EuGVO n.F. aus Art. 23 Nr. 1, 25 IV bzw. für EuGVO a.F. und das LugÜ aus Art. 21, 23 V. Dieser Schutz gilt auch, wenn die Zuständigkeit der Gerichte eines Drittstaats vereinbart wird.803
3.284
Gerichtsstandvereinbarungen in Versicherungssachen sind nur im Rahmen von Art. 15 EuGVO n.F. (s. Rz. 3.169), Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbrauchersachen nur im Rahmen von Art. 19 EuGVO n.F. (s. Rz. 3.203 ff.) zulässig.
3.285
Da das Rechtsschutzsystem aller EU-Mitgliedstaaten als gleichwertig angesehen wird, ist etwa eine Gerichtsstandsvereinbarung, die die Gerichtstände nach Art. 7 Nr. 2 und Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 u. Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) ausschließt, nicht zu beanstanden.804
3.286
Streitig ist, ob und inwieweit der Anspruch der EU auf Beachtung zwingender materieller Normen des Gemeinschaftsrechts (z B nach der RiLi 86/653 v. 18.12.1986, ABl L 382/17 über selbständige Handelsvertreter) dazu führt, dass Vereinbarungen der Zuständigkeit eines Nicht-EU-Staats unwirksam sind.805
3.287
Sonstige nationale Prorogationsbeschränkungen finden innerhalb von Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) keine Anwendung.806 Eine Missbrauchskontrolle von europäischen Gerichtsstandsvereinbarungen anhand der §§ 305 ff. BGB findet nicht statt.807 Auch aus der EG-Klauselrichtlinie808 ergeben sich keine Schranken. Soweit sie Verbraucher betrifft, wurde sie bereits durch Art. 19 EuGVO n.F. (Art. 17 EuGVO a.F.) umgesetzt. Darüber hinaus ist die Regelung von Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nicht missbräuchlich.809 Jedoch sollte eine all-
3.288
803 R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 120; Magnus/Mankowski/ Magnus, Art. 25 Rz. 133; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 23 Brüssel Ia-VO Rz. 3; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 173. 804 EuGH – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC Hydrogen Peroxide, ZIP 2015, 2043, 2047 (Rz. 59 ff.). 805 Dafür A. Furrer, IZPR im Wandel – Quo vadis?, SJZ 98 (2002), 141, 143. 806 So zum BörsG: LG Darmstadt, IPRax 1995, 318 (dazu K. Thorn, S. 294, 298); P. Gottwald, FS Firsching, S. 103; Th. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271, 295 ff.; Schlosser/Hess/ Schlosser, Art. 25 EuGVO Rz. 32; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 34 ff. 807 Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 19; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 68 ff.; Geimer/Schütze, Art. 23 Rz. 72; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 118 ff.; vgl. G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 380 ff.; für eine Missbrauchskontrolle, wenn Rechtsschutz massiv erschwert oder unmöglich gemacht wird: H. Wais, RabelsZ 81 (2017), 815, 833 ff. 808 Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr l 95/29. 809 Th. Rauscher, IPR, Rz. 1933; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 EuGVO Rz. 39; a.A. R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 22, 121; s. Rz. 3.166.
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§ 3 Rz. 3.288 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
gemeine Missbrauchskontrolle gegenüber Gerichtsstandsvereinbarungen anhand eines gemein-europäischen Standards entwickelt und zugelassen werden.810 14. Die rügelose Einlassung 3.289 Schrifttum: R. Geimer, Unterwerfung des Beklagten als Basis internationaler Zuständigkeit,
FS Rechberger, 2005, 155; F. Koechel, Gegenstand und Reichweite der Europäischen Einlassungszuständigkeit, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 229; P. Mankowski, Besteht der europäische Gerichtsstand der rügelosen Einlassung auch gegen von Schutzregimes besonders geschützte Personen?, RIW 2010, 667; P. Mankowski, Neues beim europäischen Gerichtsstand der rügelosen Einlassung durch Art. 26 Abs. 2 EuGVVO n.F., RIW 2016, 245; Th. Richter, Die rügelose Einlassung des Verbrauchers im Europäischen Zivilprozessrecht, RIW 2006, 578; S. Röß, Rügelose Einlassung bei grenzüberschreitenden Verbrauchersachen, NJW 2018, 3745; S. Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im europäischen Zivilprozessrecht, 1994; D. Simotta, Zur Heilung der Unzuständigkeit in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (Art. 26 EuGVVO), ZVglRWiss 115 (2016), 95; M. Trenker, Der prozessuale Abwesenheitskurator, insb. im Kontext des europäischen Zivilprozessrechts, ZfRV 2013, 2; Th. Vogl, Das Schicksal von Schiedsklauseln bei rügeloser Einlassung auf den Prozess vor staatlichen Gerichten, RIW 2015, 269.
3.290 Die internationale Zuständigkeit wird schließlich durch rügelose Einlassung begründet (Art. 26 EuGVO n.F., bzw.Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ), wenn der Beklagte den Mangel der Zuständigkeit nicht in der Klageerwiderung geltend macht.811 Art. 26 I 2 EuGVO n.F. stellt klar, dass eine rügelose Einlassung nur in Fällen der ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 EuGVO n.F. ausscheidet. Die rügelose Einlassung hat dagegen Vorrang vor den Zuständigkeiten in Versicherungs-,812 Verbraucherund Arbeitsvertragssachen. Ein Verhandeln zur Hauptsache ist abweichend von § 39 ZPO nicht erforderlich. Durch die rügelose Einlassung wird das Gericht international zuständig; anders als nach der Doktrin vom „forum non conveniens“ oder nach Art. 6 schweiz. IPRG darf es seine Zuständigkeit nicht ablehnen.813 3.291 Soweit der Kläger eine Beklagtenrolle einnimmt, kann auch er sich rügelos einlassen, etwa auf eine nicht durch Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) gedeckte Widerklage oder auf eine Aufrechnung, wenn für die Aufrechnungsforderung ein anderes Gericht zuständig wäre. 3.292 Aus dem Wortlaut von Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ) ergibt sich nicht, ob die Parteien in einem oder mehreren Mitglied-/Vertragsstaaten wohnen müssen. Wegen des Sachzusammenhangs ist der Anwendungsbereich von Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ) in gleicher Weise wie der über die Gerichtsstandsvereinbarung auszulegen.814 Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./ 810 St. Leible/E. Röder, RIW 2007, 481; a.A. N. Horn, IPRax 2006, 2. 811 BGHZ 190, 28 (Rz. 35) = NJW 2011, 2809; BGH, MDR 2015, 1150 (Rz. 17). 812 EuGH – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Bilas, RIW 2010, 468 (dazu P. Mankowski, S. 667) = IPRax 2011, 580 (dazu A. Staudinger, S. 548). 813 EuGHE 2010, I-4545 (ČPP v Bilas) = RIW 2010, 468 = IPRax 2011, 580 (dazu A. Staudinger, S. 548). 814 Bork in Stein/Jonas, § 39 ZPO Rz. 15.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.295 § 3
LugÜ) ist danach auch dann anwendbar, wenn keine Partei ihren Wohnsitz/Sitz in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat hat.815 Da Art. 25 I EuGVO n.F. nunmehr auch die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen zwei Parteien aus Drittstaaten zugunsten eines Mitgliedstaats erfasst (s. Rz. 3.195), sollte Art. 26 I EuGVO n.F. auch jede rügelose Einlassung vor einem Gericht eines EU-Staats erfassen, auch wenn zuvor eine Prorogation zugunsten eines Drittstaats vereinbart war.816
3.293
Die rügelose Einlassung ist nach deutschem Verständnis von einer stillschweigenden Prorogation zu unterscheiden, weil eine Gerichtsstandsvereinbarung den ausdrücklichen Willen der Parteien voraussetzt.817 Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ behandelt die rügelose Einlassung dagegen als stillschweigende nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung, obwohl sie keinen Geschäftswillen des Beklagten voraussetzt.818 Die Einlassung zur Hauptsache betrifft immer nur die internationale, nicht auch die sachliche Zuständigkeit. In einem auslandsbezogenen Fall muss aber im Zweifel davon ausgegangen werden, dass der Beklagte mit dem Bestreiten der örtlichen Zuständigkeit auch die internationale Zuständigkeit meint819 und umgekehrt sich rügelos einlässt, wenn er die Rüge der örtlichen Zuständigkeit fallen lässt.820 Erhebt der Beklagte eine Schiedseinrede in einem international bezogenen Fall, bestreitet er im Zweifel auch die internationale Zuständigkeit des Gerichts.821
3.294
Eine rügelose Einlassung liegt vor, wenn der Beklagte sich gegenüber dem Gericht in irgendeiner Weise mündlich oder schriftlich verteidigt oder verhandelt, sofern er nicht zuvor (oder gleichzeitig) die internationale Zuständigkeit rügt.822 Diese Rüge muss nicht die primäre Verteidigung gegen die Klage sein; eine hilfsweise Einrede der Unzuständigkeit genügt.823 Eine Einlassung zur Hauptsache ist nicht erforderlich.824 Liegt eine rügelose Einlassung vor, so erstreckt sie sich auch auf eine nach-
3.295
815 Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 16 ff., 20; a.A. BGH, IPRax 1999, 367, 369 (krit dazu H. Dörner/A. Staudinger, S. 338, 340); Magnus/Mankowski/Calvo Caravaca/Carrascosa González, Art. 26 Rz. 30. 816 EuGH – C-175/15, ECLI:EU:C:2016:176 – Taser International (Rz. 31 f.), EuZW 2016, 558. 817 So zu Recht R. Geimer, WM 1977, 66; a.A. der Jenard-Bericht zu Art. 18 EuGVÜ. 818 Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 2; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 2 f. 819 BGH, IPRax 2006, 594 (dazu St. Leible/E. Sommer, S. 586); Gottwald in MünchKomm/ ZPO, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 7; a.A. Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 30 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 28. 820 BAG, NJW 2013, 252, 253. 821 So auch Geimer/Schütze/Auer, Art. 18 EuGVÜ Rz. 27; Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 26 Rz. 5. 822 OLG Frankfurt, IPRax 2000, 525 (dazu R. Kulms, S. 488, 493); OLG Düsseldorf v. 3.5.2011 – 24 U 183/10, juris; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.689. 823 EuGH – C-433/16, ECLI:EU:C:2017:550 – BMW v Acacia, RIW 2017, 584 = IPRax 2018, 198 (dazu F. Koechel, S. 165). 824 BGHZ 190, 28 (Tz. 35) = ZIP 2011, 1382, 1385; Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 5; Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 28.
191
§ 3 Rz. 3.295 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
trägliche Klageerweiterung. Bloße Ankündigungen, wie die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gem. § 276 I 1 ZPO, oder die Mitteilung von der Bestellung als Prozessbevollmächtigter für den Beklagten, sind noch keine Einlassung.825 Keine Einlassung liegt auch in discovery-Begehren des Beklagten.826 Keine Einlassung liegt schließlich in einem nach Klageerhebung vom Beklagten selbst gestellten Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (§ 485 ZPO), denn dieses ist bewusst als eigenständiges Verfahren konzipiert.827 Keine Einlassung liegt in einem PKH-Antrag des Beklagten.828 Auch ein Einspruch gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl ist nicht als rügelose Einlassung anzusehen, selbst wenn der Beklagte darin zur Hauptsache Stellung nimmt, ohne die Zuständigkeit des Gerichts zu rügen.829
3.296 Eine Einlassung liegt dagegen vor, wenn der Beklagte an einem Gütetermin (§ 278 II ZPO) teilnimmt, ohne die internationale Zuständigkeit zu rügen.830 Soweit der Güteverhandlung eine schriftliche Verteidigung ohne Rüge vorausging, erscheint dies unausweichlich. Eine Einlassung liegt auch vor, wenn der Beklagte den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Kläger und später den Antrag auf Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils stellt.831 An einer Einlassung fehlt es dagegen, wenn der Beklagte (ohne schriftliche sachliche Verteidigung) säumig bleibt.832 3.297 Jeder Beklagte kann sich rügelos einlassen. Dies gilt auch, wenn der Beklagte durch einen Nachlasspfleger (nach §§ 1960 I 2, 1961 deutsches BGB), nicht aber wenn er durch einen Abwesenheitskurator österreichischen Rechts (§ 116 öZPO)833 vertreten wird. 3.298 Nach Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ) muss die Zuständigkeitsrüge vor der sonstigen Stellungnahme abgegeben werden, die nach nationalem Recht als Verteidigungsvorbringen anzusehen ist.834 Nach h.M. wird damit im Detail durch die lex fori bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt die Rüge erfolgen kann oder ob sie ggf. präkludiert ist.835 Im deutschen Recht muss sie spätestens in der (ersten) Kla-
825 S. Schulte-Beckhausen, S. 151 ff., 166 ff.; Rauscher/Staudinger, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 4; Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 24. 826 S. Schulte-Beckhausen, S. 171. 827 A.A. S. Schulte-Beckhausen, S. 171. 828 S. Schulte-Beckhausen, S. 171 f. 829 EuGH – C-144/12, ECLI:EU:C:2013:393 – Goldbet Sportwetten, RIW 2013, 554 = IPRax 2014, 64 (dazu G. Koutsoukou, S. 44). 830 Rauscher/Staudinger, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 6 ff.; a.A. Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 29. 831 OLG Koblenz, IPRspr. 2009 Nr. 221, 546. 832 Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 39. 833 EuGH v. 11.9.2014 – C-112/13, RIW 2014, 824, 828 (Rz. 47 ff.), IPRax 2015, 337 (dazu F. Koechel, S. 303); a.A. M. Trenker, ZfRV 2013, 213. 834 EuGHE 1981, 1671/1686 (Elefanten Schuh v Jacqmain) = IPRax 1982, 234 (dazu D. Leipold, S. 222). 835 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 5; a.A. S. Schulte-Beckhausen, S. 186 (EuGVÜ legt Zeitpunkt autonom fest).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.302 § 3
geerwiderung erfolgen.836 Die Rüge ist danach bereits im schriftlichen Vorverfahren zu stellen. Es ist aber zweifelhaft, ob sie nach §§ 282 III, 296 III ZPO vor einer Einlassung präkludiert sein kann.837 Vor dem AG trat die Einlassungs-Wirkung nach Art. 24 EuGVO a.F./LugÜ auch ein, wenn das Gericht nicht gem. § 504 ZPO auf seine Unzuständigkeit hingewiesen hat.838 Die Neufassung der EuGVO verbessert dagegen den Schutz schwächerer Parteien vor einer rügelosen Einlassung. Nach Art. 26 II EuGVO n.F. tritt eine rügelose Einlassung in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsvertragssachen nur noch ein, wenn die „schwächere“ Partei zuvor über die Unzuständigkeit des Gerichts und die Folgen einer unterlassenen Rüge belehrt wurde.839 Wurde die Belehrungspflicht verletzt, tritt keine rügelose Einlassung ein. Die Belehrung kann aber später, auch noch in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden.840
3.299
Erlässt das erstinstanzliche Gericht trotz Zuständigkeitsrüge eine Sachenentscheidung, muss ein Beklagter die internationale Zuständigkeit in zweiter Instanz erneut rügen, wenn er eine rügelose Einlassung vermeiden will.841
3.300
Hilfsweise Stellungnahmen zur Hauptsache begründen keine rügelose Einlassung.842 Bereits zu dem missverständlichen Wortlaut des Art. 18 Satz 2 LugÜ I („nur“) hat der EuGH klargestellt, dass ein vorsorgliches Bestreiten zur Hauptsache neben der vorrangigen Zuständigkeitsrüge nicht schadet.843 Eine vorbehaltlose Einlassung liegt auch nicht vor, wenn die Zuständigkeitsrüge zuvor endgültig zurückgewiesen wurde.844 In dem neu gefassten Art. 26 I EuGVO n.F. (Art. 24 Satz 2 EuGVO a.F./LugÜ) fehlt das Wort „nur“, so dass das hilfsweise Einlassen zur Hauptsache keinesfalls schaden kann.
3.301
Eine rügelose Einlassung des Beklagten begründet die internationale Zuständigkeit auch, wenn die Parteien eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung845 oder eine
3.302
836 OLG Hamm, RIW 1999, 540; ebenso in Österreich Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.689. 837 Vgl. S. Schulte-Beckhausen, S. 191 ff. 838 AG Düsseldorf, 25 C-467/18 (Rz. 22), BeckRS 2019, 30290; Gottwald in MünchKomm/ ZPO, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 5; Wieczorek/Schütze/Weller, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 5; Rauscher/Staudinger, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 28 ff. 31. 839 Vgl. S. Röß, NJW 2018, 3745; Rauscher/Staudinger, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 22 ff.; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.685. 840 S. Röß, NJW 2018, 3745, 3749. 841 BGHZ 173, 40 = RIW 2008, 156, 157; Rauscher/Staudinger, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 20; Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 27; zu Recht ablehn Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 32. 842 BGH, RIW 2005, 776, 777; BGH, NJW 1999, 2442; S. Schulte-Beckhausen, S. 206 ff.; Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 35 ff. 843 Ebenso EuGHE 1981, 2431 (Rohr v Ossberger) = IPRax 1982, 238 (zustimmend D. Leipold, S. 223). 844 Tribunale di Pinerolo, RIW/ADW 1976, 107. 845 Rauscher/Staudinger, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 12; Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 49 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 37.
193
§ 3 Rz. 3.302 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Schiedsvereinbarung geschlossen hatten oder wenn ein Gericht nach den Art. 10 ff., 17 ff., oder 20 ff. EuGVO n.F. (Art. 8 ff., 15 ff. oder 18 ff. EuGVO a.F./LugÜ) zuständig wäre.846. Die rügelose Einlassung hat jedoch keine Wirkung, wenn ein anderes Gericht aufgrund von Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) ausschließlich zuständig ist.847 15. Die ausschließlichen Zuständigkeiten
3.303 Schrifttum: L. Barnich, Les droits réels immobiliers et les locations de vacances, in Fentiman,
L’espace judiciaire européen, 1999, 85; Ph. Bauer, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Klagen, 2000; D. P. Fernández Arroyo, Compétence exclusive et compétence exorbitante dans les relations privées internationales, Rec. d. Cours 323 (2006), 9; H. Grothe, Internationale Gerichtsstände für Klagen gegen internationale Sportverbände aufgrund von Dopingsperren, FS v. Hoffmann, 2011, S. 601; U. Haas, Keine internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Klagen gegen die „Sperre“ eines Trainers durch einen ausländischen Verband?, zak 16/2007, 309; G. Hager/F. Hartmann, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, IPRax 2005, 266; N. Hölder, Grenzüberschreitende Durchsetzung Europäischer Patente, 2004; R. Hüßtege, Ferienwohnungen im Ausland als Spielball der Gerichte, IPRax 2001, 31; R. Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, 2005, S. 21 ff.; T. Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit für Immaterialgüterrechte, 2013; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2016; St. Leible/M. Müller, Internationale Zuständigkeit für Klagen aus Time-Sharing-Verträgen, NZM 2009, 18; P. Mankowski, Timesharing und internationale Zuständigkeit am Belegenheitsort, EWS 1996, 177; P. Mankowski, Internationale Zuständigkeit in Timesharing-Fällen – ein Dauerbrenner, NZM 2007, 671; P. Mankowski, Klagen um Organisationsgeschäfte von Gesellschaften (Art. 22 Nr. 2 EuGVVO), FS Simotta, 2012, S. 351; P. Mankowski, Orthodoxes und Häretisches zum Umfang der ausschließlichen Zuständigkeiten aus Art. 24 Nr. 4 und Nr. 3 EuGVVO bei registrierten IP-Rechten mit Blick auf Prätendentenstreitigkeiten, IPRax 2018, 355; H. Prütting, Der Fall Weber des EuGH und der dingliche Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 1 EuGVVO, FS Coester-Waltjen, 2015, S. 631; H. Schack, Abwehr grenzüberschreitender Immissionen im dinglichen Gerichtsstand?, IPRax 2005, 262; I. C. Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011; D. Solomon, Der Immobiliargerichtsstand im Europäischen Zuständigkeitsrecht, FS v. Hoffmann, 2011, S. 727; A. Staudinger, Ferienhausmiete im Ausland: Sind der inländische Verbraucherschutzgerichtstand und das Pauschalreiserecht „out“?, NZM 2011, 257; S. Ch. Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018; B. Ubertazzi, Exclusive Jurisdiction in Intellectual Property, 2012; Vivant, Das EuGVÜ und die gewerblichen Schutzrechte, RIW 1991, 26;. S. 104 ff.; R. Wagner/Y. Diehl, Internationale Zuständigkeit bei der Miete ausländischer Ferienhäuser, GPR 2014, 230; Ch. Wenner, Grundstückseigentum im Ausland – Gerichtsstand im Inland?, FS Jagenburg, 2002, S. 1013.
3.304 Die in Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeiten sind zwischen den Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten abschließend. Soweit nach dem nationalen Recht des jeweiligen Vertragsstaats weitere aus846 Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 38 f.; Queirolo/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 51 ff. Zur rügelosen Einlassung in Versicherungssachen EuGHE 2010, I-4545 (Vienna Insurance v Bílas) = RIW 2010, 468 (ablehnend P. Mankowski, RIW 2010, 667); in Verbrauchersachen s. Th. Richter, RIW 2006, 578; in Arbeitssachen BAG, RIW 2008, 726. 847 Kropholler/v. Hein, Art. 24 Rz. 16; Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 EuGVO Rz. 36.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.306 § 3
schließliche Zuständigkeiten bestehen, sind diese im europäischen Rechtsraum nicht mehr anzuwenden. Die Ausschließlichkeit der Zuständigkeiten nach Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) schließt Klagen im Wohnsitzgerichtsstand (Art. 4 EuGVO n.F., Art. 2 EuGVO a.F./LugÜ), sinngemäß aber auch Klagen im Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F., Art. 5 Nr. 1 EuGVO a.F./ LugÜ), Zuständigkeitsvereinbarungen und die rügelose Einlassung in diesem Bereich aus.848 Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) ist stets anwendbar, unabhängig davon, ob der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat oder in einem Drittstaat hat. Denn im Eingangssatz von Art. 24 EuGVO n.F. heißt es ausdrücklich: „Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien ...“. bzw. in Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ: „Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig ...“849 Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) regelt nur die internationale Zuständigkeit; die örtliche Zuständigkeit wird durch das autonome nationale Recht bestimmt.850
3.305
a) Der dingliche Gerichtsstand Erfasst sind zunächst Klagen wegen dinglicher Rechte an einer unbeweglichen Sache. Ob dies der Fall ist, ist nicht nach der jeweiligen lex rei sitae, sondern autonom rechtsvergleichend zu bestimmen.851 Auch registrierte Schiffe sind keine unbeweglichen Sachen in diesem Sinne.852 Da die Regel eine ausschließliche Zuständigkeit begründet und zur Folge haben kann, dass in einem Staat zu klagen ist, in dem keine Partei ihren Wohnsitz hat, ist die Anknüpfung eng auszulegen.853 Sie erfasst nicht alle Klagen, die national dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, sondern nur solche, die darauf gerichtet sind, Umfang oder Bestand der 848 EuGHE 1977, 2383 (Sanders v van der Putte) = RIW 1978, 336; Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 3; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 1; A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Vor Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 5; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.548; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 3; A. Staudinger, NZM 2011, 257, 261. 849 Vgl. D. Coester-Waltjen, FS Nakamura, S. 89, 102 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 5; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 24 Rz. 15; Fasching/Konecny/Simotta, § 83 JN Rz. 18; a.A. Choudhary v. Bhatter, English CA [2010] I.L.Pr. 130, 144 (Rz. 38 ff.). 850 Rauscher/Mankowski, (2016), Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 10; Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 1; Schütze, Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 2; Walter/Domej, IZPR der Schweiz, S. 263. 851 EuGHE 2006, I-4557 (Land Oberösterreich v Č EZ) = RIW 2006, 624; EuGHE 1990-I, 27, 41 (Rz. 8) (Reichert v Dresdner Bank) = IPRax 1991, 45 (dazu P. Schlosser, S. 29); EuGHE 2001, I-2771 (Gaillard v Chekili) = EWS 2001, 451; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1908; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.558; a.A. (Recht des Lagestaates) Rauscher/Mankowski, (2016), Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 12. 852 Rauscher/Mankowski, (2016), Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 16; Ph. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO, 2011, S. 236 ff. 853 EuGHE 2000, I-393 (Rz. 21) (Dansommer v Götz) = NJW 2000, 2009 = EWS 2000, 173 = IPRax 2001, 41 (dazu R. Hüßtege, S. 31) = ZZPInt 5 (2000), 240 (Th. Rauscher).
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3.306
§ 3 Rz. 3.306 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
unbeweglichen Sache, das Eigentum, den Besitz oder das Bestehen anderer dinglicher Rechte hieran zu bestimmen und den Inhabern dieser Rechte den Schutz der mit ihrer Rechtsstellung verbundenen Vorrechte zu sichern.854 Die Klage muss auf das dingliche Recht an der Sache, nicht auf einen persönlichen Anspruch gegen den Schuldner gestützt sein.855 Erfasst ist die Herausgabeklage aus Eigentum, nicht dagegen die Herausgabeklage zur Erfüllung eines Grundstückskaufvertrags,856 auch nicht eine auf Eigentumsverletzung gestützte Beseitigungs- oder Schadensersatzklage,857 insb nicht eine Immissionsabwehrklage.858 Bei einem dinglichen Vorkaufsrecht sind nach Ansicht des EuGH der Streit um seine wirksame Ausübung und der Streit zwischen Verkäufer und Vorkaufsberechtigtem um den Inhalt des Kaufvertrages mit dem Dritten erfasst.859 Erfasst ist auch der Antrag auf Auflösung einer Miteigentümergemeinschaft an einer unbeweglichen Sache durch Verkauf durch einen Treuhänder.860 Nicht erfasst ist dagegen der Anspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zahlung des Jahresbeitrags zur Erhaltung des Gemeinschaftseigentums gegen einen der Wohnungseigentümer.861 Eine Klage auf Auflösung eines Grundstückskaufvertrags ist nicht betroffen,862 ebenso nicht eine Klage auf Veräußerung eines Treuhandeigentums und Herausgabe des Erlöses,863 auch nicht eine Klage auf Löschung eines Nießbrauchs an einem Grundstück wegen Verletzung des Bestellungsvertrags.864 Unterlassungsansprüche wegen unzulässiger Immissionen dürften eher deliktisch einzuordnen sein.865 Nicht erfasst ist ein Zwangsvollstreckungsverfahren in einen Erbteil, zu dem ein Grundstück gehört.866
854 EuGHE 2006, I-4557 (Land Oberösterreich v ČEZ) (Rz. 28 ff.) = RIW 2006, 624 (O. Knöfel); EuGHE 2000, I-393 (Rz. 11); EuGH – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 – Schneider, FamRZ 2013, 1873, 1874 (Rz. 21) (A. Wendenburg); Kreuzer/Wagner, Q 106. 855 Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.560, 3.564; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Wieczorek/Schütze/Kern, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 15 ff. 856 Walter/Domej, IZPR der Schweiz, S. .266. 857 BGH, NJW 2008, 3502 = RIW 2008, 716; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 15, 27; a.A. A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 9. 858 EuGHE 2006, I-4557 (Rz. 31 ff.) (Land Oberösterreich v ČEZ) = RIW 2006, 624 (O. Knöfel); Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 22, 24; A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 14; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 28; für deliktische Einordnung: S. Ch. Thürk, S. 116 ff.; Ch. Althammer, FS Gottwald, 2014, S. 9, 11 ff. 859 EuGH – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 – Weber, NJW 2014, 1871 = IPRax 2015, 150 (dazu C. F. Nordmeier, S. 120); BGH, MDR 2015, 1092; krit. H. Prütting, FS CoesterWaltjen, 2015, S. 631. 860 EuGH – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 – Komu u.a., NZM 2016, 151. 861 EuGH – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 – Kerr v Postnov (Rz. 37), NJW 2019, 2991, 2994. 862 EuGHE 2001, I-2771 (Gaillard v Chekili) = EuLF 2000/01, 362; A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 7; vgl. E. Jayme/Ch. Kohler, IPRax 2001, 501 u. 506. 863 Pollard v Ashurst, English High Court [2001] ILPr 74. 864 BGH, RIW 2004, 783 = MDR 2005, 138 = ZZPInt 9 (2004), 206 (P. Mankowski). 865 Vgl. H. Schack IPRax 2005, 262 ff.; G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266. 866 BayObLG, ZEV 2019, 635, 638 (Rz. 34) (D. Leipold).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.309 § 3
Liegt das Grundstück in einem Drittstaat, so geht von Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) eine Reflexwirkung zugunsten des Drittstaats aus. Beansprucht der Drittstaat in diesen Fällen selbst eine ausschließliche Zuständigkeit und ist den Parteien ein Verfahren vor den Gerichten des Drittstaats zumutbar, so hat sich das Gericht eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats in Analogie zu diesen Regeln für unzuständig zu erklären, auch wenn gegen den Beklagten eine Zuständigkeit nach Art. 4 EuGVO n.F. (Art. 2 EuGVO a.F./LugÜ) bestünde.867
3.307
Unterlassungsansprüche nach § 1004 BGB und Ausgleichsansprüche nach § 906 BGB betreffen nicht dingliche Rechte.868 Eine Klage wegen Gläubigeranfechtung fällt ebenfalls nicht unter Nr. 1.869 Nicht unter Nr. 1 fallen weiter Klagen auf Zahlung von Nutzungsentschädigung nach nichtiger Eigentumsübertragung870 und auf Feststellung, dass jemand eine unbewegliche Sache als „trustee“ hält.871
3.308
Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) erfasst weiter alle Klagen aus Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen. Liegt ein Miet- oder Pachtobjekt ausnahmsweise im Gebiet mehrerer Mitgliedstaaten, so ist jeder Staat nur für den auf seinem Territorium liegenden Teil des Miet- oder Pachtobjekts zuständig.872 Sachlich gehören hierher Klagen auf Zahlung von Miet- oder Pachtzins, auf Ersatz verursachter Schäden,873 auf Besitzverschaffung oder auf Räumung (Herausgabe) der Miet- oder Pachtsache.874 Der Gerichtsstand erfasst alle Streitigkeiten über Bestehen und Inhalt des Mietvertrages, die Einräumung des Besitzes an dem Mietobjekt, die Zahlung von Mietzins und Nebenkosten, auf Schadensersatz des Mieters wegen Mängeln des Mietobjekts und auf Erstattung der Kosten für die Anmietung eines Er-
3.309
867 So Kreuzer/Wagner, Q 103; Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 7; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 6; A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Vor Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 9 ff.; Soergel/Kronke, Art. 38 Anh Rz. 80; a.A. P. Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, Rz. 507; Ch. Wenner, FS Jagenburg, S. 1013, 1022 ff.; Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 13 f.; Rauscher/ Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 9 f.; vgl. Fasching/Konecny/Simotta, § 83 JN Rz. 10 ff. 868 Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 27; H. Schack in Umweltschutz im Völkerrecht, 1992, 315, 329. 869 EuGHE 1990, I-27 (Rz. 10 ff.) (Reichert v Dresdner Bank) = IPRax 1991, 45 (dazu P. Schlosser, S. 29). 870 EuGHE 1994, I-2535 (Lieber v Göbel) = EWS 1994, 246; A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 18. 871 EuGHE 1994, I-1717 (Webb v Webb) = RIW 1994, 590 = IPRax 1995, 314 (dazu P. Kaye, S. 286). 872 EuGHE 1988, 3791 (Scherrens v Maenhout) = IPRax 1991, 44 (dazu K. Kreuzer, S. 25); a.A. K. Kreuzer/R. Wagner, Q 110 (Zuständigkeit des Staats, in dem Hofstelle liegt). 873 EuGHE 2000, I-393 (Rz. 23 ff.) (Dansommer v Götz) = NJW 2000, 2009 = IPRax 2001, 41 (dazu R. Hüßtege, S. 31). 874 A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 21; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 45.
197
§ 3 Rz. 3.309 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
satzobjekts875 sowie auf Ersatz von durch den Mieter verursachter Schäden.876 Erfasst sich auch konkurrierende deliktische Ansprüche, die auf demselben Lebenssachverhalt beruhen.877 Nach Ansicht des italien. Corte di Cassazione fällt ein Pachtvertrag zum Betrieb einer Cafeteria und eines Restaurants nicht unter Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F., so dass insoweit eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässig war (vgl. Art. 25 IV EuGVO n.F.).878
3.310 Unter Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) fallen auch Streitigkeiten an dinglich oder schuldrechtlich (ohne wesentliche Dienstleistungsanteile) ausgestalteten Timesharing-Verträgen; nicht erfasst sind dagegen vereins- oder gesellschaftsrechtliche Gestaltungen oder durch Dienstleistungen wesentlich geprägte Modelle.879 Kein Mietgerichtsstand besteht daher bei Vereinbarung „tauschfähiger Urlaubswochen“ an einer Club-Immobilie.880 Allerdings hat insoweit der erweiterte Verbraucherschutz nach Art. 17 EuGVO n.F. (Art. 15 EuGVO a.F./LugÜ) Vorrang.881 Ansprüche, die nur mittelbar an die Sachnutzung anknüpfen, werden nicht von Nr. 1 erfasst.882 Nicht unter Nr. 1 fallen danach Ansprüche wegen Nutzungsentschädigung bei Unwirksamkeit des Mietvertrags,883 für eine unwirksam übertragene Eigentumswohnung884 und ein Vertrag über die Verpachtung eines Ladengeschäfts.885 3.311 Ansprüche aus der Vermietung eines Schiffes werden nur erfasst, wenn es nach dem anwendbaren Recht wie ein Grundstück behandelt wird.886
875 876 877 878 879
880 881 882 883 884 885 886
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Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 42. A. Staudinger, NZM 2011, 257, 260. A. Staudinger, NZM 2011, 257, 261. Corte di Cassazione (IT), EuLF 2018, 135. Vgl. EuGHE 2005, I-8667 (Klein v Rhodos Management) = IPRax 2006, 159 (dazu R. Hüßtege, S. 124) = ZZPInt 10 (2005), 305 (P. Mankowski) (Immobilie nur nach Typ und Ort festgelegt; Tausch des Nutzungsrechts möglich); BGH, JZ 2010, 895 (G. Mäsch) = NZM 2010, 251; LG Darmstadt, EWS 1996, 191 = RIW 1996, 422 (dazu P. Mankowski, EWS 1996, 177); OLG Koblenz, NJW-RR 2001, 490; Schlosser/Hess/ Schlosser, Art. 24 EuGVVO Rz. 10; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 42 f.; krit. Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 33 ff.; offengelassen in BGHZ 135, 124 = NJW 1997, 1697, 1698. BGH, RIW 2008, 633, 634 (Rz. 15 ff.); A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 32; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 36; krit. St. Leible/M. Müller, NZM 2009, 18, 22. R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 45; H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 330. EuGHE 1985, 99 (Rösler v Rottwinkel) = IPRax 1986, 97 (dazu K. Kreuzer, S. 75); R. Hüßtege, NJW 1990, 622. ÖOGH, IPRax 1999, 471 (dazu R. Hüßtege, S. 477); Wieczorek/Schütze/Kern, Brüssel IaVO Art. 24 Rz. 18. EuGHE 1994, I-2535 (Lieber v Göbel) = NJW 1995, 37 = IPRax 1995, 99 (dazu M. Ulmer, S. 72). EuGHE 1977, 2383 (Sanders v van der Putte) = NJW 1978, 1107. OLG Düsseldorf, MDR 2005, 165, 166; Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 47; ganz ablehn Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 16.
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.317 § 3
Erfasst von Nr. 1 sind auch Klagen wegen kurzfristig gemieteter Ferienhäuser bzw. Ferienwohnungen,887 Wohnen beide Vertragspartner nicht im Staat der Lage des Objekts, aber in dem gleichen Staat, ist diese ausschließliche Zuständigkeit unpraktisch. Der Möglichkeit einer teleologischen Reduktion hatte sich der EuGH leider verschlossen.
3.312
Im Luganer Übereinkommen und im 3. Beitrittsübereinkommen mit Spanien und Portugal zum EuGVÜ waren Streitigkeiten über Ferienwohnungen bzw. -häuser in unterschiedlichem Umfang aus dem Anwendungsbereich von Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ/ LugÜ herausgenommen worden.
3.313
Nach Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ waren die Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten konkurrierend zuständig, wenn die Miete oder Pacht zu vorübergehendem privaten Gebrauch für längstens sechs Monate erfolgte und zusätzlich der Eigentümer und der Vermieter bzw. Verpächter natürliche Personen sind und ihren Wohnsitz in demselben Vertragsstaat haben.
3.314
Nach dem Luganer Übereinkommen 1988 mussten die Vertragsparteien nicht im gleichen Vertragsstaat wohnen; es genügte, dass beide ihren Wohnsitz nicht im Staat der belegenen Sache hatten (Art. 16 Nr. 1 b LugÜ 1988).
3.315
Art. 22 Nr. 1 S. 2 EuGVO a.F./LugÜ 2007 weicht hiervon insoweit ab, als es genügt, dass der Mieter oder Pächter eine natürliche Person ist; Vermieter kann also auch ein Unternehmer sein.888 Diese Lösung ist in Art. 24 Nr. 1 S. 2 EuGVO n.F. beibehalten worden.889 Soweit die Ausnahme greift, hat der Kläger also die Wahl zwischen dem Gericht am Belegenheitsort und dem Gericht am Wohnsitz des Beklagten.890
3.316
Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) erfasst aber nur Mietoder Pachtverträge, nicht dagegen Beherbergungsverträge (über Hotelzimmer mit Verpflegung) oder Verträge über die Vermietung von Konferenzräumen unter Bereitstellung von Verpflegung,891 sowie Reiseverträge bzw. Reisevermittlungsverträge, wenn diese sich auch auf eine Wohnung oder ein Ferienhaus beziehen.892 Nach Ansicht des BGH ist Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1EuGVO a.F./LugÜ) eng auszulegen und nur anwendbar, wenn der Vermieter Eigentümer des Objekts ist. Vermietet dagegen ein Reiseveranstalter, greife nicht Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ), sondern seien ggf. die Art. 17, 18 EuGVO n.F. (Art. 15 I lit. c, 16 I EuGVO a.F./LugÜ) anwendbar.893 Der Reiseveranstalter ist dage-
3.317
887 EuGHE 1985, 99 (Rösler v Rottwinkel) = IPRax 1986, 97 (dazu K. Kreuzer, S. 75); OLG Frankfurt, MDR 2008, 336; Th. Rauscher, NJW 1985, 892; R. Hüßtege, NJW 1990, 622. 888 A. Staudinger, NZM 2011, 257, 260; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.575; Wieczorek/Schütze/Kern, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 22. 889 Vgl. S. Ch. Thürk, S. 125. 890 Th. Rauscher, IPR, Rz. 1915 f.; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 53. 891 OLG Karlsruhe, IPRax 2000, 30; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.572. 892 EuGHE 1992, I-1111, 1127 (Hacker v Euro-Relais) = NJW 1992, 1029 = IPRax 1993, 31 (dazu E. Jayme, S. 18); A. Staudinger, NZM 2011, 257, 260. 893 BGH, NJW 2013, 308 (M. Müller) = RIW 2013, 384 = MDR 2013, 995.
199
§ 3 Rz. 3.317 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
gen an den Gerichtsstand gebunden, wenn er aus abgetretenem Recht des Vermieters klagt.894
3.318 Nicht unter Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) fallen auch Verbandsklagen nach §§ 1 ff. UKlaG, die sich gegen AGBs bei der Vermietung von Ferienhäusern oder Ferienwohnungen in einem anderen EU-Staat richten.895 b) Klagen über den Bestand von Gesellschaften und über die Wirksamkeit von Gesellschaftsbeschlüssen
3.319 Schrifttum: G. Anliker, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftlichen Streitigkeiten
im Rechtsrahmen des europäischen Binnenmarktes, 2018; Ph. Bauer, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Klagen, 2000; P. Bolle, Art. 22 Nr. 2 EuGVO vor dem Hintergrund internationaler Derivatgeschäfte juristischer Personen des öffentlichen Rechts, 2014; L. Hübner, Existenzstreitigkeiten als Fall des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO – Die Doktrin der fictivité im europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2019, 267; W. Meilicke/D. Lochner, Zuständigkeit der Spruchgerichte nach EuGVVO, AG 2011, 23; J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2011, S. 184 ff.; F. Wedemann, Die internationale Zuständigkeit für Beschlussmängelstreitigkeiten, AG 2011, 282.
3.320 Die Regel betrifft kontradiktorische Verfahren, welche die Gültigkeit, Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, nicht dagegen einseitige Löschungsverfahren nach FamFG.896 Solche Klagen sind zwingend am Sitz der Gesellschaft zu erheben, Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ), selbst wenn der Fall auch Bezug zu einem Drittstaat hat.897 Zu den Gesellschaften iS dieser (autonom auszulegenden) Vorschrift gehören nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch die OHG und KG nach deutschem Recht.898 Ob Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) auch für Gesellschaften des öffentlichen Rechts gilt, soweit deren Beschlüsse von Zivilgerichten überprüft werden, ist zweifelhaft.899 Die Anwendung der Norm auf Gesellschaften bürgerlichen Rechts war dagegen streitig. Nachdem der BGH aber die Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft anerkannt hat900 und diese damit selbst Unternehmensträger sein kann, erscheint es konsequent, Streitigkeiten über die Auflösung der BGB-Gesellschaft Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ zuzuordnen.901 Auf reine Innen-
894 EuGHE 2000, I-393 (Rz. 36 f.) (Dansommer v Götz) = NJW 2000, 2009 = ZZPInt 5 (2000), 241 (Th. Rauscher) = IPRax 2001, 41 (dazu R. Hüßtege, S. 31). 895 BGHZ 109, 29, 32 = RIW 1990, 63; A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Rz. 35; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 48. 896 Th. Rauscher, IPR Rz. 1919; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel IVO Rz. 41; M. Schillig, IPRax 2005, 208, 213, 215. 897 Akçil and other v Koza Ltd. [2019] UKSC 40 = ZEuP 2020, 457 (J. Rapp). 898 Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 180 ff., 183; G. Anliker, S. 94, 112. 899 Vgl. Vorlagebeschluss des KG, ZIP 2010, 2070, 2071 = NZG 2010, 913. 900 BGHZ 146, 341 ff. = JZ 2001, 655 (H. Wiedemann). 901 Vgl. Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 60; Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 184; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 40.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.323 § 3
gesellschaften, z.B. eine stille Gesellschaft (§ 230 HGB) ist Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) nicht anwendbar.902 Ob eine Gesellschaft den Sitz in dem betreffenden Staat hat, ist nach Art. 24 Nr. 2 Satz 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 Satz 2 EuGVO a.F./LugÜ) nach dem IPR des angerufenen Gerichts, nicht nach Art. 63 EuGVO n.F. (Art. 60 EuGVO a.F./LugÜ) zu beurteilen.903 Dadurch soll erreicht werden, dass nur ein Mitglied- bzw. Vertragsstaat für entsprechende Streitigkeiten zuständig ist. Im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten gilt in Deutschland inzwischen die Gründungstheorie. Eine in England gegründete und eingetragene Private Limited Company hat danach ihren Sitz in England, auch wenn sie ihre ausschließliche Geschäftstätigkeit in Deutschland betreibt.904 Möglicherweise ändert sich dies als Folge des Brexit. Befindet sich der Sitz der Gesellschaft in einem Drittstaat, ist Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 Satz 2 EuGVO a.F./LugÜ) nicht anwendbar. Die Regel gilt aber nicht analog zugunsten des Drittstaates; eine Zuständigkeit kann sich vielmehr aus dem autonomen nationalen Recht ergeben.905
3.321
Verfahren über die Gültigkeit oder Nichtigkeit einer Gesellschaft sind nach deutschem Recht Nichtigkeitsklagen nach §§ 275 ff. AktG, §§ 75 ff. GmbHG und §§ 94 ff. GenG.906 Auflösungsklagen sind solche nach § 61 GmbHG und nach § 133 HGB.907 Nicht erfasst ist die Liquidation einer Gesellschaft als Folge eines Insolvenzverfahrens.
3.322
Nicht restlos geklärt ist, wann es sich um Organbeschlüsse handelt, die unter Nr. 2 fallen.908 Erfasst sind sicher Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse einer AG. Hat die Hauptversammlung einen Beschluss über die Höhe der Abfindung von Minderheitsaktionären erfasst, kann dieser nur vor den Gerichten des Mitgliedsstaats angefochten werden, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat.909 Manche wollen aber sogar die Verhängung von Vereinsstrafen, z.B. eine Dopingsperre910 oder eine Trainersperre durch einen Sportverband unter Nr. 2 subsumieren.911 Soweit der Beschluss selbst die Sperre auslöst, der Bekanntgabe gegenüber dem Sportler also keine konstitutive Wirkung zukommt, ist dem für den Antrag auf Aufhebung des Beschlusses zuzustim-
3.323
902 Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 147; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 40; a.A. Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 62. 903 Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 58 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 64; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 73 ff.; G. Anliker, S. 144 ff. 904 BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837, 1838 (Rz. 11 ff.) = NJW 2011, 3372 (M. Müller); OLG Frankfurt, ZIP 2010, 800 (P. Mankowski); P. Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707. 905 Akçil and other v Koza Ltd. [2019] UKSC 40 (Rz. 40) = ZEuP 2020, 457 (J. Rapp). 906 G. Anliker, S. 127 f. 907 G. Anliker, S. 128 f. 908 Vgl. G. Anliker, S. 130 ff. 909 EuGH – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 – E.ON Czech Holding, ZIP 2018, 683. 910 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 275; vgl. Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.588. 911 Österr. OGH, Zak 2007/563, 319; abl U. Haas, Zak 2007, 309.
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§ 3 Rz. 3.323 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
men. Bei einer Klage auf Unterlassung der Behinderung der weiteren Teilnahme an Wettkämpfen ist der Beschluss (über die Dopingsperre) dagegen nur Vorfrage, so dass Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) nicht greift.912
3.324 Nicht unter Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) fallen Verfahren, bei denen die Beschluss der Gesellschaft nur eine Vorfrage bildet.913 Dies ist der Fall bei Klagen im Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis,914 etwa Klagen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Auszahlung des Gewinns, Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter, z.B. auf Zahlung von Einlagen,915 auf Erstattung unzulässiger Rückzahlungen gem. § 30 GmbHG.916 Gleiches gilt für Klagen der Gesellschaft gegen ihre Organe, Klagen auf Ausschließung eines Gesellschafters, auf Entziehung der Vertretungsrechte917 oder die mittels actio pro socio geltend gemachten Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Mitglieder.918 Schadenersatzklagen wegen Wettbewerbsverletzungen fallen nicht unter Art. 24 Nr. 2, nur weil die Verletzung auf einem Beschluss des Vertretungsorgans beruht.919 Nach seinem Sinn erfasst Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) auch nicht Streitigkeiten über vertragliche Ansprüche gegen die Gesellschaft, wenn diese ihre Verpflichtung im Hinblick auf einen unwirksamen Gesellschafterbeschluss bestreitet.920 3.325 Das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren nach §§ 1 ff. SpruchG fällt dagegen unter Art. 24 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ).921 3.326 Erfasst sind nur kontradiktorische Verfahren, nicht einseitige Amtsverfahren, z.B. auf Löschung nach den §§ 393 ff. FamFG.922 912 H. Grothe, FS v. Hoffmann, S. 601, 607. 913 Für eine Einbeziehung von Vorfragen, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der eine Gleichbehandlung möglicherweise Betroffener verlangt. G. Anliker, S. 117 ff., 270 ff. 914 Für eine Auslegung als Gerichtsstand der Mitgliedschaft aber G. Anliker, S. 139 ff., 264 ff. 915 Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 75, 84; vgl. Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 68; Fasching/Konecny/Simotta, § 83b JN Rz. 4, 13. 916 OLG Koblenz, NZI 2002, 56, 57. 917 Geimer/Schütze, I 696 ff.; krit. R. Geimer, FS Schippel, 1996, S. 869; a.A. (für analoge Anwendung) Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 37; vgl. G. Anliker, S. 137 f. 918 S. Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 280; a.A. G. Anliker, S. 142, 274. 919 EuGH – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 – flyLAL, RIW 2014, 830, 833 (Rz. 39 ff.). 920 EuGH – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 – BVG/JP Morgan, ZIP 2011, 1071 (dazu P. Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/11, 343; M. Lehmann, YearbookPIL 13(2011), 507); EuGHE 2008, I-7403 (Hassett v South Eastern Health Board) = RIW 2008, 864 = ZZPInt 13 (2008), 143 (M. Würdinger) = EuZW 2008, 665 (B. Sujecki). 921 EuGH – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 – E.ON Czech Holding, ZIP 2018, 683; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 91 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 71 f.; W. Meilicke/D. Lochner, AG 2010, 23; G. Anliker, S. 139; zweifelnd Borrás/ Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 57. 922 Hein, Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 81; Wieczorek/Schütze/Kern, Brüssel Ia-VO Art. 24 Rz. 26; Th. Rauscher, IPR Rz. 1919; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 63.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.329 § 3
c) Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register Diese Zuständigkeit betrifft Verfahren über die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register, primär Grundbücher und Handelsregister. International sind ausschließlich die Gerichte des Mitglied- bzw. Vertragsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden.923 Die ausschließliche Zuständigkeit betrifft nicht den Streit über die Voraussetzungen der Eintragung oder über die Reichweite materiell-rechtlicher Wirkungen, die von Eintragungen ausgehen.924
3.327
d) Gültigkeit von gewerblichen Schutzrechten Schrifttum: J. Adolphsen, Intellectual Property im Heidelberg Report zur EuGVO, GS Konuralp, 2009, S. 1; J. Bukow, Die Entscheidung GAT/LUK und ihre Konsequenzen, FS Schilling, 2007, S. 59; Ch. Wadlow, Enforcement of Intellectual Property in European and International Law, 1998; M. Winkler, Die internationale Zuständigkeit für Patentverletzungsstreitigkeiten, 2011.
3.328
Diese Regel betrifft die Eintragung oder Gültigkeit von nationalen Patenten, Marken (Warenzeichen), Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, wie das Sortenschutzrecht.925 Nicht erfasst ist der Firmenschutz.926 Es sind international ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt. Dabei müssen berücksichtigt werden: das Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Fabrik- und Handelsmarken v. 14.4.1891, das Haager Abkommen über die Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle v. 6.11.1925, das Münchener Patentübereinkommen v. 5.10.1973 und das Luxemburger Patentübereinkommen v. 15.12.1975.927 Die beiden letzteren Übereinkommen enthalten für Teilbereiche besondere Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln, die nach Art. 71 I vor der EuGVO Vorrang haben.928 Art. 24 Nr. 4 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 4 EuGVO a.F./ LugÜ) ist also nur anwendbar, soweit diese Vertragswerke nicht eingreifen. Für europäische Patente (also inhaltlich gebündelte nationale Patente, Art. 2 II EPÜ)929 sieht Art. 24 Nr. 4 Unterabs. 2 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 2 EuGVO a.F./LugÜ) vor, dass Klagen wegen der Erteilung oder Gültigkeit des Patents ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien nicht nur vor dem Europäischen Pa-
923 Vgl. In re Hayward, decd [1996] 3 WLR 674 (ChD). 924 Schütze, A. Borrás/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 63; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 94; Wieczorek/Schütze/Kern, Brüssel Ia-VO Art. 24 Rz. 32; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 82. 925 Vgl. Ch. Wadlow, Rz. 2–101 ff., 3–78 ff.; R. Hye-Knudsen, S. 21 ff. 926 Kreuzer/Wagner, Q 121; Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 52. 927 Vgl. im Einzelnen Geimer/Schütze/Safferling, IRV Art. 16 Rz. 24. 928 Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 56. 929 Vgl. Gruber/v. Zumbusch/Haberl/Oldekop, Europäisches und internationales Patentrecht, 7. Aufl. 2012, S. 3 ff.
203
3.329
§ 3 Rz. 3.329 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
tentamt, sondern vor den Gerichten eines jeden Mitgliedstaats erhoben werden können, für den ein Patentschutz erteilt ist und für den er bekämpft werden soll.930
3.330 Gemeinschaftsmarken (Unionsmarken), Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Gemeinschaftssortenschutzrechte fallen nicht unter Art. 24 Nr. 4 EuGVO n.F., da die jeweiligen Verordnungen hierfür besondere Regeln enthalten931 (s. Rz. 3.344 ff.). 3.331 Über Klagen auf Nichtigerklärung des Europäischen Einheitspatents932 sowie über Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamtes im Hinblick auf ein solches Patent, aber auch über Klagen wegen Verletzung eines solchen Patents soll nach seiner Einführung das neue einheitliche Europäische Patentgericht zuständig sein (Art. 32 I lit. a, d EPGÜ).933 3.332 Klagen auf Unterlassung oder Schadenersatz wegen Verletzung eines der genannten Schutzrechte fallen nicht unter Nr. 4, weil die von der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit erfassten Klagen abschließend aufgeführt sind.934 Gleiches gilt für Streitigkeiten zur Klärung der Frage, ob eine Person zu Recht als Markeninhaberin eingetragen ist.935 Auch Vertragsstreitigkeiten aus Lizenzverträgen oder Rechtsübertragungen sind nicht erfasst.936 3.333 In Deutschland sind die Zuständigkeiten für Verletzungs- und Nichtigkeitsklage getrennt geregelt. Ganz überwiegend wurde angenommen, dass die Zuständigkeit für den Verletzungsstreit nicht entfällt, wenn der Beklagte darin den Nichtigkeitseinwand einredeweise erhebt;937 der Verletzungsprozess sei aber nach § 148 ZPO auszusetzen, bis über die Gültigkeit des Klagepatents entschieden ist. Soweit nach nationalen Rechten über den Nichtigkeitseinwand im Rahmen des Verletzungsprozesses entschieden werden kann, dürfe das Verletzungsgericht über die Gültigkeit eines ausländischen Schutzrechts vorfrageweise entscheiden, ohne gegen Art. 24 Nr. 4 EuG930 Vgl. E. Körner, FS K. Bartenbach, 2005, S. 401, 404; Kropholler/v. Hein, Art. 22 Rz. 56; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 80; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 103. 931 Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 101; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 84; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 121 ff. 932 Vgl. VO (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.12.2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (ABl. EU Nr L 361/1). Zum Entwurf v. 13.4.2011 s. KOM [2011] 215 endg. An der VO beteiligen sich 25 der 27 Mitgliedstaaten. Über den vorhergehenden Vorschlag von 2000 konnte in der Sprachenfrage keine Einstimmigkeit erzielt werden. 933 Rat der EU, Dok. 16351/12 (PI 148 COUR 77) v. 11.1.2013. 934 EuGHE 2006, I-6509 (GAT v LuK) = RIW 2006, 688 (Rz. 16) = EuZW 2006, 575; EuGHE 1983, 3663 (Duijnstee v Goderbauer) = IPRax 1985, 92 (dazu D. Stauder, S. 76); Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 246; vgl. E.-M. Kieninger, GRUR-Int. 1998, 280; P. Veron, JDI 128 (2001), 805; Ch. Wadlow, EuLRev 10 (1985), 305; Ch. Wadlow, Rz. 3–42 ff. 935 EuGH – C-341/16, ECLI:EU:C:2017:738 – Hanssen Beleggingen, IPRax 2018, 405 (dazu P. Mankowski, S. 355). 936 Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 227, 229; Fasching/Simotta, § 83c JN Rz. 33. 937 Vgl. K. Grabinski, GRUR-Int. 2001, 199, 208 f.
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.337 § 3
VO n.F. (Art. 22 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ) zu verstoßen.938 Wird der Nichtigkeitseinwand erhoben, dürfe sich das Verletzungsgericht in diesem Fall auch nicht nach Art. 27 EuGVO n.F. (Art. 25 EuGVO a.F./LugÜ) für unzuständig erklären.939
Der EuGH hat aber in der Rechtssache GAT v LuK mit Urteil v. 13.7.2006940 entschieden, dass Art. 22 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ alle Arten von Rechtsstreitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit eines Patents betrifft, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird. Das Verletzungsgericht darf also über den Nichtigkeitseinwand nicht inzident entscheiden und muss sein Verfahren aussetzen. Diese Lösung wurde in Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 2 LugÜ 2007 übernommen („... unabhhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird ...“). In Art. 24 Nr. 4 Unterabs. 1 EuGVO n.F. ist sie ebenfalls sachlich unverändert eingegangen. Es ginge aber zu weit, die Verletzungsklage selbst nach Art. 27 EuGVO n.F. (Art. 25 EuGVO a.F./LugÜ) abzuweisen, obwohl das Gericht für diese international zuständig ist. Ist das Gericht nicht für die Entscheidung über die Nichtigkeit zuständig, so ist das Verletzungsverfahren daher auszusetzen und kann ggf. nach der Entscheidung über die Gültigkeit des Schutzrechts fortgesetzt werden.941
3.334
Art. 24 Nr. 4 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ) schließt nicht aus, dass ein nach Art. 35 EuGVO n.F. (Art. 31 EuGVO a.F./LugÜ) angerufenes Gericht trotz Erhebung des Nichtigkeitseinwands einstweilige Maßnahmen beschließt, wenn dabei über die Nichtigkeit selbst nicht entschieden wird.942
3.335
e) Verfahren über die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen
Nach Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) sind für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist, international ausschließlich zuständig.
3.336
Davon werden u.a. betroffen die Drittwiderspruchsklage,943 die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO944 und nach § 1086 ZPO gegen einen Europäischen
3.337
938 J. Bukow, S. 207 ff., 233; J. Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2. Aufl. 2009, Rz. 426–456. 939 J. Bukow, S. 234 ff., 243. 940 EuGHE 2006, I-6509 (Rz. 25 ff., 31) = RIW 2006, 688 = EuZW 2006, 575; zu Recht krit. J. Adolphsen, ZZPInt 11 (2006), 137, 160 f. 941 Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 76. 942 EuGH – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 – Solvay v Honeywell, RIW 2012, 627 (Rz. 31 ff., 50); dazu H. Schacht, GRUR 2012, 1110; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 77. 943 OLG Hamm, IPRax 2001, 339 (dazu H. Roth, S. 323); Fasching/Simotta, Vor §§ 83a, 83b Rz. 165. 944 OLG Hamburg, IPRax 1999, 168 (dazu R. Geimer, S. 152, 154); Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 112 ff. Eine lediglich negative Feststellungsklage zur Abwehr der drohenden Zwangsvollstreckung hat der OGH Österreich von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ ausgenommen, öOGH, IPRax 1999, 47 (ablehnend H. Roth, S. 50).
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§ 3 Rz. 3.337 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Vollstreckungstitel,945 die Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung.946 Unter Nr. 5 fallen auch Anträge auf Einstellung und Beschränkung der Vollstreckung (§§ 719, 765a ZPO).947
3.338 Die Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) kann aber nicht dazu genutzt werden, um die Aufrechnung mit einer Gegenforderung einzuwenden, die selbst nach Art. 4 ff. EuGVO n.F. (Art. 2 ff. EuGVO a.F./LugÜ) in einem anderen Gerichtsstand geltend gemacht werden müsste.948 Gleiches gilt, wenn ein Gläubiger Widerspruchsklage gegen eine Erlösverteilung nach einer Zwangsversteigerung erhebt und geltend macht, eine konkurrierende Forderung sei nicht wirksam besichert gewesen.949 Das unzulässig angerufene Gericht muss sein Verfahren auch nicht lediglich aussetzen, wenn mit einer baldigen Sachentscheidung des tatsächlich zuständigen Gerichts nicht zu rechnen ist.950 3.339 Nicht erfasst von Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) sind Abänderungsklagen (bzw. -anträge), Gläubigeranfechtungsklagen,951 Klagen auf Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung,952 Klagen auf Unterlassung einer sittenwidrigen Zwangsvollstreckung,953 Klagen des Dritteigentümers auf Auskehrung des durch Zwangsvollstreckung unberechtigt Erlangten,954 der Streit um sichernde Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes,955 die Verfahren der Versagung der Vollstreckung nach Art. 46 ff. EuGVO n.F. bzw. der Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ956, Verfahren zur Festsetzung von Zwangsgeld nach Art. 55 EuGVO n.F. (Art. 49 EuGVO a.F./LugÜ) sowie die Zuständigkeiten für die eigentlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen,957 wie Pfändungs945 OLG Köln, IPRax 2015, 158 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 129). 946 Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 126; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVO Rz. 109. 947 Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 271; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 126; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 48. 948 EuGHE 1985, 2267, 2273 (AS-Autoteile v Malhé) = NJW 1985, 2892 = IPRax 1986, 232 (dazu R. Geimer, S. 208); BGH, NJW 2014, 2798 (Rz. 16) = IPRax 2015, 571 (dazu H. Roth, S. 538); vgl. eingehend A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, 2000, S. 367 ff. 949 EuGH – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 – Norbert Reitbauer, RIW 2019, 507; dazu B. Sujecki, EuZW 2019, 741. 950 BGH, MDR 2014, 795 (Rz. 30). 951 EuGHE 1992, I-2149 (Reichert v Dresdner Bank) = EuZW 1992, 447; dazu P. Schlosser, IPRax 1993, 17. 952 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 50; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 132; Fasching/Simotta, Vor §§ 83a, 83b JN Rz. 166. 953 OLG Saarbrücken, NJW 2019, 1468 Rz. 23. 954 OLG Hamm, IPRax 2001, 339 (dazu H. Roth, S. 323, 324). 955 Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 95. 956 EuGHE 1994, I-117 (Owens Bank v Bracco) = IPRax 1995, 240 (dazu P. Kaye, S. 214). 957 A.-K. Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009, S. 103 ff.; B. Treibmann, Die Vollstreckung von Handlungen und Unterlassungen, 1994, S. 114 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 22 EuGVVO Rz. 108; auch T. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung, 2016, S. 277 ff., 295 f.
206
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.344 § 3
und Überweisungsbeschlüsse958 oder die Ermächtigung zur Ersatzvornahme nach § 887 ZPO,959 und für die Vermögensauskunft.960 Nicht erfasst sind auch Klagen auf Zustimmung bzw. Einwilligung in die Herausgabe einer zugunsten mehrerer Personen bei Gericht hinterlegten Sache oder Geldsumme.961
3.340
16. Amtsprüfung der Zuständigkeit Jedes Gericht eines Mitgliedstaats hat von Amts wegen zu prüfen, ob Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) ausschließlich zuständig sind. Ist dies der Fall, hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, Art. 27 EuGVO n.F. (Art. 25 EuGVO a.F./LugÜ).962 Besteht die ausschließliche Zuständigkeit mehrerer Gerichte, so hat sich das zuletzt angerufene zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig zu erklären (Art. 31 I EuGVO n.F., Art. 29 EuGVO a.F./LugÜ).
3.341
Nach der Neufassung der EuGVO findet eine Amtsprüfung auch zugunsten einer ausschließlichen Gerichtsstandvereinbarung statt: Nach Art. 31 II EuGVO n.F. setzt das Gericht eines anderen Mitgliedstaats sein Verfahren so lange von Amts wegen aus, bis das „vereinbarte“ Gericht seine Zuständigkeit verneint hat (s. Rz. 3.246).
3.342
Im Übrigen prüft das Gericht seine Zuständigkeit nach EuGVO bzw. LugÜ von Amts wegen nur, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren nicht einlässt (Art. 28 I EuGVO n.F., Art. 26 I EuGVO a.F./LugÜ). Dadurch soll ein fairer Prozess für den Beklagten gesichert werden.963 Dieser soll nicht gezwungen sein, vor einem unzuständigen Gericht zu erscheinen, nur um die Unzuständigkeit geltend zu machen und ein Versäumnisurteil gegen sich zu verhindern.964 Beruht die Zuständigkeit auf einem Spezialübereinkommen i.S.v. Art. 71 EuGVO n.F. (Art. 67 EuGVO a.F./LugÜ), findet die Amtsprüfung in gleicher Weise statt.965
3.343
17. Zuständigkeit für Streitigkeiten über Unionsmarken Schrifttum: A. Bender, Unionsmarke, 5. Aufl. 2018; M. Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht, 2003, S. 249; Eisenführ/Schennen, Gemeinschaftsmarken958 BayObLG, ZEV 2019, 635, 638 (Rz. 35) (D. Leipold) = FamRZ 2020, 41. 959 A.-K. Bitter (Fn. 964), S. 103 ff. 960 Geimer/Schütze, Art. 22 Rz. 273; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel IaVO Rz. 51; Borrás/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 89; a.A. Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 130. 961 Vgl. E. Jayme, FS Mußgnug, 2005, S. 517, 521 f. 962 P. Mayr, unalex Kommentar, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 6; vgl. N. Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit nach Europäischem Verfahrensrecht, ZZPInt 10 (2005), 123 ff. 963 P. Mayr, unalex Kommentar, Art. 26 Brüssel I-VO Rz. 1. 964 Wagner in Stein/Jonas, Art. 26 EuGVO Rz. 1. 965 EuGHE 2004, I-10329 (Nürnberger Allgemeine Versicherung v Portbridge) = NJW 2005, 44.
207
3.344
§ 3 Rz. 3.344 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen verordnung, 6. Aufl. 2020; K.-H. Fezer, Handbuch der Markenpraxis, 3. Aufl. 2016; B. Hansen, Die internationale Zuständigkeit bei der Verletzung von Unionsschutzrechten, 2018, S. 147 ff.; G. Hasselblatt, Community Trademark Regulation, 2. Aufl. 2018; R. Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, 2005 (Kap. 4), S. 134 ff.; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 13 B), 2015, S. 491; R. Knaak, Die Rechtsdurchsetzung der Gemeinschaftsmarke, GRUR-Int. 1997, 865; R. Knaak, Internationale Zuständigkeiten und Möglichkeiten des forum shopping in Gemeinschaftsmarkensachen, GRUR-Int. 2007, 386; T. Larsen, The extent of jurisdiction under the forum delicti rule in European trademark litigation, JPIL 14 (2018), 549; A. Pohlmann, Verfahrensrecht der Gemeinschaftsmarke, 2012; E. Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke, 2006; J. Strauss, Gerichtliche Zuständigkeit bei Anspruchskonkurrenz aus Markengesetz und Gemeinschaftsmarkenverordnung, GRUR 2011, 401.
3.345 Die ursprüngliche Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates v. 20.12.1993 über die Gemeinschaftsmarke966 wurde zum 13.4.2009 durch die Verordnung (EG) Nr. 207/ 2009 v. 26.2.2009967 (geändert durch die VO (EU) Nr. 2015/2424) ersetzt. An deren Stelle ist zum 1.10.2017 die VO (EU) über die Unionsmarke (Nr. 2017/1001, UMVO) v. 14.6.2017 getreten.968 Nach dem Brexit bleiben die Zuständigkeitsregeln der UMVO für alle Verfahren anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit am 31.12.2020 begonnen wurden (Art. 67 Nr. 1b des Austrittsvertrages). Unionsmarken können nach Art. 6 UMVO durch Eintragung in das vom Europäischen Amt für geistiges Eigentum (EUIPO) in Alicante, Spanien, geführte Register erworben werden.969 Für Streitigkeiten über Unionsmarken i.S.d. Art. 124 gilt gem. Art. 122 I UMVO grds. die EuGVO n.F., freilich mit den in Art. 122 II UMVO enthaltenen Einschränkungen.970 Für Streitigkeiten über Unionsmarken sieht Art. 124 UMVO die ausschließliche Zuständigkeit der Unionsmarkengerichte vor. Art. 124 UMVO lautet: „Die Unionsmarkengerichte sind ausschließlich zuständig a) für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer Unionsmarke; b) für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung, falls das nationale Recht diese zulässt; c) für Klagen wegen Handlungen im Sinne des Artikels 11 Absatz 2;
966 967 968 969
ABl. EG v. 14.1.1994, Nr L 11/21 ff. ABl. EG Nr L 78/1. ABl. EU 2017 L 154/1. Zum Verfahren vor den Beschwerdekammern des EUIPO s. S. Stürmann/K. Guzdek, GRUR 2019, 589. 970 Vgl. Ch. Kohler, Kollisionsrechtliche Anmerkungen zur Verordnung über die Gemeinschaftsmarke, FS Everling, Bd. 1, 1995, S. 651, 653 ff.; Kreuzer/Wagner, Q 233 ff.; Th. Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300; B. Hansen, S. 104 ff., 149 ff.
208
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.346 § 3
d) für die in Artikel 128 genannten Widerklagen auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit der Unionsmarke.“.
3.346
Die internationale Zuständigkeit regelt Art. 125 UMVO wie folgt: „(1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sowie der nach Artikel 122 anzuwendenden Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sind für die Verfahren, welche durch eine in Artikel 124 genannte Klage oder Widerklage anhängig gemacht werden, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat. (2) Hat der Beklagte weder einen Wohnsitz noch eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten, so sind für diese Verfahren die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Kläger seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat. (3) Hat weder der Beklagte noch der Kläger seinen Wohnsitz oder eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten, so sind für diese Verfahren die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Amt seinen Sitz hat. (4) Ungeachtet der Absätze 1, 2 und 3 ist a) Artikel 25 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 anzuwenden, wenn die Parteien vereinbaren, dass ein anderes Unionsmarkengericht zuständig sein soll, b) Artikel 26 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 anzuwenden, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren vor einem anderen Unionsmarkengericht einlässt.
(5) Die Verfahren, welche durch die in Artikel 124 genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden – ausgenommen Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung einer Unionsmarke –, können auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht oder in dem eine Handlung im Sinne des Artikels 11 Absatz 2 begangen worden ist.“971 Die Reichweite dieser Regelung wird in Art. 126 UMVO wie folgt präzisiert: „(1) Ein Unionsmarkengericht, dessen Zuständigkeit auf Artikel 125 Absätze 1 bis 4 beruht, ist zuständig für: a) die in einem jeden Mitgliedstaat begangenen oder drohenden Verletzungshandlungen; b) die in einem jeden Mitgliedstaat begangenen Handlungen im Sinne des Artikel 11 Absatz 2. (2) Ein nach Artikel 125 Absatz 5 zuständiges Unionsmarkengericht ist nur für Handlungen zuständig, die in dem Mitgliedstaat begangen worden sind oder drohen, in dem das Gericht seinen Sitz hat.“ 971 Zur entsprechenden Regelung von Art. 93 VO (EG) Nr. 40/94 vgl. Ch. Kohler, FS Everling, S. 651, 657 ff.; Th. Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300; R. Hye-Knudsen, S. 142 ff.
209
§ 3 Rz. 3.347 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.347 Gemeinschaftsmarkengerichte sind in Deutschland in erster Instanz die LG, in zweiter Instanz das OLG, in dessen Bezirk das Gemeinschaftsmarkengericht seinen Sitz hat (§ 125e MarkenG). Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 125g MarkenG. 3.348 Für die in Art. 124 UMVO genannten Klagen und Widerklagen wird die internationale Zuständigkeit unmittelbar durch Art. 125 UMVO als lex specialis zur EuGVO geregelt.972 Art. 124 lit. a UMO erfasst auch Nebenansprüche aus der Markenverletzung, z.B. den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten.973 Da Art. 125 Abs. 5 UMVO eine Zuständigkeit nur im Staat der (drohenden) Verletzungshandlung begründet und Art. 122 Abs. 2 lit.a UMVO die Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) ausdrücklich ausschließt, besteht nach Art. 125 Abs. 5 UMVO keine internationale Zuständigkeit in dem vom Handlungsstaat verschiedenen Staat (Ort) des Verletzungserfolges.974 Das nach Art. 125 Abs. 5 UMVO angerufene Gericht beurteilt also nur (drohende) Verletzungshandlungen in dem Staat des angerufenen Gerichts.975 Wird eine Unionsmarke durch Bestellungen im Internet verletzt, besteht eine Zuständigkeit folglich nur an dem Ort, an dem das rechtsverletzende Angebot „in Gang gesetzt“ wurde. Die Möglichkeit des Abrufs der Internetseite in Deutschland oder die Anwendbarkeit deutschen Rechts begründen keine Zuständigkeit,976 Eine elektronische Werbung ist in dem Staat begangen, in dem sich Verbraucher oder Händler befinden, an die sie sich richtet, auch wenn der Urheber in einem anderen Staat niedergelassen ist oder einen Server in einem anderen Mitgliedstaat benutzt.977 Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. EuGVO n.F.) ist dagegen über Art. 94 I UMVO anwendbar.978
3.349 Die Unionsmarkenverordnung lässt allerdings internationale Zuständigkeiten, die sich aus zivilrechtlicher Haftung oder unlauterem Wettbewerb ergeben, unberührt (Art. 17 Abs. 2 UMVO). Insoweit kann sich daher doch eine Zuständigkeit am Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs ergeben.979 3.350 Ein von einem Unionsmarkengericht ausgesprochenes Verbot, eine Unionsmarke zu verletzen, erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der EU. Ordnet das Gericht bei Verstoß die Zahlung eines Zwangsgeldes an, so ist dieses in den anderen EU-Mitglied-
972 BGH v. 9.11.2017 – I ZR 164/16, EuZW 2018, 84 (Rz. 23) (B. Sujecki). 973 BGH, IPRax 2019, 48, 53 (Rz. 50) (dazu F. Eichel, S. 16). 974 EuGH – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany (Rz. 31 ff.), EuZW 2014, 664 (J. v. Hein); vgl. B. Hansen, S. 202 ff., 227 ff. 975 EuGH – C-172/18, ECLI:EU:C:2019:674 – AMS Neve Ltd (Rz. 40), GRUR 2019, 1047. 976 BGH v. 9.11.2017 – I ZR 164/16, EuZW 2018, 84 (Rz. 27 ff.) (B. Sujecki) = IPRax 2019, 48 (dazu F. Eichel, S. 6); vgl. auch öOGH, IPRax 2019, 53, 55. 977 EuGH – C-172/18, ECLI:EU:C:2019:674 – AMS Neve Ltd. (Rz. 47), GRUR 2019, 1047. 978 B. Hansen, S. 257 ff. 979 EuGH – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany (Rz. 53 ff.), EuZW 2014, 664 (J. v. Hein).
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I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.355 § 3
staaten nach Art. 38 ff. EuGVO a.F. zu vollstrecken. Kennt der Mitgliedstaat keine entsprechende Vollstreckung, sind die vergleichbaren Regelungen heranzuziehen.980 Werden zwischen denselben Parteien Verletzungsklagen wegen derselben Handlungen bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten anhängig gemacht, von denen das eine Gericht wegen Verletzung einer Unionsmarke, das andere aber wegen Verletzung einer nationalen Marke angerufen wird, hat sich das später angerufene Gericht für unzuständig zu erklären oder sein Verfahren auszusetzen, wenn die Unzuständigkeit des anderen Gerichts geltend gemacht wird (Art. 136 Abs. 1 UMVO).
3.351
Die Unionsmarkengerichte haben von der Rechtsgültigkeit einer Unionsmarke auszugehen, solange der Beklagte die Unionsmarke nicht mit Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit anficht (Art. 127 Abs. 1 UMVO). Bei Verletzungklagen nach Art. 124 lit. a und Klagen auf Entschädigung nach Art. 11 Abs. 2 UMVO kann der Einwand des Verfalls ohne Widerklage nur erhoben werden, wenn sich der Beklagte darauf beruft, dass die Unionsmarke mangels ernsthafter Benutzung für verfallen erklärt werden könnte (Art. 127 Abs. 3 UMVO).
3.352
18. Zuständigkeit für Streitigkeiten über Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Unionsdesign) Schrifttum: A. Bulling/A. Langöhrig/T. Hellwig/R. Müller Designschutz in Deutschland und Europa mit USA, Japan, China und Korea, 4. Aufl. 2018; H. Eichmann/R. v. Falckenstein/M. Kühne, Designgesetz, 5. Aufl. 2015; H. Eichmann/D. Jestaedt/E. Fink/Ch. Meiser, Designgesetz, Gemeinschaftsgeschmacksverordnung, 6. Aufl. 2019; B. Hansen, Die internationale Zuständigkeit bei der Verletzung von Unionsschutzrechten, 2018; G. Hasselblatt, Community Design Regulation. 2. Aufl. 2018; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 13 B), 2015, S. 491; O. Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 3. Aufl. 2018; S. Zwanzger, Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, 2011.
3.353
Eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster sind beim Europäischen Amt für geistiges Eigentum (EUIPO) in Alicante (Spanien) anzumelden und einzutragen. Daneben gibt es einen Schutz für nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
3.354
Die internationale Zuständigkeit für derartige Streitigkeiten ergibt sich aus der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates v. 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV).981 Auch nach dem Brexit bleiben diese Regeln im Verhältnis zu Großbritannien für alle Verfahren anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit begonnen wurden (Art. 67 Nr. 1 b Austrittsvertrag). Nach Art. 79 GGV sind die Regeln des EuGVÜ mit den in Art. 79 III GGV genannten Einschränkungen anzuwenden, gem. Art. 80 Brüssel Ia-VO deren Regeln. Nach Art. 80 GGV haben die Mitgliedstaaten Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte erster und zwei-
3.355
980 EuGH v. 12.4.2011 – C-235/09 (DHL Express France v. Chronopost), EuGHE 2011, I2801 = GRUR 2011, 518 = IPRax 2012, 531 (dazu M. Grünberger, S. 500); vgl. O. Sosnitza, GRUR 2011, 465. 981 ABl. EG v. 5.1.2002, Nr. L 3/1; geändert durch VO (EG) Nr. 1891/2006 v. 18.12.2006 (ABl. EG Nr. L 386/14); vgl. B. Hansen, S. 112 ff., 149 ff.
211
§ 3 Rz. 3.355 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
ter Instanz zu benennen. Diese sind ausschließlich zuständig für Verletzungsklagen, Klagen auf Feststellung der Verletzung oder Nichtverletzung,982 auf Erklärung der Nichtigkeit eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sowie für Widerklagen auf Erklärung der Nichtigkeit gegenüber Verletzungsklagen (Art. 81 GGV).983 Auf die in Art. 81 GGV genannten Klagen sind Art. 4, 6, 7 Nr. 1, 2 u. 5, 24 Nr. 4 und 35 Brüssel Ia-VO nicht anzuwenden.
3.356 International zuständig (für die in Art. 81 aufgeführten Klagen) sind primär die Gerichte am Wohnsitz, hilfsweise an der Niederlassung des Beklagten (Art. 82 I GGV). Besteht bei einer Verletzungsklage gegenüber einem Beklagten eine Zuständigkeit nach Art. 82 I GGV, kann sie gegenüber einem anderen Beklagten über Art. 79 I GGV auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. gestützt werden.984 Hat der Beklagte weder Wohnsitz noch Niederlassung in einem Mitgliedstaat, sind die Gerichte im Staat des Klägerwohnsitzes, hilfsweise seiner Niederlassung zuständig (Art. 82 II GGV). Haben beide Parteien weder Wohnsitz noch Niederlassung in einem Mitgliedstaat, so sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Europäische Amt für geistiges Eigentum seinen Sitz hat (Art. 82 III GGV), nämlich in Spanien. Insoweit ist der Juzgado de lo Mercantil de Alicante zuständig.985 Aus der Nichtanwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO folgt, dass Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung eines Schutzrechts nicht am Ort der möglichen Verletzungshandlung, sondern nur am Beklagtengerichtsstand erhoben werden können.986 Abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen sowie eine rügelose Einlassung sind zulässig (Art. 82 IV GGV).987 3.357 Schließlich können Klagen und Widerklagen wegen der (drohenden) Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters bei den Gerichten des Verletzungsstaats erhoben werden (Art. 82 V GGV). Während sich die Zuständigkeiten nach Art. 82 I-IV GGV auf die in jedem Mitgliedstaat begangenen oder drohenden Verletzungen erstreckt,988 ist die Zuständigkeit nach Art. 82 V GGV territorial auf Verletzungen oder drohende Verletzungen im Gerichtsstaat beschränkt (Art. 83 GGV).989 Allerdings begründet die in einem EU-Mitgliedstaat begangene Verletzungshandlung in den anderen EU-Mitgliedstaaten in der Regel die Gefahr der drohenden Verletzung.990
982 Vgl. EuGH – C-433/16, ECLI:EU:C:2017:550 – BMW (Rz. 37 ff.), IPRax 2018, 198; dazu auch M. Grünberger, GPR 2018, 86. 983 Zu den insoweit anwendbaren Regeln der EuGVO s. O. Ruhl, Art. 79 Rz. 16 ff. 984 EuGH – C-24/16 u. C-25/16, ECLI:EU:2017:724 – Nintendo (Rz. 67), GRUR 2017, 1120 (A. Kur) = IPRax 2019, 233 (dazu J. Schulte, S. 202). 985 S. O. Ruhl, Art. 82 Rz. 12. 986 M. Grünberger, GPR 2018, 86, 88. 987 EuGH – C-433/16, ECLI:EU:C:2017:550 – BMW v Acacia (Rz. 39); M. Grünberger, GPR 2018, 86, 87. 988 Beispiel bei Bulling/Langöhrig/Hellwig/Müller, Rz. 634. 989 Vgl. O. Ruhl, Art. 82 Rz. 26 ff.; Bulling/Langöhrig/Hellwig/Müller, Rz. 633 f.; B. Hansen, S. 202 ff., 216 ff. 990 BGHZ 185, 224 (Rz. 56) = WRP 2010, 896.
212
I. Europäisches Zivilprozessrecht | Rz. 3.360 § 3
Nach § 63 I DesignG sind die LG als Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte sachlich ausschließlich zuständig. Gemäß § 63 II DesignG haben die Länder die Zuständigkeit teilweise auf einzelne LG konzentriert.991 Gerichte zweiter Instanz sind die OLG. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 63b DesignG.
3.358
19. Zuständigkeit für Streitigkeiten über den Sortenschutz Schrifttum: F. Wuesthoff/H. Leßmann/G. Würtenberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Sortenschutz, Bd. 1, 1999, S. 485 ff.
EU-gemeinschaftlicher Sortenschutz kann durch Anmeldung beim Gemeinschaftlichen Sortenamt in Angers (Frankreich) erlangt werden.
3.359
Die internationale Zuständigkeit für Sortenschutzstreitigkeiten ist in Art. 94 ff. der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates v. 22.7.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (EGSVO) geregelt.992 Auch nach dem Brexit bleiben diese Regeln im Verhältnis zu Großbritannien für alle Verfahren anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit am 31.12.2020 begonnen werden (Art. 67 Nr. 1 b des Austrittsvertrages). Nach Art. 101 Abs. 1 sind die Regeln des Lugano-Übereinkommens ergänzt durch die Art. 101 bis 106 der EGSVO anzuwenden. Art. 101 II dieser Verordnung stellt zur Durchsetzung der in Art. 94 ff. normierten Verletzungsansprüche folgende Gerichte bereit:993 (a) das Gericht des Staats, in dem der Beklagte Wohnsitz oder Sitz, hilfsweise eine Niederlassung hat; (b) hilfsweise des Staats, in dem der Kläger Wohnsitz oder Sitz, hilfsweise eine Niederlassung hat; (c) weiter hilfsweise die Gerichte des Staats, in dem das Gemeinschaftliche Sortenamt seinen Sitz hat.994 Die danach zuständigen Gerichte dürfen auch über alle in einem anderen Mitgliedstaat begangenen Verletzungshandlungen entscheiden (Art. 101 II 2); das Gericht kann also einheitlich über alle Verletzungshandlungen in Bezug auf ein Sortenschutzrecht befinden.995 Der Verletzte kann wegen Ansprüchen aus Verletzungshandlungen auch die Gerichte am Ort des schädigenden Ereignisses anrufen, doch sind diese nur für die in diesem Mitgliedstaat begangenen Handlungen zuständig (Art. 101 III). Im Übrigen verweist die VO auf das LugÜ (Art. 101 I). Dadurch soll erreicht werden, dass der Klä-
991 Vollständige Liste in Bulling/Langöhrig/Hellwig/Müller, Anh. 12. 992 ABl. EG v. 1.9.1994, L 227/1; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 237 ff.; B. Hansen, S. 109 ff., 154 ff. 993 Vgl. R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015, S. 517. 994 Dieser Sitz ist in Angers in Frankreich. 995 Wuesthoff/Leßmann/Würtenberger, Rz. 1343.
213
3.360
§ 3 Rz. 3.360 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
gergerichtsstand nach Art. 101 II (b) nicht über Art. 6 II EuGVO n.F. zu Lasten von Angehörigen der Lugano-Vertragsstaaten anwendbar ist.996
3.361 Ansprüche nach Art. 98 auf Übertragung des Sortenschutzrechts können nach Art. 102 Abs. 1 nicht in den Gerichtsständen der unerlaubten Handlung geltend gemacht werden. Nach Art. 102 Abs. 2 stehen aber hierfür der Vertragsgerichtsstand nach Art. 5 Abs. 1 LugÜ sowie die Gerichtsstände aufgrund Gerichtsstandsvereinbarung oder rügeloser Einlassung zur Verfügung.997 3.362 Sachlich zuständig in Deutschland sind die LG (§ 38 SortG); die örtliche Zuständigkeit richtet sich zwar nach §§ 12 ff. ZPO,998 doch haben alle Bundesländer von der Zuständigkeitskonzentration nach § 38 Abs. 2 SortG Gebrauch gemacht. Zuständig sind daher folgende LG: in Baden-Württemberg das LG Mannheim, in Bayern das LG München I, für Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und SchleswigHolstein das LG Hamburg, in Hessen das LG Frankfurt, in Niedersachsen das LG Braunschweig, in Nordrhein-Westfalen das LG Düsseldorf, in Sachsen das LG Leipzig, in Sachsen-Anhalt das LG Magdeburg und in Thüringen das LG Erfurt.999 20. Zuständigkeiten für Streitigkeiten über Gemeinschaftspatente
3.363 Schrifttum: J. Feldges, Die Durchsetzung von Patenten in europäischen Streitigkeiten, FS
Schilling, 2007, S. 111; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensgesetz und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 18), 2015, S. 747; R. Lutz/St. Luginbuehl, A patent court for Europe – status and prospects, FS Kaissis, 2012, S. 577; A. Schoberth, Die Gerichtsbarkeit bei Gemeinschaftsimmaterialgütern, 2008. Europäische Union – Überarbeiteter Entwurf eines Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht, GRUR-Int. 2011, 989.
Sowohl das Übereinkommen über das europäische Patent v. 15.12.1975 (GPÜ) als auch die Vereinbarung v. 21.12.1989 über das Gemeinschaftspatent sind nicht in Kraft getreten. Im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit wollten jetzt aber 25 EUStaaten zum 1.1.2014 ein Gemeinschaftspatent als EU-einheitliches Recht einführen.1000 Italien und Spanien haben sich an dem geplanten einheitlichen Patentschutz nicht beteiligt.
3.364 Zu dem Regelungskomplex gehört die Einführung eines Gemeinschaftsgerichts für geistiges Eigentum, das für Verletzungsklagen und Streitigkeiten über die Gültigkeit eines Gemeinschaftspatents ausschließlich zuständig sein soll. Dieses Einheitliche Patentgericht (EPG) sollte seinen Sitz in Paris mit zwei Außenstellen in London 996 997 998 999 1000
214
Kreuzer/Wagner, Q 237. Vgl. Wuesthoff/Leßmann/Würtenberger, Rz. 1346 ff. Wuesthoff/Leßmann/Würtenberger, Rz. 1330 ff.; B. Hansen, S. 154. Wuesthoff/Leßmann/Würtenberger, Rz. 1334. VO (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (ABl. EU Nr L 361/1); zum Vorschlag der Kommission s. KOM (2011) 215 endg. Der frühere Vorschlag v. 1.8.2000 (KOM (2000), 412 endg.) war an der Sprachenfrage gescheitert.
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.400 § 3
und München erhalten. Das Gericht und seine Satzung sollten durch ein neues besonderes Übereinkommen beschlossen werden (s. Rz. 1.85 ff.).1001 Nach Plan sollte das Übereinkommen bereits zum 1.1.2014 in Kraft treten. Frei
3.365– 399
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen 1. Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 Schrifttum: a) Zum Übereinkommen von 2005: M. Ahmed/P. Beaumont, Exclusive choice of court agreements: some issues on the Hague Convention on choice of court agreements and its relationship with the Brussels I recast especially anti-suit injunctions, concurrent proceedings and the implications of BREXIT, JPIL 13 (2017), 386; J. Antomo, Aufwind für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen – Inkrafttreten des Haager Übereinkommens, NJW 2015, 2919; P. Beaumont, Hague Choice of Court Agreements Convention 2005, JPIL 5 (2009), 125; P. Beaumont/B. Yüksel, The Validity of Choice of Court Agreements under the Brussels I Regulation and the Hague Choice of Court Agreements Convention, Liber Amicorum Siehr, 2010, S. 563; M. Bläsi, Das Haager Übereinkommen über Gerichtstandsvereinbarungen, 2010; R. Brand, Forum selection and forum rejection in US courts: one rationale for a global choice of court convention, Essays in honour of Peter North, 2003, S. 51; R. Brand, The Hague Convention on Choice of Court Agreements, ILM 2005, 1291; R. Brand, U.S. implementation vel non of the 2005 Hague Convention on choice of court agreements, Yearbook of Private Intern. Law, 12 (2012), 107; R. Brand/P. Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, 2008; R. Brand/S. Jablonski, Forum non conveniens – History, Global Practice, and Future under the Hague Convention on Choice of Court Agreements, 2007; A. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008; Czernich/ Geimer/Eichel, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 2 C Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem Haager Übereinkommen), 2017, S. 327; K. Danelzik, Die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen ZPO, EuGVVO und HGÜ, 2019; F. Dasser, Bern, Lugano, Brüssel oder doch lieber Den Haag? – Ein Ausflug zu den Rechtsquellen für Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Isaak Meier, 2015, S. 89; Dogauchi/Hartley, Draft Report on the Preliminary Draft Convention on Exclusive Choice of Court Agreements, 2004; F. Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, 2007; F. Eichel, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen v. 30.6.2005, RIW 2009, 289; F. Eichel, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen auf dem Weg zur Ratifikation, GPR 2014, 159; M. Fricke, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen, VersR 2006, 476; R. Garnett, The Hague Choice of Court Convention, JPIL 5 (2009), 161; R. Geimer, Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen, FS Isaak Meier, 2015, S. 185; T. Hartley, The Hague Choice-of-Court Convention, EL Rev 31 (2006), 414; B. Hess, The Draft Hague Convention on Choice of Court Agreements, in Nuyts/Watté, International Civil Litigation, 2005, S. 263; P. Huber, Die Haager Konvention über Gerichtsstandvereinbarungen und das (amerikanische) Ermessen, FS Gottwald, 2014, S. 283; P. Huber, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, Privatautonomie und prozessuale Rechtshängigkeitsdogmatik – Europas Reise in die Welt, FS Müller-Graff, 2015, S. 383; P. Huber, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen, IPRax 2016, 197; C. Kessedjian, L’élection de for – Vers une nouvelle convention de La Haye, FS Schlosser, 2005, S. 367; C. Kessedjian, La Convention de la Haye du 30 juin 2005 sur l’élection de for, JDI 133 (2006), 813; T. Kruger, The 1001 Rat der EU, Dok. 16351/12 v. 11.1.2013 (PI 148 COUR 77).
215
3.400
§ 3 Rz. 3.400 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.401
20th Session of the Hague Conference: A new choice of court convention and the issue of EC membership, ICLQ 55 (2006), 447; J. Landbrecht, Uniform Jurisdiction Rules under the Hague Choice of Court Convention, YbPrivIntL 2018, 109; J. Landbrecht, The concepts of „injustice“ and „public policy“ in Article 6 (c) of the Hague Choice of Court Convention, JPIL 15 (2019), 339; S. Luginbühl/H. Wollgast, Das neue Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen, GRUR-Int. 2006, 208; J. Puhr, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet, 2005, S. 373; St. Reuter/G. Wegen, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandvereinbarungen vom 30.6.2005 – Entstehung, Charakteristika, Erfolgschancen, ZVglRWiss 116 (2017), 382; G. Rühl, Das Haager Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten: Rückschritt oder Fortschritt?, IPRax 2005, 410; D. Sancho Villa, Jurisdiction over jurisdiction and choice of court agreements: View on the Hague Convention of 2005 and implications for the European regime, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 399; A. Schulz, The Hague Convention of 30 June 2005 on Choice of Court Agreements, YearbookPIL VII (2005), 1; A. Schulz, Die EU und die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, in v. Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 110; L. Teitz, The Hague Choice of Court Convention, AmJCompL 53 (2005), 543; G. Tu, The Hague Choice of Court Convention – A Chinese Perspective, AmJCompL 55 (2007), 347; S. Vrellis, The Validity of a Choice of Court Agreement under the Hague Convention of 2005, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 763; R. Wagner, The Hague Convention of 30 June 2005 on Choice of Court Agreements, RabelsZ 73 (2009), 100; M. Weller, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Haager Übereinkommen – Brüssel I Reform, FS Schütze, 2015, S. 705; M. Weller, Validity and Interpretation of International Choice of Court Agreements, Essays in honour of Bonell, Vol. I, 2016, S. 393; M. Weller, Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Bd. II, 4. Aufl. 2016, S. 705; M. Weller, Choice of court agreements under Brussels Ia and under the Hague convention: coherences and clashes, JPIL 13 (2017), 91. Text in Jayme/Hausmann, Internationales Privat- u. Verfahrensrecht, 19. Aufl. 2018, Nr. 151 u. RabelsZ 73 (2009), 150. Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens v. 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen .... v. 10.12.2014 (BGBl. 2014 I, 2082). Materialien: Hague Conference on Private International Law, Proceedings of the twentieth session, Tome III – Choice of Court, 2010. b) Zum Haager Zuständigkeitsübereinkommen v. 2.7.2019: M. Celis, HCCH Preliminary Explanatory Report on the Draft Convention of Judgments, 2018; H. Schack, The new Hague Judgment Convention, IPRax 2020, 1; D. Stewart, The Hague Conference adopts a new Convention on the Recognition and Enforcement of foreign judgments in civil or commercial matters, AmJIL 113 (2019), 772; R. Wagner, Ein neuer Anlauf zu einem Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen, IPRax 2016, 97. c) Zum Entwurf des Haager Zuständigkeitsübereinkommens 1999/2001: S. Baumgartner, The proposed Hague Convention on jurisdiction and foreign judgments, 2003; P. Beaumont, A United Kingdom Perspective on the Proposed Hague Judgments Convention, Brooklyn J. Int.L. 1998, 75; R. Brand, Jurisdictional common ground in search of a global convention, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 11; St. Burbank, Jurisdictional equilibration, the purposed Hague Convention and progress in national law, AmJCompL 49 (2001), 203; C. Einstein/A. Phipps, Trends in International Commercial Litigation, Part II, IPRax 2005, 365, 368 ff.; H. Gaudemet-Tallon, De quelques raisons de la difficulté d’un entente au niveau mondial sur les règles de compétence judiciaire internationale directe, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 45; P. Gottwald, Internationale Zuständigkeit kraft „business activities“ im geplanten Haager Übereinkommen, FS Geimer, 2002, S. 231; F.-R. Grabau/J. Hennecka, RIW
216
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.404 § 3 2001, 569; C. Kessedjian, Vers une convention a vocation mondiale, Rev.dr.unif. 1997, 675; A. T. v. Mehren, La rédaction d’une convention universallement, Rev.crit. 90 (2001), 85 = AmJCompL 49 (2001), 191 (in Englisch); P. Nygh, Arthur’s baby: the Hague negotiations for a world-wide judgments convention, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 151; F. Pocar, The drafting of a world-wide convention on jurisdiction and the enforcement of judgments, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, 191; H. Schack, Entscheidungszuständigkeiten in einem weltweiten Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, ZEuP 1998, 931; P. Schlosser, A New Hague Convention and the United States, U.Kansas L.Rev. 45 (1996), 39; L. Silberman/A. Lowenfeld, The Hague Judgments Convention – and perhaps beyond, Essays in honor of A. v. Mehren 2002, S. 121; I. Vedie, Arthur T. von Mehren und das internationale Zivilverfahrensrecht im transatlantischen Dialog, 2017; R. Wagner, Die Bemühungen der Haager Konferenz für IPR um ein Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und ausländische Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, IPRax 2001, 533; J. Zekoll, The role and status of American Law in the Hague Judgments Convention Project, Albany L.Rev. 61 (1998), 1283.
Am 30.6.2005 wurde ein neues Haager Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten (HGÜ) vereinbart.1002 Die EU hat das Übereinkommen am 26.2.2009 gezeichnet und am 11.6.2015 ratifiziert.1003 Das Übereinkommen ist damit im Verhältnis der EU und Mexiko zum 1.10.2015 in Kraft getreten. Inzwischen gilt es auch im Verhältnis zu Dänemark (1.9.2018), Montenegro (2018) und Singapur (2016). Nach dem Austritt aus der EU will Großbritannien das Übereinkommen noch vor dem Ablauf der Übergangszeit (Ende 2020) ratifizieren.
3.402
Soweit die Parteien ihren Aufenthalt in EU-Mitgliedstaaten haben, geht Art. 25 EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) vor; hat eine Partei ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat, der nicht der EU angehört, hat das HGÜ nach seinem Art. 26 VI Vorrang. Das Übereinkommen erfasst nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen in internationalen Zivil- und Handelssachen (Art. 1 I). Nicht erfasst sind asymmetrische Vereinbarungen, die eine Partei binden, der anderen aber eine Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen offen lässt.1004 Gültig ist die Vereinbarung unabhängig von der Wirksamkeit des Hauptvertrages (Art. 3 lit. d HGÜ).
3.403
(1) Verlangt wird eine tatsächliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Parteien. Ob eine solche vorliegt, entscheidet sich nach dem Recht des vereinbarten Gerichts.1005 Die Vereinbarung muss sich auf eine bereits entstandene oder auf künftige Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis beziehen. Wird ein Gericht oder werden Gerichte eines Vertragsstaats vereinbart, so wird vermutet, dass die Vereinbarung ausschließlich ist, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist (Art. 3 lit. b)1006. Sofern kein konkretes Gericht vereinbart wird, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach nationalem Recht (Art. 5 Abs. 5 lit. b HGÜ).
3.404
1002 Vgl. C. Kessedijan, FS Schlosser, S. 367. 1003 ABl. EU 2009 Nr. L 133/1. 1004 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 398; Rauscher/Weller, (2015) Einf. HProrogÜbk Rz. 10. 1005 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 396; Rauscher/Weller, (2015) Einf. HProrogÜbk Rz. 11. 1006 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 397.
217
§ 3 Rz. 3.405 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.405 (2) Die Vereinbarung muss schriftlich oder auf andere, einen späteren Zugriff ermöglichende Weise geschlossen worden sein. Ein Abschluss per E-Mail oder Fax genügt.1007 Die Vereinbarung muss nicht besonders hervorgehoben oder besonders unterschrieben worden sein. Auch die Vereinbarung in einer fremden Sprache oder in AGB ist wirksam. Ihre materielle Wirksamkeit richtet sich nach dem Recht am Sitz des vereinbarten Gerichts.1008
3.406 (3) Eine Zivil- und Handelssache ist international, es sei denn, beide Parteien haben ihren Wohnsitz in demselben Staat und die streitige Beziehung hat nur Bezug zu diesem Staat (Art. 1 II). Vereinbaren Parteien für eine nationale Angelegenheit dennoch die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Vertragsstaats, so fällt diese Vereinbarung nicht unter das Übereinkommen. 3.407 (4) Nicht erfasst werden (i) Verbrauchergeschäfte, (ii) Verträge des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Nicht erfasst sind auch Verträge über (i)
den Personenstand,
(ii) Unterhaltspflichten und familienrechtliche Angelegenheiten, (iii) Fragen des Erb- und Testamentsrechts, (iv) Fragen des Insolvenzrechts, (v)
den Transport von Passagieren oder Gütern,
(vi) Fragen des Kartellrechts, (vii) die Haftung für nukleare Schäden, (viii) Rechte an unbeweglichen Sachen, (ix) das Bestehen oder die Auflösung juristischer Personen und die Gültigkeit der Entscheidungen ihrer Organe, (x)
die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register,
(xi) Ansprüche natürlicher Personen wegen Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, (xii) deliktische Ansprüche wegen der Beschädigung beweglicher Sachen, (xiii) Ansprüche wegen Meeresverschmutzung,
1007 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 399; Rauscher/Weller, (2015) Einl HProrogÜbk Rz. 14. 1008 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 398; Rauscher/Weller, (2015) Einl. HProrogÜbk Rz. 15.
218
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.410 § 3
(xiv) Fragen im Zusammenhang mit der Haftungsbeschränkung wegen Kollisionen, Schleppen und Bergen von Schiffen in Notfällen, (xv) Fragen der Gültigkeit und Verletzung von Immaterialgüterrechten. Das vereinbarte Gericht darf über Fragen des zweiten Kataloges aber als Vorfrage entscheiden. Wegen dieser weitreichenden Ausschlüsse wird das Übereinkommen kaum größere Bedeutung erlangen.1009 (5) Das vereinbarte Gericht muss den unterbreiteten Rechtsstreit sachlich entscheiden, darf die Klage also nicht als forum non conveniens abweisen (Art. 5 II).1010 Umgekehrt muss nach Art. 6 HGÜ jedes andere angerufene Gericht die Verhandlung und Entscheidung in der Sache ablehnen.
3.408
Jeder Vertragsstaat kann sich aber nach Art. 19 vorbehalten, Klagen abzuweisen, die außer der Gerichtsstandsvereinbarung selbst keine Verbindung zu ihm haben. Das vereinbarte Gericht darf die Sachprüfung darüber hinaus nur ablehnen, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung nach seinem eigenen Recht unwirksam ist (Art. 5 I HGÜ) oder wenn es innerstaatlich funktional oder sachlich unzuständig ist (Art. 5 III HGÜ).1011 (6) Nach Art. 6 müssen die Gerichte anderer Vertragsstaaten die Gerichtsstandsvereinbarung respektieren und einen bei ihnen anhängig gemachten Prozess aussetzen oder die Klage als unzulässig abweisen, selbst wenn sie nach ihrem autonomen Recht zuständig wären, es sei denn
3.409
(i) die Vereinbarung sei nach dem Recht des vereinbarten Staats unwirksam, (ii) einer Partei fehlte nach dem Recht des angerufenen Gerichts die Fähigkeit zum Abschluss einer Gerichtsstandvereinbarung1012,1013 (iii) die Anwendung der Vereinbarung würde zu offensichtlichen Ungerechtigkeiten oder zu einem offensichtlichen Verstoß gegen den ordre public des angerufenen Gerichts führen,1014 (iv) es sei aus außergewöhnlichen, dem Parteieinfluss entzogenen Umständen nicht zumutbar, die Vereinbarung umzusetzen, oder (v) das vereinbarte Gericht lehnt es ab, das Verfahren in der Sache durchzuführen.1015 1009 Krit H. Schack, IZVR, Rz. 135 (marginaler Mehrwert); a.A. St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 408 ff. (gleichwertige Alternative zum UNÜ!). 1010 G. Rühl, IPRax 2005, 410, 412; St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 400; Rauscher/Weller, (2015) Einf. HProrogÜbk Rz. 23; vgl. R. Brand/S. Jablonski, Forum non Conveniens, 2007. 1011 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 401. 1012 Krit S. Vrellis, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 765, 774. 1013 G. Rühl, IPRax 2005, 410, 413; Rauscher/Weller, (2015) Einf. HProrogÜbk Rz. 25 ff. 1014 Vgl. J. Basedow, FS Magnus, 2014, S. 337, 346 ff.; J. Landbrecht, JPIL 15 (2019), 339; Rauscher/Weller, (2015), Einf. HProrogÜbk Rz. 29. 1015 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 402 f.; Rauscher/Weller, (2015) Einf. HProrogÜbk Rz. 31.
219
3.410
§ 3 Rz. 3.411 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.411 c) Der weiterreichende Entwurf eines Haager Übereinkommens über Zuständigkeit und Anerkennung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen1016 ist leider gescheitert. Der letzte Entwurf vom Juni 2001 legte in den Art. 3–16 eine Reihe internationaler Entscheidungszuständigkeiten fest, die in allen Vertragsstaaten gelten sollen. Dazu gehören der Beklagtengerichtsstand (Art. 3), der Gerichtsstand kraft Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 4), kraft rügeloser Einlassung (Art. 5), des Erfüllungsortes bei Lieferung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen (Art. 6), ein Verbrauchergerichtsstand (Art. 7), der Gerichtsstand für Einzelarbeitsverträge (Art. 8), der Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 9), der Deliktsgerichtsstand (Art. 10) sowie ein ausschließlicher Gerichtsstand in Art. 12, der weitgehend Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) entspricht. 3.412 Diese Gerichtsstände waren aber nicht abschließend; ein Rückgriff auf Gerichtsstände des autonomen Rechts war zulässig (Art. 17), sofern diese nicht auf der Verbotsliste des Art. 18 stehen. Danach sind untersagt die Gerichtsstände des Vermögens, der Staatsangehörigkeit des Klägers oder des Beklagten, des Wohnsitzes oder des Aufenthalts des Klägers im Gerichtsstaat, der allgemeine Gerichtsstand der Geschäftstätigkeit des Beklagten im Gerichtsstaat, der Zustellung im Gerichtsstaat, der einseitigen Forumbestimmung durch den Kläger, der vorübergehenden Anwesenheit des Beklagten im Gerichtsstaat und der Gerichtsstand am Ort des Vertragsschlusses. Einzelheiten waren aber äußerst umstritten.1017 Der interim text vom Juni 2001 führte etwa auch die Zuständigkeit wegen „transacting business“1018 und den Vermögensgerichtsstand unter den „weißen“ Gerichtsständen auf (s. auch Rz. 15.122f). 3.413 Das am 2.7.2019 beschlossene Haager Übereinkommen verzichtet auf eine Regelung internationaler Entscheidungszuständigkeiten und beschränkt sich in Art. 5 auf eine Regelung der Anerkennungszuständigkeiten (s. Rz. 12.109). 2. Luftverkehrs-Übereinkommen a) Montrealer Übereinkommen Schrifttum: I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, S. 1335; P. Mankowski, Commercial Law (Part IX), 2019, S. 1179; F. Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2. Aufl. 2011; W. Müller-Rostin, Montrealer Übereinkommen in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020.
1016 Preliminary Draft of 30 October 1999; Summary of the outcome of the Discussion in Commission II of the Conference of 6–20 June 2001, Interim Text; dazu R. Wagner, IPRax 2001, 533; vgl. auch C. Kessedjian, Vers une convention a vocation mondiale, Rev.dr.unif. 1997, 675; J. Zekoll, The role and status of American Law in the Hague Judgments Convention Project, Albany L.Rev. 61 (1998), 1283; P. Schlosser, A New Hague Convention and the United States, U.Kansas L.Rev. 45 (1996), 39. 1017 Vgl. P. Beaumont, Brooklyn J.Int.L. 1998, 75; St. Burbank, AmJCompL 49 (2001), 203; R. Wagner, IPRax 2001, 533; A. T. v. Mehren, Rev.crit. 90 (2001), 85 = AmJCompL 49 (2001), 191; F.-R. Grabau/J. Hennecka, RIW 2001, 569; P. Gottwald, FS Geimer, 2002, S. 231; H. Schack, ZEuP 1998, 931. 1018 Vgl. R. Wagner, IPRax 2001, 533, 539.
220
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.414 § 3
Das Montrealer Übereinkommen (MÜ) von 19991019 hat grundsätzlich das gesamte bisherige „Warschauer System“ zum 28.6.2004 abgelöst. Es hat dazu die bisherigen Gerichtsstände von Art. 28 WA und Art VIII ZAG abgelöst. Art. 33 II MÜ eröffnet bei Tod oder Verletzung eines Passagiers zusätzlich einen Gerichtsstand vor den Gerichten des Staats, in dem der Passagier zur Zeit des Unfalls seinen primären ständigen Aufenthalt hat, sofern das Luftfahrtunternehmen in diesem Staat Flüge veranstaltet und durch eigene oder die Niederlassung eines verbundenen Luftfahrtunternehmens in diesem Staat Geschäfte betreibt.1020 Wurde die Beförderung von einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt, kann dieses alternativ an seinem Wohnsitz oder an dem Ort seiner Niederlassung verklagt werden (Art. 45, 46 MÜ). Das Montrealer Übereinkommen ist weitgehend ratifiziert worden. Gegenüber den Vertragsstaaten des Warschauer Übereinkommens, die dies nicht getan haben, gilt das Warschauer System weiter; allerdings sind dies nur noch wenige.1021 Die Zuständigkeit nach Art. 28 WA besteht in diesem Fall auch dann, wenn der Luftfrachtvertrag dem von Deutschland nicht ratifizierten Montrealer Zusatzprotokoll Nr. 4 unterliegt.1022 Art. 33 MÜ lautet: „Gerichtsstand (1) Die Klage auf Schadensersatz muss im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, an dem sich der Wohnsitz des Luftfrachtführers, seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befindet, durch die der Vertrag geschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsorts.
(2) Die Klage auf Ersatz des Schadens, der durch Tod oder Körperverletzung eines Reisenden entstanden ist, kann bei einem der in Abs. 1 genannten Gerichte oder im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats erhoben werden, in dem der Reisende im Zeitpunkt des Unfalls seinen ständigen Wohnsitz hatte und in das oder aus dem der Luftfrachtführer Reisende im Luftverkehr gewerbsmäßig befördert, und zwar entweder mit seinen eigenen Luftfahrzeugen oder aufgrund einer geschäftlichen Vereinbarung mit Luftfahrzeugen eines anderen Luftfrachtführers, und in dem der Luftfrachtführer sein Gewerbe von Geschäftsräumen aus betreibt, deren Mieter oder Eigentümer er selbst oder ein anderer Luftfrachtführer ist, mit dem er eine geschäftliche Vereinbarung geschlossen hat. (3) Im Sinne des Abs. 2 bedeutet a) „geschäftliche Vereinbarung“ einen Vertrag zwischen Luftfrachtführern über die Erbringung gemeinsamer Beförderungsdienstleistungen für Reisende im Luftverkehr mit Ausnahme eines Handelsvertretervertrags, 1019 Convention for the Unification of Certain Rules for International Carriage by Air, signed at Montreal on 28 May 1999; BGBl. 2004 II, 458, 473. 1020 Vgl. I. Saenger, Harmonisierung des internationalen Luftprivatrechts, NJW 2000, 169, 174; R. Schmid/Tr. Müller-Rostin, NJW 2003, 3516, 3520; W. Müller-Rostin, TranspR 1998, 229. 1021 Zum Rafikationsstand s. Müller-Rostin in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020, Einl. MÜ Rz. 64. 1022 BGH, RIW 2010, 74.
221
3.414
§ 3 Rz. 3.414 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
b) „ständiger Wohnsitz“ den Hauptwohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt des Reisenden im Zeitpunkt des Unfalls. Die Staatsangehörigkeit des Reisenden ist in dieser Hinsicht nicht entscheidend. (4) Das Verfahren richtet sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts.“ Art. 45. Beklagter „Soweit der ausführende Luftfrachtführer die Beförderung vorgenommen hat, kann eine Klage auf Schadensersatz nach Wahl des Klägers gegen diesen Luftfrachtführer, den vertraglichen Luftfrachtführer oder beide, gemeinsam oder gesondert, erhoben werden. Ist die Klage nur gegen einen dieser Luftfrachtführer erhoben worden, so hat dieser das Recht, den anderen Luftfrachtführer aufzufordern, sich an dem Rechtsstreit zu beteiligen; Rechtswirkungen und Verfahren richten sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts.“ Art. 46. Weiterer Gerichtsstand „Eine Klage auf Schadensersatz nach Artikel 45 kann nur in dem Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei einem der Gerichte erhoben werden, bei denen eine Klage gegen den vertraglichen Luftfrachtführer nach Artikel 33 erhoben werden kann, oder bei dem Gericht des Ortes, an dem der ausführende Luftfrachtführer seinen Wohnsitz oder seine Hauptniederlassung hat.“
3.415 Ergänzend ist § 56 LuftVG zu beachten. Haftpflichtklagen, die auf das LuftVG gestützt werden, können nach § 56 I auch beim Gericht des Unfallortes erhoben werden. Auf den Luftbeförderungsvertrag gestützte Klagen können zusätzlich am Gericht des Bestimmungsorts erhoben werden (§ 56 II 1). Bei einer Beförderung durch einen Dritten kann die Klage gegen den Dritten auch im Gerichtsstand des Luftfrachtführers und gegen den Luftfrachtführer im Gerichtsstand des Dritten erhoben werden (§ 56 II 2). Bei einer internationalen Luftbeförderung, die den internationalen Abkommen unterliegt, bestimmt sich der Gerichtsstand nur nach diesen Abkommen (§ 56 III LuftVG). 3.416 Soweit sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 33 II MÜ ergibt, ist für Klagen auf Schadensersatz bei Tod oder Körperverletzung eines Reisenden das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Reisende zur Zeit des Unfalls seinen Wohnsitz hatte (§ 56 III 2 LuftVG). b) Warschauer Abkommen
3.417 Das Warschauer Abkommen von 1929 gilt nur noch im Verhältnis zu den wenigen Staaten, die das Montrealer Übereinkommen nicht ratifiziert haben, Art. 28 I des Warschauer Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr v. 12.10.1929,1023 welcher dem § 21 ZPO gleicht, lautet: 1023 RGBl. 1933 II, 1039.
222
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.419 § 3
„Die Klage auf Schadenersatz muss in dem Gebiet eines der Hohen Vertragschließenden Teile erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, wo der Luftfrachtführer seinen Wohnsitz hat oder wo sich seine Hauptbetriebsleitung oder diejenige seiner Geschäftsstellen befindet, durch die der Vertrag abgeschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsortes.“ Die Regel betrifft ausschließlich die internationale Zuständigkeit.1024 Vor deutschen Gerichten ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus §§ 12 ff., 30 ZPO. Der BGH hat entschieden, dass als „Geschäftsstelle“ einer ausländischen Luftfahrtgesellschaft auch eine selbständige inländische Agentur anzusehen ist, derer sich die ausländische Fluggesellschaft regelmäßig beim Abschluss von Luftfrachtverträgen bedient.1025 Damit gelangt man meist zu einer Zuständigkeit am Ort des Vertragsschlusses, wenn nicht am Wohnsitz des Flugpassagiers.1026 Die deutsche internationale Zuständigkeit ist damit ausgedehnt worden, nachdem der BGH eine eigene Rechtspersönlichkeit einer inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Versicherungsgesellschaft bereits anerkannt hatte.1027
3.418
Art. 28 WA soll für Luftverkehrsunfälle durch eine Zuständigkeit am Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort des Fluggastes ergänzt werden.1028 Ergänzt wird Art. 28 WA durch Art VIII des Zusatzabkommens zum Warschauer Abkommen von Guadalajara v. 18.9.1961 (ZAG)1029. Dieser lautet: „Eine Klage auf Schadenersatz im Sinne des Artikels VII muss nach Wahl des Klägers entweder bei einem der Gerichte erhoben werden, bei denen eine Klage gegen den vertraglichen Luftfrachtführer nach Artikel 28 des Warschauer Abkommens erhoben werden kann, oder bei dem Gericht des Ortes, wo der ausführende Luftfrachtführer seinen Wohnsitz hat oder wo sich seine Hauptbetriebsleitung befindet.“ Auch diese Regel betrifft nur die internationale Zuständigkeit. Sie erweitert die Gerichtsstände um die des Wohnsitzes oder der Hauptbetriebsleitung des ausführenden Luftfrachtführers. Nach Art VII ZAG kann an jedem dieser Gerichtsstände sowohl gegen den vertraglichen als auch gegen den ausführenden Frachtführer geklagt werden.1030
1024 I. Koller, Transportrecht, 7. Aufl. 2010, Art. 28 WA 1955 Rz. 1; Gottwald in MünchKomm, 2. Aufl. 2007/8, WA, ZAG Rz. 2; vgl. Th. Wenzler, Art. 28 Abs. 1 WA in der Rspr. US-amerikanischer Gerichte, TranspR 1990, 414. 1025 BGH, IPRax 1984, 27 (dazu H. Nagel, S. 13). 1026 M. Otto, S. 145 f. 1027 BGH, NJW 1979, 1785. 1028 E. Jayme/Ch. Kohler, IPRax 1996, 377, 383. 1029 BGBl. 1963 II, 1159. 1030 I. Koller, Transportrecht, 7. Aufl. 2010, Art VII ZAG Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ ZPO, 2. Aufl. 2007/8, WA, ZAG Rz. 4.
223
3.419
§ 3 Rz. 3.420 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3. CMR
3.420 Schrifttum: H. Jesser-Huß, CMR in MünchKomm/HGB, Bd. 7, 3. Aufl. 2014, S. 1445; I. Koller,
Transportrecht, 10. Aufl. 2020, S. 1113; P. Mankowski, Commercial Law, 2019, S. 898; F. Ploil/ L. Kliment, The CMR Convention, Brussels I Regulation and „Empty International Competence“, CYIL 2015, 169; A. Puetz, Rules on Jurisdiction and Recognition or Enforcement of Judgments in Specialised Conventions on Transport in the Aftermath of TNT, EuLF 2018, 117; Staub/Reuschle, HGB, Bd. 14 CMR, 5. Aufl. 2017; K.-H. Thume, CMR, 3. Aufl. 2013.
3.421 Für Streitigkeiten aus grenzüberschreitenden Speditions- und Landfrachtverträgen ist u.a. zwingend eine Klage am Gericht der Hauptniederlassung oder am Gericht der Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle zulässig, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen wurde (Art. 31 I CMR). Wie bei Art. 33 MÜ ist auch eine selbständige Agentur als Geschäftsstelle anzusehen, wenn sich der Frachtführer ihrer regelmäßig zum Vertragsschluss bedient.1031 3.422 Nach Art. 31 I CMR kann der Frachtführer oder Spediteur nicht nur (a) am Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts, seiner Hauptniederlassung oder tätig gewordenen Zweigniederlassung, sondern auch (b) am Ort der tatsächlichen Übernahme des Frachtgutes oder am vertraglich vereinbarten Ablieferungsort verklagt werden. Diese Zuständigkeit kann nicht abbedungen werden (Art. 31 I 2 CMR). Art. 31 I CMR regelt die internationale Zuständigkeit1032 und hat nach Art. 71 EuGVO Vorrang vor dem europäischen Recht,1033 findet aber nicht nur bei vertraglichen, sondern auch bei der Geltendmachung außervertraglicher Ansprüche Anwendung, wenn die unerlaubte Handlung in sachlichem Zusammenhang mit der Güterbeförderung steht.1034 Der Vorrang darf aber nicht die Grundsätze einer geordneten Rechtspflege beeinträchtigen und nicht dazu führen, dass Parallelverfahren zulässig werden.1035 Die Anwendung von Art. 31 I CMR ist mit diesen Grundsätzen aber vereinbar.1036 3.423 Art. 31 I 1 lit. b CMR gilt auch für den gegen den Haftpflichtversicherer des Frachtführers gegebenen Direktanspruch des Absenders oder Empfängers oder aus übergegangenem Recht ihres Versicherers.1037 Art. 31 CMR gilt weiter für (deliktische) An1031 Thume/Demuth, CMR, 3. Aufl. 2013, Art. 31 Rz. 22; nur bei Rechtsschein, Jesser-Huß in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 21. 1032 I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 20120 Art. 31 CMR Rz. 1, 2; Herber/Piper, CMR, 1996, Art. 31 Rz. 9 ff.; Jesser-Huß in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 16 ff.; Staub/ Reuschle, CMR, Art. 31 Rz. 1 f.; Thume/Demuth, CMR, Art. 31 Rz. 12. 3. 1033 EuGH – C-533/08, EuGHE 2010, I-4107 (Rz. 45) (TNT Express Nederland v AXA Versicherung) = NJW 2010, 1736; EuGHE 2004, I-10327 (Nürnberger Allgemeine VersicherungsAG v Portbridge) = NJW 2005, 44 = EWiR Art. 57 EuGVÜ 1/04, 1219 (Th. Vogl) = IPRax 2006, 256 (dazu J. Haubold, S. 224); BGH, RIW 2003, 722. 1034 BGH, RIW 2009, 167, 168 (Rz. 19); BGH, RIW 2001, 941, 942; Staub/Reuschle, CMR Art. 31 Rz. 7. 1035 EuGH – C-533/08, EuGHE 2010, I-4107 (TNT Express Nederland) = NJW 2010, 1736, 1738 (Rz. 53); EuGH – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 – Nipponkoa Insurance (Rz. 36 ff.), EuZW 2014, 220 (J. Antomo). 1036 EuGH – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 – Nickel & Goeldner Spedition (Rz. 35 ff.), IPRax 2015, 417 (dazu Ch. Thole). 1037 BGH, RIW 2019, 689.
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II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.429 § 3
sprüche gegen einen Unterfrachtführer, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang mit dem Hauptbeförderungsvertrag besteht. Für den Abwendungsbereich ist nicht isoliert auf den Unterfrachtvertrag, sondern auf den Gesamtbeförderungsvertrag abzustellen.1038 Die örtliche und sachliche Zuständigkeit muss nach autonomem Recht begründet sein. In Deutschland ergibt sie sich aus Art. 1 a CMR-G, der nicht Teil der CMR ist. Die örtliche Zuständigkeit kann sich daneben ggf. auch aus den §§ 12, 13, 17, 21, 38, 39 ZPO ergeben.1039 Durch eine Veränderung des Aufbewahrungsorts nach Schadenseintritt wird keine neue Zuständigkeit nach Art. 1a CMR-G begründet.1040
3.424
Gerichtsstandsvereinbarungen sind auch nach Art. 31 I CMR zulässig. Diese Regel ist unabdingbar (Art. 41 I CMR) und geht der EuGVO (Art. 67) bzw. EuGVÜ/LugÜ (Art. 57) vor. Art. 31 I CMR bezieht sich aber nur auf die internationale Zuständigkeit. Diese kann danach formfrei vereinbart werden, so dass auf § 38 ZPO abzustellen ist.1041
3.425
Werden in einem Speditionsvertrag die ADSp (2017) als AGB vereinbart, so gilt die Gerichtsstandsabrede nach ADSp Ziff. 30.3 Satz 1 . ADSp Ziff. 30.3 Satz 2 stellt ausdrücklich klar, dass damit nur ein zusätzlicher, kein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart wird.1042
3.426
Ergänzend besteht für Regressansprüche eine internationale Zuständigkeit nach Art. 39 II CMR.1043 Diese Bestimmung lautet:
3.427
„1Ein Frachtführer, der sein Rückgriffsrecht gerichtlich geltend machen will, kann seinen Anspruch vor dem zuständigen Gericht des Staates erheben, in dem einer der beteiligten Frachtführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Hauptniederlassung oder die Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle hat, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag abgeschlossen worden ist. 2Ein und dieselbe Rückgriffsklage kann gegen alle beteiligten Frachtführer gerichtet werden.“ Diese Norm bezieht sich nur auf Regressansprüche im Innenverhältnis zwischen aufeinander folgenden Frachtführern i.S.v. Art. 34 CMR.1044
3.428
4. Gütertransport auf See Eine ähnliche, aber zwingende Regelung des Gerichtsstands sieht Art. 21 UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea v. 31.3.19781045 vor. In Verfahren, die See1038 1039 1040 1041 1042 1043 1044 1045
BGH, RIW 2009, 167, 169 (Rz. 22 ff.); Staub/Reuschle, CMR, Art. 31 Rz. 7. I. Koller, Art. 31, CMR Rz. 6; Staub/Reuschle, CMR, Art. 31 Rz. 18. OLG Karlsruhe, RIW 1996, 428. Thume/Demuth, CMR, 3. Aufl. 2013, Art. 31 Rz. 39 ff.; Staub/Reuschle, CMR, Art. 31 Rz. 23. Vgl. I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 5, 6. Staub/Reuschle, CMR, Art. 39 Rz. 5, 6. BGH, RIW 2008, 90; Staub/Reuschle, CMR Art. 39 Rz. 5. ILM 17 (1978), 608, 622.
225
3.429
§ 3 Rz. 3.429 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
frachtverträge betreffen, die unter das Übereinkommen fallen, kann der Kläger klagen (a) am Sitz der Hauptniederlassung oder hilfsweise dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Beklagten, (b) am Ort des Vertragsschlusses, wenn der Beklagte dort eine Niederlassung, Zweigniederlassung oder Agentur hat, von der aus der Vertrag geschlossen wurde, (c) am Ort des Ladehafens oder des Entladehafens oder (d) an einem anderen Ort, der dazu im Seefrachtvertrag vorgesehen ist. Außerdem kann an jedem Hafenort eines Vertragsstaats geklagt werden, an dem das Transportschiff oder ein anderes Schiff desselben Eigentümers mittels Arrests beschlagnahmt wurde.1046 5. Eisenbahnverkehr Schrifttum: R. Freise, Internationaler Eisenbahnverkehr in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020; I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, S. 1479; P. Mankowski, Commercial Law (Part VII, VIII), 2019, S. 1076 u. 1128.
3.430 Für Ansprüche aus Eisenbahn-Personen/Gepäck-Verträgen und Eisenbahn-Frachtverträgen ist die internationale Zuständigkeit in Art. 52 §§ 1, 2 CIV sowie Art. 46 CIM geregelt.1047 6. Gütertransport mit Binnenschiffen Schrifttum: K. Otte, Internationaler Binnenschiffsverkehr, in Münchener Kommentar zum HGB, Bd. 7, 4. Aufl. 2020.
3.431 Für den internationalen Transport mit Binnenschiffen gilt das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI).1048 Nach Art. 29 CMNI können die Parteien eines Binnenschifffahrtsvertrages das anwendbare Recht und damit auch den Gerichtsstand frei wählen. Hilfsweise gilt das Recht des Staates, mit dem der Frachtvertrag die engsten Verbindungen aufweist. Es wird vermutet, dass dies der Staat ist, in dem der Frachtführer zur Zeit des Vertragsschlusses seine Hauptniederlassung hatte, wenn sich auch der Ladehafen oder Löschhafen in diesem Staat befindet.1049 1046 Vgl. P. Mankowski, TranspR 1992, 301, 304 ff. 1047 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, IZPR, Nr C 4 (S 2193); Freise in MünchKomm/ HGB, Art. 46 CIM Rz. 1 ff.; Kreuzer/Wagner, Q 251 ff.; I. Koller, Art. 46 CIM Rz. 1 (nur wenn Klage auf CIM-Regeln gestützt). 1048 BGBl. 2007 II 298. 1049 M. Paschke/W. Furnell, Transportrecht, 2011, Rz. 908; Otte in MüncheKomm/HGB, 4. Aufl. 2020, Art. 29 CMNI Rz. 22 ff.; P. Mankowski, Commercial Law (Part VI), 2019, S. 990; I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, S. 1587.
226
II. Zuständigkeit nach Staatsverträgen | Rz. 3.437–499 § 3
Bei einem Transport auf Rhein und Mosel sind die Rheinschifffahrtsgerichte bzw. die Moselschifffahrtsgerichte zuständig.1050
3.432
7. Übereinkommen über besondere Unfälle a) Wegen Ansprüchen aus Schiffszusammenstößen kann der Kläger gem. Art. 1 des Übereinkommens v. 10.5.1952 zur Vereinheitlichung der Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen1051 nach seiner Wahl klagen: (1) vor dem Gericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Niederlassung hat, (2) vor dem Gericht, in dessen Bezirk ein Arrest in das Schiff des Beklagten vollzogen oder durch Sicherheitsleistung gehemmt worden ist, (3) vor dem Gericht, in dessen Bezirk der Zusammenstoß stattfand, wenn er sich in einem Hafen oder Binnengewässern ereignet hat. Zulässig sind Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 2). Außerdem können kraft Sachzusammenhangs mehrere Beteiligte vor dem gleichen Gericht verklagt werden (Art. 3).
3.433
b) Für die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie sind nach Art. 13 (a), (b) des Pariser Übereinkommens v. 29.7.19601052 die Gerichte des Staats zuständig, in dem das nukleare Ereignis eingetreten ist, hilfsweise des Staats, in dem die Kernanlage gelegen ist.
3.434
c) Für Ansprüche gegen den Inhaber von Reaktorschiffen wegen nuklearer Schäden sind nach Art X (1) des Übereinkommens v. 25.5.19621053 nach Wahl des Klägers die Gerichte des Genehmigungsstaats oder des Staats zuständig, in dem der Schaden eingetreten ist.
3.435
d) Nach Art IX (1) des Internationalen Übereinkommens von 19921054 sind für Klagen wegen Ölverschmutzungsschäden oder Schutzmaßnahmen die Gerichte des oder der betreffenden Staaten zuständig; für Streitigkeiten auf Schadenersatz oder Aufwendungsersatz bei Ölverschmutzungsschäden ist nach Art XI Nr. 1 des Gesetzes zum Internationalen Übereinkommen v. 29.11.19691055 auch das Gericht zuständig, „in dessen Bezirk sich das schädigende Ereignis zugetragen hat oder der Verschmutzungsschäden eingetreten ist oder Schutzmaßnahmen ... ergriffen oder angeordnet worden sind“.1056
3.436
Frei
1050 1051 1052 1053 1054 1055 1056
3.437– 499
M. Paschke/W. Furnell, Transportrecht, 2011, Rz. 909 f. BGBl. 1972 II 663; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 258 f. BGBl. 1985 II, 967; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 260. BGBl. 1975 II, 983. BGBl. 1996 II, 671, 680; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 261. BGBl. 1996 II, 671, 680. Vgl. K. Ramming, Zur Zuständigkeit deutscher Gerichte für Ansprüche wegen Ölverschmutzungsschäden, TranspR 2007, 13.
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§ 3 Rz. 3.500 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
III. Autonomes deutsches Recht 1. Schrifttum
3.500 a) Allgemein: M. Aden, Internationale Notzuständigkeit, ZVglRWiss 106 (2007), 490; S. Ade-
na, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, RIW 2010, 868; F. Banholzer, in Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch MultimediaRecht (Teil 25), 48. EL 2019; J. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998; A. Bittighofer, Der internationale Gerichtsstand des Vermögens, 1994; B. Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998; D. Busse, Aufrechnung bei internationalen Prozessen vor deutschen Gerichten, MDR 2001, 729; D. Coester-Waltjen, Die Aufrechnung im internationalen Zivilprozessrecht, FS G. Lüke, 1997, S. 35; D. Coester-Waltjen, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, FS Schütze, 1999, S. 175; D. Coester-Waltjen, Parteiautonomie in der internationalen Zuständigkeit, FS Heldrich, 2005, S. 549; D. Coester-Waltjen, Himmel und Hölle: Einige Überlegungen zur internationalen Zuständigkeit, RabelsZ 79 (2015), 471; K. Cornils, Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet, JZ 1999, 394; K. Danelzik, Die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen ZPO, EuGVVO und HGÜ, 2019; Ch. Dorsel, Forum non conveniens, 1996; W. Eberl, Einmal Opfer, immer Opfer? § 32 ZPO und negative Feststellungsklagen, FS Schütze, 2014, S. 51; W. Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985; P. Fölsch, Die Berufungszuständigkeit der OLG bei Fällen mit Auslandsberührung, MDR 2008, 301; M. Fricke, Der Gerichtsstand des Vermögens, IPRax 1991, 159; M. Fricke, Neues vom Vermögensgerichtsstand, NJW 1992, 3066; M. Gebauer, Die Aufrechnung nach italienischem Recht vor deutschen Gerichten, JbItalR 12 (1999), 31; R. Geimer, „Doing business in Germany“ als Basis deutscher internationaler Zuständigkeit, RIW 1988, 221; R. Geimer, Verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Normierung der internationalen Zuständigkeit, FS Schwind, 1993, S. 17; R. Geimer, Reflexionen über ausschließliche internationale Zuständigkeiten, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 187; R. Geimer, Die internationale Zuständigkeitsordnung des autonomen deutschen Rechts, NJW 2005, Sonderheft BayObLG, S. 31; R. Geimer, Forum actoris für Kapitalanlegerklagen, FS Martiny, 2014, S. 711; J. Habbe/Ph. Wimalasena, Inanspruchnahme deutscher Gerichte bei rufschädigenden Internet-Äußerungen von Wettbewerbern im Ausland, BB 2015, 520; O. Hartwieg, Forum shopping zwischen Forum non Conveniens und „hinreichendem Inlandsbezug“, JZ 1996, 109; S. Haunhorst, Die wesenseigene (Un-)Zuständigkeit deutscher Gerichte, 1994; J. v. Hein, Der ausschließliche Gerichtsstand für Kapitalanleger-Musterverfahren, RIW 2004, 602; A. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969; E. Jayme, Die internationale Zuständigkeit bei Haustürgeschäften, FS Nagel, 1987, S. 123; W. Junge, Die Kognitionsbefugnis über Zurückbehaltungsrechte im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2017; A. Junker, Internationales Vertragsrecht im Internet, RIW 1999, 809; M. Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Prozessrecht, 1988; T. Kleinstück, Due-Process-Beschränkungen des Vermögensgerichtsstandes durch hinreichenden Inlandsbezug und Minimum Contacts, 1994; R. Koch, Zur Vereinbarung des Erfordernisses „hinreichender Inlandsbezug des Rechtsstreits“ gem. § 23 ZPO mit dem Gemeinschaftsrecht, IPRax 1997, 229; J. Kropholler, Internationale Zuständigkeit, Hdb IZPR, Bd I, 1982; S. Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999; Ch. Kuner, Internationale Zuständigkeitskonflikte im Internet, CR 1996, 453; D. Leipold, Probleme des internationalen Zivilverfahrensrechts, in The International Symposium on Civil Justice in the Era of Globalization, Tokyo 1993, S. 3; W. Lindacher, Internationale Zuständigkeit in Wettbewerbssachen, FS Nakamura, 1996, S. 321; A. Lüderitz, Fremdbestimmte internationale Zuständigkeit? Versuch einer Neubestimmung von § 29 ZPO, FS Zweigert, 1981, S. 233; B. Lurger, Inlandsbezug von Vermögensgerichtsständen, ZfRV 1995, 61; P. Mankowski, Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auf dem Prüfstand der internationalen Zuständigkeit, IPRax 2006, 454; H.-P.
228
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229
§ 3 Rz. 3.500 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen gegen Weltkartelle, 2017; A. Walchshöfer, Die deutsche internationale Zuständigkeit in der streitigen Gerichtsbarkeit, ZZP 80 (1967), 165; Ch. Wenner, Grundstückseigentum im Ausland – Gerichtsstand im Inland?, FS Jagenburg, 2002, S. 1013; P. Winkler v Mohrenfels, Internationale Scheidungszuständigkeit und Gleichberechtigung, ZZP 94 (1981), 71; Ch. Wolf, Gerichtspflichtigkeit durch Vermögen, 2002; S. Würthwein, Zur Problematik der örtlichen und internationalen Zuständigkeit aufgrund unerlaubter Handlung, ZZP 106 (1993), 51; H.-J. Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung und die Bedeutung des Genuine-Link-Erfordernisses, 1992, S. 219 ff.; M. Zigann, Entscheidungen inländischer Gerichte über ausländische gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, 2002. b) Gerichtsstandsvereinbarungen: F. v. Baum, Die prozessuale Modifizierung von Wertpapieren durch Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, 1998; U. Ehricke, Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB im vollkaufmännischen Verkehr, ZZP 111 (1998), 145; F. Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, 2007; J. v. Falkenhausen, Ausschluss von Aufrechnung und Widerklage durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, RIW 1982, 386; P. Gottwald, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Henckel, 1995, S. 295; R. Hausmann, Einheitliche Anknüpfung internationaler Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen?, FS W. Lorenz, 1991, S. 359; H. Heiss, Die Form internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, ZfRV 2000, 202; E. Hernández-Breton, Internationale Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1993; G. Kegel, Gerichtsstand und Geschäftsgrundlage, FS Henrich, 2000, S. 327; Y.-J. Kim, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, 1995; P. Mankowski, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im Lichte der Spieltheorie, in Eger/Bigus/Ott/v. Wangenheim, Internationalisierung des Rechts und seine ökonomische Analyse, 2008, S. 369; F. Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und internationalen Zivilprozessrecht, 1967; Th. Pfeiffer, Halbseitig fakultative Gerichtsstandsvereinbarungen in stillschweigend vereinbarten AGB?, IPRax 1998, 1; Th. Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte (§ 22: Gerichtsstandsvereinbarungen), 1999; G. Prinzing, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO, IPRax 1990, 83; H.-E. Rasmussen-Bonne, Alternative Rechts- und Forumswahlklauseln, 1999; Th. Rauscher, Gerichtsstandsbeeinflussende AGB im Geltungsbereich des EuGVÜ, ZZP 104 (1991), 271; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Teil A, 8. Aufl. 2015, S. 2015; G. Roth, Internationale Probleme bei Prorogation und Derogation, ZZP 93 (1980), 156; A. Ruzik, Der Erfüllungsgerichtsstand nach § 29 ZPO bei internationalen Flugreisen, NJW 2011, 2019; I. Saenger, Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Sandrock, 2000, S. 807; F. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997; O. Sandrock, Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln in Verträgen zwischen US-amerikanischen und deutschen Unternehmen: Was ist zu empfehlen?, FS Stiefel, 1987, S. 625; N. Schoibl, Zum Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr, in (Linzer) Beiträge zum Zivilprozessrecht IV, 1991, S. 121; R. Schütze, Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln bei equal bargaining power der Parteien, GS M. Wolf, 2011, S. 551; F. Sparka, Jurisdiction and Arbitration Clauses in Maritime Transport Documents, 2010; G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 346 ff., 556 ff.; A. Walchshöfer, Die Wirksamkeit internationaler Zuständigkeitsvereinbarungen, NJW 1972, 2164; G. Walter, Der Kampf ums Forum – oder: Der Justizkonflikt USA – Europa aus Schweizer Sicht, FS Nemeth, 2003, S. 959; M. Wandt/J. Gal, Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungssachen im Anwendungsbereich des § 215 VVG, GS M. Wolf, 2011, S. 579; M. Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005; M. Weller, Optional Choice of Court Agreements, in Schmidt-Kessel, German National Reports on the 20th International Congress of Comparative Law, 2018, S. 209; P. Weyland, Zur Frage der Ausschließlichkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, GS Arens, 1993, S. 417.
230
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.504 § 3
2. Einführung Während die Probleme der Gerichtsbarkeit nur einen kleinen Teil der Vertragsgestaltung und der Prozessvorgänge betreffen, hat die Bedeutung der internationalen Zuständigkeit in den letzten Jahren sehr stark zugenommen, weil die Fälle mit Auslandsberührung durch den Wirtschaftsverkehr, das weltweite Internet, den ins Riesige gewachsenen Tourismus und durch familiäre Beziehungen stetig ansteigen. Schon vor einer Vertragsgestaltung muss überlegt werden, vor welchem Gericht geklagt werden muss, falls Streitigkeiten entstehen sollten. Schon dabei muss erwogen werden, ob aus einem Urteil eines deutschen Gerichts auch im Ausland vollstreckt werden kann oder ob man sich sogleich entscheiden sollte, im Ausland zu klagen. Dabei sind wiederum spezifische Schwierigkeiten zu erwägen. Vorrangig stellt sich die Frage nach der deutschen internationalen Zuständigkeit. Selbst die eindeutig begründete Klage ist als unzulässig abzuweisen, wenn es an einem internationalen Gerichtsstand in Deutschland fehlt.
3.501
3. Begriff der internationalen Zuständigkeit In Deutschland unterscheidet man zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit.1057 Bei der Gerichtsbarkeit geht es darum, ob ein Staat seine Gebietsbzw. Personalhoheit gegenüber anderen Staaten und ihren Repräsentanten sowie internationalen Organisationen ausüben darf (s. bei § 2). Mit der Begrenzung der internationalen Zuständigkeit entscheidet der Staat autonom, ob und in welchem Umfang er seine grds. bestehende Jurisdiktionshoheit in grenzüberschreitenden („internationalen“) Fällen ausüben will.1058
3.502
Den Begriff der internationalen Zuständigkeit hat Neuner 1929 eingeführt. Die deutsche Rechtsprechung und Lehre haben ihn allgemein übernommen. Die internationale Zuständigkeit unterscheidet sich erheblich sowohl von der Gerichtsbarkeit als auch von der örtlichen, sachlichen und funktionalen Zuständigkeit.1059 Diese Unterscheidung liegt auch dem Europäischen Recht (EuGVO/LugÜ) zugrunde.
3.503
Das anglo-amerikanische Recht unterscheidet nicht in dieser Weise, sondern fragt stets, ob ein Staat personal jurisdiction bzw. in völkerrechtlicher Terminologie „jurisdiction to adjudicate“1060 ausüben darf. Völkerrechtlich geht es danach um einen Souveränitätsausgleich zwischen den beteiligten Staaten, wobei gegenwärtig nur gesagt werden kann, dass der Rechtsstreit eine „vernünftige Beziehung“ bzw. „minimum contacts“ zum Gerichtsstaat haben muss. Allerdings kann es nicht (nur) um sinnvolle Machtausübung des Staats gehen, sondern es geht primär darum, in grenzüberschreitenden Fällen sinnvoll zuständige Gerichte bereitzustellen.1061 Zwei-
3.504
1057 Vgl. B. Heß, Staatenimmunität, 1992, S. 387 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, §§ 19, 31. Anders in Polen; s. K. Weitz, Jurysdykcja Krajowa, 2005, S. 463. 1058 P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119; B. Heß, Staatenimmunität, 1992, S. 380; Soergel/ Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 2. 1059 Vgl. H. Roth, ZVerglRWiss 90 (1991), 298. 1060 Vgl. Restatement Foreign Relations Law [Third], § 421. 1061 R. Geimer, ZfRV 5 (1992), 321, 334 f.
231
§ 3 Rz. 3.504 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
felsfreie konkrete völkerrechtliche Grenzen sind hierzu bisher nicht entwickelt worden.1062
3.505 Aus dem deutschen Grundgesetz folgt lediglich ein allgemeiner Justiz-(gewährungs)-anspruch. International lassen sich daraus ein Verbot des deni de justice (s. Rz. 3.519 ff.) und die Pflicht des Staats ableiten, seine Gerichte zu öffnen, soweit der Streitgegenstand Inlandsbezug hat. Konkretere Grenzen lassen sich aus dem Grundgesetz dagegen nicht ableiten.1063 3.506 Die internationale Zuständigkeit muss unterschieden werden von der örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit. Dabei ist die Unterscheidung von der örtlichen Zuständigkeit deswegen besonders wichtig, weil die internationale an die örtliche Zuständigkeit in mancher Hinsicht angeknüpft wird. Das Zivilprozessreformgesetz v. 27.7.2001 ordnet zwar in den §§ 513 II, 545 II ZPO an, dass Berufungs- bzw. Revisionsgericht nicht prüfen, ob das Gericht erster Instanz „seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat“. Die Kontrolle der internationalen Entscheidungszuständigkeit hat aber einen anderen Zweck und einen anderen Stellenwert und ist daher auch weiterhin nicht ausgeschlossen.1064 3.507 In allen Instanzen muss das Gericht daher von Amts wegen prüfen, ob die Gerichtsbarkeit besteht und ob es für die Entscheidung international zuständig ist.1065 Sowohl beim Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit als auch beim Fehlen einer internationalen Zuständigkeit muss die Klage als unzulässig abgewiesen werden. 3.508 Soweit die internationale Zuständigkeit von Tatsachenbehauptungen abhängt, deren Vorliegen zur Begründetheit der Klage führt (sog. doppelrelevante Tatsachen), ist deren Richtigkeit für die Zulässigkeit der Klage zu unterstellen.1066 Übersieht das Gericht, dass ihm die Gerichtsbarkeit gar nicht gegeben war, so liegt ebenso ein Fehlurteil vor, wie wenn es seine internationale Zuständigkeit verkennt. Der wesentliche Unterschied kommt darin zum Ausdruck, dass beim Fehlen der Gerichtsbarkeit dem Gericht die „facultas jurisdictionis“ gar nicht gegeben ist, während durch das Fehlen der internationalen Zuständigkeit die Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht beeinflusst wird.
1062 H. Schack, FS Nakamura, S. 491, 506. 1063 R. Geimer, FS Schwind, 1993, S. 17, 30 ff.; vgl. Th. Pfeiffer, S. 335 ff., 433 ff. 1064 BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426 = JZ 2003, 850 (A. Staudinger); H. Prütting, GS Blomeyer, S. 803. 1065 BGHZ 188, 373 (Rz. 9) = NJW 2011, 2515; BGHZ 184, 365 (Rz. 17) = IPRax 2011, 497 (dazu A. Engert/G. Groh, S. 458). 1066 BGHZ 183, 49, 55 (Rz. 14) = NJW 2010, 873; dazu R.-M. McGuire, ZZP 123 (2010), 229; BGHZ 124, 237 = NJW 1994, 1413 (dazu P. Gottwald, IPRax 1995, 75); OLG Saarbrücken, IPRax 2018, 61 (dazu G. Schulze, S. 26); H. Schack, IZVR, Rz. 446; E. Schumann, FS Nagel, 1987, 420; Roth in Stein/Jonas, § 1 ZPO Rz. 24 ff.; enger R. Geimer, IZPR, Rz. 1825 ff.; ablehn. P. Mankowski, IPRax 2006, 454.
232
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.512 § 3
Durch eine Verweisung an das örtlich zuständige Gericht gem. § 281 ZPO wird keine internationale Zuständigkeit begründet; die Verweisung bindet also nicht hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit.1067
3.509
Zu unterscheiden ist weiter zwischen ausschließlicher internationaler und konkurrierender internationaler Zuständigkeit, je nachdem, ob ein Staat für gewisse Fälle die ausschließliche internationale Zuständigkeit seiner Gerichte beansprucht oder ob für denselben Streitfall die Gerichte mehrerer Staaten zuständig sein können. Aus der Ausschließlichkeit der örtlichen Zuständigkeit folgt nicht ohne weiteres die der internationalen, vielmehr ist zu prüfen, ob besondere öffentliche Interessen auch international eine Ausschließlichkeit erfordern.1068
3.510
Zu der Begriffsbestimmung der internationalen Zuständigkeit gehört eine irgendwie geartete internationale Bezogenheit des zu entscheidenden Falles. Fehlt diese, so erübrigt sich die Prüfung der internationalen Zuständigkeit von vornherein. Den Parteien steht es aber grds. frei, die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines beliebigen „neutralen“ Staats zu vereinbaren, mit dem der Fall sonst keine Beziehung hat. Wird die Zuständigkeit deutscher Gerichte vereinbart, so hat sich das deutsche Gericht sachlich mit der Klage zu befassen und darf die Parteien nicht an die Gerichte eines ausländischen Staats verweisen, mit dem der Streit nähere Berührungspunkte hat.1069
3.511
Die gegenteilige Lehre vom „forum non conveniens“ ist auf das deutsche Recht nicht übertragbar.1070 Sie ist eine Reaktion darauf, dass Gerichtsstände zu weit gefasst sind, etwa der Kläger durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten während dessen zufälliger Anwesenheit am Ort der Zustellung einen Gerichtsstand begründen kann.1071 Einzelne Entscheidungen,1072 die die Parteien aus Zweckmäßigkeitsgründen an ausländische Gerichte verwiesen haben, haben sich zu Recht nicht durchgesetzt. Nach deutschem Recht hat der Kläger einen Justizanspruch, sofern eine internationale Zuständigkeit besteht; mit diesem unbedingten Anspruch ist die forum non conveniens-Doktrin nicht vereinbar.1073 Die Prorogation deutscher Gerichte erfordert keine besondere Inlandsbeziehung. Ansätze zu forum non conveniens-Überlegungen bestehen nur für FG-Verfahren, etwa bei Entscheidungen über die elterliche Sorge bzw. die Vormundschaft (vgl. Art. 15 Brüssel IIa-VO; § 99 II, III FamFG).
3.512
1067 1068 1069 1070
R. Schütze, RIW 1995, 630. R. Geimer, Liber amicorum Böckstiegel, S. 187, 193. A.A. LG Hamburg, RIW/AWD 1976, 228. R. Geimer, IZPR, Rz. 1957; J. Kropholler, IZVR, Bd. I Kap. III Rz. 204; B. v. Hoffmann, IPRax 1982, 222; Th. Pfeiffer, Festgabe BGH, S. 617, 628 ff.; H. Schack, Rz. 559 ff.; Th. Pfeiffer, RabelsZ 58 (1994), 40; R. Schütze, Rz. 125; für „behutsame Anwendung“ dagegen Soergel/Kronke, Art. 28 Anh. Rz. 26. 1071 P. Schlosser, Bericht z. 1. Beitrittsübereinkommen zum EuGVÜ, ABl-EG, 5.3.1973, Nr C 59, 97 f Nr. 78; P. Schlosser, IPRax 1983, 285 u. OLG Frankfurt, IPRax 1983, 294. 1072 ZB AmtsG Eggenfelden, IPRax 1982, 78 u. LG Hamburg, RIW 1976, 228. 1073 Th. Pfeiffer, S. 381 ff., 421.
233
§ 3 Rz. 3.513 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.513 Sind nach Sachlage die Gerichte mehrerer Staaten international zuständig, so steht es dem Kläger nach deutschem Recht frei, in dem Land zu klagen, in dem die Prozessführung für ihn am einfachsten ist oder in dem er sich aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensgestaltung oder der zu erwartenden materiell-rechtlichen Rechtsanwendung (- oft die lex fori) die meisten Vorteile erwartet.1074 Aus deutscher Sicht ist sog. forum shopping legitim.1075 In einer freien marktwirtschaftlichen Ordnung dürfen nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Geschäftsvorteile genützt werden. Common law-Staaten versuchen dagegen, Vorteile aus forum shopping zu begrenzen und auf ihre „Legitimität“ durch Versagung einer Sachentscheidung aus forum non conveniens-Gesichtspunkten zu kontrollieren (s Rz. 3.552 ff.).1076 Solche Überlegungen sind gewiss legitim, soweit sie die Prozessführung betreffen (insb. Lage der Beweismittel). Die Versagung des Rechtsschutzes wegen materiellen forum shopping erscheint aber problematisch, weil sie leicht in nationale Diskriminierung einmünden kann (zur Einschränkung des Vermögensgerichtsstands, s. Rz. 3.435). Die Suche nach einem „idealen“ Gericht ist in grenzüberschreitenden Fällen ein vergebliches Bemühen.1077 3.514 Grenze der Wahl zwischen Gerichtsständen ist die Zuständigkeitserschleichung. Bei den meisten Gerichtsständen ist aber schwer vorstellbar, wie der Kläger deren Tatbestand arglistig herbeiführen kann.1078 3.515 Die materielle Anwendbarkeit des eigenen Rechts eröffnet als solche noch keine internationale Zuständigkeit; es besteht also kein Gleichlauf von Forum und Ius.1079 Auch sonst kann es trotz hinreichender Inlandsbeziehung in einem im Übrigen auslandsbezogenen Fall an der internationalen Zuständigkeit fehlen. Das ist der Fall, wenn zwei Deutsche vor einem inländischen Gericht über dingliche Rechte an einem im Ausland gelegenen Grundstück streiten wollten, oder wenn es bei dem Streit um ausländische Patente oder Marken geht.1080 Einige haben versucht, einen Völkergewohnheitsrechtssatz dahingehend nachzuweisen, dass Grundstücksangelegenheiten grds. durch das Gericht der „lex rei sitae“ zu entscheiden seien.1081 Richtigerweise handelt es sich nur um eine einfachgesetzliche Zurückhaltung. Die deutsche interna1074 Vgl. W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozessrecht, 1996; Th. Pfeiffer, Internationales Zivilverfahrensrecht, in Kube, Leitgedanken des Rechts, Bd. 2, 2013, S. 1315, 1320 (Rz. 12). 1075 Vgl. A. Schwartze, Internationales forum shopping, FS v. Hoffmann, 2011, S. 415; Jasper, Forum shopping in England und Deutschland, 1990, S. 91 ff.; F. Vischer, FS v. Overbeck, 1990, S. 349, 350 ff.; Th. Pfeiffer, S. 487 ff.; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 126 ff.; H. Schack, Rz. 250 ff. 1076 Vgl. F. Juenger, 63 Tul.L.Rev. 553 (1989); C. J. van Lynden, Forum shopping, 1998. 1077 Vgl. F. Juenger, FS Voskuil, 1992, S. 137; J. Hill/A. Chong, International Commercial Disputes, 4th ed. 2010, Ch. 9.2. (p. 293). 1078 Vgl. F. Vischer, FS v. Overbeck, 1990, S. 349, 355. 1079 Th. Pfeiffer, Internationales Zivilverfahrensrecht, in Kube u.a., Leitgedanken des Rechts, Bd. 2, 2013, S. 1315, 1317. 1080 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 31 Rz. 38 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 995, 1002 (Unzuständigkeit ratione materiae). 1081 J. Schröder, S. 372; W. Wengler, Völkerrecht II, 945; a.A. R. Geimer, IZPR, Rz. 394, 869.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.519 § 3
tionale Zuständigkeit sollte daher in den Fällen des spiegelbildlich anzuwendenden § 24 ZPO nur verneint werden, wenn der ausländische Drittstaat selbst eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt und seine Entscheidung im Inland anerkannt werden kann.1082 Art. 5 italien. IPRG 1995 sagt dagegen ausdrücklich, dass die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte für Streitigkeiten über dingliche Rechte an ausländischen unbeweglichen Sachen nicht gegeben ist. Der Rechtsanwalt, den eine Partei wegen eines internationalen Streitfalls um Rat fragt, hat seine Partei auch über Fragen der internationalen Zuständigkeit zu beraten.1083
3.516
Schließlich ist die inländische Gerichtstätigkeit nicht gegeben, wenn das vom IPR berufene ausländische Sachrecht vom Richter eine Tätigkeit verlangt, die ihm nach deutschem Verständnis „wesensfremd“ ist (sog. „wesenseigene Zuständigkeit“). Es geht also um die Grenze, jenseits derer eine Anpassung an das Auslandsrecht nicht möglich ist und eine Tätigkeit verweigert werden darf.1084 Im Allgemeinen ist man heute zu einer weitgehenden Anpassung des inländischen Verfahrens bereit, um ausländische Rechte zu verwirklichen. In jüngster Zeit ist die Grenze „wesenseigener Zuständigkeit“ mehrfach im Zusammenhang mit Privatscheidungen nach religiösen Rechten diskutiert und teilweise bejaht worden (s. Rz. 6.111 ff.).
3.517
Abgesehen von § 98 I Nr. 4 FamFG (s. Rz. 4.37 f.) hängt die internationale Zuständigkeit nicht davon ab, ob der Staat, dessen Recht in der Sache angewendet wird, die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats anerkennt.1085
3.518
4. Die Regelung der internationalen Zuständigkeit gem. §§ 12 ff. ZPO In der ZPO finden sich keine Vorschriften, die die internationale Zuständigkeit direkt regeln. Nach der h.M. regeln aber die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit in auslandsbezogenen Fällen zugleich die der deutschen internationalen Zuständigkeit.1086 Die Regeln über die örtliche Zuständigkeit sind grds. doppelfunktional anzuwenden.1087 Fehlt danach eine Zuständigkeit, kann aber auch ein ausländisches Gericht nicht angerufen werden, so ist ggf. eine Notzuständigkeit (s. Rz. 3.521) zu eröffnen. In der Praxis wird es nur selten zu einer Notzuständigkeit kommen. In 1082 So J. Eicher, Die Auswirkungen von Rechtsverwirklichungschancen in Drittstaaten auf die Justizgewährung in Deutschland, 2017, S. 241 ff. 1083 OLG Koblenz, RIW 1990, 218. 1084 A. Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 255 ff.; J. Kropholler, IPR, § 57 II; S. Haunhorst, Die „wesenseigene (Un-)Zuständigkeit“ deutscher Gerichte, 1994. 1085 A. Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 199 ff. 1086 BGHZ 195, 243 (Rz. 11) = MDR 2013, 168; BGHZ 189, 320 (Rz. 7) = NJW 2011, 2518; BGH, ZIP 2010, 786, 787; BGHZ 94, 156, 157 f. = NJW 1985, 2090; BGHZ 115, 90 ff. = RIW 1991, 856; BGHZ 119, 392, 393; 120, 334, 337 = NJW 1993, 1073; BGH, NJW 1997, 2245; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 567; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 31 Rz. 35; Roth in Stein/Jonas, Vor § 12 ZPO Rz. 32. 1087 Vgl. Th. Pfeiffer, Festgabe BGH, S. 617, 623 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Vorb. § 1 Rz. 6; Th. Rauscher, IPR Rz. 2254; Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. IV Rz. 20.
235
3.519
§ 3 Rz. 3.519 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
vielen Fällen, in denen die Literatur auf eine Notzuständigkeit ausweicht, besteht schon eine gesetzliche Zuständigkeit, etwa nach § 23 ZPO, nach § 16 ZPO oder nach § 32 ZPO.
3.520 Ein in der Theorie vielfach vertretener Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht ist für das deutsche Recht nicht anzuerkennen.1088 Weder wird die internationale Zuständigkeit durch die Anwendbarkeit deutschen Rechts in der Sache begründet noch entfällt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wegen der Anwendbarkeit ausländischen Rechts. 3.521 Die Verbindung der örtlichen mit der internationalen Zuständigkeit erweist sich also in der Praxis als eine durchaus befriedigende Lösung. In den Fällen, in denen die §§ 12 ff. ZPO keinen Gerichtsstand zur Verfügung stellen, ist die Beziehung zu einem anderen Staate grds. so stark, dass eine ausländische internationale Zuständigkeit gegeben ist. Jedoch ist eine Notzuständigkeit der deutschen Gerichte zu eröffnen, wenn andernfalls eine Justizverweigerung gegeben wäre.1089 Der vom BAG entschiedene Fall führte infolge von Kriegsereignissen im Libanon zum Wiederaufleben der deutschen internationalen Zuständigkeit.1090 a) Wohnsitz des Beklagten
3.522 Die deutsche internationale Zuständigkeit knüpft in erster Linie an den Wohnsitz des Beklagten an, §§ 12, 13 ZPO i.V.m. §§ 7 ff. BGB. In Unterhaltssachen kann nach § 23a ZPO am Wohnsitz des Klägers geklagt werden, wenn der Beklagte keinen inländischen Gerichtsstand hat. Ob ein Ausländer Wohnsitz in Deutschland hat, richtet sich nur nach §§ 7 ff. BGB.1091 Nach deutschem Recht kann eine Partei auch mehrere Wohnsitze (auch im In- und Ausland) haben (anders Art. 20 II 1 schweiz. IPRG). b) Gewöhnlicher Aufenthalt
3.523 Im streitigen Zivilprozess knüpft das deutsche Recht die internationale Zuständigkeit nur ausnahmsweise an den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an.1092 Bei Haustürgeschäften kann mangels Inlandswohnsitz des Kunden am Gericht seines gewöhnlichen Aufenthalts geklagt werden (§ 29c I ZPO). In Sorgerechtssachen stellt Art. 1 MSA dagegen primär auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ab. 3.524 Eine Aufenthaltszuständigkeit oder eine Zuständigkeit am letzten Inlandswohnsitz ist nach § 16 ZPO nur eröffnet, wenn der Beklagte überhaupt keinen Wohnsitz (im 1088 Vgl. A. Heldrich, passim; Th. Pfeiffer, S. 91 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 1041 ff.; J. Kropholler, IPR, § 58 II 3 (S. 612); Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 25. 1089 R. Geimer, IZPR, Rz. 1024 ff.; J. Eicher, Die Auswirkungen von Rechtsverwirklichungschancen in Drittstaaten ..., 2017, S. 275 ff. 1090 BAG, JZ 1979, 647. 1091 BGH, FamRZ 1992, 794, 795; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Bünnigmann, § 13 Rz. 3; F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori, 1995, S. 87 ff. 1092 Vgl. D. Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, 1994.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.527 § 3
In- oder Ausland) hat.1093 Ob ein Wohnsitz im Ausland besteht, ist nach dem ausländischen Recht zu beurteilen.1094 Ob ein Deutscher einen Auslandswohnsitz hat, will Bünnigmann dagegen nach deutschem Recht beurteilen.1095 § 16 ZPO enthält aber eine Auffangzuständigkeit, wenn kein regulärer allgemeiner Gerichtsstand besteht. Danach kann nur das jeweilige Auslandsrecht entscheiden, ob dies der Fall ist.1096 Für ausländische Saisonarbeiter, Studenten, Praktikanten etc besteht ebenfalls eine internationale Zuständigkeit am Aufenthaltsort (§ 20 ZPO). c) Gerichtsstände einer juristischen Person (1) Der allgemeine Gerichtsstand einer juristischen Person oder eines sonstigen parteifähigen Gebildes wird durch den Sitz bestimmt. Dieser Sitz wird primär durch die Satzung festgelegt. Deutsche Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften müssen ihren Sitz zum Handelsregister anmelden. Nur wenn der Sitz danach nicht eindeutig bestimmbar ist, gilt als Sitz im Zweifel der Ort der Hauptverwaltung (§ 17 I 2 ZPO).1097
3.525
(2) Der Gerichtsstand der gewerblichen Niederlassung eines ausländischen Unternehmers im Inland betrifft nur Klagen gegen den Inhaber der inländischen Zweigniederlassung, § 21 ZPO. Die Zweigstelle teilt nämlich das rechtliche Schicksal der ausländischen Gesellschaft. Die Zweigstelle besitzt keine eigene Rechtsfähigkeit, ist also auch nicht parteifähig.1098 Die Klage muss freilich Bezug auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung haben. Der Inhaber des ausländischen Unternehmens kann nur aus den von und mit einer Zweigniederlassung geschlossenen oder über diese Niederlassung abgewickelten Verträgen unter der Firma der inländischen Zweigniederlassung klagen und verklagt werden.1099 Ausländische Versicherungen müssen einen inländischen Hauptbevollmächtigten bestellen, der das Versicherungsunternehmen auch vor Gericht vertreten kann (§§ 106 III 3, 110d II 2 VAG). Ausländische Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen müssen zwei Geschäftsleiter mit derartigen Befugnissen bestellen (§ 53 Nr. 1 KWG). Ausländische Investmentgesellschaften müssen einen Repräsentanten im Inland bestellen, der die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§§ 136 I Nr. 2, 138 I 1 InvG).
3.526
Eine Niederlassung besteht nur, wenn diese selbständig alle üblichen Geschäfte abschließen kann; eine bloße Agentur, Annahmestelle, Repräsentanz etc zur Kontaktpflege und Vermittlung von Vertragsofferten begründen keinen Gerichtsstand. Eine
3.527
1093 1094 1095 1096 1097 1098 1099
Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Bünnigmann, § 16 ZPO Rz. 2, 3. Schultzky in Zöller, § 16 ZPO Rz. 4. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Bünnigmann, § 16 ZPO Rz. 2. F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori, 1995, S. 90 ff. Schultzky in Zöller, § 17 ZPO Rz. 10. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 43 Rz. 7. BGHZ 188, 85 = NJW 2011, 2056 = ZIP 2011, 978, 979 (dazu A. Staudinger, JR 2012, 47); BGH, NJW 1995, 1225, 1226; OLG Frankfurt, BB 2012, 215, 216.
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§ 3 Rz. 3.527 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
„virtuelle“ Niederlassung in Form eines inländischen Servers genügt nicht.1100 Jedoch ist auf den Rechtsschein gegenüber Dritten abzustellen. Erweckt ein Unternehmen den Anschein, ein inländisches „Büro“ sei eine Zweigniederlassung, so muss es sich auch an dessen Ort verklagen lassen.1101 Ansonsten findet aber kein Zuständigkeitsdurchgriff in einem Konzern über die Tochter- auf die ausländische Muttergesellschaft kraft „doing business in Germany“ statt.1102
3.528 Zum Schutz inländischer Kunden ist der Niederlassungsgerichtsstand teilweise zwingend. Für die inländische Zweigniederlassung einer ausländischen Bank kann der Gerichtsstand des § 21 ZPO nicht vertraglich ausgeschlossen werden (§ 53 III KWG) (soweit sich nicht aus EuGVO bzw. LugÜ etwas anderes ergibt). Eine ausländische Investmentgesellschaft kann zwingend vor dem Gericht verklagt werden, in dessen Bezirk ihr inländischer Repräsentant seinen Wohnsitz oder Sitz hat (§ 138 II InvG). 3.529 (3) Eine weitergehende Regelung zugunsten eines Versicherungsnehmers enthält § 215 VVG. Danach ist für Klagen aus dem Versicherungsverhältnis gegen den Versicherer zwingend ein Gerichtsstand auch an dem Ort eröffnet, an dem der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat, hilfsweise an dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 215 I 1 VVG). Für Klagen gegen den Versicherungsnehmer ist dieser Gerichtsstand ausschließlich (§ 215 I 2 VVG). d) Gerichtsstand des Vermögens
3.530 Innerhalb der Zuständigkeitsregelung nimmt § 23 ZPO eine Sonderstellung ein. Dabei handelt es sich um den besonderen Gerichtsstand des Vermögens und des Streitgegenstandes. § 23 ZPO lautet: „Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. Bei Forderungen gilt als der Ort, wo das Vermögen sich befindet, der Wohnsitz des Schuldners und, wenn für die Forderungen eine Sache zur Sicherheit haftet, auch der Ort, wo die Sache sich befindet.“
3.531 Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es bei § 23 ZPO ebenso wenig an wie bei den Gerichtsständen gem. §§ 12 ff. ZPO. Klagt z.B. ein Inländer gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, so stehen ihm wahlweise die Gerichts1100 F. Banholzer in Hoeren/Sieber/Holznagel, Hdb Multimedia-Recht, 48. EL 2019,Teil 25 Rz. 86; Ch. Berger, Gerichtspflichtigkeit infolge Internetpräsenz, in Bauknecht, Informatik 2001, S. 1002, 1005. 1101 BGH, WM 1987, 1089 = RIW 1987, 790 m. Anm. R. Geimer, RIW 1988, 221; vgl. auch H. Müller, Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992, S. 138 ff., 163; M. Otto, S. 135 ff. 1102 R. Geimer, RIW 1988, 221, 223; Th. Müller-Froelich, S. 178 ff.; vgl. aber Ch. Möllers, Durchgriffshaftung, S. 58 ff.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.534 § 3
stände der §§ 16 und 23 ZPO zur Verfügung, sofern die weitere Voraussetzung gegeben ist, dass der Beklagte Vermögen im Inland hat. Wählt der Kläger den Gerichtsstand des Vermögens, so liegt ebenso wenig eine Auslandsbeziehung vor, wie wenn er den Gerichtsstand des § 16 ZPO gewählt hätte. Die Auslandsbezogenheit tritt bei § 23 ZPO erst auf, wenn der Beklagte sich im Ausland aufhält. Auf einen Wohnsitz im Ausland kommt es nicht an.1103 Der Gerichtsstand geht auf das forum arresti zurück und hat damit Parallelen zur quasi in rem jurisdiction nach common law (s. Rz. 3.630 ff.). Die Kommission für das Zivilprozessrecht hatte vorgeschlagen, den Gerichtsstand einzuschränken. Er sollte nur gegeben sein, wenn der Beklagte ein Grundstück im Gerichtsbezirk besitzt oder in bewegliches Vermögen ein Arrest vollzogen ist.1104 Dieser Vorschlag ist aber nicht aufgegriffen worden. § 23 ZPO verlangt keine vorherige Beschlagnahme des Vermögensgegenstandes und beschränkt die Zuständigkeit auch nicht auf die Höhe des Inlandsvermögens.1105
3.532
§ 23 ZPO richtet sich nicht direkt gegen Ausländer, denn er trifft jeden Beklagten ohne allgemeinen inländischen Gerichtsstand, gleichgültig, ob deutscher oder ausländischer Staatsangehörigkeit. Dennoch ist er im Rahmen der internationalen Zuständigkeit als „unerwünschter“ oder „exorbitanter“ Gerichtsstand bezeichnet worden.1106 Man hat vorgeschlagen, § 23 ZPO auf inländische Kläger, Fälle der Notzuständigkeit oder der sonstigen Sachnähe deutscher Gerichte zu beschränken. Andere wollen die Zuständigkeit durch den Wert des belegenen Vermögens begrenzen.1107
3.533
Im Rahmen von EuGVO und LugÜ ist § 23 ZPO gem. Art. 5 II i.V.m. Art. 76 I lit. a EuGVO n.F. bzw. Art. 3 II i.V.m. Anh. I LugÜ ausgeschlossen. Dies mag dadurch zu erklären sein, dass er gegen Beklagte, die sich im Ausland aufhalten, einen zu einfach zu erreichenden Gerichtsstand für die Kläger bereitstellt. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies: Kläger und Beklagter wohnen in New York. Der Beklagte hat Vermögen im Gerichtsbezirk Bremen. Die Bremer Gerichte sind damit international zuständig, obwohl alle Beweismittel möglicherweise in New York sind. Der obsiegende Kläger hat allerdings den Vorteil, dass er aus dem deutschen Urteil in das Vermögen des Beklagten vollstrecken kann, sofern es diesem nicht gelingt, dieses noch rechtzeitig fortzuschaffen. Da § 23 ZPO nur im Verhältnis zu den EU- und EFTA-Staaten ausgeschlossen ist, bleibt seine Bedeutung bestehen,1108 wenngleich der Kläger sich vor Augen halten sollte, dass ein auf § 23 ZPO begründetes Urteil in vielen Staaten nicht anerkannt und die Vollstreckung im Ausland ausgeschlossen wird.
3.534
1103 Im Einzelnen J. Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 377. 1104 Bericht der Kommission für das Zivilprozessrecht, 1977, S. 68. 1105 M. Fricke, IPRax 1991, 159; E. Schumann, ZZP 93 (1980), 408; dafür T. Kleinstück, Due process-Beschränkungen, 1994, S. 199 ff. 1106 Vgl. Th. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 523 ff. 1107 Vgl. Th. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 532 ff.; krit. R. Schütze, Rz. 160. 1108 R. Geimer, IZPR, Rz. 1346 ff., 1382 ff.; krit. P. Schlosser, FS Kralik, 1986, 293.
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§ 3 Rz. 3.535 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.535 Die anhaltende Kritik an § 23 ZPO hat den BGH veranlasst, den Vermögensgerichtsstand auf Fälle mit hinreichendem Inlandsbezug zu beschränken1109 und ihn damit amerikanischen Konzeptionen von due process und einer Zuständigkeit bei reasonable connections, vor allem als Folge von doing business, anzunähern.1110 Wann danach ein ausreichender Inlandsbezug besteht, hat der BGH offen gelassen. Problemlos ist dies der Fall, wenn sich der Rechtsstreit aus formbezogenen Vorgängen oder dem Vermögensgegenstand selbst ergibt. Als genereller Gerichtsstand kommt § 23 ZPO in dieser Auslegung primär in Betracht bei dauerhafter, forumbezogener Geschäftstätigkeit,1111 bei inländischem Wohnsitz des Klägers1112 oder bei Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners sowie Bezug des Anspruchs zu einer in Tätigkeit im Inland.1113 Freilich muss der Vermögensgerichtsstand auch eröffnet bleiben, wenn Urteile alternativ möglicher Gerichtsstaaten in Deutschland nicht anerkannt werden (vgl. § 328 I Nr. 5 ZPO). Andernfalls wäre das Recht des Klägers auf eine effektive Zwangsvollstreckung verletzt.1114 Zweifelhaft ist auch, ob die Einschränkung des § 23 ZPO mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV (jetzt Art. 18 AEUV) vereinbar ist.1115 Nicht anerkannt hat das OLG Düsseldorf, eine Zuständigkeit, die auf einer unbegründeten Forderungsabtretung beruht.1116 3.536 Hinsichtlich des „Vermögens“ ist eine reichhaltige Rechtsprechung entstanden. Das RG war zunächst sehr weit gegangen und hatte den Gerichtsstand des § 23 ZPO auch dann als gegeben angenommen, wenn der Kläger sich zum Schuldner seines ausländischen Beklagten gemacht hatte, indem er gegen den Ausländer eine Klage erhob, mit dieser wegen fehlenden Gerichtsstandes abgewiesen und dadurch zum Kostenschuldner des Ausländers wurde.1117 Solche Gerichtsstandserschleichungen werden nicht mehr geduldet.1118 3.537 Nach h.M. genügt jeder Vermögensgegenstand. Es ist nicht Voraussetzung, dass er sich zur Befriedigung für den Kläger eignet oder dazu ausreicht; auch geringwertige oder unpfändbare Vermögenswerte sollen daher den Gerichtsstand eröffnen.1119 1109 BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 = JZ 1992, 51 (H. Schack) = IPRax 1992, 160 (P. Schlosser) = ZZP 105 (1992), 314 (W. Lüke); vgl. H.-P. Mansel, FS Jayme, S. 561. 1110 Zustim. OLG Brandenburg, RIW 1997, 424, 425; ablehn. A. Bittighofer, S. 168 ff., 239 ff., 257; krit. auch O. Hartwieg, JZ 1996, 109; R. Koch, IPRax 1997, 229; Th. Pfeiffer, S. 545 ff., 620 ff.; Th. Pfeiffer, Festgabe BGH, S. 617, 626 ff.; H. Schack, Rz. 367 ff.; H. Schack, FS Nakamura, S. 491; R. Schütze, DZWir 1991, 243 u. IZPR Rz. 163. 1111 Vgl. T. Kleinstück, Due process-Beschränkungen, 1994, S. 188 ff., 217. 1112 BGH, RIW 2013, 169. 1113 BGH, RIW 2013, 399. 1114 R. Geimer, NJW 1991, 3072; R. Schütze, DWiR 1991, 239 u. FS Ishikawa, S. 493, 495; vgl. auch B. Lurger, ZfRV 1995, 61. 1115 R. Koch, IPRax 1997, 145. 1116 OLG Düsseldorf, RIW 1996, 598, 610 f. 1117 RGZ 16, 393. 1118 Schultzky in Zöller, § 23 ZPO Rz. 8. 1119 BGHZ 115, 90, 93 = NJW 1991, 3093; OLG Celle, RIW 1990, 320, 321; B. v. Hoffmann/ K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 45; S. Ch. Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 254 ff.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.539 § 3
Manche möchten lediglich übliches Reisegepäck ausnehmen.1120 Unstreitig begründen den Gerichtsstand auch im Inland belegene Forderungen (vgl. § 23 Satz 2 ZPO).1121 Das OLG Frankfurt hat konsequenterweise den Vermögensgerichtsstand gegenüber einer internationalen Ratingagentur bejaht, weil diese aufgrund von Abonnementsverträgen über Forderungen im Inland verfüge.1122 Das amerikanische Schrifttum spricht deshalb kritisch von der sog. umbrella-rule. An dieser Rechtsprechung sollte nicht mehr festgehalten werden. Vermögen ist vielmehr nur ein der Zwangsvollstreckung unterliegendes Vermögen, aus dem nach Abzug der Vollstreckungskosten eine gewisse Befriedigung möglich ist.1123 Vermögen eines fremden Staats darf nicht sachlich immun sein, darf also nicht hoheitlichen Zwecken dienen (s. Rz. 19.25 f.).1124 Sonderregelungen des Vermögensgerichtsstandes finden sich im Geschmacksmustergesetz (Designgesetz) und im Markengesetz. Die entsprechenden Vorschriften lauten:
3.538
§ 58 (2) DesignG „Der Ort, an dem ein nach Absatz 1 bestellter Vertreter seinen Geschäftsraum hat, gilt im Sinne des § 23 der Zivilprozessordnung als der Ort, an dem sich der Vermögensgegenstand befindet; fehlt ein solcher Geschäftsraum, so ist der Ort maßgebend, an dem der Vertreter im Inland seinen Wohnsitz, und in Ermangelung eines solchen der Ort, an dem das Deutsche Patent- und Markenamt seinen Sitz hat.“ § 96 (2) MarkenG „Der Ort, an dem ein nach Absatz 1 bestellter Vertreter seinen Geschäftsraum hat, gilt im Sinne des § 23 der Zivilprozessordnung als der Ort, an dem sich der Vermögensgegenstand befindet. Fehlt ein solcher Geschäftsraum, so ist der Ort maßgebend, an dem der Vertreter im Inland seinen Wohnsitz, und in Ermangelung eines solchen der Ort, an dem das Patentamt seinen Sitz hat.“ e) Gerichtsstand des Erfüllungsortes
3.539
Der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO: „(1) Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. 1120 A. Bittighofer, Der Gerichtsstand des Vermögens, S. 156 f, 256; R. Schütze, FS Ishikawa, S. 493, 503. 1121 Vgl. S. Ch. Thürk (Fn. 1116), S. 168 ff. 1122 OLG Frankfurt, BB 2012, 215, 217 = ZIP 2012, 293, 294; dazu Theewen, EWiR 2012, 227. 1123 BGHReport 2005, 1611; BGHZ 141, 286 (Rz. 10) = NJW 1999, 3198; OLG Celle, IPRax 2001, 338 (ablehn. P. Wollenschläger, S. 320); Schultzky in Zöller, § 23 ZPO Rz. 7; R. Geimer, IZPR, Rz. 1371 ff.; H. Schack, IZVR Rz. 371; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 23 Rz. 16 (Überschuss über Vollstreckungskosten notwendig); gegen Beschränkung auf Wert der Klageforderung: R. Schütze, FS Ishikawa, S. 493, 503. 1124 OLG Frankfurt, RIW 1999, 461 = IPRax 1999, 247, 249 (dazu W. Hau, S. 232).
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§ 3 Rz. 3.539 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
(2) Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort begründet die Zuständigkeit nur, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind.“ Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit nach dieser Vorschrift ist vor allem die Frage der Qualifizierung und der Vereinbarung über den Erfüllungsort von Bedeutung.
3.540 Der Gerichtsstand steht nur für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis zur Verfügung. Darunter sind alle schuldrechtlichen Vereinbarungen zu subsumieren, auch Versorgungsansprüche aus Arbeitsverhältnissen.1125 Dingliche Verträge, gesetzliche Schuldverhältnisse, z.B. aus GoA oder Bereicherung, aber auch Ansprüche aus einem Verlöbnis fallen nicht darunter.1126 Der Anspruch auf Ausgleich wegen Flugverspätung nach der VO (EG) Nr. 261/2004 ist ein vertraglicher Anspruch.1127 3.541 Der Erfüllungsort wird für die konkret streitige Verpflichtung nach der Parteivereinbarung, hilfsweise nach dem nach deutschem IPR anwendbaren materiellen Recht bestimmt.1128 Ein vom materiellen Leistungsort gelöster, rein prozessualer, faktischer Erfüllungsort1129 ist trotz praktischer Schwierigkeiten nicht anzuerkennen. Denn im Regelfall erscheint es angemessen, dass an dem Ort, an dem die vertragliche Leistung gefordert wird, auch deren prozessuale Durchsetzung betrieben werden kann. Bei Anwendung deutschen Rechts entscheiden die besonderen Regeln im materiellen Recht, hilfsweise § 269 BGB über den Erfüllungsort.1130 Dies gilt auch für die Bestimmung des Erfüllungsortes der Nacherfüllung. Fehle es an einer Vereinbarung, sei auf Verkehrssitte, Handelsbräuche und örtliche Gepflogenheiten Rücksicht zu nehmen.1131 Nach dem deutschen IPR ist zu ermitteln, welches materielle Recht anzuwenden ist. Der Erfüllungsort wird also nicht nach der lex fori, sondern nach der lex causae bestimmt.1132 Im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts (CISG v. 11.4.1980) ist der Erfüllungsort danach zu bestimmen.1133 Den Erfüllungsort für Ansprüche aus der Fluggastrechte-VO (EG) Nr. 261/2004 hat der BGH dagegen in Anlehnung an Art. 5 Nr. 1 b EuGVO bestimmt.1134 3.542 Es muss dabei in Kauf genommen werden, dass der Erfüllungsort für die Vertragsparteien nach zwei verschiedenen Rechten bestimmt wird, sofern nicht Umstände 1125 BAG, AP ZPO § 38 Internationale Zuständigkeit Nr. 21 (P. Mankowski). 1126 BGHZ 132, 105 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = JZ 1997, 88 (P. Gottwald). 1127 BGHZ 188, 85 = NJW 2011, 2056 = ZIP 2011, 978, 979; dazu A. Staudinger, JR 2012, 47. 1128 BGHZ 195, 243 (Rz. 15) = MDR 2013, 168; BGHZ 188, 95 = NJW 2011, 2056 = ZIP 2011, 978, 980 (Rz. 29); BAG, IPRax 2006, 254 f (dazu M. Franzen, S. 221). 1129 Hierfür H. Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht, 1985; H. Schack, FS Kegel, 1987, S. 505. 1130 So Schultzky in Zöller, § 29 ZPO Rz. 24; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 36 Rz. 12. 1131 BGH, NJW 2011, 2278; krit. A. Staudinger/M. Artz, NJW 2011, 3121, 3122. 1132 R. Geimer, IZPR, Rz. 1482. 1133 OLG Düsseldorf, RIW 1993, 845. 1134 BGHZ 188, 95 (Rz. 32 ff.) = NJW 2011, 2056 = ZIP 2011, 978, 980; dazu A. Staudinger, JR 2012, 47; krit. A. Ruzik, NJW 2011, 2019.
242
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.544 § 3
dafür sprechen, dass ein einheitlicher Erfüllungsort gegeben ist. Als Beispiele können Abladegeschäfte mit der CIF-Klausel genannt werden. Der ausländische Verkäufer hat zwei Hauptpflichten zu erfüllen, die Abladung der Ware im Abladehafen (vgl. § 486 I HGB) und die Andienung der erforderlichen Begleitpapiere am Wohnsitz bzw. an der geschäftlichen Niederlassung des Käufers.1135 Daraus werden gewohnheitsrechtlich zwei verschiedene Erfüllungsorte für den Verkäufer hergeleitet.1136 Bei der weiteren Klausel Kasse gegen Dokumente liegt der Erfüllungsort für beide Parteien am Wohnsitz bzw. an der geschäftlichen Niederlassung des Käufers, denn der Verkäufer hat dort die Dokumente anzudienen, der Käufer dort zu zahlen. Die Vereinbarung eine Lieferortes „DDP“ (Incoterm 2010) (geliefert und verzollt) führt zu einer Bringschuld am Lieferort und zwischen Kaufleuten nach § 29 II ZPO zugleich zur Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit an diesem Lieferort.1137 Soll durch die vertragliche Vereinbarung über den Erfüllungsort die Zuständigkeit des besonderen Gerichtsstandes unabhängig vom tatsächlichen Erfüllungsort begründet werden, so liegt in Wirklichkeit eine Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien vor (zu Art. 5 Nr. 1 EuGVO bzw. LugÜ s. Rz. 3.89). Die Parteien weichen also von der gesetzlichen Regelung ab. Im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung hat der Gesetzgeber die Parteiautonomie bewusst eingeschränkt.
3.543
Nach § 29 II ZPO können nur noch Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtliche Sondervermögen durch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort eine besondere Zuständigkeit begründen. Wer Kaufmann ist, bestimmt sich nach den §§ 1 ff. HGB. Da hierauf besonders Bezug genommen wird, müsste die Kaufmannseigenschaft eines Ausländers oder einer ausländischen Firma ebenfalls nach diesen Grundsätzen beurteilt werden. Das verträgt sich jedoch nicht mit den Belangen des internationalen Handels. Die Kaufmannseigenschaft muss in solchen Fällen deshalb nach dem entsprechenden ausländischen materiellen Recht qualifiziert werden. Dies ist umso mehr gerechtfertigt, als das deutsche Prozessrecht auch auf materielles Recht verweist. Ausländische Nichtkaufleute können über § 29 II ZPO allerdings keine Gerichtsstandsvereinbarung begründen, denn „die Zulässigkeit und Wirkung einer vor dem Prozess getroffenen internationalen Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen sich nach deutschem Prozessrecht ...“.1138 Anders ist es mit dem Zustandekommen dieser Vereinbarung. Diese richtet sich gem. derselben BGH-Entscheidung nach deutschem oder ausländischem bürgerlichen Recht. Ist auf das Zustandekommen einer Vereinbarung über den Erfüllungsort ausländisches Recht anzuwenden, so muss berücksichtigt werden, dass die deutsche Rechtsprechung hinsichtlich des Schweigens auf ein Bestätigungsschreiben oder eine Auftragsbestätigung nicht ausschlaggebend sein wird.
3.544
1135 1136 1137 1138
Vgl. Staub/Koller, HGB-Großkomm., Bd. 9, 5. Aufl. 2013, Vor § 373 Rz. 15. H. Haage, Das Abladegeschäft, 1958, 44. BGHZ 195, 243, 247 (Rz. 12 ff.) = BB 2013, 271 (P. Ayad). So BGHZ 59, 23 = NJW 1972, 1622 (R. Geimer).
243
§ 3 Rz. 3.545 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.545 Außerhalb des Anwendungsbereichs der CMR (s. Rz. 3.420 ff.) ist nach dem Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts v. 20.4.20131139 § 30 ZPO zu beachten. Die Bestimmung lautet: „Gerichtsstand bei Beförderungen (1) Für Rechtsstreitigkeiten aus einer Güterbeförderung ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung des Gutes vorgesehene Ort liegt. Eine Klage gegen den ausführenden Frachtführer oder ausführenden Verfrachter kann auch in dem Gerichtsstand des Frachtführers oder Verfrachters erhoben werden. Eine Klage gegen den Frachtführer oder Verfrachter kann auch in dem Gerichtsstand des ausführenden Frachtführers oder ausführenden Verfrachters erhoben werden. (2) Für Rechtsstreitigkeiten wegen einer Beförderung von Fahrgästen und ihrem Gepäck auf Schiffen ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der im Beförderungsvertrag bestimmte Abgangs- oder Bestimmungsort befindet. Eine von Satz 1 abweichende Vereinbarung ist unwirksam, wenn sie vor Eintritt des Ereignisses getroffen wird, das den Tod oder die Körperverletzung des Fahrgasts oder den Verlust, die Beschädigung oder die verspätete Aushändigung des Gepäcks verursacht hat.“
3.546 Werden die ADSp (2017)1140 vereinbart, so ist deren Ziff. 30 zu beachten: 30.1. Für die Rechtsbeziehung zwischen Spediteur und Auftraggeber gilt deutsches Recht.“ „30.2. Der Erfüllungsort ist für alle Beteiligten der Ort derjenigen Niederlassung des Spediteurs, an die der Auftrag oder die Anfrage gerichtet ist. 30.3. Der Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Verkehrsvertrag, seiner Anbahnung oder im Zusammenhang damit entstehen, ist für alle Beteiligten, soweit sie Kaufleute sind, entweder der Ort der Niederlassung des Auftraggebers oder derjenigen Niederlassung des Spediteurs, an die der Auftrag oder die Anfrage gerichtet ist. Die vorstehende Gerichtsstandsvereinbarung gilt im Fall der Art. 31 CMR und 46 § 1 CIM als zusätzliche Gerichtsstandsvereinbarung, im Falle der Art. 39 CMR, 33 MÜ, 28 WA nicht. Hieraus ergibt sich, dass das Gericht des Ortes der Niederlassung, an die der Speditionsauftrag gerichtet ist, international und örtlich zuständig ist. Ziffer 30.2 ADSp begründet einen Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 b EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1b EuGVO a.F./LugÜ), auch wenn die Form des Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) nicht eingehalten ist.1141 Andere Gerichte sind für Klagen gegen den Spediteur nicht zuständig, kommen aber für Klagen des Spediteurs selbst in Betracht.1142 Im Geltungsbereich von Art 31 CMR ergibt sich die internationale Zuständigkeit nur aus dieser Norm. Ziff. 30.3 Satz 1 ADSp regelt ausdrücklich nur einen zusätzlichen, 1139 1140 1141 1142
244
BGBl. 2013 I, 831; vgl. BT-Drucks. 17/10309, 56, 142. Vgl. I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, S. 875 ff. I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, ADsp 2017 Ziff. 30 Rz 3. I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, ADSp 2017 Ziff 30 Rz 4.
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.549 § 3
keinen ausschließlichen Gerichtsstand.1143 Aus Art. 25 EuGVO n.F. (Art 23 EuGVO a.F./LugÜ) folgt die internationale Zuständigkeit nur, soweit die beteiligten Mitgliedstaaten nicht Vertragsstaaten des CMR sind, da dieses nach Art 67 EuGVO (n.F. u. a.F.)/LugÜ Vorrang besitzt.1144 Soweit die CMR bei Selbsteintritt des Spediteurs, Spedition zu festen Kosten sowie Sammelladung über die §§ 458–460 HGB mittelbar gilt, soll Art 31 CMR nach hM keinen Vorrang vor Art. 25 EuGVO n.F. (Art 23 EuGVO a.F./LugÜ) haben.1145 Eine zwingende Sonderregelung des Gerichtsstands des Erfüllungsortes enthält schließlich § 138 II InvG v. 15.12.2003.1146 Diese Bestimmung lautet:
3.547
„Für Klagen gegen eine ausländische Investmentgesellschaft, eine Verwaltungsgesellschaft oder eine Vertriebsgesellschaft, die auf den öffentlichen Vertrieb von Investmentanteilen im Geltungsbereich dieses Gesetzes Bezug haben, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Repräsentant seinen Wohnsitz oder Sitz hat. Dieser Gerichtsstand kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden.“ f) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte Für Klagen gegen einen Verbraucher aus einem Haustürgeschäft nach § 312 BGB ist das Gericht am Wohnsitz, hilfsweise am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers ausschließlich zuständig (§ 29c I ZPO). Eine abweichende Vereinbarung ist zulässig für den Fall, dass der Verbraucher seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort ins Ausland verlegt oder dass beides bei Klageerhebung nicht bekannt ist (§ 29c II ZPO). Diese Norm regelt auch die internationale Zuständigkeit.1147
3.548
Für Klagen des Verbrauchers gegen den Vertragspartner bietet § 29c ZPO nur einen zusätzlichen Gerichtsstand. g) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (1) Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist eröffnet, sobald eine unerlaubte Handlung in Betracht kommt.1148 Für die Zulässigkeit der Klage genügt es, dass der Kläger deliktische Ansprüche nach dem anwendbaren Recht behauptet; doppelrelevante Tatsachen sind insoweit zu unterstellen.1149 § 32 ZPO lautet: „Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.“ 1143 I. Koller, 10. Aufl. 2020, ADSp 2017 Ziff. 30 Rz 6; vgl OLG Karlsruhe, TranspR 2005, 362. 1144 Vgl OLG Dresden, IPRax 2000, 121 (dazu J. Haubold, S. 91). 1145 I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, ADSp 2016 Ziff. 30 Rz 6; a.A. Bahnsen in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2014, Vorbem. ADSp Rz. 286. 1146 BGBl. 2003 I, 2676. 1147 N. Ganssauge, S. 85; Roth in Stein/Jonas, § 29c ZPO Rz. 15. 1148 BGH, EuZW 1995, 190, 192. 1149 BGH, RIW 2011, 70.
245
3.549
§ 3 Rz. 3.549 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Die Regel ist international vor allem bei Verkehrsunfällen, aber auch bei Distanzdelikten von Bedeutung. Eine Handlung kann begangen sein sowohl an dem Ort, an dem der Täter gehandelt hat, als auch an dem Ort, an dem der schädigende Erfolg eingetreten ist.1150 Beide Orte begründen (nach Wahl des Klägers) eine deutsche internationale Zuständigkeit.1151 Als Prozessvorschrift entscheidet also nach § 32 ZPO die lex fori, was unter einer unerlaubten Handlung und unter deren Begehung zu verstehen ist. Das gilt auch hinsichtlich der Gefährdungshaftung.1152 Hängt die örtliche und damit die internationale Zuständigkeit davon ab, ob die Voraussetzungen des § 32 ZPO gegeben sind, so muss nach der h.M. zumindest ein Teilakt der Verletzungshandlung im Bezirk des angerufenen Gerichts begangen worden sein.1153 Dieses Gericht kann auch nur feststellen, was als Verletzungshandlung zu qualifizieren ist.
3.550 Eine Persönlichkeitsverletzung durch eine im Internet aufrufbare Veröffentlichung ist dann im Inland begangen, wenn der als rechtsverletzend beanstandete Inhalt einen deutlichen Inlandsbezug hat, so dass Inlandsaufrufe tatsächlich naheliegen und das Persönlichkeitsrecht tatsächlich im Inland verletzt sein kann.1154 Der bloße Inlandsaufruf einer in fremder Sprache und Schrift verfassten Äußerung, die sich primär an ausländische Adressaten richtet, begründet keine Zuständigkeit im Inland.1155 Bei rufschädigenden Internetäußerungen durch einen Wettbewerber im Ausland besteht ein inländischer Erfolgsort, soweit durch die Abrufbarkeit im Inland ein Ansehensverlust und ein Marktverwirrungsschaden eingetreten sind.1156 Der Erstattungsanspruch nach § 717 III ZPO ist für die Zuständigkeit deliktsrechtlich zu qualifizieren.1157 3.551 Die Zuständigkeit besteht auch gegenüber Mittätern oder Gehilfen (§ 830 BGB).1158 Auch die von anderen Beteiligten erbrachten Tatbeiträge werden zur Begründung der internationalen Zuständigkeit zugerechnet.1159 Danach sind deutsche Gerichte auch für Klagen gegen ausländische Broker zuständig, die Beihilfe zu einer im Inland begangenen unerlaubten Handlung gegenüber einem inländischen Kapitalanleger leisten.1160
1150 1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157 1158 1159 1160
246
So BGHZ 40, 391 = NJW 1964, 969. J. Kropholler, IPR, § 58 III 3 a. BGHZ 80, 1, 3 = NJW 1981, 1516 = IPRax 1982, 158. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, Wettbewerbsrecht, 38. Aufl. 2020, § 14 Rz. 14. BGHZ 184, 314, 320 (Rz. 18 ff.) = NJW 2010, 1752 (A. Staudinger) = RIW 2010, 326 („New York Times“); dazu S. Adena, RIW 2010, 868. BGH, NJW 2011, 2059 („Sieben Tage in Moskau“); vgl. I. Bach, EuZW 2018, 68, 73. Vgl. J. S. Habbe/Ph. Wimalasena, BB 2015, 520, 521 f. BGHZ 189, 320 (Rz. 10 ff.) = NJW 2011, 2518. BGHZ 184, 365 (Rz. 18 f.) = WM 2010, 749 = IPRax 2011, 497 (dazu Engert/Groh, S. 458); BGH, RIW 2010, 885, 886. BGH, EuZW 1995, 190, 192 = NJW 1995, 1225, 1226. BGHZ 184, 365, 370 f (Rz. 19) = ZIP 2010, 786; BGH, ZIP 2010, 2505 = SchiedsVZ 2011, 46.
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.554 § 3
Der Gerichtsstand des § 32 ZPO ist auch international für die vorbeugende Unterlassungsklage eröffnet. Tatort ist dann der Ort, an dem die unerlaubte Handlung ernstlich droht.1161
3.552
(2) Für Wettbewerbsverstöße gilt der Gerichtsstand des § 14 UWG. Dieser lautet:
3.553
„(1) Für Klagen auf Grund dieses Gesetzes ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seine gewerbliche oder selbständige berufliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat. Hat der Beklagte auch keinen Wohnsitz, so ist sein inländischer Aufenthaltsort maßgeblich. (2) Für Klagen auf Grund dieses Gesetzes ist außerdem nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Satz 1 gilt für Klagen, die von den nach § 8 Abs 3 Nr 2 bis 4 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten erhoben werden, nur dann, wenn der Beklagte im Inland weder eine gewerbliche oder selbständige berufliche Niederlassung noch einen Wohnsitz hat.“
Insoweit gilt das zu § 32 ZPO Ausgeführte.1162 Sittenwidrige Wettbewerbsverstöße sind unerlaubte Handlungen, für deren Beurteilung im Allgemeinen das am Begehungsort herrschende Recht maßgebend ist.1163 Dieser Grundsatz wird aber aus der Natur der Wettbewerbsverstöße modifiziert. Im Urteil v. 30.6.1961 hat der BGH daher ausgeführt: „Der Grundsatz, dass der Begehungsort einer unerlaubten Handlung jeder Ort ist, an dem zumindest ein Tatbestandsmerkmal dieser Handlung verwirklicht ist, bietet bei Wettbewerbsverstößen deshalb in der Regel keinen sicheren Anhaltspunkt für das anzuwendende Recht, weil im Gegensatz zu der Mehrzahl anderer unerlaubter Handlungen die Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsverstöße in den Rechtsordnungen der verschiedenen Länder unterschiedlich geregelt sind“.1164 Unlauterer Wettbewerb wird in der Regel nur dort begangen, wo wettbewerbliche Interessen der Mitbewerber aufeinanderstoßen.1165 Erfolgsortzuständigkeit bedeutet insoweit Marktortzuständigkeit.1166 Nach dem Recht des Ortes dieses Staats ist zu entscheiden, ob ein Wettbewerbsverstoß vorliegt und damit die internationale Zuständigkeit des § 14 II UWG gegeben ist. Deswegen hat der BGH auch entschieden, es bestehe keine allgemeine Pflicht inländischer Gewerbetreibender, sich bei ihrem Wettbewerb auf dem Auslandsmarkt schlechthin an die Regeln des deutschen Wettbewerbsrechts zu halten.1167 Ist eine wettbewerbswidrige Internet-Werbung in Deutschland bestimmungsgemäß abrufbar, so ist die wettbewerbswidrige Handlung i.S.d. § 14 II UWG am Abrufort begangen.1168 1161 1162 1163 1164 1165 1166 1167
H. Schack, IZVR, Rz. 333; Schultzky in Zöller, § 32 ZPO Rz. 18. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 38. Aufl. 2020, § 14 Rz. 13. BGHZ 40, 391, 393 f = NJW 1964, 969. BGHZ 35, 329, 333 = NJW 1962, 37. BGH, RIW 1971, 39. W. Lindacher, FS Nakamura, S. 321, 329 ff. BGHZ 40, 391 = NJW 1964, 969; im Einzelnen auch E. Deutsch, Wettbewerbstatbestände mit Auslandsbeziehung, 1962, 49. 1168 Ch. Kuner, CR 1996, 453, 455; F. Banholzer in Hoeren/Sieber/Holznagel, Hdb. Multimediarecht, Teil 25, 48. EL 2019, Rz. 100 f.; J. Puhr, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet, 2005, S. 252–308.
247
3.554
§ 3 Rz. 3.554 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Es sollte noch berücksichtigt werden, dass ausländische Schutzrechte wegen des Territorialitätsprinzips grds. nur im Ausland verletzt werden können.1169
3.555 (3) Für Schäden durch Umwelteinwirkungen, die von Anlagen ausgehen, die vom Umwelthaftungsgesetz erfasst sind, sieht § 32a Satz 1 ZPO (v. 10.12.1990) einen ausschließlichen Gerichtsstand am Ort der Anlage vor. Dieser Gerichtsstand regelt auch die internationale Zuständigkeit.1170 Er hat insoweit freilich nur noch ausnahmsweise Bedeutung, da inzwischen für alle näheren Nachbarstaaten die EuGVO bzw. das LugÜ gelten. 3.556 (4) Für Schadenersatzklagen wegen falscher, irreführender oder unterlassener Kapitalmarktinformation sieht § 32b I ZPO für inländische Emittenten oder Anbieter eine ausschließliche Zuständigkeit an deren Sitz vor.1171 h) Ausschließliche internationale Zuständigkeit
3.557 Eine ausschließliche internationale Zuständigkeit besteht, wenn Streitigkeiten den deutschen Gerichten vorbehalten bleiben sollen und weder das ausländische Verfahren noch ein ergangenes ausländisches Urteil beachtet werden darf.1172 Dies ist in vermögensrechtlichen Angelegenheiten anzunehmen, soweit eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit besteht. Unstreitig ist dies in den Fällen der §§ 24 und 29a ZPO der Fall sowie in allen Zwangsvollstreckungsstreitigkeiten, für die § 802 ZPO ausschließliche Zuständigkeiten festlegt. Dies gilt aber nicht für die Klage auf Leistung des Interesses gem. § 893 II ZPO.1173 In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten folgt dagegen aus der ausschließlich örtlichen keine ausschließliche internationale Zuständigkeit.1174 Aus § 24 ZPO leitet die Rspr. aber nicht die Unzuständigkeit deutscher Gerichte zur Entscheidung über Rechte an ausländischen Grundstücken ab, jedenfalls wenn sich der Beklagte i.S.d. § 39 ZPO rügelos eingelassen hat1175 (zu Art. 22 Nr. 1 EuGVO/ LugÜ s. Rz. 3.304 f., 3.307). 5. Gerichtsstandsvereinbarungen
3.558 § 38 ZPO lautet: „(1) Ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges wird durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig, wenn die Vertrags1169 Vgl. R. Hye-Knudsen, S. 67 ff. 1170 Th. Pfeiffer, ZZP 106 (1993), 159; krit. V. Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rz. 54. 1171 Vgl. D. Haß/Ch. Zerr, RIW 2005, 721, 726 f.; F. Reuschle, FS Simotta, 2012, S. 471, F. Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010; krit. J. v. Hein, RIW 2004, 602. 1172 Vgl. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 97 f. 1173 KG, IPRax 1997, 340; G. Vollkommer, IPRax 1997, 323; a.A. BGH, NJW 1997, 2245; s. Rz. 17.47. 1174 Vgl. § 106 FamFG. 1175 BGH, IPRax 1999, 45, 46 (krit. dazu H. Stoll, S. 29); ebenso Ch. Wenner, FS Jagenburg, S. 1013, 1022 ff.; a.A. B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, 9. Aufl. 2007, § 3 Rz. 58.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.560 § 3
parteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlichrechtliche Sondervermögen sind. (2) Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges kann ferner vereinbart werden, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Die Vereinbarung muss schriftlich abgeschlossen oder, falls sie mündlich getroffen wird, schriftlich bestätigt werden. Hat eine der Parteien einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand, so kann für das Inland nur ein Gericht gewählt werden, bei dem diese Partei ihren allgemeinen Gerichtstand hat oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist. (3) Im Übrigen ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zulässig, wenn sie ausdrücklich und schriftlich 1. nach dem Entstehen der Streitigkeit oder 2. für den Fall geschlossen wird, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klagerhebung nicht bekannt ist.“ Die Regeln über die Zuständigkeit der Gerichte, §§ 38 ff. ZPO, sind auf die internationale Zuständigkeit anzuwenden.1176 § 38 ZPO ist aber nur einschlägig, soweit nicht Art. 25 EuGVO n.F. (Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ) eingreifen (s. Rz. 3.229 ff.). Seit dem Inkrafttreten der Neufassung der EuGVO erfasst Art. 25 EuGVO n.F. sämtliche Vereinbarungen zugunsten deutscher Gerichte (s. Rz. 3.233). Für § 38 ZPO verbleibt dann kein direkter Anwendungsbereich mehr. Die Regel wird nur noch im Rahmen der Prüfung der Anerkennungszuständigkeit relevant. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte kann in drei Fallgruppen prorogiert oder derogiert werden. Nach § 38 I ZPO wird dem Parteiwillen ein weiter Rahmen eingeräumt. Dieser wird nur durch § 40 ZPO eingeengt. Danach hat eine Vereinbarung keine rechtliche Wirkung, wenn sie nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten sich bezieht. Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist auch unzulässig, wenn der Rechtsstreit nichtvermögensrechtliche Ansprüche betrifft, die den AG ohne Rücksicht auf den Streitwert zugewiesen sind, oder wenn für die Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist.
3.559
Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtliche Sondervermögen können Gerichtstandsvereinbarungen ohne Einschränkung abschließen. Dies entspricht der Regelung des § 29 II ZPO hinsichtlich der Vereinbarung über den Erfüllungsort (s. Rz. 3.544). Vor allem im internationalen Rahmen haben die Parteien damit eine weitreichende Möglichkeit, die internationale Zuständigkeit für entstandene und in Zukunft entstehende Streitigkeiten zu bestimmen.
3.560
1176 BGH, NJW 1979, 1104 (krit. R. Geimer, S. 1784).
249
§ 3 Rz. 3.561 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.561 Kaufleute haben die volle Freiheit, nationale oder internationale Zuständigkeitsvereinbarungen abzuschließen. Ein Kaufmann muss wissen, welche Risiken er bei einer Prorogation der Gerichte eines fremden Staats eingeht.1177 Er sollte sich freilich im Klaren sein, welche Schwierigkeiten als Folge davon auf ihn zukommen können. Ein ausländisches Gericht wird grds. nach seiner lex fori verfahren. Schon daraus ergeben sich schwer vorherzusehende Hindernisse.1178 Dabei reicht es aus, dass die Kaufmannseigenschaft der Parteien bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung vorhanden war, ihr späterer Wegfall ist ohne Bedeutung. Bei dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis braucht es sich nicht um ein Handelsgeschäft i.S.d. § 343 HGB zu handeln.1179 3.562 Die deutsche internationale Zuständigkeit kann auch dann durch Parteivereinbarung begründet werden, wenn die Parteien keine Beziehung zu Deutschland haben. Deutsche Kaufleute können die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts begründen, zu dessen Staat sie keinerlei Beziehungen haben.1180 In einer vereinzelten Entscheidung hat das LG Hamburg1181 eine solche Parteivereinbarung nicht gelten lassen. Jedoch lässt der Gesetzgeber die Begründung der deutschen internationalen Zuständigkeit allein durch den Parteiwillen zu. Dieser schafft selbst eine hinreichende Inlandsbeziehung. Ein zusätzlicher objektiver Inlandsbezug ist entgegen manchen Stimmen in der Literatur1182 nicht erforderlich. Öffentliche Interessen stehen dem nicht entgegen. Der Zulässigkeit, ein neutrales Forum zu bestimmen entspricht dem Recht der freien Rechtswahl im internationalen Schuldrecht, d.h. der Möglichkeit, auch ein neutrales Recht zu wählen, zu dem der Sachverhalt an sich keine Verbindung hat.1183 3.563 Ist die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts prorogiert worden, so hängen die Zulässigkeit und Wirksamkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung nicht davon ab, ob das deutsche Urteil in dem Staat, dessen Gerichte derogiert sind, anerkannt wird und ob aus ihm vollstreckt werden kann.1184 Das deutsche Gericht prüft vielmehr nur, ob nach seinem Verfahrensrecht eine zulässige internationale Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt. Der inländische Richter kann und muss die Parteien nicht darauf hinweisen, dass Anerkennung und Vollstreckung aus dem von ihm gefällten Urteil im Ausland ggf. nicht möglich sind.1185 1177 Vgl. Bork in Stein/Jonas, § 38 ZPO Rz. 9. 1178 Im Einzelnen H. Nagel, Durchsetzung von Vertragsansprüchen im Auslandsgeschäft, 1978, S. 177 ff. 1179 Bork in Stein/Jonas § 38 ZPO Rz. 18. 1180 In diesem Sinne R. Geimer, IZPR, Rz. 1757, 1760 f.; F. Sandrock, S. 91 ff., 285 ff., 298 ff.; ebenso F. Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und internationalen Zivilprozessrecht, 1967, S. 37; W. Kralik ZZP 74 (1961), 42. 1181 LG Hamburg, RIW 1976, 228. 1182 G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 558 ff. 1183 OLG München, IPRax 1986, 178; G. Kegel/K. Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, § 18 I 1c (S. 653); F. Sandrock, S. 287 ff. 1184 So zu Recht R. Geimer, IZPR, Rz. 1750. 1185 So F. Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 37.
250
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.566 § 3
Die internationale Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines ausländischen Gerichts darf allerdings nicht so weit gehen, dass sie auf einen Verzicht auf Rechtsschutz hinausläuft.1186 Die Derogation deutscher Gerichte durch Gerichtsstandvereinbarung ist dann unwirksam, wenn sie eine Rechtsverweigerung zur Folge hätte,1187 weil das vereinbarte Gericht tatsächlich nicht tätig werden kann oder will1188 oder ein rechtsstaatliches Verfahren vor ihm nicht gewährleistet wäre.1189 Dass das Verfahren im Ausland teuer ist und die Partei die Kosten nicht aufbringen kann, sollte kein Grund sein, einer zunächst gültigen Gerichtsstandsvereinbarung die Wirksamkeit abzuerkennen.1190 Auch die Unmöglichkeit der Vollstreckung aus dem Urteil hat keinen (nachträglichen) Einfluss auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung.1191
3.564
Die Gerichtsstandsvereinbarung ist ein Prozessvertrag,1192 weil ihre Hauptwirkung (Prorogation bzw. Derogation) prozessualer Art ist. Der BGH spricht dagegen von einem bürgerlich-rechtlichen Vertrag über prozessuale Beziehungen.1193 Beide Formulierungen widersprechen einander nicht.1194 Denn unstreitig beurteilen sich die Zulässigkeit und Wirkung einer Zuständigkeitsvereinbarung ausschließlich nach dem Prozessrecht.1195 Dagegen richten sich das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit der Vereinbarung nach materiellem Recht einschließlich des Kollisionsrechts.1196
3.565
Die Gerichtsstandsvereinbarung ist (wie eine Schiedsvereinbarung) unabhängig vom Hauptvertrag, und daher auch dann gültig, wenn dessen Unwirksamkeit geltend gemacht wird.1197
3.566
1186 So BGHZ 49, 124, 128 = NJW 1968, 356; vgl. G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 360 ff. (Frage des ordre public). 1187 BAG, JZ 1979, 647 (R. Geimer). 1188 Vgl. OLG Koblenz, IPRax 2006, 469 (dazu M. Weller, S. 444). 1189 BGH, ZZP 88 (1975), 318; BAG NJW 1979, 1119, 1120; OLG Frankfurt, IPRax 1999, 247, 250 (dazu W. Hau, S. 232, 235); vgl. R. Schütze, IZPR, Rz. 173 f.; M. Weller, Ordre public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005. 1190 Vgl. die Befürchtungen von R. Schütze, RIW 2006, Heft 6, Erste Seite. 1191 R. Schütze, IZPR, Rz. 175; a.A. B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 87; J. Schröder, Internat. Zuständigkeit, 1971, S. 460. 1192 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 37 Rz. 2; Bork in Stein/Jonas, § 38 ZPO Rz. 50. 1193 BGHZ 49, 384 = NJW 1968, 1233; BGHZ 59, 23 = NJW 1972, 1622. 1194 P. Gottwald, FS Henckel, 1995, S. 295, 299. 1195 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 567, 568; B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 80 ff.; G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 358. 1196 BGHZ 59, 23 = NJW 1972, 1622 (R. Geimer); OLG Köln, RIW 1997, 233; OLG Rostock, RIW 1997, 1042, 1043; R. Hausmann, FS W. Lorenz, 1991, S. 359, 364 ff.; B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 73 ff.; Soergel/Kronke, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 31 f.; G. Wagner, Prozessverträge, S. 350, 367; vgl. B. Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, 2002. 1197 OLG Bremen, RIW 1985, 894, 895.
251
§ 3 Rz. 3.567 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.567 Auch die Auslegung der internationalen Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich nach dem Vertragsstatut.1198 Aus einer Rechtswahlklausel für den Hauptvertrag lässt sich im Zweifel keine Prorogation der Gerichte des Staats der gewählten Rechtsordnung ableiten.1199 3.568 Wie im internationalen Schuldrecht können die Parteien ihre Vereinbarung einer bestimmten Rechtsordnung unterstellen. Das scheinbar berufene Recht entscheidet wie sonst auch über die Wirksamkeit der Rechtswahl und der Vereinbarung insgesamt.1200 Weil das deutsche Prozessrecht keine Vorschriften über das Zustandekommen von Verträgen enthalte, werde stillschweigend auf die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts verwiesen. Anders verhält es sich mit der Form der Prorogation, denn diese ist im deutschen Prozessrecht ausdrücklich geregelt. Nur wenn man die internationale Gerichtsstandsvereinbarung derart in das Vertragsrecht einbindet, lässt sich ihre Wirksamkeit vor Prozessbeginn einigermaßen zuverlässig beurteilen. 3.569 Unter Kaufleuten lässt § 38 I ZPO auch eine internationale Prorogation formlos zu;1201 die Parteien können eine solche Vereinbarung also auch mündlich schließen. Hiervor ist jedoch dringend zu warnen, denn im Rechtsstreit wird der Kläger eine derart geschlossene internationale Prorogation kaum beweisen können. Es kommt der Schutz des Beklagten vor einer zu weit reichenden internationalen Zuständigkeitsvereinbarung hinzu. 3.570 Ist die Gerichtsstandsklausel in AGB enthalten, müssen diese wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein (§ 305 II BGB). Hieran fehlt es, wenn AGB nur auf der Rückseite von Warenrechnungen abgedruckt sind, ohne dass im Text darauf verwiesen wurde; der Abdruck nur auf der Rechnung genügt nicht, um den Vertrag entsprechend abzuändern (s. Rz. 3.250 f.).1202 3.571 Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung abgeschlossen worden ist, richtet sich nach dem anwendbaren materiellen Recht. Die Wirksamkeit einer (konkludenten) Annahme ist daher nach Art. 10 II Rom I-VO im Wege der Sonderanknüpfung nach dem Heimatrecht des Annehmenden zu beurteilen.1203 Ist dies deutsches Recht, so kann eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dadurch zustande kommen, dass sie in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist, die eine Partei der anderen mit einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben übersendet, worauf letztere schweigt.1204 Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben der deutschen Partei führt nur dann zur Bindung des ausländischen Vertragspartners, wenn auch dessen Heimatrecht dem Schweigen rechtsbegründende Bedeutung beimisst.1205 Ein kauf1198 1199 1200 1201 1202 1203
BGH, RIW 1997, 149, 151. Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 34; R. Geimer, IZPR, Rz. 1674. Vgl. Art. 10 I Rom I-VO; P. Gottwald, FS Henckel, 1995, S. 295, 300 f. B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 83; R. Schütze, IZPR, Rz. 169. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 567, 568. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 567, 568; Martiny in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2018, Art. 10 Rom I-VO Rz. 217 ff., 242 ff. 1204 Palandt/Ellenberger, § 147 BGB Rz. 8 ff. 1205 OLG Koblenz, IPRax 1982, 20.
252
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.578 § 3
männisches Bestätigungsschreiben muss grds. in der Sprache gehalten sein, in der mündlich verhandelt worden ist.1206 Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bedeutet dann keine Zustimmung, wenn es von der mündlichen Vereinbarung so erheblich abweicht, dass dessen Absender vernünftigerweise nicht mit einer Billigung rechnen kann.1207 Wird trotz Auslandsbezugs (nur) nach § 18 Nr. 1 VOB/B die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts vereinbart, so bezieht sich diese Vereinbarung aber nur auf die örtliche, nicht auf die internationale Zuständigkeit.1208
3.572
Weitere Sonderregelungen enthalten § 26 II FernUSG, § 29c ZPO, § 13 Abs. 3 KWG und § 109 I VAG.
3.573
Die Gerichtsstandsvereinbarung ist nach § 138 BGB unwirksam, wenn eine Partei ihre wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit ausgenutzt hat, um die andere zum Abschluss der Vereinbarung zu nötigen.1209
3.574
Ist die Zuständigkeitsvereinbarung als Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei enthalten, so fragt es sich, wieweit die richterliche Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB stattfindet. Da ein Kaufmann, aber auch ein Privatmann mit einer Gerichtsstandsklausel rechnen muss, wird es sich in der Regel nicht um eine überraschende Klausel (§ 305c BGB) handeln. Jedoch ist eine Inhaltskontrolle – auch gegenüber Kaufleuten – nach § 307 BGB möglich.1210 Eine unangemessene Benachteiligung kann aber nur aus dem konkreten Klauselinhalt, nicht aus der Gerichtsstandsvereinbarung selbst folgen.
3.575
§ 38 II ZPO lässt internationale Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter Nichtkaufleuten zu, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Damit kommt der Gesetzgeber den Bedürfnissen des internationalen Handels und Verkehrs entgegen. Ein Nichtkaufmann mit Doppelwohnsitz im In- und Ausland darf nach h.M. keine Vereinbarung abschließen.1211
3.576
Die Gerichtsstandsvereinbarung mit dem Nichtkaufmann muss nach § 38 II 2 ZPO schriftlich geschlossen oder, falls sie mündlich geschlossen wird, schriftlich bestätigt werden.1212
3.577
§ 38 III ZPO lässt in drei Fällen eine ausdrückliche und schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung zu, wobei die erste Möglichkeit der Vereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit kaum praktische Bedeutung hat. Der zweite Fall sieht eine Prorogation
3.578
1206 1207 1208 1209
OLG Frankfurt, IPRax 1982, 242. BGH, BB 1952, 843. BGHZ 94, 158 = IPRax 1987, 305 (dazu zust. F. Nicklisch, S. 286). BGH, ZZP 88 (1975), 318; R. Geimer, IZPR, Rz. 1602; vgl. R. Hausmann, FS W. Lorenz, 1991, S. 359, 372. 1210 Bork in Stein/Jonas, § 38 ZPO Rz. 20; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 38 ZPO Rz. 22. 1211 BGH, NJW 1986, 1438 (krit. R. Geimer) = IPRax 1987, 168 (dazu H. Roth, S. 141). 1212 Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 1999, 38 (dazu W. Hau, S. 24) (Bestätigung in der Annahmefrist des § 147 II BGB erforderlich).
253
§ 3 Rz. 3.578 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
vor unter der Voraussetzung, dass die beklagte Partei ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort nach Vertragsschluss ins Ausland verlegt. Auch dadurch entsteht nach Vertragsschluss eine Auslandsbeziehung. Diese Möglichkeit, die ebenfalls für Kaufleute und Nichtkaufleute gilt, können die Parteien bereits bei oder vor Vertragsschluss als zukünftige Gerichtsstandsbegründung vorsehen. Da die Schriftform ausdrücklich gefordert wird und eine schriftliche Gegenbestätigung nicht ausreicht, entfällt bei dieser Variante die Aufnahme einer entsprechenden Vereinbarung in Allgemeine Geschäftsbedingungen, es sei denn, dass diese bei Vertragsschluss von beiden Parteien unterzeichnet werden.
3.579 Die dritte Variante sieht den Fall vor, dass der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort der beklagten Partei bei Klageerhebung nicht bekannt ist. Hierbei braucht es sich allerdings nicht unbedingt um einen auslandsbezogenen Fall zu handeln, obwohl auch diese Möglichkeit im Vordergrund steht. 3.580 Da nach § 331 I 2 ZPO bei Säumnis des Beklagten das mündliche Vorbringen des Klägers zur Zuständigkeit des Gerichts gem. §§ 29 II und 38 ZPO nicht als zugestanden anzunehmen ist, muss der Kläger eine internationale Prorogation beweisen. Schon aus Beweisgründen sollten auch Vollkaufleute grds. die Schriftform oder halbe Schriftform wählen. 3.581 Wirkungen. Nach autonomem deutschem Recht besteht keine Vermutung für die Ausschließlichkeit der Vereinbarung; vielmehr entscheidet die Auslegung der konkreten Vereinbarung.1213 Für eine Ausschließlichkeit des vereinbarten Forums spricht, wenn die Gerichte materiell ihr eigenes Recht anwenden sollen.1214 In Angleichung an Art. 25 I 2 EuGVO n.F. (Art. 23 I 2 EuGVO a.F./LugÜ) sollte zudem im Zweifel künftig von der Ausschließlichkeit ausgegangen werden. Zulässig sind auch optionale Vereinbarungen, auch zugunsten einer der Parteien. Eine Prorogation bezüglich aller Ansprüche aus einem Vertrag erfasst i.d.R. auch die konkurrierenden Ansprüche, insb aus unerlaubter Handlung.1215
3.582 Der BGH1216 hat entschieden, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, wonach ein bestimmtes Gericht eines ausländischen Staats oder andere Gerichte dieses Staats für alle Streitfälle zuständig sind, in der Regel dahin auszulegen ist, dass jedenfalls für Ansprüche gegen die Vertragspartei, deren Heimatgerichte zuständig sein sollen, die ausschließliche Zuständigkeit dieser Gerichte vereinbart ist. Die ausländische (ausschließliche) Zuständigkeit kann auch nicht durch eine inländische Aufrechnung mit der prorogierten Forderung umgangen werden. Da über die Aufrechnungsforderung rechtskräftig entschieden wird (§ 322 II ZPO), muss das Prozessgericht nach h.M. für eine Aufrechnungsforderung international zuständig sein1217 Besteht zwi1213 Vgl. OLG Frankfurt, IPRax 1998, 35 (dazu Th. Pfeiffer, S. 17); für Österreich vgl. P. Oberhammer, JBl 1997, 434; M. Weller in Schmidt-Kessel, 2018, 209, 228 ff. 1214 OLG Düsseldorf, RIW 1990, 220. 1215 J. v. Falkenhausen, RIW 1983, 420; a.A. OLG Hamburg, RIW 1982, 669. 1216 NJW 1973, 422. 1217 BGH, NJW 2015, 1118, 1119 (Rz. 18); BGH, NJW 2014, 3156 (Rz. 15).
254
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.585 § 3
schen Hauptforderung und Aufrechnungsforderung Konnexität, soll zwar grundsätzlich eine internationale Zuständigkeit hinsichtlich der Aufrechnungsforderung analog § 33 ZPO bestehen,1218 die Auslegung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung kann aber das Gegenteil ergeben.1219 Die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung hindert eine Widerklage mit einer konnexen Forderung, wenn die Klage an einem für die Widerklage international unzuständigen Gericht erhoben wird.1220
3.583
Bisher wurde angenommen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung lediglich prozessuale Verfügungswirkung (Prorogation bzw. Derogation) hat, aber keine (zusätzlich) schuldrechtliche Verpflichtung enthält, (nur) am prorogierten Ort zu klagen bzw. eine anderweitige Klage zu unterlassen. Die Kosten der Verteidigung gegen eine prorogationswidrige Klage im Ausland wurden deshalb allenfalls prozessual erstattet, konnten aber (ohne zusätzlich Vereinbarung) in Deutschland nicht im Wege materiellen Schadenersatzes wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 BGB) eingeklagt werden.1221 Allenfalls in Extremfällen kam eine Haftung nach § 826 BGB in Betracht.1222 Mit Urteil v. 17.10.2019 hat der BGH nun aber entschieden, dass die Vereinbarung eines ausschließlichen inländischen Gerichtsstandes zugleich die materielle Verpflichtung enthält, nur vor dem vereinbarten Gericht zu klagen. Wer diese Pflicht verletze, sei zum Schadensersatz nach § 280 BGB verpflichtet. Im konkreten Fall hatte eine Partei vertragswidrig in New York geklagt. Das New Yorker Gericht hatte die Klage zwar als unzulässig abgewiesen, aber (entsprechend New Yorker Recht) keine Kostenerstattung angeordnet. Die Aufwendungen für die Verteidigung gegen die New Yorker Klage können daher als Schadensersatz in Deutschland eingeklagt werden.1223
3.584
6. Rügelose Einlassung Nach § 39 ZPO wird die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges ferner dadurch begründet, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt.1224 Bei dieser rügelosen Einlassung des Be-
1218 BGHZ 149, 120, 127 = JZ 2002, 605 (B. Hess/A. Müller); BGH, NJW 1993, 2753 = IPRax 1994, 115 (dazu R. Geimer, S. 82); G. Wagner, IPRax 1999, 65, 72 ff.; a.A.: J. v. Falkenhausen, RIW 1982, 386, 388; M. Gebauer, JbItalR 12 (1999), 31, 50 ff.; vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 1777 f; s. Rz. 3.120, 3.203. 1219 BGH, NJW 2015, 1118, 1119 (Rz. 19). 1220 J. v. Falkenhausen, RIW 1982, 386, 388. 1221 Vgl. J. Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung?, 2017; F. Ries, Der Schadensersatzanspruch wegen der Missachtung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung, 2018. 1222 Vgl. O. Sandrock, RIW 2004, 809 (der der internationalen Gerichtsstandsvereinbarung materielle Wirkung beimessen will). 1223 BGHZ 223, 269 (Rz. 43) = RIW 2020, 64 (P. Mankowski) = EuZW 2020, 149 (J. Antomo). 1224 Vgl. BGH, RIW 2009, 245; BGHZ 134, 127, 132 ff. = 1997, 397.
255
3.585
§ 3 Rz. 3.585 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
klagten handelt es sich nicht um eine stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung, denn sonst wäre die Neufassung des § 39 ZPO unverständlich.1225
3.586 In internationalen Fällen wird durch die rügelose Einlassung des Beklagten („general appearance“) zugleich die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts begründet. Hierbei handelt es sich um eine reine Prozesshandlung, die ausschließlich nach deutschem Prozessrecht zu beurteilen ist. Im Gegensatz zur Gerichtsstandsvereinbarung taucht hierbei die Frage nach dem Zustandekommen einer Vereinbarung gar nicht auf. Der Beklagte unterwirft sich vielmehr kraft seiner Dispositionsfreiheit für den zu entscheidenden Fall der internationalen Zuständigkeit des betreffenden deutschen Gerichts. 3.587 Dass eine solche Unterwerfung nicht immer zugelassen wird, ergibt sich aus § 504 ZPO. Im Verfahren vor dem AG muss der Richter den Beklagten auf die Folgen einer rügelosen Einlassung hinweisen. Unterlässt er dies, so wird durch eine rügelose Einlassung des Beklagten weder die sachliche noch die örtliche noch die internationale Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen deutschen Gerichts begründet.1226 Im Übrigen setzt die rügelose Einlassung des Beklagten – abgesehen von der Vertragsnatur – dieselben Erfordernisse voraus wie die Prorogation.1227 Unter mündlicher Verhandlung zur Hauptsache ist das Verhandeln des Beklagten über den sachlich zur Entscheidung anstehenden Anspruch, nicht über die Prozessvoraussetzungen, zu verstehen.1228 Die Nichtrüge innerhalb der Klageerwiderungsfrist (§§ 282 III, 296 III ZPO) führt noch nicht zur rügelosen Einlassung.1229 Ist der Beklagte aber im schriftlichen Vorverfahren gem. § 296 I ZPO mit Verteidigungsmitteln ausgeschlossen, so kann er auch die internationale Zuständigkeit nicht mehr rügen.1230 Die internationale Zuständigkeit ist in jeder Lage des Prozesses von Amts wegen zu prüfen.1231 3.588 Rügt der Beklagte die internationale Zuständigkeit, so fehlt es an einer „rügelosen Einlassung“. Es schadet dem Beklagten aber nicht, wenn er neben dieser Rüge „hilfsweise“ sich auch sachlich gegen die Klage verteidigt. In einer solchen „begrenzten Einlassung“ liegt ebenso wie nach heutigem englischem Recht (CPR r. 10.2, 11 [5], 12.3 [1]) keine rügelose Einlassung. Das kalifornische Prozessrecht (Cal. C.C.P. § 418.10 [a]) verlangt dagegen eine auf die Zuständigkeitsrüge begrenzte „special appearance“; auch die hilfsweise Einlassung begründet volle Zuständigkeit.1232
1225 So zu Recht Bork in Stein/Jonas, § 39 ZPO Rz. 1 (Präklusion); R. Geimer, WM 1977, 66; a.A. R. Schütze, ZZP 90 (1977), 75. 1226 OLG Frankfurt, RIW/AWD 1979, 640. 1227 R. Schütze, RIW/AWD 1979, 591. 1228 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 37 Rz. 26; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 39 ZPO Rz. 6. 1229 BGHZ 134, 127 = NJW 1997, 397 = ZZP 110 (1997), 353 (Th. Pfeiffer) = IPRax 1999, 367, 369 (dazu H. Dörner/A. Staudinger, S. 338, 340). 1230 Vgl. BGHZ 134, 127 = NJW 1997, 397. 1231 J. Kropholler, Hdb. IZPR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 216. 1232 California Dental Ass. v American Dental Ass., 23 Cal. 3d 346, 590 P. 2d 401 (1979).
256
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.593 § 3
Die in erster Instanz erhobene Zuständigkeitsrüge muss in der Rechtsmittelinstanz nicht wiederholt werden.1233
3.589
7. Internationale Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs Eine ausdrückliche Regelung in der ZPO fehlt. Bei der doppelfunktionellen Anwendung der §§ 12 ff. ZPO ergeben sich Schwierigkeiten.
3.590
a) Streitgenossen Das autonome deutsche Recht kennt eine Streitgenossenzuständigkeit nur für den Unterhaltsantrag des Kindes gegen beide Eltern, § 232 III Nr. 2 FamFG.
3.591
Ansonsten kann nach § 36 I Nr. 3 ZPO für eine Klage gegen Streitgenossen ein örtlich zuständiges Gericht bestellt werden, wenn jene verschiedene allgemeine Gerichtsstände im Inland haben, aber kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand besteht. Hat einer der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland, ist die Regel nicht anwendbar. Eine Ausnahme wird jedoch gemacht, wenn für diesen Beklagten ein besonderer Gerichtsstand im Inland besteht.1234 Nach dem lex fori-Prinzip gilt das Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung auch in Fällen mit Auslandsberührung.1235 Gegenüber EU- bzw. EFTA-Staaten gilt Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ); s. Rz. 3.134 ff. b) Widerklage Das für eine Klage zuständige Gericht ist nach § 33 I ZPO auch zuständig, über eine konnexe Widerklage zu entscheiden. Diese Regel gilt auch für die internationale Zuständigkeit (ebenso ausdrücklich Art. 8 schweiz. IPRG 1987).
3.592
Streitig ist, ob dieser Gerichtsstand durch eine abweichende (ausschließliche) Gerichtsstandsvereinbarung oder eine Schiedsvereinbarung für die Gegenforderung ausgeschlossen ist. Der BGH bejaht in beiden Fällen einen Vorrang der Vereinbarung (s. Rz. 3.272, 3.583), es sei denn der Kläger würde sich auf die Widerklage rügelos einlassen (§§ 39, 1032 I ZPO).1236 c) Aufrechnung Entsprechendes gilt für die Aufrechnung mit einer Gegenforderung, für die internationale Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts oder eines Schiedsgerichts ausschließlich vereinbart ist. Da das Gericht nach § 322 II über die Gegenforderung mit Rechtskraftwirkung entscheide, müsse für die Gegenforderung die internationale Zu-
1233 OLG Frankfurt, RIW 1997, 600; s. aber Rz. 3.222. 1234 BGH, NJW 1971, 196; BGH, NJW 1988, 646. 1235 BGH, FamRZ 1990, 1224, 1225; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Weber, § 36 ZPO Rz. 19 Auslandsbezug; Schultzky in Zöller, § 36 ZPO Rz. 6. 1236 Vgl. BGH, NJW 1981, 2644; D. Pfaff, ZZP 96 (1983), 334.
257
3.593
§ 3 Rz. 3.593 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
ständigkeit gegeben sein.1237 Selbst wenn zwischen den Forderungen ein Sachzusammenhang besteht, darf das deutsche Gericht nicht über die streitige Gegenforderung entscheiden, sofern sich der Kläger nicht rügelos auf die Aufrechnung einlässt (s. Rz. 3.273, 3.582). Freilich wird darauf hingewiesen, dass die Aufrechnung nur greift, wenn die Klageforderung besteht. Mit ihr besitze der Kläger aber Inlandsvermögen, so dass für die gegen ihn gerichtete Aufrechnung im autonomen Recht stets eine internationale Zuständigkeit bestehe.1238 Jedoch gilt dies nicht bei einer abweichenden ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung oder einer entsprechenden Schiedsvereinbarung. In beiden Fällen meint der BGH, der Wille der Parteien sei zu respektieren; eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung oder eine Schiedsvereinbarung schließe regelmäßig (trotz des unpraktischen Ergebnisses) eine anderweitige streitige Aufrechnung mit der betroffenen Forderung gegen den Willen des Betroffenen aus.1239
3.594 Durch eine prozessuale Zurückweisung der Aufrechnung verliert der Beklagte aber eine nach materiellem Recht bestehende insolvenzfeste, verjährungsunabhängige und abtretungssichere Position. Es ist daher wenigstens nach § 148 ZPO vorzugehen und die Entscheidung über die Klageforderung auszusetzen, bis die Entscheidung des ausländischen Gerichts über die Gegenforderung vorliegt.1240 Allerdings ist dann dem Beklagten eine Frist zur Klageerhebung im Ausland zu setzen. d) Zurückbehaltungsrechte
3.595 Schrifttum: W. Junge, Die Kognitionsbefugnis über Zurückbehaltungsrechte im intern. Zivilverfahrensrecht, 2017
Beruft sich der Beklagte auf ein Zurückbehaltunsrecht, kann er nur noch Zug um Zug verurteilt werden. Anders als bei der Aufrechnung kann auch kein Vorbehaltsurteil zugunsten des Klägers ergehen. Eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Erlass eines Urteils über die Gegenforderung, auf der das Zurückbehaltungsrecht beruht, würde den Rechtsschutzinteressen der Parteien nicht gerecht. Die Entscheidung über ein Zurückbehaltungsrecht ergeht daher unabhängig von einer Entscheidungszuständigkeit für die Forderung, die das Zurückbehaltungsrecht begründet.1241 Dasselbe gilt grundsätzlich auch, wenn für die Gegenforderung eine Gerichtsstandvereinbarung zugunsten des Gerichts eines anderen Staates besteht.1242 Dagegen soll die Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht unzulässig sein, wenn die streitige Forderung, auf der dieses Recht beruht, schiedsbefangen ist.1243
1237 LG Köln v. 20.2.2014 – 22 O 486/10 Rz. 22, juris. 1238 So A. Piekenbrock, RIW 2000, 751, 752 ff. 1239 BGH, NJW 1979, 2477; W. Eickhoff, S. 185; a.A. zu Recht D. Coester-Waltjen, FS Lüke, S. 35, 39 ff.; Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 21; krit. auch R. Geimer, IZPR, Rz. 1777 ff. (Auslegung im Einzelfall erforderlich). 1240 Vgl. H. Rüssmann, FS Ishikawa, S. 455, 468 ff. 1241 W. Junge, S. 161 ff., 166. 1242 W. Junge, S. 171 ff., 183. 1243 W. Junge, S. 189 ff.
258
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 3.599 § 3
e) Anspruchskonkurrenz In Fällen der Anspruchskonkurrenz besitzt nach h.M. nur das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes eine umfassende Prüfungskompetenz; für alle besonderen Gerichtsstände hat der BGH dagegen eine Annexkompetenz zur Prüfung anderer konkurrierender Anspruchsgrundlagen kraft Sachzusammenhangs im Anschluss an ein Urteil des EuGH verneint.1244
3.596
8. Notzuständigkeit Besteht nach den §§ 12 ff. ZPO keine inländische Zuständigkeit, besteht aber ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt1245 oder kann aber ein an sich zuständiges ausländisches Gericht nicht oder nur in unzumutbarer Weise angerufen werden, so ist im Inland eine internationale Notzuständigkeit zu eröffnen.1246 Eine inländische Entscheidungszuständigkeit ist insb anzunehmen, wenn eine ausländische Entscheidung wegen eines ordre public-Verstoßes1247 oder fehlender Gegenseitigkeit1248 nicht anerkannt wird. Entgegen der Prorogation ausländischer Gerichte ist eine inländische Notzuständigkeit aber nur zu eröffnen, wenn im Ausland kein rechtsstaatlicher Rechtsschutz erhältlich ist (s. Rz. 3.564). Das deutsche Recht enthält zwar, anders als Art. 3 schweiz. IPRG 1987 oder sec. 3136 Civil Code von Quebec, keine gesetzliche Regelung. Die Notzuständigkeit folgt aber aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Rechtsschutz. Die Notzuständigkeit ist zu eröffnen, wenn der Fall einen ausreichenden Inlandsbezug hat.1249 Die Sicherung der Anwendung des maßgeblichen deutschen Rechts muss dabei nicht im Vordergrund stehen.1250 Aden möchte das Ersatzforum nur in einen rechtlich, kulturell oder geographisch nahestehenden Staat eröffnen.1251 Ob dieser Vorschlag praktikabel ist, erscheint freilich zweifelhaft.
3.597
Die örtliche Zuständigkeit sollte dann ähnlich wie in Art. 3 schweiz. IPRG an dem Ort eröffnet werden, mit dem der Inlandsbezug besteht. Kann etwa ein vereinbartes ausländisches Gericht wegen Bürgerkriegs nicht angerufen werden, so sollten die abgewählten Gerichtsstände wieder aufleben. Nur wenn sonst keine Anknüpfung besteht, ist die Klage am Gerichtsstand der Bundesregierung (§ 15 I 2 ZPO) zu erheben.
3.598
Frei
3.599
1244 BGH, NJW 1996, 1411, 1413 = FamRZ 1996, 601, 603 mN zum Streitstand; vgl. auch U. Spellenberg, ZZP 95 (1982), 17. 1245 E. Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975; R. Schütze, Rz. 126 ff. 1246 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 31 Rz. 43 ff.; Th. Pfeiffer, S. 451, 463 ff.; R. Schütze, IZPR, Rz. 128 ff. u. FS Rechberger, 2005, S. 567. 1247 Th. Pfeiffer, S. 753 ff. 1248 R. Geimer, IZPR, Rz. 1029 f.; Soergel/Kronke, BGB Art. 38 EGBGB Anh Rz. 27. 1249 H. Schack, IZVR, Rz. 457; H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 7.2 f.; R. Schütze, FS Rechberger, 2006, S. 567; J. Kropholler, IPR, § 58 II 1 d. 1250 A.A. wohl A. Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 172. 1251 M. Aden, ZVglRWiss 106 (2007), 490, 496 f.
259
§ 3 Rz. 3.600 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
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2. Einführung
3.601 Aufgrund seiner Personal- und Territorialhoheit kann jeder Staat auf seinem Gebiet Jurisdiktion ausüben. Sofern eine gewisse Sachnähe besteht, können seine Gerichte auch mit extraterritorialer Wirkung entscheiden. Das Restatement Foreign Relations Law (Third) von 1987 sagt dazu in § 421 (1): „A state may exercise jurisdiction through its courts to adjudicate with respect to a person or thing if the relationship of the state to the person or thing is such as to make the exercise of jurisdiction reasonable.“ Wann die Ausübung der internationalen Zuständigkeit „vernünftig“ ist, ist freilich zweifelhaft. Im praktischen Ergebnis bestimmt deshalb jeder Staat selbst, in welchen Fällen seine Gerichte in internationalen Fällen entscheiden. Viele Staaten legen generell vernünftige Anknüpfungen gesetzlich fest und schaffen damit Rechtssicherheit. Andere, wie etwa die USA räumen den Gerichten die Befugnis ein, im Einzelfall über die Sachgerechtigkeit der Ausübung von jurisdiction zu entscheiden (s. Rz. 3.655). Der größeren Einzelfallgerechtigkeit steht dann freilich ein zerhebliches Maß an Unberechenbarkeit und Rechtsunsicherheit gegenüber.1252 Ähnliche Vorbehalte gelten gegenüber der russischen Lösung, wonach eine internationale Zuständigkeit der Arbitragegerichte (Wirtschaftsgerichte) gegeben ist, wenn das streitige Rechtsverhältnis eine enge Verbindung mit dem russischen Territorium aufweist.1253 Die verschiedenen Grundmodelle einer gerechten internationalen Zuständigkeitsordnung1254 divergieren im Einzelnen, ohne dass die Grenzen prozessualer Gerechtigkeit eindeutig abzugrenzen wären. 1252 Krit. F. Juenger, A shoe unfit for globetrotting, U.C.Davis Law Rev. 28 (1995), 1027. 1253 Vgl. M. Boguslawskij, S. 19, 24. 1254 Vgl. Th. Pfeiffer, S. 199 ff.
264
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.606 § 3
Da der Staat auch Ausländern einen angemessenen Rechtsschutz gewährleisten muss (s Rz. 5.7 ff.), darf er ihnen den Zugang zum Gericht nicht verschließen. Grundsätzlich steht es jedem Staat frei, die internationale Zuständigkeit seiner Gerichte zu bestimmen, obgleich die Staaten im Interesse der Rechtsuchenden aufeinander Rücksicht nehmen sollten. Einstweilen herrscht noch der Souveränitätsgedanke. Eine rühmliche Ausnahme macht das europäische Zivilprozessrecht, dessen System Italien 1995 mit der IPR-Reform auch für das autonome Recht übernommen hat.1255 Im Übrigen sind durch die verschiedenen staatlichen Regelungen Überschneidungen von Zuständigkeiten der Gerichte einzelner Staaten unvermeidbar. Da jeder Richter grds. sein eigenes Prozessrecht anwendet, prüft er seine internationale Zuständigkeit ausschließlich anhand seiner nationalen Zivilprozessordnung. Ihn interessiert grds. nicht die Frage, ob sein Urteil in einem fremden Staat anerkannt und die Zwangsvollstreckung aus ihm bewilligt werden kann. Von seiner internationalen Zuständigkeit muss also die Anerkennungszuständigkeit scharf getrennt werden.
3.602
In international gelagerten Fällen sollten die Rechtsanwälte und Parteien von einer anderen Betrachtungsweise ausgehen. Hat eine Partei im Inland keinen Gerichtsstand, so muss sie sich entscheiden, ob sie im Ausland klagen will. Dabei muss sie natürlich berücksichtigen, ob sie in dem betreffenden Land einen Gerichtsstand hat. Der Schuldner müsste berücksichtigen, ob er sich vor einem ausländischen Gericht überhaupt einlassen soll. Das sollte er jedenfalls dann, wenn das ausländische Gericht aus deutscher Sicht international zuständig war und ein ergehendes Urteil im Inland anerkannt und vollstreckt werden kann.
3.603
Hat der Kläger im Inland einen Gerichtsstand, so sollte er bereits bei Einreichung der Klage darüber nachdenken, ob ein deutsches Urteil im Ausland anerkannt und die Vollstreckung aus ihm gewährt werden wird. Dabei muss er berücksichtigen, dass der ausländische Zweitrichter wiederum anhand seines Gerichtsstandskataloges prüft, ob der deutsche Erstrichter international zuständig gewesen ist. Die verschiedenen sich ergebenden Möglichkeiten sollten bereits bei einer Vertragsgestaltung mit ausländischen Partnern überlegt werden, wobei Gerichtsstandsvereinbarungen eine zentrale Bedeutung erhalten.
3.604
3. Abweichende Gerichtsstandskonzeptionen a) Anwesenheit im Gerichtsstaat (Presence of Person) Englische und US-amerikanische Gerichte haben personal jurisdiction lange Zeit nur auf personal presence gestützt (sog. power-Theorie).1256 Denn nach der Grundidee konnte Hoheitsgewalt nur gegenüber einer Person geübt werden, die im Gerichtsstaat anwesend ist. Diese Konzeption erwies sich freilich als zu eng.
3.605
Bei juristischen Personen ist „presence“ stets nur im übertragenen Sinn möglich. Man verlangte, dass die juristische Person einen Bevollmächtigten im Gerichtsstaat
3.606
1255 A. Pesce, RIW 1995, 977, 978 f. 1256 Vgl. Th. Pfeiffer, S. 311 ff.
265
§ 3 Rz. 3.606 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
bestellt, später behandelte man sie als durch ihre Angestellten, ihr Büro, ihre Bankkonten als „gegenwärtig“ und schließlich wurde die Geschäftstätigkeit im Gerichtsstaat selbst als Form der Anwesenheit angesehen.1257
3.607 Auch bei natürlichen Personen gerät das Konzept schnell in Schwierigkeiten, wenn die Partei den Gerichtsstaat nach Klageerhebung verlässt, dort zwar ihren Wohnsitz hat, tatsächlich aber abwesend ist oder den Gerichtsstaat nach Verkehrsunfällen wieder verlassen hat. Regelmäßig wurde die „Anwesenheit“ mit Hilfe eines Zustellungsbevollmächtigten fingiert. Auf dieser Grundlage entwickelte sich das Konzept, dass es weniger auf Anwesenheit als auf ausreichende Kontakte zum Gerichtsstaat ankommt. Welcher Kontakt ausreichend ist, wurde von den Einzelstaaten in sog. longarm statutes näher festgelegt.1258 b) Vorübergehende Anwesenheit (transient jurisdiction)
3.608 Trotz dieser Abstrahierung und Wandlung der ursprünglichen Konzeption haben die common law-Staaten daran festgehalten, dass auch die bloß vorübergehende Anwesenheit im Gerichtsstaat ausreicht, um gegen diese Person jurisdiction auszuüben. 3.609 Englische Gerichte haben bekräftigt, dass eine persönliche Zustellung im Inland stets jurisdiction gegenüber dem Beklagten begründet (CPR 2000 r 6.4 [1] [3]).1259 Bei einer company genügt Zustellung an eine Person „holding a senior position“ (r 6.4 [4]), bei einer partnership die persönliche Zustellung an einen „partner“ oder eine Person, die „the control or management of this partnerships business at its principal place of business“ ausübt (r 6.4 [5]).1260 Gleiches gilt in Irland.1261 Im Rahmen von EuGVO n.F. (Art. 5 II i.V.m. Liste zu Art. 76 I lit. a) und LugÜ ist diese Doktrin jedoch nicht anwendbar. 3.610 Auch die USA halten daran fest, dass die vorübergehend anwesende Person im Gerichtsstaat allgemein gerichtspflichtig ist und mit der Zustellung personal jurisdiction begründet wird.1262 Die Kritik an der „transient jurisdiction“,1263 die auch vom Restatement 3rd Foreign Relations Law (§ 421 II [a] 1987) aufgegriffen wurde, hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt. In Burnham v Sup. Court of California wurde dem in New Jersey wohnenden Ehemann die Scheidungsklage in Kalifornien, dem neuen Wohnsitzstaat der Frau, zugestellt, als er sich dort für wenige Tage geschäftlich und 1257 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 6th ed. 2011, § 2.5 (S. 65 ff.). 1258 Vgl. H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 693 ff.; Th. Pfeiffer, S. 320 ff. 1259 Maharanee of Baroda v Wildenstein [1972] 2 QB 283 (C.A.); Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Rule 29, para 11-003 (S. 372); J. Hill/A. Chong, International Commercial disputes, 2005, § 6.1.1.1. 1260 Vgl. Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, 15th ed. 2017, p. 324 ff. 1261 W. Binchy, Irish conflicts of law, 1988, S. 124 f. 1262 Vgl. Grace v McArthur, 170 F.Supp. 442 (E.D.Ark. 1959) (Zustellung beim Überfliegen des Gerichtsstaats); Burnham v Superior Court of California, 495 US 604, 109 LEd 2d 631; Casad, Jurisdiction, § 2.02 (2–12 ff.); G. Born/Th. Jestaedt, RIW 1990, 675; J.-P. Schmidt-Brand, S. 26 f.; S. Thürk, S. 24 ff. 1263 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 6.2 (S. 365 ff.).
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IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.612 § 3
zum Besuch seiner Kinder aufhielt. Dieses Vorgehen ist nach Ansicht des US Supreme Court mit der due process-Garantie des 14. Amendments vereinbar.1264 Nach Maßgabe des Rechts des Einzelstaats kann zumeist auch an eine ausländische Gesellschaft oder juristische Person durch Übergabe an einen im Forumstaat persönlich anwesenden Manager oder Direktor zugestellt werden.1265 Üblicherweise erkennen die meisten US-Staaten aber eine Zustellungsimmunität an, wenn sich eine Person lediglich als Anwalt oder Zeuge im Gerichtsstaat aufhält.1266 c) Place of Incorporation Dem Wohnsitz bei natürlichen Personen entspricht der Sitz bei juristischen. Im Unterschied zum deutschen Recht behält nach angloamerikanischem Recht die juristische Person aber einen allgemeinen Gerichtsstand im Gründungsstaat, selbst wenn sie dort kein Büro (mehr) unterhält und dort keine Geschäfte tätigt.1267 Jurisdiction wird stets angenommen, wenn die juristische Person nach dem Recht dieses Staats organisiert ist.1268
3.611
d) Laufende Geschäftstätigkeit (doing business) Ist eine Person nicht im Gerichtsstand anwesend, so kann sie nach der „due process“-Garantie des Fifth Amendment der US-Verfassung dort nur verklagt werden, wenn „minimum contacts“ zum Gerichtsstaat gegeben sind bzw. eine „sufficient relationship“ zwischen Beklagtem und forum besteht.1269 Die Zustellung allein begründet keine jurisdiction. Diese Beziehungen sind von den meisten Bundesstaaten in sog. „long arm-statutes“ näher und weit festgeschrieben worden. Die Regelung der Einzelstaaten ist teilweise sehr detailliert,1270 teilweise besteht sie in einer reinen Generalklausel, wie in Kalifornien (Cal. CCP § 410.10). Laufende Geschäftstätigkeit im Urteilsstaat („continuous and systematic contacts“) begründet danach überall einen allgemeinen Gerichtsstand im Gerichtsbezirk der Geschäftstätigkeit, und zwar gleichermaßen für Einzelkaufleute, Handelsgesellschaften (und ihre Gesellschafter) so-
1264 495 U.S 604, 109 L.Ed. 2d 631, 110 SCt. 2105 (1990); vgl. H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 700 f.; G. Born/Vollmer, 150 F.R.D. 221, 227 (1994); R. Schütze, RIW 2005, 579, 582 f. 1265 Vgl. G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, 6th ed. 2018, Ch. 10 B 2 (S. 869). 1266 Vgl. Restatement of the Law Second, Conflict of Laws, 1971, § 83 Comment b; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 11.15 (p. 521 f.). 1267 J.-P. Schmidt-Brand, S. 41. 1268 Restatement 3rd Foreign Relations Law, 1987, § 421 (2) (e); Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed., para 11–113 ff. (p. 416 et seq). 1269 Metropolitan Life Insurance Company v Robertson-Ceco Corp., 84 F. 3rd 560 (2nd Cir. 1996); Omni Capital International, Ltd. v Rudolf Wolff & Co., 484 US 97, 104 (1987); vgl. R. Casad, Jurisdiction, § 4.02 (4–22 ff.); G. Haugen Boston Int’lL.J. 11 (1993), 109; R. Degnan/K. Kay Kane Hastings L.J. 39 (1987–88), 799, 801 ff.; R. Weintraub, U.C. Davis L. Rev. 28 (1994), 531. 1270 So z.B. in Illinois, s. S. Thürk, S. 28 f.
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3.612
§ 3 Rz. 3.612 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
wie juristische Personen. Dies ist problemlos, soweit der Handeltreibende dort seine Hauptniederlassung hat oder eine Zweigniederlassung unterhält1271 (für die von dort aus getätigten Geschäfte) oder er sich der Zuständigkeit freiwillig unterwirft und einen Zustellungsbevollmächtigten im Gerichtsbezirk bestellt.
3.613 Zweifelhaft ist dagegen, wann eine Geschäftstätigkeit als solche („doing business“ oder „transacting business“) bezogen auf den Gerichtsort ausreichend intensiv ist, um eine allgemeine Gerichtspflichtigkeit zu rechtfertigen.1272 Das US-amerikanische Recht behandelt jemand, der sich in einem Staat „continuous and systematic“ geschäftlich betätigt, so, als habe er sich den Gerichten des Geschäftsortes generell unterstellt1273 bzw. als sei er in dem Staate anwesend. 3.614 Das Restatement of Foreign Relation Law (§ 421 II [h] [i] von 1987) formuliert: „In general, a state´s exercise of jurisdiction to adjudicate ... is reasonable, if, at the time jurisdiction is asserted, the person ... (h) regularly carries on business in the state; (i) ... had carried on activity in the state, but only with respect to such activity“, unterscheidet also zwischen allgemeiner Gerichtspflicht bei einer „continuous and systematic“ betriebenen Geschäftstätigkeit und spezieller Gerichtspflicht bei gerichtsstaatsbezogener Geschäftstätigkeit.1274 New York CPLR § 302 Nr. 1 (2016) unterwirft jeden Beklagten der jurisdiction „who in person or through an agent ... transacts any business within the state“, sofern dem Beklagten die Klage gem. NY CPLR § 313 zugestellt werden kann.1275
3.615 Die Gerichtspflichtigkeit wird weit gezogen. Sie erfasst vertragliche und deliktische Ansprüche. In Bryant v Finnish National Airline wurde die Zuständigkeit New Yorker Gerichte für Ansprüche aus einem Unfall bejaht, der sich auf einem französischen Flughafen ereignete, weil die finnische Fluggesellschaft ein (kleines) (Vermittlungs-)Büro (ohne eigene Geschäftstätigkeit) unterhielt.1276 Internationale Zuständigkeit wird in Produkthaftungsfällen auch bejaht, wenn der Hersteller die Ware zwar nicht selbst in den Gerichtsstaat liefert, wohl aber weiß, dass sein Abnehmer damit einen bestimmten Markt versorgt („stream-of-commerce-jurisdiction“).1277 Die Entscheidungen ergehen unter Abwägung aller Gesichtspunkte des Einzelfalles, sind also vielfach nicht eindeutig vorhersehbar.1278 1271 Vgl. Th. Müller-Froelich, S. 330 ff. 1272 Vgl. H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 696 ff.; H. Müller, S. 19 ff.; M. Otto, S. 40 ff.; J.P. Schmidt-Brand, S. 119 ff. 1273 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of laws, 6th ed. 2018, §§ 5.10 and 5.13, § 6.9; P. Gottwald, FS Geimer, S. 231. 1274 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, §§ 5.10–5.13. 1275 D. Siegel, New York Practice, 2nd ed. 1991, § 86 (p. 123). 1276 260 N.Y.S 2d 625 (1965), vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, 6th ed., § 5.13 (notes 19 to 22), § 6.9 (notes 20 to 22). 1277 Vgl. auch zu Grenzen Asahi Metal Industry v Superior Court, 480 U.S 102 (1987); N. Dethloff, NJW 1988, 2160; Th. Müller-Froelich, S. 364 ff. 1278 Zur Rechtslage in Alberta/Kanada s. Hull v Wilson, Court of Appeal of Alberta, [1996] ILPr 307.
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IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.620 § 3
Die Zuständigkeit nach New York CPLR 302 Nr. 1 (2016) wegen „contracts anywhere to supply goods or services in the state“ ist eine besondere Zuständigkeit neben der wegen „doing business in the state“. Sie wird vor allem praktisch im Versandhandel, insbesondere bei Online-Bestellungen. Durch das Versenden der Ware in den Wohnsitzstaat des Bestellers liefert er dort Ware aus und macht sich dadurch dort gerichtspflichtig. Zweifelhaft ist allerdings, ob dies auch bei „small cases“ gilt. Wer einen Angestellten nach New York entsendet, um eine Maschine zu reparieren, erbringt dort Dienste und ist deshalb dort in Bezug darauf gerichtspflichtig.1279
3.616
Wer in New York als Nicht-New Yorker ein Fahrzeug führt oder Eigentümer eines solchen Fahrzeugs ist, kann wegen eines Unfallschadens, der beim Gebrauch des Fahrzeugs in New York entstanden ist, dort durch Zustellung der Klage an den Secretary of State verklagt werden (sec. 253 Vehicle and Traffic Law).1280
3.617
In Japan kann eine Person, die dort weder Geschäftsstelle noch Büro unterhält, in Bezug auf die von ihr in Japan ausgeübte Tätigkeit verklagt werden (Art. 3-3 Nr. 5 jap. ZPO).1281
3.618
e) Service out of the jurisdiction
Hat der Fall eine sachliche Beziehung zu England, so dass England als geeignetstes Forum erscheint, kann das Gericht den Beklagten seiner jurisdiction unterwerfen, auch wenn er nicht im Gerichtsstaat anwesend ist. Nach CPR 2000 r 6.19 kann die Klage dem Beklagten ohne gerichtliche Genehmigung im Ausland zugestellt werden, wenn das Gericht aufgrund der europäischen Regeln (EuGVO, LugÜ) zuständig ist. Ansonsten bedarf es gem. CPR 2000 r 6.20 der Genehmigung des Gerichts für eine Auslandszustellung. Die Genehmigung kann erteilt werden, wenn einer der Gründe der Abs. 1 bis 18 dieser Regel erfüllt ist,1282 England also in deutscher Terminologie die internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt. Soweit diese Besonderheiten enthalten, wird hierauf bei den sachlichen Zuständigkeitsgründen hingewiesen. Dem Antrag auf Genehmigung der Auslandszustellung sind schriftliche Beweismittel beizufügen, aus denen sich (1) der Zuständigkeitsgrund, (2) die Überzeugung des Klägers von einer hinreichenden Erfolgsaussicht und (3) die Anschrift des Beklagten ergeben (CPR r 6.21 [1]).
3.619
f) Gerichtsstand der Niederlassung oder Geschäftsstelle Nach deutschem (§ 21 I ZPO) und europäischem (Art. 7 Nr. 5 EuGVO n.F. bzw. Art. 5 Nr. 5 LugÜ) Recht können in diesem Gerichtsstand nur Klagen mit Bezug auf die Niederlassung oder Geschäftsstelle erhoben werden. Andere Länder gehen hier möglicherweise weiter. 1279 D. Siegel, New York Practice, 2nd ed. 1991, § 86A (p. 130 ff.). 1280 D. Siegel, New York Practice, 2nd ed. 1991, § 97 (p. 147). 1281 Englischer Text bei Y. Okuda, YearbookPIL 13 (2011), 367, 370; vgl. M. Yoshida, RIW 2012, 118, 121. 1282 Vgl. A. Briggs, Conflict of Laws, 3rd ed. 2013, p. 122 ff.; krit. de lege ferenda A. Arzandeh, JPIL 15 (2019), 516.
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3.620
§ 3 Rz. 3.621 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.621 In Japan besteht eine internationale Zuständigkeit aus Streitigkeiten aus Geschäften einer Niederlassung am Sitz dieser Niederlassung (Art. 3-3 [iv] japZPO n.F.). Darüber hinaus kann eine ausländische Gesellschaft bzw. Stiftung am Ort ihrer japanischen Geschäftsstelle, ihres Büros bzw. am Wohnsitz der Person verklagt werden, die mit den Geschäften der Gesellschaft, Körperschaft etc im Wesentlichen betraut ist. Wird eine internationale Zuständigkeit aber schon dann bejaht, wenn ein derart lockerer Bezug zum Inland besteht, so führt das zu exorbitant jurisdiction. Deshalb kann diese Zuständigkeit aufgrund „besonderer Umstände“ verneint werden (Art. 39 japZPO n.F.). Unter „besondere Umstände“ fällt der Verstoß gegen Fairness des Verfahrens gegenüber den Parteien oder der Verstoß gegen Geeignetheit und Schnelligkeit des Verfahrens. Liegen besondere Umstände vor, so wird die internationale Zuständigkeit des japanischen Gerichts verneint, auch wenn sie einer Vorschrift der japanischen ZPO entspräche.1283 3.622 Vergleichbar ist die Zuständigkeit in New York, wenn der Beklagte im Gerichtsstaat einen Zustellungsbevollmächtigten (Agent) entweder für die konkrete Klage oder generell für alle Klagen bestellt hat. Diese Bestellung kann ausdrücklich, aber auch konkludent erfolgen. Für eine Reihe ausländischer Gewerbetreibender sieht das New Yorker Recht zwingend die Bestellung eines Agenten vor, etwa für den Handel mit Kraftfahrzeugen, Booten oder Flugzeugen. Gegenüber einem Unternehmen, das in New York unberechtigt Geschäfte betreibt, kann eine Zuständigkeit sogar durch Zustellung der Klage an den Secretary of State begründet werden (§ 307 Business Corporation Law).1284 3.623 Soweit bei einer Klage vor dem New York Supreme Court eine Widerklage zulässig wäre, kann der Beklagte seine entsprechende Klage als selbständige Klage dem Anwalt des Klägers zustellen lassen und so eine Zuständigkeit gegenüber dem außerhalb des Gerichtsbezirks wohnenden Kläger begründen (NY CPLR § 303 (2016)).1285 g) Gerichtsstand des Vertragsschlusses (forum actoris)
3.624 Manche Länder oder Staatsverträge sehen anstelle oder neben dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes den eher archaischen Gerichtsstand des Vertragsschlusses vor, so z.B. England,1286 Brasilien1287 und Schweden.1288 Bei Distanzverträgen ist der Vertrag in England geschlossen, wenn bei einem Briefwechsel die Annahme dort erklärt wur1283 Vgl. Urteil des japanischen Obersten Gerichtshofes v. 11.11.1997, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen, Bd. 51, H 10, S. 4055; A. Ishikawa, ZZPInt 1 (1996), 287, 288 ff.; M. Yoshida, RIW 2012, 118, 121 f. 1284 D. Siegel, New York Practice, 2nd ed. 1991, § 95 (p. 145 f.). 1285 Vgl. D. Siegel, New York Practice, 2nd ed. 1991, § 96 (p. 146 f.). 1286 CPR 2000 r 6.20 (5) (a); Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Rule 34 (6) (i) (No 11–181 et seq). 1287 Art. 21 III brasil. ZPO 2015; vgl. J. Samtleben in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Länderbericht Brasilien, EL 54, 2018, S. 1023.6 u. OLG Düsseldorf, RIW 1995, 947, 948. 1288 RB Kap. 10 § 4. Das neue spanische LEC 2000 kennt den Gerichtsstand des Vertragsschlusses nicht mehr.
270
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.627 § 3
de („posted“). Bei Abschluss per Telefon oder Fax ist der Vertrag dort geschlossen, wo die Annahme empfangen wird.1289 Entsprechendes gilt, wenn der Vertrag durch einen Vertreter („agent“) abgeschlossen wird. In Brasilien genügt es, wenn das Angebot zum Vertragsschluss dort abgegeben wurde (Art. 1087 brasil. ZGB). h) Klägergerichtsstand nach Erbringung der Gegenleistung Nach Art. 7 (c) des MERCOSUR-Protokolls von Buenos Aires über internationale Zuständigkeit für Schuldverträge v. 5.8.19941290 kann der Kläger an seinem Sitz oder Wohnsitz klagen, wenn er nachweist, dass er seine eigene Leistung aus dem gegenseitigen Vertrag erbracht hat.1291
3.625
i) Gerichtsstand der Streitgenossen Der in Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. geregelte Gerichtsstand der Streitgenossen ist teilweise auch im autonomen Recht der EU-Staaten,1292 aber auch im Recht weiterer Staaten, etwa in Japan in Art. 3-6 japZPO n.F.1293 vorgesehen.
3.626
j) Zuständigkeit gegenüber Konzernmuttergesellschaften (Durchgriffszuständigkeit) An die doing business-Zuständigkeit knüpft die internationale Zuständigkeit gegenüber einer Konzern-Muttergesellschaft am Sitz der Tochtergesellschaft an. Gundsätzlich trennt das US-amerikanische Recht zwar zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften.1294 Ein Zuständigkeitsdurchgriff findet aber statt, wenn die Tochter nach außen als „alter ego“, als „mere department“ oder „instrumentality“ der Muttergesellschaft erscheint. Damit sind die Fälle erfasst, die materiell-rechtlich einen Haftungsdurchgriff rechtfertigen.1295 Soweit die Mutter aber ihre Produkte über die amerikanische Tochtergesellschaft in den USA veräußert oder ihre Dienstleistungen über sie anbietet, wird das Tochterunternehmen als eine Art Stellvertreter (agent) angesehen. Die Muttergesellschaft bringe ihre Produkte bewusst in den Handel in den USA, und zwar mit Hilfe der Kontrolle über die am Forum ansässige Tochter; sie ziehe daraus Vorteile und sei daher dort gerichtspflichtig.1296 Ob diese Argumentation mit der due process-Garantie vereinbar ist, ist zweifelhaft.1297 Eine Anerkennung 1289 J. Hill, International Commercial Disputes, 1994, p. 173. 1290 Abgedruckt in IPRax 1999, 127, 128; vgl. J. Samtleben, IPRax 2005, 376, 379. 1291 Vgl. J. Samtleben, IPRax 1995, 129, 131; J. Samtleben, RabelsZ 63 (1999), 1, 43; St. Pabst, Mercosul – IZVR in Südamerika, in Jayme, Das Recht der lusophonen Länder, 2000, S. 43, 45. 1292 Für England s. CPR 6.20 (3); 6.21 (2A); vgl. Note, Joinder of parties located overseas, CJQ 20 (2001), 290. 1293 Vgl. Y. Okuda, YearbookPIL 13 (2011), 367, 375. 1294 Cannon v Cudahy, 267 U.S 337, 69 L.Ed. 642. 1295 M. Otto, S. 60 ff. 1296 H. Grothe RabelsZ 58 (1994), 686, 701 ff.; M. Otto, S. 79 ff.; Hay/Borchers/Symeonides/ Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 10.16 und 10.17. 1297 Vgl. U. Toepke, FS Stiefel, 1987, S. 785; H. Müller, S. 33 ff.
271
3.627
§ 3 Rz. 3.627 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
der Durchgriffszuständigkeit nur im Missbrauchsfall ist jedoch kaum praktikabel. Da die Muttergesellschaft als Inhaberin der Geschäftsanteile der Tochtergesellschaft i.d.R. (erhebliches) Vermögen im Gerichtsstaat besitzt, ist gegen die Zuständigkeit letztlich wenig einzuwenden.1298 Die Praxis wendet den Durchgriff meist bei ausländischen Autoherstellern an.1299 k) „Non-economic activity within the forum“
3.628 Das common law kannte ursprünglich keinen Deliktsgerichtsstand. Mit zunehmender Mobilität ließ sich dieser Standpunkt nicht aufrechterhalten. In den USA behalf man sich anfangs mit der Fiktion, dass in der Benutzung der Highways eine Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Lageortes liegt. Inzwischen begründet jede „activity in the state“ personal iudication für damit zusammenhängende Klagen.1300 Auf die generelle Gefahrträchtigkeit der Tätigkeit kommt es nicht (mehr) an.1301 l) „Foreseeable effect within the state“
3.629 Das US-amerikanische Recht formuliert keinen allgemeinen Deliktsgerichtsstand, sondern knüpft personal jurisdiction allgemein an Aktivitäten im Gerichtsstaat an (s [c] Rz. 3.612). Da aber auch Handlungen von außerhalb im Gerichtsstaat Rechtsfolgen auslösen können, muss dieses Konzept für diese Fälle ergänzt werden. Nach dem Restatement 3rd Foreign Relations Law 1987, § 421 (2) (i) begründet jede Aktivität außerhalb des Gerichtsstaats personal jurisdiction im Gerichtsstaat, soweit sie dort einen „substantial, direct, and foreseeable effect“ hatte.1302 Bei vorsätzlichem Handeln ist dies stets der Fall. Zweifelhaft ist jurisdiction aber, wenn der Handelnde mit Auswirkungen im Gerichtsstaat nicht rechnen musste.1303 m) Sachzusammenhang mit economic activities
3.630 In Fällen von market share liability hat ein New Yorker District Court wegen des Sachzusammenhangs seine Zuständigkeit auch gegenüber Herstellern von DES bejaht, die weder in New York ansässig waren noch dort irgendwelche Geschäfte getätigt hatten.1304 n) Deliktstreitigkeiten
3.631 Für Deliktstreitigkeiten kann neben dem Gericht am Tatort, Erfolgsort oder dem Wohnsitz/Sitz des Schadensverursachers im spanischen Recht auch das Gericht am Wohnsitz des Geschädigten angerufen werden (Art. 52 No 12 LEC 2000). 1298 1299 1300 1301
Vgl. H. Grothe in Heldrich/Kono, S. 209, 217 ff. Vermeulen v Renault, 985 F. 2d 1534 (11th Cir. 1993). Restatement 3rd, Foreign Relations Law, § 421 (2) (h). World-Wide Volkswagen v Woodson, 444 U.S 286 (1980); Hay/Brochers/Symeonides/ Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 7.2. 1302 Ähnlich New York CPLR § 302 (a) (3). 1303 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 7.2. 1304 In re DES cases, 789 F.Supp. 552, 569–589 (EDNY 1992).
272
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.635 § 3
In den USA wurden eine Zeitlang auf der Grundlage des Alien Tort Claims Act von 1789 Klagen von Ausländern gegen Ausländer wegen (angeblicher) Verletzung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten sowie Umweltdelikten auf Schadenersatz zugelassen, obwohl die Taten keinen Bezug zu den USA aufweisen, wenn es sich um Völkerrechtsverletzungen handelt.1305 In Kiobel v Royal Dutch Petroleum hat der US Supreme Court aber entschieden, dass das Alien Tort Statute nur dann eine Zuständigkeit begründet, wenn der Fall einen ausreichenden Inlandsbezug zu den USA aufweist.1306
3.632
Die Deliktszuständigkeit ist etwa ausdrücklich in NY CPLR § 302 Nr. 2 u. 3 (2016) geregelt. Nr. 2 sieht eine Zuständigkeit am Handlungsort vor. Nr. 3 knüpft die Zuständigkeit an den Erfolgsort aber an die zusätzliche Voraussetzung, dass der Täter entweder (1) im Erfolgsstaat Geschäfte betreibt oder Aufträge einwirbt oder erhebliche Einkünfte aus dort genutzten Gütern oder erbrachten Diensten erzielt, oder (2) doch erwartete oder vernünftigerweise erwarten konnte, dass seine Handlung in dem Erfolgsstaat Folgen haben würde und dass er erhebliche Einkünfte aus Interstate oder internationalem Handel erzielt.
3.633
Japan hat die internationale Deliktszuständigkeit vor wenigen Jahren neu geregelt. Japanische Gerichte sind zuständig, wenn der Handlungsort in Japan liegt. Dagegen besteht keine Zuständigkeit, wenn sich die Folgen einer im Ausland vorgenommenen Handlung erst in Japan zeigen, aber nicht vorhersehbar war, dass die Handlung Auswirkungen in Japan haben werde (Art. 3-3 [viii] japZPO n.F.).1307
3.634
o) Forum legis Teilweise wird die Zuständigkeit auf einen Gleichlauf von forum und lex causae gestützt, da die Gerichte das Recht ihres eigenen Landes am besten anwenden können. Ein forum legis kennt England für vertragliche Ansprüche (CPR 2000 r 6.20 [5] [c]).1308 In den USA hat der Supreme Court dagegen einen Gleichlauf von forum und ius verneint.1309 Teilweise wird im IPR auch ein umgekehrter Gleichlauf vertreten: immer wenn ein Gericht international zuständig ist, wendet es sein eigenes Recht an.
1305 Vgl. A. Feldberg, Der Alien Tort Claims Act, 2008; I. Meyer, Der Alien Tort Claims Act, 2018. 1306 133 S.Ct. 1659 (2013); dazu M. Reimann, Das Ende der Menschenrechtsklagen vor den amerikanischen Gerichten?, IPRax 2013, 455; B. Hess, IPRax 2013, 482; M. Stürner, Die territorialen Grenzen der Human Rights Litigation in den USA, JZ 2014, 13. 1307 Vgl. M. Yoshida, RIW 2012, 118, 121. 1308 Vgl. F. Vischer, FS v. Overbeck, 1990, S. 349, 365. 1309 Shaffer v Heitner, 433 U.S 186, 215 (1977); vgl. P. Hay, ICLQ 28 (1979), 161, 163.
273
3.635
§ 3 Rz. 3.636 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
p) Admirality jurisdiction in rem
3.636 Jurisdiction in rem beruht auf der Anwesenheit einer Sache des Beklagten im Gerichtsstaat, wenn gegen diesen persönlich keinerlei Zuständigkeit verfügbar ist.1310 Nach s 20 Supreme Court Act ist der High Court in England zuständig, über Seerechtsstreitigkeiten „in rem“ zu entscheiden, wenn der writ in England einer Sache (zumeist einem Schiff oder einer Schiffsladung) zugestellt wird. Ein Urteil kann nur gegen diese Sache vollstreckt werden, bindet aber jede Person, die ein Recht an der Sache hat. Verteidigt der Eigentümer die Sache gegen die Klage, so unterwirft er sich nach englischem Recht persönlich der englischen Zuständigkeit, so dass das Gericht gegen ihn auch ein Urteil in personam erlassen kann.1311 Regelmäßig wird die Sache (Schiff) auch mit Arrest belegt, um die Vollstreckung des Urteils zu sichern. Der Arrest wird auf Antrag aufgehoben, wenn der Eigentümer der Sache ausreichend Sicherheit leistet und sich der jurisdiction in personam unterwirft. Die reine action in rem hat danach nur Bedeutung, wenn der Eigentümer seine Sache nicht verteidigt. In den USA haben die Bundesdistriktsgerichte die ausschließliche Zuständigkeit in admiralty cases (28 U.S.C.A. § 1333 (1)).
3.637 Das amerikanische Recht kennt für Schiffe, Flugzeuge oder andere registrierte Fahrzeuge außerdem den Gerichtsstand des Registrierungsortes.1312 q) Quasi in rem jurisdiction – Arrestgerichtsstand
3.638 Die Grundfrage, in welchem Umfang Vermögen im Gerichtsstaat eine Zuständigkeit begründet, wird unterschiedlich beantwortet. Traditionellerweise kennt das US-amerikanische Recht eine quasi in rem-Zuständigkeit. Sie steht zur Verfügung, wenn der Kläger wegen einer persönlichen Forderung Befriedigung aus einer im Gerichtsbezirk belegenen Sache begeht.1313 Dies kann eine unbewegliche, aber auch eine bewegliche Sache,1314 selbst eine nicht verbriefte oder eine verbriefte Forderung1315 sein. Personal jurisdiction wurde ursprünglich ohne sonstige Beziehungen des Staats zum Streitgegenstand durch Beschlagnahme von Schuldnervermögen im Gerichtsstaat begründet, allerdings beschränkt auf den Wert des beschlagnahmten Vermögens.1316 Seit Shaffer v Heitner1317 wird jedoch verlangt, dass zusätzlich minimum contacts bestehen, die die due process-Anforderungen erfüllen oder dass kein anderes forum zur Verfügung steht. Die Doktrin hat daher neben personal jurisdiction, die etwa in New 1310 Vgl. D. Siegel, New York Practice, 2nd ed. 1991, § 101 (p. 153). 1311 Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed., Vol. 1, 2012, No. 13–004 et seq; J. Hill/A. Chong, International Commercial Disputes, 2010, Chap. 8.1 (p. 257). 1312 Restatement 3rd, Foreign Relations Law, 1987, § 421 (2) (f). 1313 Vgl. S. Thürk, S. 59, 242 ff., 273 ff. 1314 S. Thürk, S. 137 f, 142 ff., 148 ff. 1315 S. Thürk, S. 156 ff. 1316 Vgl. R. Casad/W. Richman/St. Cox, Jurisdiction in civil actions, 4th ed. 2014, Vol. 1, § 1.01 [3]. 1317 433 U.S 186 (1977).
274
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.641 § 3
York am Ort der Belegenheit unbeweglichen Vermögens besteht (NY CPLR § 314 No. 2 (2016))1318 selbständige Bedeutung im Bereich des Seerechts (s Rz. 3.529), in Fällen, in denen der Einzelstaat keine erschöpfenden long arm-Statutes erlassen hat1319 sowie dann, wenn der Klageanspruch engen Bezug zu dem beschlagnahmten Vermögen hat.1320 In den Niederlanden kann der Gläubiger eine Klage nach Art. 767 R.V. bei dem Gericht erheben, in dessen Bezirk Vermögen des Schuldners gem. Art. 700ff, 765 R.V. per Arrest beschlagnahmt wurde. Art. 767 R.V. enthält eine selbständige internationale Zuständigkeit (soweit diese nicht bereits aus anderen Gründen besteht). Die Zuständigkeit soll auch nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Kläger im Ausland eine in den Niederlanden vollstreckbare Entscheidung erhalten kann.1321
3.639
Die Schweiz kennt (außerhalb des LugÜ) den internationalen Gerichtsstand der Arrestprosequierung (Art. 4 IPRG 1987). Sofern keine andere Inlandszuständigkeit besteht, kann der Kläger im „forum arresti“ wegen beliebiger Forderungen prozessieren. Dieser Gerichtsstand fällt unter die exorbitanten Gerichtsstände nach Art. 3 LugÜ. Nach Art. 271 I SchKG besteht ein Arrestgrund, wenn (1) der Schuldner keinen festen Wohnsitz hat, (2) er Vermögensgegenstände beiseiteschafft, um sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, (3) er sich auf der Durchreise befindet oder Messebesucher ist (im Hinblick auf sofort zu erfüllende Forderungen, oder (4) wenn er nicht in der Schweiz wohnt. In letzterem Fall muss zwar kein Arrestgrund nach (1) bis (3) gegeben sein, doch muss die zu sichernde Forderung einen genügenden Bezug zur Schweiz haben oder auf einer Schuldanerkennung beruhen. Der Bezug zur Schweiz kann sich aus dem Schweizer Wohnsitz des Gläubigers und/oder aus dem Erfüllungsort der zu sichernden Forderung ergeben.1322 Nicht erforderlich ist, dass das arrestierte Vermögen die Forderung deckt; der Titel kann auch in evtl. weiteres Inlandsvermögen vollstreckt werden.1323
3.640
r) Heimatgerichtsstand (Art. 14, 15 franz. Code Civil) In vertraglichen Streitigkeiten kann ein Franzose nach Art. 14 CC jeden Ausländer vor einem französischen Gericht verklagen und kann jeder Franzose vor einem französischen Gericht verklagt werden.1324 Die Gerichte haben beide Regeln auf jede Art von Streitigkeiten erweitert.1325 Beide Regeln sind auch auf juristische Personen anwendbar. Abgestellt wird auf die Nationalität bei Klageerhebung. Flüchtlinge und 1318 Vgl. S. Thürk, S. 85. 1319 Vgl. H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 704 f.; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 10.6. 1320 S. Thürk, S. 62. 1321 T. M. de Boer/L. Strikwerda in Chorus/Hondius/Voermans, Introduction to Dutch Law, 5th 2016, Chap. 14 No. 12, S. 289 f. 1322 G. Walter/T. Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 5. Aufl. 2012, § 4 IV (S 122). 1323 F. Volken, IPRG-Kommentar, 1993, Art. 4 Rz. 11. 1324 Vgl. eingehend A. Huet, Juris-Cl. Droit Intern. Fasc. 581–30, 581–31, 581–32 (2002). 1325 B. Kunkler, S. 162 ff.
275
3.641
§ 3 Rz. 3.641 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Staatenlose werden Franzosen gleichgestellt. Bei einer Forderungsabtretung wird auf die Staatsangehörigkeit des Zessionars abgestellt. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach allgemeinen Regeln. Hat der Beklagte keinen Wohnsitz oder Aufenthalt in Frankreich, ist der Wohnsitz des Klägers, hilfsweise das von ihm gewählte Gericht anzurufen. Die Art. 14, 15 CC sind nur anwendbar, wenn keine andere Zuständigkeit in Frankreich besteht.1326 Im Rahmen von EuGVO n.F. (Art. 5 II i.V.m. Liste zu Art. 76 I lit. a) bzw. LugÜ (Art. 3 II) ist der Gerichtsstand ausgeschlossen.1327 s) Gerichtsstand des früheren Wohnsitzes
3.642 In Schweden kann ein Schwede auch dann verklagt werden, wenn er dort zwar nicht mehr wohnt, aber früher seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hatte (RB Kap. 10 § 3). Dadurch sollen negative Kompetenzkonflikte vermieden werden, wenn ein Schwede in keinem Land einen Wohnsitz hat.1328 Diese Regel ist im Rahmen der EuGVO n.F. ausgeschlossen (Art. 5 II mit Liste zu Art. 76 I lit. a). 3.643 Die Türkei stellt ihre Gerichte für Scheidungsverfahren nach Art. 168 türk. ZGB auch an dem Ort des (früheren) Wohnsitzes zur Verfügung, den die Eheleute zuletzt mindestens sechs Monate lang gemeinschaftlich innegehabt haben.1329 t) Klägergerichtsstand (Art. 638 belg. G.W.)
3.644 Ebenfalls bedenklich ist die Regelung, dass ein Beklagter ohne Inlandswohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt am Wohnsitz des Klägers verklagt werden kann.1330 Als allgemeine Regel ist der Klägergerichtsstand gegenüber Personen mit Wohnsitz in der EU durch Art. 5 I EuGVO n.F. (Art. 3 EuGVO a.F./LugÜ) ausgeschlossen. u) Gerichtspflichtigkeit nach Due Process
3.645 Nachdem der U.S Supreme Court die jurisdiction-Regeln der Einzelstaaten an der Due Process Clause des 14. Amendment zur US-Verfassung überprüft hat,1331 haben einige US-Staaten long-arm statutes erlassen, die den Beklagten ohne Wohnsitz im Gerichtsstaat einfach innerhalb der Grenzen von due process gerichtspflichtig machen, z.B. in New Jersey, N.J.Sup.Ct.R. 4:4–4 (c) (1).1332
1326 L. Cadiet/E. Jeuland, Droit judiciaire privé, 9e éd. 2016, no. 196 (p. 167); Cass., Clunet 1986, 719. 1327 Vgl. L. Cadiet/E. Jeuland, Droit judiciaire privé, 9e éd. 2016, no. 190 (p. 162). 1328 So M. Bogdan in Tiberg/Sterzel/Cronhult, Swedish Law, 1994, S. 572. 1329 Auskunft von M. Atali, Instanbul. 1330 G. Delaume, Transnational Contracts, 1988, S. 136. 1331 International Shoe Co. v Washington, 326 U.S 310, 66 SCt. 154, 90 L.Ed. 95 (1945). 1332 Vgl. Weber v Jolly Hotels [1999] ILPr 169, 172 (DCNJ).
276
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.649 § 3
4. Gerichtsstandsvereinbarungen In internationalen Handelsverträgen sind (ausschließliche) Gerichtsstands- (oder Schieds)-vereinbarungen allgemein üblich. In den meisten Staaten werden sie heute anerkannt, wenn sie wirksam vereinbart und in dem vereinbarten Gericht grds. effektiver Rechtsschutz möglich ist.
3.646
Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen v. 25.11.1965 hat sich nicht durchgesetzt. Gleiches gilt von dem amerikanischen Model Choice of Forum Act von 1968.1333 Das neue Haager Übereinkommen v. 30.6.2005 (s. Rz. 3.402 ff.) ist bisher nur im Verhältnis EU – Mexiko, Dänemark, Montenegro und Singapur in Kraft. Eine Reihe von Staaten lassen eine Derogation ihrer Gerichte nicht oder nur in beschränktem Umfang zu. Im Folgenden werden nur einige markante Fälle erwähnt.
3.647
Die islamischen Staaten verbieten Gerichtsstandsvereinbarungen teilweise ausdrücklich, soweit dadurch die Zuständigkeit ihrer Gerichte derogiert wird.1334 Dasselbe gilt für Algerien, denn für Streitigkeiten aus einem Vertrag sind immer die algerischen Gerichte zuständig. Krüger hält eine anderweitige Regelung nur bei Verträgen mit erheblichem Gegenstandswert für möglich.1335 Nach dem irakischen Zivilgesetzbuch1336 kann ein Iraker in jedem Fall vor einem irakischen Gericht klagen und verklagt werden. Art. 14, 15 ZGB1337 lautet:
3.648
Art. 14: „Die irakischen Gerichte sind für Ansprüche, die sich aus einer Verpflichtung eines Irakers ergeben, zuständig, selbst für solche, die im Ausland entstanden sind.“ Art. 15: „Die irakischen Gerichte sind für einen Ausländer in folgenden Fällen zuständig: a) wenn er sich im Irak aufhält; b) wenn der Rechtsstreit einen Anspruch betrifft, der mit einer im Irak belegenen Immobilie oder mit einer zur Zeit der Klageerhebung im Irak befindlichen Sache zusammenhängt; c) wenn der Gegenstand des Rechtsstreits ein Vertrag ist, der im Irak geschlossen wurde oder im Irak ausgeführt werden sollte, oder der Rechtsstreit einen Vorfall betrifft, der sich im Irak ereignet hat.“ Er kann sich aber auch freiwillig der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts unterwerfen. Im Verhältnis zu Großbritannien sind Gerichtsstandsvereinbarungen derzeit bis Ende 2020 nach Art. 25 EuGVO n.F. zu beurteilen (s. Rz. 3.229 ff.). Das autonome englische Recht wird in Deutschland derzeit nur relevant, soweit noch die EuGVO a.F. einschlägig ist und Drittstaatsvereinbarungen zu beurteilen 1333 1334 1335 1336 1337
Vgl. W. Reese, AmJCompL 17 (1969), 292. H. Krüger in Böckstiegel, Vertragspraxis, S. 61 ff. K. H. Böckstiegel/H. Krüger, Vertragspraxis, S. 41. K. Krüger, IPRax 1988, 180. Gesetz Nr. 40/1951 IPRax 1988, 183.
277
3.649
§ 3 Rz. 3.649 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
sind (s. Rz. 3.235, 3.237). Danach kann sich jedermann ausdrücklich durch Vertrag der Gerichtsbarkeit eines sonst unzuständigen Gerichts unterwerfen.1338 Implizite, stillschweigende Vereinbarungen werden im Allgemeinen nicht anerkannt.1339 Aus der Wahl eines englischen Vertragsstatuts allein folgt keine Unterwerfung unter die englische Gerichtsbarkeit.1340
3.650 In der Schweiz werden internationale Gerichtsstandsvereinbarungen (außerhalb des LugÜ) gem. Art. 5 I IPRG für Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche anerkannt.1341 Jedoch darf eine Partei nicht missbräuchlich einem Gerichtsstand des schweizerischen Rechts entzogen werden (Art. 5 II IPRG). Außerdem kann das Gericht seine Zuständigkeit ablehnen, wenn der Rechtsstreit keine Beziehung zur Schweiz hat, weder im Hinblick auf eine der Parteien noch wegen der Anwendbarkeit schweizerischen Rechts (Art. 5 III IPRG).1342 3.651 Andere Staaten machen die Derogation ihrer Gerichte davon abhängig, dass Urteile des prorogierten Gerichts in dem derogierten Staat anerkannt werden.1343 3.652 In den USA werden internationale Gerichtsstandsvereinbarungen seit der Entscheidung des US Supreme Court in The Bremen v Zapata Off-Shore Co.1344 grds. anerkannt. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn das ausländische Gericht seine Zuständigkeit nicht wahrnimmt oder der amerikanischen Partei im prorogierten Ausland kein „fair and complete hearing“ zuteilwird.1345 Allerdings unterliegt jede Gerichtsstandsvereinbarung richterlicher Kontrolle auf „reasonableness“ bzw. „fundamental fairness“. Die Vereinbarung kann unwirksam sein, wenn sie das Ergebnis einer Täuschung, Drohung, Übervorteilung oder Ausnutzung einer übermächtigen Verhandlungsposition ist.1346 Die Möglichkeit, dass das vereinbarte ausländische Gericht das amerikanische Wertpapierrecht nicht anwendet, macht eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht unwirksam.1347 Auch der US-Supreme Court ist sehr großzügig. Für Streitigkeiten aus einer Kreuzfahrt von Los Angeles Richtung Mexiko hat 1338 Für den High Court: CPR 2000 r 6.20 (5) (d); Dicey, Morris & Collins, Rule 39 (1), No 12-099, 12-116 et seq. 1339 Adams v Cape Industries [1990] Ch. 433. 1340 Acrow (Automation) v Rex Chainbelt [1971] 1 WLR 1676, 1683 (C.A.); vgl. J. Hill/A. Chong, International Commercial Disputes, 4th ed. 2010, § 6.5. 1341 Vgl. BSK IPRG-Grolimund, 2. Aufl. 2007, Art. 5 Rz. 43 ff.; P. Volken in Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, Art. 5 Rz. 31 ff., 75 ff. 1342 Vgl. G. Walter/T. Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 5. Aufl. 2012, S. 124 ff. 1343 J. Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 460. 1344 407 U.S 1, 29 SCt 1907 (1972); vgl. G. Born/P. Rutledge, Intern. Civil Litigation, 6th ed. 2018, Chap. 5 (pp 445 et seq); J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnationl Civil Litigation, 2013, 122 et seq. 1345 O. Sandrock, FS Stiefel, 1987, S. 625, 636; G. Delaume, Transnational contracts, 1988, 182 ff.; F. Ochsenfeld RIW 1995, 633. 1346 K. Vorpeil, IPRax 1995, 405; G. Born/P. Rutledge, Intern. Civil Litigation, 6th ed. 2018, Chap. 5 B 1 b,c (pp 454 et seq). 1347 Richards v Lloyd’s of London, US Court of Appeals, 9th Cir., 135 F 3d 1289 (1998).
278
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.656 § 3
er es als vernünftig angesehen, dass die Reederei in ihren Geschäftsbedingungen die Gerichte an ihrem Sitz in Miami/Florida als ausschließlich zuständig bezeichnet hatte, weil der Verbraucher mit einer entsprechenden Klausel rechnen müsse.1348 Im Recht der Einzelstaaten bestehen aber Unterschiede.1349 In Kalifornien sieht Cal. CCP § 410.40 vor, dass ein nicht anwesender Ausländer oder eine ausländische juristische Person in Kalifornien wegen vertraglicher Ansprüche aufgrund der Rechtswahl kalifornischen Rechts und einer Gerichtsstandsvereinbarung verklagt werden kann, wenn der Geschäftswert des Vertrags insgesamt nicht weniger als 1 Mill. Dollar beträgt. Diese Regelung soll das richterliche Ermessen im Hinblick auf Vernünftigkeit und forum non conveniens-Überlegungen einschränken.1350 Vereinbarungen eines Gerichtstands außerhalb Kaliforniens wegen Werkleistungen in Kalifornien („for the construction of a public or private work of improvement in this state“) werden nicht anerkannt (Cal. CCP § 410.42).
3.653
Im Zweifel hat eine Gerichtsstandsvereinbarung auch nach US-Recht keine ausschließliche Wirkung.1351 Argentinien lässt internationale Gerichtsstandsklauseln seit 1981 für internationale Sachverhalte vermögensrechtlicher Natur zu, soweit dadurch nicht eine ausschließliche Zuständigkeit der argentinischen Gerichte derogiert wird (Art. 1 Codigo de proc. civil y comercial).1352
3.654
Brasilien akzeptiert ausschließliche internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, wenn sich der Beklagte darauf beruft (Art. 25 brasil. ZPO); eine Derogation wird nur anerkannt, soweit keine ausschließliche Zuständigkeit brasil. Gerichte besteht bzw. nicht der brasil. ordre public entgegensteht.1353
3.655
Die Prorogation der Gerichte oder eines Gerichts eines ausländischen Staats wird vielfach dadurch begrenzt, dass sie an unterschiedliche Formvorschriften geknüpft wird. Dabei ist davon auszugehen, dass Gerichtsstandsvereinbarungen der Schrift-
3.656
1348 Carnival Cruise Lines, Inc. v Eulala Shute, 111 SCt. 1522 (1991) = 59 U.SL.W. 4323 (1991); krit. C. Peterson IPRax 1993, 421; vgl. auch Richards v Lloyd’s of London, 135 F.3d 1289 (1998); ferner M. Solimine, Forum-Selection Clauses, Cornell Int’lL.J. 25 (1992), 51; H. Maier, The US Supreme Court and the „User Friendly“ Forum Selection Clause, in Guldsmith, International Dispute Resolution, 1997, S. 53. 1349 Zu sec. 5–1402 NY’s General Obligations Law s. L. Newman/M. Burrows, Practice of International Litigation, 2nd ed. 1998, VI-27 ff. 1350 Ähnlich New York General Obligations Law § 5-1402; vgl. G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation, 6th ed. 2018, Chap. 5 B I b (p. 454). 1351 John Boutari v Attiki Importers, U.S Court of Appeals, 2nd Cir. [1995] ILPr 488; vgl. K. Vorpeil, IPRax 1995, 405, 406. 1352 E. Hernández-Breton, Internationale Gerichtsstandsklauseln, S. 190 ff. 1353 Art. 23–25, 960-965 brasil. ZPO 2015; L. Fux, Teoria Geral do Processo, 3. Aufl. 2019, S. 107 f.; A. Gonçalvez de Castro Mendes/H. Ávila, Dos limites da jurisdição national, in T. Arruda Alvim, Breves Comentários ao Código de Processo Civil, 3. Aufl. 2016, S. 125 ff.; N. Nery/R. M. de Andrade Nery, Comentários ao Código de Processo Civil. 2015, S. 273 ff.
279
§ 3 Rz. 3.656 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
form bedürfen. Solche Vereinbarungen sollten sich auf einen bestimmten Vertrag beziehen. Durch Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben, welches eine Gerichtsstandsklausel enthält, kommt keine Gerichtsstandsvereinbarung zustande.1354
3.657 China akzeptiert internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nur, wenn die Sache eine reale Beziehung zu dem prorogierten Staat hat.1355 3.658 Japan lässt internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in Schriftform oder in elektronischer Form für Klagen aus einem bestimmten Rechtsverhältnis zu, sofern kein ausschließlicher Gerichtsstand besteht (Art. 3-7 jap. ZPO n.F.). Verbraucher werden gegen nachteilige Gerichtsstandsvereinbarungen besonders geschützt.1356 Mit einem Verbraucher können nur die Gerichte des Wohnsitzstaats des Verbrauchers zur Zeit des Vertragsschlusses als zusätzlicher Gerichtsstand vereinbart werden. Werden Gerichte eines anderen Staats vereinbart, so ist die Vereinbarung nur gültig, wenn sich der Verbraucher selbst aktiv oder passiv auf die Vereinbarung beruft (Art. 3-7 [5] jap. ZPO n.F.).1357 International ist auch zweifelhaft, in welchen Fällen Dritte an die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien gebunden sind.1358 5. Forum non conveniens
3.659 a) Schrifttum: Ch. Berger, Zuständigkeit und forum non conveniens im amerikanischen Zi-
vilprozess, RabelsZ 41 (1977), 39; F. Blobel/P. Späth, Zum Entwicklungsstand der Lehre vom „forum non conveniens“ in England, RIW 2001, 598; R. Brand, Forum Selection and Forum Rejection in US Courts, Essays in honour of Peter North, 2002, S. 51; D. Coester-Waltjen, Himmel und Hölle: Einige Überlegungen zur internationalen Zuständigkeit, RabelsZ 79 (2015), 471; Ch. Dorsel, Forum non conveniens – Richterliche Beschränkung der Wahl des Gerichtsstandes im deutschen und amerikanischen Recht, 1996; J. Fawcett, Declining jurisdiction in private international law, 1995; F. Ferrari, Forum shopping: A plea for a broad and value-neutral definition, FS Magnus, 2014, S. 385; P. Huber, Die englische Forum-non-conveniens-Doktrin, 1994; F. Juenger, Judicial control of improper forum selection, in International Dispute Resolution (14th Sokol Colloquium), 1997, 311; F. Juenger, Forum non conveniens – Who needs it?, FS Schütze, 1999, S. 317; M. Karayanni, Forum Non conveniens in the Modern Age, 2004; R. Schütze, Forum non conveniens und Rechtschauvinismus, FS Jayme, 2005, S. 849; G. Walter, Lis alibi pendens und forum non conveniens, FS Schumann, 2001, S. 559; R. Weintraub, International Litigation and Forum non conveniens, Texas Intern.L.J. 29 (1994), 321; R. Weintraub ua, Judicial Regulation of Improper Forum Selection, in Goldsmith, International Dispute Resolution, 1997, S. 213.
3.660 b) Nach dieser in den common law-Staaten vertretenen Lehre steht die Wahrnehmung jeder gesetzlichen Zuständigkeit (personal jurisdiction) unter dem Vorbehalt, 1354 Vgl. O. Sandrock/H. Jung, S. 834 ff. 1355 Vgl. L. Zhao, Party autonomy in choice of court and jurisdiction over foreign-related commercial and maritime disputes in China, JPIL 15 (2019), 541. 1356 Vgl. M. Yoshida, RIW 2012, 118, 121. 1357 Vgl. Y. Okuda, YearbookPIL 13 (2011), 367, 377. 1358 Vgl. V. Black/St. Pitel, Forum selection clauses: beyond the contracting parties, JPIL 12 (2016), 26.
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IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.662 § 3
dass der Fall ausreichende Inlandsbeziehung hat. Teilweise dient diese Ermessensprüfung auch dazu, zu weit gefasste Zuständigkeiten zu korrigieren und unerwünschte Fälle eines „forum shopping“1359 zu verhindern.1360 c) Ist England ein „inappropriate forum“, so kann das Gericht jedes anhängige Verfahren einstellen oder abweisen, vorausgesetzt, es gibt ein Gericht in einem anderen Staat, das eindeutig besser als das englische Gericht geeignet ist, den Fall in einer Weise zu verhandeln und zu entscheiden, der den Interessen der Parteien und den Anforderungen sachgerechten Rechtsschutzes gerecht wird.1361 Die Möglichkeit, rasch einen Haupttermin zu erhalten, ist dabei ein wichtiger Faktor.1362 Allerdings muss der Beklagte innerhalb der Frist für das Vorbringen von Verteidigungsmitteln beantragen, dass das Gericht seine Zuständigkeit nicht ausübt. Unterlässt er einen solchen Antrag, gilt dies als rügelose Einlassung (CPR 2000 r 11 [1] [b], [4] [5] [b]).
3.661
d) Ähnliches gilt in den USA. Nach fast allgemeiner Ansicht versuchen viele Parteien einen Prozess vor ein US-Gericht zu bringen, weil dies für den Kläger mit Kostenvorteilen verbunden ist und die Chance eines höheren Prozessgewinns besteht. Nach manchen Entscheidungen ist das amerikanische Forum immer „appropriate and convenient.1363 Umgekehrt gibt es Entscheidungen, wonach es nicht immer fair und gerecht sei, dem Kläger die Chance des US-Verfahrens zu eröffnen; insb müssten amerikanische Beklagte gegen Klagen von Ausländern wegen Unfällen im Ausland geschützt werden. Überwiegend gilt auch hier ein zweistufiger Prüfungsmaßstab. Erstens ist zu prüfen, ob ein anderes Gericht ein „suitable place“ für das Verfahren ist. Wenn nein, muss das Gericht seine Zuständigkeit ausüben. Zweitens: Gibt es ein anderes forum, so sind Bequemlichkeiten für die Parteien und öffentliche Interessen an der Prozessführung gegeneinander abzuwägen.1364 Eine einheitliche Regelung oder Rechtsprechung existiert jedoch nicht und teilweise wird kritisiert, dass letztlich nach „uncontrolled discretion“ entschieden wird.1365 Ein bestimmender Faktor ist ua, dass die Gerichte des in der Sache anwendbaren Rechts den Fall besser entscheiden können.1366
3.662
1359 Zu den Interessen des Klägers am forum shopping s. Thalhofer/Meier/Thalhofer, Handbuch IT-Litigation, 2012, B II Rz. 1 ff.; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 108 ff. 1360 Vgl. J. Hill/A. Chong, International Commercial Disputes, 2010, Chap. 6.4.1; J. Fawcett, Declining Jurisdiction, 1995; F. Ferrari, FS Magnus, 2014, S. 385. 1361 Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, sec. 47; Lubbe v Cape plc (U.K.) [2000] 1 W.L.R. 1545 (H.L.) = [2001] ILPr 140; P. Muchlinski, Corporation in International Litigation, ICLQ 50 (2001), 1; F. Blobel/P. Späth, RIW 2001, 598; P. Beaumont in Fawcett, Declining jurisdiction, S. 207 ff.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Vol. 1, Rule 38 (2) (No 12-007 ff.), S. 538 ff.; P. Huber, Die englische Forum-nonconveniens-Doktrin, 1994, S. 81 ff.; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 70 ff. 1362 XN Corp. Ltd. v Point of Sale Ltd. [2001] ILPr 525 (High Court, Ch.). 1363 Vgl. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz.. 130 ff. 1364 Stangvik v Shiley Inc., 819 P. 2d 14, 17 (Cal. 1991); vgl. G. Born/P. Rutledge, Intern. Civil Litigation, 6th ed. 2018, Ch. 4 B (pp 356 et seq); P. Schlosser, RdC 284 (2000), 56 ff. 1365 D. Robertson Texas Intern.L.J. 29 (1994), 353; vgl. Blanco v Banco Industrial de Venezuela, U.S Court of Appeals (2nd Cir.) [1996] ILPr 110. 1366 Bybee v Oper der Stadt Bonn, U.S District Court SD.N.Y, [1997] ILPr 42, 50.
281
§ 3 Rz. 3.663 | Internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
3.663 § 1.05 Uniform Interstate and International Procedure Act 1962, den Arkansas, District of Columbia, Massachusetts, Michigan, Pennsylvania und Virgin Islands übernommen haben, lautet: „When the court finds that in the interest of substantial justice the action should be heard in another forum, the court may stay or dismiss the action in whole or in part on any conditions that may be just.“ Ebenso Cal. CCP § 410.30. Danach werden (1) die persönlichen Interessen der Parteien, (2) der Zugang zu den Beweismitteln, (3) die Möglichkeit Zeugenaussagen zu erzwingen, (4) die Kosten der Beweisaufnahme und andere Fragen einer effizienten Verfahrensabwicklung sowie (5) die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Einzelfall gegeneinander abgewogen.1367 Der Supreme Court of Texas hat zwar entschieden, dass die Doktrin in Schadenersatzklagen kein Bestandteil des Rechts von Texas ist.1368 Doch diese Entscheidung ist kritisiert und vom Gesetzgeber korrigiert worden.1369
3.664 Das Gericht kann das Verfahren einstellen („stay“) oder die Klage ganz oder teilweise unter Bedingungen abweisen, die ihm gerecht erscheinen (so New York CPLR § 327 [a]). Die Abweisung wegen „forum non conveniens“ kann das Gericht von der Unterwerfung des Beklagten unter ein „convenient forum“, dem Verzicht auf die Verjährungseinrede und ähnliche „billige“ Umstände abhängig machen.1370 Die bisherigen Fälle zeigen, dass im Ergebnis US-Kläger geschützt und Klagen gegen US-Beklagte eher ans Ausland verwiesen werden, wobei die Maßstäbe nicht ganz einheitlich sind! In Louisiana und Florida ist die forum-non-conveniens-Doktrin bei ansässigen Beklagten dagegen weitgehend ausgeschlossen.1371 In New York darf eine Klage beim Streit über 1 Mill. Dollar nicht abgewiesen werden, wenn die Parteien New Yorker Recht gewählt haben.1372 3.665 e) In Kanada gilt ebenfalls die Doktrin vom forum non conveniens. Nach sec. 3135 Civil Code of Quebec1373 kann das an sich zuständige Gericht ausnahmsweise auf Antrag einer Partei seine Zuständigkeit verneinen, wenn es glaubt, dass die zuständigen Behörden eines anderen Landes besser geeignet sind, den Fall zu entscheiden. 1367 Gulf Oil Corp. v Gilbert, US Supreme Court, 330 U.S 501 (1947); Piper Aircraft Co. v Reyno, 454 U.S 235 (1981); W. Freedman, Foreign plaintiffs in product liability actions, the defense of forum non conveniens, 1988; R. Casad/W. Richman/St. Cox, Jurisdiction in civil actions, 4th ed. 2014, § 1.04 (pp 22 et seq); M. Fammler, RIW 1990, 808. 1368 Dow Chemical Comp. v Domingo Castro Alfaro, 786 SW. 2d, 674 (1990), cert. den. 498 U.S 1024 (1991). 1369 Texas Civ. Prac. & Rem. Code § 71.051 (1993); vgl. L. Silberman Texas Int’lL.J. 28 (1993), 501, 519; R. Weintraub Texas Intern.L.J. 29 (1994), 321, 346 ff. 1370 Vgl. In re Union Carbide Corp., 809 F. 2d 195 (2nd Cir. 1987); W. Kolvenbach, Internationale Umwelthaftung, DWiR 1992, 322. 1371 La. Code Civ. Proc. Art. 123 (B)-(C) (1993); Houston v Caldwell, 359 So. 2d 85, 861 (Fla. 1978). 1372 CPLR § 327 (b); H. Schack, Einführung in das US-amerikan. Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 87. 1373 RabelsZ 60 (1996), 339, 348.
282
IV. Die internationale Zuständigkeit anderer Staaten | Rz. 3.668 § 3
Ontario stellt darauf ab, ob die Klage ein „real and substantial connection“ mit dem Forum hat.1374 Anders als sonst gestattet Art. 13 Court Jurisdiction and Proceedings Transfer Act sogar eine „Verweisung“ ins Ausland.1375 f) In Australien wird die Doktrin nur zurückhaltend angewandt. Eine Klage wird nicht abgewiesen, auch wenn es einen geeigneten Gerichtsstand gibt, sofern Australien selbst als Gerichtsort geeignet („appropriate“) ist. Wenn kein anderes Forum zugänglich ist, wird auch auf dieses Erfordernis verzichtet. Sind zwei parallele Verfahren anhängig, stellt Australien nicht auf die Priorität ab, sondern überprüft, in welchem Forum die Verfahren besser erledigt, verbundene Verfahren besser gemeinsam verhandelt werden können.1376
3.666
g) Japan hat die internationale Zuständigkeit der Gerichte durch das Reformgesetz Nr. 36 v. 2.5.2011 in den Art. 3-2 bis 3-12 der jap. ZPO neu und unabhängig von der örtlichen Zuständigkeit geregelt.1377 Wie bisher kann die internationale Zuständigkeit verneint werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalles prozessuale Fairness, Durchführbarkeit der Beweisaufnahme, sonstige Leichtigkeit des Verfahrens und ähnliche forum non conveniens-Überlegungen dagegen sprechen.1378
3.667
h) In den kontinentalen europäischen Staaten ist die internationale Zuständigkeit durch forum-non-conveniens-Kriterien nur in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beschränkt.
3.668
1374 Frymer v Brettschneider [1996] ILPr 138; Topp v Row [1997] ILPr 60; Smith & Nephew v Marriott’s Castle Harbour [2001] ILPr 91. 1375 Vgl. P. Schlosser, RdC 284 (2000), 73 ff. 1376 Vgl. P. Nygh, Liber amicorum Siehr, 2000, 511–526. 1377 Vgl. M. Yoshida, RIW 2012, 118. 1378 M. Yoshida, RIW 2012, 118, 121 f.; aus der Zeit vor der Reform: M. Dogauchi in Heldrich/Kono, Herausforderungen, 1994, S. 163, 167 ff.; T. Kojima, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 59, 67.
283
§4 Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen I. Zuständigkeit in Ehesachen . . . 4.1 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 4.1 a) Regelzuständigkeiten . . . . . . . . . . 4.5 b) Annexverfahren . . . . . . . . . . . . . . 4.17 c) Restzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 4.19 d) Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . 4.21 e) Verbundzuständigkeit . . . . . . . . . 4.22 2. Autonomes deutsches Recht . . 4.24 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.24 b) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . 4.25 c) Entscheidungszuständigkeiten . . 4.26 (1) Heimatzuständigkeit . . . . . . . 4.27 (2) Aufenthaltszuständigkeit . . . 4.34 (3) Einseitige Aufenthaltszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.37 d) Aufhebung von Kinderehen . . . . 4.40 e) Verbundzuständigkeit . . . . . . . . . 4.41 f) Verfahren zur Trennung von Tisch und Bett . . . . . . . . . . . . . . . 4.43 II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/ Kindschaftssachen . . . . . . . . . . . 4.45 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 4.45 a) Aufenthaltszuständigkeit . . . . . . 4.46 b) Zuständigkeit zur Änderung einer Umgangsentscheidung . . . . . . . . 4.54 c) „Verweisung“ in einen EU-Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.55 d) Zuständigkeits„vereinbarung“ . . 4.59 e) Autonome Restzuständigkeit . . . 4.63 f) Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.64 g) Zuständigkeit bei Kindesentführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.68 2. KSÜ und MSA . . . . . . . . . . . . . . . 4.78 3. Haager KindesentführungsÜbereinkommen . . . . . . . . . . . . . 4.90 a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 4.92 b) Rückführungsantrag . . . . . . . . . . 4.93 c) Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . 4.96 d) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 4.101 e) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.104
284
f) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.105 4. Autonomes deutsches Recht . . 4.108 III. Zuständigkeit in Abstammungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.113 IV. Zuständigkeit in Adoptionssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.116 1. Internationale Adoptionen . . . 4.117 2. Anträge nach dem Adoptionswirkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . 4.123 V. Zuständigkeit in Ehewohnungsund Haushaltssachen . . . . . . . . . 4.124 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 4.125 2. Autonomes deutsches Recht . . 4.126 VI. Zuständigkeit in Versorgungsausgleichssachen . . . . . . . . . . . . . 4.127 VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.130 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 4.130 a) Zuständigkeit nach der EuUntVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.131 b) Art. 5 Nr. 2 LugÜ . . . . . . . . . . . . . 4.154 2. Autonomes deutsches Recht . . 4.158 VIII. Zuständigkeit in Güterrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.160 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 4.160 2. Autonomes deutsches Recht . . 4.173 IX. Zuständigkeit in Gewaltschutzsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.175 X. Zuständigkeit in sonstigen Familiensachen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.177 XI. Zuständigkeit in Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.184 1. Statusverfahren . . . . . . . . . . . . . . 4.185 2. Elterliche Verantwortung . . . . . 4.187 3. Unterhaltsverfahren . . . . . . . . . . 4.188 4. Güterrechtliche Verfahren . . . . 4.189 5. Sonstige Verfahren . . . . . . . . . . . 4.190 XII. Zuständigkeit in Betreuungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.191
I. Zuständigkeit in Ehesachen | Rz. 4.1 § 4 1. Zuständigkeit nach ErwSÜ . . . . 2. Autonomes deutsches Recht . . . XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Recht . . . . . . . . . . . b) Das deutsch-türkische Nachlassabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Autonomes deutsches Recht . . . .
4.192 4.200 4.202 4.203 4.203 4.217 4.221
2. Nachlassverfahren . . . . . . . . . . . . 4.223 a) Europäisches Recht . . . . . . . . . . . 4.223 (1) Annahme und Ausschlagung der Erbschaft. . . . . . . . . . . . . . 4.224 (2) Europäisches Nachlasszeugnis. 4.225 b) Das deutsch-türkische Nachlassabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.240 c) Autonomes deutsches Recht . . . . 4.241
I. Zuständigkeit in Ehesachen 1. Europäisches Recht Schrifttum: a) Zu „Brüssel IIa“: Ch. Althammer, Brüssel IIa – Rom III, 2014 (in Englisch: Brussels IIa Rom III, 2019); M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019; K. BoeleWoelki/C. González Beilfuss, Brussels II bis: Its Impact and Application in the Member States, 2007; A. Borrás ua, Brussels II bis Regulation, 2007; A. Borrás ua, Competencias „exclusivas“ y competencias „residuales“: de „Bruselas II“ a „Roma III“, FS Kerameus, Athen 2009, S. 165; A. Borrás, The substantive scope of application of european instruments in matrimonial matters, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 23; J. Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004; H. Dörner, Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO), in Saenger, Hk-ZPO, 8. Aufl. 2019, S. 3352; H. Dörner, Internationale Scheidungszuständigkeit und Anerkennung von Scheidungsurteilen nach der EG-Verordnung Nr. 2201/2003 in Großfeld/Yamauchi (Hrsg.), Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts, 2006, S. 17; R. Frank, EuEheVO 2005 – Brüssel IIa, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 29, 2. Aufl. 2010, S. 1591; A. Ganz, Internationales Scheidungsrecht, Teil 1, FuR 2011, 69; Garbe/Ullrich/Andrae, Verfahren in Familiensachen (§ 13 Familiensachen mit Auslandsberührung), 3. Aufl. 2012, S. 994; Th. Garber, Zum Begriff der Ehe i.S.d. Art. 1 Abs. 1 lit. a EuEheKindVO, FS Simotta, 2012, S. 145; R. Gewaltig, Von der nationalen zur europäischen Zuständigkeitsregelung im Familienrecht, 2008; E. Gitschthaler/Th. Garber, Internationales Familienrecht, 2019, S. 3; P. Gottwald, Probleme der Vereinheitlichung des Internationalen Familienverfahrensrechts ohne gleichzeitige Kollisionsrechtsvereinheitlichung in Freitag u a, Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert, Symposium Spellenberg, 2005, S. 55; P. Gottwald, Scheidungen im neuen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, FS Simotta, 2012, S. 187; U. Gruber, Die neue EheVO und die deutschen Ausführungsgesetze, IPRax 2005, 293; U. Gruber, M. Andrae u Ch. Benicke, Europäische Ehe- und Sorgerechtsverordnung in NK-BGB, Bd. 1, Anhang I zum III. Abschnitt EGBGB, 3. Aufl. 2016, S. 2377; W. Hau, Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehe- und Kindschaftssachen, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 603; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil A I 2), 2. Aufl. 2018; D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 4. Aufl. 2017; M. Krenzler/H. Borth/K. Niethammer-Jürgens, Anwalts-Handbuch Familienrecht, Kap. 16 Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2012, S. 1762; A. Limante, Establishing habitual residence of adults under the Brussel IIa Regulation: best practices from national case-law, JPIL 14 (2018), 160; Magnus/Mankowski, Brussels II bis Regulation, 2017; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (4. Kap.), 2017, S. 421 P. McEleavy, Brussels II bis: Matrimonial Matters, Parental Responsibility, Child Abduction an Mutual Recognition, ICLQ 53 (2004), 503; K. Meyer-Götz/K. Noltemeier, Interna-
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4.1
§ 4 Rz. 4.1 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen tionales Verfahrensrecht für Familiensachen in der Europäischen Union, FamRZ 2004, 29; F. Mohs, Brüssel IIa – Die neue EG-Verordnung zum internationalen Familienverfahrensrecht, FamPra.ch 2005, 39; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, S. 839; H.-J. Musielak/H. Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 5.. Aufl. 2018; K. Niethammer-Jürgens/M. Erb-Klünemann, Internationales Familienrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2019, S. 28; J. Pirrung, Bemerkungen zum Stand des europäischen Kollisionsrechts – insbesondere zur Brüssel IIaVerordnung und zu ihrer Reform, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 403; C. Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, 2014; Rauscher/Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Bd. IV, Teil B I 1, 4. Aufl. 2015; Th. Rauscher, Scheidungs-IPR von der Brüsseler Baustelle, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1193; J. Rieck, Die Umwandlungskompetenz nach Art. 5 EheEuGVVO 2003 und ihre Bedeutung im Verhältnis zu den weiteren Zuständigkeiten für Ehesachen, FPR 2007, 427; S. Schlauß, Das neue Gesetz zum internationalen Familienrecht, 2005; A. Schulz, Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa) – eine Einführung, NJW 2004, Beilage zu Heft 18, S. 2; D.-A. Simotta, Wann kommt in Ehesachen die EuEheKindVO, wann autonomes Recht zur Anwendung?, FS Kaissis, 2012, S. 897; U. Spellenberg, Internationale Zuständigkeit kraft Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1307; Staudinger/Pirrung, Vorbem. C zu Art. 19 EGBGB, Neubearb. 2018; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen 1, Neubearb. 2015; M. Streicher, Familiensachen mit Auslandsberührung, 2. Aufl. 2014; I. Toscano, Ehescheidungen mit grenzüberschreitendem Bezug, 2011. – European Commission, Practice guide for the application of the new Brussel II Regulation (Council Regulation (EC) No. 2201/2003 of 27 November 2003) (up-dated version 1 June 2005). – Bericht der Kommission ... über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 ... über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen ... v. 15.4.2014, COM (2014) 225. – b) Zu „Brüssel IIb“: P. Finger, Die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen, FuR 2019, 640. – Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates v. 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung), ABl. EU Nr. L 178/1. c) zu „Brüssel II“: A. Borrás, Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen ... über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen, ABl. EG Nr. C 221/27 (v. 16.7.1998); D. Coester-Waltjen, „Brüssel II“ und das „Haager Kindesentführungsübereinkommen“, FS W. Lorenz, 2001, S. 305; D. Coester-Waltjen, Die internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen in der Europäischen Union in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts, 2002; J. Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000,2004; 381; A. Gördes, Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, 2004; Ch. Hajnczyk, Die Zuständigkeit für Entscheidungen in Ehesachen und in anderen Familiensachen aus Anlass von Ehesachen, 2003; Ch. Kohler, Status als Ware: Bemerkungen zur EGVerordnung über das internationale Verfahren in Ehesachen, in Mansel, Vergemeinschaftung des Europäischen Kollisionsrechts, 2001; B. Ploeckl, Umgangsrechtsstreitigkeiten im deutschfranzösischen Rechtsverkehr, 2003; K. Polyzogopoulos, Internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen in der Europäischen Union, in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts, 2002, S. 133; H. Schack, Das neue internationale Eheverfahrensrecht in Europa, RabelsZ 65 (2001), 615; D. Simotta, Die internationale Zuständigkeit für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, FS Jelinek, 2002, S. 291; U. Spellenberg, Die
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I. Zuständigkeit in Ehesachen | Rz. 4.5 § 4 Zuständigkeit für Eheklagen nach der EheGVO, FS Geimer, 2002, S. 1257; U. Spellenberg, Die Annexzuständigkeit nach Art. 3 EheGVO, FS Sonnenberger, 2004, S. 677.
Durch die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates v. 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten1 wurde die Entscheidungszuständigkeit in Ehesachen und in Verfahren über die elterliche Verantwortung vereinheitlicht.2 Diese Verordnung ist mit genereller Wirkung zum 1.3.2005 durch die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates v. 27.11.2003 („Brüssel IIa“) ersetzt worden. Nach dem Brexit bleibt sie im Verhältnis zu Großbritannien für alle Verfahren anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit am 31.12.2020 begonnen werden (Art. 67 Nr. 1 c des Austrittsabkommens v. 24.1.2020).3 Die Neufassung der Brüssel IIa-VO durch die Verordnung (EU) 2019/1111 („Brüssel IIb“) v. 25.6.2019 gilt gem. Art. 105 II VO 2019/1111 erst ab 1.7.2022.
4.2
Die internationale Zuständigkeit für Scheidungsverfahren ergibt sich aus dieser Verordnung unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Parteien für alle Verfahren, die nach dem 1.3.2005 eingeleitet wurden (Art. 64 I, 72 Brüssel IIa).4 Das anwendbare Scheidungsrecht richtet sich zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten seit 21.6.2012 nach der VO (EU) Nr. 1259/2010 v. 20.12.20105 (Rom III-VO).6
4.3
Nach einem Vorschlag des Rates v. 17.7.2006 sollten die Zuständigkeiten für Ehescheidungen geändert werden.7 Dieser Vorschlag ist aber gescheitert. In der Neufassung der Brüssel IIa-VO (Brüssel IIb-VO, Nr. 2019/1111) bleiben die Zuständigkeiten in Ehesachen weitgehend unverändert, doch wird der bisherige umstrittene Art. 6 gestrichen.
4.4
a) Regelzuständigkeiten Die Brüssel IIa-VO gilt für die in Art. 1 I lit. a aufgelisteten Eheverfahren, nicht für die Auflösung von registrierten Lebenspartnerschaften.8 Erfasst sind auch Eheaufhebungsverfahren, die nach dem Tod eines Ehegatten durch Dritte eingeleitet werden.9 Außer den Sorgerechtsverfahren (s. Rz. 4.45 ff.) erfasst sie auch keine Scheidungsfolgesachen.10 Nach dem Wortlaut der Art. 1 I lit. a, 3 I Brüssel IIa-VO sind 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
ABl. EG v. 30.6.2000 Nr. L 160/19 ff. Zur Gesetzesgeschichte s. P. McEleavy, ICLQ 51 (2002), 883, 891 ff. ABl. EU 2020 Nr. L 29/7. OLG Hamm, FamRZ 2012, 1498, 1499. ABl. EU 2010 Nr. L 343/10. Vgl. P. Pietsch, Rechtswahl für Ehesachen nach „Rom III“, NJW 2012, 1768; T. Helms, FamRZ 2011, 1765; W. Hau, Zur Durchführung der Rom III-Verordnung in Deutschland, FamRZ 2013, 249. KOM (2006) 399 endg. U. Gruber, IPRax 2005, 293; J. Dilger, Rz. 104 ff.; H. Dörner, S. 17, 19 f. EuGH – C-294/15, ECLI:EU:C:2016:772 – Mikolajczyk/Czarnecka, FamRZ 2016, 1997 = IPRax 2017, 607 (dazu K. Hilbig-Lugani). Staudinger/Spellenberg, (2015) Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 15.
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4.5
§ 4 Rz. 4.5 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe ebenfalls nicht erfasst.11
4.6 Art. 3 Brüssel IIa-VO stellt alternativ sieben internationale Entscheidungszuständigkeiten für Ehetrennungsverfahren zur Verfügung:12 (1) den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt13 der Eheleute, (2) den letzten gemeinsamen Aufenthalt, wenn sich noch einer von ihnen dort aufhält, (3) den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners, (4) bei gemeinsamem Antrag den gewöhnlichen Aufenthalt eines Ehegatten, (5) den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers seit mindestens einem Jahr vor Antragstellung, (6) bei eigenen Staatsangehörigen des EU-Mitgliedstaats den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers seit mindestens sechs Monaten,14 und (7) die Gerichte des gemeinsamen Heimatstaats beider Ehegatten.15
4.7 Ein gewöhnlicher Aufenthalt setzt voraus, dass die Person dort ihren Lebensmittelpunkt hat und zwischen Person und Ort eine dauerhafte Beziehung besteht. Eine Mindestdauer (sechs Monate) ist nur ein Indiz für einen gewöhnlichen Aufenthalt, aber nicht zwingend vorausgesetzt.16 Die Rechtsprechung verlangt, dass die betreffende Person eine gewisse persönliche und soziale Integration an dem Aufenthaltsort anstrebt. Wer definitiv in einen Staat umzieht, um dort zu bleiben, begründet bereits mit dem Umzug einen gewöhnlichen Aufenthalt. Umgekehrt führt ein zweijähriger Inlandsaufenthalt nicht zu einem gewöhnlichen Aufenthalt, wenn die betreffende Person hier keine eigene Wohnung unterhält und in dieser Zeit zweimal für mehrere Monate zu ihrer im Ausland verbliebenen Familie zurückgekehrt ist.17 Auch ein abgelehnter Asylbewerber kann seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, so11 M. Andrae, § 2 Rz. 18; J. Dilger, Rz. 131–155; Staudinger/Spellenberg, (2015) Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 33; Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.41; a.A. Rauscher/Rauscher, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 13 ff.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 1 EuEheVO Rz. 2. 12 EuGH – C-759/18, ECLI:EU:C:2019:816 – OF v PG (Rz. 27 f.), FamRZ 2019, 1989, 1990; OLG Zweibrücken, FamRZ 2015, 2063, 2064; J. Dilger, Rz. 181–257. 13 Zum Begriff s. K. Hilbig-Lugani, Neue Herausforderungen des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts, FS Brudermüller, 2014, S. 323; K. Hilbig-Lugani, Divergenz und Transparenz: Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, GPR 2014, 8; B. Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt im System des Europäischen Kollisionsrechts, 2017. 14 Vgl. AG Leverkusen, FamRZ 2006, 1384, 1385 (Nationalität u. Aufenthalt des Antraggegners irrelevant); AG Leverkusen, FamRZ 2006, 950. 15 Vgl. EuGH – C-759/18, ECLI:EU:C:2019:816 – OF v PG, FamRZ 2019, 1989; AG Schöneberg, NZFam 2014, 576. Diese Zuständigkeit besteht auch, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat haben, EuGH – C-759/18, ECLI:EU:C:2019:816 – OF v PG, FamRZ 2019, 1989 = FamRB 2020, 49 (J. Dimmler). 16 J. Dilger, Rz. 185–204. 17 OLG Köln, FamRZ 2018, 991.
288
I. Zuständigkeit in Ehesachen | Rz. 4.12 § 4
lange keine konkreten Maßnahmen zur Beendigung seines Aufenthalts getroffen worden sind.18 Hat sich ein Aufenthalt zum gewöhnlichen Aufenthalt verfestigt, ist für die Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts auf den Beginn des einfachen Aufenthalts abzustellen.19 Ob Personen mit mehreren Wohnsitzen und wechselnden Aufenthalten in verschiedenen Mitgliedstaaten mehrere gewöhnliche Aufenthalte haben können, ist streitig. Meist wird sich auch in diesen Fällen ein Schwerpunkt feststellen lassen; wenn aber nicht, sollten mehrere gewöhnliche Aufenthalte akzeptiert werden,20 um Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
4.8
Bei der Zuständigkeit zu (1) ist nur der gewöhnliche Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat, nicht ein gemeinsamer Aufenthalt am gleichen Ort vorausgesetzt.21
4.9
Eine Rangfolge zwischen diesen konkurrierenden Zuständigkeiten besteht nicht; der Antragsteller kann unter ihnen frei wählen und ggf. forum shopping betreiben.22
4.10
Diese Zuständigkeiten sind ausschließlich, soweit der Antragsgegner (beklagte Ehegatte) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat (ohne Dänemark) hat oder Staatsangehöriger eines dieser Mitgliedstaaten ist (Art. 6 Brüssel IIa-VO). Die Zuständigkeiten gelten auch für Angehörige von Drittstaaten.23 Diese Sperrwirkung ist problematisch, wenn der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt in einem Drittstaat ist und die Ehegatten dadurch zwingend an die Gerichte des Drittstaats verwiesen werden.24 Haben die Ehegatten keinen gewöhnlichen Aufenthalt oder stellt der EU-Heimatstaat kein Gericht bereit, ist u.U. überhaupt kein Staat international zuständig.
4.11
Der Katalog in Art. 3 Brüssel IIa-VO weicht teilweise von § 98 FamFG ab. Eine einseitige Heimat- bzw. Staatsangehörigkeitszuständigkeit und eine sog. Antrittszuständigkeit (für einen früheren eigenen Staatsangehörigen) sind darin nicht vorgesehen,25 doch gibt es stattdessen in der Regel Aufenthaltszuständigkeiten. Fall (1) (gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthaltsort) ist neben Fall (3) (gewöhnlicher Aufenthaltsort des Antragsgegners) überflüssig. Am letzten gemeinsamen Aufenthaltsort kann der Antragsteller sofort26 Scheidung begehren (Fall 2), nach Rückkehr in seinen Heimatstaat kann er nach sechs Monaten klagen (Fall 6), bei Wechsel in einen anderen EU-
4.12
18 19 20 21 22 23 24 25 26
OLG Frankfurt, FamRZ 2019, 1532. A.A. h.M. s. M. Andrae, § 2 Rz. 29. M. Andrae, § 2 Rz. 70. M. Andrae, § 2 Rz. 23. W. Hau, FamRZ 2000, 1333, 1334; P. Gottwald, Symposium Spellenberg, S. 55, 59 ff.; K. Polyzogopoulos, S. 140 f; P. Rogerson, IPRax 2010, 553; Gottwald in MünchKomm/ FamFG, Art. 2 Brüssel IIa-VO Rz. 2; M. Lupoi, S. 116 f. AG Leverkusen, FamRZ 2008, 1758. J. Dilger, Rz. 208; krit. P. Gottwald, Symposium Spellenberg, S. 55, 65 f.; H. Schack, IZVR, Rz. 424. Vgl. BGH FamRZ 2013, 687 (W. Hau); krit. P. Gottwald, Symposium Spellenberg, S. 55, 64, 67; Staudinger/Spellenberg, (2015) Art. 3 Brüssel IIa-VO Rz. 19. Vgl. Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 3 Brüssel IIa-VO Rz. 28.
289
§ 4 Rz. 4.12 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Staat erst nach zwölf Monaten (Fall 5). Bei gemeinsamem Scheidungsantrag27 kann ebenfalls sofort an jedem gewöhnlichen Aufenthaltsort geklagt werden (Fall 4). Die damit verbundene Privilegierung der Zuständigkeit des Heimatstaats bei einem Aufenthaltswechsel nach der Trennung der Eheleute ist problematisch und könnte gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV verstoßen.28 Auch die Privilegierung von Ehen gleicher Staatsangehörigkeit gegenüber gemischt nationalen Ehen durch Fall (7) im Verhältnis zu den Fällen (5) und (6) könnte gegen Art. 18 AEUV verstoßen.29
4.13 Gerichtsstandsvereinbarungen und rügelose Einlassung sind nicht zugelassen.30 Nach dem Änderungsvorschlag der Kommission v. 17.7.200631 sollten schriftliche Gerichtsstandvereinbarungen (in E Art. 3a) zugelassen werden, wenn ein enger Bezug zu dem vereinbarten Mitgliedstaat besteht. Dieser Vorschlag ist aber gescheitert. 4.14 Eine in den Fällen (5) und (6) vorzeitig erhobene Klage wird zulässig, wenn zur Zeit der mündlichen Verhandlung die Frist bereits abgelaufen ist. Bemerkt das Gericht den Mangel früher, sollte die Klage nicht als unzulässig abgewiesen, sondern bis zum Fristablauf ausgesetzt werden.32 Eine vor Fristablauf in einem bereits zulässigen Gerichtsstand erhobene Klage muss aber Vorrang haben.33 4.15 Umgekehrt gilt der Grundsatz der perpetuatio fori; eine bei Antragstellung bestehende Zuständigkeit bleibt bestehen, auch wenn die sie begründenden Umstände nachträglich wegfallen (durch Wegzug, Aufgabe der Staatsangehörigkeit).34 4.16 Fälle der mehrfachen Staatsangehörigkeit sind nicht besonders geregelt; daher kann es nur darauf ankommen, ob der Antragsteller (auch) die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaats besitzt, ob diese „effektiv“ ist oder nicht, ist irrelevant.35 Staatenlose werden insoweit Inländern nicht gleichgestellt. Anders verhält es sich bei anerkannten Flüchtlingen gem. Art. 16 II Genfer Flüchtlingskonvention.36 Eine Ehe kann allerdings nur geschieden werden, wenn sie nach der anwendbaren Ortsform wirksam geschlossen worden war.37
27 Es genügt sachliches Einvernehmen über die Scheidung, J. Dilger, Rz. 235 ff. 28 So H. Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 623; R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 352; I. Toscano, S. 133 ff.; a.A. J. Basedow, IPRax 2011, 109, 114; vgl. J. Dilger, Rz. 408, 422 ff. 29 R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 352; a.A. I. Toscano, S. 139 f.; vgl. J. Dilger, Rz. 409, 440 ff.; H. Dörner, S. 17, 23. 30 R. Hausmann, Rz. A 46; J. Dilger, Rz. 210; krit. P. Gottwald, Symposium Spellenberg, S. 55, 68 ff. 31 KOM (2006) 399 endg. = BR-Drucks. 531/06 v. 2.8.2006. 32 Vgl. M. Andrae, § 2 Rz. 30. 33 So U. Gruber, IPRax 2005, 293, 295. 34 M. Andrae, § 2 Rz. 22. 35 Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 3 Brüssel IIa-VO Rz. 49, 58; M. Andrae, § 2 Rz. 33; J. Dilger, Rz. 466 ff., 492. 36 M. Andrae, § 2 Rz. 28. 37 Vgl. OLG Jena, NZFam 2020, 260 (P. Mankowski).
290
I. Zuständigkeit in Ehesachen | Rz. 4.20 § 4
b) Annexverfahren Ein nach Art. 3 Brüssel IIa-VO zuständiges Gericht ist auch für Gegenanträge zuständig, Art. 4 Brüssel IIa-VO.38
4.17
Hat ein Gericht ein Ehetrennungsurteil erlassen, ist es stets zuständig, dieses in ein Scheidungsurteil umzuwandeln, Art. 5 Brüssel IIa-VO.39
4.18
c) Restzuständigkeit Die Regelzuständigkeiten verdrängen das autonome Zuständigkeitsrecht.40 Auf die internationale Zuständigkeit nach autonomem nationalem Recht (in Deutschland nach § 98 FamFG) darf nur zurückgegriffen werden, soweit sich aus den Art. 3–6 Brüssel IIa-VO überhaupt keine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat ergibt.41 Diese sog. Restzuständigkeit nach Art. 7 Brüssel IIa-VO greift gegenüber Angehörigen von Drittstaaten.42 Nach Art. 7 II Brüssel IIa-VO gilt sie auch zugunsten von Angehörigen eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten.43 In diesen Fällen kommt eine Heimatzuständigkeit (§ 98 I Nr. 1 FamFG) oder eine Zuständigkeit kraft Aufenthalts eines Ehegatten (§ 98 I Nr. 4 FamFG) in Betracht. Gegenüber Angehörigen eines Mitgliedstaats mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat greift die Regelung nicht, da gegen sie nach Art. 6 (b) Brüssel IIaVO ein Verfahren in einem Mitgliedstaat nur auf eine Zuständigkeit nach Art. 3 bis 5 gestützt werden darf.44
4.19
Art. 6 entfällt zwar formal mit der Neufassung der Brüssel IIa-VO. In den neuen Art. 6 über die Restzuständigkeit ist der bisherige Art. 6 aber nur als neuer Abs. 2 integriert worden; die Regelung bleibt also sachlich unverändert.
4.20
Die vermögensrechtlichen Folgen der Ehe werden von der Brüssel IIa-VO nicht erfasst. Unterhaltsstreitigkeiten fallen unter Art. 3 ff. EuUntVO (s. Rz. 4.22, 4.131 ff.). Für Streitigkeiten über güterrechtliche Folgen gelten seit 29.1.2019 die Art. 4 ff. EuGüVO (s. Rz. 4.23, 4.160 ff.).
38 39 40 41
J. Dilger, Rz. 264 ff. J. Dilger, Rz. 258–263; J. Rieck, FPR 2007, 427. KG, FamRZ 2016, 836; R. Hausmann, Rz. A 45. EuGHE 2007, I-10403 (Lopez v Lopez Lizano), IPRax 2008, 257 (dazu A. Borràs, IPRax 2008, 233); OGH, IPRax 2010, 74 (dazu M. Andrae/St. Schreiber, IPRax 2010, 79); M. Andrae, § 2 Rz. 40 ff.; U. Spellenberg, ZZPInt 12 (2007), 233; OLG Zweibrücken, FamRZ 2006, 1043; H. Dörner, S. 17, 25 ff.; a.A. Rauscher/Rauscher, Art. 6 Brüssel IIa-VO Rz. 10. 42 Vgl. K. Polyzogopoulos, S. 143 (griech.-türk. Ehepaar lebt in Türkei; nach Trennung zieht Grieche nach Deutschland und beantragt hier die Scheidung). 43 Vgl. J. Basedow, IPRax 2011, 109, 114; krit. W. Hau, FS v. Hoffmann, 2012, S. 617, 621 („europ. Wagenburg-Mentalität“). 44 U. Gruber, IPRax 2005, 293, 295; J. Dilger, Rz. 268–288.
291
§ 4 Rz. 4.21 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
d) Örtliche Zuständigkeit
4.21 Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach autonomem Recht, in Deutschland also nach § 122 FamFG. Haben beide Ehegatten deutscher Staatsangehörigkeit keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ist das AG Schöneberg in Berlin zuständig (§ 122 Nr. 6 FamFG).45 Nur in den Fällen der Art. 4 und 5 Brüssel IIa-VO ist die örtliche Zuständigkeit sinngemäß mitgeregelt. e) Verbundzuständigkeit
4.22 Eine Verbundzuständigkeit kennt die Brüssel IIa-VO nicht, lässt sie aber zu, wenn das autonome Recht diese vorsieht (s. Rz. 4.41 f.). Für Unterhaltssachen ist die Verbundzuständigkeit in Art. 3 lit. c EuUntVO bzw. Art. 5 (2) lit. b LugÜ 2007 vorgesehen. In beiden Fällen darf aber die Scheidungszuständigkeit nicht auf der Staatsangehörigkeit nur eines Ehegatten beruhen.
4.23 Für Güterrechtssachen sieht Art. 5 EuGüVO eine Verbundzuständigkeit des Gerichts der Scheidung vor (s. Rz. 4.163 f.). 2. Autonomes deutsches Recht a) Schrifttum
4.24 Ch. Althammer, Verfahren mit Auslandsbezug nach dem neuen FamFG, IPRax 2009, 381; M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 2 Rz. 39 ff. (S. 141); M. Atali, Die internationale Zuständigkeit im deutsch-türkischen Rechtsverkehr, 2001, S. 125 ff.; O. Beller, Die Vorschriften des FamFG zur internationalen Zuständigkeit, ZFE 2010, 52; D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 4. Aufl. 2017; E. Jayme, Fragen der internationalen Verbundszuständigkeit, IPRax 1984, 121; M. Kilian, Aktuelle Probleme der internationalen Zuständigkeit in Ehesachen, IPRax 1995, 9; St. Motzer, Die Restzuständigkeiten deutscher Familiengerichte nach inländischem Verfahrensrecht, FamRBint 2007, 20; H. Rausch, Familiensachen mit Auslandsbezug vor und nach dem FamFG, FPR 2006, 441; Schwab/Ernst/ Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019 (§ 4 A IV Rz. 8 ff.); Staudinger/Spellenberg, EGBGB/IPR, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen 2, Neubearb. 2015.
b) Rechtsgrundlagen
4.25 Im autonomen deutschen Recht ist die internationale Zuständigkeit in den §§ 98– 106 FamFG geregelt. Vorrangig zu beachten ist im Verhältnis zu den EU-Staaten jedoch die Brüssel IIa-VO v. 27.11.2003 (s. Rz. 4.2 ff.). Während bei der Regelung der örtlichen und damit auch der internationalen Zuständigkeit nach §§ 12 ff. ZPO die Staatsangehörigkeit der Parteien keine Rolle spielt, ist dies wesentlich anders bei Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung einer Ehe, auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen Parteien oder auf Herstellung des ehelichen Lebens. Bei Ehe- und Statussachen wird nicht nur an dem Territorialitätsprinzip zur Begründung der internationalen Zuständigkeit festgehalten, sondern 45 Vgl. AG Schöneberg, NZFam 2014, 576 (Rz. 11).
292
I. Zuständigkeit in Ehesachen | Rz. 4.31 § 4
es tritt die Personalbezogenheit in der Form der Staatsangehörigkeit der Parteien entscheidend in den Vordergrund. c) Entscheidungszuständigkeiten Die deutsche internationale Zuständigkeit in Ehesachen ist nunmehr streng getrennt von der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nach § 122 FamFG. In Ehesachen gibt es keine ausschließliche deutsche internationale Zuständigkeit mehr. Die konkurrierende deutsche internationale Zuständigkeit nimmt damit Rücksicht auf die Zuständigkeitsregelungen anderer Staaten. Die Regelung greift freilich nur noch, soweit die Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO nicht vorrangig eingreifen (s. Rz. 4.5 ff.).
4.26
(1) Heimatzuständigkeit Andererseits wird an dem Grundsatz festgehalten, dass die deutschen Gerichte immer zuständig sind, wenn einer der Ehegatten Deutscher ist oder bei Eheschließung war (§ 98 I Nr. 1 FamFG). Die deutsche Staatsangehörigkeit wird nach deutschem Recht beurteilt. Es kommt also auf die lex fori an.
4.27
Es kommt nicht darauf an, ob die betreffende Person außer der deutschen noch eine andere Staatsangehörigkeit hat oder welches die effektivere ist (Art. 5 I 2 EGBGB).46
4.28
Den deutschen Staatsangehörigen werden die nicht eingebürgerten Deutschen i.S.d. Art. 116 GG gleichgestellt.47 Gleichgestellt werden auch heimatlose Ausländer und Flüchtlinge. Insoweit sind das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet v. 25.4.195148 und das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 28.7.1951 (Art. 16 II49) zu berücksichtigen.50 Gemäß dem UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung von Staatenlosen v. 28.9.195451 bestimmt sich das Personalstatut eines Staatenlosen nach den Gesetzen des Landes seines Wohnsitzes oder, wenn er keinen Wohnsitz hat, nach den Gesetzen seines Aufenthaltes.
4.29
Nach Art. 16 werden die Staatenlosen auch hinsichtlich der deutschen internationalen Zuständigkeit den Deutschen gleichgestellt. Für Staatenlose ist die internationale Zuständigkeit in § 98 I Nr. 3 FamFG besonders festgelegt. Eine sog. Antrittszuständigkeit (Staatenlosigkeit bei Eheschließung) ist danach ausgeschlossen. Soweit es sich um die Scheidung von Kontingentflüchtlingen handelt, wird die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht eingeschränkt.
4.30
Anerkannte Asylberechtigte werden den Flüchtlingen gleichgestellt (§ 2 I AsylG). Für sämtliche Flüchtlinge und Gleichgestellte besteht keine Antrittszuständigkeit.52
4.31
46 47 48 49 50 51 52
M. Andrae, § 2 Rz. 44. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 167 Rz. 8. BGBl. 1951 I, 269. BGBl. 1953 II, 559. Vgl. Ch. Lass, Der Flüchtling im deutschen IPR, 1995, S. 177 ff. BGBl. 1976 II, 474. M. Kilian, IPRax 1995, 9, 10.
293
§ 4 Rz. 4.32 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.32 Auf die frühere deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau kommt es nicht mehr an. Entscheidend ist allein, ob ein Ehegatte Deutscher ist oder bei der Eheschließung war. Insoweit wird die deutsche Staatsangehörigkeit noch in die Zeit zurückversetzt, als die Eheschließung erfolgt ist (sog Antrittszuständigkeit). 4.33 Mit Hilfe des Anknüpfungspunktes der deutschen Staatsangehörigkeit an nur einen der beiden Ehegatten und der Gleichstellung vieler anderer Personen mit den deutschen Staatsangehörigen wird die deutsche internationale Zuständigkeit in Eheund Statussachen sehr weit ausgedehnt. Zweifelhaft ist etwa, ob eine Antrittszuständigkeit erforderlich ist, soweit jemand die deutsche Staatsangehörigkeit freiwillig aufgegeben hat.53 (2) Aufenthaltszuständigkeit
4.34 International zuständig sind deutsche Gerichte nach § 98 I Nr. 2 FamFG weiter, wenn beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Die Zuständigkeit ist maßgebend für alle Ausländer und die in Rz. 4.25–27 aufgeführten Personen. Auf die Anerkennung der Scheidung im Heimatstaat oder die lex causae kommt es in diesem Fall nicht an.54 4.35 Der gewöhnliche Aufenthaltsort ist nach deutschem Recht und nicht nach Heimatrecht zu bestimmen55 und muss vom Wohnsitz unterschieden werden. Bei letzterem kommt es auf die subjektive Seite, den Willen einer Person an. Bei dem gewöhnlichen Aufenthalt ist nur auf die objektive Seite und den Zeitfaktor zu achten. Er wird durch das zeitliche Maß von einer gewissen Dauer (in der Regel sechs Monate) begründet. Streitig ist, ob für den gewöhnlichen Aufenthaltsort die Freiwilligkeit eine Rolle spielt. So wird angenommen, dass ein längerer Aufenthalt einer Person im Gefängnis den gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann.56 Die bloße Eintragung in eine Einwohnerliste genügt nicht; andererseits steht die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen.57 4.36 Zweifelhaft ist, inwieweit Asylbewerber einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Da zunehmend Personen Asyl verweigert, ihr Aufenthalt im Inland aber doch geduldet wird, kann diesen Personen ein inländischer Rechtsschutz in Eheund Familiensachen nicht generell verweigert werden. Nach einem etwa sechsmonatigen Inhaltsaufenthalt, dessen Abbruch nicht konkret bevorsteht, sollte daher für Asylbewerber ein gewöhnlicher Inlandsaufenthalt nach § 98 I Nr. 2 FamFG anerkannt werden.58 53 54 55 56 57 58
294
J. Kropholler, IPR, § 58 V 2 a. OLG Stuttgart, NJW-RR 1989, 261; Th. Rauscher, IPR, Rz. 2274. KG, NJW 1988, 650. U. Spellenberg, IPRax 1988, 1 ff. R. Geimer, IZPR, Rz. 299a. Vgl. M. Kilian, IPRax 1995, 9, 10 f.; Geimer in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 98 FamFG Rz. 91 f.; ähnlich Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, (§ 4.30) (personal jurisdiction independent of visa status or being illegally and deportable); a.A. OLG Koblenz, FamRZ 2016, 995 (abgelehnte Asylbewerber).
I. Zuständigkeit in Ehesachen | Rz. 4.40 § 4
(3) Einseitige Aufenthaltszuständigkeit Hat nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so wird die deutsche internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach § 98 I Nr. 4 FamFG begründet, es sei denn, die zu fällende Entscheidung wird nach dem Recht oder den Rechten der Staaten, dem oder denen die Ehegatten angehören, offensichtlich nicht anerkannt (sog negative Anerkennungsprognose).59 Dieser Fall tritt etwa ein, wenn die Heimatstaaten eine ausschließliche Scheidungszuständigkeit für ihre Staatsangehörigen in Anspruch nehmen oder geistlichen Gerichten eine ausschließliche Zuständigkeit zuweisen.60 Es genügt, wenn ein Land die deutsche Entscheidung vermutlich anerkennen wird. Bei Mehrstaatern ist auf die Anerkennung im Land der effektiven Staatsangehörigkeit abzustellen.61 Im Einzelfall können sich freilich gegen die Verweisung auf die Heimatstaatgerichte des anderen Ehegatten Bedenken aus dem Justizanspruch ergeben.62
4.37
Nach dem Wortlaut von § 98 I Nr. 4 FamFG darf die Entscheidung „offensichtlich“ in keinem der Heimatstaaten anerkannt werden. Die gesetzlichen Regelungen, die bestehenden Staatsverträge und die zur Verfügung stehenden Literatur müssen also eindeutig ergeben, dass eine Anerkennung ausscheidet. Im Zweifel ist die Zuständigkeit also zu bejahen.63 Ergeben die Quellen freilich ernste Hinweise auf eine Nichtanerkennung, etwa durch Hinweis auf eine entgegenstehende Rechtspraxis ist dem nachzugehen.64 Hilfreich sind insoweit die Länderberichte in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht. Bei Doppel- oder Mehrstaatern ist die Anerkennung im Staat der effektiven Staatsangehörigkeit zu prüfen.65
4.38
Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen sind in Ehe- und Statussachen nicht zulässig.66
4.39
d) Aufhebung von Kinderehen Für den Fall, dass eine Ehe nach Art. 13 III Nr. 2 EGBGB aufhebbar ist, weil ein Ehegatte zwar nach seinem Heimatrecht ehemündig war, aber im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet hatte, sieht § 98 II FamFG eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte vor, wenn der minderjäh-
59 60 61 62 63
OLG Celle, FamRZ 1993, 439, 440; Geimer in Zöller, § 98 FamFG Rz. 104. Musielak/Borth/Borth, § 98 FamFG Rz. 19. M. Kilian, IPRax 1995, 9, 11 f. Th. Pfeiffer, S. 499 ff. Keidel/Engelhardt, § 98 FamFG Rz. 20; Haußleiter/Gomille, FamFG, 2011, § 98 Rz. 16 f.; Staudinger/Spellenberg, (2016) § 98 FamFG Rz. 226 ff. 64 Musielak/Borth/Borth, § 98 FamFG Rz. 17 ff.; für Einholung von Gutachten bei ernsten Zweifeln Prütting/Helms/Hau, § 98 FamFG Rz. 36; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 89. Gegen die Einholung von Gutachten Geimer in Zöller, § 98 FamFG Rz. 104; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff, § 98 Rz. 12. 65 Hüßtege in Thomas/Putzo, § 98 FamFG Rz. 10. 66 Rauscher/Rauscher, (2015), Art. 3 Brüssel IIa-VO Rz. 2.
295
4.40
§ 4 Rz. 4.40 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
rige Ehegatte seinen Aufenthalt im Inland hat. Ein schlichter Inlandsaufenthalt genügt. Die Zuständigkeit greift im Geltungsbereich der Brüssel IIa-VO aber nur, soweit eine Restzuständigkeit nach Art. 7 I Brüssel IIa-VO in Betracht kommt.67 e) Verbundzuständigkeit
4.41 Ist ein deutsches Gericht für die Ehesache (nach Art. 3 Brüssel IIa-VO oder § 98 FamFG) international zuständig, so ist es nach § 98 III FamFG auch für andere Familiensachen im Rahmen eines möglichen Verbundverfahrens international zuständig.68 Nach der ausdrücklichen Einschränkung in § 106 FamFG ist diese Zuständigkeit aber international nicht ausschließlich. Vorrang haben zudem europäische Regeln oder internationale Übereinkommen, etwa für Unterhaltssachen die Art. 3 ff. EuUntVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ69 und für Sorgerechtssachen die Brüssel IIa-VO (Art. 12 I) und, soweit diese nicht eingreift, das KSÜ. Soweit danach keine Zuständigkeit besteht, ist der Verbund aufgehoben.70 4.42 Auch in Familiensachen mit Auslandsberührung findet nach § 98 III FamFG ein Verbundverfahren iS einer Zuständigkeitskonzentration statt.71 Dagegen richtet sich der Umfang des konkreten Entscheidungsverbundes nach dem Scheidungsstatut.72 Die lex fori, nicht das Scheidungsstatut entscheidet aber darüber, ob der Verbund von Amts wegen oder nur auf Antrag eintritt.73 Besteht eine internationale Zuständigkeit für die Ehesache, so besteht auch eine (aber nicht ausschließliche) Verbundzuständigkeit für die Folgesachen.74 f) Verfahren zur Trennung von Tisch und Bett
4.43 Sieht ein ausländisches Ehelösungsstatut Verfahren zur Trennung von Tisch und Bett als Vorstufe oder als Ersatz für die Scheidung vorsieht, sind im Inland nach den Regeln über Scheidungsverfahren abzuwickeln.75 Soweit eine endgültige Ehetrennung nicht Voraussetzung ist, findet auch ein Verbundverfahren analog § 137 FamFG
67 R. Hausmann, IntEuFamR, Teil A Rz. 276. 68 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 Rz. 101; P. Gambke, Das neue Scheidungsverbundverfahren nach dem FamFG, 2011, S. 96 ff. 69 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 168 Rz. 7; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 Rz. 106 ff.; O. Beller, ZFE 2010, 52, 54. 70 D. Henrich, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2000, S. 205; Th. Rauscher, IPR, Rz. 2286 ff.; vgl. O. Ratzel, Die Präklusion isolierter Unterhaltsverfahren durch den ausländischen Scheidungsverbund, 2007. 71 OLG Frankfurt, FamRZ 1983, 728; Schwab/Ernst/Streicher, § 4 Rz. 65; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 Rz. 101 ff. 72 St. Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, 1985, S. 159. 73 Schwab/Streicher, Handbuch des Scheidungsrechts, 7. Aufl. 2013, Rz. I 1182. 74 Schwab/Ernst/Streicher, § 4 Rz. 65. 75 BGHZ 47, 324 = NJW 1967, 2109 = JZ 1967, 671 (A. Heldrich); BGH, IPRax 1985, 40 (E. Jayme, S. 23).
296
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.45 § 4
statt.76 Die früher vertretene Ansicht von der „Wesensverschiedenheit“ der Ehetrennung, die deutsche Gerichte nicht aussprechen könnten, ist mit dem Justizanspruch des Ausländers nicht vereinbar. Im Verhältnis zu EU-Staaten widerspricht diese Ansicht Art. 1 I lit. a Brüssel IIa-VO. Auch bei den anderen Familiensachen sind funktional vergleichbare Streitigkeiten ebenfalls als Familiensachen einzuordnen. Der Anspruch auf Leistung einer Morgengabe ist danach als allgemeine Ehewirkung als Familiensache zu behandeln.77
4.44
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen 1. Europäisches Recht Schrifttum: a) Zur Brüssel IIa-VO: Ch. Althammer, Brüssel IIa – Rom III, 2014 (in English: Ch. Althammer, Brussels IIa – Rom III, 2019); M. Andrae, Brüssel IIa-VO, EG-UnterhaltsVO, 2009; M. Andrae, Zur Abgrenzung von räumlichem Anwendungsbereich von EheGVO, MSA, KSÜ und autonomem IZPR/IPR, IPRax 2006, 82; M. Baruffi, A child-friendly area of freedom, security and justice: work in progress in international child abduction cases, JPIL 14 (2018), 385; K. Boele-Woelki/M. Jäntera-Jareborg, Protecting children against detrimental family environment under the 1996 Hague Convention and the Brussels II bis Regulation, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 125; M. Coester, Kooperation statt Konfrontation: Die Rückgabe entführter Kinder nach der Brüssel IIa-Verordnung, FS Schlosser, 2005, S. 135; D. CoesterWaltjen, Die internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen in der Europäischen Union, in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen ..., 2002, S. 163; D. CoesterWaltjen, Die Berücksichtigung der Kindesinteressen in der neuen EU-Verordnung „Brüssel IIa“, FamRZ 2005, 241; A. Dutta, Staatliches Wächteramt und europäisches Kindschaftsverfahren, FamRZ 2008, 835; A. Dutta, Europäische Zuständigkeiten und Kindeswohlvorbehalt, FS Kropholler, 2008, S. 281; A. Dutta/A. Schulz, First Cornerstones of the EU Rules on Cross-border Child Cases, JPIL 10 (2014), 1; M. Ekström, Child protection within the European Union – Council Regulation (EC) No. 2201/2003 on parental responsibility, The Judges’ newsletter X (2005), 42; P. Finger, Internationale gerichtliche Zuständigkeit in kindschaftsrechtlichen Streitverfahren nach Brüssel IIa, FamRBint 2005, 13 u 36; P. Finger, Haager Abkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, FamFR 2012, 316; M. Fleige, Die Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen und die Rückführung von Kindern nach Entführungen im Europäischen IZVR, 2006; E. Gitschthaler/Th. Garber, Internationales Familienrecht, 2019, S. 3; U. P. Gruber, Die Brüssel IIa-VO und öffentlich-rechtliche Schutzmaßnahmen, IPRax 2008, 490; U. P. Gruber, Das HKÜ, die Brüssel IIa-Verordnung und das Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz, FPR 2008, 214; U. P. Gruber, in NK-BGB, Bd. 1 Anh. I zum III. Abschnitt EGBGB, 3. Aufl. 2016, S. 2377; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil F 1), 2. Aufl. 2018; St. Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2015, S. 1199; Ch. Holzmann, Brüssel IIa VO: Elterliche Verantwortung und internationale Kindesentführungen, 2008; F. Klinkhammer, Internationale Verweisung von Kindschaftsverfahren nach der Brüssel IIa-VO, FamRBint 2006, 88; M. Kö76 Prütting/Helms/Hau, § 98 FamFG Rz. 41; Prütting/Helms/Helms, § 137 FamFG Rz. 9, a.A. Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 4 Rz. 67 (sonstige Familiensache nach §§ 112 Nr. 3, 266 FamFG). 77 BGHZ 183, 287 (Rz. 13 ff.) = FamRZ 2010, 533 (D. Henrich); Pasche in MünchKomm/ FamFG § 231 Rz. 32.
297
4.45
§ 4 Rz. 4.45 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen nig, Die Anwendbarkeit des forum non conveniens im deutschen und europäischen Zivilverfahrensrecht, 2012; V. Kress, Internationale Zuständigkeit für elterliche Verantwortung in der Europäischen Union, 2006; D. Looschelders, Die Europäisierung des internationalen Verfahrensrechts für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, JR 2006, 45; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (Kap. 4, VIII B), 2017, S. 448; P. McEleavy, Brussels II bis: Matrimonial Matters, Parental Responsibility, Child Abduction an Mutual Recognition, ICLQ 53 (2004), 503; F. Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982; St. Pabst, Gerichtsstandsvereinbarungen im Sorgerechtsstreit?, Liber amicorum Rauscher, 2005, S. 115; I. Pape, Internationale Kindesentführung, 2010; J. Pirrung, Haager Kinderschutzübereinkommen und Verordnungsentwurf „Brüssel IIa“, FS Jayme, 2004, S. 701; J. Pirrung, Internationale Zuständigkeit in Sorgerechtssachen nach der Verordnung (EG) 2201/2003, FS Schlosser, 2005, S. 695; J. Pirrung, Zur perpetuatio fori in europäischen grenzüberschreitenden Sorgerechtssachen, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1037; J. Pirrung, Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in internationalen Sorgerechtssachen, FS Kühne, 2009, S. 843; J. Pirrung, Erste Erfahrungen mit dem Eilverfahren des EuGH in Sorgerechtssachen, FS Spellenberg, 2010, S. 467; J. Pirrung, Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes bei internationalem Wanderleben, IPRax 2011, 50; H. Rausch, Elterliche Verantwortung – Verfahren mit Auslandsbezug vor und nach „Brüssel IIa“, 1. Teil, FuR 2005, 53; J. Rieck, Kindesentführung und die Konkurrenz zwischen dem HKÜ und der EheEuGVVO 2003 (Brüssel IIa), NJW 2008, 182; J. Rieck, Kindesentführung – Rechtsregeln und Normenkonkurrenz, FPR 2001, 183; P. Schlosser, Neue Perspektiven der Zusammenarbeit von Gerichten verschiedener EG-Staaten im Kindschaftsrecht, FS D. Schwab, 2005, S. 1255; A. Schulz, Internationale Regelungen zum Sorge- und Umgangsrecht, FPR 2004, 299; A. Schulz, Das Haager Kindesentführungsübereinkommen und die Brüssel IIa-Verordnung, FS Kropholler, 2008, S. 435; A. Schulz, Das internationale Familienverfahrensrechtsgesetz, FamRZ 2011, 1273; A. Schulz, Das deutsche internationale Kindschaftsrecht, FamRZ 2018, 797; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019 (§ 7B I Rz. 4 ff.); Solomon, „Brüssel IIa“ – Die neuen Regeln zum internationalen Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, FamRZ 2004, 1409; Staudinger/Pirrung, Das internationale Kindschaftsrecht der Übereinkommen und EG-Verordnungen – Brüssel IIa, Teil 2 E. HKÜ, Vorbem. E zu Art. 19 EGBGB,; 2018; Ch. Thomale, Der gewöhnliche Aufenthalt im Europäischen Kindschaftsrecht, GPR 2019, 173; Ch. Tödter, Europäisches Kindschaftsrecht, 2010; K. Trimmings, Child Abduction within the European Union, 2013. b) Zur Brüssel IIb-VO: Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates v. 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (ABl. EU Nr. L 178/1) (in Geltung ab 1.7.2022). P. Finger, Die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen – VO (EU) Nr. 2019/1111 des Rates v. 25.6.2019 ..., FuR 2019, 640; M. Erb-Klünemann/K. Niethammer-Jürgens, Die neue Brüssel IIa-VO, FamRB 2019, 454. A. Schulz, Die Neufassung der Brüssel IIa-VO, FamRZ 2020, 1141.
a) Aufenthaltszuständigkeit
4.46 Für Verfahren über die elterliche Verantwortung ist die internationale Zuständigkeit in Art. 8 Brüssel IIa-VO geregelt. Elterliche Verantwortung ist entsprechend Art. 1 I lit. b, II und Art. 2 II Nr. 7 Brüssel IIa-VO weit zu verstehen. Erfasst sind Sorgerecht, Umgangsrecht und Aufenthaltsbestimmungsrecht.78 Vormundschaft und 78 EuGH – C-759/18, ECLI:EU:C:2019:816 – OF v PG (Rz. 48 ff.), FamRZ 2019, 1989, 1992.
298
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.48 § 4
Pflegschaft, aber auch öffentlich-rechtliche Unterbringung sind eingeschlossen. Nicht erfasst sind dagegen Abstammungsstreitigkeiten (Art. 1 IV lit. a), Adoptionsverfahren (Art. 1 IV lit. b) und Streitigkeiten über den Namen des Kindes (Art. 1 IV lit. c Brüssel IIa-VO).
Während die Verordnung Nr. 1347/2000 in Art. 3 nur die Zuständigkeit für Sorgerechtsverfahren für ein gemeinsames Kind im Zusammenhang mit der Ehescheidung regelte, erfasst die neue VO Nr. 2201/2003 nach Art. 1 I b, II und Art. 2 Nr. 7 alle Verfahren über „die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung“. Die Neufassung von 2019 ändert daran nichts. Unter diese Definition fallen Verfahren über das Sorgerecht, das Umgangsrecht (auch der Großeltern),79 die Unterbringung des Kindes in einem Heim oder in einer Pflegefamilie sowie Maßnahmen zum Schutz des Kindesvermögens,80 und zwar auch, soweit es sich um staatliche Schutzmaßnahmen handelt.81 Eine Unterbringung eines Kindes zu therapeutischen oder erzieherischen Zwecken (Art. 1 II lit. d Brüssel IIa-VO) ist auch dann von der Verordnung erfasst, wenn sie mit Freiheitsentziehung verbunden ist. Ausgeschlossen ist nur eine Freiheitsentziehung als Folge einer Straftat (Art. 1 III lit. g Brüssel IIa-VO).82 Eine Maßnahme zum Schutz des Kindesvermögen (Art. 1 I lit. b, II lit. e) ist auch die Genehmigung einer Erbauseinandersetzung, die ein Verfahrenspfleger für minderjährige Kinder vereinbart hat.83 Beiträge zu den Kosten von Ausbildung und Erziehung fallen nicht unter die elterliche Verantwortung, sondern sind als Unterhalt zu qualifizieren.84
4.47
Als Grundregel sind im Kindesinteresse die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zur Zeit der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 8 I Brüssel IIa-VO).85 Die Staatsangehörigkeit des Kindes ist irrelevant. Wer Kind ist, ist bisher in Art. 2 nicht definiert. Vorgeschlagen wird im Anschluss an Art. 2 KSÜ jede Person bis zum 18. Lebensjahr als Kind anzusehen.86 Die Neufassung der Brüssel IIa-VO 2019 definiert das Kind in Art. 2 II Nr. 8 als Person unter 18 Jahren. Ob ein nasciturus wie ein Kind zu behandeln ist, soll sich nach nationalem Kindschaftsrecht richten.87
4.48
79 EuGH – C-335/17, ECLI:EU:C:2018:359 – Valcheva, FamRZ 2018, 1083; dazu J. Antomo, GPR 2018, 288. 80 U. P. Gruber, IPRax 2005, 293, 296. 81 EuGH – C-436/06 – Rechtssache C, EuGHE 2007, I-10141, FamRZ 2008, 125; dazu A. Dutta, FamRZ 2008, 835; U. P. Gruber, IPRax 2008, 490. 82 EuGH – C-92/12 – HSE v S.C. u. C. (Rz. 63 ff.), FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431 (dazu J. Pirrung, S. 404). 83 EuGH – C-404/14, ECLI:EU:C:2015:653 – Matoušková, FamRZ 2015, 2035. 84 EuGH – C-759/18, ECLI:EU:C:2019:816 – OF v PG, FamRZ 2019, 1989. 85 D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 242; M. Fleige, S. 209 ff.; H. Rausch, FuR 205, 53, 56; V. Kress, S. 106 ff.; ausführlich G. John, Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts und seine Bedeutung im europäischen Privat- und Zivilverfahrensrecht, GPR 2018, 70 u 136. 86 Rauscher/Rauscher, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 24; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 2 Brüssel IIa-VO Rz. 9; Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.45. 87 Rauscher/Rauscher, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 25; Magnus/Mankowski/Pintens, Brussels IIbis Regulation Art. 1 N 67.
299
§ 4 Rz. 4.49 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.49 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist einheitlich (unter Berücksichtigung der Ziele von Erwägungsgrund 12) autonom zu bestimmen.88 Dieser Aufenthalt ist danach nach den bisherigen im Rahmen des Art. 1 MSA89 entwickelten Kriterien (prinzipiell unabhängig vom Wohnsitz und Aufenthalt der Eltern)90 zu bestimmen.91 Abzustellen ist auf den Ort des tatsächlichen Lebensmittelpunkts des Kindes,92 also den Ort, an dem eine gewisse soziale und familiäre Integration des Kindes besteht. Zu berücksichtigen sind Dauer, Regelmäßigkeit und Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat, die Gründe für einen Umzug, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes zu dem betreffenden Mitgliedstaat.93 Bei einem Säugling sind auch die familiäre Herkunft der Mutter sowie ihre familiären und sozialen Bindungen zu dem Aufenthaltsstaat zu berücksichtigen.94 Generell leitet sich der gewöhnliche Aufenthalt kleinerer Kinder vom Aufenthalt beider Elternteile ab.95 Wird ein Kind zwar in einem bestimmten Staat geboren, soll es aber nach dem Willen aller Beteiligten alsbald nach der Geburt nach Deutschland gebracht werden, so hat es nur in Deutschland und nicht im Geburtsstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt.96 Lebt ein Kind seit seiner Geburt in einem Mitgliedstaat und ist der de facto für das Kind sorgende Elternteil dort in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis tätig, so hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat, auch wenn es die Sprache des Heimatstaates dieses Elternteils spricht und sich dort im Rahmen von Ferienaufenthalten aufgehalten hat und der betreuende Elternteil beabsichtigt, in seinen Heimatstaat zurückzukehren.97 Wird ein Kind in der Schulzeit in einem Internat untergebracht, so behält es gleichwohl seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Elternhaus.98 Ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem bestimmten Mitgliedstaat setzt aber mindestens voraus, dass das Kind in dem betreffenden Mitgliedstaat körperlich an88 EuGH – C-512/17, ECLI:EU:C:2018:513 – HR, FamRZ 2018, 1426 = IPRax 2019, 248 (dazu U. P. Gruber, S. 217); EuGHE 2010, I-14309 (Rz. 46), FamRZ 2011, 617 = IPRax 2012, 340 (dazu K. Siehr); M. Andrae, § 9 Rz. 32. 89 Gleiches gilt für Art. 5 I Haager Kinderschutzübereinkommen v. 19.10.1996, BGBl. 2009 II 603 (abgedruckt in Jayme/Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 53), das für Deutschland seit 1.1.2011 anstelle des MSA gilt. 90 BGH, FamRZ 2010, 1070 (Rz. 7); Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.187; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Brüssel IIa-VO Art. 8 Rz. 4. 91 OLG Saarbrücken, IPRspr. 2015 Nr. 245, 609 (Rz. 19): OLG Hamm, IPRspr. 2011, Nr. 249, 636 (18); D. Looschelders, JR 2006, 45, 46; J. Pirrung, FS Kühne, 2009, S. 843, 854. 92 EuGH – C-512/17, ECLI:EU:C:2018:513 – HR v KO, FamRZ 2018, 1426. 93 EuGH – C-523/07 (Rechtssache A), EuGHE 2009, I-280 = FamRZ 2009, 843 = IPRax 2011, 76 (dazu J. Pirrung, S. 50); OLG Stuttgart, FamRZ 2013, 51. 94 EuGHE 2010, I-14309 (Mercredi v Chaffe), FamRZ 2011, 617 (D. Henrich) = IPRax 2012, 34 (dazu K. Siehr, S. 316). 95 EuGH – C-512/17, ECLI:EU:C:2018:513 – HR (Rz. 48 f.), FamRZ 2018, 1426 = IPRax 2019, 248 (dazu U.P. Gruber, S. 217); M. Andrae, § 9 Rz. 36, 42. 96 BGH, FamRZ 2019, 892 (Rz. 19 ff., 21 f.) (v. Bary). 97 EuGH – C-512/17, ECLI:EU:C:2018:513 – HR (Rz. 49–66), FamRZ 2018, 1426 = IPRax 2019, 248 (dazu U.P. Gruber, S. 217). 98 BGH, FamRZ 1975, 272; M. Andrae, § 9 Rz. 37.
300
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.53 § 4
wesend ist.99 Nach h.M. kann ein Kind nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, auch wenn es sich abwechselnd in verschiedenen Staaten aufhält.100 Bei ständigem Aufenthaltswechsel hat das Kind ggf. gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt.101 Bei einem Aufenthaltswechsel kann ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt sogleich begründet werden, wenn der neue Aufenthalt auf Dauer angelegt ist und neuer Lebensmittelpunkt sein soll. Erfolgte der Aufenthaltswechsel rechtswidrig, bedarf es aber einer gewissen realen sozialen Integration, so dass ein gewöhnlicher Aufenthalt im Verbringungsstaat nicht vor sechs Monaten anzunehmen ist.102 Asylsuchende haben am Ort der Erstaufnahmeeinrichtung noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt, können einen solchen aber erwerben, wenn ihr Inlandsaufenthalt trotz Ablehnung des Asylantrags längere Zeit geduldet wird.
4.50
Die Brüssel IIa-VO hat Vorrang vor dem autonomen deutschen Recht (§ 99 FamFG); nach Art. 60 lit. a hat sie im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der EU Vorrang vor dem MSA. Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat, so verdrängt die Brüssel IIa-VO auch das Haager KSÜ von 1996 (Art. 61 lit. a Brüssel IIa-VO).103 Das KSÜ selbst hat nach Art. 51 Vorrang vor dem MSA.
4.51
Ist der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht feststellbar, sind hilfsweise die Gerichte des einfachen Aufenthalts zuständig, sofern eine Zuständigkeit nicht über eine Vereinbarung im Zusammenhang mit einem Ehescheidungsverfahren nach Art. 12 Brüssel IIa-VO besteht (Art. 13 I Brüssel IIa-VO).104 Nach Art. 13 II Brüssel IIa-VO besteht die Zuständigkeit kraft einfachen Aufenthalts auch für Flüchtlingskinder und aufgrund von Unruhen in ihrem Land Vertriebene. Die lediglich kurzzeitige Anwesenheit bei einem Tagesausflug oder einer Zwischenlandung begründet keine Aufenthaltszuständigkeit.105 Freilich wird in diesen Fällen meist ein vorrangiger gewöhnlicher Aufenthaltsort bestehen.
4.52
Abzustellen ist nach Art. 8 I Brüssel IIa-VO auf den gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Antragstellung. Es gilt also der Grundsatz der perpetuatio fori. Ein Wegzug des Kindes in einen anderen EU-Mitgliedstaat oder einen Drittstaat lässt daher die Zuständigkeit nicht entfallen.106 Hierbei bleibt es (entgegen dem Entwurf von 2016)
4.53
99 EuGH – C-393/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:835 – UD v XB (Rz. 52), FamRZ 2019, 132 (K. Siehr); dazu Ch. Thomale, GPR 2019, 173; EuGH – C-499/15, ECLI:EU:C:2017:118 – W u. V (Rz. 60 ff.), FamRZ 2017, 734 (P. Mankowski). 100 Vgl. Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 99 Rz. 39. 101 M. Andrae, § 9 Rz. 39 f.; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 99 Rz. 40. 102 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 99 Rz. 40; ähnlich M. Andrae, § 9 Rz. 45 f. 103 Vgl. Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 60, 61 Brüssel IIa-VO Rz. 9 f.; Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.74. 104 Vgl. V. Kress, S. 129 ff. 105 Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.160. 106 BGH, FamRZ 2010, 720 (Rz. 9); U. Gruber, IPRax 2005, 293, 297; D. Looschelders, JR 2006, 45, 46; Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.112; a.A. bei Wegzug in einen Drittstaat (Türkei) OLG Stuttgart, FamRZ 2013, 49, 50.
301
§ 4 Rz. 4.53 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
auch in der Neufassung der Brüssel IIa-VO (Art. 7 I n.F.). Die fortdauernde Zuständigkeit endet aber in diesem Fall mit der rechtskräftigen Entscheidung zur elterlichen Verantwortung; für eine Abänderung dieser Entscheidung ist die Zuständigkeit neu zu bestimmen.107 Wird der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in einen KSÜ-Staat verlegt, gilt der Grundsatz der perpetuatio fori nicht; die Zuständigkeit kann entfallen.108 Ob das Gericht international zuständig ist, ist in allen Instanzen von Amts wegen zu prüfen. b) Zuständigkeit zur Änderung einer Umgangsentscheidung
4.54 Trotz eines rechtmäßigen Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat unter Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts bleibt die internationale Zuständigkeit des bisherigen Aufenthaltsstaats nach Art. 9 I Brüssel IIa-VO noch drei Monate lang für eine Änderung der bisherigen Umgangsentscheidung erhalten, wenn sich der umgangsberechtigte Elternteil weiterhin im bisherigen Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes aufhält.109 Diese Zuständigkeit entfällt aber, wenn der umgangsberechtigte Elternteil die Zuständigkeit der Gerichte des neuen Aufenthaltsstaats anerkennt, indem er sich an einem dortigen Verfahren beteiligt, ohne die Unzuständigkeit zu rügen (Art. 9 II Brüssel IIa-VO). c) „Verweisung“ in einen EU-Mitgliedstaat
4.55 Allerdings kann das zuständige Gericht das Verfahren von Amts wegen oder auf Antrag an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats „verweisen“, das den Fall besser beurteilen kann (Art. 15 Brüssel IIa-VO).110 Die Regel ist der „forum non conveniens“-Doktrin des common law nachgebildet.111 Die „Verweisung“ kann auf zweierlei Weise erfolgen: (1) Das Gericht setzt sein Verfahren ganz (oder teilweise) aus und lädt die Parteien ein, das besser geeignete Gericht des anderen Mitgliedstaats innerhalb einer bestimmten Frist anzurufen (Art. 15 I 1 lit. a, IV Brüssel IIa-VO). (2) Das Gericht ersucht das besser geeignete Gericht des anderen Mitgliedstaats selbst sich für zuständig zu erklären und den Fall zu übernehmen.112 Voraussetzung für ein Vorgehen nach Art. 15 Brüssel IIa-VO ist, dass das Verfahren an ein Gericht verwiesen werden soll, das nach allgemeinen Regeln nicht zuständig ist. Sind die beteiligten Gerichte nach Art. 8 bzw. Art. 12 Brüssel IIa-VO zuständig, scheidet ein Vorgehen nach Art. 15 Brüssel IIa-VO aus.113 107 EuGH – C-499/15, ECLI:EU:C:2017:118 – W u. V v X, FamRZ 2017, 734 (P. Mankowski). 108 M. Andrae, § 9 Rz. 50. 109 U. Gruber, IPRax 2005, 293, 297; M. Feige, S. 223 ff.; P. Finger, FamRBint 2005, 13, 16 f.; V. Kress, S. 114 ff.; krit. D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 244; vgl. AG Leverkusen, IPRax 2008, 274. 110 Vgl. KG, FamRZ 2006, 1618; F. Klinkhammer, FamRBint 2006, 88. 111 U. Gruber, IPRax 2005, 293, 297; V. Kress, S. 135 ff.; M. Andrae, § 2 Rz. 56, § 9 Rz. 76. 112 OLG Karlsruhe, IPRspr. 2014 Nr. 222, 571; M. Fleige, S. 272 ff. 113 EuGH – C-478/17, ECLI:EU::2018:812 – IQ v JP (Rz. 32 ff.), FamRZ 2019, 53 (P. Mankowski).
302
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.60 § 4
Voraussetzung für ein Vorgehen nach Art. 15 Brüssel IIa-VO ist, dass das Kind eine besondere Verbindung zu dem Staat hat, an den das Verfahren abgegeben werden soll. Art. 15 III Brüssel IIa-VO legt fest, dass eine solche Bindung zu vermuten ist, wenn (1) das Kind nach Anrufung des Gerichts inzwischen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Staat hat, (2) ihn dort hatte, (3) dessen Staatsangehörigkeit besitzt, (4) ein Träger der elterlichen Verantwortung dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder (5) es um Maßnahmen in Bezug auf Kindesvermögen in dem betreffenden Staat geht. Stellt das Gericht dagegen fest, dass die Bindungen des Kindes zum Aufenthaltsstaat stärker sind als zu jedem anderen Staat, scheidet ein Vorgehen nach Art. 15 Brüssel IIa-VO aus.114
4.56
Die „Verweisung“ setzt weiter voraus, dass sie einen realen und konkreten Mehrwert für die Prüfung des anhängigen Falls bringt.115 Erklärt sich das Gericht des anderen Mitgliedstaats innerhalb von sechs Wochen nach seiner Anrufung für zuständig, so erklärt sich das zuerst angerufene Gericht für unzuständig (Art. 15 V 1 Brüssel IIa-VO). Erklärt sich das angerufene Gericht für unzuständig, bleibt untätig oder wird von den Parteien nicht angerufen, so bleibt das zuerst angerufene Gericht zuständig (Art. 15 IV 2, V 3 Brüssel IIa-VO). Damit die „Verweisung“ effektiv gehandhabt wird, sollen die beteiligten Gerichte direkt (per Telefon oder E-Mail) oder über die Zentralbehörden (soweit Dolmetscher nötig sind) zusammenarbeiten (Art. 15 VI Brüssel IIa-VO).
4.57
Gegen Beschlüsse des Gerichts im Rahmen einer grenzüberschreitenden Abgabe ist nach Maßgabe des § 13a IV IntFamRVG die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO zulässig. Anfechtbare Beschlüsse werden erst mit Rechtskraft wirksam (§ 13a IV 3 IntFamRVG). Die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen (§ 13a IV 2 IntFamRVG).
4.58
d) Zuständigkeits„vereinbarung“ In engen Grenzen sieht Art. 12 Brüssel IIa-VO auch eine Gerichtsstandsbegründung durch Einverständnis der Beteiligten vor, wenn (1) in einem Mitgliedstaat bereits eine Ehesache anhängig ist (Art. 12 I Brüssel IIa-VO) oder (2) wenn mit einem anderen Mitgliedstaat eine wesentlich engere Verbindung des Kindes besteht (Art. 12 III Brüssel IIa-VO).116
4.59
(1) Das (nach Art. 3 Brüssel IIa-VO zuständige) Gericht der Ehesache ist für das Verfahren über die elterliche Verantwortung als Annexverfahren zuständig, wenn
4.60
(1) wenigstens einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind hat (Art. 12 I lit. a) und
114 EuGH – C-530/18, ECLI:EU:C:2019:583 – EP v FO (Rz. 35), FamRZ 2019, 2004, 2006. 115 EuGH – C-428/15, ECLI:EU:C:2016:819 – Child and Family Agency, FamRZ 2016, 2071 (S. L. Gössl). 116 M. Fleige, S. 237 ff.; U. Gruber, IPRax 2005, 293, 298; V. Kress, S. 127 ff.; P. Finger, FamRBint 2005, 13, 15; St. Papst, Liber amicorum Rauscher, S. 115, 120 ff.
303
§ 4 Rz. 4.60 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
(2) die Ehegatten bzw. die Träger der elterlichen Verantwortung mit der Zuständigkeit einverstanden sind und dies dem Wohl des Kindes entspricht (Art. 12 I lit. b Brüssel IIa-VO).117 Diese Zuständigkeit wird praktisch, wenn sich das Kind in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat aufhält und das Verfahren dort schwieriger durchführbar ist.118 Wird für die Scheidung ein Gericht in einem Staat angerufen, in dem das Kind nicht seinen Aufenthalt hat, so muss der Antragsgegner diese Zuständigkeit für Verfahren über die elterliche Verantwortung ausdrücklich oder doch eindeutig anerkennen. Ein auf Grund gemeinsamer Staatsangehörigkeit angerufenes Scheidungsgericht ist also nicht automatisch auch für Sorgerechtsverfahren für das minderjährige Kind zuständig.119 Die Zuständigkeit endet mit rechtskräftigem Abschluss der Ehesache, ist zu diesem Zeitpunkt das Sorgerechtsverfahren bereits anhängig, aber erst mit seinem rechtskräftigen Abschluss. Die Zuständigkeit endet auch mit der sonstigen Beendigung von Ehe- bzw. Sorgerechtsverfahren (Art. 12 II Brüssel IIa-VO). Sachlich muss ebenfalls ein Zusammenhang mit der Ehesache bestehen. Daran fehlt es etwa beim Streit über Kontaktrechte Dritter oder um den Entzug der elterlichen Sorge für beide Elternteile.120
4.61 (2) Eine Zuständigkeit kraft engerer Verbindung des Kindes besteht insbesondere, wenn einer der Träger der elterlichen Verantwortung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Mitgliedstaat hat oder wenn das Kind dessen Staatsangehöriger ist. Ein anderes anhängiges Verfahren ist nicht erforderlich. Die Zuständigkeit wird dann begründet, wenn alle Parteien die Zuständigkeit bei Anrufung des Gerichts „anerkennen“ und dies in Einklang mit dem Kindeswohl steht (Art. 12 III Brüssel IIaVO). Rufen die Eltern eines minderjährigen Kindes gemeinsam das Gericht eines anderen Mitgliedstaates an, so liegt darin ihr Einverständnis mit der Zuständigkeit dieses Gerichts. Allerdings müssen alle Beteiligten einverstanden sein; hierzu gehört auch ein Staatsanwalt, der nach dem nationalen Recht die Interessen des Kindes zu vertreten hat121 Eine engere Beziehung des Kindes zum Gerichtsstaat besteht, wenn es selbst Staatsangehöriger des Gerichtsstaates ist und es um die Entscheidung über einen im Gerichtsstaat belegenen Nachlass geht.122 Die Zuständigkeit wird nicht anerkannt, wenn ein Elternteil die Unzuständigkeit mit seiner ersten Verfahrenshandlung geltend macht.123 Dem Kindeswohl kann die Inanspruchnahme der Zuständigkeit widersprechen, wenn dem Kind eine Reise zum Gericht zur Anhörung nicht zu117 D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 242; V. Kress, S. 119 ff. 118 D. Looschelders, JR 2006, 45, 47. 119 EuGH – C-759/18, ECLI:EU:C:2019:816 – OF v PG (Rz. 41 ff.), FamRZ 2019, 1989, 1991. 120 Vgl. Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.146.; Rauscher/Rauscher, Brüssel IIaVO, Art. 12 Rz. 6. 121 EuGH – C-565/16, ECLI:EU:C:2018:265 – Saponaro (Rz. 25, 29), FamRZ 2018, 1015 = IPRax 2019, 245 (dazu B. Heiderhoff, S. 213). 122 EuGH – C-565/16, ECLI:EU:C:2018:265 – Saponaro (Rz. 36), FamRZ 2018, 1015 = IPRax 2019, 245 (dazu B. Heiderhoff). 123 EuGH – C-436/13, ECLI:EU:C:2014:2246 – E, FamRZ 2015, 24 = IPRax 2015, 244 (dazu M. Andrae, S. 212); EuGH – C-656/13, ECLI:U:C: 2014:2364 – L v. M, FamRZ 2015, 205; dazu P. Mankowski, NZFam 2015, 94.
304
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.65 § 4
zumuten ist oder eine Anhörung mit Hilfe eines Dolmetschers nicht sinnvoll erscheint.124 Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, der nicht Vertragsstaat des Haager Kindesschutzübereinkommens v. 19.10.1996 ist, und ist im Drittstaat ein Sorgerechtsverfahren unmöglich, so wird vermutet, dass ein auf Art. 12 Brüssel IIa-VO gestütztes Verfahren dem Kindeswohl entspricht (Art. 12 IV Brüssel IIa-VO).
4.62
e) Autonome Restzuständigkeit Auch für Sorgerechtsverfahren besteht nach Art. 14 Brüssel IIa-VO hilfsweise eine Restzuständigkeit nach autonomem nationalem Recht. Voraussetzung dafür ist, dass sich aus Art. 8 bis 13 Brüssel IIa-VO keine Zuständigkeit ergibt,125 also ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes nicht festgestellt werden kann.126 In Betracht kommt im Wesentlichen eine Zuständigkeit kraft Staatsangehörigkeit (§ 99 I Nr. 1 FamFG)127 oder aufgrund eines Fürsorgebedürfnisses (§ 99 I 2 FamFG), wenn sich das Kind nicht in einem EU-Mitgliedstaat aufhält.128 Eine Kindeswohlprüfung ist nicht erforderlich.129
4.63
f) Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen Für einstweilige Maßnahmen besteht für dringende Fälle ergänzend stets eine Zuständigkeit nach autonomem Recht, soweit dies zum Schutz einer Person oder von Vermögensgegenständen, die sich in dem Staat befinden, erforderlich ist, auch wenn nach Art. 8 ff. ein anderer Mitgliedstaat zuständig wäre (Art. 20 I Brüssel IIa-VO). Die einstweilige Maßnahme muss (1) dringend sein, (2) sie darf nur in Bezug auf Personen in dem betreffenden Mitgliedstaat getroffen werden, und (3) sie muss vorübergehender Art sein.130
4.64
Solche Maßnahmen treten aber außer Kraft, wenn das nach der Brüssel IIa-VO für das Hauptsacheverfahren zuständige Gericht Maßnahmen erfasst, die es für angemessen hält (Art. 20 II Brüssel IIa-VO). Hat das für das Hauptverfahren zuständige Gericht bereits eine Entscheidung erlassen, so darf aufgrund von Art. 20 Brüssel IIaVO keine einstweilige Maßnahme mehr erlassen werden.131 Als Beispiel wird die
4.65
124 Vgl. M. Andrae, § 9 Rz. 70. 125 V. Kress, S. 131 ff.; P. Finger, FamRBint 2005, 13, 16. Zu den Schwierigkeiten der Feststellung s. D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 243 f. 126 M. Andrae, § 9 Rz. 21, 72. 127 Vgl. M. Andrae, § 9 Rz. 72. 128 O. Beller, ZFE 2010, 52, 54; M. Andrae, § 9 Rz. 73. 129 U. Gruber, IPRax 2005, 293, 299; krit. D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 244. 130 EuGH v. 2.4.2009 – C-523/07, ECLI:EU:C:2009:225 – A = FamRZ 2009, 843, IPRax 2011, 76 (dazu J. Pirrung, S. 50). 131 EuGH – C-403/09 PPU, EuGHE 2009, I-12242 – Detiček, FamRZ 2010, 525 (D. Henrich) = IPRax 2011, 190 (dazu U. Janzen/V. Gärtner).
305
§ 4 Rz. 4.65 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
einstweilige Unterbringung eines Kindes genannt, wenn die Eltern bei einem Verkehrsunfall in einem Durchreiseland handlungsunfähig verletzt worden sind.132
4.66 Art. 20 Brüssel IIa-VO begründet jedenfalls keine Zuständigkeit für eine Entscheidung in der Hauptsache.133 4.67 Ist in der Hauptsache das Gericht eines Drittstaats zuständig, ist nicht Art. 20 Brüssel IIa-VO anwendbar, sondern greifen die Art. 11 ff. KSÜ.134 g) Zuständigkeit bei Kindesentführung
4.68 Wird ein Kind widerrechtlich in einen anderen Mitgliedstaat verbracht oder dort zurückgehalten, so bleiben die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, für Verfahren über die elterliche Verantwortung so lange zuständig, bis das Kind in einem anderen Mitgliedstaat einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat (Art. 10 Brüssel IIa-VO). Eine Zuständigkeit des Zufluchtsstaats besteht nicht, solange die Gerichte des „Entführungsstaats“ zuständig sind.135 4.69 Die Gerichte des neuen Aufenthaltsstaats werden nur zuständig, wenn (1) jede sorgeberechtigte Person oder Stelle dem Vorbringen oder Zurückhalten zugestimmt hat, also kein Entführungsfall (mehr) vorliegt,136 oder (2) sich das Kind bereits mindestens ein Jahr in dem neuen Staat aufhält, der Sorgeberechtigte seinen Aufenthalt kennt und sich das Kind in der neuen Umgebung eingelebt hat, sofern zusätzlich kein Antrag auf Rückgabe des Kindes innerhalb eines Jahres ab Kenntnis vom Aufenthaltsort des Kindes gestellt,137 ein gestellter Antrag zurückgenommen und nicht neu gestellt, ein Rückgabeverfahren nach Art. 11 VII Brüssel IIa-VO ergebnislos abgeschlossen, oder von den Gerichten des bisherigen Aufenthaltsstaats eine (neue) Sorgerechtsentscheidung ohne Rückgabeanordnung erlassen wurde. Eine nur vorläufige Regelung ist keine Sorgerechtsentscheidung, die zum Übergang der Zuständigkeit auf den „Zufluchtsstaat“ führen kann.138 Wird insoweit ein unzuständiges Gericht angerufen, hat es sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären (Art. 17 Brüssel IIa-VO).
132 Vgl. U. Gruber, IPRax 2005, 293, 299. 133 EuGHE 2010, I-7353 (Purrucker v Vallés Pérez I), NJW 2010, 2861 (Rz. 61) = IPRax 2011, 378 (dazu J. Pirrung, S. 351); EuGHE 2010, I-11163 (Purrucker II), NJW 2011, 363, 364 (Rz. 70) = FamRZ 2011, 534. 134 D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 245. 135 D. Coester-Waltjen, FamRZ 2005, 241, 245; M. Fleige, S. 290 ff.; H. Rausch, FuR 2005, 53, 57; V. Kress, S. 149 ff. 136 EuGH – C-85/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:220 – CV v DU, FamRZ 2018, 1430. 137 Zu Art. 3 I Brüssel II-VO s. insoweit BGHZ 163, 248, 259 ff. = FamRZ 2005, 1540, 1543 f = NJW 2005, 3424. 138 EuGHE 2010, I-6673 (Doris Povse v Mauro Alpago), NJW 2010, 2863 = FamRZ 2010, 1229 (dazu A. Schulz, S. 1307).
306
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.75 § 4
In der Neufassung durch die VO 2019/1111 wird Art. 9 lit. b iii) und iv) neu gefasst. Die Gerichte des neuen Aufenthaltsstaates werden danach nach einem Jahr Aufenthalt bereits zuständig, wenn ein vom Sorgeberechtigten gestellter Rückgabeantrag aus anderen Gründen als denen des Art. 13 II HKÜ rechtskräftig abgelehnt wurde (lit. b iii) oder wenn in dem ursprünglichen Aufenthaltsstaat entgegen Art. 29 III, V EuEheVO n.F. (Brüssel IIb-VO) innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis von der ablehnenden Entscheidung kein Gericht im ursprünglichen Aufenthaltsstaat angerufen wurde.
4.70
Hat der Herkunftsstaat besondere Vorkehrungen zum Schutz des Kindes getroffen, besteht grds. eine Rückführungspflicht. Diese kann nach Art. 13 I lit. b HKÜ nur verweigert werden, wenn eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind besteht oder durch die Rückführung eine unzumutbare Lage entstünde.139 Nach Art. 11 IV Brüssel IIa-VO gilt dies aber nicht, wenn angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um das Kind nach der Rückkehr zu schützen.
4.71
Einzelheiten des Verfahrens zur Rückgabe des Kindes ergeben sich aus Art. 11 Brüssel IIa-VO, den Art. 12 und 13 des Haager Kindesentführungsübereinkommens von 1980 sowie aus den §§ 37 ff. IntFamRVG.140 Das HKÜ regelt dabei nur die Art und Weise der Rückgabe des Kindes über die Zentrale Behörde,141 nicht aber gerichtliche Zuständigkeiten.
4.72
Die Widerrechtlichkeit einer internationalen Kindesentführung kann nachträglich entfallen, wenn eine Sorgerechtsentscheidung zugunsten des entführenden Elternteils durch die in der Sache zuständigen Heimatbehörden ergeht.142 Art. 11 VII, VIII Brüssel IIa-VO verbieten es nicht, die Prüfung von Fragen der Kindesrückgabe einem spezialisierten Gericht zu übertragen.143
4.73
Hat das Gericht die Rückgabe eines Kindes gem. Art. 13 HKÜ abgelehnt, muss es eine Abschrift dieser Entscheidung samt Unterlagen über die Anhörung der Beteiligten dem zuständigen des Gericht des Entführungsstaates (über die zentralen Stellen) vorlegen (Art. 11 VI Brüssel IIa-VO). Das Gericht des Entführungsstaates hat die Parteien von dieser Entscheidung zu unterrichten und sie einzuladen, binnen drei Monaten bei dem Gericht des Herkunftsstaates Sorgerechtsanträge zu stellen (Art. 11 VII Brüssel IIa-VO).
4.74
Selbst wenn das Gericht des Aufenthaltsstaates die Rückgabe nach Art. 13 HKÜ verweigert hat, kann das Gericht des Herkunftsstaats nach umfassender Würdigung des
4.75
139 Vgl. F. Mohs, FamPra.ch 2005, 39, 47 ff.; V. Kress, S. 158 ff.; Staudinger/Pirrung, (2018) Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. C 67 ff.; R. Shuz, Hague Child Abduction Convention, 2013, S. 245 ff., 270 ff. 140 Vgl. A. Dutta/J. Scherpe, Die Durchsetzung von Rückführungsansprüchen nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen durch deutsche Gerichte, FamRZ 2006, 901. 141 Vgl. P. Finger, FamRZ 2012, 316. 142 AG Stuttgart, IPRspr. 2013 Nr. 124, 250. 143 EuGH – C-498/14 PPU, ECLI:EU:C:2015:3 – Bradbrooke, FamRZ 2015, 562.
307
§ 4 Rz. 4.75 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Kindeswohls144 die Rückgabe des Kindes gem. Art. 11 VIII Brüssel IIa-VO anordnen und diese Entscheidung gem. Art. 40 lit. b, 42 Brüssel IIa-VO mit einer Bescheinigung als Europäischer Vollstreckungstitel versehen. Hiergegen gibt es im Vollstreckungsstaat keinen Rechtsbehelf mehr.145
4.76 In allen Fällen der Kindesentführung, insb. aber in Fällen der Ablehnung der Rückgabe nach Art. 11 VI, VII Brüssel IIa-VO haben die Zentralen Behörden der betroffenen Staaten alle nötigen Informationen auszutauschen, um eine Verständigung zwischen den Gerichten zu erleichtern (Art. 55 lit. c Brüssel IIa-VO) (s. Rz. 7.68). 4.77 Die Neufassung der Brüssel IIa-VO (Nr. 2019/1111) sieht vor, dass das Kind stets ein Recht auf Meinungsäußerung im Verfahren hat (Art. 21 I). Wird die Rückgabe eines Kindes nach Art. 13 HKÜ abgelehnt, soll das Gericht im Entführungsstaat auf Antrag in kurzer Frist über das Sorgerecht entscheiden. Eine dann ergehende Sorgerechtsentscheidung „mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird“, ist in allen Mitgliedstaaten ungeachtet der früheren Ablehnung der Rückgabe des Kindes vollstreckbar (Art. 29 VI Brüssel IIa-VO 2019). Wegen einer neu aufgetretenen schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind kann die Vollstreckung aber abgelehnt werden (Art. 56 IV, VI Brüssel IIa-VO 2019). 2. KSÜ und MSA 4.78 Schrifttum: Ch. Benicke, in NK-BGB, Anh. I u II zu Art. 24 EGBGB, Bd. 1, 3. Aufl. 2016, S.
2207 u. 2245; E. Gitschthaler/R. Huter, Internationales Familienrecht, 2019, S. 835; J. Krah, Das Haager Kinderschutzübereinkommen, 2004; J. Kropholler, Das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 379; Rauscher/Hilbig-Lugani, KSÜ, in EuZPR/EuIPR, Bd. V, 4. Aufl. 2016, S. 3; St. Schmahl, Kinderrechtskonvention, 2012; A. Schulz, Das deutsche internationale Kindschaftsrecht, FamRZ 2018, 797, 800; K. Siehr, Das neue Haager Übereinkommen von 1996 über den Schutz von Kindern, RabelsZ 62 (1998), 464; Staudinger/Pirrung (Bearb. 2018), Vorbem. D (KSÜ) zu Art. 19 EGBGB.
4.79 Die Brüssel IIa-Verordnung hat im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten Vorrang vor KSÜ (Art. 61 Brüssel IIa-VO) und MSA (Art. 60 lit. a Brüssel IIa-VO). Beide sind also nur im Verhältnis zu Nicht-EU-Vertragsstaaten anwendbar, d.h. wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem EU-Mitgliedstaat hat146 4.80 Das Haager Kinderschutzübereinkommen v. 19.10.1996147 (KSÜ) hat auch insoweit seit 1.1.2011 Vorrang vor dem MSA (Art. 51 KSÜ). Das KSÜ findet danach (Stand .2019) Anwendung im Verhältnis zu Albanien, Armenien, Australien, Barbados (seit 1.5.2020), Dänemark, Dominikanische Republik, 144 Zur Praxis der Gerichte bei der Berücksichtigung des Kindeswohls s. F. Maoli/G. Sciaccaluga u.a., Giving a voice to the child’s best interests, EuLF 2018, 155. 145 EuGHE 2010, I-6673 (Povse) (Rz. 70 ff.), NJW 2010, 2863 = FamRZ 2010, 1229. 146 OLG Saarbrücken, IPRspr. 2015 Nr. 245, 609 (Rz. 14); OLG Karlsruhe, ECLI:DE: OLGKARL:2015:1217.5UF184.15.0A (Rz. 12); Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.74. 147 BGBl. 2009 II, 603.
308
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.84 § 4
Ecuador, Fidschi (seit 1.4.2019), Georgien, Guyana (seit 1.12.2019), Honduras (seit 1.8.2018), Kuba, Lesotho, Marokko, Monaco, Montenegro, Nicaragua (seit 1.12.2019), Paraguay (seit 1.7.2019), der Russ. Föderation, der Schweiz, Serbien, der Türkei (seit 1.2.2017), der Ukraine und Uruguay. Das MSA ist danach nur noch im Verhältnis zu China-Macau anwendbar. Auf eine Darstellung wird daher verzichtet. Nach Art. 3 KSÜ ist das Übereinkommen anwendbar auf Maßnahmen über (a) die Zuweisung, Entziehung und Übertragung der elterlichen Verantwortung, (b) das Sorgerecht und das Umgangsrecht, (c) die Vormundschaft und Pflegschaft, (d) die Bestimmung des Sorgeberechtigten, (e) die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim, (f) die behördliche Aufsicht über die Betreuungsperson des Kindes und (g) die Verwaltung des Kindesvermögens.148
4.81
International zuständig sind Gerichte bzw. Behörden des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 5 I KSÜ). Bei einem Aufenthaltswechsel werden die Gerichte des Staats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig (Art. 5 II KSÜ). Das Gericht der Scheidungssache ist nach Art. 10 I KSÜ ebenfalls zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen. Diese Zuständigkeit endet aber sobald das Scheidungsurteil rechtskräftig geworden ist oder das Eheverfahren sonst beendet wurde (Art. 10 II KSÜ).149 Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt nicht (vgl. Art. 5 II KSÜ); maßgebend ist insoweit also der gewöhnliche Aufenthalt zur Zeit der Entscheidung des Gerichts150.
4.82
Für Flüchtlingskinder sind die Gerichte des aktuellen Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 6 I KSÜ). Gleiches gilt für Kinder, deren gewöhnlicher Aufenthalt nicht festgestellt werden kann (Art. 6 II KSÜ).
4.83
In Fällen von Kindesentführung bleiben die Gerichte des Staats des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 7 KSÜ (entsprechend Art. 10 Brüssel IIa-VO) zuständig, bis alle Sorgeberechtigten das Verbringen oder Zurückhalten genehmigt haben, oder sich das Kind ein Jahr lang in dem Verbringungsstaat aufgehalten hat, kein während dieses Zeitraums gestellter Antrag auf Rückgabe mehr anhängig ist, und sich das Kind in dem neuen Umfeld eingelebt hat. Dadurch soll verhindert werden, dass ein Konflikt mit einer Rückgabeanordnung nach Art. 12 KSÜ oder einer gesetzlichen Zuweisung (Art. 16 KSÜ) entsteht.151 Nach Art. 50 KSÜ lässt das Übereinkommen die Regeln des HKÜ unberührt. Solange danach Gerichte/Behörden des Entführungsstaates zuständig sind, dürfen die Gerichte des aktuellen Aufenthaltsstaats nur dringliche Schutzmaßnahmen nach Art. 11 KSÜ erlassen.
4.84
148 Staudinger/Pirrung, (2018) Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 26 ff. 149 OLG Karlsruhe, ECLI:DE:OLGKARL:2015:1217.5UF184.15.0A (Rz. 13); M. Andrae, § 9 Rz. 65; Benicke in NK-BGB, Art. 10 KSÜ Rz. 6. 150 M. Andrae, § 9 Rz. 50; Benicke in NK-BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 3; Staudinger/Pirrung, (2018) Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 48. 151 Benicke in NK-BGB, Art. 7 KSÜ Rz. 4.
309
§ 4 Rz. 4.85 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.85 Ähnlich wie nach Art. 15 Brüssel IIa-VO kann das Gericht/die Behörde eines Vertragsstaats das Verfahren nach Art. 8 KSÜ an die Behörde eines anderen Vertragsstaats abgeben, wenn diese besser geeignet ist, das Kindeswohl im konkreten Einzelfall zu beurteilen.152 4.86 Das Übernahmeersuchen kann auch von dem anderen Vertragsstaat ausgehen (Art. 9 KSÜ). Anders als nach der Brüssel IIa-VO ist die Abgabe in beiden Fällen auch ohne das Einverständnis der Beteiligten möglich.153 4.87 Schließlich besteht eine Annexzuständigkeit des Gerichts der Ehesache aus Anlass der Scheidung etc Maßnahmen zur elterlichen Verantwortung zu treffen (Art. 10 KSÜ), sofern (1) wenigstens ein Elternteil die elterliche Verantwortung für das Kind hat und sich gewöhnlich in dem Staat des Eheverfahrens aufhält und (2) die Eltern und jeder andere Sorgeberechtigte mit dieser Zuständigkeit einverstanden sind und diese Zuständigkeit dem Kindeswohl entspricht.154 4.88 Ist ein Gericht nach dem KSÜ zuständig, gilt der Gleichlaufgrundsatz. Das Gericht wendet gem. Art. 15 I KSÜ grundsätzlich sein eigenes Recht an.155 4.89 Da das MSA nur noch im Verhältnis zu China-Macau gilt, wird von einer Darstellung abgesehen. Das ESG 1980 befasst sich nur mit der Anerkennung von Entscheidungen nach einem unzulässigen Verbringen eines Kindes über eine Grenze, regelt aber keine Entscheidungszuständigkeit. 3. Haager Kindesentführungs-Übereinkommen
4.90 Schrifttum: A. Bach/B. Gildenast, Internationale Kindesentführung, 1999; M. Baruffi, A
child-friendly area of freedom, security and justice: work in progress in international child abduction cases, JPIL 14 (2018), 385; P. Beaumont/P. McEleavy, The Hague Convention on International Child Abduction, 1999; Ch. Benicke, in NK-BGB, Anh. III zu Art. 24 EGBGB, 3. Aufl. 2016, S. 2271; D. Coester-Waltjen, Die Bedeutung des gewöhnlichen Aufenthalts im Haager Kindesentführungsübereinkommen, FS 75 Jahre MPI, 2001, S. 543; D. Coester-Waltjen, „Brüssel II“ und das „Haager Kindesentführungsübereinkommen“, FS W. Lorenz, 2001, S. 305; A. Dutta/J. Scherpe, Die Durchsetzung von Rückführungsansprüchen nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen durch deutsche Gerichte, FamRZ 2006, 901; S. Ehrle, Anwendungsprobleme des Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, 2000; E. Gitschthaler/M. Nademleinsky, Internationales Familienrecht, 2019, S. 1583; A. Hanke, Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts in KÜ-Verfahren durch kanadische Gerichte, FamRB 2020, 39; T. Helms, Zivilrechtliche Aspekte internationaler Kindesentführungen, Jb Junger Zivilrechtswiss 2000/01, S. 267; P. McEleavy/ A. Fiorini, The Hague Convention on International Child Abduction, 2d ed. 2019; Ch. Mol/ 152 Benicke in NK-BGB, Art. 8, 9 KSÜ Rz. 1 ff.; Staudinger/Pirrung, (2018) Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 59 ff. 153 Motzer/Kugler/Grabow, Kinder aus Migrationsfamilien in der Rechtspraxis, 2. Aufl. 2012, Rz. 194; Staudinger/Pirrung, (2018) Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 70. 154 Staudinger/Pirrung, (2018) Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 72 ff. 155 Benicke in NK-BGB, Art. 15 KSÜ Rz. 1.
310
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.93 § 4 Th. Kruger, International child abduction and the best interests of the child: an analysis of judicial reasoning in two jurisdictions, JPIL 14 (2018), 421; O. Momoh, The interpretation and application of Article 13 (1) (b) of the Hague Child Abduction Convention in cases involving domestic violence, JPIL 15 (2019), 626; J. Paton, The correct approach to the examination of the best interests of the child in abduction convention proceedings ..., JPIL 8 (2012), 547; S. Schoch, Die Auslegung der Ausnahmetatbestände des Haager KindesentführungsÜbereinkommens, 2004; R. Schuz, The Hague Child Abduction Convention, 2013; K. Schweppe, Die Beteiligung des Kindes am Rückführungsverfahren nach dem HKÜ, FPR 2001, 203; Staudinger/Pirrung, Vorbem. E zu Art. 19 EGBGB (HKÜ), Bearb. 2018, S. 405; W. Vomberg/ K. Nehls, Rechtsfragen der internationalen Kindesentführung, 2002. Elisa Pérez-Vera, Erläuternder Bericht zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BT-Drucks. 11/5314,38.
Das HKÜ ist ohne die Modifikation nach Art. 11 Brüssel IIa-VO zwischen den Vertragsstaaten anzuwenden, die nicht EU-Mitgliedstaaten sind.156 Anwendbar ist das HKÜ nach Art. 4, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat.157 Wo das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, richtet sich nicht allein nach dem übereinstimmenden Willen der Eltern oder nach der Eingewöhnung des Kindes an einem Orte, vielmehr sind alle relevanten Informationen und Fakten, auch die Umstände, die zu einem Umzug geführt haben, mit heranzuziehen.158
4.91
a) Anwendungsbereich Wird ein Kind widerrechtlich, d.h. unter Verletzung des Sorgerechts, aus dem Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts (s. Rz. 48) in einen anderen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten (Art. 3 HKÜ), so kann nach Art. 8 ff. HKÜ Rückgabe des Kindes in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts begehrt werden. Das gilt auch, wenn das widerrechtliche Zurückhalten in einem Staat begonnen hat, der nicht Vertragsstaat des HKÜ ist.159 Sorgerecht i.S.d. HKÜ umfasst die Personensorge einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts (Art. 5 lit. a HKÜ). Steht das Sorgerecht den Eltern gemeinsam zu, ist es verletzt, wenn das tatsächlich ausgeübte Sorgerecht des einen Elternteils verletzt wird.160 Die Beeinträchtigung des Umgangsrechts genügt nicht.161
4.92
b) Rückführungsantrag Den Rückführungsantrag kann die Person stellen, deren Sorgerecht verletzt ist. Der Antrag kann nach Art. 8 HKÜ bei der zentralen Behörde des Staates des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts oder bei der zentralen Behörde des Verbringungsstaates gestellt werden. In Deutschland leitet die zentrale Behörde sodann ein erforderliches 156 Das HKÜ ist derzeit von 98 Staaten ratifiziert worden; s. Jayme/Hausmann, Nr. 222 Fn. 1; Benicke in NK-BGB, Art. 1 HKÜ Rz. 5 f. 157 Verneint für Flüchtlingslager in Ostjerusalem AG Koblenz, FamRZ 2013, 52. 158 Vgl. A. Hanke, FamRB 2020, 39, 40 f. 159 KG, IPRax 2018, 529 (dazu K. Siehr, S. 498). 160 OLG Dresden, FamRZ 2002, 1136; M. Andrae, § 9 Rz. 220; Benicke in NK-BGB, Art. 3 HKÜ Rz. 2. 161 Benicke in NK-BGB, Art. 3 HKÜ Rz. 3.
311
4.93
§ 4 Rz. 4.93 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Gerichtsverfahren ein (§ 6 II 1 IntFamRVG) und gilt aufgrund der Antragstellung als bevollmächtigt, für den Antragsteller gerichtlich und außergerichtlich tätig zu werden (§ 6 II 2 IntFamRVG). Nach § 42 IntFamRVG kann der Antragsteller den Antrag bei einer Entführung aus Deutschland auch bei dem AG gestellt werden, in dessen Bezirk er seinen eigenen gewöhnlichen Aufenthalt, notfalls seinen einfachen Aufenthalt, hat. Das Gericht übermittelt den Antrag dann der zentralen Behörde. Nach Art. 29 HKÜ kann der Antrag schließlich auch unmittelbar bei dem zuständigen Gericht des aktuellen Aufenthaltsstaates gestellt werden. Da die zentrale Behörde in jedem Fall einzuschalten ist, etwa um eine gütliche Einigung zu versuchen oder um Vorkehrungen für die Rückgabe zu veranlassen (s. Art. 7 HKÜ), ist der Antrag bei der zentralen Behörde (des Herkunftslandes) vorteilhafter.162
4.94 An dem Verfahren ist neben dem Antragsteller und dem Antragsgegner (der Person, in deren Obhut sich das Kind befindet) auch das Kind selbst nach Art. 103 I GG zu beteiligen; ggf. ist ihm ein Verfahrenspfleger zu bestellen.163 Falls erforderlich kann das Gericht zum Schutz des Kindes eine einstweilige Anordnung erlassen (s. Rz. 17.96 ff., 17.100 ff.). Im Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG). 4.95 Ist noch kein Jahr seit der Entführung vergangen, so ordnet das zuständige Gericht des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, grds. die sofortige Rückgabe an (Art. 12 I HKÜ). Nach Art. 15 HKÜ kann vom Antragsteller aber die Vorlage einer Bescheinigung des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes über die Widerrechtlichkeit des Verbringens oder Zurückhaltens verlangt werden. In Deutschland stellt diese Bescheinigung das Familiengericht auf Antrag gem. § 41 IntFamRVG aus. c) Ablehnungsgründe
4.96 Die Rückgabe darf nur abgelehnt werden, wenn (1) der Sorgeberechtigte sein Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt oder der Entführung nachträglich zugestimmt hat (Art. 13 I lit. a HKÜ), oder (2) wenn die Rückgabe zu einer schwerwiegenden Gefahr für Körper oder Seele des Kindes führen oder das Kind in eine unzumutbare Lage kommen würde (Art. 13 I lit. b HKÜ) (s. Rz. 4.71 ff.).164 Für diese Gründe trägt der Antragsgegner die Darlegungs- und Beweislast.165 Obwohl das HKÜ dazu schweigt, kann der Nachweis angemessener Vorkehrungen zum Schutz des Kindes dazu führen, dass die Rückgabe aus dem Grund (2) nicht verweigert werden darf.166 162 Vgl. M. Andrae, § 9 Rz. 228; Benicke in NK-BGB, Art. 8–10 HKÜ Rz. 2. 163 BVerfG, FamRZ 2006, 1261. 164 OLG Stuttgart, NZFam 2019, 121 (P. Mankowski); OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577; Benicke in NK-BGB, Art. 13 HKÜ Rz. 16 ff.; K. Meyer/L. Mazenauer, Internationale Kindesentführung, Fampra.ch 2013, 57; O. Momoh, JPIL 15 (2019), 626. 165 M. Andrae, § 9 Rz. 242; Benicke in NK-BGB, Art. 13 HKÜ Rz. 4. 166 Vgl. R. Shuz, S. 291 ff. Zu Art. 11 IV Brüssel IIa-VO s. Rz. 4.56.
312
II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.100 § 4
Außerdem kann das Gericht die Anordnung der Rückgabe ablehnen, wenn sich das Kind selbst der Rückgabe widersetzt und nach seinem Alter und seiner Reife seine Meinung zu berücksichtigen ist (Art. 13 II HKÜ). Regelmäßig ist der Wille des Kindes aber dem Alter von 10 Jahren zu respektieren, doch kann auch ein jüngeres Kind, etwa ab vier Jahren einen relevanten Willen äußern.167 Hinreichende Reife hat ein Kind jedenfalls ab 13 oder 14 Jahren. Es gibt aber Entscheidungen, die die Reife im Einzelfall schon ab einem Alter von 7 Jahren bejaht haben.168 Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Gericht die Lage des Kindes vor und nach der Rückgabe gegeneinander abzuwägen. Bei Geschwistern ist der will jedes einzelnen Kindes zu beachten, doch sollten Geschwister nicht ohne Not getrennt werden.169
4.97
Schließlich kann die Rückgabe nach Art. 20 HKÜ abgelehnt werden, wenn sie nach den eigenen Grundwerten über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist. Regelmäßig dürften derartige Fälle bereits von Art. 13 I lit. b HKÜ erfasst sein (s. Rz. 4.96).
4.98
Eine neue (oder eine bevorstehende neue) Sorgerechtsentscheidung im ersuchten Staat ist prinzipiell kein Grund die Rückgabe zu verweigern; die Gründe, die zur neuen Entscheidung geführt haben, dürfen aber bei der Rückgabeentscheidung berücksichtigt werden (Art. 17 HKÜ). Ist den Gerichten des Verbringungsstaates das widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten (direkt oder durch die zentrale Behörde) mitgeteilt worden, so dürfen sie darüber hinaus keine neue Sorgerechtsentscheidung erlassen, solange nicht entschieden ist, dass das Kind nach dem HKÜ nicht zurückzugeben ist oder innerhalb angemessener Frist kein Rückgabeantrag gestellt worden ist (Art. 16 HKÜ). Ist das Kind allerdings tatsächlich zurückgegeben worden, bildet Art. 16 HKÜ kein Verfahrenshindernis mehr, um eine neue Sorgerechteentscheidung zu erlassen.170
4.99
Wird der Antrag verspätet, also erst nach Ablauf eines Jahres, gestellt, so wird die Rückgabe ebenfalls angeordnet, es sei denn es werde nachgewiesen, dass sich das Kind in die neue Umgebung eingelebt habe (Art. 12 II HKÜ). Die Frist beginnt bei einem Zurückhalten mit dem Tag, an dem das Kind hätte zurückgegeben werden müssen. Ein Einleben setzt eine gewisse soziale Integration und ein subjektives Bejahen des Zustandes durch das Kind voraus.171 Ergibt die Anhörung des Kindes, dass es sich eingelebt hat, so sollte eine Rückgabe nicht mehr angeordnet werden.172
4.100
167 168 169 170
OLG Stuttgart, NZFam 2019, 121 (P. Mankowski); vgl. R. Shuz, S. 323 f. Vgl. Benicke in NK-BGB, Art. 13 HKÜ Rz. 40; R. Shuz, S. 324 ff. Benicke in NK-BGB, Art. 13 HKÜ Rz. 44; R. Shuz, S. 336 ff. OLG Bremen, IPRax 2019, 253 (dazu U. P. Gruber/L. Möller, S. 221); Benicke in NKBGB, Art. 16 HKÜ Rz. 6. 171 Vgl. Benicke in NK-BGB, Art. 12 HKÜ Rz. 8 ff.; R. Shuz, S. 228 ff. 172 R. Shuz, S. 244; M. Andrae, § 9 Rz. 249; für gerichtliches Ermessen Benicke in NK-BGB, Art. 12 HKÜ Rz. 13.
313
§ 4 Rz. 4.101 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
d) Zuständigkeit
4.101 Zentrale Behörde nach Art. 6 HKÜ ist in Deutschland das Bundesamt für Justiz (§ 3 I Nr. 3 IntFamRVG). Dieses leitet den Antrag an das zuständige Gericht weiter. Örtlich zuständig ist das Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich sich das Kind beim Eingang des Antrags bei der Zentralen Behörde aufgehalten hat, und zwar das Familiengericht, in dessen Bezirk das OLG seinen Sitz hat (§§ 11, 12 IntFamRVG). 4.102 Die erste Aufgabe der zentralen Behörde ist es, den konkreten Aufenthaltsort des Kindes ausfindig zu machen (Art. 7 II lit. a HKÜ).173 Sodann sind Maßnahmen zu ergreifen, um die persönliche Sicherheit des Kindes zu gewährleisten (Art. 7 II lit. b HKÜ). Nach Möglichkeit ist eine freiwillige Rückgabe des Kindes sicherzustellen bzw. eine gütliche Einigung herbeizuführen (Art. 7 II lit. c HKÜ). Scheitern diese Bemühungen hat es gerichtliche Rückgabeverfahren einzuleiten bzw. zu erleichtern (Art. 7 II lit. f HKÜ). Schließlich hat es behördliche Vorkehrungen zu treffen, um eine sichere Rückgabe des Kindes zu gewährleisten (Art. 7 II lit. h HKÜ).174 4.103 Darüber hinaus hat die zentrale Behörde auch die Durchführung und die wirksame Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang zu gewährleisten (Art. 7 II lit. f HKÜ). Solche Anträge sind nach Art. 21 I HKÜ wie Rückgabeanträge zu behandeln. e) Verfahren
4.104 Das HKÜ selbst sieht nur vor, dass ein Rückgabeantrag eilig zu behandeln und in der Regel innerhalb von sechs Wochen zu verbescheiden ist (Art. 11 HKÜ). Diese Frist wird in § 38 I 3 IntFamRVG wiederholt. Regeln über die Art der Anhörung des Kindes und der Eltern sowie einen besonderen Vertreter des Kindes enthält das HKÜ nicht. Es gilt deshalb die jeweilige lex fori. In Deutschland wird das Verfahren gem. § 14 Nr. 2 IntFamRVG im Verfahren nach dem FamFG durchgeführt. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen alle relevanten Umstände zu ermitteln. § 38 I IntFamRVG wiederholt die Pflicht zur beschleunigten Behandlung. Nach § 38 III IntFamRVG haben die Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Nach § 159 I FamFG ist das Kind ab dem 14. Lebensjahr zwingend, vorher ist es nach § 159 II FamFG persönlich anzuhören, wenn es auf seine Neigungen, Bindungen und seinen Willen für die Entscheidung ankommt. Nach § 158 II Nr. 4 FamFG ist dem Kind zudem ein Verfahrensbeistand zu bestellen.175 f) Rechtsmittel
4.105 Nach § 40 I IntFamRVG wird eine deutsche Rückgabeentscheidung erst mit Rechtskraft wirksam. Ein sofortiger Vollzug wird nicht angeordnet.176 Gegen eine Entschei173 Vgl. R. Shuz, S. 43 f. 174 Vgl. Guide to Good Practice Child Abduction Convention: Part I – Central Autority Practice; Part II – Implementing Measures, 2003. 175 Prütting/Helms/Hammer, § 158 FamFG Rz. 20. 176 M. Andrae, § 9 Rz. 255.
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II. Zuständigkeit in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 4.111 § 4
dung des Familiengerichts findet die Beschwerde gem. §§ 58 ff. FamFG an das OLG statt (§ 40 II 1 IntFamRVG). Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen (§ 40 II 2 IntFamRVG). Beschwerdeberechtigt sind nur der Antragsgegner, das über 14 Jahre alte Kind sowie das Jugendamt (§ 40 II 3 IntFamRVG). Eine Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen (§ 40 II 4 IntFamRVG). Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerde darüber zu befinden, ob es eine sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Rückgabeentscheidung anordnet (§ 40 III IntFamRVG).
4.106
Zur Vollstreckung einer Rückgabeentscheidung s. Rz. 19.112.
4.107
4. Autonomes deutsches Recht Schrifttum: O. Beller, Die Vorschriften des FamFG zur internationalen Zuständigkeit, ZFE 2010, 52, 54.
Im autonomen deutschen Recht heißen die Sorgerechtssachen „Kindschaftssachen“. Die internationale Zuständigkeit ist insoweit in § 99 FamFG geregelt. Sie besteht, wenn (1) das Kind Deutscher ist oder (2) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Sie besteht außerdem (3) soweit das Kind der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf.177 Nach § 98 III FamFG besteht außerdem eine Verbundzuständigkeit des Scheidungsgerichts, wenn eine Sorgerechtssache nach § 137 III FamFG im Verbund geltend gemacht wird.178 Ausgenommen sind Verfahren nach 151 Nr. 7 FamFG (freiheitsentziehende Unterbringung Minderjähriger).
4.108
Die Zuständigkeitsregeln der Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO haben jedoch Vorrang. Die §§ 98 III, 99 FamFG sind daher nach Art. 14 Brüssel IIa-VO nur anwendbar, wenn keine Zuständigkeit nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO besteht. Das Kind muss dazu die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und sich in einem Drittstaat aufhalten, der nicht Vertragsstaat des KSÜ ist.179 Sie sind außerdem gem. Art. 20 I Brüssel IIa-VO anwendbar, soweit es um den Erlass einstweiliger Maßnahmen geht.
4.109
Soweit eine Vormundschaft anzuordnen ist, kann die Anordnung im Inland unterbleiben, soweit ein entsprechendes Verfahren im Ausland anhängig ist und dies im Interesse des Mündels liegt (§ 99 II FamFG).180
4.110
Eine inländische Vormundschaft kann außerdem an ein (konkurrierend) zuständiges ausländisches Gericht abgegeben werden, wenn (1) dies im Interesse des Mündels liegt, (2) der Vormund dem zustimmt und (3) der ausländische Staat zur Übernahme bereit ist (§ 99 III 1 FamFG). Die Zustimmung des Vormunds kann durch Gerichtsbeschluss ersetzt werden (§ 99 III 2 FamFG).
4.111
177 178 179 180
Vgl. Prütting/Helms/Hau, § 99 FamFG Rz. 35 ff. Vgl. M. Andrae, § 9 Rz. 57, 66 f. R. Hausmann, Teil F Rz. 6, 9, 585 ff. Prütting/Helms/Hau, § 99 FamFG Rz. 41 ff.
315
§ 4 Rz. 4.112 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.112 Wird ein Kind nach Deutschland entführt, besteht außerhalb des Anwendungsbereichs von Brüssel IIa-VO und HSÜ eine Fürsorgezuständigkeit nach § 99 FamFG.181 Wird ein Kind aus Deutschland in einen Staat entführt, der weder durch Brüssel IIaVO noch HKÜ gebunden ist, kann dort Rechtsschutz nur nach dem dortigen Recht begehrt werden.182
III. Zuständigkeit in Abstammungssachen Schrifttum: O. Beller, Die Vorschriften der FamFG zur internationalen Zuständigkeit, ZFE 2010, 52, 55; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil G I), 2. Aufl. 2018; Helms, Aktuelle Fragen des internationalen Abstammungsrechts, StAZ 2009, 293.
4.113 Eine vorrangige europäische Regelung besteht insoweit nicht.183 4.114 Seit der FG-Reform ist die internationale Zuständigkeit für Abstammungssachen in § 100 FamFG geregelt. Ein deutsches Gericht ist danach international zuständig, wenn (1) einer der Beteiligten (Kind, Mutter, rechtlicher Vater oder Mann, der der Mutter beigewohnt hat) Deutscher ist, oder (2) einer der Beteiligten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Auf den Mann, der der Mutter beigewohnt hat, kommt es für die internationale Zuständigkeit nur dann an, wenn er der Antragsteller des Verfahrens ist.184 Die (ausschließliche) örtliche Zuständigkeit ergibt sich dann aus § 170 FamFG.
4.115 Die internationale Zuständigkeit ist nicht ausschließlich (§ 106 FamFG), so dass die Beteiligten das Verfahren ggf. auch im Ausland führen können. Umgekehrt hängt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht von der Anerkennung der Entscheidung in Heimatstaaten der Beteiligten ab.185
IV. Zuständigkeit in Adoptionssachen 4.116 Schrifttum: R. Behrentin, Handbuch Adoptionsrecht, Teil C, 2017, S. 265; N. Emmerling de
Oliveira, Adoptionen mit Auslandsberührung, MittBayNot 2010, 429; N. Emmerling de Oliveira in Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Adoptionsrecht in der Praxis, 4. Aufl. 181 M. Andrae, § 9 Rz. 266. 182 M. Andrae, § 9 Rz. 269. 183 Vgl. Rauscher in MünchKomm, § 100 FamFG Rz. 6; Prütting/Helms/Hau, § 100 FamFG Rz. 3; R. Hausmann, Teil G Rz. 1. 184 Prütting/Helms/Hau, § 100 FamFG Rz. 4; Krenzler/Borth/Siede, Anwaltshandbuch Familienrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 3 B Rz. 215; R. Hausmann, Teil G Rz. 13. 185 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 100 FamFG Rz. 17.
316
IV. Zuständigkeit in Adoptionssachen | Rz. 4.120 § 4 2020, Rz. 248 ff.; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil H I), 2. Aufl. 2018; M. Najurieta, L’adoption internationale des mineurs et les droits de l’enfant, RdC 376 (2014), 199; J. Reinhardt/R. Kemper/W. Weitzel, Adoptionsrecht, 3. Aufl. 2020. – Haager Übereinkommen v. 29.5.1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (BGBl. 2001 II, 1035) mit Adoptionsübereinkommens-Ausführungsgesetz (AdÜbAG) v. 5.11.2001 (BGBl. 2001 I, 2950). – Europäisches Übereinkommen v. 27.11.2008 über die Adoption von Kindern (revidiert, BGBl. 2015 II, 3).
1. Internationale Adoptionen Da vorrangiges EU-Recht oder Staatsverträge nicht bestehen, ergibt sich die internationale Zuständigkeit für Adoptionssachen aus § 101 FamFG. Nach § 186 FamFG sind dies Verfahren über (1) die Annahme als Kind, (2) die Ersetzung einer Einwilligung zur Annahme, (3) die Aufhebung des Annahmeverhältnisses und (4) die Befreiung von Eheverbot eines bestehenden Adoptionsverhältnisses (§ 1308 BGB).186
4.117
Deutsche Gerichte sind danach zuständig, wenn der Annehmende, einer der annehmenden Ehegatten oder das Kind (1) Deutscher ist oder (2) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Es genügt, wenn die Anknüpfung nur für eine der genannten Personen erfüllt ist.187 Diese internationale Zuständigkeit ist nicht ausschließlich (§ 106 FamFG). Der Annehmende kann die Adoption daher auch im Ausland durchführen lassen. Die (konkurrierende) Zuständigkeit der deutschen Gerichte besteht auch dann, wenn der Heimatstaat des Annehmenden oder des Kindes für sich eine ausschließliche Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die deutsche Adoption nicht anerkennt188 oder wenn das Heimatrecht des Kindes keine Adoption kennt.189
4.118
Örtlich zuständig ist das AG (Familiengericht) am Sitz des OLG, in dessen Bereich der oder die Annehmenden ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 187 I FamFG). Hat der Anzunehmende seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, gilt § 5 I 1, II AdWirkG entsprechend. Zuständig ist das Familiengericht, in dessen Bezirk ein OLG seinen Sitz Hat (§ 187 IV FamFG). § 187 IV FamFG gilt aber nicht, wenn der Anzunehmende bereits volljährig ist.190
4.119
Das inländische Gericht darf über die Adoption eines ausländischen Kindes aus einem Vertragsstaat aber erst entscheiden, nachdem das Verfahren nach dem Haager
4.120
186 187 188 189 190
R. Hausmann, Teil H Rz. 5.ff. R. Hausmann, Teil H Rz. 11. Prütting/Helms/Hau, § 101 FamFG Rz. 12. Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Rz. 249. OLG Stuttgart, FamRZ 2012, 658 (Rz. 6).
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§ 4 Rz. 4.120 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Adoptionsübereinkommen v. 29.5.1993 (Art. 4, 5) mit dem Bundesamt für Justiz als deutscher Zentraler Behörde durchgeführt wurde.191 Das Bundesamt für Justiz ist auch nationale Behörde nach Art. 15 Abs. 2 des Europäischen Adoptionsübereinkommens (§ 3 I 2 IntFamRVG).
4.121 Stammt das Kind aus einem Nichtvertragsstaat, müssen die Annahme-Eltern den Adoptionsvertrag bei der zuständigen Adoptionsvermittlungsstelle einreichen (§ 2a AdVermiG). 4.122 Materiell-rechtlich bedürfen der Adoptionsantrag (§ 1752 BGB), aber auch die erforderlichen Zustimmungserklärungen der notariellen Beurkundung. 2. Anträge nach dem Adoptionswirkungsgesetz
4.123 Auch für Anträge auf Anerkennung oder Feststellung der Wirksamkeit einer ausländischen Adoption (§ 2 AdWirkG) oder auf Umwandlung einer „schwachen“ Auslandsadoption in eine „starke“ Inlandsadoption (§ 3 AdWirkG) besteht gem. § 5 I 2 AdWirkG eine internationale Zuständigkeit nach § 101 FamFG und eine örtliche nach § 187 I, II, IV FamFG.192
V. Zuständigkeit in Ehewohnungs- und Haushaltssachen 4.124 Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil E), 2. Aufl. 2018, S. 537; N. Koritz, Internationale Zuständigkeit und Anknüpfungsregeln nach internationalem Privatrecht für Haushalts- und Ehewohnungssachen, FPR 2010, 572; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 20A Rz. 1.
1. Europäisches Recht
4.125 Die EuGüVO erfasst nach Art. 1 I, 3 I lit. a alle vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen den Ehegatten und daher auch Ansprüche auf Wohnungszuweisung und Herausgabe von Hausrat.193 In Verfahren, die ab dem 29.1.2019 in einem EU-Mitgliedstaat anhängig wurden bzw. noch werden, der sich an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligt, richtet sich die internationale Zuständigkeit bei Anhängigkeit einer Ehesache nach Art. 5 I EuGüVO i.V.m. Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO.194 Für eine selbständige Wohnungs- oder Hausratssache ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 6 EuGüVO.195 Dieser stellt (jeweils bezogen auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts) im Wege einer Anknüpfungsleiter primär auf den gewöhnlichen Auf191 Vgl. Krenzler/Borth/Grziwotz/Siede, Anwaltshandbuch-Familienrecht 2. Aufl. 2012, Kap. 4 B Rz. 182–189. 192 Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Adoptionsrecht in der Praxis, Rz. 315. 193 C. Mayer in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, EU-EheGüVO Art. 3 Rz. 13; Gitschthaler/Verschraegen, EuEhegüterVO, Art. 3 Rz. 3; M. Andrae, § 4 Rz. 17. 194 M. Andrae, § 4 Rz. 66 ff. 195 Erbarth in MünchKomm/FamFG, § 200 Rz. 173; M. Andrae, § 4 Rz. 98 ff.
318
VI. Zuständigkeit in Versorgungsausgleichssachen | Rz. 4.128 § 4
enthalt beider Ehegatten, hilfsweise auf den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn einer der Ehegatten sich noch dort aufhält, hilfsweise auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners, und nochmals hilfsweise auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit beider Ehegatten ab. Außerdem können die Ehegatten nach Art. 7 EuGüVO die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates vereinbaren, dessen Recht auf ihren Güterstand anwendbar ist.196 Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 3 I Nr. 2–6 IntGüRVG. Für Ansprüche auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Wohnung soll dagegen die Brüssel Ia-VO anwendbar sein.197 Für die vor dem 29.1.2019 eingeleiteten Verfahren enthält das EU-Recht keine Regelung. Weder die Brüssel Ia-VO (und das LugÜ) noch die Brüssel IIa-VO sind anwendbar. 2. Autonomes deutsches Recht Die EuGüVO regelt die internationale Zuständigkeit der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten, die sich an der VO beteiligen abschließend, so dass in Deutschland für eine Zuständigkeit nach autonomem Recht kein Raum mehr ist. Dies gilt auch für Sachverhalte mit Drittstaatenbezug.198 Eine internationale Zuständigkeit nach §§ 105, 201 FamFG besteht daher nur für Verfahren, die bis zum 28.1.2019 eingeleitet wurden.199
4.126
VI. Zuständigkeit in Versorgungsausgleichssachen Schrifttum: O. Beller, Die Vorschriften des FamFG zur internationalen Zuständigkeit, ZFE 2010, 52, 55; L. Bergner, Aktuelle Fragen zum Versorgungsausgleich mit Auslandsberührung, FamFR 2011, 3; V. Gärtner, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei isoliertem Versorgungsausgleichsverfahren, IPRax 2010, 520; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil D 1), 2. Aufl. 2018.
EU-Regeln über die internationale Zuständigkeit bestehen nicht. Der Versorgungsausgleich ist aus dem Anwendungsbereich der EuGVO (Art. 1 II lit. a) als Teil des Güterstandes ausgenommen. Aber auch die neue EuGüVO gilt nicht, da sie in Art. 1 II lit. e, f EuGüVO die soziale Sicherheit und Ansprüche auf Übertragung von Renten- oder Rentenanwartschaften ausdrücklich ausschließt.200 Schließlich gilt die Brüssel IIa-VO nicht, da sie keine vermögensrechtlichen Ansprüche erfasst.
4.127
Wird der Versorgungsausgleich als Folgesache im Scheidungsverfahren geregelt, ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus § 98 III i.V.m. § 137 II Nr. 1 FamFG.201
4.128
196 197 198 199 200 201
M. Andrae, § 4 Rz. 81 ff. So Schwab/Ernst/Streicher, § 20A Rz. 1. C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Vor Art. 4 Rz. 30 ff. M. Andrae, § 4 Rz. 38. R. Hausmann, Rz. D 4; M. Andrae, § 5 Rz. 2 f. M. Andrae, § 5 Rz. 6.
319
§ 4 Rz. 4.129 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.129 Nach § 102 FamFG besteht nun ausdrücklich auch eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für isolierte Verfahren über den Versorgungsausgleich, wenn (1) einer der (Ex)-Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, (2) über inländische Anrechte zu entscheiden ist, oder (3) ein deutsches Gericht die Ehe zwischen Antragsteller und Antragsgegner geschieden hat.202
VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen 1. Europäisches Recht 4.130 Schrifttum: M. Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung im Europäischen Zi-
vilverfahrensrecht, 2016, S. 286; M. Andrae, Das neue Auslandsunterhaltsgesetz, NJW 2011, 2545; M. Andrae, Der Unterhaltsregress öffentlicher Einrichtungen nach der EuUntVO, dem HUÜ 2007 und dem HP, FPR 2013, 38; M. Andrae, Internationales Familienrecht, Teil III, 4. Aufl. 2019, S. 654; M. Andrae/M. Schimrick, EG-UntVO, in Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2015, B.I.2, S. 443; P. Beaumont, International Family Law in Europe – the Maintenance Project, the Hague Conference and the EC, RabelsZ 73 (2009), 509; P. Beaumont/B. Hess/L. Walker/St. Spancken, The Recovery of Maintenance in the EU and Worldwide, 2016; K. Binder, Der Schutz des Kindes im Internationalen Zivilverfahrensrecht und Internationalen Privatrecht am Beispiel der Europäischen Unterhaltsverordnung, in Clavora/Garber, Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, S. 205; D.-Ch. Bittmann, Europäische Unterhaltsverordnung, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 36, 2. Aufl. 2010, S. 2109; M. Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im internationalen Familien- und Erbrecht der EU, 2019; N. Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa, 2011; P. Finger, Verordnung EG Nr. 4/2009 des Rates (EuUnterhaltsVO), FuR 2011, 254; P. Finger, Neue kollisionsrechtliche Regeln für Unterhaltsforderungen, JR 2012, 51; E. Gitschthaler/L. Fuchs, Internationales Familienrecht, 2019, S. 2193; U. P. Gruber, Die neue EG-Unterhaltsverordnung, IPRax 2010, 128; W. Hau, Die Zuständigkeitsgründe der Europäischen Unterhaltsverordnung, FamRZ 2010, 516; W. Hau, Die Europäische Unterhaltsverordnung und das Haager Unterhaltsprotokoll in der deutschen Rechtspraxis, ZVerglRWiss 115 (2016), 672; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil C I 2), 2. Aufl. 2018; M. Heger, Gerichtliche Zuständigkeiten nach der EuUntVO für die Geltendmachung von Kindes-, Trennungs- und Nacheheunterhalt, FPR 2013, 1; M. Heger/U. Selg, Die europäische Unterhaltsverordnung und das neue Auslandsunterhaltsgesetz, FamRZ 2011, 1101; K. Hilbig-Lugani, Neue Herausforderungen des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts im europäischen Familienrecht, FS Brudermüller, 2014, S. 323; K. Hilbig-Lugani, Divergenz und Transparenz: Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts der privat handelenden natürlichen Person im jüngeren EuIPR und EuZVR, GPR 2014, 8; A. Junker, Das Internationale Zivilverfahrensrecht der Europäischen Unterhaltsverordnung, FS Simotta, 2012, S. 263; Ch. Kohler, Elliptiques variations sur un théme connu: compétence judiciaire, conflits de lois et reconnaissance de décisions en matière alimentaire d’apres le règlement (CE) no 4/2009 du Conseil, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 276; D. Martiny, Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 633; D. Martiny, Jurisdiction, Recognition and Enforcement in Cases of Reimbursement claims by Public Bodies, in Beaumont/Hess/Walker/Spancken, The recovery 202 Vgl. R. Hausmann, 1. Teil D Rz. 15 ff.; M. Andrae, § 5 Rz. 7 ff.; O. Beller, ZFE 2010, 52, 55.
320
VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen | Rz. 4.132 § 4 of maintenance in the EU and worldwide, 2016; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (6. Kap.), 2017, S. 575; K. Niethammer-Jürgens, Gesetz zur Durchführung der VO (EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen ..., FamRBint 2011, 60; N. Prinz, Das neue internationale Unterhaltsrecht unter europäischem Einfluss, 2013; Th. Rauscher, Gerichtsstandsvereinbarungen in Unterhaltssachen mit Auslandsberührung, FamFR 2013, 25; Rauscher/Andrae/Schimrick, EG-UntVO, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 443; K. Riegner, Die verfahrensrechtliche Behandlung von Unterhaltsstreitverfahren mit Auslandsbezug nach dem FamFG, FPR 2013, 4; Ph. Reuß, Unterhaltsregress revisited – Die internationale gerichtliche Zuständigkeit für Unterhaltsregressklagen nach der EuUntVO, FS Simotta, 2012, S. 483; G. Rühl, The Protection of weaker parties in the private international law of the European Union, JPIL 10 (2014), 335; C. Schmidt, Internationale Unterhaltsrealisierung, 2011; Schwab/Ernst/Borth, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 11A IV 2 Rz. 7 ff.; D.-A. Simotta, Zur Gerichtsstandsvereinbarung in Unterhaltssachen nach Art. 4 EU Unterhalts-VO, GS Koussoulis, 2012, S. 527; H.-M. Veith, Die Rolle der Zentralen Behörde und des Jugendamts bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsforderungen, FPR 2013, 46; M. Weber, Der europäische Unterhaltsstreit, EF-Z 2012, 88.
a) Zuständigkeit nach der EuUntVO Art. 5 Nr. 2 EuGVO wurde zum 18.6.2011 durch Art. 3 EuUntVO abgelöst,203 da diese Verordnung für Unterhaltspflichten an die Stelle der EuGVO tritt (Art. 48 I). Die EuUntVO gilt nach Art. 75 I EuUntVO nur für Titel, die in ab dem 18.6.2011 eingeleiteten Verfahren, geschlossenen Vergleichen oder öffentlichen Urkunden errichtet wurden. Maßgebend ist die Maßnahme, die zum Erlass bzw. der Errichtung des Titels führt. Bei Antragsverfahren ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen.204 Die Zuständigkeitsregeln der EuUntVO bleiben auch nach dem Brexit im Verhältnis zu Großbritannien für alle Verfahren anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit am 31.12.2020 begonnen wurden (Art. 67 Nr. 1 d des Austrittsabkommens v. 24.1.2020).205 Die EuUntVO ist auf alle Unterpflichten anwendbar, die auf Ehe, Verwandtschaft oder Schwägerschaft beruhen (Art. 1 I EuUntVO). Das Bestehen dieses Statusverhältnisses ist als doppelrelevante Tatsache für die Zulässigkeit der Klage zu unterstellen, wenn es schlüssig behauptet ist.206 Anders ist es nur, soweit das Bestehen einer Ehe nach § 107 FamFG förmlich festgestellt werden muss.207 Ist die Anerkennungsfähigkeit anderer Statusentscheidungen nach § 108 II FamFG rechtskräftig festgestellt, bindet dies alle Gerichte und Behörden (§ 108 II 2 i.V.m. § 107 IX FamFG).
4.131
Nach Art. 3 EuUntVO ist in Unterhaltssachen alternativ das Gericht(a) am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners,
4.132
203 VO (EG) Nr. 4/2009 v. 18.12.2008 (ABl. EU 2009 Nr. L 7/1) m. DurchführungsVO (EU) Nr. 1142/2011 v. 10.11.2011 (ABl. 2011 Nr. L 293/24); vgl. B. Hess, EuZPR, § 7 Rz. 102 ff.; zum Kollisionsrecht vgl. R. Wagner, FamRZ 2006, 979; D. Looschelders/S. Boos, FamRZ 2006, 374. 204 BGH, FamRZ 2020, 123 (N. Kleinjohann). 205 ABl. EU 2020 Nr. L 29/7. 206 M. Andrae, § 10 Rz. 35; R. Hausmann, C Rz. 72. 207 M. Andrae, § 10 Rz. 37.
321
§ 4 Rz. 4.132 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
(b) am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten, (c) der Personenstandssache, mit der der Unterhaltsanspruch verbunden ist (es sei denn, dessen Zuständigkeit beruhe nur auf der Staatsangehörigkeit der Parteien) oder (d) der Sorgerechtsklage, wenn damit die Unterhaltsklage verbunden ist, zuständig. Die EuUntVO ist zwar auch bei einem Drittstaatbezug, nicht aber bei einem reinen Inlandsfall anwendbar, der Fall also keinen grenzüberschreitenden Bezug hat.208 Soweit mehrere Anknüpfungspunkte erfüllt sind, hat der Antragsteller die Wahl, kann also forum shopping betreiben.209 Ist das Trennungs- oder Scheidungsverfahren im Mitgliedstaat A, das Sorgerechtsverfahren dagegen mit Mitgliedstaat B anhängig, ist nur der Mitgliedstaat B für das Unterhaltsverfahren (akzessorisch) zuständig.210 Die Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners besteht auch, wenn das über die Scheidung befindende Gericht seine Zuständigkeit für einen Sorgerechtsantrag verneint hat.211
4.133 Die Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsberechtigten nach Art. 3 EuUntVO steht auch einem Regressgläubiger offen, auf den der Unterhaltsanspruch übergegangen ist.212 Nach überwiegender Meinung können öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen insoweit zwar nicht an ihrem eigenen Sitz, wohl aber am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten klagen.213 Der BGH hat die Frage dem EuGH zu Entscheidung vorgelegt.214 Da Art. 2 Nr. 10 EuUntVO als Berechtigte aber nur natürliche Personen ansieht, ist die Lösung aber zweifelhaft.215 4.134 Die Annexzuständigkeit mit der Personenstandssache setzt voraus, dass für diese nach nationalem Recht eine Zuständigkeit besteht und eine Verbindung von Statusund Unterhaltssache zulässig ist. In Deutschland kann sich die Zuständigkeit für ein Scheidungsverfahren aus Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO (s. Rz. 4.6 ff.) oder aus §§ 98, 103 FamFG (s. Rz. 4.26 ff.) ergeben, für ein Abstammungsverfahren aus § 100 FamFG (s. Rz. 4.114). Im Scheidungsverfahren kann als Folgesache auch Ehegattenunterhalt und Unterhalt für gemeinsame Kinder (§ 137 II Nr. 2 FamFG), im Abstammungsverfahren Mindestunterhalt (§ 237 FamFG), in Lebenspartnerschaftssachen der Unterhalt des Partners und gemeinsamer Kinder (§ 270 I 2 i.V.m. § 137 II Nr. 2 208 Lipp in MünchKomm/FamFG, EG-UntVO, Art. 1 Rz. 71 f.; R. Hausmann, C Rz. 24 f.; Gitschthaler/Fuchs, EuUVO Vorbem. 26. 209 M. Andrae, § 10 Rz. 38; R. Hausmann, C Rz. 92; Gitschthaler/Fuchs, EuUVO Art. 3 Rz. 2. 210 EuGH – C-184/14, ECLI:EU:C:2015:479 – A v B, FamRZ 2015, 1582 (P. Mankowski) = IPRax 2016, 257 (dazu Th. Rauscher, S. 215). 211 EuGH – C-468/18, ECLI:EU:C:2019:666 – R v P (Rz. 36 ff.), FamRZ 2019, 2001. 212 M. Andrae, § 10 Rz. 49. 213 R. Hausmann, Rz. C 108; Rauscher/Andrae, (2015) Art. 3 EG-UntVO Rz. 43 f.; D. Martiny, S. 485, 490 ff. 214 BGH, FamRZ 2019, 1340 (Ph. Reuß). 215 Vgl. Geimer in Zöller, Art. 3 EuUntVO Rz. 13 (für Anwendung zugunsten öffentl Einrichtungen).
322
VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen | Rz. 4.137 § 4
FamFG) geltend gemacht werden. Die Annexzuständigkeit besteht nicht, wenn die internationale Zuständigkeit für die Statussache nur auf der Staatsangehörigkeit einer Partei beruht.216 Art. 3 EuUntVO regelt grundsätzlich sowohl die internationale als die örtliche Zuständigkeit.217 In den Fällen zu (3) wird die internationale Zuständigkeit durch § 25 AUG konkretisiert. Örtlich zuständig ist das AG, bei dem die Statussache anhängig ist (§ 26 I AUG). Wird eine Ehesache nachträglich anhängig, ist das Unterhaltsverfahren an das Gericht der Statussache abzugeben (§ 26 II AUG i.V.m. § 233 FamFG). Hat ein Beteiligter in den Fällen zu (1) und (2) seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland, ist örtlich ausschließlich das AG am Sitz des OLG zuständig, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder der Berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 28 I AUG).218 Diese Zuständigkeitskonzentration ist im Ergebnis mit der EuUntVO vereinbar.219
4.135
Hilfsweise sind die Gerichte des Staats zuständig, dem Unterhaltsberechtigter und -verpflichteter angehören (Art. 6 lit. a), und für Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten oder ehemaligen Ehegatten die Gerichte des Mitgliedstaats des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, sofern dieser erst im letzten Jahr vor Antragstellung aufgegeben wurde (Art. 6 lit. b). Örtlich zuständig ist in diesen Fällen das AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk die Beteiligten ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten, hilfsweise zu dessen Bezirk der Bezug zur BR Deutschland geknüpft werden kann (§ 27 I AUG).
4.136
Als „Gericht“ fungieren in einzelnen Mitgliedstaaten auch Verwaltungsbehörden (s. Art. 2 II EuUntVO i.V.m. Anh. X).220 Zugelassen sind auch Gerichtsstandvereinbarungen (Art. 4) und die rügelose Einlassung (Art. 5). Vereinbart werden dürfen a) die Gerichte des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts einer der Parteien, b) die Gerichte des Heimatstaats einer der Parteien, sowie c) für die eheliche oder nacheheliche Unterhaltspflicht (i) das für die Ehesache zuständige Gericht, oder (ii) die Gerichte des Staats des letzten gemeinsamen Aufenthalts der Ehegatten, wenn dieser mindestens ein Jahr lang andauerte.221
216 217 218 219
R. Hausmann, Rz. C 117 ff.; Rauscher/Andrae, (2015) Art. 3 EG-UntVO Rz. 48 f. OLG Frankfurt, FamRZ 2020, 434. Vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 2013, 559; M. Heger, FPR 2013, 1, 3 f. Vgl. EuGH – C-400/13, ECLI:EU:C:2014:2461, FamRZ 2015, 639; Ch. Althammer, ZVglRWiss 119 (2020), 197, 206ff. 220 S. Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1142/2011 v. 10.11.2011 (ABl. EU Nr. L 293/24). 221 Vgl. D.-A. Simotta, GS Koussoulis, 2012, S. 527; Th. Rauscher, FamFR 2013, 25; M. Abendroth, Choice of Court in Matters relating to Maintenance Obligations, in Beaumont/Hess/Walker/Spancken, 2016, S. 459.
323
4.137
§ 4 Rz. 4.138 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.138 Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, richtet sich alternativ nach der Lage bei Abschluss der Vereinbarung oder bei Anrufung des Gerichts (Art. 4 I Unterabs. 2 EuUntVO). Besitzt eine Person mehrere Staatsangehörigkeiten, kann jeder EU-Mitgliedstaat gewählt werden, dessen Staatsangehörigkeit die Person besitzt. Gerichtsstandvereinbarungen nach Art. 4 EuUntVO sind im Zweifel ausschließlich (Art. 4 I Unterabs. 2 EuUntVO). Wirksam ist auch eine Vereinbarung, mit der die Zuständigkeit eines Drittstaats vereinbart wird. Deren Zulässigkeit und Derogationswirkungen sind entsprechend Art. 4 I EuUntVO zu beurteilen222 Die Wirksamkeit im Drittstaat richtet sich dagegen nach dessen lex fori.223 Die Gerichtsstandsvereinbarung bedarf der Schriftform; eine elektronische Übermittlung ist ausreichend, wenn eine dauerhafte Aufzeichnung möglich ist (Art. 4 II EuUntVO).
4.139 Für eine Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind unter 18 Jahren ist eine Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig (Art. 4 III EuUntVO). Dies gilt auch, wenn nicht das Kind, sondern ein Prozessstandschafter Vertragspartei ist.224 Erfasst eine Vereinbarung den Kindesunterhalt vor und nach dem 18. Lebensjahr, ist sie nach dem Schutzzweck nur hinsichtlich des Minderjährigenunterhalts unwirksam.225 4.140 Wie in allgemeinen Zivilsachen wird das Gericht eines EU-Mitgliedstaates auch in Unterhaltsachen durch rügelose Einlassung zuständig (Art. 5 EuUntVO). Ein rügeloses Einlassen liegt vor, wenn der Beklagte die Zuständigkeit nicht spätestens gleichzeitig mit seinem ersten (nach der lex fori wirksamen) Verteidigungsvorbringen zur Sache erhebt. Ein hilfsweises Verhandeln zur Sache schadet wie bei Art. 26 EuGVO n.F. nicht. Aus der rügelosen Einlassung folgt aber nicht, dass gem. Art. 4 III HUP auch das Recht des angerufenen Gerichts anwendbar wäre.226 4.141 In Unterhaltssachen hält die Verordnung ein geschlossenes Zuständigkeitssystem bereit, neben dem es keinen Anwendungsbereich für nationale Regeln gibt (vgl. Erwägungsgrund 15). Soweit weder eine Regelzuständigkeit eines EU-Mitgliedstaates noch die eines LugÜ-Staates besteht, sieht Art. 6 EuUntVO deshalb eine sog. Auffangzuständigkeit vor. Danach sind die Gerichte des gemeinsamen Heimatstaats zuständig, wenn sonst keine Zuständigkeit (nach Art. 3 bis 5) besteht. Bei Mehrstaatern genügt jede gemeinsame Staatsangehörigkeit.227 In Fällen der Prozessstandschaft ist auf die Staatsangehörigkeit der materiell Beteiligten abzustellen.228 Da Art. 6 aber nur Anwendung findet, wenn die Beteiligten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in 222 223 224 225
R. Hausmann, Rz. C 136; M. Andrae, § 10 Rz. 66. Gitschthaler/Fuchs, EuUVO, Art. 4 Rz. 14. R. Hausmann, Rz. C 167; Rauscher/Andrae, (2015) Art. 4 EG-UntVO Rz. 49. Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 4 EG-UntVO Rz. 11; R. Hausmann, Rz. C 167; Gitschthaler/Fuchs EuUVO Art. 4 Rz. 28; für Gesamtnichtigkeit Rauscher/Andrae, (2015) Art. 4 EG-UntVO Rz. 51. 226 EuGH – C-214/17, ECLI:EU:C:2018:744 – Mölk, FamRZ 2018, 1753 (M. Brosch). 227 Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 6 EG-UntVO Rz. 8; Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 3 Rz. 56. 228 Rauscher/Andrae, (2015) Art. 6 EG-UntVO Rz. 9; R. Hausmann, Rz. C 196.
324
VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen | Rz. 4.144 § 4
Drittstaaten haben (die ihrerseits zuständig sein dürften), wird die Regelung als exorbitant kritisiert.229 Örtlich zuständig ist in diesem Fall in Deutschland das AG am Sitz eines OLG, in dessen Bezirk die Beteiligten ihren letzten gemeinsamen inländischen Wohnsitz hatten oder zu dessen Bezirk sonst ein enger Bezug besteht; hilfsweise ist das AG Pankow-Weißensee in Berlin zuständig (§ 27 AUG).
4.142
Greift auch Art. 6 EuUntVO nicht, so hält Art. 7 EuUntVO eine Notzuständigkeit bereit, wenn es nicht möglich oder unzumutbar ist, ein Unterhaltsverfahren in einem Drittstaat einzuleiten oder zu führen. Unmöglich ist die Prozessführung im Drittstaat, wenn dieser nach seinem Recht nicht zuständig ist oder wenn in dem Drittstaat ein praktischer Stillstand der Rechtspflege herrscht.230 Eine zu erwartende überlange Verfahrensdauer ist nur dann einer Unmöglichkeit gleichzustellen, wenn Unterhalt zur Sicherung des Lebensbedarfs praktisch nicht erlangt werden kann.231 Unzumutbar ist die Rechtsverfolgung im Drittstaat vor allem für Flüchtlinge aus dem betreffenden Staat. In Betracht kommen auch Fälle einer generell korrupten Justiz, der generellen Verweigerung von Unterhalt für nichteheliche Kinder oder der fehlenden Gegenseitigkeit im Verhältnis zum Drittstaat.232 Nach Art. 7 Satz 2 EuUntVO muss der Rechtsstreit einen ausreichenden Bezug (früherer Aufenthalt, Belegenheit von Vermögen, familiäre Beziehungen) zum Gerichtsstand haben (s. Erwägungsgrund 16).233 Besteht auch diese Zuständigkeit nicht, haben sich Gerichte der Mitgliedstaaten für unzuständig zu erklären (Art. 10 EuUntVO).234 Sämtliche Zuständigkeiten bleiben nach dem Grundsatz der perpetuario fori bestehen, auch wenn sie die Anknüpfungspunkte (etwa der gewöhnliche Aufenthalt) während des Verfahrens verändern.235
4.143
Soweit es um die Abänderung einer ausländischen Unterhaltsentscheidung geht, begrenzt Art. 8 I EuUntVO die Entscheidungszuständigkeit. Solange der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat hat, der die ursprüngliche Entscheidung erlassen hat, darf der Unterhaltsschuldner ein Abänderungsverfahren in keinem anderen EU-Mitgliedstaat bzw. Vertragsstaat des HUÜ 2007 einleiten.236 Ausnahmen davon enthält Art. 8 II EuUntVO. Sämtliche Zuständigkeiten bleiben nach dem Grundsatz der perpetuatio fori bestehen, auch wenn sich die Anknüp-
4.144
229 W. Hau, FS v. Hoffmann, 2011, S. 617, 626. 230 Rauscher/Andrae, (2015) Art. 7 EG-UntVO Rz. 8; Gitschthaler/Fuchs, EuUVO Art. 7 Rz. 4. 231 R. Hausmann, Rz. C 202; Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 7 EG-UntVO Rz. 6. 232 Rauscher/Andrae, (2015) Art. 7 EG-UntVO Rz. 9, 10; Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 7 EG-UntVO Rz. 6. 233 Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 3 Rz. 61 ff.; M. Heger, FPR 2013, 1, 3; P. Lagarde, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 255, 258 u. 262. 234 Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 10 EG-UntVO Rz. 1 ff., 4 ff. 235 OLG Frankfurt, FamRZ 2020, 434. 236 Rauscher/Andrae, Art. 8 EG-UntVO Rz. 6 ff.; Wendl/Dose/Dose, Das Unterhaltsrecht, 10. Aufl. 2019, § 9 Rz. 666; Gitschthaler/Fuchs, EuUVO, Art. 8 Rz. 3.
325
§ 4 Rz. 4.144 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
fungspunkte (etwa der gewöhnliche Aufenthalt) während des Verfahrens verändern.237
4.145 Der Begriff der Unterhaltssache ist autonom auszulegen.238 Unterhalt erfolgt meist in wiederkehrenden Leistungen, doch gilt die EuUntVO auch, wenn der Unterhalt durch Zahlung eines Pauschbetrages oder durch Übertragung von Eigentum an bestimmten Gegenständen abgegolten werden soll.239 Die EuUntVO ist auch für vertragliche und deliktische Unterhaltsansprüche anwendbar,240 wenn sie auf einem familienrechtlichen Status beruhen. Sie gilt auch, wenn der Kläger erstmals Unterhaltsklage erhebt und der Klagegrund streitig ist.241 Zu den Unterhaltssachen gehört auch eine Klage gegen den geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten auf Erstattung des durch das begrenzte Realsplitting entstandenen Schadens.242 Die EuUntVO gilt weiterhin für einstweilige Anordnungen in einem Ehescheidungsverfahren, durch die einer der Parteien des Scheidungsstreits ein monatlicher Unterhaltsbetrag zuerkannt wird.243 Der Anspruch auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses gehört zum Unterhalt, auch wenn es sich bei dem Verfahren um eine nicht von EuGVO bzw. EuUntVO erfasste Familiensache handelt.244 Sämtliche Zuständigkeiten in den Art. 3 ff. EuUntVO erfassen aber nur Erkenntnisverfahren, nicht auch Vollstreckungsverfahren.245 4.146 Unterhalt kraft Erbrechts fällt nach Art. 1 II lit. a EuGVO/LugÜ aus dem Anwendungsbereich dieser Regelungen heraus. Seit 17.8.2015 gelten insoweit aber die Art. 4 ff. EuErbVO (s. Rz. 4.204 ff.). 4.147 Streitig war, inwieweit der Klägergerichtsstand des Art. 3 lit. b EuUntVO nicht nur dem ursprünglichen Unterhaltsberechtigten, sondern auch für Regressklagen gegen den Unterhaltsschuldner zur Verfügung steht. Regressansprüche der öffentlichen Hand, z.B. nach § 94 SGB XII, § 37 BAföG oder § 7 UhVorschG, auf die der nach BGB bestehende Unterhaltsanspruch übergegangen ist, sind zwar weiterhin Zivilsachen i.S.d. Art. 1 I EuGVO/LugÜ,246 die öffentliche Hand kann ihren Regressanspruch aber nur im Wohnsitzstaat des Schuldners (Art. 2), nicht aber am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten verfolgen.247 Zur Begründung verwies der EuGH (für 237 OLG Frankfurt, FamRZ 2020, 434. 238 BGH, FamRZ 2008, 40 = NJW-RR 2008, 156; Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 3 Rz. 2. 239 EuGHE 1997, I-1147 (van den Boogard v Laumen), IPRax 1999, 35 (dazu M. Weller, S. 14); Fasching/Simotta, § 76a JN Rz. 22. 240 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR Art. 5 Rz. 165 ff. 241 EuGHE 1997, I-1683 (Farrell v Long), IPRax 1998, 354 (dazu A. Fuchs, S. 327). 242 BGH, FamRZ 2008, 40 = NJW-RR 2008, 156 = MDR 2008, 85. 243 EuGHE 1980, 731 (de Clavel v de Clavel), IPRax 1981, 19 (dazu R. Hausmann, S. 5). 244 R. Hausmann, Rz. C 35; Geimer/Schütze, Art. 5 EuGVO Rz. 130. 245 BayObLG, ZEV 2019, 635, 638 (Rz. 36) (D. Leipold). 246 EuGHE 2002, I-10489 (Gemeente Stenbergen v Baten), IPRax 2004, 237 (dazu D. Martiny, S. 195) = ZZPInt 7 (2002), 317 (Th. Rauscher). 247 EuGHE 2004, I-981 (Freistaat Bayern v Blijdenstein), IPRax 2004, 240 (dazu D. Martiny, S. 195) = JZ 2004, 407 (P. Schlosser) = NJW 2004, 1439 = ZZPInt 9 (2004), 155 (Th. Rauscher); a.A. für Art. 3 EuUntVO R. Hausmann, Internat. Ehescheidungsrecht, Rz. C 108.
326
VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen | Rz. 4.151 § 4
Art. 5 Nr. 2 EuGVO) darauf, dass die öffentliche Hand nicht schutzbedürftig sei, im Gegenteil das Gericht am Wohnsitz des Unterhaltsschuldners dessen Leistungsfähigkeit besser beurteilen könne. Diese Rechtsprechung ist, wie Erwägungsgrund 14 und Art. 64 I EuUntVO zeigen, auf die EuUntVO übertragbar.248 Beruht der Regressanspruch auf einer „eigenen, besonderen Befugnis“ der öffentlichen Hand, handelt es sich nicht mehr um eine „Zivilsache“.249 Nach deutschem Recht kann die öffentliche Hand den übergegangenen Anspruch teilweise auf den ursprünglich Berechtigten zur gerichtlichen Geltendmachung zurückübertragen (§ 7 IV 3 UhVorschG). Ist dies geschehen, steht dem Unterhaltsberechtigten weiterhin die Wahl zwischen einem Verfahren an seinem eigenen gewöhnlichen Aufenthalt oder dem am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners offen.250
4.148
Der Regressanspruch eines privaten nachrangig Unterhaltspflichtigen fällt zwar in den Anwendungsbereich der EuUntVO, unabhängig davon, ob der Unterhaltsanspruch formal auf den Regressberechtigten übergegangen ist.251 Nicht entschieden hat der EuGH aber, ob dieser seinen Regressanspruch gegen den vorrangig Verpflichteten im Gerichtsstand des Art. 3 lit. b 88EuUntVO verfolgen kann. Privaten Zessionaren wird der Gerichtsstand teilweise auch nach den Entscheidungen des EuGH zugebilligt.252 Sieht man den Zweck des Art. 3 lit. b EuUntVO freilich nur im Schutz des Unterhaltsberechtigten, so ist es konsequent, auch den privaten Regressgläubiger auf den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten zu verweisen.253
4.149
Art. 3 lit. b EuUntVO ist auch bei Klagen gegen den Unterhaltsberechtigten anzuwenden. Der Unterhaltsberechtigte kann also verklagt werden im Staate seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts (was freilich mit Art. 3 lit. a zusammenfällt), aber auch vor dem Gericht, das nach der nationalen Zuständigkeitsordnung für den Statusprozess zuständig ist, sofern der Unterhaltsanspruch im Verbund mit dem Statusprozess entschieden wird, es sei denn, die Zuständigkeit für die Statussache beruht nur auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien.254
4.150
Materiell-rechtlich richtet sich der Unterhaltsanspruch gem. Art. 15 EuUntVO nach dem HUP 2007. Vorfragen, wie die Abstammung, sind selbständig nach den allgemeinen IPR-Regeln bzw. den Regeln über die Anerkennung ausländischer Entscheidung zu beurteilen.255
4.151
248 249 250 251 252 253
Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 3 Rz. 40; a.A. M. Andrae, FPR 2013, 38, 41. EuGHE 2004, I-981 = IPRax 2004, 240, 242 (Rz. 20). Vgl. AG Stuttgart, FamRZ 2014, 786 (P. Gottwald). Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 1 EG-UntVO Rz. 50 f. So Geimer in Geimer/Schütze, Art. 5 EuGVO Rz. 162 f. So auch Rauscher/Andrae, (2015) Art. 3 EG-UntVO Rz. 42; a.A. Lipp in MünchKomm/ FamFG, vor Art. 3 ff. Rz. 29 ff., 33. 254 Geimer/Schütze, Art. 5 EuGVO Rz. 136; A. Burgstaller, Art. 5 EuGVO Rz. 39; Prütting/ Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 3 Rz. 26; a.A. Kropholler/v. Hein, Art. 5 Rz. 64; Fasching/ Simotta, § 76a JN Rz. 36. 255 Vgl. OGH Österreich, FamRZ 2019, 811.
327
§ 4 Rz. 4.152 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.152 Für eine Abänderungsklage bzw. einen -antrag gelten generell keine besonderen Zuständigkeitsregeln.256 Die Zuständigkeit ist also nach Art. 3 ff. EuUntVO neu zu bestimmen;257 eine Annexzuständigkeit des früher zuständigen Gerichts besteht nicht.258 Zum Beispiel kann eine in Italien wohnende unterhaltsberechtigte Frau die Erhöhung des Unterhalts nach ihrer Wahl vor italienischen Gerichten (Art. 3 lit. b EuUntVO) oder am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Mannes in Deutschland (Art. 3 lit. a EuUntVO) geltend machen. Der Unterhaltsverpflichtete kann eine Abänderungsklage nicht an seinem eigenen gewöhnlichen Aufenthalt erheben.259 Art. 8 I EuUntVO geht inzident von der Zulässigkeit der Abänderung von Entscheidungen eines anderen EU-Mitgliedstaates aus, sieht aber zum Schutz des Unterhaltsberechtigten ergänzend vor, dass eine Abänderungsklage nur in dem EU-Mitgliedstaat bzw. dem Vertragsstaat des HUÜ 2007 erhoben werden kann, der die abzuändernde Entscheidung erlassen hat, sofern der Unterhaltsberechtigte in diesem Staat noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies gilt nach Art. 8 II lit. a, b EuUntVO jedoch nicht, wenn die Zuständigkeit für die abzuändernde Entscheidung auf einer Gerichtsstandsvereinbarung oder einer rügelosen Einlassung beruhte.260 Gleiches gilt, wenn (lit. c) der Ursprungsstaat nach dem HUÜ seine Zuständigkeit nicht ausüben kann bzw. will, oder (lit. d) die ursprüngliche Entscheidung nach dem HUÜ im Abänderungsstaat nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden kann. 4.153 Auch ausländische Unterhaltsvergleiche und vollstreckbare Urkunden sind abänderbar, wenn sie im Inland vollstreckbar sind.261 Für die internationale Zuständigkeit richtet sich ebenfalls nach Art. 3 ff. EuUntVO; auch Art. 8 EuUntVO ist anwendbar.262 b) Art. 5 Nr. 2 LugÜ
4.154 Das Lugano Übereinkommen 2007 gilt im Verhältnis zur Schweiz, zu Island und Norwegen. Zur Erleichterung der Rechtsverfolgung stellt auch Art. 5 Nr. 2 lit. a LugÜ für den Unterhaltsberechtigten als die generell „schwächere“ Partei einen Klägergerichtsstand zur Verfügung. (Die Regelung ist bereits an die EuUntVO angepasst.) Statt im Staate seines Wohnsitzes (Art. 2) kann der Unterhaltsschuldner nach Art. 5 Nr. 2 auch an dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten verklagt werden. Umgekehrt kann der Unterhaltsschuldner aber nicht an seinem eigenen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt klagen.263 Auch dem Regressgläubiger steht der Gerichtsstand nicht offen.264 Der Wohnsitz des Berechtigten ist gem. Art. 59 I LugÜ nach der lex fori des angerufenen Gerichts zu bestimmen, in 256 257 258 259 260 261 262 263 264
328
OLG Frankfurt, IPRax 1981, 136 (dazu P. Schlosser, S. 120); M. Andrae, § 10 Rz. 305. OLG Köln, NJW-RR 2005, 876; Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 195. OLG Düsseldorf, FamRZ 2013, 55, 56. R. Hausmann, Rz. C 109; M. Andrae, § 10 Rz. 76. Lipp in MünchKomm/FamFG, EG-UntVO, Art. 8 Rz. 13 ff. Vgl. M. Andrae, § 10 Rz. 316 f. Pasche in MünchKomm/FamFG, § 239 Rz. 13. M. Andrae, § 10 Rz. 82. M. Andrae, § 10 Rz. 82.
VII. Zuständigkeit in Unterhaltssachen | Rz. 4.158 § 4
Deutschland also nach den §§ 7 ff. BGB. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist wie bei Art. 4 Haager Unterhaltsübereinkommen v. 2.10.1973 zu bestimmen.265 Art. 5 Nr. 2 LugÜ bestimmt zugleich die örtliche Zuständigkeit, Abweichungen gegenüber dem deutschen FamFG ergeben sich daraus nicht.266 Art. 5 Nr. 2 lit. b LugÜ enthält auch eine Annexzuständigkeit, wenn der Unterhalt im Verbund mit einer Statussache (Scheidung, Sorgerechtsverfahren, Vaterschaftsfeststellung) geltend gemacht wird und die Statuszuständigkeit nicht auf der Staatsangehörigkeit nur einer der Parteien beruht. Bedauerlicherweise ist keine derartige Annexkompetenz für den Fall des gemischt-nationalen Ehepaares eröffnet.267 Hieran haben die EuUntVO und das LugÜ 2007 nichts geändert. Die Verbundzuständigkeit besteht in Deutschland gem. §§ 98 II, 137 II Nr. 3 FamFG sowie nach §§ 105, 237 FamFG; für den Trennungsunterhalt des Ehegatten besteht sie nicht.268
4.155
Darüber hinaus sieht Art. 5 Nr. 2 lit. c auch eine Verbundzuständigkeit vor, wenn der Unterhalt zusammen mit einem Verfahren zur elterlichen Verantwortung geltend gemacht wird, es sei denn, die Sorgerechtszuständigkeit beruht nur auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien. Nach deutschem Recht ist über Unterhalt jedoch nicht zusammen mit einer Kindschaftssache zu entscheiden, so dass die Regel hier direkt ohne Belang ist.269
4.156
Die Zuständigkeit für eine Unterhaltsklage kann sich auch aus einer Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 23 LugÜ) oder einer rügelosen Einlassung (Art. 24 LugÜ) ergeben. (In Deutschland gelten aber die Art. 4, 5 EuUntVO). Aus Art. 4 IV EuUntVO ergibt sich zudem, dass Vereinbarungen zugunsten eines Lugano-Staates über den Unterhalt von 6Minderjährigen nicht anerkannt werden.
4.157
2. Autonomes deutsches Recht Für Unterhaltsverfahren besteht zwar eine internationale Zuständigkeit, soweit eine örtliche Zuständigkeit besteht (§ 105 i.V.m. § 232 FamFG). Da die EuUntVO aber eine umfassende Zuständigkeitsregelung enthält, hat diese Regelung für Hauptsacheverfahren auf Zahlung von Unterhalt keinen Anwendungsbereich mehr.270 Sie ist nur noch für die seltenen Verfahren nach § 231 II FamFG,271 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (Art. 14 EuUntVO)272 und bei der Prüfung der Anerkennungszuständigkeit von Entscheidungen aus Drittstaaten von Belang. 265 Fasching/Simotta, § 76a JN Rz. 29. 266 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 5 LugÜ Rz. 1. 267 Zu Recht krit. E. Jayme, JuS 1989, 387, 390; Walter/Domej, IZPR der Schweiz, S. 228; Fasching/Simotta, § 76 JN Rz. 34. 268 KG, FamRZ 1998, 564 = IPRax 1999, 37 (abl G. Schulze, S. 21); a.A. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR Art. 5 Rz. 186. 269 Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 4 Rz. 24; M. Andrae, NJW 2011, 2545, 2546. 270 Vgl. Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Anh. 1 Rz. 3, Anh. 3 Rz. 25; M. Andrae, § 10 Rz. 31; K. Riegner, FPR 2013, 4, 6. 271 R. Hausmann, Teil C Rz. 465. 272 R. Hausmann, 1. Teil C Rz. 417.
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4.158
§ 4 Rz. 4.159 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.159 Der Unterhaltsanspruch des Kindes kann in Fällen mit Auslandsberührung vom Ehegatten nur dann in gesetzlicher Prozessstandschaft nach § 1629 III BGB eingeklagt werden, wenn deutsches Recht Unterhaltsstatut ist (Art. 3 ff. UntProt; Art. 10 Nr. 2 HUÜ 1973). Generell entscheidend ist danach, wer das Kind nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts vertreten kann.273
VIII. Zuständigkeit in Güterrechtssachen 1. Europäisches Recht 4.160 Schrifttum: M. Andrae, Der sachliche Anwendungsbereich der Europäischen Güterrechtsver-
ordnung, IPRax 2018, 221; U. Bergquist/D. Damascelli/R. Frimston/P. Lagarde/B. Reinhartz, The EU Regulations on Matrimonial and Patrimonial Property, 2019; M. Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im internationalen Familien- und Erbrecht der EU, 2019; K. Dengel, Die europäische Vereinheitlichung des Internationalen Ehegüterrechts und des Internationalen Güterrechts für eingetragene Partnerschaften, 2014; H. Dörner, EuGüVO und EuErbVO – Abgrenzung und Qualifikationsprobleme, ZEV 2019, 309; A. Dutta, Das neue internationale Güterrecht der Europäischen Union, FamRZ 2016, 1973; A. Dutta/F. Wedemann, Die Europäisierung des internationalen Zuständigkeitsrechts in Gütersachen, FS Kaissis, 2012, S. 133; M. Eichenberger, Die Europäische Ehegüterrechtsverordnung (EU-EheGüterVO) und die Schweiz, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 53; A. Erbarth, Die Auswirkungen der EuGüVO auf das Internationale Privatrecht und die internationale Zuständigkeit der Wirkungen der Ehe im Allgemeinen, NZFam 2018, 249, 342 u 387; E. Gitschthaler/B. Verschraegen, Internationales Familienrecht, 2019, S. 1761; W. Hau, Zur internationalen Entscheidungszuständigkeit im künftigen Europäischen Güterrecht, FS Simotta, 2012, S. 215; R. Kemper, Das neue Europäische Güterrecht, 2020; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1.Teil B I 2), 2. Aufl. 2018; V. Lipp, Inhalte und Probleme einer „Brüssel III-Verordnung“ im Familienvermögensrecht, in Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, 2004, S. 21; R. Magnus, in R. Hüßtege/H.-P. Mansel, NK-BGB, Bd. 6, 3. Aufl. 2019, S. 644; P. Mankowski, Internationale Zuständigkeit nach EuGüVO und EuPartVO, in Dutta/Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, 2017, S. 11; D. Martiny, Die Kommissionsvorschläge für das internationale Ehegüterrecht sowie für das internationale Güterrecht eingetragener Partnerschaften, IPRax 2011, 437, 446; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (5. Kap.), 2017, S. 493; B. Nascimbene, Jurisdiction and applicable law in matrimonial matters: Rome III Regulation?, EuLF 2009, I-1; Rauscher/Kroll-Ludwigs, EU-EheGüterVO-E, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 1081; A. Sanders, Das Nebengüterrecht und die EuGüVO, FamRZ 2018, 978; D. Simotta, Zu den Gerichtsstandsvereinbarungen nach den neuen Europäischen Güterrechtsverordnungen, FS Geimer, 2017, S. 671; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 11A I Rz. 1 ff.; D. Simotta, Die Internationale Zuständigkeit nach der neuen Europäischen Güterrechtsverordnung, ZVglRWiss 2017, 44; M. Wendland, Verfahrensrechtliche Probleme im System der internationalen Entscheidungszuständigkeit der neuen Europäischen Güterrechtsverordnungen, IPRax 2019, 1. – Beschluss (EU) 2016/954 des Rates v. 9.6.2016 zur Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit ...in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und vermögensrechtliche Folgen eingetragener Partnerschaften), ABl. EU 2016 Nr. L 159/16. – Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates v. 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Aner273 D. Henrich, Internationales Familienrecht, 2. Aufl., S. 199.
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VIII. Zuständigkeit in Güterrechtssachen | Rz. 4.162 § 4 kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. EU 2016 Nr. L 183/1 (Art. 4–13). – Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates v. 24.6.2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. EU 2016 Nr. L 183/30 (Art. 4–13). – Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts v. 16.3.2011, KOM (2011) 126/2; neuer Vorschlag v. 2.3.2016, KOM (2016) 106 final; dazu Vorschlag über die Ermächtigung zur Verstärkten Zusammenarbeit, KOM (2016) 108 final. – Internationales Güterrechtsverfahrensgesetz v. 17.12.2018 (BGBl. 2018 I, 2573); dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts v. 10.8.2018 (IntGüRVG), BR-Drucks. 385/18.
Der Kreis der erfassten Güterrechtssachen wird weit gezogen. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a EuGüVO sind unter „ehelicher Güterstand“ sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten zu verstehen.274 Verfahren mit Dritten sind jedoch nicht von der Verordnung erfasst.275 Einen Anhaltspunkt für die erfassten Angelegenheiten gibt die Auflistung in Art. 27 EuGüVO, der die Reichweite des Güterrechtsstatuts regelt.276 Wie alle EU-Verordnungen ist die Verordnung nur bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anwendbar.277
4.161
Die EuGüVO – VO (EU) 2016/1103 – sieht folgende internationale Zuständigkeiten vor:278
4.162
(1) Ist ein Ehegatte verstorben, ist das Gericht, das nach der EuErbVO mit dem Nachlass des Ehegatten befasst ist, auch für die güterrechtliche Auseinandersetzung zuständig (Art. 4 EuGüVO). Art. 4 EuGüVO regelt nach seinem Wortlaut nur die internationale Zuständigkeit, verlangt aber sinngemäß, dass das in der Erbrechtssache angerufene Gericht nach der EuErbVO tatsächlich zuständig ist.279 Welches Gericht national zuständig ist und ob Erbrechtssache und Güterrechtssache miteinander verhandelt werden können, ergibt sich aus der jeweiligen lex fori,280 in Deutschland aus § 3 I Nr. 1 IntGüRVG. Besteht eine erbrechtliche Zuständigkeit 274 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 45; M. Andrae, § 4 Rz. 14; C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 3 Rz. 9 ff. 275 Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.46. 276 Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.42; zur Auflistung aller nach deutschem Recht erfassten Angelegenheiten s. C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Rz. 12 ff. 277 Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.55; C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 2 Rz. 39. 278 Zur Europäisierung des Güterrechts s. K. Boele-Woelki, Cross-Border Family Relations in Europe: Towards a Common European Matrimonial Property Law, in A. Keirse and M. Loos, Alternative Ways to Ius Commune, 2012, S. 33. 279 M. Wendland, IPRax 2019, 1, 3. 280 M. Andrae, § 4 Rz. 43; Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 4 Rz. 2 ff.; D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 48; a.A. C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 4 Rz. 2.
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§ 4 Rz. 4.162 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
nach Art. 10 II EuErbVO beschränkt auf das Nachlassvermögen im Entscheidungsstaat, ist auch die güterrechtliche Zuständigkeit auf das Vermögen in diesem Staat beschränkt.281 Umfasst der Nachlass auch Vermögen in einem Drittstaat, so kann das in der Güterrechtsache angerufene Gericht auf Antrag einer der Parteien diese Vermögenswerte von seiner Entscheidung ausnehmen, wenn seine Entscheidung im Drittstaat voraussichtlich nicht anerkannt oder vollstreckt würde, Art. 12 EuGüVO.282 Diese Annexzuständigkeit kann nur in Anspruch genommen werden, solange das Erbrechtsverfahren anhängig und noch nicht beendet ist. Ist das Güterrechtsverfahren rechtzeitig anhängig gemacht worden, bleibt die Zuständigkeit auch nach Beendigung des Erbrechtsverfahrens bestehen.283
4.163 (2) Eine internationale Verbundzuständigkeit hat auch das mit der Ehescheidung befasste Gericht eines Mitgliedstaates. Art. 5 EuGüVO unterscheidet aber danach, auf welcher Grundlage das Gericht für die Statussache zuständig ist. Bei einer Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 lit. a Gedankenstrich 1 bis 4 Brüssel IIa-VO besteht die (ausschließliche) Annexzuständigkeit immer kraft Gesetzes (Art. 5 Abs. 1 EuGüVO). Abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen oder eine rügelose Einlassung sind nicht wirksam.284 4.164 Bei einer Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 lit. a Gedankenstrich 5 und 6 Brüssel IIaVO müssen die Ehegatten die Zuständigkeit für die Güterrechtssache vereinbaren (Art. 5 Abs. 2 lit. a, b EuGüVO).285 Gleiches gilt, wenn das Statusgericht nur aufgrund von Art. 5 oder 7 Brüssel IIa-VO zuständig ist (Art. 5 Abs. 2 lit. c, d EuGüVO). Der europäische Gesetzgeber sieht in diesen Zuständigkeiten „spezielle Zuständigkeitsregeln“, deren Erstreckung auf Güterrechtssachen zum Schutz des beklagten Ehegatten nur mit Zustimmung der Parteien legitim sei (s. EuGüVO Erwägungsgrund 34).286 Die Vereinbarung kann bis zu dem Zeitpunkt geschlossen werden, zu dem nach dem jeweiligen nationalen Recht eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässig ist. Vor Anrufung des Gerichts wegen der Güterrechtsache bedarf die Vereinbarung der Schriftform bzw. der elektronischen Form nach Art. 5 III, 7 II EuGüVO. Hat der Kläger (Antragsteller) das Güterrechtsverfahren bereits eingeleitet, genügt eine formlosere Vereinbarung, etwa eine Erklärung der Beteiligten zu Protokoll, dass das angerufene Gericht für die güterrechtlichen Ansprüche zuständig sein soll.287 Vor Abschluss einer solchen Vereinbarung sollten die Parteien aber prüfen, ob die Begründung der Zuständigkeit auch zur Anwendung eines anderen Rechts in der Sache führt und welche Unterschiede sich daraus ergeben.288 281 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 49; M. Wendland, IPRax 2019, 1, 4. 282 Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 13 Rz. 1; D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 49 f., 88; M. Wendland, IPRax 2019, 1, 4. 283 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 50 f.; M. Wendland, IPRax 2019, 1, 3. 284 Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 5 Rz. 7. 285 M. Andrae, § 4 Rz. 70 f.; Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 5 Rz. 8 ff.; M. Wendland, IPRax 2019, 1, 5. 286 Vgl. D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 54 f. 287 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 57. 288 D. Simotta, FS Geimer, 2017, S. 671, 679.
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VIII. Zuständigkeit in Güterrechtssachen | Rz. 4.167 § 4
(3) Ist kein Gericht nach Art. 4 oder 5 EuGüVO zuständig oder hat sich ein Gericht nach Art. 9 II EuGüVO für unzuständig erklärt, sieht Art. 6 EuGüVO eine feste Rangfolge an Zuständigkeiten vor (vgl. EuGüVO Erwägungsgrund 35).289 Primär zuständig sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Eheleute zur Zeit der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Art. 6 lit. a EuGüVO.
4.165
(4) Hilfsweise sind die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem die Eheleute ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen ihn noch in diesem Staat hat, Art. 6 lit. b EuGüVO. (5) Nochmals hilfsweise sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 6 lit. c EuGüVO. (6) Schließlich sind die Gerichte des gemeinsamen Heimatstaats, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irland des Staats des gemeinsamen „domicile“ zuständig, Art. 6 lit. d EuGüVO. (7) In den Fällen des Art. 6 können die Parteien alternativ ein forum legis vereinbaren. Vereinbart werden kann die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Sachrecht sie nach Art. 22 für ihren Güterstand gewählt haben oder dessen Recht nach Art. 26 I lit. a oder b anzuwenden ist, oder in dem sie die Ehe geschlossen haben, Art. 7 I EuGüVO.290 Zur Wahl steht danach gem. Art. 22 EuGüVO das Recht des Aufenthaltsstaates eines der Ehegatten oder das Heimatrecht eines der Ehegatten. Die Zuständigkeit der Gerichte anderer Mitgliedstaaten kann nicht vereinbart werden.291 Eine solche Vereinbarung bedarf der Schriftform; elektronische, aufzeichnungsfähige Übermittlungen sind gleichgestellt, Art. 7 II EuGüVO.292 Soweit an dem güterrechtlichen Streit ein Dritter beteiligt ist, muss auch er der Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 7 EuGüVO bezieht sich nur auf die internationale Zuständigkeit; ob sie sich auch auf die örtliche Zuständigkeit erstreckt, richtet sich nach der jeweiligen lex fori;293 in Deutschland ist sie in § 3 Nr. 6 IntGüRVG geregelt.
4.166
(7) Ist materiell das Recht des Gerichtsstaates anzuwenden, das Gericht aber nicht nach den vorstehenden Regeln zuständig, so wird das angerufene Gericht aufgrund rügeloser Einlassung des Beklagten zuständig, Art. 8 I EuGüVO. Die rügelose Einlassung ist also nur bei einem Gleichlauf von Forum und Recht zulässig.294 Das Gericht
4.167
289 Vgl. M. Andrae, § 4 Rz. 98 ff.; C. Mayer in MünchKomm/FamFG, Eu-EheGüVO, Art. 6 Rz. 2; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.93; Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 6 Rz. 13 f, 15 ff. 290 M. Andrae, § 4 Rz. 81 ff.; C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 7 Rz. 2; Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 7 Rz. 3; M. Wendland, IPRax 2019, 1, 5 ff.; krit. D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 89 ff. 291 Krit M. Andrae, § 4 Rz. 88; D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 64 ff. 292 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 68 ff. 293 Krit D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 63 f. 294 M. Andrae, § 4 Rz. 104; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.106 ff.
333
§ 4 Rz. 4.167 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
muss den Beklagten aber zuvor über seine fehlende Zuständigkeit und die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung belehrt haben, Art. 8 II EuGüVO.295
4.168 (8) Stellt ein nach den Art. 4, 6, 7 oder 8 zuständiges Gericht fest, dass die streitige Ehe nicht anzuerkennen ist, kann es sich für unzuständig erklären, Art. 9 I EuGüVO. In den Fällen der Art. 4 oder 6 können die Parteien dann einem Gericht nach Art. 7 EuGüVO die Zuständigkeit übertragen (Art. 9 II Unterabs. 1). Ansonsten sind dann die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 6 oder 8 EuGüVO oder die Gerichte des EU-Mitgliedstaates zuständig, in dem die Eheleute ihre Ehe geschlossen haben (Art. 9 II Unterabs. 2). Art. 9 ist aber nicht anwendbar, wenn die Ehe bereits in einem anderen Staat aufgelöst worden ist und diese Entscheidung im Gerichtsstaat anerkannt werden kann (Art. 9 III EuGüVO).296 4.169 (9 Ist kein Mitgliedstaat nach (1) bis (9) zuständig, so besteht eine subsidiäre, auf das im jeweiligen Mitgliedstaat belegene unbewegliche Vermögen (eines oder beider Ehegatten) beschränkte Zuständigkeit, Art. 10 EuGüVO. Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk das unbewegliche Vermögen belegen ist (§ 3 I Nr. 8 IntGüRVG). Haben die Eheleute unbewegliches Vermögen in mehreren Mitgliedstaaten, kommt es zu einer Zuständigkeitsspaltung.297 Kann die betreffende Ehe nicht anerkannt werden, können sich auch die nach Art. 10 zuständigen Gerichte gem. Art. 9 I EuGüVO für unzuständig erklären.298 4.170 (10 Um Rechtsschutzlücken zu vermeiden, wird schließlich eine Notzuständigkeit des Mitgliedstaats eröffnet, zu dem die Sache sonst einen ausreichenden Bezug hat, sofern es unmöglich oder unzumutbar ist, den Rechtsstreit vor den Gerichten eines Drittstaats zu führen, Art. 11 EuGüVO, etwa wegen eines Bürgerkriegs, der Gefahr politischer Verfolgung etc. Ein Bezug zum Gerichtsstand kann sich etwa aus der einseitigen Staatsangehörigkeit, erheblichem beweglichen Vermögen oder aus dem gewöhnlichen Aufenthalt eines der Ehegatten ergeben.299 4.171 (11) In Güterrechtssachen kann es auch Widerklagen geben. Soweit bei einem Gericht ein Güterrechtsverfahren aufgrund der Art, 4–8, 9 II, 10 oder 11 EuGüVO anhängig ist, ist es auch für eine güterrechtliche Widerklage zuständig, Art. 12 EuGüVO.300
295 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 72 ff.; M. Andrae, § 4 Rz. 105 (3); C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 8 Rz. 12 ff. 296 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 79 f.; C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EUEheGüVO, Art. 9 Rz. 7 ff. 297 Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 10 Rz. 8. 298 C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 10 Rz. 12. 299 D. Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), 44, 86; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.130 ff.; Gitschthaler/Weber, EuEhegüterVO, Art. 11 Rz. 8; ausreichend ggf. schlichter Aufenthalt beider Ehegatten bzw. des Antragsgegners: C. Mayer in MünchKomm/ FamFG, EU-EheGüVO, Rz. 7. 300 M. Andrae, § 4 Rz. 111; C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO, Art. 12 Rz. 4 ff.
334
IX. Zuständigkeit in Gewaltschutzsachen | Rz. 4.175 § 4
Die Art. 4 ff. EuGüVO regeln nur die internationale Zuständigkeit; die örtliche Zuständigkeit folgt aus der jeweiligen lex fori. In Deutschland ergibt sie sich aus § 3 IntGüRVG.
4.172
2. Autonomes deutsches Recht Für bis zum 28.1.2019 eingeleitete Verfahren sind deutsche Gerichte in Güterrechtssachen international zuständig, wenn ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist (§§ 105, 262 FamFG; §§ 12 ff. ZPO). Dies ist der Fall, wenn der in Anspruch genommene Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, und zwar gilt dies auch, wenn beide Ehegatten eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen.301 Ist eine Ehesache anhängig, ist das Gericht ausschließlich zuständig, bei dem die Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war (§§ 98 II, 105, 262 I FamFG).
4.173
Für ab dem 29.1.2019 eingeleitete Verfahren verdrängen die Art. 4 ff. EuGüVO das autonome Zuständigkeitsrecht. Dieses ist nur noch im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes anwendbar, weil Art. 19 EuGüVO insoweit auf das nationale Recht verweist.302
4.174
IX. Zuständigkeit in Gewaltschutzsachen Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil), 2. Aufl. 2018; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (10. Kap.), 2017, S. 765.
Da die EuSchutzMVO nur die Anerkennung und Vollstreckung der in einem anderen EU-Mitgliedstaat erlassenen Anordnungen regelt, besteht Unsicherheit bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit zum Erlass solcher Schutzanordnungen. Teilweise wird eine Anwendung von EuGVO (Brüssel Ia) und Brüssel IIa-VO ganz abgelehnt.303 Überwiegend wird das Gegenteil vertreten. Gewaltschutzsachen, die nicht mit Ehescheidung oder Ehetrennung in Zusammenhang stehen, fallen unter keine Bereichsausnahme nach Art. 1 II EuGVO n.F.; sie sind daher Zivilsachen und können im allgemeinen Gerichtsstand des Antragsgegners (Art. 4 EuGVO n.F. bzw. Art. 2 LugÜ) oder im Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ) geltend gemacht werden.304 Soweit eine Wohnungsüberlassung (gem. § 2 GewSchG) begehrt wird, soll eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. bestehen.305 Aber es wird dabei weder um ein dingliches Recht noch um ein Mietverhältnis gestritten; der Anspruch soll vielmehr Schutz vor (weiteren) Gewalttaten gewähren, hat also deliktsähnlichen Charakter,306 so dass Art. 24 Nr. 1 301 OLG Nürnberg, FamRZ 2017, 698. 302 R. Hausmann, Teil 1 B Rz. 8. 303 So Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Reinken, BGB, 4. Aufl. 2019, § 1 GewSchG Rz. 46; Musielak/Borth/Borth, FamFG, 6. Aufl. 2018, § 105 Rz. 3. 304 R. Hausmann, E Rz. 2; M. Andrae, § 4 Rz. 35; a.A. (keine Anwendung von Brüssel Ia. u. Brüssel IIa). 305 Erbarth in MünchKomm/FamFG, EU-GewaltschutzVO, Art. 2 Rz. 24. 306 Lorenz in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 210 FamFG Rz. 13.
335
4.175
§ 4 Rz. 4.175 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
ausscheidet und es bei der Anwendung der Art. 4 bzw. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 2, 5 Nr. 3 LugÜ) bleibt. Hat der Antragsgegner seinen Wohnsitz in einem Drittstaat, gelten über Art. 6 I EuGVO n.F. (bzw. Art. 4 I LugÜ) die Regeln des autonomen Prozessrechts. In Deutschland folgt die Zuständigkeit dann aus § 105 i.V.m. § 211 FamFG.307
4.176 Soweit Gewaltschutz zwischen Ehegatten beantragt wird, ergeben sich bei Verfahren nach § 1 GewSchG keine Besonderheiten. Dagegen greift bei Verfahren nach § 2 GewSchG die Bereichsausnahme von Art. 1 II lit. a EuGVO n.F./LugÜ, da nach h.M. ein Zusammenhang mit den Ehewohnungssachen besteht, die unter die „ehelichen Güterstände“ eingeordnet werden.308 Dementsprechend müsste für Verfahren ab dem 29.1.2019 eigentlich eine Zuständigkeit nach Art. 5, 6 EuGüVO bestehen. In der Literatur wird die internationale Zuständigkeit für Verfahren nach §§ 1, 2 GewSchG dagegen bislang aus § 105 i.V.m. § 211 FamFG hergeleitet.309 Zuständig ist danach das Gericht (1) des Tatortes, (2) am Ort der gemeinsamen Wohnung oder (3) des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragsgegners.
X. Zuständigkeit in sonstigen Familiensachen 4.177 Ansprüche zwischen Verlobten bei Beendigung des Verlöbnisses (§ 266 I Nr. 1 FamFG) fallen nicht unter die Bereichsausnahme des Art. 1 II lit. a EuGVO n.F.; nach Ansicht des BGH ist das Verlöbnis kein Vertrag, so dass sie auch nicht vertragsrechtlich, sondern deliktsrechtlich zu qualifizieren sind. Sie unterfallen daher Art. 4, 7 Nr. 2 EuGVO n.F. bzw. Art. 2, 5 Nr. 3 LugÜ.310 Auf die Rückabwicklung von Schenkungen sollte freilich wie sonst auch Art. 7 Nr. 1 EuGVO n.F. bzw. Art. 5 Nr. 1 LugÜ Anwendung finden.311 4.178 Soweit EuGVO n.F./LugÜ nicht anwendbar sind, ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus §§ 105, 267 II FamFG i.V.m. §§ 12 ff. ZPO, wobei anstelle des Wohnsitzes der gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners tritt. In Betracht kommen der allgemeine Gerichtsstand, der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) sowie bei Rückabwicklung von Schenkungen der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO).312
307 Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. § 105 FamFG Rz. 8 f, 10; R. Hausmann, E Rz. 2; Rauscher/Binder, (2015), Einl EU-SchutzMVO Rz. 15. 308 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 105 FamFG Rz. 7; R. Hausmann, E Rz. 6; a.A. für Verbot die Wohnung zu betreten: Erbarth in MünchKomm/FamFG, EU-GewaltschutzVO, Art. 2 Rz. 20; für Anträge nach § 2 GewSchG M. Andrae, § 4 Rz. 35. 309 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 105 FamFG Rz. 10; R. Hausmann, E Rz. 20. 310 Prütting/Helms/Hau, § 105 FamFG Rz. 19; M. Andrae, § 6 Rz. 3 ff., 10 ff.; vgl. Erbarth in MünchKomm/FamFG, § 266 FamFG Rz. 432 f. 311 M. Andrae, § 6 Rz. 12. 312 M. Andrae, § 6 Rz. 12; a.A. BGHZ 132, 105, 110 = FamRZ 1996, 601; krit. dazu P. Gottwald, JZ 1997, 92.
336
X. Zuständigkeit in sonstigen Familiensachen | Rz. 4.183 § 4
Ansprüche aus der Ehe (§ 266 I Nr. 2 FamFG) sind nach § 1 II lit. a EuGVO n.F./ LugÜ vom Anwendungsbereich von EuGVO/LugÜ ausgeschlossen. Für vermögensrechtliche Ansprüche aufgrund der Ehe gilt für seit dem 29.1.2019 eingeleitete Verfahren die EuGüVO. Ist eine Ehesache anhängig, ist nach Art. 5 EuGüVO das Gericht der Ehesache auch für diese Ansprüche zuständig. Ist keine Ehesache anhängig, richtet sich internationale Zuständigkeit nach Art. 6 EuGüVO; insoweit können die Eheleute nach Art. 7 EuGüVO auch eine Gerichtsstandvereinbarung schließen, um einen Gleichlauf von forum und ius zu erreichen.313
4.179
Für vor dem 29.1.2019 begonnene Verfahren vermögensrechtlicher Art sowie für nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten folgt die internationale Zuständigkeit aus §§ 105, 267 II FamFG i.V.m. §§ 12 ff. ZPO.314 Sämtliche vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen den Ehegatten bzw. Ehegatten und Eltern (§ 266 I Nr. 3 FamFG) sind nach Art. 3 I lit. a EuGüVO güterrechtlicher Art, soweit sie aufgrund der Ehe oder ihrer Auflösung bestehen. Die internationale Zuständigkeit für ab dem 29.1.2019 eingeleitete Verfahren folgt aus Art. 4 ff. EuGüVO.315 Es gilt dasselbe wie zu § 266 I Nr. 2 FamFG (s. Rz. 4.173, 4.155 ff.). Soweit es sich um deliktische Ansprüche, etwa wegen Missbrauchs einer Kontovollmacht handelt, ergibt sich die internationale Zuständigkeit dagegen aus Art. 4 oder Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F.316
4.180
Bei Ansprüchen aus dem Eltern-Kind-Verhältnis (§ 266 I Nr. 4 FamFG) handelt es sich um zivilrechtliche Ansprüche aus der Verwaltung des Kindesvermögens, etwa Schadensersatzansprüche des Kindes gegen seine Eltern wegen Pflichtverletzungen.317 Entsprechend Brüssel IIa-VO Erwägungsgrund 9 fallen diese nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich daher aus Art. 4, 7 Nr. 2 EuGVO n.F.; nur im Rahmen von Art. 6 II EuGVO n.F. kann auf eine internationale Zuständigkeit nach § 105 i.V.m. § 267 FamFG zurückgegriffen werden.
4.181
Bei Ansprüchen aus dem Umgangsrecht (§ 266 I Nr. 5 FamFG) handelt es sich um Schadensersatzansprüche bei Verletzung des Umgangsrechts. Sie sind von der Brüssel IIa-VO nicht erfasst. Da sie nicht auf dem „Personenstand“ beruhen, sind sie nicht nach Art1 II lit. a EuGVO n.F. von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen. Es gelten daher die Art. 4, 7 Nr. 2 EuGVO. Nur im Rahmen von Art. 6 II EuGVO n.F. folgt die internationale Zuständigkeit aus § 105 i.V.m. § 267 FamFG.318
4.182
Soweit keine EU-Regeln greifen, besteht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, soweit eine örtliche Zuständigkeit gegeben ist (§§ 105, 267 FamFG).
4.183
313 314 315 316 317
Erbarth in MünchKomm/FamFG, § 266 FamFG Rz. 423 ff. Erbarth in MünchKomm/FamFG, § 266 FamFG Rz. 421 f. Vgl. R. Hausmann, B Rz. 37. OLG Nürnberg, IPRax 2020, 234 (Rz. 22) (dazu C. F. Nordmeier, S. 216, 218 f.). Auflistung der erfassten Ansprüche bei Erbarth in MünchKomm/FamFG, § 266 FamFG Rz. 350–359. 318 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 105 Rz. 22, 23.
337
§ 4 Rz. 4.183 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Zuständig ist danach das Gericht der Scheidungssache, wenn der Anspruch im Verbund geltend gemacht wird, sonst das für gewöhnliche Zivilverfahren örtlich zuständige Gericht (§ 267 II FamFG; §§ 12 ff. ZPO).
XI. Zuständigkeit in Lebenspartnerschaftssachen 4.184 Schrifttum: O. Beller, Die Vorschriften des FamFG zur internationalen Zuständigkeit, ZFE
2010, 52, 56; E. Gitschthaler/B. Verschraegen, Internationales Familienrecht, 2019, S. 1997; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018; (I Rz. 1 ff.), S. 775; Th. Rauscher/Kroll-Ludwigs, EU-LP-GüterVO, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 1147.
1. Statusverfahren
4.185 Für Statusverfahren (Aufhebung der Lebenspartnerschaft) bestehen keine EU-Regeln. Die Brüssel IIa-VO ist nur für Verfahren zur Scheidung der traditionellen heterosexuellen Ehe anwendbar.319 4.185a Für Statusverfahren sind daher die deutschen Gerichte gem. § 103 Abs. 1 FamFG international zuständig. Diese Zuständigkeit besteht, (a) wenn einer der Lebenspartner Deutscher ist oder bei Begründung der Lebenspartnerschaft war, (b) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, oder (c) wenn die Lebenspartnerschaft vor einem deutschen Standesbeamten begründet worden ist.320 4.186 Die Zuständigkeit für ein Aufhebungsverfahren erstreckt sich auch auf Folgesachen (§ 103 II FamFG).321 2. Elterliche Verantwortung
4.187 Für Sorgerechts-, Umgangs- und Herausgabestreitigkeiten zwischen Lebenspartnern folgt die internationale Zuständigkeit aus Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO. Diese gelten für alle Fälle elterlicher Verantwortung.322 Nur soweit sich daraus keine Zuständigkeit ergibt, etwa bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in einem Drittstaat, kommt eine Zuständigkeit nach Art. 5 ff. KSÜ, hilfsweise eine nach §§ 98, 99 FamFG in Betracht (Art. 14 Brüssel IIa-VO).323
319 R. Hausmann, Teil I Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 5. 320 M. Andrae, § 2 Rz. 60 ff. 321 Prütting/Helms/Hau, § 103 FamFG Rz. 11 ff.; O. Beller, ZFE 2010, 52, 56; vgl. C. González Beilfuss, YearbookPIL 13 (2011), 183, 191 ff. 322 R. Hausmann, Teil I Rz. 7; Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 8 Brüssel IIa-VO Rz. 1. 323 Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 14 Brüssel IIa-VO Rz. 2 ff.
338
XII. Zuständigkeit in Betreuungssachen | Rz. 4.191 § 4
3. Unterhaltsverfahren Die EuUntVO ist anwendbar, da sie nach Art. 1 I für alle Unterhaltspflichten gilt, die auf einem „Familienverhältnis“ beruhen. Erfasst sind daher auch Ansprüche zwischen den Partnern gleichgeschlechtlicher Ehen und Lebenspartnerschaften sowie zwischen ihnen und ihren gemeinsamen Kindern.324 Die internationale Zuständigkeit richtet sich daher nach Art. 3 ff. EuUntVO (s. Rz. 4.131 ff.). Diese Regeln sind in allen Fällen, unabhängig von dem gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten oder ihrer Staatsangehörigkeit, also auch in Drittstaatsfällen, anwendbar.325
4.188
4. Güterrechtliche Verfahren Parallel zur EuGüVO hat die EU die Verordnung (EU) 2016/1104 im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts, der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Lebenspartner (EuPartVO) erlassen.326 Auch diese Verordnung ist im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit verabschiedet worden. Sie gilt ab 29.1.2019 im Verhältnis zu Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik und Zypern. Deutsches Ausführungsgesetz ist das IntGüRVG v. 17.12.2018.327
4.189
Wie die EuGüVO erfasst die EuPartVO alle vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen eingetragenen Partnern (Art. 1 I 1, 3 lit. b EuPartVO). Sie gilt nicht für andere Ansprüche zwischen Lebenspartnern (Art. 1 II EuPartVO). Die internationale Zuständigkeit richtet sich abschließend nach Art. 4–19 EuPartVO.328 5. Sonstige Verfahren Die Zuständigkeiten für Adoptions- und Versorgungsausgleichssachen gelten entsprechend (§ 103 III FamFG).
4.190
XII. Zuständigkeit in Betreuungssachen Schrifttum: O. Beller, Die Vorschriften des FamFG zur internationalen Zuständigkeit, ZFE 2010, 52, 56; Ch. Benicke, in NK-BGB, Bd. 1, Anh. IV zu Art. 24 EGBGB, 3. Aufl. 2016, S. 2309; T. Guttenberger, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener, 2004; T. Guttenberger, Das Haager Übereinkommen ..., BtPrax 2006, 83; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (1. Teil J I), 2. Aufl. 2018; T. Helms, Reform des internationalen Betreuungsrechts durch das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, 324 Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 1 EG-UntVO Rz. 14, 29 f.; R. Hausmann, Teil I Rz. 2; M. Andrae, § 10 Rz. 19. 325 Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 1 EG-UntVO Rz. 69. 326 ABl. 2016 Nr. L 183/30. Zu den Entwürfen s. KOM (2016) 107 final; KOM (2016) 108 final. 327 BGBl. 2018 I, 2573; zum Entwurf s. BR-Drucks. 385/18. 328 R. Hausmann, Teil I Rz. 6.
339
4.191
§ 4 Rz. 4.191 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen FamRZ 2008, 1995; A. Röthel/E. Woitge, Das ESÜ-Ausführungsgesetz, IPRax 2010, 409; K. Siehr, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, RabelsZ 64 (2000), 715; K. Siehr, Der internationale Schutz Erwachsener nach dem Haager Übereinkommen von 1999, FS Henrich, 2000, S. 567; Staudinger/v. Hein, Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, in EGBGB/IPR, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB, Bearb. 2019, S. 376; R. Wagner/M. Beyer, Das Haager Übereinkommen v. 13.1.2000 zum internationalen Schutz Erwachsener, BtPrax 2007, 231.
1. Zuständigkeit nach ErwSÜ
4.192 Das ErwSÜ v. 13.1.2000 gilt im Verhältnis zu Estland, Finnland, Frankreich, Lettland, Monaco, Österreich, Portugal, der Schweiz, Schottland, der Tschechischen Republik und Zypern. 4.193 Nach Art. 5 I ErwSÜ sind die Gerichte des Vertragsstaats, in dem der betreuungsbedürftige Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz seiner Person oder seines Vermögens zu treffen.329 Bei Flüchtlingen oder durch nationale Unruhen Vertriebenen sind die Gerichte des Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 6 I ErwSÜ). Wechselt der zu Betreuende seinen gewöhnlichen Aufenthalt, werden die Gerichte des neuen Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 5 II ErwSÜ); der Grundsatz der perpetuatio fori gilt nicht.330 4.194 Wechselt der Betroffene seinen Wohnsitz in einen anderen Vertragsstaat, so wird dieser grundsätzlich zuständig.331 Die Verbringung einer pflegebedürftigen Person in ein ausländisches Pflegeheim durch einen Vorsorgebevollmächtigten führt nicht ohne weiteres zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Staat des Pflegeheims. Erforderlich ist vielmehr ein gewisses Maß an sozialer Einbindung332 Bei einem regelmäßigen Aufenthalt in mehreren Vertragsstaaten ist eine Schwerpunktbetrachtung anzustellen.333 4.195 Jedoch sind die Gerichte des Heimatstaats zuständig, wenn sie der Ansicht sind, das Wohl des Erwachsenen besser beurteilen zu können (Art. 7 I ErwSÜ), wenn sie zuvor die Gerichte des Aufenthaltsstaats benachrichtigt haben (außer bei Flüchtlingen und Vertriebenen). Dies gilt freilich nicht, wenn die Behörden des Aufenthaltsstaats mitteilen, dass die gebotenen Maßnahmen schon getroffen wurden, nichts veranlasst ist oder ein Verfahren im Aufenthaltsstaat bereits anhängig ist (Art. 7 II ErwSÜ). Maßnahmen, die die Gerichte des Heimatstaates getroffen haben, treten nach Art. 7 III 1 ErwSÜ außer Kraft, wenn die Behörden des Aufenthaltsstaates die erforderlichen Maßnahmen getroffen oder entschieden haben, dass keine Maßnahmen veranlasst
329 T. Helms, FamRZ 2008, 1995, 1996; Benicke in NK-BGB. Art. 5 ESÜ Rz. 1 f.; Staudinger/ v. Hein, (2019) Art. 5 ErwSÜ Rz. 1 ff. 330 Prütting/Helms/Hau, § 104 FamFG Rz. 24; Benicke in NK-BGB, Art. 5 ESÜ Rz. 7; Staudinger/v. Hein, (2019) Art. 5 ErwSÜ Rz. 8 ff. 331 LG Cottbus, FamRZ 2018, 1693 (B. Heiderhoff). 332 LG Augsburg, FamRZ 2018, 1433, 1435. 333 Benicke in NK-BGB, Art. 5 ESÜ Rz. 9.
340
XII. Zuständigkeit in Betreuungssachen | Rz. 4.200 § 4
sind.334 Die Behörden des Aufenthaltsstaates haben die Behörden des Heimatstaates nach Art. 7 III 2 ErwSÜ nur informatorisch über die von ihnen erlassenen Maßnahmen zu unterrichten. Die Behörden des Aufenthaltsstaats können die Rechtsache allerdings nach Art. 8 ErwSÜ an einen anderen Staat abgeben, wenn dies dem Wohl des Erwachsenen dient.335
4.196
Die Behörden eines Vertragsstaats, in dem sich Vermögen des Betroffenen befindet, sind nach Art. 9 ErwSÜ zuständig, Maßnahmen zum Schutz dieses Vermögens zu treffen, soweit sie mit den Maßnahmen eines nach Art. 5–8 zuständigen Gerichts vereinbar sind. Dies gilt auch für nachträglich getroffene Maßnahmen des primär zuständigen Staates.336
4.197
Für dringliche Schutzmaßnahmen zugunsten des Erwachsenen oder seines Vermögens sind nach Art. 10 I ErwSÜ zusätzlich die Behörden jedes Vertragsstaats zuständig, in dem sich der Erwachsene aufhält oder sich Vermögen befindet, das ihm gehört. Solche Maßnahmen treten außer Kraft, wenn die nach Art. 5–9 zuständigen Behörden die gebotenen Maßnahmen getroffen haben (Art. 10 II ErwSÜ). Handelt es sich um einen Erwachsenen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat, so treten die Maßnahmen außer Kraft, wenn die Maßnahmen eines Vertragsstaates oder Drittstaates im Inland nach §§ 108, 109 FamFG anerkannt werden (Art. 10 III ErwSÜ).337
4.198
Keine Regelung enthält das ErwSÜ, ob und wie ein ausländisches Gericht bei einem Wohnsitz- und Zuständigkeitswechsel zu informieren ist. Eine formelle Abgabe des Verfahrens ist nicht vorgesehen. Nach Art. 34 ErwSÜ sind die Behörden im Ausland aber zumindest bei schwerer Gefahr für den Betroffenen zu informieren.338
4.199
2. Autonomes deutsches Recht Soweit der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat, haben die Art. 5 ff. ErwSÜ Vorrang und gelten abschließend.339 Ist dies nicht der Fall, besteht nach deutschem Recht eine internationale Zuständigkeit in Betreuungsund Unterbringungssachen nach § 104 I FamFG, wenn der Betroffene (1) Deutscher ist (unabhängig davon, in welchem Land er sich aufhält), (2) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ferner (3) soweit der Betroffene sonst der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf. 334 Staudinger/v. Hein, (2019), Art. 7 ErwSÜ Rz. 11 f.; Benicke in NK-BGB, Art. 7 ESÜ Rz. 16 ff. 335 Staudinger/v. Hein, (2019) Art. 8 ErwSÜ Rz. 2 ff.; Benicke in NK-BGB, Art. 8 ESÜ Rz. 1 ff. 336 R. Hausmann, Teil J Rz. 109. 337 R. Hausmann, Teil J Rz. 118. 338 Vgl. B. Heiderhoff, FamRZ 2018, 1695. 339 R. Hausmann, Teil J Rz. 31.
341
4.200
§ 4 Rz. 4.201 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.201 Entfällt der zuständigkeitsgründende Umstand nach Einleitung des Verfahrens, so gilt nicht der Grundsatz der perpetuatio fori, entscheidend ist vielmehr, ob die Fortsetzung des Verfahrens im Inland angemessen ist.340 Ist im Ausland bereits ein Verfahren mit gleichem Gegenstand anhängig, kann das deutsche Gericht von einer Sachentscheidung absehen oder das Verfahren an das Ausland abgeben (§§ 104 II, 99 II, III FamFG).341
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen 4.202 Schrifttum: M. Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung im Europäischen Zi-
vilverfahrensrecht, 2016, S. 357; Ch. v. Bary, Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im internationalen Erbrecht, 2018; F. Bauer, Art. 59 EuErbVO: Verfahrensrechtliche Kollisionsnorm zur Sicherung des freien Verkehrs öffentlicher Urkunden, GS Unberath, 2015, 19; Bergquist/Damascelli/Frimston/Lagarde/Odersky/Reinhartz, EU-Erbrechtsverordnung, 2015, A. Bonomi, Successions internationales, conflit de lois et de juridictions, RdC 350 (2010), 71; M. Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im internationalen Familien- und Erbrecht der EU, 2019; A. Deixler-Hübner/M. Schauer, Kommentar zur EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO), 2. Aufl. 2020; H. Dörner/P. Lagarde, Étude de droit comparé sur les règles des conflits de juridictions et de conflits de lois relatives aux testaments et successions dans les Etats membres de l’Union Européenne, Rapport Final, (DNotI) 2002; A. Dutta, Das neue internationale Erbrecht der Europäischen Union, FamRZ 2013, 4; A. Dutta, Europäisches Erbverfahrensrecht, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 685; A. Dutta/J. Weber, Internationales Erbrecht, 2016; T. Frantzen, Europäisches internationales Erbrecht, FS Jayme, 2004, S. 187; Geimer/Schütze, Europäische Erbrechtsverordnung, in Intern. Rechtsverkehr in Zivil- u. Handelssachen, 49. Lfg. 2015, S. 578.1; W. Gierl/A. Köhler/L. Kroiß/H. Wilsch, Internationales Erbrecht, 3. Aufl. 2020; Grolimund/Bachofner, Schweizer Zuständigkeit über im EU-Raum belegene Liegenschaften im Lichte der EU-Erbrechtsverordnung, FS Isaak Meier, 2015, S. 277; U. Haas, Der europäische Justizraum in „Erbsachen“, in Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, 2004, S. 43; J. Hager, Die neue europäische Erbrechtsverordnung, 2013; St. Herzog, Die EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO), ErbR 2013, 2; St. Hrubesch-Millauer/M. Bürki, Forum shopping – eine erbrechtliche Betrachtung (IPRG & EuErbVO), FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 105; St. Kurth, Der gewöhnliche Aufenthalt in Art. 4, 21 Abs. 1 EuErb-VO, 2017; D. Leipold, Die internationale Zuständigkeit in erbrechtlichen Verfahren, FS Ereciński, 2011, S. 1155; D. Leipold, Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Europäischen Erbrechtsverordnung, FS Meincke, 2015, S. 219; D. Looschelders, in Hüßtege/Mansel, NK-BGB, Bd. 6 Rom-VOen, EuGüVO, EuPartVO, HUP, EuErbVO, 3. Aufl. 2019, S. 1124; St. Lorenz, Erbrecht in Europa – Auf dem Weg zu kollisionsrechtlicher Rechtseinheit, ErbR 2012, 39; Ch. Majer, Die Geltung der EU-Erbrechtsverordnung für reine Drittstaatensachverhalte, ZEV 2011, 445; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (7. Kap.), 2017, S. 649; J. Müller-Lukoschek, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, 2. Aufl. 2015; H. Pamboukis, EU Succession Regulation No. 650/2012, 2017; Rauscher/Ch. Hertel, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, EuZPR/EuIPR, Bd. 5 B I 7, 4. Aufl. 2016, S. 169; K. Siehr, Erbrechtliche Probleme um den Nachlass eines Schweizer Bürgers, der mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Schweiz verstorben ist, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 283; R. Süß, Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015; F. Wall, Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte im Zuständigkeitsrecht der Art. 4 ff. EU-ErbVO, ZErb 2014, 272; S. We340 Prütting/Helms/Hau, § 104 FamFG Rz. 24. 341 Prütting/Helms/Hau, § 104 FamFG Rz. 25.
342
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen | Rz. 4.204 § 4 ber, Das Internationale Zivilprozessrecht erbrechtlicher Streitigkeiten, 2012; F. Wilke, Das internationale Erbrecht nach der neuen EU-Erbrechtsverordnung, RIW 2012, 601. Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. EU 2012 Nr L 201/107). M. Buschbaum, Europäische Union. Erbrechtsverordnung, ZEV 2012, 198; H. Dörner, EuErbVO: Die Verordnung zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht ist in Kraft!, ZEV 2012, 505; R. Geimer, Die geplante Europäische Erbrechtsverordnung, in G. Reichelt/W. Rechberger, Europäisches Erb- und Erbverfahrensrecht, 2011, S. 1; Ch. Kohler/W. Pintens, Entwicklungen im europäischen Familien- und Erbrecht, FamRZ 2012, 1425; MPI, Comments on the European Commission’s Proposal ..., RabelsZ 74 (2010), 522; J. Remde, Die Europäische Erbrechtsverordnung nach dem Vorschlag der Kommission v. 14.10.2009, RNotZ 2012, 65; U. Simon/M. Buschbaum, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, NJW 2012, 2393; R. Wagner, Der Kommissionsvorschlag v. 14.10.2009 zum internationalen Erbrecht. Stand und Perspektiven, DNotZ 2010, 506. Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht v. 4.3.2015, BT-Drucks. 18/4201. N. Egidy/M. Volmer, ErbVO und IntErbRVG in der Anwendung durch die Nachlassgerichte, Rpfleger 2015, 433; R. Wagner/Ph. Scholz, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der EU-Erbrechtsverordnung, FamRZ 2014, 714.
1. Streitsachen a) Europäisches Recht Eine europäische Zuständigkeitsordnung gibt es nach der VO (EU) Nr. 650/2012 v. 4.7.2012342 seit dem 17.8.2015. Ausführungsregeln finden sich im Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG) v. 29.6.2015.343
4.203
Die EuErbVO hat ein zwingendes Zuständigkeitsregime normiert.344 Seit ihrem Inkrafttreten sind in grenzüberschreitenden Fällen für Erbrechtsstreitigkeiten generell die Gerichte des EU-Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 4 EuErbVO). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts (zur Zeit des Todes)345 ist autonom auszulegen.346 Der Erblasser kann nur einen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben.347 Wo der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen (tatsächlichen) Aufenthalt hatte, ist unter Gesamtbeurteilung aller Lebensumstände in den Jahren vor seinem Tod zu beurteilen (EuErbVO Erwägungsgrund 23 Satz 2).348 Bei Grenzgängern und Berufspendlern ist darauf abzustellen, ob sich ihr Lebensmittelpunkt aufgrund familiärer und sozialer Bindungen weiter im
4.204
342 343 344 345 346 347
ABl. EU 2012 Nr. L 201/107 v. 27.7.2012. BGBl. 2015 I, 1042. Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Vor Art. 4 ff. Rz. 13. Österr. OGH, FamRZ 2019, 1010 (P. Mankowski). Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 9; St. Kurth, S. 104 ff. Geimer/Schütze/Wall, Art. 4 EuErbVO Rz. 51 ff.; Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 13. 348 OLG Hamm, NJW 2018, 2061.
343
§ 4 Rz. 4.204 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Herkunftsstaat befand (EuErbVO Erwägungsgrund 24 Satz 2, 3).349 Danach kann der letzte gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsland liegen, auch wenn der Verstorbene dort keinen Wohnsitz mehr hatte.350 Bei pendelnden Scheidungskindern befindet sich der gewöhnlichen Aufenthalt im Zweifel bei dem Elternteil, der das Sorgerecht ausübt, hilfsweise an dem Ort vor Trennung der Eheleute, wenn sich das Kind auch dort aufgehalten hat.351 Bei sog. Mallorca-Rentnern ist der gewöhnliche Aufenthalt unter Berücksichtigung des Aufenthalts- und Bleibewillens im Zweifel noch in Deutschland, es sei denn der Betreffende habe Deutschland definitiv den Rücken gekehrt.352 Bei Flüchtlingen (ohne konkreten Rückkehrwillen) liegt der gewöhnliche Aufenthalt im Zweifel im letzten Aufenthaltsstaat, notfalls ist auf Art. 11 EuErbVO abzustellen353 (s. Rz. 4.135). Bei ständig wechselndem Aufenthalt in mehreren Staaten ist ggf. auf die Staatsangehörigkeit oder darauf abzustellen, in welchem Staat sich das wesentliche Vermögen des Erblassers befindet (EuErbVO Erwägungsgrund 24 Satz 4, 5).354 Bei Strafgefangenen liegt der gewöhnliche Aufenthalt jedenfalls bei längeren Haftstrafen im Haftstaat.355 Unfreiwillige Aufenthaltswechsel von Pflegebedürftigen oder Demenzkranken führen nur dann zu einem neuen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn im neuen Staat eine gewisse soziale Integration stattgefunden hat, etwa weil auch die Bezugsperson mitgezogen ist.356 Wer zu einer Operation in Ausland gereist ist, nach der Operation aber aus faktischen Gründen nicht mehr in seinen Heimatstaat zurückkehren konnte, hat in dem Staat der Operation keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.357
4.205 Gerichtsstandsvereinbarung. Hatte der Erblasser für seine Nachfolge aber nach Art. 22 EuErbVO (wirksam) das Recht eines anderen Mitgliedstaats gewählt, so können die Betroffenen die Zuständigkeit der Gerichte oder eines Gerichts dieses Mitgliedstaats als ausschließlich zuständig vereinbaren (Art. 5 I EuErbVO).358 Der Erblasser kann die Zuständigkeit nicht einseitig mit der Rechtswahl durch Verfügung von Todes wegen festlegen.359 Erforderlich ist die Wahl des Rechts eines EU-Mitgliedstaates; hat der Erblasser das Recht eines anderen Heimatstaates gewählt, eröffnet Art. 5 Abs. 1 EuErbVO den Erben nach wohl h.M. keine Gerichtsstandsvereinbarung.360 Solche Gerichtsstandsvereinbarungen bedürfen der Schriftform; sie sind zu datieren und müssen von den Betroffenen unterschrieben werden. (Die Form ist 349 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359 360
344
Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Art. 4 EuErbVO Rz. 30; vgl. St. Kurth, S. 205 ff. KG, FamRZ 2016, 1203 (P. Mankowski) = IPRax 2018, 72 (dazu Martiny, S. 29). Vgl. St. Kurth, S. 211 ff. Vgl. OLG Hamm, FamRZ 2019, 1553; St. Kurth, S. 214 ff. St. Kurth, S. 229 ff. Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Art. 4 EuErbVO Rz. 35. St. Kurth, S. 231 ff. Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Art. 4 EuErbVO Rz. 37 ff.; St. Hrubesch-Millauer/M. Bürki, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 105, 116; St. Kurth, S. 222 ff. Österr. OGH, FamRZ 2019, 1010 (P. Mankowski). Vgl. D. Leipold, FS Meincke, 2015, S. 219. Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Art. 5 EuErbVO Rz. 13. Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Art. 5 EuErbVO Rz. 9; K. Siehr, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 283, 287; a.A. D. Leipold, FS Meincke, 2015, S. 219, 222 ff. (Wahl der Gerichte des letzten Aufenthaltsorts ist zulässig; über Wirksamkeit entscheidet aber das Recht des gewählten Gerichtsorts).
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen | Rz. 4.209 § 4
insoweit strenger als nach der EuGVO 2015). Elektronische Übermittlungen sind der Schriftform gleichgestellt (Art. 5 II EuErbVO). Diese Zuständigkeiten bestehen unabhängig davon, in welchen Staaten sich Nachlassvermögen befindet.361
4.206
Hat der Erblasser für seine Erbfolge nach Art. 22 EuErbVO das Recht eines anderen EU-Mitgliedstaats gewählt, so kann sich das nach Art. 4 angerufene Gericht auf Antrag für unzuständig erklären, wenn die Gerichte des gewählten Mitgliedstaats in der Erbrechtssache besser entscheiden können (Art. 6 lit. a EuErbVO).362 Dabei sind der Aufenthalt der Parteien sowie der Ort der Belegenheit der Vermögenswerte zu berücksichtigen.363 Von Amts wegen erklärt es sich für unzuständig, wenn die Beteiligten die Zuständigkeit des Mitgliedstaats des gewählten Rechts nach Art. 5 vereinbart haben (Art. 6 lit. b EuErbVO).
4.207
Die Gerichte des Staats, dessen Recht der Erblasser für seine Nachfolge (nach Art. 22 EuErbVO) gewählt hat, sind zuständig,
4.208
(1) wenn sich die zuvor angerufenen Gerichte nach Art. 6 lit. a für unzuständig erklärt haben, (2) wenn die Beteiligten die Zuständigkeit des Gerichts dieses EU-Mitgliedstaats vereinbart haben, oder (3) hilfsweise wenn die Beteiligten die Zuständigkeit ausdrücklich anerkannt haben (Art. 7 EuErbVO). Haben nicht alle Beteiligten die Zuständigkeit vereinbart, so bleibt die Zuständigkeit doch weiterbestehen, wenn sich die nicht an der Vereinbarung Beteiligten rügelos auf das Verfahren einlassen (Art. 9 I EuErbVO). Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, so sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für einen Streit um den gesamten Nachlass zuständig, wenn (1) (lit. a) der Erblasser Angehöriger dieses Mitgliedstaats war, (2) (lit. b) der Erblasser seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte, sofern dieser frühere Aufenthalt beim Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts nicht länger als fünf Jahre zurückliegt (Art. 10 Abs. 1 EuErbVO). (3) Die EuErbVO sieht zwar keinen Mindestwert für das in dem Mitgliedstaat belegene Vermögen vor. Nach dem Sinn der Regelung darf der dort belegene Vermögenswert aber nicht im Verhältnis zum sonstigen Vermögen unverhältnismäßig gering sein.364 361 Dutta/Weber/Lein, Vorb. Art. 4 ff. Rz. 35; S. Weber, S. 82. 362 Dutta/Weber/Lein, Art. 6 Rz. 9 ff.; Wilke, RIW 2012, 601, 603 (Novum im Zuständigkeitsrecht); St. Herzog, ErbR 2013, 2, 10. 363 Deixler-Hübner/Schauer/Deixler-Hübner, Art. 6 EuErbVO Rz. 9. 364 Deixler-Hübner/Schauer/Gitschthaler, Art. 10 EuErbVO Rz. 3; offengelassen bei Dutta/ Weber/Lein, Art. 10 EuErbVO Rz. 12.
345
4.209
§ 4 Rz. 4.210 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
4.210 Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats aber für den Streit um das in diesem Mitgliedstaat belegene Nachlassvermögen zuständig (Art. 10 Abs. 2 EuErbVO). In diesem Fall kommt es zur Nachlassspaltung.365 Irrelevant ist, ob ein Drittstaat insoweit eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt. 4.211 Schließlich sieht Art. 11 EuErbVO noch eine Notzuständigkeit vor: Ist kein Gericht eines Mitgliedstaats sonst nach der ErbVO zuständig, so können die Gerichte eines Mitgliedstaats dennoch über eine Erbrechtssache entscheiden, wenn es im Einzelfall (etwa wegen Bürgerkrieg, Naturkatastrophen, politischer Verfolgung) unzumutbar oder unmöglich ist, einen Rechtsstreit in einem Drittstaat durchzuführen, zu dem die Sache einen engen Bezug hat. Ein ausreichender Bezug zu dem angerufenen Mitgliedstaat (Staatsangehörigkeit, Aufenthalt, Wohnsitz eines Beteiligten) muss aber bestehen.366 4.212 Eine Zuständigkeit für eine Widerklage sieht die EuErbVO nicht vor. Sie ist aber auch überflüssig, da die Zuständigkeiten nach Art. 4 ff. EuErbVO nicht von der Parteistellung abhängen.367 4.213 Umfasst der Nachlass Vermögen in einem Drittstaat, so kann das zuständige Gericht auf Antrag einer der Parteien beschließen, Vermögenswerte in einem Drittstaat von seiner Entscheidung auszunehmen, wenn seine Entscheidung in dem Drittstaat voraussichtlich nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden würde (Art. 12 I EuErbVO). Eine generelle Beschränkung der Zuständigkeit auf das Inlandsvermögen, die nach Art. 12 II EuErbVO möglich wäre, ist nach deutschem Recht dagegen nicht möglich.368 4.214 In Deutschland ergibt sich die örtliche Zuständigkeit in Streitsachen aus § 2 IntErbRVG, in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus § 47 IntErbRVG. 4.215 Zu den Erbrechtssachen gehören Streitigkeiten zwischen den Erben auf Feststellung der Erbenstellung, Streit um Erbunwürdigkeit, Herausgabe des Nachlasses oder einzelner Nachlassgegenstände gegen Erbschaftsbesitzer, Teilungsstreitigkeiten, Klagen von Vermächtnisnehmern, Pflichtstreitberechtigten, Streitigkeiten mit Testamentsvollstreckern, Nachlasspflegers,369 Streitigkeiten mit Nachlassgläubigern sind dagegen allgemeine Zivilsachen.370 In den Anwendungsbereich fallen auch Streitigkeiten über das eheliche Güterrecht, die mit dem Nachlass zusammenhängen (EuGüVO Erwägungsgrund 33, Art. 1 II lit. d). Der EuGH hat das güterrechtliche Viertel nach § 1371 I BGB erbrechtlich qualifiziert.371 Grenzüberschreitende Nachlassinsol365 Dutta/Weber/Lein, Art. 10 EuErbVO Rz. 32; Deixler-Hübner/Schauer/Gitschthaler, Art. 10 EuErbVO Rz. 27. 366 Vgl. Geimer/Schütze/Wall, Art. 11 EuErbVO Rz. 15; Deixler-Hübner/Schauer/Gitschthaler, Art. 11 EuErbVO Rz. 8; Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2012, 1425, 1427. 367 Vgl. S. Weber, S. 267. 368 K. Siehr, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 283, 287. 369 S. Weber, S. 83 ff. 370 S. Weber, S. 86 ff. 371 EuGH – C-558/16, ECLI:EU:C:2018:138 – Mahnkopf, JZ 2019, 670; zu den Folgen M. Sonnentag, JZ 2019, 657; K. Thorn/K. Váron Romero, IPrax 2020, 316.
346
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen | Rz. 4.220 § 4
venzverfahren unterfallen dagegen der EuInsVO bzw. dem deutschen internationalen Insolvenzrecht (s. unter § 20). Ein nach den Art. 4 ff. unzuständiges Gericht erklärt sich von Amts wegen für unzuständig (Art. 15 EuErbVO).
4.216
b) Das deutsch-türkische Nachlassabkommen Schrifttum: Dörner, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen, ZEV 1996, 90; M. Gebauer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax 2018, 345; Ch. Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen – ein Anachronismus, ZEV 2012, 182; P. Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, 529.
4.217
Nach Art. 75 I EuErbVO lässt die VO die Anwendung nationaler Übereinkommen mit Drittstaaten unberührt.372 Das deutsch-türkische Nachlassabkommen ist daher weiterhin anwendbar.
4.218
Nach § 15 des Nachlassabkommens (NA)373 sind Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand haben, soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt, ausschließlich vor den Gerichten des jeweiligen Heimatrechts, bezüglich des unbeweglichen Nachlasses im Belegenheitsstaat zu erheben.374 Streitig ist, ob die Regel bei Verfahren zwischen in Deutschland wohnenden Türken überhaupt noch anwendbar ist.375 Jedenfalls greift § 15 NA nur, wenn die Parteien um ihre Erbrechtsstellung streiten, nicht dagegen beim Streit um die Herausgabe konkreter Gegenstände oder von Erlösanteilen nach der Veräußerung von Nachlassgegenständen.376
4.219
Nach Art. 30 türk. IPRG können in der Türkei Prozesse, die sich auf eine Erbschaft beziehen, vor den Gerichten des letzten Wohnsitzes des Erblassers und, wenn er diesen nicht in der Türkei gehabt hat, vor dem Gericht des Ortes geführt werden, an dem sich Nachlassgegenstände befinden.377 Hat der Erblasser kein Vermögen in der Türkei hinterlassen, so fehlt ein zuständiges Gericht. Im Wege der Notzuständigkeit (s. Rz. 3.496) ist deshalb auf § 27 ZPO zurückzugreifen. Auch im Übrigen widerspricht es dem Anspruch auf Rechtsschutz, Beteiligte, die häufig sämtlich und langjährig im Inland leben, für Erbstreitigkeiten an entfernte Heimatstaatgerichte zu verweisen.378
4.220
372 Vgl. A. Dutta/W. Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, 2019. 373 Anlage zu Art. 20 deutsch-türkischer Konsularvertrag v. 28.5.1929, RGBl. 1930 II, 758; abgedruckt in Jayme/Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 62. 374 Vgl. OLG Köln, IPRspr. 1986, Nr. 109; LG München I, FamRZ 2007, 1250 (krit. Bauer); krit. Ch. Majer, ZEV 2012, 182, 185. 375 Dagegen H. Dörner, ZEV 1996, 90, 96; Ch. Majer, ZEV 2012, 182, 185. 376 BGH, FamRZ 2016, 122 (P. Gottwald). 377 IPRax 1982, 257. 378 Krit. auch H. Dörner, ZEV 1996, 90, 96; M. Atali, Internationale Zuständigkeit im deutsch-türkischen Rechtsverkehr, 2001, S. 122; Ch. Majer, ZEV 2012, 182, 184 f.
347
§ 4 Rz. 4.221 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
c) Autonomes deutsches Recht
4.221 Für grenzüberschreitende Fälle enthalten die Art. 4 ff. EuErbVO ein abschließendes Zuständigkeitssystem, neben dem für nationale Zuständigkeitsregeln kein Raum ist, auch für Erbfälle mit Bezug zu Drittstaaten.379 Die §§ 12 ff., 27 ZPO sind daher auf die internationale Zuständigkeit in Erbrechtsachen nicht mehr anwendbar. 4.222 Der besondere Gerichtsstand der Erbschaft (§ 27 ZPO) besteht vor dem Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten allgemeinen Gerichtsstand, also meist seinen letzten Wohnsitz hatte (§§ 12, 13 ZPO; 7 BGB). Hatte ein deutscher Erblasser keinen inländischen allgemeinen Gerichtsstand, kann an seinem letzten allgemeinen inländischen Gerichtsstand, hilfsweise am Sitz der Bundesregierung geklagt werden (§ 27 II ZPO). 2. Nachlassverfahren a) Europäisches Recht 4.223 Schrifttum: M. Buschbaum/M. Kohler, Vereinheitlichung des Erbkollisionsrechts in Europa,
GPR 2010, 106 u 162; M. Buschmann/U. Simon, EuErbVO: Das Europäische Nachlasszeugnis, ZEV 2012, 525; M. Buschmann/U. Simon, Beantragung und Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses sowie Verwendung eines ausländischen Europäischen Nachlasszeugnisses in Deutschland, Rpfleger 2015, 444; Ch. Dorsel, Europäische Erbrechtsverordnung und Europäisches Nachlasszeugnis, in Löhnig/Schwab u.a., Erbfälle unter Geltung der europäischen Erbrechtsverordnung, 2014, S. 33; Ch. Dorsel/Ch. Schall, Die Umsetzung der ErbVO durch die Europäische Kommission, GPR 2015, 36; J. Kleinschmidt, Das Verfahren zur Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, FS Lindacher, 2017, S. 165; K. Dorth, Das Verhältnis von Erbschein und europäischem Nachlasszeugnis, 2019; K.W. Lange, Das geplante Europäische Nachlasszeugnis, DNotZ 2012, 168; P. Mankowski, Europäische Regeln über die internationale Zuständigkeit für deutsche Erbscheine!, ErbR 2018, 482; L. Milzer, Die gerichtliche Zuständigkeit für den Erbenstreit um das europäische Nachlasszeugnis, NJW 2015, 2997; S. Omlor, Gutglaubensschutz durch das Europäische Nachlasszeugnis, GPR 2014, 217; W. Rechberger, Das Europäische Nachlasszeugnis und seine Wirkungen, ÖJZ 2012, 14; P. Schroer, Europäischer Erbschein, 2010; R. Süß, Das Europäische Nachlasszeugnis, ZEuP 2013, 725; R. Süß, Erbrecht in Europa (§ 6 Das Europäische Nachlasszeugnis), 3. Aufl. 2015, S. 165; Th. Wachter, Internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Oberle, ZErb 2018, 230; F. Wall, Richtet sich die internationale Zuständigkeit zur Erbscheinserteilung künftig ausschließlich nach Artt 4 ff. EU-ErbVO?, ZErb 2015, 9; J. Weber/Ch. Schall, Internationale Zuständigkeit für die Erteilung deutscher Erbscheine: (k)eine Frage der Europäischen Erbrechtsverordnung?, NJW 2016, 3564; W. Zimmermann, Erbschein, Erbscheinsverfahren, Europäisches Nachlasszeugnis, 3. Aufl. 2016.
(1) Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
4.224 Annahme und Ausschlagung der Erbschaft können vor dem nach Art. 4 ff. EuErbVO zuständigem Nachlassgericht erklärt werden, also meist vor dem Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Um beteiligten Erben, Vermächtnisnehmer 379 Dutta/Weber/Lein, Vorb. Art. 4 EuErbVO Rz. 39 f.; Geimer/Schütze/Wall, Vor Art. 4 Rz. 1 f.
348
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen | Rz. 4.227 § 4
und Pflichtteilsberechtigten entsprechende Erklärungen oder Erklärungen zur Haftungsbeschränkung zu erleichtern, sieht Art. 13 EuErbVO eine konkurrierende Zuständigkeit der Gerichte des EU-Mitgliedstaates vor, in dem der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit solche Erklärungen dort vor Gericht abgegeben werden können.380 Örtlich zuständig ist in Deutschland insoweit das Nachlassgericht, in dessen Bezirk der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 31 IntErbRVG).381 Die Erklärung vor dem Gericht des eigenen Aufenthaltsstaates wahrt die gesetzlichen Erklärungsfristen.382 Nicht geregelt ist, wie diese Erklärung an das zuständige Nachlassgericht weiterzuleiten ist. Erwägungsgrund 32 Satz 3 sieht vor, dass derjenige, der von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, das zuständige Nachlassgericht selbst informieren soll, eine reichlich merkwürdige Lösung. Unterlässt er dies, so hat dies aber auf die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärung keinen Einfluss.383 (2) Europäisches Nachlasszeugnis Fast noch wichtiger als die Zuständigkeit für streitige Zivilprozesse ist in Erbsachen die Erteilung eines Nachlasszeugnisses, in Deutschland des Erbscheins. Die Nachlassabwicklung erfolgt bislang in allen Mitgliedstaaten in höchst unterschiedlicher Weise, teils erteilen Gerichte Erbscheine, teils wird der Nachlass durch Notare, teils durch Anwälte abgewickelt. Bisher erteilte nationale Erbscheine werden in anderen Ländern meist nicht anerkannt. Hinterlässt ein Erblasser daher Vermögen in mehreren Staaten, so muss jeweils beschränkt auf den jeweiligen Staat ein Erbfolgezeugnis nach dessen Recht beantragt werden usw. Dies ist zumindest aufwendig und nicht praktisch.
4.225
Das Haager Übereinkommen über die internationale Nachlassverwaltung v. 2.10.1973 sieht ein internationales Zertifikat vor, bei dessen Vorlage über den beweglichen Nachlass auch in einem anderen Staat verfügt werden darf.384 Das Übereinkommen gilt aber nur für Portugal, die Slowakei und die Tschechische Republik. Deutschland hat das Übereinkommen nicht gezeichnet.
4.226
(i) Die EuErbVO (Nr. 650/2012) hat daher zum 17.8.2015 ein Europäisches Nachlasszeugnis eingeführt (Art. 62). Dieses Europäische Nachlasszeugnis soll die nationalen Zeugnisse nicht ersetzen, sondern ist nur als fakultative Alternative vorgesehen, wenn der Erbfall einen grenzüberschreitenden Bezug hat (Erwägungsgründe 67, 69, Art. 62 II EuErbVO). Wird es erteilt, hat es aber auch Wirkung im Ausstellungs-
4.227
380 OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 929; Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 13 EuErbVO Rz. 8. 381 Vgl. OLG Düsseldorf v. 26.10.2018 – 3 Sa 1/18, FamRZ 2019, 929; Geimer/Schütze/Jäger, Art. 13 EuErbVO Rz. 11. 382 Deixler-Hübner/Schauer/Gitschthaler, Art. 13 EuErbVO Rz. 11; Dutta in MünchKomm/ BGB, Art. 13 EuErbVO Rz. 10. 383 Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 13 EuErbVO Rz. 13; ähnlich Geimer/Schütze/Jäger, Art. 13 EuErbVO Rz. 12 ff. 384 Vgl. Staudinger/Dörner, Vor Art. 25 EGBGB Rz. 128 ff.
349
§ 4 Rz. 4.227 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
staat (Art. 62 III EuErbVO). Das Europäische Nachlasszeugnis wird über die gesamte Erbfolge erteilt. Es erfasst die gesamte Rechtsnachfolge, auch nach dem Tod eines Ehegatten. Beim Tod eines im deutschen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehegatten fällt auch die pauschale Erhöhung des Erbteils in den Anwendungsbereich der Verordnung.385 Soweit das nationale Recht eines EU-Mitgliedstaates ein Vindikationslegat vorsieht, ist auch dieses in das Zeugnis aufzunehmen.386
4.228 (ii) International zuständig für die Erteilung eines Nachlasszeugnisses ist das Gericht, das in Nachlasssachen nach den Art. 4, 7, 10 oder 11 EuErbVO zuständig ist (Erwägungsgrund 70, Art. 64).387 Für die Erteilung zuständig sind generell die Gerichte am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (Art. 4 EuErbVO). Gerichtsstandsvereinbarungen der Erben nach Art. 5 EuErbVO sind in Bezug auf das Verfahren zur Erteilung eines Nachlasszeugnisses nicht zulässig.388 Bei einer Rechtswahl des Erblassers sind unter den Voraussetzungen von Art. 7 EuErbVO die Gerichte des Staats zuständig, dessen Recht der Erblasser gewählt hat.389 Ob in diesem Verfahren eine rügelose Einlassung gem. Art. 9 EuErbVO möglich ist, ist eine offene Frage. 4.229 Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, sind die Gerichte jedes Mitgliedstaates, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen über den Gesamtnachlass zuständig, wenn der Erblasser (1) Angehöriger dieses Staates bei seinem Tode war, oder (2) wenn er seinen vorletzten gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedsstaat hatte, sofern dieser nicht mehr als fünf Jahre zurückliegt (Art. 10 I EuErbVO). Sind die Voraussetzungen zu (1) und (2) nicht erfüllt, besteht eine internationale Zuständigkeit hinsichtlich des in dem Mitgliedstaat belegenen Vermögens (§ 10 II EuErbVO). Schließlich sieht Art. 14 EuErbVO noch eine Notzuständigkeit vor, wenn sonst keine Zuständigkeit besteht, sofern ein Verfahren in einem Drittstaat, zu dem ein enger Bezug besteht, nicht oder nur in unzumutbarer Weise eingeleitet werden kann und ein ausreichender Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts besteht (Art. 11 EuErbVO). 4.230 Die örtliche und sachliche Zuständigkeit folgt aus § 34 IntErbRVG. Sachlich ist immer das AG als Nachlassgericht zuständig. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich (1) nach der Vereinbarung der Verfahrensparteien, (2) bei einer Rechtswahl nach der Anerkennung durch die Parteien, sonst (3) nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. 4.231 Art. 4 EuErbVO schließt es aus, dass ein Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Erteilung eines auf das eigene Staatsgebiet beschränkte Vermögen eines Erblassers, der 385 EuGH – C-558/16, ECLI:EU:C:2018:138 – Doris Margret Lisette Mahnkopf, FamRZ 2018, 63; dazu K. Thorn/K. Váron Romero, IPrax 2020, 316; so bereits R. Süß, Erbrecht in Europa, § 6 Rz. 10. 386 Vgl. EuGH – C-218/16, ECLI:EU:C:2017:755 – Aleksandra Kubicka, FamRZ 2017, 2057 (Ch. Döbereiner); J. Weber, DNotZ 2018, 16. 387 M. Buschbaum/M. Kohler, GPR 2010, 162, 167. 388 D. Leipold, FS Meincke, 2015, S. 219, 228 ff. 389 Zu den Gerichtskosten für die Ausstellung s. H. Schneider, Rpfleger 2015, 454.
350
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen | Rz. 4.237 § 4
die eigene Staatsangehörigkeit besaß, in Anspruch nimmt, wenn dieser Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat hatte.390 Soweit die EuErbVO anwendbar ist, gelten die deutschen Regeln über die internationale Zuständigkeit der Nachlassgerichte also nicht mehr.391 Soweit also ein anderer EU-Mitgliedstaat für die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses zuständig ist, sind deutsche Gerichte auch für die Ausstellung eines Erbscheins nach §§ 352 ff. FamFG nicht mehr zuständig.392 Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, sind die Gerichte des Mitgliedstaats für den ganzen Nachlass zuständig, dessen Angehöriger der Erblasser war. Subsidiär ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Erblasser vorher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wenn dieser bei Anrufung des Gerichts nicht mehr als fünf Jahre zurückliegt (Art. 10 I EuErbVO).
4.232
Besteht danach keine allgemeine Zuständigkeit, ist jeder Mitgliedstaat für den in seinem Gebiet belegenen Nachlass zuständig (Art. 10 II EuErbVO).
4.233
(iii) Den Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses können Erben, Vermächtnisnehmer mit dinglicher Berechtigung am Nachlass, Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter stellen (Art. 63 I, 65 I EuErbVO). Nachlassgläubiger oder Gläubiger der Erben haben kein Antragsrecht.393 Der Antrag kann zweckmäßigerweise mit Hilfe des amtlichen Formblatts gestellt werden; dessen Verwendung ist aber nicht zwingend.394
4.234
Das Nachlassgericht prüft von Amts wegen, ob der Antrag begründet ist (Art. 66 EuErbVO). Ist der Sachverhalt festgestellt, stellt es das Nachlasszeugnis unverzüglich auf dem Formblatt gem. Art. 81 aus (Art. 67 EuErbVO). Die Urschrift des Zeugnisses verbleibt allerdings bei den Gerichtsakten; der Antragsteller und jede andere Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, erhält eine oder mehrere beglaubigte Abschriften (Art. 70 EuErbVO).
4.235
Etwaige Schreibfehler werden von Amts wegen berichtigt (Art. 71 I EuErbVO). Inhaltliche Fehler führen auf Antrag zur Änderung oder zum Widerruf (Art. 71 II EuErbVO). In Deutschland hat ein Widerruf wegen Unrichtigkeit auch von Amts wegen zu erfolgen (§ 38 Satz 2 IntErbRVG). Bis zur Änderung oder dem Widerruf kann das Gericht die Wirkung des Nachlasszeugnisses auf Antrag aussetzen (Art. 73 EuErbVO).
4.236
(iv) Wirkung. Das Europäische Nachlasszeugnis wird in allen Mitgliedstaaten als Nachweis der Stellung des Erben und Vermächtnisnehmer sowie der Befugnisse der
4.237
390 EuGH – C-20/17, ECLI:EU:C:2018:485 – Oberle, NJW 2018, 2309 = FamRZ 2018, 1262 (M. Fornasier); J. Kleinschmidt, IPrax 2020, 308. 391 Vgl. Th. Wachter, ZErb 2018, 230; P. Mankowski, ErbR 2018, 482. 392 R. Süß, Erbrecht in Europa, § 6 Rz. 51. 393 R. Süß, Erbrecht in Europa, § 6 Rz. 35. 394 EuGH – C-102/18, ECLI:EU:C:2019:34 – Brisch, FamRZ 2019, 645 = ErbR 2019, 291 (P. Mankowski).
351
§ 4 Rz. 4.237 | Internationale Zuständigkeit in Familien- und Erbrechtssachen
Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter anerkannt (Art. 63 II EuErbVO). Nach seinem Sinn und Zweck kann es auch die Rechtsstellung eines Nachlasspflegers bescheinigen.395 Diese Wirkung hat es nicht nur in anderen EU-Mitgliedstaaten, sondern auch in dem Staat, der es ausgestellt hat (Art. 62 III 2 EuErbVO). Nach Art. 69 V EuErbVO genügt das Europäische Nachlasszeugnis als Nachweis für Eintragungen in „einschlägige Register eines Mitgliedstaates“. Nach Erwägungsgrund 69 Satz 3 darf ein anderer EU-Mitgliedstaat nicht statt des Europäischen Nachlasszeugnisses die Vorlage eines nationalen Erbzeugnisses verlangen. Der deutsche Gesetzgeber hat das Europäische Nachlasszeugnis in § 35 GBO ausdrücklich dem nationalen Erbschein als Legitimationsnachweis für Grundbucheintragungen gleichgestellt, so dass im Inland wohl generell nicht die Vorlage eines deutschen Erbscheins anstelle bzw. neben dem Europäischen Nachlasszeugnis verlangt werden darf.396 Seine inhaltliche Richtigkeit wird vermutet (Art. 69 II EuErbVO). An eine durch das Europäische Nachlasszeugnis legitimierte Person kann befreiend geleistet werden (Art. 69 III EuErbVO). Wer von dem durch das Nachlasszeugnis als Berechtigter Bezeichneten erwirbt, wird so behandelt, als habe er vom Berechtigten erworben, sofern er nicht die Unrichtigkeit des Zeugnisses kannte oder sie ihm als Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt war (Art. 69 IV EuErbVO).
4.238 Art. 69 V EuErbVO regelt nicht direkt, ob das Europäische Nachlasszeugnis auch gegenüber Privatpersonen Legitimationswirkung hat, doch sollte dies sinngemäß aus Art. 69 III und IV EuErbVO folgen. Jedenfalls darf eine Bank nicht anstelle des Europäischen Nachlasszeugnisses die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis der Erbfolge verlangen.397 4.239 (v) Inhalt. Der Inhalt des Europäischen Nachlasszeugnisses ist in Art. 68 EuErbVO bestimmt. Das Nachlasszeugnis enthält (1) die formellen Angaben zu Erblasser, Antragsteller und Gericht, (2) Angaben zur rechtlichen Grundlage des bezeugten Erbrechts, (3) die Erbquoten, dingliche Vermächtnisse sowie Angaben zu Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter. Anders als ein deutscher Erbschein enthält es auch Angaben zu einem Ehevertrag und zum Güterstand des Erblassers (Art. 68 lit. h), zur Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft (Art. 68 lit. k), ein Verzeichnis der Rechte oder Vermögenswerte, die einem bestimmten Erben zustehen (Art. 68 lit. l), sowie Rechte und Beschränkungen von Vermächtnisnehmern (Art. 68 lit. j, m, n EuErbVO). b) Das deutsch-türkische Nachlassabkommen
4.240 Nach § 17 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens v. 28.5.1929398 sind türkische Zeugnisse über Rechte der Erben oder von Testamentsvollstreckern, für die Erbfolge hinsichtlich des beweglichen Nachlasses auch in Deutschland anzuerkennen, wenn der Erblasser türkischer Staatsangehöriger war. Die Echtheit des Zeugnisses wird 395 396 397 398
352
OLG Schleswig, MDR 2018, 1006. A.A. R. Süß, Erbrecht in Europa, § 6 Rz. 18 (anders aber Rz. 38). Vgl. Dutta/Weber/Fornasier, EuErbVO Art. 62 Rz. 5. RGBl. 1930 II, 748.
XIII. Zuständigkeit in Erbrechtssachen | Rz. 4.242 § 4
durch eine Beglaubigung durch einen türkischen Konsul oder diplomatischen Vertreter nachgewiesen. c) Autonomes deutsches Recht Schrifttum: K. Dorth, Das Verhältnis von Erbschein und Europäischem Nachlasszeugnis, 2019; L. Kroiß, Das neue Nachlassverfahrensrecht, 2009; L. Kroiß, Die internationale Zuständigkeit im Nachlassverfahren nach dem FamFG, ZEV 2009, 493; R. Wagner, Internationale und örtliche Zuständigkeit für die Erteilung deutscher Erbscheine, NJW 2018, 3284.
Mit dem Inkrafttreten des FamFG ist auch nach autonomem deutschem Recht eine wesentliche Änderung eingetreten. Denn nunmehr gilt für die Zuständigkeit für die Erteilung eines Erbscheins nicht mehr der Gleichlaufgrundsatz.399
4.241
Auch für die Erteilung eines nationalen (deutschen) Erbscheins muss nunmehr eine Zuständigkeit nach Art. 4 ff. EuErbVO bestehen (s. Rz. 4.130 ff.). Besteht danach keine internationale Zuständigkeit darf auch kein nationaler Erbschein erteilt werden. § 97 I 2 FamFG sperrt einen Rückgriff auf die nationalen Zuständigkeitsregeln der § 105 FamFG i.V.m. § 343 FamFG400 Noch nicht entschieden ist, ob die Art. 4 ff. EuErbVO auch gelten, wenn der Erbschein nach nationalem Recht von einem Notar erteilt wird.401 Nach i § 352c I FamFG kann der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins (aus Kostengründen) auf das inländische Vermögen beschränkt werden, wenn zur Erbschaft auch Auslandsvermögen gehört. Diese Möglichkeit ist nicht auf Fälle beschränkt, bei denen ausländisches Recht Erbstatut ist.402 Die Möglichkeit dieser Beschränkung auf das inländische Vermögen ist auch in Fällen der Nachlassspaltung sinnvoll, wenn das Inlandsvermögen nach deutschem Recht, das Auslandsvermögen aber nach ausländischem Erbstatut vererbt wird.
399 Keidel/Zimmermann, § 343 FamFG Rz. 51; O. Beller, ZFE 2010, 52, 57. 400 EuGH – C-20/17, ECLI:EU:C:2018:485 – Oberle, FamRZ 2018, 1262 (M. Fornasier); R. Wagner, NJW 2018, 3284; J. Kleinschmidt, IPrax 2020, 308; a.A. noch Geimer/Schütze/ Wall, Art. 4 Rz. 28 ff.; Dutta/Weber/Weber, Einl. Rz. 70. 401 Vgl. Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2018, 1369, 1376 f. 402 H. Grziwotz in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, § 352c Rz. 7.
353
4.242
§5 Ausländer als Verfahrensbeteiligte I. Der prozessuale Status von Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 3. Zugang zu Gericht . . . . . . . . . . . . . 5.7 4. Die Parteifähigkeit von Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.13 5. Die Parteifähigkeit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.19 6. Die Parteifähigkeit ausländischer Staaten und internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.37 7. Die Prozessfähigkeit von Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.44 8. Postulationsfähigkeit; Zustellungsbevollmächtigter; Prozessvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.54 9. Die Prozessführungsbefugnis im IZPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.63 II. Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . 5.72 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.72 2. Die Sicherheitsleistung für Prozesskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.73 III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss . . . . . . . . . . . . . . . 5.122
1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.122 2. Prozesskostenhilfe in internationalen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.123 a) Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe für Ausländer . . . . . . . . . . 5.123 b) Haltung des Auslandes . . . . . . . . . 5.141 c) Grenzüberschreitende PKH-Anträge zwischen EU-Staaten . . . . . . . . 5.143 (1) Aus dem Ausland eingehende Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.144 (2) Ausgehende Gesuche . . . . . . . 5.151 d) Anträge nach den HZÜ 1954 . . . . 5.158 3. Prozesskostenvorschuss in internationalen Fällen . . . . . . . . . . . . . . 5.167 IV. Ausländer und die Gerichtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.171 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.171 2. Schriftsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.172 3. Mündliche Verhandlung . . . . . . . 5.176 4. Fremdsprachige Dokumente . . . 5.180 5. Sprache im Rechtshilfeverkehr . . 5.181 6. Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.182
I. Der prozessuale Status von Ausländern 1. Schrifttum
5.1 Th. Baumgarten, Der richtige Kläger im deutschen, französischen und englischen Zivilpro-
zess, 2001; K. Beys, Neue Wege zur Bestimmung der Rechts- und Parteifähigkeit, FS Schütze, 1999, S. 117; A. Beranek, Die Parteifähigkeit, 2008; J. Berndt, Die Rechtsfähigkeit US-amerikanischer Kapitalgesellschaften im Inland, JZ 1996, 187; M. Binz/G. Mayer, Die Rechtsstellung von Kapitalgesellschaften aus Nicht-EU/EWR/USA-Staaten mit Verwaltungssitz in Deutschland, BB 2005, 2361, H. Bungert, Das Recht ausländischer Kapitalgesellschaften auf Gleichbehandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 1994; T. Cebecioğlu, Stellung des Ausländers im Zivilprozessrecht, 2000; J. Dammann, Amerikanische Gesellschaften mit Sitz in Deutschland, RabelsZ 68 (2004), 607; W. Ebke, Gesellschaften aus Delaware auf dem Vormarsch: Der BGH macht es möglich, RIW 2004, 740; Ch. Fragistas, Die Prozessstandschaft im IZPR, FS Lewald, 1953, S. 471; O. Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995; R. Garnett, Substance and Procedure in Private International Law,
354
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.4 § 5 2012; R. Geimer, Menschenrechte im internationalen Verfahrensrecht, in Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, 1994, S. 213; R. Garnett, Verfassung, Völkerrecht und internationales Zivilverfahrensrecht, ZRvgl. 1992, 321; Th. Gergen, Partei- und Prozessfähigkeit einer aus dem Register gelöschten Gesellschaft in Frankreich, ZErb 2013, 197; P. Gottwald/N. Klamaris, Die Stellung des Ausländers im Prozess, in Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts, 1989, S. 1; L. Haertlein, Ausländische Parteien im Bankprozess, FS der Juristenfakultät zum 600-jährigen Bestehen der Universität Leipzig, 2009, S. 453; B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, FS Schütze, 1999, S. 269; R.-A. Hirth, Das „Registered Office“ in Singapur und Malaysia, FS Schütze, 1999, S. 287; L. Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nichtprivilegierten“ Drittstaaten, 2011; F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori im internationalen Zivilprozessrecht, 1995; M. Karayanni, Access to justice ascends to international civil litigation: The case of Palestinian plaintiffs before Israeli Courts, CJQ 33 (2014), 41; Kralik, Die Prozessfähigkeit des Ausländers, ZfRV 11 (1970), 161; W. Lindacher, Wettbewerbsprozess und Staatenimmunität, WRP 1999, 54; G. Luther, Zum Rechtsschutz des Ausländers in der deutschen Rechtspflege, FS Bosch, 1976, S. 559; F. Matscher, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, österr ZöRV 31 (1980), 1; T. Oda, Überlegungen zur Prozessfähigkeit von Ausländern, FS Konzen, 2006, S. 603; M. Pagenstecher, Werden die Partei- und die Prozessfähigkeit eines Ausländers nach seinem Personalstatut oder nach den Sachnormen der lex fori beurteilt?, ZZP 64 (1951) 249; Th. Ratka, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften, 2003; B. Rinne, Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen im deutschen Kollisions- und Sachrecht, 1998; A. Schnyder, Der Sitz von Gesellschaften im Internationalen Zivilverfahrensrecht, FS Schütze, 1999, S. 765; St. Smid, Prozessführungsbefugnis des gemeinschuldnerischen Unternehmensträgers in den konkursgerichtlichen Reorganisationsverfahren in Italien, DZWiR 2003, 57; A. Spahlinger/G. Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, 2005; Ž. Stalev, Die Fremde im Zivilprozess, in Zeitgenössische Fragen des IZVR, 1972, 31; N. Tomschin, Die Anerkennung USamerikanischer Gesellschaften in Deutschland, 2011; G. Wagner, Scheinauslandsgesellschaften im Europäischen Zivilprozessrecht, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, 223; M. Wenckstern, Inländische Briefkastenfirmen im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht, FS Drobnig, 1998, S. 465; M. Wolf, Abbau prozessualer Schranken im europäischen Binnenmarkt, Symposium Baur, 1992, S. 35.
2. Einführung Da sich in Deutschland (Dezember 2019) ständig etwa 10,3 Millionen Ausländer1 (12,3 % der Gesamtbevölkerung) aufhalten, überdies der internationale Waren-, Kapital- und Personenverkehr unentwegt zunimmt, bedarf es einer besonderen Prüfung, in welchem Maß und Umfang Ausländer in einem Zivilprozess in gleicher Weise oder anders behandelt werden wie Inländer.
5.2
Ausländer ist jeder, der eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt. Ist eine Person mit anderen Staatsangehörigkeiten auch Deutscher, so ist sie im Inland nur als Deutsche zu behandeln (Art. 5 I 2 EGBGB).
5.3
Wie Inländer zu behandeln sind Flüchtlinge, Staatenlose und Asylberechtigte. Nach Art. 12 des Genfer UN-Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 18.7.1991,2 Art. 12 des New Yorker UN-Übereinkommens über die Rechtsstellung
5.4
1 Stat. Bundesamt, www.destatis.de. 2 BGBl. 1953 II, 560.
355
§ 5 Rz. 5.4 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
der Staatenlosen v. 28.9.19543 bzw. § 2 I AsylG bestimmt sich ihr Personalstatut nach den Gesetzen des Landes, in dem sie ihren Wohnsitz, hilfsweise ihren Aufenthalt haben. Nach Art. 16 I des Flüchtlings-Abkommens, Art. 16 I des StaatenlosenÜbereinkommens bzw. § 2 I AsylG haben diese Personen freien und ungehinderten Zugang zu Gericht; nach Art. 16 II Flüchtlings-Abkommen, Art. 16 II StaatenlosenÜbereinkommen bzw. § 2 I AsylG genießen sie Inländerbehandlung hinsichtlich des Zugangs zu Gericht, des Armenrechts (Prozesskostenhilfe) und der Befreiung von der Sicherheitsleistung für Prozesskosten.4
5.5 Grundsätzlich sind Inländer und Ausländer im Zivilprozess gleich zu behandeln. Dies folgt bereits aus Art. 3 I GG. Der Gleichheitssatz schließt aber sachlich gebotene Sonderregeln nicht aus. Das Wort „Ausländer“ kommt in der ZPO kaum noch, z.B. in § 55 ZPO. In anderen Vorschriften wie z.B. bei § 328 ZPO wird nicht mehr auf die deutsche Staatsangehörigkeit abgestellt. Der deutsche Gesetzgeber hat mithin der Forderung Jherings entsprochen, dass „der Prozess für die Parteien die Anerkennung ihrer prinzipiellen rechtlichen Gleichheit enthält und seine ganze Einrichtung darauf berechnet ist, Licht und Sonne gleichmäßig zu verteilen“.5 5.6 Wenn dennoch gewisse Unterschiede von Einheimischen und Fremden im Zivilprozess gemacht werden, so hat Isay eine solche unterschiedliche Behandlung mit dem Grundsatz des Äquivalentes zu erklären versucht: wenn schon ein Staat auch Fremden gerichtlichen Schutz gewähre, so könne er von den Fremden ein gewisses Verhalten verlangen und für sie insoweit besondere Prozessvorschriften erlassen.6 De lege ferenda könnten viele dieser besonderen Vorschriften abgebaut werden, wenn sich alle Staaten entschließen würden, auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit im Zivilprozess zugunsten aller Rechtsuchenden zu verzichten. Davon sind wir leider immer noch weit entfernt (s. Rz. 1.33 ff.). 3. Zugang zu Gericht
5.7 a) Schon nach allgemeinem Völkerrecht haben Ausländer ein Recht auf Zugang zu Gericht. Ihnen steht der innerstaatliche Rechtsweg offen.7 In einigen multilateralen Übereinkommen und bilateralen Staatsverträgen ist das Recht auf Zugang zu Gericht besonders festgehalten, so in Art. 16 UN-Flüchtlings-Abkommen 1951, Art. 16 UNÜbereinkommen über Staatenlose 1954, Art. 7 Europäisches Niederlassungsabkommen 1955, Art VI (1) des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrags und Art. 8 II deutsch-persisches Niederlassungsabkommen 1929. 5.8 b) Ein Anspruch auf Rechtsschutz ist Inländern und Ausländern auch verfassungsrechtlich garantiert. Art. 24 der italienischen Verfassung sieht dies explizit vor. 3 4 5 6 7
356
BGBl. 1976 II, 474. Vgl. auch Ch. Lass (Wendehorst), Der Flüchtling im deutschen IPR, 1995, S. 174 ff. Der Zweck im Recht, 1877, Bd. I, 387. Das deutsche Fremdenrecht, Ausländer und Polizei, 1923, 56. BVerfGE 60, 253, 303 f = NJW 1982, 2425, 2430; A. Verdross/B. Simma, § 1213; R. Schütze, IZPR, Rz. 183.
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.13 § 5
Aber auch nach dem Grundgesetz hat jedermann (aus dem Rechtstaatsprinzip) einen Anspruch auf Justiz (oder Justizgewährung), insb. stehen die Rechte aus Art. 101 I 2 GG und Art. 103 I GG auch jeder ausländischen Person zu.8 Zugang zu Gericht bedeutet für den Kläger das Recht, Klage erheben und für den Beklagten, sich effektiv verteidigen zu können. Dieses Verfassungsrecht auf Justiz darf nicht von der Verbürgung der Gegenseitigkeit abhängig gemacht werden.9
5.9
c) Recht auf persönliches Erscheinen vor Gericht. Soweit vor Gericht mündlich verhandelt wird, hat die ausländische Partei aufgrund ihres Rechts auf Justiz und Zugang zu Gericht (Art. 103 I GG) auch die Befugnis, persönlich an der Verhandlung teilzunehmen, d.h. in den Verfahrensstaat (Deutschland) einzureisen, an der Gerichtssitzung teilzunehmen und ungehindert wieder auszureisen.10 Ein solches Recht entspricht nicht dem allgemeinen Völkerrecht. Danach genügt es, dass der Zugang zu Gericht durch einen frei gewählten Prozessbevollmächtigten ausgeübt werden kann. Dieser darf nicht zurückgewiesen werden, weil die Partei nicht persönlich erscheint.
5.10
d) Freies Geleit. Ein Recht auf freie Ein- und Ausreise garantieren die Rechtshilfeverträge nur für Zeugen und Sachverständige (so z.B. Art. 20 Haager Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Zugangs zu Gericht von 1980). Der BGH hat die Möglichkeit, freies Geleit auch für Parteien zu gewähren, auf eine analoge Anwendung von § 295 StPO gestützt.11 Sicheres Geleit kann danach jedem Verfahrensbeteiligten in allen Verfahren unter Abwägung des Beweisinteresses und des Strafverfolgungsinteresses des Staats gewährt werden. In eindeutigen Fällen kann ein solches Recht darüber hinaus als Teil des Justizanspruchs angesehen werden; auch Art. 6 I EMRK bildet eine Rechtsgrundlage.12
5.11
Droht bei einer Einreise zur Teilnahme am Gerichtsverfahren jedoch eine Verhaftung, so hat die betroffene Partei soweit möglich das Recht auf Antrag per VideoLive-Schaltung an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.13
5.12
4. Die Parteifähigkeit von Ausländern Nach § 50 I ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Unter der Parteifähigkeit versteht man die Fähigkeit, als Kläger oder Beklagter, als Nebenintervenient, Antragsteller oder -gegner in einem Prozess aufzutreten. Nach § 253 II Nr. 1 ZPO muss die Klageschrift die Bezeichnung der Parteien enthalten. Die ZPO geht also davon aus, 8 BVerfGE 64, 1, 11 = NJW 1983, 2766; R. Geimer, ZfRV 5 (1992), 321, 326. 9 R. Geimer, ZfRV 1992, 321, 328 Fn. 57. 10 H. Nagel, ZZP 75 (1962), 408, 426; krit. L. Haertlein, FS 600 Jahre Universität Leipzig, 2009, S. 453, 456. 11 BGH, NJW 1991, 2500; R. Geimer, IZPR, Rz. 2390; G. Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts, 2006, S. 193 ff.; a.A. L. Haertlein, FS 600 Jahre Universität Leipzig, S. 453, 457. 12 R. Geimer in Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, 1993, S. 213, 223. 13 House of Lords (Polanski v Condé Nast Publ. Ltd.), RIW 2006, 301 (O. Knöfel).
357
5.13
§ 5 Rz. 5.13 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
dass der Kläger die Parteien benennt. Das Gericht prüft von Amts wegen, ob die Parteifähigkeit der Parteien, die in der Klageschrift bezeichnet sind, gegeben ist (§ 56 I ZPO). Stellt sich heraus, dass es eine Partei nicht gibt oder dass sie nicht parteifähig ist, so muss die Klage durch ein Prozessurteil abgewiesen werden.14
5.14 a) Bei natürlichen Personen bestehen keine Schwierigkeiten. Insoweit können die Parteifähigkeit und die Rechtsfähigkeit als Synonyme betrachtet werden. Der prozessuale Begriff der Parteifähigkeit wird dem materiellen Recht des BGB entnommen. 5.15 Nach heute h.M. ist die Parteifähigkeit einer ausländischen natürlichen Person nach ihrem Heimatrecht zu bestimmen. Das deutsche IZPR verweist mithin nicht auf die Regeln des materiellen Rechts über die Rechtsfähigkeit, sondern die des Prozessrechts des Heimatstaats über die Parteifähigkeit,15 auch wenn beides bei natürlichen Personen meist zusammenfällt.16 In der Schweiz ist nach Art. 34 IPRG parteifähig, wer nach Schweizer Recht, also der lex fori rechtsfähig ist.17 5.16 Eheleute können unabhängig voneinander klagen und verklagt werden. Cal. CCP §§ 370, 371 stellt ausdrücklich klar, dass Eheleute unabhängig voneinander verklagt werden können und dass ihre Parteirechte bei gemeinsamer Klage unabhängig voneinander sind. 5.17 b) Nichtrechtsfähige Vereine. Die Parteifähigkeit deckt sich aber nicht immer mit dem materiellen Begriff der Rechtsfähigkeit. Parteifähig ist bereits, wer nach Heimatrecht nur parteifähig ist.18 Zur Erleichterung des inländischen Rechtsverkehrs ist § 50 ZPO aber auch direkt gegenüber Ausländern anzuwenden: Parteifähig ist danach auch, wer nach Heimatrecht nur rechtsfähig ist.19 Nach der Neufassung des § 50 II ZPO besitzt der nicht rechtsfähige Verein volle Parteifähigkeit; er kann klagen und verklagt werden. Nachdem der BGH der BGB-Außengesellschaft Rechts- und Parteifähigkeit zuerkannte,20 war die frühere Regel einer nur passiven Parteifähigkeit obsolet geworden.
5.18 Die deutsche Neuregelung gilt aber nicht für ausländische Vereinigungen. Deren Parteifähigkeit richtet sich weiterhin nach dem Heimatrecht. § 55 ZPO gilt insoweit nicht. Französische Fonds-Gesellschaften (Fonds commun de placement à risques; Fonds communs de placement dans l’innovation) sind nicht parteifähig.21 14 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 41 Rz. 21, § 43 Rz. 5, 43. 15 Für Abstellen auf die jeweilige lex fori R. Schütze, IZPR, Rz. 186. 16 R. Geimer, IZPR, Rz. 2202 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 43 Rz. 3; J. Kropholler, IPR, § 56 IV 5; Bork in Stein/Jonas, § 50 ZPO Rz. 50; vgl. O. Furtak, Parteifähigkeit in Zivilverfahren, 1995, S. 54 ff., 120 ff.; M. Wolf, Symposium Baur, 1992, S. 35, 45. 17 Vgl. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz (§ 6 I 1), S. 320. 18 H. Schack, IZVR Rz. 598; L. Haertlein, FS 600 Jahre Universität Leipzig, S. 453, 459. 19 Wieczorek/Schütze/Schulze, § 50 Rz. 41, 44. 20 BGHZ 146, 341, 347 = NJW 2001, 1056; BGH, NJW 2002, 1207. 21 IPG 2007/08 Nr. 51 (S. 665).
358
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.22 § 5
5. Die Parteifähigkeit von Gesellschaften a) Für deutsche Handelsgesellschaften ist die Parteifähigkeit im HGB unmittelbar geregelt. Nach § 124 I HGB kann eine OHG unter ihrer Firma klagen und verklagt werden. Sie ist aktiv und passiv parteifähig, obwohl sie keine juristische Person ist.22 Ihr wird auch die materiell-rechtliche Fähigkeit verliehen, unter ihrer Firma Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Dasselbe gilt nach § 161 II HGB für die Kommanditgesellschaft, nach § 7 II PartGG für die Partnerschaftsgesellschaft sowie nach Art. 1 II EWIVVO für die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung.
5.19
b) Die Parteifähigkeit ausländischer juristischer Personen und Personengesellschaften und sonstiger Vereinigungen wird gem. § 50 ZPO implizit nach ihrem Heimatrecht beurteilt.23 Zweifelhaft ist freilich, auf welches Recht abzustellen ist, wenn eine Gesellschaft Beziehungen zu mehreren Staaten hat. Während zur Bestimmung des Sitzes für die internationale Zuständigkeit nach Art. 63 I EuGVO n.F. (Art. 60 EuGVO a.F./LugÜ) alternativ (a) auf den satzungsmäßigen Sitz, (b) den Ort der Hauptverwaltung oder (c) den Ort der Hauptniederlassung abzustellen ist, war die Anknüpfung der Rechts- und Parteifähigkeit Gegenstand erheblichen Streits.
5.20
Das deutsche IPR und Prozessrecht knüpft beide (im Verhältnis zu Nicht-EU-Mitgliedstaaten) nach der sog. Sitztheorie an das Recht des Staats an, in dem der Sitz der Hauptverwaltung, der tatsächliche Verwaltungssitz liegt.24 Der effektive Verwaltungssitz liegt dort, wo die grundlegenden Unternehmensentscheidungen getroffen werden; die Abwicklung lediglich sekundärer Verwaltungstätigkeiten oder die bloße Registrierung beim Handelsregister genügen grds. nicht.25
5.21
Hat eine im Ausland gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz jedoch von Anfang an in Deutschland (sog. Scheinauslandsgesellschaft) oder verlegt sie ihn später hierher, so sollte sie danach ihre Rechts- und (aktive) Parteifähigkeit verlieren, wenn sie nicht nach deutschem Gesellschaftsrecht neu gegründet wurde.26 Auf diese Weise sollte erreicht werden, dass der inländische Standard an Gläubigerschutz für alle im Inland tätigen Gesellschaften gilt. Mit dem prozessualen Grundprinzip eines freien Zugangs zum Recht war und ist die reine Sitztheorie dagegen nicht vereinbar.
5.22
22 Baumbach/Hopt/M. Roth, § 124 HGB Rz. 42. 23 Vgl. aber T. Schemmann, Parteifähigkeit im Zivilprozess, 2002, S. 126 ff. 24 So BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289; BGHZ 190, 242 (Fn. 16) = NJW 2011, 3372; BGHZ 97, 269, 271 = NJW 1986, 2194; Bork in Stein/Jonas, § 50 Rz. 36; Althammer in Zöller, § 50 Rz. 32; R. Geimer, IZPR, Rz. 2208 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2018, IntGesR Rz. 420, 427 ff., 455 ff. 25 LG Essen, NJW 1995, 1500 – Time Sharing Anbieter, registriert auf der Isle of Man; ebenso OLG München, NJW-RR 1995, 703, luxemburgische Société Anonyme; vgl. R. Werner, Der Nachweis des Verwaltungssitzes ausländischer juristischer Personen, 1998. 26 So BGH, ZIP 2000, 967 = EuZW 2000, 412 (Vorlage an den EuGH); OLG Zweibrücken, RIW 2001, 373.
359
§ 5 Rz. 5.23 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
5.23 (1) Für Gesellschaften, die in der Europäischen Union gegründet sind, hat der EuGH mehrfach entschieden, dass die Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV (a.F.) nicht vereinbar sei. Danach gilt eine sog. europarechtliche Gründungstheorie:27 Jede in einem EU-Staat wirksam gegründete Gesellschaft hat danach Parteifähigkeit in allen EU-Staaten und behält die im Gründungsstaat erworbene Rechts- und Parteifähigkeit bei ihrer Sitzverlegung in einen anderen EU-Staat,28 und zwar gleichgültig, ob sie eine Geschäftstätigkeit auch im Gründungsstaat oder von Anfang an nur eine Geschäftstätigkeit im „Niederlassungs“-Staat unterhält. Konsequenterweise entfallen dann Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit mit der Löschung der Gesellschaft im Gründungsstaat.29 Hat eine solche Gesellschaft aber Vermögen im Inland, so besteht die Rechtsfähigkeit dieser Restgesellschaft so lange fort, als die Liquidation des inländischen Vermögens nicht abgeschlossen ist.30 Diese Theorie beruht vor allem auf drei Entscheidungen: (i) Im Centros-Urteil v. 9.3.199931 entschied der EuGH, dass eine im England von Dänen gegründete plc (eine reine Briefkastenfirma) eine „Zweigniederlassung“ in Dänemark errichten kann, um ausschließlich von dort aus ihre Geschäfte zu führen. (ii) Im Fall „Überseering“ entschied der EuGH am 5.11.2002,32 dass eine niederländische GmbH („B.V.“), die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt, aufgrund der Niederlassungsfreiheit der Art. 43, 48 EG (jetzt Art. 49, 54 AEUV) auch im Zuzugsstaat ihre Rechts- und Parteifähigkeit als niederländische Gesellschaft behalten muss. (iii) Im Urteil „Inspire Art“ v. 30.9.200333 hielt es der EuGH u.a. für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit, dass eine englische Gesellschaft (mit ausschließlicher Tätigkeit in den Niederlanden) eine Zweigniederlassung nur unter der ausdrücklichen Angabe, es handele sich um eine ausländische Gesellschaft, errichten dürfe.
27 Vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR Rz. 361 ff. 28 Zur Sitzverlegung im Verhältnis Deutschland – Polen s. Ch. Teichmann/P. Ptak, RIW 2010, 817. 29 Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 1852, 1853; AG Duisburg, IPRax 2005, 151 (dazu G. Borges, S. 134); LG Duisburg, ZIP 2007, 925. 30 OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 1852, 1853 (dazu S. Mock, EWiR § 50 ZPO 1/11, 67); L. Haertlein, FS 600 Jahre Universität Leipzig, S. 453, 460. 31 EuGHE 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027; dazu P. Kindler, NJW 1999, 1993; H. J. Sonnenberger/H. Großerichter, RIW 1999, 721; P. Behrens, IPRax 1999, 323; EuGHE 1999, I1459 = ZIP 1999, 438 = NJW 1999, 2027; dazu G. Roth, ZIP 1999, 861 u.E. Werlauff, ZIP 1999, 867; B. Höfling, DB 1999, 1206 u. EuZW 2000, 145; St. Leible, NZG 1999, 298; P. Kindler, NJW 1999, 1993; V. Geyrhalter, EWS 1999, 201; W. Ebke u. P. Ulmer, JZ 1999, 656 u. 662; W. Meilicke, DB 1999, 627; P. Behrens, IPRax 2000, 384; M. Timme/F. Hülk, JuS 1999, 1055; E. Steindorff, JZ 1999, 1140; H. J. Sonnenberger/H. Großerichter, RIW 1999, 721; E. Brödermann, ZZPInt 4 (1999), 259, 269; K. P. Puszkajler, IPRax 2000, 79. 32 EuGHE 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 = RIW 2002, 945 (dazu St. Leible/J. Hoffmann, S. 925) = ZZPInt 7 (2002), 293 (Th. Pfeiffer) = IPRax 2003, 65 (dazu W. H. Roth, S. 117). 33 EuGHE 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331; dazu H. Altmeppen, NJW 2004, 97; P. Behrens, IPRax 2004, 20.
360
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.25 § 5
Ob diese Entscheidungen der deutschen Sitztheorie innerhalb der EU vollständig den Boden entzogen haben,34 ist hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls ergibt sich aus diesen Urteilen, dass die in einem EU-Staat erworbene (und fortbestehende) Rechtsund Parteifähigkeit in jedem anderen EU-Staat ohne Einschränkungen anzuerkennen ist.35 (2) Gleiches gilt gem. Art. 31 EWR-Abk. für Gesellschaften, die in einem EWR-Staat gegründet worden sind. Dies hat der BGH mit Urteil v. 19.9.2005 für eine liechtensteinische Aktiengesellschaft anerkannt,36 die ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat. Für Schweizer Gesellschaften mit Sitz in Deutschland gilt dies nicht, da die Schweiz dem EWR nicht beigetreten ist.37 Sobald der „Brexit“ wirksam wird, sind – da der Austrittsvertrag keine Regelung enthält – in Großbritannien gegründete Gesellschaften wieder wie solche aus Drittstaaten zu behandeln38 (s. Rz. 5.26).
5.24
(3) Die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Gründungsrecht besteht auch für in den USA nach dortigem Recht gegründete Gesellschaften nach Art XXV (5) des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrags v. 7.5.1956.39 Satz 2 dieser Bestimmung lautet:
5.25
„Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften eines Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt.“ In den USA inkorporierte Gesellschaften sind danach in Deutschland anzuerkennen, unabhängig davon, wo sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befindet (Gründungsrechtstheorie).40 Davon will die Rspr. eine Ausnahme für reine Briefkasten- und Scheingesellschaften machen.41 Das Erfordernis eines „genuine link“ zu den USA legt
34 Dagegen Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR Rz. 132, 139. 35 BGHZ 154, 185 = NJW 2003, 1461 (Überseering); BGH, ZIP 2005, 805 = DB 2005, 1047; OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 1179 (irische general partnership = nicht rechtfähige, aber parteifähige Vereinigung). 36 BGHZ 164, 148 = MDR 2006, 105 (St. Haack); bestätigt in BGHZ 178, 192 (Rz. 19) = NJW 2009, 289; BGHZ 190, 242 (Rz. 17 ff.) = NJW 2011, 3372. 37 BGH, RIW 2009, 79, 81 (Rz. 20). 38 Vgl. M.-Ph. Weller/Ch. Thomale/N. Benz, Englische Gesellschaften in der Post-BrexitEU, NJW 2016, 2378. 39 BGBl. 1956 II, 487, 500; vgl. D. Kaulen, Die Anerkennung von Gesellschaften unter Artikel XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-US-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträgen von 1954, 2008; N. Tomschin, Die Anerkennung US-amerikanischer Gesellschaften in Deutschland, 2011; Kindler in MünchKomm/BGB, Int.GesR Rz. 333 ff. 40 Vgl. BGHZ 153, 353 = NJW 2003, 1607 = RabelsZ 68 (2004), 770 (dazu J. Dammann, S. 607) = RIW 2004, 787 (dazu W. Ebke, RIW 2004, 740); BGH, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147; BGH, RIW 2013, 248. 41 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 = JuS 1995, 1037 (G. Hohloch); krit. J. Berndt, JZ 1996, 187; vgl. auch C. T. Ebenroth/M. Kemner/A. Willburger, ZIP 1995, 972; C. T. Ebenroth/B. Bippus, NJW 1988, 2137, 2138 ff.
361
§ 5 Rz. 5.25 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
der BGH aber eng aus; nur Missbrauchsfällen soll dadurch entgegengewirkt werden.42
5.26 (4) Im Verhältnis zu anderen Drittstaaten bleibt dagegen die bisherige Sitztheorie anwendbar.43 In Deutschland wird die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht des Gründungsstaats danach teilweise nur anerkannt, wenn sich dort auch der Verwaltungssitz befindet.44 Schwierigkeiten können sich aber selbst dann aus den Anforderungen für einen Nachweis der (aktuellen) Existenz der Gesellschaft ergeben. 5.27 (5) Hat die im Drittstaat gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aber im Inland oder verlegt sie ihn später hierher, ohne dass eine Neugründung nach deutschem Recht erfolgt, so folgt daraus entgegen der früheren Ansicht des BGH45 nicht das Fehlen von Rechts- und Parteifähigkeit. Denn eine Gesellschaft ohne Gesellschafter gibt es nicht. Führt die Sitzverlegung aber zu einem Statutenwechsel, so ist die Gesellschaft eben als deutsche Gesellschaft anzusehen. 5.28 Betreibt die Gesellschaft ein Handelsgewerbe, so ist sie mangels abweichender Vereinbarungen als offene Handelsgesellschaft zu behandeln und daher rechts- und parteifähig (§ 124 HGB).46 Betreibt sie kein Handelsgewerbe, so handelt es sich nach deutschem Recht um eine BGB-Gesellschaft.47 Soweit diese eine Außengesellschaft ist, ist sie nach der neuesten Rechtsprechung des BGH ebenfalls rechts- und parteifähig.48 Im Ergebnis sollte die Sitztheorie daher auch gegenüber einer Partei aus einem Drittstaat jedenfalls für Fragen der Parteifähigkeit aufgegeben werden.49 5.29 (6) Sonderstellung inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen. Die inländische Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens teilt grds. das rechtliche Schicksal der ausländischen Firma, weil die Zweigniederlassung keine eigene Rechtsfähigkeit besitzt.50 Wird nur die inländische Niederlassung aufgegeben, hat dies 42 BGH, IPRax 2005, 339 (dazu M. Stürner, S. 305) = JZ 2005, 303 (G. Rehm); BGH, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147 = NZG 2005, 44 = IPRax 2005, 340 (dazu M. Stürner, S. 305) = JZ 2005, 298 (W. Ebke). 43 Kindler in MünchKomm/BGB, Int.GesR Rz. 455 ff., 420 ff. 44 Vgl. KG, DB 2005, 1158, 1159; G. Wagner, Scheinauslandsgesellschaften, S. 223, 229 f. Vgl. dagegen de lege ferenda: H. J. Sonnenberger/Bauer, RIW 2006, Beilage 1, S. 3 (Anknüpfung an Registerrecht). 45 BGH, ZIP 2000, 967 = EuZW 2000, 412 (Vorlage an EuGH). 46 BGH, RIW 2009, 79, 81 (Schweizer AG); BGH, ZIP 2009, 2385 (in Singapur gegründete Ltd.) (krit. J. Lieder/R. Kliebisch, EWiR, § 11 GmbHG 1/10, 117). 47 BGHZ 151, 204 = MDR 2002, 1382 (St. Haack) = NJW 2002, 3539; vgl. W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597, 1600; M. Binz/G. Mayer, BB 2005, 2361. 48 BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056; dazu K. Schmidt, NJW 2001, 993; P. Ulmer, ZIP 2001, 585, 590; M. Timme/F. Hülk, JuS 2001, 536; W. Hadding, ZGR 2001, 712, 729 ff.; BGH, ZIP 2002, 614. 49 Ebenso Bork in Stein/Jonas, § 50 Rz. 51; G. Rehm, JZ 2005, 304; weitergehend B. Paal, RIW 2005, 738. 50 So BGH, MDR 1952, 99; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 43 Rz. 7; Bork in Stein/Jonas, § 50 Rz. 54.
362
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.32 § 5
daher keine Auswirkung au die Parteifähigkeit.51 Der ausländische Unternehmer kann aus den von und mit einer Zweigniederlassung geschlossenen Rechtsgeschäften unter der Firma der inländischen Zweigniederlassung klagen und verklagt werden, wenn diese von der Firma des Hauptunternehmens abweicht.52 Wird nur die inländische Niederlassung aufgegeben, hat dies keine Auswirkung auf die Parteifähigkeit.53 Die inländische Zweigstelle einer Bank mit Sitz in einem anderen Staat gilt nach § 53 I 1 KWG als Kreditinstitut; nach § 53 III KWG darf für Klagen mit Bezug auf diesen Geschäftsbetrieb der Gerichtsstand der Niederlassung nicht ausgeschlossen werden (s. Rz. 3.528). Diese Regel gilt allerdings nicht gegenüber Banken aus EUbzw. EWR-Staaten (§ 53b I 2 KWG), da die Rechtsverfolgung in einem dieser Staaten gegenüber der Klage im Inland als gleichwertig gilt. Nach § 53c Nr. 2 KWG kann das Bundesministerium der Finanzen eine Freistellung von § 53 KWG auch für Unternehmen mit Sitz in bestimmten Drittstaaten durch Rechtsverordnung anordnen.
5.30
In seinem Urteil v. 2.4.197054 hat der BGH in einem besonders gelagerten Fall anders entschieden: Ist für eine Zweigstelle eines ausländischen Kreditinstituts ein Abwickler bestellt worden, so ist das Kreditinstitut ohne Rücksicht auf sein rechtliches Schicksal im Ausland für den Geschäftsbereich des Abwicklers parteifähig und wird in diesem Umfang vom Abwickler gesetzlich vertreten.“ Dabei wurde ausdrücklich der Grundsatz wiederholt, dass sich die Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit einer juristischen Person nach dem Recht ihres Sitzes richten. Etwas anders müsse aber für den Sonderfall gelten, wenn es sich um eine Zweigstelle eines Kreditinstituts handele, weil der Gesetzgeber eine solche im Inland befindliche Zweigstelle als selbständiges Kreditinstitut fingiere, das der Aufsicht des Bundesaufsichtsamts unterworfen sei.
5.31
c) Für juristische Personen und andere parteifähige Gebilde wird die Parteifähigkeit primär aus der Rechtsfähigkeit nach Heimatrecht abgeleitet.55 Für problematische Fälle ist aber direkt auf das Personalstatut abzustellen.56 Soweit solche Einrichtungen nach Heimatrecht nur parteifähig, nicht aber rechtsfähig sind, wie die englische partnership, ist auch dies im Wege der Lückenfüllung anzuerkennen.57 Parteifähig ist also, wer nach Heimatrecht rechtsfähig oder/und parteifähig ist.
5.32
Schließlich ist die Parteifähigkeit solcher Gebilde anzuerkennen, die im Inland den Rechtsschein der Rechtsfähigkeit gesetzt haben.58 51 OLG Rostock, MDr 2020, 369. 52 BGHZ 4, 62; Staub/J. Koch, HGB-Großkommentar, 5. Aufl. 2009, § 13 Rz. 80, § 13d Rz. 42 f.; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 13 HGB Rz. 7. 53 OLG Rostock, MDR 2020, 369. 54 BGH, NJW 1970, 1187. 55 BGHZ 159, 94, 100 = NJW 2004, 2523; BGHZ 154, 185, 190 = NJW 2003, 1461: Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 470 ff., 587. 56 Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 587; Staudinger/Großfeld, IntGesR, 14. Bearb., Rz. 289 ff.; v. Bar/Mankowski, IPR I Rz. 367; vgl. O. Furtak, Parteifähigkeit, S. 159 ff. 57 BGH, IPRax 2000, 21, 22 (dazu H. Roth, S. 11); Staudinger/Großfeld, IntGesR, 14. Bearb., Rz. 292; Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 470 ff., 487. 58 BGH, NJW 1960, 1204/05.
363
§ 5 Rz. 5.33 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
5.33 Für Personen, Anstalten und Behörden des öffentlichen Rechts gilt nach § 89 BGB Entsprechendes. 5.34 In einer Reihe von bilateralen Freundschafts- und Niederlassungsabkommen ist die Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften nach Heimatrecht ausdrücklich festgelegt (z.B. in Art. 1 dt.-niederl. Vertrag über gegenseitige Anerkennung der Aktiengesellschaften).59 5.35 d) Erlöschen im Heimatstaat. Wird eine ausländische Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat gelöscht, so verliert sie mit ihrer Rechtsfähigkeit grundsätzlich auch ihre Partei- und Prozessfähigkeit im Inland. Soweit Inlandsvermögen vorhanden ist, kann die Gesellschaft aber ggf. als Rest-, Spalt- oder Liquidationsgesellschaft fortgeführt werden. Solange die Löschung aber rückgängig gemacht werden kann, ist der Prozess entsprechend §§ 239, 241 ZPO unterbrochen.60 5.36 e) Rest- oder Spaltgesellschaften. Wird eine juristische Person oder eine Personengesellschaft in ihrem Heimatstaat enteignet oder geht sie dort infolge sonstiger staatlicher Eingriffe unter, so hat dies keine Auswirkung auf inländisches Vermögen. Im Inland besteht der Rechtsträger daher als Restgesellschaft fort, ggf. nur als Liquidationsgesellschaft.61 Diese Restgesellschaft ist weiterhin parteifähig. Gleiches gilt, wenn eine Gesellschaft im Ausland aufgrund behördlicher Anordnung gelöscht worden ist.62 Soweit erforderlich, ist der Restgesellschaft ein Vertretungsorgan für das Inland, z.B. ein Nachtragsliquidator, zu bestellen. 6. Die Parteifähigkeit ausländischer Staaten und internationaler Organisationen
5.37 a) Ausländische Staaten sind als juristische Personen parteifähig. Ein nicht anerkannter Staat ist für den Gerichtsstaat an sich nicht existent und wäre damit nicht parteifähig.63 Dieses Ergebnis wäre aber für den Rechtsschutz der Gegenpartei häufig fatal. Der englische Court of Appeal hat deshalb für die Republik Ciskei (ein von England nicht anerkanntes Homeland) angenommen, tatsächlich handele es sich um ein Organ der anerkannten Republik Südafrika, das unter seinem Namen letztlich für Südafrika handeln könne.64 Das japanische Recht geht ebenfalls von der völkerrechtlichen Anerkennung aus, billigt einem „effektiven Staat“ (z.B. Taiwan) aber (bezogen auf sein tatsächliches Herr-
59 Eine vollständige Übersicht findet sich bei Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR Rz. 328 ff. 60 BGH, MDR 2017, 346. 61 BGH, ZIP 2007, 859; BGHZ 212, 381 = MDR 2017, 347 = IPRax 2017, 619 (dazu L. Hübner, S. 575). 62 BGHZ 212, 381 (Rz. 14) = IPRax 2017, 619; OLG Brandenburg, ZIP 2016, 1871. 63 Vgl. J. Jacob, Private international litigation, 1988, S. 309 f. 64 GUR Corporation v Trust Bank of Africa, [1987] Q.B. 559.
364
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.42 § 5
schaftsgebiet) ebenfalls Parteifähigkeit zu.65 Dieser pragmatischen, an den Bedürfnissen des Zivilrechtsverkehrs orientierten Lösung ist für das deutsche Recht zu folgen. b) Die Parteifähigkeit internationaler Organisationen (mit öffentlich-rechtlichen Funktionen) ist zum Teil ausdrücklich festgelegt.
5.38
(1) Die Vereinten Nationen sind nach Art. I Abschn. 1 des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten der UN v. 13.2.194666 parteifähig, Sonderorganisationen der UN sind parteifähig nach dem Abkommen über ihre Vorrechte und Befreiungen v. 21.11.1947 (Art. II § 3 [c]).67 (2) Die Europäische Union ist parteifähig gem. Art. 335 AEUV; sie wird von der Kommission vertreten.
5.39
(3) Andere internationale Organisationen, die am Welthandel teilnehmen, haben i.d.R. einen Sitz und Rechts- und Parteifähigkeit im Staat ihres Sitzes. Dies gilt sowohl für den International Tin Council (London) wie für den Arab Monetary Fund (Abu Dhabi).68 Sollte eine internationale Organisation ohne nationale Anbindung am Wirtschaftsleben teilnehmen, so wäre ihr – zur Gewährleistung umfassenden Rechtsschutzes – ebenfalls Parteifähigkeit zuzuerkennen.69
5.40
(4) Die Parteifähigkeit internationaler „non governmental organizations“
5.41
Organisationen70
Für internationale nichtstaatliche (außerhalb des Wirtschaftsbereichs) gelten generell die allgemeinen Regeln über die Rechts- und Parteifähigkeit juristischer Personen, in Deutschland also die Sitztheorie (mit Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz). Diese Anknüpfung wird den Bedürfnissen von Organisationen mit international operierender Geschäftsführung oder rotierendem executive office nicht gerecht. Bei ihnen passt aber auch die Gründungsrechtstheorie nur bedingt, da der faktive Gründungsort vielfach zufällig ist. Soweit solche Organisationen freilich nach außen tätig werden und Vermögen besitzen, sollte ihre allgemeine Parteifähigkeit entsprechend der der BGB-Außengesellschaft allgemein, unabhängig von einer mehr oder weniger gewollten Sitzanknüpfung anerkannt werden.71 Das Europarats-Übereinkommen über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit internationaler nichtstaatlicher Organisationen v. 24.4.198672 folgt der Gründungstheorie; Deutschland hat es bisher nicht ratifiziert. 65 W. Tsutsui, Subjects of International Law in the Japanese Courts, ICLQ 37 (1988), 325, 328 f. 66 BGBl. 1980 II, 943. 67 BGBl. 1954 II, 641. 68 Vgl. Arab Monetary Fund v Hashim (no. 3) [1991] 2 A.C. 114 (H.L.); J. Hill/A. Chong, International Commercial Disputes, 4th ed. 2010, 13 ff. 69 Vgl. aber Staudinger/Großfeld, IntGesR, 14. Bearb., Rz. 730. 70 Vgl. F. Blum, Anerkennung von NOGs (nichtstaatlichen Organisationen) im IPR, Diss. Regensburg 2001. 71 F. Blum (Fn. 70), S. 160; Staudinger/Großfeld, IntGesR 14. Bearb., Rz. 722 ff., 726. 72 Annuaire Européen 34 (1988), 35.
365
5.42
§ 5 Rz. 5.43 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
5.43 Im deutschen Zivilprozess ist die Parteifähigkeit von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung. Es findet aber keine Amtsaufklärung statt. Trägt die Partei daher keine ausreichenden Tatsachen vor, damit ihre Parteifähigkeit (positiv) beurteilt werden kann, so wird ihre Klage als unzulässig abgewiesen.73 7. Die Prozessfähigkeit von Ausländern
5.44 Der prozessuale Begriff der Prozessfähigkeit wird wiederum in Beziehung gesetzt zu dem materiell-rechtlichen Begriff der Geschäftsfähigkeit, § 51 ZPO. Darüber hinaus bestimmt Art. 7 I 1 EGBGB, dass die Geschäftsfähigkeit einer Person nach den Gesetzen des Staats beurteilt wird, dem sie angehört. In diesem Falle meint Pagenstecher,74 § 55 ZPO setze voraus, dass es eine (geschriebene oder ungeschriebene) deutsche Kollisionsnorm gebe, wonach sich die Prozessfähigkeit eines Ausländers nach seinem Personalstatut richte.75 Wie bei der Parteifähigkeit wird auch hier wiederum mit einer prozessualen Kollisionsnorm gearbeitet. 5.45 Geschäftsfähigkeit und Prozessfähigkeit können auch auseinanderfallen, wie die Beispiele der §§ 9 I Nr. 3, 4, 125 I FamFG zeigen. Schon deswegen empfiehlt es sich, von einer prozessualen Kollisionsnorm auszugehen. Pagenstechers Ansicht hat sich daher zu Recht weitgehend durchgesetzt;76 da die Prozessfähigkeit auf die Geschäftsfähigkeit abstelle, sei auch diese maßgebend dafür, ob ein Ausländer prozessfähig sei.77 5.46 Die Prozessfähigkeit natürlicher Personen bestimmt sich traditionell nach ihrem Personalstatut.78 Steht ein Ausländer im Inland unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) und wird diese Anordnung im Heimatstaat nicht anerkannt, so ist er im Inland gleichwohl als prozessunfähig zu behandeln.79 Das neue tschechische IPR knüpft die Prozessfähigkeit dagegen an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts an (§ 9 II tschech. IPRG v. 25.1.2012).80 5.47 Gesetzlicher Vertreter. Wer die prozessunfähige Partei vertritt, bestimmt nicht das Heimatrecht des Betroffenen, sondern (soweit keine staatsvertragliche Sonderrege-
73 LG Essen, TranspR 1997, 37, 38 („IATA“ mit angeblichem Sitz in Kanada). 74 ZZP 64 (1951), 278. 75 Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR Rz. 588; Staudinger/Großfeld, IntGesR 14. Bearb., Rz. 295. 76 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 44 Rz. 4; R. Geimer, IZPR, Rz. 2217; Bork in Stein/Jonas, § 55 ZPO Rz. 1; auch Soergel/Kegel, Art. 7 Rz. 9; F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori, 1995, S. 92 ff.; a.A. BGHZ 19, 240 = JZ 1956, 535; T. Oda, FS Konzen, 2006, S. 603, 613 ff. 77 Ebenso Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Vogt-Beheim, § 55 ZPO Rz. 1; M. Wolf, Symposium Baur, 1992, S. 35, 45. 78 H. Schack, IZVR, Rz. 603. 79 T. Oda, FS Konzen, 2006, S. 603, 616. 80 Vgl. P. Dobiáš, Die Neuregelung des IPR in der Tschechischen Republik, RIW 2012, 671, 673.
366
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.53 § 5
lung besteht)81 das Statut, das für die elterliche Sorge bzw. für Betreuung und Vormundschaft maßgeblich ist.82 Soweit es danach einen generellen gesetzlichen Vertreter mit umfassender Vertretungsbefugnis gibt, etwa die Eltern für Kinder, wie nach § 1629 BGB, sind diese Regeln heranzuziehen. Es gibt jedoch Länder, in denen das Gericht im Einzelfall einen besonderen Prozessvertreter zu bestellen hat. Nach CPR r 21.2 müssen Kinder und „patients“ in England im Gerichtsverfahren aktiv und passiv durch einen „litigation friend“ vertreten werden. Dieser wird durch das Gericht bestellt (CPR r 21.6 ff.); ohne eine solche Bestellung kann der Betreuer eines „patient“ oder jede kompetente Person ohne gegenläufige Interessen als „litigation friend“ nach Maßgabe von CPR r 21.4 und 21.5 auftreten.
5.48
Die Prozessfähigkeit juristischer Personen, nicht rechtsfähiger Handelsgesellschaften, nicht rechtsfähiger Vereinen und nicht rechtsfähiger Vermögensmassen richtet sich nach dem Recht des Sitzes der Hauptverwaltung des jeweiligen Gebildes.
5.49
Dieses „Heimatrecht“ entscheidet auch darüber, welches Organ bzw. welche gesetzlichen Vertreter das entsprechende Gebilde vor Gericht vertreten.83 Die OHG wird im Prozess durch ihre vertretungsberechtigten Gesellschafter vertreten.84 Durch einen entsprechenden ausländischen Registerauszug wird die Vertretungsberechtigung nachgewiesen, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte für dessen Unrichtigkeit bestehen.85
5.50
Ob ein ausländischer Staat durch die „richtige“ Regierung bzw. das richtige Organ vertreten ist, entscheidet grds. ebenfalls das Recht dieses Staats. Wird eine „Regierung“ aber vom Gerichtsstaat diplomatisch nicht anerkannt, so kann sie den ausländischen Staat nicht vertreten.86
5.51
Ist ein Ausländer im Ausland entmündigt worden, so ist er nach seinem Heimatrecht grds. prozessunfähig. Die ausländische Entmündigung wird nach § 108 FamFG regelmäßig unter Angleichung an das Inlandsrecht als Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt anerkannt.
5.52
Eine prozessuale Schutzvorschrift, vergleichbar der materiell-rechtlichen Kollisionsnorm des Art. 12 EGBGB, enthält § 55 ZPO. Danach gilt „ein Ausländer, dem nach dem Recht seines Landes die Prozessfähigkeit mangelt, als prozessfähig, wenn ihm nach dem Recht des Prozessgerichts die Prozessfähigkeit zusteht“. Diese Prozessfähigkeit kraft lex fori kennt auch § 33 jap. ZPO n.F. oder § 3 österr. ZPO. Die Lö-
5.53
81 Vgl. Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 55 Rz. 8. 82 R. Geimer, IZPR, Rz. 2220; H. Schack, IZVR Rz. 606. 83 Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR Rz. 582; Staudinger/Großfeld, IntGesR, 14. Bearb., Rz. 279. 84 Staub/Habersack, 5. Aufl. 2009, § 124 HGB Rz. 27. 85 OLG München, ZIP 2010, 1182. 86 Vgl. Republic of Somalia v Woodhouse Drake & Carey (Suisse) S.A. [1993] Q.B. 54.
367
§ 5 Rz. 5.53 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
sung führt aber nicht unbedingt zu einer Vereinfachung des Rechtsstreits. Wird nämlich der Inlandsprozess ohne den nach Heimatrecht erforderlichen gesetzlichen Vertreter durchgeführt, so wird das Urteil im Heimatstaat möglicherweise nicht anerkannt und vollstreckt.87 Sinnvoll ist die Lösung daher nur, solange es keiner Vollstreckung im Heimatstaat bedarf. 8. Postulationsfähigkeit; Zustellungsbevollmächtigter; Prozessvollmacht
5.54 Von der Postulationsfähigkeit spricht man, wenn es um die Frage geht, ob eine Partei sich selbst vor Gericht vertreten kann oder aber sich eines bei Gericht zugelassenen Rechtsanwalts bedienen muss. Hierüber entscheidet ausschließlich die lex fori des angerufenen Gerichts. In deutschen Anwaltsprozessen (§ 78 ZPO, § 114 FamFG) muss sich auch ein Ausländer eines bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts bedienen. Er kann sein prozessuales Handeln nur mit und durch ihn bewirken. Die ausländische Partei kann sich auch innerhalb der EU88 nicht darauf berufen, dass vor dem vergleichbaren Gericht ihres ausländischen (Wohn-)Sitzes kein Anwaltszwang herrscht. Davon abgesehen steht es der ausländischen Partei frei, einen ausländischen Anwalt zu den Gerichtsverhandlungen mitzubringen. Das Gericht lässt auch Fragen oder Ausführungen eines ausländischen Anwalts zu, wenn der postulationsfähige deutsche Rechtsanwalt das beantragt. 5.55 Wenn ein Ausländer sich in einem Anwaltsprozess nur durch einen bei dem deutschen Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen kann, so folgt bereits hieraus, dass die Prozessvollmacht nach deutschem Recht zu beurteilen ist.89 Der BGH90 hat entschieden, nach deutschem IZPR sei für die Rechtsbeständigkeit und die Rechtswirkungen einer Prozessvollmacht das deutsche Recht maßgebend, wenn die Prozessvollmacht für einen im Inland zu führenden Zivilprozess erteilt worden ist. Dabei behandelt der BGH die Prozessvollmacht als Prozesshandlung und wendet schon deswegen die lex fori an.91 Der Umfang der Prozessvollmacht richtet sich stets nach der lex fori des Prozessgerichts, nicht nach dem Sitz der beauftragten Anwaltskanzlei.92 Ob ein Vertreter einer ausländischen Gesellschaft Vertretungsmacht hatte, dem deutschen Anwalt Prozessvollmacht zu erteilen, ist dagegen nach dem Recht des Sitzes der Gesellschaft bzw. der Niederlassung, von der aus gehandelt wird, zu beurteilen. 5.56 Die Prozessvollmacht muss im Inlandsprozess in deutscher Sprache nachgewiesen werden (§ 184 GVG). Ist die Originalvollmacht in einer Fremdsprache erteilt, muss
87 Vgl. P. Gottwald, Der Ausländer im Prozess, in Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts, 1987/91, S. 3, 74. 88 A.A. M. Wolf, Symposium Baur, 1992, S. 35, 48 f. 89 Vgl. BGH, IPRax 1991, 247; OLG Hamm, IPRax 1996, 33, 35; F. Jaeckel, Die Reichweite der lex fori, 1995, S. 103 ff. 90 ZZP 71 (1958), 471. 91 Ebenso Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 55 Rz. 9. 92 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, § 6 I 3 (S. 324).
368
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.62 § 5
rechtzeitig eine zertifizierte Übersetzung vorgelegt werden, sonst wird die Klage als unzulässig abgewiesen.93 Innerhalb der Europäischen Union muss nach der EuZVO (Nr. 1393/2007) zugestellt werden; die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten kann nicht verlangt werden.
5.57
Ist an eine außerhalb der EU wohnende Partei zuzustellen, kann diese auf Anordnung des Gerichts nach § 184 I ZPO verpflichtet werden, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, sofern sie nicht bereits durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Die Bestellung hat bei der nächsten mündlichen Verhandlung, oder (vorher) in dem ersten eigenen Schriftsatz zu erfolgen. Unterbleibt die Benennung, so können alle späteren Zustellungen an die Partei durch Aufgabe zur Post ausgeführt werden, ohne dass es auf den tatsächlichen Empfang ankäme (§ 184 I 2 ZPO).
5.58
Da es sich um eine fiktive Inlandszustellung handelt, steht das HZustÜ (s. Rz. 8.87) nicht entgegen. Nach § 184 II 3 ZPO muss das Gericht die Auslandspartei in der Anordnung auf die Rechtsfolgen der fehlenden Bestellung des Zustellungsbevollmächtigten hinweisen. Nach Ansicht des BGH braucht das nach §§ 183, 184 ZPO zugestellte Urteil aber nicht in die Sprache des Empfängers übersetzt zu werden.94
5.59
Nach § 31 EuRAG hat der dienstleistende europäische Rechtsanwalt einen deutschen Rechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen; hilfsweise gilt der Einvernehmensanwalt als Zustellungsbevollmächtigter.
5.60
Andere Länder kennen ähnliche Regeln. Nach New York CPLR § 303 liegt im Auftreten eines Anwalts für eine nicht der jurisdiction unterliegende Partei seine Bestellung als Zustellungsbevollmächtigter. Erscheint für die Partei kein Anwalt, gilt der clerk des Gerichts als Bevollmächtigter. Nach CPLR § 318 kann jede Partei in New York schriftlich gegenüber dem clerk des Gerichts für drei Jahre einen Zustellungsbevollmächtigten bestellen.
5.61
In vielen Ländern gibt es für natürliche Personen keinen Anwaltszwang. In New York müssen sich nur corporation und „voluntary association“ durch Anwalt vertreten lassen (NY CPLR § 321 [a]). Inlandsvertreter. Nach § 96 I MarkenG darf ein Inhaber einer Marke, der im Inland weder Wohnsitz, Sitz noch Niederlassung hat, Markenrechte vor dem Patentamt oder Patentgericht nur geltend machen, wenn er einen inländischen Rechtsanwalt oder Patentanwalt als Vertreter bestellt. Gleiches gilt nach § 16 GeschmMG für den ausländischen Inhaber eines geschützten Musters oder Modells sowie entsprechend nach § 25 PatG und § 20 GebrMG. Dadurch soll der Verkehr mit Beteiligten im Aus-
93 OLG Koblenz, IPRspr. 2009 Nr. 221, S. 546. 94 So zu §§ 174, 175 ZPO a.F.: BGH, FamRZ 1996, 347 m. abl. Anm. B. Bachmann, FamRZ 1996, 1276.
369
5.62
§ 5 Rz. 5.62 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
land erleichtert werden. Die Regelungen stellen nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern nur auf Wohnsitz/Sitz im Ausland ab. 9. Die Prozessführungsbefugnis im IZPR 5.63 Schrifttum: H. Bernstein, Gesetzlicher Forderungsübergang und Prozessführungsbefugnis im IPR, FS Sieg, 1976, S. 49; R. Birk, Die Einklagung fremder Rechte im internationalen Privatund Prozessrecht, ZZP 82 (1969), 70; Ch. Fragistas, Die Prozessstandschaft im internationalen Prozessrecht, FS Lewald, 1953, S. 471; R. Hausmann, Zur Anerkennung der Befugnisse eines englischen administrator in Verfahren vor deutschen Gerichten, FS Heldrich, 2005, S. 649; H. Koch, Die grenzüberschreitende Prozessführungsbefugnis, ZZP 127 (2014), 493; H. Koch, Die grenzüberschreitende Prozessführungsbefugnis, FS Klamaris, 2016, S. 421; J. Marjolaine, Die Prozessführungsbefugnis ausländischer Insolvenzverwalter, Zürich 2018; S. Mock, Die actio pro socio im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 72 (2008), 264; Th. Pfeiffer, Shareholder Derivative Suit vor deutschen Gerichten, RIW 2007, 580; H. Schack, Subrogation und Prozessstandschaft, IPRax 1995, 158; Ch. Schmitt, Die Rechtsstellung englischer Insolvenzverwalter in Prozessen vor deutschen Gerichten, ZIP 2009, 1989; P. Wunderlich, Zur Prozessstandschaft im internationalen Recht, 1970.
5.64 Parteifähigkeit und Prozessführungsbefugnis decken sich in den meisten Fällen. Wer behauptet, ihm stehe ein Anspruch zu, ist als Kläger und damit als Partei in der Regel zugleich zur Führung des Prozesses befugt. Die Prozessführungsbefugnis kann aber auch den Rechtsträgern entzogen und auf dritte Personen übergegangen sein. Dabei scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Prozessführungsbefugnis eine Prozessvoraussetzung ist. Bei ihrem Fehlen muss die Klage als unzulässig abgewiesen werden.95 Daraus folgt, dass sich die Prozessführungsbefugnis auch in Fällen mit Auslandsberührung grds. nach der lex fori beurteilt.96 5.65 Nun wird die Prozessführungsbefugnis vielfach Parteien kraft Amtes gewährt, wie dem Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Zwangsverwalter usw. Das ausländische Insolvenzstatut etc bestimmt über die Befugnisse des Verwalters oder der sonstigen Amtsperson.97 Das ausländische Insolvenzstatut bestimmt also, ob der Insolvenzverwalter im eigenen Namen (als Partei kraft Amtes), als Vertreter des Insolvenzschuldners98 oder als Organ der Insolvenzmasse auftreten kann. Diese Befugnisse sind im Inland anzuerkennen, sofern das Auslandsinsolvenzverfahren, die Nachlassverwaltung etc im Inland anzuerkennen ist.99 Für die EuInsVO wird allerdings aus Art. 15 abgeleitet, dass sich die Befugnisse des ausländischen Verwalters im deutschen Verfahren nach deutschem Recht richten, der Verwalter also als Partei kraft Amtes im eigenen Namen prozessiert.100 Ebenso bestimmt das aus-
95 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 46 Rz. 46 ff.; R. Geimer, IZPR Rz. 2234. 96 BGHZ 125, 196 = NJW 1994, 2549. Vgl. Th. Baumgarten, Der richtige Kläger im deutschen, französischen und englischen Zivilprozess, 2001. 97 BGHZ 125, 196, 200 = NJW 1994, 2549. 98 So für England Ch. Schmitt, ZIP 2009, 1989. 99 BGHZ 125, 196, 200; 95, 256, 269 f.; M. Wolf, Symposium Baur, 1992, S. 35, 46 f. 100 OLG München NZI 2010, 826, 828 = IPRax 2011, 505 (dazu A. Stadler, S. 480); dazu L. Westpfahl/Ch. Luhn, EWiR § 110 ZPO 3/10, 727.
370
I. Der prozessuale Status von Ausländern | Rz. 5.69 § 5
ländische Insolvenzrecht, ob und inwieweit der ausländische Insolvenzverwalter seinerseits Dritten eine Ermächtigung zur Prozessführung erteilen kann.101 Soweit die Prozessführungsbefugnis auf materiellem Recht beruht, muss ebenfalls nach dem aufgrund des deutschen IPR ermittelten Recht (lex causae) entschieden werden, ob eine solche Befugnis für die im Prozess auftretende Person vorliegt.102 Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Ehegatte aufgrund einer Gütergemeinschaft Rechte des anderen Ehegatten geltend macht, wenn ein Miteigentümer Rechte aus dem gesamten Eigentum geltend macht, wenn ein Mitgläubiger eine unteilbare Forderung einklagt usw. Ob eine § 1629 III 1 BGB entsprechende Prozessführungsbefugnis eines Elternteils zur Geltendmachung von Kindesunterhalt im eigenen Namen besteht, beurteilt sich gem. Art. 11 lit. d HUP nach dem Unterhaltsstatut.103 Ein für das Inland bestellter Nachlasspfleger ist aber im Inland nach §§ 1958, 1960 III BGB unabhängig von einem ausländischen Erbstatut prozessführungsbefugt.104
5.66
Beruht die Prozessführungsbefugnis aber lediglich auf einer Prozessvorschrift, so ist diese nach der jeweiligen lex fori zu beurteilen.105 Ein solches Beispiel findet sich in § 265 II ZPO. Während des Rechtsstreits hat die Veräußerung der im Streit befangenen Sache bzw. die Abtretung der geltend gemachten Forderung keinen Einfluss auf die Parteistellung des Klägers. Die Veräußerung bzw. Abtretung selbst ist nach dem nach IPR anwendbaren Recht zu beurteilen. Welches Recht insoweit anzuwenden ist, ist aber für die Prozessführungsbefugnis nach § 265 II ZPO unerheblich.106
5.67
Im Ausland bestehen teilweise andere Unterscheidungen. In Kalifornien verlangt Cal. CCP § 367, dass die „real party in action“ klagt. Danach ist der Zessionar, nicht der Zedent der richtige Kläger. Ein executor, administrator oder trustee kann ohne Mitwirkung des Begünstigten klagen (Cal. CCP § 369).
5.68
In England wird die Ansicht vertreten, dass Fragen der Prozessführungsbefugnis des Klägers bei der Abtretung oder Eigentumsübertragung nicht prozessual, sondern materiell-rechtlich zu qualifizieren seien. Nicht die lex fori, sondern die lex causae entscheide, ob der Rechtsnachfolger selbst klagen könne.107 Englische Gerichte erkennen die Prozessführungsbefugnis ausländischer Konkursverwalter, receiver und Vormünder nach comity an, nicht aber den ausländischen administrator für das Eigentum eines Verstorbenen oder einer abwesenden Person.108 Bei der Prozessführungsbefugnis des Beklagten wird in partnership-Fällen unterschieden, ob der Beklagte nach der lex causae haftet oder nicht. Haftet er nicht, so kann er in Deutschland (an-
5.69
101 102 103 104 105
BGHZ 125, 196 = NJW 1994, 2549, 2550 = IPRax 1995, 168 (dazu P. Gottwald, S. 157). S. Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 293. Vgl. AG Berlin-Schöneberg, FamRZ 2010, 1566 (verneint für das russische Recht). OLG Köln, FamRZ 1997, 1176, 1177. BGHZ 125, 196, 199 = IPRax 1995, 168; S. Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 293; vgl. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, § 6 I 4 (S. 325). 106 R. Geimer, IZPR, Rz. 2242. 107 Cheshire/North & Fawcett, Private International Law, 15th ed. 2017, p. 86 f. 108 Kamouh v Associated Electrical Industries [1980] Q.B. 199.
371
§ 5 Rz. 5.69 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
ders als nach englischem Recht) nicht (mit Wirkung für die Gesellschaft) verklagt werden.109
5.70 Gewisse Schwierigkeiten gibt es hinsichtlich der gewillkürten Prozessführungsbefugnis. Nach Fragistas110 beruht die gewillkürte Prozessstandschaft auf einem reinen Prozessgeschäft, es sei daher nach der lex fori zu beurteilen. Es wird jedoch darauf ankommen, ob die vom ursprünglichen Rechtsträger gegebene Ermächtigung sich nur auf die Befugnis erstreckt, die fremde Forderung im Prozess einzuklagen, oder ob der Zedent seine Gläubigerstellung aufgibt, wie bei der verdeckten Inkassozession. Je nachdem, ob die prozessuale oder die materiell-rechtliche Stellung überwiegt, ist zu entscheiden, ob die lex fori oder aber das zugrunde liegende ausländische Recht hinsichtlich der gewillkürten Prozessführungsbefugnis heranzuziehen ist.111 Soweit nach deutschem Recht hinsichtlich der Einziehungsermächtigung ein eigenes Interesse des Ermächtigten an der Prozessführungsbefugnis gefordert wird, entscheidet die lex fori über deren Zulässigkeit.112 5.71 Österreich lässt eine Klage im Wege gewillkürter Prozessstandschaft nicht zu.113
II. Sicherheitsleistung 1. Schrifttum
5.72 E.-M. Bajons, Aktorische Kaution und gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot, öJZ 2002, 581; Ch. Böhmer, Prozesskosten-, Beratungs- und Sozialhilfe bei Gerichts- und Verwaltungsverfahren im Ausland, IPRax 1993, 223; T. Dornis, Die Prozesskostensicherheitspflicht Aufenthaltsfremder im Lichte des Völkerrechts, ZVglRWiss 114 (2015), 93; U. Foerste, Neues Recht für Prozessbürgschaften von Auslandsbanken, ZBB 2001, 483; W. Hau, Von mittellosen Klägern und schutzlosen Beklagten – Zur Sicherung des Kostenerstattungsanspruchs im Zivilprozess, FS Rüßmann, 2013, S. 555; F. Primozic/Ch. Broich, Festsetzung hoher Prozesskostensicherheiten für ausländische Kläger, MDR 2007, 188; A. Rohlfs, Die Anwendbarkeit des § 110 ZPO bei Klagen natürlicher und juristischer Personen des EU-Auslands, NJW 1995, 2211; St. Rützel, Ausländersicherheit und Nebenintervention, NJW 1998, 2086; H. Schack, Prozesskostensicherheit im Verhältnis Deutschland – USA, FS Schütze, 1999, S. 745; R. Schütze, Zur Befreiung ausländischer Kläger von der Prozesskostensicherheitspflicht nach § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, RIW 2002, 299; R. Schütze, Zur Neuregelung der cautio iudicatum solvi in Deutschland, RIW 1999, 10; R. Schütze, Die Ausländersicherheit im internationalen Zivilprozessrecht, in Towards Comparative Law in the 21st Century, 1998, S. 737; R. Schütze, Zur Prozesskostensicherheit (§ 110 ZPO) von Angehörigen ehemaliger Ostblockstaaten, NJW 1995, 496; R. Schütze, Zur cautio iudicatum solvi bei unbestimmtem Verwaltungssitz juristischer Personen, IPRax 2018, 493; K. Siehr, Security for Costs: A Valuable Defence or a Burdensome Relic?, Essays in honour of Voskuil, 1992, 291; Ch. Strasser, Prozessbürgschaften EU-ausländischer Kreditinstitute – kein Grund zur Ungleichbehandlung in Zeiten unsicherer Banken, RIW 2009, 521; R. Stürner, Zur Einrede der Prozesskostensicherheit im einstweiligen Rechtsschutz109 110 111 112 113
372
Vgl. Cheshire/North & Fawcett, Private International Law, 15th ed. 2017, p. 87 f. FS Lewald, S. 483. W. Henckel, Einziehungsermächtigung und Inkassozession, FS Larenz, 1973, S. 643. Vgl. OLG Hamburg, RIW 1996, 862, 863. Österr. OGH, IPRax 1999, 383 (dazu E.-M. Kieninger, S. 390).
II. Sicherheitsleistung | Rz. 5.74 § 5 verfahren, IPRax 2004, 513; J. Ungerer, Prozesskostensicherheit von Klägern aus EU-, EWRund EFTA-Staaten vor deutschen Gerichten, GPR 2018, 144; St. Wilske/S. Kordts, Sicherheitsleistung durch deutschen Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb der EU oder des EWR, IPRax 2005, 116.
2. Die Sicherheitsleistung für Prozesskosten Bei einer Prozessführung in Deutschland gilt § 110 ZPO; diese Bestimmung lautet:
5.73
„(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit. (2) Diese Verpflichtung tritt nicht ein: 1. wenn aufgrund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann; 2. wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten aufgrund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde; 3. wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt; 4. bei Widerklagen; 5. bei Klagen die aufgrund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden.“ Prozesskostensicherheit wird nur auf Verlangen des Beklagten angeordnet. Ein ausländischer Kläger hat also keine Veranlassung, von sich aus eine Prozesskostensicherheit zu leisten. In der Praxis wird diese Schutzbestimmung für den Beklagten teilweise übersehen. Es handelt sich dabei um eine Rüge, die die Zulässigkeit der Klage betrifft (§ 282 III ZPO). 3Sie muss in erster Instanz vor der Verhandlung zur Hauptsache bzw. in der Klageerwiderungsfrist erhoben werden.114 In der zweiten Instanz kann sie nach § 531 II Nr. 3 ZPO nur noch erhoben werden, wenn sie in erster Instanz ohne Nachlässigkeit nicht geltend gemacht wurde. Eine solche Rüge führt nicht zur Abweisung der Klage als unzulässig, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen zu der Anordnung der Sicherheitsleistung durch das Gericht. Kommt der Kläger dieser Anordnung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht nach, so wird auf Antrag des Beklagten die Klage für zurückgenommen erklärt bzw. ein Rechtsmittel des Klägers verworfen (§ 113 ZPO). Wird die Frist durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) gesetzt, kann sie nicht verlängert werden.115 Der Beklagte soll wegen der von ihm aufgewendeten Kosten sichergestellt werden, falls die Klage abgewiesen wird. Er soll also nicht damit belastet werden, seine Kostenforderung gegen den ausländischen Kläger im Ausland vollstrecken zu müssen. Kostensicherheit können der Be-
114 BGH, NJW 2001, 3630 (Rz. 7); OLG Hamm, RIW 1999, 541; Schulz in MünchKomm/ ZPO, § 110 Rz. 37. 115 LG Hamburg, IPRax 1998, 276 (dazu D. Rabe/B.-A. Dißars, S. 249).
373
5.74
§ 5 Rz. 5.74 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
klagte und, sofern dieser nicht widerspricht, auch ein einfacher Nebenintervenient verlangen.116
5.75 Wird die Einrede durch Zwischenurteil zurückgewiesen, so kann der Beklagte dagegen nach §§ 280 II 1, 511 ff. ZPO Berufung einlegen. Gibt das Gericht der Einrede jedoch statt, so ist das Zwischenurteil für den Kläger nicht selbständig anfechtbar.117 5.76 Nach § 108 I 1 ZPO ist die Sicherheit nach Art und Höhe nach Ermessen des Gerichts zu leisten. Ohne gerichtliche Bestimmung und abweichende Parteivereinbarung ist die Sicherheitsleistung nach der Neufassung von § 108 I 2 ZPO durch das Zivilprozessreformgesetz 2001 durch eine schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines „im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts“ oder durch Hinterlegung von Geld oder mündelsicheren Wertpapieren zu leisten. 5.77 Die Bankbürgschaft ist also nunmehr als Regelsicherheit ohne Gestattung im Einzelfall zulässig. Eine Beschränkung auf „Großbanken“, die die Rechtsprechung lange vorgenommen hatte, besteht nicht mehr.118 5.78 Tauglicher Bürge ist jede Bank, die im Inland Geschäfte betreiben darf. Das ist jede Bank mit Sitz im Inland einschließlich selbständiger Tochterunternehmen ausländischer Banken, auch eine Zweigniederlassung einer ausländischen Bank, die eine Erlaubnis nach § 53 II Nr. 5 Satz 1 KWG besitzt oder EWR-Unternehmen nicht bedarf (§ 53b KWG).119 Banken mit Sitz in einem Drittstaat (ohne Inlandsniederlassung) sind nicht befugt, im Inland Bankgeschäfte zu tätigen, scheiden also im Regelfall als Bürgen aus;120 nach § 108 I 1 ZPO kann das Gericht aber im Einzelfall eine solche Bürgschaft zulassen.121 5.79 Bei einer Prozessführung im Ausland gilt natürlich die jeweilige lex fori. Diese kann ggf. vorsehen, dass die Ausländersicherheit bar (in der Landeswährung) zu hinterlegen ist, was die Gefahr der Entwertung bei Währungskrisen oder langer Prozessdauer mit sich bringt.122 5.80 Nach dem Wortlaut des § 110 ZPO kommt es nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers außerhalb des EWR-Raums an. Ob bei Gesellschaften auf deren tatsächlichen Verwaltungssitz123 oder den Gründungssitz (Registersitz)124 abzustellen ist, ist 116 117 118 119 120 121 122 123
St. Rützel, NJW 1998, 2086; Schulz in MünchKomm/ZPO, § 110 Rz. 37. BGHZ 102, 232 = NJW 1988, 1733; OLG Saarbrücken, RIW 1999, 406. U. Foerste, ZBB 2001, 483, 484. U. Foerste, ZBB 2001, 483, 484 f. U. Foerste, ZBB 2001, 483, 485. U. Foerste, ZBB 2001, 483, 487. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 257. OLG München, EWiR § 110 ZPO 4/10, 763 (O. Knöfel); OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 228 (dazu R. Schütze, S. 193). 124 So LG München I, ZIP 2009, 1979 (Zustelladresse in England); dazu M. Linnerz, EWiR § 110 ZPO 2/10, S. 99; offengelassen in BGH, ZIP 2016, 1703 = IPRax 2018, 525; vgl. auch OLG Düsseldorf, IPRax 2018, 518 (zu beiden R. Schütze, S. 493).
374
II. Sicherheitsleistung | Rz. 5.83 § 5
zweifelhaft. Eine in Deutschland zwar registrierte, aber vom Ausland aus gesteuerte (Schein-)Inlandsgesellschaft bleibt daher sicherheitspflichtig.125 Die Staatsangehörigkeit des Beklagten ist irrelevant. Es ist auch gleichgültig, ob der Beklagte im Inland oder im Ausland wohnt oder sich dort aufhält. Die Schutzvorschrift begünstigt daher jeden Beklagten. Die Prozesskostensicherheit beschwert Angehörige fremder Staaten, die als Kläger auftreten. Damit wird der Ausländer betroffen, ganz gleich, wo er sich aufhält. In den heutigen Zeiten des internationalen Handels und Verkehrs handelt es sich um ein überholtes Relikt falsch verstandenen Schutzes (primär) eigener Staatsangehöriger, das mit dem Diskriminierungsverbot (nach Art. 3 I GG) kaum voll vereinbar ist.126 Befreit ist der ausländische Kläger nur, wenn die voraussichtlichen Prozesskosten durch inländisches Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen gedeckt sind (§ 110 II Nr. 3 ZPO). Besitzt der ausländische Kläger sonstiges Vermögen im Inland und wohnt dort seit langem, so muss er dennoch auf Verlangen des Beklagten, der möglicherweise Ausländer ist und im Ausland wohnt, die Prozesskostensicherheit leisten. Schon danach lässt sich die Begründung, der Beklagte solle im Falle seines Obsiegens vor Schwierigkeiten hinsichtlich der Vollstreckung seiner Kostenforderung gegen den Kläger bewahrt werden, nicht halten.127 Danach müsste jeder Gastarbeiter, der als Kläger auftritt, grds. die Prozesskostensicherheit leisten, wenn nicht die vielen Ausnahmebestimmungen den Grundsatz durchlöchert hätten. Ein Deutscher ist gem. Art. 5 I 2 EGBGB nicht zur Prozesskostensicherheit verpflichtet, selbst wenn er neben der deutschen noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt.
5.81
Nach § 110 II Nr. 4 ZPO ist der Kläger von der Pflicht zur Sicherheitsleistung bei Widerklagen befreit. Dies gilt insoweit auch nach rechtskräftiger Abweisung der Klage.128
5.82
Die Pflicht zur Sicherheitsleistung entfällt aber auch in allen Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes. Denn § 110 I ZPO verlangt, dass jemand „als Kläger“ auftritt. Wird der Prozess durch den Nebenintervenienten geführt, hat dieser Sicherheit zu leisten.129 Außerhalb des ordentlichen Klageverfahrens besteht also keine Pflicht zur Sicherheitsleistung. Dies gilt für das Mahnverfahren, das selbständige Beweisverfahren, die Beschlussverfahren zur Vollstreckbarerklärung von Urteilen und Schiedssprüchen sowie für alle Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest, einstweilige Verfügung, einstweilige Anordnung).130
5.83
Beim Mahnverfahren entsteht die Pflicht mit Übergang ins ordentliche streitige Verfahren (§§ 696, 697 ZPO). 125 LG Berlin, ZIP 2010, 903. 126 Vgl. P. Gottwald, Der Ausländer im Prozess, in Habscheid/Beys, Grundfragen des ZPRs, 1987/91, S. 3, 43 ff.; K. Siehr, Essays for Voskuil, 291, 299. 127 Diese Begründung wird von Stein/Jonas/Muthorst, § 110 ZPO Rz. 1, ausdrücklich angeführt. 128 OLG München, NZI 2010, 826, 827 = IPRax 2011, 505 (dazu A. Stadler, S. 480). 129 HkZPO/Wöstmann, § 110 Rz. 2. 130 Vgl. R. Stürner, IPRax 2004, 513; a.A. R. Schütze, IZPR Rz. 423.
375
§ 5 Rz. 5.84 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
5.84 Die Pflicht entsteht nicht bei Anordnung mündlicher Verhandlung über den Antrag im selbständigen Beweisverfahren, zur Vollstreckbarerklärung oder über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verbietet es hier, die gerichtliche Entscheidung von der Sicherheitsleistung abhängig zu machen und das Rechtsschutzgesuch auf Antrag der Gegenseite mangels Sicherheitsleistung gem. § 113 ZPO zu verwerfen.131 Nach der Gegenmeinung ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Sicherheit auf Antrag zu leisten, wenn es zur mündlichen Verhandlung kommt, das Verfahren also streitig wird132 oder wenn der Gegner eine Schutzschrift einreicht. Aber diese Verfahren gehen nicht mit der mündlichen Verhandlung in ein Klagverfahren zur Hauptsache über. Es besteht daher kein Grund, § 110 I 1 extensiv auszulegen. Zusätzlich kann das Gericht Arrest und einstweilige Verfügung selbst von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abhängig machen (§§ 936, 921 Satz 2 ZPO);133 nach § 248 IV FamFG kann angeordnet werden, dass der Mann dem Kind Sicherheit für den Unterhalt zu leisten hat. Der Schutz des Antragsgegners/Beklagten erfordert deshalb nicht, bereits den Zugang zur Sachentscheidung mit der Sicherheitsleistung zu verknüpfen. 5.85 Staatenlose müssen die Prozesskostensicherheit nur erbringen, wenn sie ihren Wohnsitz nicht in einem EU-Staat oder einem Staat der EWR haben (§ 110 I ZPO). Nach Art. 16 II UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen134 sind diese von der Verpflichtung zur Leistung der Prozesskostensicherheit bereits befreit, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. 5.86 Von der Verpflichtung zur Leistung der Prozesskostensicherheit gibt es eine große Anzahl von Ausnahmen. Personen mit Wohnsitz in einem EU-Staat sind nach § 110 I ZPO (i.d.F. v. 1.10.1998) von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreit. Der deutsche Gesetzgeber hat damit auf Entscheidungen des EuGH reagiert, wonach eine unterschiedliche Behandlung von EU-Bürgern gegen Art. 12 I EGV (jetzt Art. 18 AEUV) verstieß.135 Gleiches gilt für Kapitalgesellschaften mit Sitz in der EU.136 Insoweit ist auf den tatsächlichen Verwaltungssitz und nicht auf den satzungsmäßigen 131 Stein/Jonas/Muthorst, § 110 ZPO Rz. 14; Herget in Zöller/, § 110 ZPO Rz. 3; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, § 86 Rz. 6. 132 OLG Köln, IPRax 1986, 368 (dazu R. Schütze, S. 350); H.-J. Ahrens, FS Nagel, 1987, S. 1; St. Leible, NJW 1995, 2817; R. Geimer, IZPR, Rz. 2006 f.; Schulz in MünchKomm/ZPO, § 110 Rz. 4; L. Haertlein, FS 600-jähriges Bestehen Universität Leipzig, 2009, S. 453, 465 f.; Linke/Hau, Rz. 15.10. 133 OLG Hamm, WRP 1989, 116; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 38. Aufl. 2020, § 12 Rz. 3.33. 134 BGBl. 1976 II, 474. 135 EuGHE 1993, I-3777 (Hubbard v Hamburger) = NJW 1993, 2431 (dazu Ch. Wolf, RIW 1993, 797; P. Schlosser, EuZW 1993, 659; R. Streinz/St. Leible, IPRax 1998, 162; vgl. auch K. Uff, Civil Justice Q. 15 (1996), 193); EuGHE 1996, I-4661 = NJW 1996, 3407 = ZZPInt 2 (1997), 149 (H.-J. Ahrens) = MDR 1997, 772 (E. Brödermann); EuGHE 1997, I-1711 (Hayes v Kronenberger) = RIW 1997, 419 = EuZW 1997, 280 = ZZPInt 2 (1997), 151 (H.-J. Ahrens); EuGHE 1997, I-5325 (Saldanha v MTS Securities) = NJW 1997, 3299; H. Schack, Rz. 565; vgl. OLG Saarbrücken, EWS 1996, 76; s. aber A. Jäger, EWS 1997, 37. 136 LG Münster, RIW 1996, 965; H. Bungert, EWS 1993, 315; A. Rohlfs, NJW 1995, 2211.
376
II. Sicherheitsleistung | Rz. 5.92 § 5
Sitz abzustellen.137 Eine Gesellschaft mit Sitz in überseeischen Gebieten i.S.v. Art. 299 III EG ist nicht befreit.138 Die Befreiung gilt dagegen nicht für Deutsche oder für Staatsangehörige von EUStaaten mit Wohnsitz außerhalb der EU.139
5.87
Während nach der bis 1998 geltenden Fassung stets faktische Gegenseitigkeit zur Befreiung eines ausländischen Klägers von der Pflicht zur Sicherheitsleistung genügte, entfällt die Verpflichtung nach § 110 II Nr. 1 ZPO jetzt nur noch, wenn aufgrund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheitsleistung verlangt werden kann oder wenn deutsche Kostentitel im Heimatland des Klägers auf vertraglicher Grundlage vollstreckt werden. Die Tatsache, dass deutsche Kläger in dem entsprechenden Land von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreit sind, genügt also nicht mehr.140 Die Pflichten von Klägern mit Aufenthalt in Drittstaaten (außerhalb) der EU sind auf diese Weise vielfach verschärft worden.
5.88
Nach der Neufassung des § 110 II Nr. 1 ZPO sind etwa Bewohner des Iran oder von Panama als Kläger in Deutschland zur Sicherheitsleistung verpflichtet.141
5.89
Soweit Gastarbeiter betroffen sind, liegen überwiegend Staatsverträge vor, so dass die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Vgl. Art. 17 Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1.3.1954;142 Art. 2 des deutsch-türkischen Abkommens v. 28.5.1929;143 Art. 3 des deutsch-tunesischen Vertrags v. 19.7.1966.144
5.90
Im Übrigen kann die Prozesskostensicherheit auch dann vom Beklagten im Wege der Einrede geltend gemacht werden, wenn beide Parteien Ausländer sind und dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen.
5.91
Die Gegenseitigkeit ist im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu einer Anzahl von Staaten ganz oder teilweise aufgrund multilateraler bzw. bilateraler Verträge verbürgt. Dazu gehören das Haager Abkommen v. 17.7.1905 und das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1.3.1954.145 Nach Art. 17 dieses Übereinkommens darf
5.92
„den Angehörigen eines der Vertragsstaaten, die in einem dieser Staaten ihren Wohnsitz haben, und vor den Gerichten eines anderen dieser Staaten als Kläger oder Intervenienten auftreten, wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder wegen Fehlens 137 OLG München, ZIP 2010, 2069. 138 OLG Oldenburg, RIW 2005, 149. 139 LG Karlsruhe, IPRax 2005, 145 (dazu St. Wilske/S. Kordts, S. 116); LG Darmstadt, EWS 1996, 404. 140 BGH, NJW 2001, 1219. 141 BGH, NJW 2001, 1219 = RIW 2001, 369; OLG Düsseldorf, RIW 1999, 970. 142 BGBl. 1958 II, 577. 143 RGBl. 1930 II, 6. 144 BGBl. 1969 II, 889. 145 BGBl. 1958 II, 577; vgl. Fasching/Bajons, Zivilprozessgesetze, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, Anh. A §§ 38–40 JN Rz. 27 ff. (nicht mehr in 3. Aufl.).
377
§ 5 Rz. 5.92 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthalts eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, nicht auferlegt werden“.
5.93 Nach Art. 14 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928146 sind Angehörige der anderen Vertragspartei von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreit, wenn sie ihren Wohnsitz im Inland haben.147 Diese Regelung hat neben § 110 I ZPO also keine Bedeutung mehr. 5.94 Das Haager Übereinkommen über den Internationalen Zugang zur Justiz v. 25.10.1980 (Art. 14) ist von Deutschland nicht ratifiziert worden. 5.95 Befreit sind Beteiligte auch hinsichtlich der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland gemäß dem Übereinkommen v. 20.6.1956148 (Art. 9 II), dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. 2.10.1973149 (Art. 16), dem Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche ... v. 23.11.2007 (Art. 14 V)150 sowie dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern v. 15.4.1958151 (Art. 9 II für die durch die Übereinkommen erfassten Verfahren). Nach dem Europäischen Niederlassungsabkommen v. 13.12.1955152 (Art. 9 I) brauchen natürliche Personen ebenfalls keine Prozesskostensicherheit zu leisten. 5.96 Nach Art. 31 (5) CMR brauchen Angehörige der Vertragsstaaten, die ihren Wohnsitz oder eine Niederlassung in einem Vertragsstaat haben, dort keine Sicherheit für Prozesskosten in Verfahren leisten, die wegen einer der CMR unterliegenden Beförderung eingeleitet werden.153 5.97 Zu folgenden Staaten ist die Gegenseitigkeit hinsichtlich der Prozesskostensicherheit verbürgt, teilweise verbürgt bzw. nicht verbürgt (a). Zugleich wird in dieser Tabelle angegeben, ob ein in Deutschland wohnhafter Kläger in dem betreffenden Staat Sicherheit leisten muss (b).154 Ägypten (a) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; (b) nein. Äthiopien (a) nein; (b) ja, außer bei hinreichendem Grundvermögen in Äthiopien. Afghanistan (a) nein; (b) nein. Albanien (a) Art. 17 HZPÜ, sonst nein; (b) ja 146 147 148 149 150 151 152 153
RGBl. II, 623. Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 228, 229. BGBl. 1959 II, 150. BGBl. 1986 II, 826. ABl. EU 2011 Nr. L 192/51. BGBl. 1961 II, 1006. BGBl. 1959 II, 997. Jesser-Huß in MünchKomm/HGB, CMR Art. 31 Rz. 39; Herber/Piper, CMR, 1996, Art. 31 Rz. 35. 154 Die Angaben beruhen auf R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 259.
378
II. Sicherheitsleistung | Rz. 5.99 § 5
Algerien (a) für Unterhaltsansprüche ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Andorra (a) nein; (b) ja Angola (a) nein; (b) nein Anguilla nein155 Antigua und Barbuda (a) nein; (b) gerichtliches Ermessen Argentinien (a) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) ja außerhalb der Übk. zu a. Armenien (a) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; (b) nein. Aserbaidschan (a) Art. 17 ff. HZPÜ 1954; (b) nein Australien (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; dt.-brit. Rechtshilfeabkommen 1928; (b) ja
5.98
Bahamas (a) nein:156 (b) dt.-brit. Rechtshilfeabkommen Bangladesch (a) nein; (b) ja Barbados (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) dt.-brit. Rechtshilfeabkommen Belgien (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Benin (a) nein; (b) ja Bhutan (a) nein; (b) nein Bolivien (a) nein; (b) nein Bosnien-Herzegowina (a) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) ja Botswana nein Brasilien (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) ja, außer bei Grundvermögen in Brasilien. Bulgarien (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Burkina Faso (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) außer Unterhalt ja Burundi nein
5.99
Chile (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein China (Taiwan) (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956, (b) ja, soweit Beklagter den Anspruch bestreitet. China (Volksrepublik) (a) nein; (b) ja Costa Rica (a) nein; (b) ja 155 Vgl. BGH, ZIP 2004, 2013. 156 Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 228 (dazu R. Schütze, S. 193).
379
§ 5 Rz. 5.99 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
Cuba (a) nein; (b) ja
5.100 Dänemark (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Dominikanische Republik (a) nein; (b) ja, außer bei Grundbesitz und Klagen des Handelsrechts. Dubai nein
5.101 Ecuador (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein El Salvador nein Elfenbeinküste (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Estland (a) ja, § 110 I ZPO; HZPA 1905; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein
5.102 Fiji (a) dt-brit. Rechtshilfeabkommen; (b) wie zu a. Finnland (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Frankreich (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein
5.103 Gabun (a) nein; (b) ja außer bei Grundbesitz. Gambia nein Georgien (b) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; (b) nein Ghana nein Griechenland (a) ja, § 110 I ZPO; (b) grds. nein Großbritannien ja, § 110 I ZPO Guatemala (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Guayana nein Guinea (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen.
5.104 Haiti (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Honduras (a) nein; (b) nein Hongkong (Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China) nein
5.105 Indien (a) nein; (b) ja, nach Ermessen des Gerichts, außer bei hinreichendem Vermögen in Indien. Indonesien nein Irak (a) nein; (b) nein in erster Instanz. Iran (a) nein; (b) ja Irland (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Island (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein 380
II. Sicherheitsleistung | Rz. 5.109 § 5
Israel (a) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung nach Art. 1, 23 deutsch-israelischer Vertrag; Art. 9 UNUÜ 1956; sonst nein; (b) außerhalb der Verträge ja Italien (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein
5.106
Jamaika (a) nein; (b) ja Japan (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954, sonst nein; (b) ja Jemen (a) nein; (b) nein Jordanien (a) nein; (b) nein
5.107
Kambodia nein Kamerun nein Kanada (a) nein; (b) ja, außer bei Vermögen in der Provinz. Kap Verde (a) in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Kasachstan (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954, sonst nein; (b) nein Kenia nein Kirgisistan (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954, sonst nein; (b) nein Kolumbien (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) nein Kongo, Volksrepublik (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Korea (Süd) (a) nein; (b) ja Kroatien (a) ja, § 110 I ZPO, Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Kuwait (a) nein; (b) nein
5.108
Lesotho nein Lettland (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 17 ff. HZÜ 1954; (b) nein Libanon (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954, sonst nein; (b) nein Liberia (a) nein; (b) nein Libyen (a) nein; (b) nein Liechtenstein (a) ja, § 110 I ZPO (EWR); (b) nein Litauen (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Luxemburg (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein
5.109
Madagaskar (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Malawi nein Malaysia (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Mali (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. 381
§ 5 Rz. 5.109 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
Malta (a) Art. 14 dt.-brit. Abkommen, sonst nein; (b) wie a. Marokko (a) ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 14 deutsch-marokkanischer Rechtshilfevertrag v. 29.10.1985; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Mauretanien (a) nein; (b) nein Mauritius (a) nein; (b) ja, nicht aber in Handelssachen u. bei Grundvermögen. Mexiko (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) nein Moldau (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 II UNUVÜ, sonst nein; (b) nein Monaco (a) in Unterhaltssachen Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) nein Myanmar (b) ja, außer bei Grundvermögen.
5.110 Nepal nein Neuseeland (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Nicaragua (a) nein; (b) ja Niederlande (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Niger (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Nigeria nein Nordmazedonien (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Norwegen (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein
5.111 Österreich (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein 5.112 Pakistan (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Panama (a) nein; (b) nein Paraguay (a) nein; (b) ja Peru (a) nein; (b) nein Philippinen (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja, in Rechtsmittelinstanz. Polen (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 16 HUVÜ 73, Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Portugal (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein
5.113 Quatar (a) nein; (b) nein 5.114 Ruanda nein Rumänien (a) ja, § 110 I ZPO, Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Russische Föderation (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954, sonst nein; (b) nein
5.115 Sambia nein 382
II. Sicherheitsleistung | Rz. 5.116 § 5
San Domingo nein San Marino nein Saudi-Arabien (a) nein; (b) nein Schweden (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Schweiz (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 16 HUVÜ 73; Art. 9 II HUVÜ 58; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) Art. 51 LugÜ, Übereinkommen zu a, sonst ja, Art. 99 I lit. a SchwZPO. Senegal (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen Serbien (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Sierra Leone nein Singapur (a) nein; (b) ja, nach Ermessen des Gerichts. Slowakei (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 16 HUVÜ 73; Art. 9 II HUVÜ 58; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Slowenien (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Somalia (a) nein; (b) ja Spanien (a) ja, § 110 I ZPO; (b) nein Sri Lanka (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Südafrikanische Republik (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Sudan (a) nein; (b) nein Surinam ja, Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 II HUVÜ 58; Art. 9 UNUÜ 1956 Swasiland nein Syrien (a) nein; (b) ja
5.116
Tansania nein Thailand (a) nein; (b) ja, wenn keine Niederlassung oder kein Grundvermögen. Togo (a) nein; (b) ja, außer bei Grundvermögen. Trinidad und Tobago nein Tschad nein Tschechische Republik (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 16 HUVÜ 73; Art. 9 II HUVÜ 58; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Tunesien (a) ja, Art. 3 deutsch-tunesischer Anerkennungsvertrag; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Türkei (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 16 HUVÜ 73; Art. 9 II HUVÜ 58; Art. 9 UNUÜ 1956; Art. 2 I deutsch-türkisches Rechtsverkehrsabkommen v. 28.5.1929; Art. 9 Europäisches Niederlassungsübereinkommen; (b) nein157 157 AA R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 259.
383
§ 5 Rz. 5.117 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
5.117 Uganda (a) nein; (b) ja Ukraine (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 II HUVÜ 58; sonst nein; (b) nein Ungarn (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 II HUVÜ 58; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein Uruguay (a) Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) ja Usbekistan (a) Art. 17 HZÜ 1954, sonst nein; (b) nein
5.118 Vatikan (a) Art. 17 HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956; sonst nein; (b) nein Venezuela (a) nein; (b) ja, außer in Handelssachen und bei Inlandvermögen. Vereinigte Arabische Emirate (a) nein, (b) nein Vereinigte Staaten von Amerika (a) nein.158 Art. VI i.V.m. Nr. 6 des Protokolls des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags v. 29.10.1954 befreit US-Amerikaner in ihrer Eigenschaft als Kläger oder Nebenintervenienten nur dann von der Pflicht zur Sicherheitsleistung, soweit sie ihren ständigen Aufenthalt bzw. ihre Niederlassung in Deutschland haben oder in Deutschland ausreichendes Immobiliarvermögen zur Deckung der Prozesskosten vorhanden ist.159 (b) nein vor Bundesgerichten, vor Einzelstaatsgerichten je nach Bundesstaat.160
5.119 Weißrussland (a) Art. 17 ff. HZÜ 1954; Art. 9 UNUÜ 1956, sonst nein; (b) s. a; sonst ja 5.120 Zaire nein Zentralafrikanische Republik in Unterhaltssachen ja, Art. 9 UNUÜ 1956. Zypern (a) ja, § 110 I ZPO; Art. 9 UNUÜ 1956; (b) nein
5.121 Es wird die Ansicht vertreten, die Prozesskostensicherheit könne auch von einem ausländischen Schiedskläger im Schiedsgerichtsverfahren gefordert werden, weil es sich bei einer solchen Forderung um eine Schutzvorschrift für den deutschen Beklagten handele.161 Diese Ansicht verkennt den privaten Charakter des Schiedsgerichtsverfahrens (s. Rz. 18.82). Den Parteien steht es frei, in ihrem Schiedsgerichtsvertrag zu bestimmen, nach welchen Verfahrensregeln vorgegangen werden soll. Bestimmen sie, dass nach deutschem Verfahrensrecht zu entscheiden ist, so wollen sie nur, dass die Regeln der ZPO im Allgemeinen eingehalten werden. Haben sie wegen des Verfahrens keine besondere Bestimmung getroffen, so findet § 1042 IV 1 ZPO Anwendung. Die Anordnung einer Prozesskostensicherheit für den Schiedskläger liegt dann im Ermessen des Schiedsgerichts.
158 Vgl. H. Schack, FS Schütze, 1999, S. 745, 747 f. 159 Vgl. BGH, WM 2003, 47 (P. Mankowski, EWiR § 110 ZPO 1/03, 191); M. Reimann, IPRax 1998, 250, 251. 160 Vgl. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 259. 161 K.H. Schwab/G. Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 16 Rz. 23.
384
III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss | Rz. 5.125 § 5
III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss 1. Schrifttum Ch. Brenn, Europäischer Zivilprozess, 2005, Rz. 219 ff.; W. Dürbeck/Y. Gottschalk, Prozessund Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe (§ 17 Grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe), 9. Aufl. 2020; P. Gottwald, Prozesskostenhilfe für grenzüberschreitende Verfahren in Europa, FS Rechberger, 2005, S. 173; P. Gottwald, Freier „Zugang zum Recht“ für Ausländer, IPRax 1989, 249; W. Hau, Prozesskostenhilfe für Ausländer und Auslandsansässige im deutschen Zivilprozess, GS Konuralp, Bd. 1, 2009, S. 411; W. Hau, Europäische Prozesskostenhilferichtlinie, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 33, 2. Aufl. 2010, S. 1971; S.-D. Jastrow, Grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in Zivilsachen, MDR 2004, 75; O. Knöfel, Prozesskostenhilfe im Internationalen Zivilverfahrensrecht – Grundlagen und aktuelle Probleme, FS Kaissis, 2012, S. 501; P. Mankowski, Fiscus non conveniens – oder: Einzug der Lehre vom forum non conveniens in das deutsche Recht der Prozesskostenhilfe?, IPRax 1999, 155; K. Rellermeyer, Rechtspflegergeschäfte nach dem EG-Prozesskostenhilfegesetz, Rpfleger 2005, 61; H. Roth, Prozesskostenhilfe, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 955; U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, 2004, Rz. 376 ff.; N. Schoibl, Gemeinsame Mindestvorschriften für die Europäische Prozesskostenhilfe in Zivilsachen, JBl 2006, 142 u. 233; E. Skorskrubb, Civil Procedure and EU-Law, 2008, p. 169; P. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996 (S. 203 ff: Die Kostenhilfe).
5.122
2. Prozesskostenhilfe in internationalen Fällen a) Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe für Ausländer Mit dem Gesetz, durch welches das Armenrecht durch die Prozesskostenhilfe ersetzt worden ist, ist das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit entfallen.162 Ausländern (natürlichen Personen) wird seither nach §§ 114 ff. ZPO in gleichem Maße Prozesskostenhilfe gewährt wie Inländern, und zwar unabhängig vom Aufenthalt im Inland oder Ausland.163 Sind deutsche Gerichte international zuständig, darf Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung versagt werden, der Kläger könne zulässigerweise auch in seinem Wohnsitzstaat (mit ggf. geringeren Kosten) klagen.164 Denn die internationale Zuständigkeit gibt dem Kläger nach deutschem Recht auch einen Justizgewährungsanspruch.
5.123
Gleiches gilt für die Gewährung von Beratungshilfe.165
5.124
Staatsverträge, die den Angehörigen des jeweils anderen Staats Inländerbehandlung bezüglich der Prozesskostenhilfe (des Armenrechts) zusichern, wie z.B. Nr. 7 des Protokolls zum Deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrag v. 7.5.1956,166 sind für Inlandsverfahren seither irrelevant.
5.125
162 Gesetz v. 13.6.1980, BGBl. 1980 I, 677. 163 OLG Düsseldorf, RIW 1994, 879. 164 OLG Zweibrücken, IPRax 1999, 475; P. Mankowski, IPRax 1999, 155; a.A. OLG Celle, IPRax 1999, 191. 165 BVerfG, NJW 1993, 383. 166 BGBl. II 1956, 502.
385
§ 5 Rz. 5.126 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
5.126 In Familiensachen wird nach § 76 FamFG Verfahrenskostenhilfe wie nach §§ 114 ff. ZPO gewährt. Soweit in Familiensachen kein Anwaltszwang besteht, wird der bedürftigen Partei ein Rechtsanwalt aber nur beigeordnet, wenn eine Anwaltsvertretung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich ist (§ 78 II FamFG). 5.127 Auch ein Ausländer, der aus dem Ausland Prozesskostenhilfe beantragt, muss das Formular nach § 117 IV ZPO benutzen und vollständig ausfüllen.167 5.128 Bei Ausländern mit Auslandswohnsitz ergeben sich aber gewisse Schwierigkeiten, soweit § 115 ZPO auf Ecksätze des SGB VIII verweist, die von Inlandsverhältnissen ausgehen. Die Lösung kann nur darin bestehen, die Tabelle an die tatsächlichen Verhältnisse im Aufenthaltsstaat sachgerecht anzupassen.168 Entsprechend sieht § 1078 III ZPO vor, dass ein Ausländer auch dann Prozesskostenhilfe erhält, wenn die Lebenshaltungskosten in seinem Aufenthaltsort so hoch sind, dass er die Prozesskosten nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Das Recht des Gerichts, amtliche Auskünfte einzuholen (§ 118 II 2 ZPO), besteht auch gegenüber ausländischen Behörden. Verweigern diese die Mitwirkung und kann der Antragsteller seine Anspruchsvoraussetzungen nicht anderweitig nachweisen, so geht dies zu seinen Lasten. 5.129 Nach § 116S 1 Nr. 2 ZPO erhalten juristische Personen und andere parteifähige Vereinigungen Prozesskostenhilfe, wenn sie im Inland, einem EU-Staat oder einem EWR-Staat gegründet wurden und dort ansässig sind, sofern die Kosten weder von ihnen selbst noch einem am Rechtsstreit wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung im allgemeinen Interesse liegt. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen einschließen kann und dass deshalb die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die juristische Person zu berücksichtigen sei.169 5.130 Die Staatsverträge sind daher wegen ausländischer juristischer Personen und parteifähigen Vereinigungen zu beachten. Das gilt vor allem hinsichtlich des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess v. 1.3.1954.170 Nach Art. 20 werden „in Zivilund Handelssachen die Angehörigen eines jeden Vertragsstaats in allen anderen Vertragsstaaten ebenso wie die eigenen Staatsangehörigen zum Armenrecht nach den Rechtsvorschriften des Staats zugelassen, in dem das Armenrecht nachgesucht wird“. Zu den Angehörigen gehören auch die ausländischen juristischen Personen und parteifähigen Vereinigungen.171 167 BGH, FGPrax 2011, 41 = FamRZ 2011, 104 (LS). 168 O. Schuster/R. Streinz, Probleme der Prozesskostenhilfe für im Ausland wohnende Ausländer, SGb 1988, 534. 169 EuGHE 2010, I-13849 („DEB“) = ZIP 2011, 143. 170 BGBl. 1958 II, 577. 171 A. Bülow in Geimer/Schütze, Internat. Rechtsverkehr, Art. 17 HZPÜ Fn. 72 (S. 101.16).
386
III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss | Rz. 5.136 § 5
Die in § 114 ZPO verlangte Erfolgsaussicht ist großzügig im Hinblick auf das anzuwendende ausländische Sachrecht zu beurteilen. Sie ist etwa gegeben, wenn der Antragsteller an einem klagabweisenden Scheidungsurteil interessiert ist, weil dieses nach dem Scheidungsstatut die Grundlage dafür bildet, dass er nach Ablauf einer Frist eine verschuldensunabhängige Scheidung verlangen kann.172 Ein inländisches Scheidungsverfahren hat Aussicht auf Erfolg, wenn das Bestehen einer Ehe durch Bescheinigung der Botschaft des Eheschließungsstaates 1nachgewiesen ist.173
5.131
Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung besteht nicht, wenn der Antragsteller die Auflösung einer Scheinehe mit einem Ausländer begehrt. Hat er für die Eingehung der Scheinehe eine finanzielle Gegenleistung erhalten, so fehlt aber die Bedürftigkeit, wenn er daraus keine Rücklage für die Prozesskosten gebildet hat.174
5.132
Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels (nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ) gibt es für jede Partei, der im Ursprungsstaat Kostenhilfe gewährt wurde, und damit auch für ausländische juristische Personen gem. Art. 50 EuGVO a.F./LugÜ.175
5.133
Unterhaltsberechtigte erhalten Prozess-/(Verfahrens-)kostenhilfe für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach Art. 15 HUVÜ 1973, Art. 9 HUVÜ 1958, Art. 14 II, 15 ff. HUÜ 2007, nach Art. 4 II des Übereinkommens v 20.6.1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland176 sowie nach § 23 AUG 2011.
5.134
In den Art. 44 ff. EuUntVO ist der Anspruch auf Prozesskostenhilfe als Bestandteil des Anspruchs auf „Zugang zum Recht“ umfassend geregelt. Nach Art. 45 EuUntVO erhält ein Antragsteller (als Unterhaltsberechtigter oder als Unterhaltspflichtiger) Prozesskostenhilfe (Verfahrenskostenhilfe) für die komplette grenzüberschreitende Rechtsverfolgung.177 Die Kostenhilfe umfasst die vorprozessuale Rechtsberatung, die Kosten eines Rechtsbeistands, die Befreiung von Gerichtskosten, von Sachverständigen-, Dolmetscher- und Übersetzungskosten und schließlich von notwendigen Reisekosten zum Gericht, wenn das Gericht eine persönliche Teilnahme als erforderlich ansieht.178
5.135
Die Kostenhilfe erstreckt sich auch auf das Vollstreckungsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren (Art. 44 I EuUntVO). Soweit die Zentrale Behörde Unterhaltsansprüche für den Berechtigten unentgeltlich verfolgt, wird keine PKH gewährt (Art. 44 III EuUntVO). Da alle Gerichtsverfahren in Deutschland kostenpflichtig sind und im streitigen Unterhaltsverfahren sogar Anwaltszwang herrscht, ist die Regel insoweit nicht anwendbar. Sie greift dagegen, so172 OLG Celle, FamRZ 1998, 758; OLG Hamm FamRZ 1999, 1352. 173 OLG Stuttgart, FamRZ 2019, 1555. 174 OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1410; FamRZ 2002, 890; OLG Frankfurt, FamRZ 2004, 1882. 175 Bork in Stein/Jonas, 23. Aufl. 2016, § 116 ZPO Rz. 28 ff. 176 BGBl. 1959 II, 150; vgl. M. Andrae, § 10 Rz. 334 ff. 177 Vgl. R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 214 f. 178 M. Andrae, § 10 Rz. 337.
387
5.136
§ 5 Rz. 5.136 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
weit die Zentrale Behörde den Berechtigten bei der Zwangsvollstreckung vertritt.179
5.137 Für alle nach Art. 56 gestellten Anträge zum Kindesunterhalt (bis 21 Jahre) wird Verfahrenskostenhilfe unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Kindes gewährt. Es wird nur kontrolliert, ob der Antrag oder Rechtsbehelf offensichtlich unbegründet ist (Art. 46 EuUntVO). Die wirtschaftliche Lage wird erst im Rahmen einer etwaigen Kostenerstattung nach Art. 67 EuUntVO geprüft.180 5.138 Bei anderen Anträgen (Kindesunterhalt über 21, Ehegattenunterhalt und Direktanträgen) Mutwilligkeit (Art. 47 EuUntVO). Insoweit gelten die §§ 1076 ff. ZPO ergänzend181 (s. Rz. 5.136 ff.). Soweit jemand im Ursprungsstaat Verfahrenskostenhilfe gewährt wurde, genießt er auch im Vollstreckungsstaat für jedes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren Verfahrenskostenhilfe nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz.182 5.139 Im deutsch-tunesischen Vertrag v. 19.7.1966 ist die Gewährung des Armenrechts in den Art. 3 bis 7 geregelt. 5.140 Prozesskostenhilfe gibt es nur für gerichtliche Verfahren. Ein ausländischer Unterhaltsberechtigter, dessen Antrag nach dem AUG in Deutschland eingeht, erhält hier für den Unterhaltsantrag vor Gericht Verfahrenskostenhilfe nach §§ 20 ff. AUG 2011; für das Justizverwaltungsverfahren nach dem AUG183 oder dem UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland184 (s. Rz. 15.298 ff.) kann einem inländischen Antragsteller dagegen keine Prozesskostenhilfe gewährt werden. b) Haltung des Auslandes
5.141 Das Schweizer Bundesgericht hat mit Urteil v. 31.5.1994185 entschieden, dass ein Ausländer selbst mit Wohnsitz im Ausland aus Art. 4 BV einen verfassungsmäßigen Anspruch auf Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege hat. Der Grundsatz der „Waffengleichheit“ verbiete eine unterschiedliche Behandlung je nach Staatsangehörigkeit und Wohnsitz. Teilweise wird ein solcher Anspruch auch aus Art. 6 Nr. 1 EMRK abgeleitet. 5.142 In den nachfolgenden (Nicht-EU-)Staaten wird Ausländern Prozesskostenhilfe in demselben Maß zugebilligt wie den Inländern, ohne dass die Gegenseitigkeit verbürgt sein muss. Das ist der Fall bei Ägypten, einigen Staaten von Australien, Sri 179 180 181 182 183
Vgl. M. Andrae, § 10 Rz. 370. M. Andrae, § 10 Rz. 338. M. Andrae, § 10 Rz. 339. M. Andrae, § 10 Rz. 340. KG, FamRZ 2006, 1210; KG, FamRZ 1992, 1318 = IPRax 1993, 241 (dazu Ch. Böhmer, S. 223); W. Zimmermann, PKH/VKH, 5. Aufl. 2016, Rz. 14a, 14b. 184 LG Memmingen, DAVorm 1994, 430. 185 BGE 120 I a 217.
388
III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss | Rz. 5.147 § 5
Lanka, Chile, Costa Rica, Ecuador, Indien, Iran, Irland, Israel, Japan, Kanada, Libyen, Pakistan, Syrien und einigen Staaten der USA. c) Grenzüberschreitende PKH-Anträge zwischen EU-Staaten Durch die EG-Richtlinie 2002/8/EG v. 27.1.2003186 und ihre Umsetzung im EGPKH-Gesetz v. 15.12.2004187 in den §§ 1076 ff. ZPO sind für Deutschland eingehende und ausgehende grenzüberschreitende PKH-Anträge erheblich erleichtert worden.
5.143
(1) Aus dem Ausland eingehende Anträge Die ausländische Partei kann in ihrem EU-Wohnsitzstaat einen Antrag für grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe188 für die geplante Inlandsklage ausfüllen und bei der Übermittlungsbehörde ihres Staats oder direkt bei der deutschen Empfangsbehörde einreichen (Art. 13 RL). Zulässig ist aber auch, dass der Antrag wie in Inlandsfällen direkt beim zuständigen Gericht gestellt wird.189 Den Antrag kann jede natürliche Person stellen, die in einem Mitgliedstaat wohnhaft ist oder sich dort gewöhnlich aufhält; ihre Staatsangehörigkeit ist irrelevant.190 Je nachdem ob der Antrag für eine Prozessführung oder eine Zwangsvollstreckung gestellt wird, ist das Prozessgericht oder das Vollstreckungsgericht zuständig (§ 1078 I 1 ZPO).
5.144
Das Antragsformular ist in deutscher Sprache als der Sprache des Empfangsstaats auszufüllen; beigefügte Unterlagen sind in die deutsche Sprache zu übersetzen (Art. 13 RL; § 1078 I 2 ZPO).191 Die Übermittlungsbehörde des Wohnsitzstaats soll den Antragsteller bei der Beschaffung der Übersetzungen unterstützen (Art. 13 IV 2 RL; § 1077 III 2, IV ZPO); eine Legalisation darf nicht verlangt werden (§§ 1077 V 1, 1078 I 3 ZPO).
5.145
Die Bewilligungsvoraussetzungen richten sich nach der deutschen lex fori,192 wobei Art. 5RL Mindestanforderungen an den Bewilligungsumfang stellt, denen das deutsche Recht (§§ 1078 II, 114 ff. ZPO) gerecht wird. Aus Art. 3, 8 u. 12 RL hat der EuGH abgeleitet, dass die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe auch die verauslagten Kosten für die Übersetzung der Anlagen umfasst, die für eine Antragstellung erforderlich sind.193
5.146
Unterschiedliche Lebenshaltungskosten in den einzelnen Mitgliedstaaten verbieten eine direkte Anwendung der Regeln über den Einsatz von Einkommen und Ver-
5.147
186 187 188 189 190 191 192 193
ABl. EG v. 31.1.2003 Nr. L 26/41. BGBl. 2004 I, 3392. Vgl. R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 200 f. EuGH – C-670/15, ECLI:EU:C:2017:594 – Šalplachta, RIW 2017, 693; BGHZ 219, 161 = MDR 2018, 1521; P. Gottwald, FS Rechberger, S. 173, 178. Gebauer/Wiedmann/Hau, Kap. 33 Rz. 13. Krit. O. Knöfel, FS Kaissis, 2012, S. 501, 520. Vgl. N. Schoibl JBl 2006, 233, 239. EuGH – C-670/15, ECLI:EU:C:2017:594 – Šalplachta, RIW 2017, 693.
389
§ 5 Rz. 5.147 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
mögen nach § 115 ZPO. Nach § 1078 III ZPO ist dem Antragsteller, der nach inländischen Sätzen nicht PKH-berechtigt wäre, dennoch PKH zu gewähren, wenn er nachweist, dass er wegen der unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten in seinem Wohnsitzstaat die Prozesskosten nicht oder nur in Raten aufbringen kann. Die höheren Lebenshaltungskosten im Wohnsitzstaat sind insoweit als besondere Belastungen zu berücksichtigen.194 Umgekehrt sind nach Ansicht des BGH die Freibeträge gegenüber Klägern aus Mitgliedstaaten der EU nicht herabzusetzen, wenn die Lebenshaltungskosten in dem Mitgliedstaat niedriger als in Deutschland sind.195
5.148 Wird dem ausländischen Antragsteller PKH gewährt, so ist ihm wegen der Schwierigkeit der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung i.d.R. ein Anwalt beizuordnen (§ 121 I, II ZPO); zusätzlich kann der „örtliche Rechtsanwalt“, also ein ausländischer Rechtsanwalt am Wohnsitz des Antragstellers als Verkehrsanwalt beigeordnet werden (§ 121 IV ZPO).196 5.149 Ist grenzüberschreitende PKH gewährt worden, so gilt ein entsprechender PKH-Antrag für jeden weiteren Rechtszug, sinngemäß auch für die Zwangsvollstreckung,197 als gestellt (§ 1078 IV ZPO). 5.150 Verliert die „arme“ Auslandspartei den Prozess, so hat sie dem inländischen Gegner nach § 123 ZPO die vollen Kosten zu erstatten. Aus Art. 3 II 2 RL ergibt sich nichts anderes, da Erwägungsgrund (12) klarstellt, dass sich die Auswirkungen auf die Gegenpartei nach dem Recht des Prozessstaats bestimmen. (2) Ausgehende Gesuche
5.151 Im Vorfeld der Auslandsklage kann die inländische Partei vorprozessuale Rechtsberatung zur außergerichtlichen Streitbeilegung (§ 10 I Nr. 1 BerHG) oder Beratungshilfe für die Unterstützung für einen ins Ausland gerichteten PKH-Antrag (§ 10 I Nr. 2 BerHG) beantragen. Unklar ist, ob Deutschland die Kosten für die Vorbereitung der Auslandsklage nach Art. 8 lit. a RL stets zu tragen hat, wenn der Antragsteller im ausländischen Gerichtsstaat PKH erhält oder nur, wenn die finanziellen Voraussetzungen des § 1 II BerHG (PKH ohne Kostenbeitrag) erfüllt sind.198 Da es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt, kommt nur Beratungshilfe in Betracht.199 5.152 Kommt es zu keiner Einigung, ist der Antrag für grenzüberschreitende PKH für die geplante Auslandsklage entweder bei der deutschen Übermittlungsbehörde, der Empfangsbehörde des Gerichtsstaats oder direkt bei der sonst zuständigen Stelle einzureichen.200 Da das AG den Antragsteller als Übermittlungsbehörde zu unterstützen 194 195 196 197 198 199 200
390
VGH BW, FamRZ 2019, 1633; St. Motzer, FamRBint 2008, 16, 21. BGH, RIW 2008, 568, 569 (Rz. 11). OLG Nürnberg, MDR 2004, 1017. Vgl. P. Gottwald, FS Rechberger, S. 173, 183. Vgl. P. Gottwald, FS Rechberger, S. 173, 177 f. W. Dürbeck/Y. Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 9. Aufl. 2020, Rz. 1106. Vgl. N. Schoibl, JBl 2006, 233, 236; Gebauer/Wiedmann/Hau, Kap. 33 Rz. 26.
III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss | Rz. 5.157 § 5
und insb erforderliche Übersetzungen auf Staatskosten zu beschaffen hat (§ 1077 I, IV ZPO), wird der Antragsteller seinen Antrag i.d.R. dort einreichen. Ob freilich die Einreichung des Antrags bei der inländischen Übermittlungsbehörde die Verjährung des Anspruchs hemmt, ist zweifelhaft. Da die RL nach dem Vorbild des Europäischen Übereinkommens v. 27.1.1977 geschaffen wurde, die in Art. 1 Derartiges vorsieht, spricht manches dafür. Eine explizite Regelung fehlt aber und auch die deutsche Anleitung zum Ausfüllen des Standardantrags spricht eher dagegen.201
5.153
Das Standardformular ist nach Art. 16 I RL in der Sprache des Empfangsstaats auszufüllen. Das dazu nach § 1077 II ZPO eingeführte, zwingend auszufüllende Formular ist allerdings nur in deutscher Sprache abgefasst und enthält keinen Hinweis auf das Erfordernis des Ausfüllens in fremder Sprache. Immerhin ist die deutsche Übermittlungsstelle nach § 1077 IV ZPO verpflichtet, die Eintragungen im Standardformular und die beigefügten Unterlagen in die Amtssprache des Gerichtsstaats zu übersetzen und Originale und Übersetzungen der Empfangsstelle des Gerichtsstaats zu übermitteln (§ 1077 V ZPO).202
5.154
Wird der Antrag zurückgenommen, vom Gericht abgelehnt, wird seine Übermittlung ins Ausland abgelehnt oder der Antrag von der ausländischen Empfangsstelle abgelehnt, trägt der Antragsteller die angefallenen Übersetzungskosten (§ 28 III GKG). Irreführend ist der Hinweis in der Ausfüllanleitung, der Antragsteller könne seinen Antrag direkt an die zuständige Stelle des anderen Mitgliedstaats senden, weil damit nicht gewährleistet ist, dass der Antrag in der vorgeschriebenen Gerichtssprache gestellt ist. Wird der PKH-Antrag im Ausland wegen der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (nach den dortigen Maßstäben) abgelehnt oder die Ablehnung angedroht, so stellt die deutsche Übermittlungsstelle (durch den Rechtspfleger) auf Antrag eine Bedürftigkeitsbescheinigung aus, dass der Antragsteller nach deutschen Maßstäben bedürftig ist und übersendet sie (mit Übersetzung) zur Ergänzung des ursprünglichen Antrags an die Empfangsstelle des Gerichtsstaats (§ 1077 VI ZPO).203
5.155
Soweit ein Gefälle hinsichtlich der Lebenshaltungskosten bzw. der Grenzwerte für die Gewährung von PKH von vornherein ersichtlich ist, sollte die Übermittlungsbehörde eine solche Bescheinigung freilich zur Beschleunigung auf Antrag bereits dem ursprünglichen Antrag beifügen.
5.156
Nach § 1077 III 1 ZPO (Art. 13 III lit. a RL) darf die Übermittlungsbehörde die Übermittlung offensichtlich unbegründeter Anträge (durch den Rechtspfleger) ab-
5.157
201 Krit P. Gottwald, FS Rechberger, S. 173, 179. 202 Vgl. O. Knöfel, FS Kaissis, 2012, S. 501, 519 f. 203 Vgl. K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 61, 63.
391
§ 5 Rz. 5.157 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
lehnen.204 Offensichtlich unbegründet ist ein Antrag, wenn das Antragsformular unvollständig ausgefüllt ist oder dem Antrag die notwendigen Belege nicht beigefügt sind.205 Vor einer Ablehnung des Antrags hat die Übermittlungsstelle aber darauf hinzuwirken, dass zunächst bestehende Mängel behoben werden (§ 1077 IV 2 ZPO). Die Übermittlung des Antrags ins Ausland hat aber keine Bindungswirkung gegenüber der zuständigen Stelle im Ausland, diese ist in ihrer Entscheidung frei.206 d) Anträge nach den HZÜ 1954
5.158 Im Anwendungsbereich der Haager Zivilprozessübereinkommen von 1954 kann eine im Ausland lebende Partei kann ihren PKH-Antrag mit Unterlagen bei den Behörden ihres Landes einreichen, die ihn auf konsularischem Weg der zuständigen Stelle des Gerichtsstaats „übermitteln“ Art. 23 I HZÜ 1954. Die Anträge werden in Deutschland vom LG- oder Amtsgerichtspräsidenten entgegengenommen, in dessen Bezirk Prozesskostenhilfe gewährt werden soll (§ 9 AusfG zum HZÜ 1954). 5.159 In den bilateralen Zusatzvereinbarungen zum HZÜ 1954 bzw. zum HZÜ 1905 ist der Geschäftsverkehr vereinfacht: Im Verhältnis zu Belgien darf der Konsul des Heimatstaats den Antrag beim zuständigen Gericht einreichen (Art. 11 ZV). Mit Dänemark (Art. 1 ZV), Frankreich (Art. 12 ZV), Luxemburg (Art. 1 ZV), den Niederlanden (Art. 11 ZV), Norwegen (Art. 12 ZV), Österreich (Art. 9 ZV), Polen (Art. 12 ZV), der Schweiz (Art. 1 ZV) und der Tschechischen Republik (Art. 8 ZV) ist unmittelbarer Geschäftsverkehr zwischen den zuständigen Gerichten vereinbart. 5.160 Die ausländische Partei muss den Antrag samt Unterlagen in der Gerichtssprache einreichen. Mit Belgien (Art. 12 ZV), Frankreich (Art. 13 ZV) und den Niederlanden (Art. 12 ZV) ist vereinbart, dass die Unterlagen in der Sprache des Ausgangsstaats beigefügt werden dürfen. Wirksam gestellt ist der Antrag in allen Fällen erst mit dem Eingang bei der zuständigen Stelle des Empfangsstaats.
5.161 Ergänzende Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers gem. Art. 22 II HZÜ 1954 dürfen im Verhältnis zu Belgien (Art. 13 ZV), Frankreich (Art. 14 ZV), den Niederlanden (Art. 12 ZV), Norwegen (Art. 13 ZV), Polen (Art. 13 ZV) und der Tschechischen Republik (Art. 9 ZV) unmittelbar bei den zuständigen Behörden des anderen Staats eingeholt werden. 5.162 War die Partei in anderen Fällen nicht in der Lage, den Antrag direkt (unter Einschaltung 0bezahlter oder kostenlos tätiger Anwälte) zu stellen, so ist ihr – soweit möglich – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.207 Verjährungsfristen etc werden aber durch den Antrag im Ausland nicht gewahrt. 204 Vgl. K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 61, 62; N. Schoibl, JBl 2006, 233, 237; Gebauer/Wiedmann/Hau, Kap. 32 Rz. 28. 205 OLG Hamm, FamRZ 2010, 1587. 206 Gebauer/Wiedmann/Hau, Kap. 32 Rz. 30. 207 P. Gottwald, IPRax 1989, 249, 250.
392
III. Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss | Rz. 5.168 § 5
Günstiger gestellt ist eine ausländische Partei im Geltungsbereich des Straßburger Europäischen Übereinkommens über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe v. 27.1.1977,208 das nicht in Deutschland, wohl aber für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei und das Vereinigte Königreich gilt. Nach Art. 1 des Übereinkommens kann der PKH-Antrag im Heimatstaat und in der eigenen Sprache wirksam gestellt werden. Der Heimatstaat hilft dem Antragsteller notwendige Übersetzungen zu erlangen (Art. 3 I 2). In Österreich beschafft die Übermittlungsstelle diese Übersetzungen von Amts wegen und auf Staatskosten (§ 3 III österr. DurchführG).
5.163
Eine ähnliche Verbesserung der Rechtsstellung der ausländischen Partei bringt das Haager Übereinkommen über den internationalen Zugang zur Rechtspflege v. 25.10.1980,209 dessen Ratifikation vom Bundesrat 1987 abgelehnt wurde,210 offiziell weil kein Bedürfnis bestehe, tatsächlich aber aus kaum verständlichen finanziellen Gründen. Das Haager Übereinkommen gilt inzwischen für Albanien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Montenegro, Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Weißrussland und Zypern.
5.164
Mitwirkung deutscher Gerichte zur Erlangung der Prozesskostenhilfe im Ausland. Umgekehrt sind von der deutschen Partei Armenrechtsanträge gem. Art. 23 I HZÜ 1954 beim AG des gewöhnlichen Aufenthalts einzureichen; der Antrag kann dort auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§ 10 AusfG zum HZÜ 1954).
5.165
Das OLG Braunschweig hat entschieden, dass für die zur Vollstreckung eines deutschen Unterhaltstitels in Kalifornien notwendige Klage in Kalifornien der deutschen Klägerin durch ein deutsches Gericht keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.211 Sachgerechter wäre es, den Rechtsgedanken des Art. 44 EuGVÜ dahin zu erweitern, dass ein deutsches Gericht, welches einer Partei Prozesskostenhilfe gewährt hat, diese Hilfe weiter ausdehnt auf die Übersetzung von Urkunden, die erforderlich sind, um die Vollstreckung des Urteils im Ausland zu erreichen.
5.166
3. Prozesskostenvorschuss in internationalen Fällen Eine Partei ist nicht bedürftig i.S.d. § 114 ZPO, wenn sie vom Gegner einen Vorschuss auf die Prozesskosten als Unterhaltsleistung verlangen kann. Ein solcher Anspruch kann auch zwischen Parteien mit ausländischer Staatsangehörigkeit bestehen.
5.167
Für Unterhaltsverfahren sieht § 246 Abs. 1 FamFG vor, dass das Gericht die Vorschusspflicht unter den Beteiligten durch einstweilige Anordnung regeln kann. Diese
5.168
208 209 210 211
Text in österr. BGBl. 1982, 945; vgl. P. Schlosser, RdC 284 (2000), 221. Text in RabelsZ 46 (1982), 768. BT-Drucks. 182/87. OLG Braunschweig, IPRax 1987, 236 (dazu H. Nagel, S. 218).
393
§ 5 Rz. 5.168 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
Regelung korrespondiert im materiellen deutschen Recht mit der entsprechenden materiellen Verpflichtung in § 1360 IV BGB für Ehegatten und in § 1610 II BGB für Verwandte (der entsprechend ausgelegt wird).
5.169 Nach heute h.M. enthält § 246 Abs. 1 FamFG selbst keine Anspruchsgrundlage, sondern regelt nur die prozessuale Durchsetzbarkeit.212 Der Prozesskostenvorschuss wird also nicht prozessrechtlich, sondern unterhaltsrechtlich qualifiziert.213 Ob ein Anspruch besteht, bestimmt daher das nach Art. 3 ff. HUP anwendbare Unterhaltsstatut.214 5.170 Ist für die materielle Unterhaltspflicht ein ausländisches Unterhaltsstatut maßgebend, kann die Zahlung daher nur angeordnet werden, wenn das Unterhaltsstatut den Unterhaltspflichtigen jedenfalls in der Sache zur Zahlung der Prozesskosten als Teil des Unterhalts verpflichtet.215 Kann der Berechtigte nach dem anwendbaren Recht aber keinen Unterhalt erhalten, ist nach Art. 4 Abs. 2 HUP das Recht am Ort des angerufenen Gerichts anzuwenden. Folgt man dem, so gelangt man hilfsweise doch zu einem Prozesskostenvorschussanspruch nach deutschem Recht.216
IV. Ausländer und die Gerichtssprache 1. Schrifttum
5.171 Ch. Armbrüster, Fremdsprachen in Gerichtsverfahren, NJW 2011, 812; R. Ingerl, Sprachrisiko
im Verfahren, 1988; K. Jeßnitzer, Dolmetscher, 1982; M. Kilian, Fremdsprachige Beweismittel im niederländischen Zivilprozess, ZEuP 2020, 195; Ch. Kranjčič, „... dass er getreu und gewissenhaft übertragen werde.“ Zum Dolmetschen im Strafverfahren, 2010; D. Leipold, Zum Schutz der Fremdsprachigen im Zivilprozess, FS Matscher, 1993, S. 287; P. Mankowski, Zur Regelung von Sprachfragen im europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht, FS Kaissis, 2012, S. 607; R. Schütze, Probleme der Übersetzung im Zivilprozessrecht, FS Sandrock, 2000, S. 871. Zur Reform: Ch. Armbrüster, Englischsprachige Zivilprozesse vor deutschen Gerichten?, ZRP 2011, 102; W. Hau, Fremdsprachengebrauch durch deutsche Zivilgerichte – vom Schutz legitimer Parteiinteressen zum Wettbewerb der Justizstandorte, FS Schurig, 2012, S. 49; H. Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, 2011; M. Illmer, Ziel verfehlt – Warum Englisch als Verfahrenssprache in § 1062 ZPO zuzulassen ist, ZRP 2011, 170; R. Müller-Piepenkötter, Englisch als Gerichtssprache, Der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen, DRiZ 2010, 2; A. Remmert, Englisch als Ge212 Vgl. Prütting/Helms/Bömelburg, § 246 FamFG Rz. 20, 24, 26; Keidel/Giers, § 246 FamFG Rz. 3. 213 Ch. v. Bar, Prozesskostenvorschuss und Haager Unterhaltsstatutsabkommen, IPRax 1988, 220; D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 2. Aufl. 2005, Rz. 164 ff. 214 J. Kropholler, IPR, § 15 II 4a (S. 119 f.) sieht hier einen Fall der „Mehrfachqualifikation“ und will je nach Sachlage das Ehewirkungs-, Ehegüter- oder Unterhaltsstatut anwenden. 215 Vgl. für die Türkei Ch. Rumpf, Zur Fortbildung „türkischen Unterhaltsrechts durch deutsche Gerichte“, IPRax 1983, 114; zu Italien KG, FamRZ 1988, 167 = IPRax 1988, 234. 216 So D. Henrich, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2000, S. 189; E. Jayme, IPRax 1986, 265, 268.
394
IV. Ausländer und die Gerichtssprache | Rz. 5.174 § 5 richtssprache, ZIP 2010, 1579; G. Rühl, Auf dem Weg zu einem europäischen Handelsgericht, JZ 2018, 1073; H.-Ch. Salger, Handelssprache Englisch auch als Gerichtssprache, AnwBl. 2012, 40.
– Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen, BT-Drucks. 17/2163 v. 16.6.2010. 2. Schriftsätze Nach § 184 GVG verhandeln die Parteien mündlich und schriftlich mit dem Gericht in deutscher Sprache. Schriftsätze in fremder Sprache wahren nach h.M. keine Frist.217 Bei einer Klage oder Klageerwiderung muss auch die Prozessvollmacht in deutscher Sprache bzw. mit amtlicher Übersetzung vorgelegt werden; sonst wird die Klage als unzulässig abgewiesen bzw. ist die Verteidigung als nicht existent zu behandeln.218 Nach § 112 I PatG ist die Berufung in Patentnichtigkeitssachen zu verwerfen, wenn die Berufungsschrift nicht in deutscher Sprache abgefasst ist. Nach § 126 Satz 2 PatG werden Eingaben vor dem Patentgericht in anderer Sprache nicht berücksichtigt; sie werden nicht zurückgegeben, haben aber keine rechtswahrende Wirkung.
5.172
Mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV und der Freizügigkeit der Unionsbürger (Art. 21 AEUV) ist es unvereinbar, dass eine regional zugelassene Gerichtssprache nur den in dieser Region sesshaften Unionsbürgern zur Verfügung steht.219 Im Allgemeinen sind fremdsprachige Eingaben nicht völlig unbeachtlich. Das Gericht hat den Betroffenen vielmehr auf die Notwendigkeit hinzuweisen, eine deutsche Übersetzung beizubringen. Gegebenenfalls ist bereits zu diesem Zweck Prozesskostenhilfe zu gewähren. Auch kommt die Anforderung einer Übersetzung von Amts wegen nach § 144 I ZPO in Betracht.220 Wer infolge unzureichender Sprachkenntnisse eine Frist versäumt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten.221 Dies gilt nicht, wenn der Ausländer die Frist kennt oder weiß, dass er einen Schriftsatz in deutscher Sprache einreichen muss, und ihn dennoch dem Gericht in seiner Muttersprache zuleitet.222
5.173
Mit dieser Regelung bleibt das Prozessrecht freilich hinter dem Verwaltungsverfahren zurück, das in § 23 II-IV VwVfG bzw. § 19 II SGB X vorsieht, dass fremdsprachige Schriftsätze beachtlich sind und Fristen wahren, vom Gericht freilich erst bearbeitet werden, wenn die Partei innerhalb einer angemessenen Frist eine Übersetzung
5.174
217 BGH, NJW 1982, 532; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 184 Rz. 5; Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 184 GVG Rz. 1; a.A. für EG-Angelegenheiten FG Saarland, NJW 1989, 3112. 218 OLG Koblenz, IPRspr. 2009, Nr. 221, S. 546. 219 Deutsch in Südtirol; EuGH – C-322/13, ECLI:EU:C:2014:189 – Rüffer v Pokorná, RIW 2014, 365 = NJW 2015, 2171. 220 OLG Hamm, NJW 1989, 2203; Dreier/Schulze-Fielitz, GG, 2. Aufl. 2008, Art. 103 I Rz. 55; Jarass/Pieroth/Pieroth, GG. 15. Aufl. 2018, Art. 103 Rz. 49. 221 BVerfGE 40, 95, 100 = NJW 1975, 1597; Kissel/Mayer, § 184 Rz. 23. 222 BVerwG, NJW 1990, 3103.
395
§ 5 Rz. 5.174 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
beibringt. § 19 II 1 SGB X sieht zudem vor, dass die Vorlage einer Übersetzung nur verlangt wird, wenn die Behörde nicht in der Lage ist, die Anträge oder Schriftsätze zu verstehen. Nach § 19 II 4 SGB X kann die Behörde notfalls selbst eine Übersetzung beschaffen und hierfür Ersatz ihrer Aufwendungen in angemessenem Umfang verlangen. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 III GG legt es nahe, diese Regelung analog im Zivilprozess anzuwenden.223 Die h.M. will dagegen aus Art. 103 I GG bislang keine Erleichterungen für Ausländer ableiten.224
5.175 Sachgerecht erscheint es immerhin, dem der deutschen Sprache Unkundigen zwar eine Mitwirkungslast (Veranlassung von Übersetzungen, Beauftragung eines sprachkundigen Vertreters) aufzuerlegen, ihn darüber hinaus aber von dem aus eigener Kraft nicht zu bewältigenden Sprachrisiko zu befreien.225 Sofern die Erklärung nicht unter Mitwirkung eines Dolmetschers zu Protokoll in deutscher Sprache wiederholt werden kann, hat das Gericht selbst für die Übersetzung fremdsprachlicher Anträge, Rechtsbehelfsschriften usw. zu sorgen und der sprachunkundigen Partei bei zwischenzeitlicher Fristversäumung nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erteilen.226 3. Mündliche Verhandlung
5.176 Fremdsprachigen muss nach h.M. die Möglichkeit gegeben werden, sich in der mündlichen Verhandlung vor Gericht ihrer eigenen Sprache zu bedienen. § 185 GVG verpflichtet deshalb die Gerichte (als Ausformung der Garantie des Art. 103 I GG)227, Dolmetscher zur Verhandlung hinzuzuziehen. Die sich daraus ergebenden Nachteile müssen von den Beteiligten hingenommen werden. Der Dolmetscher nimmt in solchen Verfahren eine besondere Stellung ein. Er wird zum Richtergehilfen, ist aber nicht Sachverständiger. Das folgt aus § 191 GVG, wonach auf den Dolmetscher die Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechend anzuwenden sind. Es bedarf keiner Hervorhebung, dass der Fremde mit Hilfe eines Dolmetschers selbstverständlich Erklärungen abgeben, Schriftstücke bei Gericht einreichen lassen, Fragen stellen und Aussagen machen kann. Die Zuziehung eines Dolmetschers darf nicht schon unterbleiben, wenn das Gericht eine Zeugenaussage für unerheblich hält. Denn ohne Einschaltung eines Dolmetschers kann i.d.R. nicht beurteilt werden, ob der Zeuge Fragen richtig verstanden hat und bei besserem Verständnis Wesentliches hätte bekunden können.228 5.177 Nach h.M. handelt das Gericht stets in deutscher Sprache. Seine Entscheidungen werden in Deutsch verfasst, ebenso Ladungen und Rechtsmittelbelehrungen, soweit 223 D. Leipold, FS Matscher, 1994, S. 287, 292 ff. 224 S. aber v. Mangoldt/Klein/Starck/G. Nolte/H. P. Aust, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 103 Abs. 1 Rz. 75 (ggf. Wiedereinsetzung). 225 R. Ingerl, Sprachrisiko im Verfahren, 1988, S. 83 ff., 101 ff., 309. 226 R. Ingerl, Sprachrisiko, S. 282 ff.; vgl. auch P. Gottwald, Der Ausländer im Prozess, in Habscheid/Beys, S. 5, 31 ff.; strenger Kissel/Mayer, § 184 Rz. 23. 227 BVerfG, NJW 1983, 2762; Kissel/Mayer, § 184 GVG Rz. 16. 228 OLG Düsseldorf, MDR 2006, 532.
396
IV. Ausländer und die Gerichtssprache | Rz. 5.180 § 5
sich aus EU-Verordnungen oder internationalen Abkommen nichts anderes ergibt. Art. 6 III (a) EMRK, der verlangt, dass eine Anklageschrift verständlich übersetzt wird, ist im Zivilprozess nicht einschlägig. Auch Art. 103 I GG verlange nicht, dass der ausländischen Partei Schriftstücke im Zivilprozess in einer ihr verständlichen Sprache (bzw. mit Übersetzung) übermittelt werden.229 Diese Haltung widerspricht freilich dem Schutz, der für Deutsche gegenüber ausländischen Klagen bzw. Entscheidungen beansprucht wird, deren Zwangszustellung ohne Übersetzung nicht wirksam ist.230 Besonders in internationalen Handelssachen ist eine (ausschließliche) Verhandlung in der deutschen Sprache nicht immer zweckmäßig. Informell sollte bereits jetzt die Verständigung in einer Fremdsprache zulässig sein, wenn sie alle Beteiligten beherrschen und die formellen Prozesshandlungen dann in Deutsch erklärt werden (vgl. § 185 GVG). De lege ferenda wird diskutiert, besondere Kammern bzw. Senate für internationale Handelssachen einzuführen, vor denen auch Englisch Gerichtssprache wäre. Erfasst werden sollten dann nicht nur ordentliche Streitverfahren in erster und zweiter Instanz, sondern auch Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen und ausländischer Schiedssprüche.231 Seit 1.1.2018 verhandelt eine Kammer für Handelssachen am LG Frankfurt weitgehend auf Englisch.232
5.178
Zumindest ist der ausländischen Partei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie infolge fehlender Sprachkenntnisse zunächst keine sachgerechten Schritte unternimmt.233 Jedoch ist auch von der sprachunkundigen Partei zu verlangen, dass sie sich in angemessener Frist über den Inhalt einer ihr zugestellten Klage, Ladung, Entscheidung oder sonstigen Verfügung erkundigt.234
5.179
4. Fremdsprachige Dokumente Günstiger ist die Lage der Parteien, soweit es um die Berücksichtigung anderer fremdsprachiger Dokumente, insb von Urkunden geht. Fremdsprachige Urkunden sind auch ohne deutsche Übersetzung vom Gericht zu beachten (arg. Art. 103 I GG). Nach seinem Ermessen kann das Gericht aber von den Parteien die Vorlage einer Übersetzung verlangen (§ 142 III ZPO). Unbeachtlich wird die Urkunde erst, wenn die Partei der Aufforderung nicht nachkommt. Damit das Gericht sachgerecht über die Übersetzungsanordnung entscheiden kann, müssen die Parteien schlüssig darlegen, inwieweit das fremdsprachige Dokument entscheidungserheblich ist.235 Kann die Partei die Übersetzung aus finanziellen Gründen nicht beibringen, ist eine Über229 BGH, FamRZ 1996, 347 m. abl. Anm. B. Bachmann, S. 1276; Kissel/Mayer, GVG, § 184 Rz. 12. 230 P. Gottwald in Habscheid/Beys, S. 5, 39 f.; s. Rz. 8.109. 231 Vgl. M. Illmer, ZRP 2011, 170. 232 Vgl. G. Rühl, JZ 2018, 1073. 233 Vgl. R. Ingerl, Sprachrisiko, S. 276 ff. 234 v. Mangoldt/Klein/Starck/G. Nolte/H. P. Aust, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 103 Abs. 1 Rz. 75. 235 BVerwG, NJW 1996, 1553.
397
5.180
§ 5 Rz. 5.180 | Ausländer als Verfahrensbeteiligte
setzung ggf. von Amts wegen einzuholen oder der Partei ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren.236 In den Niederlanden werden Beweismittel auch in deutscher, französischer oder englischer Sprache beachtet.237 5. Sprache im Rechtshilfeverkehr
5.181 Die Sprache im Rechtshilfeverkehr richtet sich nach den EU-Verordnungen und den Übereinkommen. Außerhalb von Vereinbarungen ist es üblich, die Sprache des ersuchenden Staats zzgl. einer Übersetzung in eine Amtssprache des ersuchten Staats zu verwenden.238 6. Dolmetscher
5.182 Verfahren, bei denen Dolmetscher hinzuziehen sind, sind zeitraubend und umständlich. Gerichte, die viel mit Auslandsfällen zu tun haben, sollten daher nach Möglichkeit so besetzt sein, dass sie besondere Sprachkenntnisse besitzen. Dadurch könnte vermieden werden, dass nicht alle eingereichten Unterlagen ins Deutsche übersetzt werden müssen. Den Richtern sollte auch erlaubt sein, gem. § 185 II GVG direkt mit den Parteien in ihrer Sprache zu verhandeln, auch wenn die Rechtsanwälte, Protokollführer oder Zuhörer diese Sprache nicht beherrschen. Wesentlich ist allerdings, dass das Ergebnis einer solchen Verhandlung – gewöhnlich ein gerichtlicher Vergleich – in deutscher und fremder Sprache im Protokoll erscheint. Auch hat der Richter über den Inhalt der fremdsprachigen Verhandlung den anderen Anwesenden zu berichten. Auf die Problematik hat im Einzelnen hingewiesen Jeßnitzer, Dolmetscher, 1982. 5.183 Die Dolmetscherkosten trägt nach h.M. die kostenpflichtige Partei als Teil der Gerichtskosten (§ 91 ZPO). Kostenfreiheit für den Dolmetscher besteht für den Betroffenen nur im Strafprozess, sofern ihm das Gericht die Kosten nicht ausdrücklich auferlegt (GKG KV Nr. 9005 Anmerkung [4]) (a.A. arg. Art. 3 III, 103 I GG239). Nach h.M. verlangt auch Art. 19 IV GG keine Befreiung des deutschunkundigen Beteiligten von den Kosten der Sprachmittlung, vom Fall der Mittellosigkeit abgesehen.240 5.184 Dolmetscher- und Übersetzungskosten, die bei der Vorbereitung einer Klage anfallen, gehören zu dem nach §§ 249 ff. BGB ersatzfähigen Nichterfüllungs- bzw. Verzugsschaden, nicht dagegen entsprechende Kosten für die parteiinterne Willensbildung bis zum Abfassen des Mahnschreibens.241
236 237 238 239 240 241
398
Vgl. Jarass/Pieroth/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 103 Rz. 49. Vgl. M. Kilian, ZEuP 2020, 195. Kissel/Mayer, GVG, § 184 Rz. 24 f. D. Leipold, FS Matscher, 1994, S. 287, 296. R. Ingerl, Sprachrisiko im Verfahren, 1988, S. 136 ff., 310. LG Dortmund, RIW 2002, 69; dazu F. Blase/St. Dornhegge, RIW 2002, 55.
§6 Inlandsverfahren mit Auslandsbezug I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 2. Allgemeine Rechtsschutzformen . 6.2 a) Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 b) Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 c) Drittbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 d) Prozessprinzipien . . . . . . . . . . . . . . 6.6 e) Prozesshandlungen . . . . . . . . . . . . . 6.7 f) Inhalt des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . 6.14 g) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.15 h) Divergierende Rechtsschutzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.17 i) Formen der Prozessbeendigung . . 6.28 j) Grenzüberschreitende Verweisung 6.29 3. Europäisches Bagatellverfahren . . 6.30 4. Alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten . . . . . . . . 6.41 5. Verbandsklagen, Klagen im öffentlichen Interesse, kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.44 6. Grenzüberschreitende Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.51 a) Europäisches Mahnverfahren . . . . 6.52 b) Deutsches Mahnverfahren mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.62 c) Mahnverfahren in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.68 7. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.69 8. Drittbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.77 9. Unklagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.86 a) Klagefristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.88 b) Forderungen aus internationalen Devisenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . 6.89 10. Fremdwährungsklagen . . . . . . . . . . 6.92 11. Internationale Familiensachen . . . 6.101 a) Eheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.102 b) Scheidungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . 6.115 c) Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . 6.122 d) Abstammungssachen . . . . . . . . . . . 6.123 II. Ausländische Rechtshängigkeit . 6.200 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.200
2. Rechtshängigkeit nach europäischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.201 a) Zivil- und Handelssachen . . . . . . . 6.201 b) Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . 6.229 c) Güterrechtsachen . . . . . . . . . . . . . . 6.231 d) Ehe- und Sorgerechtssachen . . . . . 6.234 e) Erbrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.242 f) Gemeinschaftsmarken . . . . . . . . . . 6.244 3. Ausländische Rechtshängigkeit nach autonomem deutschen Recht 6.245 4. Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.261 5. Perpetuatio fori . . . . . . . . . . . . . . . . 6.268 6. Materiell-rechtliche Wirkungen der ausländischen Rechtshängigkeit . . 6.269 7. Internationale Rechtshängigkeit nach bilateralen Verträgen . . . . . . 6.272 8. Parallelverfahren im Ausland . . . . 6.277 9. Abgabe oder Verweisung ins Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.284 10. Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit eines ausländischen Verfahrens . . 6.285 11. Prozessunterbrechung durch ausländisches Insolvenzverfahren . . . 6.286 III. Maßnahmen gegen ausländische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.300 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.300 2. Anti-suit injunction . . . . . . . . . . . . 6.301 3. Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . 6.306 4. Schadenersatzklage . . . . . . . . . . . . . 6.310 5. Negative Feststellungsklage . . . . . . 6.311 6. Blocking statutes . . . . . . . . . . . . . . . 6.314 a) Europäische Gemeinschaft . . . . . . 6.314 b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.316 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.320 d) Andere Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . 6.321 e) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.322 IV. Internationales Anwaltsrecht . . . 6.400 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.400 2. Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.401 3. Inlandstätigkeit ausländischer Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.408
399
§ 6 Rz. 6.1 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug 4. Auslandstätigkeit deutscher Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.420
5. Anwaltskosten und Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.430
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug 1. Schrifttum
6.1 R. Bertrams, Set-off in private international law, Essays in honour of Kokkini-Iatridou, 1994,
S. 153; R. Birk, Die Einklagung fremder Rechte im internationalen Privat- und Prozessrecht, ZZP 82 (1969), 70; P. Böhm, Die Rechtsschutzformen im Spannungsfeld von lex fori und lex causae, FS Fasching, 1988, S. 107; O. Elias, Judicial Remedies in the Conflict of Laws, 2001; R. Graef, Die Vorbereitung und Durchführung des Haupttermins im deutschen und englischen Zivilprozess, ZVglRwiss 95 (1996), 92; W. Habscheid, Zur Aufrechnung (Verrechnung) gegen eine Forderung mit englischem Schuldstatut im Zivilprozess, FS Neumayer, 1985, S. 263; Ch. Hodges, Multi-party actions, 2001; G. Hohloch, Auskunftsansprüche im Spannungsfeld zwischen anwendbarem Recht und Verfahrensrecht, Essays in honour of D. Kokkini-Iatridou, 1994, S. 213; G. Hohloch, Die Abänderung ausländischer Unterhaltstitel im Inland, DEuFamR 2000, 193; A. Jack, European Small Claim Procedure, (2005) NLJ 1135; E. Jayme, Auskunftsanspruch und Stufenklage bei ausländischem Ehegüterrechtsstatut, IPRax 1982, 11; M. Kallenborn, Die Prozesskostenvorschusspflicht unter Ehegatten, 1968; M. Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998; St. Kilgus, Zur Intervention der Bundesrepublik Deutschland in Zivilverfahren aus völkerrechtlichen Gründen, RIW 1997, 14; A.-K. Koberg, Zivilprozessuale Besonderheiten bei Sachverhalten mit Auslandsberührung, 1992; H. Koch, Streitverkündung und Drittklage im amerikanisch-deutschen Prozess, ZVglRWiss 87 (1986), 11; H. Koch, Internationaler Unterlassungsrechtsschutz zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 341; H. Koch, Non-Class Group Litigation under EU and German Law, Duke J.Comp. & Int.L. 11 (2001), 355; B. Kraft, Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice, 1997; C. Kulaksiz, Die Teilklage im deutschen und türkischen Zivilprozessrecht, 2004; D. Leipold, Vom nationalen zum europäischen Zivilprozessrecht – Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Urteilskollision, in Kroeschell/Cordes, Vom nationalen zum transnationalen Recht, 1995, S. 67; K.-G. Loritz, Ausländisches Verfahrensrecht im deutschen Zivilprozess, FS 150jähr. Jubiläum Areios Pagos, Bd. 1, 2007, S. 121; H.-P. Mansel, Streitverkündung und Interventionsklage im Europäischen internationalen Zivilprozessrecht (EuGVÜ/Lugano-Übereinkommen), in Hommelhoff/Jayme/ Mangold, Europäischer Binnenmarkt, Internationales Privatrecht und Rechtsangleichung, 1995, S. 161; H.-P. Mayer/J. Lindemann, Der Vorschlag für ein europäisches Bagatellverfahren, AnwBl. 2006, 121; R.-M. McGuire, Forum shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83; M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994; E. Milleker, Inlandswirkungen der Streitverkündung im ausländischen Verfahren, ZZP 80 (1967), 288; E. Milleker, Formen der Intervention im französischen Zivilprozess und ihre Anerkennung in Deutschland, ZZP 84 (1971), 91; Otte, Amicus curiae: Drittbeteiligung ohne Interventionswirkung auch in Deutschland?, DAJV-NL 3/90, S. 37; E. Milleker, „Verfolgung ohne Ende“, IPRax 1993, 209; B. Prell, Der Anspruch auf Prozesszinsen nach deutschem Recht bei Vorliegen eines ausländischen Vertragsstatuts, JR 2012, 179; Ritter, Zur unfreiwilligen Beteiligung an fremdem Rechtsstreit nach deutschem und italienischem Zivilprozessrecht, in Juristische Beiträge (der deutsch-italienischen Juristenvereinigung) 1971, 61; H. Rixen, Die Anwendung ausländischen Verfahrensrechts im deutschen Zivilprozess, Diss. Regensburg 1999; Rott/von der Ropp, Stand der grenzüberschreitenden Unterlassungsklage in Europa, ZZPInt 9 (2004), 3; P. Schlosser, Extraterritoriale Rechtsdurchsetzung im Zivilprozess, FS W. Lorenz, 1991, S. 497; A. Schober,
400
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.3 § 6 Drittbeteiligung im Zivilprozess, 1990; M. Schoch, Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Licht des internationalen Rechts, 1934; K. Siehr, Ausländische Unterhaltsentscheide und ihre Abänderung im Inland wegen veränderter Verhältnisse, FS Bosch, 1976, S. 927; U. Spellenberg, Abänderung ausländischer Unterhaltsurteile und Statut der Rechtskraft, IPRax 1984, 304; U. Spellenberg, Drittbeteiligung im Zivilprozess, ZZP 106 (1993), 283; R. Stürner, Special Case Management by Judges for Foreign Parties, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration and Judicial Responsibility in Transnational Disputes, 2011, S. 253; G. Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozess, 1987; Ph. Wood, English and International Set-Off, 1989.
2. Allgemeine Rechtsschutzformen a) Klagearten Die zulässigen Klagearten, insb. die Formen einstweiligen Rechtsschutzes, richten sich grds. nach der lex fori. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage (§ 256 ZPO),1 einer Leistungsklage vor Fälligkeit (§§ 257 ff. ZPO),2 einer Stufenklage (§ 254 ZPO), einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage,3 einer Teilklage bzw. der Bindung an den Antrag (§ 308 ZPO), der Zulässigkeit von Widerklage und Prozessaufrechnung4 oder der Abänderungsklage (§ 323 ZPO) richten sich im Inland damit ausschließlich nach der ZPO bzw. in Familiensachen nach dem FamFG. Gleiches gilt für die Frage, ob es für Bagatellforderungen,5 für Verbraucherstreitigkeiten, Handelsstreitigkeiten, Familiensachen oder Urkundenprozesse jeweils besondere Prozessarten gibt.6
6.2
In Deutschland stehen alle Klagearten unabhängig von Nationalität und Wohnsitz/ Sitz der Parteien zur Verfügung. Auch ein Mahnverfahren findet in grenzüberschreitenden Fällen statt (s. Rz. 6.50 ff.). b) Mediation Am 21.5.2008 ist die Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen verabschiedet worden.7 Umgesetzt hat der deutsche Gesetzgeber diese Richtlinie mit dem Mediationsgesetz v. 21.7.2012.8 Die Mediation ist nach § 2 MediationsG ein freiwilliges, eigenverantwortliches Verfahren der Parteien
1 M. Schoch, S. 77 ff. 2 M. Schoch, S. 68 ff., 107 f. 3 Vgl. Koch, Liber amicorum Siehr, S. 341, 347 (für „funktionale“ Qualifikation); R. Geimer, IZPR, Rz. 2637; P. Rott/A. von der Ropp, ZZPInt 9 (2004), 3. 4 Vgl. Wood, S. 233 ff. 5 M. Schoch, S. 125 ff. 6 Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 124; R. Geimer, IZPR, Rz. 2633. 7 ABl. EU Nr. L 136/3; zum Kommissionsvorschlag: P. Mayr/M. Weber, Europäische Initiativen zur Förderung der alternativen Streitbeilegung, ZfRV 2007, 163. 8 BGBl. 2012 I, 1577; vgl. R. Greger/H. Unberath/F. Steffek, Recht der alternativen Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016, S. 23; R. Fritz, Mediationsgesetz, 2013. Vgl. auch U. Gläßer, Auf dem Weg zu einem europäischen Verfahrensverständnis? – Ein vergleichender Blick auf die Umsetzung der EU-Mediations-Richtlinie in Deutschland und Italien, FS Martiny, 2014, S. 735.
401
6.3
§ 6 Rz. 6.3 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
mit einem selbst gewählten Mediator. Ist bereits ein Gerichtsverfahren anhängig, kann das Gericht den Parteien eine Mediation vorschlagen (§ 278a I ZPO). Stimmen die Parteien zu, wird das Ruhen des Verfahrens angeordnet (§ 278a II ZPO). Eine Einigung der Parteien kann mit ihrer Zustimmung in einer Abschlussvereinbarung dokumentiert werden (§ 2 VI 3 MediationsG).
6.4 Alternativ kann das Gericht die Parteien in Deutschland an einen nicht entscheidungsbefugten Güterichter verweisen (§ 278 V 1 ZPO). Dieser kann alle Methoden der Streitbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen. Vor ihm kann also auch ein vollstreckbarer Prozessvergleich geschlossen werden.9 c) Drittbeteiligung
6.5 Die lex fori bestimmt, ob und in welcher Weise sich Dritte aus eigenem Antrieb am fremden Verfahren beteiligen können (z.B. durch Nebenintervention) und inwieweit sie ohne oder gegen ihren Willen zwangsweise in ein Verfahren einbezogen werden können (z.B. durch Streitverkündung, third party complaint oder Beiladung) (s. Rz. 6.79 ff.). d) Prozessprinzipien
6.6 Die lex fori bestimmt über die anwendbaren Prozessprinzipien, insb. darüber, ob die Parteien den Sachverhalt vortragen müssen oder ob das Gericht den Sachverhalt selbst aufklären kann und muss.10 Dies gilt in der EU auch dann, wenn der Beibringungsgrundsatz dazu führt, dass mangels Parteivortrags zwingendes Gemeinschaftsrecht nicht angewandt wird.11 e) Prozesshandlungen
6.7 Die lex fori processualis bestimmt, welche Anforderungen an Klageschrift und Klageerwiderung gestellt werden,12 in welcher Form eine Prozesshandlung vorzunehmen ist und wann sie mit fristwahrender Wirkung vorgenommen worden ist. 6.8 Die lex fori bestimmt somit auch, ob und inwieweit die mündliche Verhandlung in Form einer transnationalen Videokonferenz stattfinden kann oder zumindest ein-
9 Vgl. R. Greger/H. Weber, Das neue Güterichterverfahren, MDR 2012, Sonderheft S. 21, 23. 10 Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 124. 11 EuGHE 1995, I-4705 (van Schijndel, van Veen) = EuZW 1996, 542; EuGHE 1995, I-4599 (Peterbroeck) = EuZW 1996, 636; krit. A. Cahn, ZEuP 1998, 974, 978. 12 Ob etwa wie nach §§ 253 II Nr. 2, IV, 130 Nr. 3, 4, 5 ZPO bereits konkrete Sachverhaltsbehauptungen mit Beweisangeboten erforderlich sind oder wie nach FRCP 8a eine Kurzangabe zum Streitgegenstand mit Klageantrag genügt. Vgl. J. W. Reinhard, Klageerhebung und Beklagtenschutz nach US-amerikanischem und deutschem Zivilprozessrecht, 2006.
402
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.14 § 6
zelne Beteiligte durch Videokonferenz zugeschaltet werden können.13 Innerhalb der EU ist insoweit auch Art. 17 IV 3 EuBewVO zu beachten. Auch die wirksame Erteilung einer Prozessvollmacht untersteht damit der jeweiligen lex fori (s. Rz. 6.403).14
6.9
Das deutsche Recht stellt bei Prozesshandlungen gegenüber dem Gericht, auch in internationalen Verfahren, vielfach auf den Eingang bei Gericht ab. Eine Regel wie Art. 12 schweiz. IPRG, dass für die Fristwahrung durch eine Person im Ausland der Eingang bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung innerhalb der Frist genügt, kennt das deutsche Recht nicht.
6.10
Auch bei Beteiligung von Parteien mit ausländischem Wohnsitz/Sitz gelten grds. die allgemeinen Fristen für die Vornahme von Prozesshandlungen. Wählt das Gericht ein schriftliches Vorverfahren, so hat es die Frist zu bestimmen, innerhalb der der Beklagte mit Wohnsitz/Sitz im Ausland seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen hat (§ 276 I 1, 3 [1. Halbs.] ZPO). Ist ein Versäumnisurteil im Ausland zuzustellen, bestimmt das Gericht eine angemessene Einspruchsfrist (§ 339 II ZPO). Bei der Bestimmung von Erwiderungsfristen (§§ 275 III, IV, 276 I 2, 277 III ZPO) ist ebenfalls auf den ausländischen Wohnsitz Rücksicht zu nehmen.
6.11
Die ausländische Partei unterliegt den allgemeinen Sorgfaltspflichten im Prozess. Wird ihr eine (nicht ordnungsgemäß zugestellte) Entscheidung faktisch bekannt, so muss sie sich unverzüglich um die Einlegung eines Rechtsmittels bemühen, damit ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gewährt werden kann.15
6.12
Zur Unterbrechung des Verfahrens durch Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens s. Rz. 6.286 f. u Rz. 20.92 ff.
6.13
f) Inhalt des Urteils Der Inhalt des Urteils kann auf Leistung oder Unterlassung im Inland oder Ausland lauten.16 Die Verurteilung zur Vornahme einer vertretbaren Handlung im Ausland kann mit der Ermächtigung zur Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners (§ 887 ZPO) verbunden werden17 (s. Rz. 19.101 ff.). Durch das Urteil wird nur der Beklagte persönlich verpflichtet; ein Übergriff in ausländische Hoheitsrechte liegt mithin nicht vor.18 Lediglich zur realen Vollstreckung im Ausland bedarf es der Hilfe der ausländischen Gerichte. Unterbleiben sollte aber eine Verurteilung zu einer 13 Für das deutsche Recht s. § 128a ZPO. Für England s. Polanski v Condi Nast Publications Ltd (2005) UK HL 10; dazu B. Hess, Europäisches Beweisrecht, in Marauhn, Bausteine eines europäischen Beweisrechts, 2007, S. 17; s. auch G. Davies, Use of Video and Audio Technologie, AmJCompL 55 (2007), 205. 14 OLG Hamm, IPRax 1996, 33, 35; B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 106. 15 BGH, FamRZ 1995, 1136. 16 BGH, RIW 1979, 419; R. Geimer, IZPR, Rz. 396; P. Schlosser, FS W. Lorenz, S. 497, 499. 17 OLG Stuttgart, ZZP 97 (1984), 487; P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119, 121. 18 Vgl. P. Gottwald, FS Habscheid, 1989, S. 119.
403
6.14
§ 6 Rz. 6.14 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
Handlung im Ausland, die dort verboten ist. § 441 (1) (a) Restatement Foreign Relations Law (Third) verlangt nur eine angemessene Berücksichtigung des ausländischen Rechts unter Abwägung aller Interessen. Jedoch kann wohl generell von einer Person nicht verlangt werden, dass sie in ihrem Wohnsitzstaat gegen dessen Gesetze verstößt.19 g) Zinsen
6.15 Ob und in welcher Höhe Zinsen verlangt werden können, ist nach deutschem Recht eine Frage des Schuldstatuts. Dies gilt auch für die Prozesszinsen (§ 291 BGB; § 262 Satz 1 ZPO).20 Die festgesetzten Kosten sind stets nach § 104 I 2 ZPO (ohne Rücksicht auf das Schuldstatut) zu verzinsen. 6.16 In anderen Ländern wird die Verzinsung teilweise prozessual qualifiziert. In den USA richten sich Grund und Höhe der Zinsen vor Urteilserlass nach dem Schuldstatut; die Urteilssumme ist dagegen mit dem Zinssatz des Urteilsstaats zu verzinsen (so Uniform Foreign Money Claims Act 1989, § 9). h) Divergierende Rechtsschutzformen
6.17 Zweifelhaft ist aber, wie vorzugehen ist, wenn eine Rechtsfolge nach der lex causae durch Rechtsgeschäft, nach der lex fori dagegen durch Urteil herbeizuführen ist (oder umgekehrt). Entscheidend muss im Ausgangspunkt sein, welche Gestaltungsformen das materielle Recht vorsieht. Der Gesetzgeber kann aber die Einhaltung von Inlandsformen zwingend vorschreiben, etwa die Scheidung durch Gerichtsentscheidung (Art. 17 II EGBGB) trotz möglicher Privatscheidung. Verlangt auch die lex causae zwingend die Einhaltung ihrer Form, so sind beide Formen einzuhalten und (sofern möglich) zu kombinieren, wenn eine hinkende Rechtsfolge vermieden werden soll (s. Rz. 6.102 ff.). 6.18 Die lex fori entscheidet weiter, ob und inwieweit ausländische öffentlich-rechtliche Ansprüche im Inland eingeklagt werden können. Primäransprüche sind in Deutschland freilich vor den VG einzuklagen; vor den Zivilgerichten können Regressansprüche öffentlicher Kassen wegen geleisteten Unterhalts, u.U. auch ein Regressanspruch einer Privatperson eingeklagt werden.21 Ein US-Bundesgericht hat entsprechend entschieden, dass US-Gerichte nicht für Klagen gegen Deutschland auf Zahlung von Entschädigung für NS-Unrecht zuständig sind.22 6.19 Schwierigkeiten ergeben sich häufig bei internationalen Unterhaltsverfahren. Ob ein Stufenantrag (eine -klage) zulässig ist, entscheidet die lex fori, ob ein klagbarer Aus-
19 P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119, 122; F. A. Mann, FS Mosler, 1983, S. 529, 542. 20 A.A. B. Prell, JR 2012, 179, 181. 21 Vgl. St. Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlich-rechtlicher Ansprüche im Inland, 1994; H. Baade, Operation of Foreign Public Law, IntEncCompL Vol. III/12, 1991, no. 12–66 et seq. 22 U.S Court of Appeal D.C., RIW 1994, 771.
404
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.23 § 6
kunftsanspruch besteht, richtet sich dagegen nach der lex causae,23 dem Unterhaltsstatut.24 Kennt die lex causae keinen Auskunftsanspruch, wohl aber eine entsprechende Amtsermittlung im Inlandsprozess, so ist im Wege der Anpassung ein Auskunftsanspruch zuzuerkennen.25
6.20
Teilweise wird auch versucht, das ausländische Recht fortzubilden und darin im Wege der Lückenfüllung einen Auskunftsanspruch zu entwickeln. Doch genügt die Amtsermittlung nicht, um für Fälle mit Auslandsberührung einen solchen Anspruch zu unterstellen. Vorgeschlagen wird schließlich, nicht einen speziellen Auskunftsanspruch zu entwickeln, sondern die eigene lex fori abzuändern und, soweit nötig, die Verfahrensregeln des Hauptstatuts mit anzuwenden, d.h. im Unterhaltsprozess den Untersuchungsgrundsatz wie im Land des Unterhaltstatuts anzuwenden.26 Die Folge davon ist, dass dann insoweit eine Auskunftsklage unzulässig ist.
6.21
Diese Art der Anpassung hilft aber nicht weiter, wenn im Ausland weder der Untersuchungsgrundsatz herrscht noch das ausländische Unterhaltsstatut einen materiellen Auskunftsanspruch kennt, wohl aber eine (funktional vergleichbare) prozessuale Pflicht zur Auskunft im Wege des (pre-trial) discovery oder disclosure. Man könnte – um den Normenmangel zu beheben – diese discovery-Pflicht in einem deutschen Prozess materiell-rechtlich qualifizieren.27 Problematisch hieran ist jedoch, dass die Discoverypflicht teilweise erheblich über inländische Vorstellungen hinausgeht und jedenfalls in extremen Fällen mit dem deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) kollidiert. Deshalb ist es im Ergebnis praktikabler, im Wege der Anpassung im Inland im Rahmen einer Stufenklage einen Auskunftsanspruch analog dem deutschen materiellen Recht gem. §§ 1580, 1605 BGB (als Annex zum Prozessrecht) zu gewähren.28
6.22
Die Zulässigkeit einer Entscheidung über eine Aufrechnungsforderung bestimmt die lex fori; Voraussetzungen und Wirkungen der Kompensation sind dagegen der lex causae zu entnehmen.29 Soweit die Aufrechnung nach dem Schuldstatut prozessrechtlich geregelt ist, kann sie nicht in der ausländischen Prozessform erklärt werden, vielmehr ist das ausländische Prozessrecht auf seinen materiellen Gehalt zu befragen. Im Inland wird die Aufrechnung also prozessual als Verteidigungsmittel gel-
6.23
23 P. Böhm, FS Fasching, 1988, S. 107, 123; vgl. M. Kentgens, Der Auskunftsanspruch im Familienrecht, 1992. 24 BGH, IPRax 1983, 184. 25 E. Jayme, IPRax 1982, 11; so im Falle eines griechischen Unterhaltsschuldners vgl. OLG Hamm, IPRax 1988, 108; E. Jayme/Bissias, Auskunftsanspruch und ausländisches Ehegüterrechtsstatut, IPRax 1988, 94, 95; für das türkische Recht OLG Hamm, FamRZ 1993, 69; für Japan: OLG Stuttgart, IPRax 1990, 113, 114. 26 So G. Hohloch, Liber amicorum Kokkini-Iatridou, 1994, S. 213, 228 ff. 27 So St. Morweiser, IPRax 1992, 65. 28 H. Eidenmüller, IPRax 1992, 356; OLG Bamberg, IPRspr. 1983 Nr. 59, S. 145; so wohl auch G. Hohloch, Liber amicorum Kokkini-Iatridou, 1994, S. 230. 29 Vgl. W. Habscheid, FS Neumayer, 1985, S. 263.
405
§ 6 Rz. 6.23 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
tend gemacht; sie kann aber nur beachtet werden, soweit das ausländische „Prozessrecht“ eine Verrechnungswirkung zulässt.30
6.24 Obgleich die Aufrechnung prozessual ein Verteidigungsmittel ist, lässt der BGH in ständiger Rspr. die Aufrechnung mit einer streitigen Forderung nur zu, wenn die deutschen Gerichte zur Entscheidung über die Aufrechnungsforderung international zuständig sind.31 Hieran fehlt es, wenn die Aufrechnungsforderung aufgrund einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung im Ausland32 oder aufgrund einer Schiedsvereinbarung vor einem Schiedsgericht (s. Rz. 18.202) einzuklagen ist. Soweit zwischen Hauptforderung und Aufrechnungsforderung Konnexität besteht, soll zwar eine internationale Zuständigkeit analog § 33 ZPO bestehen,33 die abweichende ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung kann dem aber entgegenstehen. 6.25 Die jeweilige lex fori entscheidet auch, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gegenforderung mittels Widerklage oder Prozessaufrechnung geltend gemacht werden kann.34 6.26 Bei der Abänderungsklage (Abänderungsantrag) ist streitig, inwieweit die Abänderungsmöglichkeit ausschließlich der lex fori oder Anlass, zeitlicher und sachlicher Umfang der Abänderung der lex causae (dem Unterhaltsstatut) zu entnehmen sind. Die Praxis tritt hier überwiegend für eine Anwendung von § 323 III ZPO bzw. § 238 III FamFG ein.35 Überzeugender erscheint aber, dass ein nach ausländischem Recht (lex causae) bestehender Anspruch auf Erhöhung der (Unterhalts)Forderung bzw. auf Verminderung der (Unterhalts)Schuld auch im Inland zeitlich uneingeschränkt eingeklagt werden kann.36 Folgt man dem, findet die Abänderung im prozessualen Rahmen von § 323 ZPO bzw. § 238 FamFG statt, für Art und Höhe der anzupassenden Unterhaltsleistung bleibt aber das dem abzuändernden Titel zugrunde liegende Sachrecht maßgebend, sofern kein Statuswechsel stattgefunden hat.37 Kommt es zu einem Statutenwechsel, ist dieser jedenfalls als wesentliche Änderung i.S.d. §§ 238, 239 FamFG anzusehen.38
30 BGH, NJW 1960, 1720. 31 BGH, IPRax 1994, 114 und 115 (dazu R. Geimer, S. 82). 32 BGH, NJW 2015, 1118, 1119 Rz. 18; BGH, NJW 2014, 3156 Rz. 15; a.A. v. Falkenhausen, RIW 1982, 386, 388. 33 BGHZ 149, 120, 127 = NJW 2002, 2182. 34 Vgl. Ph. Wood, S. 233 ff.; zum Verhältnis von gerichtlicher Aufrechnung nach italienischem Recht und Widerklage s. M. Gebauer, JbItalR 12 (1999), 31, 41 ff., 54 ff. 35 Schwab/Ernst/Borth, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 11 Rz. 117. 36 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 323 ZPO Rz. 100 ff.; G. Hohloch, DEuFamR 2000, 193, 204; P. Gottwald, FamRZ 1992, 1374, 1375 f.; A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, 2000, S. 269; a.A. OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1344; OLG Celle, IPRax 1993, 103, 104; Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 6. Aufl. 2015, § 238 FamFG Rz. 57 f.; H. Schack, IZVR, Rz. 1114 ff.; F. Jaeckel, Reichweite der lex fori, 1995, S. 112 ff., 121; offen gelassen in BGH, FamRZ 1993, 43. 37 KG, IPRax 1994, 455, 458; a.A. P. Baumann, IPRax 1994, 435, 438. 38 Schwab/Ernst/Borth, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 11 Rz. 117.
406
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.30 § 6
In Ländern, in denen es keine besondere Abänderungsklage gibt, wie etwa in Österreich, ist je nach Sachlage Leistungsklage, negative Feststellungsklage oder Oppositionsklage (Vollstreckungsabwehrklage) unter Beachtung der allgemeinen Rechtskraftpräklusion zu erheben.39
6.27
In den USA wird eine Abänderung nach dem Recht des Erstgerichts, bei einem Wandel des Unterhaltsstatuts aber eine Abänderung nach dem neuen Recht des Forumstaats zugelassen.40 i) Formen der Prozessbeendigung Die lex fori entscheidet schließlich über mögliche Formen der streitigen oder konsensualen41 Beendigung des Verfahrens.
6.28
Das Gericht fördert einen Vergleichsschluss der Parteien entsprechend seiner lex fori. Ob das Gericht im Heimatstaat einer der Parteien einen geringeren oder einen größeren Einfluss auf den Abschluss des Vergleichs ausüben darf, ist irrelevant.42 j) Grenzüberschreitende Verweisung Eine grenzüberschreitende (das Zweitgericht bindende) Verweisung ist bisher, auch zwischen den Mitgliedstaaten der EU nicht vorgesehen.43 Ansätze finden sich freilich für Sorgerechtssachen in Art. 15 Brüssel IIa-VO (künftig Art. 12 Brüssel IIb-VO).44 Um ein forum shopping zu vermeiden, mehren sich die Stimmen, die für eine Einführung de lege ferenda plädieren.45
6.29
3. Europäisches Bagatellverfahren Schrifttum: C. Crifó, Europeanisation, Harmonisation and unspoken premises: The case of service rules in the Regulation on European Small Claims Procedure, 30 C.J.Q. (2011), 283; M. Cuypers, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht – Internationale Zuständigkeit, Brüssel I und small claim regulation, GPR 2009, 34; D. Einhaus, Die revidierte EuGFVO im System des europäischen Zivilverfahrensrechts, RIW 2018, 631; G. Haibach, Zur Einführung des Ersten Europäischen Zivilprozessverfahrens; Verordnung (EG) Nr. 861/2007, EuZw 2008, 137; St. Huber, Die Reform des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, RIW 625; I. Jahn, Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, NJW 2007, 2890; Ch. Kern, Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen und die gemeineuropäischen Verfahrensgrundsätze, JZ 2012, 389; J. Kotzur, Die Regelung der Kosten in der EuBagatellVO 39 H. Fasching, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1990, Rz. 1532; W. Rechberger/D.-A. Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts, 9. Aufl. 2017, Rz. 598. 40 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, §§ 15.35–36 (pp. 672 ff.). 41 Vgl. R. Stürner, Formen der konsensualen Prozessbeendigung, in Symposium für Schlosser, 2001, S. 5. 42 Vgl. M. Kawano, Role of Judges and Party-Autonomy in „Settlement in Litigation“, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, 2011, S. 299. 43 Zur Verweisung in Mehrrechtsstaaten s. A. Schulz, RabelsZ 69 (2005), 419. 44 Zur „Verweisung“ nach der EuInsVO s. AG Hamburg, ZIP 2006, 1105, 1107. 45 Vgl. M.-R. McGuire, ZfRV 2005, 83.
407
6.30
§ 6 Rz. 6.30 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug – Anreiz oder Unsicherheitsfaktor, GPR 2014, 98; X. Kramer, The European Small Claim Procedure, ZEuP 2008, 356; D. Leipold, Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, FS Prütting, 2018, S. 401; H. P. Mayer/J. Lindemann/G. Haibach, Small Claims Verordnung – Klage, Verfahren, Urteil und Vollstreckung geringfügiger Forderungen in Europa, 2009; H.-P. Mayer/J. Lindemann, Einklagen von Fluggastrechten mit dem Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen, NJW 2012, 2317; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (12. Kap.), 2017, S. 817; S. Nardone, Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, Rpfleger 2009, 72; J. Oster, Ist Art. 5 Abs. 1, 1a EuGFVO grundrechtskonform?, ZZPInt 23 (2018), 137; Rauscher/Varga, EuZPR/EuIPR, Bd. II, 4. Aufl. 2015, S. 403; U. Salten, Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, MDR 2009, 244; E. Skorskrubb, Civil Procedure and EU-Law, 2008, p 220; M. Stürner, Europäisches Bagatellverfahren, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 783; B. Sujecki, Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 35, 2. Aufl. 2010, S. 2057. – Vorschlag der Kommission zu einer Änderung der VO, KOM (2013) 794 F; Annahme des Berichtsentwurfs durch Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 16.4.2015. S. Huber, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EU-Mahn- und der EU-Bagatellverordnung, GPR 2014, 242.
6.31 Zum 1.1.2009 wurde für grenzüberschreitende Fälle ein europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen eingeführt.46 Das Verfahren stand für Geldforderungen in Zivil- und Handelssachen bis zu 2000 € (ohne Zinsen, Kosten und Auslagen) (Art. 2 I) alternativ zu innerstaatlichen Verfahren zur Verfügung (Art. 1 I 2 EuGFVO).47 Durch die Verordnung (EU) 2015/2421 v. 16.12.2015 (ABl. EU Nr. L 341/1) wurde der Anwendungsbereich ab 14.7.2017 auf 5000 € erhöht (Art. 2 I n.F.). Forderungen, die die in Art. 1 II EuGVO genannten Angelegenheiten betreffen, sind ausgenommen (Art. 2 II EuGFVO). Voraussetzung ist aber, dass mindestens eine Partei ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts hat (Art. 3 I EuGFVO). Das Verfahren muss grenzüberschreitenden Charakter haben, scheidet also aus, wenn beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat haben.48 Eine Beteiligung von Streithelfern ist in dem Verfahren nicht vorgesehen. Der gewöhnliche Aufenthalt eines Streithelfers in dem anderen Mitgliedstaat macht das Verfahren daher nicht zulässig.49 6.32 Zur Einleitung des Verfahrens füllt der Antragsteller das Klageformblatt A aus und reicht es beim zuständigen Gericht direkt, per Post, Fax oder E-Mail (Art. 4 I EuGFVO; § 1097 ZPO) in der jeweiligen Gerichtssprache ein (Art. 6 I EuGFVO).50 46 VO (EG) Nr. 681/2007 v. 11.7.2007, ABl. EU Nr. L 199/1; dazu H.-P. Mayer/J. Lindemann, AnwBl. 2006, 121 u. 207 u. BRAK 2006, 207; A. Jack, (2005) NLJ 1135; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des BT v. 31.5.2006, BT-Drucks. 16/1684; Gemeinsamer Standpunkt des Rates v. 13.6.2007. 47 Rauscher/Varga, EuZPR/EuIPR, (2015), Einl. EG-BagatellVO Rz. 31 ff. 48 EuGH – C-627/17, ECLI:EU:C:2018:941 – ZSE Energia (Rz. 33), RIW 2019, 46; R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 204 f.; Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 12.16 ff.; Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097–1109 EG-BagatellVO Art. 3 Rz. 3 ff. 49 EuGH – C-627/17, ECLI:EU:C:2018: 941 – ZSE Energia, RIW 2019, 46 (Rz. 27 ff.); dazu F. Eichel, IPRax 2020, 7. 50 Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 35 Rz. 38 ff.; Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097–1109 EG-BagatellVO Art. 4 Rz. 3.
408
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.35 § 6
Zuständig ist das nach Art. 4 ff. Brüssel-Ia-VO zuständige Gericht. § 1104a ZPO ermächtigt die Landesregierungen die Zuständigkeiten der AG und LG zu konzentrieren. Nordrhein-Westfalen hat daraufhin die amtsgerichtliche Zuständigkeit beim AG Essen konzentriert.51 Auch in Hessen sind die Zuständigkeiten beim AG Frankfurt und beim LG Frankfurt konzentriert.52 Ein Anwaltszwang besteht (in erster Instanz) nicht (Art. 10 EuGFVO).53 Das Gericht trägt das Formular in eine Liste ein; dadurch wird die Verjährungsfrist wie bei einer Klageerhebung gehemmt (§ 204 I Nr. 1 BGB).54 Das Verfahren wird schriftlich in einem vereinfachten Verfahren abgewickelt (Art. 5 I EuGFVO).55 Nach Art. 5 Ia EuGFVO hält das Gericht nur dann eine mündliche Verhandlung ab, wenn es auf Grund der schriftlichen Beweismittel kein Urteil fällen kann oder eine der Parteien einen entsprechenden Antrag stellt. Das Gericht füllt den Teil I des Antwortformulars aus und stellt dem Gegner Antrags- und Antwortformular innerhalb von 14 Tagen zu (Art. 5 II EuGFVO).56 Der Gegner kann innerhalb eines Monats nach Zustellung durch Ausfüllen von Teil II des Antwortformulars und Rücksendung an das Gericht oder durch Erhebung formloser Einwendungen bei Gericht antworten (Art. 5 III EuGFVO). Macht der Gegner eine Gegenforderung im Wert über 5000 € geltend (Art. 5 V, VI EuGFVO), so wird das Verfahren insgesamt als ordentliches Klageverfahren fortgeführt (Art. 5 VII EuGFVO, § 1099 II ZPO).57 Gleiches gilt, wenn der Kläger seine Klage nachträglich über 5.000 € hinaus erweitert. Eine Aufrechnung des Beklagten gilt nicht als Widerklage.58
6.33
Nach Eingang der Antwort des Antragsgegners und/oder des Antragstellers erlässt das Gericht (1) entweder innerhalb von sechs Monaten eine Entscheidung oder (2) fordert innerhalb einer Frist weitere Auskünfte von den Parteien oder (3) lädt die Parteien zu einer Verhandlung (Art. 7 I). Antwortet der Gegner nicht fristgerecht, ergeht gegen ihn ein Urteil nach Lage der Akten (Art. 7 III EuGFVO; § 1103 ZPO).59
6.34
Hält das Gericht eine mündliche Verhandlung für erforderlich oder wird ein entsprechender Antrag gestellt, so enthält der neu gefasste Art. 8 nähere Regelungen zu deren Durchführung.
6.35
51 GVBl. NRW 2017, 692. 52 Vgl. J. v. Hein/T. Imm, IPRax 2019, 75, 76; Ch. Althammer, ZVglRWiss 119 (2020), 197, 209 ff. 53 Vgl. Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 12.33; Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097–1109 EG-BagatellVO Art. 10 Rz. 2 f. 54 Grothe in MünchKomm/BGB, § 204 BGB Rz. 5. 55 Vgl. Ch. Kern, JZ 2012, 389, 391; Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Rz. 44; Rauscher/Varga, (2015) Einl. EG-BagatellVO Rz. 56 ff. 56 Vgl. Ch. Kern, JZ 2012, 389, 390. 57 Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 35 Rz. 49; Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097– 1109 EG-BagatellVO Art. 5 Rz. 9; Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 12.60. 58 M. Stürner, ZvglRWiss 119 (2020), 143, 155. 59 Rauscher/Varga, (2015) Art. 7 EG-BagatellVO Rz. 5 f.
409
§ 6 Rz. 6.36 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.36 Das Gericht hat das Recht auf ein faires Verfahren zu achten (Art. 12 II EuGFVO) und sich in geeigneten Fällen um eine gütliche Einigung zu bemühen (Art. 12 III EuGFVO). Das Gericht bestimmt nach Art. 9 I EuGFVO selbst, welche Beweismittel es benutzen will und in welchem Umfang es eine Beweisaufnahme durchführt. Er soll das einfachste und kostengünstigste Beweismittel wählen.60 Verhandlung und Beweisaufnahme können auch durch Video- oder Telefonkonferenz erfolgen (vgl. Art. 8, 9 EuGFVO). 6.37 Die unterliegende Partei trägt nach Art. 16 Satz 1 EuGFVO die Kosten des Verfahrens. Kosten, die nicht erforderlich waren oder in keinem Verhältnis zur Hauptsache stehen, werden nicht erstattet (Art. 16 Satz 2 EuGFVO).61 Bei teilweisem Obsiegen und Unterliegen kann das Gericht die Kosten zu gleichen Teilen aufteilen oder anordnen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.62 6.38 Die Entscheidung ist sofort ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (Art. 15 I 2 EuGFVO; § 1105 I ZPO)63 und zwar auch in dem Ursprungsstaat (Art. 15 II EuGFVO). 6.39 Hat sich der Beklagte auf das Verfahren nicht eingelassen, kann er nach Art. 18 EuGFVO eine Überprüfung des Urteils verlangen, wenn (1) ihm das Klageformblatt bzw. die Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht oder nicht rechtzeitig zugestellt wurden, so dass er sich nicht verteidigen konnte. Gleiches gilt, wenn (2) er aufgrund höherer Gewalt oder sonstiger außergewöhnlicher Umstände ohne Verschulden verhindert war, das Bestehen der Forderung zu bestreiten. Macht der Beklagte diese Voraussetzungen glaubhaft (§ 1104 II ZPO), wird das Verfahren ähnlich wie nach einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil fortgesetzt. Anders als bei einem Einspruch stellt das Gericht aber in Deutschland die Nichtigkeit des Urteils auf Antrag durch Beschluss fest (§ 1104 I ZPO).64 6.40 Die Entscheidung wird in jedem EU-Mitgliedstaat ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt, wenn sie gem. Art. 20 EuGFVO unter Verwendung des Formblattes D (Anhang IV) als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist (vgl. §§ 1106, 1107 ZPO).65 Nach § 1106 II 1 ZPO ist der Schuldner vor Ausfertigung der Bestätigung anzuhören.66
60 Rauscher/Varga, (2015) Art. 9 EG-BagatellVO Rz. 11 ff.; Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 12.65 ff. 61 Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097–1109 EG-BagatellVO Art. 16 Rz. 2 ff. 62 EuGH – C-554/17, ECLI:EU:C:2019:124 – Rebecka Jonsson, NJW 2019, 1427. 63 Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 12.71. 64 Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097–1109 EG-BagatellVO Art. 18 Rz. 7 f. 65 Hau in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1097–1109 EG-BagatellVO Art. 20 Rz. 9 ff.; Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 35 Rz. 77 ff. 66 Krit. Rauscher/Varga, (2015) Art. 20 EG-BagatellVO Rz. 7; Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 35 Rz. 80.
410
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.43 § 6
4. Alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten Schrifttum: Ch. Althammer, Alternative Streitbeilegung im Internet, in Faust/Schäfer, Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet ..., 2019, S. 249; Derleder/Knops/ Brödermann, Deutsches und europäisches Bank- u. Kapitalmarktrecht (§ 79 Institutionelle Schlichtungsverfahren), 2017, S. 1467; M. Grupp, Legal Tech – Impulse für Streitbeilegung und Rechtsdienstleistung, AnwBl. 2014, 660; J. Hayungs, ADR-Richtlinie und ODR-Verordnung, ZKM 2013, 86; L. K. Hofmeister, Online Dispute Resolution bei Verbraucherverträgen, 2012; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrecht (13. Kap.), 2017, S. 845; C. Meller-Hannich/A. Höland/E. Krausbeck, „ADR“ und „ODR“: Kreationen der europäischen Rechtspolitik: Eine kritische Würdigung, ZEuP 2014, 8; H. Roth, Bedeutungsverluste der Zivilgerichtsbarkeit durch Verbrauchermediation, JZ 2013, 637; G. Rühl, Die Richtlinie über alternative Streitbeilegung und die Verordnung über Online-Streitbeilegung, RIW 2013, 737; G. Rühl, Die Richtlinie über alternative Streitbeilegung: Handlungsperspektiven und Handlungsoptionen, ZZP 127 (2014), 61; W. Voß, Gerichtsverbundene Online-Streitbeilegung: ein Zukunftsmodell?, RabelsZ 84 (2020), 62. – ADR-Richtlinie 2013/11/EU v. 21.5.2013 (ABl. EU Nr. L 165/63) – ODR-Verordnung (EU) Nr. 524/2013 v. 21.5.2013 (ABl. EU Nr. L 165/1) m. Durchführungs-VO (EU) 2015/1051 v. 1.7.2015 (ABl. EU Nr. L 171/1).
6.41
Durch die Richtlinie 2013/11/EU v. 21.5.2013 hat die EU den Mitgliedstaaten aufgegeben, Schlichtungsstellen in Verbrauchersachen einzurichten und inhaltliche Anforderungen an deren Besetzung und Arbeitsweise aufgestellt. In Umsetzung dieser Richtlinie kann ein Verbraucher in Deutschland für Streitigkeiten aus einem Verbrauchervertrag eine Schlichtungsstelle zur Streitbeilegung anrufen (§ 4 I VSBG). Für den Verbraucher ist das Verfahren grundsätzlich kostenfrei; beauftragt er allerdings einen Rechtsanwalt, muss er diesen selbst bezahlen. Der Verbraucher ist nach § 5 II VSBG frei, ob er den Schlichtungsvorschlag annehmen will oder nicht. Sofern nicht eine branchenspezifische Schlichtungsstelle zur Verfügung steht, kann der Verbraucher das „Zentrum für Schlichtung e.V.“ in Kehl als allgemeine Schlichtungsstelle anrufen. Eine Liste der Verbraucherschlichtungsstellen ist auf der Website des Bundesamts für Justiz aufrufbar.
6.42
Durch Verordnung (EU) Nr. 524/2013 v. 21.5.2013 über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten hat die EU zusätzlich angeordnet, dass Verbraucher ihre Beschwerden in transnationalen Fällen auf einer Internetplattform in einer Sprache ihrer Wahl einreichen können. Verbraucher und Unternehmer können vereinbaren, welche nationale Schlichtungsstelle die Beschwerde bearbeiten soll. Die Beschwerde wird dann dorthin weitergeleitet. Als deutsche Kontaktstelle für die Plattform und die Ermittlung der in den anderen EU-Staaten zuständigen Streitbeilegungsstelle wird das Bundesamt für Justiz tätig (§ 40 VSBG). Einzelheiten regelt die Durchführungsverordnung (EU) 2015/1051 v. 1.7.2015.
6.43
Online tätige Gerichte, wie in England und Kanada,67 gibt es in Deutschland noch nicht.
67 Vgl. W. Voß, RabelsZ 84 (2020), 62.
411
§ 6 Rz. 6.44 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
5. Verbandsklagen, Klagen im öffentlichen Interesse, kollektiver Rechtsschutz
6.44 Schrifttum: H.-J. Ahrens, Die internationale Verbandsklage in Wettbewerbssachen, ZPR
1994, 649; B. Aňoveros Terradas, Consumer Collective Redress under the Brussels I Regulation Recast in the Light of the Commission’s Common Principles, JPIL 11 (2015), 143; Ph. Behrendt/D. von Enzberg, Auf dem Weg zur Class Action in Europa?, RIW 2014, 213; T. Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 2001; A. Bruns u. T. Domej, Einheitlicher kollektiver Rechtsschutz in Europa?, ZZP 125 (2012), 399 u. 421; H. Buxbaum, Public regulation and private enforcement in a global economy (Ch IV D Conflicts in aggregate litigation), RdC 399 (2018), 267, 361 ff.; J. Chabrny, Grenzüberschreitende Sammelklagen, 2019; St. Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente, 2002; St. Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im englischen und deutschen Zivilprozessrecht, 2008; P. Gottwald, On the extension of Collective Legal Protection in Germany, CJQ 26 (2007), 484; V. Harsági/C.H. van Rhee, Multi-Party Redress Mechanisms in Europe: Squeaking Mice?, 2014; B. Heß, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vor US-amerikanischen und deutschen Zivilgerichten, AG 44 (1999), 145; B. Heß, Das geplante Unterlassungsklagengesetz, in Ernst/ Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft u Schuldrechtsreform, 2001, S. 527; H. Hirte, Sammelklagen – Fluch oder Segen?, FS Leser, 1998, S. 335; Ch. Hodges, The Reform of Class and Representative Actions in European Legal Systems, 2008; S. Horn, Grenzüberschreitende Musterfeststellungsklagen, ZVglRWiss 2019, 314; H. Koch, Die Verbandsklage in Europa, ZZP 113 (2000), 413; H. Koch, Prozessführung bei komplexen Verfahren in Europa, in Storme, Procedural laws in Europe, 2003, 373; H. Koch, Grenzüberschreitende strategische Zivilprozesse: Ein Weg zu mehr Recht?, AnwBl. 2015, 454; K. Kohler, Die grenzüberschreitende Verbraucherverbandsklage nach dem Unterlassungsklagengesetz im Binnenmarkt, 2008; E.-M. Kowollik, Europäische Kollektivklage, 2018; P. Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher in der Europäischen Union, 1997; P. Lakkis, Globale Märkte – Globaler Rechtsschutz? – Grenzen des grenzübergreifenden kollektiven Rechtsschutzes für Verbraucher, Jahrbuch junger Rechtswiss. 1998, 255; W. Lindacher, Die internationale Verbandsklage in Wettbewerbssachen, FS G. Lüke, 1997, S. 377; W. Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht (§ 12), 2009. S. 74; P. Mankowski, Können ausländische Schutzverbände der gewerblichen Wirtschaft „qualifizierte Einrichtungen“ im Sinne der Unterlassungsklagerichtlinie sein und nach § 8 III Nr. 3 UWG klagen?, WRP 2010, 186; K. Maurer, Grenzüberschreitende Unterlassungsklagen von Verbraucherschutzverbänden, 2001; Ch. Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes im europäischem Justizraum, 2007; H.-W. Micklitz/A. Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, 2005; R. Money-Kyrle, Collective Actions, 2015; R. Mulheron, Asserting personal jurisdiction over non-resident class members: comparative insights for the United Kingdom, JPIL 15 (2019), 445; Th. Pfeiffer, Shareholder Derivative Suit vor deutschen Gerichten, RIW 2007, 580; E. Silvestri, The difficult art of legal transplants: the case of class actions, REPRO 2010, 99; A. Stadler, Musterverbandsklagen nach künftigem deutschen Recht, FS Schumann, 2001, S. 465; A. Stadler, Das neue Gesetz über Musterfeststellungsklagen im deutschen Kapitalanlegerschutz, FS Rechberger, 2005, S. 663; A. Stadler, Grenzüberschreitender Kollektiver Rechtsschutz in Europa, JZ 2009, 121; A. Stadler, Die Umsetzung der Kommissionsempfehlung zum kollektiven Rechtschutz, ZfPW 2015, 61. – Vorschlag für eine Richtlinie … über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher …. v. 11.4.2018, COM (2018), 184 final.
6.45 In Umsetzung der EG-Richtlinie 98/27/EG sind Verbraucherverbände, die in einem Mitgliedstaat der EU registriert sind, auch vor deutschen Gerichten klageberechtigt
412
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.49 § 6
(§ 3 I Nr. 1, § 4 UKlaG v. 26.11.2001).68 Entsprechendes gilt für deutsche Verbände in den anderen EU-Staaten. Bei Klagen, die auf eine Verwendung von AGB im Ausland gestützt werden oder die sich gegen verbraucherschutzwidrige Handlungen im Ausland richten, sind aber die entsprechenden ausländischen Normen Anspruchsvoraussetzung. Konsequenterweise bestimmt ausschließlich die jeweilige lex fori, ob Klagen im öffentlichen Interesse zulässig sind. Verbandsklagen (z.B. nach §§ 1 ff. UKlaG, § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2–4 UWG 2007) sind nur in Deutschland zulässig, stehen aber auch vergleichbaren ausländischen Verbänden offen.69 Hat die Klage Bezug zu einem ausländischen Markt, so besteht dennoch eine Verbandsklagebefugnis im Inland, wenn das anwendbare ausländische Recht eine entsprechende Sachlegitimation vorsieht.70
6.46
Eine class action (nach Rule 23 FRCP der USA)71 kann in Deutschland nicht erhoben werden, auch wenn amerikanisches Sachrecht anwendbar ist.72 Eine class action in den USA kann allerdings auch Wirkung für und gegen ausländische Beteiligte haben.73 Für England wird eine Wirkung gegenüber ausländischen Beteiligten wohl nur bei einem Opt-in-Modell anerkannt.74
6.47
Für Schadenersatzklagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen oder Ansprüche nach dem WpÜG sieht § 32b I 1 ZPO einen ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz des betroffenen Emittenten, Anbieters oder der Zielgesellschaft vor. Durch diese Regelung soll auch erreicht werden, dass Kapitalanleger-Musterverfahren nach dem KapMuG (jetzt v. 25.10.2012, BGBl. 2012 I, 2182) gegen deutsche Emittenten in Deutschland an deren Sitz stattfinden.
6.48
Dieses Ziel kann aber nicht erreicht werden. Denn einmal hat Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) für Geschädigte in EU- bzw. EFTA-Staaten Vorrang vor § 32b ZPO und zu anderen legt jeder Staat seine internationale Zustän-
6.49
68 Vgl. P. Mankowski, WRP 2010, 186; H. Schack, IZVR, Rz. 625 (Fn. 3). 69 BGH, GRUR 1988, 453; H.-J. Ahrens, WRP 1994, 653, 654; P. Mankowski, WRP 2010, 186. 70 H.-J. Ahrens, WRP 1994, 653, 655; Th. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, 1995, S. 720 ff.; vgl. W. Lindacher, FS G. Lüke, 1997, S. 377. 71 Vgl. zuletzt J. Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel, 2008; R. Markus, Bending in the Breeze: American class Actions in the Twenty-First Century, De Paul Law Review 65 (2016), 497; R. Markus, Revolution v. Evolution in Class Action Reform, North Carolina Law Review 96 (2018), 903. 72 Mark, EuZW 1994, 239; H. Schack, IZVR, Rz. 625; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, 1995, S. 728 ff.; vgl. H. Beuchler, Class actions und Securities Class Actions in den Vereinigten Staaten von Amerika, 2008; P. Mattil/V. Desoutter, Die europäische Sammelklage, WM 2008, 521. 73 Vgl. V. Hoppe, Die Einbeziehung ausländischer Beteiligter in US-amerikanische class actions, 2005. 74 Vgl. R. Mulheron, JPIL 15 (2019), 445.
413
§ 6 Rz. 6.49 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
digkeit selbst fest. § 32b ZPO schließt über § 328 I Nr. 1 ZPO lediglich die Anerkennung einer Drittstaatentscheidung aus.75
6.50 Die neue Musterfeststellungsklage (nach §§ 606 ff. ZPO) kann auch in grenzüberschreitenden Fällen erhoben werden. Klagebefugt sind nach § 606 I 2 Nr. 2 ZPO alle in den Listen nach § 4 UKlaG usf. eingetragenen Stellen; dies können auch ausländische Stellen sein.76 Eine besondere internationale Zuständigkeit ist in der EuGVO n.F. nicht vorgesehen, also gelten die Art. 4 ff. EuGVO n.F. Unzweifelhaft greift die allgemeine Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten (Art. 4). Anwendbar ist auch Art. 8 Nr. 1 EuGVO n.F. Zweifelhaft ist dagegen die Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F., weil der klagebefugte Verbraucherschutzverband keine eigenen deliktischen Ansprüche geltend macht.77 Die Anmeldung von Ansprüchen beim Klageregister nach § 608 ZPO soll nicht voraussetzen, dass für die spätere Klage des Anmelders eine internationale Zuständigkeit in Deutschland besteht.78 6. Grenzüberschreitende Mahnverfahren
6.51 Schrifttum: (1) Europäisches Mahnverfahren: Ch. v. Bernstorff, Der Europäische Zahlungs-
befehl, RIW 2008, 548; Brenn, Europäischer Zivilprozess, 2005, Rz. 186 ff.; J. P. Correa Delcaso, La proposition de règlement instituant une procédure européenne d’injonction de payer, Rev.int.dr.comp. 57 (2005), 143; M. Drehsen, Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Rahmen der EuMahnVO, IPRax 2019, 378; D. Einhaus, Qual der Wahl: Europäisches oder internationales deutsches Mahnverfahren?, IPRax 2008, 323; D. Einhaus, Erste Erfahrungen mit dem Europäischen Zahlungsbefehl, EuZW 2011, 865; E. Gundlach, Europäische Prozessrechtsangleichung – dargestellt am Beispiel des Mahnverfahrens, 2005; B. Hess, Strukturfragen der europäischen Prozessrechtsangleichung, dargestellt am Beispiel des Europäischen Mahnund Inkassoverfahrens, FS Geimer, 2002, S. 339; B. Hess, Vereinfachte Verfahren und Mahnverfahren in Europa, in Storme, Procedural law in Europe, 2003, 323; G. Kodek, Auf dem Weg zu einem Europäischen Mahnverfahren?, FS Rechberger, 2005, S. 283; J. Kormann, Das neue Europäische Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Deutschland und Österreich, 2007; P. Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (11. Kap.), 2017, S. 787; A. Pérez-Ragone, Europäisches Mahnverfahren, 2004; A. Pernfuss, Die Effizienz des Europäischen Mahnverfahrens, 2009; N. Preuss, Erlass und Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls, ZZP 122 (2009), 3; Rauscher/Gruber, EuZPR/EuIPR Bd. II, 4. Aufl. 2015, S. 251; W. Rechberger, Europäisches Mahnverfahren, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 735; W. Rechberger/G. Kodek, Orders for Payment in the European Union, 2001; K. Rellermeyer, Grundzüge des Europäischen Mahnverfahrens, Rpfleger 2009, 11; E. Schollmeyer, Europäisches Mahnverfahren, IPRax 2002, 478; Sujecki, Mahnverfahren, 2008; E. Schollmeyer, Europäisches Mahnverfahren, in Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 34, 2. Aufl. 2010, S. 2001; E. Schollmeyer, Das Europäische Mahnverfahren und dessen Umsetzung in den Niederlanden, FS Kaissis, 2012, S. 1005; S. Schröder-Lomb/Ch. Kunz, Das Europäische Mahnverfahren und seine elektronische Umsetzung, in Th. Gottwald, e-Justice in Österreich, 2013, 635; B. Sujecki, 75 76 77 78
414
Vgl. v. Hein, RIW 2004, 602. S. Horn, ZVglRWiss 2019, 314, 319. Für Anwendbarkeit S. Horn, ZVglRWiss 2019, 314, 321. S. Horn, ZVglRWiss 2019, 314, 326.
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.54 § 6 Das Europäische Mahnverfahren in der niederländischen Praxis, RIW 2018, 729; B. Ulrici, Die EuMVVO im System des EuZPR, RIW 2018, 718. S. Huber, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EU-Mahn- und der EU-Bagatellverordnung, GPR 2014, 242. (2) Deutsches Internationales Mahnverfahren: P. Busl, Deutsches „internationales“ Mahnverfahren, IPRax 1986, 270; D. Einhaus, Die internationale Reichweite des deutschen Mahnverfahrens im Anwendungsbereich des EuGVÜ, AnwBl. 2000, 557; U. Hintzen, Zuständigkeit bei Auslandsmahnverfahren, Rpfleger 1996, 117; U. Hintzen/E. Riedel, Das deutsche internationale Mahnverfahren, Rpfleger 1997, 293; G.-S. Hök, Das grenzüberschreitende Mahnverfahren, JurBüro 1991, 1145, 1303, 1441 und 1605; G.-S. Hök, Das grenzüberschreitende Mahnverfahren, MDR 1988, 186; H. Müller/G.-S. Hök, Das grenzüberschreitende Mahnverfahren, JurBüro 1987, 1447; J. M. Schmidt, Das deutsche Mahnverfahren mit Auslandsbezug, ZAP 1995, 1279; K. Schmidt, Mahnverfahren für Fremdwährungsforderungen?, NJW 1989, 65; R. Wagner, Verfahrensrechtliche Probleme im Auslandsmahnverfahren, RIW 1995, 89.
a) Europäisches Mahnverfahren Durch die VO (EG) Nr. 1896/2006 v. 12.12.200679 wurde mit Wirkung zum 12.12.2008 ein Europäisches Mahnverfahren eingeführt. Durch Art. 2 der VO (EU) Nr. 2015/2421 v. 16.12.2015 (ABl. EU Nr. L 341/1) wurde die Verordnung geändert und vor allem der Einspruch gegen den Zahlungsbefehl neu geregelt. Das europäische Mahnverfahren ist auf grenzüberschreitende Fälle beschränkt.80 Anders als das deutsche Verfahren ist das Verfahren einstufig ausgestaltet. Sofern die Voraussetzungen vorliegen, wird nicht erst eine bloße „Zahlungsaufforderung“, sondern sogleich ein „Europäischer Zahlungsbefehl“ (Art. 12 EuMahnVO) erlassen,
6.52
Der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls ist nach Art. 7 I EuMahnVO auf dem Formblatt A (Anhang I) zu stellen. Dieses Formblatt kann bei Gericht in Papierform, aber auch online81 eingereicht werden (Art. 7 V EuMahnVO). In Deutschland ist dies aber noch nicht zulässig (§ 1088 ZPO).82 Art. 7 EuMahnVO regelt erschöpfend die Voraussetzungen, die ein Antrag erfüllen muss.83
6.53
Die Forderung kann in jeder offiziellen Währung geltend gemacht werden.84 Zuständig ist das nach Art. 4 ff. EuGVO n.F. (Art. 2 ff. a.F.) zuständige Gericht (Art. 6 I EuMahnVO);85 insoweit kommt über Art. 26 EuGVO n.F. (Art. 24 EuGVO a.F.) auch eine rügelose Einlassung als Zuständigkeitsgrund in Betracht.86 Richtet sich die Forderung gegen einen Verbraucher, sind jedoch nur die Gerichte im
79 ABl. EU Nr. L 399/1. 80 Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 11.11; R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 202 f. 81 Vgl. D. Einhaus, EuZW 2011, 865, 866 f. 82 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 7 EG-MahnVO Rz. 24. 83 EuGH – C-215/11, ECLI:EU:C:2012:794 – Szyrocka (Rz. 24 ff.), RIW 2013, 147. 84 Ulrici in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1087–1098 EG-MahnVO Art. 4 Rz. 2. 85 Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 11.22. 86 P. Mayr, Zak 2012, 167.
415
6.54
§ 6 Rz. 6.54 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
Wohnsitzstaat des Verbrauchers (Art. 59 EuGVO a.F. bzw. Art. 62 EuGVO n.F.) zuständig (Art. 6 II EuMahnVO).
6.55 Das zuständige Gericht, in Deutschland ausschließlich das AG Wedding in Berlin (§ 1087 ZPO)87, prüft, ob der Antrag zulässig ist und die Forderung als begründet erscheint. Ist dies der Fall, erlässt es sobald wie möglich, i.d.R. innerhalb von 30 Tagen den Europäischen Zahlungsbefehl (Art. 8, 12 EuMahnVO).88 Die Gerichtsgebühren für das Europäische Mahnverfahren dürfen nicht höher sein als für einen ordentlichen Zivilprozess (Art. 25 EuMahnVO).
6.56 Der Antrag muss nach Art. 4 EuMahnVO auf eine bezifferte Geldforderung lauten. Zinsen können in bestimmter Höhe ab Fälligkeit bis zur Begleichung der Hauptforderung geltend gemacht werden, andernfalls wäre der Gläubiger gezwungen, nur wegen der Zinsen einen weiteren Mahnantrag zu stellen.89 Enthält der Antrag formale Fehler, hat das Gericht dem Antragsteller Gelegenheit zur Verbesserung oder Vervollständigung zu geben (Art. 9 EuMahnVO). Unzulässige oder offensichtlich unbegründete Anträge werden zurückgewiesen (Art. 11 EuMahnVO). Offensichtlich unbegründet ist ein Antrag nur, wenn sich allein aufgrund der kurzen Angaben im Antragsformular eindeutig feststellen lässt, dass der Anspruch nicht besteht.90 Nationale Regeln, die dem Gericht verbieten, die Unwirksamkeit des Anspruchs von Amts wegen festzustellen, sind mit EG-Recht nicht vereinbar.91 Das Gericht hat vielmehr von Amts wegen eine Klauselkontrolle durchzuführen und darf dazu vom Antragsteller nähere Angaben verlangen.92
6.57 Weil der Europäische Zahlungsbefehl europaweit vollstreckbar ist, regelt die EuMahnVO in Art. 13–15 im Einzelnen, in welchen Formen der Zahlungsbefehl zugestellt werden darf. Die Zustellung selbst ist nach der EuZVO zu bewirken (s. Rz. 8.54 ff.). Ist der Zahlungsbefehl und der ihm beizufügende Antrag (Art. 12 II EuMahnVO) auf dessen Erlass nicht in einer Sprache abgefasst, die der Empfänger versteht oder ist eine Übersetzung in eine solche Sprache beigefügt, kann der Antragsgegner die Annahme des Zahlungsbefehls verweigern. Über dieses Recht muss der Antragsgegner mittels des Formblatts im Anhang II zur EuZVO belehrt worden sein (Art. 8 EuZVO). Wird hiergegen verstoßen, kann der Mangel durch nachträgliche Übermittlung des Formblatts geheilt werden. Der Zahlungsbefehl ist aber zunächst
87 Diese Zuständigkeitskonzentration steht in Einklang mit der EuMahnVO; so Ch. Althammer, ZVglRWiss 119 (2020), 197, 205 f. 88 Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 11.38 ff., 11.44 ff. 89 EuGH, C215/11, ECLI:EU:C:2012:794 – Szyrocka (Rz. 38 ff.), RIW 2013, 147. 90 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 11 EG-MahnVO Rz. 7. 91 EuGH – C-618/10, ECLI:EU:C:2012:349 – Banco Español de Crédito, NJW 2012, 2257 (Rz. 38 ff., 57). 92 EuGH – C-453/18, ECLI:EU:C:2019:1118 – Bondera, RIW 2020, 125; dazu F. Rieländer, GPR 2020, 55.
416
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.61 § 6
nicht vollstreckbar und die Einspruchsfrist beginnt erst mit Heilung des Mangels zu laufen.93 Legt der Schuldner fristgerecht unter Verwendung des Formblatts F (innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung) Einspruch ein (Art. 16 EuMahnVO), wird das Verfahren in den ordentlichen Zivilprozess übergeführt, sofern der Antragsteller hierauf nicht verzichtet hat (Art. 17 EuMahnVO; § 1090 ZPO).94 Ein Einspruch, der nur auf die Unbegründetheit der Forderung gestützt wird, enthält nicht zugleich eine rügelose Einlassung i.S.v. Art. 26 EuGVO n.F., die Zuständigkeit des Gerichts kann also auch nach der Verweisung noch gerügt werden.95
6.58
Mangels Einspruchs wird der Europäische Zahlungsbefehl unter Verwendung des Formblatts C unverzüglich für vollstreckbar erklärt (Art. 18 I 1 EuMahnVO). Der Europäische Zahlungsbefehl ist dann ohne Vollstreckbarerklärung in dem jeweiligen Vollstreckungsstaat (als Europäischer Vollstreckungstitel) in allen EU-Staaten vollstreckbar (Art. 19 EuMahnVO).96 Einer Vollstreckungsklausel bedarf es nicht (§ 1093 ZPO).
6.59
Innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung kann der Antragsgegner beim Gericht des Ursprungsstaats (ausnahmsweise) eine Überprüfung des Zahlungsbefehls verlangen (Art. 20 EuMahnVO), wenn er von der Zustellung keine Kenntnis erlangte oder sonst in Folge höherer Gewalt gehindert war, rechtzeitig Widerspruch einzulegen.97 Außerdem kann eine Überprüfung verlangt werden, wenn der Europäische Zahlungsbefehl nach den Voraussetzungen der Verordnung oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände offensichtlich zu Unrecht erlassen wurde.98 Die Umstände, die die Aufhebung des Zahlungsbefehls begründen sollen, sind glaubhaft zu machen (§ 1092 II ZPO).
6.60
Erklärt das Gericht daraufhin den Europäischen Zahlungsbefehl für nichtig, so endet das Verfahren (§ 1092 III ZPO); eine Überleitung in das streitige Verfahren findet nicht statt.99 Der Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl entspricht dem Einspruch gegen einen deutschen Vollstreckungsbescheid und lässt daher eine volle 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV entstehen.100
93 EuGH – C-21/17, ECLI:EU:C:2018:675 – Catlin Europe SE, EuZW 2018, 1001 (B. Ulrici); vgl. M. Drehsen, IPRax 2019, 378; P. Kreutz, Rpfleger 2019, 439. 94 Vgl. Rauscher/Gruber, (2015) Art. 17 EG-MahnVO Rz. 1 ff., 5 ff. 95 EuGH – C-144/12, ECLI:EU:C:2013:393 – Goldbet Sportwetten, RIW 2013, 554 = IPRax 2014, 64 (dazu G. Koutsoukou, S. 44). 96 Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 11.72 ff. 97 Zu Einzelheiten s. N. Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 9 ff.; Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 14 ff., 22 ff. 98 Vgl. Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 33 ff., 46 ff.; Mayr/Mayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 11.61 ff. 99 Vgl. Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 56. 100 OLG Nürnberg v. 18.11.2009 – 5 W 2094/09, MDR 2010, 294.
417
6.61
§ 6 Rz. 6.62 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
b) Deutsches Mahnverfahren mit Auslandsbezug
6.62 Zugunsten eines Auslandsgläubigers (Antragstellers) findet ein Mahnverfahren immer statt; ausschließlich zuständig ist das AG Wedding in Berlin (§ 689 II 2 ZPO). Entsprechend § 688 I ZPO muss Zahlung in Euro begehrt werden. 6.63 Gegen einen Schuldner mit Auslandswohnsitz/Sitz findet ein Mahnverfahren statt, soweit an ihn dennoch im Inland zugestellt werden kann, z.B. an einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten. Soweit der Mahnbescheid im Ausland zuzustellen ist, ist das Verfahren nur zulässig, wenn die Zustellung in einem Mitgliedstaat der EU,101 einem Vertragsstaat des LugÜ sowie in Israel oder in Norwegen erfolgen muss (§ 688 III ZPO i.V.m. § 32 AVAG [i.d.F. v. 19.2.2001]). Eine Zustellung in einen (Nur-)Vertragsstaat des HUVÜ 1973 ist nicht zulässig (§ 39 AVAG).102 6.64 Die Zustellung des deutschen Mahnbescheids ins Ausland erfolgt nach der Europäischen Zustellungsverordnung bzw. nach dem HZustÜ 1965 sowie den ergänzenden bilateralen Vereinbarungen (zum HZÜ 1954) (s. Rz. 8.53 ff., 8.85 ff.). 6.65 Hat der Antragsgegner (Schuldner) im Inland zwar keinen allgemeinen, wohl aber einen besonderen Gerichtsstand, so ist der Mahnantrag (abweichend von § 689 II 1 ZPO) nicht am Wohnsitzgericht des Antragstellers, sondern nach § 703d II ZPO bei dem örtlich zuständigen AG zu stellen. Diese Regelung gilt aber nur für den Antragsgegner, der keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat.103 Die internationale und (soweit geregelt) örtliche Zuständigkeit erfolgt aus Art. 7 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 5 ff. LugÜ, außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Regelwerke aus §§ 12 ff. ZPO.104 Diese Zuständigkeit ist durch Belege nachzuweisen (so § 32 II AVAG für die Zuständigkeitsvereinbarung).105 Die Zuständigkeitskonzentration für Mahnverfahren gilt dabei entsprechend, auch im Anwendungsbereich des europäischen Prozessrechts.106 6.66 Die Gebühren für einen „europäischen“ Mahnbescheid richten sich ebenfalls nach GKG-KV Nr. 1100 (0,5 Gebühren – mind. 18 €). Hinzu kommen aber Übersetzungskosten und eine Prüfungsgebühr wegen der erforderlichen Auslandszustellung.107 6.67 Ein Schweizerischer Zahlungsbefehl (Art. 69 SchKG) kann nach Art. 66 III SchKG stets auch an den im Ausland wohnenden Schuldner (im Wege der Rechtshilfe oder, soweit staatsvertraglich zulässig, durch die Post) zugestellt werden.108 Ist eine Auslandszustellung nicht innerhalb einer angemessenen Frist möglich, sieht Art. 66 IV 101 Seibel in Zöller, § 703d ZPO Rz. 2 meint, in diesem Fall müsse der Gläubiger nach der EuMahnVO vorgehen. 102 Vgl. R. Wagner, RIW 1995, 89, 90. 103 BGH, NJW 1995, 3317 = RIW 1995, 1028. 104 Schüler in MünchKomm/ZPO, § 703d ZPO Rz. 2, 7, 10; Seibel in Zöller, § 703d ZPO Rz. 2; R. Wagner, RIW 1995, 89, 91 ff. 105 D. Einhaus, AnwBl. 2000, 557, 560. 106 BGH, NJW 1993, 2752 = IPRax 1994, 447 (dazu Th. Pfeiffer, S. 421). 107 D. Einhaus, AnwBl. 2000, 557, 559. 108 P. Angst in Staehelin/Bauer/Staehelin, SchKG, 2. Aufl. 2010, Art. 66 Rz. 14 ff.
418
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.72 § 6
Nr. 3 SchKG vor, dass die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt wird.109 Seine Zustellung hemmt die Verjährung wie ein deutscher Mahnbescheid.110 c) Mahnverfahren in Unterhaltssachen Nach § 75 AUG 2011 i.V.m. §§ 688 ff. ZPO findet nunmehr ein deutsches Mahnverfahren wegen Unterhaltsansprüchen auch im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des Haager Unterhalts-Vollstreckungs-Übereinkommen von 1973 statt.111
6.68
7. Verjährung Schrifttum: P. Hay, Die Qualifikation der Verjährung im US-amerikanischen Kollisionsrecht, IPRax 1989, 197; H. Linke, Die Bedeutung ausländischer Verfahrensakte im deutschen Verjährungsrecht, FS Nagel, 1987, S. 209; D. Looschelders, Anpassung und Substitution bei der Verjährungsunterbrechung durch unzulässige Auslandsklage, IPRax 1998, 296; P. Schlosser, Ausschlussfristen, Verjährungsunterbrechung und Auslandsklage, FS Bosch, 1976, S. 859; R. Schütze, Probleme der Hemmung der Verjährung durch Erhebung einer Klage im Ausland vor einem staatlichen Gericht oder Schiedsgericht im deutschen internationalen Privat- und Prozessrecht, FS G. Roth, 2011, S. 791; J. Taupitz, Verjährungsunterbrechung im Inland durch unfreiwillige Beteiligung am fremden Rechtsstreit im Ausland, ZZP 102 (1989), 288; M. Wolf, Die grenzüberschreitende Verjährung zwischen internationalem und europäischem Privatund Prozessrecht, FS Beys, 2003, S. 1741.
6.69
Ob ein Anspruch mit Zeitablauf untergeht (Ausschlussfrist), wird allgemein nach der lex causae beantwortet.
6.70
Für Verjährungsfristen ist die Lösung dagegen streitig. Die civil law-Staaten beurteilen die Verjährung ebenfalls nach der lex causae. Dieser Lösung folgt auch Art. 10 (1) (d) EVÜ. Dagegen ordnet das common law die beschränkte Durchsetzbarkeit eines Anspruchs als Folge der Verjährung grds. prozessual ein und wendet die limitation rules der lex fori und nicht die der fremden lex causae an. Belässt man es bei dieser Lösung, so gelangt man zu teilweise ungerechten Ergebnissen.112 Zur Unklagbarkeit wegen Zeitablaufs s. Rz. 6.87.
6.71
Das englische Recht bietet nunmehr aber in sec. 1 (1) Foreign Limitation Periods Act 1984 eine gesetzliche Lösung. Danach sollen englische Gerichte bei ausländischem Sachstatut auch die ausländischen Verjährungsregeln anwenden.113 Soweit bei Deliktsklagen die common law-Regeln noch anwendbar sind, z.B. bei defamation, darf der Anspruch aber weder nach dem Deliktsstatut noch nach englischem Recht verjährt sein.114
6.72
109 110 111 112 113
P. Angst in Staehelin/Bauer/Staehelin, SchKG, 2. Aufl. 2010, Art. 66 Rz. 20 ff. BGH, RIW 2002, 557. Vgl. F. Eichel, FamRZ 2011, 1441. Rechtsvergleichend s. E. Hondius, Extinctive Prescription, 1995; Schoch, S. 110 ff. Ch. Forsyth, Conflict of Laws, 4th ed. 1993, p 37; Dicey/Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Rule 19 (7) (no. 7-058). 114 Sec. 1 (2); vgl. J. Hill, International Commercial Disputes, 1994, S. 450; Cheshire, North & Fawcett, p 81.
419
§ 6 Rz. 6.73 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.73 In den USA ist die Rechtslage von Staat zu Staat im Detail verschieden. Der Uniform Conflict of Laws-Limitation Act 1982 sieht vor, dass bei ausländischem Sachstatut auch die ausländischen Verjährungsregeln gelten (§ 2), sofern dem Kläger dadurch nicht jede faire Klagemöglichkeit genommen würde (§ 4). Dieser Uniform Act ist bisher von Arkansas, Colorado, Montana, North Dakota, Oregon und Washington übernommen worden. Die meisten der anderen Staaten haben im Detail verschiedene sog. „borrowing statutes“ erlassen, die ebenfalls die Anwendung der Verjährungsregeln des Sachstatuts vorsehen. Schließlich haben auch die Gerichte die prozessuale Qualifikation bei Geltung ausländischen Sachstatuts praktisch korrigiert. Entweder haben sie Verjährungsfristen bei Ansprüchen, die dem common law unbekannt sind, als „substantive“ behandelt („built into“), oder sie dann angewendet, wenn sie direkt auf eine bestimmte Klageart zugeschnitten waren („specificity test“).115 6.74 Die Verjährungsfrist wird nach h.M. auch durch eine Auslandsklage gehemmt, wenn die Entscheidung voraussichtlich im Inland anerkannt werden kann. Es soll sich insoweit nicht anders als bei der Anerkennung der ausländischen Rechtshängigkeit verhalten.116 Andere wollen diese Wirkung (zu Recht) unabhängig von der Gegenseitigkeit eintreten lassen und dem Kläger im Fall sonstiger Anerkennungshindernisse, insb bei einer Klage vor einem unzuständigen Gericht, durch eine analoge Anwendung von § 204 II BGB (Fristwahrung bei neuer Klage innerhalb von sechs Monaten) helfen.117 Tritt die Hemmungs- bzw. Unterbrechungswirkung nach der lex causae eines Drittstaats ein, so ist entscheidend, ob die Entscheidung vom Drittstaat anerkannt würde. Unter diesen Voraussetzungen kann die Verjährung auch durch eine Streitverkündung im Ausland gehemmt werden.118 Bei anderen Unterbrechungstatbeständen ist zu prüfen, ob der ausländische Verfahrensakt mit anerkannten deutschen Tatbeständen gleichwertig ist.119 6.75 Nach deutschem Recht wird die Verjährung nicht durch die Erhebung einer negativen Feststellungsklage oder durch die Verteidigung gegen eine negative Feststellungsklage gehemmt.120 Nichts anderes gilt im Rahmen von Art. 29 EuGVO n.F. (Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ), da die negative Feststellungsklage zwar die internationale Zuständigkeit auch für die nachfolgende Leistungsklage bestimmt, diese aber nicht ausschließt. 6.76 Die Einreichung einer Klage in Deutschland wahrt auch dann nach § 167 ZPO die Verjährungsfrist, wenn die Zustellung im Ausland längere Zeit beansprucht. Notwendig ist lediglich, dass der Kläger das Notwendige getan hat, damit die Zustellung 115 Vgl. P. Hay, IPRax 1989, 197. 116 RGZ 129, 395; OLG Düsseldorf, RIW 1979, 59. 117 D. Looschelders, IPRax 1998, 296, 299 f.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2827 ff.; für Verjährungsunterbrechung durch jede Auslandsklage H. Linke, FS Nagel, 1987, S. 209, 221 ff. 118 Vgl. J. Taupitz, ZZP 102 (1989), 288; P. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 181; s. Rz. 6.74 f. 119 Linke/Hau, IZVR, Rz. 59. 120 BGHZ 72, 23, 28 = NJW 1978, 1975; Palandt/Ellenberger, § 204 BGB Rz. 3; Grothe in MünchKomm/BGB, § 204 BGB Rz. 4.
420
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.79 § 6
durch Gericht und Justizverwaltung ausgeführt werden kann.121 Ein besonderer Antrag auf Auslandszustellung oder auf Ausführung in einer besonderen Art muss nicht gestellt werden.122 8. Drittbeteiligung Schrifttum: C. Götze, Vouching in und Third Party Practice, 1993; B. v Hoffmann/W. Hau, Probleme der abredewidrigen Streitverkündung im Europäischen Zivilrechtsverkehr, RIW 1997, 89; U. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2010; J. Korf, Die Garantieklage im italienischen Zivilprozessrecht, 2004; B. Kraft, Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice, 1997; W. Lüke, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess, 1993; H.-P. Mansel, Streitverkündung und Interventionsklage im Europäischen internationalen Zivilprozessrecht, in Hommelhoff/Jayme/Mangold, Europäischer Binnenmarkt, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, 1995, S. 161; H.-P. Mansel, Streitverkündung (vouching in) und Drittklage (third party complaint) im US-Zivilprozess und die Urteilsanerkennung in Deutschland, in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 63; M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994; U. v. Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht, 2011; S. Segger, Der Amicus Curiae im Internationalen Wirtschaftsrecht, 2017; R. Stürner, Die erzwungene Intervention Dritter im europäischen Zivilprozess, FS Geimer, 2002, S. 1307.
6.77
Die jeweilige lex fori bestimmt, wie weit der Rechtsstreit von einer Einzelpartei oder von einer Parteienmehrheit (Streitgenossen) geführt werden kann und muss, sowie darüber, ob und in welchen Formen Dritte sich am Rechtsstreit beteiligen können.
6.78
Zweifelhaft ist, ob die deutsche Streitverkündung und Nebenintervention voraussetzen, dass eine internationale Entscheidungszuständigkeit gegenüber dem Dritten besteht. Nach h.M. sind beide unabhängig davon zulässig, in welchem Land der Dritte seinen Wohnsitz/Sitz hat.123 Im Verhältnis zu den EU-/EFTA-Staaten folgt dies mittelbar aus Art. 65 I 2 EuGVO (a.F. und n.F.) bzw. Art V (1) Satz 2 des Protokolls Nr. 1 zum LugÜ 1988. Denn diese sehen ausdrücklich vor, dass die anderen Mitglied-/Vertragsstaaten die in Deutschland eintretende Interventions- und Streitverkündungswirkung anerkennen. Die Gegenposition verlangt zwar eine internationale Entscheidungszuständigkeit gegenüber dem Dritten, leitet diese aber aus dem Interventions- bzw. Streitverkündungsgrund ab,124 so dass in der Sache kein Unterschied besteht. Umgekehrt ist eine Interventionswirkung in einem ausländischen Vorprozess im Inland anzuerkennen, wenn die Voraussetzungen des § 328 I Nr. 2 ZPO gegenüber dem Dritten erfüllt sind und die Entscheidung selbst im Inland anzuerkennen ist.125
6.79
121 122 123 124 125
BAG, NJW 2013, 252, 254. BGH, RIW 2004, 147. Vgl. OLG Köln, RIW 2003, 73; Mansel in Hommelhoff, S. 161, 187 ff. U. v. Paris, S. 80 ff., 86 f. H. Koch, ZVglRWiss 85 (1986), 11, 57; E. Milleker, ZZP 80 (1967), 288; M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 167 ff.; B. v. Hoffmann/W. Hau, RIW 1997, 89, 93; s. § 12 Rz. 22 ff.
421
§ 6 Rz. 6.80 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.80 Die Streitverkündung ist unzulässig und ohne Wirkung, wenn sie durch Parteivereinbarung ausgeschlossen wurde.126 Eine Gerichtsstandsvereinbarung schließt die Streitverkündung vor einem anderen Gericht grds. nicht aus. 6.81 Der Streitverkündung des deutschen Rechts entspricht in den USA das vouching-in (tender/notice of defense).127 Der Dritte (vouchee) wird unabhängig von seinem Verhalten und seinem Willen im Verhältnis zur benachrichtigenden Partei an die Urteilsfeststellungen gebunden;128 diese Wirkung (issue preclusion) ist im Inland anzuerkennen,129 und zwar entsprechend dem Recht des Entscheidungsstaats.130 6.82 Entsprechendes gilt für Garantieklageurteile in Frankreich oder Urteile auf third party complaint in den USA bzw. third party notice in Großbritannien.131 Nach Art. 65 II EuGVO bzw. Art II (3) des Protokolls Nr. 1 zum LugÜ sind Entscheidungen gegenüber Dritten aufgrund einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage in Deutschland anzuerkennen. Entsprechendes gilt auch für das autonome deutsche Recht: War das Gericht für den Hauptprozess zuständig, so kommt es für die Anerkennung des Urteils gegenüber dem Dritten nicht darauf an, ob ihm gegenüber ein Gerichtsstand unabhängig vom Hauptprozess begründet war. Jedoch muss dem Dritten die Klage ordnungsgemäß zugestellt worden sein (§ 328 I Nr. 2 ZPO).132 6.83 Manche Länder sehen auch eine Beteiligung des Staatsanwalts in Zivilsachen vor. In Deutschland ist diese seit der Reform des Eheschließungsrechts durch Gesetz v. 4.5.1998 nicht mehr vorgesehen. Doch kann die zuständige Verwaltungsbehörde nunmehr Eheaufhebungsantrag stellen (§ 1316 I BGB). In Auslandsfällen sollte sie die Funktion des „zivilen“ Staatsanwalts übernehmen (s. Rz. 6.105). 6.84 Eine Beteiligung Dritter am Verfahren im Allgemeininteresse ist z.T. für Verfahren vor dem BVerfG vorgesehen (§§ 77, 94 BVerfGG). Das BVerfG hört aber darüber hinaus Fachverbände (im Rahmen einer Beweisaufnahme) an. Eine Beteiligung Dritter als „amicus curiae“, wie sie in den USA üblich ist, ist in Deutschland nicht zulässig.133
126 B. v Hoffmann/W. Hau, RIW 1997, 89, 90; zum türkischen Recht s. H. Pekcanitez, ZZP 105 (1992), 469. 127 Vgl. W. Lüke, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess, 1993; C. Götze, Vouching in und Third Party Practice, 1993. 128 Mansel in Heldrich/Kono, S. 63, 64 ff. 129 Mansel in Heldrich/Kono, S. 73. 130 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 177 f. 131 Rechtsvergleichender Überblick bei M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 9–134; B. Kraft, Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice, 1997. 132 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 179; M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, S. 146 ff. 133 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 51 Rz. 39; vgl. H. Hirte, Der amicus curiae-Brief, ZZP 104 (1991), 11; P. Heidenberger, RIW 1996, 918; K. Otte, DAJV-NL 1990, 37; U. Kühne, Amicus Curiae, 2014; S. Segger, Amicus Curiae, 2017.
422
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.90 § 6
Eine Intervention der Bundesrepublik in Zivilverfahren aus völkerrechtlichen Gründen ist in der deutschen ZPO nicht vorgesehen, möglicherweise aber im Ausland.134 In geeigneten Fällen kann das Gericht freilich das Auswärtige Amt um amtliche Auskunft (§ 273 II Nr. 2 ZPO) ersuchen.
6.85
9. Unklagbarkeit Schrifttum: W. Ebke, Die Rechtsprechung zur Unklagbarkeit gem. Art. VIII Abschn. 2(b) S. 1 IWF-Übereinkommen im Zeichen des Wandels, WM 1993, 1169; A. Fuchs, Auf dem Weg zur engen Auslegung des Art VIII 2b) IWF-Abkommen, IPRax 1995, 82; M. Gehrlein, Ausschluss der Klagbarkeit einer Forderung kraft IWF-Übereinkommen, DB 1995, 129; M. Schoch, Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Licht des internationalen Rechts, 1934.
6.86
Bei der Unklagbarkeit ist entscheidend, ob sie eine rein prozessuale Sperre der Rechtsverfolgung sein soll oder ob es sich (wie zumeist) nur um eine Abschwächung des materiellen Anspruchs handelt. Letztere ist nach der lex causae zu beurteilen.135
6.87
a) Klagefristen Das deutsche Recht kennt Klagefristen (neben den Verjährungsfristen) im Allgemeinen nicht. Lediglich in einzelnen internationalen Übereinkommen sind Klagefristen enthalten, z.B. in Art. 29 WA 1955 (zwei Jahre ab Ankunft des Luftfahrzeugs am Bestimmungsort oder Abbruch der Beförderung), Art. VIII Satz 2 Intern. Übereinkommen von 1984 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden136 sowie in Art. 20 I UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea (v. 31.3.1978).137
6.88
b) Forderungen aus internationalen Devisenverträgen Verstoßen diese gegen die Bestimmungen eines Mitglieds des internationalen Währungsfonds, so sind sie nach Art. VIII (2) (b) des IWF-Abkommens „unenforceable in the territories of any member“. Nach der bisher herrschenden Meinung ist das Wort „unenforceable“ als Unklagbarkeit i.S.d. Fehlens einer Prozessvoraussetzung zu verstehen.138
6.89
Nach neuerer Ansicht sollte der Terminus dagegen materiell-rechtlich i.S.v. Vertragsnichtigkeit139 oder einer unklagbaren obligatio naturalis ausgelegt werden.140 Auf diese Weise würde die deutsche Auslegung sich stärker dem noch engeren Ver-
6.90
134 St. Kilgus, RIW 1997, 14. 135 P. Böhm, FS Fasching, 1988, S. 107, 124; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1622; vgl. M. Schoch, S. 59 ff. 136 BGBl. 1988 II, 825, 833. 137 ILM 17 (1978), 608, 621. 138 BGHZ 116, 77, 84 = NJW 1991, 3095 = ZZP 104 (1991), 449 m. Anm. H. Roth; U. Ehricke, RIW 1991, 365, 370 f.; M. Gehrlein, DB 1995, 129, 131 ff.; vgl. U. Unteregge, Ausländisches Devisenrecht und internationale Kreditverträge, 1991, S. 49 ff. 139 So F. Mann, JZ 1981, 327, 328. 140 So W. Ebke, RIW 1991, 1, 6; W. Ebke, JZ 1991, 335; W. Ebke, RIW 1993, 613, 624 f.
423
§ 6 Rz. 6.90 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
ständnis dieser Bestimmung durch die amerikanischen und englischen Gerichte annähern, die den Einwand nur auf Einrede beachtet.141
6.91 Unabhängig davon hat der BGH den Anwendungsbereich von Art. VIII 2 (b) IWFÜbereinkommen eingeschränkt. Danach sind nur Geschäfte des laufenden Zahlungsverkehrs, nicht aber Kapitalübertragungen zur Investition von der Regelung erfasst.142 Außerdem beziehe sich die Bestimmung nur auf Devisenkontrollbestimmungen, die mit Zustimmung des Internationalen Währungsfonds eingeführt worden seien.143 10. Fremdwährungsklagen
6.92 Schrifttum: F. Arend, Zahlungsverbindlichkeiten in fremder Währung, 1989, S. 146 ff.; B.
Bachmann, Fremdwährungsschulden in der Zwangsvollstreckung, 1994; V. Black, Foreign Currency Obligations in Private International Law, RdC 302 (2003), 9; V. Black, Foreign Currency Claims in the Conflicts of Law, 2009; Foreign Currency Judgments, 1985 Report of the Committee on Foreign and Comparative Law, 18 Intl.L. & Politics [1986], 791; H. Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S. 678 ff.; P. Hay, Fremdwährungsansprüche und -urteile nach dem US-amerikanischen Uniform Act, RIW 1995, 113; M. Lögering, Der richtige Umgang mit unechten Fremdwährungsschulden, RIW 2009, 625; D. Schefold in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., Bd. II, 5. Aufl. 2017, § 155, S. 1872; K. Schmidt, Fremdwährungsschuld und Fremdwährungsklage, ZZP 98 (1985), 32; St. Steenken, Fremdwährungsschulden im deutschen und englischen Recht, 1992, S. 85 ff., 172 ff.
6.93 Ob auf Leistung in einer Auslandswährung geklagt werden kann, entscheidet die jeweilige lex fori. In den USA mussten lange Zeit alle Klagen auf US-Dollar lauten.144 New York hat sein Recht als erster US-amerikanischer Bundesstaat 1987 geändert und lässt seither Klagen und Urteile in ausländischer Währung zu (N.Y.Jud.Law § 27 [b]).145 Die Umrechnung in US-Dollar findet auf den Tag des Urteilserlasses („judgment date rule“) statt. Die meisten US-Staaten folgen inzwischen der New York rule.146
6.94 Andere US-Staaten stellen auf den Tag ab, an dem die Zahlung hätte geleistet werden sollen („breach day rule“). Der Uniform Foreign-Money Claims Act von 1989 sieht ebenfalls vor, dass auf Leistung in einer bestimmten Fremdwährung geklagt und ein entsprechendes Urteil ergehen kann. Die Umrechnung in Dollar findet aber in Abkehr auf den Tag der Zahlung („payment day rule“), genauer: zu der banküblichen „spot rate of exchange“ gegen Geschäftsschluss am Tag vor der Zahlung oder Aufrechnung statt (§§ 1 [3]; 7 [d] Foreign Money Claims Act). Dieses Modellgesetz gilt inzwischen in Kalifornien, Colorado, Connecticut, Hawaii, Illinois, Minnesota, Mon-
141 Vgl. U. Ehricke, RIW 1991, 365, 370; F.-E. Klein, FS Lalive, 1993, S. 261. 142 BGH, RIW 1994, 151 = IPRax 1995, 110 (dazu A. Fuchs, S. 82); vgl. C. Th. Ebenroth/A. Müller, RIW 1994, 269. 143 BGH, RIW 1994, 327. 144 Vgl. Ch. Proctor, Mann on the legal aspect of money, 7th ed. 2012. 145 Vgl. J. Freeman, Int.Lawyer 23 (1989), 737. 146 L. Newman/M. Burrows, Practice of International Litigation, 2nd ed. 1998, IV-37.
424
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.97 § 6
tana, Nevada, New Jersey, New Mexico, North Dakota, Oregon, Utah, Virgin Islands, Virginia, Washington und Wisconsin.147 In England und Schottland sind Klagen und Urteile in Fremdwährung schon seit einiger Zeit allgemein zulässig.148 Das deutsche Recht kennt keine Einschränkungen für Klage und Urteil auf Zahlung in einer ausländischen Währung.149 Auch bei einfachen Fremdwährungsschulden muss der Kläger grds. Leistung in der Fremdwährung einklagen, da § 244 BGB nur dem Schuldner eine Ersetzungsbefugnis zuspricht. Die Praxis lässt aber eine Klage in Inlandswährung zu, wenn der Schuldner gegen die Umrechnung im Prozess keine Einwendungen erhebt.150 Bei effektiver Fremdwährungsschuld kann und muss der Klageantrag auf fremde Währung lauten.151
6.95
Ein Mahnbescheid kann dagegen grds. nur in inländischer Währung beantragt werden (§ 688 I ZPO). Eine einfache Fremdwährungsforderung (nicht eine effektive) kann aber für das Mahnverfahren in inländische Währung umgerechnet geltend gemacht werden.152 Ist der Mahnbescheid in einem Mitgliedstaat der EU bzw. in einem Vertragsstaat zuzustellen, auf das das AVAG nach § 1 anzuwenden ist, so kann darin auch Zahlung in deren Währung verlangt werden (§ 688 III ZPO; § 32 I 2 AVAG). Außer gegenüber den EU- und den EFTA-Staaten besteht diese Möglichkeit daher gegenüber Israel, in Unterhaltssachen auch gegenüber der Türkei als Vertragsstaat des HUVÜ 1973.
6.96
Nach § 244 I BGB kann der Schuldner im Inland im Zweifel statt in ausländischer auch in inländischer Währung leisten. Lautet die Klage auf Zahlung in einer ausländischen Währung, so darf das Gericht nach § 308 I 1 ZPO nicht zur Zahlung in Euro153 oder in einer anderen ausländischen Währung154 verurteilen. Der Fremdwährungsgläubiger erhält also bei begründeter Klage stets einen Fremdwährungstitel.155 Der Gläubiger kann natürlich auch eine Verurteilung beantragen, wonach dem Schuldner nachgelassen wird, statt in Fremdwährung in Euro zu zahlen.156 Verlangt der Kläger Zahlung in schuldfremder Währung, ist die Klage unbegründet. Ein nachträglicher Übergang zu einer anderen (der richtigen) Währung ist (sachdienli-
6.97
147 Uniform Laws Annotated, Vol. 13, Cum. Annual Pocket Part 1994, 42; vgl. P. Hay, RIW 1995, 113, 114. 148 Miliangos v George Frank Textiles [1976] A.C. 443 (H.L.); B. Bachmann, S. 29 ff.; Dicey, Morris & Collins, 15th ed. 2012, Rule 265 (1) (No. 37–082 ff.); J. Jacob, Private international litigation, 1988, S. 267 ff.; St. Steenken, S. 173 ff.; G. Maher, ICLQ 44 (1995), 72. 149 K. Schmidt, ZZP 98 (1985), 32, 41; H. Grothe, S. 679 ff. 150 D. Schefold, § 115 Rz. 346 ff. 151 D. Schefold, § 115 Rz. 64, 334, 336. 152 BGHZ 104, 268, 273 = NJW 1988, 1964; vgl. H. Grothe, S. 683 ff.; D. Schefold, § 115 Rz. 357 ff., 360 f. 153 BGH, IPRax 1994, 366 (noch zur DM); Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, § 253 ZPO Rz. 99; F. Arend, S. 148 ff. 154 H. Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, IPRax 1994, 346, 347. 155 H. Grothe, S. 689. 156 H. Grothe, S. 690.
425
§ 6 Rz. 6.97 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
che) Klageänderung (§ 263 ZPO). Gegebenenfalls hat das Gericht auf Stellung eines sachdienlichen Antrags hinzuwirken (§ 139 ZPO).157 Bei einem Urteil auf Leistung in ausländischer Währung ist ggf. entgegenstehendes ausländisches Devisenrecht zu beachten, da der Schuldner nicht zu einer unmöglichen Leistung verurteilt werden darf.158 Wird eine Zahlungsklage in einer bestimmten Währung rechtskräftig abgewiesen, so ist der Kläger nicht gehindert, aufgrund desselben Sachverhalts Leistung in einer anderen Währung zu verlangen.159
6.98 Der Streitwert der Klage ist stets durch Umrechnung in Euro nach dem Kurs zur Zeit der Einreichung der Klage zu bestimmen (§§ 3, 4 I ZPO). Sicherheit kann grds. auch in ausländischer Währung gestattet werden (§ 108 ZPO); eine Hinterlegung von Devisen ist aber wegen Kursschwankungen und des entstehenden Zinsverlustes unzweckmäßig. 6.99 Die Zulässigkeit einer Aufrechnung bzw. Verrechnung im Prozess zwischen währungsverschiedenen Forderungen hängt dagegen davon ab, ob es sich um einfache Fremdwährungsschulden (dann ja) oder um effektive Valutaschulden (dann nein) handelt.160 Zweifelhaft ist freilich, ob die Forderungen zum Kurs am Tag der Urteilsverkündung (bzw. der letzten mündlichen Verhandlung) oder am Tag des Eintritts der Aufrechnungslage zu verrechnen sind.161 6.100 Währungsbeschränkungen. Sie können Einfluss auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Verbindlichkeit und die Möglichkeit ihrer Erfüllung haben. Solche Regeln sind grds. zu beachten. Der Gläubiger kann Erfüllung entsprechend den Währungsgesetzen des Landes des Erfüllungsortes verlangen; der Schuldner kann sich grds. nicht darauf berufen, dass der amtliche Kurs oder die sonstigen Beschränkungen nicht den realen Wertverhältnissen entsprechen. Grenzen ergeben sich lediglich aus dem ordre public-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB).162 11. Internationale Familiensachen
6.101 Schrifttum: M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019; B. Bergerfurth, Der Ehe-
scheidungsprozess (Kap. II 20), 15. Aufl. 2006; K. Breuer, Ehe- und Familiensachen in Europa, 2008; Einhorn, Jewish Divorce in the International Arena, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 135; O. Elwan/H. Ost, Die Scheidung deutsch-jordanischer Ehen vor deutschen Gerichten, IPRax 1996, 389; V. Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2009; F. Gamillscheg, Die „wesenseigene Zuständigkeit“ bei der Scheidung von Ausländern, FS Dölle, Bd. II, 1963, S. 289; P. Gottwald, Deutsche Probleme internationaler Familienverfahren, FS Nakamura, 1996, S. 187; G. Graf, Die internationale Verbundszuständigkeit, 1984; G. Grasmann, Relevanz ausländischen Prozessrechts in Ehesachen, ZZP 83 (1970), 214; D. Henrich, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2000; D. 157 158 159 160 161 162
426
H. Grothe, S. 712 ff. F. Arend, Zahlungsverbindlichkeiten, S. 163 ff. F. Arend, S. 163 ff. Vgl. H. Grothe, IPRax 1994, 346, 349; K. Schmidt, ZZP 98 (1985), 32, 39. Vgl. St. Steenken, Fremdwährungsschulden, S. 74 ff., 154 ff. Vgl. BGH, FamRZ 1990, 292 = ZZP 103 (1990), 471 (R. Geimer); W. Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991; differenzierend: H. Grothe, S. 763 ff.
I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.104 § 6 Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 3. Aufl. 2012; Ch. Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2000; K. Hirschfeld, Die Anwendung von Get Statutes und die Anerkennung von auf Get Statutes beruhenden ausländischen Urteilen in Deutschland, 2007; G. Hohloch/I. Androulidakis-Dimitriadis ua, Internationales Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht, 1998; J. Jacob, Private International Litigation, 1988, S. 371 ff.; E. Jayme, Religiöses Recht vor staatlichen Gerichten, 1999; M. Kilian, Aktuelle Probleme der internationalen Zuständigkeit in Ehesachen, § 606a ZPO, IPRax 1995, 9; H. Klingelhöffer, Ehelichkeitsanfechtung im deutsch-österreichischen Verhältnis, IPRax 1993, 167; A. Koutsouradis, Die Ehestreitigkeiten nach griechischem Zivilprozessrecht, FS Mitsopoulos, 1993, S. 737; A. Lüderitz, „Talaq“ vor deutschen Gerichten, FS Baumgärtel, 1990, S. 333; D. MacDougall, Transnational Litigation in Family Matters, in N. Lowe/G. Douglas, Families across Frontiers, 1996, 63; D. Marcks, Daten internationaler Abkommen zum Familienrecht, 1994 (S. 253 ff.); C. Oellrich, Familiensachen mit Auslandsberührung, 1992; Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, (Loseblatt) (Teil II Familiensachen mit Auslandsbezug, bearb. von K. Breuer), Stand 2019; O. Ratzel, Die Präklusion isolierter Unterhaltsverfahren durch den ausländischen Scheidungsverbund, 2007; Th. Schnorr, Grenzüberschreitende Familienverfahren, IPRax 1994, 340; D. Schwab/M. Streicher, Handbuch des Scheidungsrechts (Teil I L – Internationales Verfahrensrecht), 7. Aufl. 2013, S. 416; K. Siehr, Die Berücksichtigung religiösen Rechts bei gerichtlicher Scheidung jüdischer Ehepaare, FS Schlosser, 2005, S. 877; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen 1 + 2, Bearb. 2015; K. Wähler, Islamische talaq-Scheidungen vor deutschen Gerichten, in Islamisches und arabisches Recht als Problem der Rechtsanwendung, Symposium für Elwan, 2001, S. 113; Wendl/Dose/Bömelburg, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, (§ 9 Auslandsberührung), 10. Aufl. 2019.
a) Eheverfahren Auch für internationale Scheidungsverfahren gilt der Grundsatz der lex fori.163 Das Verfahren wird folglich in Deutschland durch Antrag (§ 124 FamFG) eingeleitet. Jedoch ist das Verfahren soweit nötig an ein ausländisches Scheidungsstatut anzupassen, damit nach Möglichkeit eine auch im Heimatstaat wirksame Scheidung erfolgt.164
6.102
Die Einhaltung einer Versöhnungsfrist für eine einverständliche Scheidung (z.B. nach Art. 1776 franz. CC) ist zu beachten, wenn davon die Anerkennung des Scheidungsurteils im Heimatstaat (§ 98 I Nr. 4 FamFG) abhängt.165
6.103
Der Sühneversuch, der in manchen Staaten zwingend vorgesehen ist, hat nicht nur materiellen, sondern vorwiegend verfahrensrechtlichen Charakter. Er muss deshalb im Inland nicht notwendig durchgeführt werden. Hängt jedoch die Anerkennung der deutschen Entscheidung im Heimatstaat davon ab, so ist der formelle Sühneversuch, ggf. unter Bestellung eines „Verteidigers der Ehe“ (Verwaltungsbehörde)
6.104
163 D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, Rz. 97; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Heiderhoff, Art. 17 EGBGB Rz. 99. 164 Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 4 Rz. 68 ff.; Geimer in Zöller, § 98 FamFG Rz. 21. 165 St. Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, 1985, S. 165 ff.
427
§ 6 Rz. 6.104 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
durchzuführen.166 Vorzunehmen ist auch eine nach dem Scheidungsstatut erforderliche (ergebnislose) Aufforderung zur Rückkehr in das eheliche Heim.167 Die Aussetzung des Verfahrens als Mittel der Wiederversöhnung ist (soweit zwingend) ebenfalls zu beachten.168
6.105 Gleiches gilt für eine etwa nach Heimatrecht erforderliche Mitwirkung des Staatsanwalts.169 Soweit notwendig ist dazu die nach § 1316 I Nr. 1 BGB durch Landesrecht bestimmte Verwaltungsbehörde beizuladen.170 Anders als früher ist die Mitwirkung in Italien171 und Portugal keine Voraussetzung für die Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils mehr. 6.106 Soweit nach dem Scheidungsstatut ein Schuldausspruch vorgesehen ist, ist dieser in den Tenor des Scheidungsurteils aufzunehmen.172 Grasmann173 führte einen anderen Fall an: Lediglich um die Anerkennung eines deutschen Scheidungsurteils in Belgien zu erreichen, wurde auf die Kinder der Eheleute als Zeugen verzichtet.174 6.107 Wird ein Scheidungsurteil nach Heimatrecht erst mit der Eintragung in ein Register wirksam, so müssen die Parteien diese Eintragung selbständig betreiben. Das deutsche Scheidungsurteil wird im Inland nach allgemeinen Regeln rechtskräftig und damit wirksam. Die Parteien sind aber darauf hinzuweisen, dass sie die Registrierung, ggf. innerhalb bestimmter Fristen, betreiben müssen, damit das Urteil auch im Heimatstaat Wirksamkeit erlangt.175 6.108 Eine nach der Scheidung ggf. zu beachtende Wartefrist für eine Wiederverheiratung ist nicht in das Scheidungsurteil aufzunehmen.176
166 OLG Bremen, IPRax 1985, 47; D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, Rz. 99; F. Gamillscheg, FS Dölle II, S. 289, 303 f. 167 Vgl. F. Gamillscheg, FS Dölle II, S. 289, 305. 168 F. Gamillscheg, FS Dölle II, S. 289, 306. 169 Vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1984, 59; P. Gottwald, Der Ausländer im Prozess, in Habscheid/Beys, Grundfragen des ZPR, 1987/91, S. 1, 89 f. 170 Geimer in Zöller, § 98 FamFG Rz. 21; Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 4 Rz. 68. Nach Rahm/Künkel/Breuer, II 1 C Rz. 178 soll es genügen, dass der Familienrichter gem. § 127 II FamFG Tatsachen von Amts wegen berücksichtigen kann. 171 OLG Karlsruhe, IPRax 1982, 75. 172 BGH, FamRZ 1987, 793; OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, 738; OLG Zweibrücken, FamRZ 1997, 430; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 34; Prütting/Helms/Hau, vor §§ 98–106 FamFG Rz. 41. Zum Vorgehen bei unterlassenem Schuldspruch s. OLG Hamm, IPRax 2000, 308 (dazu H. Roth, S. 292). 173 ZZP 83 (1970), 219. 174 Vgl. dazu W. Habscheid, FamRZ 1975, 79. 175 D. Henrich, Internationales Familienrecht, S. 145; Schwab/Streicher, Handbuch des Scheidungsrechts, 7. Aufl. 2013, Teil I Rz. 1203. 176 Schwab/Streicher, Handbuch des Scheidungsrechts, 7. Aufl. 2013, Teil I Rz. 1204.
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I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.113 § 6
Eine einverständliche Scheidung ist entsprechend den Anforderungen des Scheidungsstatuts durchzuführen.177 Gilt ausländisches Scheidungsstatut, sind dessen Voraussetzungen maßgebend.178
6.109
Nach Art. 230 franz. code civil bedarf es einer Scheidungsvereinbarung, die von den Parteien, den Prozessbevollmächtigten und dem Richter zu unterschreiben ist. Diese materielle Form kann nach Art. 11 I EGBGB auch durch die Ortsform ersetzt werden. Eine Parteivereinbarung über den Versorgungsausgleich kann im Zusammenhang mit der Scheidung entweder in notarieller Form (§ 7 I VersAusglG) oder in einem Verfahrensvergleich (§ 7 II VersAusglG; § 127a BGB; § 113 I 2 FamFG; §§ 160 III Nr. 1, 278 VI ZPO) abgeschlossen werden; einer gerichtlichen Genehmigung bedarf es nicht.179
6.110
Verfahren zur Trennung von Tisch und Bett, die ein ausländisches Ehelösungsstatut als Vorstufe oder als Ersatz für die Scheidung vorsieht, sind im Inland nach den Regeln über Scheidungsverfahren abzuwickeln,180 so dass auch die Regeln über das Verbundverfahren anwendbar sind.181 Die früher vertretene Ansicht von der „Wesensverschiedenheit“ der Ehetrennung, die deutsche Gerichte nicht aussprechen könnten, ist mit dem Justizanspruch des Ausländers nicht vereinbar. Im Verhältnis zu EU-Staaten widerspricht diese Ansicht Art. 1 I lit. a Brüssel IIa.
6.111
Nach Art. 17 II EGBGB kann eine Ehe im Inland nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden, auch wenn das Scheidungsstatut eine Privatscheidung vorsieht. Soweit eine rein vertragliche Ehelösung zulässig ist, wie etwa in Japan (Art. 763 ff. jap. BGB), werden die Parteien kaum ein deutsches Scheidungsverfahren betreiben.
6.112
Die Praxis hatte bisher „talaq“-Scheidungen und Rabbinats-Scheidungen vorzunehmen. Da die Ehescheidung als solche von deutschen Gerichten ausgesprochen wird, handelt es sich grds. um keine „wesensfremde“ Tätigkeit, die aus der Zuständigkeit der deutschen Gerichte herausfiele.182 Wie bei einer talaq-Scheidung vorzugehen ist, ist streitig. Vereinzelt wurde die Ehe aufgrund der vom Ehemann in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Verstoßungserklärung geschieden.183 Die einseitige Verstoßung durch den Mann ist aber mit Art. 3 II GG und dem deutschen ordre public nicht vereinbar. Deshalb ist zu-
177 F. Gamillscheg, FS Dölle II, S. 289, 306. 178 AG Hamburg, IPRax 1983, 74; D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, Rz. 101 f.; Johannsen/Henrich/Henrich, Eherecht, Art. 17 EGBGB Rz. 41 f.; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 36, 38; Winkler v. Mohrenfels in MünchKomm/BGB, Art. 17 EGBGB Rz. 136 ff. 179 Vgl. Schwab/Ernst/Holzwarth, Handbuch des Scheidungsrechts, 8. Aufl. 2019, § 12 Rz. 671 ff. 180 BGHZ 47, 324 = NJW 1967, 2109 = JZ 1967, 671 (A. Heldrich); BGH, IPRax 1985, 40 (E. Jayme, S. 23). 181 Heiter in MünchKomm/FamFG, § 137 Rz. 18. 182 So aber für die talaq-Scheidung G. Beitzke, IPRax 1993, 231, 234; dagegen zu Recht Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 35. 183 OLG München, IPRax 1989, 238, 241 (E. Jayme, S. 223).
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6.113
§ 6 Rz. 6.113 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
nächst das Einverständnis der Ehefrau mit der Scheidung vor deren Ausspruch durch Urteil festzustellen oder zu prüfen, ob eine Scheidung auch nach deutschem Recht möglich wäre. Eine gleichzeitige Scheidung in den Formen des Heimatrechts ist nicht erforderlich.184 Wollen die Eheleute sicherstellen, dass sie auch im Heimatland geschieden sind, so können und müssen sie das entsprechende Verfahren außerhalb und parallel zum inländischen Scheidungsverfahren betreiben. In Zweifelsfällen kann das inländische Verfahren zudem zunächst nach § 136 I FamFG ausgesetzt werden. Ganz verweigert werden darf die Inlandsscheidung jedoch nicht.185
6.114 Für den Fall der Rabbinats-Scheidung hat das KG dagegen ein Vorgehen ohne Rücksicht auf die Formen des Scheidungsstatuts abgelehnt. Das jüdische Scheidungsstatut entscheide auch über die Scheidungsform; Sachrecht und Verfahren (Übergabe des Scheidebriefs durch den Ehemann unter Aufsicht des Rabbinatsgerichts) dürften nicht getrennt werden. Da erst diese Übergabe des Scheidungsbriefs die Ehe auflöse, handele es sich um eine Privatscheidung,186 Das deutsche Gericht könne die Scheidungszeremonie als statusändernden Akt nicht herbeiführen, dieser sei als religiöse Handlung dem deutschen Gericht „völlig wesensfremd“; deshalb entfalle die an sich nach § 98 I Nr. 2 FamFG gegebene Zuständigkeit.187 Sachgerechter erscheint auch hier, die Zulässigkeit des Verfahrens zu bejahen, das Scheidungsurteil aber erst zu erlassen, wenn die religiöse Scheidung bereits vorliegt.188 b) Scheidungsfolgen
6.115 Zweifel bestanden früher in der Praxis, in welcher Verfahrensart und vor welchem Gericht über familienrechtliche Ansprüche nach ausländischem Recht zu entscheiden war, die nicht in den §§ 606, 621 ZPO a.F. bzw. § 23b GVG a.F. aufgeführt waren. Nachdem das FGG-RG den Kreis der Familiensachen stark ausgeweitet hat (s. § 111 FamFG), dürfte das Problem gelöst sein. Es ist nicht ersichtlich, dass andere Staaten den Entscheidungsverbund weiter ziehen würden. Weitgehend unstreitig ist, dass auf Ehetrennung („Trennung von Tisch und Bett“) geklagt werden kann,189 das Verfahren als eine Art Vorstufe zur Scheidung als Ehesache zu behandeln ist190 und insoweit mit Folgesachen auch ein Verbundverfahren analog § 137 FamFG stattfindet.191 184 Vgl. Winkler v. Mohrenfels in MünchKomm/BGB, Art. 17 EGBGB Rz. 108 f, 112 f.; Wähler, Symposium Elwan, S. 113, 119; Mankowski in Staudinger, (2011) Art. 17 EGBGB Rz. 63 ff. 185 So aber KG, IPRax 2000, 126 (Scheidung nach iran. Recht durch talaq, hilfsweise durch den Sharia-Richter) (dazu krit. Ch. Herfarth, S. 101). 186 BGHZ 176, 365 = FamRZ 2008, 1409, 1411 (D. Henrich) = JR 2009, 327, 329 (H. Dörner) = IPRax 2009, 347 (dazu K. Siehr, S. 332). 187 Vgl. KG, FamRZ 1994, 839; abl. K. Hirschfeld, S. 63 ff. 188 Vgl. New York State, Domestic Relations Law § 253; eingehend zum New Yorker Recht Hirschfeld, S. 36 ff. Für eine ähnliche „Anpassungslösung“ im deutschen Recht Ch. Herfarth, S. 245 ff.; vgl. auch F. Gamillscheg, FS Dölle II, S. 289, 313 ff.; T. Einhorn, Liber amicorum Siehr, S. 135. 189 BGHZ 47, 324 = NJW 1967, 2109; FamRZ 1987, 792; s. Rz. 6.69. 190 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 15. 191 OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 715; Prütting/Helms/Hau, § 98 FamFG Rz. 41; D. Henrich, Internationales Familienrecht, S. 147; a.A. OLG Frankfurt, FamRZ 1995, 375.
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I. Besonderheiten von Klagen mit Auslandsbezug | Rz. 6.120 § 6
Im Inland kann auch auf Auflösung einer im Ausland wirksam registrierten Lebenspartnerschaft geklagt werden.192 Zumindest seitdem das deutsche Recht selbst Verfahren zur Aufhebung einer Lebenspartnerschaft kennt (§ 269 I Nr. 1 FamFG), bestehen hiergegen keine Bedenken.
6.116
Auch bei den anderen Familiensachen sind funktional vergleichbare Streitigkeiten ebenfalls als Familiensachen einzuordnen. Der Anspruch auf Leistung einer Morgengabe ist danach als Familiensache zu behandeln.193
6.117
Zweifelhaft ist, ob der Anspruch auf Rückgabe in die Ehe eingebrachter persönlicher Gegenstände eine güterrechtliche Streitigkeit (§ 23b I 2 Nr. 9 GVG bzw. § 261 I FamFG) ist. Die h.M. verneint dies.194 Folgt man dieser Ansicht, so ist der Anspruch aber jetzt als sonstige Familiensache (§ 266 I Nr. 3 FamFG) einzuordnen. In die Zuständigkeit des Familiengerichts fallen deshalb jetzt auch nach türkischem Recht bestehende Ansprüche auf Zuweisung von Hausratsgegenständen nach Scheidung oder ein Anspruch auf Herausgabe der Aussteuer.195 Gleiches gilt jetzt auch für Ansprüche aus dem Widerruf von Schenkungen unter Ehegatten.196
6.118
Schließlich ist ein deutsches Gericht nicht für einen Antrag auf Trennungsunterhalt zuständig, wenn darüber ein französisches Tribunal de Grande Instance bereits eine ordonnance de non conciliation contradictoire erlassen hat.197 Eine Wohnungszuweisung (zur Nutzung) nach Scheidung richtet sich für in Deutschland gelegene Wohnungen nach deutschem Recht (Art. 17a EGBGB).198 Die Zuweisung einer im Ausland gelegenen Wohnung sollte mangels anderweitiger Regelung dem Scheidungsstatut unterstehen und auch im Verbundverfahren (im Zusammenhang mit der Unterhaltsregelung oder der güterrechtlichen Auseinandersetzung) möglich sein, unabhängig davon, wie der Anspruch nach dem Scheidungsstatut eingeordnet wird.199
6.119
Verbundzuständigkeit. Ist ein deutsches Gericht für die Ehesache (nach Art. 3 Brüssel IIa-VO200 oder auch § 98 FamFG) international zuständig, so ist es über § 98 II FamFG auch für andere Familiensachen im Rahmen eines möglichen Verbundverfahrens international zuständig. Nach der ausdrücklichen Regelung in § 106 FamFG ist diese Zuständigkeit aber international nicht ausschließlich. Vorrang haben zudem
6.120
192 Ablehnend noch H.-G. Nordhues, DRiZ 1991, 136. 193 Dötsch in MünchKomm/FamFG, § 231 FamFG Rz. 32 (Unterhalt oder Güterrecht). 194 OLG Frankfurt, FamRZ 1989, 75; OLG Hamm, FamRZ 1993, 211; OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1085; krit. H. Krüger, GS Lüderitz, 2000, S. 415, 416. 195 Vor der Reform: OLG Köln, FamRZ 1994, 1476. 196 Vor der Reform: BGH, NJW 1980, 193; OLG Köln, FamRZ 1995, 236. 197 OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 1477. 198 Vgl. D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, Rz. 151 ff. 199 OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, 1280; D. Henrich, Internationales Familienrecht, S. 192; P. Gottwald, FS Nakamura, S. 188, 197 f.; vgl. aber OLG Karlsruhe, IPRax 2001, 51 (m. Anm. D. Henrich). 200 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 101; Prütting/Helms/Hau, § 98 FamFG Rz. 40.
431
§ 6 Rz. 6.120 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
europäische Regeln oder internationale Übereinkommen, etwa für Unterhaltssachen die Art. 3 ff. EuUntVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ201 und für Sorgerechtssachen die Brüssel IIa-VO (Art. 12 I) und, soweit diese nicht eingreift, das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ), das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) sowie § 5 SorgeRÜbkAG. Soweit danach keine Zuständigkeit besteht, ist der Verbund aufgehoben.202
6.121 Auch in Familiensachen mit Auslandsberührung findet nach § 98 II FamFG ein Verbundverfahren iS einer Zuständigkeitskonzentration statt.203 Dagegen richtet sich der Umfang des konkreten Entscheidungsverbundes nach dem Scheidungsstatut.204 Ob der Verbund von Amts wegen oder nur auf Antrag eintritt, entscheidet jedoch nicht das Scheidungsstatut, sondern § 137 II FamFG als Teil der lex fori.205 c) Unterhaltssachen
6.122 Der Unterhaltsanspruch des Kindes kann in Fällen mit Auslandsberührung vom Ehegatten nicht stets in gesetzlicher Prozessstandschaft nach § 1629 III BGB eingeklagt werden, sondern nur soweit deutsches Recht Unterhaltsstatut ist (Art. 3 ff. HUP). Generell entscheidet das Unterhaltsstatut nach Art. 11 lit. d HUP, wer den Unterhaltsanspruch des Kindes geltend machen kann.206 d) Abstammungssachen
6.123 Die Vaterschaftsfeststellung findet in Deutschland ausschließlich nach der lex fori statt. Im Heimatland (lex causae) geltende Verbote der Vaterschaftsfeststellung oder Beschränkungen, wie z.B. nach Art. 340 II franz. CPC, wonach der Nachweis der nichtehelichen Vaterschaft nur erbracht werden kann, wenn nach der Klage schwerwiegende (Anfangs-)Vermutungen bzw. Indizien dafür sprechen, sind in Deutschland unbeachtlich. 6.124 Bei einem ausländischen Kind kann es entgegen § 237 FamFG keine Verbindung von Vaterschaftsfeststellung mit der Verurteilung zur Zahlung des Regelbetrags-Unterhalts geben, wenn das Unterhaltsstatut das Institut des Regelbetrags-Unterhalts nicht kennt.207 6.125 –6.199 Frei 201 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 167 Rz. 6 f. 202 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 98 FamFG Rz. 108; D. Henrich, Internationales Familienrecht, S. 205; vgl. O. Ratzel, Die Präklusion isolierter Unterhaltsverfahren durch den ausländischen Scheidungsverbund, 2007. 203 OLG Frankfurt, FamRZ 1983, 728; Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 4 Rz. 18 f.; zum Versorgungsausgleich s. R. Wagner, Versorgungsausgleich mit Auslandsberührung, 1996, Rz. 14 ff. 204 St. Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, 1985, S. 159; s. Rz. 4.37. 205 Schwab/Streicher, Handbuch des Scheidungsrechts, 7. Aufl. 2013, Teil I Rz. 1185; a.A. Schlosser in Stein/Jonas, § 623 ZPO Rz. 22. 206 D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, Rz. 163 f. 207 Vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1993, 983 (zu § 643 ZPO a.F.).
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II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.200 § 6
II. Ausländische Rechtshängigkeit 1. Schrifttum a) Europäisches Zivilprozessrecht: Zur Brüssel Ia-VO: Ch. Althammer, Unvereinbare Entscheidungen, drohende Rechtsverwirrung und Zweifel an der Kernpunkttheorie – Webfehler im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO?, FS Kaissis, 2012, S. 23; A. Anthimos, Rügelose Einlassung und Einrede der Rechtshängigkeit, GPR 2014, 236; A. Becker, Verfahrenskoordination bei transnationalen Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten, 2016;T. Domej, Die Neufassung der EuGVVO, RabelsZ 78 (2014), 508; M.-R. McGuire, Priorität vs. Flexibilität? Zur Weiterentwicklung der Verfahrenskoordination im Rahmen der EuGVO-Reform, FS Kaissis, 2012, S. 671; V. Egea, La résolution des conflits de procédures dans le règlement Bruxelles I Bis, in Guinchard, Le noveau règlement Bruxelles I bis, 2014, S. 147; J. Eicher, Die Auswirkungen von Rechtsverwirklichungschancen in Drittstaaten auf die Justizgewährung in Deutschland, 2017, S. 88 ff.; R. Geimer, Das Prioritätsprinzip des Art. 29 EuGVVO und seine Grenzen, FS Prütting, 2018, S. 285; Ph.-Ch. Goltz/I. Janert, Die gerichtliche Zuständigkeit gem. Art. 27 EuGVVO bei Klageerhebung in zwei EU-Staaten, MDR 2014, 125; M. Heckel, Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit in Drittstaatenfällen, GPR 2012, 272; K. Hilbig-Lugani, Der gerichtsstandsvereinbarungswidrige Torpedo – wird endlich alles gut? Ein Beitrag zur EuGVVO 1215/2012, FS Schütze, 2014, S. 195; D. Hohmeier, Zur Privilegierung ausschließlicher Zuständigkeitsvereinbarungen durch die Brüssel Ia-VO, IHR 2014, 217; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 12), 2015, S. 435; W. Lüke, Die „vorbeugende negative Feststellungsklage“ und die EuGVVO, FS Prütting, 2018, S. 417; P. Mankowski, Der Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen vor abredewidrigen Klagen durch Art. 31 Abs. 2 EuGVVO n.F., RIW 2015, 17; E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013; Th, Schuster, Das Versäumen notwendiger Maßnahmen nach Art. 32 Abs. 1 lit. a EuGVVO oder eine deutsche „Torpedoklage“, RIW 2015, 798; M. Teixeira de Sousa, Die Bekämpfung der Torpedoklagen durch einen europäischen Rechtskrafteinwand, FS Kaissis, 2012, S. 1017; Ch. Thole, Der Kampf um den Gerichtsstand bei internationalen Anlegerklagen am Beispiel der Porsche SE, AG 2013, 73; K. Thorn/P. Paffhausen, Parallelverfahren nach der Brüssel Ia-VO oder „wie man einen Torpedo entschärft“, FS Lindacher, 2017, S. 405; F. Wilke, The impact of the Brussels I Recast on important „Brussels“ case law, JPIL 11 (2015), 128. Zur Brüssel I-VO: Ch. Althammer, Streitgegenstand und Interesse, 2012, S. 123 ff., 617 ff.; St. Berti, Gedanken zur Klageerhebung vor schweizerischen Gerichten nach Art. 21–23 des Lugano-Übereinkommens, FS Walder, 1994, S. 307; M. Bogdan, The Brussels/Lugano Lis Pendens Rule and the „Italian Torpedo“, Scandinavian Studies in Law 51 (2007), 89; A. Gardella/L. Radicati di Brozolo, Civil Law, Common Law and Market Integration: The EC Approach to Conflicts of Jurisdiction, AmJCompL 51 (2003), 611; R. Geimer, Das europäische „Windhundprinzip“. Einige Bemerkungen zu Art. 21 EuGVÜ/LugÜ, FS Schweizer, 1999, S. 175; R. Geimer, Lis pendens in der Europäischen Union, FS Sonnenberger, 2004, S. 357; R. Geimer, Windhunde und Torpedos unterwegs in Europa, IPRax 2004, 505; J. Goebel, Europäische Rechtshängigkeit und zivilprozessuales Rechtsmittelrecht nach der ZPO-Reform 2002, ZZPInt 7 (2002), 39; Th. Grädler, The „court first seised rule“ under the Brussels I-Regulation and its impact on commercial practice and national jurisprudence, 2008; U. Haas, Rechtshängigkeitssperre und Sachzusammenhang, FS Ishikawa, 2001, S. 165; T. Hartley, How to abuse the law and (maybe) come out on top: bad faith proceedings under the Brussels Jurisdiction and Judgments Convention, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, 73; T. Hartley, Choice-ofcourt agreements, lis pendens, human rights and the realities of international business: reflections on the Gasser case, Mélanges en l’honneur de Lagarde, 2005, S. 383; W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozessrecht, 1996, S. 112 ff.; B. Heiderhoff, Materieller Anspruch und Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27 EuGVVO, FS Kaissis, 2012, S.
433
6.200
§ 6 Rz. 6.200 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug 383; P. Herzog, Brussels and Lugano, Should you race to the courthouse or race for a judgment?, AmJCompL 43 (1995), 379; S. Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem EuGVÜ, 1992; W. Kennett, Lis alibi pendens – A view from the UK, in Fentiman, L’espace judiciaire européen, 1999, 103; M. Koch, Unvereinbare Entscheidungen i.S.d. Art. 27 Nr. 3 und 5 EuGVÜ und ihre Vermeidung, 1993; M. Lenenbach, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nach Art. 21 EuGVÜ?, EWS 1995, 361; A. Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009; J. A. Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, 1997; Lupoi, The new lis pendens provisions in the Brussels I and II Regulations, ZZPInt 7 (2002), 149; H.-P. Mansel/C.F. Nordmeier, Parteiund Anspruchsidentität i.S.d. Art. 27 Abs. 1 EuGVVO bei Mehrparteienprozessen – Ein Beitrag zur Konkretisierung des europäischen Streitgegenstandsbegriffs und der Kernbereichslehre, FS Kaissis, 2012, S. 629; K. Makridou, The institutions of lis pendens and related actions according to Regulation 44/2001 („Brussels I“), FS Beys, 2003, S. 941; M.-R. McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004; M.-R. McGuire, Forum Shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83; E. Mittenzwei, Die Verhinderung von Verfahrenskollisionen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 2006; E. Moustaïra, Forum non conveniens, 1995; A. Nieroba, Die europäische Rechtshängigkeit nach der EuGVVO, 2006; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sinnzusammenhängen, 1998, S. 341 ff.; K. Otte, Verfahrenskoordination im EuGVÜ: Zur angemessenen Gewichtung von Feststellungs- und Leistungsklage, FS Schütze, 1999, S. 619; K. Otte/H. Prütting/Dedek, The Grotius Program: Proposals for Amending Article 21 and 22 of the Brussels Convention, EuRPrL 2 (2000), 257; S. Otto, Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007; H. Prütting, Die Rechtshängigkeit im europäischen Zivilprozessrecht, GS Lüderitz, 2000, S. 623; F. Sander/St. Breßler, Das Dilemma mitgliedstaatlicher Rechtsgleichheit und unterschiedlicher Rechtsschutzstandards in der Europäischen Union, ZZP 122 (2009), 157; Ch. Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung. Zur Verfahrenskoordination nach europäischem und deutschem Zivilprozessrecht am Beispiel taktischer „Torpedoklagen“, 2011; R. Schütze, Lis pendens and related actions, EurJLawReform 4 (2002), 57; R. Schütze/S. Kratzsch, Aussetzung des Verfahrens wegen konnexer Verfahren nach Art. 22 EuGVÜ, RIW 2000, 939; Simons, Die Identität von Streitgegenstand und Parteien in Art. 21 EuGVÜ, Forum des internationalen Rechts 1996, 61; Simons, Grenzüberschreitende „Torpedoklagen“, EuLF 2003, 289; A. Stafyla, Die Rechtshängigkeit des EuGVÜ, 1998; St. Tiefenthaler, Die Streitanhängigkeit nach Art. 21 Lugano-Übereinkommen, ZfRV 1997, 67; B. Sujecki, Torpedoklagen im europäischen Binnenmarkt, GRUR-Int. 2012, 18; J. Weber, Rechtshängigkeit und Drittstaatenbezug im Spiegel der EuGVVO, RIW 2009, 620; Wittwer, Einwendungen und Kompensation unter Art. 21 EuGVÜ, ELR 2003, 310; Ch. Wolf, Rechtshängigkeit und Verfahrenskonnexität nach EuGVÜ, EuZW 1995, 365; M. Wolf, Einheitliche Urteilsgeltung im EuGVÜ, FS Schwab, 1990, S. 561; A. Zeuner, Zum Verhältnis zwischen internationaler Rechtshängigkeit nach Art. 21 EuGVÜ und Rechtshängigkeit nach den Regeln der ZPO, FS G. Lüke, 1997, S. 1003; A. Zeuner, Beobachtungen und Gedanken zum Verhältnis zwischen europarechtlichen Normen und nationalem Recht, FS Bydlinski, 2002, S. 495; A. Zeuner, Rechtskraft und ihr Verhältnis zur Rechtshängigkeit im Rahmen des europäischen Zivilprozessrechts, FS Kerameus, 2009, S. 1587. Zur Brüssel IIa-VO: U. P. Gruber, Die „ausländische Rechtshängigkeit“ bei Scheidungsverfahren, FamRZ 1999, 1563; U. P. Gruber, Die neue „europäische Rechtshängigkeit bei Scheidungsverfahren“, FamRZ 2000, 1129; St. Pabst, Entscheidungszuständigkeit und Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehesachen mit Europabezug, 2009; K. Polyzogopoulos, Internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen in der Europäischen Union, in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts, 2002; Safferling, Rechtshängigkeit in deutsch-französischen Schei-
434
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.200 § 6 dungsverfahren, 1996;R. Wagner, Ausländische Rechtshängigkeit in Ehesachen unter besonderer Berücksichtigung der EG-Verordnungen Brüssel II und Brüssel IIa, FPR 2004, 286. Zur EuErbVO: S. Weber, Das internationale Zivilprozessrecht erbrechtlicher Streitigkeiten, 2012, S. 262 ff. b) Allgemein: A. Bäumer, Die ausländische Rechtshängigkeit und ihre Auswirkungen auf das internationale Zivilprozessrecht, 1999; A. Buschmann, Rechtshängigkeit im Ausland als Verfahrenshindernis, 1996; M. Dogauchi, Parallele Verfahren in Japan und den USA, in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilprozessrechts, 1994, S. 163; Ch. Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozess, 1996; U. Fritze, Doppelte Rechtshängigkeit in USA und Deutschland, FS Vieregge, 1995, S. 241; E. Gampp, Perpetuatio fori internationalis im Zivilprozess und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 2010; H. Gaudemet-Tallon, La litispendance internationale dans la jurisprudence française, Mélanges à Holleaux, 1990, S. 121; R. Geimer, English Substituted Service and the Race to the Courthouses, FS Schütze, 1999, S. 205; R. Geimer, Entscheidungsharmonie in Europa per Entscheidungsstop, IPRax 2001, 191; Ph.-Ch. Goltz/I. Janert, Die gerichtliche Zuständigkeit gem. Art. 27 EuGVVO bei Klageerhebung in zwei EU-Staaten, MDR 2014, 125; P. Grolimund, Human rights and jurisdiction: general observations and impact on the doctrines of forum non conveniens and forum conveniens, EurJLawReform 4 (2002), 87; U. Haas, Rechtshängigkeitssperre und Sachzusammenhang, FS Ishikawa, 2001, S. 165; W. Habscheid, Zur Berücksichtigung der Rechtshängigkeit eines ausländischen Verfahrens, RabelsZ 1967, 254; W. Habscheid, Bemerkungen zur Rechtshängigkeitsproblematik im Verhältnis der BRD und der Schweiz einerseits und den USA andererseits, FS Zweigert, 1981, S. 109; T. Hartley, The modern approach to private international law, (Ch. IX Conflicts of jurisdiction), RdC 319 (2006), 9, 142 ff.; W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, S. 112 ff.; B. Heiderhoff, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehescheidungsverfahren, 1998; A. Jaksic, Die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehesachen, ZfRV 2001, 161 (Jugoslawien); E. Kaiser/M. Prager, Rechtshängigkeit im Ausland nach ausländischem Prozessrecht?, RIW 1983, 667; K. Kerameus, Rechtsvergleichende Bemerkungen zur internationalen Rechtshängigkeit, FS Schwab, 1990, S. 257; T. Kono, Internationale Rechtshängigkeit durch japanische Schlichtungsverfahren?, IPRax 1990, 93; Krusche, Entgegenstehende ausländische Rechtshängigkeit prozessuale Nachteile für deutsche Kläger, MDR 2000, 677; P. Lagarde, Perpetuatio fori et litispendance en matière internationale, Mélanges à Holleaux, 1990, S. 237; D. Leipold, Internationale Rechtshängigkeit, Streitgegenstand und Rechtsschutzinteresse, GS Arens 1993, S. 227; D. Leipold, Vom nationalen zum europäischen Zivilprozessrecht, Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Urteilskollision, in Kroeschell/ Cordes, Vom nationalen zum transnationalen Recht, 1995, S. 67; H. Linke, Anderweitige Rechtshängigkeit im Ausland und inländischer Justizgewährungsanspruch, IPRax 1994, 17; A. Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009; H.-P. Mansel, Inländische Rechtshängigkeitssperre durch ausländische Streitverkündungen, IPRax 1990, 214; C. McLachlan, Lis pendens in International Litigation, RdC 336 (2009); C. F. Nordmeier, Die Bedeutung des anwendbaren Rechts für die Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO, ZZP 124 (2011), 95; E. P. Nygh, Forum Non Conveniens and Lis Alibi Pendens: the Australian Experience, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 511; S. Otto, Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007; G. Pfennig, Zur Vorwirkung bei „Demnächst“-Zustellungen ins Ausland, NJW 1989, 2172; Ph. Reuß, Internationale Rechtshängigkeit im Zivilprozess, JURA 2009, 1; P. Schlosser, Jurisdiction and international judicial and administrative co-operation, RdC 284 (2000), 53 ff.; R. Schütze, Die Wirkungen ausländischer Rechtshängigkeit im inländischen Verfahren, ZZP 104 (1991), 136; N. Schulte, Die anderweitige (ausländische) Rechtshängigkeit im US-amerikanischen Zivilprozessrecht, 2001; E. Schumann, Internationale Rechtshängigkeit (Streitanhängigkeit), FS Kralik, 1986, S. 301; L. E. Teitz, Taking Multiple Bites of the Apple: A
435
§ 6 Rz. 6.200 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug proposal to resolve Conflicts of jurisdiction and multiple proceedings, Intern. Lawyer 26 (1992), 21; N. Trocker, Declining Jurisdiction in civil and commercial matters: lis pendens and forum non conveniens, in Italian National Reports to the XIVth Intern. Congress of Comparative Law, 1994, S. 177; L. Tichý, Die Verhinderung von Rechtsmissbrauch im Prozess am Beispiel der Brüssel I-Verordnung, FS Martiny, 2014, S. 851; I. Vedie, Arthur T. von Mehren und das internationale Zivilverfahrensrecht im transatlantischen dialog, 2017, S. 201; O. Vogel, Rechtshängigkeit und materielle Rechtskraft im internationalen Verhältnis, SchweizJZ 1990, 77; G. Walter, Lis alibi pendens und forum non conveniens: Von der Konfrontation über die Koordination zur Kooperation, FS Schumann, 2001, S. 559; Widmer/Maurenbrecher, What’s Negative about Negative Declarations?, Liber amicorum Th. Bär und R. Karrer, 1997, S. 263; M. Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994. – Leuven/London Principles on Declining and Referring Jurisdiction in Civil and Commercial Matters, International Law Association, Report of the 69th Conference London 2000, 13–18.
2. Rechtshängigkeit nach europäischem Recht a) Zivil- und Handelssachen
6.201 (1) Verfahren in anderem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat. Im europäischen Bereich ist die ausländische Rechtshängigkeit nach Maßgabe der Art. 29 ff. EuGVO n.F. (Art. 27 ff. EuGVO a.F./LugÜ) zu beachten. Art. 29 I EuGVO n.F. (Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ) sieht vor, dass die Klage in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs stets eine zweite Klage sperrt. Es gilt ein striktes Prioritätsprinzip.208 Da die EuGVO bzw. das LugÜ die Anerkennung des späteren Urteils generell sicherstellen, kommt es auf die internationale Zuständigkeit des ersten Gerichts nicht an, auch ist eine Prüfung der Anerkennungsprognose entbehrlich.209 Anders ist es allerdings, wenn der Staat des zuerst angerufenen Gerichts zur Zeit der Anrufung noch nicht Mitgliedstaat der EU war. In diesem Fall gilt Art. 29 EuGVO n.F. nur, wenn die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts auf mit der EuGVO sachlich übereinstimmenden Regeln beruht.210 Irrelevant ist immer, in welchem Staat die Parteien ihren Wohnsitz haben.211 Nach Art. 29 I EuGVO n.F. (Art. 27 I EuGVO a.F./LugÜ) setzt das spätere angerufene Gericht sein Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald diese feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht für unzuständig und weist die Klage ab (Art. 29 III EuGVO n.F. bzw. Art. 27 II EuGVO a.F./LugÜ). Durch die Zuständigkeitserklärung des Erstgerichts erledigt sich das zweite Verfahren nicht, vielmehr steht nun fest, dass dieses von Anfang an unzu-
208 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Rauscher/Leible, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 1; Th. Simons, unalex Kommentar, vor Artt. 27–30 Rz. 5; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.720. 209 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, 1998, S. 403 f.; R. Geimer, IPRax 2001, 191, 192; B. Piltz, NJW 2002, 789, 790; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.742 ff., 3.746; Wagner in Stein/Jonas, Art. 27 Rz. 44. 210 EuGH – C-163/95, EuGHE 1997, I-5451 – von Horn, IPRax 1999, 100 (dazu Th. Rauscher, S. 80). 211 EuGHE 1991, I-3317 (Overseas Union v New Hampshire Insurance).
436
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.204 § 6
lässig war.212 Sofern nicht eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 im Spiel ist, steht die Zuständigkeit fest, wenn sich das Gericht nicht von Amts wegen für unzuständig erklärt und keine Partei die Zuständigkeit nach nationalem Prozessrecht gerügt hat.213 Verneint das zuerst angerufene Gericht dagegen seine Zuständigkeit, ist das zweite Verfahren sachlich fortzusetzen. Art. 29 I EuGVO n.F. gilt nicht analog bei einer Konkurrenz mit einer nicht unter die Brüssel Ia-VO fallenden Klage.214 Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ bezieht sich nur auf anhängige Erkenntnisverfahren, nicht auf Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ,215 die die Neufassung der EuGVO nicht mehr kennt.
6.202
Das Gericht darf ein bei ihm anhängiges Verfahren nicht nach forum non conveniens-Überlegungen an Gerichte eines anderen Staats „abgeben“ (s. Rz. 3.24).
6.203
Die Pflicht zur Beachtung der Rechtshängigkeit bestand nach der Brüssel I-VO auch, wenn das später angerufene Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich zuständig ist und das Verfahren in dem zuerst angerufenen Staat unvertretbar lange dauert.216 Ob der Vorrang des zuerst angerufenen Gerichts auch gilt, wenn das Zweitgericht für sich eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 EuGVO n.F. in Anspruch nimmt, hat der EuGH zunächst offen gelassen.217 Durch Urteil v. 3.4.2014 hat er dann entschieden, dass das Zweitgericht prüfen muss, ob es selbst ausschließlich zuständig ist, so dass die Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts nicht anerkannt werden könnte.218 Das bedeutet, dass das später angerufene, aber nach Art. 24 EuGVO n.F. ausschließlich zuständige Gericht sein Verfahren nicht zugunsten des zuerst angerufenen, nicht ausschließlich zuständigen Gerichts aussetzen darf.219 Die überlange Verfahrensdauer ist aber auch nach der Brüssel IaVO kein Grund, die Rechtshängigkeit nicht zu beachten.220
6.204
212 BGH, MDR 2018, 691 u. 723 (W. Hau). 213 EuGH v. 27.2.2014 – C-1/13, Cartier parfums – lunettes v Axa assurances, EWS 2014, 95 = BB 2014, 577 = RIW 2014, 302. 214 EuGH – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 – Riel (Rz. 41 ff.), NZI 2019, 861, 863. 215 Zu Art. 31 ff. EuGVÜ: EuGHE 1994, I-117 (Owens Bank v Bracco) = IPRax 1995, 240 (dazu P. Kaye, S. 214). 216 EuGHE 2003, I-14693 (Gasser v MISAT) = IPRax 2004, 243 (dazu H. Grothe, S. 205) = ZZPInt 2003, 510 (K. Otte); J P Morgan Europe v Primacom, English High Court, [2006] I.L.Pr. 238; vgl. Th. Schilling, IPRax 2004, 294; T. Hartley, in Mélanges Paul Lagarde, S. 383, 387 ff.; Ch. Thiele, RIW 2004, 285; krit. Magnus/Mankowski/Fentiman, 1st ed., Introduction to Arts. 27–30 Rz. 15 ff., 31 ff. 217 Vgl. EuGHE 1991, I-3317 (Overseas Union v New Hampshire Insurance) = NJW 1992, 3221 = IPRax 1993, 34 (dazu Th. Rauscher/U. Gutknecht, S. 21). 218 EuGH – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 – Weber v Weber, NJW 2014, 1871 =IPRax 2015, 150 (dazu C. F. Nordmeier, S. 120). 219 BGH, RIW 2014, 690 = IPRax 2015, 347 (dazu Ch. Kern, S. 318). 220 Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.747 ff.; Rauscher/Leible, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff.
437
§ 6 Rz. 6.205 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.205 Der Begriff „derselbe Anspruch“ ist autonom auszulegen;221 der EuGH geht also von einem besonderen „europäischen Streitgegenstand“ aus.222 In Gubisch/Palumbo hat er entschieden: Der Begriff der Rechtshängigkeit i.S.v. Art. 21 EuGVÜ umfasst den Fall, dass eine Partei vor dem Gericht eines Vertragsstaats die Feststellung der Unwirksamkeit oder die Auflösung eines internationalen Kaufvertrags begehrt, während eine Klage der anderen Partei auf Erfüllung desselben Vertrags vor dem Gericht eines anderen Staats anhängig ist.“223 Das Gleiche gilt, wenn mit der zweiten Klage Rückgewähr erbrachter Leistungen wegen Unwirksamkeit des Vertrags geltend gemacht wird224 (sog. Kernpunkttheorie).225 Entscheidend ist also nicht die Identität des Antrags, sondern der gemeinsame Zweck der Klagen.226 Bei dieser Auslegung sind nur das Vorbringen des Klägers, nicht auch die Einwendungen des Beklagten zu berücksichtigen.227 Diese Lehre hat auch für Art. 29 EuGVO n.F. (Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ) Gültigkeit. Auf die Verfahrensart kommt es ebenfalls nicht an. Wird ein Schadenersatzanspruch zuerst im Adhäsionsverfahren geltend gemacht, so ist dessen Vorrang zu beachten.228 6.206 Auf dieser Linie liegt es, dass eine negative Feststellungsklage (sog. Torpedoklage) – anders als nach autonomem deutschem Recht – eine spätere Leistungsklage (vor einem anderen Gericht) sperrt.229 (Eine Abwehr durch Antrag auf Unterlassungsver-
221 BGHZ 196, 180 (Rz. 15) = RIW 2013, 387; Rauscher/Leible, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 13 ff.; Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 29 Rz. 9 f.; Kropholler/v. Hein, Art. 27 Rz. 3; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 400. 222 Ch. Wolf, EuZW 1995, 365, 367; P. Gottwald, Symposium Schwab, S. 85, 86 ff.; Th. Simons, unalex Kommentar, Art. 27 Rz. 30 ff. 223 EuGHE 1987, 4861 (Gubisch v Palumbo) = NJW 1989, 665 = IPRax 1989, 157 (dazu H. Schack, S. 140). 224 BGH, EWS 1995, 169, 170 = EuZW 1995, 378 (m. Anm. R. Geimer) = IPRax 1996, 192 (dazu W. Hau, S. 177). 225 BGH, MDR 2013, 1480; OLG Köln, RIW 2004, 627, 628; vgl. Rauscher/Leible, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 15 ff.; Wieczorek/Schütze/Weller, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 9 ff.; P. Gottwald, Symposium Schwab, S. 85, 86 ff.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 405 ff.; H. Prütting, GS Lüderitz, S. 623; Geimer/Schütze, Art. 27 Rz. 29 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 27 Rz. 22 ff.; B. Hess, EuZPR, § 6 Rz. 156 ff.; A. Zeuner, FS Bydlinski, S. 495, 507 ff. 226 Vgl. OGH, IPRax 2011, 277, 279 (krit. B. Heiderhoff, S. 288). 227 EuGH – C-111/01, ECLI:EU:C:2003:257 (Rz. 26), NJW 2003, 2596; OLG Dresden, IHR 2015, 230 (Rz. 27). 228 BGHZ 196, 180 (Rz. 11 f.) = RIW 2013, 387. 229 EuGHE 1994, I, 5439 (Tatry v Maciej Rataj) = JZ 1995, 616 (dazu P. Huber, S. 603 u Ch. Wolf, EuZW 1995, 365; H. Schack, IPRax 1996, 80); Messier-Dowty Ltd. v Sabena S.A. [2001] I.L.Pr. 38 (English C.A.); OLG Hamm, IPRax 1995, 104 (dazu H. Rüßmann, S. 76, 78 ff.; zust. W. Hau, S. 137); BGH, ZIP 2002, 725; krit. R. Geimer, IZPR, Rz. 2694a ff.; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 29 Rz. 4c; Magnus/Mankowski/Fentiman, Introduction to Arts. 29–30 Rz. 19 f.; Th. Simons, unalex Kommentar, vor Artt. 27–30 Rz. 22 ff.; T. Hartley, Mélanges Paul Lagarde, 2005, S. 383, 387; T. Hartley, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 73; vgl. zu rechtspolit. Lösungsmöglichkeiten F. Sander/St. Breßler, ZZP 122 (2009), 157.
438
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.210 § 6
fügung ist nicht zulässig.)230 Wechselseitige Klagen auf Aufhebung desselben Vertrags und Schadenersatz haben ebenfalls „denselben Anspruch“.231 Ein Hilfsantrag wird sogleich mit Einreichung der Hauptklage rechtshängig.232 Nach Ansicht des EuGH gilt dies trotz Art. 71 EuGVO auch, wenn beide Verfahren unter die CMR fallen, die die Konkurrenz in Art. 31 II CMR selbst regelt.233 Zusätzlich muss in beiden Verfahren Parteiidentität bestehen. Dem Fall der Parteiidentität stellt der EuGH den gleich, bei dem die Rechtskraft der Entscheidung in dem einen Verfahren Rechtskraft gegenüber einem Dritten erlangt, der in dem zweiten Verfahren Partei ist.234 In diesem Fall sind etwa Versicherer und Versicherungsnehmer mit parallelen Interessen im Rahmen von Art. 29 EuGVO n.F. als ein und dieselbe Partei anzusehen. Soweit es solche identische Interessen nicht gibt, fehlt es dagegen an der erforderlichen „Parteiidentität. Sie fehlt etwa, wenn sich Unfallbeteiligte wechselseitig in verschiedenen Mitgliedstaaten auf Schadenersatz verklagen.235
6.207
Der EuGH hat die Kernpunkttheorie entwickelt, um den Erlass einander widersprechender Entscheidungen in verschiedenen Mitgliedstaaten soweit wie möglich (Art 34 Nr. 3, 4 EuGVO a.F./LugÜ) zu verhindern. Aus der Kernpunkttheorie folgt eine Konzentrationslast für alle Verfahren, die in Sachzusammenhang stehen, bei dem zuerst angerufenen Gericht. Für Rechtshängigkeit und Rechtskraft gilt danach im europäischen Bereich jeweils ein anderer Streitgegenstand.
6.208
Trotz der Kritik hieran wegen der langen Verfahrensdauer in manchen Mitgliedstaaten hat der EuGH an dieser Lehre festgehalten. Die Sperrwirkung entfällt auch nicht bei überlanger Verfahrensdauer.236
6.209
Art. 29 EuGVO n.F. (Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ) greift ein, unabhängig davon, ob die Parteien in beiden Verfahren in gleicher oder wechselnder Parteirolle auftreten.237 Die Regelung ist auch anwendbar, wenn die Rechtshängigkeit nicht durch Klage, sondern durch Interventionsklage oder durch Streitverkündung nach der jeweiligen lex fori eingetreten ist.238 Ein Hilfsantrag wird bereits mit dem Hauptantrag und nicht erst mit Bedingungseintritt rechtshängig.239 Art. 29 I EuGVO n.F. ist auch
6.210
230 Vgl. Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.752 ff.; I. Carl, Einstweiliger Rechtsschutz bei Torpedoklagen, 2007. 231 OLG München, RIW 2000, 712, 713 f. 232 OLG Köln, RIW 2004, 627, 629. 233 EuGH – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 – Nipponkoa Insurance (Rz. 42 ff.), EuZW 2014, 220 (J. Antomo). 234 EuGHE 1998, I-3075 (Drouot v CMI) = EuZW 1998, 443; vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 17. 235 BGHZ 196, 180 (Rz. 19 f.) = MDR 2013, 869. 236 EuGHE 2003, I-14693 (Gasser v MISAT) = IPRax 2004, 243 (dazu H. Grothe, S. 205) = ZZPInt 2003, 510 (K. Otte); dazu auch M.-R. McGuire, GPR 2003/04, 159; a.A. (arg. Art 6 EMRK) Rauscher/Leible, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 36. 237 BGH, EWS 1995, 169, 170 = EuZW 1995, 378. 238 Vgl. H.-P. Mansel, IPRax 1990, 214, 215. 239 Vgl. Vorlagebeschluss OLG Düsseldorf, ILPr [2002], 35.
439
§ 6 Rz. 6.210 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
anzuwenden, wenn zwei CMR-Verfahren miteinander konkurrieren.240 Keine Rechtshängigkeit entsteht dagegen durch Errichtung eines seerechtlichen Haftungsbeschränkungsfonds.241
6.211 Keine Rechtshängigkeitswirkung hat der Antrag auf Eröffnung eines selbständigen Beweisverfahrens.242 Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen für die Hauptsache. Die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens beschneidet umgekehrt nicht die Zulässigkeit von Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz in anderen Mitgliedstaaten.243 6.212 Auch Einwendungen gegen eine Klage, insb. die Erhebung der Aufrechnungseinrede, führen nicht zur Rechtshängigkeit der erhobenen Einwendung.244 6.213 (2) Kompetenz-Kompetenz des ausschließlich vereinbarten Gerichts. An der Rechtsprechung des EuGH, dass das Prioritätsprinzip stets zu beachten ist, hat sich vor allem Kritik entzündet, wenn der Kläger ein Gericht unter Missachtung einer ausschließlichen Gerichtsstandvereinbarung angerufen hat und auf diese Weise die sachliche Erledigung des Rechtsstreits vor dem eigentlich zuständigen Gericht erheblich verzögert wird. Dieser Kritik trägt die Reform der EuGVO (im Anschluss an das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005) Rechnung.245 Nach Art. 31 II EuGVO n.F. hat das ausschließlich vereinbarte Gericht eine (vorrangige) Kompetenz-Kompetenz. Jedes andere später angerufene Gericht muss sein Verfahren aussetzen, bis das vereinbarte Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hat (Erwägungsgrund 22 EuGVO n.F.). Nur wenn das vereinbarte Gericht seine eigene Zuständigkeit verneint, darf ein anderes angerufenes Gericht sein Verfahren fortsetzen. Bejaht das im Vertrag vereinbarte Gericht seine Kompetenz, hat sich jedes andere Gericht für unzuständig zu erklären (Art 31 III EuGVO n.F.).246 6.214 Diese Kompetenz-Kompetenz besteht lediglich dann nicht, wenn die Parteien widersprüchliche ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen haben (Erwägungsgrund 22 (2) EuGVO n.F.).247 Sie ist auch entbehrlich, wenn das ausschließlich 240 BGH, MDR 2019, 1524, 1525 (Rz. 29). 241 EuGHE 2004, I-14693 (Maersk v de Haan) = Rev crit 2005, 118 (E. Pataut), IPRax 2006, 262 (dazu F. Smeele, S. 229); s. auch BGH, ZIP 2013, 848. 242 EuGH, C-29/16, ECLI:EU:C:2017:343 – Hanse Yachts (Rz. 35 f.), IPRax 2017, 602 (dazu P. Schlosser, S. 551). 243 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 16; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.718, 3.729; Kropholler/v. Hein, Art 27 Rz. 14. 244 EuGHE 2003, I-4207 (Gantner v Basch) = IPRax 2003, 443 (dazu K. Reischl, S. 426) = ZZPInt 2003, 499 (W. Hau); Rauscher/Leible, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 22; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 8. 245 Vgl. K. Weitz, FS Klamaris, Bd. 2 2016, S. 941; krit. Th. Simons, unalex Kommentar, vor Artt. 27–30 Rz. 46 ff., 73. 246 Vgl. Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO, Art. 31 Rz. 6 ff.; P. Mankowski, RIW 2015, 17. 247 Da eine spätere Vereinbarung eine frühere abändert, ist dies wohl nicht wörtlich zu nehmen. Die Ausnahme sollte greifen, wenn die Vereinbarung unterschiedlicher Gerichtsstände ernsthaft in Betracht kommt.
440
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.216 § 6
vereinbarte Gericht zuerst angerufen wird (Erwägungsgrund 22 [2] EuGVO n.F.). Nach Ansicht der Literatur soll der Vorrang auch entfallen, wenn die (behauptete) Gerichtsstandvereinbarung „offensichtlich unwirksam und ineffektiv“ ist. Wann dies der Fall ist, bedarf freilich der Präzision. Vorgeschlagen wird, dem anderen Gericht nur die Prüfung zu erlauben (1) ob die Vereinbarung formal Art. 25 (1) EuGVO n.F. genügt, (2) Art. 25 (4) EuGVO n.F. nicht widerspricht und (3) ob die Streitigkeit Bezug zu der Vereinbarung hat. Ist dies der Fall, muss die endgültige Entscheidung über die Wirksamkeit dem vereinbarten Gericht überlassen werden.248 (3) Soweit national begrenzte Rechte zum gleichen Schutzgegenstand in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten geltend gemacht werden, ist eine Anwendung von Art. 29 EuGVO n.F. nicht möglich, wohl aber eine Aussetzung späterer Verfahren nach Art. 30 EuGVO n.F., da die Verfahren sachlich „im Zusammenhang“ stehen.249 Das LugÜ 2007 kennt keine Art. 31 II EuGVO n.F. entsprechende Regel, so dass es insoweit beim strikten Prioritätsprinzip bleiben müsste. Allerdings wird die Ansicht vertreten, Art. 29 LugÜ sei im Sinne eines Gleichklangs wie Art. 31 II EuGVO n.F. auszulegen.250
6.215
(3) Zeitpunkt der Rechtshängigkeit. Zu Art. 21 EuGVÜ hatte der EuGH entschieden, dass maßgeblicher Zeitpunkt der Rechtshängigkeit erst die „endgültige“ Rechtshängigkeit nach dem jeweiligen nationalen Prozessrecht ist,251 diese in Deutschland also erst mit Zustellung der Klage an den Beklagten (§ 253 I ZPO) eintritt. Wegen der Schwierigkeiten einer Auslandszustellung eröffnete sich dem Beklagten damit die Möglichkeit, die zuerst eingereichte Klage (von der er formlos Kenntnis hatte) durch Klageerhebung in einem anderen Vertragsstaat, dessen Prozessrecht auf die Einreichung bei Gericht abstellt, zu „überholen“. Diesem ggf. missbräuchlichen „race to the court house“ (forum shopping) hat Art. 30 EuGVO a.F./LugÜ, jetzt Art. 32 EuGVO n.F. ein Ende bereitet.252 Danach gilt das Gericht einheitlich bereits als angerufen (1) mit Einreichung der Klage bei Gericht, oder (2) mit Einreichung bei der für die Zustellung an den Beklagten zuständigen Stelle, wenn die Klage erst nach der Zustellung bei Gericht einzureichen ist. In beiden Fällen ist weitere Voraussetzung, dass der Kläger alle ihm obliegenden Maßnahmen trifft, damit die „endgültige Rechtshängigkeit“ herbeigeführt werden kann. Dazu gehört etwa die richtige und vollständige Angabe der Anschrift des Beklagten. Soll an einen Vertreter des Beklagten zugestellt werden, muss dieser Empfangsvollmacht besitzen, zumindest das Vertrauen auf diese Empfangsvollmacht geschützt sein.253 Wird eine Klage im Adhäsi-
6.216
248 L. Penasa, The conditions of the „Kompetenz-Kompetenz“ of the „chosen“ court, Int’l Lis 1 (2011/12), 8. 249 A. Becker, Verfahrenskoordination bei transnationalen Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten, 2016, S. 178 ff. 250 Rauscher/Leible, (2016) Art. 31 Brüssel Ia-VO Rz. 20; F. Ries, RIW 2019, 32, 35. 251 EuGHE 1984, 2397 (Zelger v Salinitri) = NJW 1984, 2759. 252 Vgl. Rauscher/Leible, Art. 32 Brüssel Ia-VO Rz. 1 ff.; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.734 ff.; A. Markus, SZW 1999, 205, 214 ff. 253 BGHZ 212, 1 = ZIP 2016, 2496 = NJW 2017, 564; dazu Ch. Kern/Ch. Uhlmann, IPRax 2020, 12.
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§ 6 Rz. 6.216 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
onsverfahren bei einem Strafgericht eingereicht, so tritt sogleich Rechtshängigkeit ein, auch wenn die strafrechtliche Voruntersuchung bei Einreichung der Klage noch nicht abgeschlossen ist und die Klage nicht sogleich zugestellt werden muss.254
6.217 Soweit dem streitigen Verfahren nach nationalem Recht zwingend ein Schlichtungsoder Versöhnungsverfahren vorausgeht, treten die Rechtshängigkeitswirkungen bereits mit der Einleitung dieses Vorverfahrens ein.255 6.218 (4) Aussetzung und Verbindung konnexer Klagen. Art. 30 EuGVO n.F. (Art. 28 EuGVO a.F./LugÜ) eröffnen die Möglichkeit der Aussetzung konnexer Klagen und deren Verbindung, wenn dies nach dem Recht des zuerst angerufenen Gerichts zulässig ist.256 Das zweite Gericht kann sein Verfahren nach seinem Ermessen257 aussetzen (Art. 30 I EuGVO n.F.; Art. 28 I EuGVO a.F./LugÜ;) und sich für unzuständig erklären (Art. 30 II EuGVO n.F.; Art. 28 II EuGVO a.F./LugÜ). Voraussetzung für letzteres ist, dass das konkrete zuerst angerufene Gericht zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig ist. Art. 30 EuGVO n.F. (Art. 28 EuGVO a.F./LugÜ) enthält aber keine Regelung der internationalen Zuständigkeit.258
6.219 Außerdem muss ein (autonom zu bestimmender) Sachzusammenhang zwischen beiden Verfahren bestehen, der eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung als geboten erscheinen lässt, weil sonst die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen entsteht259 (Art. 30 III EuGVO n.F.; Art. 28 III EuGVO/LugÜ). Die Verfahren müssen nicht denselben Anspruch und nicht dieselben Parteien betreffen.260 Abzuwägen sind etwa der Grad des Zusammenhangs, die Gefahr widersprechender Entscheidungen, die Parteiinteressen, die Prozessökonomie, Stand und Dauer beider Verfahren, Sach- und Beweisnähe der Gerichte und die Zuständigkeit des Erstgerichts.261 Ein Zusammenhang besteht etwa, wenn Kaufpreisansprüche aus Warenlieferungen geltend gemacht werden, denen Sachmängelansprüche gegenüberste-
254 EuGH – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 – Aannemingsbedrijf Aertssen (Rz. 37 ff., 52), IPRax 2019, 147 (dazu Ch. Kohler, S. 120). 255 EuGH – C-467/16, ECLI:EU:C:2017:993 – Schlöpp v Landratsamt Schwäbisch Hall, FamRZ 2018, 286; dazu D. Vollmer, JM 2018, 266; W. Hau, ZEuP 2019, 384. 256 Vgl. Jose Cardoso de Pina v Ms „Birka“ Beutler Schifffahrts KG, [1994] ILPr 694 (High Court, Q.B.); Rauscher/Leible, Art. 30 Brüssel Ia-VO Rz. 5 ff.; Wieczorek/Schütze/Weller, Art. 30 Brüssel Ia-VO Rz. 3 ff., 6 ff. 257 BGHZ 196, 180 (Rz. 24) = RIW 2013, 387; OLG Frankfurt, IPRax 2001, 227 (dazu R. Geimer, S. 191). 258 Cour de Cass., 18.10.1994, [1996] ILPr 133; Cour de Cass. [2001] ILPr 34; Corneloup/ Simons, unalex Kommentar, Art. 28 Rz. 2. 259 Vgl. OLG München, RIW 2002, 66, 68; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 306 ff.; Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO Art. 30 Rz. 3 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 28 Rz. 7 ff.; Corneloup/Simons, unalex Kommentar, Art. 28 Rz. 13 ff. 260 OLG Frankfurt, IPRax 2001, 227 (dazu R. Geimer, S. 191); vgl. Ch. Wolf, EuZW 1995, 365, 366. 261 BGHZ 196, 180 (Rz. 24) = RIW 2013, 387.
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II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.222 § 6
hen.262 Während Art. 8 Nr. 3 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) Widerklagen betrifft, die vor demselben Gericht eines Vertragsstaats erhoben werden, erfasst Art. 30 III EuGVO n.F. (Art. 28 III EuGVO/LugÜ) Klagen, die vor Gerichten von zwei oder mehreren Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten erhoben werden. Der Begriff des Zusammenhangs ist daher in beiden Fällen nicht identisch.263 Nach dem Text von Art. 22 LugÜ 1988 kam eine Aussetzung nur in Betracht, wenn das andere Verfahren ebenfalls in erster Instanz schwebte. Doch hielten die Cour de Cassation und das OLG Stuttgart dieses Erfordernis zu Recht für verfehlt und haben auch ausgesetzt, obwohl Ansprüche erstmals in zweiter Instanz geltend gemacht wurden.264 Art. 30 I EuGVO n.F. (Art. 28 I EuGVO a.F./LugÜ 2007) sieht zu Recht von diesem Erfordernis ab und gestattet eine Aussetzung auch, wenn sich das erste Verfahren bereits in einer höheren Instanz befindet.265 Weil eine Klageerhebung in zweiter Instanz meist ausscheidet und den Parteien keine Instanz genommen werden soll, ist eine Prozessabweisung aber nur zulässig, solange sich das Verfahren des zuerst angerufenen Gerichts noch in erster Instanz befindet (Art. 30 II EuGVO n.F.; Art. 28 II EuGVO a.F./LugÜ).266 Entgegen dem Reformvorschlag der Kommission267 hält Art. 30 II EuGVO n.F. an dieser Lösung fest.
6.220
(5) Verfahren in Drittstaat. Art. 29 EuGVO n.F. (Art. 27 EuGVO a.F./LugÜ) gilt nur im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten der EU bzw. Vertragsstaaten des LugÜ. In den EFTA-Staaten, in denen nur das LugÜ gilt, beurteilt sich die Rechtshängigkeit in einem Drittstaat nicht analog Art. 27 LugÜ, sondern nach dem jeweiligen nationalen Recht.268 Gleiches gilt für den Zeitpunkt, ab dem Rechtshängigkeit eintritt und im Ausland zu beachten ist. Außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Prozessrechts richtet sich dies für jeden Staat nach seiner eigenen lex fori.269
6.221
Die Brüssel Ia-VO (EuGVO n.F.) sieht dagegen gemäß Erwägungsgrund 23 und 24 in den Art. 33, 34 EuGVO n.F. zusätzlich eine flexible Regelung zur Berücksichtigung der Rechtshängigkeit wegen desselben Anspruchs270 zwischen denselben Parteien in einem Drittstaat vor. Ist das Gericht aufgrund des Wohnsitzes des Beklagten (Art. 4) oder nach den Art. 7, 8 oder 9 EuGVO n.F. zuständig,271 so kann es sein Verfahren zugunsten eines Parallelverfahrens in einem Drittstaat (auf Antrag oder von Amts
6.222
262 Cour d’appel Versailles, EWS 1996, 366. Weitere Beispiele bei Corneloup/Simons, unalex Kommentar, Art. 28 Rz. 15 ff.; Rauscher/Leible, Art. 30 Rz. 4; Kropholler/v. Hein, Art. 28 Rz. 5. 263 EuGHE 1995, I-2113 (Hengst Import v Campese) = NJW 1996, 42. 264 OLG Stuttgart, RIW 2000, 954 (dazu R. Schütze/S. Kratzsch, S. 939); abl. OLG München, RIW 2002, 66, 68. 265 H.-W. Micklitz/P. Rott, EuZW 2001, 325, 333; G. Walter, FS Schumann, S. 559, 572 f. 266 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 30 Brüssel Ia-VO Rz. 4; Rauscher/Leible, (2016) Art. 30 Brüssel Ia-VO Rz. 15; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.789. 267 Vgl. Th. Simons, unalex-Kommentar, vor Artt. 27–30 Brüssel I-VO Rz. 71. 268 Krit, aber letztlich doch zust J. Weber, RIW 2009, 620. 269 KG, FamRZ 2016, 836, 837 (R. Geimer). 270 Für Auslegung i.S.d. Kerntheorie des EuGH J. Eicher, S. 116 ff., 128. 271 Vgl. Wieczorek/Schütze/Weller, Brüssel Ia-VO, Art. 34 Rz. 4.
443
§ 6 Rz. 6.222 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
wegen) aussetzen, wenn (1) zu erwarten ist, dass die Drittstaatsentscheidung im Inland anerkannt und vollstreckt werden kann, und (2) die Aussetzung im Interesse einer geordneten Rechtspflege erforderlich ist (Art. 33 I EuGVO n.F.). Sobald im Drittstaat eine anerkennungsfähige und vollstreckbare Entscheidung ergangen ist, wird das Verfahren eingestellt (Art. 33 III EuGVO n.F.). Die Rechtshängigkeit in einem Drittstaat ist nur nach diesen Regeln zu beachten; ein Rückgriff auf das nationale Recht, in Deutschland auf § 261 III ZPO ist insoweit ausgeschlossen.272 Wäre das Gericht nach Art. 24 EuGVO n.F. ausschließlich zuständig und nimmt das Gericht eines Drittstaates eine entsprechende ausschließliche Zuständigkeit in Anspruch, sollte das Verfahren ebenfalls analog Art. 33 EuGVO n.F. ausgesetzt werden.273 Gleiches sollte gelten, wenn das Gericht des Drittstaates aufgrund einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zuständig ist, gleichwohl aber ein Gericht eines EU-Mitgliedstaates angerufen wird.274
6.223 Ob eine Drittstaatentscheidung voraussichtlich anerkannt werden kann, richtet sich gemäß EuGVO n.F. Erwägungsgrund 23 nach dem nationalen Recht des angerufenen Staates, in Deutschland daher nach § 328 I ZPO.275 Wie sonst ist von einer positiven Prognose auszugehen, wenn die Anerkennungszuständigkeit vorliegt und die Gegenseitigkeit verbürgt ist.276 6.224 Ob eine geordnete Rechtspflege die Aussetzung erfordert, ist nach Erwägungsgrund 24 unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dazu gehören Verbindung des Streitgegenstands und/oder der Parteien zu dem Drittstaat, ein fortgeschrittener Stand des ausländischen Verfahrens und die Erwartung, ob im Drittstaat innerhalb angemessener Frist eine Entscheidung erlassen wird. Zu prüfen ist auch, ob das Verfahren im Drittstaat missbräuchlich eingeleitet wurde, z.B. negative Feststellungsklage in einem Staat mit „langsamer“ Justiz oder wenn im Drittstaat Justizverweigerung droht.277 Erfordert die geordnete Rechtspflege die Aussetzung, besteht entgegen dem Wortlaut kein Ermessen, sondern ist auszusetzen.278 6.225 Soweit die internationale Zuständigkeit eines EU-mitgliedstaatlichen Gerichts auf den Art. 14, 18 oder 22 EuGVO n.F. beruht, ist diese Zuständigkeit ausschließlich, so dass eine Aussetzung zugunsten des Verfahrens in einem Drittstaat ausscheidet.279 Eindeutig unbeachtlich ist ein Verfahren im Drittstaat im Anwendungsbereich der ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 24 EuGVO n.F., zumal ein entsprechendes Drittstaaturteil nach Art. 45 I lit. e (ii) EuGVO n.F. nicht anerkannt werden könn272 Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 33 EuGVVO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 33 Brüssel Ia-VO Rz. 1. 273 J. Eicher, S. 234 ff., 240 f. 274 J. Eicher, S. 246, 250 ff. 275 Rauscher/Leible, Art. 33 Brüssel Ia-VO Rz. 9; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 33 Brüssel Ia-VO Rz. 8. 276 J. Eicher, S. 136 ff., 142. 277 Vgl. J. Eicher, S. 161 ff., 166 ff.; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.812. 278 J. Eicher, S. 173 ff.; vgl. Rauscher/Leible, Art. 33 Brüssel Ia-VO Rz. 16. 279 Für Anwendung, wenn die „schwächere“ Partei selbst das Verfahren im Drittstaat eingeleitet hat J. Eicher, S. 105 f.
444
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.228 § 6
te.280 Die Rechtshängigkeit im Drittstaat wird auch nicht bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung oder bei einer Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung berücksichtigt.281 Das inländische Verfahren kann fortgesetzt werden, wenn (1) das Verfahren im Drittstaat ausgesetzt oder eingestellt wird, (2) das dortige Verfahren nicht innerhalb angemessener Zeit abgeschlossen wird, oder (3) die Fortsetzung des eigenen Verfahrens für eine geordnete Rechtspflege erforderlich ist (Art. 33 II EuGVO n.F.).282
6.226
Umgekehrt wird das inländische Verfahren eingestellt, wenn das Verfahren im Drittstaat mit einer Entscheidung abgeschlossen worden ist, die im Inland anerkannt werden kann (Art. 33 III EuGVO n.F.).283 Unter denselben Voraussetzungen kann das inländische Verfahren zugunsten eines Verfahrens in einem Drittstaat ausgesetzt, fortgesetzt oder eingestellt werden, wenn zwar die Verfahren zwar verschiedene Streitgegenstände haben, aber aufgrund des Sachzusammenhangs eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern (Art. 34 EuGVO n.F.). Auch hier ist für die Aussetzung erforderlich, dass (1) wegen des Sachzusammenhangs der Klagen die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht, (2) zu erwarten ist, dass die Entscheidung des Drittstaats anerkannt werden kann und (3) die Aussetzung im Interesse einer geordneten Rechtspflege notwendig ist.284 Hat der Beklagte im Drittstaat mit einer Forderung aufgerechnet, die er dann in einem EU-Mitgliedstaat selbständig einklagt, so ist dieses Zweitverfahren auszusetzen, es sei denn das Gericht des Drittstaates setze sein Verfahren aus, um die Entscheidung über die Aufrechnungsforderung abzuwarten.285
6.227
Das Gericht kann das ausgesetzte Verfahren fortsetzen, wenn (1) die Gefahr widersprechender Entscheidungen nicht mehr wahrscheinlich ist, (2) das Gericht des Drittstaats sein Verfahren ebenfalls ausgesetzt hat, (3) das Verfahren im Drittstaat voraussichtlich nicht innerhalb angemessener Frist abgeschlossen wird, oder (4) die Fortsetzung des Verfahrens im Interesse einer geordneten Rechtspflege erforderlich ist (Art. 34 II EuGVO n.F.). Umgekehrt wird das Verfahren endgültig eingestellt, wenn das Verfahren im Drittstaat mit einer Entscheidung abgeschlossen wurde, die im EU-Mitgliedstaat anerkannt und vollstreckt werden kann (Art. 34 III EuGVO n.F.).
6.228
280 J. Eicher, S. 107. 281 Krit. bei konkurrierender Gerichtsstandsvereinbarung u. bei rügeloser Einlassung J. Eicher, S. 109 f., 112. 282 J. Eicher, S. 178 ff. 283 J. Eicher; S. 188 ff. 284 Vgl. M. Heckel, GPR 2012, 272; J. Eicher, S. 192 ff. 285 J. Eicher, S. 198 ff.
445
§ 6 Rz. 6.229 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
b) Unterhaltssachen
6.229 Nach Art. 9 EuUntVO tritt in Unterhaltssachen Rechtshängigkeit (wie bei Art. 30 EuGVO) bereits mit der Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht oder beim Zusteller ein. Auch in Unterhaltssachen sperrt das erste Verfahren jedes weitere (Art. 12 EuUntVO).286 Wird danach ein zweites Verfahren wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht, so wird dieses Verfahren von Amts wegen ausgesetzt, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald sie feststeht, erklärt sich das zweite Gericht für unzuständig (Art. 12 EuUntVO).287 Es gilt also dieselbe eindeutige Prioritätsregelung wie in Art. 27 EuGVO. Derselbe Anspruch besteht auch bei einer Klage auf Unterhalt und einer Klage auf Feststellung fehlender Unterhaltspflicht. Keine Anspruchsidentität besteht dagegen zwischen Trennungsunterhalt und nachehelichem Unterhalt.288 Nicht geregelt in der VO ist, ob der zweiten (unzulässigen) Klage verjährungshemmende Wirkung zukommt; insoweit gilt die lex causae.289 6.230 Besteht zwischen den verschiedenen (Unterhalts-)verfahren nur ein Sachzusammenhang (etwa bei begrenzter Leistungsfähigkeit zwischen Ehegatten- und Kindesunterhalt oder zwischen Unterhalt und Zugewinnausgleich),290 so kann jedes später angerufene Gericht sein Verfahren aussetzen (Art. 13 I EuUntVO) und ggf. die Klage abweisen, wenn das erste Verfahren noch in erster Instanz anhängig ist, dieses Gericht ebenfalls zuständig ist und eine Verfahrensverbindung möglich ist (Art. 13 II EuUntVO).291 c) Güterrechtsachen
6.231 Die Regelung in Art. 17 EuGüVO292 entspricht Art. 12 EuUntVO. Das später angerufene Gericht hat sein Verfahren auszusetzen, bis das früher angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hat. Zusätzlich sieht Art. 12 II EuGüVO vor, dass das erste Gericht auf Antrag eines anderen angerufenen Gerichts unverzüglich mitteilen muss, wann es angerufen wurde. 6.232 Eine identische Regelung ist in Art. 12 der EuPartVO im Bereich des Güterrechts eingetragener Lebenspartner293 vorgesehen. 6.233 Beide Verordnungen geben in Art. 18 zusätzlich (parallel zu Art. 30 EuGVO n.F., Art. 28 EuGVO a.F./LugÜ bzw. Art. 13 EuUntVO) die Möglichkeit, ein Zweitverfahren wegen Sachzusammenhangs auszusetzen bzw. abzuweisen.294 286 287 288 289 290 291 292 293 294
446
Vgl. Rauscher/Andrae, (2015) Art. 12 EG-UntVO Rz. 2 ff. Rauscher/Andrae, (2015) Art. 12 EG-UntVO Rz. 12 ff. M. Andrae, § 2 Rz. 80 (3); Geimer in Zöller, Art. 12 EuUntVO Rz. 2. Krit. Rauscher/Andrae, (2015) Art. 12 EG-UntVO Rz. 15. Für Einbeziehung auch von Nichtunterhaltsverfahren Rauscher/Andrae, (2015) Art. 13 EG-UntVO Rz. 2. Vgl. Rauscher/Andrae, (2015) Art. 13 EG-UntVO Rz. 11 ff. KOM (2011) 126/2. KOM (2011) 127/2. Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 5.151 ff.; C. Mayer in MünchKomm/ FamFG, EU-EheGüVO Rz. 2 ff., 6 ff.
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.235 § 6
d) Ehe- und Sorgerechtssachen Eine einheitliche europäische Regelung der Rechtshängigkeit besteht hier im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten nach Art. 19 Brüssel IIa-VO (künftig Art. 20 Brüssel IIb-VO).295 Unter mehreren anhängigen Ehetrennungs- und Sorgerechtsverfahren hat danach das erste Verfahren Vorrang. Im Rahmen von Art. 19 Brüssel IIa-VO sperrt ein zuerst eingeleitetes Verfahren jedes weitere, auch wenn es um verschiedene eheliche Ansprüche geht (Art. 19 I Brüssel IIa-VO).296 Auf den Zeitpunkt der Zustellung kommt es nicht an. Das Datum der ersten Einreichung ist aber dann irrelevant, wenn der Antragsteller seine Obliegenheiten (Einzahlung der Gerichtskosten, PKH-Antrag) verletzt hat, so dass sein Antrag nicht oder nur verzögert zugestellt werden konnte.297 Beim Streit um die elterliche Sorge ist Anspruchsidentität erforderlich (Art. 19 II Brüssel IIa-VO) (s. Rz. 6.237).298 Das zweite Gericht hat sein Verfahren zunächst auszusetzen und sich erst dann für unzuständig zu erklären, wenn die Zuständigkeit des ersten Gerichts feststeht (Art. 19 I, II, III 1 Brüssel IIaVO).299 Einer Anerkennungsprognose bedarf es nicht mehr. Art. 19 II Brüssel IIaVO gilt aber nicht, sofern das erste Gericht nur nach Art. 20 Brüssel IIa-VO für den vorläufigen Rechtsschutz zuständig ist, während das zweite Gericht nach den Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständig ist, gleichgültig ob es zu einer einstweiligen oder einer endgültigen Regelung angerufen wird.300 Missachtet das Zweitgericht aber die vorrangige Rechtshängigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat und erlässt eine Sachentscheidung, rechtfertigt dieser Verstoß allein nicht eine Nichtanerkennung der Sachentscheidung.301
6.234
In Übereinstimmung mit Art. 32 EuGVO n.F. wird der Zeitpunkt der (ersten) Rechtshängigkeit einheitlich in Art. 16 Brüssel IIa-VO (künftig: Art. 17 Brüssel IIbVO) festgelegt. Entscheidend ist danach die Anhängigkeit von Klage bzw. Antrag, d.h. je nach Verfahrensrecht die Einreichung bei Gericht oder bei der die Zustellung zu bewirkenden Stelle, sofern der Antragsteller alles getan hat, dass der Antrag bzw. die Klage zugestellt werden kann.302 Die Einleitung eines Sühneverfahrens (in Frankreich requête en divorce) genügt, um Rechtshängigkeit i.S.d. Art. 16, 19 Brüssel IIaVO zu begründen.303 Erledigt sich das Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht, so steht dessen Zuständigkeit auch dann nicht fest, wenn sie im ersten Verfah-
6.235
295 Vgl. St. Pabst, passim; J. Dilger, Rz. 326–361; (zu „Brüssel II“); K. Polyzogopoulos in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen, S. 144 ff.; R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345. 296 Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 4 Rz. 42 ff. 297 M. Andrae, § 2 Rz. 73 (d). 298 Vgl. U. Gruber in NK-BGB, Anh. I zum III. Abschnitt EGBGB, Art. 19 EheVO 2003 Rz. 1 ff., 7 f, 11 f. 299 Vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 2006, 1043. 300 EuGHE 2010, I-11163 (Purrucker v Vallés Pérez) = NJW 2011, 363. 301 EuGH – C-386/17, ECLI:EU:C:2019:24 – Liberato, FamRZ 2019, 1164. 302 Vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 2015, 2063, 2064; J. Dilger, Rz. 341 ff.; U. Gruber, FamRZ 2000, 1129, 1133; R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 346 f. 303 Vgl. Chorley v Chorley, [2005] 1 WLR 1469 (CA); E. Jayme/Ch. Kohler, IPRax 2005, 481, 491; Dilger, Rz. 337.
447
§ 6 Rz. 6.235 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
ren tatsächlich bejaht worden war; nach der Erledigung wird das später angerufene Gericht zum zuerst angerufenen Gericht.304
6.236 Der Rechtshängigkeitseinwand setzt in Ehesachen nicht gleiche Streitgegenstände i.S.d. deutschen Rechts voraus, vielmehr ist nach wohl h.M. die sog. Kernpunkttheorie des EuGH maßgebend.305 Nach Art. 19 I Brüssel IIa-VO sperrt jeder Antrag „auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebands und Ungültigerklärung einer Ehe“ einen weiteren Antrag in einem anderen Mitgliedstaat. Selbst der zuerst in einem Drittstaat eingereichte Ehescheidungsantrag sperrt ein Scheidungsverfahren vor einem deutschen Gericht.306 Einer nach deutschem Recht zulässigen Klage auf Feststellung des Nichtbestehens einer Ehe kommt, da von der Brüssel IIa-VO nicht erfasst, keine Sperrwirkung zu.307 6.237 Bei Streitigkeiten über die elterliche Verantwortung müssen dagegen beide Verfahren „wegen desselben Anspruchs“ anhängig sein. Es muss sich also um dasselbe Kind und um denselben Anspruch handeln. Streitigkeiten um das Sorgerecht und um das Umgangsrecht betreffen nicht denselben Anspruch.308 6.238 Art. 1 Brüssel IIa-VO gilt allerdings nur im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten; im Verhältnis zu Vertragsstaaten des KSÜ ist Art. 13 KSÜ,309 im Verhältnis zu Drittstaaten ist lediglich § 261 III Nr. 1 ZPO (über § 113 I 2 FamFG) anwendbar.310 Insoweit richtet sich auch der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit nach der jeweiligen lex fori. In Deutschland tritt Rechtshängigkeit auch in Ehesachen (trotz § 124 Satz 1 FamFG) erst mit Zustellung des Antrags an den Gegner ein (§ 113 I 2 FamFG i.V.m. §§ 253 I, 261 I ZPO).311 In der Schweiz tritt Rechtshängigkeit dagegen wie nach europäischem Recht bereits mit der Klageeinleitung ein Art. 9 II schweiz. IPRG). Eine spätere Klageeinleitung in der Schweiz kann daher doch zu einer beachtlichen früheren Rechtshängigkeit führen.312 6.239 Die Rechtshängigkeit in einem Drittstaat ist auch in Ehesachen nur beachtlich, wenn die im Ausland ergehende Entscheidung voraussichtlich im Inland anerkannt werden kann.313 Zu beachten ist aber, dass Scheidung und Aufhebung der Ehe nach au304 305 306 307 308 309 310 311 312 313
448
EuGH v.6.10.2015 – C-489/14 – A v B, FamRZ 2015, 3036 (Ch. Althammer). Krit. Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 19 Brüssel IIa-VO Rz. 10 ff. OLG Hamm, NZFam 2017, 211. R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 346; a.A. Gruber in NK-BGB, Art. 1 Rz. 9, Art. 19 Rz. 10. M. Andrae, § 2 Rz. 76 (b); a.A. Rauscher/Rauscher, Brüssel IIa-VO, Art. 19 Rz. 40; Mayr/ Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 4.212. Vgl. M. Andrae, § 9 Rz. 99. OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 1554; KG FamRZ 2016, 836 (R. Geimer, S. 840) = IPRax 2018, 74 (dazu B. Haidmayer, S. 35); vgl. T. Amos/A. Dutta, FamRZ 2014, 444. Keidel/Weber, § 124 FamFG Rz. 5. KG, FamRZ 2016, 836, 837 f.; für Abstellen auf Anhängigkeit R. Geimer, FamRZ 2016, 840, 841; ebenfalls für funktionale Gleichstellung, aber i.S.d. deutschen Rechtshängigkeit H. Schack, IZVR, Rz. 844. KG, FamRZ 2016, 836, 839; Hüßtege in Thomas/Putzo, § 98 FamFG Rz. 5; Geimer in Zöller, § 98 FamFG Rz. 60; vgl. T. Amos/A. Dutta, Europ. Zuständigkeiten in Ehesachen bei drittstaatlicher Rechtshängigkeit, FamRZ 2014, 444.
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.244 § 6
tonomem deutschem Recht (abweichend vom europäischen Recht) unterschiedliche Streitgegenstände bilden.314 Unabhängig von diesem Unterschied ist der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit in Ehe- und Kindschaftssachen aber in allen Instanzen unabhängig von Anträgen der Beteiligten bzw. Verfahrensrügen von Amts wegen zu beachten.315
6.240
Sperrwirkung iS einer Konzentrationslast hat das erste Verfahren, solange es anhängig ist, und zwar auch dann, wenn das Zweitverfahren vor dem Erstgericht noch gar nicht durchgeführt werden kann.316 Die Rechtskraft beurteilt sich weiterhin nach nationalem Recht des Entscheidungsstaats. Nach Abschluss des Erstverfahrens kann also ggf. doch im Zweitstaat geklagt werden.317
6.241
e) Erbrechtssachen In Erbrechtssachen gilt sachlich dieselbe Rechtshängigkeitsregelung wie in allgemeinen Zivilsachen, also das Prioritätsprinzip. Jedes „zweite“ Gericht setzt sein Verfahren zunächst aus (Art. 17 I EuErbVO) und erklärt sich für unzuständig, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht (Art. 17 II EuErbVO). Die Priorität bestimmt sich nach Art. 14 EuErbVO (entsprechend Art. 30 EuGVO/LugÜ) nach dem Zeitpunkt der Einreichung der Klage bei Gericht bzw. bei dem Klagezusteller.
6.242
Konstruktive Schwierigkeiten entstehen freilich im Grenzbereich zwischen Erbrechtssachen und allgemeinen Zivilsachen bei Klagen des Erben auf Herausgabe seines Eigentums und Herausgabeklagen gegen den Erbschaftsbesitzer. Insoweit besteht wohl nach der Kerntheorie des EuGH eine Streitgegenstandsidentität, so dass je nach der Reihenfolge der Klagen entweder Art. 17 I EuErbVO oder Art. 29 EuGVO n.F. anzuwenden ist.318 Um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden, besteht nach Art. 18 EuErbVO (wie nach Art. 28 EuGVO) bei nur im Zusammenhang stehenden Verfahren ein Aussetzungsermessen.
6.243
f) Gemeinschaftsmarken Die Konkurrenz zwischen Klagen wegen der Verletzung einer Gemeinschaftsmarke und einer nationalen Marke regelt Art. 105 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke.319
314 Hüßtege in Thomas/Putzo, § 98 FamFG Rz. 5; a.A. OLG Hamm, FamRZ 2018, 51 (abl. dazu A. Dutta, FamRZ 2018, 131 f.; M. Andrae, IPRax 2018, 243, 244). 315 OLG Hamm, NZFam 2017, 211 (M. Leipold). 316 Krit. Rauscher/Rauscher, (2010) Art. 19 Brüssel IIa-VO Rz. 12. 317 R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 347. 318 Vgl. S. Weber, Das internationale Zivilprozessrecht erbrechtlicher Streitigkeiten, 2012, S. 263 ff. 319 ABl. EG 1994 Nr. L 11/1.
449
6.244
§ 6 Rz. 6.245 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
3. Ausländische Rechtshängigkeit nach autonomem deutschen Recht
6.245 Nach § 261 I ZPO wird die Rechtshängigkeit der Streitsache durch die Erhebung der Klage begründet und hat die Rechtshängigkeit u.a. die Wirkung, dass während ihrer Dauer die Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann. Rechtshängigkeit tritt nach deutschem Recht erst mit Zustellung der Klage ein (§ 253 I ZPO). Für Ehesachen und Familienstreitsachen verweisen § 113 I 2 FamFG und § 124 Satz 2 FamFG auf § 261 ZPO.320 Die sog. Einrede der Rechtshängigkeit ist als negative Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu beachten. 6.246 Das Problem ist, ob eine Klage vor einem ausländischen Gericht im Inland Rechtshängigkeitswirkungen haben kann. Die Frage hängt eng mit der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zusammen. Fehlt es z.B. an der Verbürgung der Gegenseitigkeit zu dem betreffenden Staat, können dessen Urteile in Deutschland mithin nicht anerkannt und vollstreckt werden, kann derselbe Kläger denselben Beklagten wegen desselben Streitgegenstandes zugleich im Ausland und im Inland verklagen. Die ausländische Rechtshängigkeit steht dann einer zweiten Klage im Inland nicht im Wege. Das Ergebnis könnte sein, dass der Beklagte im Inund Ausland zur Leistung verurteilt würde; es lägen mehrere Titel gegen ihn vor. Erst in der Zwangsvollstreckung kann sich der Beklagte damit verteidigen, dass er aufgrund eines der Titel bereits geleistet habe. Zu diesem Ergebnis führen die deutsche Rechtsprechung und die Lehre. 6.247 Nach h.M. ist die Rechtshängigkeit im Ausland von deutschen Gerichten nach § 261 III Nr. 1 ZPO zu beachten, wenn bei identischen Parteien der erste Prozess vor einem ausländischen Gericht schwebt und die Entscheidung dieses Gerichts gem. § 328 ZPO (bzw. §§ 108 f FamFG) in Deutschland anerkannt wird.321 § 261 III Nr. 1 ZPO greift allerdings nur, soweit nicht vorrangig die Rechtshängigkeitsregeln nach den europäischen Verordnungen anwendbar sind.322 6.248 Die Wirkungen der ausländischen Rechtshängigkeit sind schon dann zu berücksichtigen, wenn keine ernstlichen Bedenken gegen die Anerkennung des künftigen ausländischen Urteils bestehen. Dazu ist zu prüfen, ob beide Verfahren den gleichen Streitgegenstand haben,323 das Verfahren im Ausland früher rechtshängig geworden ist, ob die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichts gegeben324 und die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Ist das der Fall, so ist im Wege einer generellen Prognose zu prüfen, ob ausnahmsweise gegenüber dem möglichen ausländischen Pro320 Hilbig-Lugani in MünchKomm/FamFG, § 124 FamFG Rz. 10; Prütting/Helms/Helms, FamFG, § 124 Rz. 3; vgl. T. Amos/A. Dutta, FamRZ 2014, 444. In EU-Fällen gilt aber vorrangig Art. 19 EuEheVO, s. Rz. 6.221 f. 321 BGH, FamRZ 2019, 1535, 1537 (Rz. 24); BGH, FamRZ 1994, 434; 1992, 1058; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, § 98 Rz. 5 f.; Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, § 261 ZPO Rz. 74. 322 Für Vorrang der Art. 33, 34 Brüssel Ia-VO J. Eicher, S. 213 ff. 323 Vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 47. 324 Vgl. W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 169 ff. (zur ausschließlichen Zuständigkeit).
450
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.253 § 6
zessergebnis der „ordre-public-Vorbehalt“ eingreift.325 Danach wird nur eine prima facie-Prüfung hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Urteils vorgenommen, wobei die Voraussetzungen des § 328 I Nr. 3 ZPO, da noch unbekannt, unberücksichtigt bleiben.326 Ist das einleitende Schriftstück der Auslandsklage nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, ist die dortige Rechtshängigkeit unbeachtlich.327 Auch in Scheidungssachen ist die Rechtshängigkeit im Bereich des autonomen Rechts (also in einem Drittstaat) nach allgemeinen Regeln zu beachten (§ 113 I FamFG i.V.m. § 261 III Nr. 1 ZPO).328 Der dabei notwendigen Anerkennungsprognose steht § 107 FamFG nicht entgegen.329 Die Sperrwirkung tritt danach nur zum gleichen Streitgegenstand ein. Ein ausländisches Ehenichtigkeitsverfahren hindert daher nicht ein inländisches Scheidungsverfahren.330
6.249
Beachtlich ist die ausländische Rechtshängigkeit vor einem religiösen Gericht auch dann nicht, wenn das Scheidungsstatut eine Privatscheidung vorsieht, deren Wirksamkeit aber von einer gerichtlichen Bestätigung abhängt.331 Ist aber deutsches Recht Scheidungsstatut, so scheidet die Anerkennung einer Privatscheidung nach IPR aus; die „Rechtshängigkeit“ des Scheidungsverfahrens vor einem religiösen Gericht ist dann irrelevant.332
6.250
Ausnahmsweise kann die Sperrwirkung der ausländischen Rechtshängigkeit gegenüber einem inländischen Scheidungsbegehren entfallen, wenn der deutsche Ehegatte sonst eine unzumutbare Beeinträchtigung seines Rechtsschutzes erleiden würde.333
6.251
Die Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens im Ausland sperrt nicht inländische Regelungen anderer Familiensachen, solange diese nicht selbst im Ausland in anerkennungsfähiger Weise rechtshängig sind.334
6.252
Soweit das FamFG nicht in § 113 auf die ZPO verweist, enthält es für FG-Familiensachen keine Regelung über die Beachtung einer ausländischen Rechtshängigkeit. Diese Lücke ist durch analoge Anwendung von § 261 III Nr. 1 ZPO zu schließen.335
6.252a
Eine weitere Regelung enthält Art. 21 IV UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea v. 30.3.1978.
6.253
325 Vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 2006, 950, 951 f. (Zwang, an „Get-Scheidung“ mitzuwirken). 326 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 99 Rz. 9. 327 AG Landstuhl, FamRZ 1994, 837. 328 BGH, FamRZ 1994, 434; BGH, FamRZ 1992, 1058, 1059; s. Rz. 6.233 ff. 329 BGH, IPRax 1984, 152. 330 OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 47; Zur Sperrwirkung eines ausländischen Verbundverfahrens s. OLG München, IPRax 1992, 174 (dazu H. Linke, S. 159). 331 BGH, FamRZ 2008, 1409 (D. Henrich); anders noch BGH, FamRZ 1994, 434 = IPRax 1995, 111 (dazu D. Henrich, S. 86); vgl. M. Andrae, § 2 Rz. 102. 332 BGH, FamRZ 1994, 434 (Rabbinatsgericht). 333 BGH, IPRax 1984, 152 (krit. G. Luther, S. 141); E. Schumann, IPRax 1986, 14. 334 BGH, NJW 1986, 662. 335 OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 1554.
451
§ 6 Rz. 6.254 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.254 Die ausländische Rechtshängigkeit ist negative Prozessvoraussetzung. Sie ist von Amts wegen und nicht nur auf Einrede zu beachten; sie unterliegt nicht der Parteivereinbarung.336 6.255 Die Sperrwirkung des ausländischen Verfahrens kann nach der Rspr. ausnahmsweise entfallen, wenn die deutsche Partei sonst eine unzumutbare Beeinträchtigung ihres Rechtsschutzes erleiden würde.337 6.256 Gegen die vom deutschen Richter erwartete Prognose wendet sich vor allem Schütze.338 Dabei sieht er durchaus, dass von dem deutschen Richter auch gem. § 606a ZPO a.F. (jetzt § 98 I Nr. 4 FamFG) eine Prognose hinsichtlich der Anerkennung eines deutschen Scheidungsurteils nach dem Heimatrecht der Ehegatten erwartet wird. 6.257 Die negative Feststellungsklage im Ausland sperrt (außerhalb des EuGVO/LugÜ-Bereichs s. Rz. 6.206) nicht eine spätere Leistungsklage im Inland.339 Umgekehrt schließt die negative Feststellungsklage im Inland die nachfolgende Leistungsklage im Ausland (außerhalb des europäischen Prozessrechts) nicht aus.340 Auch eine im Ausland erklärte Prozessaufrechnung schließt eine inländische Leistungsklage aus der Aufrechnungsforderung nicht aus.341 Eine nur bevorstehende Auslandsklage ist unbeachtlich.342
6.258 Natürlich ist es schwierig vorauszusagen, ob eine deutsche Entscheidung im Ausland oder ein ausländisches Urteil im Inland anerkannt werden wird, zumal im Augenblick der Vorhersage in beiden Fällen die Entscheidung noch nicht einmal vorliegt. Andererseits besteht bei der vorherigen Rechtshängigkeit im Ausland ein Bedürfnis, doppelte oder sogar entgegengesetzte Urteile zu vermeiden. Eine bloße Missbrauchskontrolle gegen eine doppelte Prozessführung genügt nicht.343 Solange im betreffenden Ausland keine Entscheidung vorliegt, hat das deutsche Gericht eine abstrakt-generelle Anerkennungsprognose zu stellen.344 Unbeachtlich ist danach die Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens vor einem religiösen Gericht, wenn deutsches Recht Scheidungsstatut ist.345
6.259 Nicht zu beachten ist danach wohl die unfreiwillige Einbeziehung Deutscher in eine class action nach US-Recht. Dagegen besteht kaum ein Anlass, US-Bürgern eine In336 W. Hau, IPRax 1995, 80, 81; a.A. AG Landstuhl, FamRZ 1994, 837. 337 So für ein ausländisches Scheidungsverfahren: BGH, NJW 1983, 1269 = IPRax 1984, 152; krit. G. Luther, S. 141; E. Schumann, IPRax 1986, 14; KG, FamRZ 1995, 1074. 338 NJW 1963, 1486; RabelsZ 1967, 244; MDR 1973, 905. 339 W.-D. Krause-Ablass/B. Bastuck, FS Stiefel, 1987, S. 445, 450. 340 A.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 401 f. 341 W.-D. Krause-Ablass/B. Bastuck, S. 451. 342 W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 168 f. 343 A.A. R. Schütze, ZZP 104 (1991), 136, 149. 344 W. Habscheid, FS Zweigert, 1981, S. 109, 113; W. Hau, IPRax 1995, 80, 81. 345 BGH, FamRZ 1994, 434.
452
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.263 § 6
landsklage gegen einen Deutschen zu ermöglichen, obwohl gegen ihn bereits eine class action in den USA anhängig ist.346 Im Verhältnis zu den Staaten, mit denen keine Staatsverträge bestehen, erweist sich die Barriere der Gegenseitigkeit als erster Prüfstein. Deswegen scheidet bereits eine große Anzahl von Staaten aus. Zweifel hinsichtlich der Verbürgung der Gegenseitigkeit bestehen nur zu einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Staaten. Dabei muss im Zweifel angenommen werden, dass das ausländische Urteil nicht anerkannt werden wird. Soweit die Gegenseitigkeit verbürgt ist, muss geprüft werden, ob das ausländische Gericht unter Zugrundelegung der deutschen Vorschriften international zuständig ist. Im Übrigen sollte es Aufgabe der Partei, die die Einrede der Rechtshängigkeit vor einem ausländischen Gericht erhebt, sein, darzulegen, dass keine Hindernisse bestehen, das ausländische Urteil anzuerkennen. Hierbei muss die grundsätzliche deutsche Haltung, wonach ausländische Entscheidungen anzuerkennen sind, berücksichtigt werden. Die ausländische Rechtshängigkeit kann also nicht unberücksichtigt bleiben.347 Es kann insb. nicht darauf ankommen, dass in anderen Ländern, wie z.B. früher in England und Frankreich, die Einrede der Rechtshängigkeit vor einem ausländischen Gericht nicht berücksichtigt wird.348
6.260
4. Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit
Nach § 261 III Nr. 1 ZPO tritt das Prozesshindernis mit Rechtshängigkeit, nicht bereits mit Anhängigkeit der Klage ein. Erhoben ist eine Klage vor einem deutschen Zivilgericht erst mit Zustellung, § 253 I ZPO. Lediglich materiell-rechtliche Wirkungen werden nach § 167 ZPO bereits an die Einreichung der Klage geknüpft (s. Rz. 6.256). Hilfsansprüche werden mit der Klage vor Eintritt der jeweiligen Bedingung rechtshängig.349
6.261
Nach Art. 31 II CMR ist bereits die Anhängigkeit in einem anderen Vertragsstaat zu beachten.350
6.262
Wann Rechtshängigkeit eintritt, ist von Land zu Land verschieden. England verlangt grds. die Zustellung der „claim form“ an den Beklagten,351 New York „service of a summons“ (CPLR § 304), Österreich die Zustellung an den Beklagten.352 In anderen Staaten tritt die Rechtshängigkeit teilweise früher ein, etwa mit Einreichen einer Klageschrift bei Gericht (z.B. Cal.CCP § 350 „An action is commenced ... when the complaint is filed“). In der Schweiz tritt Rechtshängigkeit bereits mit der Einreichung eines Schlichtungsgesuchs ein (Art. 62 I Schweiz. ZPO von 2008).353 Nach Art. 9 II
6.263
346 347 348 349 350 351
J. Mark, American class action und deutsches Zivilprozessrecht, EuZW 1994, 238, 240 f. OLG Düsseldorf, MDR 1974, 1023. E. Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, S. 454. Zur Stufenklage vgl. BGH, NJW-RR 1995, 513; Greger in Zöller, § 254 ZPO Rz. 1. Fremuth/Thume, Kommentar zum Transportrecht, 2000, Art. 31 CMR Rz. 17. CPR 7.2 u CPR 6.13; vgl. Andrews in Birks, English Private Law, Vol. II, 2000, No. 19.74 ff. 352 Vgl. österr. OGH, IPRax 1999, 386 (dazu B. Heiderhoff, S. 392). 353 EuGH – C-467/16, ECLI:EU:C:2017:993, ZEuP 2019, 384 (W. Hau); Sutter-Somm/Hedinger in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO, 2. Aufl. 2013, Art. 62 Rz. 9 ff.
453
§ 6 Rz. 6.263 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
Schweiz. IPRG 1987 tritt Rechtshängigkeit für die Zwecke des Art. 9 I IPRG ebenfalls bereits mit Einleitung des Sühneverfahrens ein. In Japan wird die Scheidung bereits durch Einleitung des Schlichtungsverfahrens vor dem Familiengericht rechtshängig.354
6.264 Die Frage ist deshalb, ob man zulassen will, dass ein inländisches Verfahren vor der förmlichen Zustellung der Klage bzw. Entscheidungssachen der Antragsschrift an den Gegner durch nachträgliche Einleitung eines ausländischen Parallelverfahrens überholt wird. Diese Situation kann leicht eintreten, weil die inländische Klage formell im Ausland zuzustellen ist, während die parallele ausländische Klage rascher durch fiktive Inlandszustellung rechtshängig wird. Die Frage ist also, ob und inwieweit der inländische Justizgewährungsanspruch geschützt werden kann. Allgemeiner formuliert geht es um die Frage, wie der Begriff Rechtshängigkeit zu qualifizieren ist. 6.265 Eine Reihe von Gerichten hat zum Schutze des deutschen Klägers den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit im Ausland nach der deutschen lex fori bestimmt.355 Freilich kann nur die jeweilige lex fori bestimmen, wann nach ihrer eigenen Regelung ein Prozess rechtshängig wird. Im Anwendungsbereich des autonomen deutschen Rechts ist deshalb der Beginn der ausländischen Rechtshängigkeit nach der ausländischen lex fori zu bestimmen. Dies ist zu Recht die heute hM.356 Streitig ist allein, ob der ausländischen Rechtshängigkeit ohne weiteres Inlandswirkung zukommt oder ob die Inlandswirkung der ausländischen Rechtshängigkeit einer zweioder doppelspurigen Beurteilung unterliegt.357 Danach wäre die ausländische Rechtshängigkeit nicht in jedem Fall zu respektieren, sondern nur soweit dadurch nicht ein zeitlich vorrangig eingeleitetes inländisches Verfahren abgebrochen werden müsste. Die h.M. hat dagegen bisher am internationalen Entscheidungseinklang in diesem Fall festgehalten und eine „Kontrolle“ der ausländischen Rechtshängigkeit aus Billigkeitsgründen abgelehnt.358 6.266 Innerhalb Europas wird das Problem durch Art. 32 EuGVO n.F. (Art. 30 EuGVO a.F./LugÜ) (s. Rz. 6.216), Art. 16 Brüssel IIa-VO (Art. 17 Brüssel IIb-VO) (s. Rz. 6.234 f.), Art. 9 EuUntVO (s. Rz. 6.229), Art. 14 EuGüVO/EuPartVO (s. Rz. 231) sowie Art. 14 EuErbVO (s. Rz. 242) gelöst. Danach gilt das Gericht (je nach anwendbarem Prozessrecht) einheitlich bereits mit Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht oder mit Einreichung bei der für die Zustellung zuständigen Stelle als angerufen, sofern der Kläger die ihm obliegenden Maßnahmen trifft, damit die Klage tatsächlich zugestellt bzw. bei Gericht eingereicht wird.
354 355 356 357
Vgl. T. Kono, IPRax 1990, 93; gegen Anerkennung OLG Stuttgart, IPRax 1990, 113. ZB OLG Köln, RIW 1973, 339. Geimer/Schütze, Bd. I/2, S. 1652 ff.; E. Kaiser/M. Prager, RIW 1983, 667 ff. Hierfür H. Linke, IPRax 1994, 17, 18; bereits IPRax 1982, 229, 230; vgl. M. Andrae, § 2 Rz. 92. 358 BGH, IPRax 1989, 104 = FamRZ 1987, 580 (P. Gottwald) = NJW 1987, 3083 (R. Geimer); KG, IPRax 2018, 74 (dazu B. Haidmayer, S. 35).
454
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.271 § 6
Soweit ein berechtigtes Interesse besteht, kann das zweite Verfahren vor dem deutschen Richter mit Rücksicht auf die Rechtshängigkeit vor dem ausländischen Gericht analog § 148 ZPO ausgesetzt werden.359
6.267
5. Perpetuatio fori Der Grundsatz der perpetuatio fori gem. § 261 III Nr. 2 ZPO gilt auch für die internationale Zuständigkeit,360 und zwar auch innerhalb der EuGVO bzw. des LugÜ.361 Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit lassen daher die einmal begründete Zuständigkeit nicht entfallen. Eine zunächst fehlende Zuständigkeit kann aber nachträglich begründet werden.
6.268
6. Materiell-rechtliche Wirkungen der ausländischen Rechtshängigkeit Welche materiell-rechtlichen Wirkungen die Rechtshängigkeit hat, richtet sich grds. nach dem Sachstatut (vgl. § 262 Satz 1 ZPO).362 Dieses entscheidet also über Verjährungsunterbrechung, eine Haftungsverschärfung oder die Pflicht zur Zahlung von Prozesszinsen. Ist deutsches Recht anwendbar, treten diese Wirkungen auch bei einer Auslandszustellung erst mit Klageerhebung ein (§ 262 Satz 2 ZPO). Die Vorwirkungen des § 167 ZPO (Fristwahrung und Hemmung der Verjährung) bei Demnächst-Zustellungen gelten ebenfalls bei Auslandszustellungen, sofern dabei auftretende Verzögerungen nicht auf einer Nachlässigkeit des Klägers/Antragstellers beruhen.363 Der Kläger muss nicht sogleich eine förmliche Zustellung beantragen, damit die Vorwirkungen erhalten bleiben.364
6.269
Für die Frage, ob die Erhebung einer Klage vor einem ausländischen Gericht die Verjährung hemmt, kommt es zunächst auf das anzuwendende materielle Recht an (s. Art. 12 I lit. d Rom I-VO).365 Der Fall liegt also ähnlich wie bei der Tatbestandswirkung eines ausländischen Urteils hinsichtlich der Verjährung nach § 197 I Nr. 3 BGB (s. Rz. 12.145).
6.270
Ist § 204 I BGB anzuwenden, so hemmt die Erhebung der Klage vor einem ausländischen Gericht die Verjährung dann, wenn das ausländische Urteil generell anzuer-
6.271
359 BGH, NJW 1986, 2195, 2196; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 98 Rz. 6; R. Geimer, IZPR, Rz. 2712, 2724; J. Eicher, S. 223 ff. 360 B. v. Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 70; R. Geimer, IZPR, Rz. 1830 ff., 1838 f.; a.A. J. Damrau, FS Bosch, 1976, S. 103 ff. 361 Kropholler/v. Hein, Vor Art. 2 Rz. 14 f.; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 2 Brüssel I-VO Rz. 4; Schlosser/Hess/Schlosser, Vor Art. 4–35 EuGVVO Rz. 7. 362 BGH, RIW 1999, 456, 457. 363 BGHZ 25, 250, 255 = NJW 1957, 1838; G. Pfennig, NJW 1989, 2172; vgl. C. F. Nordmeier, ZZP 124 (2011), 95 (der die Regel bei materiellen Fristen nur bei Geltung materiellen deutschen Rechts anwenden will). 364 A.A. OLG Schleswig, NJW 1988, 3104. 365 R. Schütze, MDR 1973, 905 u. IZPR, Rz. 414; Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 12 Rom I-VO Rz. 106 ff., 128 ff.
455
§ 6 Rz. 6.271 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
kennen ist.366 Gleiches gilt für die Einleitung eines dem Mahnverfahren vergleichbaren Verfahrens367 oder die Forderungsanmeldung in einem anzuerkennenden ausländischen Insolvenzverfahren.368 Ist das ausländische Urteil voraussichtlich nicht anzuerkennen, so ist § 204 II BGB entsprechend anzuwenden, dem Kläger steht also eine „Nachfrist“ von sechs Monaten zu, um eine Inlandsklage oder ein anerkennungsfähiges Auslandsverfahren einzuleiten.369 7. Internationale Rechtshängigkeit nach bilateralen Verträgen
6.272 Die internationale Rechtshängigkeit wird auch in einigen bilateralen Anerkennungsund Vollstreckungsverträgen besonders geregelt. Zu beachten sind: (1) Art. 15 deutsch-belgisches Abkommen 1958, soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind; (2) Art. 18 I deutsch-griechischer Vertrag 1961, soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind; (3) Art. 22 deutsch-israelischer Vertrag 1977; (4) Art. 11 deutsch-italienisches Abkommen 1936, soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind; (5) Art. 18 I deutsch-niederländischer Vertrag 1962, soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind; (6) Art. 21 I deutsch-norwegischer Vertrag 1977, soweit das LugÜ nicht anwendbar ist; (7) Art. 17 deutsch-österreichischer Vertrag 1959, soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind; (8) Art. 21 I deutsch-spanischer Vertrag 1983, soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind; (9) Art. 44 I deutsch-tunesischer Vertrag 1966. Nach diesen Verträgen ist die zweite Klage zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand unzulässig;370 teilweise ist auch vorgesehen, dass das Gericht 366 So auch RGZ 129, 385, 389; Palandt/Ellenberger, § 204 BGB Rz. 3; Bamberger/Roth/Hau/ Poseck/Spickhoff, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12; vgl. auch M. Ferid, Im Ausland erfüllte Tatbestandsmerkmale inländischer Sachnormen, GRUR-Int. 1973, 472, 477. 367 Verneint für den Zahlungsbefehl nach schweiz. SchKG OLG München, IPRax 2001, 579 (abl. Walter, S. 547). 368 H. Linke, FS Nagel, 1987, S. 209, 216; vgl. auch J. Taupitz, Verjährungsunterbrechung im Inland durch unfreiwillige Beteiligung am fremden Rechtsstreit im Ausland, ZZP 102 (1989), 288. 369 Vgl. OGH Österreich, IPRax 2009, 430 (dazu Ch. Budziekiewicz, ZEuP 2010, 415); D. Looschelders, Die Anpassung im IPR, 1995, S. 301 ff.; Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 12 Rom I-VO Rz. 135, 138; a.A. C. Schulz, Die Subsumtion ausländischer Rechtstatsachen, 1997, S. 160. 370 Ch. Dohm, Einrede ausländischer Rechtshängigkeit, 1996, S. 210.
456
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.276 § 6
das Verfahren in geeigneten Fällen zunächst nur aussetzt. Zusätzlich wird teilweise eine positive Anerkennungsprognose verlangt. Außerdem ist die Rechtshängigkeit im Ausland nach Art. 31 II CMR zu beachten. Diese Bestimmung lautet:
6.273
„Ist ein Verfahren bei einem nach Abs. 1 zuständigen Gericht wegen einer Streitigkeit im Sinne des genannten Absatzes anhängig oder ist durch ein solches Gericht in einer solchen Streitsache ein Urteil erlassen worden, so kann eine neue Klage wegen derselben Sache zwischen denselben Parteien nicht erhoben werden, es sei denn, dass die Entscheidung des Gerichtes, bei dem die erste Klage erhoben worden ist, in dem Staat nicht vollstreckt werden kann, in dem die neue Klage erhoben wird.“ Danach greift die Einrede der Rechtshängigkeit wegen derselben Sache zwischen denselben Parteien (unabhängig) von der Parteirolle, wenn das erste Verfahren vor einem nach Art. 31 I CMR international zuständigen Gericht erhoben ist.371 Ausdrücklich ausgenommen ist der Fall, dass die Entscheidung des Erststaats im Zweitstaat nicht vollstreckt werden kann. Gleichwohl hat eine Leistungsklage im Rahmen des Art. 31 II CMR (abweichend vom europäischen Recht) Vorrang vor einer zeitlich früheren negativen Feststellungsklage.372 Im Rahmen der Europäischen Union hat Art. 31 CMR aber nach Art. 71 EuGVO nur insoweit Vorrang, als Parallelverfahren vermieden werden.373 Der EuGH hat inzwischen mehrfach entschieden, dass die Anwendung von Spezialabkommen nicht die Ziele und Grundsätze der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen im Rahmen der EU unterlaufen dürfe. Zu diesen Grundsätzen gehöre die Ansicht, dass negative Feststellungsklage bzw. Feststellungsurteil denselben Anspruch betreffen wie die entsprechende Leistungsklage zwischen denselben Parteien bzw. ihren Rechtsnachfolgern.374
6.274
Für Streitigkeiten über europäische Patente gilt Art. 8 des Protokolls über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen über den Anspruch auf Erteilung eines europäischen Patents (Anerkennungsprotokoll) v. 5.10.1973.
6.275
Eine Reihe weiterer Verträge sieht die frühere Rechtshängigkeit im Zweitstaat als Anerkennungshindernis gegenüber der ausländischen Entscheidung vor, so Art. 5 Nr. 3 HUVÜ 1973 und Art. 2 Nr. 4 HUVÜ 1958.
6.276
371 I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 8; Herber/Piper, CMR, 1996, Art. 31 Rz. 24 ff. 372 BGHZ 157, 66, 71 = NJW 2004, 1455 = IPRax 2006, 260 (dazu J. Haubold, S. 224). 373 EuGHE 2010, I-4107 (TNT Express Nederland v AXA Versicherung) = NJW 2010, 1736, 1738 (Rz. 53). 374 EuGH – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 – Nippon Insurance (Rz. 40 ff.), EuZW 2014, 220 (J. Antomo).
457
§ 6 Rz. 6.277 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
8. Parallelverfahren im Ausland
6.277 Die ausländische Rechtshängigkeit wird in der Europa nach Art. 29 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 27 ff. LugÜ beachtet (s. Rz. 6.201 ff.). Nach autonomem Recht ist sie auch in Frankreich relevant.375 In der Schweiz ist sie nach Art. 9 IPRG, in Italien ist sie nach der Neuordnung des IPR im Jahre 1995 gem. Art. 7 Legge n. 218/95 ebenfalls zu beachten.376 Belgien, Bulgarien, Estland, Griechenland, Korea, Russland, Slowenien und Ungarn beachten die ausländische Rechtshängigkeit wie in Deutschland, wenn die ausländische Entscheidung voraussichtlich anerkannt werden kann.377 6.278 In common law-Staaten bildet die ausländische Rechtshängigkeit dagegen kein striktes Verfahrenshindernis. Die Prozessführung in den USA hat bei Schadenersatzklagen für den Kläger Vorteile im Hinblick auf (1) pre trial discovery, (2) jury-Beteiligung, (3) höherer Schadenersatz, und (4) Zulässigkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars. Die Gerichte entscheiden nach ihrem Ermessen, ob sie (1) parallele Verfahren zulassen, (2) das eigene Verfahren einstellen oder abweisen oder (3) gar auf Antrag eine anti-suit injunction gegen die Fortsetzung des ausländischen Verfahrens erlassen.378 Über den Regelfall gehen die Meinungen auseinander. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock379 meinen: Habe das ausländische Gericht „jurisdiction“, so könne ein amerikanisches Gericht davon absehen, die eigene Gerichtsbarkeit auszuüben und könne die Klage zugunsten des (bereits anhängigen) ausländischen Verfahrens abweisen. Born und Del Luca/Zaphiriou sind dagegen der Ansicht, amerikanische Bundesgerichte würden überwiegend parallele Verfahren akzeptieren.380 Das amerikanische Verfahren wird keinesfalls eingestellt, wenn in den USA ein öffentliches Interesse im Spiel ist und entsprechender Rechtsschutz im Ausland nicht verfügbar ist.381 6.279 In England sieht man (außerhalb des EuGVO-Bereichs) die Verdoppelung der Verfahren und die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen nicht als zwingenden Grund für die Einstellung des später (oder früher) begonnenen englischen Verfahrens an. Über Fortgang oder Einstellung des Verfahrens wird vielmehr im Einzelfall nach Ermessen des Gerichts, nach Kriterien des forum (non) conveniens entschie-
375 376 377 378
Cour de Cass., Clunet 1975, 108. Vgl. G. Walter, FS Schumann, S. 559, 560 ff. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 496–509. Gannon v Payne, 706 S.W. 2d 304 (Tex 1986); L. Del Luca/G. Zaphiriou, AmJCompL 42 (Suppl.) (1994), 245, 268 f.; G. Born, International Civil Litigation in US Courts, 3rd ed. 1996, 459 f.; R. Weintraub, Parallel litigation and forum-selection clauses, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 229; vgl. G. Bermann, Parallel litigation: Is convergence possible?, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 579; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 5, 2013, 371 ff. 379 Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 11.10 (Note 125) (p. 511 f.). 380 AmJCompL 42 (Suppl.) 1994, 245, 270; G. Born, International Civil Litigation in US Courts, 3rd ed. 1996, 460. 381 Vgl. U. Fritze, FS Vieregge, 1995, S. 241.
458
II. Ausländische Rechtshängigkeit | Rz. 6.283 § 6
den.382 Auch hier wird – außerhalb des EU-Bereichs – die ausländische Prozessführung ggf. durch injunction untersagt.383 Auch in China wird die ausländische Rechtshängigkeit nicht beachtet. Gleiches gilt für die europäischen Staaten Dänemark, Finnland, Island, Lettland, Litauern, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden und Spanien, soweit nicht europäische Verordnungen bzw. das Luganer Übereinkommen einschlägig sind. Art. 24 brasil. ZPO sieht ebenfalls vor, dass die Rechtshängigkeit im Ausland ein Verfahren vor einem brasil. Gericht nicht ausschließt, soweit sich nicht aus intern. Übereinkommen oder bilateralen Verträgen etwas anderes ergibt.
6.280
Der Entwurf eines Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit von 1999 sah in Art. 21 eine Art. 30 EuGVO ähnliche Regel zur Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit vor; nach Art. 21 Abs. 6 sollte eine negative Feststellungsklage aber keine Sperrwirkung auslösen; das erste (Feststellungs-)Verfahren sollte vielmehr vor dem zweiten Gericht der Leistungsklage fortgeführt werden.384
6.281
Ausnahmsweise sollte das erste Gericht auf seine Zuständigkeit verzichten, wenn der Fall vor einem anderen Gericht wesentlich besser verhandelt werden kann. Das erste Gericht sollte sein Verfahren aber wieder aufnehmen, wenn der Kläger nicht innerhalb einer festgesetzten Frist vor dem zweiten Gericht klagt oder dieser seine Zuständigkeit verneint. Der Entwurf des Haager Übereinkommens sah also eine modifizierte forum non conveniens-Regelung vor.385 Diese ist auch in Art. 15 Brüssel IIa-VO (künftig Art. 12 Brüssel IIb-VO) übernommen worden.
6.282
In Japan ist streitig, ob ausländische Rechtshängigkeit beachtlich oder unbeachtlich ist. Manche wollen die ausländische Rechtshängigkeit gar nicht, manche nur beachten, wenn das japanische Gericht forum non conveniens ist, andere wenn die Wahrscheinlichkeit der künftigen Anerkennung des ausländischen Urteils besteht. Die Entscheidungen der unteren Instanzen sind nicht einheitlich. Die beiden letzteren Meinungen führen zu Schwierigkeiten, da die jap. ZPO keine Vorschrift kennt, wonach ein Verfahren bei Rechtshängigkeit ausgesetzt werden kann. Das japanische Gericht kann die inländische Klage vielmehr nur abweisen. Im Einzelnen dürfte die Rechtslage daher offen sein.386
6.283
382 De Dampierre v De Dampierre [1988] AC 92 (H.L.); In re Harrods (Buenos Aires) Ltd [1991] 3 W.L.R. 397; R. Brand/S. Jablonski, Forum non conveniens, 2007; Cheshire/ North & Fawcett, Private international law, 14th ed. 2008, p 333 f, 339 ff.; St. Cromie, S. 430 ff.; Dicey/Morris & Collins, Conflict of laws, Vol. 1, 15th ed. 2012, Rule 38 (2), No. 12-007 ff. (pp. 538 ff.); M. Wittibschlager, S. 32 ff.; W. Hau, S. 117 ff.; vgl. M. König, Die Anwendbarkeit des forum non conveniens im deutschen und europäischen Zivilverfahrensrecht, 2012; M. Niegisch, Mehrspurigkeit des Internationalen Zivilverfahrensrechts in den Mitgliedstaaten der EG – Die Doktrin forum non conveniens und das EuGVÜ, Diss. Heidelberg 1993. Für Kanada s. Püschmann v UBS Bank (Canada) [2002] ILPr 123. 383 Vgl. L. Collins, FS Jayme, 2004, S. 131; Th. Raphael, The anti-suit injunction, 2007. 384 Vgl. G. Walter, FS Schumann, S. 559, 568 f. 385 Vgl. G. Walter, FS Schumann, S. 559, 575 ff. 386 Dogauchi in Heldrich/Kono, S. 163, 176 ff.; A. Ishikawa, ZZPInt 1 (1996), 287, 288 ff.
459
§ 6 Rz. 6.284 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
9. Abgabe oder Verweisung ins Ausland
6.284 Im streitigen Verfahren ist weder eine Abgabe des Verfahrens an das Ausland (wie in Sorgerechtssachen nach Art. 15 Brüssel IIa-VO (Art. 12 Brüssel IIb-VO) bzw. Vormundschaftssachen nach § 99 III FamFG) noch eine förmliche Verweisung vorgesehen (s. Rz. 4.55 f., 4.85 f.). 10. Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit eines ausländischen Verfahrens
6.285 Ein inländischer Prozess ist auszusetzen, wenn seine Entscheidung von dem Ausgang eines vorgreiflichen ausländischen Verfahrens abhängt (§ 148 ZPO). Voraussetzung dafür ist, dass die zu erwartende ausländische Entscheidung eine Bindungswirkung für den Inhalt der inländischen Entscheidung hat und voraussichtlich im Inland anerkannt werden kann.387 11. Prozessunterbrechung durch ausländisches Insolvenzverfahren
6.286 Ein im Inland anzuerkennendes ausländisches Insolvenzverfahren unterbricht einen inländischen Zivilprozess nach § 240 Satz 1 ZPO.388 Nach § 240 Satz 2 ZPO gilt Entsprechendes, wenn im Insolvenzeröffnungsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnervermögen auf einen vorläufigen Verwalter übergeht. Der BGH389 hatte zunächst abweichend entschieden, hat sich aber von dieser Ansicht wieder distanziert. Auf Vorlage an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes390 haben sich alle beteiligten Gerichte der Ansicht des vorlegenden Senats angeschlossen, dass die Eröffnung eines grds. anzuerkennenden ausländischen Insolvenzverfahrens einen im Inland anhängigen Prozess unterbricht, der die Masse betrifft, sofern nach dem betreffenden ausländischen Recht der Insolvenzverwalter die ausschließliche Prozessführungsbefugnis besitzt. 6.287 Art. 15 EuInsVO391 sieht lediglich vor, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht der Masse ausschließlich nach dem Recht des Mitgliedstaats richten, in dem der Rechtsstreit anhängig ist; in Deutschland bleibt es also bei der Geltung von § 240 ZPO (s. Rz. 20.93). 6.288 –6.299 Frei
387 OLG Frankfurt, NJW 1986, 1443. 388 OLG München, ZIP 1996, 385; OLG Karlsruhe, ZIP 1990, 665; R. Riegel, RIW 1990, 546; G. Grasmann, KTS 1990, 157, 171; weitergehend E. Habscheid, KTS 1990, 403 (jeder faktische Übergang der Verfügungsbefugnis beachtlich). 389 BGHZ 95, 256 = NJW 1988, 3096. 390 BGH, WM 1998, 43. 391 VO (EG) Nr. 1346/2000, ABl. EG Nr. L 160/1.
460
III. Maßnahmen gegen ausländische Verfahren | Rz. 6.300 § 6
III. Maßnahmen gegen ausländische Verfahren 1. Schrifttum C. Ambrose, Can Anti-suit Injunctions survive European Community Law?, (2003) ICLQ 401; N. Andrews, Abuse of process and obstructive tactics under the Brussels jurisdictional system, GPR 1/2005, S. 8; T. Baer, Injunctions against the prosecution of litigation abroad, Stan.L.Rev 37 (1984), 155; S. Balthasar/R. Richers, Europäisches Verfahrensrecht und das Ende der antisuit injunctions, RIW 2009, 351; H. Baum, Inländische Abwehrklagen gegen US-amerikanische Produkthaftungsklagen?, in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 185; G. Bermann, The use of Antisuit Injunction in international litigation, Col.J.Transn.L. 28 (1990), 589; St. Berti, Englische Anti-suit Injunctions im europäischen Zivilprozessrecht, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 33; M. Blythe, The Extraterritorial Impact of the Antitrust Laws: Protecting British Trading Interests, AmJCompL 31 (1983), 99, 118 ff.; A. Briggs, Anti-Suit Injunctions in a Complex World, in Rose, Lex Mercatoria, 2000, S. 219; A. Briggs, Anti-suit injunctions and utopian ideals, LQR 120 (2004), 529; J. Bukow, Die Entscheidung GAT/LUK und ihre Konsequenzen, FS Schilling, 2007, S. 59; I. Carl, Einstweiliger Rechtsschutz bei Torpedoklagen, 2007; L. Collins, Blocking and Clawback Statutes: The United Kingdom Approach, in Essays in international litigation, 1994, 333; L. Collins, The Institut de droit international and anti-suit injunctions, FS Jayme, 2004, S. 131; St. Cromie, International commercial litigation, 2nd ed. 1997, Chap. X B, p. 477 ff.; Y. Farah/S. Hourani, Recasting West Tankers in the Deep Water..., JPIL 2018, 96; D. Fuchs, Die Zuständigkeit USamerikanischer und europäischer Gerichte zur Feststellung der Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer (Internet-)Entscheidungen, RIW 2006, 29; T. Hartley, Comity and the use of Antisuit Injunctions in International Litigation, AmJCompL 35 (1987), 487; W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozessrecht, 1996, S. 190 ff.; W. Hau, Anti-Suit Injunctions in Judicial and Arbitral Procedures, in Schmidt-Kessel, German National Reports on the 20th International Congress of Comparative Law, 2018, S. 269; M. Illmer, La vie après Gasser, Turner et West Tankers – Die Anerkennung drittstaatlicher anti-suit injunctions in Frankreich, IPRax 2010, 456; W.-D. Krause-Ablass/B. Bastuck, Deutsche Klagen zur Abwehr amerikanischer Prozesse?, FS Stiefel, 1987, S. 445; H. Kronke, Acceptable transnational anti-suit injunctions, FS Kaissis, 2012, S. 549; J. Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; J. Kurth, Inländischer Rechtsschutz bei ausländischen Produkthaftungsverfahren – Antisuit Injunction nach deutschem Recht, PHI 1990, 143; G. Lange/L. Leyendecker, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa am Beispiel des Falles „Laker“, in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den USA, 1986; A. Layton, The prohibition on anti-suit injunctions and the relationship between European rules on jurisdiction and Domestic rules on procedure, in de Vareilles-Sommières, Forum shopping, 2007, p. 91; M. Lenenbach, Antisuit injunctions in England, Germany and the United States, Loyola of Los Angeles Int. & Comp.L.J. 20 (1998), 257; M. Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1999; H.-P. Mansel, Grenzüberschreitende Prozessführungsverbote (antisuit injunctions) und Zustellungsverweigerung, EuZW 1996, 335; M.-L. Niboyet, Le principe de confiance mutuelle et les injonctions Anti-Suit, in de Vareilles-Sommières, Forum shopping, 2007, p. 77; Ch. Paulus, Kann Forum Shopping sittenwidrig sein?, FS Georgiades, 2005, S. 511; Ch. Paulus, Abwehrstrategien gegen unberechtigte Klagen in den USA, RIW 2006, 258; E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013; Ch. Probst, Antisuit Injunctions, 2012; Th. Raphael, The anti-suit injunction, 2008; Th. Rauscher, Unzulässigkeit einer anti-suit injunction unter Brüssel II, IPRax 2004, 405; Ch. Schmidt, Anti-suit injunctions im Wettbewerb der Rechtssysteme, RIW 2006, 492; J. Schröder, The right not to be sued abroad, FS Kegel, 1987, S. 523; R. Schütze, Klagen vor US-amerikanischen Gerichten – Probleme und Abwehrstrategien, RIW 2005, 579; R. Schütze, Zulässigkeit, Zustellung und Wirkungserstreckung von antisuit injunctions in Deutschland, FS Yessiou-Faltsi, 2007, S. 625;
461
6.300
§ 6 Rz. 6.300 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug L. Smith, Antisuit Injunctions, Forum non conveniens und International Comity, RIW 1993, 802; A. Spickhoff, Die Klage im Ausland als Delikt im Inland, FS Deutsch, 1999, S. 327; B. Steinbrück, Englische Prozessführungsverbote zum Schutz von Schiedsvereinbarungen im europäischen Zivilprozess, ZEuP 2010, 168; A. Thiele, Antisuit injunctions im Lichte europäischen Gemeinschaftsrechts, RIW 2002, 383; R. Trittmann, Waffengleichheit beim Forum Shopping für deutsche Parteien im Verhältnis zu US-amerikanischen Gegenparteien?, FS Schütze, 2015, 647; A. Vollmer, U.S. Federal Courts Use of the Antisuit Injunction to Control International Forum Selection, in Goldsmith, International Dispute Resolution, 1997, S. 237.
2. Anti-suit injunction
6.301 In common law-Staaten besteht die Möglichkeit, sich gegen eine belastende Prozessführung vor einem ausländischen Gericht mit Hilfe einer sog. anti-suit injunction zu wehren: Durch eine einstweilige Verfügung wird dem Kläger des ausländischen Verfahrens verboten, dieses Gerichts- oder Schiedsverfahren einzuleiten oder fortzusetzen. Diese Untersagungsanordnung richtet sich gegen die Partei, greift aber indirekt doch in die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts ein und wird deshalb nur zur Abwehr schwerwiegender Verstoße gegen den inländischen ordre public, zur Abwehr eines Rechtsmissbrauchs oder zur Verhinderung erheblicher Nachteile für Parteien und Zeugen verhängt.392 Dies ist etwa der Fall, wenn die Auslandsklage unter Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung erfolgt,393 oder wenn das ausländische Gericht Ansprüche, die auf öffentlich-rechtlichen Ordnungsvorstellungen beruhen, nicht durchsetzen würde.394 Die Verbotsverfügung kann auch erlassen werden, wenn der inländischen Partei durch das Verfahren im Ausland ein unersetzlicher Schaden entstehen würde oder wenn die Einstellung des ausländischen Verfahrens im öffentlichen Interesse liegt. Der Erlass der Verfügung liegt im Ermessen des Gerichts.395 Das englische House of Lords erlässt Verfügungen gegen die Fortsetzung ausländischer Verfahren aber nur, wenn das englische Gericht daran ein ausreichendes Interesse hat.396 6.302 Die Verbotsverfügung kommt weiter in Betracht, um die unterlegene Partei an einer Rückforderung („claw back“) zu hindern (s. Rz. 6.317) oder um eine Verbindung sachlich zusammenhängender Verfahren zu erreichen. Sogar eine „counter-injunction“ oder anti-anti-suit injunction kann erlassen werden, um dem Gegner das Betreiben des Anti-Verfügungsverfahrens im Ausland zu verbieten.397
392 SNI Aerospatiale v Lee Kui Jak [1987] A.C. 871. 393 Youell v Kara Mara Shipping Co. Ltd., [2001] ILPr 481 (High Court, Q.B.); Donohue v Armco Inc [2001] ILPr 733; Society of Lloyd’s (No. 1 and 2) [2002] ILPr 85 u. 104 (High Court Q.B.). 394 Vgl. G. Bermann, Col.J.Transnat.L. 28 (1990), 589, 623 ff. 395 Vgl. Laker Airways v Sabena, 713 F. 2d 909 (D.C.Civ 1984); G. Lange in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, S. 65 ff.; J. Kurth, S. 13 ff., 36 ff.; L. Smith, RIW 1993, 802 ff.; J. Jacob, Private International Litigation, 1988, S. 54 ff. 396 Airbus Industrie v Patel [1999] 1 A.C. 119, 134 ff. (H.L., E.); dazu P. Schlosser, IPRax 1999, 115. 397 G. Born, International Civil Litigation, 3rd ed., S. 475.
462
III. Maßnahmen gegen ausländische Verfahren | Rz. 6.304 § 6
US-Gerichte haben nicht nur Abwehrverfügungen gegen das Betreiben oder das Ingangsetzen eines ausländischen Gerichtsverfahrens,398 sondern auch eine order compelling arbitration erlassen, mit der die Mitwirkung an einem ausländischen Schiedsverfahren angeordnet wurde.399
6.303
Nach Ansicht des englischen Court of Appeal konnte einer Partei mittels anti-suit injunction das Weiterbetreiben einer prorogationswidrigen Klage auch im Anwendungsbereich der EuGVO bzw. des LugÜ untersagt werden.400 Hiergegen spricht aber, dass das angerufene Gericht seine internationale Zuständigkeit nach Art. 29 f EuGVO n.F. (Art. 27 f EuGVO a.F./LugÜ) von Amts wegen zu prüfen hat und das Ergebnis dieser Prüfung gem. Art. 36 EuGVO n.F. (Art. 33 EuGVO a.F./LugÜ) grds. in allen EU- bzw. LugÜ-Staaten anzuerkennen ist.401 Mit dieser Regelung ist der Erlass einer Verfügung gegen die weitere Prozessführung in einem anderen Mitglied-/ Vertragsstaat unvereinbar.402 Konsequenterweise ist eine anti-suit injunction auch unzulässig, soweit die Führung eines staatlichen Zivilprozesses zugunsten eines Schiedsverfahrens verboten werden soll.403 Verallgemeinert man diesen Ansatz, sind anti-suit injunctions keinesfalls zwischen Staaten zuzulassen, die durch vereinbarte internationale Gerichtsstandsregeln verbunden sind.404 Im Verhältnis zu Drittstaaten erlassen englische Gerichte aber (auch vor Wirksamwerden des Brexit) anti-suit injunctions.405 Auch die Gerichte der USA erlassen solche injunctions gegen eine Prozessführung im Ausland.406 Da ausländischen anti-suit injunctions die Anerkennung in Deutschland wegen Verstoß gegen den inländischen ordre public versagt wird, sollte man umgekehrt selbst keine solchen Verfügungen, auch nicht im Verhältnis zu Drittstaaten, erlassen.
6.304
398 Vgl. J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 5 C, 2013, 415 ff. 399 NIOC v Ashland Oil Inc. 817 F. 2d 326 (1987); P. Schlosser, FS W. Lorenz, 1991, S. 497, 502. 400 In re Harrods (Buenos Aires) Ltd. [1992] Ch. 72; Eli Lilly v Novo Nordisk [2000] ILPr 73; Ace Insurance v Zurich Insurance [2001] ILPr 667 (C.A.); Turner v Grovit, [1999] 3 W.L. R. 794, 804 (C.A.) (in case of abuse of process); Continental Bank v Aekos Compania Naviera, [1994] ILPr 413. 401 A. Bell, L.Q.Rev 110 (1994), 204; St. Berti, Liber amicorum Siehr, S. 33, 41. 402 EuGH, ECLI:EU:C:2004:228 – Turner v Grovit = EuGHE 2004, I-3565, IPRax 2004, 425 (dazu Th. Rauscher, S. 405) = ZZPInt 9 (2004), 186 (W. Hau); A. Dutta/Ch. Heinze, ZEuP 2005, 431; Ch. Thiele, RIW 2002, 383; J. Krause, RIW 2004, 533; I. Carl, Einstweiliger Rechtsschutz, 2007; vgl. E. Peiffer, S. 355 ff.; s. aber für Frankreich M. Illmer, IPRax 2010, 456. 403 EuGHE 2009, I-663 (West Tankers) = NJW 2009, 1655 = IPRax 2009, 336 (dazu M. Illmer, S. 312; dazu M. Lehmann, NJW 2009, 1645; F. Niggemann, SchiedsVZ 2010, 67; St. Balthasar/R. Richers, RIW 2009, 351; B. Steinbrück, ZEuP 2010, 168. 404 The Leuven/London Principles on Declining and Referring Jurisdiction in Civil and Commercial Matters, in ILA, Report of the 69th Conference, 2000, S. 18, 153, 165 (Nr. 7.1). 405 Vgl. E. Peiffer, S. 284 ff. 406 Vgl. E. Peiffer, S. 312 ff.
463
§ 6 Rz. 6.305 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.305 Ob in der EU es bei der Unzulässigkeit von anti-suit injunctions zugunsten von Schiedsverfahren bleibt, ist nach Inkrafttreten der neuen EuGVO (Nr. 1215/2012) aufgrund des neuen Erwägungsgrundes 12 zweifelhaft geworden. Im Fall „Gazprom OAO“ hatte sich der Generalanwalt Wathelet am 4.12.2014 für eine Zulassung ausgesprochen.407 Die wohl überwiegende Meinung hält aber an der Unzulässigkeit derartiger Verfügungen fest. Der EuGH hat die Frage nicht entschieden, sondern nur festgestellt, dass die Brüssel Ia-VO der Anerkennung eines anti-suit Schiedsspruchs gegen die Fortsetzung eines staatlichen Gerichtsverfahrens nicht entgegensteht.408 3. Unterlassungsklage
6.306 Auch in Deutschland hat man verschiedentlich aus den §§ 823, 826 BGB, § 8 UWG n.F.409 oder § 1004 BGB410 einen Anspruch abgeleitet, nicht im Ausland verklagt zu werden, der dann durch einstweilige Verfügung gesichert werden kann. Hiergegen wurde eingewandt, eine solche Verfügung greife letztlich unzulässig in die Tätigkeit des ausländischen Gerichts ein.411 Nach h.M. ist es zudem nicht rechtswidrig, eine nach ausländischem Recht gegebene Zuständigkeit und die dadurch eröffneten materiell-rechtlichen Möglichkeiten (sog. forum shopping) auszunutzen.412 Für eine Abwehr des ausländischen Prozessergebnisses sollte daher i.d.R. die Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung nach § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. Art. 45 I lit. a Brüssel Ia-VO (Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ), ggf. auch ein Anspruch auf Geldersatz nach § 826 BGB genügen.413 6.307 Der BGH hat zwar einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung inzwischen materiellrechtliche Wirkung zuerkannt. Er geht aber weiterhin davon aus, dass ein gerichtlich durchsetzbarer (Haupt-)Anspruch auf Unterlassung einer prorogationswidrigen Klage nicht vereinbart werden kann.414 Besteht aber kein materiell-rechtlicher Unterlassungsanspruch, könnte er bei einem befürchteten Verstoß auch nicht durch Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Klageerhebung im Ausland gesichert werden.415 Die bloße Möglichkeit, den durch den vertragswidrigen Auslandprozess erlittenen Schaden später im Inland einzuklagen, schützt die betroffene Partei aber nur unzureichend. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung einer prorogationswidrigen 407 EuGH (GA v. 4.12.2014 – C-536/13, „Gazprom“ OAO). 408 EuGH – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom, RIW 2015, 427 (D. Wiegandt); vgl. Y. Farah/S. Hourani, JPIL 14 (2018), 96. 409 So J. Schröder, FS Kegel, 1987, S. 523; J. Kurth, S. 60 ff.; Th. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, 1995, S. 766 ff.; wohl auch W. Hau, S. 269, 271 ff. 410 Hierfür H. Kronke, FS Kaissis, 2012, S. 549, 553. 411 P. Gottwald, FS Habscheid, 1989, S. 119, 122 f. 412 H. Baum in Heldrich/Kono, S. 185, 196; C. McLachlan, Declining & Referring Jurisdiction in International Litigation, in ILA, Report of the 69th Conference, 2000, S. 137, 139 ff. 413 H. Schack, IZVR, Rz. 862 f.; H. Baum in Heldrich/Kono, S. 185, 197; vgl. Ch. Paulus, FS Georgiades, 511. 414 BGHZ 223, 269 (Rz. 29) = RIW 2020, 64; a.A. M. Gebauer, FS Kaissis, 2012, S. 267, 278. 415 So H. Schack, IZVR, Rz. 861 f.
464
III. Maßnahmen gegen ausländische Verfahren | Rz. 6.311 § 6
Klage oder einer Klage unter Verstoß gegen eine Schiedsvereinbarung sollte daher anerkannt werden.416 Das Bedürfnis zum Erlass einer einstweiligen Verfügung besteht darüber hinaus auch zum Schutz einer bereits in Deutschland anhängigen Klage. Könnte eine Partei in den USA eine anti-suit injunction gegen die Fortsetzung eines deutschen Schadensersatzprozesses erwirken, ohne dass deutsche Gerichte ein Abwehrmittel dagegen zur Verfügung stellen, würde der inländische Rechtsschutz uU ganz vereitelt. Das OLG München hat deshalb zu Recht den Erlass einer anti-anti-suit injunction zum Schutz einer inländischen Patentrechtsverletzungsklage gebilligt.417
6.308
Unstreitig ist, dass eine ausländische anti-suit injunction gegen die Einleitung oder Fortsetzung eines deutschen Verfahrens nicht anerkannt wird. Auch eine Inlandsmitwirkung beim Erlass der anti-suit injunction kann nicht verlangt werden. Die Inlandszustellung einer anti-suit injunction, durch die das Weiterbetreiben eines deutschen Verfahrens untersagt werden soll, wird daher zu Recht abgelehnt.418
6.309
4. Schadenersatzklage Lange Zeit wurde in Deutschland angenommen, wegen einer Prozessführung im Ausland unter Verstoß gegen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung könne kein Schadensersatz verlangt werden,419 es sei denn eine solche Haftung sei besonders vereinbart worden. Nach common law (England, USA) bestand dagegen schon immer eine entsprechende Schadenshaftung wegen Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung.420 Dieser Ansicht hat sich der BGH mit Urteil v. 17.10.2019 angeschlossen und einen Ersatzanspruch nach § 280 BGB bejaht.421
6.310
5. Negative Feststellungsklage Nach h.M. kann negative Feststellungsklage im Inland in jedem Gerichtsstand erhoben werden, in dem der Gegner eine positive Leistungsklage erheben könnte.422 Eine präventive negative Feststellungsklage ist aber nur im Verhältnis zu anderen EUMitgliedstaaten von Nutzen, weil nur insoweit nach der Rechtsprechung des EuGH eine positive Leistungsklage vor dem gleichen Gericht erhoben werden muss. Im Verhältnis zu Drittstaaten bleibt es dagegen bei der Regel des autonomen deutschen Rechts, dass das Rechtsschutzinteresse an der negativen Feststellung entfällt, sobald
416 A.A. noch H. Baum in Heldrich/Kono, S. 185, 194 ff.; A. Spickhoff, FS Deutsch, S. 327, 336, 340. 417 OLG München GRUR 2020, 379 (B. Ehlgen) = Mitt. 2020, 169 (N. Keßler/Ch. Palzer). 418 OLG Düsseldorf, EuZW 1996, 351 (dazu H.-P. Mansel, S. 335); R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 144; s. § 8 Rz. 125. 419 Vgl. Th. Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA, 2001. S. aber Ch. Paulus, RIW 2006, 258, 259 f.; R. Schütze, IZPR, Rz. 180. 420 Vgl. E. Peiffer, S. 429 ff. 421 BGHZ 223, 269 = MDR 2020, 31 = RIW 2020, 64. 422 Vgl. R. Trittmann, FS Schütze, 2015, S. 647, 649.
465
6.311
§ 6 Rz. 6.311 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
die entsprechende positive Leistungsklage rechtshängig ist (und nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann).423
6.312 Keineswegs kann eine negative Feststellungsklage in einer Zivilsache wirksam vor einem Verwaltungsgericht, Sozialgericht usf. erhoben werden, um die Wirkungen der Rechtshängigkeit bereits mit Einreichung der Klage herbeizuführen.424 Nach § 17a II GVG wird der Rechtsstreit dann zwar von Amts wegen an das zuständige Zivilgericht verwiesen, wobei die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben (§ 17b I 2 GVG). Dies gilt aber nicht, soweit durch die vorsätzlich im falschen Rechtsweg erhobene Klage Rechtsvorteile erzielt werden sollen, die bei ordnungsgemäßem Verhalten nicht erreicht würden. Dem steht der auch im Prozessrecht geltende Grundsatz des Rechtsmissbrauchs entgegen. 6.313 Teilweise wird angenommen, der Beklagte eines ausländischen Verfahrens müsse im Inland eine negative Feststellungsklage erheben können, dass die (künftige) ausländische Entscheidung im Inland nicht anerkannt und vollstreckt werden kann.425 Eine solche eingeschränkte vorsorgliche Abwehr gegen ein ausländisches Verfahren sollte aus denselben Gründen wie eine anti-suit injunction nicht zugelassen werden. 6. Blocking statutes a) Europäische Gemeinschaft
6.314 Die EG hat mit der Verordnung Nr. 2271/96 v. 22.11.1996426 ein Instrument zur Abwehr der Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von Rechtsakten von Drittstaaten erlassen.427 Derzeit dient die Verordnung der Abwehr von Auswirkungen der US-Gesetze gegen suspekte Kartelle428 oder von Wirtschaftssanktionen gegen Kuba, den Iran und Libyen (s. Anhang zur Verordnung). Entscheidungen, die auf solchen Gesetzen beruhen, werden in der EU nicht anerkannt (Art. 4 der VO).
6.315 EU-Angehörige i.S.d. Art. 11 der VO haben nach Art. 6 der VO einen Anspruch auf Schadenersatz (einschl. Ersatz der Prozesskosten) für Schäden, die sie durch die Anwendung der genannten Sanktionsgesetze erleiden. Nach Art. 6 III der VO sind solche Entscheidungen in der EU gem. der EuGVO vollstreckbar.
423 424 425 426 427
Vgl. BGHZ 165, 305 = NJW 2006, 525; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 91 Rz. 24. A.A. R. Trittmann, FS Schütze, 2015, S. 647, 660 ff. Hierfür D. Fuchs, RIW 2006, 29, 38 ff. ABl. EG 1996 Nr. L 309/1. Vgl. M. Gernet, Auswirkungen des Helms-Burton Act und der EU-Blocking-Verordnung auf europäische Verfahren, IPRax 2020, 170. 428 Vgl. J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 6 F, 2013, 481 ff.
466
III. Maßnahmen gegen ausländische Verfahren | Rz. 6.320 § 6
b) England Der englische Protection of Trading Interests Act 1980 (c. 11) soll jedermann, der im Vereinigten Königreich Handel treibt, vor ausländischen Auskunftsverlangen, Verboten oder Urteilen schützen.
6.316
Nach sec. 1 (3) kann der Secretary of State jedem, der im Vereinigten Königreich geschäftlich tätig ist, die Befolgung von ausländischen Auskunftsanordnungen oder Verboten untersagen, wenn dies angemessen erscheint, um Schaden von den Handelsinteressen des Vereinigten Königreichs abzuwenden. Nach sec. 2 kann der Secretary of State die Vorlage jedes im Vereinigten Königreich belegenen Handelsdokuments oder von Informationen jeder Art für ein ausländisches Gericht, Tribunal oder eine ausländische Behörde oder die von einem solchen Staat angeordnete Veröffentlichung untersagen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Handlung (1) die Souveränität oder die Sicherheit des Vereinigten Königreichs beeinträchtigen würde oder (2) wenn die Unterlagen nicht für Zivil- oder Strafverfahren im Ausland bestimmt sind oder (3) wenn jemand unspezifische Unterlagen in seinem Besitz, seiner Kontrolle oder Verfügungsmacht vorlegen soll. Ein solches Verbot kann generell oder im Einzelfall, unbedingt oder bedingt erlassen werden. Ein Verstoß wird als Vergehen bestraft (sec. 3). Rechtshilfeersuchen ausländischer Gerichte um entsprechende Beweiserhebungen können abgelehnt werden (sec. 4).
6.317
Nach sec. 5 werden ausländische Urteile in England weder anerkannt noch vollstreckt, die (i) auf multiple damages lauten, (ii) die gegen Wettbewerbsbeschränkungen verstoßen, die das secretary of state angeordnet hat, oder (iii) die über einen Beitrag zu einer entsprechenden Schadenersatzpflicht ergangen sind.429
6.318
Am schärfsten ist aber der sog. claw back-Anspruch nach sec. 6 des Gesetzes. Danach kann jeder Bürger des Vereinigten Königreichs oder jeder dort geschäftlich Tätige einen im Ausland auf ein Urteil auf multiple damages bezahlten Betrag zurückverlangen, soweit er den tatsächlich auszugleichenden Schaden übersteigt.430
6.319
c) Frankreich Das französische Gesetz über die Mitteilung von Unterlagen und Auskünften wirtschaftlicher, kommerzieller ... Art an ausländische natürliche oder juristische Personen (Loi No. 80–538 v. 16.7.1980) verbietet ebenfalls jedem Franzosen, jeder Person mit Wohnsitz in Frankreich und jedem Leiter einer dortigen juristischen Person, einer ausländischen Behörde Unterlagen herauszugeben oder Auskünfte zu geben, deren Mitteilung die Souveränität, Sicherheit oder Wirtschaftsinteressen Frankreichs je nach Anordnung der Behörden beeinträchtigt. Außerdem wird jedermann verboten, nach solchen Unterlagen zu forschen oder diese ins Ausland weiterzuleiten, wenn sie zu Beweiszwecken für gerichtliche oder 429 Vgl. Dicey/Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Rule 51, S (No. 14-157) (pp. 737 f.). 430 Vgl. J. Brinkhaus, Das britische Abwehrgesetz von 1980, 1989.
467
6.320
§ 6 Rz. 6.320 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
behördliche ausländische Verfahren dienen oder im Zusammenhang damit stehen.431 d) Andere Staaten
6.321 Auch andere Staaten, wie Kanada, die Niederlande und die Schweiz besitzen ähnliche Abwehrgesetze.432 Hauptanlass für die Anwendung bzw. den Erlass der blocking statutes waren Antitrust-Verfahren in den USA. Durch einen Vertrag zwischen den USA und der EG über Zusammenarbeit und Koordinierung in Kartellangelegenheiten v. 23.9.1991433 ist dieser Anwendungsfall vermutlich entschärft bzw. beseitigt worden. e) Deutschland
6.322 Deutschland hat im autonomen Recht nur eine sehr versteckte derartige Regelung, die bisher in der Praxis keine Rolle gespielt hat. § 11 des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschifffahrt v. 26.7.1977434 lautet: „Der Bundesminister für Verkehr wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Übermittlung von Unterlagen, die sich auf das Schifffahrtsgeschäft beziehen (insb. Verträge, Protokolle, Briefe, Studien, Marktberichte, Statistiken, Gutachten) und die Erteilung von Auskünften hierüber an Behörden und sonstige Stellen des Auslandes zu verbieten oder von einer Genehmigung abhängig zu machen, soweit dies erforderlich ist, um die deutsche Seeschifffahrt in der Freiheit ihrer wirtschaftlichen Betätigung zu schützen.“ Eine entsprechende „Verordnung über die Übermittlung schifffahrtsgeschäftlicher Unterlagen an ausländische Stellen“ trat am 15.12.1966 in Kraft.435
6.323 –6.399 Frei
IV. Internationales Anwaltsrecht 1. Schrifttum
6.400 H. Adamson, Free movement of lawyers, 2nd ed. 1998; F. Bachelin, Die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten in Europa, 2002; H. Böker, Die Stellung des Anwalts im brasilianischen Recht, 2000; St. Cromie, International Commercial Litigation, 2nd ed. 1997, Chap. V, S. 273 ff.; D. M. Donald-Little, Cross Border Practice Compendium, 1991 (mit Angaben zu 23 europäischen Staaten); K. Drews, Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Gebührenstreit
431 Vgl. B. Großfeld, Internationales und europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, § 5 III S. 273. 432 Vgl. B. Großfeld, Internationales und europäisches Unternehmensrecht. 2. Aufl. 1995, S. 271 ff. 433 CMLR 4 (1991), 823. 434 BGBl. 1977 I, 1315, 1317. 435 BGBl. 1966 II, 1542.
468
IV. Internationales Anwaltsrecht | Rz. 6.400 § 6 eines deutschen Anwaltes mit ausländischer Mandantschaft, TranspR 1999, 193; C. Eisenberg, Das Internationale Privatrecht der Anwaltshaftung, 1998; E. Ewig, Internationaler Dienstleistungshandel und neue Tätigkeitsfelder für die Anwaltschaft (GATS-Abkommen), NJW 1995, 434; K. Franz, Neues Niederlassungsrecht für europäische Rechtsanwälte, BB 2000, 989; W. Frenz/H. Wübbenhorst, Rechtsanwaltstätigkeit in anderen EU-Staaten, NJW 2011, 1262; R. Goebel, Professional qualification and educational requirements for law practice in a foreign country, Tulane L.Rev 63 (1989), 443; J. Gruber, Rechtsfragen bei der Einschaltung französischer Anwälte, ZVglRWiss 107 (2008), 1; B. Grunewald/H.-F. Müller, Ausländische Rechtsberatungsgesellschaften in Deutschland, NJW 2005, 465; W. Hau, Globalisierungstendenzen der Rechtsberatungsmärkte – Rahmenbedingungen, Rechtstatsachen und Regelungsbedarf, Jahrbuch junger Rechtswiss. 1998, S. 207; H.-J. Hellwig, Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland, 2002; H.-J. Hellwig, Deutsches Berufsrecht als Bollwerk gegen englische ABS?, AnwBl. 2012, 876; K. Hempel, Die rechtsberatenden Berufe im Europarecht, 1996; M. Henssler, Anwaltliche Tätigkeit in Europa, 1994; M. Henssler, Die Zulassung ausländischer Anwaltsgesellschaften in Deutschland, FS F. Busse, 2005, S. 217; M. Henssler/H. Prütting/J. Glindemann, EuRAG, in BRAO, 5. Aufl. 2019, S. 1285; St. Hofmann, Internationales Anwaltsrecht, 1991; A. Ishikawa, Über die Stellung der ausländischen Rechtsanwälte in Japan, FS Ress, 2005, S. 1437; A. Kaffsack, Die Stellung des Rechtsanwalts und der Rechtsanwaltschaft in Japan, 1996; H. Kilger, Freie Advokatur international, FS F. Busse, 2005, S. 203; M. Kilian, Das Abkommen über den freien Personenverkehr zwischen der Europäischen Union und der Schweiz. Neue Betätigungsmöglichkeiten für Europas Rechtsanwälte, ZEuP 8 (2000), 601; M. Kilian, Erfolgshonorare im Internationalen Privatrecht, AnwBl. 2003, 452; M. Kilian, Erlaubnisfreie Rechtsdienstleistungen im grenzüberschreitenden Rechtsdienstleistungsverkehr, RIW 2008, 373; K. Kilimnik, GATS fördert internationale Rechtsberatung in Deutschland, IPRax 1995, 410; Klein/Ott/Zerdick, Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland, 2002; O. Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten, 2005; O. Knöfel, Anwalts-Kollisionsrecht, AnwBl. 2003, 3; B. Lach, Die Möglichkeiten der Niederlassung europäischer Rechtsanwälte in Deutschland, NJW 2000, 1609; H. Lang, Zur Eignungsprüfung von EG-Anwälten, BRAK 1990, 13; Q. Loh, The Duty of Counsel before an Alternative Dispute Resolution Tribunal, FS Schütze, 1999, S. 437; Ch. Louven, Die Haftung des deutschen Rechtsanwalts im internationalen Mandat, VersR 1997, 1050; R. Magnus, Der Schutz der Vertraulichkeit bei grenzüberschreitender Anwaltstätigkeit, RabelsZ 77 (2013), 111; P. Mankowski, Obergrenze für das erstattungsfähige Honorar eines ausländischen Verkehrsanwalts?, NJW 2005, 2346; P. Mankowski, Ausländische Verkehrsanwälte und deutsche Honorargrenzen, AnwBl. 2005, 705; H. Merle, Freizügigkeit für Rechtsanwälte in der Europäischen Union, 1995; Nakamura, Die Rechtsanwaltschaft in Japan, FS Schütze, 1999, S. 579; Nerlich, Kooperation zwischen europäischen Rechtsanwälten, 1994; Niessen, Frankreichs Anwaltschaft, 1994; Obernheim, Die Eignungsprüfung für EU-Anwälte, NJW 1994, 1846; M. Odenbach, Spanisches Anwaltsrecht, 1994; M. Passarge, Rechtsanwalts-Aktiengesellschaften in ausländischen Rechtsordnungen, RIW 2005, 881; H. Prütting, Die rechtliche Situation der Rechtsberatung aus deutscher und europäischer Sicht, in Schlosser (Hrsg.), Integritätsprobleme im Umfeld der Justiz, 1994, S. 1; H. Prütting, Anwaltlicher Interessenkonflikt und Third Party Legal Opinion, FS Schilken, 2015, S. 405; Rabe, Binnenmarkt für Rechtsanwälte, ZEuP 1996, 1; G. Raiser, Die Haftung des deutschen Rechtsanwalts bei grenzüberschreitender Tätigkeit, NJW 1991, 2049; M. Reimann, The American Advantage in Global Lawyering, RabelsZ 78 (2014), 1; F. Rothenbühler, Freizügigkeit für Anwälte (Zürich), 1995; C. Rumbers/Th. Schneider, Die englische Anwalts-LLP in der Praxis, RIW 2012, 272; J. Schepke, Das Erfolgshonorar des Rechtsanwalts, 1998; M. J. Schmidt, Die internationale Durchsetzung von Rechtsanwaltshonoraren, 1991; O. Sieg, Internationale Anwaltshaftung, 1996; K. Siehr, Der Anwalt und das IPR, Collisio legum, Beiträge zum IPR für G. Broggini, 1997, S. 537; G. Siskind, Freedom of Movement for Lawyers in the New Europe, Intern. Lawyer 26 (1992), 899; L. Spedding, Transnational Legal Practice in the EEC and the United States, 1987; A. Tyrell/Z. Yagub, The Legal
469
§ 6 Rz. 6.400 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug Professions in the New Europe, 2nd ed. 1996; D. Valdini, Die Anwaltshaftung für Honorarforderungen ausländischer Rechtsanwälte, MDR 2016, 677; M. Wagner, Rechtsformen für internationale Rechtsanwaltsgesellschaften, 2006; G. Walter, Professional Ethics and Procedural Fairness, 1991; H. Weil, Die Eignungsprüfung für EG-Anwälte, BRAK 1991, 15; F. Graf v. Westphalen, Einige international-rechtliche Aspekte bei grenzüberschreitender Tätigkeit von Anwälten, FS Geimer, 2002, S. 1485.
2. Anwaltsvertrag
6.401 Beauftragt eine Partei einen deutschen Anwalt mit der Beratung in einer internationalen Streitsache und einer entsprechenden Klageerhebung, so muss der Anwalt auch über die internationale Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts sachgerecht beraten; klagt er (ohne Weisung) vor dem unzuständigen Gericht, haftet er seinem Mandanten ggf. aus positiver Vertragsverletzung.436 Ein Anwalt darf nicht widerstreitende Interessen vertreten (§ 43a IV BRAO, § 3 BORA). Die Erstellung einer sog. Third Party Legal Opinion ist aber zulässig, wenn tatsächlich eine objektive, unparteiische Stellungnahme abgegeben wird.437 Allgemein zur Haftung in internationalen Fällen s. O. Sieg, Internationale Anwaltshaftung, 1996 und Ch. Louven, VersR 1997, 1050.
6.402 Beauftragt eine inländische Partei einen ausländischen Anwalt, so untersteht der Anwaltsvertrag mangels abweichender Rechtswahl in der Regel dem Recht am Kanzleisitz (vgl. Art. 4 I lit. b Rom I-VO). Rechte, Pflichten und Haftung des Anwalts richten sich also nach dem Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts.438 Das Recht am Kanzleisitz gilt auch hinsichtlich anwaltlicher Schweigepflichten.439 6.403 Die Prozessvollmacht untersteht der jeweiligen lex fori. Sie bestimmt die Form der Erteilung440 und deren Umfang, insb. auch, ob der Anwalt mit der Prozessführung verbundene materielle Erklärungen für seinen Mandanten abgeben kann und ob er für die Hauptsache Inkassovollmacht besitzt. Der Mangel der Vollmacht wird bei einem deutschen Anwalt nur auf Antrag überprüft (§ 88 II ZPO). Tritt in einem internationalen Fall jedoch ein ausländischer Anwalt auf, wird seine Vollmacht von Amts wegen geprüft.441 6.404 Der Anwalt kann auch nach seinem Heimatrecht sein Honorar liquidieren. Dabei muss die deutsche Partei damit rechnen, dass die Gebühren im Ausland meist nach Arbeitsstunden abgerechnet werden und regelmäßig weitaus höher sind als die Gebühren nach dem inländischen Tarif des RVG. 436 OLG Koblenz, RIW 1990, 218. 437 Vgl. H. G. Ganter, Die Third Party Legal Opinion und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, NJW 2014, 1771. 438 Vgl. eingehend O. Knöfel, Grundfragen, S. 248 ff., 254 ff. 439 Vgl. eingehend R. Magnus, RabelsZ 77 (2013), 111. 440 Zum russischen Recht s. Peterson/Wedde, Prozessvollmachten im russischen Recht, WiRO 2002, 12. 441 BGH, NJW-RR 2012, 1013 (Rz. 17); G. Vollkommer in Zöller, § 88 Rz. 3a.
470
IV. Internationales Anwaltsrecht | Rz. 6.409 § 6
Für ein Verfahren im Ausland kann der deutsche Kläger ein Erfolgshonorar vereinbaren, wenn dies am Sitzstaat des Anwalts zulässig ist, wie z.B. in England442 oder in den USA.443 Diese Vereinbarung ist gültig, auch wenn sie mit einem deutschen Anwalt für Inlandstätigkeiten nach § 49b II BRAO (i.d.F. v. 12.6.2008) unzulässig und nichtig wäre.444 Der deutsche Rechtsanwalt darf ein Erfolgshonorar vereinbaren, wenn der Auftraggeber sonst bei verständiger Würdigung des Einzelfalls von einer Rechtsverfolgung abgehalten würde (§ 4a RVG).
6.405
Der Anwalt kann sein Honorar gegen seinen Mandanten nach allgemeinen Regeln verfolgen. Nach Ansicht des BGH ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) nicht am Kanzleisitz begründet.445 Im Anwendungsbereich von Art. 7 Nr. 1b EuGVO n.F. (Art. 5 Nr. 1b LugÜ) kann das Honorar freilich an dem Ort eingeklagt werden, an dem die Dienste erbracht worden sind.446
6.406
Ob Honorar aus vorprozessualer Beratung und Geschäftsbesorgung in derselben Angelegenheit, die danach prozessual ausgetragen wurde, selbständig eingeklagt werden kann oder im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens geltend zu machen ist (so in Österreich) oder ob eine teilweise Anrechnung stattfindet (so in Deutschland nach RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 (4)) richtet sich nach der jeweiligen lex fori.
6.407
3. Inlandstätigkeit ausländischer Rechtsanwälte Ein Ausländer, der die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt (§§ 4 ff. BRAO), ist unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit zur deutschen Rechtsanwaltschaft zuzulassen.
6.408
Die Ausübung des Anwaltsberufs in einem anderen EU-Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ist durch die Richtlinie 98/5/EG v. 16.2.1998 geregelt.447 Diese Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber durch das EurAG v. 9.3.2000448 umgesetzt. Ein Angehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist danach nach §§ 1, 2 ff. EuRAG berechtigt, als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland tätig zu sein. Voraussetzungen sind (1) die Zulassung zur Anwaltschaft im Herkunftsland, (2) die Aufnahme in die zuständige deutsche Rechtsanwaltskammer und (3) die Ausübung der Tätigkeit unter der heimatlichen Berufsbezeichnung. Unter diesen Voraussetzungen darf der niedergelassene europäische Rechtsanwalt
6.409
442 R. Graef, RIW 1995, 549; J. Schepke, Das Erfolgshonorar, 1998, S. 21 ff. 443 Vgl. F. Weinschenk, RIW 1990, 435; M. Kilian, AnwBl. 2003, 452. 444 Vgl. P. Mankowski, AnwBl. 2005, 705; krit. J. Schepke, Das Erfolgshonorar des Rechtsanwalts, 1998. 445 BGHZ 157, 20 = NJW 2004, 54 = FamRZ 2004, 98 (krit. P. Gottwald); zust. O. Knöfel, Grundfragen, S. 277. 446 Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuGVO Rz. 44; Rauscher/Leible, (2016), Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 51, 67. 447 ABl. EG 1998 Nr. L 77/36. 448 BGBl. 2000 I, 182. Das Gesetz dient zugleich der Umsetzung der Richtlinie 77/249/EWG v. 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. EG Nr. L 78/17).
471
§ 6 Rz. 6.409 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
im Inland alle Tätigkeiten eines deutschen Rechtsanwalts gem. §§ 1 bis 3 BRAO ausüben (§ 2 I EuRAG). Diese Möglichkeit besteht auch für einen deutschen Staatsangehörigen, der die Anwaltsqualifikation und -zulassung in einem anderen EU-Mitgliedstaat erworben hat. Er kann ohne weiteres nach Deutschland zurückkehren und hier den Anwaltsberuf unter der ausländischen Berufsbezeichnung ausüben.449 Drittstaatsangehörigen, die in einem EU-Staat zur Anwaltschaft zugelassen sind, steht diese Möglichkeit nicht offen.
6.410 Die volle Eingliederung in den deutschen Berufsstand des Rechtsanwalts kann der niedergelassene europäische Rechtsanwalt nach dreijähriger Tätigkeit auf dem Gebiet des deutschen Rechts gem. §§ 11 ff. EuRAG erwerben. Er kann dann seinen Beruf als deutscher Rechtsanwalt ausüben.450 Voraussetzung ist allerdings eine anwaltliche Tätigkeit im Inland; die Tätigkeit als Syndikus bei der Inlandsniederlassung einer ausländischen Gesellschaft genügt nicht.451 6.411 Wie bisher kann ein Angehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums daneben (mit oder ohne praktische Tätigkeit im Inland) zur deutschen Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, wenn er sich erfolgreich einer Eignungsprüfung, jetzt gem. §§ 16 ff. EuRAG, unterzogen hat. 6.412 Ein Anwalt aus einem EU-Staat darf in Deutschland auch ohne inländische Niederlassung gem. §§ 25 ff. EuRAG vorübergehend als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt unter seiner heimatlichen Berufsbezeichnung tätig werden, muss dabei aber kumulativ das Standesrecht seines Herkunftsstaats und das deutsche Standesrecht (§ 27 II EuRAG) beachten.452 Diese beratende und geschäftsbesorgende Tätigkeit ist frei. Keine solche Tätigkeit ist freilich mehr gegeben, wenn ein Anwalt im Inland eine stabile und kontinuierliche Berufstätigkeit, ggf. mit festem Kanzleisitz, ausüben bzw. ausüben will.453 Nach § 27 I 1 EuRAG darf der dienstleistende europäische Anwalt Mandanten auch vor Gericht oder Behörden vertreten. Im Rahmen des Anwaltszwangs bedarf er aber des Einvernehmens eines deutschen Rechtsanwalts (§ 28 EuRAG). 6.413 Anwälte aus anderen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation haben in Deutschland Zugang zur Rechtsbesorgung nach § 206 I BRAO (i.d.F. v. 9.3.2000).454 Sie dürfen sich unter ihrer heimatlichen Berufsbezeichnung in Deutschland niederlassen, wenn sie auf Antrag in die Rechtsanwaltskammer des Orts der Niederlassung aufgenommen worden sind. Ihre Befugnis zur Rechtsbesorgung beschränkt sich auf das Recht ihres Herkunftsstaats und das Völkerrecht. Welche Berufe bzw. Länder er-
449 EuGH v. 17.7.2014 – C-58/13 u. C-59/13 – A. u. P. Torresi v Consiglio dell’Ordine degli Avvocati di Macerati. 450 Vgl. Henssler/Prütting/Glindemann, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 11 EuRAG Rz. 5 ff. 451 BGH, NJW 2011, 1517. 452 Vgl. O. Knöfel, Grundfragen, S. 210 ff. 453 BVerfG v. 4.12.2013 – 2 BvE 6/13, EuZW 2014, 239. 454 BGBl. 2000 I, 190.
472
IV. Internationales Anwaltsrecht | Rz. 6.422 § 6
fasst sind, wird durch Rechtsverordnung bestimmt (§ 206 I 2 BRAO). Eine Verordnung für US-amerikanische Anwälte soll in Vorbereitung sein.455 Angehörige anderer Staaten dürfen Rechtsbesorgung, beschränkt auf das Recht ihres Herkunftsstaats in Deutschland betreiben, aber nur, wenn die Gegenseitigkeit mit dem Herkunftsstaat verbürgt und durch Rechtsverordnung im Einzelnen festgelegt worden ist (§ 206 II BRAO).
6.414
Gemäß VO v. 24.6.2009 (BGBl. 2009 I, 1387) können RAe aus Albanien, Chile, Georgien, Ghana, Korea (Südkorea), Malaysia, Mazedonien, Panama, Singapur, Tunesien, Ukraine und Uruguay ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragen. Die „internationale“ Rechtsberatung in internationalen Sozietäten wird mit dieser Regelung nur unzureichend erfasst.456 Ausländische Anwaltsgesellschaften aus EUStaaten dürfen aufgrund der europäischen Niederlassungsfreiheit in Deutschland Zweigniederlassungen errichten oder ihren Sitz hierher verlegen. Eine Zulassung kann analog §§ 59c ff. BRAO erfolgen.457 Zur Frage, ob sich ein deutscher Rechtsanwalt an einer englischen ABS (Solicitor-Gemeinschaft mit Beteiligung von NichtSolicitors) beteiligen kann s. H.-J. Hellwig.458 Frei
6.415
6.416– 6.419
4. Auslandstätigkeit deutscher Rechtsanwälte Das EuRAG v. 9.3.2000 dient der Umsetzung der Richtlinie 87/5/EG v. 1.2.1998.459 Soweit die Richtlinie in den anderen Mitgliedstaaten der EU umgesetzt worden ist, haben deutsche Rechtsanwälte dort ebenfalls das Recht zur Niederlassung oder zur vorübergehenden Dienstleistung.
6.420
Im Verhältnis zu Drittstaaten steckt die Freizügigkeit anwaltlicher Dienstleistungen erst in den Anfängen. Einheitliche Regeln bestehen nicht.
6.421
Einige Staaten der USA sind recht großzügig. Anwalt kann in den USA jeder werden, der das Bar-Examen besteht.460 Als foreign legal consultant kann ein ausländischer Anwalt in 16 Staaten der USA (darunter New York, Kalifornien und Florida) tätig werden und im Recht seines Heimatstaats sowie im internationalen Recht beraten. Die Beratung im Recht von Drittstaaten oder im amerikanischen Recht ist überwiegend unzulässig. Unzulässig ist die Vorbereitung von Urkunden, die Vertrautheit
6.422
455 E. Ewig, NJW 1995, 434, 435; zur Gegenseitigkeit im Verhältnis zu New York s. BRAK 1992, 87 und IntLawyer 27 (1993), 227. 456 Vgl. O. Knöfel, Grundfragen, S. 201 ff. 457 M. Henssler, FS Busse, S. 127, 144 ff. 458 AnwBl. 2012, 876. 459 ABl. EG Nr. L 77/36 v. 14.3.1998. 460 Zum Bar-Examen in New York s. H. Harrer/N. Paschos, Das New Yorker Bar Exam, DAJV-NL 1/1996, 25.
473
§ 6 Rz. 6.422 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
mit amerikanischen Gegebenheiten voraussetzt, und die Vertretung vor Gericht oder Behörden.461 Außerdem ist die Tätigkeit auf maximal fünf Jahre begrenzt.462
6.423 Noch eingeschränkter ist der Umfang zulässiger Dienstleistungen deutscher Anwälte in Japan. Wegen der strengen Einschränkung wurde der Umfang zulässiger Dienstleistungen ausländischer Anwälte in Japan lange kritisiert. Durch das Gesetz über Sondermaßnahmen für Rechtsangelegenheiten eines ausländischen Rechtsanwalts,463 das inzwischen mehrfach reformiert wurde, wurde der Umfang der zulässigen Tätigkeit eines ausländischen Rechtsanwalts allmählich erweitert. Nach dreijähriger Praxis im Heimatland kann dem ausländischen Rechtsanwalt die Zulassung in Japan erteilt werden (Art. 10 Abs. 1). Er muss sich mindestens 180 Tage im Jahr in Japan aufhalten. Der Umfang seiner Tätigkeit ist grds. auf die Rechtsangelegenheiten bezüglich seines Heimatrechts beschränkt (Art. 3 Abs. 1). Er kann insoweit vor japanischen Gerichten oder Behörden auftreten (Art. 3. Abs. 1 Nr. 1), Gutachten oder sonstige Auffassungen über Anwendung oder Auslegung von anderen Rechten als das Heimatrecht vorlegen (Art. 3 Abs. 1 Nr. 3), und eine Partei bei der Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung in einer notariellen Urkunde vertreten (Art. 3 Abs. 1 Nr. 5). Sind die Voraussetzungen (Art. 16) erfüllt, kann er sich auch mit dem Recht eines Landes, das nicht sein Heimatland ist, beschäftigen (Art. 5). Im Bereich des Familien- oder Erbrechts, bei Beteiligung eines japanischen Staatsangehörigen und in Grundstücksangelegenheiten ist eine Zusammenarbeit mit einem japanischen Rechtsanwalt erforderlich (Art. 3 Abs. 2). In internationalen Schiedsverfahren (einschließlich der Vergleichsverfahren) kann der ausländische Anwalt in Japan uneingeschränkt (ohne Rücksicht auf das anwendbare Recht) auftreten (Art. 5.3, Art. 58.2). 6.424 In Liechtenstein kann die Regierung ausländische Rechtsanwälte seit 1968 im Einzelfall zulassen. 6.425 –6.429 Frei 5. Anwaltskosten und Kostenerstattung Schrifttum: A. Escher/N. Keller-Kemmerer, Auf dem Weg zur American Rule? – Die Verfassungswidrigkeit der neuen Rechtsprechung des BGH zur begrenzten Erstattungsfähigkeit der Kosten ausländischer Verkehrsanwälte, IPRax 2014, 233.
6.430 Generell darf ein Anwalt für seine Tätigkeit in seinem Niederlassungsstaat nach dessen Recht abrechnen.464 Während in Deutschland für die Prozessvertretung ein streitwertabhängiger gesetzlicher Tarif gilt, berechnen die Anwälte ihre Gebühren in vielen Ländern nach dem Zeitaufwand (frei vereinbartes Stundenhonorar). Teilweise (z.B. in den USA) ist auch stets die Vereinbarung eines Erfolgshonorars zulässig.465 461 E. Ewig, NJW 1995, 434, 436. 462 Zur extraterritorialen Geltung US-amerikanischen Berufsrechts s. O. Knöfel, Grundfragen, S. 496 ff. 463 Gaikoku bengoshi ni yoru horitsujimu no toriatsukai ni kansuru tokubetsusochiho, 1989, Gesetz Nr. 66. 464 Supreme Court of British Columbia (McLeod v Amiras) [2001] ILPr 585. 465 R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 245 ff.
474
IV. Internationales Anwaltsrecht | Rz. 6.434 § 6
Die lex fori entscheidet, ob die unterliegende Partei auch die Partei- und Anwaltskosten des Gegners, wie nach § 91 ZPO bezahlen muss466 oder nicht, wie grds. in den USA. Der Anwalt kann auch in Deutschland mit seinem Mandanten ein Zeithonorar vereinbaren; der Gegner muss aber nur die gesetzlichen Gebühren erstatten.
6.431
Ob in Fällen mit Auslandsberührung die Zuziehung eines Verkehrsanwalts notwendig ist, ist in Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen,467 aber wohl meist wegen der sprachlichen Barriere, der kulturellen Unterschiede und der fehlenden Vertrautheit mit dem deutschen Rechtssystem zu bejahen.468 Der ausländischen Partei sind Verkehrsanwaltskosten nach denselben Grundsätzen wie einer inländischen Partei zu erstatten.469 Die Rspr. übt bei ausländischen Großunternehmen mit inländischer Zweigniederlassung zu Recht Zurückhaltung470 und erstattet nur die Kosten, die der Partei bei unmittelbarer Information ihres Anwalts entstanden wären.471
6.432
Der in Deutschland residierende Verkehrsanwalt kann eigene Reisekosten ins Ausland jedenfalls (in erstattungsfähiger Weise) in Rechnung stellen, wenn sie zur Information der Partei im Ausland notwendig und billiger waren als entsprechende Reisen der ausländischen Partei nach Deutschland.472 Bei der Beauftragung eines ausländischen Verkehrsanwalts473 oder eines ausländischen Beweisanwalts474 hat der Gegner aber nur die Kosten zu erstatten, die bei Beauftragung eines inländischen Rechtsanwalts angefallen wären. Die Kosten für die Teilnahme des inländischen Anwalts an der Zeugenvernehmung im Ausland sind erstattungsfähig, es sei denn, die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Wert der Hauptsache oder das Beweisthema sei derart einfach, dass die Belastung mit den Kosten treuwidrig wäre.475 Der im Inland tätige EG-Anwalt darf gegenüber inländischen Mandanten nach dem RVG abrechnen.476
6.433
Die Kosten eines neben dem ausländischen Prozessbevollmächtigten tätigen deutschen Einvernehmensanwalts sind stets erstattungsfähig.477 Zur Frage, ob einem ausländischen Klienten die Umsatzsteuer gesondert in Rechnung gestellt werden darf, s. B. Hansch.478 466 467 468 469 470 471 472 473 474 475 476 477 478
Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 651. BGH, NJW 2012, 938 (Rz. 9); OLG Koblenz, RIW 1990, 65. H. Schack, IZVR, Rz. 652. BGH, NJW 2012, 938 (Rz. 6 ff.); OLG München, RIW 1997, 963. OLG Düsseldorf, RIW 1996, 1044. BGH, NJW 2012, 938 (Rz. 11 f.); OLG Düsseldorf, RIW 1999, 69. OLG Koblenz, RIW 1990, 65, 66. BGH, RIW 2005, 467 = NJW 2005, 1373; OLG München, FamRZ 2004, 1803; krit. P. Mankowski, NJW 2005, 2346. BGH, RIW 2005, 774, 775. OLG Köln, MDR 2012, 940. LG Hamburg, RIW 1999, 466. EuGHE 2003, I-15075 (Amok Verlag v AZR Gastronomie) = NJW 2004, 833 = ZZPInt 2003, 527 (J. Adolphsen). AnwBl. 1987, 527.
475
6.434
§ 6 Rz. 6.435 | Inlandsverfahren mit Auslandsbezug
6.435 War der Prozess im Inland zu führen, so sind deutsche Gerichte nach Art. 7 Nr. 1b Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1b, 2. Strich EuGVO a.F., Art. 5 Nr. 1 LugÜ) für den Gebührenrechtsstreit des deutschen Anwalts gegen seinen ausländischen Mandanten zuständig, sofern keine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt. Für § 29 ZPO hat der BGH eine Zuständigkeit am Sitz des Anwalts verneint (s. Rz. 6.406).479 6.436 Wird ein ausländischer Titel (nach Vollstreckbarerklärung) im Inland vollstreckt, sind die entstehenden Anwaltskosten als Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 ZPO) vom Schuldner zu erstatten, auch wenn im Ursprungsland (insoweit) keine Kostenerstattung stattfindet.480 6.437 Zu den Anwaltskosten in England vgl. P. Hurst.481 Zu den Honoraren in Österreich vgl. P. Wrabetz/R. Bertrams.482 Zu den Anwaltskosten in den USA vgl. F. Weinschenk483 und L.-U. Pera.484 Zu den Honoraren in Frankreich vgl. J. Gruber.485
479 480 481 482 483 484
BGHZ 157, 20 = NJW 2004, 54 = FamRZ 2004, 98 (krit. P. Gottwald). OLG Düsseldorf, RIW 1990, 500. ZZPInt 10 (2005), 39, 44. AnwBl. 1987, 505. RIW 1990, 435. Der deutsche Rechtsanwalt und der US-amerikanische „attorney-at law“ und ihre Honorarforderungen, Diss. Münster 1995. 485 ZVglRWiss 107 (2008), 1, 16.
476
§7 Internationale Rechtshilfe I. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die traditionelle Rechtshilfe . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsgrundlagen der Rechtshilfe . 4. Voraussetzungen der internationalen Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Form der Erledigung . . . . . . . . . . . . . III. Internationale Rechtshilfe und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtshilfe und Anerkennung . . . . 2. Territorialitätsprinzip und Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Befugnisse von Konsuln . . . . . . . . . .
7.1 7.2 7.2 7.3 7.6 7.19 7.24 7.27 7.27 7.35 7.50
IV. Die grenzüberschreitende Kooperation der Gerichte . . . . . . . . . . . . . 1. Beweishilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchsetzung von Unterhalt . . . . . . 3. Internationale Adoptionen . . . . . . . 4. Kindschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unterbringung von Kindern . . . . . . 6. Betreuungssachen – Erwachsenenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Internationale Insolvenzverfahren . V. Das Europäische Justizielle Netz . 1. Informationen im Internet . . . . . . . 2. Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbindungsrichter . . . . . . . . . . . . . .
7.57 7.58 7.59 7.66 7.67 7.70 7.73 7.74 7.76 7.78 7.80 7.81
I. Schrifttum I. Andolina, Ricerche sul processo, Vol III: Cooperazione internazionale in materia giudiziaria, 1996; I. Andolina, La cooperazione internazionale nel processo civile, in Transnational Aspects of Procedural Law, 1998, S. 313; H. Arnold, Die Rechtshilfeordnung in Zivilsachen, MDR 1957, 385; H. Arnold, Die Problematik von Rechtshilfeabkommen, NJW 1970, 1478; K. H. Böckstiegel/D. Schlafen, Die Haager Reformübereinkommen über die Zustellung und Beweisaufnahme im Ausland, NJW 1978, 1076; Ch. Böhmer, Spannungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr in Zivilsachen, NJW 1990, 3049; D. Campbell/S. Rodriguez/B. Prell, International Judicial Assistance in Civil Matters, 1999; O. Capatina, L’entraide judiciaire internationale en matière civile et commerciale, RdC 179 (1983-I), 305; P. Carrington ua, The Hague Conference on Private International Law, Law and Contemp. Problems 57 (1994) (3), 1 ff.; T.-P. Chen, International Judicial Assistance in China, Intern. Lawyer 26 (1992), 387; Dunboyne, Service and evidence abroad, ICLQ 1961, 295; Fasching/Konecny/Sengstschmid, Zivilprozessgesetze, Bd. 1, 3. Aufl. 2013 (Anh. A zu §§ 38–40 JN: Haager Prozessübereinkommen 1954); R. Geimer, Betrachtungen zur internationalen (aktiven und passiven) Rechtshilfe und zum grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, FS Spellenberg, 2010, S. 407; R. Greger, Verfassung und internationale Rechtshilfe, Erlanger FS Schwab, 1990, S. 331; Harwood, Service and evidence abroad, ICLQ 1961, 284; P. Hay/P. Borchers/S. Symeonides, Conflict of Laws, 6th ed. 2018; G. Hecker, Handbuch der konsularischen Praxis, 1982, S. 367 ff. (Rechtshilfeverkehr); B. Heß, Neue Formen der Rechtshilfe in Zivilsachen im Europäischen Rechtsraum, GS W. Blomeyer, 2004, S. 617; B. Heß, Neue Rechtsakte und Rechtssetzungsmethoden im Europäischen Justizraum, ZSR 124 (2005) II, 183; B. Heß, Von der internationalen Rechtshilfe zur justiziellen Kooperation, GS Koussoulis, 2012, S. 145; B. Heß, Justizielle Kooperation, in Gottwald/Hess, Procedural Justice, 2014, S. 387; Jones, International judicial assistance: Procedural chaos and a program for reform, Yale L.J. 1953, 62 und 515; A. Junker, Der deutsch-ame-
477
7.1
§ 7 Rz. 7.1 | Internationale Rechtshilfe rikanische Rechtsverkehr in Zivilsachen, JZ 1989, 121; L. Ma, Chinesische internationale Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen, IPRax 1997, 52; A. Markus/R. Rodriguez, Neuerungen in der internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen – neue internationale Gesetzgebung und die Schweiz, 2008; H. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe im Zivilprozess, 1971; H. Nagel, Die Bedeutung der internationalen Rechtshilfe im Zivilverfahren für die Entwicklung des Völkerrechts, Thesaurus Acroasium, Vol. IV (1977), 1; Y. Ohara, Judicial assistance to be afforded by Japan for Proceedings in the United States, Int.Lawyer 23 (1989), 10; A.-J. Paulsen, Die Entwicklung der internationalen Rechtshilfe unter Berücksichtigung von Besonderheiten im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika aus Sicht der Praxis einer zentralen Behörde, FS Elsing, 2015, S. 883; Th. Pfeiffer, Internationale Zusammenarbeit bei der Vornahme innerstaatlicher Prozesshandlungen, in Gilles , Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 77; Ch. Pfeil-Kammerer, Deutschamerikanischer Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen, 1987; F. Pocar, L’assistenza giudiziaria internazionale in materia civile, Padova 1967; H.-J. Puttfarken, Rechtshilfe und Dritte Gewalt, NJW 1988, 2155; B. Ristau, International Judicial Assistance (Civil & Commercial) (2 Vol.), 1984 ff.; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1995; R. Schlamann/R. Blechat, Mitwirkung des Rechtspflegers im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland, Rpfleger 1999, 469; R. Schlemmer, Internationaler Rechtshilfeverkehr, 1970; P. Schlosser, Internationale Rechtshilfe und richterliche Unabhängigkeit, GS Constantinesco, 1982, S. 653; K. Siehr, Grundfragen der internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen, RIW 2007, 321; C. Tiburcio, The current practice of international co-operation in civil matters, RdC 393 (2017), 9; A. Trunk, Rechtshilfe in Zivilsachen im Ostseeraum, SchlHA 2006, 119; P. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996; M. Vollkommer, Disharmonien und Spannungen im internationalen Rechtshilfeverkehr zwischen den USA und Deutschland, ZZP 80 (1967), 248; U. Weinbörner, Die Neustrukturierung und Aktualisierung des Länderteils der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen, IPRax 2008, 486.
II. Die traditionelle Rechtshilfe 1. Begriff
7.2 Die Rechtshilfeordnung in Zivilsachen (ZRHO)1 definiert Rechtshilfe in § 2 I wie folgt: „Rechtshilfe ist jede gerichtliche oder behördliche Hilfe in einer bürgerlichen Rechtsangelegenheit, die entweder zur Förderung eines inländischen Verfahrens im Ausland oder zur Förderung eines ausländischen Verfahrens im Inland geleistet wird. Hierzu zählen auch Ersuchen, die die Erteilung von Auskünften über ausländisches Recht zum Gegenstand haben. Rechtshilfe kann auch durch Zustellung von Schriftstücken geleistet werden, die nicht oder noch nicht im Zusammenhang mit einem Verfahren stehen.“ 2. Arten der Rechtshilfe
7.3 § 5 ZRHO unterscheidet sechs Arten von Ersuchen: 1. um Zustellung (s § 8); 1 ZRHO v. 19.10.1956 i.d.F. der Bek. v. 16.4.2018. Aktuelle Neufassung im Internet verfügbar unter: www.datenbanken.justiz.nrw.de.
478
II. Die traditionelle Rechtshilfe | Rz. 7.5 § 7
2. auf Vornahme einer Beweisaufnahme (s § 9) oder einer anderen gerichtlichen Handlung (irreführend „Rechtshilfeersuchen“ genannt); 3. um Verfahrenshilfe, z.B. Akten oder Urkunden zu übersenden, amtliche Auskünfte zu erteilen oder Zeugen oder Berechtigte zu ermitteln; 4. um Verfahrensübernahme, z.B. nach §§ 99 III, 104 II FamFG; 5. um Vollstreckungshilfe, z.B. nach Art. 18, 19 HZÜ 1954 (s. Rz. 15.101 ff.); 6. um Rechtsauskünfte, z.B. nach dem Europäischen Übereinkommen betreffend Rechtsauskünfte (s. Rz. 11.2 ff.). Die Rechtshilfe in Strafsachen (nach dem IRG 19822 und dem Europäischen Übereinkommen v. 20.4.19593) und in Verwaltungssachen (etwa nach dem Europäischen Übereinkommen v. 15.2.19784 und dem deutsch-österr. Vertrag v. 31.5.1988) soll hier nicht behandelt werden. Der Sammelbegriff „Rechtshilfe“ hat sich international durchgesetzt. Im französischen Recht spricht man von „entraide judiciaire internationale“,5 im italienischen von „assistenza guidiziaria“, im schwedischen von „internationell rättshjälp“.6 Im Einzelnen sind die Begriffe freilich mit der „Verfahrenshilfe“ i.S.v. „Prozesskostenhilfe“ bzw. Armenrecht verwechslungsfähig. Im englischen Sprachraum wird der Begriff „legal assistance“7 kaum verwendet; „service of process“ und „obtaining evidence“ bleiben meist ohne Oberbegriff.
7.4
Teilweise spricht man auch von einer internationalen gerichtlichen Zusammenarbeit8 und bezieht dann auch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen mit ein.9 Aber eine solche Begriffsbildung vermischt unterschiedliche Tatbestände. Bei der Rechtshilfe im engeren Sinne geht es um die Zusammenarbeit mit anderen Gerichten und die Hilfe für eine Verfahrensabwicklung im Ausland. Bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen handelt es sich dagegen um die Freizügigkeit von Vollstreckungstiteln. Entsprechend
7.5
2 Vgl. E. López y López, The judicial co-operation in criminal matters, 1. Europäischer Juristentag, 2001, 251; O. Lagodny/W. Schomberg, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, 43; Th. Hackner/Ch. Schierholdt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl. 2017; W. Schomburg/M. Bohlander, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012. 3 BGBl. 1964 II, 1369. 4 BGBl. 1981 II, 553. 5 A. Monin-Hersant, Juris-Cl., Droit internationale, Fasc. 589-B-1. 6 Rättshjälplag 1972: 429. 7 S. I. Szaszy, S. 643. 8 So etwa das MERCOSUR-Protokoll von Las Leñas von 1992; vgl. J. Samtleben, IPRax 2005, 376, 381. 9 So J. Schröder, Die internationale Zuständigkeit, 1971, 748; I. Andolina, Le cooperazione internazionale nel processo civile, in I. Andolina, Transnational aspects of procedural laws, Vol. 1, 1998, 313; vgl. auch Th. Pfeiffer in P. Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 77, 102 ff.
479
§ 7 Rz. 7.5 | Internationale Rechtshilfe
trennt auch die internationale Vertragspraxis zumeist zwischen Rechtshilfe auf der einen und Anerkennung und Vollstreckung auf der anderen Seite. 3. Rechtsgrundlagen der Rechtshilfe
7.6 Primäre Rechtsgrundlage sind europäische Verordnungen sowie multi- und bilaterale Staatsverträge. EuZustVO, EuBewVO, das HZÜ 1954 sowie das HZustÜ 1965 und das HBÜ 1970 sowie die dazu bestehenden Zusatzvereinbarungen enthalten das für Deutschland relevante Recht. Bilaterale Rechtshilfeverträge bestehen weiter mit Großbritannien (mit Geltung für viele weitere Commonwealth-Staaten), Griechenland, Marokko, der Türkei und Tunesien. Die Rechtshilfeverträge der früheren DDR sind erloschen; zumeist wurde mit dem jeweiligen Vertragsstaat eine entsprechende Verständigung herbeigeführt.10 Im Einzelnen gilt Folgendes:
7.7 Das HZÜ 1905 gilt noch im Verhältnis zu Island. 7.8 Das HZÜ 1954 gilt im Verhältnis zu Ägypten, Albanien (seit 13.12.2010), Argentinien, Armenien, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Island (seit 31.7.2009), Israel, Italien, Japan, Kirgisistan, Kroatien, Lettland, Libanon, Litauen, Luxemburg, Macao, Marokko, Mazedonien, Moldau, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, Schweden, Serbien,11 Slowakei, Slowenien, Spanien, Surinam, Tadschikistan, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Usbekistan, Vatikanstaat, Weißrussland und Zypern (seit 1.3.2001). 7.9 Zusatzübereinkommen über die Vereinfachung des Geschäftsverkehrs bestehen mit – Belgien (v. 25.4.1959),12 – Dänemark (v. 1.10.1910 i.d.F. v. 6.1.193213 und v. 1.6.191414), – Frankreich (v. 6.5.1961),15 – Luxemburg (v. 1.8.1909),16 – den Niederlanden (v. 30.8.1962),17 – Norwegen (v. 23.11.1979),18 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Krit. F. Sturm, FS Serick, 1992, S. 351. Vgl. Th. Schweisfurth/K. Blöcker, IPRax 1996, 9. BGBl. II 1524. RGBl. II, 20. RGBl. 205. BGBl. II 1040. RGBl. 907, 910. BGBl. 1964 II, 468. BGBl. II 1292.
480
II. Die traditionelle Rechtshilfe | Rz. 7.12 § 7
– Österreich (v. 6.6.1959),19 – Polen (v. 14.12.1992),20 – Schweden (v. 1.2.1910),21 – der Schweiz (v. 30.4.191022 und v. 24.12.192923) und – der Tschechischen Republik (v. 2.2.2000).24 Außerdem ist das Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen 1954 v. 18.12.195825 zu beachten. Das Haager Zivilprozessübereinkommen 1954 ist im Verhältnis zu den Vertragsstaaten ersetzt worden durch das Haager Zustellungsübereinkommen 1965 (s. Rz. 8.85 ff.) und das Haager Beweisübereinkommen 1970 (s. Rz. 9.36 ff.). Die Zusatzvereinbarungen zum HZÜ 1905 bzw. HZÜ 1954 gelten gem. Art. 24 HZustÜ 1965 und Art. 31 HBÜ 1970 auch für die neuen Übereinkommen weiter.
7.10
In der Europäischen Union ist die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen nun in Art. 81 AEUV vorgesehen.26 Zur Realisierung dienen folgende Rechtsakte:
7.11
– Für Zustellungen innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (außer Dänemark) die Verordnung über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (EuZustVO) Nr. 1393/2007 v. 13.11.2007,27 die die VO (EG) Nr. 1348/200028 abgelöst hat (s. Rz. 8.53 ff.). – Für Beweisaufnahmen innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (außer Dänemark) gilt seit 1.1.2004 die VO (EG) Nr. 1206/2001 über die Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen v. 28.5.2001 (EuBewVO) (s. Rz. 9.8 ff.).29 Die europäischen Verordnungen lassen die Geltung der bilateralen Zusatzvereinbarungen (zum HZÜ 1954) unberührt (Art. 20 II EuZustVO; Art. 21 II EuBewVO), soweit diese den bilateralen Verkehr weiter vereinfachen. Beide Verordnungen gelten nur für den Rechtshilfeverkehr zwischen den Mitgliedstaaten; im Verhältnis zu Drittstaaten gilt jeweils autonomes Recht.30 19 BGBl. II 1523. Zu Einzelheiten s. Fasching/Bajons, Zivilprozessgesetze, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, Anh. B §§ 38–40 JN Rz. 51 ff. 20 BGBl. 1994 II, 361. 21 RGBl. 455. 22 RGBl. 674. 23 RGBl. 1930 II, 1. 24 BGBl. 2001 II, 1211; vgl. BT-Drucks. 14/6101 v. 17.5.2001 u. BT-Drucks. 14/6534 v. 3.7.2001. 25 BGBl. I, 939. 26 Vgl. A. Ilia, Coopération judiciare dans les matières civiles, 1. Europäischer Juristentag, 2001, S. 293. 27 ABl. EU Nr. L 324/79. 28 ABl. EG Nr. L 160/37 v. 30.6.2000. 29 ABl. EG Nr. L 174/1. 30 Vgl. K. Kreuzer, RabelsZ 70 (2006), 1, 34.
481
7.12
§ 7 Rz. 7.13 | Internationale Rechtshilfe
7.13
– Für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen die VO (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen.31 In den Art. 49 ff. EuUntVO sind die Einzelheiten geregelt.
7.14
– Zur praktischen Erleichterung der Zusammenarbeit hat der Rat durch Entscheidung v. 28.5.2001 zusätzlich ein Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen errichtet (s Rz. 7.76 ff.).32 Danach benennt jeder EU-Staat eine oder mehrere Kontaktstellen (Art. 2 II), die u.a. für die reibungslose Abwicklung von Verfahren mit grenzüberschreitenden Bezügen und die Erleichterung der Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit (Art. 3 II [a]) zu sorgen haben.
7.15 Das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.192833 gilt im Verhältnis zu Australien, Bahamas, Barbados, Bermuda, Britische Jungfern-Inseln, Dominika, Falkland-Inseln, Fidschi, Gambia, Grenada, Guyana, Jamaika, Kanada, Kenia, Lesotho, Malawi, Malaysia, Malta, Mauritius, Nauru, Neuseeland, Nigeria, Salomonen, Sambia, Seychellen, Sierra Leone, Singapur, St. Lucia, St. Vincent und Grenadinen, Swasiland, Tansania, Trinidad und Tobago, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland selbst sowie im Verhältnis zu Zypern.34 7.16 Zu beachten sind weiter – das deutsch-griechische Abkommen v. 11.5.1938 über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts,35 – die deutsch-liechtensteinische Vereinbarung v. 17.2./29.5.1958 über den unmittelbaren Geschäftsverkehr in Zivil- und Strafsachen,36 – der deutsch-marokkanische Rechtshilfe- und Rechtsauskunftsvertrag in Zivilund Handelssachen v. 29.10.1985,37 – der deutsch-tunesische Vertrag v. 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe (Art. 1–26) mit Ausführungsgesetz v. 29.4.1969,38 – das deutsch-türkische Abkommen v. 28.5.1929 über den Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen.39
7.17 Ein besonderer Rechtshilfevertrag besteht für die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen und die Durchsetzung von Unterhaltstiteln, nämlich
31 32 33 34 35 36 37 38 39
ABl. EU 2009 Nr. L 7/1. ABl. EG Nr. L 174/25 v. 27.6.2001. RGBl. II, 823. Vgl. Geimer/Schütze, IVR, S. 520.1, 2 ff. Geimer/Schütze, IVR, S. 430. Geimer/Schütze, IVR, S. 450.1. BGBl. 1988 II, 1055 (in Kraft seit 23.6.1994, BGBl. II 1192). Geimer/Schütze, IVR, S. 515.1. Geimer/Schütze, IVR, S 517.1.
482
II. Die traditionelle Rechtshilfe | Rz. 7.22 § 7
– das UN-Übereinkommen v. 20.6.1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (s. Rz. 15.305 ff.). Darüber hinaus gewähren sich die Staaten sog. vertragslose Rechtshilfe. Nach Völkerrecht ist kein Staat zur Leistung von Rechtshilfe verpflichtet. Diese wird vielmehr im Rahmen von „comity“ bzw. „courtoisie internationale“ erbracht.40 Die Rechtshilfe wird danach in der Erwartung gegenseitiger Hilfe auf Rechtshilfeersuchen (letter of request; commission rogatiore) hin erbracht. Diese generelle Erwartung ist jedoch von einem strengen Gegenseitigkeitserfordernis zu unterscheiden. Rechtshilfe ist daher ohne Prüfung der Gegenseitigkeit zu leisten.41 Eine Einschränkung ist allenfalls zulässig, wenn der ersuchende Staat deutsche Rechtshilfeersuchen generell ablehnen würde.
7.18
4. Voraussetzungen der internationalen Rechtshilfe Generell ist die internationale Rechtshilfe nicht von der Gegenseitigkeit abhängig.
7.19
Internationale Rechtshilfe hängt auch nicht davon ab, ob das ersuchende Gericht international zuständig i.S.d. ersuchten Staats ist. Es kommt vielmehr ausschließlich darauf an, ob ein Prozessgericht für die Durchführung eines bei ihm anhängigen Verfahrens um Rechtshilfe ersucht.42 Rechtshilfe ist daher auch dann zu gewähren, wenn der ersuchte Staat für den Rechtsstreit selbst die eigene ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte beansprucht. Einzelne gegenteilig entschiedene Fälle sollten diesen Grundsatz nicht in Frage stellen.43
7.20
Im gleichen Sinne hat der italienische Kassationshof entschieden, dass die Ausführung eines Rechtshilfeersuchens nicht davon abhängt, ob ein im ausländischen Verfahren ergehendes Urteil später in Italien anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann.44 Wie jede internationale Zusammenarbeit, kann auch die internationale Rechtshilfe im Einzelfall aus ordre public-Gründen abgelehnt werden. Der ordre public-Verstoß ergibt sich freilich nur selten aus der begehrten Rechtshilfe selbst, sondern i.d.R. aus dem damit verfolgten Rechtsschutzziel (s. Rz. 8.121 ff.).
7.21
Über die Gewährung von Rechtshilfe entscheidet die Exekutive, nicht das Gericht.45 Über die Beziehungen zu ausländischen Staaten entscheidet die Bundesregierung (Art. 32 GG). Sie entscheidet daher letztlich darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen Rechtshilfeersuchen an das Ausland weitergeleitet und eingehenden Gesu-
7.22
40 H. Schack, Rz. 198; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland, S 56 ff.; Burgstaller/Christian, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz. 8.10. 41 G. Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, S. 23 ff.; H. Schack, Rz. 198; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland, S. 58 ff. 42 R. Geimer, IZPR, Rz. 2015; bereits F. Meili/A. Mamelok, Internationales Privat- und Zivilprozessrecht, 1911. 43 Vgl. OLG Nürnberg, IPRspr. 1958/59, 628. 44 F. Pocar, L’assistenza giudiziaria, 164. 45 BGHZ 87, 385, 389 = NJW 1983, 2769; R. Geimer, IZPR, Rz. 2126 f.
483
§ 7 Rz. 7.22 | Internationale Rechtshilfe
chen grds entsprochen wird. Die Prüfung der ein- und ausgehenden Gesuche durch die Gerichtspräsidenten als Prüfungsstellen (§ 9 ZRHO)46 ist insoweit delegierte Verwaltungstätigkeit und nicht Rechtsprechung.
7.23 Die positive oder negative Entscheidung der Prüfstelle ist deshalb Justizverwaltungsakt; ihre Rechtmäßigkeit kann im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG überprüft werden.47 5. Form der Erledigung
7.24 Rechtshilfehandlungen jeder Art werden vom ersuchten Gericht grds nach seiner eigenen lex fori ausgeführt. 7.25 Jedoch können auf besonderes Gesuch auch ausländische Formen berücksichtigt werden. Art. 11 II schweiz. IPRG lautet: „Auf Begehren der ersuchenden Behörde können auch ausländische Verfahrensnormen angewendet oder berücksichtigt werden, wenn es für die Durchsetzung eines Rechtsanspruchs im Ausland notwendig ist und nicht wichtige Gründe auf Seiten des Betroffenen entgegenstehen.“
7.26 Das deutsche Recht kennt keine ausdrückliche allgemeine Regel dieses Inhalts. Art. 5 (1) (b) HZustÜ 1965 und Art. 9 (2) HBÜ sehen jedoch vor, dass Rechtshilfe in besonderen Formen erbeten werden kann. Dies gilt auch im vertragslosen Zustand, sofern die erbetene Handlung nicht mit dem deutschen Recht unvereinbar ist.
III. Internationale Rechtshilfe und Völkerrecht 1. Rechtshilfe und Anerkennung
7.27 Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen ist zwar Teil der internationalen Zusammenarbeit, gehört aber nicht zum Bereich der internationalen Rechtshilfe. Letztere besteht darin, dem Prozessgericht Hilfe bei Zustellungen oder Beweisaufnahmen in einem anderen Staat zu leisten. Zustellungen ins Ausland können nicht ohne eine Mitwirkung des Empfangsstaats bewirkt werden. Allerdings kann der Empfangsstaat sein generelles Einverständnis erklären, dass ausländische Gerichte in seinem Gebiet per Post durch Konsuln oder durch Privatpersonen zustellen. Eine solche generelle Zustimmung besteht in den Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises.
46 Eine Liste der Prüfungsstellen findet sich in Internet unter www.datenbanken.justiz.nrw. de. 47 BVerfGE 91, 335 = NJW 1995, 649 = JZ 1995, 716; OLG München, RIW 1989, 483; OLG Köln, RIW 1988, 55; Pabst in MünchKomm/ZPO, § 23 EGGVG Rz. 6, 65, 76; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 156 GVG Rz. 65.
484
III. Internationale Rechtshilfe und Völkerrecht | Rz. 7.32 § 7
Auch innerhalb der EU dürfen Zustellungen jetzt gem. Art. 14 EuZustVO unmittelbar durch die Post erfolgen, in Deutschland nach § 1068 ZPO freilich nur durch Einschreiben mit Rückschein. Auf diese Regelung nimmt § 183 I Nr. 1 ZPO Bezug. Danach erfolgt die Zustellung ins Ausland per Posteinschreiben mit Rückschein, soweit dies völkerrechtlich vereinbart ist. Soweit dies nicht der Fall ist, bleibt es bei der traditionellen Form des Ersuchens des Vorsitzenden des Prozessgerichts an die Behörden des fremden Staats oder an die deutsche diplomatische oder konsularische Vertretung in dem betreffenden Staat (§ 183 II ZPO). Ist eine Zustellung auf diesem Wege nicht möglich oder verspricht sie keinen Erfolg, kann die Zustellung im Inland durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) nach § 185 Nr. 3 ZPO erfolgen.
7.28
Ähnlich liegt es bei Beweisaufnahmen im Ausland. In solchen Fällen hat der Vorsitzende gem. § 363 ZPO die zuständige Behörde um Aufnahme des Beweises zu ersuchen. Kann die Beweisaufnahme durch einen Bundeskonsul erfolgen, so ist das Ersuchen an diesen zu richten. Wird die erbetene Hilfe nicht geleistet, so können die Beweisaufnahmen nicht durchgeführt werden. Das Prozessgericht muss aber trotzdem entscheiden nach den Regeln der Beweislastverteilung.
7.29
Bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen hat das Prozessgericht dagegen bereits entschieden. Durch die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung kann ein ausländischer Staat lediglich verhindern, dass ein deutsches Urteil in seinem Gebiet durchgesetzt werden kann.
7.30
Diese Unterscheidung der internationalen Rechtshilfe und der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile wird nicht immer scharf gesehen (s. Rz. 7.5). Eine strenge Unterscheidung beider Gebiete des IZPR ist aber von großer praktischer Bedeutung, denn dadurch wird unterstrichen, dass die internationale Rechtshilfe nicht mit dem Problem der Gegenseitigkeit belastet sein darf.
7.31
Die meisten zweiseitigen Übereinkommen behandeln die Gebiete der internationalen Rechtshilfe getrennt von der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile. Als Beispiele seien angeführt folgende Vereinbarungen über die Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs: die deutsch-belgische v. 25.4.1959, die deutschdänische v. 6.1.1932, die deutsch-französische v. 6.5.1961, die deutsch-luxemburgische v. 1.8.1909, die deutsch-niederländische v. 30.8.1962, die deutsch-österreichische v. 6.6.1959, die deutsch-schwedische v. 1.2.1910, die deutsch-schweizerische v. 30.4.1910, die deutsch-britische v. 20.3.1928, die deutschgriechische v. 11.5.1938, die deutsch-türkische v. 29.5.1929. Dem stehen folgende Abkommen bzw. Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen gegenüber: das deutsch-italienische v. 9.3.1936, das deutsch-belgische v. 30.6.1958, das deutsch-österreichische v. 6.6.1959, das deutsch-britische v. 14.7.1960, das deutschgriechische v. 4.11.1961, das deutsch-niederländische v. 30.8.1962, das deutschschweizerische v. 2.11.1929; der deutsch-israelische Vertrag v. 20.7.1977 und der deutsch-norwegische Vertrag v. 17.6.1977; der deutsch-spanische Vertrag v. 14.11.1983/20.1.1987. Lediglich der deutsch-tunesische Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen
7.32
485
§ 7 Rz. 7.32 | Internationale Rechtshilfe
in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 19.7.1966 behandelt mehrere Gebiete des IZPR.
7.33 Für die besondere Behandlung der internationalen Rechtshilfe spricht auch ein in allen Staaten immer deutlicher hervortretendes Interesse an der Aufklärung des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden wahren Sachverhalts. Nach der deutschen ZPO kann das Gericht alle ihm erforderlich erscheinenden Beweise von Amts wegen erheben mit der einzigen Ausnahme des Zeugenbeweises. Der neue französische cprc unterstreicht besonders die aktive Rolle des Richters im Zivilprozess. Bei der Beweiserhebung geht das französische Prozessrecht sogar noch einen Schritt weiter als das deutsche, denn es erlaubt dem Gericht auch, Zeugen von Amts wegen zu hören.48 Auch das neue belgische Zivilprozessrecht gibt dem Gericht eine weitreichende Macht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären.49 Für die sozialistischen Staaten galt der Grundsatz, die objektive Wahrheit in jedem Zivilprozess erforschen zu müssen. Mit diesem Prinzip ist eine unvernünftige Beschränkung der Beweisführung unvereinbar.50 7.34 Im anglo-amerikanischen Prozess herrscht zwar das „adverserial principle“-System, es wird jedoch ein fairer Prozess gefordert. Ein solcher ist nicht möglich, wenn die Ladung an einen Beklagten im Ausland nicht durchgeführt werden kann oder wenn die Durchführung einer Beweisaufnahme im Ausland ungebührlich beschränkt würde.51 Danach würden die Staaten sich mit ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen, wenn sie einem Prozessgericht – wo immer es gelegen sei – keine internationale Rechtshilfe leisten würden. 2. Territorialitätsprinzip und Rechtshilfe
7.35 Die territoriale Bezogenheit der Gerichtshoheit führt zu einem negativen Satz des Völkergewohnheitsrechts, wonach kein Staat auf dem Gebiet eines anderen ohne dessen Zustimmung gerichtliche Handlungen vornehmen darf.52 Das bezieht sich auch auf Zustellungen, Ladungen und Beweisaufnahmen im Ausland. Bei strenger Durchführung dieses Grundsatzes wird es bereits fraglich, ob das Prozessgericht eigene Staatsangehörige im Ausland durch einfachen oder eingeschriebenen Brief zu einem Termin laden darf (hierauf nimmt das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1.3.1954 Bezug, wenn es vorsieht, dass den Mitgliedstaaten bei Auslandszustellungen durch Postbriefe ein Widerspruchsrecht zusteht). 7.36 Das Verbot, in einem anderen Staat ohne dessen Erlaubnis hoheitlich tätig zu werden, schließt freilich nicht aus, dass die inländische Prozesspartei freiwillig im Inland Anordnungen eines ausländischen Gerichts befolgt oder discovery-Pflichten nach48 C. Parodi, L’esprit général et les innovations du NCPC, 1976, 47. 49 E. Krings, ZZP 90 (1977), 245. 50 Ž. Stalev, Fundamental guarantees of litigants in civil proceedings, in Cappelletti/Tallon, Les garanties fondamentales des parties dans le procès civil, Milano, 1973, 411. 51 J. Vélu, La convention européenne des droits de l’homme, in Cappelletti/Tallon, Les garanties fondamentales des parties dans le procès civil, Milano, 1973, 327. 52 P. Gottwald, FS Habscheid, 1989, S. 119, 123 ff.
486
III. Internationale Rechtshilfe und Völkerrecht | Rz. 7.40 § 7
kommt. In der Teilnahme eines ausländischen Anwalts an einer solchen „freiwilligen“ Beweiserhebung liegt ebenfalls kein unzulässiges Verhalten, insb. keine Amtsanmaßung nach § 132 StGB.53 Unter dem Einfluss von Savigny und Mancini wurde die strenge Auffassung des Souveränitätsbegriffs abgemildert. In der völkerrechtlichen Gemeinschaft unabhängiger Staaten sah man zugleich eine große Rechtsgemeinschaft. Aus dieser leitete Meili54 zu Beginn unseres Jahrhunderts noch eine gegenseitige völkerrechtliche Obligation ab, wonach zivilisierte Staaten verpflichtet seien, einander internationale Rechtshilfe zu leisten. Diese große Rechtsgemeinschaft der Völker ist mit dem Ersten Weltkrieg zerbrochen.
7.37
Szászy55 hat gefragt, ob nicht die h.M. in der Literatur dahin gehe, dass man eine völkerrechtliche Gewohnheitsregel annehmen könne, wonach die Staaten zumindest bei Verbürgung der Gegenseitigkeit verpflichtet seien, einander Rechtshilfe zu leisten. Der Grundsatz der Verbürgung der Gegenseitigkeit beruhe letztlich auf der Erwägung des „do ut des“. Demgegenüber muss immer wieder hervorgehoben werden, dass die internationale Rechtshilfe sich ihrer ganzen Natur und Aufgabe nach nicht mit der Verbürgung der Gegenseitigkeit verträgt.
7.38
Angesichts der Haltung vieler Staaten zu dem Prinzip der Gegenseitigkeit im IZPR ist einstweilen nicht damit zu rechnen, dass internationale Rechtshilfe allgemein auch ohne eine Verbürgung der Gegenseitigkeit gewährt werden wird. Andere Staaten wie z.B. Schweden leisten internationale Rechtshilfe auch ohne staatsvertragliche Verpflichtung.56 Dabei wird vielfach übersehen, dass das Prinzip der Verbürgung der Gegenseitigkeit auch eine negative Seite hat. Diese zeigt sich darin, dass sie einer Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts entgegensteht. Es wird allgemein angenommen, dass die Verbürgung der Gegenseitigkeit, sofern sie nicht vertraglich abgesichert ist, nur als Regel der internationalen Höflichkeit (courtoisie internationale) gewertet wird.57 Sie löst keine völkerrechtliche Verpflichtung aus, sondern lässt allenfalls die Retorsion als Antwort auf eine unbillige Härte zu. Solange man mit der Gegenseitigkeit im herkömmlichen Sinne arbeitet, kann sich also kein Völkergewohnheitsrecht bilden.
7.39
Im Zusammenhang mit der internationalen Rechtshilfe muss die Lehre von der „comitas gentium“ aber anders aufgefasst werden.
7.40
Die Verbürgung der Gegenseitigkeit besteht nämlich in etwas Positivem. Durch positives Verhalten will der eine Staat den anderen veranlassen, sich entsprechend zu verhalten. Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe spielt jedoch das „Dulden“ fremder Gerichtshandlungen eine bedeutende Rolle. Fast alle Staaten dulden es,
53 54 55 56 57
H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 132 f. Das internationale Civilprozessrecht, Zürich 1906, 45. International Civil Procedure, 1967, 649. M. Bogdan, Svensk internationell privat- och processrätt, 1980, 253. Vgl. G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht I/1, 2. Aufl. 1989, S. 74.
487
§ 7 Rz. 7.40 | Internationale Rechtshilfe
dass sich ein fremdes Prozessgericht durch Postbriefe an Parteien, Zeugen oder Sachverständige in ihrem Staatsgebiet wendet.
7.41 Auf ein solches Dulden stellen sogar viele Prozessordnungen ab. Hat eine Partei, die nicht im Inland wohnt, keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt, so können gem. § 184 I 2 ZPO alle späteren Zustellungen in der Art bewirkt werden, dass das zuzustellende Schriftstück unter der Anschrift der Partei nach ihrem Wohnort zur Post gegeben wird. Nach der Neuordnung des Zustellungsrechts setzt diese Zustellung an die Auslandspartei voraus, dass das Gericht bei der förmlichen Auslandszustellung nach § 184 I 1 ZPO ausdrücklich anordnet, dass die Partei einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten innerhalb einer angemessenen Frist bestellt. Außerdem muss das Gericht in dieser Anordnung ausdrücklich auf die Folgen der Nichtbestellung hinweisen (§ 184 II 1 ZPO). Diese Neufassung trägt daher der Kritik an der früheren Regelung des § 175 ZPO a.F. Rechnung. Nach § 184 II 1 ZPO gilt das Schriftstück nicht mehr sogleich mit der Absendung, sondern erst zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt. In geeigneten Fällen kann das Gericht auch eine längere Frist bestimmen (§ 184 II 2 ZPO). Durch diese Regelung soll soweit möglich verhindert werden, dass ein Verhandlungstermin stattfindet, bevor die Partei davon benachrichtigt worden ist. 7.42 Ähnliches gilt für Staaten, die – wie Frankreich (im Verhältnis zu Nicht-EU-Mitgliedstaaten) – bei der Zustellung an eine im Ausland wohnende Partei auf die „remise au parquet“ abstellen. Die „remise“ bewirkt die Zustellung als im Inland erfolgt. Doch muss der „Huissier“ dem Empfänger durch eingeschriebenen Brief eine Kopie der erfolgten Zustellung übersenden (Art. 684 und 686 CPC). 7.43 Noch stärker als bei Zustellungen wirkt sich das Dulden ausländischer gerichtlicher Handlungen zugunsten des Prozessgerichts bei Beweisaufnahmen aus. Hierbei spielt die Praxis in den Ländern des anglo-amerikanischen Rechtskreises eine bedeutende Rolle. Es ist allgemein üblich, dass „commissioners“ als „special examiners“ damit betraut werden, im Ausland Zeugen oder Sachverständige zu hören oder Augenscheinsaufnahmen durchzuführen.58 Die mit dieser Praxis vertrauten Staaten dulden solche gerichtlichen Handlungen ausländischer Gerichte innerhalb ihres Staatsgebietes. 7.44 Überdies dulden es viele Staaten, dass Rechtshilfeersuchen um Vernehmung von Zeugen durch die betreffenden diplomatischen oder konsularischen Vertreter der ersuchenden Staaten ausgeführt werden. 7.45 Wird internationale Rechtshilfe durch ein rein passives Verhalten, durch ein Dulden fremder Gerichtshandlungen auf dem eigenen Staatsgebiet, geleistet, so scheidet dabei die Verbürgung der Gegenseitigkeit aus. Das Prinzip der Reziprozität setzt nämlich in jedem Fall voraus, dass sich ein anderer Staat ausdrücklich, zumindest aber durch schlüssiges Verhalten ebenso verhält wie der eigene. Ein rein passives Verhalten schafft noch keine Gegenseitigkeitslage. Entfällt aber die Gegenseitigkeit, 58 Lord Dunboyne (P. Fitzwalter Butler), ICLQ 1961, 295.
488
III. Internationale Rechtshilfe und Völkerrecht | Rz. 7.50 § 7
so sperrt sie infolge ihrer negativen Seite auch nicht mehr die Fortentwicklung von Völkergewohnheitsrecht. Dass Gewohnheitsrecht auch durch ein „Dulden“ entstehen kann, hat bereits Puchta nachgewiesen.59 Es bedarf keines Beweises mehr, dass das unter Rz. 7.43 ff. ausgeführte „Dulden“ zu einer ständigen Übung unter den betreffenden Staaten geworden ist.
7.46
Dass eine Bildung von Gewohnheitsrecht auf dem Gebiet des Völkerrechts schwierig ist, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Zu der ständigen Übung muss die Rechtsüberzeugung hinzukommen. Eine solche Rechtsüberzeugung folgt schon daraus, dass eine große Anzahl von Zivilprozessordnungen direkt oder indirekt auf die ständige Übung Bezug nimmt. Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, dass es sich bei keinem der erwähnten Fälle um Zustellungen im eigentlichen technischen Sinne handele. § 184 I 1 ZPO n.F. setzt voraus, dass die erste den Prozess einleitende Verfügung dem Beklagten im Wege der internationalen Rechtshilfe zugestellt worden ist.
7.47
Bei den Staaten, die der „remise au parquet“ folgen, ist es nicht anders. Die Zustellung selbst wird zwar im Inland bewirkt. Der „Huissier“ wird aber auch als Beamter tätig, wenn er den Beklagten im Ausland durch eingeschriebenen Brief von der erfolgten „remise“ unterrichtet. Dieser Mitteilung durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein wird jedoch ausdrücklich die Wirkung einer Zustellung beigelegt.
7.48
Die Rechtsüberzeugung wird nicht nur durch die Unterstützung nationaler Zivilprozessgesetze gebildet. Sie ergibt sich auch aus der allgemeinen Überzeugung, dass die internationale Rechtshilfe unentbehrlich ist für die Durchführung eines geordneten und fairen Zivilverfahrens. Es kann daher bereits von einem Satz des Völkergewohnheitsrechts gesprochen werden, wonach fremde Staaten verpflichtet sind, Postsendungen in ihrem Gebiet zu dulden, mit denen Prozessgerichte oder Behörden Parteien, Zeugen oder Sachverständigen Mitteilungen über Zustellungen oder Ladungen machen.
7.49
3. Befugnisse von Konsuln a) Zustellungen. Soweit Staaten es erlauben, dass ausländische Konsuln auf ihrem Staatsgebiet Dienst tun, kann aus einer solchen Erlaubnis die weitere Regel des Völkergewohnheitsrechts hergeleitet werden, dass sie implicit damit einverstanden sind, dass die Konsuln Zustellungen an Angehörige des Entsendestaats in den ihnen zugewiesenen Bezirken vornehmen. Dies entspricht auch der Regelung in Art. 8 HZustÜ 1965 sowie in Art. 13 EuZustVO. Im Übrigen verweist § 14 II ZRHO darauf, dass eine deutsche Auslandsvertretung einen Zustellungsantrag nur dann selbst erledigen darf, wenn sie im Empfangsstaat dazu befugt ist.
59 Dazu H. Nagel, Thesaurus Acroasium, 8.
489
7.50
§ 7 Rz. 7.51 | Internationale Rechtshilfe
7.51 b) Beweisaufnahmen. Das Gleiche gilt, soweit die Staaten es dulden, dass diplomatische Vertreter oder Konsuln die Angehörigen des Entsendestaats, die freiwillig vor den Vertretern erscheinen, als Zeugen vernehmen. 7.52 Innerhalb der Staaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises hat sich weiteres partikuläres Völkergewohnheitsrecht gebildet. Das gilt hinsichtlich der Beweisaufnahmen durch „commissioners“ als „special examiners“.60 7.53 c) Nachlassabwicklung. Zur völkerrechtlichen Kooperation im Bereich der Ziviljustiz gehört auch die Einräumung von Befugnissen für Konsuln des Heimatstaats in Nachlasssachen. (1) Nach § 13 deutsch-türkisches Nachlassabkommen ist der Konsul des jeweiligen Heimatstaats ermächtigt, die seinem Staat angehörigen Erben in allen Angelegenheiten, die die Eröffnung, Verwaltung und Regelung des beweglichen und unbeweglichen Nachlasses betreffen, ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde zu vertreten. Dies gilt nicht, wenn alle Berechtigten anwesend oder anderweitig vertreten sind. Nach § 12 II dt-türk Nachlassabkommen ist der Konsul verpflichtet, eine letztwillige Verfügung in seinem Besitz, die eine Verfügung über unbeweglichen Nachlass enthält, der zuständigen Ortsbehörde auszuhändigen.
7.54 (2) Auch der deutsch-sowjetische Konsularvertrag v. 25.4.195861 sieht umfangreiche Befugnisse der Konsuln in Nachlasssachen vor. Dieser Konsularvertrag gilt auch nach Auflösung der Sowjetunion im Verhältnis zu den GUS-Staaten weiter.62 Er gilt (Stand 1.1.2020) nicht mehr im Verhältnis zu Armenien, Kirgisistan und Turkmenistan. 7.55 Nach Art. 25 I dt-sowj Konsularvertrag wacht der jeweilige Konsul darüber, dass alle Maßnahmen zum Schutz berechtigter Interessen der Erben (die Angehörige seines Staats sind) ergriffen werden. Nach Art. 26 S 2 kann der Konsul notwendige Maßnahmen zum Schutz des Nachlasses beantragen. Soweit es um den Nachlass von Angehörigen seines Entsendestaats geht, darf der Konsul selbst (oder durch seinen Bevollmächtigten) (1) an der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses teilnehmen, und (2) bei den Behörden des Empfangsstaats Maßnahmen beantragen, damit eine Beschädigung oder ein Verderb von Nachlassgegenständen verhindert wird und diese im Bedarfsfall veräußert werden.
7.56 Schließlich kann der Konsul von den Behörden des Empfangsstaats nach Art. 28 des dt.-sowj. Konsularvertrags die Übergabe der Nachlassgegenstände (einschließlich der Schriftstücke des Verstorbenen) verlangen, wenn die Erben Angehörige des Entsendestaats sind und nicht im Empfangsstaat wohnen. Zuvor müssen aber die Erbschaftsteuer bezahlt und Ansprüche der im Empfangsstaat wohnenden Personen er60 So im Wesentlichen auch G. Pfennig, Die internationale Zustellung, 1988, S. 35. 61 BGBl. 1959 II 233. 62 S. Nachweise bei E. Jayme/R. Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 35 Fn. 1.
490
IV. Die grenzüberschreitende Kooperation der Gerichte | Rz. 7.59 § 7
füllt sein (Art. 28 II 1). Diese Verpflichtung besteht aber nur, wenn die entsprechenden Ansprüche innerhalb von sechs Monaten nach dem Tod des Erblassers als berechtigt anerkannt sind oder behördlich geprüft werden (Art. 28 II 2 dt.-sowj. Konsularvertrag).
IV. Die grenzüberschreitende Kooperation der Gerichte Die traditionelle Rechtshilfe wird neuerdings durch das Gebot der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der befassten Gerichte ergänzt und auf eine neue, qualitativ höhere Ebene gestellt.
7.57
Die klassische Rechtshilfe wird ohne konkrete Abstimmung zwischen den beteiligten Gerichten geleistet. Ein Gesuch wird zwar zunächst auf seine Zulässigkeit geprüft, aber ohne Rücksprache mit der Gegenseite abgesendet. Auch die Gegenseite prüft es, ohne in Zweifelsfällen bei dem Gesuchsteller nachzufragen. Ungenaue Angaben, missverständliche Übersetzungen oder simple Irrtümer führen als Folge davon dazu, dass sachliche berechtigte Gesuche abgelehnt oder ihre Erledigung erheblich verzögert wird. Um solche negativen Effekte nach Möglichkeit zu vermeiden, setzen neuere Regelungen der Rechthilfe stärker auf eine reale Zusammenarbeit der Justizorgane der beteiligten Staaten. Das Europäische Justizielle Netz63 hat die Möglichkeit dieser Zusammenarbeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten durch die institutionelle Einrichtung von Zentralstellen und die Bestellung von Verbindungsrichtern (s. Rz. 7.81) noch verbessert. 1. Beweishilfe Nach Art. 8 EuBewVO werden unvollständige Ersuchen nicht einfach abgelehnt, sondern zur Verbesserung konkreter Punkte zurückgegeben.64
7.58
Damit das ersuchende Gericht das Beweisergebnis praktisch nutzen und besser würdigen kann, darf ein Beauftragter dieses Gerichts bei der Beweisaufnahme zugegen sein (Art. 12 EuBewVO).65 Das Beweisersuchen kann auch im Wege einer Video- oder Telekonferenz erledigt werden (Art. 10 IV, 17 IV (3) EuBewVO).66 2. Durchsetzung von Unterhalt Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (3. Teil T), 2. Aufl. 2018.
Inspiriert durch das UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhalt im Ausland von 1956 sehen die Art. 49 ff. EuUntVO in Anlehnung an die Art. 53 ff. 63 64 65 66
E 2001/470/EG, ABl. EG Nr. L 174/25 v. 27.6.2001. Vgl. Rauscher/v. Hein, (2015) Art. 8 EG-BewVO Rz. 1 ff. Vgl. Rauscher/v. Hein, (2015) Art. 12 EG-BewVO Rz. 1. Vgl. Rauscher/v. Hein, (2015) Art. 10 EG-BewVO Rz. 39, Art. 17 EG-BewVO Rz. 12.
491
7.59
§ 7 Rz. 7.59 | Internationale Rechtshilfe
Brüssel IIa-VO, aber auch die Art. 4 ff. HUÜ 2007 vor, dass die Zentralen Behörden der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten (Art. 49 EuUntVO) zusammenarbeiten. Sie tauschen Informationen aus und fördern die Zusammenarbeit der konkret befassten Gerichte, damit Unterhaltsansprüche grenzüberschreitend tatsächlich durchgesetzt werden und dabei auftretende Schwierigkeiten gelöst werden (Art. 50 EuUntVO).67 Nach Art. 51 II EuUntVO können Informationen über die Anschrift der Beteiligten, das Einkommen des Verpflichteten, dessen Arbeitgeber und Kontoverbindung, sowie wenn nötig sein Vermögen beschafft werden.68 Der Umfang der Befugnis der Zentralen Behörde ist in Art. 61 EuUntVO geregelt. Einzelheiten zur Ermittlung des Aufenthaltsorts der Beteiligten sieht § 16 AUG, zur Ermittlung von Einkommen und Vermögen des Unterhaltsschuldners § 17 AUG vor. Nach dem Brexit bleiben die Art. 49 ff. EuUntVO im Verhältnis zu Großbritannien auf alle Anträge zur Anerkennung und Vollstreckung von Unterhalt und Ersuchen an die Zentrale Behörde des ersuchten Staates wirksam, die vor dem Ende der Übergangsperiode am 31.12.2020 eingehen.
7.60 Nach Art. 56 I EuUntVO kann jeder Unterhaltsberechtigte über die Zentrale Behörde (a) die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung, (b) deren Vollstreckung, (c) das Herbeiführen einer Entscheidung (sofern noch keine vorliegt) einschl. der Feststellung der Abstammung oder (d) wenn die Entscheidung im ersuchten Staat nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann, (e) eine Änderung der ersuchten Staat ergangenen Entscheidung und (f) eine Änderung der in einem andern Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung.69 Der Unterhaltsschuldner kann (a) die Anerkennung einer Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung, (b) eine Änderung der im ersuchten oder (c) in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragen. Der Inhalt solcher Anträge ist in Art. 57 EuUntVO im Detail vorgeschrieben. Art. 58 EuUntVO regelt in allen Einzelheiten, wie ein solcher Antrag zu bearbeiten ist.70 Auch ohne Antrag kann eine Zentrale Behörde eine andere ersuchen, angemessene besondere Maßnahmen gem. Art. 53 EuUntVO zu treffen.71 7.61 Die Inanspruchnahme der Dienste der Zentralen Behörde ist nach Art. 54 EuUntVO grundsätzlich kostenfrei, ausgenommen außergewöhnliche Dienstleistungen, bei denen der Antragsteller im Voraus einer Kostenübernahme zugestimmt hatte. Die Kosten zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Unterhaltsschuldners sind keine außergewöhnlichen Kosten (Art. 54 II Unterabs. 2 EuUntVO).72 Kosten, die durch die Inanspruchnahme Dritter entstehen, sind nicht befreit. Um Übersetzungskosten zu ver67 Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Kap. 36 Rz. 212; Rauscher/Andrae, EuIZPR/EuIPR (2015), Vorbem. Artt. 49 ff. EG-UntVO Rz. 1 ff.; M. Heger, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, FS Brudermüller, 2014, S. 291. 68 Vgl. M. Andrae, NJW 2011, 2545, 2549; R. Hausmann, Teil T Rz. 14 ff. 69 R. Hausmann, Teil T Rz. 45 ff. 70 Vgl. R. Hausmann, Teil T Rz. 62 ff. 71 R. Hausmann, Teil T Rz. 32 ff. 72 R. Hausmann, Teil T Rz. 40.
492
IV. Die grenzüberschreitende Kooperation der Gerichte | Rz. 7.65 § 7
meiden, sind Anträge nach § 59 EuUntVO unter Benützung des eingeführten Formblattes zu stellen, so dass beigefügte Schriftstücke nur Bedarf übersetzt werden müssen.73 In Ausnahmefällen kann die zuständige Behörde von der unterliegenden Partei, die unentgeltliche Prozesskostenhilfe nach Art. 46 erhalten hat, Kostenerstattung verlangen (Art. 67 EuUntVO). Rechtshilfe zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen wird nach § 5 AUG auch im Anwendungsbereich des HUÜ 2007 (Art. 5 ff.; § 1 I Nr. 2a AUG), des HUVÜ 1973 (§ 1 I Nr. 2b AUG) und im Verhältnis zu den Staaten gewährt, mit denen eine Gegenseitigkeitsvereinbarung besteht (§ 1 I Nr. 3 AUG).74
7.62
Bei eingehenden Gesuchen gilt das Bundesamt für Justiz als Zentrale Behörde als bevollmächtigt, im Namen des Antragstellers selbst oder durch Unterbevollmächtigten außergerichtlich oder gerichtlich tätig zu werden (§ 5 V AUG).75 Die Zentrale Behörde ist auch ermächtigt, den Zahlungsverkehr abzuwickeln (§ 5 VI AUG).76 Soweit es um den Unterhalt für Minderjährige geht, kann die Zentrale Behörde das zuständige Jugendamt um Unterstützung ersuchen (§ 6 AUG).
7.63
Ausgehende Anträge sind nach § 7 AUG beim AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zu stellen. Diesem obliegt eine Vorprüfung des Antrags als Justizverwaltungsaufgabe (§ 9 AUG). Im Verhältnis zu Staaten mit Gegenseitigkeitsvereinbarung ist zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht hat; in allen anderen Fällen nur, ob der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist (§ 9 I 1 Nr. 1, 2 AUG).77 Liegt kein Ablehnungsgrund vor, wird der Antrag an die Zentrale Behörde übersandt (§ 9 III AUG). Andernfalls wird die Weiterleitung durch begründete Entscheidung abgelehnt, die als Justizverwaltungsakt nach § 23 EGGVG anfechtbar ist. Im Anwendungsbereich des UNUÜ 1956 hat der den Antrag stets der Zentralen Behörde vorzulegen; diese entscheidet dann über die Weiterleitung (§ 9 IV AUG). Das gesamte Vorprüfungsverfahren ist kostenfrei (§ 7 III AUG).
7.64
Die Zentrale Behörde prüft, ob der Antrag alle Förmlichkeiten erfüllt und leitet ihn dann an die zuständige Stelle des Auslands weiter (§ 11 AUG). Grundsätzlich muss der Antragsteller notwendige Übersetzungen in die Sprache des ersuchten Staates selbst vorlegen. Beschafft er sie trotz Aufforderung nicht, veranlasst die Zentrale Behörde eine Übersetzung auf seine Kosten (§ 10 II AUG). Auf Antrag kann das AG aber von der Tragung dieser Kosten befreien, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe erfüllt (§ 10 III AUG). Ergänzend gilt § 1077 IV ZPO (§ 10 IV AUG).
7.65
73 74 75 76 77
Vgl. M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 10 Rz. 328. Vgl. M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 10 Rz. 341. R. Hausmann, Teil T Rz. 106. Vgl. M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 10 Rz. 351. M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 10 Rz. 354 ff.
493
§ 7 Rz. 7.66 | Internationale Rechtshilfe
3. Internationale Adoptionen Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (3. Teil V), 2. Aufl. 2018.
7.66 Das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption v. 29.5.199378 hat schon nach seinem Titel den Zweck unter den Vertragsstaaten ein System der Zusammenarbeit einzurichten, damit das Wohl der betroffenen Kinder bei einer Adoption und der Verbringung ins Ausland gewahrt bleibt.79 Die Zusammenarbeit erfolgt auch hier über Zentrale Behörden, in Deutschland das Bundesamt für Justiz. Zentrale Adoptionsstellen sind die Zentralen Adoptionsstellen der Landesjugendämter.80 4. Kindschaftssachen Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (3. Teil U), 2. Aufl. 2018.
7.67 a) Entscheidungen über elterliche Sorge, Umgang und Herausgabe eines Kindes sollten zum Wohl des Kindes wirklichkeitsnah getroffen werden. Deshalb regeln die Art. 53 ff. Brüssel IIa-VO ausführlich die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden der EU-Mitgliedstaaten in allen Fragen, die die elterliche Verantwortung betreffen.81 Diese Regeln bleiben im Verhältnis zu Großbritannien auch nach dem Brexit für alle Ersuchen oder Anträge anwendbar, die bei der Zentralen Behörde des ersuchten Staates vor dem Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 eingehen (Art. 67 Abs. 3 lit. a des Austrittsvertrages).
7.68 b) Besonders heikel ist die Anordnung und Vollstreckung einer Kindesrückgabe nach einer Kindesentführung.82 Art. 7 HKÜ bestimmt deshalb die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der beteiligten Staaten, um die sofortige Rückgabe des Kindes sicherzustellen. Art. 7 II lit. h HKÜ und Art. 11 Brüssel IIa-VO sehen dazu u.a. vor, dass die Rückgabe von angemessenen Vorkehrungen („undertakings“) abhängig gemacht werden kann.83 Auch nach Art. 42 II (2) Brüssel IIa-VO sind Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr sicherzustellen. Damit solche Vorkehrungen oder Maßnahmen tatsächlich realisiert werden können, bedarf es der realen Abstimmung zwischen den Gerichten/Behörden der beteiligten Staaten, nachdem sie sich zweckdienliche Auskünfte erteilt haben (Art. 55
78 BGBl. 2001 II, 1035. 79 Vgl. G. Ring, Der Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Internationalen Adoption, ZFE 2007, 220. 80 Vgl. R. Hausmann, Teil V Rz. 26 f. 81 Vgl. Rauscher/Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 55 Brüssel IIa-VO Rz. 1 ff.; R. Hausmann, Teil U Rz. 9 ff. 82 Vgl. P. McEleavy, Judicial communication and co-operation and the Hague Convention on international Child Abduction, IJPL 2 (2012), 36. 83 Vgl. Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 11 Brüssel IIa-VO Rz. 22 ff.
494
IV. Die grenzüberschreitende Kooperation der Gerichte | Rz. 7.71 § 7
Satz 2 lit. b, c Brüssel IIa-VO, Art. 7 II lit. d HKÜ). Gerade in diesen Fällen werden Verbindungsrichter (s. Rz. 7.81) mit Gewinn tätig.84 Die Art. 29 ff. KSÜ 1996 sehen detailliert eine Zusammenarbeit der Zentralen Behörden der Vertragsstaaten vor, um grenzüberschreitend Maßnahmen zum Schutz von Kindern durchzusetzen.85 Alle entscheidenden Maßnahmen sollen letztlich miteinander abgestimmt werden. Dazu haben sich die beteiligten Gerichte/Behörden gegenseitig zu informieren (vgl. Art. 34 KSÜ).
7.69
5. Unterbringung von Kindern Bei einer grenzüberschreitenden Unterbringung eines Kindes regelt Art. 56 Brüssel IIa-VO detailliert die Zusammenarbeit der Gerichte der beiden Mitgliedstaaten im Rahmen eines Konsultationsverfahrens.86 Eine Entscheidung über die Unterbringung in einem anderen EU-Mitgliedstaat darf erst getroffen werden wenn der ersuchte Staat der Unterbringung zugestimmt hat (Art. 56 II Brüssel IIa-VO). Wurde das Konsultationsverfahren nicht korrekt durchgeführt, wird die Anerkennung der Unterbringungsentscheidung versagt (Art. 23 lit. g Brüssel IIa-VO). Zuständig für die Erteilung der Zustimmung ist in Deutschland der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Bereich das Kind untergebracht werden soll (§ 45 IntFamRVG), Dessen Zustimmung bedarf zusätzlich nach § 47 IntFamRVG der Genehmigung des Familiengerichts am Sitz des OLG, in dessen Bezirk das Kind untergebracht werden soll (§ 47 IntFamRVG). Der Beschluss des OLG ist unanfechtbar (§ 47 III IntFamRVG). Voraussetzungen für die Zustimmung oder Ablehnung sind in § 46 IntFamRVG im Einzelnen aufgelistet. Zu prüfen ist insb., ob die Unterbringung dem Kindeswohl entspricht, das Kind angehört wurde, die Pflegefamilie oder das Heim bereit sind, das Kind aufzunehmen und ob die Kosten für die Unterbringung geklärt sind. Ist die Unterbringung mit Freiheitsentzug verbunden, muss sie durch ein Gericht angeordnet worden sein und auch nach deutschem Recht eine solche Unterbringung zulässig sein (§ 46 II IntFamRVG).
7.70
Auch Art. 33 KSÜ sieht vor, dass vor einer Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie, einem Heim oder durch Kafala in einem anderen Vertragsstaat dessen Zentrale Behörde zu Rate zu ziehen ist. Das Gericht, das die Unterbringung erwägt, muss einen Bericht über das Kind abgeben, Gründe für die beabsichtigte Unterbringung oder Betreuung darlegen und die Zustimmung der anderen Seite einholen.87 Die Einzelheiten dieses Verfahren richten sich ebenfalls nach §§ 45 ff. IntFamRVG (s. Rz. 7.70). Nach Art. 23 II lit. f KSÜ kann die Anerkennung einer Unterbringungs-
7.71
84 D. Coester-Waltjen, Das Zusammenspiel von Rechtsquellen und Institutionen bei internationalen Kindesentführungen, IJPL 2 (2012), 12, 31. 85 R. Hausmann, Teil U Rz. 38 ff. 86 Vgl. EuGH – C-92/12 PPU, ECLI:EU:C:2012:255 – Health Service Executive (Rz. 67 ff.), FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431 (dazu J. Pirrung, S. 404); R. Hausmann, Teil U Rz. 16 ff. 87 R. Hausmann, Teil U Rz. 48 ff.
495
§ 7 Rz. 7.71 | Internationale Rechtshilfe
anordnung verweigert werden, wenn das Verfahren nach Art. 33 KSÜ nicht eingehalten wurde.
7.72 Soweit der persönliche Umgang sicherzustellen ist, sollen die Behörden des einen Staats denen des anderen Hilfe leisten, Auskünfte einholen usw. (Art. 35 KSÜ). 6. Betreuungssachen – Erwachsenenschutz Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (3. Teil W), 2. Aufl. 2018.
7.73 Wie beim Kinderschutz verlangt auch ein grenzüberschreitender Schutz betreuungsbedürftiger Erwachsener nach einer auf den Einzelfall bezogenen Zusammenarbeit der Gerichte/Behörden der beteiligten Staaten. In den Art. 28 ff. ErwSÜ (i.V.m. ErwSÜAG v. 17.3.2007) ist diese Zusammenarbeit im Detail (parallel zu den Art. 29 ff. KSÜ) geregelt.88 Zentrale Behörde in Deutschland ist das Bundesamt für Justiz (§ 1 ErwSÜAG). 7. Internationale Insolvenzverfahren
7.74 Schließlich bedarf es bei der Insolvenz insb. von Unternehmen, deren Vermögen über mehrere Staaten verteilt ist, aber auch bei Konzernunternehmen mit COMI in verschiedenen Staaten einer gewissen Abstimmung und Koordination der zu treffenden Maßnahmen, etwa zur Entscheidung darüber, in welchem Staat das Hauptverfahren zu eröffnen ist (vgl. Art. 3 EuInsVO).89 7.75 Die EuInsVO 2015 regelt die Zusammenarbeit der Gerichte nunmehr in Art. 42, eine Zusammenarbeit der Verwalter von Haupt-und Sekundärverfahren in Art. 41 und von Verwaltern und Gerichten in Art. 43 EuInsVO. Diese Regeln bleiben auch nach dem Brexit im Verhältnis zu Großbritannien auf Insolvenzverfahren und Klagen nach Art. 6 EuInsVO anwendbar, soweit das Insolvenzhauptverfahren vor dem Ende der Übergangszeit am 31.12.2020 eröffnet wurde (Art. 67 Abs. 3 lit. c des Austrittsvertrages). Für eine Zusammenarbeit mit Insolvenzgerichten in Nicht-EU-Staaten bietet § 348 II InsO eine Rechtsgrundlage (s. Rz. 20.114 ff.).90
V. Das Europäische Justizielle Netz 7.76 Schrifttum: E. Carl/M. Menne, Verbindungsrichter und direkte richterliche Kommunikation
im Familienrecht, NJW 2009, 3537; T. v. Danwitz, Kooperation der Gerichtsbarkeiten in Europa, ZRP 2010, 143; M. Fornasier, Auf dem Weg zu einem europäischen Justizraum – Der Beitrag des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ZEuP 2010, 477; 88 Vgl. Prütting/Helms/Hau, Vor §§ 98–106 FamFG Rz. 57 ff.; R. Hausmann, Teil W Rz. 14 ff. 89 Vgl. P. Busch/A. Remmert/St. Rüntz/H. Vallender, Kommunikation zwischen Gerichten in grenzüberschreitenden Insolvenzen, NZI 2010, 417. 90 Vgl. D. Riewe, Verankerung der Kooperation von Insolvenzgerichten, NZI 2011, 134.
496
V. Das Europäische Justizielle Netz | Rz. 7.80 § 7 W. Frenz, Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, JR 2011, 277; B. Hess, Kommunikation im europäischen Zivilprozess, AnwBl. 2011, 321; St. Leible, Strukturen und Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutzund Verfahrensrecht, 2014, S. 433; St. Matyk, Das Europäische Netz des Notariats: ein Beitrag zum Ausbau des Europäischen Justiziellen Netzes, ZEuP 2010, 497; M. Menne, Verbindungsrichter und internationale Richternetzwerke in der familiengerichtlichen Praxis, FS Brudermüller, 2014, S. 471; M. Menne, Verbindungsrichter im internationalen Familienrecht in Deutschland – Aktueller Stand und Ausblick, FamRZ 2018, 1644; P. Mayr/A. Sengstschmid, Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts (16. Kap.), 2017, S. 957; M. Menne, Dialogue of Judges -Verbindungsrichter und internationale Richternetzwerke, JZ 2017, 332; M. Menne, Verbindungsrichter im internationalen Familienrecht in Deutschland – Aktueller Stand und Ausblick, FamRZ 2018, 1644; M. Menne, Verbindungsrichter in der Praxis, ZEuP 2019, 472; M. Menne, Verbindungsrichter – Öl im Räderwerk des internationalen Familienrechts, iFamZ 2019, 280; P. Melin, Das europäische justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, DRiZ 2010, 22; V. Reding, Recht und Kommunikation – beides gehört für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit der EU-Institutionen zusammen, AnwBl. 2010, 481; E. Storskrubb, Civil Procedure and EU Law, 2008, p 233; M. Stürner, Die justizielle Zusammenarbeit im Privatrecht in der EU, JA 2015, 813; R. Wagner, Die Aussagen zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen im Haager Programm, IPRax 2005, 66; R. Wagner, Aktuelle Entwicklungen in der europäischen justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, NJW 2010, 1707.
Am 28.5.2001 beschloss der Rat der EU die Gründung des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen.91 Es ermöglicht einen unbürokratischen, meist informellen Informationsaustausch in Zivil- und Handelssachen zwischen den beteiligten Gerichten und Behörden. Durch Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 568/2009/EG v. 18.6.2009 wurde das Netz verbessert und der Zugang auf Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher ausgedehnt.
7.77
1. Informationen im Internet Über die Website unter dem Namen des Europäischen Justiziellen Netzes und die Website „Europäischer Gerichtsatlas für Zivilsachen“ erhält jedermann Informationen zur grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung, die auch für Anwälte eine wertvolle Hilfe darstellen.92 Diese Website soll schrittweise mit dem europäischen Justizportal verbunden werden. Dieses „Europäische Justizportal“ ist als zentrale elektronische Anlaufstelle für den gesamten Justizbereich gedacht.
7.78
Wertvolle Informationen zum Recht der EU bietet schließlich die EUR-Lex Plattform.93
7.79
2. Kontaktstellen Das Europäische Netz erteilt Auskünfte zu allgemeinen Fragen des Rechts der EUMitgliedstaaten sowie über den Stand der im Ausland anhängigen Rechtssachen. Dazu wurden in jedem Mitgliedstaat Kontaktstellen eingerichtet.
91 E 2001/470/EG, ABl. EG Nr. L 174/25. 92 Link: http://ec.europa.eu/civiljustice/. 93 Link: http://eur-lex.europa.eu/.
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7.80
§ 7 Rz. 7.80 | Internationale Rechtshilfe
In Deutschland sind es das Bundesamt für Justiz sowie die Landesjustizverwaltungen bzw. Gerichtspräsidenten (§ 16a EGGVG; s. die Auflistung in § 73 II ZRHO). 3. Verbindungsrichter
7.81 Zur Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten wurde das im Rahmen des Haager Kindesentführungs-Übereinkommens errichtete Netzwerk von Verbindungsrichtern auch auf das Europäische Netz erstreckt (Art. 2 I Ratsentscheidung 470/2001).94 Die Verbindungsrichter sollen helfen, Kontakte zwischen den mit dem gleichen Fall, etwa im Rahmen der Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO befassten Richtern zu vermitteln und allgemeine Fragen zum jeweiligen nationalen Rechtssystem und der Rechtsanwendung zu beantworten. Die Verbindungsrichter werden bei Ersuchen an das Ausland und aus dem Ausland tätig. Sie üben ihre Unterstützung auch im Verhältnis zu Drittstaaten aus.95 Die Verbindung erfolgt zumeist informell über E-Mail oder Telefon.
94 E. Carl/M. Menne, NJW 2009, 3537. 95 E. Carl/M. Menne, NJW 2009, 3537, 3539.
498
§8 Internationale Zustellungen I. Die Zustellung im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 1. Allgemeines Schrifttum . . . . . . . . . 8.1 2. Zustellungsmethoden . . . . . . . . . . . 8.2 3. Ersatzzustellungen . . . . . . . . . . . . . . 8.36 II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 . . . . . . . . . 8.53 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.53 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.54 3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . 8.57 4. Notwendigkeit der Auslandszustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.58 5. Zustellung im Rechtshilfeverkehr . 8.62 6. Direktzustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.74 7. Direktzustellung durch die Post . . 8.76 8. Unmittelbare Zustellung im Parteiauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.81 9. Heilung von Zustellungsmängeln . 8.84 III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 . . . . . . . . . 8.85 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.85 2. Die Übermittlungswege für Zustellungsersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.101 3. Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . 8.121 4. Schutzvorschriften für den Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.127
5. Verhältnis von EuGVO und LugÜ zu Art. 15 HZÜ . . . . . . . . . . . . . . . . 8.138 6. Zustellungen von Versäumnisurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.140 7. Heilung von Zustellungsmängeln . 8.141 IV. Zustellungen nach HZPÜ v. 1.3.1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.142 V. Zustellungen außerhalb von Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 8.151 VI. Bilaterale Besonderheiten . . . . . . 8.158 1. Deutsch-türkisches Abkommen v. 28.5.1929 über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen . . . . . 8.158 2. Deutsch-griechisches Abkommen v. 11.5.1938 über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts . . 8.159 3. Deutsch-britisches Abkommen v. 20.3.1928 über den Rechtsverkehr 8.161 4. Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.166 5. Deutsch-marokkanischer Vertrag über internationale Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . 8.172 6. Zustellungen im Verhältnis zu den europäischen Kleinstaaten . . . . . . . 8.175
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich 1. Allgemeines Schrifttum Allgemein: I. Andolina, Ricerche sul processo, Vol III: Cooperazione internationale in materia giudiziaria, 1996; E. Bajons, Internationale Zustellung und Recht auf Verteidigung, FS Schütze, 1999, S. 49; R. Bindseil, Öffentliche Zustellung bei Wohnsitz des Antragsgegners im Ausland, NJW 1991, 3071; Th. Bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- oder Handelssachen, 1997; Ch. Böhmer, Spannungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr in Zivilsachen, NJW 1990, 3049; G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, 6th ed. 2018; G. Born/A. Vollmer, The Effect of the Revised FRCP on Personal Jurisdiction, Service, and Discovery in International Cases, 150 FRD 221 (1994);
499
8.1
§ 8 Rz. 8.1 | Internationale Zustellungen P.-A. Brand/J. Reichhelm, Fehlerhafte Auslandszustellung, IPRax 2001, 173; J. Braun, Einlassungszwang bei einer Klage auf Zahlung von 17 Mrd. Dollar?, ZIP 2003, 2225; A. Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2000, S. 397; D. Campbell/S. Rodriguez/B. Prell, International Judicial Assistance in Civil Matters, 1999; Conférence de La Haye, Actes et documents de la 10me session 1964, T. III Notification, 1965; L. Cooper, International service of process by mail under the Hague Service Convention, Michigan J.Int’lL. 13 (1992), 698; A. CostasPörksen, Anwendungsbereich und ordre public-Vorbehalt des Haager Zustellungsübereinkommens, 2016; St. Cromie, International Commercial Litigation, 2nd ed. 1997, Chap. IX, S. 442 ff.; Fasching/Konecny/Sengstschmid, Zivilprozessgesetze, Bd. 1, 3. Aufl. 2013 (Anh. A u. B zu §§ 38–40 JN: Haager Übereinkommen 1954; Bilaterale Rechtshilfeverträge), S. 736 ff.; J. Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996; F. Gascón Inhausti, Electronic Service of Documents – National and International Aspects, in Kengyel/Nemessányi, Electronic Technology and Civil Procedure, 2012, S. 137; A.-S. Ghassabeh, Die Zustellung einer punitive damages- Sammelklage an beklagte deutsche Unternehmen, 2009; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999; R. Greger, Verfassung und internationale Rechtshilfe, Erlanger FS Schwab, 1990, S. 331; K. Hailbronner, Zulässigkeit und Verfahren der Zustellung gerichtlicher Verfügungen an zwischenstaatliche Organisationen, ZZPInt 7 (2002), 63; M. Heckel, Die fiktive Inlandszustellung auf dem Rückzug, IPRax 2008, 218; P. Heidenberger, Zustellung amerikanischer Punitive-damages-Klagen weiterhin ein Problem, RIW 1995, 705; T. Heidrich, Amts- und Parteizustellungen im internationalen Rahmen: status quo und Reformbedarf, EuZW 2005, 743; J. v. Hein, BVerfG gestattet Zustellung einer US-amerikanischen Klage auf punitive damages, RIW 2007, 249; B. Heß, Zur Zustellung von Klagen gegen fremde Staaten, RIW 1989, 254; B. Heß, Transatlantischer Rechtsverkehr heute: Von der Kooperation zum Konflikt?, JZ 2003, 923; G.-S. Hök, Zur Zustellung durch Aufgabe zur Post im internationalen Rechtsverkehr, JurBüro 1989, 1217; K. Hopt/R. Kulms/J. von Hein, Rechtshilfe und Rechtsstaat. Die Zustellung einer US-amerikanischen class action in Deutschland, 2006; K. Hopt/Kulms/J. von Hein, Zur Zustellung einer US-amerikanischen class action in Deutschland, ZIP 2006, 973; P. Huber, Playing the same old song – German courts, the „Napster“case and the international law of service of process, FS Jayme, 2004, S. 361; A. Huet, Procédure Civile et Commerciale dans les Rapports Internationaux, Notifications Internationales, JurisCl. Droit Intern. Fasc. 583–10, 583–20 (2001); B. Jacklin, Service of process by mail in international civil action as permissible under Hague Convention, 112 ALR Fed 241 (1993); F. Juenger u. M. Reimann, Zustellung von Klagen auf punitive damages, NJW 1994, 3274; W. Kennett, The Enforcement of Judgments in Europe, 2000, 173 ff.; K. Kiethe/P. Groeschke, Die Zustellung von Urteilen im Ausland – keine gerichtliche Hinweispflicht, RIW 1999, 249; H. Koch/Ch. Horlach/D. Thiel, US-Sammelklage gegen deutsches Unternehmen?, RIW 2006, 356; B. G. Koenig, The Hague Convention on the service abroad of judicial and extrajudicial documents, in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 227; J. Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; J. Kondring, Die „konsularische Zustellung durch die Post“, RIW 1996, 722; J. Kondring, Vom stillen Ende der Remise au Parquet in Europa, RIW 2007, 330; M. Lin, Chinesische internationale Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen, IPRax 1997, 52; W. Lindacher, Klageerhebung durch grenzüberschreitende postalische Direktzustellung, in Ünnepi Tanulmányok, L. Gáspárdy zum 60. Geburtstag, 1997, S. 247; H. Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, in Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung, 1999, S. 95; M. Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1999, S. 70 ff.; Ch. Malzahn, Rechtshilfe und Rechtsstaat. Zur Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte ... bei der Klagezustellung in Deutschland, GS Blumenwitz, 2008, S. 241; H.-P. Mansel, Zustellung einer Klage in Sachen „Tschernobyl“, IPRax 1987, 210; H.-P. Mansel, Grenzüberschreitende Prozessführungsverbote (antisuit injunctions) und Zustellungsverweigerung, EuZW 1996, 335; K. Manteuffel, Zustellung von Klageschriften von Deutschland in die USA, IDR 2005, 37; J. Mark, Amerikanische class action und deutsches Zivilprozessrecht, EuZW 1994, 238; F. Matscher, Sprache der Auslands-
500
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich | Rz. 8.2 § 8 zustellung und Art. 6 EMRK, IPRax 1999, 274; D. McClean, International Judicial Assistance, 1992 (S. 6–55); H. Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995; H. Morisse, Die Zustellung US-amerikanischer Punitive-damages-Klagen in Deutschland, RIW 1995, 370; L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 2nd ed. 2002 (Teil III); W. zur Nieden, Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen in Deutschland nach Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens, 2011; Hj. Otto, Tücken der Zustellung im internationalen Rechtshilfeverkehr, FS Birk, 2008, S. 575; M. Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, S. 83 ff., 157 ff.; Th. Pfeiffer, Internationale Zusammenarbeit bei der Vornahme innerstaatlicher Prozesshandlungen, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 77; Ch. Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen, 1987; G. Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988; H. Prütting, Ein neues Kapitel im Justizkonflikt USA – Deutschland, FS Jayme, 2004, S. 709; H.-E. RasmussenBonne, The Pendulum swings back: The cooperative approach of German courts to international service of process, EuLF 2009, I-121; K. Reisenfeld, Service of United States Process Abroad, Int.Lawyer 24 (1990), 55; F. Rigaux, La signification des actes juridiques à l’étranger, Rev. crit. 1963, 447; B. Ristau, International Judicial assistance, Pt. IV, rev. ed 2000; B. Ristau, Service of Process Abroad: The Practice in the United States, in Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung, 1999, S. 71; H. Roth, Heilung von Zustellungsmängeln im internationalen Rechtsverkehr, FS Gerhardt, 2004, S. 799; Th. Rüfner, Zustellung per E-Mail im US-amerikanischen Zivilprozess, RIW 2002, 616; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1995; H. Schack, Einheitliche und zwingende Regeln der internationalen Zustellung, FS Geimer, 2002, S. 931; P. Schlosser, Legislatio in fraudem legis internationalis, FS Stiefel, 1987, S. 683; P. Schlosser, Die internationale Zustellung zwischen staatlichem Souveränitätsanspruch und Anspruch der Prozesspartei auf ein faires Verfahren, FS Matscher, 1993, S. 387; P. Schlosser, EuGVÜ (mit HZÜ 1965), 1996; P. Schlosser, Jurisdiction and international judicial and administrative co-operation, RdC 284 (2000), 89 ff.; B. Schmitz, Fiktive Auslandszustellung, 1980; R. Schütze, Formlose Zustellung im internationalen Rechtsverkehr, RIW 2000, 20; R. Schütze, Zur Zustellung US-amerikanischer Klagen in Deutschland, FS Boguslavskij, 2004, S. 325; R. Schütze, Klagen vor US-amerikanischen Gerichten – Probleme und Abwehrstrategien, RIW 2005, 579; R. Schütze, Die Verweigerung der Klagezustellung bei völkerrrechtswidriger Usurpierung internationaler Zuständigkeit, RIW 2009, 497; Ch. Strasser, Auslandzustellungen in die Karibik, RpflStud 2011, 25; B. Stroschein, Parteizustellung im Ausland, 2008; F. Sturm, Zu Art. 16 Abs. 4 HZÜ und Art. 19 Abs. 5 EuZVO, FS Strätz, 2009, S. 537; R. Stürner, Förmlichkeit und Billigkeit bei der Klagzustellung im Europäischen Zivilprozess, JZ 1992, 325; R. Stürner, Die verweigerte Zustellungshilfe für U.S.-Klagen oder der „Schuss übers Grab“, JZ 2006, 60; P. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996; J. Weis, Service by Mail is the Stamp of Approval from the Hague Convention always enough?, Law & Contemp. Probl. 57 (1994), 165; H. Wiehe, Zustellungen, Zustellungsmängel und Urteilsanerkennung am Beispiel fiktiver Inlandszustellungen in Deutschland, Frankreich und den USA, 1993; Ch. Wölki, Das Haager Zustellungsabkommen und die USA, RIW 1985, 530; P. Yessiou-Faltsi, Versäumnisverfahren und Versäumnisurteil nach griechischem Recht bei Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Ausland, FS Schütze, 1999, S. 997.
2. Zustellungsmethoden Die Zustellung eines Schriftstücks besteht aus dessen Bekanntgabe an einen Empfänger (oder einen Vertreter) verbunden mit einem gewissen urkundlichen Nachweis der erfolgten Mitteilung (§§ 166 I, 175, 182 ZPO).1 Sie dient dazu, die erfolgte Über1 I.d.F. des Zustellungsreformgesetzes v. 25.6.2001, BGBl. I 1206.
501
8.2
§ 8 Rz. 8.2 | Internationale Zustellungen
gabe an den Empfänger förmlich nachzuweisen. Die Bundesrepublik Deutschland sieht in jeder amtlichen Zustellung einen Hoheitsakt.2 Die Zustellung unmittelbar durch eine ausländische Justizbehörde oder in deren Auftrag wird daher im Inland nur aufgrund einer Einwilligung im Rahmen des EU-rechtlichen, vertraglichen oder vertragslosen Rechtsverkehrs gestattet. Deutschland sah in einer Zustellung im Inland grds einen Eingriff in seine Souveränität und hat daher jeder Inlandszustellung auf direktem Wege (ohne Inanspruchnahme seiner Rechtshilfe), sei es durch die Post (oder private Zusteller), sei es durch ausländische Diplomaten oder Konsuln (ausgenommen an Angehörige des betreffenden Staats) widersprochen. Letztlich wird dadurch aber nur die effektive Benachrichtigung des Beklagten im Inland über das gegen ihn eingeleitete Auslandsverfahren verhindert, der beabsichtigte Schutz des Inländers aber nicht erreicht, da das Ausland auf die verweigerte Mitwirkung einfach mit fiktiven Inlandszustellungen reagieren kann3 (s. Rz. 8.12 ff.). Auch § 328 I Nr. 2 ZPO sowie Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. und Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ zeigen, dass nicht eine objektive Verletzung einer Hoheitssphäre sanktioniert wird, sondern die Zustellung lediglich subjektive, disponible Interessen des Beklagten schützen soll.4
8.3 Nach deutschem Recht besteht die Zustellung in der Bekanntgabe eines Schriftstücks an eine Person, den Empfänger (§ 166 I ZPO). Die Zustellung wird als Hoheitsakt angesehen.5 Zwar wird dabei grds eine Zustellungsurkunde angefertigt (§ 182 ZPO). Doch sieht das Gesetz die Beurkundung nicht mehr als Teil der Zustellung selbst an.6 8.4 In England sieht man in der Zustellung die Möglichkeit für das Gericht, jurisdiction gegenüber dem Beklagten zu üben. Jede Auslandszustellung außerhalb des Europäischen Rechtsraums muss gerichtlich genehmigt werden (CPR r 6.19, 6.20). 8.5 In den USA wird die Zustellung als reine (private) Mitteilung von der Klageerhebung angesehen, die der Kläger selbst zu besorgen hat (FRCP 4 [c] [1]). Sie kann und wird daher durch private Zusteller ausgeführt;7 soweit nicht eine gerichtliche subpoenaAnordnung zugestellt werden soll, ist sie kein Hoheitsakt. 8.6 Erfolgt die Zustellung für ein ausländisches Verfahren durch eine Privatperson oder durch die inzwischen privatisierte Post, so liegt darin wohl kein Hoheitsakt. Gleichwohl sind derartige Zustellungen in Deutschland i.d.R. kraft gesetzlicher Anordnung 2 BVerfGE 91, 335 = NJW 1995, 649 f.; M. Otto, S. 158 ff.; krit. H. Schack, IZVR, Rz. 663 u. FS Geimer, S. 931, 936; vgl. H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 99 f.; G. Geimer, S. 129. 3 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 664 f. 4 H. Schack, IZVR, Rz. 668. 5 BVerfGE 63, 343, 372 = NJW 1983, 2757 (insoweit nicht abgedruckt); BGHZ 58, 177, 179 = NJW 1972, 1004; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, S. 162. 6 N. Coenen, DGVZ 2002, 5. 7 B. Ristau in Gottwald, Grundfragen, S. 71, 81; G. Born, International Civil Litigation in US Courts, 3rd ed. 1996, 757; G. Geimer, S. 99.
502
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich | Rz. 8.10 § 8
(z.B. aufgrund der Widersprüche gem. Art. 8 II und 10 HZÜ und § 1071 ZPO) unzulässig. Nach (dem neu gefassten) autonomen deutschen Recht erfolgt die Zustellung im Ausland entweder durch die Post per Einschreiben mit Rückschein (soweit der direkte Postverkehr völkerrechtlich vereinbart ist) oder auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts durch die Behörden des fremden Staats oder die dortige diplomatische oder konsularische deutsche Vertretung (§ 183 I, II ZPO). An Deutsche, die Immunität genießen oder zu einer deutschen Auslandsvertretung gehören, wird auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts durch das (deutsche) Auswärtige Amt zugestellt (§ 183 III ZPO). Die Entscheidung des Vorsitzenden über das Ob und Wie der Auslandszustellung ist richterlicher Akt, so dass die sich dagegen wehrende Partei hiergegen Beschwerde nach § 567 I Nr. 2 ZPO einlegen kann.8 Die Zustellung wird entweder durch den (postalischen) Rückschein oder das Zeugnis der ersuchten Behörde nachgewiesen (§ 183 IV ZPO). Die Beweiskraft des § 418 ZPO kommt auch dem ausländischen Zustellungszeugnis zu.9
8.7
Um sicherzustellen, dass ausgehende Ersuchen um Rechtshilfe zur Weiterleitung geeignet sind, müssen die Ersuchen grds über die Prüfstellen gehen. Das sind die Präsidenten der Amts-, Land- und OLG (§ 9 II ZRHO). Ausgehende Gesuche werden von den deutschen Prüfstellen im Rahmen des HZÜ 1965 direkt an die Zentrale Behörde des ersuchten Staats geleitet. Soweit ein dezentraler unmittelbarer Verkehr (nach der EuZVO bzw. aufgrund von Zusatzvereinbarungen) zulässig ist,10 sind ausgehende Gesuche trotzdem stets über die deutschen Prüfstellen zu leiten (§§ 28, 82 ZRHO).11 Die Prüfstelle kann die Weiterleitung des Gesuches aus diplomatischen Gründen (Art. 32 I GG) ablehnen.12
8.8
In Art K 1 des Maastricht-Vertrags war eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten im Bereich der Ziviljustiz vorgesehen. Hierzu gab es Pläne, den Zivilgerichten die Ladung der Parteien und ihrer Anwälte ohne Einschaltung einer Verwaltungsstelle innerhalb der Europäischen Union unmittelbar zu gestatten.13 Die Realisierung dieser Idee wäre ein großer Fortschritt.
8.9
Auch die nunmehr geltende EG-Verordnung Nr. 1393/2007 (EuZVO, in Kraft seit 13.11.2008) und ihre Vorgängerin, die EG-Verordnung Nr. 1348/2000 über die Zustellung (in Kraft seit 31.5.2001), halten grds wie das Haager Zustellungs-Übereinkommen von 1965 an der Zustellung durch Einschaltung von Übermittlungs- und Empfangsstellen in den beteiligten Mitgliedstaaten fest (Art. 2, 4 ff. EuZVO). Sie lassen aber in Art. 14 EuZVO nunmehr zwingend auch eine direkte Postzustellung (oh-
8.10
8 OLG Dresden, NJW-RR 2019, 319 (Rz. 2); für Entscheidung über Zustellung im Parteibetrieb (§ 191 ZPO) auch Geimer in Zöller, § 183 Rz. 51. 9 Vgl. BGH, NJW 2002, 521. 10 Vgl. H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 106. 11 H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 112. 12 H. Wiehe, S. 37 f.; a.A. H.-J. Puttfarken, NJW 1988, 2155. 13 R. Bohnen, DRiZ 1996, 411, 414; E. Schmidt-Jortzig, recht 3/97, S. 36, 37.
503
§ 8 Rz. 8.10 | Internationale Zustellungen
ne Beteiligung von Behörden des Empfangsstaats) zu. Nach § 183 I 2 ZPO und § 1068 ZPO wird die direkte Postzustellung unter Mitwirkung deutscher Stellen für eingehende oder ausgehende Zustellungen auf die Versandform „Einschreiben mit Rückschein“ beschränkt. Art. 15 EuZVO schließt nicht aus, dass jeder Beteiligte im Empfangsstaat der zuständigen Behörde oder Amtsperson einen direkten Zustellungsauftrag erteilt, doch kann jeder Mitgliedstaat dem widersprechen.14 Nach § 1071 ZPO ist eine Zustellung nach Art. 15 EuZVO in Deutschland unzulässig. Zur Zustellung an ausländische Staaten s. Rz. 2.39 ff.
8.11 Entscheidungen der Zentralen Behörde über die Gewährung von Rechtshilfe durch Auslandszustellung können als Justizverwaltungsakte im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG angefochten werden.15 Antragsgegner ist die Zentrale Behörde, nicht das ausführende AG. 8.12 Nach deutschem Recht ist eine förmliche Auslandszustellung nur bei verfahrenseinleitenden Schriftstücken zwingend. Benennt der Beklagte (mit Wohnsitz außerhalb der EU) nach einer Auslandszustellung gem. § 183 II-V ZPO trotz einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten, kann fiktiv im Inland durch Aufgabe zur Post (§ 184 ZPO) zugestellt werden. Die Anordnung muss nicht notwendig durch Gerichtsbeschluss erfolgen; es genügt vielmehr eine Anordnung des Vorsitzenden.16 Die Zustellungswirkung tritt, sofern keine längere Frist bestimmt ist, zwei Wochen nach Aufgabe zur Post ein (§ 184 II 1 ZPO). Der Zustellungsvermerk des § 184 II 4 ZPO ist auch dann wirksam, wenn ihn ein anderer Urkundsbeamter beurkundet als der, der das zuzustellende Schriftstück dem Gerichtswachtmeister zur Aufgabe zur Post übergeben hat.17 Diese Regelung ist mit dem HZÜ und Art. 6 I EMRK vereinbar;18 sie gilt aber nicht im Anwendungsbereich der EuZVO (s. Rz. 9.13, 9.57). Wird an die Auslandspartei im Inland (gem §§ 177, 178 I Nr. 2 ZPO) zugestellt, so kann die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht verlangt werden. Entfällt die Möglichkeit der Inlandszustellung während des Verfahrens, so kann das Gericht eine Auslandszustellung nach § 183 I ZPO neu anordnen und dabei die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten verlangen.19
8.13 Soweit eine Zustellung nach der EuZVO zu erfolgen hat, darf das Gericht nicht anordnen, dass bei Nichtbestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten im
14 Krit B. Heß, NJW 2001, 15, 19, 21 f. 15 OLG Dresden, NJW-RR 2019, 319 (Rz. 2); OLG Düsseldorf, NJW 1992, 3110; OLG München, NJW 1992, 3113; Pabst in MünchKomm/ZPO, § 23 EGGVG Rz. 71, 86; Geimer in Zöller, § 183 ZPO Rz. 51; H. Wiehe, S. 41, 124 ff. 16 BGH, WM 2012, 1499; BGH v. 25.9.2012 – VI ZR 230/11, (Rz. 12), juris. 17 BGH, MDR 2012, 1306 (Rz. 15). 18 BGH v. 25.9.2012 – VI ZR 230/11, (Rz. 12), juris. 19 BGH, RIW 2008, 710 = WRP 2008, 955.
504
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich | Rz. 8.17 § 8
Inland durch Aufgabe zur Post zugestellt werden kann,20 da § 183 I ZPO die Zustellung nach der EuZVO (und dem Abkommen mit Dänemark) ausdrücklich ausnimmt. Soweit eine öffentliche Zustellung in Betracht kommt (§§ 185 ff. ZPO), werden auch die verfahrenseinleitenden Schriftstücke fiktiv (durch Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel zzgl. Veröffentlichung dieser Benachrichtigung auf der Homepage des Prozessgerichts zugestellt (§§ 186 II, 187 ZPO). Die Zustellungswirkung tritt, sofern das Gericht keine längere Frist bestimmt, einen Monat seit dem Aushang der Benachrichtigung ein (§ 188 ZPO).
8.14
Die öffentliche Zustellung kommt bei Auslandswohnsitz aber nur in Betracht, wenn die mögliche förmliche Zustellung unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht (§ 185 Nr. 3 ZPO).21 Keinen Erfolg verspricht die Auslandszustellung, wenn sie so viel Zeit in Anspruch nehmen würde, dass dies der betreibenden Partei nicht mehr zuzumuten ist. Ein Zuwarten bis zu neun Monaten ist danach zumutbar.22 Das Zustellungsreformgesetz hat die Wirkungen der Aufgabe zur Post abgemildert. Denn nach § 184 II 1 ZPO gilt das Schriftstück erst zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt. Nach § 184 II 2 ZPO kann das Gericht zudem eine längere Frist bestimmen. Dadurch kann grds erreicht werden, dass Rechtsmittelfristen nicht zu laufen beginnen, bevor die Auslandspartei Kenntnis von der Entscheidung erlangt.
8.15
Einige Länder folgen in ihrem autonomen Recht nach wie vor der sog. „remise au parquet“, etwa Griechenland, Luxemburg, die Niederlande und Italien.23 Zugestellt wird durch Niederlegung von zwei Kopien des Schriftstücks durch den Gerichtsvollzieher bei der Staatsanwaltschaft. Bereits mit dieser Niederlegung wird die Zustellung bewirkt. Sie vollzieht sich also auch gegenüber einer sich im Ausland aufhaltenden Person immer im Inland. Die Staatsanwaltschaft versieht das Original mit einem Sichtvermerk und leitet die Kopien an das Justizministerium zur Übermittlung weiter. Der Gerichtsvollzieher muss dem Empfänger eine Kopie über die erfolgte Zustellung – signification – zusenden.
8.16
Das System der „remise au parquet“ ist vielfach kritisiert und modifiziert worden, um die Interessen des Empfängers zu wahren.24
8.17
Aufgrund des Vorrangs des EuZVO (Nr. 1393/2007) ist diese Art der Zustellung zwischen EU-Mitgliedstaaten nicht mehr zulässig. Dementsprechend wird in Frankreich nach Art. 684 (1) CPC (i.d.F. v. 28.12.2005) insoweit nicht mehr durch „remise au
20 BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885 (B. Sujecki) = IPRax 2013, 160 (dazu Ch. Heinze, S. 132). 21 Vgl. R. Bindseil, NJW 1991, 3071. 22 BGH, RIW 2009, 489, 490. 23 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 671; G. Geimer, S. 31 ff. 24 Vgl. dazu im Einzelnen H. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 99 ff.; F. Rigaux, Rev.crit. 1963, 447, 463; F. Pocar, L’assistenza giudiziaria internazionale, 1967, 254; J. Normand, Rev.crit. 1966, 388, 395.
505
§ 8 Rz. 8.17 | Internationale Zustellungen
parquet“ sondern direkt an den Empfänger oder an die zuständige Behörde des Empfangsstaats zugestellt.25
8.18 Im Übrigen unterscheidet sich die Zustellung im Inland dadurch, an welchem Ort sie erfolgen muss bzw. kann. Während nach § 177 (deutsche) ZPO die Zustellung an jedem Ort erfolgen kann, wo die Person, der zugestellt werden soll, angetroffen wird, kann sie nach § 4 österr. Zustellgesetz nur in der Wohnung oder sonstigen Unterkunft, der Betriebsstätte, dem Sitz, Geschäftsraum, der Kanzlei oder dem Arbeitsplatz des Empfängers vorgenommen werden.26 Auch bezüglich der Verweigerung der Annahme gehen die einzelnen Prozessordnungen von unterschiedlichen Voraussetzungen und Kundbarmachungen aus.27 8.19 Das englische Zustellungssystem unterscheidet sich von dem der kontinental-europäischen Länder wesentlich dadurch, dass die Zustellungen auf privatem Wege bewirkt werden. Bei „actions in personam“ kann die Zustellung an den Beklagten grds nur im Jurisdiktionsbereich des englischen High Court, d.h. in England und in Wales, bewirkt werden. Nach CPR 2000 r 6.19 kann ohne gerichtliche Genehmigung auch an einen Beklagten mit Wohnsitz in einem Staat des europäischen Rechtsraums (EuGVO, LugÜ) zugestellt werden. Befindet sich der Beklagte außerhalb dieses Gebietes, so muss der Kläger beim High Court die Erlaubnis für eine Zustellung erwirken (permission to serve a writ out of jurisdiction). Gemäß CPR r 6.20 kann das Gericht nach seinem Ermessen die Zustellung an den außerhalb seines Bezirks sich aufhaltenden Beklagten in besonders aufgezählten Fällen erlauben. Dies gilt etwa, wenn der Streitgegenstand Land innerhalb des Jurisdiktionsbezirks des High Court betrifft. Gleiches gilt, wenn es sich um vertragliche Verpflichtungen oder die Verwaltung eines Grundstücks handelt oder wenn es sich um einen Anspruch aus einem innerhalb des Jurisdiktionsbezirks geschlossenen Vertrag handelt. Dasselbe gilt, wenn auf den Vertrag englisches Recht anzuwenden ist; wenn ein Anspruch aus einer innerhalb des Jurisdiktionsbezirks begangenen unerlaubten Handlung geltend gemacht wird, oder wenn es sich um einen Anspruch aus dem Carriage by Air Act von 1932 handelt. Bei seinem Antrag muss der Kläger versichern, (1) dass ein Genehmigungsgrund nach r 6.20 vorliegt, (2) die Klage nach seiner Ansicht hinreichende Erfolgsaussicht hat und (3) die Anschrift des Beklagten oder zumindest in welchem Land sich dieser (wahrscheinlich) aufhält (CPR r 6.21). CPR r 6.22 und 6.23 sehen nach Ländergruppen längere Fristen für die Bestätigung der Ladung und das Einreichen einer Klageerwiderung (defence) vor, um das rechtliche Gehör des Beklagten sicherzustellen. Soweit dem Beklagten nicht persönlich zugestellt werden kann, wird wegen der Ersatzzustellungen auf das Recht des Landes, in dem zugestellt werden soll, oder auf ein gültiges Zustellungsübereinkommen abgestellt (CPR r 6.24 [1] [a], [c]). 8.20 In den USA erfolgt die Klageerhebung durch Einreichung der Klage bei Gericht, in der Zustellung liegt eine bloße Benachrichtigung von dieser Tatsache, die durch jedermann und formlos, durch Übergabe, Zusendung per Post, oder auf andere Weise, 25 Vgl. J. Kondring, RIW 2007, 330, 331. 26 Vgl. P. Mayr/H. Broll, Zivilverfahrensrecht, 7. Aufl. 2008. 27 H. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 111.
506
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich | Rz. 8.23 § 8
z.B. mittels E-Mail,28 erfolgen kann. Man hat deshalb zunächst versucht, auch an die ausländische Partei möglichst einfach zuzustellen: Entweder versucht man, die Auslandszustellung durch eine Inlandszustellung zu umgehen29 oder eine Auslandszustellung einfach ohne Rücksicht auf die Haltung des Heimatstaats auszuführen.30 Aber ein solches Vorgehen greift zu kurz, weil nur die vom Heimatstaat anerkannte Zustellung die Anerkennung eines späteren Urteils sichert. Diese Ansicht hat sich auch in den USA durchgesetzt. Die USA sind Vertragsstaat des HZÜ. Gleichwohl ist hier immer wieder versucht worden, gleichsam am Übereinkommen „vorbei“ zuzustellen. Denn die Zustellung nach dem Übereinkommen ist aus US-Sicht unbefriedigend: Sie ist überaus formell ausgestaltet, (wegen der erforderlichen Anträge und Übersetzungen) zu teuer und dauert viel zu lang. Auch gibt das Übereinkommen der ausländischen Partei eine gewisse Sonderstellung.
8.21
Nach langer streitiger Diskussion sind die Zustellungsregeln für die Bundesgerichte zum 1.12.1993 neu gefasst worden. Obwohl schon im Gesetzgebungsverfahren umstritten,31 wurde das Zustellungswesen dadurch vereinfacht, dass der förmlichen Zustellung, wenn es der Kläger will, allgemein ein „waiver of service of process“-Verfahren nach FRCP 4 (d) vorausgeht. Dieses Verfahren wurde auch im Hinblick auf Auslandsparteien eingeführt, weil hier die Zustellung besonders zeitraubend und teuer ist.32
8.22
Um unnötige Kosten zu vermeiden, wird danach die Klageschrift unter Mitteilung der Klageerhebung bei einem bestimmten Gericht (ohne Ladung!) durch die Post oder „other reliable means“ (wie Fax oder Kurier) mit einem vorbereiteten schriftlichen Empfangsbekenntnis zugesandt. Unterschreibt der Empfänger dies und sendet es mittels des beigefügten Freiumschlags an das Gericht zurück, so verzichtet er auf formelle Klagezustellung, verliert aber nicht die Möglichkeit, venue oder jurisdiction des Gerichts zu rügen (FRCP 4 [d] [1]). Der Beklagte wird per Formblatt über das Verfahren informiert. Im Ausland ansässige Beklagte haben 60 Tage nach Absendung der Bitte um Zustellverzicht Zeit, die Verzichtserklärung zurückzusenden. Neben den geringeren Kosten erhält der Beklagte quasi als Gegenleistung eine längere Einlassungsfrist. Der ausländische Beklagte muss die Klage erst innerhalb von 90 Tagen (statt sonst 20) beantworten (FRCP 4 [d] [3]; 12).
8.23
28 Vgl. Th. Rüfner, Zustellung per E-Mail im US-amerikanischen Zivilprozess, RIW 2002, 616. 29 Vgl. G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in US Courts, 6th ed. 2018, Chap. 10 B 2 S. 869 ff.; J. Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996. 30 Hierfür H. Smit, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 25, 36. 31 Vgl. G. Walker, The Federal Rules of Civil Procedure in the context of transnational law, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 183, 195. 32 Ch. Wright/A. Miller, Federal Practice and Procedure, Civil 2d, Vol. 4 A, 1995 Pocket Part, § 1092.1 (Ch. Wright/A. Leipold, 4th ed. 2008); B. Ristau in Gottwald, Grundfragen, S. 71, 81 ff.; L. Newman/M. Burrows, III-100; G. Geimer, S. 100 ff.
507
§ 8 Rz. 8.24 | Internationale Zustellungen
8.24 Nach FRCP 4 (d) (2) sind natürliche Personen, juristische Personen und Vereinigungen (corporation, association) verpflichtet, unnötige Zustellkosten zu vermeiden. Das „waiver“-Verfahren findet ausdrücklich Anwendung auch auf Zustellungen an natürliche Personen, Corporations und Associations mit Auslandssitz/-wohnsitz. Bei corporations muss das Verzichtsbegehren an einen bestimmten „officer or agent“ adressiert sein; eine Zusendung an die juristische Person unter ihrer allgemeinen Anschrift genügt nicht.33 Nicht anwendbar ist es bei Zustellungen an Kinder oder andere prozessunfähige (incompetent) Personen (Rule 4 [g]) sowie an ausländische Staaten, ihre Einrichtungen, Gemeinden, Gebietskörperschaften usf (Rule 4 [j]). 8.25 Weigert sich ein inländischer Beklagter, einen „waiver“ zu unterschreiben, soll ihm das Gericht die letztlich anfallenden Zustellkosten auferlegen, sofern er sein Verhalten nicht durch „good cause“ gerechtfertigt erscheint (Rule 4 [d] [2] letzer Satz). Ausländische Beklagte sind von dieser Regel ausdrücklich ausgenommen. Dadurch wollte man Protesten gegen eine Aushöhlung des HZÜ Rechnung tragen. 8.26 Schon vor Erlass der neuen Regelung wurde auch eingewandt, das Verfahren verstoße gegen Art. 10 (a) HZÜ, wonach jeder Staat die Übersendung gerichtlicher Schriftstücke per Post untersagen könne.34 Auch wenn Art. 10 (a) HZÜ seinem Wortlaut nach jedes „Übersenden“ betrifft, kann die Regel ihrem Sinn nach nur Sendungen erfassen, von denen unfreiwillige Rechtswirkungen gegenüber dem Empfänger ausgehen. Die Bedenken sind daher nicht stichhaltig, da die Partei auf eine (amtliche) Zustellung verzichten kann.35 Es wäre zwar angemessener, wenn solche Erleichterungen der internationalen „Zustellung“ vertraglich festgelegt würden. In der Sache ist der Versuch einer Vereinfachung aber zu begrüßen.36 8.27 Rule 4 (b) sagt nichts über die Sprache, in der die Bitte um Zustellverzicht („waiver“) und die eigentlich zuzustellenden Schriftstücke übersandt werden. Eine Übersetzung ist deshalb (wie bei einer freiwilligen Entgegennahme gem. Art. 5 [2] HZÜ) nicht erforderlich; sie kann aber hilfreich sein, damit der Beklagte den „waiver“ unterzeichnet.37 8.28 Für eine danach erforderliche förmliche Zustellung sind im Verfahren vor den Bundesgerichten gegenüber Vertragsstaaten die Wege des Haager Zustellungsübereinkommens 1965 bzw. der Interamerican Convention of May 8, 1974 einzuhalten. Gegenüber natürlichen Personen folgt dies aus FRCP 4 f (1).38
33 D. Siegel, USCA, Pocket Part 1995, FRCP 4, p. 50. 34 Vgl. St. Burbank, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 103, 117; G. Born/A. Vollmer, 150 FRD 221, 229–239 (1994); s. Rz. 8.113. 35 P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 1 HZÜ Rz. 19. 36 Eher krit. H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 95. 37 So ausdrücklich D. Siegel, USCA, Pocket Part 1995, FRCP 4, p. 54. 38 D. Siegel, 28 USCA, FRCP, Cumulative Annual Pocket, 1995, C 4–24; B. Ristau in Gottwald, Grundfragen, S. 71, 83; G. Geimer, S. 103 ff.
508
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich | Rz. 8.33 § 8
Kindern oder nicht voll Geschäftsfähigen ist nach dem Recht des Staats, in dem zugestellt werden soll, oder entsprechend dessen Antwort auf ein Zustellungsgesuch zuzustellen (FRCP 4 [g]).
8.29
An juristische Personen (foreign corporations), Handelsgesellschaften (partnerships) oder sonstige Vereinigungen (unincorporated association) kann innerhalb der USA an einen „officer, managing or general agent“ oder an einen gewillkürten oder gesetzlichen Zustellungsbevollmächtigten zugestellt werden (FRCP 4 [h] [1]).39 Teilweise ist die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten Voraussetzung für die Aufnahme der inländischen Geschäftstätigkeit.40 Zur Zustellung an Tochterunternehmen s Rz. 9.92. Bei einer Auslandszustellung ist wie bei natürlichen Personen das Haager ZÜ einzuhalten (FRCP 4 [h] [2]).
8.30
Durch diese Regelung sollen früher mögliche Konflikte mit Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens, die die Zustellung hoheitlich qualifizieren, ausgeschaltet werden.41 An einen ausländischen Staat, eine staatliche Stelle oder Behörde darf nur nach Maßgabe von sec. 1608 FSIA zugestellt werden.42 Sofern zwischen den Parteien keine besondere Zustellungsform vereinbart ist, ist danach nach den internationalen Verträgen, also dem HZustÜ, hilfsweise durch die Post und nochmals hilfsweise auf diplomatischem Wege zuzustellen. Zur Zustellung an ausländische Staaten s. Rz. 2.39 ff.
8.31
Aus dem Ausland eingehende Zustellungsanträge werden in den USA vom Department of State als Zentraler Behörde entgegengenommen (28 USC § 1781 [a] [1]).
8.32
Außerhalb der staatsvertraglichen Bindung ist die Zustellung zulässig (1) nach dem Recht des amerikanischen Zustellortes, (2) nach ausländischem Recht, und (3), sofern nicht im Empfangsstaat untersagt, durch persönliche Zustellung (durch einen privaten process server) oder postalisch durch Rückschein („any form of mail requiring a signed receipt“) (Rule 4 [f], [h] FRCP). Schließlich kann durch das Gericht jede andere Form der Zustellung zugelassen werden, die nicht durch internationale Vereinbarung untersagt ist (Rule 4 [f] (3) FRCP). Auf dieser Grundlage wurden Direktzustellungen per Telex oder Telefax zugelassen.43 In einer dieser Formen kann auch in einen Vertragsstaat der Inter-American Convention on Letters Rogatory v. 30.1.1975 zugestellt werden, da dieses Übereinkommen nicht als zwingend angesehen wird.44
8.33
39 40 41 42
Vgl. M. Otto, S. 95 ff. H. Schack, IZVR, Rz. 672; s. Rz. 8.46, 8.49. Vgl. K. Otte, DAJV-Newsletter 1/94, S. 19; B. Ristau in Gottwald, Grundfragen, S. 71, 81. Vgl. Bybee v Oper der Stadt Bonn, [1997] ILPr 42, 46; B. Ristau in Gottwald, Grundfragen, S. 71, 85. 43 B. Ristau in Gottwald, Grundfragen, S. 71, 84. 44 D. Clark, AmJCompL 42 (Suppl.) (1994), 23, 27.
509
§ 8 Rz. 8.34 | Internationale Zustellungen
8.34 Die Gerichte der Einzelstaaten befolgen ähnliche Regeln, die aber vielfach noch der früheren FRCP 4 (i) entsprechen. Für die Zustellung von State Courts sind deren Regeln maßgeblich. Für Kalifornien schreibt Cal. CCP § 413.10 ausdrücklich eine Zustellung nach Maßgabe des HZÜ vor.
8.35 Auch nach der Neufassung der FRCP entscheidet das US-amerikanische Recht, ob eine Inlands- oder Auslandszustellung erforderlich ist. Ähnlich wie bei der Zuständigkeit kann sich daraus auch ein „Zustellungsdurchgriff“ an eine ausländische Muttergesellschaft durch Zustellung an die inländische Tochter als „involuntary agent“ ergeben.45 Da jeder Staat selbst darüber entscheidet, ob eine Inlands- oder eine Auslandszustellung erforderlich sind, ist insoweit eine Rüge, ein solcher „Zustellungsdurchgriff“ verstoße gegen das HZÜ, nicht begründet. Nach New York CPLR § 328 (b) kann eine Zustellung in New York zugunsten eines Verfahrens vor einem ausländischen Gericht ohne Gerichtsbeschluss erfolgen. 3. Ersatzzustellungen
8.36 Größere Unterschiede ergeben sich bei Ersatzzustellungen. Als Ersatzpersonen gelten nach deutschem Recht Familienangehörige und Angestellte sowie der Leiter einer Gemeinschaftseinrichtung, in der der Adressat wohnt, sofern diese Personen nicht als Gegner an dem Rechtsstreit der Partei, an welche die Zustellung erfolgen soll, beteiligt sind (§§ 178 ZPO). Ist die Zustellung auf diese Weise nicht ausführbar, so kann das zuzustellende Schriftstück nunmehr in einen zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten (oder eine ähnliche Vorrichtung) gelegt werden. Auf diese Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 ZPO). Nur wenn die Zustellung auf diese Weise nicht ausführbar ist, kann das Schriftstück auf der Geschäftsstelle des AG oder bei der Post am Ort der Zustellung niedergelegt werden. Über die Niederlegung ist eine Mitteilung in der bei Briefen üblichen Weise zu hinterlassen oder an der Wohnungstür anzuheften. Zugestellt ist mit Abgabe dieser schriftlichen Mitteilung (§ 181 I 4 ZPO).
8.37 Bei juristischen Personen und Gesellschaften jeder Art ist an den gesetzlichen Vertreter bzw. den Leiter zuzustellen; bei Mehrpersonenvertretung genügt die Zustellung an einen Vertreter, § 170 ZPO. Wird der gesetzliche Vertreter bzw. Leiter in den Geschäftsräumen nicht angetroffen, kann an jede dort beschäftigte Person zugestellt werden (§ 178 I Nr. 2 ZPO).46 Wird die Annahme unberechtigt verweigert, kann das Schriftstück mit Zustellungswirkung in dem Geschäftsraum zurückgelassen werden (§ 179 Satz 1 ZPO). 45 Vgl. Schlunk v Volkswagenwerk AG, 503 N.E. 2d 1045 (Ill.App. 1986), aff’d 486 US 694, 108 S.Ct. 2104, 2111, 100 L.Ed. 2d 722 (1988); M. Otto, S. 100 ff.; P. Heidenberger/K. Barde, RIW 1988, 683. 46 Die Zustellungsurkunde beweist aber nicht, dass die Übergabeperson Angestellter des Empfängers war; vgl. BGH, NJW 2004, 2386, 2387 = IPRax 2006, 47 (dazu W. Hau, S. 20).
510
I. Die Zustellung im Rechtsvergleich | Rz. 8.45 § 8
Das österreichische Recht hat größere Sicherheiten eingebaut. Klagen dürfen nur zu Händen des Beklagten oder seines zur Empfangnahme ermächtigten Vertreters zugestellt werden. Ist das nicht möglich, wird der Empfänger schriftlich aufgefordert, zu einer bestimmten Zeit am Ort der Zustellung anwesend zu sein. Erst wenn der Empfänger dieser Aufforderung nicht entspricht, kann eine Hinterlegung des Schriftstücks und eine schriftliche Mitteilung über die Hinterlegung erfolgen (§ 16 Zustellungsgesetz, § 103 öZPO).
8.38
Das schwedische Recht kennt die gleichen Ersatzpersonen wie das deutsche oder österreichische Recht (RB Kap. 33 § 7). Es ist ihnen gegenüber aber misstrauisch und ordnet für den Fall einer Ersatzzustellung immer eine schriftliche Mitteilung auf dem Postwege an den Empfänger an (RB Kap. 33 § 8).
8.39
Das polnische Recht kennt eine ähnliche Ersatzzustellung wie das deutsche. Kann an eine Ersatzperson nicht zugestellt werden, so wird das Schriftstück auf dem Postamt oder auf dem Präsidium des zuständigen Nationalrats niedergelegt und darüber an der Tür der Wohnung oder im Briefkasten des Empfängers eine Benachrichtigung hinterlassen (Art. 138, 139 poln. ZPO).
8.40
Das griechische Recht kennt fast den gleichen Personenkreis, an den ersatzweise zugestellt werden kann. Wird eine Ersatzperson nicht angetroffen, wird das zuzustellende Schriftstück im Beisein eines Zeugen an die Wohnungstür geheftet, überdies wird eine Abschrift an den Vorsteher des Polizeireviers, die Polizei oder den Pfarrer ausgehändigt. Diese Personen sind verpflichtet, den Empfänger von der Zustellung in Kenntnis zu setzen (Art. 129 griechische ZPO).
8.41
In Frankreich erstrecken sich die Ersatzpersonen bis auf die Nachbarn des Empfängers. Nehmen diese Personen die Zustellung nicht an, so hinterlegt der „huissier“ eine Kopie auf der Bürgermeisterei und benachrichtigt darüber den Empfänger durch einfachen Brief (Art. 653 ff. CPC).
8.42
Die italienische Lösung gleicht der französischen (vgl. Art. 139 c.p.c.47).
8.43
Nach spanischem Recht ist in Fällen des Anwaltszwangs an den „Prokurator“ (den Verfahrensbevollmächtigten neben dem Rechtsanwalt) elektronisch zuzustellen. Soweit noch an eine natürliche Person zugestellt werden kann, kann ersatzweise an Verwandte, Nachbarn und Arbeitskollegen zugestellt werden. Diese sind verpflichtet, der Justiz bei der Ausführung von Zustellungen zu helfen. Sie müssen die zuzustellenden Schriftstücke für den Empfänger entgegennehmen und ihn davon benachrichtigen.48
8.44
Nach englischem Recht kann jedes „document“ zugestellt werden:
8.45
(1) durch persönliche Übergabe; ist ein zustellungsbevollmächtigter Solicitor bestellt, muss an diesen zugestellt werden (CPR r 6.2 (1) (a); 6.4), 47 M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, 1965, S. 158. 48 J. Nieva-Fenoll, Derecho Procesal II, Proceso civil, 2019, S. 286.
511
§ 8 Rz. 8.45 | Internationale Zustellungen
(2) durch „first class post“ (CPR r 6.2 [1] [b]), (3) durch Zurücklassen des Dokuments am Ort der Zustelladresse (CPR r 6.2 [1] [c], 6.5), (4) durch Dokumentaustausch gem. einer relevanten „practice direction“ (CPR r 6.2 [1] [d]), oder (5) durch Fax oder ein anderes elektronisches Kommunikationsmittel gem. „practice direction“ (CPR r 6.2 [1] [e]). Bei der Zustellung einer „claim form“ muss zusätzlich die Anschrift des Beklagten bzw. seines zustellungsbevollmächtigten Solicitors angegeben sein (CPR r 6.13).
8.46 An Gesellschaften kann außerdem zugestellt werden (CPR r 6.2 [2]) (1) durch Zurücklassen oder Postzusendung am autorisierten Ort, (2) bei „Overseas companies“ durch Zustellung an den dem Register benannten Bevollmächtigten oder Postzusendung unter dessen angegebener Anschrift (sec 695 Companies Act 1985), und (3) bei ausländischen Gesellschaften mit Niederlassung in Großbritannien durch Zustellung an diese.
8.47 Sofern es dafür einen hinreichenden Grund („good reason“) gibt, kann das Gericht auf Antrag eine andere Form der Zustellung zulassen (CPR r 6.8). 8.48 In Vertragsstreitigkeiten können die Parteien zudem die Art der Zustellung festlegen (CPR r 6.15). Bei einer Zustellung ins Ausland gelten die Zustellmöglichkeiten des Auslandes (CPR r 6.24). Im Verhältnis zu den Vertragsstaaten ist das Haager Zustellungsübereinkommen 1965 zu beachten (CPR r 6.25). Sonderregeln gelten für Klagen gegen einen ausländischen Staat (CPR r 627). 8.49 In den USA kann innerhalb des Landes an natürliche Personen auch durch Übergabe von Klage und Ladung am Wohnhaus oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Empfängers an eine dort wohnende vertrauenswürdige Person geeigneten Alters zugestellt werden oder durch Übergabe an einen rechtsgeschäftlich oder gesetzlich ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten (FRCP 4 [e] [2]). 8.50 Die Regeln der Einzelstaaten unterscheiden sich davon teilweise. In Kalifornien kann die persönliche Zustellung durch Zustellung an eine im Büro des Empfängers verantwortliche Person ersetzt werden; gleichzeitig muss Klage und Ladung nochmals an die gleiche Adresse (by first class mail) geschickt werden. Stattdessen kann eine Kopie von summons und complaint am Wohn- oder Aufenthaltsort des Empfängers an seinem gewöhnlichen Arbeitsplatz oder seiner üblichen Postanschrift (Schließfach ausgenommen) einer mindestens 18 Jahre alten Person unter Information über den Inhalt übergeben und danach nochmals per Post an diese Anschrift geschickt werden. In beiden Fällen tritt die Zustellungswirkung 10 Tage nach der Aufgabe zur Post ein (Cal. CCP § 415.20; ähnlich in New York CPLR § 308 [2]-[4]).
512
II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 | Rz. 8.53 § 8
In New York kann das Gericht auch eine andere Form der Ersatzzustellung anordnen (CPLR § 308 [5]).
8.51
Ist eine Zustellung danach nicht ausführbar, so kann die Klage und Ladung öffentlich nach dem auch für Bundesgerichte anwendbaren (FRCP 4 [e] [1]) Recht des Einzelstaats zugestellt werden. In Kalifornien hat das Gericht eine öffentliche Zustellung zu bewilligen, wenn (1) eine andere Zustellung mit vernünftigem Aufwand nicht möglich ist und (2) die Zustellung gegen die Partei zur Rechtsverfolgung erforderlich ist. Die Zustellung erfolgt durch Veröffentlichung der Ladung in einer im Staat verbreiteten Zeitung; außerdem ist an den Empfänger zuzustellen, falls seine Anschrift während der Wartefrist für die Veröffentlichung bekannt wird (Cal. CCP § 415.30; ähnlich NY CPLR §§ 315–317).
8.52
II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 1. Schrifttum a) Zur VO (EG) Nr. 1393/2007: M. Drehsen, Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Rahmen der EuMahnVO, IPRax 2019, 378; Ph. Fabig/B. Windau, Übersetzungen bei Auslandszustellung innerhalb der EU?, NJW 2017, 2502; U. Grohmann/N. Gruschinske, Fiktive Inlandszustellung und Europäisches Zivilverfahrensrecht, DZWiR 2011, 441; B. Hess, Rechtspolitische Überlegungen zur Umsetzung von Art. 15 der Europäischen Zustellungsverordnung VO (EG) Nr. 1393/2007, IPRax 2008, 477; B. Hess, Kommunikation im europäischen Zivilprozess, AnwBl. 2011, 321, 322; H. Hesterberg/B. Mathey, Grenzüberschreitende Zustellungen innerhalb der Europäischen Union nach VO (EG) Nr. 1393/2007, DGVZ 2017, 98; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 14 Die internationale Zustellung), 2015, S. 527; P. Mayr/A. Sengstschmid, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (14. Kap), 2017, S. 867; C. F. Nordmeier, Die Bedeutung des anwendbaren Rechts für die Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO, ZZP 124 (2011), 95; A. Okońska, Keine fiktive Zustellung mangels eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten im Anwendungsbereich der EuZustVO, RIW 2013, 280; P. Peer, Die Europäische Zustellungsverordnung, ÖJZ 2012, 5; V. Pickenpack/A.-G. Zimmermann, Übersetzungserfordernis bei Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke an juristische Personen, IPRax 2018, 364; Rauscher/ Heiderhoff, EG-ZustVO 2007, in EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2015, S. 755; E. Skorskrubb, Civil Procedure and EU Law, 2008, p. 92; G. Schulze, Zustellung, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 807; R. Stotz, Le rôle des droits de la défense dans la jurisprudence de la CJUE concernant l’article 8 du règlement n° 1393/2007 relatif à la signification et à la notification dans les États membres des actes judiciaires et extrajudiciaires en matiêre civile ou commerciale, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 473; Ch. Strasser, Neues zum Europäischen Zustellungsrecht, Rpfleger 2013, 585;. M. Stürner, Fiktive Inlandszustellungen und europäisches Recht, ZZP 126 (2013), 137; B. Sujecki, Das Annahmeverweigerungsrecht im Europäischen Zustellungsrecht, EuZW 2007, 363; B. Sujecki, Europäische Zustellungsverordnung, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 30, 2. Aufl. 2010, S. 1657; B. Sujecki, Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Vorinstanz in grenzüberschreitenden Fällen, EWS 2010, 523; M. Würdinger, Das Sprachen- und Übersetzungsproblem im Europäischen Zustellungsrecht, IPRax 2013, 61. – Report from the Commission … on application of Regulation (EC) No. 1393/2007, 4.12.2013, COM (2013) 858 final.
513
8.53
§ 8 Rz. 8.53 | Internationale Zustellungen b) Zur VO (EG) Nr. 1348/2000: M. Ahrens, Neues zur Annahmeverweigerung im europäischen Zustellungsrecht, NJW 2008, 2817; A. Burgstaller, Europäische Zustellungsverordnung, in Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht, Kap. 81, 2001; R. Emde, Zulässigkeit von Direktzustellungen ausländischer Prozessbevollmächtigter an deutsche Parteien nach Art. 14 EuZVO?, NJW 2004, 1830; Gebauer/Wiedmann/Jastrow, Europäisches Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, S. 1269; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1998, S. 205 ff.; P. Gottwald, Sicherheit vor Effizienz? – Auslandszustellung in der Europäischen Union in Zivil- und Handelssachen, FS Schütze, 1999, S. 225; B. Gsell, Direkte Postzustellung an Adressaten im EU-Ausland, EWS 2002, 115; R. Hausmann, Auslegungsprobleme der Europäischen Zustellungsverordnung, EuLF 1/2-2007, 8; Ch. Heinze, Keine Zustellung durch Aufgabe zur Post im Anwendungsbereich der Europäischen Zustellungsverordnung, IPRax 2013, 132; B. Heß, Die Zustellung von Schriftstücken im europäischen Justizraum, NJW 2001, 15; B. Heß, Neues deutsches und europäische Zustellungsrecht, NJW 2002, 2417; B. Heß, Noch einmal: Direktzustellungen nach Art. 14 EuZVO, NJW 2004, 3301; B. Heß, Übersetzungserfordernisse im europäischen Zivilverfahrensrecht, IPRax 2008, 400; S.-D. Jastrow, Auslandszustellungen im Zivilverfahren, NJW 2002, 3382; V. Karaaslan, Internationale Zustellungen nach der EuZVO und der ZPO und ihre Auswirkungen auf die Anerkennung der Entscheidungen, Diss. Münster, 2007; W. Kennett, Service of documents in Europe, in Fentiman, L’espace judiciaire européen, 1999, 199; W. Kennett, The Enforcement of Judgments in Europe, 2000, 201; G. Kuntze-Kaufhold/St. Beichel-Benedetti, Verjährungsrechtliche Auswirkungen durch das Europäische Zustellungsrecht, NJW 2003, 1998; W. Lindacher, Europäisches Zustellungsrecht, ZZP 114 (2001), 179; H. Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, in Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung, 1999, S. 99; H. Linke, Europäisches Zustellungsrecht, ERAForum 2/05, S. 205; A. Mävers, Die Modifikation der Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1348/00 durch die Mitgliedsstaaten, IPRax 2006, 198; J. Meyer, Europäisches Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, IPRax 1997, 401; S. Rahlf/F. Gottschalk, Das Europäische Zustellungsrecht, EWS 2004, 303; Th. Rauscher, Der Wandel der Zustellungstandards zu Zustellungsvorschriften im Europäischen Zivilprozessrecht, FS Kropholler, 2008, S. 851; Rauscher/Heiderhoff, Europäisches Zivilprozessrecht, 2004, S. 779; H. Rösler/ V. Siepmann, Zum Sprachenproblem im Europäischen Zustellungsrecht, NJW 2006, 475; H. Rösler/V. Siepmann, Die geplante Reform der europäischen Zustellungsverordnung, RIW 2006, 512; P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003, S. 520 ff.; C. Schneider, Grenzüberschreitende Zustellung und Beweisaufnahme in Europa, ProzRB 2003, 250 u. 280; R. Schütze, Übersetzungen im europäischen und internationalen Zivilprozessrecht, Probleme der Zustellung, RIW 2006, 352; D. Sharma, Zustellungen im europäischen Binnenmarkt, 2003; A. Stadler, Neues europäisches Zustellungsrecht, IPRax 2001, 514; G. Springer, Die direkte Postzustellung gerichtlicher Schriftstücke nach der Europäischen Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1348/2000; 2008; B. Stroschein, Parteizustellung im Ausland, 2008; D. Tsikrikas, Probleme der Zustellung durch die Post im europäischen Rechtsverkehr, ZZPInt 8 (2003), 309.
2. Einführung
8.54 Die Europäische Zustellungsverordnung Nr. 1348/2000 hat die Zustellung zwischen den EU-Staaten verbessert und beschleunigt. Im Ansatz folgte sie aber weitgehend dem Modell des Haager Zustellungsübereinkommens von 1965.49 Ihr wesentlicher Inhalt wurde gem. Art K 3 des Maastrichter EG-Vertrags am 26.5.1997 zunächst als Übereinkommen gezeichnet.50 Nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags sollte 49 W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 183; krit. B. Heß, NJW 2001, 15, 19. 50 ABl. EG Nr. C 261/1 v. 27.8.1997; vgl. J. Meyer, IPRax 1997, 401.
514
II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 | Rz. 8.57 § 8
die Regelung dann als Richtlinie erlassen werden.51 Sie wurde schließlich auf der Grundlage von Art. 65 EGV als (ab 31.5.2001) unmittelbar geltende Verordnung in Kraft gesetzt.52 Sie galt in allen EU-Staaten, auch den 2004 beigetretenen, (ausgenommen Dänemark).53 Ähnlich wie die EuGVO wurde auch die Europäische Zustellungsverordnung durch Staatsvertrag v. 19.10.2005 auf Dänemark erstreckt.54 Die Verordnung Nr. 1348/2000 hat aber nicht alle praktisch relevanten Fragen zufriedenstellend gelöst. Sie wurde daher bereits zum 13.11.2008 durch die neue Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 (EuZVO) ersetzt.55 Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU gilt die EuZVO dennoch für die Zustellung aller gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücke weiter, die vor Ablauf der Übergangszeit (31.12.2020) bei einer Empfangsstelle, Zentralstelle oder sonst zur Zustellung befugten Person des Empfangsstaates eigegangen sind (Art. 68 lit. a Austrittsabkommen v. 24.1.2020).56 Die EuZVO hat im Verhältnis der EU-Staaten zueinander Vorrang vor anderen multilateralen oder bilateralen Zustellungsregelungen (Art. 20 I EuZVO), weiterreichende bilaterale Vereinfachungen werden aber beibehalten und können auch neu vereinbart werden (Art. 20 II EuZVO). In Verwaltungssachen gilt das Europäische Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland v. 24.11.1977.57
8.55
Die EU-Kommission hat am 31.5.2018 einen Vorschlag zur Änderung der EuZVO vorgelegt.58 Danach soll die Zusammenarbeit zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen verbessert und in Grenzen auch eine elektronische Zustellung zugelassen werden.
8.56
3. Anwendungsbereich Die VO (EG) Nr. 1393/2007 regelt die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen zwischen den EU-Mitgliedstaaten (einschl. Dänemarks). Als außergerichtliche Schriftstücke sind alle anzusehen, deren förmliche Übermittlung zur Geltendmachung, zum Beweis oder zur Wahrung eines
51 52 53 54
55 56 57 58
Vgl. Vorschlag der Kommission, ABl. EG Nr. C 247 E, S. 11 v. 31.8.1999. ABl. EG Nr. L 160/37 v. 29.5.2000. Vgl. W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 182. Vgl. Vorschlag für ... den Abschluss eines Abkommens ..., KOM (2005) 146 endg. v. 18.4.2005; E. Jayme/Ch. Kohler, IPRax 2005, 481, 486. Der Rat hat das Abkommen am 26.4.2006 genehmigt, ABl. EU Nr. L 120/23. Erl. bei Rauscher/Pabst, EuZPR/EuIPR Bd. II, 4. Aufl. 2015, S. 879. Vgl. B. Sujecki, EuZW 2006, 1; H. Rösler/V. Siepmann, RIW 2006, 512; Bericht der Kommission v. 1.10.2004, KOM (2004) 603 endg.; dazu Bericht des Europäischen Parlaments v. 2.2.2006 (A6-0024/2006). ABl. EU 2020 Nr. L 29/7 v. 31.1.2020. BGBl. 1981 II, 533, 535. KOM (2018) 379; vgl. H.-P. Mansel/K. Thorn/R. Wagner, IPRax 2019, 85, 93.
515
8.57
§ 8 Rz. 8.57 | Internationale Zustellungen
recht erforderlich ist.59 Auch notarielle Urkunden über Grundstücksgeschäfte sind nach der Verordnung zuzustellen.60 Die Zustellung von Klagen privater Kläger gegen einen Staat kann nach dem Zweck der Verordnung nur dann versagt werden, wenn es sich ganz offenkundig um keine Zivil- oder Handelssache handelt.61 4. Notwendigkeit der Auslandszustellung
8.58 Die EuZVO regelt das Verfahren bei einer grenzüberschreitenden Zustellung in der EU (Art. 1 I EuZVO), wenn die Anschrift des Empfängers bekannt ist (Art. 1 II EuZVO). Die vielfach vertretene Ansicht, dass das nationale Recht bestimme, ob eine Auslandszustellung überhaupt erforderlich ist62 oder durch eine wirkliche oder fiktive Inlandszustellung ersetzt werden kann,63 hat der EuGH zumindest partiell zurückgewiesen. Soweit der Empfänger unter einer bekannten Adresse im Ausland wohne und keinen inländischen Bevollmächtigten bestellt habe, müsse ihm nach der EuZVO zugestellt werden. Für eine fiktive Ersatzzustellung per „remise au parquet“,64 oder durch Aufgabe zur Post (nach Nichtbestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten)65 oder indem das Schriftstück dann einfach zu den Gerichtsakten genommen werde, ist kein Raum.66 Ist die Adresse des Empfängers unbekannt, richtet sich die Zustellung ausschließlich nach der jeweiligen lex fori.67
8.59 Aus Erwägungsgrund 8 zur EuZVO ergibt sich, dass ein Schriftstück an einen inländischen Prozessbevollmächtigten der Partei zugestellt werden darf, auch wenn die Partei selbst im Ausland wohnt. Zulässig ist es auch, die Auslandspartei durch Zustellung der Rechtsmittelschrift an den Prozessbevollmächtigten der Vorinstanz zu benachrichtigen.68 59 Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14.50; Rauscher in MünchKomm/ ZPO, Anh §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 1 Rz. 8. 60 EuGHE 2009, I-5439 (Rz. 44 ff.) (Roda Golf & Beach Resort) = RIW 2009, 868 = NJW 2009, 2513. 61 EuGH – C-226/13, ECLI:EU:C:2015:383 – Fahnenbrock = ZIP 2015, 1250 (Entschädigungsklage wegen wertloser Staatsanleihen); vgl. Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14.27. 62 Rauscher/Heiderhoff, (2015) Einl EG-ZustVO 2007 Rz. 21, 24. 63 Vgl. Ch. Strasser, ZIP 2008, 2111. 64 EuGHE 2005, I-8639 (Scania Finance France) (Rz. 19 ff.) = IPRax 2006, 157 (dazu A. Stadler, S. 116). 65 BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885 (B. Sujecki) = IPRax 2013, 160 (dazu Ch. Heinze, S. 132); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1522 (Rz. 27 ff.) = IPRax 2010, 169 (dazu Ch. Heinze, S. 155). 66 EuGH v.19.12.2012 – C-325/11, ECLI:EU:C:2012:824 - Alder v Orlowska (Rz. 28 ff., 32 ff., 40), IPRax 2013, 157 (dazu Ch. Heinze, S. 132); dazu auch Ch. Strasser, Rpfleger 2013, 585; A. Okońska, RIW 2013, 280; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14.34 ff. 67 Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14.44; Rauscher in MünchKomm/ ZPO, Vor § 1067 Rz. 11; Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 1 Rz. 12 ff. 68 Vgl. B. Sujecki, EWS 2010, 523, 526 ff.
516
II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 | Rz. 8.62 § 8
Der inländische Schadensregulierungsbeauftragte eines im EU-Ausland geschäftsansässigen Kfz-Versicherers ist für Direktklagen von Unfallgeschädigten gegen die ausländische Versicherung zustellungsbevollmächtigt. Dies erspart die Auslandszustellung und Übersetzungskosten. Diese passive Zustellungsvollmacht hat der EuGH ausdrücklich bestätigt,69 aber auch klargestellt, dass der Schadensregulierungsbeauftragte nicht selbst verklagt werden kann.70 Die eine Zustellungsvollmacht ablehnende Rechtsprechung71 ist damit überholt.
8.60
Wie die Art. 15, 16 HZÜ 1965 sieht Art. 19 EuZVO zum Schutz des Empfängers vor, dass bei der „Übermittlung“ eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks in einen anderen Mitgliedstaat ohne Einlassung des Beklagten das Verfahren auszusetzen ist, bis eine Zustellungsbescheinigung vorliegt oder wenigstens sechs Monate vergangen sind.72
8.61
5. Zustellung im Rechtshilfeverkehr a) Wie nach dem HZÜ 1965 erfolgen auch die Zustellungen in Zivil- und Handelssachen zwischen den EU-Staaten grds im Wege der Rechtshilfe über Übermittlungsund Empfangsstellen in den beteiligten Staaten (Art. 2 EuZVO). Schriftstücke werden nach Art. 4 I EuZVO zwischen diesen Stellen im dezentralen unmittelbaren Behördenverkehr übermittelt.73 Ob eine Zivil- und Handelssache vorliegt, ist entsprechend Art. 1 I 2 EuGVO n.F. (ohne die dort genannten Ausnahmen) zu entscheiden.74 Die Übermittlung soll so schnell wie möglich erfolgen. Zulässig ist jeder geeignete Übermittlungsweg, „sofern das empfangene Dokument mit dem versandten Dokument inhaltlich genau übereinstimmt und alle darin enthaltenen Angaben mühelos lesbar sind“ (Art. 4 II EuZVO). Eine Übermittlung auf elektronischem Wege ist also zulässig und möglich, vorausgesetzt die Übermittlungs- und Empfangsstellen besitzen die erforderlichen technischen Einrichtungen.75 Die Speicherung der zu übermittelnden Schriftstücke in versandfähigen Dateien sollte heute problemlos möglich sein. Die Schriftstücke werden zusammen mit einem Formblatt-Antrag übermittelt (Art. 4 III EuZVO); sie selbst bedürfen keiner Beglaubigung (Art. 4 IV
69 EuGH – C-306/12, ECLI:E:C:2013:650 – Spedition Welter (Rz. 23 f.) = NJW 2014, 44; EuGH – C-558/15, ECLI:EU:2016:957 – Vieira de Azevedo (Rz. 33 ff.); so auch bereits P. Czaplinski/A. Staudinger, NJW 2009, 2249, 2253. 70 EuGH – C-558/15, ECLI:EU:C:2016:957 – Vieira de Azevedo (Rz. 35 ff.); dazu .J. Nimmesgern, IRZ 2017, 77. 71 KG, NJW-RR 2008, 1023; OLG Saarbrücken, IPRax 2012, 157 (dazu S. Fucks, S. 140). 72 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 19 Rz. 5 ff.; Mayr/Sengstschmid, Handbuch Rz. 14.146 ff. 73 Vgl. A. Stadler, IPRax 2001, 514, 517; J. Meyer, IPRax 1997, 401, 403; G. Geimer, S. 211 ff. 74 Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 1 EG-ZustVO Rz. 1 ff.; Rauscher in MünchKomm/ ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 1 Rz. 1. 75 W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 184; Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 4 EG-ZustVO Rz. 6 f.; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 4 Rz. 3.
517
8.62
§ 8 Rz. 8.62 | Internationale Zustellungen
EuZVO).76 Allerdings sind ausgehende Ersuchen wie bisher über die Prüfungsstelle zu leiten (§§ 9, 28 ZRHO).77
8.63 Die EuZVO will die grenzüberschreitende Zustellung beschleunigen. Die erforderlichen Schritte sind „so bald wie möglich vorzunehmen“. Kann die Zustellung innerhalb eines Monats nach Eingang nicht ausgeführt werden, ist dies der Übermittlungsstelle förmlich mitzuteilen und das Schriftstück zurückzusenden (Art. 7 II EuZVO).78 Nach dem Änderungsvorschlag soll die Monatsfrist künftig allgemein verpflichtend werden. 8.64 Um die reibungslose Abwicklung von Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit zu erleichtern, hat die EG durch Entscheidung des Rates v. 28.5.2001 auch für Zivilund Handelssachen ein Europäisches Justizielles Netz geschaffen.79 Danach werden in jedem Mitgliedstaat Kontaktstellen geschaffen (Art. 2 I [a]), die, unbeschadet der Zuständigkeiten nach der EuZVO, versuchen sollen, Lösungen für Probleme zu finden, die sich im Zusammenhang mit einem Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit stellen (Art. 5 II [b]). 8.65 b) Eher symbolische Bedeutung hat es, dass der Empfangsstaat eine Zustellung (anders als nach Art. 13 I HZÜ) nicht mehr aus Gründen des nationalen ordre public ablehnen darf.80 8.66 c) Liberalisiert wurde das Übersetzungserfordernis: Art. 8 I (b) EuZVO sieht vor, dass die Empfangsstelle den Empfänger darüber belehrt, dass er die Annahme verweigern darf, wenn das Schriftstück (a) nicht in einer Sprache des Empfangsstaats verfasst oder mit einer entsprechenden Übersetzung versehen ist, oder (b) in einer Amtssprache des Übermittlungsstaats abgefasst ist, die der Empfänger versteht.81 In dieser Sprache muss lediglich das verfahrenseinleitende Schriftstück selbst abgefasst sein; als Anlage beigefügte Beweisunterlagen bedürfen zwar keiner Übersetzung bei der Zustellung, sofern sie nicht für Verständnis von Gegenstand und Grund der Klage unerlässlich sind.82 Verweigert der Empfänger die Annahme eines fremdsprachigen Schriftstücks, so ist die Übermittlungsstelle des Ursprungsstaats davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen (Art. 8 II, 10 EuZVO). Wird die Annahme berechtigt verweigert, ist die Zustellung unwirksam. Wird das Schriftstück anschließend mit 76 Vgl. Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 4 Rz. 10. 77 Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 4 EG-ZustVO Rz. 5; krit. H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 125. 78 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 7 Rz. 7. 79 ABl. EG Nr L 174/25. 80 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 6 Rz. 10; W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 184; A. Stadler, IPRax 2001, 514, 515. 81 Zur Zustellung in Steuer- und Zollsachen s. EuGHE 2010, I-177 (Kyrian) = IPRax 2010, 528 (dazu A. Dutta, S. 504); E. Lege, GPR 2010, 193. 82 EuGHE 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss/IHK Berlin) = RIW 2008, 462 = NJW 2008, 1721; vgl. dazu M. Ahrens, NJW 2008, 2817; B. Hess, IPRax 2008, 400; Ph. Fabig/B. Windau, NJW 2017, 2502; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 8 Rz. 16; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14,127 ff.
518
II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 | Rz. 8.68 § 8
Übersetzung neu zugestellt, so ist das Schriftstück grundsätzlich erst zu diesem Zeitpunkt zugestellt (Art. 8 III 2 EuZVO); Fristen werden aber durch den ersten Zustellungsversuch gewahrt (Art. 8 III 3 EuZVO),.83 Überwiegend wird aber verlangt, dass die zweite Zustellung unverzüglich erfolgt.84 Zugestellt werden kann also zunächst ohne Übersetzung. Der Antragsteller kann daher entscheiden, ob dies geschehen soll. Die Entscheidung darüber, ob und von wem eine Übersetzung gefertigt wird, liegt nach § 38 II ZRHO bei dem Beteiligten, in dessen Interesse zugestellt werden soll, im Grundfall also beim Kläger. Das Gericht darf daher nicht ohne seine Zustimmung eine kostenpflichtige Übersetzung anfertigen lassen.85 Wählt der Kläger eine Zustellung mit Übersetzung, so muss er diese auf seine Kosten nach Art. 5 II EuZVO beibringen, bevor zugestellt wird. Verzögert er die Beibringung vorwerfbar, so verliert er den Vorteil des § 167 ZPO, nach dem die Verjährungsfrist bereits mit Einreichung der Klage bei Gericht gehemmt wird.86 Ordnet das Gericht eine Übersetzung an, hat der Antragsteller nur den Kostenvorschuss rechtzeitig einzuzahlen; wenn das Gericht viel Zeit benötigt, um einen Übersetzer zu beauftragen, ist ihm dies nicht zuzurechnen.87
8.67
Über die Berechtigung zur Annahmeverweigerung entscheidet das Prozessgericht, bei dem die Klage eingereicht wurde.88 Damit das Prozessgericht sachgerecht entscheiden kann, empfiehlt es sich für den Kläger, der eine Übersetzung in die Sprache des Empfangsstaats vermeiden will, in der Klage konkrete Anhaltspunkte dafür darzulegen, dass der Empfänger die Sprache des Gerichtsstaats ausreichend kennt.89 Ein Anhaltspunkt ergibt sich etwa aus einer vom Gegner unterschriebenen Vertragsklausel, dass zur Durchführung des entsprechenden Vertrags eine bestimmte Sprache gebraucht wird.90 Hat der Beklagte selbst einen Schriftsatz in deutscher Sprache, der auf hinreichendes Sprachverständnis schließen lässt, eingereicht, so steht ihm kein Recht zur Annahmeverweigerung wegen fehlender Übersetzung zu.91 Doch prüft auch der Vollstreckungsstaat im Rahmen des Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34
8.68
83 BGH, RIW 2007, 213; HkZPO/Saenger, § 1070 Anh Rz. 4; Rauscher in MünchKomm/ ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 8 Rz. 25; P.-A. Brand, NJW 2004, 1138, 1139; vgl. B. Sujecki, EuZW 2007, 363. 84 Vgl. A. Ruster, Die rückwirkende Heilung schweben unwirksamer EU-Auslandszustellungen, NJW 2019, 3186. 85 OLG Koblenz v. 20.11.2009 – 14 W 763/09, MDR 2010, 101. 86 OLG Frankfurt, MDR 2019, 1046 (S. Grootens). 87 B. Hess, IPRax 2020, 127. 88 LG Düsseldorf, InstGE 11, 291; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO, Art. 8 Rz. 18; J. Meyer, IPRax 1997, 401, 403; krit. R. Schütze, RIW 2006, 352, 353 (eigene Entscheidung des Adressaten). 89 B. Sujecki, EuZW 2011, 287, 288. 90 Vgl. EuGH – C-14/07, ECLI:EU:C:2008:264 – Ingenieurbüro Michael Weiß = NJW 2008, 1721 (dazu B. Heß, IPRax 2008, 400); LG Bonn, IPRax 2013, 80 (dazu M. Würdinger, S. 61); zweifelnd Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 8 Rz. 13. 91 LG Düsseldorf, InstGE 11, 291.
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§ 8 Rz. 8.68 | Internationale Zustellungen
Nr. 2 EuGVO a.F.), ob ordnungsgemäß zugestellt worden ist.92 Verweigert der Empfänger die Annahme zu Recht, ist die Zustellung schwebend unwirksam. Der Mangel wird aber rückwirkend geheilt, wenn nachträglich (innerhalb eines Monats nach Mitteilung an die Übermittlungsstelle des Ursprungsstaats) eine Übersetzung übersandt wird.93
8.69 Art. 8 I (b) EuZVO ist ein erster, aber unzureichender Schritt einer sprachlichen Liberalisierung.94 Nicht geregelt ist, auf wessen Sprachkenntnisse bei der Zustellung an juristische Personen oder Gesellschaften abzustellen ist. Auf die Kenntnisse des Vertretungsorgans im Prozess allein kann es nicht ankommen. Bei einem ausländischen Unternehmen mit ständiger Geschäftstätigkeit mit Deutschland ist davon auszugehen, dass im Unternehmen insgesamt ausreichende deutsche Sprachkenntnisse bestehen.95 Es ist also nicht auf die Sprachkenntnisse der Personen, die die Organstellung innehaben, sondern auf die im Unternehmen allgemein vorhandenen Kenntnisse abzustellen.96 Nicht geregelt ist weiter, welches Niveau die Sprachkenntnisse haben müssen. Und schließlich fehlt jede Bereichsausnahme für Handelsbeziehungen, die in der Sprache eines Drittstaats (etwa in Englisch oder Französisch) abgewickelt worden sind. 8.70 d) Nicht vereinheitlicht sind Zustellungsort, der Kreis der Empfangsberechtigten und die Möglichkeiten der Ersatzzustellung. Nach Art. 7 I EuZVO ist insoweit nach dem nationalen Recht des Empfangsstaats zuzustellen.97 Es kann daher auch postalisch zugestellt werden. Die Übermittlungsstelle des Ursprungsstaats kann aber (wie nach Art. 5 I b HZÜ 1965) um die Zustellung in einer besonderen Form ersuchen (die mit dem Recht des Empfangsstaats vereinbar sein muss).98 8.71 e) Zustellungszeitpunkt. Wann zugestellt ist, folgt aus dem Recht des Empfangsstaats (Art. 9 I EuZVO), also kommt es zum Schutze des Empfängers auf sein „Umwelt“-recht an.99 Muss die Zustellung nach dem Recht des Ursprungsstaats innerhalb bestimmter Fristen erfolgen, z.B. zur Hemmung der Verjährungsfrist, so bestimmt sich das Datum der Zustellung nach dem Recht des Ursprungsstaats (Art. 9 II).100 92 OLG Celle, IPRax 2005, 450, 451 (dazu H. Roth, S. 438, 439). 93 EuGHE 2005, I-9611 (Götz Leffler v Berlin Chemie) = NJW 2006, 491 = JZ 2006, 248 (Th. Rauscher) = IPRax 2006, 151 (dazu A. Stadler, S. 116); Rauscher in MünchKomm/ ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 8 Rz. 25; vgl. R. Schütze, RIW 2006, 352, 354; H. Rösler/V. Siepmann, NJW 2006, 475. 94 Vgl. W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 185, 187; H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 124; A. Stadler, IPRax 201, 514, 517 f.; G. Geimer, S. 93 ff.; Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 8 EG-ZustVO Rz. 6 ff. 95 OLG Köln, EuZW 2019, 750; AG Berlin-Mitte, IPRax 2018, 408 (dazu V. Pickenpack/A.G. Zimmermann); vgl. Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 8 Rz. 12. 96 OLG München, MDR 2020, 242. 97 Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 7 EG-ZustVO Rz. 1. Für Vereinheitlichung B. Heß, NJW 2001, 15, 22. 98 Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14.81 f. 99 J. Meyer, IPRax 1997, 401, 403; G. Geimer, S. 213. 100 Vgl. C. F. Nordmeier, ZZP 124 (2011), 95, 116 ff.; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 9 Rz. 6.
520
II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 | Rz. 8.76 § 8
f) Über die Erledigung der Zustellung ist eine Bescheinigung (in der Sprache des Übermittlungsstaats) entsprechend dem Formblatt zu Art. 10 EuZVO auszustellen und an die Übermittlungsstelle zu übersenden.101
8.72
g) Grundsätzlich kann kein Mitgliedstaat von einem anderen die Erstattung von Gebühren oder Auslagen für die Ausführung einer Zustellung verlangen (Art. 11 I EuZVO). Der Verfahrensbeteiligte hat jedoch Auslagen zu bezahlen oder zu erstatten, wenn im Empfangsstaat eine Amtsperson (insb. ein Gerichtsvollzieher) bei der Zustellung mitwirkt102 oder eine besondere Zustellform eingehalten wird (Art. 11 II EuZVO). Hier soll künftig Verhältnismäßigkeit der Kosten vorgeschrieben werden.
8.73
6. Direktzustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen Eine Übermittlung auf konsularischem oder diplomatischem Weg bleibt zulässig, soll aber auf Ausnahmefälle beschränkt werden (Art. 12 EuZVO).
8.74
Nach Art. 13 I EuZVO dürfen Diplomaten oder Konsuln des Ursprungsstaats, die im Empfangsstaat akkreditiert sind, dort direkt ohne Anwendung von Zwang zustellen. Entsprechend dem in Art. 13 II EuZVO möglichen Vorbehalt lässt Deutschland solche Zustellungen nur zu, soweit der Adressat des zuzustellenden Schriftstücks Staatsangehöriger des Übermittlungsstaats (Ursprungsstaats) ist (§ 1067 ZPO).103
8.75
7. Direktzustellung durch die Post Nach Art. 14 I EuZVO kann jeder Mitgliedstaat jeder Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gerichtliche Schriftstücke auch unmittelbar durch die Post zustellen lassen, was die Zustellung an sich beschleunigt und dadurch dem Kläger die Rechtsverfolgung erleichtert.104 Diese postalische Zustellung ist gleichrangig neben der Zustellung im Rechtshilfeweg zugelassen.105 Wird ein Schriftstück sowohl im Rechtshilfeverkehr (nach Art. 4 ff. EuZVO) als auch auf postalische Weise (Art. 14 EuZVO) zugestellt, so treten die an die Zustellung anknüpfenden Rechtsfolgen mit der ersten wirksam bewirkten Zustellung ein.106 Als wichtige Neuerung gegenüber dem HZÜ 1965 kann die Direktzustellung durch die Post (unter Postaufgabe im Ursprungsstaat) nicht mehr ausgeschlossen werden. Art. 14 II EuZVO lässt lediglich die Be-
101 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 10 Rz. 3; Mayr/ Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14,86. 102 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 11 Rz. 2; Mayr/ Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 14.88 ff.; B. Heß, NJW 2002, 2422; S.-D. Jastrow, NJW 2002, 3382. 103 Vgl., Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 13 Rz. 2 f. 104 Vgl. D. Tsikrikas, ZZPInt 8 (2003), 309, 311. 105 EuGHE 2006, I-1417 (Plumex v Young Sports) = NJW 2006, 975 = IPRax 2007, 320 (dazu B. Heiderhoff, S. 293); OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130, 131; W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 185; H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 123 („Regelform“); A. Stadler, IPRax 2001, 514, 519; a.A. B. Heß, NJW 2001, 15, 19 f. 106 EuGHE 2006, I-147 (Plumex v Young Sports) = NJW 2006, 975.
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8.76
§ 8 Rz. 8.76 | Internationale Zustellungen
kanntgabe modifizierender Bedingungen zu.107 Deutschland lässt dementsprechend Direktzustellungen durch die Post nach Deutschland nur in der Versandform des Einschreibens mit Rückschein zu (§ 1068 I ZPO).108 Als deutsche Übermittlungsstelle i.S.v. Art. 2 I EuZVO ist nach § 1069 I Nr. 1 ZPO „das die Zustellung betreibende Gericht“ zuständig.109 Eine Zustellung im Parteibetrieb ist insoweit also nicht möglich; zulässig ist nur eine Zustellung durch das Gericht auf Veranlassung der Partei nach §§ 191, 183, 1069 ZPO.110
8.77 Bei der Zustellung durch die Post gelten dieselben Spracherfordernisse wie bei der Zustellung im Rechtshilfeweg (Art. 8 IV EuZVO) (s. Rz. 8.66 f.). Da das Einschreiben verschlossen zugestellt wird, kann der Empfänger zunächst nicht prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Nach der Neufassung von Art. 8 IV EuZVO darf er aber das Schriftstück gem. Art. 8 I EuZVO binnen einer Woche zurücksenden, wenn er es sprachlich nicht versteht und es nicht in einer Amtssprache des Empfangsstaats abgefasst ist.111 8.78 Ähnliche Regelungen haben auch die anderen EU-Staaten erlassen. Zum Teil findet sich eine Gleichstellung mit den Anforderungen in Art. 8 I EuZVO.112 Wird durch die Post im Ausland zugestellt, ohne dass der Sendung eine Übersetzung beigefügt ist oder der Empfänger (soweit zulässig) über die nötigen Sprachkenntnisse verfügt, ist die Zustellung nicht ordnungsgemäß. Nach Art. 8 I, IV EuZVO muss der Empfänger allerdings den Mangel innerhalb von einer Woche nach der Zustellung durch Rücksendung des Schriftsatzes rügen. 8.79 Über die Möglichkeit der Annahmeverweigerung bzw. der Rücksendung ist der Empfänger ausdrücklich mittels Formblatts zu belehren (Art. 8 I, IV EuZVO) Fehlt die Belehrung, so ist ihm ggf. Wiedereinsetzung zu gewähren.113 8.80 Kann das Einschreiben dem Empfänger tatsächlich nicht zugestellt werden, sondern wird auf dem Postamt hinterlegt und dort nicht abgeholt, muss sich der Adressat nur dann so behandeln lassen, als hätte er das Schriftstück erhalten, wenn er sich treuwidrig verhalten hat. Dies soll bei schlichter Nichtabholung nur der Fall sein, wenn ihm eine Benachrichtigung über die Niederlegung des Schriftstücks tatsächlich zugegangen und darin ein Art. 14 I lit. d EuVTVO entsprechender Hinweis (auf das gerichtliche Schriftstück und die Zustellungswirkung der Niederlegung) enthalten war.114
107 108 109 110 111 112
J. Meyer, IPRax 1997, 401, 404; G. Geimer, S. 213. Vgl. Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1068 Rz. 4. Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1069 Rz. 7. OLG Dresden, NJW-RR 2019, 319 (Rz. 5, 7). Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rz. 19 ff. Vgl. D. Tsikrikas, ZZPInt 8 (2003), 309, 322 ff. Zu der niederländischen Regelung s. OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130, 131. 113 OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130, 132 = IPRax 2006, 270 (dazu H. Rösler/V. Siepmann, S. 236); vgl. HkZPO/Saenger, § 1070 Anh. Rz. 3. 114 OLG Stuttgart, IPRspr. 2010 Nr. 265, S. 652 (Rz. 26 ff.).
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II. Die Europäische Zustellungsverordnung v. 13.11.2007 | Rz. 8.84 § 8
8. Unmittelbare Zustellung im Parteiauftrag Wie schon das HZÜ 1965 (Art. 10 [c]) sieht auch Art. 15 EuZVO eine Direktzustellung im Empfangsstaat im Parteiauftrag vor, lässt aber zu, dass die Mitgliedstaaten diese Zustellform für ihr Hoheitsgebiet ausschließen. Eine entsprechende Erklärung hat Deutschland zunächst abgegeben, aber wieder zurückgenommen. § 1071 ZPO, der klarstellte, dass Parteizustellungen aus dem Ausland nach Deutschland unzulässig sind, wurde aufgehoben. Parteizustellungen nach Deutschland oder aus Deutschland sind danach zulässig; soweit sie nach § 191 ZPO möglich sind.115
8.81
Art. 7 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928,116 der eine Direktzustellung durch Beamte des Empfangsstaats zulässt, ist damit in der Sache gegenstandslos. Kläger aus Großbritannien können danach direkt einen deutschen Gerichtsvollzieher mit der Zustellung beauftragen.
8.82
Die Parteien eines deutschen Verfahrens können gleichwohl die in anderen EU-Staaten zulässige Direktzustellung nicht nutzen, da das deutsche Zivilprozessrecht nur die Amtszustellung kennt (§ 166 II ZPO) und eine Möglichkeit einer Delegation der Zustellung auf die Partei nicht vorsieht.117
8.83
9. Heilung von Zustellungsmängeln Ebenso wie das HZÜ 1965 regelt die EuZVO nicht direkt, ob ein Zustellungsmangel heilt, wenn der Empfänger das Schriftstück tatsächlich erhalten hat.118 Eine angemessene Lösung ergibt sich aber seit dem 1.3.2002 aus Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F., jetzt Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. Denn danach kommt es für die Anerkennung eines Versäumnisurteils nur noch darauf an, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig zugestellt wurde, dass sich der Empfänger verteidigen konnte. Außerdem darf es dem Beklagten nicht möglich gewesen sein, gegen die Entscheidung die ihm zugestellt wurde, ein Rechtsmittel einzulegen (s. Rz. 12.54 ff.).119 Entsprechendes folgt sinngemäß auch aus Art. 19 I lit. b EuZVO.120 Formelle Fehler bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks werden künftig meist also irrelevant sein. Auch im Rahmen von Art. 15 I (b), II (c) Brüssel IIa-VO kommt es nicht mehr auf die formelle Ordnungsmäßigkeit der Zustellung an. Verstöße gegen das Übersetzungserfordernis können durch Nachreichung einer Übersetzung heilen (s. Rz. 8.66 f.).
115 116 117 118
Rauscher in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1067–1070 EG-ZustellVO Art. 15 Rz. 4 ff., 7. RGBl. II 623; W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 186. W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 186; krit. B. Heß, NJW 2001, 15, 21. U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 309; krit. H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 120 f, 129 ff.; A. Stadler, IPRax 2001, 514, 520. 119 W. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179, 192; P. Gottwald, FS Schumann, 2001, S. 149, 155 ff. 120 U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 310; Rauscher/Heiderhoff, (2015) Art. 19 EG-ZustVO 2007 Rz. 20.
523
8.84
§ 8 Rz. 8.85 | Internationale Zustellungen
III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 1. Einführung
8.85 Das HZÜ 1965121 ist für die Bundesrepublik Deutschland am 26.6.1979 in Kraft getreten.122 Vertragspartner des Zustellungsübereinkommens sind neben Deutschland: Ägypten, Albanien (seit 1.7.2007), Andorra (seit 1.12.2017), Antigua und Barbuda, Argentinien (seit 1.12.2001), Bahamas, Barbados, Belgien, Bosnien und Herzegowina (seit 1.2.2009), Botsuana, Brasilien (seit 1.6.2019), Bulgarien (seit 1.8.2000), China, Costa Rica (seit 1.10.2016), Dänemark, Estland (seit 1.10.1996), Finnland, Frankreich, Griechenland, Hongkong (chinesische Sonderverwaltungsregion) (seit 1.7.1997), Indien (seit 1.8.2007), Irland, Island (seit 1.7.2009), Israel, Italien, Japan, Kanada, Kasachstan (seit 1.6.2016), Korea (seit 1.8.2000), Kroatien (seit 1.11.2006), Kuwait (seit 1.12.2002), Lettland, Litauen (seit 1.6.2001), Luxemburg, Malawi, Mazedonien (seit 1.9.2009), Mexiko (seit 1.6.2000), Monaco (seit 1.11.2007), Montenegro (seit 1.9.2012), Nicaragua (seit 1.2.2020), die Niederlande, Norwegen, Pakistan, Polen (1.9.1996), Portugal, Rumänien (seit 1.4.2004), Russische Föderation (seit 1.12.2001), San Marino (seit 1.11.2002), Schweden, die Schweiz, Seychellen, Slowakische Republik, Slowenien (seit 1.6.2001), Spanien, Sri Lanka (seit 1.6.2001), Tschechische Republik, Türkei, Tunesien (seit 2.2.2018), Ukraine (seit 1.12.2001), Ungarn (seit 1.4.2005), Venezuela, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland (zugleich für Anguilla, Bermuda, British Honduras, British Salomon Islands Protectorate, British Virgin Islands, Cayman Islands, Central and Southern Line Islands, Falkland Islands, Fiji, Gibraltar, Gilbert and Ellise Islands, Guernsey, Isle of Man, Jersey, Montserrat, Pitcairn, St. Christopher and Nevis, St. Helena, St. Lucia, St. Vincent, Turks and Caicos Islands), Vereinigte Staaten von Amerika (auch für Guam, Puerto Rico, Virgin Islands und Nördliche Marianen), Vietnam (seit 1.12.2016), Weißrussland (seit 1.2.1998), Zypern.
8.86 Das HZÜ gilt nach Art. 1 I für die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen, der streitigen wie der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Gerichtliche Schriftstücke rühren aus einem eingeleiteten Verfahren her oder dienen seiner Einleitung; außergerichtliche Schriftstücke stehen mit keinem Gerichtsverfahren in Verbindung, dürfen aber dennoch nur amtlich übermittelt werden.123 8.87 Das Haager Zustellungsübereinkommen findet nur auf Auslandszustellungen Anwendung. Jeder Staat entscheidet frei nach seinem eigenen Prozessrecht (lex fori), ob eine Auslandszustellung notwendig ist oder nicht.124
121 122 123 124
524
BGBl. 1977 II, 1453. BGBl. 1979 II, 779. Beispiele bei Ch. Pfeil-Kammerer, S. 44 ff. M. Otto, Der prozessuale Durchgriff, S. 111 f.; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 93.
III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.91 § 8
8.88
Die Regeln über die öffentliche Inlandszustellung gelten nach § 185 ZPO nur (1) bei unbekanntem Aufenthalt, (2) wenn die notwendige Auslandszustellung unausführbar oder nicht erfolgversprechend ist,125 (3) wenn die Wohnung einer immunen Person Zustellungsort wäre. Unbekannt ist der Aufenthalt nur, wenn auch eine Anschrift im Ausland nicht bekannt und in zumutbarer Weise nicht ermittelbar ist. Nicht ausführbar ist die Auslandszustellung, wenn der Wohnsitzstaat keine Rechtshilfe gewährt. Die bloße Langwidrigkeit der Auslandszustellung allein rechtfertigt das Ausweichen auf die öffentliche Zustellung nicht. Zustellfristen bis zu zwei Jahren sind hinzunehmen.126
8.89
Eine Auslandszustellung ist entbehrlich, wenn die Partei einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten besitzt. Ausländische Autohersteller, die Kfz in die USA importieren, haben für Klagen des Attorney General wegen Sicherheitsmängeln gem. 49 USC § 30163 (v 5.7.1994) einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen (49 USC § 30164). Solche Klagen werden dann an den Bevollmächtigten, hilfsweise an den Secretary of Transportation zugestellt. Schon zur früheren Regelung nach 15 USC § 1399 (e) war entschieden worden, dass sich diese Regelung nur auf Streitigkeiten nach diesem Gesetz bezieht, es sich aber nicht um einen allgemeinen Zustellungsbevollmächtigten handelt.127
8.90
In ähnlicher Weise können in Deutschland nach § 184 I 2, II ZPO an die Auslandspartei, die keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten bestellt, weitere Schriftsätze (auch mit klageerweiterndem Inhalt)128 durch Aufgabe zur Post zugestellt werden.129 Nach § 184 I 1 ZPO muss die Bestellung des Zustellungsbevollmächtigten aber ausdrücklich durch das Gericht angeordnet werden. (Der Vorsitzende darf insoweit als Gericht tätig werden).130 Außerdem ist die Auslandspartei nach § 184 II 3 ZPO nunmehr auf diese Folgen der Untätigkeit hinzuweisen. Gegenüber einer nicht in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Partei ist die Pflicht zur Bestellung des Zustellungsbevollmächtigten und die durch § 184 II 1 ZPO angeordnete Zustellungsfiktion mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz vereinbar.131 Geht der Brief verloren oder kommt er nur mit erheblicher Verzögerung an, so ist der Partei freilich aus rechtsstaatlichen Gründen Wiedereinsetzung zu gewähren; das Unterlassen der Bestellung des Zustellungsbevollmächtigten schadet insoweit nicht.132
8.91
125 126 127 128 129
Vgl. R. Bindseil, NJW 1991, 3071. AG Bad Säckingen, FamRZ 1997, 611. Law v BMW AG, 449 NYS 2d 733 (1982). BGHZ 193, 353, 359 (Rz. 12) = MDR 2012, 1243. Vgl. BGHZ 98, 263 = IPRax 1988, 159; Ch. Pfeil-Kammerer, S. 41 f.; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland, S. 163. 130 BGHZ 193, 353, 364 (Rz. 21 ff.) = MDR 2012, 1243. 131 BGHZ 193, 353, 360 (Rz. 13 ff.) = MDR 2012, 1243. 132 BGH, NJW 2000, 3284, 3285.
525
§ 8 Rz. 8.92 | Internationale Zustellungen
8.92 Überwiegend wird in den USA angenommen, im Wege des „piercing the corporate veil“ könne die Zustellung an eine ausländische Gesellschaft zur Begründung eines inländischen Verfahrens an eine Tochtergesellschaft als involuntary agent im Inland erfolgen.133 8.93 Das Haager Zustellungsabkommen wollte die prinzipiellen Unterschiede zwischen der Einordnung der Zustellung als Hoheitsakt oder als Privatakt überwinden, den alten konsularischen Weg des Übereinkommens von 1954 durch einen kürzeren ersetzen, den Belangen des anglo-amerikanischen Rechtskreises stärker entgegenkommen. Außerdem sollten Nachteile beseitigt werden, die einem Beklagten im Ausland durch das System der „remise au parquet“ entstehen können (dabei handelt es sich u.a. um Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Italien, Griechenland134). 8.94 Gegenüber dem diplomatischen oder konsularischen Weg ist die Zustellung über „Zentrale Behörden“ oder im direkten Behördenverkehr sicherlich ein Fortschritt gewesen. 8.95 Jedoch wird das Übereinkommen heute weder den Bedürfnissen des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs noch der Praxis der internationalen Nachrichtenübermittlung durch Telefax, E-Mail oder online-Verbindungen gerecht. Die vorgeschriebenen Förmlichkeiten, insb. die Notwendigkeit, alle Dokumente in die Sprache des Empfängerstaats zu übersetzen, verursachen hohe, vielfach unnötige Kosten. Soweit kein direkter Behördenverkehr vereinbart oder eine Zustellung per Post zulässig ist, sind die Übermittlungswege zu langsam. Es ist deshalb kein Wunder, dass der internationale Handel auf Schiedsgerichte ausweicht, bei denen alle diese Hürden nicht bestehen und dennoch am Ende eine Vollstreckung des Schiedsspruchs durch ein staatliches Gericht garantiert wird (s. Rz. 18.6, 18.89). Wird auf elektronischem Wege ein Großteil der Handelskorrespondenz und des internationalen Zahlungsverkehrs abgewickelt und können Schriftsätze (Klagen) bei Gericht per Fax eingereicht werden, müssen auch die nächsten prozessualen Schritte an die veränderten Verhältnisse angepasst werden.135 8.96 Im Verhältnis zu den Vertragsstaaten tritt das Haager Zustellungsübereinkommen an die Stelle der Art. 1 bis 7 des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess v. 1.3.1954 (Art. 22). Nach Art. 24 sind Zusatzvereinbarungen zu dem Haager Abkommen bzw. Übereinkommen auch bei dem Haager Zustellungsübereinkommen anzuwenden, es sei denn, dass die beteiligten Staaten etwas anderes vereinbaren. Das
133 So gebilligt vom US Supreme Court, in Volkswagen AG v Schlunk, 486 US 694, 108 S.Ct. 2104, 56 USLW 459 (1988); vgl. P. Volken, Liber amicorum Droz, 1996, S. 521, 529 ff.; krit. P. Gottwald, FS Habscheid, 1989, S. 119, 124; R. Schütze, RIW 2005, 579, 581 f.; s. aber Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 12.7 (p. 535); s. Rz. 8.24, 8.30. 134 Vgl. Ch. Gavalda, Rev.crit. 1964, 15, 20; M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, 1965, S. 159; Art. 135 und 137 griech. ZPO. 135 Vgl. P. Gottwald, FS Schütze, S. 225.
526
III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.100 § 8
ist von deutscher Seite nicht geschehen.136 Da im Verhältnis Deutschlands zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Schweiz und der Tschechischen Republik der unmittelbare Geschäftsverkehr besteht, wird der internationale Zustellungsverkehr, auch nachdem alle genannten Staaten dem Haager Zustellungsübereinkommen beigetreten sind, in den meisten Fällen nicht über die Zentrale Behörde, sondern auf direktem Weg (aber unter Einschaltung der Prüfungsstelle für ausgehende Ersuchen) abgewickelt. Nach Art. 25 bleiben von dem Haager Zustellungsübereinkommen andere Übereinkommen, denen die Vertragsstaaten angehören, unberührt (s. Rz. 8.158 ff.). Direkten Behördenverkehr bei der Zustellung zwischen EU-Staaten sieht nunmehr Art. 4 I EuZVO vor.
8.97
Das Haager Zustellungsübereinkommen gilt für Zivil- oder Handelssachen. Dieser Begriff ist im Haager Zustellungsübereinkommen selbst nicht definiert. Zweifelhaft ist daher, ob der Begriff nach dem Recht des ersuchenden oder des ersuchten Staats zu verstehen ist oder beide Rechte kumulativ anzuwenden sind. In der Praxis hat es Probleme gegeben. Die USA sehen auch Verwaltungsstreitigkeiten als „Zivilsachen“ an,137 während die europäischen Staaten z.B. Zustellungen von Klagen der „Environmental Protection Agency“ oder der „International Trade Commission“ abgelehnt haben. Umgekehrt sieht Ägypten Familiensachen nicht als Zivilsachen an.138 Um zufällige Ergebnisse zu vermeiden, erscheint eine vertragsautonome Auslegung am sachgerechtesten, obgleich es keine zentrale Auslegungsinstanz gibt.139 Diese legt jedenfalls eine liberale Praxis nahe. Eine Klage vor einem US-Gericht auf Leistung von punitive damages fällt danach unter das Haager Zustellungsübereinkommen;140 ebenso eine class action nach FRCP 23.141
8.98
Für Verwaltungssachen ist die Rechtshilfe bei der Zustellung geregelt im Europäischen Übereinkommen v. 24.11.1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland,142 im Verhältnis zu Österreich gilt der Deutsch-österreichische Vertrag v. 31.5.1988 über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen.143
8.99
Der Begriff der Zustellung wird ebenfalls nicht definiert. Der deutsche Text spricht von der „Zustellung“, der englische von „service“, der französische von „signification“ und „notification“. Die doppelte französische Bezeichnung ist notwendig mit
8.100
136 137 138 139 140 141 142 143
BT-Drucks. 8/217 v. 22.3.1977, 41. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 33 ff. Vgl. D. Clark, AmJCompL 42 (Suppl.) (1994), 23, 28. Expertenkommission der Haager Konferenz, RabelsZ 54 (1990), 364, 366; für alternative Qualifikation P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 1 HZÜ Rz. 2. BVerfG, NJW 1995, 649; OLG Düsseldorf, RIW 2006, 629; OLG München, NJW 1992, 3113. OLG Frankfurt, RIW 1991, 417; P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 1 HZÜ Rz. 3; H. Koch/Ch. Horlach/D. Thiel, RIW 2006, 356, 358 ff.; a.A. OLG Koblenz, IPRax 2006, 25 (abl. A. Piekenbrock, S. 4, 7 f.); s. Rz. 8.118, 8.121. BGBl. 1981 II, 535. BGBl. 1990 II, 357.
527
§ 8 Rz. 8.100 | Internationale Zustellungen
Rücksicht auf die der „remise au parquet“ folgenden Länder. Das Übereinkommen erfasst danach nicht nur die eigentliche Zustellung, sondern auch die Übermittlung („notification“) der Abschrift eines per „remise au parquet“ zugestellten Schriftstücks, z.B. in Frankreich nach Art. 684 CPC.144 Der in Art. 15, 16 HZÜ vorgesehene Beklagtenschutz setzt die Anwendbarkeit des HZÜ auf die notification voraus.145 Allerdings dient die Absendung einer Kopie per Post an den Empfänger nur der Information des Empfängers, Fehler bei der Briefübersendung beeinträchtigen nicht die Zustellung.146 2. Die Übermittlungswege für Zustellungsersuchen
8.101 Primär erfolgt die Zustellung mittels Ersuchens an die ausländische Behörde.147 Im Gegensatz zu dem Haager Übereinkommen 1954 ist ein neuer Übermittlungsweg dadurch geschaffen worden, dass jeder Vertragsstaat verpflichtet ist, eine Zentrale Behörde – für Bundesstaaten mehrere – einzurichten, die Zustellungsanträge aus anderen Vertragsstaaten entgegennimmt und das Erforderliche veranlasst. Durch Vereinheitlichung des Übermittlungsweges und der dabei einzuhaltenden Formen sollte die Zustellung gegenüber dem diplomatischen oder konsularischen Weg vereinfacht und beschleunigt werden. Der durch bilaterale Zusatzabkommen vereinbarte direkte Verkehr zwischen den Justizbehörden (s. Rz. 8.144) bleibt ebenfalls weiter zulässig. In Deutschland hat jedes Bundesland eine Zentrale Behörde eingerichtet (§ 1 AusfG). Meist ist dies das Landesjustizministerium, teilweise ist die Zuständigkeit delegiert, etwa in Bayern auf den Präsidenten des OLG München, in Bremen auf den Präsidenten des LG, in Hamburg auf den Präsidenten des AG. Die deutschen Prüfstellen (§ 9 I, II ZRHO) senden Zustellungsersuchen direkt auf dem Postweg an die Zentrale Behörde des Landes, in dem zugestellt werden soll, soweit nicht der direkte Behördenverkehr vereinbart ist (Art. 11 HZÜ) (s. Rz. 8.143 f.). 8.102 Der Zustellungsantrag wird nach Art. 3 I HZÜ von der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Beamten des Ursprungsstaats gestellt. Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Recht des Prozessgerichts. In Deutschland ordnet der Vorsitzende des Prozessgerichts die Form der Auslandszustellung an; bei § 183 I Nr. 1 ZPO führt sie die Geschäftsstelle, sonst die Justizverwaltung aus.148 In den USA sind die Anwälte selbst antragsberechtigt.149 8.103 Eine wesentliche Verbesserung liegt darin, dass die Zustellungsanträge nach einem einheitlichen Muster (Art. 3 I HZÜ) gestellt werden.150 Nach Art. 7 müssen die Formblätter in englischer oder französischer Sprache abgefasst sein. Sie können außerdem in einer Sprache des Ursprungsstaats abgefasst sein. Diesen formularmäßi144 145 146 147 148 149 150
528
Ch. Pfeil-Kammerer, S. 39 ff. OLG Koblenz, RIW 1988, 476; M. Otto, S. 113 ff. Vgl. OLG Oldenburg, EuZW 1992, 64. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 85 ff. Häublein in MünchKomm/ZPO, § 183 ZPO Rz. 5. Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 93 ff. P. Schlosser, RdC 284 (2000), 97.
III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.106 § 8
gen Ersuchen werden die zuzustellenden Schriftstücke beigefügt. Die Zentrale Behörde stellt entweder selbst zu oder veranlasst die Zustellung nach den Vorschriften des ersuchten Staats oder auf Wunsch des Ursprungslandes in einer besonderen Form, wenn diese mit den Gesetzen des ersuchten Staats vereinbar ist (Art. 5 HZÜ). Insoweit hat sich hinsichtlich der Ausführung der Zustellung gegenüber dem Haager Übereinkommen nichts geändert. Eine weitere wesentliche Verbesserung gegenüber früheren Verträgen liegt darin, dass die Zentrale Behörde über die erfolgte Zustellung ein Zustellungszeugnis nach einem festgelegten Muster erteilt, das sie der ersuchenden Stelle unmittelbar zusendet (Art. 6 HZÜ). Für dieses Muster gelten dieselben Sprachvorschriften wie für die Zustellungsersuchen. Stellt die Zentrale Behörde formelle Mängel fest, muss sie das der ersuchenden Stelle sofort mitteilen. Auch wenn dies nicht geschieht, macht die Erteilung des Zustellungszeugnisses eine sonst unwirksame Zustellung nicht gültig.151 An die Stelle der Legalisation des Zeugnisses tritt die Apostille, die die zuständige Behörde des Errichtungsstaats auf der Urkunde anbringt.
8.104
Das Zustellungszeugnis wird der ersuchenden Stelle direkt übersandt (Art. 6 IV HZÜ). Die Zustellung kann formlos erfolgen, wenn der Empfänger persönlich oder ein Zustellungsbevollmächtiger152 zur Annahme bereit ist (Art. 5 HZÜ).153 Entsprechendes gilt für die Annahme durch einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter (§ 171 ZPO).154
8.105
Bei formloser Zustellung wird die Zustellung wirksam durch einfache Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks bewirkt; einer Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks in die deutsche Sprache bedarf es dann nicht155 (Art. 5 II HZÜ; § 3 AusfG v. 22.12.1977156). Die formlose Zustellung ist stets zulässig, wenn die ersuchende Behörde keine andere Art der Zustellung gewünscht hat (Art. 5 II HZÜ). Die formlose Zustellung setzt aber eine freiwillige Entgegennahme durch den Empfänger oder seinen Bevollmächtigten voraus. Der Empfänger muss dazu zum Gericht vorgeladen, über sein Annahmeverweigerungsrecht belehrt und ihm Gelegenheit gegeben werden muss, sich das Schriftstück anzusehen (§ 113 III ZRHO). Warum der Empfänger die Annahme verweigert, ist irrelevant; er muss keine beachtlichen Gründe vorbringen.157
151 152 153 154 155
BGH, EWS 1993, 258, 259 = RIW 1993, 673. OLG Saarbrücken, RIW 1993, 419. Vgl. R. Schütze RIW 2000, 20. M. Otto, S. 167 f. BGH, NJW 1991, 641; OLG Saarbrücken, RIW 1993, 418, 419; OLG Düsseldorf, RIW 1999, 464. 156 BGBl. I 3105. 157 LG München II, IPRax 1998, 477 (dazu W. Hau, S. 456).
529
8.106
§ 8 Rz. 8.106 | Internationale Zustellungen
Bleibt die formlose Zustellung mangels Annahmebereitschaft erfolglos, muss die Auslandszustellung wiederholt werden, sofern eine förmliche Zustellung nicht von Anfang an hilfsweise beantragt wurde.158
8.107 Wesentlich praktikabler ist das österreichische Recht. Danach wird auch ein ausländisches, fremdsprachiges Schriftstück durch die Post mit Rückschein zugestellt (§§ 12 I, 5 I ZustG). Die Annahmebereitschaft des Empfängers wird dabei gem. § 12 II (2. Halbs.) ZustG unterstellt, „wenn er nicht binnen drei Tagen gegenüber der Behörde, die das Schriftstück zugestellt hat, erklärt, dass er zur Annahme nicht bereit ist; diese Frist beginnt mit der Zustellung zu laufen und kann nicht verlängert werden.“
8.108 Die Zustellung kann förmlich erfolgen, und zwar in einer Form, die das Recht des ersuchten Staats für Inlandszustellungen kennt (Art. 5 [1] [a]). Wird der Empfänger nicht angetroffen, erscheint er nicht bei Gericht oder verweigert er die Annahme, muss förmlich zugestellt werden. Die Zustellung an eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person ist stets Ersatzzustellung (§ 178 I Nr. 2 ZPO). Gleiches gilt, soweit eine inländische Gesellschaft kraft Rechtsscheins als Geschäftslokal der ausländischen Muttergesellschaft erscheint, für Zustellungen an die Mutter.159
8.109 Die förmliche Zustellung ist nur zulässig und wirksam, wenn ihr in allen Fällen Übersetzungen der zuzustellenden Schriftstücke in die deutsche Sprache beigefügt sind (§ 3 AusfG z. HZÜ). Fehler der Übersetzung sind so lange unschädlich, wie der Empfänger erkennen kann, wer mit dem Schriftstück welchen Zweck verfolgt und was er dagegen zu seiner Verteidigung tun kann.160 Auf die Sprachkenntnisse des Empfängers kommt es nach h.M. nicht an.161 Manche Autoren sehen es freilich als unbeachtlichen Rechtsmissbrauch an, wenn ein sprachkundiger Adressat die Entgegennahme ohne Übersetzung ablehnt.162 Das zwingende Übersetzungserfordernis wird den Bedürfnissen des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs freilich in keiner Weise gerecht. Ein solcher Schutz international tätiger Unternehmen ist sachwidrig, verursacht sinnlose Kosten und verzögert das Verfahren. Von US-Seite wird dies zu Recht betont.163 Zu Recht wird darauf verwiesen, dass es jedenfalls im Handelsverkehr genügen müsse, wenn die üb158 H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 117. Um Zeitverlust und eine drohende Verjährung zu vermeiden, empfehlen P.-A. Brand/J. Reichhelm, IPRax 2001, 173, 177, diesen Antrag stets zu stellen. 159 M. Otto, S. 170 ff. 160 OLG Nürnberg, IPRax 2006, 38 (dazu St.Wilske/C. Krapfl, S. 10). 161 Vgl. BGHZ 120, 305, 310 = NJW 1993, 598, 599; BGH, RIW 1990, 1010; OLG Koblenz, RIW 1991, 860 f.; OLG Düsseldorf, RIW 1999, 464 = IPRax 2000, 307 (dazu R. Hüßtege, S. 289); vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 99 ff.; G. Geiger, S. 89 ff. 162 P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 5 HZÜ Rz. 7. 163 Vgl. Bankston v Toyota Motor Corp., 889 F. 2d 172 (8th Cir. 1989) – Übersetzung englischer Dokumente ins Japanische.
530
III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.113 § 8
liche Geschäftssprache benutzt wird oder eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts der Klage in Übersetzung beigefügt werde. Da solche überzogenen Schutzregeln für Schiedsverfahren nicht bestehen (s. Rz. 18.6, 18.89), ist es kein Wunder, dass Parteien soweit wie möglich auf die Schiedsgerichtsbarkeit ausweichen. Die Zustellung kann förmlich erfolgen, und zwar auf Wunsch der ersuchenden Stelle in einer anderen „besonderen gewünschten Form“, es sei denn, diese ist mit dem Recht des ersuchten Staats unvereinbar (Art. 5 [1] [b] HZÜ). Auch diese Regelung ist unnötig kompliziert und erschwert eine klare Beurteilung, ob eine bestimmte Zustellung ausgeführt werden wird und ob sie ordnungsgemäß ausgeführt wurde.
8.110
Verlangt das ausländische Gericht eine besondere Form der Zustellung nach Art. 5 I (b) HZÜ 1965, so ist diese voll einzuhalten; eine Übersetzung ist mit zuzustellen.164 Die freiwillige Empfangnahme nach Art. 5 II HZÜ 1965 durch einen Prozessbevollmächtigten heilt den Mangel nicht.165 Nach Art. 8 HZÜ steht es jedem Vertragsstaat frei, Personen, die sich im Ausland befinden, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter ohne Anwendung von Zwang zustellen zu lassen. Jeder Staat kann allerdings erklären, dass er einer solchen Zustellung in seinem Hoheitsgebiet widerspricht, außer wenn das Schriftstück einem Angehörigen des Ursprungsstaats zuzustellen ist. Diesen Widerspruch haben neben Deutschland (§ 6 Satz 1 AusfG) Ägypten, Belgien, Bulgarien, China, Frankreich, Griechenland, Indien, Korea, Kroatien, Kuwait, Lettland, Litauen, Luxemburg, Mazedonien, Mexiko, Monaco, Norwegen, Pakistan, Polen, Portugal, Rumänien, die Russische Föderation, San Marino, die Schweiz, die Slowakei, Sri Lanka, die Tschechische Republik, die Türkei, die Ukraine, Ungarn und Venezuela erklärt.
8.111
Danach können Konsuln in Deutschland nur an eigene Staatsbürger zustellen; eine zusätzliche deutsche Staatsangehörigkeit schadet nicht.166 Die deutschen Konsulate in den USA dürfen dagegen allgemein auch an US-Bürger oder corporations zustellen.167 Statt durch die Zentralen Behörden kann jeder Vertragsstaat ein gerichtliches Schriftstück den Behörden des anderen Vertragsstaats auch auf konsularischem Weg (Art. 9 I HZÜ) oder, in außergewöhnlichen Fällen, auf diplomatischem Weg (Art. 9 II HZÜ) übermitteln (indirekter konsularischer oder diplomatischer Weg168).
8.112
Nach Art. 10 HZÜ wird, sofern der Bestimmungsstaat keinen Widerspruch erklärt, nicht ausgeschlossen,
8.113
„a) dass gerichtliche Schriftstücke im Ausland befindlichen Personen unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, 164 165 166 167 168
P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 5 HZÜ Rz. 5. Vgl. BGH, MDR 1976, 310. P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 8 HZÜ. Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 114; s. Rz. 8.118. Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 114 ff.
531
§ 8 Rz. 8.113 | Internationale Zustellungen
b) dass Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Ursprungsstaates Zustellungen unmittelbar durch Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Bestimmungsstaates bewirken lassen dürfen, c) dass jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke unmittelbar durch Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Bestimmungsstaates bewirken lassen darf.“169 Leider hat die Bundesrepublik Deutschland von dem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht (§ 6 Satz 2 AusfG) und damit einen in der Praxis häufigen und bequemen Zustellungsweg für unzulässig erklärt.170 Der deutsche Vorbehalt wollte der früheren amerikanischen Praxis, Zustellungen durch einfachen Postbrief vorzunehmen, vorbeugen.
8.114 Danach ist eine Zustellung durch das ausländische Gericht durch Übersendung per Post nach Deutschland unzulässig.171 Hieran hat das Zustellungsreformgesetz v. 25.6.2001 nichts geändert; der Vorbehalt gegenüber Art. 10a HZÜ ist bisher nicht zurückgenommen worden.172 8.115 Japan hat zwar einen Widerspruch nur zu b) und c) erklärt; aber die japanische Regierung hat als offizielle Meinung im Jahr 1989 erklärt: „Art 10 (a) HZÜ bedeutet nur, dass eine Zusendung durch die Post als Beeinträchtigung des japanischen Hoheitsrechts nicht angesehen wird, nicht aber dass die japanische Regierung die Zusendung durch die Post als eine neue Art der wirksamen Zustellung anerkennt“. Trotz dieser Erklärung ist es unklar, ob die direkte Übersendung der Klageschrift durch die Post völlig unzulässig ist. Zumindest könnte die Zusendung durch die Post nicht als zulässige Zustellung angesehen werden, wenn der Klageschrift keine Übersetzung beigelegt ist oder wenn der japanische Beklagte nicht rechtzeitig von der Einleitung des Verfahrens Kenntnis erlangen kann.173 8.116 Art. 10 HZÜ wollte den Gepflogenheiten der anglo-amerikanischen Praxis entgegenkommen, Zustellungen auf privatem Wege zu bewirken. Da Deutschland aber nicht zulassen will, dass Zustellungen in seinem Hoheitsgebiet auf den in Art. 10 aufgeführten Wegen bewirkt werden, verbleibt es im Verhältnis zu den Staaten, für die das deutsch-britische Abkommen gilt, bei den Ausführungen zu Rz. 8.162 ff. Es kommt aber der Weg über die Zentralen Behörden hinzu.
169 Zur Auslegung s. B. Jacklin, Service of Process by Mail in International Civil Action, 112 ALR Fed 241 (1993). 170 Vgl. OLG Düsseldorf, RIW 2004, 389 = IPRax 2005, 148; OLG Hamm, FamRZ 2004, 1593 (abl. H. Schack) = IPRax 2005, 146; a.A. M. Fogt/H. Schack, IPRax 2005, 118. 171 Vgl. BGHZ 120, 305, 309 = NJW 1993, 598; OLG Stuttgart, IPRax 2018, 626 (Rz. 56 f.) (dazu H. Roth, S. 606, 608); OLG Karlsruhe, RIW 1994, 1046/48; OLG Köln, VersR 1991, 247 = RIW 1990, 668; Ch. Pfeil-Kammerer, S. 119 ff. 172 Hierfür H. Linke in Gottwald, Grundfragen, S. 95, 123. 173 T. Kojima, Law and Contemp. Problems, 57 (1994), 59, 72; M. Takeshita, ZZPInt Bd. 1 (1996), 305, 312.
532
III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.120 § 8
Ist die Postzustellung nach dem Recht des Prozessgerichts zulässig, verletzt aber wegen des deutschen Widerspruchs das HZÜ, kann dieser Fehler bereits vor dem Prozessgericht gerügt werden. Wird trotzdem ein Versäumnisurteil erlassen, scheitert dessen Inlandsvollstreckung u.U. an § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. an Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) (s. Rz. 12.54 ff. und 12.173 ff.).
8.117
Die USA haben einer Postzustellung nicht widersprochen. Nach der Reform des deutschen Zustellungsrechts kann eine Klage auch per Post an einen US-Empfänger gesandt werden. Nach § 183 I Nr. 1 u. 2 ZPO erfolgt die Auslandszustellung entweder (Nr. 1) durch die Post per Einschreiben mit Rückschein, oder (Nr. 2) im Rechtshilfewege (a) durch die Behörden des fremden Staats oder (b) durch die diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes. Wird ein deutscher Konsul ersucht, darf er die Klage per US-Post an den Beklagten schicken und stellt darüber ein Zustellungszeugnis (§ 183 II 2 ZPO) aus.174 Beide Arten der Zustellung werden in den USA anerkannt.175 Nach der Zulassung der direkten Postzustellung hat das Gericht darüber zu befinden, ob die Wahl des konsularischen oder gar diplomatischen Weges im Einzelfall sachgerechter erscheint.
8.118
Allerdings wurde in Bankston v Toyota Motor Corp.176 entschieden, dass Art. 10 (a) HZÜ keine „Zustellungen“ gestattet. Denn darin sei nur von „Übersenden“ („send“) die Rede, nicht aber wie sonst im Übereinkommen von „Zustellung“ („service“). Das Gericht sah deshalb die Übersendung der Klageschrift per Einschreibbrief mit Rückschein (ohne Übersetzung ins Japanische) von Arkansas nach Tokio als unwirksam an, obwohl Japan dem Verfahren nach Art. 10 (a) HZÜ nicht widersprochen hat. Das Gericht war der Ansicht, Art. 10 (a) HZÜ gestatte nur die Übersendung späterer Schriftstücke auf diese Weise, nicht aber die Zustellung einer Klage. Die Haltung der US-Gerichte ist insgesamt aber gespalten.177 De lege ferenda wird der Vorbehalt gegenüber der Postzusendung weiterhin (zu Recht) kritisiert.178
8.119
In den Vereinigten Staaten wird die Zustellung nicht als ein hoheitlicher Akt angesehen. Es ist deshalb früher wiederholt versucht worden, an deutsche Beklagte in der Bundesrepublik Deutschland durch einfachen Postbrief zuzustellen. Inzwischen hat sich in den USA zwar die Ansicht durchgesetzt, dass förmliche Zustellungen im Ausland gegenüber Vertragsstaaten nur auf den im Haager Zustellungsübereinkommen vorgesehenen Wegen ausgeführt werden dürfen.179 Durch die Neufassung von FRCP 4 (f) (1) zum 1.1.1993 ist jedenfalls für die Bundesgerichte eindeutig klargestellt, dass ein nach dem HZÜ zulässiger Weg einzuhalten ist (s. Rz. 8.28). Praktisch wird aber häufig versucht, das „lästige“ Verfahren nach dem HZÜ durch die Bitte um Zustel-
8.120
174 175 176 177 178 179
A.A. J. Kondring, RIW 1996, 722, 723 (allseitige Wirkung des deutschen Widerspruchs). Ackermann v Levine, 788 F. 2d 830 (NY). 889 F. 2d 172 (8th Cir. 1989). Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed., § 12.7 (p. 534). J. Weis, Service by Mail, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 165. Vgl. P. Heidenberger/K. Barde, RIW 1988, 683; A. Junker, JZ 1989, 121.
533
§ 8 Rz. 8.120 | Internationale Zustellungen
lungsverzicht (s. Rz. 8.22 ff.) zu umgehen. Außerdem ist streitig, welche Bedeutung FRCP 4 (f) (3) hat. Danach kann die Klage statt mittels des HZÜ alternativ „by other means not prohibited by international agreement as may be directed by the court“ zugestellt werden. Richtigerweise verbietet das Haager Übereinkommen jede andere Form der Zustellung; auch Art. 15 III HZÜ eröffnet eine solche Möglichkeit nicht. Die Regel kann daher nur im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten Anwendung finden.180 Leider kann das Haager Zustellungsübereinkommen durch Zustellungen innerhalb der USA unterlaufen werden, insb. durch Zustellung an eine Tochtergesellschaft als „unfreiwillige Vertreterin“ (involuntary agent).181 3. Ablehnungsgründe
8.121 Die Zentrale Behörde des Empfangsstaats ist grds verpflichtet, dem Ersuchen nachzukommen.182 Nach Art. 13 HZÜ kann die Erledigung eines Zustellungsantrags nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.183 Diese Ablehnungsgründe beziehen sich zwar auf das durch die Zustellung zu fördernde Gerichtsverfahren. Sie sind aber wesentlich enger als ein allgemeiner ordre public-Vorbehalt. Gegenüber dem Haager Übereinkommen 1954 sind sie zudem dadurch eingeschränkt worden, dass die Erledigung nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden darf, dass der ersuchte Staat nach seinem Recht die ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte für die Sache in Anspruch nimmt oder ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für das der Antrag gestellt wird. Die Zustellung einer amerikanischen class action an einen deutschen Beklagten kann daher grds nicht verweigert werden.184 8.122 Für die Auslegung der Gefährdung der Hoheitsrechte oder der Sicherheit des ersuchten Staats hat sich gegenüber dem HZÜ 1954 im Übrigen nichts geändert (s. Rz. 8.149 f.). 8.123 Die Zustellung einer Klage, mit der Strafschadenersatz (punitive damages) nach USamerikanischem Recht geltend gemacht wird, verstößt nicht gegen Art. 13 HZÜ. Sie ermöglicht die geordnete Einleitung eines Verfahrens und verstößt daher weder gegen die allgemeine Handlungsfreiheit noch das Rechtsstaatsprinzip. Im Gegenteil würde die Rechtsstellung eines deutschen Beklagten verschlechtert, wenn Deutschland bereits die Mitwirkung bei der Zustellung einer solchen Klage verweigern wür-
180 S auch D. Siegel, in USCA, Pocket Part 1995, Rule 4, C 4–24, p. 69; G. Born/A. Vollmer, 150 F.R.D. 221, 240 (1994). 181 Vgl. US Supreme Court Volkswagen AG v Schlunk (s. Rz. 28); P. Heidenberger, RIW 1988, 567. 182 P. Schlosser, RdC 284 (2000), 98 ff. 183 Ch. Pfeil-Kammerer, S. 60 ff.; R. Greger, 1. Erlanger FS Schwab, S. 331, 336 ff.; W. zur Nieden, S. 67 ff., 132 ff. 184 BVerfG, NJW 2007, 3709; OLG Frankfurt, RIW 1991, 417, 419; J. Mark, EuZW 1994, 238, 239; H. Koch/Ch. Horlach/D. Thiel, RIW 2006, 356, 360 ff.; W. zur Nieden, S. 126.
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III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.126 § 8
de.185 Nach Ansicht des BVerfG kann aber die Zustellung einer evident missbräuchlichen, rein schikanösen Klage nach Art. 13 HZÜ verweigert werden.186 Auch die Zustellung einer US-amerikanischen Klage, mit der Ansprüche nach dem US-Antidumping Act 1916 geltend gemacht werden, kann nicht nach Art. 13 HZÜ abgelehnt werden, obwohl die Streitschlichtungsorgane der WTO bereits festgestellt haben, dass der Act gegen GATT-Vorschriften verstößt. Sinn der Zustellung ist die Sicherung der Kenntnis des Beklagten vom Auslandsprozess; deshalb sind die Begründetheit der Auslandsklage und auch ein etwaiger „nuisance value“-Zweck der Klägerin bei der Zustellung grds nicht zu berücksichtigen.187
8.124
Dagegen ist die Zustellung einer sog. anti-suit injunction (s. Rz. 6.301 ff.) gegen die Fortsetzung oder Einleitung eines deutschen Gerichtsverfahrens geeignet, deutsche Hoheitsrechte zu gefährden, und kann daher von der Zentralen Behörde nach Art. 13 HZÜ abgelehnt werden.188 Auch die Zustellung anonymer Klagen ist abzulehnen, da gegen sie keine ordnungsgemäße Verteidigung möglich ist.189 Nach Ansicht von Schütze ist ferner die Zustellung von Klagen abzulehnen, deren Zuständigkeit auf den Alien Tort Claims Act gestützt wird, weil diese Zuständigkeit völkerrechtswidrig sei.190
8.125
Formale Ablehnungsgründe dürften kaum noch auftauchen. Zwar heißt es in Art. 1 II:
8.126
„Das Übereinkommen gilt nicht, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist.“ Die Zentrale Behörde des ersuchten Staats hat also nicht die Pflicht, nach der Anschrift des Empfängers zu forschen.191 Im Übrigen gewährleisten aber die Prüfstellen und die vereinheitlichten Antragsformulare für Zustellungen, dass ordnungsgemäße Anträge vorliegen (§ 29 ZRHO). Nach Art. 4 HZÜ unterrichtet die Zentrale Behörde
185 BVerfG, RIW 2007, 211 (dazu J. v. Hein, RIW 2007, 249) = JZ 2007, 1046 (krit. A. Stadler) = IPRax 2009, 249 (dazu J. Rogler, S. 223); BVerfGE 91, 335 = JZ 1995, 716 m. Anm. A. Stadler = NJW 1995, 649 = EuZW 1995, 218 m. Anm. H. Kronke; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2010, 573; RIW 2006, 629 u. NJW 1992, 3110; H. Morisse, RIW 1995, 370; vgl. auch BVerfG, JZ 2016, 796 (m. Anm. M. Stürner); a.A. (Verstoß gegen den ordre public) OLG Koblenz, IPRax 2006, 25 (dazu A. Piekenbrock, S. 4); vgl. P. Heidenberger, RIW 1995, 705; P. Huber, FS Jayme, S. 361; H. Prütting, FS Jayme, S. 709; B. Hess, JZ 2003, 923; R. Stürner, JZ 2006, 60; W. zur Nieden, S. 126 ff. 186 BVerfGE 108, 238 = NJW 2003, 1583; vgl. Hj. Otto, FS Birk, 2008, S. 575; W. zur Nieden, S. 143 ff. 187 OLG Frankfurt, RIW 2001, 464, 465 f = ZZPInt 6 (2001), 245 (W. Hau). 188 OLG Düsseldorf, ZIP 1996, 294 = RIW 1996, 237; dazu H.-P. Mansel, EuZW 1996, 335; P. Mankowski, EWiR Art. 13 HZÜ 1/96; R. Stürner, ZZP 109 (1996), 224; W. Hau, IPRax 1997, 161; a.A. M. Maack, Englische antisuit injunctions, 1999, S. 70 ff., 87 ff., 123; W. zur Nieden, S. 124 ff.; krit. auch G. Geimer, S. 77 ff. 189 R. Schütze, RIW 2005, 579, 581. 190 R. Schütze, RIW 2009, 497. 191 Ch. Pfeil-Kammerer, S. 58.
535
§ 8 Rz. 8.126 | Internationale Zustellungen
unverzüglich die ersuchende Stelle, falls ein Antrag nicht dem Übereinkommen entspricht, und führt dabei die Einwände im Einzelnen auf. 4. Schutzvorschriften für den Beklagten
8.127 Nach dem deutschen Zustellungsrecht erfolgt auch eine im Ausland zu bewirkende Zustellung durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Empfänger (§§ 177, 183 ZPO). Nach § 183 V 2 ZPO wird die erfolgte Zustellung durch ein schriftliches Zeugnis der ersuchten Behörden nachgewiesen. Doch beweist dieses Zeugnis nicht, dass die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist.192 Nach § 335 I Nr. 2 ZPO ist es unzulässig, gegen die nicht erschienene Partei ein Versäumnisurteil oder eine Entscheidung nach Lage der Akten zu erlassen, wenn sie nicht ordnungsgemäß, insb. nicht rechtzeitig geladen war. 8.128 In Österreich ist die Zustellung geregelt durch das Zustellgesetz v. 1.4.1982193 und § 121 österr. ZPO. Zugestellt wird danach im Ausland nach den internationalen Vereinbarungen (HZÜ 1954). Es gibt eine Liste der Länder, in die durch die Post mittels Rückscheins zugestellt werden kann (§ 121 I österr. ZPO). Kann eine Bestätigung über die erfolgte Zustellung nicht binnen angemessener Frist verlangt werden, kann öffentlich (§ 25 ZustellG) oder durch Bestellung eines Kurators (§ 116 österr. ZPO) zugestellt werden. Dies gilt auch, wenn die Auslandszustellung vergeblich versucht wurde oder Rechtshilfe offensichtlich verweigert wird (§ 121 II österr. ZPO). 8.129 In Schweden ist die Zustellung im Delgivningslagen 1970:428 geregelt. Nach § 5 hat die Zustellung im Ausland nach der lex fori des Zustellungsortes zu erfolgen. Mit den skandinavischen Ländern ist direkter Geschäftsverkehr vereinbart. Mit den anderen Ländern erfolgt die Zustellung nach dem HZÜ 1970; zentrale Behörde ist das Außenministerium (Cirk 1969:495). 8.130 Für Polen s Art. 1133 poln. ZPO. 8.131 Wegen des französischen Systems der remise au parquet wird auf Rz. 8.16 f., 8.58 u. 8.100 verwiesen. Der Huissier muss dem Empfänger eine Kopie von der erfolgten Zustellung durch eingeschriebenen Brief zuschicken. Wenn nicht nachgewiesen ist, dass der Empfänger rechtzeitig von der Zustellung erfahren hat, kann das Gericht von Amts wegen nachforschen, ob der Empfänger von der Zustellung erfahren hat. Die Fristen sind um zwei Monate verlängert, wenn sich der Beklagte im Ausland aufhält (Art. 643 CPC). 8.132 Die Haager Konferenz wollte die „notification au parquet“ abschaffen.194 Die tatsächlich gefundene Lösung der Art. 15, 16 HZÜ ist aber nur ein Kompromiss; die „remi-
192 BGH, NJW 1993, 2688; a.A. P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 6 HZÜ Rz. 2 (Vertrauenstatbestand). 193 BGBl. Nr. 200/1982; abgedruckt bei P. Mayr/H. Broll, Zivilverfahrensrecht, 7. Aufl. 2008, Nr. 39 sowie W. Rechberger/Th. Klicka, ZPO, 5. Aufl. 2019. 194 US Supreme Court, 486 US 694, 703 (1987).
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III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.134 § 8
se au parquet“ als solche bleibt für internationale Zustellungen zulässig.195 Nach Art. 15 I HZÜ hat der Richter lediglich das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass das Schriftstück dem Beklagten in einer Form nach dem Recht des ersuchten Staats zugestellt ist, oder dass das Schriftstück dem Beklagten selbst oder in seiner Wohnung nach einem anderen in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren übergeben worden ist. Entgegen dem deutschen Wortlaut muss auch ausgesetzt werden zum Zwecke der Benachrichtigung nach erfolgter formeller Zustellung nach dem System der remise au parquet gem. Art. 685 II CPC.196 Nach Art. 15 II HZÜ kann aber jeder Vertragsstaat erklären, dass seine Richter auch dann entscheiden können, wenn ein Zeugnis über die Zustellung oder Übergabe nicht eingegangen ist. Vorausgesetzt wird dabei dreierlei:
8.133
„(a) dass das Schriftstück nach einem in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren übermittelt worden ist, (b) dass seit der Absendung des Schriftstücks eine Frist verstrichen ist, die der Richter nach den Umständen des Falles als angemessen erachtet und die mindestens sechs Monate betragen muss, und (c) dass trotz aller zumutbaren Schritte bei den zuständigen Behörden des ersuchten Staates ein Zeugnis nicht zu erlangen war.“ Von dieser Ermächtigung haben Antigua und Barbuda, Belgien, Botsuana, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Island, Japan, Kanada, Korea, Kroatien, Kuweit, Lettland, Litauen, Luxemburg, Mazedonien, Mexiko, Monaco, die Niederlande, Norwegen, Pakistan, Portugal, San Marino, Slowakei, Spanien, Sri Lanka, St-Vincent und die Grenadinen, die Tschechische Republik, die Türkei, die Ukraine, Ungarn, Venezuela, das Vereinigte Königreich und Zypern Gebrauch gemacht. Art. 16 HZÜ enthält eine weitere Schutzvorschrift für den Beklagten. Ist eine Entscheidung gegen den Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, ergangen, so kann das Prozessgericht diesem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen, wenn die Rechtsmittelfristen verstrichen sind. Dazu sind drei Voraussetzungen zu erfüllen: – der Beklagte muss ohne sein Verschulden nicht rechtzeitig von dem zuzustellenden Schriftstück erfahren haben; – die Verteidigung des Beklagten darf nicht von vornherein aussichtslos erscheinen;
195 H. Schack, IZVR, Rz. 685 f.; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 107 ff.; G. Geimer, S. 34 ff.; anders Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed., § 12.6 (p. 533 – eliminating notification au parquet). 196 H. Schack, IZVR, Rz. 685; P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 15 HZÜ Rz. 3.
537
8.134
§ 8 Rz. 8.134 | Internationale Zustellungen
– der Beklagte muss den Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis der Entscheidung gestellt haben. Auch diese Vorschrift berührt die deutschen Gerichte nicht.
8.135 Diese Schutzvorschriften setzen zwar die entsprechenden Zivilprozessordnungen der Vertragsstaaten nicht außer Kraft. Dennoch verpflichten sie die Gerichte der der „remise au parquet“ folgenden Staaten, im Verhältnis zu allen Vertragsstaaten die Art. 15 und 16 HZÜ zu beachten. Diese sind insoweit „leges speciales“ gegenüber den nationalen Prozessvorschriften.197 8.136 Als Beispiel mag erwähnt sein, dass nach Art. 643 CPC die Fristen bei Zustellungen bzw. Mitteilungen an einen im Ausland ansässigen Beklagten grds. um zwei Monate hinausgeschoben sind, während nach Art. 15 II HZÜ seit Absendung des Schriftstückes mindestens sechs Monate verstrichen sein müssen. Mezger198 sieht in dem HZÜ ein Hindernis für die Vollstreckung von Versäumnisurteilen. Der französische Kassationshof hatte die Vollstreckbarerklärung eines belgischen Urteils aufgehoben, weil die belgischen Richter nicht geprüft hatten, ob zwischen der Zustellung der Klage und dem Tag der Urteilsverkündung die Sechs-Monatsfrist nach Art. 15 II HZÜ abgelaufen bzw. ob das Schriftstück dem Zustellungsempfänger tatsächlich ausgehändigt worden sei. 8.137 Der EuGH199 hat entschieden, dass die Verpflichtung des Gerichts des Vollstreckungsstaats zur Prüfung der rechtzeitigen Zustellung selbst dann bestehe, wenn die ordnungsgemäße Zustellung vom Gericht des Urteilsstaats festgestellt worden sei. Insoweit ist der Zweitrichter nicht an die Feststellungen des Erstrichters gebunden. 5. Verhältnis von EuGVO und LugÜ zu Art. 15 HZÜ
8.138 Art. 28 II EuGVO n.F. (Art. 26 II EuGVO a.F./LugÜ) enthält eine ähnliche Vorschrift wie Art. 15 HZÜ: „Das Gericht hat die Entscheidung so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind.“ Der erste Teil dieser Vorschrift betrifft die dem deutschen Zustellungssystem folgenden Vertragsstaaten, der zweite die dem französischen System folgenden Staaten. Eine Ungewissheit bleibt insoweit bestehen, als nicht festgelegt ist, wann alle erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind, dass der Beklagte sich hat verteidigen können. Dabei wird es wesentlich auf die Entscheidung des Prozessgerichts ankommen. Der französische Richter wird also nach seinen Prozessvorschriften prüfen, ob alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen waren. 197 K.-H. Böckstiegel/D. Schlafen, NJW 1978, 1075. 198 E. Mezger, IPRax 1982, 30. 199 EuGHE 1981, 1593 (Klomps v. Michel) = IPRax 1982, 14 (krit. H. Nagel, S. 5).
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III. Das Haager Zustellungsübereinkommen v. 15.11.1965 | Rz. 8.141 § 8
An die Stelle von Art. 28 II EuGVO n.F. (Art. 26 II EuGVO a.F./LugÜ) ist in ihrem Geltungsbereich Art. 19 EuZVO getreten (Art. 28 III EuGVO n.F. bzw. Art. 26 III EuGVO a.F./LugÜ). Soweit die EuZVO nicht gilt, bleibt es bei der Anwendung von Art. 15 HZÜ (Art. 28 IV EuGVO n.F. bzw. Art. 26 IV EuGVO a.F./LugÜ). Soweit die verbleibenden EuGVO/LugÜ-Staaten Vertragsstaaten des HZÜ sind (dies gilt für Norwegen und die Schweiz), gilt statt Art. 28 II EuGVO n.F. (Art. 26 II EuGVO a.F./ LugÜ) der Art. 15 HZÜ. Art. 26 II LugÜ gilt also nur noch im Verhältnis zu Island. Im Verhältnis zu Dänemark ist die EuZVO nach dem Abkommen v. 19.10.2005 anwendbar.
8.139
6. Zustellungen von Versäumnisurteilen Art. 10a HZÜ hat den Übermittlungsweg durch die Post eröffnet. Bedauerlicherweise hat die Bundesrepublik Deutschland dem widersprochen.200 Nach Art. 24 HZÜ sind Zusatzvereinbarungen zu den Abkommen von 1905 und 1954 in Kraft geblieben. Im Verhältnis zu den EU-Staaten ist die Postzustellung per Einschreiben mit Rückschein aber nach Art. 14 EuZVO und § 1068 II ZPO generell zulässig.
8.140
7. Heilung von Zustellungsmängeln Zweifelhaft ist, ob und wie ein Zustellungsmangel geheilt werden kann. Das HZÜ 1965 enthält selbst keine Bestimmungen über die Heilung von Zustellungsmängeln. Daraus wird abgeleitet, in seinem Anwendungsbereich sei daher eine Heilung nach allgemeinen nationalen Regeln (in Deutschland gem. § 189 ZPO) ausgeschlossen.201 Aber aus Art. 15 HZÜ lässt sich ein Ausschluss einer Heilungsmöglichkeit nicht ableiten. Weder dem HZÜ 1965 noch den Materialien lässt sich entnehmen, dass das Übereinkommen eine Heilung regeln und ausschließen wollte202 (s. Rz. 12.181). Der BGH, hat inzwischen seine völlig ablehnende Haltung aufgegeben und folgt einer differenzierenden Lösung: Werden bei der Auslandszustellung nach dem HZÜ dessen Anforderungen gewahrt und nur Formvorschriften des Prozessrechts des Zustellungsstaats verletzt, so soll der Mangel in Deutschland nach § 189 ZPO heilen, wenn das Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugegangen ist. Dies soll auch dann gelten, wenn das nach Art. 5 Abs. 1a HZÜ anwendbare Recht des Zustellungsstaats eine Heilung nicht vorsieht.203
200 G. Pfennig, Die internationale Zustellung, 1988, S. 66. 201 OLG Stuttgart, IPRax 2018, 626 (Rz. 57) (dazu H. Roth, S. 606, 608); zu § 187 ZPO a.F.: BGHZ 120, 305 = NJW 1993, 598 = JZ 1993, 619 m. Anm. H. Schack; abl. H. Schack, IZVR, Rz. 695. 202 J. Kondring, RIW 1996, 722, 725 f. 203 BGHZ 191, 59, 66 (Rz. 24 ff.) = FamRZ 2011, 1860 (J. Kondring) (persönliche Übergabe des Scheidungsantrags, ggf. unter Verstoß gegen kalifornisches Recht).
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8.141
§ 8 Rz. 8.142 | Internationale Zustellungen
IV. Zustellungen nach HZPÜ v. 1.3.1954 8.142 In Art. 1 HZPÜ ist als Normalfall der konsularische Weg vorgesehen.204 Danach vermittelt der Konsul des ersuchenden Staats die Erledigung (§ 6 I Nr. 2 ZRHO). An diesen wendet sich das Prozessgericht mit seinem Ersuchen über die Prüfstelle (Amts-, Land-, Oberlandgerichtspräsident). Der zuständige deutsche Konsul stellt einen Antrag an die von dem ersuchten Staat bezeichnete Behörde. Hierbei handelt es sich um eine Abkürzung gegenüber dem diplomatischen Weg, der weiterhin zugelassen ist. Bei letzterem wendet sich der diplomatische Vertreter des ersuchenden Staats zunächst an das Außenministerium des ersuchten Staats, welches das Ersuchen an die zuständige Stelle weiterleitet. 8.143 Art. 1 IV HZPÜ lässt auch den unmittelbaren Weg zwischen den Behörden zweier Vertragsstaaten zu. Dazu ist allerdings eine besondere Vereinbarung erforderlich. Schließlich sieht Art. 6 HZPÜ noch folgende Übermittlungswege für Zustellungen vor: a) die Übersendung von der Post an den Empfänger; b) die Möglichkeit, dass die Beteiligten Zustellungen unmittelbar durch die zuständigen Gerichtsbeamten oder andere zuständige Beamte des Bestimmungslandes bewirken lassen dürfen; c) dass jeder Staat Zustellungen an die im Ausland befindlichen Personen unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter bewirken lassen darf. Der letzten Möglichkeit darf ein Vertragsstaat nicht widersprechen, wenn das Schriftstück einem Angehörigen des ersuchenden Staats ohne Anwendung von Zwang zugestellt werden soll. Zu den Vertragsstaaten des HZPÜ 1954 s. Rz. 7.8.
8.144 Vereinbarungen zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs bestehen mit Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, der Schweiz und der Tschechischen Republik. In ihnen ist vielfach der unmittelbare Behördenweg zwischen den Vertragsstaaten eröffnet. Eine Ausnahme war die deutsch-schwedische Vereinbarung, in der nur die Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertreter im Bestimmungsland geregelt war. Diese Regelung ist aber seit Erlass der EuZVO überholt. Im Einzelnen ist der unmittelbare Weg im Verhältnis zu den verschiedenen Vertragsstaaten unterschiedlich ausgestaltet, wodurch die Rechtslage unübersichtlich geworden ist. 8.145 Das Haager Übereinkommen v. 1.3.1954 geht grds. von der formlosen Zustellung aus. Nach Art. 2 kann sich die zuständige Behörde des ersuchten Staats darauf beschränken, die Zustellung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, wenn er zur Annahme bereit ist.205 204 Fasching/Bajons, Anh. A §§ 38–40 JN Rz. 17; Burgstaller/Christian, Rz. 9.14. 205 Burgstaller/Christian, Rz. 9.30.
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IV. Zustellungen nach HZPÜ v. 1.3.1954 | Rz. 8.148 § 8
Um formlose Zustellungen handelt es sich auch, wenn – wie bereits erwähnt – diplomatische oder konsularische Vertreter in ihren Bezirken entweder aufgrund einer Ermächtigung des Aufenthaltsstaats oder einer stillschweigenden Duldung an gewisse Personen Zustellungen in eigener Verantwortung vornehmen. Es wird dabei lediglich vorausgesetzt, dass der Empfänger ohne Anwendung von Zwang die Zustellung annimmt. Tut er dies, so liegt eine ordnungsgemäße Zustellung vor. Alle Staaten sind sich auch darüber einig, dass die normale Zustellung darin besteht, dass dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück übergeben wird. An dem öffentlich-rechtlichen Charakter der Zustellungen wird durch solche formlosen Zustellungen nicht gerüttelt, denn bei den diplomatischen oder konsularischen Vertretern handelt es sich um Beamte, die als solche bei den Zustellungen tätig werden.206 Nur auf einen entsprechenden Wunsch des ersuchenden Gerichts bzw. der entsprechenden Behörde wird nach Art. 3 II HZPÜ eine förmliche Zustellung ausgeführt, und zwar entweder nach den Vorschriften der lex fori des ersuchten Staats,207 oder nach den Vorschriften des ersuchenden Staats.208 Die erste Möglichkeit entspricht der allgemeinen Haltung, dass jeder Staat grds seine eigenen Prozessvorschriften anwendet, dass die Zustellungsvorschriften öffentlich-rechtlichen Charakter haben, von den Parteien also nicht abgeändert werden können. Ohne besonderen Wunsch soll nach Art. 3 II 2 HZPÜ durch einfache Übergabe zugestellt werden. Auf die grundsätzliche Anwendung der Zustellungsbestimmungen des ersuchten Staats bzw. die formlose Zustellung nimmt § 21 ZRHO Bezug:
8.146
„Da das deutsche Recht die Beobachtung deutscher Formvorschriften bei der Erledigung eines Ersuchens in der Regel nicht verlangt, soll um deren Anwendung in der Regel nicht gebeten werden.“ Art. 3 HZPÜ 1954 lässt aber auch die Möglichkeit zu, dass auf besonderen Wunsch des ersuchenden Gerichts bzw. der Behörde die Zustellung in einer besonderen Form bewirkt werden möge. Es sollen in solchen Fällen die Regeln des Prozessgerichts, nicht die des ersuchten Staats angewendet werden. Die Zustellungsvorschriften des ersuchenden Staats dürfen allerdings nicht denen des ersuchten Staats zuwiderlaufen (Art. 14 II HZPÜ).
8.147
Das Prozessgericht muss also darüber entscheiden, in welcher Art und Weise die Zustellung im Wege der internationalen Rechtshilfe erfolgen soll. Dabei wird es allein davon ausgehen, welche Art der Zustellung ihm nach seinem eigenen Recht genügt. Da das deutsche Recht eine Zustellung nach den Vorschriften der lex fori des ersuchten Staats für ausreichend erachtet, kann die Frage, ob ein Urteil, welches auf einem in dieser Weise eingeleiteten Verfahren beruht, in dem entsprechenden frem-
8.148
206 Diesen öffentlich-rechtlichen Charakter der Zustellungsvorschriften stellen E. Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, S. 94; G. v. Craushaar, Die internationalrechtliche Anwendbarkeit deutscher Prozessnormen, 1961, S. 21 und das OLG Stuttgart, Urt. v. 25.2.1965, IPRspr. 1964/65, 634, besonders heraus. 207 Fasching/Bajons, Anh. A §§ 38–40 JN Rz. 22. 208 Burgstaller/Christian, Rz. 9.31.
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§ 8 Rz. 8.148 | Internationale Zustellungen
den Staat anerkannt wird, gar nicht relevant werden. Die Zustellungsvorschriften dieses Staats wären ja erfüllt.
8.149 Art. 4 HZPÜ 1954 kennt nur einen einzigen Ablehnungsgrund für Zustellungen: „wenn der Staat, in dessen Hoheitsgebiet sie bewirkt werden soll, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden“.
8.150 Um zu verhindern, dass ein Zustellungsersuchen im ersuchten Staat aus formalen Gründen abgelehnt wird, ist die Prüfstelle eingeschaltet (§ 29 I ZRHO). Was unter der Gefährdung der Hoheitsrechte oder der Sicherheit zu verstehen ist, wird den einzelnen Vertragsstaaten zur Entscheidung überlassen. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor bleibt danach bestehen. Aus dem Haager Übereinkommen ergibt sich vor allem nicht, ob Zustellungsersuchen mit der Begründung zurückgewiesen werden können, die ausschließliche Zuständigkeit des ersuchten Staats und dessen Hoheitsrechte seien betroffen.209
V. Zustellungen außerhalb von Staatsverträgen 8.151 Soweit sich Staaten unabhängig von dem Haager Übereinkommen v. 1.3.1954 auf der Grundlage der Gegenseitigkeit Rechtshilfe bei Zustellungen leisten, wird die Zustellung in einer formlosen Art und Weise bewirkt. Sie erfolgt durch einfache Übergabe des Schriftstückes an den Empfänger, wenn dieser zur Annahme bereit ist. Entsprechend heißt es in § 114 II ZRHO: „Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr ist eine förmliche Zustellung unzulässig“. Es finden also weder die Zustellungsvorschriften der ZPO noch diejenigen des Staats, in dem zugestellt werden soll, Anwendung. Bei dieser Art von Zustellung hat es der Empfänger in der Hand, ob er die Zustellung freiwillig annehmen will oder nicht. Dies gilt auch bei der Zustellung durch einen deutschen Konsul im Ausland (§ 183 I Nr. 2, 2. Fall ZPO; § 16 KonsularG). Es handelt sich um eine Art von Mindestregelung, die keine Ersatzzustellung, die letztlich eine zwangsweise Durchführung enthält, duldet.
8.152 Andere Staaten verhalten sich anders. In Österreich sehen §§ 11, 12 ZustellG210 Folgendes vor: „§ 11 (1) Zustellungen im Ausland sind nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen oder allenfalls auf dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder die internationale Übung zulassen, erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen.
209 F. Pocar, L’assistenza giudiziaria, S. 134, hält die Klausel des Haager Übereinkommens für enger als die ordre public-Klausel. 210 BGBl. Nr. 200/1982.
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VI. Bilaterale Besonderheiten | Rz. 8.157 § 8
§ 12 (1) Zustellungen von Schriftstücken ausländischer Behörden im Inland sind nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen, mangels solcher nach diesem Bundesgesetz vorzunehmen. Einem Ersuchen um Einhaltung einer bestimmten davon abweichenden Vorgangsweise kann jedoch entsprochen werden, wenn eine solche Zustellung mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung vereinbar ist.“ Auch Schweden (KK 1909:24 s 1) und Italien gewähren im vertragslosen Zustand Rechtshilfe nach der lex fori des ersuchten Staats.211
8.153
Die polnischen Gerichte stellen gleichfalls auf der Grundlage der Gegenseitigkeit nach polnischem Recht zu (Art. 1132 polnische ZPO). Das Gleiche gilt für Russland. Zwischen oder besser neben diesen beiden Möglichkeiten steht die formlose Zustellung. Niemand zweifelt, dass auch die formlose Zustellung eine gültige Zustellung im Sinne der ZPO ist.
8.154
Da zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der internationalen Rechtshilfe keine staatsvertragliche Regelung besteht, gelten die Grundsätze der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen. Danach werden die von der Bundesrepublik ausgehenden Ersuchen um Zustellungen mit einem Begleitschreiben der Botschaft der Bundesrepublik in Brasilia übersandt. Die Ersuchen sind zu richten an das zuständige Gericht der Föderativen Republik Brasilien. Von Brasilien an die Bundesrepublik Deutschland eingehende Ersuchen werden auf dem konsularischen Weg erledigt.
8.155
Um zu verhindern, dass ein deutsches Rechtshilfeersuchen im Ausland auf Schwierigkeiten stößt, bestimmt § 29 II 1 ZRHO:
8.156
„Bestehen gegen die Absendung des Ersuchens wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit oder Hoheitsrechte Bedenken, ist zunächst der Landesjustizverwaltung zu berichten.“ Die Leistung internationaler Rechtshilfe ist unabhängig von der Frage der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile. Der Staat, der Rechtshilfe leistet, muss das spätere Urteil nicht anerkennen (so ausdrücklich New York CPLR § 328 [c]).
VI. Bilaterale Besonderheiten Schrifttum: Ch. Strasser, Auslandszustellungen in die Karibik – Exotische Prozessparteien als Herausforderung für die Justiz, RpflStud. 2011, 25.
211 R. Bader Ginsburg/A. Bruzelius, Civil Procedure in Sweden, 1965, S. 407 ff.; Art. 805 cprc; F. Pocar, L’assistenza giudiziaria, S. 222.
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8.157
§ 8 Rz. 8.158 | Internationale Zustellungen
1. Deutsch-türkisches Abkommen v. 28.5.1929 über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen
8.158 Das deutsch-türkische Abkommen v. 28.5.1929 über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen212 entspricht hinsichtlich der Zustellungen und der Beweisaufnahmen dem Haager Übereinkommen v. 1.3.1954.213 Die Türkei ist zudem Vertragspartner des Haager Übereinkommens von 1965. 2. Deutsch-griechisches Abkommen v. 11.5.1938 über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts
8.159 Das deutsch-griechische Abkommen v. 11.5.1938 über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts214 entspricht ebenfalls im Wesentlichen dem Haager Übereinkommen von 1954. Gemäß Art. 10 III kann die Erledigung eines Ersuchens um Rechtshilfe nur abgelehnt werden, wenn der Staat, in dessen Gebiet die Erledigung stattfinden soll, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Die weiteren Ablehnungsgründe der Echtheit des Ersuchens und der Möglichkeit, dass das Ersuchen nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt des ersuchten Staats fällt, sind erfreulicherweise nicht aufgenommen worden. Dadurch wird jedoch nichts Wesentliches geändert. Es bedarf noch des Hinweises, dass nach Art. 6 der griechischen ZPO die inländischen Gerichte auf Ersuchen ausländischer Behörden einzelne Prozesshandlungen nach ihrer Verfahrensordnung durchführen sollen, wenn internationale Verträge nichts anderes bestimmen oder die Durchführung der Prozesshandlung nicht dem ordre public widerspricht. Art. 13 II des Abkommens enthält auch die Möglichkeit, dass die ersuchende Behörde beantragt, dass nach einer besonderen Form verfahren werde, und dass einem solchen Wunsch zu entsprechen ist, sofern diese Form den Gesetzen des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft. 8.160 Hierzu hat das LG Frankfurt/M. entschieden, die Folgen eines fehlerhaften Vernehmungsprotokolls richteten sich bei einer Zeugenvernehmung im Wege der internationalen Rechtshilfe nach griechischem Prozessrecht. Die fehlende Unterschrift des vernehmenden Berichterstatters habe nach griechischem Recht die Nichtigkeit des Vernehmungsprotokolls dann nicht zur Folge, wenn der betroffenen Partei kein prozessualer Schaden entstanden sei.215 3. Deutsch-britisches Abkommen v. 20.3.1928 über den Rechtsverkehr
8.161 Dieses Abkommen216 gilt nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern auch für Gebiete, für deren internationale Beziehungen das Vereinigte Königreich zuständig ist bzw. war. Heute gilt das Abkommen auch für zahlreiche selbständige Staaten 212 213 214 215 216
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RGBl. 1930 II, 6. Vgl. OLG Nürnberg, IPRax 2006, 38. RGBl. 1939 II, 848. IPRax 1981, 218. RGBl. 1928 II, 623.
VI. Bilaterale Besonderheiten | Rz. 8.164 § 8
(s. Rz. 7.15).217 Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich selbst ist vorrangig die EuZVO zu beachten (Art. 20 I EuZVO). Für eventuelle weitergehende Erleichterungen bleibt das Abkommen von 1928 aber anwendbar (Art. 20 II EuZVO).
8.162
Hinsichtlich der Zustellungen gilt Folgendes: Für die Übermittlung von Zustellungen ist der konsularische Weg vorgesehen, d.h. die britischen Konsuln übermitteln die Ersuchen an den zuständigen Landgerichtspräsidenten, die deutschen Auslandsvertreter an den Senior Master des Supreme Court of Judicature (Art. 3a des Abkommens;218 CPR r 6.25). Die Zustellung erfolgt grds durch Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger, sofern dieser zur Annahme bereit ist. Auf Antrag ist das Schriftstück in der durch die innere Gesetzgebung für die Bewirkung gleichartiger Zustellungen vorgeschriebenen Form oder in einer besonderen Form zuzustellen, sofern diese ihrer Gesetzgebung nicht zuwiderläuft. Die Ausführung des Zustellungsantrags kann nur abgelehnt werden, wenn der vertragschließende Teil, in dessen Gebiet sie erfolgen soll, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Insoweit folgt das deutsch-britische Abkommen dem Haager Übereinkommen. Das gilt auch noch, soweit diplomatische oder konsularische Vertreter die Zustellung an Personen, die nicht Angehörige des ersuchten Staats sind, vornehmen können. Auf die Besonderheiten des englischen Rechts nimmt Art. 5b des Abkommens Rücksicht. Danach kann ohne Mitwirkung der Behörden des Landes eine Zustellung auch erfolgen durch einen von dem Prozessgericht oder einer Partei bestellten Vertreter (agent) mit der Maßgabe, dass die Wirksamkeit einer durch einen solchen Vertreter bewirkten Zustellung von den Gerichten des Landes, wo die Zustellung so bewirkt wird, nach dem Rechte dieses Landes zu beurteilen ist. Diese Vorschrift wird allerdings dadurch erheblich eingeschränkt, dass bei Staatsangehörigen des Landes, in dem zugestellt werden soll, diese Art der Zustellung ausgeschlossen ist. Hiermit wird die in England gebräuchliche Art, Zustellungen auf privatem Wege zu bewirken, angesprochen. Sie kann sich also nur auf Zustellungen an Personen beziehen, die sich in Deutschland aufhalten und keine deutschen Staatsangehörigen sind. In England gibt es mehrere private Agenturen, u.a. die Firma Flowerdew, sowie einige Solicitor-Firmen, die Zustellungen ausführen. Gemäß CPR r 6.20 kann das englische Gericht die Zustellung an den sich außerhalb seines Bezirks aufhaltenden Beklagten in gewissen Fällen anordnen. Sobald das Gericht diese Zustellung bewilligt hat, kann sich der Kläger der in CPR r 6.24 zugelassenen Zustellungsmethoden bedienen. Die Zustellung muss aber nach dem Recht des Empfangsstaats zulässig sein (CPR r 6.24 [1] [a], [2]).
8.163
Eine Zustellung auf privatem Wege scheidet damit aus, sofern der Prozess vor einem deutschen Gericht anhängig ist. Das folgt aus den deutschen Zustellungsbestimmungen der ZPO.
8.164
217 Vgl. A. Bülow in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 520.4 ff. 218 B. A. Harwood, ICLQ 1961, 284, 289.
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§ 8 Rz. 8.165 | Internationale Zustellungen
8.165 Nach Art. 6 des Abkommens können Schriftstücke auch durch die Post übermittelt werden in Fällen, in denen diese Art der Übermittlung nach dem Recht des Landes gestattet ist, in welchem das Schriftstück ausgestellt ist. Seit der Reform des deutschen Zustellungsrechts ist dieser Zustellungsweg nicht nur möglich, wenn vor einem englischen Gericht geklagt wird. Denn § 183 I Nr. 1 ZPO lässt die Auslandszustellung durch Einschreiben mit Rückschein aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen nun generell zu.219 Zugelassen ist eine Zustellung durch die „Post“. Im Auslandsverkehr ist dies allein die Deutsche Post AG (§§ 3, 33 PostG). Eine Zustellung durch international tätige private Kurierdienste wäre zwar im Einzelfall zweckmäßiger, wenn die Post im Zustellland nicht zuverlässig arbeitet, gesetzlich zugelassen ist sie jedoch nicht.220 4. Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966
8.166 Dieser am 13.3.1970 in Kraft getretene Vertrag221 lehnt sich weitgehend an das Haager Übereinkommen v. 1.3.1954 an.222 Es ist der konsularische Weg vorgesehen, d.h. deutsche Zustellungsersuche werden über den deutschen Konsul an den „Procureur Général de la République“ von Tunis gerichtet; tunesische Ersuchen über den tunesischen Konsul an den Präsidenten des Land- oder AG, in dessen Bezirk sich der Empfänger aufhält (Art. 9). Die Zustellung wird grds nach dem Recht des ersuchten Staats bewirkt, jedoch darf die ersuchte Behörde zunächst versuchen, die Zustellung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, sofern dieser zur Annahme bereit ist. Das ersuchende Gericht kann wiederum die Zustellung in einer besonderen Form wünschen, sofern diese dem Recht des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft. 8.167 Die Ablehnungsgründe sind gegenüber dem Haager Übereinkommen erfreulicherweise eingeschränkt. Zustellungsersuchen können nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Insbesondere darf eine Zustellung nicht deshalb abgelehnt werden, weil der ersuchte Staat für die Sache, in welcher der Zustellungsantrag gestellt wird, die ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte in Anspruch nimmt oder weil sein Recht ein Verfahren dieser Art nicht kennt (Art. 13 II). 8.168 Soweit formlose Zustellungen durch die diplomatischen bzw. konsularischen Vertreter nach Art. 16 zugelassen sind, handelt es sich um eine alte Fassung, denn solche Zustellungen dürfen nur an die eigenen Staatsangehörigen der Auslandsvertreter erfolgen. Gegenüber dem Haager Übereinkommen ist lediglich Art. 16 Satz 2 neu: „Kommen für die Beurteilung der Staatsangehörigkeit des Empfängers verschiedene Rechte in Betracht, so ist das Recht des Staates maßgebend, in dem die Zustellung bewirkt werden soll.“ 219 Zur Zustellung in Staaten der Karibik s. Ch. Strasser, RpflStud. 2011, 25. 220 Für teleologische Erweiterung des Postbegriffs dagegen Ch. Strasser, RpflStud. 2011, 25, 27. 221 BGBl. 1969 II, 889. 222 H. Arnold, NJW 1970, 1478.
546
VI. Bilaterale Besonderheiten | Rz. 8.175 § 8
Eine besondere Schutzvorschrift für den Beklagten enthält Art. 17. Hat der Beklagte sich auf das Verfahren nicht eingelassen, darf ein Versäumnisurteil erst dann gegen ihn ergehen, wenn festgestellt ist, dass die Klage, die Vorladung oder das andere Schriftstück ihm auf einem der in diesem Vertrage vorgesehenen Weg zugestellt oder ihm tatsächlich ausgehändigt worden ist. Auf einen Zustellungsnachweis wird allerdings dann verzichtet, wenn seit Übermittlung eines ordnungsgemäßen Zustellungsantrags in dem anderen Vertragsstaat acht Monate verstrichen sind. Dann darf das Prozessgericht eine Entscheidung erlassen, sofern festgestellt wird, dass im ersuchenden Staat alle Maßnahmen getroffen worden sind, damit das Ersuchen hätte erledigt werden können.
8.169
Einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherheit gerichtet sind, können jedoch erlassen werden.
8.170
Diese Schutzvorschrift ist notwendig, weil in Tunesien die französische Tradition der „remise au parquet“ nachwirkt. Nach Art. 9 der tunesischen ZPO wird eine Zustellung an einen Empfänger im Ausland dadurch bewirkt, dass das zuzustellende Schriftstück an der Gerichtstafel des Gerichts, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz hat, ausgehängt wird. Dem Beklagten wird eine Abschrift durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein übersandt. Zwar ist der Übermittlungsweg für Zustellungen aus Tunesien in Art. 9 des Vertrags genau vorgeschrieben: der tunesische Konsul muss den Zustellungsantrag dem deutschen Präsidenten des Land- oder AG übermitteln. Der deutsch-tunesische Vertrag greift jedoch in die Verfahrensvorschriften der Vertragsstaaten ebenso wenig ein wie das Haager Übereinkommen.223 Da nach den deutschen Vorschriften bis auf die öffentliche Zustellung immer ein Zustellungsnachweis gefordert wird, hat die Schutzvorschrift des Art. 17 des Vertrags insoweit keine Bedeutung.
8.171
5. Deutsch-marokkanischer Vertrag über internationale Rechtshilfe in Zivilund Handelssachen Dieser Vertrag ist am 23.6.1994 in Kraft getreten.224 Er sieht für Ersuchen von den Landesjustizverwaltungen zum Justizministerium in Rabat und umgekehrt den unmittelbaren Verkehr vor (Art. 3 I).
8.172
Auf die Legalisation von Schriftstücken wird verzichtet (Art. 27 I).
8.173
Ganz neu ist die Regelung des Art. 31 II, wonach die ersuchte Behörde/Gericht bei einer unvollständigen oder ungenauen Bezeichnung die richtige Anschrift des Zeugen oder Empfängers des Schriftstücks ermitteln soll.
8.174
6. Zustellungen im Verhältnis zu den europäischen Kleinstaaten Zwischen Deutschland und Andorra sowie Liechtenstein bestehen keine Rechtshilfeverträge. 223 Im Wesentlichen ebenso Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, 515.34. 224 BGBl. 1994 II, 1192.
547
8.175
§ 8 Rz. 8.175 | Internationale Zustellungen
Mit Andorra wird diese jedoch auf der Grundlage der Gegenseitigkeit geleistet. Die deutsche Botschaft in Madrid leitet Ersuchen um Zustellungen weiter an den Präsidenten des Tribunal de Battles in Andorra (genaue Anschrift s ZHRO Länderteil Andorra).
8.176 Aufgrund eines Notenwechsels mit Liechtenstein ist für Zustellungen der unmittelbare Behördenweg zugelassen. Deutsche Ersuchen gehen über die Prüfstelle (Präsident des Amts- oder LG) unmittelbar an das LG in Vaduz. Eine Zustellung durch die deutsche Botschaft in Bern ist unzulässig (ZRHO Länderteil, Liechtenstein).
548
§9 Internationale Beweisaufnahmen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationale Beweiszuständigkeit 3. Extraterritoriale Beweisaufnahme . II. Die EU-Verordnung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EU-Beweisverordnung . . . . . . . . . . 2. Ersuchen um Beweisaufnahme . . . 3. Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art und Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht . . . . 5. Extraterritoriale Beweisaufnahmen III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivil- und Handelssachen . . . . . . . c) Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fakultatives Verfahren . . . . . . . . . . 2. Übermittlungswege für Rechtshilfeersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahren des ersuchten Gerichts 5. Zeugnisverweigerungsrechte und Privilegien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter 7. Beweisaufnahme durch Beauftragte („commissioners“) . . . . . . . . . . . . . . 8. Vorbehalt gegen discovery of documents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Andere gerichtliche Handlungen . 10. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 9.1 9.2 9.6
9.8 9.9 9.14 9.22 9.22 9.23 9.30 9.33 9.34 9.37 9.39 9.39 9.39 9.41 9.44 9.45 9.47 9.50 9.55 9.59 9.61 9.67 9.74 9.82 9.95 9.99
IV. Beweisaufnahmen nach dem Haager Zivilprozessübereinkommen v. 1.3.1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.100 1. Übermittlungswege . . . . . . . . . . . . . 9.100 2. Anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . 9.101 a) Schwierigkeiten beim Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.105 b) Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Zeugen von der Partei . . 9.112 c) Schwierigkeiten bei Parteivernehmungen und Parteieiden . . . . . . . . 9.113 d) Das bei der Vorlage von Urkunden anzuwendende Recht . . . . . . . . . . . 9.115 e) Körperliche Untersuchungen und medizinische Eingriffe im Wege der internationalen Rechtshilfe . . . 9.117 f) Der Sachverständigenbeweis . . . . . 9.118 3. Ablehnungsgründe für Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen . . 9.123 4. Beweisaufnahmen durch diplomatische und konsularische Vertreter 9.136 V. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . 9.140 1. Beweisaufnahme im Ausland . . . . 9.140 2. Beweismittelbeschaffung aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.144 a) Auslandszeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.145 b) Sachverständige Beweiserhebung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.148 c) Augenschein im Ausland . . . . . . . . 9.150 d) Urkunden im Ausland . . . . . . . . . . 9.151 e) Anhörung und Vernehmung der Auslandspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.154 3. Beweisaufnahme für das Ausland 9.156 VI. Bilaterale Besonderheiten . . . . . . 9.158 1. Deutsch-türkisches Abkommen v. 28.5.1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.158 2. Deutsch-griechisches Abkommen v. 11.5.1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.159 3. Deutsch-britisches Abkommen v. 20.3.1928 über den Rechtsverkehr 9.161 4. Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.169
549
§ 9 Rz. 9.1 | Internationale Beweisaufnahmen 5. Deutsch-marokkanischer Vertrag über internationale Rechtshilfe v. 29.10.1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.171
6. Beweisaufnahmen in europäischen Kleinstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.172
I. Einführung 1. Schrifttum
9.1 R. Beckmann, Das Haager Beweisübereinkommen und seine Bedeutung für die Pre-Trial-Dis-
covery, IPRax 1990, 201; St. Black, United States, Transnational Discovery, ICLQ 40 (1991), 901; Th. v. Bodungen/Th. Jestaedt, Deutsche Bedenken gegen „Discovery“ mit extraterritorialen Wirkungen im US-Prozess, FS Stiefel, 1987, S. 65; S. Böhmer, Spannungen im deutschamerikanischen Rechtsverkehr in Zivilsachen, NJW 1990, 3049; G. Born, The Hague Evidence Convention Revisted: Reflections on its role in US civil procedure, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 77; G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, 5th ed. 2011; A. Bücken, Internationales Beweisrecht im Europäischen internationalen Schuldrecht, 2016; D. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983; D. Coester-Waltjen, Einige Überlegungen zur Beschaffung von Beweisurkunden aus dem Ausland, FS Schlosser, 2005, S. 147; L. Collins, The Hague Evidence Convention and Discovery: a serious misunderstanding?, ICLQ 35 (1986), 765 = Essays in international litigation, 1994, S. 289; St. Cromie/ W. Park/P. Perry, International Commercial Litigation, 2nd ed. 1997; J. Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess, 2000; M. Davies, Bypassing the Hague Evidence Convention: Private International Law Implications of the Use of Video and Audio Conferencing Technology in Transnational Litigation, AmJCompL 55 (2007), 205; W. Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269; Lord Dunboyne, Service and evidence abroad, ICLQ 1961, 295; D. Edwards, Taking evidence abroad in civil and commercial matters, ICLQ 38 (1969), 18 u. 647; L. Ervo, International cooperation and evidence in the nordic, baltic, and former socialist countries; continental Europe, and common law Europe, in La prueba en el proceso, 2018, S. 555; E. Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwertung im inländischen Zivilprozess, 2002; Fasching/Konecny/Sengstschmid, Zivilprozessgesetze, Bd. 1, 3. Aufl. 2013 (Anh. §§ 38–40 JN); G. Fouché/E. Polebaum, Discovery in the US in aid of foreign litigation, IntBusLawyer 1996, 415; S. Gavalda, Les commissions rogatoires internationales en matière civile et commerciale, Rev crit 1964, 15; E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998; R. Geimer, Konsularische Beweisaufnahme, FS Matscher, 1993, S. 133; R. Geimer, Verfassung, Völkerrecht und Internationales Zivilverfahrensrecht, ZfRV 33 (1992), 321, 335 ff. u 417 ff.; Geimer/Schütze/Knöfel, Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen, in Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 32. EL. 2007, S. 375.1 ff.; D. Gerber, International Discovery after Aerospatiale: The guest for an analytical framework, AmJIntL 82 (1988), 521; D. Gerber, Extraterritorial Discovery and the Conflict of Procedural Systems, AmJCompL 34 (1986), 745; P. Gottwald, Grenzen gerichtlicher Maßnahmen mit Auslandswirkung, FS Habscheid, 1989, S. 119 (engl. Fassung: Civil Justice Q. 1990, 61); R. Greger, Discovery am AG?, ZRP 1988, 164; W. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986; W. Hau, Gerichtssachverständige in Fällen mit Auslandsbezug, RIW 2003, 822; M. Heese, Sachaufklärung mittels exterritorialer Handlungsvollstreckung, ZZP 124 (2011), 73; St. Huber, Der optionale Charakter der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, ZEuP 2014, 642; V. von Hülsen, Gebrauch und Missbrauch US-amerikanischer pre-trial-discovery und die internationale Rechtshilfe, RIW 1982, 225; A. Huet, Les conflits de lois en matière de preuve, Paris 1965; J. Jacob, Private International Litigation, 1988, S. 429 ff.; K. Jander/K. Stubbe, Beweisermittlung im Ausland – Blocking Statutes und Secrecy Laws, WiB 1996, 201; J. A. Jolowicz, Discovery of
550
I. Einführung | Rz. 9.1 § 9 documents in the common law and the forced production of documents in civil law systems, FS Kerameus, 2009, S. 535; A. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987; A. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, RIW 1987, 1; A. Junker, Der deutsch-amerikanische Rechtsverkehr in Zivilsachen, JZ 1989, 121; A. Junker, USamerikanische „Discovery“ als Herausforderung des Internationalen Zivilprozessrechts, in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 103; O. Knöfel, Nordische Zeugnispflicht – Grenzüberschreitende Zivilrechtshilfe à la scandinave, IPRax 2010, 572; O. Knöfel, Grenzüberschreitende Beweissammlung durch Private, FS Simotta, 2012, S. 333; A. Küttler, Das Erlangen von Beweisen in den USA zur Verwertung im deutschen Zivilprozess, 2007; D. Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery, 1989; D. Leipold, Neue Wege im Recht der internationalen Beweiserhebung, FS Schlechtriem, 2003, S. 91; M. Lin, Chinesische internationale Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen, IPRax 1997, 52; K.-G. Loritz, Transnationales Streitverfahren und Beweisrecht, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 141; A. Lowenfeld, International Litigation and the Quest for Reasonableness, RdC 245 (1994 I), 9, 191 ff.; H. Maier, Interest Balancing and Extraterritorial Jurisdiction, AmJCompL 31 (1983), 579; H. Maier, Extraterritorial Discovery: Cooperation, Coercion and the Hague Evidence Convention, Vanderbilt J.Transn.L. 19 (1986), 239; D. McClean, International Judicial Assistance, 1992 (S. 56–118); K. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht, 1990; H.-J. Musielak, Beweiserhebung bei auslandsbelegenen Beweismitteln, FS Geimer, 2002, S. 761; L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 1998 (Part III); P. Niehr, Die zivilprozessuale Dokumentenvorlegung im deutsch-englischen Rechtshilfeverkehr, 2004; E. Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979; S. Paulus, Discovery, deutsches Recht und Haager Beweisübereinkommen, ZZP 104 (1991), 397; Th. Pfeiffer, Internationale Zusammenarbeit bei der Vornahme innerstaatlicher Prozesshandlungen, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, 77, 89 ff.; S. Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen, 1987, S. 171 ff.; S. Platto, Obtaining Evidence in another Jurisdiction in Business Disputes, 2nd ed. 1993; D. Prescott/E. Alley, Effective Evidence – Taking under the Hague Convention, Int’l Lawyer 22 (1988), 939; M. Reufels, Pre-trial discovery-Maßnahmen in Deutschland: Neuauflage des deutsch-amerikanischen Justizkonflikts?, RIW 1999, 667; M. Reufels/M. Scherer, Pre-trial Discovery nach dem Haager Beweisübereinkommen, IPRax 2005, 456; M. Richter, Bessere Aussichten für das Haager Beweisübereinkommen?, RIW 2005, 815; S. Roggenbuck, US-amerikanische Discovery im deutschen Zivilprozess?, IPRax 1997, 76; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996; P. Schlosser, Internationale Rechtshilfe und rechtsstaatlicher Schutz von Beweispersonen, ZZP 94 (1981), 369; P. Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985; P. Schlosser, Extraterritoriale Rechtsdurchsetzung im Zivilprozess, FS W. Lorenz, 1991, S. 497; P. Schlosser, Die Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, 1996; P. Schlosser, Jurisdiction and international judicial and administrative co-operation, RdC 284 (2000), 113 ff.; P. Schlosser, Die Tätigkeit des gerichtlichen Sachverständigen auf fremdem Territorium, FS Klamaris, 2016, S. 685; P. Schlosser/B. Hess, EuZPR, 4. Aufl. 2015; G. Schulze, Dialogische Beweisaufnahmen im internationalen Rechtshilfeverkehr, IPRax 2001, 527; J. Schwarz, Das Bankgeheimnis bei Rechtshilfeverfahren gem. dem HBÜ, SchweizJZ 91 (1995), 281; S. Seidel, Extraterritorial Discovery in International Litigation, 1984; Slomanson, The US Supreme Court Position and the Hague Evidence Convention, ICLQ 37 (1988), 391; W. Stahr, Discovery under 28 USC § 1782 for Foreign and International Proceedings, Virginia J.Int.Law 30 (1990), 597; B. Steinbrück, USamerikanische Beweisrechtshilfe für ausländische private Schiedsverfahren, IPRax 2008, 448; E. Stiefel, „Discovery“, Probleme und Erfahrungen im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr, RIW 1979, 509; R. Stürner, Die Gerichte und Behörden der USA und die Beweisaufnahme in Deutschland, ZVglRWiss 81 (1982), 159; R. Stürner, Rechtshilfe nach dem Haager Beweisübereinkommen für common law-Länder, JZ 1981, 523; S. Timmerbeil, Witnesscoaching und Adversary System, 2004; R. Trittmann, Anwendungsprobleme des Haager Beweis-
551
§ 9 Rz. 9.1 | Internationale Beweisaufnahmen übereinkommens im Rechtshilfeverkehr zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten von Amerika, 1989; R. Trittmann, Extraterritoriale Beweisaufnahmen und Souveränitätsverletzungen im deutsch-amerikanischen Wirtschaftsverkehr, ArchVR 27 (1989), 195; P. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996; W. de Vos/W. Rechberger, Transnational litigation and the evolution of the law of evidence, in Andolina, Transnational aspects of procedural law, Vol. 2, 1998, 685; D. Waterstraat, ALI/UNIDROIT Principles and Rules of Transnational Civil Procedure – ein Instrument ... bei grenzüberschreitenden Beweisaufnahmen?, 2006; Th. Wazlawik, Der Anwendungsbereich des Haager Beweisübereinkommens und seine Beachtung im Rahmen der pre-trial discoery durch US-amerikanische Gerichte, IPRax 2004, 396; J. Weis, Jr., The Hague Evidence Convention and the United States Civil Procedural Rules, ZVglRWiss 90 (1991), 411; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 6, 2013, 449; H.-J. Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung und die Bedeutung des Genuine-Link-Erfordernisses, 1992, S. 201 ff.
2. Internationale Beweiszuständigkeit
9.2 Da die Gerichtsgewalt Teil der Staatsgewalt ist, kann sie grds. nur auf dem Territorium des jeweiligen Staats ausgeübt werden. Ohne Zustimmung des betroffenen Staats darf auf seinem Gebiet keine Beweisaufnahme ausgeführt und niemand hoheitlich zu einer Mitwirkung in einem Verfahren im Ausland aufgefordert werden.1 Eine grenzüberschreitende Beweisaufnahme ist deshalb grds. im Wege der internationalen Rechtshilfe auszuführen. Auch für Beweisaufnahmen wird Rechtshilfe aufgrund von Staatsverträgen oder von jedem Staat nach eigenem (autonomem) Recht gewährt.
9.3 In Deutschland wird sogar die Auffassung vertreten, dass eine „freiwillige“ Beweisaufnahme zugunsten eines ausländischen Verfahrens auf deutschem Territorium (völker-)rechtswidrig sei, wenn dazu förmlich im Rahmen eines discovery-Verfahrens aufgefordert werde.2 Nur eine wirklich freiwillige Mitwirkung bei der Sachaufklärung ohne ausländischen Druck sei zulässig. 9.4 Die Grenzen eines zulässigen Zugriffs auf im Ausland belegene Beweismittel ohne Inanspruchnahme von Rechtshilfe („internationale Beweiszuständigkeit“ bzw. extraterritoriale Beweisanordnung) sind jedoch streitig.3 9.5 Völkerrechtlich kann der Verfahrensstaat von den seiner Jurisdiktion unterliegenden Parteien jede Mitwirkung im Verfahren (entsprechend seiner lex fori) verlangen.4 Der Staat, in dem sich das Beweismittel nicht befindet, kann seine Erhebung im Lagestaat ebenfalls über ein Rechtshilfeverfahren betreiben.
1 D. Leipold, Lex fori, S. 39 f. 2 R. Stürner, ZVglRWiss. 81 (1982), 159, 202; D. Leipold, Lex fori, S. 42 ff. 3 Vgl. K. Mössle, S. 307 ff., 429 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2382 f.; krit. P. Schlosser, FS W. Lorenz, S. 497, 509 f. 4 K. Jander/K. Stubbe, WiB 1996, 201, 202 f.; A. Junker, IZPR, § 26 Rz. 2 f.
552
II. Beweisaufnahme nach EuBVO | Rz. 9.8 § 9
3. Extraterritoriale Beweisaufnahme Eine unbedingte Pflicht des Prozessstaats, das Beweismittel mit Hilfe des Rechtshilfeverfahrens zu erheben, besteht aber nicht.5 Beweismittel dürfen also (ohne Zwang) aus dem Ausland beschafft werden (s. Rz. 9.140 ff.). Auch ausländische blocking statutes oder secrecy laws sind vom ausländischen Gericht lediglich nach pflichtgemäßem Ermessen zu berücksichtigen.6
9.6
Am Prozess nicht beteiligte Dritte, die sich im Ausland befinden, dürfen dagegen zur Mitwirkung nur von den Gerichten ihres Heimatstaats kraft dessen Personalhoheit gezwungen werden. Ein Drittstaat kann den ausländischen Zeugen oder Sachverständigen nur veranlassen, freiwillig vor Gericht zu erscheinen. Eine strafbewehrte Ladung ist dagegen unzulässig,7 und zwar auch dann, wenn der Dritte für ein anderes Verfahren im Gerichtsstaat als Partei gerichtspflichtig wäre. In solchen Fällen hat das Prozessgericht die Beweisaufnahme im Wege internationaler Rechtshilfe durchzuführen.
9.7
II. Die EU-Verordnung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen Schrifttum: J. Adolphsen, Die EG-Verordnung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, in Marauhn, Bausteine eines europäischen Beweisrechts, 2007, S. 1; T. Alio, Änderungen im deutschen Rechtshilferecht – Beweisaufnahme nach der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, NJW 2004, 2706; S. Berger, Die EG-Verordnung über die Zusammenarbeit der Gerichte auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivilund Handelssachen, IPRax 2001, 522; S. Berger, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme zwischen Österreich und Deutschland, FS Rechberger, 2005, S. 39; Burgstaller/Neumayr/Kodek, EuBewVO, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Kap. 83, 2004; Fasching/Konecny/Fucik/Mosser, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen, Bd. V/1, 2. Aufl. 2008, S. 1193; Geimer/Schütze/Knöfel, Erläuterungen zu der VO (EG) Nr. 1206/2001, in Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen EL 32, 2007, S. 562.1 ff.; K. Grabinski, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im deutschen Patentverletzungsprozess unter besonderer Berücksichtigung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001, FS Schilling, 2007, S. 191; W. Hau, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, ERA-Forum 2/ 2005, S. 224; B. Heß, Neue Formen der Rechtshilfe im Europäischen Justizraum, GS W. Blomeyer, 2004, S. 617; B. Heß, Europäisches Beweisrecht zwischen Menschenrechtsschutz und internationaler Rechtshilfe, in Marauhn, Bausteine des europäischen Beweisrechts, 2007, S. 17; B. Heß, Kommunikation im europäischen Zivilprozess, AnwBl. 2011, 321, 324; B. Heß/A. Müller, Die Verordnung 1206/01/EG zur Beweisaufnahme im Ausland, ZZPInt 6 (2001), 149; St. Huber, Die Europäische Beweisaufnahmeverordnung – Überwindung der traditionellen Souveränitätsvorbehalte, GPR 3/03-04, 115; St. Huber, Europäische Beweisaufnahmeverord5 K. Mössle, S. 381 f.; H. Schack, IZVR, Rz. 789 ff., 808; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Vor § 1072 Rz. 7; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.10 ff. 6 Morris v Banque Arabe English High Court, [2001] ILPr 568; Jander/Stubbe, WiB 1996, 201, 204 f. 7 H. Schack, IZVR, Rz. 796; P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119, 128; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 125.
553
9.8
§ 9 Rz. 9.8 | Internationale Beweisaufnahmen nung (EuBVO), in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss (Kap. 31), 2. Aufl. 2010, S. 1733; St. Huber, Der optionale Charakter der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, ZEuP 2014, 642; R Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 15 Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln), 2015, S. 582; O. Knöfel, Vier Jahre Europäische Beweisaufnahmeverordnung, EuZW 2008, 267; D. Leipold, Neue Wege im Recht der internationalen Beweiserhebung, FS Schlechtriem, 2003, S. 91; W. Lindacher, Befundtatsachenfeststellung durch Gerichtssachverständige im Ausland, FS Pekcanitez, 2015, Bd. 1, S. 231; M. Mavany, Die Europäische Beweisanordnung und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, 2012; P. Mayr/A. Sengstschmid, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (15. Kap.), 2017, S. 911; M.-R. McGuire, Europäische Beweisaufnahmeverordnung, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 831; A. Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, 2004; P. Nieler, Die zivilprozessuale Dokumentenvorlegung im deutsch-englischen Rechtshilfeverkehr, Diss Köln 2003; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR Bd. II, 4. Aufl. 2015, S. 891; W. Rechberger/M.-R. McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österreichischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005), 81; P. Schlosser, Die Tätigkeit des gerichtlichen Sachverständigen auf fremdem Territorium, FS Klamaris. Bd. 2, 2016, S. 685; C. Schneider, Grenzüberschreitende Zustellung und Beweisaufnahme in Europa, ProzRB 2003, 250 u 280; A. Stadler, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme in der Europäischen Union, FS Geimer, 2002, S. 1281; E. Storskrubb, Civil Procedure and EU Law, 2008, p 114; B. Sujecki, Zur Zahlung einer Zeugenentschädigung durch das ersuchte Gericht im Rahmen eines Beweisverfahrens nach der EuBVO, EuZW 2010, 726. O. Knöfel, Der Kommissionsvorschlag von 2018 zur Änderung der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, RIW 2018, 712.
1. EU-Beweisverordnung
9.9 Auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland v. 3.11.20008 ist am 28.5.2001 die EG-Verordnung Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen erlassen worden.9 Die Verordnung folgt sachlich weitgehend der Regelung des Haager Beweisübereinkommens von 1970; sie beansprucht nach Art. 21 I Vorrang vor dem Haager Übereinkommen. Die Verordnung will die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten bei der grenzüberschreitenden Beweisaufnahme verbessern, vereinfachen und beschleunigen und auf diese Weise zum sachgerechten Funktionieren des europäischen Binnenmarktes beitragen (Einleitung, Erwägungsgrund [2]). Die Verordnung gilt seit 1.1.2004, die Art. 19, 21 und 22 gelten bereits seit 1.7.2001 (Art. 24 EuBVO). Sie gilt in allen EU-Mitgliedstaaten (ausgenommen Dänemark) (Erwägungsgründe [21], [22]). Im Verhältnis zu Dänemark bleibt es (vorerst) bei der Geltung des Haager Beweisübereinkommens von 1970 (s. Rz. 9.39 ff.). Nach Art. 68 lit. b des Austrittsvertrages v. 24.1.202010 bleibt die EuBVO im Verhältnis zu Großbritannien auf alle Beweisersuchen anwendbar, die bis zum Ablauf der Übergangszeit (derzeit 31.12.2020) beim ersuchten Gericht oder der Zentralstelle des ersuchten Staates eingegangen sind. 8 ABl. EG Nr. C 314 v. 3.11.2000, S. 1–20. 9 ABl. EG Nr. L 174/1 v. 27.6.2001. 10 ABl. EU 2020 Nr. L 29/7.
554
II. Beweisaufnahme nach EuBVO | Rz. 9.13 § 9
Im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten hat die Beweisverordnung Vorrang vor anderen Übereinkommen, auch bilateraler Art,11 z.B. dem Nordischen Übereinkommen über die gegenseitige Rechtshilfe v. 26.4.1974 und dem Übereinkommen zwischen den Baltischen Staaten über Rechtshilfe und rechtliche Beziehungen v. 3.4.1994.
9.10
Im Anschluss an einen ersten Kommissionsbericht über die Anwendung der Beweisverordnung12 hat die EU-Kommission am 31.5.2018 einen Vorschlag zur Änderung der Beweisverordnung vorgelegt.13 Nach Art. 17a II E-EuBVO soll künftig eine Beweisaufnahme im ersuchten Staat mittels Telekommunikation durchgeführt werden können.14
9.11
Die Verordnung erfasst Beweisaufnahmen für bereits anhängige und für künftige Verfahren in Zivil- und Handelssachen.15 Solche Beweisverfahren sind keine einstweiligen Maßnahmen i.S.v. Art. 35 Brüssel Ia-VO.16 Die Beweisverordnung regelt, wie bei einer grenzüberschreitenden Beweisaufnahme zu verfahren ist, nicht aber, ob und warum eine solche erforderlich ist oder ob das Prozessgericht sog. exterritoriale Beweisanordnungen erlassen, also Zeugen im Ausland laden oder die Vorlage von Beweismitteln aus dem Ausland anordnen darf (s. Rz. 9.140 ff.).17 Sie verbietet ein solches nationales Vorgehen nicht.18 Der Zeuge im Ausland kann also durchaus vor das Prozessgericht geladen werden, bei Ausländern freilich nur ohne Androhung von Zwangsmitteln.19 Ein inländischer Sachverständiger kann daher im Ausland Tatsachen quasi als Privatperson erheben (s. aber Rz. 9.37).20 Nach Art. 14 EuZVO kann die Ladung jetzt auch förmlich durch direkte Postsendung per Einschreiben mit Rückschein im Ausland zugestellt werden. In Betracht kommt auch die (freiwillige) schriftliche Befragung des Zeugen gem. § 377 III ZPO.21
9.12
Soweit eine Partei ihren Wohnsitz oder Aufenthalt im Ausland hat, hat sie gleichwohl die Pflicht, einer Anordnung des Gerichts zur Urkundenvorlage aus dem Aus-
9.13
11 12 13 14 15 16 17 18
19 20 21
Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.63. KOM (2007) 769 v. 5.12.2007. KOM (2018) 378; dazu O. Knöfel, RIW 2018, 712. Vgl. F. Eichel, ZVglRWiss 119 (2020), 220, 232. S. Berger, IPRax 2001, 522 f.; B. Heß/A. Müller, ZZPInt 6 (2001), 149, 152. EuGH – C-104/03, ECLI:EU:C:2005:255 – St. Paul Dairy, IPRax 2007, 208 (dazu B. Hess/ C. Zhou, S. 183). B. Heß, JZ 2001, 573, 580; U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 332; Rauscher/ v. Hein, (2015), Art. 1 EG-BewVO Rz. 18. EuGH – C-170/11, ECLI:EU:C:2012:540 – Lippens v Kortekaas, NJW 2012, 3771 (Rz. 30 ff., 37); EuGH – C-332/11, ECLI:EU:C:2013:87 – Prorail BV v Xpedys NV, IPRax 2014, 282 (dazu Ch. Thole, S. 255); auch St. Huber, ZEuP 2014, 642; W. Lindacher, FS Pekcanitez, 2015, Bd. 1, S. 231; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Vor § 1072 ZPO Rz. 9. Damrau in MünchKomm/ZPO, § 377 ZPO Rz. 5; Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 526 f; G. Schulze, IPRax 2001, 527, 528; Rauscher/v. Hein, Art. 1 EG-BewVO Rz. 20. Ch. Berger, FS Rechberger, S. 39, 41; H. Schack, IZVR, Rz. 790; a.A. Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 1 EG-BewVO Rz. 25; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Vor § 1072 ZPO Rz. 10. Damrau in MünchKomm/ZPO, § 377 ZPO Rz. 5, 14.
555
§ 9 Rz. 9.13 | Internationale Beweisaufnahmen
land gem. § 142 I ZPO nachzukommen.22 Dritten mit Wohnsitz im Ausland gegenüber dürfen solche Anordnungen nur als Aufforderung zur freiwilligen Vorlage erfolgen.23 2. Ersuchen um Beweisaufnahme
9.14 Als primäres Mittel der Zusammenarbeit sehen Art. 1 I (a), 2 EuBVO das Ersuchen an das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats vor, eine bestimmte Beweisaufnahme durchzuführen (aktive Rechtshilfe). Während Rechtshilfeersuchen nach dem HBÜ 1970 über zentrale Behörden zu übermitteln sind (Art. 2 HBÜ), sieht Art. 2 I EuBVO zur weiteren Beschleunigung eine direkte Übermittlung zwischen den beteiligten Gerichten vor. Die zentrale Behörde wird nur noch tätig, um Schwierigkeiten bei der Direktübermittlung zu beheben und wenn sie ausnahmsweise ausdrücklich um Übermittlung ersucht wird (Art. 3 I [b], [c] EuBVO).24 9.15 Ersuchen um Beweisaufnahme sind auf dem Formblatt A gem. dem Anhang zur EuBVO zu übermitteln (Art. 4, 17).25 Darin sind u.a. anzugeben: (1) Art und Gegenstand des Rechtsstreits und eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts, (2) eine Beschreibung der auszuführenden Beweisaufnahme, (3) wenn eine Person zu vernehmen ist, deren Name und Anschrift, die zu stellenden Fragen oder die Angabe der Tatsachen, über die die Person befragt werden soll, (4) soweit angebracht Hinweise auf Zeugnisverweigerungsrechte nach dem Recht des ersuchenden Gerichts, (5) eventuelle Ersuchen zur Abnahme eines Eides oder einer eidesstattlichen Versicherung oder um eine besondere Form der Vernehmung, (6) in anderen Fällen die vorzulegenden Urkunden oder die zu besichtigenden Gegenstände.
9.16 Das Ersuchen und die Begleitunterlagen bedürfen keiner Legalisierung oder sonstigen förmlichen Ausfertigung (Art. 4 II EuBVO), Begleitdokumenten soll eine Übersetzung in die Sprache des Ersuchens beigefügt werden (Art. 4 III EuBVO). 9.17 Das Ersuchen und der sonstige Schriftwechsel sind in der Sprache des ersuchten Mitgliedstaats, bei mehrsprachigen Staaten in der Amtssprache des ersuchten Gerichts oder in einer anderen vom ersuchten Staat ebenfalls akzeptierten Sprache zu 22 H. Schack, IZVR, Rz. 791; vgl. A. Stadler, FS Geimer, S. 1281, 1290. 23 Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 1 EG-BewVO Rz. 31. 24 Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 523; Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 3 EG-BewVO Rz. 6, 7; Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1072 ZPO Rz. 4; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.97 ff. 25 Vgl. Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 523; Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1072 ZPO Rz. 6 ff.
556
II. Beweisaufnahme nach EuBVO | Rz. 9.21 § 9
stellen (Art. 5 EuBVO).26 In Deutschland eingehende Ersuchen müssen in deutscher Sprache erfasst oder mit einer deutschen Übersetzung versehen sein (§ 1075 ZPO). Die Übermittlung des Ersuchens soll auf dem schnellsten Weg erfolgen, der in dem ersuchten Staat möglich ist (Art. 6 EuBVO). Wenn der ersuchte Staat dies akzeptiert, ist danach auch eine Übermittlung auf elektronischem Wege möglich, sofern gesendetes und empfangenes Dokument genau übereinstimmen und alle darin enthaltenen Informationen lesbar sind (Art. 6 Satz 2 EuBVO).
9.18
Innerhalb von sieben Tagen hat das ersuchte Gericht eine Empfangsbestätigung auf Formblatt B (gem Anhang zur VO) an das ersuchende Gericht zu schicken und darin auf eventuelle Mängel des Ersuchens oder seine fehlende Zuständigkeit hinzuweisen (Art. 7 EuBVO). Enthält das Ersuchen nicht alle sachlich notwendigen Informationen (gem Art. 4 EuBVO), soll das ersuchte Gericht die fehlenden Informationen mit Hilfe des Formblattes C unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 30 Tagen nach Empfang des Ersuchens anfordern (Art. 8 EuBVO).27
9.19
Kann das Ersuchen erst nach Sicherheitsleistung oder Vorschusszahlung für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ausgeführt werden, soll das ersuchende Gericht darüber ebenfalls in der gleichen Weise und in derselben Frist informiert werden. Abgelehnt werden das das Ersuchen erst, wenn die Kaution oder der Kostenvorschuss nicht innerhalb von 60 Tagen geleistet werden (Art. 14 II lit. d EuBVO). Wird die Sicherheit oder der Vorschuss geleistet, hat das ersuchte Gericht den Empfang innerhalb von 10 Tagen auf Formblatt D zu bestätigen (Art. 8 II, 18 III EuBVO). Für die Vernehmung eines Zeugen kann das ersuchte Gericht dagegen beim ersuchenden Gericht weder die Zahlung eines Vorschusses auf die Zeugenentschädigung noch nachträglich eine Erstattung der bezahlten Entschädigung verlangen. Dies gilt auch in Mitgliedstaaten, in denen die Zeugen von den Parteien präsentiert und entschädigt werden.28
9.20
Schwierigkeiten, die sich bei der Abwicklung von Ersuchen um Beweisaufnahme zeigen, können und sollen nunmehr durch Einschaltung der Kontaktstellen, die im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen v. 28.5.2001 geschaffen wurden (s. Rz. 7.80), behoben werden (Art. 2 I [a], Art. 3 II [a]).29
9.21
26 Vgl. Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1072 ZPO Rz. 19 ff.; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.109. 27 Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.120. 28 EuGH – C-283/09, ECLI:EU:C:2011:85 – Weryński, RIW 2011, 310, 313 (Rz. 50 ff.) = NJW 2011, 2493. 29 ABl. EG Nr. L 174/25 v. 27.6.2001.
557
§ 9 Rz. 9.22 | Internationale Beweisaufnahmen
3. Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht a) Frist
9.22 Die Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht hat unverzüglich, spätestens innerhalb von 90 Tagen nach Empfang des Ersuchens zu erfolgen (Art. 10 I EuBVO). War das Ersuchen unvollständig, beginnt die Frist ab der Vervollständigung (Art. 9 I EuBVO), waren Sicherheit oder Vorschuss zu leisten, mit der entsprechenden Leistung (Art. 9 II EuBVO). Kann das ersuchte Gericht die Frist zur Beweisaufnahme nicht einhalten, ist das ersuchende Gericht darüber, über den Grund der Verzögerung und die voraussichtlich noch benötigte Zeit für die Ausführung zu unterrichten (Art. 15 EuBVO). b) Art und Weise
9.23 Grundsätzlich wird die ersuchte Beweisaufnahme nach der lex fori des ersuchten Gerichts ausgeführt30 (Art. 10 II EuBVO). 9.24 Das ersuchende Gericht kann aber auf Formblatt A die Ausführung nach besonderen Verfahrensregeln des ersuchenden Staats verlangen. Diesem Ersuchen hat das ersuchte Gericht Folge zu leisten, es sei denn, diese wären mit dem Recht des ersuchten Staats unvereinbar oder die Ausführung wäre wegen erheblicher tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich (Art. 10 III EuBVO). Solche Hinderungsgründe sind dem ersuchenden Gericht auf Formblatt E mitzuteilen. Eine Zeugenvernehmung per Kreuzverhör ist in der deutschen ZPO zwar nicht vorgesehen, aber mit Grundprinzipien des deutschen Rechts durchaus vereinbar.31 Gleiches gilt für die Erstellung eines Wortprotokolls.32 9.25 Das Ersuchen kann auch dahingehen, bei der Beweisaufnahme Kommunikationstechnologie einzusetzen, insb. sie per Video- und Telekonferenz auszuführen. Auch diesem Ersuchen ist Folge zu leisten, sofern dem nicht das Recht des ersuchten Staats oder erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegenstehen (Art. 10 IV EuBVO).33 M.E. folgt aus dieser Regelung nicht, dass eine „private“ Vernehmung per Videoschaltung unzulässig ist.34 9.26 Die Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme ist in Art. 11 EuBVO eingehend geregelt. Nach Maßgabe des Rechts des ersuchten Staats dürfen die Parteien und ihre Vertreter an der Beweisaufnahme vor dem ersuchten Gericht teilnehmen (Art. 11 I 30 Vgl. Ch. Berger, FS Rechberger, 2005, S. 39, 42; Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1072 ZPO Rz. 29; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.126. 31 Ebenso B. Heß/A. Müller, ZZPInt 6 (2001), 149, 154; Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 10 EG-BewVO Rz. 20 ff.; M. Neumayr/G. Kodek in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Art. 10 EuBewVO Rz. 13; B. Hess, EuZPR § 8 Rz. 42. 32 Rauscher/v. Hein, (2015) Art. 10 EG-BewVO Rz. 19; Ch. Berger, FS Rechberger, 2005, S. 39, 45. 33 Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.140. 34 So aber G. Schulze, IPRax 2001, 527, 529; U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 340; s. auch Rz. 38.
558
II. Beweisaufnahme nach EuBVO | Rz. 9.29 § 9
EuBVO). In dem Beweisersuchen ist bereits auf Formblatt A darauf hinzuweisen, dass diese Personen an der Beweisaufnahme teilnehmen und dass ihre Teilnahme ggf. erwünscht ist (Art. 11 II EuBVO). In letzterem Falle hat das ersuchte Gericht die Voraussetzungen für die Teilnahme (in Übereinstimmung mit Art. 10) festzulegen (Art. 11 III EuBVO; vgl. § 60 ZHRO). Die (aktiven) Teilnahmerechte bestimmen sich daher gem. Art. 10 II EuBVO nach der lex fori des ersuchten Staats und sind insoweit (entgegen § 1073 I 2 ZPO) bei einem deutschen Ersuchen nicht durch das deutsche Prozessrecht begrenzt.35 Den Parteien und ihren Vertretern sind der Termin der Beweisaufnahme und die etwaigen Voraussetzungen für eine Teilnahme auf dem Formblatt F mitzuteilen (Art. 11 IV EuBVO). Soweit erforderlich dürfen die Beteiligten auch einen Dolmetscher mitbringen.36 Falls das Recht des ersuchten Staats dies vorsieht, kann das ersuchte Gericht die Parteien und ihre Vertreter in jedem Falle bitten, bei der Beweisaufnahme anwesend zu sein oder daran teilzunehmen (Art. 11 V EuBVO).37
9.27
Außerdem dürfen Vertreter des ersuchenden Gerichts (passiv) an der Beweisaufnahme teilnehmen, wenn dies mit der lex fori des ersuchten Gerichts vereinbar ist (Art. 12 I EuBVO; § 1073 ZPO). Ein Genehmigungsvorbehalt, wie nach Art. 8 HBÜ, besteht nicht mehr.38 In Betracht kommen dafür ein beauftragter Richter, aber auch jede andere dafür ausgewählte Person, z.B. ein Sachverständiger (Art. 12 II EuBVO).39 Über Anträge auf aktive Beteiligung (durch Fragen) entscheidet das ersuchte Gericht nach eigenem Ermessen. Der Wunsch nach Beteiligung sollte bereits im Rechtshilfeersuchen mitgeteilt werden (Art. 12 V EuBVO).
9.28
Bei der Ausführung der Beweisaufnahme darf das ersuchte Gericht soweit erforderlich alle Zwangsmittel einsetzen, die die lex fori bei innerstaatlichen Rechtshilfeersuchen vorsieht (Art. 13 EuBVO).40 Auch bei einem Auslandsersuchen gibt es daher in Deutschland keinen Aussagezwang gegenüber Parteien.41 Umgekehrt sind die Zwangsmittel des ersuchten Gerichts nicht durch das Recht des ersuchenden Gerichts beschränkt.42
9.29
35 Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 11 EG-BewVO Rz. 14; Ch. Berger, FS Rechberger, 2005, S. 39, 51. 36 U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 343; G. Schulze, IPRax 2001, 527, 530. 37 Vgl. Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.134; A. Stadler, FS Geimer, S. 1281, 1292 ff. 38 Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 12 EG-BewVO Rz. 3; Ch. Berger, FS Rechberger, 2005, S. 39, 47. 39 Vgl. Ch. Berger, IPRax 2001, 521, 525; G. Schulze, IPRax 2001, 527, 530. 40 Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.141; Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 524. 41 B. Heß/A. Müller, ZZPInt 6 (2001), 149, 156. 42 A.A. Ch. Berger, FS Rechberger, 2005, S. 39, 44.
559
§ 9 Rz. 9.30 | Internationale Beweisaufnahmen
c) Verweigerung
9.30 Die Ausführung des Beweisersuchens ist abzulehnen, wenn sich die zu vernehmende Person auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach der lex fori (1) des ersuchten Gerichts oder (2) des ersuchenden Gerichts beruft. In letzterem Fall muss auf dieses Weigerungsrecht bereits im Ersuchen hingewiesen worden oder seine Existenz muss auf Verlangen des ersuchten Gerichts vom ersuchenden Gericht bestätigt worden sein (Art. 14 I EuBVO).43 Damit ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht über ein Begehren auf Urkundenvorlage unterlaufen werden kann, sollte Art. 14 I EuBVO auf die Urkundenvorlage analog angewendet werden.44 9.31 Darüber hinaus darf die Ausführung des Ersuchens nur verweigert werden, wenn das Ersuchen (1) nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, (2) seine Ausführung nach der lex fori nicht zu den Aufgaben eines Gerichts gehört. Gleiches gilt, (3) ein unvollständiges Ersuchen nicht innerhalb von 30 Tagen45 vervollständigt wurde, oder (4) Sicherheit oder Vorschuss, die für die Sachverständigenkosten erbeten wurden, nicht innerhalb von 60 Tagen geleistet werden (Art. 14 II EuBVO). Die Ausführung darf dagegen nicht versagt werden, weil das Recht des ersuchten Staats eine ausschließliche Zuständigkeit über den Rechtsstreit beansprucht oder der Anspruch nach diesem Recht nicht klagbar ist (Art. 14 III EuBVO). Die Vernehmung eines Zeugen darf dagegen nicht von der Leistung eines Kostenvorschusses durch das ersuchende Gericht abhängig gemacht werden. Das ersuchende Gericht ist weder zu einer derartigen Vorschussleistung noch zur Erstattung einer an den Zeugen gezahlten Entschädigung verpflichtet.46 9.32 Wird die Ausführung aus Gründen des Art. 14 II versagt, ist dies dem ersuchenden Gericht auf Formblatt H innerhalb von 60 Tagen mitzuteilen (Art. 14 IV EuBVO). d) Bestätigung
9.33 Nach der Beweiserhebung hat das ersuchte Gericht deren Ergebnis und etwaige zurückzugebende Unterlagen zusammen mit einer Ausführungsbestätigung gem. Formblatt H an das ersuchende Gericht zu senden (Art. 16 EuBVO). 4. Unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht
9.34 a) Eine wesentliche Verbesserung und Neuerung gegenüber dem Haager Beweisübereinkommen ist die Zulassung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht (einen beauftragten Richter oder auch einen von ihm bestellten Sachverständigen) in einem anderen Mitgliedstaat der EU nach seinem eigenen Prozess43 Vgl. Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 524; B. Heß/A. Müller, ZZPInt 6 (2001), 149, 157 f.; A. Stadler, FS Geimer, S. 1281, 1294 f.; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.144. 44 Ch. Berger, FS Rechberger, S. 39, 52 f.; U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 346. 45 Nicht innerhalb von sechs Wochen; so aber Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 524. 46 EuGH – C-283/09, ECLI:EU:C:2011:85 – Weryński v Mediatel, NJW 2011, 2493.
560
II. Beweisaufnahme nach EuBVO | Rz. 9.37 § 9
recht in Art. 17 EuBVO (auch passive Rechtshilfe genannt).47 Das Prozessgericht hat ein entsprechendes Gesuch auf Formblatt I an die zentrale Behörde im Erhebungsstaat zu richten. Die direkte Beweisaufnahme darf nur auf freiwilliger Basis ohne Anwendung von Zwang erfolgen. Soll eine Person vernommen werden, so ist diese darüber zu informieren, dass die Vernehmung auf freiwilliger Grundlage stattfindet (Art. 17 II EuBVO).48 b) Trotz dieser Einschränkung bedarf die unmittelbare Beweisaufnahme der Genehmigung durch die zentrale Behörde des Erhebungsstaats. Diese Genehmigung und etwaige Bedingungen der Beweiserhebung sind dem ersuchenden Gericht innerhalb von 30 Tagen auf Formblatt J mitzuteilen. Die zentrale Behörde darf zugleich ein Gericht seines Staats bestimmen, das an der Beweisaufnahme teilnehmen darf, um sicherzustellen, dass die Bedingungen der Beweisaufnahme eingehalten werden.
9.35
Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn (1) das Begehren nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, (2) nach Art. 4 EuBVO erforderliche Informationen fehlen, oder (3) die direkte Beweisaufnahme dem ordre public des Rechts des ersuchten Staats widerspricht (Art. 17 V EuBVO), etwa wegen eines in diesem Staat bestehenden absoluten Beweiserhebungsverbots.49
9.36
5. Extraterritoriale Beweisaufnahmen a) Art. 17 III EuBVO sieht vor, dass die Beweisaufnahme auch von einem „bestimmten Gerichtsangehörigen oder von einer anderen Person wie etwa einem Sachverständigen durchgeführt“ werden kann (vgl. § 1073 II ZPO). Daraus wird zum Teil abgeleitet, dass der extraterritoriale Einsatz eines Sachverständigen im Verhältnis zu einem anderen EU-Staat nur im Rahmen einer unmittelbaren Beweisaufnahme nach Art. 17 EuBVO erfolgen darf und danach der Genehmigung des Erhebungsstaats bedarf.50 Soweit der Sachverständige seine Befundtatsachen wie eine Privatperson feststellen kann, erscheint dies freilich als überzogen.51 Der EuGH hat aber 2013 entschieden, dass die Beweisverordnung die Möglichkeiten der Beweiserhebung nicht einschränken, sondern erweitern sollte. Ein nationales Gericht müsse daher eine Beweisaufnahme nicht unbedingt nach der EuBVO durchführen. Deshalb könne auch außerhalb der EuBVO ein Sachverständiger damit beauftragt werden, Feststellungen in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu treffen.52 47 Vgl. B. Heß, JZ 2001, 573, 579; B. Heß, EuZPR § 8 Rz. 50; Ch. Berger, IPRax 2001, 522, 526; Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 17 EG-BewVO Rz. 1. 48 Vgl. B. Heß/A. Müller, ZZPInt 6 (2001), 149, 160; Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1072 ZPO Rz. 47 ff., § 1073 Rz. 19 f.; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.171. 49 Vgl. Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 17 EG-BewVO Rz. 6 ff.; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.152 ff. 50 U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 353, 366, vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 790, 807; krit. Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 1 EG-BewVO Rz. 25. 51 Ebenso D. Leipold, FS Schlechtriem, S. 97, 103. 52 EuGH – C-332/11, ECLI:EU:C:2013:87 – ProRail, RIW 2013, 380; dazu P. Schlosser, FS Klamaris, Bd. 2, 2016, S. 685.
561
9.37
§ 9 Rz. 9.38 | Internationale Beweisaufnahmen
9.38 b) Überwiegend wird angenommen, auch eine Videovernehmung von Zeugen oder Parteien, die sich im Ausland aufhalten, sei als direkte Beweisaufnahme i.S.d. Art. 17 EuBVO anzusehen,53 der der ersuchte Staat zustimmen muss, da Art. 17 IV 3 EuBVO ausdrücklich Video- und Telekonferenzen erwähnt. Indes ist damit nur gesagt, dass eine solche Beweisaufnahme in dem von Art. 17 EuBVO geregelten Verfahren durchgeführt werden kann, nicht aber, dass eine Schaltung zu einer ausländischen Großkanzlei, einem Hotel, Tagungszentrum oder einem eigenen Konsulat verboten wäre, bei der der Zeuge oder die Auslandspartei freiwillig erscheint und aussagt.54 (Auch das australische Bundesgericht hat eine freiwillige grenzüberschreitende Videovernehmung ohne weiteres für zulässig angesehen.)55 Die baltischen Staaten praktizieren formlose Videovernehmungen auch über die Landesgrenzen. Art. 1135 § 4 poln. ZPO sieht dagegen vor, dass solche Vernehmungen in Polen nur mit vorheriger Zustimmung des polnischen Gerichts zulässig sind.56
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 1. Geltungsbereich a) Vertragsstaaten
9.39 Das Übereinkommen gilt im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Albanien, Andorra, Argentinien, Armenien, Australien, Barbados, Bosnien und Herzegowina (seit 19.1.2010), Brasilien (seit 14.9.2014), Bulgarien (seit 22.1.2000), China (1.7.1998) (einschl. Hongkong und Macau), Costa Rica, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland (19.3.2005); Indien (seit 20.10.2007),57 Island (seit 19.1.2010), Israel, Italien, Kasachstan (seit 22.10.2017), Kolumbien (seit 9.8.2013), Korea (seit 12.7.2010), Kroatien (seit 19.1.2010), Kuwait (7.7.2002), Lettland 5), Liechtenstein (seit 19.1.2010), Litauen (seit 1.10.2000), Luxemburg, Mazedonien, Mexiko, Monaco, Montenegro (seit 9.8.2013), Nicaragua (seit 13.8.2019), Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien (seit 13.10.2003), Schweden, der Schweiz (seit 1.1.1995), den Seychellen (22.4.2007),58 Serbien (seit 26.2.2012), Singapur, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, der Tschechischen Republik, der Türkei (seit 12.10.2004), der Ukraine (seit 13.11.2001), Ungarn (seit 11.9.2004), dem
53 Rauscher/v. Hein, (2015), Art. 1 EG-BewVO Rz. 22, Art. 17 EG-BewVO Rz. 12; H. Schultzky, NJW 2003, 313, 314; U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 363; vgl. B. Hess, Europäisches Beweisrecht, in Marauhn, Bausteine eines europäischen Beweisrechts, 2007, S. 17. 54 Ebenso O. Knöfel, RIW 2006, 302, 304 u. RIW 2011, 887 (Anm. zu Federal Court of Australia); R. Geimer, IZPR, Rz. 2385a; Mayr/Sengstschmid, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 15.175. 55 Federal Court of Australia (19.8.2011), RIW 2011, 886 (O. Knöfel). 56 L. Ervo, International cooperation and evidence ..., in La prueba en el proceso, 2018, S. 555, 572 f. 57 Vgl. BGBl. 2008 II, S. 216. 58 Vgl. BGBl. 2008 II, S. 217.
562
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.43 § 9
Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland,59 Venezuela, Weißrussland (seit 6.10.2001), den Vereinigten Staaten von Amerika, Zypern. Im Verhältnis zu den Vertragsstaaten tritt das Haager Beweisübereinkommen an die Stelle der Art. 8 bis 16 des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess v. 1.3.1954 – auch des Haager Abkommens von 1905 (Art. 29 HBÜ). Nach Art. 31 HBÜ sind Zusatzvereinbarungen zu dem Haager Abkommen von 1905 oder dem Übereinkommen von 1954 auf das Haager Beweisübereinkommen anzuwenden, wenn die beteiligten Staaten nichts anderes vereinbart haben. Das ist auf deutscher Seite offenbar nicht geschehen.60 Daher bleibt der unmittelbare Behördenweg, wie er in den Zusatzvereinbarungen zu den bisherigen Vertragsstaaten festgelegt ist, bestehen. Das gilt im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, der Schweiz und der Tschechischen Republik. Art. 32 HBÜ lässt auch das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928 unberührt.
9.40
b) Zivil- und Handelssachen Das HBÜ ist in „Zivil- und Handelssachen“ anzuwenden (s. Rz. 8.98). Der Beweis muss für ein bereits anhängiges oder ein künftiges gerichtliches Verfahren bestimmt sein (Art. 1 II HBÜ). Es sind also auch Ersuchen um vorprozessuale Beweissicherung zulässig61 (s. auch Rz. 17.81 ff.).
9.41
Auch Beweisanträge in Insolvenzsachen, Kartellstreitigkeiten62 oder Erbrechtssachen sind mit erfasst und nach dem HBÜ zu erledigen. Die USA und Großbritannien behandeln Beweisersuchen für Verwaltungsverfahren und Steuerverfahren als Zivilsache,63 weil es (angeblich) keine allgemein anerkannte engere Auslegung dieser Begriffe gebe und die Begriffe nach englischem Recht alle Verfahren, Strafsachen ausgenommen, erfassen. Nach US-amerikanischer Ansicht sind auch Verfahren auf Leistung von treble oder punitive damages zivilrechtlicher Natur.64 Beim Verdacht einer Weiterverwendung in einer Nichtzivilsache will Stürner65 Rechtshilfe nur unter der Zusicherung gewähren, dass eine anderweitige Verwendung unterbleibt.
9.42
Für Verwaltungssachen besteht jedoch ein besonderes Europäisches Übereinkommen über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland v. 15.3.1978.66
9.43
59 Der Umsetzung dient der Evidence (Proceedings in Other Jurisdiction) Act 1975 (1975 c 34); s. auch CPR 34 PD 6.1 ff.; vgl. K. Lipstein, ICLQ 1990, 120. 60 BT-Drucks. 8/217 v. 22.3.1977, 59. 61 R. Stürner, IPRax 1984, 299, 300; Pabst in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 1 HBewÜ Rz. 15; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 4. Aufl. 2015, Art. 1 HBÜ Rz. 2. 62 In re Westinghouse Uranium Contract, 2 WLR [1978] 81 (H.L.). 63 Re State of Norway’s Application (No. 1 u. 2), [1990] 1 AC 723, 783 ff. (H.L.); G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation, 5th ed. 2011, Chap. 11 F 1a, P. 1027. 64 Vgl. Pabst in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 1 HBewÜ Rz. 6. 65 ZVglRWiss 81 (1982), 159, 198. 66 BGBl. 1981 II, 550.
563
§ 9 Rz. 9.44 | Internationale Beweisaufnahmen
c) Qualifikation
9.44 Wie die Begriffe des HBÜ auszulegen sind, ist streitig. Traditionellerweise wird dazu die lex fori des Staats herangezogen, in dem der Prozess anhängig ist oder anhängig gemacht werden soll.67 Freilich soll das Übereinkommen auf die „Zivilsachen“ aller Vertragsstaaten anwendbar sein. US-Klagen auf treble damages oder punitive damages können daher wegen ihrer pönalen Elemente nicht aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden. Deshalb erscheint auch bei diesem Übereinkommen eine vertragsautonome Interpretation als sinnvoll.68 Ein alternatives Abstellen auf das Recht des ersuchenden oder des ersuchten Gerichts69 dürfte i.d.R. zum gleichen Ergebnis führen. d) Zweck
9.45 Das HBÜ will die Beweisaufnahme im Ausland und die Vornahme „anderer gerichtlicher Handlungen“ (Art. 1 HBÜ) erleichtern und zugleich sicherstellen, dass der Beweis so erhoben wird, dass er für das Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, tatsächlich brauchbar ist. 9.46 Bei den Verhandlungen, die diesem Übereinkommen vorausgingen, war eines der Hauptziele, den Ländern des anglo-amerikanischen Rechtskreises den Beitritt zu dem Übereinkommen zu ermöglichen. Es sollte also ein Kompromiss gefunden werden, um das kontinental-europäische Beweissystem mit dem anglo-amerikanischen zu verbinden.70 Dabei war das Interesse des Vereinigten Königreichs an dem HBÜ geringer als das der Vereinigten Staaten. Denn das Vereinigte Königreich hat zu einer großen Anzahl von Ländern des kontinental-europäischen Rechtskreises zweiseitige Rechtshilfeabkommen abgeschlossen, wie das deutsch-britische, die teilweise liberaler sind als das HBÜ.71 Nach dem anglo-amerikanischen System ist es vornehmlich Aufgabe der Parteien, die Beweise zu beschaffen. Da gerichtliche Maßnahmen insoweit zurücktreten, haben die Länder des „common law“ keinen Eingriff in ihre Justizhoheit darin gesehen, wenn in ihrem Staatsgebiet Beweise seitens eines von einem ausländischen Gericht ernannten „commissioner“ erhoben worden sind. Bei dem kontinental-europäischen System spielt dagegen der Beweisbeschluss bzw. das Beweisurteil des Prozessgerichts eine bedeutende Rolle.72 Da es danach Sache des Gerichts ist, die Beweise zu erheben, waren diese Staaten immer argwöhnisch gegenüber privaten Beweisaufnahmen nach anglo-amerikanischem Muster.
67 Vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 2441 ff. 68 So Expertenkommission der Haager Konferenz, RabelsZ 54 (1990), 364, 366; krit. E. Geimer, S. 67. 69 So Pabst in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 1 HBewÜ Rz. 5. 70 H. Batiffol, Rev.crit. 1969, 239, hat von einer „volonté de rapprochement sincère“ gesprochen; von englischer Seite hat D. M. Edwards, ICLQ 38 (1969), 646, auf die Überbrückung der Schwierigkeiten aus den beiden Beweissystemen hingewiesen. 71 D. M. Edwards ICLQ 18 (1969), 619, 646. 72 Vgl. dazu rechtsvergleichend H. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 142 ff.
564
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.48 § 9
e) Fakultatives Verfahren Streitig war, ob das Übereinkommen exklusiv anzuwenden ist, wenn sich das Beweismittel im Ausland befindet, oder ob die Parteien veranlasst werden können, die Beweismittel aus dem Ausland an den Gerichtsort zu schaffen.73 Der US Supreme Court war der Ansicht, dass das Übereinkommen auf Parteien und Dritte Anwendung findet, die der jurisdiction von US-Gerichten unterliegen. Entgegen der Ansicht europäischer Staaten verdränge das HBÜ nicht die Prozessregeln des Forums, sondern schaffe nur ein weiteres, fakultatives Verfahren, einen im Ausland befindlichen Beweis aufzunehmen.74 Jeder Staat hat lediglich nach comity zu prüfen, ob das Übereinkommen anzuwenden ist. Andere hielten das Übereinkommen in stärkerem Maße für zwingend und eine Anwendung des Übereinkommens für geboten, sobald sich ein Beweismittel in einem anderen Vertragsstaat befindet.75 Als Folge dieser Entscheidung haben die Untergerichte nicht das Verfahren nach dem HBÜ gewählt, sondern discovery nach den gewöhnlichen Prozessvorschriften angeordnet.76 Dieses Ergebnis befriedigte aber vielfach nicht; eine Reform wurde verlangt.77
9.47
Durch die Neufassung von FRCP 28 (b) (in Kraft seit 1.12.1993) sollte das Problem entschärft werden. Die „first resort“-Idee des Minderheitsvotums der AerospatialeEntscheidung hat sich aber nicht durchgesetzt.78
9.48
FRCP 28 (b) lautet: „Depositions may be taken in a foreign country (1) pursuant to any applicable treaty or convention, or (2) pursuant to a letter of request ... or (3) on notice before a person authorized to administer oaths in the place where the examination is held, either by the law thereof or by law of the United States, or (4) before a person commissioned by the court ...“ Aus dieser Rangfolge ergibt sich, dass im Verhältnis zu den Vertragsstaaten die Regeln des HBÜ zu beachten sind. Eine Partei, die möchte, dass depositions im Ausland aufgenommen werden, hat daher regelmäßig die Regeln eines anwendbaren Übereinkommens zu befolgen. Mit dieser Neufassung soll die tatsächliche Anwen-
73 Vgl. J. Daoudi, S. 77 ff. 74 US Supreme Court in Société Nationale Aérospatiale v US District Court, 482 US 522, 107 S.Ct. 2542 (1987) = JZ 1987, 984; dazu H. Koch, IPRax 1987, 328; R. Stürner, JZ 1987, 988; A. Junker, JZ 1989, 121, 126 ff.; G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation, 5th ed. 2011, Chap. 11 F, pp. 1026 ff. L. Newman/M. Burrows, III-27 ff.; Bareiß, Pflichtenkollisionen im transnationalen Beweisverkehr, 2014, S. 41 ff.; Schlosser/Hess/Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Art. 1 HBÜ Rz. 5. 75 Vgl. G. Bermann, The Hague Evidence Convention, Tul.L.Rev. 63 (1989), 525; Expertenkommission der Haager Konferenz, RabelsZ 54 (1990), 367. 76 G. Born/S. Hoing, Int’l Lawyer 24 (1990), 393; G. Born, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 77, 86 ff. 77 R. Roth, U.Pennsylv.JIntBus.L. 13 (1992), 425. 78 Vgl. G. Born, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 77, 90 ff.
565
§ 9 Rz. 9.48 | Internationale Beweisaufnahmen
dung des HBÜ durch US-Parteien sichergestellt werden.79 Dennoch dürfte sich damit im praktischen Ergebnis nichts ändern.80
9.49 Parteien und Drittbeteiligte, die der US-amerikanischen jurisdiction unterliegen, haben nach wie vor volle discovery-Pflichten. Führt das Vorlageersuchen nicht zum Erfolg, weil das ersuchte Gericht gegenüber Parteien keinen Zwang üben kann (vgl. Art. 9 I HBÜ)81 oder weil das Ersuchen wegen des Vorbehalts nach Art. 23 HBÜ überhaupt nicht erledigt würde, so kann und wird das US-Gericht eine Vorlage im Inland verlangen bzw. hat die sich weigernde Partei die Nachteile hinzunehmen, die gegen sie gem. FRCP 37 ergriffen werden können.82 Die freiwillige bzw. über FRCP 37 erzwungene Mitwirkung der deutschen Partei im US-Verfahren verstößt nicht gegen die deutsche Souveränität.83 2. Übermittlungswege für Rechtshilfeersuchen
9.50 Der primäre Rechtshilfeweg ist ebenso wie beim HZÜ das Ersuchen einer gerichtlichen Behörde an die Zentrale Behörde des Staats, in dem der Beweis erhoben werden soll (Art. 1 I HBÜ). Gegenüber den Zusatzabkommen zum Haager Übereinkommen 1954 ist das nichts Neues.84 Dennoch ist ein einheitlicher Weg über die Zentralen Behörden geschaffen. In Deutschland ist für jedes Bundesland eine Zentrale Behörde bestimmt worden.85 Zentrale Behörde i.S.d. Art. 2 HBÜ für eingehende Gesuche, aber auch für ausgehende Gesuche ist in den USA das „Department of State“, ohne dass dadurch ein sonst zulässiger direkter Behördenverkehr ausgeschlossen würde (28 USC § 1781).
9.51 Zwar konnte kein einheitliches Muster für Rechtshilfeersuchen eingeführt werden. Art. 3 HBÜ enthält aber Angaben über den Inhalt eines Ersuchens. Dabei ist es sehr wesentlich, dass die Fragen, die an die zu vernehmende Person gerichtet werden sollen, genau formuliert und aufgeführt werden (Art. 3 I 2 f HBÜ).86 Dies entspricht nicht nur der anglo-amerikanischen, sondern auch der Praxis in den Ländern des romanischen Rechtskreises.
79 FRCP 28, Advisory Committee Notes, 1993, Amendments; vgl. Clark, AmJCompL 42 (suppl.) (1994), 23, 29; G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in US Courts, 5th ed. 2011, S. 971. 80 Wright/Miller/Marcus, Federal Practice and Procedure, 1994, Suppl., §§ 2005, 2083, verweisen auf die Aerospatiale-Entscheidung; vgl. St. Burbank, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 103, 124; G. Born/A. Vollmer, 150 FRD 221, 241 (1994); R. Weintraub, TexasInt’lL.J. 28 (1993), 441, 464; A. Junker, IZPR, § 26 Rz. 2 f. 81 A. Junker in Heldrich/Kono, S. 103, 112. 82 Vgl. G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in US Courts, 5th ed. 2011, Chap. 11 C, S. 971 ff. 83 Vgl. H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 132. 84 A.A. P. Schlosser, RdC 284 (2000), 120 („great progress“). 85 Auflistung in Pabst in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 2 HBewÜ Rz. 9. 86 Vgl. E. Geimer, S. 75 ff.
566
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.53 § 9
Die Zentrale Behörde leitet das Ersuchen an das zuständige Gericht bzw. die Behörde weiter. Nach Erledigung der Beweisaufnahme sendet die Zentrale Behörde die Aktenstücke an die ersuchende Stelle zurück. US District Courts erledigen eingehende Gesuche um Beweisaufnahme nach 28 USC § 1782.87 Diese Bestimmung lautet:
9.52
„§ 1782. Assistance to foreign and international tribunals and to litigants before such tribunals (a) The district court of the district in which a person resides or is found may order him to give his testimony or statement or to produce a document or other thing for use in a proceeding in a foreign or international tribunal. The order may be made pursuant to a letter rogatory issued, or request made, by a foreign or international tribunal or upon the application of any interested person and may direct that the testimony or statement be given, or the document or other thing be produced, before a person appointed by the court. By virtue of his appointment, the person appointed has power to administer any necessary oath and take the testimony or statement. The order may prescribe the practice and procedure, which may be in whole or part the practice and procedure of the foreign country or the international tribunal, for taking the testimony or statement or producing the document or other thing. To the extent that the order does not prescribe otherwise, the testimony or statement shall be taken, and the document or other thing produced, in accordance with the Federal Rules of Civil Procedure. A person may not be compelled to give his testimony or statement or to produce a document or other thing in violation of any legally applicable privilege. (b) This chapter does not preclude a person within the United States from voluntarily giving his testimony or statement, or producing a document or other thing, for use in a proceeding in a foreign or international tribunal before any person and in any manner acceptable to him.“ Das Gericht muss nicht prüfen, ob die erbetene Aufklärung vor dem ausländischen Prozessgericht verlangt werden könnte.88 Auf diese Weise kann in den USA auch discovery zugunsten eines in Deutschland anhängigen Prozesses,89 auch zugunsten eines (privaten) Schiedsverfahrens90 begehrt werden. Nach Art. 27 HBÜ bleibt es den Vertragsstaaten überlassen, zu erklären, dass Rechtshilfeersuchen auch auf anderen Wegen übermittelt werden. Damit bleibt der kon-
87 Vgl. US Court of Appeal, 2nd Cir. [1998] ILPr 466; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, (§ 12.8); T. Mundiya, US court invites foreign litigants to use US discovery laws, ICLQ 42 (1993), 356; L. Newman/M. Burrows, III-49 ff.; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 148 ff.; E. Eschenfelder, S. 245 ff. 88 Re the application of Silvia Gianoli, US Court of Appeal, 2nd Cir. [1995] ILPr 492. 89 S. Roggenbuck, IPRax 1997, 76; E. Eschenfelder, S. 247 ff.; vgl. G. Fouché/E. Polebaum, IntBusLawyer 1996, 415; L. Newman/M. Burrows, III-111 ff. 90 Vgl. B. Steinbrück, IPRax 2008, 448.
567
9.53
§ 9 Rz. 9.53 | Internationale Beweisaufnahmen
sularische Weg sowie der unmittelbare Behördenweg91 erhalten. Für letzteren sprechen bereits die erwähnten Zusatzvereinbarungen zu dem Haager Übereinkommen (im Verhältnis zu Dänemark ist z.B. der konsularische Weg gewählt worden92).
9.54 Nach Art. 4 muss das Ersuchen in der Sprache der ersuchten Behörde abgefasst oder von einer Übersetzung in diese Sprache begleitet sein. Der Versuch, für Ersuchen die englische oder die französische Sprache als Arbeitssprache vorzusehen (Art. 4 II), hätte den Rechtshilfeverkehr erleichtert, ist aber praktisch gescheitert, da die meisten Staaten insoweit einen Vorbehalt erklärt haben.93 Auch Deutschland hat dieser Möglichkeit gem. Art. 33 HBÜ in vollem Umfang widersprochen (§ 9 AusfG; ebenso Argentinien, Australien, China, Griechenland, Island, Kroatien, Liechtenstein, Mazedonien, Mexiko, Polen, Portugal, die Schweiz und Venezuela). In Dänemark, Finnland, Indien, Korea, Norwegen, Singapur, Sri Lanka, Südafrika, der Türkei, der Ukraine, dem Vereinigten Königreich und in Zypern werden keine Rechtshilfegesuche in französischer Sprache, in Frankreich und Monaco keine Gesuche in englischer Sprache erledigt. 3. Ablehnungsgründe
9.55 Art. 12 HBÜ hält an den beiden hauptsächlichen Ablehnungsgründen fest, die bereits das Haager Übereinkommen von 1954 aufführt. Rechtshilfeersuchen werden danach abgelehnt:94 „a) wenn die Erledigung des Ersuchens nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt; b) der ersuchte Staat die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden“. Auf den Ablehnungsgrund, dass die Echtheit des Ersuchens nicht feststehe (Art. 11 III Nr. 1 HZPÜ 1954), ist verzichtet worden. Im Übrigen kann die Erledigung des Ersuchens nicht allein deswegen abgelehnt werden, weil der ersuchte Staat die ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte für die Sache in Anspruch nimmt oder ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für welches das Ersuchen gestellt wird (Art. 12 II HBÜ).95
9.56 Diese Ablehnungsgründe sind unter Berücksichtigung des Art. 9 II HBÜ auszulegen. Danach wird dem Antrag der ersuchenden Behörde, nach einer besonderen Form zu verfahren, entsprochen,
91 92 93 94 95
568
Pabst in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 27 HBewÜ Rz. 1 ff. Vgl. BT-Drucks. 8/217 v. 22.3.1977, 58. Vgl. E. Geimer, S. 78 ff. Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 213 ff.; E. Geimer, S. 83 ff. E. Stiefel, RIW/AWD 1979, 514, weist hinsichtlich der Gefährdung der Hoheitsrechte im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr auf schwierige politische Probleme hin und befürwortet eine Klarstellung in Form eines Kataloges, welche amerikanischen Praktiken den tragenden Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts entgegenstehen.
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.59 § 9
„es sei denn, dass diese Form mit dem Recht des ersuchten Staates unvereinbar oder ihre Einhaltung nach der gerichtlichen Übung im ersuchten Staat oder wegen tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich ist.“ Diese Vorschrift ist enger als die des Art. 14 HZPÜ 1954, denn dort heißt es lediglich: „sofern diese Form den Rechtsvorschriften des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft.“ Nunmehr werden der Gerichtsgebrauch und tatsächliche Schwierigkeiten auf Seiten des ersuchten Gerichts herangezogen.96 Ein Antrag, einen Zeugen per Kreuzverhör zu vernehmen, kann nach Art. 9 II HBÜ nicht abgelehnt werden. Da § 239 StPO diese Art der Vernehmung im Strafprozess zulässt, widerspricht das Kreuzverhör weder deutschem Recht noch kann es nicht praktiziert werden97 (s. Rz. 9.59). Da das deutsche Gericht grds. nach der lex fori verfährt (s. Rz. 9.59), ist eine Parteivernehmung nur subsidiär zulässig, wenn die Voraussetzungen der §§ 445 ff. ZPO vorliegen.98
9.57
Formale Ablehnungsgründe könnten zwar eher auftauchen als bei dem Haager Zustellungsübereinkommen, weil es für das Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen keine Formblätter gibt. Andererseits ist aber der Inhalt eines Rechtshilfeersuchens in Art. 3 umrissen. Überdies sorgen die deutschen Prüfstellen dafür, dass formale Fehler vermieden werden. Schließlich lehnt die Zentrale Behörde fehlerhafte Ersuchen nicht ab, sondern teilt der ersuchenden Behörde oder dem Gericht mit, welche Einwände gegen das Ersuchen im Einzelnen bestehen.
9.58
4. Verfahren des ersuchten Gerichts Grundsätzlich verfährt das ersuchte Gericht bzw. die Behörde bei der Erledigung von Rechtshilfeersuchen nach seinen/ihren Prozessvorschriften (Art. 9 I HBÜ), deutsche Gerichte also nach der ZPO.99 Es kann aber auch nach einer besonderen Form, d.h. dem Recht der lex fori des Prozessgerichts, verfahren werden (Art. 9 II HBÜ). Ersuchen amerikanischer Gerichte um Zeugenvernehmung nach den Regeln des Kreuzverhörs unter Aufnahme eines vollen Wortprotokolls sind ebenfalls auszuführen.100 Sie bereiten zwar Schwierigkeiten, insb. erhöhte Kosten; ihre Erledigung ist aber nicht unmöglich, sondern lässt sich bei Einsatz geeigneter Aufnahmegeräte durchaus organisieren. Dies zeigt auch die Parallele zum Strafprozess (vgl. § 239 96 Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 307 f. 97 E. Geimer, S. 90; Berger in Stein/Jonas, Anh. zu § 363 ZPO Rz. 55; a.A. Pabst in MünchKomm/ZPO, Art. 9 HBewÜ Rz. 6; R. Geimer, IZPR, Rz. 2505 (für Ausführung ohne Vertragspflicht). 98 Ch. Pfeil-Kammerer, S. 313 f. 99 Pabst in MünchKomm/ZPO, Art. 9 HBewÜ Rz. 3, Art. 10 Rz. 2; E. Geimer, S. 88 ff.; vgl. E. Eschenfelder, S. 268 ff. 100 Ch. Pfeil-Kammerer, S. 309 ff.; P. Schlosser, ZZP 94 (1981), 369, 387 ff.; Schlosser/Hess/ Schlosser, EuZPR EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2015, Art. 10 HBÜ Rz. 3; A. Junker, Discovery, S. 338; R. Trittmann, S. 139 ff.; a.A. Pabst in MünchKomm, 5. Aufl. 2017, Art. 9 HBewÜ Rz. 6 f. (für Wortprotokoll, aber gegen Kreuzverhör).
569
9.59
§ 9 Rz. 9.59 | Internationale Beweisaufnahmen
StPO; s. Rz. 9.56). Die Zeugenvernehmung muss (wenig zweckmäßig) notwendig in deutscher Sprache erfolgen (§ 184 GVG), ggf. unter Beiziehung vereidigter Dolmetscher (§ 185 GVG) (s. Rz. 5.176 ff.). Wegen der Einschränkungen s. Rz. 9.27. Das HBÜ bringt insoweit nichts Neues gegenüber dem HZPÜ 1954 (zu diesem s. Rz. 9.100 ff.). Die Schwachstellen des HBÜ ergeben sich aus den Divergenzen zwischen den Verfahrensrechten von Prozessgericht und ersuchtem Gericht. Das Übereinkommen bietet keine eigene einheitliche Lösung an.
9.60 Schwierigkeiten bestehen etwa bei den Sanktionen. Diese kann das ersuchte Gericht nur nach seinem eigenen Recht ergreifen (Art. 10 HBÜ101). Soweit direkte Sanktionen fehlen, werden diese in nationalen Verfahren durch indirekte Sanktionen, etwa gegenüber den Parteien bei der Rechtsanwendung ausgeglichen. In internationalen Fällen ergeben sich dagegen Lücken. Eine Partei kann etwa in amerikanischen Verfahren auch mittels contempt of court-Sanktionen (Zwangsgeld) zur Vorlage von Urkunden oder zur Aussage gezwungen werden. Das deutsche Prozessrecht kennt dagegen (von § 372a ZPO abgesehen) keinen direkten Zwang gegenüber Parteien. 5. Zeugnisverweigerungsrechte und Privilegien
9.61 Art. 11 HBÜ bringt hier eine „Patentlösung“, die einen nicht unbedeutenden Fortschritt gegenüber älteren Rechtshilfeverträgen darstellt. Danach wird ein Rechtshilfeersuchen nicht erledigt, „soweit die Person, die es betrifft, sich auf ein Recht zur Aussageverweigerung oder auf ein Aussageverbot beruft, a) das nach dem Recht des ersuchten Staates vorgesehen ist oder b) das nach dem Recht des ersuchenden Staates vorgesehen und im Rechtshilfeersuchen bezeichnet oder erforderlichenfalls auf Verlangen der ersuchten Behörde von der ersuchenden Behörde bestätigt worden ist.“ Unter diese Vorschrift fallen Zeugnisverweigerungsrechte102 und die Zeugenunfähigkeit. Das folgt aus dem englischen Text, in dem das „privilege“ ausdrücklich bezeichnet ist, aber auch aus dem französischen Text: „La commission rogatoire n´est pas exécutée pour autant que la personne qu´elle vise invoque une dispense ou une interdiction de déposer.“
9.62 Art. 11 HBÜ räumt der zu vernehmenden Person ein Wahlrecht ein. Während sonst das lex fori-Prinzip im Verfahren gilt, herrscht hier der Grundsatz der Meistbegünstigung der Beweisperson.103 Die Beweisperson kann sich also stets auf weitergehende Weigerungsrechte ihres Wohnsitzstaats berufen.104 Damit Weigerungsrechte des ersuchenden Staats berücksichtigt werden, müssen sie freilich nach Art. 11 (1) 101 Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 277 ff.; A. Junker, Discovery, S. 324 ff. 102 Zum Schweizer Bankgeheimnis s. J. Schwarz, SchweizJZ 1995, 281, 284 ff. 103 A. Junker in Heldrich/Kono, S. 103, 113; Ch. Pfeil-Kammerer, S. 345 ff.; E. Geimer, S. 92 f. 104 R. Stürner, ZVglRWiss. 81 (1982), 159, 203 f.
570
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.67 § 9
(b) HBÜ im Gesuch ausreichend bezeichnet werden. Wird dies unterlassen, so wird das ersuchte Gericht in erster Linie nach seinen Vorschriften vorgehen.105 Die zu vernehmende Person weiß oft nicht um ihre Rechte bzw. Schutzmöglichkeiten. Beruft sie sich auf Weigerungsrechte des ersuchenden Staats, die im Gesuch nicht bezeichnet sind, so muss die ersuchte Behörde erforderlichenfalls um eine Bestätigung der ersuchenden Behörde nachsuchen (Art. 11 [1] [b] HBÜ), was die Erledigung des Rechtshilfeersuchens sehr verzögert. Bei einem internationalen Rechtshilfeersuchen entscheidet das ersuchte Gericht über die Rechtmäßigkeit einer Zeugnisverweigerung. Es wird also nicht auf § 387 I ZPO abgestellt, wonach das Prozessgericht über ein Zeugnisverweigerungsrecht entscheidet. Art. 11 HBÜ geht insoweit vor und verdrängt die deutsche Prozessvorschrift.106
9.63
Beruft sich ein Zeuge bereits vorab auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, so soll in klaren Fällen bereits die Zentrale Behörde des ersuchten Staats die Weiterleitung des Beweisersuchens an das Gericht ablehnen dürfen.107 Eine solche Vermischung der Zuständigkeiten ist nicht zu billigen. Ebenso könnte sich eine Person, die nach dem Recht des Prozessgerichts zur Vorlage von Urkunden verpflichtet wäre, dem Rechtshilfegericht gegenüber darauf berufen, dass es nach dessen Recht keine prozessuale Vorlagepflicht gebe.
9.64
Nach Art. 11 II HBÜ kann jeder Vertragsstaat erklären, dass er außerdem Aussageverweigerungsrechte und Aussageverbote, die nach dem Recht dritter Staaten bestehen, insoweit anerkennt, als dies in der Erklärung angegeben ist.
9.65
Das HBÜ strebt weiterhin an, das Unmittelbarkeitsprinzip bei Beweisaufnahmen im Ausland jedenfalls teilweise zu ermöglichen. Nach Art. 8 HBÜ kann jeder Vertragsstaat erklären, „dass Mitglieder der ersuchenden gerichtlichen Behörde eines anderen Vertragsstaats bei der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens anwesend sein können“. Nach § 64e ZRHO bedarf es für die Teilnahme eines deutschen Richters an der Beweisaufnahme der Genehmigung der Bundesregierung und des ersuchten Staates, sofern dieser nicht auf eine Genehmigung verzichtet hat. Umgekehrt gestattet Deutschland ausländischen Richtern die Teilnahme an der Beweisaufnahme, wenn die Zentralen Behörden dies genehmigen (§ 10 AusfG zu HZÜ u. HBÜ). Mit der Teilnahme sollte zugleich die Berechtigung verbunden sein, Fragen an die zu vernehmenden Personen zu stellen.108
9.66
6. Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter Während Art. 15 HZPÜ 1954 lediglich den Vorbehalt macht, dass die Vertragsstaaten sich dahin einigen können, dass jeder Staat Ersuchen um Beweisaufnahmen un105 106 107 108
Vgl. In re Westinghouse, 2 WLR [1978], 81. AG München, RIW 1981, 850; LG München, IPRax 1982, 28. OLG Hamburg, RIW 2002, 717 (D. Busse). Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 274 ff.
571
9.67
§ 9 Rz. 9.67 | Internationale Beweisaufnahmen
mittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter erledigen lässt, widmet das HBÜ solchen Beweisaufnahmen, die auf „Commissioners“ ausgedehnt sind, das ganze II. Kapitel mit acht Artikeln. In diesen liegt der eigentliche Schwerpunkt des Übereinkommens. Den Belangen der Staaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises wird insb. durch die Zulassung der „Commissioners“, Beweisaufnahmen auf dem Gebiet des ersuchten Staats zu erledigen, entsprochen. Art. 28 (g), 33 I HBÜ eröffnet aber jedem Vertragsstaat die Möglichkeit, Kap. II (Art. 15–22) ganz oder teilweise auszuschließen.109 Nach dem deutschen Vorbehalt ist die Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter gegenüber Deutschen unzulässig (§ 11 Satz 1 AusfG).
9.68 Durch den deutsch-amerikanischen Notenwechsel v. 17.10.1979/1.2.1980110 ist allerdings vereinbart, dass amerikanische Konsuln in Deutschland auch deutsche und andere nichtamerikanische Staatsangehörige auf freiwilliger Basis befragen können. 9.69 Art. 15 HBÜ bringt keinen neuen Gedanken. Diplomatische oder konsularische Vertreter können ohne Anwendung von Zwang Beweise für die Prozessgerichte ihrer Entsendestaaten von den eigenen Staatsangehörigen erheben.111 Bei Doppelstaatern scheidet diese Möglichkeit aus, wenn die Beweisperson auch die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaats besitzt.112 Derartige Beweiserhebungen sind in der Staatenpraxis seit langem bekannt. Neu ist lediglich die Formulierung, dass alle Vertragsstaaten solche Beweisaufnahmen in ihren Gebieten dulden werden, sofern sie nicht eine Erklärung gem. Art. 15 II HBÜ abgeben. Danach kann jeder Staat erklären, „dass in dieser Art Beweis erst nach Vorliegen einer Genehmigung aufgenommen werden darf“. Diese Genehmigung kann auch auf bestimmte Personen beschränkt werden. Deutschland hat keine einschränkende Erklärung abgegeben. Dänemark, Norwegen, Schweden113 und Portugal haben solche Erklärungen abgegeben.114 In der Schweiz bedürfen ausländische Botschafter oder Konsuln auch zur Vernehmung der eigenen Staatsangehörigen der vorgängigen Genehmigung durch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (Bundesamt für Justiz).115 9.70 Art. 16 HBÜ erweitert die Möglichkeit für diplomatische und konsularische Vertreter, Beweise zu erheben. Der Personenkreis wird auf Angehörige des Empfangsstaats und eines dritten Staats ausgedehnt. Praktisch wird nicht mehr auf die Staatsangehörigkeit der zu vernehmenden Person abgestellt. Die Auslandsvertreter können vielmehr alle Personen, die freiwillig vor ihnen erscheinen und zur Aussage bereit sind, vernehmen, so etwa in Spanien.116 Der Kreis der Personen ist also ebenso weit 109 Wegen verschiedener Vorbehalte von Vertragsstaaten vgl. BT-Drucks. 8/217 v. 22.3.1977, 56 ff. 110 IPRax 1993, 224; vgl. E. Geimer, S. 105 ff.; ferner Volkswagen AG v Falzon, 23 ILM 1984, 412. 111 Vgl. R. Geimer, FS Matscher, S. 133; E. Geimer, S. 135 ff. 112 E. Geimer, S. 141. 113 § 8 Lag [1946:816] om bevisupptagning åt utlänsk domstol. 114 BT-Drucks. 8/217 v. 22.3.1977, 57. 115 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, § 7 VI 3a (S. 401). 116 Vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1996, 575; E. Geimer, S. 103 f.
572
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.73 § 9
ausgedehnt wie der nach Art. 8 HZÜ (s. Rz. 8.111). Während nach der letzten Vorschrift der weit gesteckte Personenkreis nur eingeengt wird, wenn die Vertragsstaaten eine Erklärung darüber abgegeben haben, knüpft Art. 16 HBÜ die Möglichkeit an zwei Voraussetzungen: a) der Empfangsstaat muss dazu eine allgemeine oder eine auf den Einzelfall bezogene Genehmigung erteilt haben; b) die Auslandsvertreter müssen die Auflagen erfüllen, an die die Genehmigung gebunden ist. Jeder Vertragsstaat kann allerdings auch erklären, dass Beweise ohne seine vorherige Genehmigung aufgenommen werden dürfen (Art. 16 II HBÜ). Der Grundgedanke von Art. 16 HBÜ bringt einen erheblichen Fortschritt in der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Beweisrechts. Leider wird er durch Erklärungen und Vorbehalte der Vertragsstaaten mehr oder weniger zunichte gemacht. Deutschland lässt die Vernehmung von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen nur mit Genehmigung der Zentralen Behörde zu (§ 11 Satz 2 AusfG). Auch die Schweiz macht die Vernehmung Drittstaatsangehöriger durch Diplomaten oder Konsuln von der Genehmigung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements abhängig.117
9.71
Durch den deutsch-amerikanischen Notenwechsel v. 17.10.1979/1.2.1980118 ist allerdings vereinbart, dass amerikanische Konsuln in Deutschland andere nichtamerikanische Staatsangehörige auf freiwilliger Basis befragen können. Nach Art. 18 HBÜ können sich ausländische Konsuln etc. an die inländische Behörde mit der Bitte um Verhängung von Zwangsmaßnahmen wenden, wenn die Beweisperson zur freiwilligen Aussage oder Mitwirkung nicht bereit ist.119 Voraussetzung dafür ist aber, dass der Vertragsstaat eine entsprechende Erklärung abgibt. Solche Erklärungen haben Griechenland, Indien, Italien, die Slowakei, die Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und Zypern, nicht aber Deutschland abgegeben. Ausländische Konsuln können Vernehmungen in Deutschland daher nur auf der Grundlage der Freiwilligkeit vornehmen.
9.72
Infolge der deutschen Vorbehalte gestattet Art. 16 HBÜ nur, was bereits nach dem Haager Übereinkommen von 1954 möglich war. Die deutschen Vorbehalte sind auch deshalb schwer verständlich, weil von deutscher Seite keine Bedenken getragen worden sind, im deutsch-britischen Abkommen v. 20.3.1928 den diplomatischen und konsularischen Vertretern der Vertragsstaaten die Möglichkeit einzuräumen, nicht nur eigene Staatsangehörige, sondern auch solche von dritten Staaten und vom Empfangsstaat zu Beweiszwecken zu vernehmen (s. Rz. 9.162). Diese Bestimmung wird auch durch das HBÜ nicht berührt.
9.73
117 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, 5. Aufl. 2012, § 7 VI 3b (S. 401/02). 118 IPRax 1993, 224; vgl. E. Geimer, S. 105 ff.; ferner Volkswagen AG v Falzon, 23 ILM 1984, 412. 119 Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 296 ff.
573
§ 9 Rz. 9.74 | Internationale Beweisaufnahmen
7. Beweisaufnahme durch Beauftragte („commissioners“)
9.74 Art. 17 HBÜ behandelt die Beweisaufnahmen durch Beauftragte (commissioners). Hierdurch wird auf die typisch anglo-amerikanische Praxis abgestellt, Beweise im Ausland durch „special examiners“ oder „commissioners of oaths“, die dazu vom Prozessgericht ernannt sind, zu erheben. Diese Art der Beweisaufnahme ist an dieselben Voraussetzungen geknüpft wie die durch diplomatische oder konsularische Vertreter. Es wird also eine Genehmigung der zuständigen Behörde des Staats, in dem Beweis aufgenommen werden soll, entweder allgemein oder im Einzelfall gefordert. Im Übrigen handelt es sich bei dieser Art von Beweisaufnahmen ebenso wie bei denen durch Auslandsvertreter um solche, bei denen staatliche Behörden nicht mitwirken. Auch hierfür kann als Beispiel das deutsch-britische Abkommen von 1928 herangezogen werden, denn häufig sind Konsuln zu „special examiners“ ernannt worden (s. Rz. 9.166). Die Bundesrepublik Deutschland steht dieser Art von Beweisaufnahmen aufgeschlossener gegenüber als Beweisaufnahmen durch fremde Auslandsvertreter, da der Beauftragte nicht die Interessen des ersuchenden Staats zu wahren hat. Daher macht die Bundesrepublik Deutschland keine Vorbehalte zugunsten der eigenen Staatsangehörigen. Sie behält sich lediglich eine Genehmigung und eine richterliche Kontrolle vor (§ 12 AusfG zum HBÜ).120 9.75 Ein deutsches Gericht kann von der Möglichkeit des Art. 17 HBÜ dadurch Gebrauch machen, dass ein Mitglied des Gerichts zum beauftragten Richter bestellt wird (§ 375 Ia ZPO); gem. Art. 32 I GG ist auch die Genehmigung des Bundes für die Auslandsreise erforderlich.121 Sonstige Beauftragte kennt das deutsche Recht nicht.122 9.76 Art. 18 HBÜ will sicherstellen, dass Personen, die nicht freiwillig vor diplomatischen oder konsularischen Vertretern oder Beauftragten, die befugt sind, Beweisaufnahmen vorzunehmen, aussagen, dazu durch Zwangsmaßnahmen des Staats, in dem die Beweisaufnahme erfolgt, angehalten werden (s. Rz. 9.72). 9.77 Die Art. 19 bis 21 HBÜ enthalten Schutzvorschriften für die zu vernehmenden Personen. So kann die zuständige Behörde des Staats, in dem die Beweisaufnahme erfolgt, verlangen, dass ihr der Ort und die Zeit der Beweisaufnahme mitgeteilt werde, damit sie einen Vertreter zu der Beweisaufnahme entsenden kann. 9.78 Die zu vernehmenden Personen können einen Rechtsberater hinzuziehen. Ein Rechtsberater muss in dem Staat zugelassen sein, in dem die Beweisaufnahme stattfindet. 9.79 Die Beweisaufnahmen durch Auslandsvertreter bzw. durch Beauftragte haben für das Prozessgericht den großen Vorteil, dass dabei seine eigenen Beweisvorschriften beachtet werden (s. Rz. 9.134, 9.136). Das HBÜ macht jedoch einige Einschränkungen. Die Beweise dürfen nicht mit dem Recht des Staats, in dem Beweis aufgenom120 Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 299 ff.; Ch. Böhmer, NJW 1990, 3049, 3053; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, S. 128. 121 E. Geimer, S. 116 ff. 122 E. Geimer, S. 143.
574
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.82 § 9
men werden soll, unvereinbar sein oder der erteilten Genehmigung widersprechen. Sieht man von der Genehmigung ab, so kehrt im Wesentlichen dieselbe Formel wieder, die in Art. 9 HBÜ enthalten ist, dass dem Antrag des ersuchenden Prozessgerichts, bei der Beweisaufnahme nach einer besonderen Form zu verfahren, nicht entsprochen werden kann, wenn diese mit dem Recht des ersuchten Staats unvereinbar ist. Damit stehen die diplomatischen und konsularischen Vertreter sowie die Beauftragten vor einer viel schwierigeren Aufgabe als die ersuchten Gerichte, denn diese können besser übersehen, ob die Beweisvorschriften des Prozessgerichts mit denen des Staats, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, unvereinbar sind. Hierbei gewinnt die Überwachung solcher Beweisaufnahmen durch den Staat, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, eine besondere Bedeutung (s. Rz. 9.66). Es lässt sich also nur bedingt feststellen, dass solche Beweisaufnahmen nach der lex fori des Prozessgerichts stattfinden. Eine solche Schutzvorschrift bedeutet keinen Fortschritt bei der Entwicklung der internationalen Rechtshilfe, sondern ein engstirniges Kleben an den eigenen Hoheitsrechten, denn die zu vernehmenden Personen sind im Wesentlichen dadurch geschützt, dass sie nicht auszusagen brauchen. Nur falls Zwangsmaßnahmen seitens des ersuchten Staats von dem ersuchenden Prozessgericht gewünscht werden, können die erwähnten Einschränkungen verteidigt werden. Die Schutzvorschrift des Art. 21 (a) HBÜ wird praktisch dadurch einer Anwendung enthoben, dass sich nach Art. 21 (e) die zu vernehmende Person auf die in Art. 11 vorgesehenen Rechte zur Aussageverweigerung oder Aussageverbote berufen kann. Damit wird Zeugen, Sachverständigen und Parteien ein Wahlrecht eingeräumt (s. Rz. 9.61 ff.).
9.80
Auslandsvertreter und Beauftragte können die Beweise grds. in den Formen aufnehmen, die das Prozessgericht vorsieht, es sei denn, dass das Recht des Staats, in dem Beweis aufgenommen wird, diese Form verbietet.
9.81
8. Vorbehalt gegen discovery of documents
9.82
Nach Art. 23 HBÜ kann jeder Vertragsstaat erklären, „dass er Rechtshilfeersuchen nicht erledigt, die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den Ländern des „Common Law“ unter der Bezeichnung „pre-trial discovery of documents“ bekannt ist“. Fast alle Vertragsstaaten haben sich gegen das weite discovery-Verfahren nach USFRCP 26 (b) (1) (i.d.F. von 1993) gewandt, wonach „parties may obtain discovery regarding any matter, not privileged, which is relevant to the subject matter involved in the pending action“, und es genügt, dass erst die verlangte Information möglicherweise dazu verhilft, direkt relevantes Beweismaterial zu finden. Solche „fishing expeditions“ wollten sie nicht zulassen.123
123 Vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 221 ff., 233 ff.
575
§ 9 Rz. 9.83 | Internationale Beweisaufnahmen
9.83 Argentinien, Australien, China, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Indien, Island, Italien, Korea, Kroatien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Mazedonien, Monaco, Norwegen, Polen, Portugal, die Seychellen, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, die Türkei und Zypern haben die Erledigung aller Ersuchen um „discovery of documents“ ausgeschlossen. 9.84 Finnland, Frankreich,124 Mexiko, die Niederlande, die Schweiz, Singapur, Schweden und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland haben die Erledigung von Rechtshilfeersuchen daher beschränkt auf konkrete Dokumente, die eine unmittelbare Beziehung zum Rechtsstreit haben.125 9.85 Hinzuweisen ist auch auf Blocking Statutes (s. Rz. 6.312 ff.), mit denen einzelne Staaten die Befolgung von Discovery-Anordnungen verbieten. Keinerlei Vorbehalt haben lediglich Barbados, Israel und die ehemalige Tschechoslowakei erklärt.
9.86 Warum die Vertragsstaaten die Rechtshilfe gerade bei der Urkundenvorlage ausgeschlossen haben, ist gar nicht oder nur als Folge spektakulärer Produkthaftungsklagen zu erklären, in denen mehrere tausende Dokumente vorgelegt werden mussten. 9.87 Manche meinen daher, der Vorbehalt des Art. 23 HBÜ sei gar nicht technisch zu verstehen. Man habe das englische discovery-Verfahren vor Augen gehabt, das sich im Urkundenaustausch erschöpfe. Daher beziehe sich der Vorbehalt auf jede Art von „discovery american style“, d.h. auf eine Sachaufklärung zur Ausforschung, ohne vorherige Präzisierung der konkret streitigen Tatsachen. Daher seien nur sämtliche unspezifizierten und unsubstantiierten discovery-Begehren abzulehnen.126 9.88 Der Vorbehalt nur gegenüber „discovery of documents“ ist in der Tat nicht einsichtig und erschwert die Sachaufklärung für den amerikanischen Zivilprozess in wenig sinnvoller Weise.127 Jedoch ist der Vorbehalt (wenn auch in Unkenntnis der Rechtslage) nur gegenüber dieser Aufklärungsmethode erklärt worden und es erscheint nicht angängig, nur auf das Wort „discovery“ abzustellen. Bei der Auslegung eines internationalen Übereinkommens muss der Wortlaut einer Vereinbarung stärkeres Gewicht haben und kann nicht ohne weiteres im Wege objektiver teleologischer „Auslegung“ beiseitegeschoben werden. Die deutsche Praxis hat sich deshalb an das Übereinkommen
124 Vgl. Cour d’Appel de Paris IPRax 2005, 451 (dazu M. Reufels/M. Scherer, S. 456). 125 Texte der Vorbehalte bei 28 USCA. Vol. 15, 1994, S. 420 ff.; für England vgl. Rio Tinto Zinc v Westinghouse Elec. [1978] AC 547; In re Asbestos Insurance Coverage Cases [1985] 1 WLR 331. 126 A. Junker, Discovery, S. 295 ff.; A. Junker in Heldrich/Kono, S. 103, 110 f, 114; P. Schlosser, ZZP 101 (1988), 330; Ch. Paulus, ZZP 104 (1991), 397, 411; R. Beckmann, IPRax 1990, 201, 203 f.; vgl. P. Schlosser, RdC 284 (2000), 130 ff.; Schlosser/Hess/Schlosser, EUZivilprozessrecht, Art. 23 HBÜ Rz. 4 f.; Berger in Stein/Jonas, Anh. zu § 363 ZPO Rz. 104. 127 Vgl. bereits D.-R. Martens, RIW 1981, 725.
576
III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.91 § 9
gehalten und nur Ersuchen auf Urkundenvorlage abgelehnt,128 Ersuchen zur Zeugenvernehmung aber stattgegeben.129 Außerdem kann eine Beweisaufnahme durch einen amerikanischen commissioner zugelassen werden (s. Rz. 9.74 ff.).
9.89
Nach § 14 II AusfG können jedoch, „soweit die tragendenden Grundsätze des deutschen Verfahrens nicht entgegenstehen, solche Ersuchen unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen erledigt werden, nachdem die Voraussetzungen der Erledigung und das anzuwendende Verfahren durch Rechtsverordnung näher geregelt sind, die der Bundesminister der Justiz mit Zustimmung des Bundesrates erlassen kann“. Im Anschluss an die Aérospatiale-Entscheidung wurde in Deutschland der Entwurf einer solchen Vorlage-Verordnung vorgelegt und diskutiert.130 Darin war vorgesehen, künftig hinreichend spezifizierte, substantiierte Aufklärungsersuchen zu erledigen. Der Erlass einer solchen Verordnung wäre durchaus sinnvoll, um den sachgerechten Schutz für deutsche Parteien in US-amerikanischen Prozessen und die generelle Zusammenarbeit der Gerichte zu verbessern. Leider haben sich bislang die Gegner einer vernünftigen Zusammenarbeit durchgesetzt und den Erlass dieser Verordnung verhindert.131
9.90
Der deutsche Gesetzgeber nahm 2016 erneut einen Anlauf, die Erledigung von Rechtshilfeersuchen um Dokumentenvorlage in Grenzen zuzulassen und dazu § 14 AusfG neu zu fassen.132 Die Neufassung lautete im Entwurf:
9.91
„Rechtshilfeersuchen, die ein Verfahren nach Artikel 23 des Übereinkommens zum Gegenstand haben, werden nur erledigt, wenn aus ihnen ersichtlich ist, dass 1. das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts, insbesondere gegen Grundrecht, verstößt, 2. die vorzulegenden Dokumente so genau bezeichnet sind, dass eine Identifizierung durch die herausgabepflichtige Partei möglich ist, 3. die vorzulegenden Dokumente für das jeweilige Verfahren und dessen Ausgang von unmittelbarer und eindeutig zu erkennender Bedeutung sind und 4. die vorzulegenden Dokumente sich im Besitz einer an dem Verfahren beteiligten Partei befinden.“ 128 ZB OLG München, IPRax 1982, 150 (dazu H. Nagel, S. 13); krit. Schlosser/Hess/Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 23 HBÜ Rz. 3 (willkürliche, verfassungswidrige Regelung); vgl. G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation, 5th ed. 2011, Chap. 11 F 1 c, p. 1029. 129 OLG München, RIW 1981, 555, 557 = ZZP 94 (1981), 462; Pabst in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 23 HBewÜ Rz. 7; krit. P. Schlosser, ZZP 94 (1981), 369; R. Schütze, RIW 2005, 579, 585; vgl. Ch. Pfeil-Kammerer, S. 244 ff. 130 Vgl. Ch. Böhmer, NJW 1990, 3053; H. Koch/Ch. Kirchner, AG 1988, 127; A. Junker, JZ 1989, 121, 128; R. Greger, ZRP 1988, 164; R. Trittmann/M. Leitzen, IPRax 2003, 7. 131 Für einen Erlass erneut M. Reufels/M. Scherer, IPRax 2005, 456. 132 Vgl. BT-Drucks. 18/10714 v. 20.12.2016, S. 21 f.
577
§ 9 Rz. 9.91a | Internationale Beweisaufnahmen
9.91a In dem schließlich verabschiedeten Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Intern. Privat- und Zivilverfahrensrechts v. 11.6.2017133 ist diese Regel aber nicht mehr enthalten. 9.92 Das HBÜ hat also dazu geführt, dass es zu einer Konfrontation zwischen deutschen und amerikanischen Beweisvorschriften gekommen ist. Es geht nicht nur um die Frage, wie weit ein Ausforschungsbeweis nach deutschem Recht unzulässig ist, es geht vielmehr um die Abwehr des Missbrauchs des amerikanischen „pre-trial“-Verfahrens.134 Das „pre-trial“-Verfahren hat möglicherweise dazu geführt, dass sich bereits ein „Beruf“ als Sachaufklärer herausgebildet hat. Deutschen Firmen, die als Partei an einem Rechtsstreit in den Vereinigten Staaten beteiligt sind, kann nur empfohlen werden, sich durch amerikanische Rechtsanwälte hinsichtlich ihres Verhaltens im „pre-trial“-Verfahren richtig beraten zu lassen. Tatsächlich kommen heute kaum noch US-amerikanische Rechtshilfeersuchen vor. Denn die US-Gerichte verlangen einfach auch von der ausländischen Partei eine Mitwirkung im Prozess nach der lex fori, also die Vorlage der Urkunden, und ziehen bei einer Weigerung negative Schlussfolgerungen zu Lasten der sich weigernden Partei. Da heute ein Großteil der Geschäftskorrespondenz elektronisch abgewickelt wird bzw. die Schriftstücke eingescannt und in elektronischer Kopie aufbewahrt werden, ist eine Vorlage auch problemlos möglich; auf den Ort, an dem die elektronische Datei gespeichert ist, kann es nicht ankommen.135 9.93 In welchem Umfang das amerikanische „pre-trial“-Verfahren von politischer Bedeutung geworden ist, beweist die Sache Re Westinghouse Elec. Corp. Uranium Contract Litigation.136 Inzwischen ist die Diskussion um die „Discovery“ weitergegangen. Sie ist als der Stützpfeiler des amerikanischen Prozesses bezeichnet worden.137 Eine Klage wird nicht auf einen substantiierten und schlüssigen Sachverhalt gegründet, die Tatsachen werden vielmehr im „pre-trial“-Verfahren erforscht. „Fishing expeditions“ sind im Gegensatz zum englischen Verfahren die Regel.138 Die sehr weitreichende Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte ermöglicht es, dass viele Beweisverfahren im Inland durchgeführt werden, so dass die Schutzwirkungen des HBÜ nicht zum Tragen kommen.
9.94 Die Meinungen darüber, wie der deutsche Vorbehalt nach Art. 23 HBÜ und § 14 dt. AusfG ausgefüllt werden sollte, gehen auseinander. Stürner scheint eine bilaterale 133 BGBl. 2017 I, 1607. 134 Vgl. V. v. Hülsen, RIW/AWD 1982, 225. 135 Vgl. A. Junker, Electronic Discovery gegen deutsche Unternehmen, 2008, Rz. 143 ff.; A. Junker, IZPR, § 26 Rz. 2 f., 14. 136 1979 W. L. R. 81; E. Stiefel, RIW/AWD 1979, 511; R. Augustine, Obtaining International Judicial Assistance under the Federal Rules and the Hague Convention on the Taking of Evidence abroad in Civil and Commercial Matters, Georgia Journal Int. & Comp. L. 10 (1980), 179. 137 A. Junker, Discovery, S. 43. 138 R. Stürner in Habscheid, Justizkonflikt, S. 3, 12.
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III. Das Haager Beweisübereinkommen v. 18.3.1970 | Rz. 9.97 § 9
Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Staaten zu bevorzugen.139 Junker140 meint, der Vorbehalt sollte in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der europäischen Signatarstaaten dahin ausgelegt werden, dass nur genügend spezifizierte und hinreichend substantiierte Rechtshilfeersuchen seitens der Vereinigten Staaten erfasst werden sollten. 9. Andere gerichtliche Handlungen Nach Art. 1 I HBÜ kann die gerichtliche Behörde eines Vertragsstaats die zuständige Behörde eines anderen Vertragsstaats auch ersuchen, andere gerichtliche Handlungen vorzunehmen. Der Begriff der anderen gerichtlichen Handlungen ist im Übereinkommen nur insoweit umrissen, als diese nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchenden Gerichts bzw. der Behörde zulässig sein müssen. Insoweit deckt sich der Begriff mit dem der Rechtshilfe i.S.d. §§ 156 ff. GVG. Danach muss es sich um Handlungen handeln, die das Prozessgericht seiner sachlichen Zuständigkeit nach selbst vornehmen könnte, die es aber wegen seiner örtlichen Gebundenheit insb. im Hinblick auf die Justizhoheit anderer Staaten nicht selbst vornehmen kann.141 Darunter fallen z.B.:142
9.95
– die Vornahme eines Sühneversuchs in Ehesachen (§ 5 Nr. 2 ZRHO), – die Entgegennahme von Parteierklärungen in Ehe- und Kindschaftssachen, – das Übersenden von Akten oder Urkunden (§ 5 Nr. 5, § 145 ZRHO), – die Erteilung behördlicher Auskünfte (§ 5 Nr. 5, § 71 ZRHO), – die Ermittlung von Zeugen oder Berechtigten (§ 5 Nr. 5 ZRHO), – die Bereitstellung von Räumen, Protokollführern und Gerichtswachtmeistern für Beweisaufnahmen durch Beauftragte. Darunter fallen auch die Ladung, Vernehmung und Beeidigung von Zeugen, Sachverständigen und Parteien für ein Schiedsgerichtsverfahren nach § 1036 ZPO oder die Ernennung oder Ablehnung von Schiedsrichtern gem. § 1045 ZPO.
9.96
Für Ersuchen um Übersendung von Akten oder Urkunden (§ 5 Nr. 5 ZRHO) bestimmt § 145 ZRHO, dass im Rechtsverkehr mit Österreich und der Schweiz Akten über bürgerliche Rechtsangelegenheiten mit Erlaubnis der Prüfstelle vorübergehend den österreichischen oder schweizerischen Gerichten überlassen werden dürfen. In allen übrigen Fällen sind Ersuchen ausländischer Behörden um zeitweilige Überlassung von Akten der Landesjustizverwaltung zur Entscheidung vorzulegen (§ 145 II ZRHO). Aufgrund des neuen Übereinkommens müssten die Landesjustizverwaltungen freilich besondere Gründe haben, wenn sie einer Aktenversendung nicht zustim-
9.97
139 140 141 142
R. Stürner in Habscheid, Justizkonflikt, S. 153, 157. A. Junker, JZ 1989, 129. H. Nagel, S. 23. Vgl. Pabst in MünchKomm/ZPO, Art. 1 HBewÜ Rz. 12.
579
§ 9 Rz. 9.97 | Internationale Beweisaufnahmen
men wollten. Dabei kämen insb. solche Hinderungsgründe in Frage, die einer Beweisaufnahme aufgrund eines ausländischen Ersuchens im Inland entgegenstehen.
9.98 Das HBÜ bezieht sich nur auf Hilfe im Erkenntnisverfahren, nicht auf Akte der Zwangsvollstreckung (Art. 1 III HBÜ). Dass diese Hilfe auch durch ein „Dulden“ von Prozesshandlungen seitens diplomatischer oder konsularischer Vertreter oder Beauftragter des Prozessgerichts geleistet werden kann, ergibt sich aus dem Wesen der internationalen Rechtshilfe. 10. Kosten
9.99 Der ersuchte Staat darf für die Erledigung des Rechtshilfeersuchens keine Gebühren verlangen (Art. 14 I HBÜ). Doch darf Erstattung der Auslagen für Sachverständige, Dolmetscher und der Kosten verlangt werden, die durch den Wunsch nach einer besonderen Form der Beweiserhebung entstanden sind (Art. 14 II HBÜ). Der weiterreichende Vorbehalt in Art. 26 HBÜ hat in Deutschland keine Bedeutung. Schuldner des Auslagenersatzes ist der ersuchende Staat, nicht die Partei.143
IV. Beweisaufnahmen nach dem Haager Zivilprozessübereinkommen v. 1.3.1954 1. Übermittlungswege
9.100 Für Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen oder andere gerichtliche Handlungen gilt grds. ebenfalls der konsularische Weg, d.h. die Ersuchen werden über die Prüfstellen an den zuständigen deutschen Konsul geschickt.144 Dieser übermittelt der von dem ersuchten Staat bezeichneten Behörde das Ersuchen (Art. 9 HZPÜ 1954). Daneben gibt es noch den diplomatischen und den direkten Behördenweg. Nach Art. 15 HZPÜ kann jeder Vertragsstaat unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter Ersuchen erledigen lassen, wenn entsprechende Abkommen zwischen den beteiligten Staaten dies zulassen oder wenn der Staat, in dessen Hoheitsgebiet das Ersuchen erledigt werden soll, dem nicht widerspricht.145 Die Anzahl der Übermittlungswege ist also etwas kleiner als bei den Zustellungen. 2. Anzuwendendes Recht
9.101 Grundsätzlich werden Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen nach der lex fori des ersuchten Staats durchgeführt. „Jedoch ist dem Antrag der ersuchenden Behörde, nach einer besonderen Form zu verfahren, zu entsprechen, sofern diese Form den Rechtsvorschriften des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft“ (Art. 14 HZPÜ entspricht insoweit dem Art. 3). Danach können Beweisaufnahmen also auch nach den Vorschriften der lex fori des ersuchenden Staats durchgeführt werden. Diese Lösung 143 E. Geimer, S. 99. 144 Fasching/Konecny/Sengstschmid, Anh. A §§ 38–40 JN Rz. 78. 145 Fasching/Konecny/Sengstschmid, Anh. A §§ 38–40 JN Rz. 94.
580
IV. Beweisaufnahme nach HZPÜ 1954 | Rz. 9.105 § 9
hat den Vorteil, dass die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht und dem ausländischen ersuchten Gericht bzw. der entsprechenden Behörde nach einheitlichen Prozessvorschriften durchgeführt wird. Der Natur der internationalen Rechtshilfe, die dem Prozessgericht lediglich Hilfe leisten will, wird diese Lösung am besten gerecht. § 128 I ZRHO sieht sinngemäß vor, dass eingehende Rechtshilfeersuchen unter Beachtung des deutschen Prozessrechts zu erledigen sind. Der Grundsatz der lex fori ist also auch bei Beweisaufnahmen für ein ausländisches Prozessgericht fest verankert. Wenn besondere Wünsche geäußert werden, dürfen deren Erledigung zwingende deutsche Vorschriften nicht entgegenstehen.
9.102
Auch in Schweden darf ein besonderer Wunsch nicht im Widerspruch zum zwingenden schwedischen Recht stehen (Lag 1946:818 om bevisupptagning åt utländsk domstol, § 8 II). Die italienische Rechtsprechung geht dahin, dass die Ausführung einer Beweisaufnahme nicht mit der „ordine pubblico interno“ des ersuchten Staats in Widerspruch stehen dürfe.146 In Frankreich scheint man wenig geneigt zu sein, von der lex fori des ersuchten französischen Gerichts abzuweichen.147 Nach Art. 1132 § 1 polnische ZPO kann eine andere als die vom polnischen Recht vorgesehene Form angewendet werden, sofern diese Form der Handlung nicht vom polnischen Recht untersagt ist und nicht zu den grundlegenden Prinzipien der Rechtsordnung der Republik Polen im Widerspruch steht.
9.103
Eine erfreulich aufgeschlossene Haltung nimmt Österreich ein. Nach § 39 II JN darf von den im Inland geltenden Vorschriften abgewichen werden, wenn ausdrücklich darum ersucht wird und das durch keine Vorschrift der inländischen Gesetzgebung verboten erscheint. Damit wird schon ein ausdrückliches Verbot gefordert, wonach eine bestimmte Beweisaufnahme nicht in einer besonderen Form durchgeführt werden dürfte.
9.104
a) Schwierigkeiten beim Zeugenbeweis
9.105
Beim Zeugenbeweis können folgende Schwierigkeiten auftreten: Wird in deutschen Rechtshilfeersuchen die Vernehmung von Zeugen erbeten, denen nach dem Recht des ersuchten Staats die Zeugenfähigkeit fehlt, muss damit gerechnet werden, dass solchen Ersuchen nicht stattgegeben wird (s. Rz. 10.83 ff.). Dort wird die Frage behandelt, wie sich das deutsche Prozessgericht gegenüber einem im Inland weilenden Ausländer zu verhalten hat. Hier geht es dagegen darum, ob im Gegensatz zu der lex fori des ersuchten Staats Beweise nach dem Recht des ersuchenden Staats erhoben werden können. Da die Beweise von dem Prozessgericht gewürdigt werden, kann es dem ersuchten Staat gleichgültig sein, inwieweit die Zeugenunfähigkeit den urteilenden Richter binden oder vor einer falschen Würdigung der Aussage bewahren soll. Da die Zeugenunfähigkeit aber zugleich den Charakter einer
146 Corte d’Appello di Milano v. 11.9.1965, zitiert von F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 237. 147 A. Huet, Les conflits de lois, S. 360.
581
§ 9 Rz. 9.105 | Internationale Beweisaufnahmen
Schutzvorschrift für die betreffenden Personen enthält, kann der ersuchte Staat hierüber nicht ohne weiteres hinweggehen.148
9.106 Durch den Code de Procedure Civil (CPC) ist diese Auffassung für Frankreich erheblich modifiziert worden, denn nach Art. 205 (2) CPC dürfen Personen, die zeugnisunfähig sind, uneidlich gehört werden. Da dem deutschen Prozessgericht in der Regel eine uneidliche Aussage eines Zeugen genügt, werden entsprechenden deutschen Rechtshilfeersuchen keine Hindernisse mehr im Wege stehen. Anders ist es jedoch bei Scheidungsanträgen, soweit Abkömmlinge der Beteiligten in einem Ehescheidungsverfahren als Zeugen aussagen sollen. Solche Schutzvorschriften werden nicht nur in Frankreich und Belgien an dem ordre public gemessen. 9.107 Für die eidliche Vernehmung eines Zeugen sieht § 131 ZRHO Folgendes vor: „(1) Wird um Vernehmung von Zeugen und um ihre Beeidigung oder um andere Bekräftigung ‚soweit zulässig‘ oder ‚sofern ein gesetzlicher Hinderungsgrund nicht vorliegt‘ ersucht, so hat die Beeidigung in den Fällen des § 393 ZPO zu unterbleiben. In dem Begleitschreiben (§ 88) ist zum Ausdruck zu bringen, dass und aus welchem Grund die Beeidigung nicht erfolgt ist. Die Anführung deutscher Vorschriften allein genügt nicht. (2) Das Gleiche gilt, wenn ohne jede Einschränkung um eidliche Vernehmung ersucht wird. (3) Ersuchen um eidliche Vernehmung werden in der Regel in der beantragten Form auch dann zu erledigen sein, wenn die erbetene Prozesshandlung für den gleichen Fall nach deutschem Recht unbekannt ist (beispielsweise zugeschobener Eid).“
9.108 Das Zeugnisverweigerungsrecht unterscheidet sich dadurch wesentlich von der Zeugenunfähigkeit, dass bei letzterer die betreffenden Personen überhaupt nicht geladen und vernommen werden dürfen, während sie bei einem echten Zeugnisverweigerungsrecht selbst darüber entscheiden, ob sie aussagen wollen oder nicht. Die Rechtslage ist allerdings dadurch unübersichtlich geworden, dass sich die Konturen verwischen. Es sei nur wiederholt, dass nach dem französischen CPC Personen, „qui sont frappées d´une incapacité de témoigner“, grds. uneidlich gehört werden dürfen. Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht einen absoluten Charakter hat, wie z.B. die Schweigepflicht des Arztes nach französischem Recht, darf die betreffende Person auch dann nicht aussagen, wenn sie von der durch die Schweigepflicht geschützten Person entbunden sein sollte. Solche Personen dürfen überhaupt nicht als Zeugen gehört werden. Die Rechtslage ist nicht anders, als wenn sie einer echten Zeugenunfähigkeit unterlägen. Ein Arzt, der von dem Patienten von der Schweigepflicht entbunden ist, könnte demnach im Wege der internationalen Rechtshilfe nicht durch das ersuchte französische Gericht vernommen werden.
148 A. Huet, Les conflits de lois, S. 335, will dieser Schutzvorschrift daher dieselbe Bedeutung zumessen wie einer Zulässigkeitsvorschrift; in demselben Sinn auch H. Batiffol/P. Lagarde, no. 707; auch M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, 1965, S. 404.
582
IV. Beweisaufnahme nach HZPÜ 1954 | Rz. 9.112 § 9
Andererseits bestehen keine Bedenken, in deutschen Rechtshilfeersuchen als besonderen Wunsch zum Ausdruck zu bringen, die zu vernehmenden Personen seien auf die einzeln aufgeführten Zeugnisverweigerungsrechte nach der deutschen ZPO hinzuweisen. Von dem ersuchten englischen Gericht könnten z.B. Zeugen, die von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, nicht gehört werden, obgleich ihnen nach englischem Recht kein Privileg zur Seite stehen würde.149
9.109
In der Schweiz entscheidet das Recht des ersuchten Gerichts, ob der Zeuge erscheinen muss und ob er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach dem Recht des ersuchenden Prozessgerichts kann er sich dagegen nicht berufen.150 Das Schweizer Recht geht davon aus, dass das Prozessgericht kein Ersuchen stellen wird, ein nach seinem eigenen Recht unzulässiges Zeugnis aufzunehmen.
9.110
Schweden nimmt eine vorbildliche Haltung ein. Danach kann derjenige, dem nach ausländischem Recht ein Zeugnisverweigerungsrecht oder sonst ein Recht, seine Mitwirkung zu verweigern, zur Seite steht, sich hierauf auch dem schwedischen Rechtshilfegericht gegenüber berufen (Lag om bevisupptagning åt utländsk domstol v. 20.12.1946, § 7). Damit nimmt das schwedische Prozessgericht Rücksicht darauf, dass ausländische Verfahrensordnungen nicht eine so weit gehende Aussageverpflichtung oder eine so weit reichende Editions- oder Exhibitionspflicht kennen wie das schwedische Recht.
9.111
b) Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Zeugen von der Partei Schwierigkeiten können sich auch aus der Abgrenzung des Zeugen von der Partei ergeben. Da nach dem schwedischem Elterngesetz (Kap. 7 § 2 [3]) der Sorgeberechtigte das Kind im Unterhaltsprozess vertritt, wurde er vom schwedischen Rechtshilfegericht möglicherweise als Partei und nicht gem. dem deutschen Rechtshilfeersuchen als Zeuge gehört.151 Da jedoch die Unterschiede zwischen einer Zeugen- und einer Parteivernehmung nach schwedischem Recht nicht gravierend sind, kann dem besonderen Wunsch eines deutschen Rechtshilfeersuchens entsprochen werden. Grundsätzlich muss jedoch davon ausgegangen werden, dass das ersuchte ausländische Gericht die Abgrenzung des Zeugen von der Partei nach seiner lex fori vornehmen wird. Deswegen muss damit gerechnet werden, dass ein englisches Rechtshilfegericht eine Partei im Zeugenstand nach den englischen Prozessbestimmungen vernehmen lassen wird.
149 A.A. nach diesem Beispiel E. Cohn, ZZP 80 (1967), 230, 237. 150 G. Walter/T. Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 5. Aufl. 2012, § 6 III (S. 354 f.); H. U. Walder, Einführung in das Internationale Prozessrecht der Schweiz, 1989, § 12 Rz. 23. 151 P. Ekelöf, Rättegang, IV, 1992, S. 157.
583
9.112
§ 9 Rz. 9.113 | Internationale Beweisaufnahmen
c) Schwierigkeiten bei Parteivernehmungen und Parteieiden
9.113 Bei der internationalen Rechtshilfe sollte die Parteivernehmung eine untergeordnete Bedeutung haben, da die Parteien ein natürliches Interesse daran haben müssten, vor dem Prozessgericht zu erscheinen. Dennoch liegt nach statistischen Angaben die Zahl der Rechtshilfeersuchen um Parteivernehmung ziemlich hoch.152 Da sich in einigen Staaten die Parteivernehmung noch nicht bzw. noch nicht ganz durchgesetzt hat, fragt es sich, ob dann deutschen Rechtshilfeersuchen um Parteivernehmung stattgegeben werden kann. In Italien scheint diese Frage immer noch zweifelhaft zu sein.153 In Frankreich ist man unter Berufung auf die „lex loci actus“ den Ersuchen um Parteivernehmung aufgeschlossen. Hierbei sollte nicht übersehen werden, dass Ersuchen um Parteivernehmung eher entsprochen wird, wenn auf eine Beeidigung verzichtet wird. Da eine Beeidigung bei der Parteivernehmung in der deutschen Gerichtspraxis kaum noch vorkommt, sollte hierauf in Rechtshilfeersuchen ganz verzichtet werden. 9.114 Soweit die mittelalterlichen Institute des zugeschobenen und des bestätigenden Parteieides abgeschafft worden sind, kann dennoch erwartet werden, dass ein hierauf gerichtetes Rechtshilfeersuchen durchgeführt wird. Nach § 131 III ZRHO (i.d.F. v. 16.4.2018) sind Ersuchen um eidliche Vernehmung in der Regel in der beantragten Form auch dann zu erledigen. Soll eine Partei vernommen oder beeidigt werden, ist bei deutschen Gesuchen aber darauf hinzuweisen, dass die Partei berechtigt ist, die Aussage bzw. den Eid zu verweigern (§ 64a IV ZRHO). d) Das bei der Vorlage von Urkunden anzuwendende Recht
9.115 Die Beweiskraft ausländischer Urkunden hat lediglich der Prozessrichter zu prüfen (s. Rz. 10.131 ff.). Den ersuchten Richter geht es nichts an, wie der Prozessrichter die Würdigung des Urkundenbeweises vorzunehmen hat. Auch die materiell-rechtliche Verpflichtung, Urkunden vorzulegen, berührt den Rechtshilferichter nicht, weil hierzu in der Regel ein besonderer Prozess notwendig wird. 9.116 Die in den einzelnen Staaten unterschiedlich gestaltete prozessuale Vorlagepflicht von Urkunden muss sich auch bei der internationalen Rechtshilfe auswirken. Bei der Reform des deutschen Prozessrechts ist die prozessuale Vorlagepflicht von Urkunden in § 142 ZPO, §§ 235, 236 FamFG verstärkt worden. Das deutsche Gericht kann in diesem Rahmen von den Parteien auch die Vorlage im Ausland befindlicher Urkunden verlangen.154 In diesem Umfang ist auch ausländischen Ersuchen um Urkundenvorlage zu entsprechen. Zwar sieht § 5 Nr. ZRHO nur die Aufnahme des Urkundenbeweises und die Prüfung von Urkunden vor, nach § 5 Nr. 5 ZRHO sind 152 H. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 205. 153 M. Cappelletti/Perillo, Civil Procedure in Italy, 1965, S. 405, hegen bei der italienischen Gerichtspraxis Zweifel; die neuere Rechtsprechung scheint aber aufgeschlossener zu sein, denn F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 156, erwähnt ein Urteil des Corte d’Appello di Napoli v. 1.4.1966, wonach dem Ersuchen eines Braunschweiger Gerichts um Parteivernehmung stattgegeben worden ist. 154 H. Schack, IZVR, Rz. 791.
584
IV. Beweisaufnahme nach HZPÜ 1954 | Rz. 9.120 § 9
aber auch Urkunden zu übersenden. Nur wenn ein ausländisches Ersuchen den Wunsch enthält, von dem Prozessgegner oder einem Dritten Urkunden gem. der weitergehenden lex fori des ausländischen Prozessgerichts zu erhalten, kann dem nicht entsprochen werden. Andererseits kann sich der Beweisführer vor dem deutschen Prozessgericht die ausgedehnte prozessuale Vorlage- bzw. Herausgabepflicht von Urkunden dem Prozessgegner und Dritten gegenüber in solchen Ländern, in denen diese besteht, nutzbar machen. Er kann beantragen, dass entsprechende Rechtshilfeersuchen mit besonderen Wünschen an die zuständige Stelle des ausländischen Staats gerichtet werden. e) Körperliche Untersuchungen und medizinische Eingriffe im Wege der internationalen Rechtshilfe Da im deutschen Recht die Exhibitionspflicht im Gegensatz zur Vorlagepflicht von Urkunden prozessual sehr weitgehend ausgebaut ist, fragt es sich, inwieweit im Wege der internationalen Rechtshilfe Blutproben und erbbiologische Gutachten beschafft werden können. In Frankreich kann niemand gezwungen werden, eine ärztliche Untersuchung oder eine Blutentnahme zu dulden. Ein deutsches Rechtshilfeersuchen kann daher nur Erfolg haben, wenn die betreffende Person sich freiwillig dazu zur Verfügung stellt.155 In Schweden kann die Blutgruppenuntersuchung zur Vaterschaftsfeststellung dagegen notfalls erzwungen werden (Lag om blodundersökning m. m. vid udredning ar faderskap, § 2a [1982]). Ähnlich verhalten sich die Rechte von England und Polen. In Italien kann die Untersuchung nicht erzwungen werden.
9.117
f) Der Sachverständigenbeweis Da die prozessuale Verpflichtung, als Sachverständiger für ein Gericht tätig zu werden, in den einzelnen Ländern mit erheblichen Unterschieden ausgestattet ist, muss hierauf in Rechtshilfeersuchen Rücksicht genommen werden. Von Ausländern, die sich im Inland aufhalten und die die Voraussetzungen des § 407 ZPO erfüllen, können unmittelbar von einem deutschen Prozessgericht Gutachten eingeholt werden.
9.118
Gegen die Beauftragung eines in Deutschland wohnhaften Sachverständigen zur Beweiserhebung im Ausland sollten keine Bedenken bestehen, soweit dieser das zur Erstattung des Gutachtens notwendige Wissen ohne Zwang (aus allgemein zugänglichen Quellen oder unter freiwilliger Mitwirkung der Beteiligten) erwerben kann. § 64f I ZRHO sieht dagegen vor, dass für die Gutachtertätigkeit im Ausland stets die Genehmigung des ausländischen Staates einzuholen ist.
9.119
§ 64f II ZRHO schließt auch die direkte Beauftragung eines ausländischen Sachverständigen durch ein deutsches Gericht aus, weil der ausländische Staat hierin einen Eingriff in seine Souveränität sehen könnte; Gutachten sind danach im Wege der Rechtshilfe einzuholen. Dem ist nur zuzustimmen, soweit dem ausländischen Sachverständigen hoheitlich Pflichten auferlegt werden. Gegen die Einholung eines Gut-
9.120
155 L.-J. Constantinesco, AcP 159, 234.
585
§ 9 Rz. 9.120 | Internationale Beweisaufnahmen
achtens auf der Basis freiwilliger Mitwirkung sollten dagegen keine Bedenken bestehen, zumal die Parteien ja auf gleicher Grundlage auch Privatgutachten einholen können.
9.121 Wird der Rechtshilfeweg beschritten, das deutsche Rechtshilfeersuchen um Einholung eines Sachverständigengutachtens aber an Staaten gerichtet, in denen wie z.B. in Schweden (außerhalb von Dienstpflichten, RB Kap. 40 § 4), Frankreich, Spanien keine prozessuale Pflicht besteht, die Aufgaben eines Sachverständigen zu übernehmen, muss damit gerechnet werden, dass solchen Ersuchen nicht entsprochen wird. Die im Rechtshilfeersuchen benannten Personen könnten sich auf die lex fori ihres Staats berufen, wonach sie nicht verpflichtet sind, Gutachten zu erstatten. Ist es in bestimmten Staaten nicht üblich, dass ein gerichtlicher Sachverständiger bestellt wird, ist es wenig sinnvoll, um eine solche Bestellung im Rechtshilfeweg zu ersuchen. 9.122 Es ist in diesem Zusammenhang zweifelhaft, ob das Prozessgericht den Sachverständigen auswählen oder die Auswahl vielmehr dem ersuchten ausländischen Gericht überlassen sollte. In Ländern, in denen – wie in Italien – bei den Gerichten eine Liste der Sachverständigen geführt wird und in denen die darin aufgeführten Personen die prozessuale Verpflichtung haben, als Sachverständige tätig zu werden, sollte das Prozessgericht die Auswahl nach der Liste dem ersuchten Gericht überlassen, sofern ihm diese Liste nicht bekannt ist. Im Verhältnis zu den Ländern, in denen eine umfassende prozessuale Verpflichtung besteht, als Sachverständiger tätig zu werden, werden auch Rechtshilfeersuchen kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Soweit es darum geht, Sachverständige als befangen abzulehnen, entscheidet lediglich die lex fori des Prozessgerichts. Nach dem BGH muss das Gericht nicht versuchen, einen im Ausland wohnenden Sachverständigen, der ein schriftliches Gutachten erstattet hat, zu bewegen, zur Befragung zu erscheinen.156 3. Ablehnungsgründe für Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen
9.123 Nach Art. 11 III HZPÜ kann die Erledigung des Rechtshilfeersuchens aus drei Gründen abgelehnt werden: „1. wenn die Echtheit des Ersuchens nicht feststeht; 2. wenn die Erledigung des Ersuchens in dem ersuchten Staat nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt; 3. wenn der Staat, in dessen Hoheitsgebiet das Ersuchen durchgeführt werden soll, die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.“
9.124 Die Echtheit des Ersuchens dürfte praktisch keine Rolle mehr spielen. Zweifel an der Echtheit eines Ersuchens sollten schon deswegen entfallen, weil nach der kontinental-europäischen Praxis die überwiegende Anzahl von Rechtshilfeersuchen von 156 BGH, IPRax 1981, 57 (krit. H. Nagel, S. 47).
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IV. Beweisaufnahme nach HZPÜ 1954 | Rz. 9.129 § 9
den Prozessgerichten ausgeht. Nach § 364 I ZPO kann das Prozessgericht zwar anordnen, dass der Beweisführer das Ersuchungsschreiben zu besorgen und die Erledigung des Ersuchens zu betreiben habe.157 Es läge auch in diesem Fall ein entsprechender Gerichtsbeschluss vor, der dem ersuchten Staat übermittelt werden könnte. Der Weg des § 364 ZPO steht alternativ, nicht nur subsidiär zur Verfügung.158 Außerdem sorgen auch die deutschen Prüfstellen dafür, dass hinsichtlich der Form der Ersuchen keine Schwierigkeiten auftreten. Da das Haager Übereinkommen den Begriff der Zivil- oder Handelssache nicht definiert hat, könnten Ersuchen auch mit der Begründung abgelehnt werden, die nachgesuchte Rechtshilfe falle nicht in den Rahmen des Übereinkommens. Deswegen verlangt § 20 I 3 ZRHO, dass die Ersuchen eine klare und leicht verständliche Darstellung des Sachverhalts enthalten müssen.
9.125
Wann fällt die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt des ersuchten Staats? In den nationalen Verfahrensvorschriften wird dieser Ablehnungsgrund unterschiedlich umschrieben. Nach § 28 ZRHO sind alle an das Ausland gerichtete Ersuchen den Prüfungsstellen vorzulegen. Diese prüfen, ob das Ersuchen rechtlich zulässig und vollständig ist. Ersuchen sind der Landesjustizverwaltung vorzulegen, wenn Bedenken hinsichtlich der staatlichen Sicherheit oder von Hoheitsrechten bestehen (§ 29 II ZRHO) sowie dann, wenn eine Vermittlung durch Bundesbehörden, wie das Auswärtige Amt oder das Bundesamt für Justiz angezeigt erscheint, die Mitwirkung nach Art. 19 III HZPÜ 1954 erforderlich ist oder im Länderteil der ZRHO vorgeschrieben wird (§ 30 III ZRHO).
9.126
Nach § 38 II Nr. 1 österr. JN ist die Rechtshilfe zu verweigern,
9.127
„wenn die von dem ersuchenden Gericht begehrte Rechtshandlung nach den im Inlande hierfür geltenden Bestimmungen dem Geschäftskreis der Gerichte entzogen ist; ...“ Nach Art. 1131 poln. ZPO lehnt das polnische Gericht die Rechtshilfeleistung ab, wenn die Vornahme der begehrten Handlung nicht zum Tätigkeitsbereich der polnischen Gerichte gehört. Nach dem schwedischen Recht muss es sich bei dem Rechtshilfeersuchen um eine zum Prozessverfahren gehörende Handlung handeln (Lag om bevisupptagning at utlänsk domstol [1946:816]; die einzelnen Prozesshandlungen werden in § 1 [1] wie folgt aufgezählt: Abnahme des Eides, Durchführung einer Partei-, Zeugen- oder Sachverständigenvernehmung, Durchführung des gerichtlichen Augenscheins und des Urkundenbeweises).
9.128
Da der „Bereich der Gerichtsgewalt des ersuchten Staats“ vom Haager Übereinkommen bewusst offen gelassen ist, kommt es dabei entscheidend auf die Stellung-
9.129
157 Vgl. A. Schabenberger, S. 120 ff. 158 R. Geimer, IZPR, Rz. 2393.
587
§ 9 Rz. 9.129 | Internationale Beweisaufnahmen
nahme des ersuchten Staats an. Dieser wird dabei weitgehend auf seine internen Verfahrensbestimmungen zurückgreifen.
9.130 Außerhalb der Gerichtsgewalt liegt das Ersuchen um die Beeidigung eines Zeugen, obwohl der ersuchte Staat eine Beeidigung gar nicht kennt. Das ist z.B. der Fall nach Art. 171 I Schweizer ZPO, da ein Zeuge nach der Schweizer Verfassung nicht zur Ablage eines Eides gezwungen werden kann.159 Danach muss damit gerechnet werden, dass entsprechende Rechtshilfeersuchen abgelehnt werden. In Polen kann dagegen damit gerechnet werden, dass das ersuchte Gericht an Stelle des Eides eine Wahrheitsversicherung gem. Art. 268 polnische ZPO von dem Zeugen fordern wird. Es kommt also ganz darauf an, welche gerichtlichen Handlungen noch im Bereich des ersuchten Gerichts möglich sind. Dabei braucht die lex fori des ersuchten Gerichts nicht eingehalten zu werden; den „besonderen Wünschen“ des ersuchenden Gerichts gegenüber verhalten die einzelnen Staaten sich unterschiedlich aufgeschlossen. 9.131 Die Abgrenzung der Ablehnungsgründe nach Art. 11 III Nr. 2 und Nr. 3 HZPÜ 1954 ist flexibel. Beide Vorschriften müssen zugleich i.V.m. Art. 14 II HZPÜ verstanden werden. Das ersuchte Gericht bzw. die zuständige Behörde des ersuchten Staats wird auch darüber entscheiden, wann die Erledigung eines Ersuchens die Hoheitsrechte oder die Sicherheit des ersuchten Staats gefährden kann. Bei diesem letzten Ablehnungsgrund handelt es sich um dieselbe Formulierung, die in Art. 4 HZPÜ 1954 und in Art. 13 HZÜ gewählt worden ist (s. Rz. 8.121, 8.149). Die Ablehnung eines Ersuchens kann insb. nicht darauf gestützt werden, dass die Gerichte des ersuchten Staats international ausschließlich zuständig für die Entscheidung seien. 9.132 Dennoch hat die Frage der internationalen Zuständigkeit immer wieder eine negative Rolle bei der Ausführung von Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen gespielt.160 Der italienische Kassationshof ist in dieser Frage sehr weit gegangen. In einer Sache, in der bereits ein italienisches Urteil vorlag, hat er entschieden, dass einem Rechtshilfeersuchen dennoch entsprochen werden müsse, weil dem italienischen Rechtshilferichter jede Prüfung in der Sache selbst untersagt sei. Die Frage, ob das ausländische Urteil später in Italien anerkannt und aus ihm vollstreckt werden könne, hindere die Ausführung eines Rechtshilfeersuchens nicht.161 Ebenso hat der Corte d’Appello von Mailand auf Ersuchen eines Hamburger Gerichts, in einer Ehescheidungssache zwischen Italienern Beweise zu erheben, entschieden, die Ausführung des Ersuchens verstoße nicht gegen den italienischen ordre public, obgleich die Ehescheidung damals noch nicht in Italien zugelassen worden war.162
159 Vgl. Weibel/Malz in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweiz. ZPO, 3. Aufl. 2016, Art. 171 Rz. 2. 160 Vgl. Ch. Gavalda, Rev.crit. 1964, 15, 35. 161 F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 164. 162 Urt. v. 25.7.1962; zit. bei F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 166.
588
IV. Beweisaufnahme nach HZPÜ 1954 | Rz. 9.137 § 9
Da das Grundgesetz die internationale Zusammenarbeit fördert, kommt eine Ablehnung der Rechtshilfe für ausländische Gerichte nur im Extremfall in Betracht, etwa wenn dadurch Menschenrechte eines Beteiligten verletzt würden.163
9.133
Die Gefährdung der Hoheitsrechte und der Sicherheit des ersuchten Staats (s. Rz. 8.121) deckt sich vielfach mit der Klausel, „sofern diese Form den Rechtsvorschriften des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft“ (Art. 14 II HZPÜ 1954).
9.134
Die Hoheitsrechte und die Sicherheit des ersuchten Staats sind auch dann betroffen, wenn es um dessen tragende Grundsätze des Zivilprozessrechts geht, soweit diese ausschließlich öffentlich-rechtlichen Charakter haben. Dazu gehört der Satz: „Nemo tenetur accusare se ipsum“ (dieser Grundsatz kehrt z.B. wieder in § 384 Nr. 3 ZPO; § 321 I 1 österr. ZPO; schwed. RB Kap. 36 § 6; Art. 261 § 2 poln. ZPO; Art. 419 griech. ZPO164). Der Corte d’Appello von Mailand hat deshalb ein Ersuchen eines Genfer Gerichts mit der Begründung abgelehnt, die gestellten Fragen zielten darauf, von dem Zeugen das Zugeständnis ehebrecherischer Beziehungen zu einer Partei zu erlangen.165 In einer anderen Sache wurde von dem Corte d’Appello von Mailand – Urt. v. 10.4.1964 – ein Ersuchen des Gerichts von Lausanne abgelehnt, weil die Fragen darauf gerichtet seien, ob eine Partei in dem Rufe eines leichten Mädchens stehe;166 andere Ersuchen sind abgelehnt worden, weil die gestellten Fragen nicht auf den Beweis von Tatsachen, sondern auf Meinungsäußerungen eines Zeugen gerichtet waren.
9.135
4. Beweisaufnahmen durch diplomatische und konsularische Vertreter Nach Art. 15 HZPÜ 1954 darf „jeder Staat Ersuchen unmittelbar durch seinen diplomatischen oder konsularischen Vertreter erledigen lassen, wenn Abkommen zwischen den beteiligten Staaten dies zulassen oder wenn der Staat, in dessen Hoheitsgebiet das Ersuchen erledigt werden soll, dem nicht widerspricht“. Insoweit gelten besondere Vereinbarungen im Verhältnis von Deutschland zu Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Österreich und Schweden (s. Rz. 7.9). Die Möglichkeit besteht weiterhin im Verhältnis zu Rumänien, Italien, Japan, Luxemburg, Spanien und Israel167 (Dänemark, Russland, die Schweiz und der Vatikanstaat schließen diese Möglichkeit aus).
9.136
Grundsätzlich wird die Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter nach dem Recht des Entsendestaats, also der lex fori des Prozessgerichts durchgeführt. Für das deutsche Recht ergibt sich dies aus § 363 II ZPO in Verbindung mit dem Konsulargesetz v. 11.9.1974168 und dem Wiener Übereinkommen
9.137
163 Vgl. R. Geimer, ZfRV 1992, 401, 418 f. 164 Zum US-Recht s. Ch. McCormick, On Evidence, 7th ed. 2014, §§ 114–143 (gemeint ist eine strafrechtliche Selbstbelastung). 165 F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 159, Urt. v. 10.4.1964. 166 F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 160. 167 Vgl. Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, 101.15. 168 BGBl. 1974 I, 2317.
589
§ 9 Rz. 9.137 | Internationale Beweisaufnahmen
über konsularische Beziehungen v. 24.4.1963 (WKÜ).169 Der deutsche Konsul hat also wie ein deutsches Gericht Rechtshilfe zu leisten. Er darf den vernommenen Personen auch den Eid abnehmen. Wesentlich ist nur, dass die zu vernehmenden Personen freiwillig und ohne Zwang vor den diplomatischen oder konsularischen Vertretern erscheinen und zur Aussage bereit sind.170
9.138 Im Verhältnis zu Belgien, Frankreich, Finnland, Italien, Israel, Japan, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich dürfen deutsche diplomatische oder konsularische Vertreter nur eigene Staatsangehörige vernehmen. Im Verhältnis zu Rumänien und Schweden dürfen sowohl eigene Staatsangehörige als auch solche dritter Staaten mit Ausnahme solcher des Empfangsstaats vernommen werden. Im Verhältnis zu Spanien kommt es auf die Staatsangehörigkeit überhaupt nicht an.171 Werden Angehörige fremder Staaten gehört, stellt sich die Frage nach dem anzuwendenden Recht deswegen nicht, weil die zu vernehmenden Personen dadurch hinreichend geschützt sind, dass es ihr freier Wille ist, ob sie vor Auslandsvertretern überhaupt aussagen wollen. Darüber hinaus könnten sie sich jederzeit auf die in ihrem Lande geltenden Schutzbestimmungen berufen. 9.139 Die Vernehmungen durch die diplomatischen oder konsularischen Vertreter haben den Vorteil, dass die Beweisaufnahmen nach einheimischem Recht, dem der lex fori des Prozessgerichts erfolgt.172 Solchen Beweisaufnahmen im Ausland wird darüber hinaus vom Prozessgericht mit weniger Misstrauen begegnet, wie das bei Beweisaufnahmen durch ausländische Gerichte oder Behörden der Fall ist. Insbesondere stehen englische Gerichte den Beweisergebnissen, die nach kontinental-europäischen Verfahrensvorschriften erhoben sind, misstrauisch gegenüber.173 Der Verfasser hat mit der Vernehmung von Zeugen durch die deutschen Auslandsvertretungen beste Erfahrungen gemacht. Entscheidend ist allerdings, dass die Parteien erklären, die von ihnen benannten Zeugen seien freiwillig bereit, vor dem deutschen diplomatischen oder konsularischen Vertreter auszusagen. 169 BGBl. 1969 II, 1587. 170 Ebenso wenden österreichische Auslandsvertreter bei der Vernehmung österreichisches Recht an. Sie dürfen allerdings die zu vernehmenden Personen nicht beeiden, V. Hoyer/ E. Chlanda, Rechtshilfeerlass für bürgerliche Rechtssachen, 1952, S. 83; für das französische Recht vgl. Ch. Gavalda Rev.crit. 1964, 15, 24, und A. Huet, Les conflits de lois, S. 357. Letzterer meint, die Frage nach dem anzuwendenden Recht verschwinde, wenn das Rechtshilfeersuchen von einem französischen Gericht an einen französischen Konsul gerichtet werde. Für Italien vgl. F. Pocar, L’assistenza guidiziaria, S. 270, und M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, S. 416; I. Szászy, 645, verneint überhaupt eine internationale Rechtshilfe im Verhältnis des Prozessgerichts zu den entsprechenden Auslandsvertretern des Entsendestaats. 171 Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, 101.15. 172 Die Vernehmung erfolgt durch den Konsul; das zuständige Gericht kann allenfalls nach Art. 8 HBÜ dabei zugegen sein (O. Knöfel, IPRax 2012, 219, 220). 173 B. A. Harwood/Lord Dunboyne, ICLQ 1961, 284, 291, meinen, in einigen Ländern habe der Richter eine inquisitorische Funktion, er befrage Zeugen und halte nur die Tatsachen fest, wie er sie gefunden habe. Sie fordern eine Niederschrift darüber, was der Zeuge wirklich gesagt hat.
590
V. Autonomes Recht | Rz. 9.144 § 9
V. Autonomes Recht 1. Beweisaufnahme im Ausland Ist eine Beweisaufnahme in einem deutschen Prozess im Ausland erforderlich, so enthalten die §§ 363, 364 ZPO dazu rudimentäre Regeln. Der Vorsitzende des Prozessgerichts soll die zuständige Behörde um Aufnahme des Beweises ersuchen (§ 363 I ZPO). Zuständig ist der deutsche Konsul, wenn er dazu nach § 15 KonsularG ermächtigt ist und der ausländische Staat einverstanden ist (§ 363 II ZPO).174 Ansonsten ist das Ersuchen an die zuständige ausländische Behörde zu richten. Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr (§ 3 I Nr. 3 ZRHO) sind für ausgehende Ersuchen voll die §§ 17 ff. ZRHO einzuhalten.175 Der Übermittlungsweg ins Ausland ergibt sich aus dem Länderteil zur ZRHO.
9.140
Nach § 62 I ZRHO (i.d.F. v. 16.4.2018) darf ein deutscher Richter oder eine von ihm bestimmte Person bei einer Beweisaufnahme im Ausland nach Art. 12 EuBVO anwesend sein und sich an ihr beteiligen. Die Anwesenheit ist der Landesjustizverwaltung anzuzeigen und die Beteiligung zu beantragen. Der ersuchte Staat ist zu bitten, den Termin und eine etwa notwendige Genehmigung für die Teilnahme rechtzeitig mitzuteilen (§ 62 II ZRHO).
9.141
§ 64e ZRHO (i.d.F. v. 16.4.2018) sieht weiter vor, dass ein deutscher Richter an einer Beweisaufnahme im Ausland (durch ein ausländisches Gericht eines Nicht-EU-Mitgliedstaates) teilnehmen kann. Allerdings bedarf er dazu der Genehmigung der Bundesregierung und des Staats, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll.176 Der Genehmigung des ausländischen Staates bedarf es nicht, wenn er gem. Art. 8 Satz 1 HBÜ erklärt hat, mit der Anwesenheit von Mitgliedern der ersuchenden Behörde einverstanden zu sein.
9.142
Soweit es auf den unmittelbaren Eindruck vom Verlauf der Beweisaufnahme ankommt, muss hierauf meist verzichtet werden. Eine Beweisaufnahme durch alle Mitglieder eines Spruchkörpers in Nicht-EU-Staaten ist nirgends vorgesehen. Völkerrechtlich wäre sie aber mit Einverständnis beider beteiligten Staaten durchführbar.177
9.143
2. Beweismittelbeschaffung aus dem Ausland Streitig ist, ob und inwieweit die Beweisaufnahme im Ausland durch eine Beweismittelbeschaffung aus dem Ausland entbehrlich ist, insb. ob es insoweit völkerrechtliche Grenzen gibt. Kann das Beweismittel aus dem Ausland beschafft werden, findet die eigentliche Beweisaufnahme im Inland vor dem Prozessgericht statt. Eine Verletzung der Souverä174 175 176 177
Vgl. Geimer in Zöller, ZPO, § 363 ZPO Rz. 28, 32 f. Vgl. E. Geimer, S. 148 ff. Vgl. G. Schulze, IPRax 2001, 527, 531; Geimer in Zöller, ZPO, § 363 ZPO Rz. 2. E. Geimer, S. 115 f.
591
9.144
§ 9 Rz. 9.144 | Internationale Beweisaufnahmen
nität des Lagestaats kann daher nur eintreten, wenn Zwang bei der Herbeischaffung des Beweismittels geübt oder schon die gerichtliche Ladung oder Aufforderung im Ausland als Hoheitsakt anzusehen wäre.178 Soweit die Souveränität des Lagestaats nicht tangiert ist, besteht keine Notwendigkeit, die Beweisaufnahme vorrangig im Rechtshilfeweg durchzuführen.179 Das HBÜ 1970 regelt extraterritoriale Beweisanordnungen nicht, schließt sie auch nicht aus. Es ist daher im Einzelfall zu entscheiden, welches Vorgehen am einfachsten zu einer zuverlässigen Sachaufklärung führen wird. M.E. ist nach den einzelnen Beweismitteln zu unterscheiden. Für die EuBVO wurde aus Art. 17 vielfach zu Unrecht ein Ausschluss einer extraterritorialen Beweiserhebung abgeleitet (s. Rz. 9.37 f.). a) Auslandszeuge
9.145 Das Gericht kann der Partei anheimgeben, den Auslandszeugen zum Termin mitzubringen180 und den freiwillig erschienenen Zeugen vernehmen. Kann die Partei ihren Zeugen dazu bestimmen, ohne Ladung aus dem Ausland anzureisen, steht einer Vernehmung nichts entgegen. Das Gericht kann den Auslandszeugen auch laden, freilich nur ohne die Androhung von Ordnungsmitteln nach § 377 II Nr. 3 ZPO und ohne die Möglichkeit, inländische Sanktionen gegen das Vermögen des Zeugen bei Nichtbefolgung nach § 380 ZPO zu verhängen.181 Streitig ist, ob diese Ladung gem. § 377 I 2 ZPO auch formlos durch einfachen Brief ins Ausland übersandt, oder nur förmlich im Rechtshilfeweg, innerhalb der EU-Staaten auch durch Postsendung per Einschreiben mit Rückschein (Art. 14 EuZVO) zugestellt werden darf.182 Da die formlose Mitteilung der (sanktionslosen) Ladung nicht völkerrechtswidrig ist, ist sie auch zulässig.183 Lediglich wenn das Gericht eine Zustellung anordnet, sind die zulässigen Wege der grenzüberschreitenden Zustellung zu beachten. Erscheint der Zeuge allerdings nicht im Inland vor Gericht, ist er im Wege der Rechtshilfe zu vernehmen, auch wenn es an sich auf einen unmittelbaren Eindruck ankommt.184 Kraft Personalhoheit darf jeder Staat darüber hinaus eigene Staatsbürger auch aus dem Ausland – ohne Einhaltung des Rechtshilfeweges – laden.185
9.146 Unbedenklich kann das Gericht einen Auslandszeugen (entgegen § 64g Satz 2 ZRHO i.d.F. v. 16.4.2018) auf freiwilliger Basis um eine schriftliche Beantwortung 178 Vgl. A. Stadler, Festgabe BGH, Bd. 3, S. 645, 654; P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119, 125 ff. 179 Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, S. 57 ff.; P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119, 125; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 1. Aufl. 1996, Art. 1 HBÜ Rz. 6. 180 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 1. Aufl. 1996, Art. 1 HBÜ Rz. 7. 181 EuGH – C-170/11, ECLI:EU:C:2012:540 – Lippens v Kortekaas, NJW 2012, 3771; Berger in Stein/Jonas, § 363 ZPO Rz. 11; Geimer in Zöller, ZPO, § 363 ZPO Rz. 14, 17; J. Daoudi, S. 96 ff., 118 ff.; P. Gottwald, FS Habscheid, S. 119, 128; P. Schlosser, FS W. Lorenz, S. 497, 508, gegen jede Ladung außerhalb der EU: Musielak/Voit/Stadler, § 363 Rz. 10. 182 Vgl. BGH, IPRax 1981, 57; Berger in Stein/Jonas, § 363 ZPO Rz. 11. 183 J. Daoudi, S. 105 ff. 184 H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 10.21. 185 R. Geimer, IZPR, Rz. 2388; Geimer in Zöller, ZPO, § 363 Rz. 13.
592
V. Autonomes Recht | Rz. 9.149 § 9
von Fragen bitten,186 soweit dies nach § 377 III ZPO ausreichend ist. Die Praxis möchte freilich jeden Anschein eines unzulässigen Eingriffs in die Hoheitssphäre des Auslands vermeiden und beauftragt die Partei damit, die Erklärung des Auslandszeugen beizubringen. Diese Auskunft kann dann als Urkundenbeweis nach § 416 ZPO verwertet werden.187 In geeigneten Fällen kommt auch eine Zeugenvernehmung im Wege einer internationalen Videokonferenz in Betracht.188 Soweit Freibeweis zulässig ist, kann der Auslandszeuge schließlich sogar telefonisch befragt werden.189
9.147
b) Sachverständige Beweiserhebung im Ausland Das Prozessgericht kann die Erhebung eines Sachverständigenbeweises im Wege der Rechtshilfe anordnen. Das Gericht kann aber auch einen inländischen Sachverständigen bestellen.190 Dieser kann sich aber Informationen aus dem Ausland nur auf freiwilliger Grundlage, ggf. durch Augenschein im Ausland beschaffen, und erstattet sein Gutachten. Art. 17 III EuBVO und § 1073 II ZPO schließen dieses Vorgehen nicht aus.191 Nur wenn es der Unterstützung der ausländischen Behörden bedarf, muss der Rechtshilfeweg beschritten werden.
9.148
Schließlich kann das Gericht auch einen zur Mitarbeit bereiten ausländischen Sachverständigen (auf freiwilliger Grundlage) bitten, ein Gutachten zu erstellen.192 Eine direkte Bestellung ist durch § 64f II ZRHO untersagt (s. Rz. 9.120) und nur im Rechtshilfeweg mit Genehmigung des ausländischen Staates zulässig (§ 64f I ZRHO).193 Der BGH hat entschieden, dass das Prozessgericht nicht verpflichtet ist, den ausländischen Sachverständigen nach § 411 III ZPO zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden,194 sondern insoweit den Rechtshilfeweg beschreiten kann. Aber selbst wenn man eine Pflicht zur Direktladung verneint, bleibt sie dennoch zulässig,195 mit dem Rechtshilfeweg als subsidiärem Ausweg.
9.149
186 R. Geimer, IZPR, Rz. 437; H. Schack, IZVR, Rz. 803; Berger in Stein/Jonas, § 363 Rz. 12; J. Daoudi, S. 123 ff.; a.A. BGH, NJW 1984, 2039; vgl. A. Stadler, Festgabe BGH, Bd. 3, S. 645, 655; D. Leipold, Lex fori, S. 51 ff., 63. 187 B. v Hoffmann/K. Thorn, IPR, § 3 Rz. 128. 188 Berger in Stein/Jonas, § 363 Rz. 14; R. Geimer, IZPR, Rz. 2385a. 189 R. Geimer, IZPR, Rz. 436b, 2385; Geimer in Zöller, ZPO, § 363 Rz. 11. 190 R. Geimer, IZPR, Rz. 445; J. Daoudi, S. 108 f, 128 ff.; P. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 1. Aufl. 1996, Art. 1 HBÜ Rz. 6 (sofern Ausland darin keine Souveränitätsverletzung sieht); a.A. D. Leipold, Lex fori, S. 47. 191 EuGH – C-332/1, ECLI:EU:C:2013:87 – ProRail, IPRax 2014, 282 (dazu Ch. Thole, S. 255); P. Schlosser, FS Klamaris, 2016, S. 685; a.A. (nur mit Genehmigung der Zentralstelle des ersuchten Staats) B. Heß/A. Müller, ZZPInt 6 (2001), 149, 174 f.; Rauscher/ v. Hein, (2015), Art. 1 EG-BewVO Rz. 25. 192 R. Geimer, IZPR, Rz. 441, 2387. 193 Vgl. H. Linke/W. Hau, IZVR, 7. Aufl. 2018, Rz. 10.24; dagegen Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 1. Aufl. 1996, Art. 1 HBÜ Rz. 9 (absurd). 194 BGH, MDR 1960, 659. 195 J. Daoudi, S. 131; Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 411 ZPO Rz. 14.
593
§ 9 Rz. 9.150 | Internationale Beweisaufnahmen
c) Augenschein im Ausland
9.150 Soweit ein Augenschein praktisch nur durch einen Augenscheinsmittler eingenommen werden kann, kann ebenfalls wie bei der Bestellung eines Sachverständigen vorgegangen werden.196 Eine zwangsweise Inspektion eines Betriebes durch den Augenscheinsmittler etc scheidet dagegen aus.197 Auch eine zwangsweise Untersuchung nach § 372a ZPO bzw. § 178 FamFG kann nur gegenüber Personen im Inland angeordnet werden. Gegenüber Parteien und Drittbeteiligten im Ausland kommt nur die Aufforderung zur freiwilligen Untersuchung oder der Rechtshilfeweg in Betracht.198 Verweigert die Partei jedoch ihre Mitwirkung, dürfen daraus nachteilige Schlüsse gezogen werden (Beweislastentscheidung wegen Beweisvereitelung).199 d) Urkunden im Ausland
9.151 Soweit die Parteien Urkunden vorlegen müssen (§§ 142, 420 ff. ZPO; § 235 FamFG), sind sie dazu verpflichtet, unabhängig davon, ob sich die Urkunde im In- oder Ausland befindet.200 Befinden sich Urkunden im Ausland im Besitz einer konzernmäßig verbundenen Gesellschaft, besteht eine Vorlagepflicht, soweit die Partei die Kontrolle und Verfügungsbefugnis über die Unterlagen hat.201 Vorlageverbote des Lagestaats bilden kein absolutes Hindernis für eine Vorlagepflicht, sind aber pflichtgemäß zu berücksichtigen (s. Rz. 9.6). 9.152 Ist die im Ausland befindliche Urkunde im Besitz eines Dritten, kann das Gericht ihre Vorlage zwar nach § 142 I ZPO anordnen, darf aber keinen Zwang ausüben und muss auf die Freiwilligkeit der Vorlage hinweisen.202 Eine alternative Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg ist nur sinnvoll, wenn der ersuchte Staat eine Vorlagepflicht von Dritten kennt.203 9.153 Nach Art. 2, 4 VO (EU) 2016/1191 v. 6.7.2016204 sind Statusurkunden eines EU-Mitgliedstaates ab 16.2.2019 bei Vorlage in einem anderen EU-Mitgliedstaat von jeder Art der Legalisation oder ähnlichen Förmlichkeit befreit. Damit dies praktisch funktioniert, wird diesen Statusurkunden ein mehrsprachiges Formular beigefügt (Art. 7, 8 VO (EU) 2016/1191). Dies hindert den einzelnen aber nicht, auf Wunsch dennoch eine Legalisation zu beantragen (Erwägungsgrund 4 zur VO (EU) 2016/1191). e) Anhörung und Vernehmung der Auslandspartei
9.154 Die Auslandspartei ist wie jede andere Partei nach § 141 ZPO verpflichtet, zur Aufklärung des Sachverhalts persönlich zu erscheinen; erscheint sie nicht, kann Ord196 197 198 199 200 201 202 203 204
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J. Daoudi, S. 111 ff. P. Gottwald, FS Habscheid, 1989, S. 119, 127. J. Daoudi, S. 117. D. Leipold, Lex fori, S. 67. Linke/Hau, IZVR, Rz. 10.27; J. Daoudi, S. 87, 92 ff., 133 ff.; vgl. D. Leipold, Lex fori, S. 55. P. Gottwald, FS Habscheid, 1989, S. 119, 128 f. R. Geimer, IZPR, Rz. 440. U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rz. 369. ABl. EU 2016 Nr. L 200/1.
V. Autonomes Recht | Rz. 9.157 § 9
nungsgeld gegen sie festgesetzt werden, § 141 III ZPO. Bei Konzerngesellschaften unterliegt nur die jeweilige Partei der Aufklärungspflicht. Verweigert eine Auslandspartei eine (freiwillige) Untersuchung nach § 372a ZPO bzw. § 178 FamFG, so kann dies als Beweisvereitelung gewertet werden.205 Die Auslandspartei kann nach §§ 445 ff. ZPO vernommen werden, nach § 450 I 2 ZPO bedarf es insoweit der förmlichen Zustellung. Die EuBewVO schließt nicht aus, dass die Partei in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat wie ein Zeuge nach nationalem Recht geladen und vernommen wird.206 Für die Anhörung bzw. Vernehmung des sich im Ausland aufhaltenden Ehegatten nach § 128 FamFG gilt nichts anderes.207 Nach dem Zweck dieser Anhörung sollte primär versucht werden, die Auslandspartei direkt zu laden und sie nur hilfsweise nach § 128 III FamFG durch das Rechtshilfegericht anhören oder vernehmen zu lassen. Leistet der Aufenthaltsstaat keine Rechtshilfe, kann die Anhörung ganz unterbleiben.208
9.155
3. Beweisaufnahme für das Ausland Ausländische Beweisaufnahmeersuchen nimmt gem. Art. 2 I, II EuBVO das ersuchte Gericht (§ 82 I Nr. 1 ZRHO), gem. Art. 9 IV HBÜ die Zentrale Behörde (§ 82 I Nr. 2 ZRHO), im Verhältnis zur Schweiz und zu Liechtenstein das AG (§ 82 I Nr. 3 ZRHO), im Anwendungsbereich des deutsch-britischen Abkommens der Präsident des LG (§ 82 I Nr. 4 ZRHO) und ansonsten die Prüfungsstelle (§§ 9, 82 I Nr. 5 ZRHO) entgegen. Soweit sie die Angelegenheit nicht selbst erledigt, leitet sie das Ersuchen an das zuständige AG weiter (§ 82 IV ZRHO).
9.156
Die Auslandsparteien oder ihre Vertreter dürfen auf Antrag grds. an dem Beweisaufnahmetermin teilnehmen (§ 133 I ZRHO). Im Anwendungsbereich der EuBVO haben sie einen Anspruch darauf (Art. 11 EuBVO; § 133 II 1 ZRHO).
9.157
Im Anwendungsbereich der EuBVO dürfen auch das ausländische Gericht und ein von ihm bestimmter Sachverständiger grds. an dem Beweisaufnahmetermin teilnehmen (§ 134 I ZRHO). Ist das HBÜ anwendbar, hängt die Befugnis von der Genehmigung der Zentralen Behörde ab (§ 10 AGHBÜ; § 134 II ZRHO). Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr dürfen Mitglieder des ausländischen Gerichts oder von ihm bestellte Sachverständige nur dann an dem Beweistermin vor dem AG teilnehmen, wenn Bundesregierung und Landesjustizverwaltung dies zuvor genehmigt haben und das ersuchte deutsche Gericht selbst keine Bedenken hat (§ 134 III ZRHO).
205 BGH, NJW 1986, 2371; dazu R. Stürner, JZ 1987, 42; J. Daoudi, S. 114 ff. 206 EuGH – C-170/11, ECLI:EU:C:2012:540 – Lippens v Kortekaas, IPRax 2013, 262 (dazu O. Knöfel, S. 231) = JZ 2013, 97 (M. Teixeira de Sousa). 207 J. Daoudi, S. 138 ff. 208 OLG Hamm, FamRZ 2000, 989.
595
§ 9 Rz. 9.158 | Internationale Beweisaufnahmen
VI. Bilaterale Besonderheiten 1. Deutsch-türkisches Abkommen v. 28.5.1929
9.158 Zum deutsch-türkischen Abkommen v. 28.5.1929 über den Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen209 s. Rz. 8.158. 2. Deutsch-griechisches Abkommen v. 11.5.1938
9.159 Zum deutsch-griechischen Abkommen v. 11.5.1938 über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts210 s. Rz. 8.159 ff. 9.160 Im Übrigen enthalten beide Abkommen die Möglichkeit, dass Ersuchen um Vernehmung eigener Staatsangehöriger, die sich im Gebiet des anderen Staats befinden, durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter ohne Anwendung von Zwang erledigt werden. 3. Deutsch-britisches Abkommen v. 20.3.1928 über den Rechtsverkehr
9.161 Geltungsbereich. Dieses Abkommen211 ist deshalb von großer Bedeutung, weil es nicht nur für das Vereinigte Königreich gilt, sondern auch für Staaten, deren internationale Beziehungen früher das Vereinigte Königreich wahrgenommen hat. Das Abkommen gilt danach heute für zahlreiche selbständige Staaten (s. Rz. 7.15).212 9.162 Ersuchen um Beweisaufnahmen. Das deutsch-britische Abkommen eröffnet verschiedene Übermittlungswege und verschiedene Arten der Durchführung von Beweisaufnahmen in dem ersuchten Land. Der in Art. 9 aufgezeichnete Weg entspricht dem der Zustellungen nach Art. 3. Das Rechtshilfeersuchen ist in Deutschland zu übermitteln durch einen britischen konsularischen Beamten an den zuständigen Präsidenten des deutschen LG, in England durch einen diplomatischen oder konsularischen Beamten an den Senior Master des „Supreme Court of Judicature“. Die Erledigung des Rechtshilfeersuchens kann aus denselben Gründen abgelehnt werden, wie nach dem HZÜ 1954 (s. Rz. 9.117). 9.163 Ebenso wie nach dem Haager Übereinkommen wird bei der Erledigung des Rechtshilfeersuchens grds. das Recht des ersuchten Staats angewendet. Die ersuchende Behörde bzw. das Gericht kann die Erledigung nach einem besonderen Verfahren, d.h. nach der lex fori des Prozessgerichts, beantragen. Diesem Antrag wird stattgegeben, wenn dieses Verfahren der Gesetzgebung des ersuchten Landes nicht zuwiderläuft. Die prägende Kraft des Haager Übereinkommens ist unverkennbar. Hat ein englischer Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet,213 so kann er auf Ersuchen des Prozessgerichts (§ 363 ZPO) vom englischen Gericht gem. Art. 9 II 209 210 211 212 213
596
RGBl. 1930 II, 6. RGBl. 1939 II, 848. RGBl. 1928 II, 623. Vgl. E. Jayme/R. Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 228 Fn. 2. Vgl. BGH, IPRax 1981, 57.
VI. Bilaterale Besonderheiten | Rz. 9.166 § 9
HBÜ und § 411 III ZPO zur Erläuterung des Gutachtens vernommen werden, selbst wenn die Voraussetzungen für eine mündliche Anhörung nach CPR r 35.5 nicht vorliegen. Es ist nicht erstaunlich, dass die Engländer grds. Beweisaufnahmen „in open court“, d.h. vor dem Prozessgericht in öffentlicher Verhandlung wünschen. Hierin unterscheiden sie sich nicht von dem kontinental-europäischen Beweissystem, denn auch dieses sieht in der Rechtshilfe nur eine Ausnahme, bei der die tragenden Grundsätze des Prozessrechts, die Öffentlichkeit und die Unmittelbarkeit verletzt werden. Der Beweisaufnahme im Wege der Rechtshilfe gegenüber sind die Engländer jedoch weit argwöhnischer als ihre Kollegen auf dem europäischen Kontinent. Vor allem misstrauen sie dem Beweisverfahren in den kontinental-europäischen Ländern, weil das Kreuzverhör dabei nicht angewendet wird.214
9.164
Darauf beruht die Vorstellung, dass Beweise grundsätzlich ebenso wie im trial erhoben werden sollen (CPR 34.9 [1]). Doch kann eine Partei beantragen, dass der Zeuge vor dem trial durch den Richter oder einen examiner per „deposition“ vernommen wird (CPR 34.8). Hält sich der Zeuge außerhalb des Jurisdiktionsbezirks auf, kann der Erlass eines „letter of request“ beantragt werden (CPR 34.13). Soll der Beweis in Ländern erhoben werden, mit denen das Vereinigte Königreich Rechtshilfeverträge abgeschlossen hat, werden häufig britische Konsuln als „special examiners“ beauftragt. Im Übrigen können im Ausland lebende Zeugen ihre Aussagen auch schriftlich mit der eidlichen Versicherung, dass ihre Angaben wahr seien, in „affidavits“ abgeben. Diese müssen vor einem „commissioner of oaths“ beschworen werden.215 Ersuchen um Beweisaufnahmen an eine ausländische Behörde bzw. ein ausländisches Gericht sind offenbar so unbeliebt, dass sie quantitativ kaum ins Gewicht fallen.216
9.165
Diesen Gegebenheiten trägt das deutsch-britische Abkommen Rechnung. Art. 11 des Abkommens sieht vor, dass Beweisaufnahmen ohne Mitwirkung von Behörden des Landes, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll, durch diplomatische oder konsularische Vertreter erfolgen. Hierbei wird auf englischer Seite der Konsul zum „special examiner“ bestimmt.217 Im Gegensatz zum Haager Übereinkommen ist diese Möglichkeit viel weiter ausgebaut. So können die Auslandsvertreter nicht nur Angehörige ihres Entsendestaats oder eines dritten Staats als Zeugen hören, sondern auch die Staatsangehörigen ihres Aufenthaltsstaats. Britische „special examiners“ können also auch deutsche Staatsangehörige auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vernehmen, wie auch die deutschen Auslandsvertreter im Vereinigten Königreich britische Staatsangehörige als Zeugen hören können.218 Art. 11 lit. c sieht
9.166
214 In re Boyse (1882) 20 Chap. D. 760 hat sich das englische Gericht geweigert, das im Wege der Rechtshilfe erzielte Beweisergebnis zu verwerten, weil das Kreuzverhör nicht angewendet worden war. 215 Vgl. auch „Commissioners for Oaths Act 1889“, 52 & 53 Vict. c10. Special examiners oder Commissioners for oaths können auch sein: barristers, solicitors, attorneys. 216 Nach B. A. Harwood, ICLQ 1961, 284, 292, wurden 1958 nur 3, 1959 nur 6, 1960 nur 3 „Letters of Request“ v englischen High Court erlassen. 217 B. A. Harwood, ICLQ 1961, 284, 290. 218 E. Geimer, S. 108 f.
597
§ 9 Rz. 9.166 | Internationale Beweisaufnahmen
ausdrücklich vor, dass die jeweiligen Beweisaufnahmen nach dem Recht des Prozessgerichts (des Landes, in dem sie Verwendung finden soll) vorgenommen werden.
9.167 Art. 12 des Abkommens sieht noch einen dritten Weg für Rechtshilfeersuchen vor. Danach wird das Ersuchen an das zuständige Gericht des ersuchten Staats gerichtet, mit der Bitte, die Beweisaufnahme von einem diplomatischen oder konsularischen Beamten des ersuchenden Landes vornehmen zu lassen. Dieser Weg bietet sich an, wenn die zu vernehmenden Personen nicht freiwillig vor den Auslandsvertretern erscheinen und nicht zur Aussage bereit sind. Das ersuchte Gericht stellt in diesem Fall seine Zwangsmaßnahmen zur Verfügung. Jedoch können von dem ersuchten Gericht Zwangsmaßnahmen nur nach seinem Recht und nur gegen Staatsangehörige des ersuchenden Staats vorgenommen werden. „Special examiners“ können also deutsche Staatsangehörige in Deutschland nicht durch ein ersuchtes deutsches Gericht zwingen, vor ihnen zu erscheinen und auszusagen. 9.168 Im Verhältnis zu Schottland werden deutsche Ersuchen um Beweisaufnahmen vom deutschen Konsul in Edinburgh ebenfalls an das „Crown Office“ gerichtet. Der „Crown Agent“ wendet sich an den „Court of Session“, um einen „Commissioner“ ernennen zu lassen. Dieser ist in der Praxis in allen Fällen ein „Sherriff“ (seine Stellung ist der eines deutschen Landgerichtspräsidenten vergleichbar). Dieser wendet, sofern keine besondere Form gewünscht wird, bei der Beweisaufnahme die schottischen Prozessvorschriften an. Außerdem kann in Schottland die Beweisaufnahme durch den deutschen Konsul erfolgen. Dieser darf alle Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vernehmen. Es sind keine Fälle bekannt geworden, dass deutschen Ersuchen um Zustellung oder um Beweisaufnahmen nicht entsprochen worden ist.219 4. Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966
9.169 Für Rechtshilfeersuchen um Beweisaufnahmen oder andere gerichtliche Handlungen ist in diesem Vertrag220 derselbe Übermittlungsweg wie für Zustellungsanträge vorgesehen (Art. 19). Das ersuchte Gericht hat das Ersuchen grds. nach seinen Verfahrensvorschriften auszuführen. Ebenso wie bei dem Haager Übereinkommen ist die Klausel vorgesehen, dass einer besonderen Form entsprochen werden kann, sofern diese Form dem Recht des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft. Es sind dieselben Ablehnungsgründe in Art. 22 aufgeführt worden, wie sie das Übereinkommen enthält: die Echtheit des Ersuchens; der Fall, dass die Erledigung nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt; die Gefährdung der Hoheitsrechte oder der Sicherheit des ersuchten Staats. Eine auch den Zustellungsanträgen entsprechende Neuerung bringt nur Art. 22 II, wonach Rechtshilfeersuchen nicht deshalb abgelehnt werden dürfen, weil der ersuchte Staat für die Sache, in der das Rechtshilfeersuchen gestellt wird, die ausschließliche Zuständigkeit für seine Gerichte in Anspruch nimmt oder weil sein Recht ein Ver219 Vgl. H. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, S. 86. 220 BGBl. 1969 II, 889.
598
VI. Bilaterale Besonderheiten | Rz. 9.175 § 9
fahren dieser Art nicht kennt. Danach müsste ein deutsches Ersuchen um uneidliche Parteivernehmung in Tunesien auch dann durchgeführt werden, wenn dieses Beweismittel der tunesischen ZPO fremd ist. Schließlich können die eigenen Staatsangehörigen von den Auslandsvertretungen ohne Anwendung von Zwang vernommen werden. Hierfür ist in Art. 26 Satz 2 auch der Satz angefügt, dass, wenn für die Beurteilung der zu vernehmenden Person verschiedene Rechte in Betracht kommen, das Recht des Staats maßgebend ist, in dem das Rechtshilfeersuchen ausgeführt werden soll.
9.170
5. Deutsch-marokkanischer Vertrag über internationale Rechtshilfe v. 29.10.1985 Dieser Vertrag221 verkürzt den Übermittlungsweg für Ersuchen von den Landesjustizverwaltungen zum Justizministerium in Rabat und umgekehrt und sieht den unmittelbaren Verkehr zwischen den Ministerien vor (Art. 3 I; 11 des Vertrags).
9.171
Neu ist die Vorschrift, dass die ersuchte Behörde/Gericht die richtige Anschrift des Zeugen oder Empfängers des Schriftstücks ermitteln soll (Art. 31 II des Vertrags). 6. Beweisaufnahmen in europäischen Kleinstaaten Zwischen Deutschland und Andorra, Liechtenstein, Monaco sowie San Marino bestehen keine Rechtshilfeverträge.
9.172
a) Mit Andorra wird diese jedoch auf der Grundlage der Gegenseitigkeit geleistet. Die deutsche Botschaft in Madrid leitet Ersuchen um Beweisaufnahmen an den Präsidenten des Tribunal de Battles in Andorra weiter. b) Aufgrund eines Notenwechsels v. 17.2. und 29.5.1958 mit Liechtenstein ist für Beweisaufnahmen der unmittelbare Behördenweg zugelassen (Bek. v. 25.3.1959, BAnz. Nr. 73/59). Deutsche Ersuchen gehen über die Prüfstelle (Präsident des Amtsoder LG) unmittelbar an das LG in Vaduz (ZRHO Länderteil, Liechtenstein). Eine Beweisaufnahme durch Beauftragte (Art. 17 HBÜ) ist nur mit Genehmigung der Regierung in Liechtenstein zulässig.
9.173
c) Ersuchen um Beweisaufnahmen werden über die Prüfstelle an die Zentrale Behörde Monacos, die „Direction des Services Iudiciaires“ weitergeleitet. Formlose Vernehmungen von deutschen Staatsangehörigen kann auch der deutsche Generalkonsul in Marseille vornehmen (ZRHO Länderteil, Monaco). Monaco ist dem Haager Beweisübereinkommen beigetreten.222
9.174
d) Deutsche Ersuchen um Beweisaufnahmen werden über die Prüfungsstelle und das deutsche Generalkonsulat in Mailand auf dem Postweg an das zuständige Gericht der Republik San Marino weitergeleitet. Das deutsche Generalkonsulat in Mailand darf insoweit keine Beweise erheben.
9.175
221 BGBl. 1988 II, 1055. Der Vertrag ist am 23.6.1994 in Kraft getreten (BGBl. 1994 II 1192). 222 BGBl. 1986 II, 1135.
599
§ 10 Internationales Beweisrecht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beweisverfahren und lex fori . . . 3. Prozessuale und vorprozessuale Aufklärungs- und Informationspflichten (discovery) . . . . . . . . . . . a) Beweismittelvorlage zum Schutz geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . b) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) England, Schottland . . . . . . . . . . . d) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Notwendigkeit und Zulässigkeit der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . 1. Recht auf den Beweis . . . . . . . . . . 2. Prozessuale Beweisbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materielle Qualifikation ausländischer Beweisbeschränkungen . 4. Beweisbedürftigkeit . . . . . . . . . . . 5. Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Selbständige Beweisaufnahme . . 7. Beweisthemenverbote . . . . . . . . . 8. Verwertung erlangter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unerlaubt erlangte Beweismittel b) Zulässigerweise erlangte Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweiswürdigung und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.1 10.1 10.2 10.17 10.19 10.22 10.30 10.36 10.37 10.39 10.43 10.43 10.45 10.46 10.48 10.49 10.51 10.52 10.57 10.57 10.58
1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.59 2. Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.60 3. Freie Beweiswürdigung . . . . . . . . 10.63 4. Allgemeine Regeln über die Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.74 5. Beweislastumkehr als Folge pflichtwidrigen prozessualen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.81 6. Beweisführungslast . . . . . . . . . . . . 10.82 IV. Die einzelnen Beweismittel . . . . 10.83 1. Der Beweis durch Zeugen . . . . . . 10.83 a) Zeugenfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . 10.83 b) Zeugnisverweigerungsrecht, Privilegien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.104 c) Art und Weise der Aussage . . . . 10.114 2. Parteivernehmung, Parteieid, gerichtliches Geständnis . . . . . . . . . 10.116 a) Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . 10.116 b) Vorrang der Parteivernehmung . 10.117 c) Parteieid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.121 d) Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.123 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.128 3. Der Beweis durch Urkunden . . . 10.130 a) Die Beweiskraft von Urkunden . 10.131 b) Die prozessuale und die materiellrechtliche Vorlagepflicht von Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.153 4. Der Beweis durch Augenschein . 10.177 5. Der Beweis durch Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.196
10.59
I. Einführung 1. Schrifttum 10.1 N. Andrews, The pursuit of truth in modern English civil proceedings, ZZPInt 8 (2003), 69;
H. Batiffol/P. Lagarde, Traité de droit international privé, Bd. 1, 8. Aufl. 1993, Bd. 2, 7. Aufl. 1983; A. Bareiß, Pflichtenkollisionen im transnationalen Beweisverkehr, 2014; J. Beardsley, Proof of Fact in French Civil Procedure, AmJCompL 34 (1986), 459; K. Beys, Grundzüge des hellenischen zivilprozessualen Beweisrechts, Dike Int. 1984, 161; Th. v. Bodungen/Th. Jestaedt,
600
I. Einführung | Rz. 10.1 § 10 Deutsche Bedenken gegen ein „discovery“ mit extraterritorialen Wirkungen im US-Prozess, FS Stiefel, 1987, S. 65; K. Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, Diss Bonn 1984; A. Bücken, Internationales Beweisrecht im Europäischen internationalen Schuldrecht, 2016; L. Cadiet, Observations sur l’internationalisation du droit de la preuve, Studi in onore di G. Tarzia, 2005, S. 305; L. Cadiet/E. Jeuland, Droit judiciaire privé, 10. Aufl. 2017; S. Chiarloni, The Value of Witness Evidence in Italian Law, in Italian National Reports to the XIIth Intern. Congress of Comparative Law, 1994, S. 209; D. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983; D. Coester-Waltjen, US-amerikanische discovery – Probleme in neuem Gewand, FS Kerameus, Athen 2009, S. 257; R. Cross and N. Wilkins, Outline of the Law of Evidence, 7th ed. London, 1996; G. v. Craushaar, Die internationalrechtliche Anwendbarkeit deutscher Prozessnormen, österreichisches Erbrecht im deutschen Verfahren, 1961; M. Damaška, Evidence Law Adrift, 1997; J. Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess, 2000; H. Dolinar, Der Sachverständigenbeweis – eine rechtsvergleichende Analyse, FS Sprung, 2001, S. 117; W. Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269; D. Edward, J. Godard, P. Gottwald u.a., Fact-Finding – How Systems Differ, in Carey Miller & Beaumont, The Option of Litigation in Europe, 1993, 43 ff.; F. Ferrand, The respective role of the judge and the parties in the preparation of the case in France, in Trocker/ Varano, The reform of civil procedure in comparative perspective, 2005, S. 7; E. Fongaro, La loi applicable à la preuve en droit international privé, 2004; R. Frank, Die zwangsweise körperliche Untersuchung zur Feststellung der Abstammung, FamRZ 1995, 975; F. Freitag, Der Beweiswert ausländischer Urkunden vor dem deutschen Standesbeamten, StAZ 2012, 161; P. Frey, Anwendung ausländischer Beweismittelvorschriften durch deutsche Gerichte, NJW 1972, 1602; R. Friedman, The elements of evidence, 4. Aufl. St. Paul 2017; D. Gerber, Extraterritorial discovery and the Conflict of Procedural Systems: Germany and the United States, AmJCompL 34 (1986), 745; P. Glenn, Foreign Bank Secrecy in Canadian Courts, IPRax 1998, 394; St. Goldstein, Compelling Medical Examinations of Litigants, Israel L.Rev. 21 (1986), 142; P. Gottwald, Grenzen zivilgerichtlicher Maßnahmen mit Auslandswirkung, FS Habscheid, 1989, S. 119; P. Gottwald, The culture and science of gathering information and prooftaking, in Gilles/Pfeiffer, Prozessrecht und Rechtskulturen, 2004, S. 53; M. Graham, Handbook of Federal Evidence, 8th ed, St. Paul 2016; Th. Groud, La preuve en droit international privé français, 2000; W. Habscheid, Zum Recht auf einen fairen Prozess aus Schweizer Sicht, FS Benda, 1995, S. 105; P. Herzog, The Probative Value of Testimony in Private Law, AmJCompL 42 Suppl (1994), 275; T. Hodgkinson, Expert evidence: Law and Practice, London 4. Aufl. 2015; St. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren – am Beispiel der Dokumentenvorlage, 2007; A. Huet, Les conflits de lois en matière de preuve, 1965; A. Huet, Procédure civile et commerciale dans les rapports internationaux, Domaine de la „lex fori“, instance, Juris-Cl. Procédure civile Fasc. 57–20, 2001; D. Jakob, Die Beweiskraft von Privaturkunden im italienischen Zivilprozess, ZZPInt 8 (2003), 245; K. Jander/K. Stubbe, Beweisermittlung im Ausland, WiB 1996, 201; A. Junker, Der deutsch-amerikanische Rechtsverkehr in Zivilsachen, JZ 1989, 121; M. Kersting, Der Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses im Zivilprozess, 1995; Ch. Kessel, Grundsätze des englischen Zivilprozessrechts, ZVglRWiss 92 (1993), 395; K. Knoppek, Bemerkungen über das Zeugnisverweigerungsrecht und das Antwortverweigerungsrecht im polnischen Zivilprozess, ZZP 103 (1990), 53; J. Kraayvanger/M. Richter, Die US-amerikanische Beweishilfe nach der Intel-Entscheidung des Supreme Court, RIW 2007, 177; K. Kreuzer/R. Wagner, Europäisches Internationales Verfahrensrecht, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, 2000, Teil Q; H. Kronke, Der Beweis im UNIDROIT/ALI-Projekt „Transnational Principles of Civil Procedure“, in Böckstiegel, Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001, S. 77; I. de Lamberterie, La valeur probatoire des documents informatiques dans les pays de la CEE, RIDC 3–1992, 641; G. Langhein, Kollisionsrecht der Registerurkunden, Rpfleger 1996, 45; K.-G. Loritz, Transnationales Streitverfahren und Beweisrecht, in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 141; P. Mankowski, Auslandszeugen, Prozesstaktik, Videovernehmung und weitere Optionen, RIW 2014,
601
§ 10 Rz. 10.1 | Internationales Beweisrecht 397; Ch. McCormick On Evidence, 6th ed. 2006; C. K. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht, 1990; G. Morelli, Studi di diritto processuale civile internazionale, 1961; I. Mori, The Difference between US Discovery and Japanese Taking of Evidence, Int.Lawyer 23 (1989), 3; H. Nagel/E.-M. Bajons, Beweisrecht, eine rechtsvergleichende Studie, 2. Aufl. 2002; P. H. Neuhaus, Internationales Zivilprozessrecht und internationales Privatrecht, eine Skizze, RabelsZ 1955, 201; K. Neumeyer, Der Beweis im IPR, RabelsZ 43 (1979), 225; H. Niederländer, Materielles Recht und Verfahrensrecht im internationalen Privatrecht, RabelsZ 1955, 1; G. Nigg, Das Beweisrecht bei internationalen Privatrechtsstreitigkeiten, 1999; St. Nolte, Betriebliche Dokumentation und Beweismittelvernichtung in amerikanisch-deutschen Wirtschaftsprozessen, 1996; W. Osthaus, Informationszugang für den internationalen Prozess zwischen lex fori und lex causae, 2005; R. Perrot, Le droit à la preuve, in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung, 1983, S. 91; S. Phipson On Evidence, London, 18th ed. 20150; R. Pohle, Zur Beweislast im internationalen Recht, FS Dölle, Bd 2, 1963, S. 317; J. Poll, Beweisführung und Beweislast im deutschen und anglo-amerikanischen Anwaltshaftungsprozess, ZVerglRWiss 94 (1995), 237; A. Rempp/M. Lienemeyer, Auswirkungen der Änderungen der US-amerikanischen „Rules of Civil Procedure“ unter Berücksichtigung des deutsch-amerikanischen Rechtsverkehrs, ZVerglRWiss 94 (1995), 383; H. Rüßmann, Moderne Elektroniktechnologie und Informationsbeschaffung im Zivilprozess, in Schlosser, Die Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, 1996, S. 137; A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996; P. Schlosser, Französische Anregungen zur Urkundenvorlagepflicht nach § 142 ZPO, FS Sonnenberger, 2004, S. 135; P. Schlosser, Verwertungsbeschränkungen bei Informationen, die im Rahmen eines Zivilprozesses erlangt wurden, FS Vollkommer, 2006, S. 217; A. Schmidt, Der Beweis des Versicherungsfalls im deutschen, U.S.-amerikanischen und englischen Recht, 2011; M. Schoch, Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Lichte des internationalen Rechts, 1934; D. Schüssler-Langeheine, Beweiserleichterungen im japanischen Schadenersatzrecht, 2004; D. Siegel/P. Connors, New York Practice, 6th ed. 2018; U. Spellenberg, Der Beweis durch rechtsgeschäftliche Urkunden im deutschen und französischen Recht, FS W. Berg, 2011, S. 360; R. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976; R. Stürner, US-amerikanisches und europäisches Verfahrensverständnis, FS Stiefel, 1987, S. 763; R. Stürner, Die prozessuale Untersuchungspflicht (§ 372a ZPO) der Partei im Ausland, JZ 1987, 607; R. Stürner, Der Sachverständigenbeweis im Zivilprozess der Europäischen Union, FS Sandrock, 2000, S. 959; R. Stürner, Beweislastverteilung und Beweisführungslast in einem harmonisierten europäischen Zivilprozess, FS H. Stoll, 2001, S. 691; R. Stürner, Die Partei als Beweismittel im europäischen Zivilprozess, FS Ishikawa, 2001, S. 529; R. Stürner, Current Developments of the Law of Evidence from a Comparative Point of View, in La prueba en el proceso, Barcelona, 2018, S. 49; J. Teske, Der Urkundenbeweis im französischen und deutschen Zivil- und Zivilprozessrecht, 1990; S. Timmerbeil, Witness coaching und adversary system, 2004; D. Tiwisna, Sachverständigenbeweis im deutschen und englischen Zivilprozess, 2005; W. Twining/A. Stein, Evidence and Proof, 1992; W. de Vos/W. Rechberger, Transnational litigation and the evolution of the law of evidence, in Andolina, Transnational Aspects of Procedure Law, 1998, S. 685; G. Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, 441; H. U. Walder, Zur Normqualifikation im Beweisrecht, FS Henckel, 1995, S. 905; G. Walter, Freie Beweiswürdigung, 1979; G. Wegen, Witness Conferencing Revisited, FS Schütze, 2015, S. 691; J. Weichbrodt, Der verbotene Beweis im Straf- und Zivilprozess, 2012; N. Yamanouchi/S. Cohen, Understanding the Incidence of Litigation in Japan, Intern. Lawyer 25 (1991), 443.
2. Beweisverfahren und lex fori
10.2 Das Beweisverfahren bildet einen Schwerpunkt innerhalb eines jeden Zivilprozesses. Deshalb ist zu untersuchen, ob und inwieweit ausländische Beweisrechte Auswirkun602
I. Einführung | Rz. 10.4 § 10
gen auf den deutschen Zivilprozess haben. Von größerer Bedeutung ist die Kenntnis der Grundzüge des ausländischen Beweisrechts, wenn ein Deutscher im Ausland klagen muss. Wie generell das Verfahrensrecht wird das Beweisrecht von der lex fori beherrscht.1 Zur Rechtfertigung wird auf den hoheitlichen Charakter des Gerichtsverfahrens und das Territorialitätsprinzip, teilweise gar auf ordre public-Erwägungen verwiesen.2 Indes gelten diese Gründe auch für die materielle Rechtsanwendung, ohne eine Anwendung ausländischen Rechts aufgrund von Kollisionsnormen auszuschließen. Die Maßgeblichkeit der lex fori im Beweisrecht folgt daher stärker aus reinen Praktikabilitätserwägungen. Gerichte und Anwälte wären vielfach mit der Anwendung fremden Verfahrensrechts überfordert. Sie würden, wenn sie nach fremdem Recht handeln müssten, zu langsam oder unsicher und mit Verlust an Würde verfahren.3 Das RG hatte diese Ansicht schon früh formuliert: es müsse unterschieden werden zwischen dem Inhalt der Privatrechte und der Art ihrer gerichtlichen Geltendmachung. Die Regeln, die in letzterer Beziehung im Ausland beständen, seien für den deutschen Richter, der nur sein heimisches Prozessrecht anzuwenden habe, nicht maßgebend.4 Über die Zulässigkeit von Beweismitteln und die Art und Weise, wie die einzelnen Beweise zu erheben sind, entscheidet also die lex fori. Die vorwiegend pragmatische Rechtfertigung der Anwendung der lex fori schließt nicht aus, dass die materiell-rechtlichen Auswirkungen des Beweisrechts beachtet und als Folge davon, soweit notwendig, auch ausländische Verfahrensregeln angewendet werden.5 Die Vorherrschaft von der lex fori im Beweisrecht beruht auch auf dessen territorialer Begrenzung. Eine Beweisaufnahme kann grds. nur im Inland erfolgen, Zeugen und Sachverständige können grds. nur im Inland geladen werden. Zwangsmaßnahmen gegen diese sind nur im Inland möglich. Das Beweisrecht unterscheidet sich also wesentlich von dem übrigen Prozessrecht, denn dieses wird von den beiden sich überschneidenden Grundsätzen des Territorialitäts- und des Personalitätsprinzips beherrscht. Letzteres wirkt sich z.B. hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit aus. Verfahrensrechtliche Kollisionsnormen lassen sich hinsichtlich der Partei- und Prozessfähigkeit von Ausländern feststellen. Demgegenüber scheinen die verschiedenen Beweisrechte der Staaten sich grds. nicht zu überschneiden. Dieser Grundsatz wird jedoch im Bereich der internationalen Rechtshilfe durchbrochen (s. Rz. 9.21 ff., 9.56, 9.76). Von dem Rechtshilfegericht kann nach einem anderen als dem heimischen Beweisrecht verfahren werden.
10.3
Die Zulässigkeit einer Beweisaufnahme im Ausland regeln die §§ 363, 364 ZPO, die Europäische Beweisverordnung und das Haager Beweisübereinkommen.6 Die Verwertbarkeit der im Ausland erhobenen Beweise richtet sich nach § 369 ZPO. Sie sind danach verwertbar, wenn sie entweder dem Recht des Aufnahmestaats oder dem
10.4
1 D. Coester-Waltjen, Rz. 83 ff., 102 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2260; M. Schoch, S. 133 ff.; W. Osthaus, S. 193 ff. 2 Vgl. D. Coester-Waltjen, Rz. 103 ff., 110 ff. 3 Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, § 22 III (S. 1055); H. Schack, IZVR, Rz. 735 f. 4 RGZ 46, 199; so auch E. Riezler, IZPR, S. 470; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 6 Rz. 2. 5 D. Coester-Waltjen, Rz. 168 ff. 6 Dazu eingehend A. Schabenberger, Der Zeuge im Ausland, 1996.
603
§ 10 Rz. 10.4 | Internationales Beweisrecht
deutschen Recht entsprechen. Genügt die Beweisaufnahme keiner der in Frage kommenden Rechtsordnungen, so kann der Mangel gem. § 295 I ZPO geheilt werden. Auch eine mangelhafte Beweisaufnahme kann nach § 286 ZPO frei gewürdigt werden.7
10.5 Das Beweisverfahren wird überall grds. der lex fori unterstellt.8 Eine generelle Wahl des anwendbaren Beweisrechts durch die Parteien scheidet aus.9 Dementsprechend ist „evidence“ in England „a matter for the law of the forum“. „Whether a witness is competent or not, whether a certain matter requires to be proved by writing or not, whether certain evidence proves a certain fact or not, that is to determined by the law of the country where the question arises.“10 Nach Cheshire, North & Fawcett „it is obvious that those principles must usually apply whether the question at issue is domestic or foreign in origin.“11
10.6 Der deutschen und anglo-amerikanischen Auffassung, dass über die Zulässigkeit von Beweismitteln die lex fori entscheidet und die Art des Beweisverfahrens (Strengbeweis – Freibeweis),12 entsprechen auch andere Prozessgesetze wie z.B. die von Spanien oder Schweden. 10.7 Im Gegensatz dazu betrachtet man in Frankreich (im autonomen Recht) die Frage nach der Zulässigkeit des Beweises – admissibilité de la preuve – nicht als eine solche des Prozessrechts, sondern sieht sie als eng mit dem materiellen Recht verknüpft.13 Deshalb mag es verständlich werden, wenn nicht das französische Prozessrecht, sondern der Art. 1341 c.c. nach dem historischen Vorbild der Ordonnanz von Moulins aus dem Jahre 1566 den Zeugenbeweis bei Verträgen, die über den Wert von 1500 € hinausgehen, ausschließt.14 Hierbei steht im Gegensatz zum deutschen Recht nicht die Frage nach der Form (Schriftform), sondern die nach der Unzulässigkeit des Zeugenbeweises im Vordergrund. Allerdings hat die Regel heute geringere Bedeutung als früher. Nach Art. 1341 II c.c. gilt sie nicht im Handelsverkehr,15 so dass kein Widerspruch zur Rom I-VO und zum CISG besteht, deren Vertragspartei Frankreich ist. Außerdem gilt Art. 1341 I c. c. nur zwischen den Vertragsparteien, nicht bei einer Beweisführung durch einen
7 Ch. Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen, 1987, S. 336. 8 R. Geimer, IZPR, Rz. 2267a ff; D. Coester-Waltjen, Rz. 402 ff. 9 D. Coester-Waltjen, Rz. 194 ff. 10 Bain v Whitehaven Ry. (1850) 3 HLC. 1, 19; S. Phipson, On Evidence, 16th ed. 2005, No. 1–20. 11 Private Intern. Law, 15th ed. 2017, p. 80. 12 Vgl. H. Schack, IVZR, Rz. 757; R. Geimer, IZPR, Rz. 2302 ff. 13 Vgl. H. Batiffol/P. Lagarde, no. 707. 14 Décret 80–533 du 15 Juillet 1980; modifié par Décret 2004–836 du 20 Août 2004; E. Jeuland, Le changement de rôle des temoins ... en France, in Walker/Chase, Common Law Civil Law ..., 2010, p. 193, 195. 15 Vgl. Dalloz, Code civil, 104. Aufl. 2005, Art. 1341 cc N. 18 ff.
604
I. Einführung | Rz. 10.12 § 10
Dritten.16 Schließlich können die Prozessparteien über das Beweisverbot disponieren; es wird nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge der Gegenpartei beachtet.17 Der traditionellen französischen Lösung folgt das griechische Recht. Nach Art. 393 gr ZPGB (i.d.F. des Gesetzes 2915/2001) können Verträge, deren Wert 5869 € übersteigt, nicht durch Zeugen bewiesen werden.18
10.8
Italien ist das klassische Land, in dem der Beweis als ein integrierendes Element der Obligation angesehen worden ist – „la prova è un elemento integrante dell´obligazione“.19 Diese Auffassung kam in Art. 10 II der „disposizioni preliminari“ zum italienischen c.c. von 1865 deutlich zum Ausdruck: „I mezzi di prova delle obligazioni sono determinati dalle leggi del luogo in cui l´atto fu fatto.“ Damit war man der Tradition der italienischen Rechtsschule gefolgt, denn schon Bartolus stellte auf das Ortsrecht, nicht auf die lex fori ab.20 Umso erstaunlicher ist es, dass in dem Land, in dem früher das Beweisrecht dem materiellen Recht zu folgen schien, heute die lex fori weitgehend obsiegt hat. Zwar kennen auch die Italiener die Regel, nach der Verträge über einen bestimmten Wert nur durch Urkunden bewiesen werden können. Die Rechtsprechung hat diese Vorschrift weitgehend ausgehöhlt, indem man Rücksicht auf die Parteien, die Verträge und die ganzen Umstände nimmt. Danach haben die Richter eine Ermessensfreiheit, den Zeugenbeweis zuzulassen. Die Ausnahme ist praktisch schon zur Regel geworden, so dass kein Anlass mehr besteht, auf die „lex loci contractus“ zurückzugreifen.21
10.9
Wenn danach auch wegen der Zulässigkeit der Beweismittel grds. auf die lex fori abgestellt wird, so sollte nicht übersehen werden, dass es immer noch eine weitverbreitete Meinung gibt, die die lex causae bevorzugt.22 Niederländer23 wollte die Zulässigkeit der Beweismittel grds. nach der lex causae entscheiden. Dabei übersah er aber, dass es sich z.B. bei dem Zeugnisverweigerungsrecht sowohl um eine Zulässigkeitsals auch um eine öffentlich-rechtliche Schutzvorschrift handelt. Auch Neuhaus24 wollte die Beschränkungen der Beweisführung als Zubehör des materiellen Rechts behandelt wissen und lehnte eine Entscheidung nach der lex fori ab.
10.10
Die neueren vertragsrechtlichen Lösungen versuchen, die Qualifikationsfrage zu überbrücken, und sprechen sich für ein „sowohl – als auch“ aus; das Vertrauen auf eine fehlende Beweisbarkeit wird nicht mehr als schützenswert angesehen (s. Rz. 10.40).
10.11
Nach Art. 18 II Rom I-VO können zum Beweis eines Rechtsgeschäfts alle Beweisarten (1) der lex fori, oder (2) des Vertragsstatuts oder der lex fori contractus vor-
10.12
16 17 18 19 20 21 22 23 24
Dalloz, Code civil, 104. Aufl. 2005, Art. 1341 N. 13 ff. Dalloz, Code civil, 104. Aufl. 2005, Art. 1341 N. 24 ff. Auskunft von A. Kaissis, Thessaloniki. Fiore, zitiert nach F. Meili, Das internationale Civilprozessrecht, 1906, S. 407. F. Gamillscheg, FS Wieacker, 1978, S. 235. M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, S. 217. Vgl. D. Coester-Waltjen, Rz. 443 ff., 460 ff., 520. H. Niederländer, RabelsZ 20 (1955), 51. P. H. Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 238.
605
§ 10 Rz. 10.12 | Internationales Beweisrecht
gebracht werden, sofern letztere vor dem angerufenen Gericht überhaupt erbracht werden können.25 Diese letztere Einschränkung hat in Deutschland insoweit Bedeutung, als eine Partei nicht als Zeuge, sondern nur subsidiär vernommen werden kann. Eine sachlich entsprechende Regel enthält das UN-Kaufrecht in Art. 11 Satz 2 CISG. Im Ergebnis setzt sich damit das liberalere Beweisrecht durch.26 Diese Regeln sollten über ihren direkten Anwendungsbereich hinaus generell angewendet werden.27
10.13 Seit der Übernahme des Römischen Vertragsübereinkommens in das englische Recht 1990 gilt dort auch die Lösung von Art. 11 I Rom I-VO (früher Art. 9 EVÜ), wonach der Vertrag gültig ist, wenn er nach dem Vertragsstatut oder dem Recht am Ort des Vertragsschlusses gültig ist.28 Beweisbeschränkungen für den Nachweis eines formlos geschlossenen Vertrags bestehen nicht. 10.14 Das rechtspolitische Ziel ist danach klar. Zumindest in internationalen Fällen sollte es keine Beweismittelbeschränkungen geben.29 10.15 Entsprechend sollte auch die parol evidence rule eine Beweiserhebung im Inland nicht einschränken. Nach dieser in common law-Staaten verbreiteten Regel kann die Behauptung, eine Urkunde entspreche nicht der wirklichen Vereinbarung, sie sei abgeändert oder ergänzt worden, nur durch Urkunden, nicht durch andere Beweismittel bewiesen werden (s. Rz. 10.150 f.).30 Teilweise wird dafür plädiert, die parol evidence rule im Rahmen der lex causae zu beachten.31 Art. 18 II Rom I-VO zeigt aber paradigmatisch, dass das Vertrauen auf Beweismittelbeschränkungen nicht schützenswert ist.32 10.16 In Italien ist diese Lösung ausdrücklich gesetzlich vorgesehen. Hier kann der Richter zum Beweis späterer mündlicher Vertragsänderungen oder -ergänzungen ausdrücklich den Zeugenbeweis zulassen (Art. 2273 c.c.). Ist eine ursprünglich vorhandene Urkunde verloren gegangen, können ihre Existenz und ihr Inhalt ebenfalls durch Zeugen bewiesen werden.33 3. Prozessuale und vorprozessuale Aufklärungs- und Informationspflichten (discovery)
10.17 Schrifttum: D. Adler, US-discovery und deutscher Patentverletzungsprozess, 2014; D. Adler.,
Is Discovery Necessary? Reflections on Pre-Trial Disclosure and Procedural Fairness, FS We25 Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, Vol. 2, 15th ed. 2012, Rule 221, no. 32-034 (p. 1795); R. Geimer, IZPR, Rz. 2303; krit. zu dieser Lösung D. Coester-Waltjen, Rz. 620. 26 Vgl. Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 18 Rom I-VO Rz. 28, 32, 39. 27 So wohl auch R. Geimer, IZPR, Rz. 2329; Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 18 Rom I-VO Rz. 34 f, 39 f. 28 Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, Vol 2, 15th ed. 2012, Rule 225 no. 32-121 et seq (p. 1846 ff.). 29 Rule 19 (a) Transnational Principles of Civil Procedure; vgl. H. Kronke, S. 77, 79. 30 Vgl. D. Coester-Waltjen, Rz. 521 ff. 31 R. Geimer, IZPR, Rz. 2329a; Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 18 Rom I-VO Rz. 38; D. Coester-Waltjen, Rz. 530 ff., 538. 32 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 757. 33 S. Chiarloni, The Value of Witness Evidence, S. 209, 227.
606
I. Einführung | Rz. 10.17 § 10 gen, 2015, S. 569; H.-J. Ahrens, Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie, FS M. Loschelder, 2010, S. 1; A. Bareiß, Pflichtenkollisionen im transnationalen Beweisverkehr, 2014; G. Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung, 2010; U. Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht, 2005, Rz. 404–491; G. Born/P. Rutledge, International civil litigation in United States Courts, Chap. 11, 6th ed. 2018; J.-H. Binder, Pflichten zur Offenlegung elektronisch gespeicherter Informationen im deutschen Zivilprozess am Beispiel der Unternehmensdokumentation, ZZP 122 (2009), 187; O. Bolthausen, Offenlegungspflichten deutscher Unternehmen in US „discovery proceedings“, MDR 2006, 1081; V. Brandt, Das englische Disclosure-Verfahren, 2013; M. Brinkmann, „Clash of Civilizations“ oder effektives Rechtshilfeinstrument? – Zur wachsenden Bedeutung von discovery orders nach Rule 28 U:S:C: § 1782 (a), IPRax 2015, 109; A. Bruns, Litigation on Intellectual Property in Europe, in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, Intellectual Property Litigation, Arbitration and Ordre public, 2011, S. 255; H. Buxbaum, Public regulation and private enforcement in a gobal economy (Chap. IV B Conflicts in the discovery of evidence), RdC 399 (2018), 267, 341 ff.; D. Coester-Waltjen, US-amerikanische Discovery – Probleme in neuem Gewand, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 257; M. Doughan, Deutsche Unternehmen und die US-amerikanische Discovery. 2019; E. Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwertung im inländischen Zivilprozess, 2002; E. Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmer, US-amerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89; E. Eschenfelder, Verwertbarkeit von Discovery-Ergebnissen in deutschen Zivilverfahren, RIW 2006, 443; R. Fazzone, E-Discovery, Unternehmensinterne Anlayse unstrukturierter Daten zur Aufklärung von Kartellverstößen, BB 2014, 1032; P. Flägel/J. von Georg, E-Discovery nach US-Zivilverfahrensrecht und deutsches Datenschutzrecht, RIW 2013, 439; M. Gehri, Are you ready for E-discovery?, FS Isaak Meier, 2015, S. 173; P. Hay, Informationsbeschaffung über schriftliche Unterlagen und Augenscheinsobjekte im Zivilprozess, in Schlosser, Die Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, 1996, S. 1; L. Idot, Access to Evidence and Files of Competition Authorities, in Basedow/Franq/Idot, International Antitrust Litigation, 2012, S. 259; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015; J. Jolowicz, Discovery of documents in the common law and forced production of documents in civil law systems, FS Kerameus, Athen 2009, S. 535; A. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987; A. Junker, Electronic discovery gegen deutsche Unternehmen, 2008; A. Junker, Die Informationsbeschaffung durch Beweispersonen, in Schlosser, Die Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, 1996, S. 63; A. Junker, Die Discovery-Reform des Jahres 1993, ZZPInt 1996, 235; R. Knaak, Die EG-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und ihr Umsetzungsbedarf im deutschen Recht, GRUR-Int. 2004, 745; St. Lorenz, Die Neuregelung der pre-trial-Discovery im US-amerikanischen Zivilprozessrecht, ZZP 111 (1998), 35; J. Lux/T. Glienke, US-Discovery vs. deutsches Datenschutzrecht, RIW 2010, 603; D. Maniotis, „Actio ad exhibendum“ for the protection of the right to proof according to Greek law and the focus of the recent European legislation ..., ZZPInt 22 (2017), 129; St. Mason, International electronic evidence, 2008; P. Matthews/H. Malek, Disclosure, 5th ed. 2017; M.-R. McGuire, Beweismittelvorlage und Auskunftsanspruch nach der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, GRUR-Int. 2005, 15; C. McLachlan, The Jurisdictional Limits of Disclosure Orders in Transnational Fraud Litigation, ICLQ 47 (1998), 3; Ch. Michailidou, Vorprozessuale Möglichkeiten zur Beweissammlung, Dike Intern 2008, 370; P. Murray, Taking Evidence Abroad – Understanding American Exceptionalism, ZZPInt 10 (2005), 343; T. Myers/Th. Valen/P. Weinreich, Die US-amerikanische Discovery als Rechtshilfe für ausländische und internationale Tribunale, RIW 2009, 196; P. Niehr, Die zivilprozessuale Dokumentenvorlegung im deutsch-englischen Rechtshilfeverkehr, 2004; W. Osthaus, Informationszugang für den internationalen Prozess zwischen lex fori und lex causae, 2005; Ch. Platto, Pre-Trial and Pre-Hearing Procedures Worldwide, 1990; H. Prütting, Geistiges Eigentum und Verfahrensrecht, insbesondere beweisrechtliche Fragen, FS Bartenbach, 2005, S. 417;
607
§ 10 Rz. 10.17 | Internationales Beweisrecht F. Reiling, Das US-amerikanische Discovery Verfahren im Rahmen deutscher gerichtlicher Auseinandersetzungen, 2016; M. Reimann, Beyond Fishing – Weitreichende Neuerungen im amerikanischen Discovery-Verfahren, IPRax 1994, 152; M. U. Reinartz, Die vorgerichtliche Beweishilfe im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 2009; O. Riechers, Europäisches Wettbewerbsverfahren und US-amerikanische Discovery, RIW 2005, 19; S. Roggenbuck, USamerikanische Discovery im deutschen Zivilprozess?, IPRax 1997, 76; L. Schaner/B. Scarbrough, Obtaining discovery in the USA for use in German legal proceedings, AnwBl. 2012, 320; P. Schlosser, Französische Anregungen zur Urkundenvorlagepflicht nach § 142 ZPO, FS Sonnenberger, 2004, S. 135; M. Schönknecht, Beweisbeschaffung in den USA zur Verwendung in deutschen Verfahren, GRUR-Int. 2011, 1000; D. Seichter, Die Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, WRP 2006, 391; J. Stempel, Ulysses tied to the generic whipping post: the continuing odyssey of discovery „reform“, Law & Contemp. Problems 64 (2001), 197; R. Stürner, Transnational Civil Procedure: Discovery und sanctions against non-compliance, Uniform L.Rev. 2001, 691; L. Sydow, Das Spannungsverhältnis zwischen e-Discovery und Datenschutzrecht, 2019; Ch. Thole/Ch. Gnauck, Electronic Discovery – neue Herausforderungen für grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten, RIW 2012, 417; N. Trocker, On the convergence of procedural systems: are Europeans discovering US discovery?, FS Kerameus, Bd 1, 2009, S. 1433; Th. Vogt Geisse, Aufklärung und Informationskontrolle im Zivilprozess, 2020; W. Voß, Rechtshilfe auf amerikanische Art – discovery ausländischer Beweismittel von ausländischen Antragsgegnern zur Verwendung in ausländischen Verfahren, IPRax 2020, 260; C.D. Wallace, ‚Extraterritorial‘ Discovery and U.S. Judicial Assistance, IntLawyer 37 (2003), 1055; M. Weiß, Disclosure und Inspection im englischen Zivilprozess – Hintergrund, Ausgestaltung und Durchführung, RIW 2014, 340; M. Yoshida, Die Beweisbeschaffung vor Klageeinreichung nach der japanischen Zivilprozessordnung, ZZPInt 9 (2004), 293; J. Zekoll, US-amerikanisches Produkthaftpflichtrecht vor deutschen Gerichten, 1987, S. 127 ff. (Discovery); A. Zuckerman, On civil procedure, 3rd ed. 2013.
10.18 Größere Unterschiede bestehen zwischen den Prozessrechten, inwieweit die Parteien schon vor Beginn eines förmlichen Beweisverfahrens verpflichtet sind, ihre Beweismittel unaufgefordert oder auf Antrag des Gegners bereits vor der mündlichen Verhandlung vorzulegen (discovery, disclosure), inwieweit sie selbst Auskunft geben müssen, oder ob sie grds. dem Gegner keine Aufklärung schulden.34 a) Beweismittelvorlage zum Schutz geistigen Eigentums
10.19 Damit eine Verletzung der Rechte geistigen Eigentums wirksam geändert werden kann, sehen sowohl Art. 43 TRIPS35 als Art. 6 RiLi 2004/48/EG v. 29.4.200436 die
34 Vgl. P. Gottwald, Die prozessuale Aufklärungspflicht im Rechtsvergleich, (Linzer) Beiträge zum Zivilprozessrecht, 1995, S. 3; R. Stürner, Die Aufklärungspflicht im Zivilprozess, 1976; J. Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1999; zur Schweiz s. I. Meier in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 1, 69 ff.; zu Japan: M. Yoshida, Die Informationsbeschaffung im Zivilprozess, 2001. Für eine materiellrechtliche Qualifikation der Informationszugangsrechte W. Osthaus, S. 221 ff., 262, 263 ff. 35 Vgl. W. Tilmann/M. Schreibauer, FS Erdmann, 2002, S. 901, 911 ff.; Th. Dreier, GRURInt. 1996, 205, 211; H. Prütting, FS Bartenbach, 2005, S. 417; A. Ibbeken, Das TRIPSÜbereinkommen und die vorgerichtliche Beweishilfe im gewerblichen Rechtsschutz, 2004. 36 ABl. EG Nr. L 195/16 v. 2.6.2004.
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I. Einführung | Rz. 10.19 § 10
Befugnis der Gerichte vor, die Vorlage aller nötigen Beweismittel durch die Gegenpartei anzuordnen. Art. 43 TRIPS lautet: „Beweise (1) Hat eine Partei alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und rechtserhebliche Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden, bezeichnet, so sind die Gerichte befugt anzuordnen, daß diese Beweismittel von der gegnerischen Partei vorgelegt werden, gegebenenfalls unter Bedingungen, die den Schutz vertraulicher Informationen gewährleisten. (2) In Fällen, in denen eine Prozeßpartei aus eigenem Willen und ohne stichhaltigen Grund den Zugang zu notwendigen Informationen verweigert oder diese nicht innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder ein Verfahren zur Durchsetzung eines Rechts wesentlich behindert, kann ein Mitglied die Gerichte ermächtigen, auf der Grundlage der ihnen vorgelegten Informationen, einschließlich der Klageschrift oder des Vorbringens der durch die Verweigerung des Zugangs zu den Informationen beschwerten Partei, bestätigende oder abweisende Entscheidungen vorläufiger und endgültiger Art zu treffen, sofern die Parteien die Gelegenheit hatten, zu dem Vorbringen und den Beweisen Stellung zu nehmen.“ Art. 6 der RL 2004/48/EG37 entspricht zunächst Art. 43 I TRIPS und sieht darüber hinaus in Abs. 2 die Befugnis der Gerichte vor, die Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen der Gegenpartei anzuordnen. Art. 6 lautet: „Beweise (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag einer Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und die in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befindlichen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei anordnen können, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. Für die Zwecke dieses Absatzes können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine angemessen große Auswahl aus einer erheblichen Anzahl von Kopien eines Werks oder eines anderen geschützten Gegenstands von den zuständigen Gerichten als glaubhafter Nachweis angesehen wird. (2) Im Falle einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung räumen die Mitgliedstaaten den zuständigen Gerichten unter den gleichen Voraussetzungen die Möglichkeit ein, in geeigneten Fällen auf Antrag einer Partei die Übermittlung von in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befindlichen Bank-, Finanzoder Handelsunterlagen anzuordnen, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird.“ 37 Vgl. R. Janal, S. 49 ff., 150 ff.; M.-R. McGuire, GRUR-Int. 2005, 15, 19 ff.; A. Bruns in Stürner/Kawano, S. 255 ff.
609
§ 10 Rz. 10.19 | Internationales Beweisrecht
Eine ähnliche Regelung enthält Art. 5 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/ EU v. 26.11.2014.38
10.20 Der Wortlaut beider Richtlinien legt nahe, dass die EU insoweit prozessuale Discovery-Pflichten/Befugnisse einführen wollte. Der deutsche Gesetzgeber hat aber zur Umsetzung in Erweiterung der §§ 809, 810 BGB materiell-rechtliche Vorlageansprüche eingeführt, die in den einzelnen Schutzgesetzen, in § 140c Patentgesetz,39 § 24c Gebrauchsmustergesetz, in §§ 19a, 128, 135 Markengesetz, § 46a DesignG, § 37c Sortenschutzgesetz, § 9 II Halbleiterschutzgesetz und in § 101a Urhebergesetz verankert wurden.40 10.21 Auch die Kartellschadensrichtlinie wurde mit § 33g GWB materiell-rechtlich umgesetzt; nach § 89b III GWB kann das Gericht aber im Schadensersatzprozess über den Vorlageanspruch durch Zwischenurteil entscheiden sowie nach Maßgabe von § 89b VI GWB direkt die Offenlegung von Beweismitteln anordnen.41 Überdies besteht in Kartellschadensersatzverfahren die Möglichkeit, dass sich die EU-Kommission und das BKartA am Verfahren beteiligen und Informationen übermitteln.42 b) USA
10.22 In den USA besteht vor den Bundesgerichten nunmehr nach Rule 26 FRCP (i.d.F. v. 1.12.1993 und 2000) eine sich stufenweise steigernde Aufklärungspflicht.43 Zunächst sind die Parteien zu einem „initial disclosure“ (nach der Disposition des jeweiligen District Court) verpflichtet. Ist diese Pflicht eingeführt, so haben die Parteien „Kerninformationen“ unaufgefordert spätestens 14 Tage nach dem ersten Treffen der beiderseitigen Anwälte (meeting of parties) auszutauschen (FRCP 26 (a) (C)). Dazu gehören Informationen über Zeugen, eventuelle Sachverständige, Personen, die relevantes Material besitzen, Dokumente jeder Art einschließlich elektronisch gespeicherten Informationen, konkrete Berechnung der Schadensposten und Angaben zu Versicherungen.44 Auch Informationen aus sozialen Medien sind vorzulegen.45 Auch 38 ABl. EU 2014 Nr. L 349/1. Zur Umsetzung in Griechenland s. D. Maniotis, ZZPInt 22 (2017), 129. 39 Krit. zur Ausgestaltung im Einzelnen D. Adler, S. 50 ff., 83 f. 40 Vgl. Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (Regierungsentwurf v. 26.1.2007, BR-Drucks 64/07); R. Janal, S. 172 ff., 190 ff.; D. Seichter, WRP 2006, 391, 393 ff.; M. Haedicke, FS Schricker, 2005, S. 19; D. Frey/M. Rudolph, ZUM 2004, 522; R. Knaak, GRUR-Int. 2004, 745; W. Tilmann, GRUR 2005, 737; A. Peukert/A. Kur, GRUR-Int. 2006, 292, 299. 41 Vgl. Ch. Althammer, Beweismittelherausgabe und Auskunftserteilung nach § 33g GWB und § 89b GWB n.F., FS Prütting, 2018, S. 207. 42 Vgl. J. Ph. Westhoff, Der Zugang zu Beweismitteln bei Schadensersatzklagen im Kartellrecht, 2010, S. 73 ff., 79 ff. 43 Zur Reformdiskussion s. R. Marcus, Tulane J.Int. & Comp.L. 7 (1999), 153. 44 M. Reimann, IPRax 1994, 152; K. Otte, DAJV-Newsletter 1/94, S. 19, 20; St. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 51 ff. 45 Vgl. X. Kramer, Challenges of electronic taking of evidence, in La prueba en el proceso, 2018, S. 391, 404 f.
610
I. Einführung | Rz. 10.24 § 10
die Information über im Ausland belegenes Material kann verlangt werden.46 Die Parteien werden insoweit als Partner behandelt, die einander die Beweise liefern und auch im discovery-Verfahren redlich zusammenarbeiten, das Verfahren effizient und zügig betreiben müssen. Diese Informationspflicht besteht auch zugunsten des Gegners; über neu auftauchende Gesichtspunkte oder Beweismittel ist fortlaufend zu informieren. Spätestens 30 Tage vor dem trial sind Zeugen und sonstige Beweismittel zu benennen, die in die Hauptverhandlung eingebracht werden sollen (Rule 26 [a] [3] FRCP). Kommt eine Partei ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Gegner nicht nach, kann sie das Gericht zur Tragung der Kosten (einschließlich Anwaltskosten) verurteilen (Rule 37 [g] FRCP). Genügt einer Partei diese „initial disclosure“ nicht, kann sie die Gegenpartei zur Ergänzung oder Korrektur ihrer Offenlegungen auffordern (FRCP 26 [e] [1]).47 Verlangt werden kann seit 2000 vor den Bundesgerichten „discovery regarding any matter, not privileged, that is relevant to the claim or defense of any party“. Sog „fishing expeditions“ sind also weiterhin zulässig.48 Auch Dritte unterliegen den discoveryPflichten (s. Rz. 10.160 f.).
10.23
Discovery umfasst folgende Aufklärungsmethoden:49
10.24
(1) „Depositions“, d.h. ein mündliches Verhör von Parteien oder Zeugen aufgrund mündlicher oder schriftlicher Fragen; (2) „written interrogatories“, d.h. schriftliche Fragen an die Gegenpartei zu Rechtsund Sachverhaltsbehauptungen, die unter Eid vollständig zu beantworten sind; (3) „production of documents or things“ – Vorlage von Urkunden und anderen Beweisgegenständen (durch Parteien und Dritte); (4) „permission to enter upon land or other property, for inspection and other purposes“, d.h. Ortsbesichtigungen oder Zutritt zu Unternehmen; (5) „physical and mental examinations“, d.h. medizinische Untersuchungen der Parteien, und (6) „requests for admission“, d.h. Aufforderungen zum Geständnis.50 46 G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation, 6th ed. 2018, Chap. 11, pp. 959 ff., 971 ff. 47 Vgl. W. Osthaus, S. 77 ff.; U. Böhm, Rz. 405 ff.; St. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 46 ff.; K. McDonald/Ch. Wetzler, RIW 2000, 212; Ch. Paulus, ZZP 104 (1991), 397, 399 ff.; R. Magnuson/K. Schmidt, American-style discovery in international location, in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 193. 48 U. Böhm Amerikanisches Zivilprozessrecht, 2005, Rz. 405; H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 111. 49 Vgl. U. Böhm, Rz. 419 ff.; H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 116 ff. 50 Vgl. A. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1986, S. 145–189; U. Böhm, Rz. 432 ff.
611
§ 10 Rz. 10.25 | Internationales Beweisrecht
10.25 Zu den vorzulegenden Urkunden gehören auch elektronisch gespeicherte Daten (electronic discovery). Allerdings müssen solche Daten dann nicht vorgelegt werden, wenn dies mit unangemessenem Aufwand oder unangemessenen Kosten verbunden ist (FRCP 26 (b) (B)). Die Auslandspartei muss diese Daten auch dann unmittelbar dem Gegner bzw. dem Prozessgericht (ohne Rechtshilfeverfahren nach dem HBÜ von 1970) vorlegen. Ausländische Vorlageverbote (etwa aufgrund Datenschutzrechts) werden nur beachtet, wenn der Verstoß konkret dargelegt wird.51 Aufwendige, belastende und ausforschende Wirkung kann nicht nur die Urkundenvorlage, sondern können auch und gerade depositions, interrogatories und Betriebsbesichtigungen („views“) haben, so dass pretrial discovery nach wie vor ein Mittel ist, den Gegner zu einem Vergleich zu zwingen.
10.26 Kommt eine Partei ihrer discovery-Pflicht nicht nach, so kann sie mittels contempt of court-Sanktionen dazu angehalten werden.52 10.27 Auf Antrag kann das Gericht auch Vorlage gegen Kostenerstattung anordnen. Zusätzlich kann es als Sanktion die streitige Tatsache als erwiesen ansehen, das Verteidigungsmittel ganz ausschließen, pleadings ganz oder teilweise streichen, ein Versäumnisurteil zu Lasten der sich weigernden Partei erlassen oder die jury von der verweigerten Aufklärung unterrichten (FRCP 37 [a], [b], [c] i.d.F. v. 1.12.199353). 10.28 Zum Schutz gegen zu weit reichende Begehren, sog. fishing expeditions, kann das Gericht durch protective order discovery ausschließen, beschränken, nur unter Auflagen gestatten oder Kostenersatz anordnen (FRCP 26 [c]), eine Befugnis, von der nur zögernd Gebrauch gemacht wird. Zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen kann auch eine confidentiality order beantragt werden (FRCP 26 [c] [7]).54 10.29 Nach 28 USC § 1782 kann ein U.S District Court discovery auch zugunsten eines ausländischen, also auch eines deutschen Verfahrens gestatten,55 auch zugunsten ei-
51 US District Court for the District of Utah RIW 2010, 402 (O. Knöfel); dazu auch J. Lux/ T. Glienke, RIW 2010, 603; A. Spies/Ch. Schröder, MMR 2010, 276; Ch. Thole/Ch. Gnauck, RIW 2012, 417. 52 Vgl. Marc Rich v U.S., 707 F.2d 668 (2nd Cir. 1983); In re Grand Jury, 550 F.Supp. 24 (W. D.Mich. 1982). 53 Vgl. M. Reimann, IPRax 1994, 152, 154; H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, S. 44 ff., 50. 54 Vgl. U. Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht, Rz. 467 ff.; M. O. Kersting, Der Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses im Zivilprozess, S. 178 ff. 55 M. Brinkmann, IPRax 2015, 109; S. Roggenbuck, IPRax 1997, 76; P. Schlosser, Vorbem. Art. 15–22 HBÜ Rz. 2; H. Schack, IZVR, Rz. 826; U. Böhm, Rz. 482 ff.; G. Born/P. Rutledge, International civil Litigation, 5th ed. 2011, Chap. 11 G, pp. 1059 ff.; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 6 G., 2013, S. 496; T. Wittlinger/ C. Hill, Obtaining Evidence in the United States for Use in Foreign Litigations, in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 181; Ph. Rollin, Ausländische Beweisverfahren im deutschen Zivilprozess, Diss. Kiel 2007; L. S. Schaner/B. S. Scarbrough, AnwBl. 2012, 320.
612
I. Einführung | Rz. 10.30 § 10
nes (ausländischen) Schiedsgerichts.56 Dies gilt auch, wenn die Partei, die die Dokumente anfordert, nicht selbst Prozesspartei ist und eine Vorlage vor dem Prozessgericht nicht verlangt werden könnte.57 28 USC § 1782 lautet:
„(a) The district court of the district in which a person resides or is found may order him to give his testimony or statement or to produce a document or other thing for use in a proceeding in a foreign or international tribunal, including criminal investigations conducted before formal accusation. The order may be made pursuant to a letter rogatory issued, or request made, by a foreign or international tribunal or upon the application of any interested person and may direct that the testimony or statement be given, or the document or other thing be produced, before a person appointed by the court. By virtue of his appointment, the person appointed has power to administer any necessary oath and take the testimony or statement. The order may prescribe the practice and procedure, which may be in whole or part the practice and procedure of the foreign country or the international tribunal, for taking the testimony or statement or producing the document or other thing. To the extent that the order does not prescribe otherwise, the testimony or statement shall be taken, and the document or other thing produced, in accordance with the Federal Rules of Civil Procedure. A person may not be compelled to give his testimony or statement or to produce a document or other thing in violation of any legally applicable privilege. (b) This chapter does not preclude a person within the United States from voluntarily giving his testimony or statement, or producing a document or other thing, for use in a proceeding in a foreign or international tribunal before any person and in any manner acceptable to him.“ Informationen bzw. Beweisergebnisse, die in den USA durch discovery gewonnen wurden, sind in Deutschland grds. verwertbar. Ein Verwertungsverbot wegen Verstoß gegen den (verfahrensrechtlichen) deutschen ordre public kommt allenfalls ausnahmsweise im Einzelfall in Betracht.58 c) England, Schottland In England sind die Parteien zu disclosure and inspection of documents verpflichtet (CPR r 31).59 Die Definition von „document“ schließt elektronische Dokumente mit 56 Vgl. O. Schley/L. C. Lange, Schiedsgericht und US-discovery, RIW 2020, 342; E. Mullins/ L. Newman, Obtaining Evidence for Use in International Tribunals Under 28 U:S:C Section 1782, 2020. 57 Intel Corp v Advanced Micro Devices, 124 S.Ct. 2466 (June 21, 2004); O. Rieckers, RIW 2005, 19; vgl. U. Böhm, Rz. 488; J. Kraayvanger/M. Richter, RIW 2007, 177; T. Myers/Th. Valen/P. Weinreich, RIW 2009, 196. 58 E. Eschenfelder, S. 155 ff., 195 ff., 222 ff.; E. Eschenfelder, IPRax 2006, 89, 97; E. Eschenfelder, RIW 2006, 443; F. Klein, Die Verwertbarkeit gem. 28 USC § 1782 (a) erlangter Beweismittel im deutschen Zivilprozess, 2019. Für Beweisverwertungsverbot wegen exorbitanter US-Zuständigkeit W. Vogt, IPRax 2020, 266. 59 Vgl. P. Matthews/H. Malek, para 2.02 et seq, 9.01 et seq; A. Zuckerman, para. 15. 1 et seq, 15.15 et seq; Z.P. Howell, RIW 1996, 1011; Osthaus, S. 95 ff.
613
10.30
§ 10 Rz. 10.30 | Internationales Beweisrecht
ein. Disclosure bedeutet zunächst nur Zuzugestehen, dass ein bestimmtes Dokument existiert oder existierte (CPR r 31.2). Hat die Partei das Dokument nicht in ihrer Kontrolle, besteht nach Maßgabe von CPR r 31.3 ein Einsichtsrecht (right of inspection) und das Recht auf eine Kopie (CPR r 31.15). Unterschieden wird zwischen standard disclosure (CPR r 31.5 31.11) und specific disclosure (CPR r 31.12) im Ausnahmefall.
10.31 Die disclosure-Pflicht beginnt generell mit Klageerhebung. Doch kann eine Partei gem. CPR r 31.16 eine vorprozessuale Vorlage (disclosure before proceedings start) beantragen. Voraussetzung für eine solche disclosure order ist, dass die Vorlage dazu dienen soll, (i) ein bevorstehendes Verfahren beizulegen, (ii) den Streit ohne gerichtliches Verfahren zu erledigen, oder (iii) Kosten zu sparen (CPR r 31.16 (3) (d)).60 10.32 Disclosure-Pflichten bestehen generell für Parteien, gem. CPR r 31.17 aber auch für Dritte. Auf Antrag kann das Gericht Dritten disclosure und inspection aufgeben, wenn (a) die begehrten Dokumente geeignet sind, die Klage zu unterstützen oder die Entscheidung des Falles für eine der Parteien zu beeinflussen, und (b) die disclosure notwendig ist, damit die Klage sachgerecht erledigt werden kann oder damit Kosten gespart werden können (CPR r 31.17 [3]).61 10.33 Für die Vorlage elektronischer Dokumente enthält Practice Direction 31B (primär für das multi-track Verfahren) umfangreiche Detailregelungen. 10.34 Die Pflicht zur Offenlegung entfällt, wenn der Partei ein „privilege“ (Zeugnisverweigerungsrecht) zusteht. Anerkannt ist das Anwaltsprivileg (professional privilege) bezüglich von Unterlagen über die rechtliche Beratung der Partei,62 das Weigerungsrecht in Bezug auf Informationen, die im Rahmen von Vergleichsverhandlungen gegeben wurden („without prejudice communications“),63 in Bezug auf Unterlagen, die die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung nach sich ziehen würden („privilege against incrimination“)64 und das Weigerungsrecht im öffentlichen Interesse.65 Dritte können sich auf Zeugnisverweigerungsrechte oder diplomatische Immunität berufen.66 Auch aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit kann die Offenlegung verweigert werden (CPR 31.3(29[b]).67 Alle Informationen, die im Rahmen eines Discovery-Verfahrens offen gelegt werden, dürfen nur innerhalb des Verfahrens, nicht aber später zu anderen Zwecken verwendet werden.68
60 61 62 63 64 65 66 67 68
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Vgl. A. Zuckerman, para. 15.108 et seq. P. Matthews/H. Malek, para 10.01 et seq. P. Matthews/H. Malek, para 11.09 et seq; A. Zuckerman, para 16.1 et seq. A. Zuckerman, para 17.1 et seq; P. Matthews/H. Malek, para 14.01 et seq. P. Matthews/H. Malek, para 13.01 et seq; A. Zuckerman, para 18.01 et seq. P. Matthews/H. Malek, para 12.01 et seq; A. Zuckerman, para 19.1 et seq. P. Matthews/H. Malek, para 15.01 et seq. A. Zuckerman, para 15.43, 15.57. A. Zuckerman, para 15.168 et seq.
I. Einführung | Rz. 10.38 § 10
In Schottland sind die Parteien einander im discovery-Verfahren ebenfalls auskunfts- und aufklärungspflichtig.69
10.35
d) Kanada Ähnlich ist die Rechtslage vor den Bundesgerichten und in den common law-Provinzen von Kanada.70 Neben discovery of documents (Federal Court Rules 447–459) gibt es oral examination for discovery (FCR 462),71 written examinations for discovery (FCR 466.1) (interrogatories), inspection of property (FCR 470, 471) und physical (medical) examination (FCR 467). Dritte sind zur Vorlage relevanter Urkunden verpflichtet, aber nur nach Order des Gerichts auf Antrag einer Partei.72 In Quebec, einer civil law-Provinz, gleicht das discovery-Verfahren weitgehend dem in den common law-Provinzen (vgl. Quebec, CCP 395–41373), lediglich die Unzulässigkeit von fishing expeditions wird stärker beachtet.
10.36
e) Japan Japan hat zwar das adversary principle bei der Beweisaufnahme übernommen, nicht aber das amerikanische pre trial-discovery. Soweit erforderlich kann eine Partei aber folgende Maßnahmen ergreifen: (1) Nach dem Parteibefragungssystem74 nach dem Vorbild der „interrogatories“ des angelsächsischen Rechts kann eine Partei nach Rechtshängigkeit von der Gegenpartei schriftlich ohne Intervention des Gerichts nähere Auskünfte verlangen, die erforderlich sind, um Behauptungen aufzustellen oder einen Beweis zu führen. Antwortet die Gegenpartei nicht oder nicht ausreichend, sind allerdings keine direkten Sanktionen vorgesehen; die Weigerung kann das Gericht nur bei seiner Entscheidung frei würdigen.75 (2) Die japanische ZPO kennt eine allgemeine Pflicht zur Vorlage von Urkunden (§ 220). Jeder Besitzer der Urkunde ist, von gesetzlich anerkannten Weigerungsgründen abgesehen, zur Vorlage verpflichtet. Über die Pflicht zur Vorlage amtlicher Urkunden entscheidet die Aufsichtsbehörde. Protokolle oder Dokumente aus Strafverfahren können nicht verlangt werden.76
10.37
Durch Reformgesetz von 2003 (in Kraft seit 1.4.2004) wurde zugleich die Möglichkeit der vorprozessualen Informations- und Beweismittelbeschaffung in §§ 132.2 ff. jap. ZPO eingeführt. Wer eine Klage erheben will, kann danach die Gegenpartei über die voraussichtlich streitentscheidenden Punkte befragen. Sie kann außerdem eine gerichtliche Maßnahme zur Beweisbeschaffung beantragen und deren Ergebnis im
10.38
69 Vgl. A. J. Black, Pretrial discovery in Scotland, England and Canada, NILR 1992, 26. 70 G. Wittuhn, Pre-trial Discovery in Canada, 1989, S. 14 ff.; C. Choate on Discovery, 2nd ed. (by G. Cudmore), 1993. 71 Vgl. Merck v Richter Gedeon, Canadian Fed Court of Appel, Ottawa, [1998] ILPr 57. 72 G. Wittuhn Pre-trial Discovery in Canada, 1989, S. 34. 73 G. Wittuhn, Pre-trial Discovery in Canada, 1989, S. 52 ff. 74 Tojisha shokai seido, § 163 jap. ZPO. 75 H. Matsumoto, ZZPInt 2 (1997), 333, 348 f.; T. Uehara, ZZPInt 3 (1998), 397, 402; M. Yoshida, Die Informationsbeschaffung im Zivilprozess, 2001, S. 167 ff. 76 H. Matsumoto, ZZPInt 2 (1997), 333, 349 ff.; M. Yoshida, S. 176 ff.
615
§ 10 Rz. 10.38 | Internationales Beweisrecht
späteren Prozess verwerten. Sinn der Neuregelung ist nicht nur die effektivere Sachaufklärung für den Prozess, sondern auch die vermehrte Streitbeilegung vor Einreichung der Klage.77 f) Deutschland
10.39 In Deutschland haben materielle Auskunftsansprüche noch immer eine ähnliche Funktion wie discovery-Pflichten im common law.78 Hinzuweisen ist auf die §§ 666, 681, 713, 810 BGB, im Unterhaltsrecht auf § 1605 BGB, im Erbrecht auf §§ 2018, 2027, 2314 BGB, im gewerblichen Rechtsschutz auf § 140b-d PatG, § 19 MarkenG,79 §§ 46 ff. DesignG sowie § 101a UrhG und §§ 33g, 89 b GWB.80 Ergänzt wurden diese Regeln gerade in Deliktsprozessen, bei denen discovery eine große Rolle spielt, durch Beweiserleichterungen in Form von Anscheinsbeweis, Vermutungen oder Beweislastumkehr wegen Verletzung der Befundsicherungspflicht, sonstiger Beweisvereitelung sowie die sog. sekundäre Behauptungslast oder Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei.81 In sehr vielen Fällen typischer Unkenntnis bestand danach im Ergebnis eine „prozessuale“ Aufklärungspflicht des Gegners. Der dadurch erreichte Stand wurde gleichwohl als unzureichend empfunden, weil im Prinzip geleugnet wurde, was praktisch doch, aber in unübersichtlicher Weise, anerkannt war.82 Der Gesetzgeber hat daher in den letzten Jahren prozessuale Auskunfts- und Vorlagepflichten eingeführt, zunächst in § 643 ZPO (jetzt § 235 FamFG) für Unterhaltsverfahren, dann durch das ZPO-RG 2001 generell für Urkunden und Augenscheinsobjekte in §§ 142, 144 ZPO. In beiden Fällen bestehen keine unmittelbaren Vorlagepflichten gegenüber der Gegenpartei; die Auskunfts- und Vorlagepflichten sind vielmehr als Teil der richterlichen Aufklärungspflichten konzipiert; sie werden also erst mit richterlicher Aufforderung aktuell. 10.40 Der Vorlage personenbezogener Daten kann allerdings § 4 BDSG entgegenstehen.83 Zulässig ist sie danach mit Einwilligung des Betroffenen oder in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung. Die Vorlageanordnung durch ein ausländisches Gericht führt nicht zu einer solchen Verpflichtung.84 Außerdem besteht nach § 4b BDSG ein grundsätzliches Verbot personenbezogene Daten an Drittstaaten zu übermitteln, in denen kein hinreichendes Schutzniveau besteht.85 Verstöße können zur Schadensersatzpflicht nach § 7 BDSG führen und als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Der Vorlage von E-Mails kann auch § 88 TKG entgegenstehen.86 77 Vgl. M. Yoshida, ZZPInt 9 (2004), 293. 78 Ch. Paulus, ZZP 104 (1991), 397, 402; J. Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1999; W. Osthaus, S. 147 ff., 289 ff. (zur Qualifikationsfrage). 79 Zum Verhältnis zur Richtlinie 2004/48/EG v. 29.4.2004 (ABl. EG Nr. L 157/45) s. Rz. 19 sowie R. Knaack, GRUR-Int. 2004, 745, 749. 80 Vgl. F. Weber, ZZP 131 (2018), 457, 467 ff. 81 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 110 Rz. 16 ff., § 114 Rz. 16 ff.; § 115 Rz. 17 ff. 82 Vgl. G. Wagner, ZEuP 2001, 441, 467; St. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 57 ff. 83 Vgl. A. Bareiß, S. 55 ff. 84 A. Bareiß, S. 57. 85 A. Bareiß, S. 61 ff. 86 A. Bareiß, S. 77 ff.
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II. Notwendigkeit und Zulässigkeit der Beweisaufnahme | Rz. 10.45 § 10
Unmittelbaren Zwang zur Vorlage von Beweismitteln kennt die ZPO nur bei der körperlichen Untersuchung zur Feststellung der Abstammung nach § 372a ZPO, in Familiensachen nach § 178 FamFG (s. Rz. 10.178). Ansonsten kann das Gericht nur aus einer Weigerung Schlüsse ziehen.87
10.41
Soweit ein ausländisches Gericht eine pre-trial discovery anordnet, die aus deutscher Sicht gegen das Ausforschungsverbot oder ein gesetzliches Aussageverbot verstößt, kann ein Drittbetroffener gegen die deutsche Prozesspartei eine einstweilige Verfügung beantragen, die ihr die Herausgabe der Unterlagen untersagt.88 Ob das ausländische Gericht die deutsche Partei daraufhin von der Vorlagepflicht entbindet oder sie bei Weigerung mit Sanktionen belegt, ist eine offene Frage.
10.42
II. Notwendigkeit und Zulässigkeit der Beweisaufnahme 1. Recht auf den Beweis Die lex fori entscheidet, ob die Partei ein Recht auf Erhebung eines relevanten Beweises hat, ob dem Gericht ein Beweiserhebungsermessen zusteht oder ob Beweisverbote bestehen. Ein Recht auf den Beweis wird grds. in Deutschland,89 in Italien (Art. 24 ital. Verfassung), in Portugal und in der Schweiz90 anerkannt. Freilich muss das beantragte Beweismittel tauglich und der Beweisgegenstand sachlich erheblich sein. Die Ablehnung eines Beweisantrags aufgrund einer antizipierten Beweiswürdigung (aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung) ist grds. unzulässig.91 Jedoch kann eine Beweisaufnahme von der Zahlung eines Auslagenvorschusses (§ 17 I GKG) oder von einer substantiierten Begründung abhängig gemacht werden, und schließlich kann der Beweisantrag als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach allgemeinen Präklusionsregeln zurückgewiesen werden.
10.43
In der Sache existiert ein Recht auf Beweis natürlich erst recht in Staaten mit adversarial principle, da hier die Parteien discovery und Beweiserhebung im trial grds. selbst betreiben. Vor US-Bundesgerichten kann das Gericht einer extrem ausgedehnten Sachaufklärung aber auf Antrag der Gegenseite durch protective order Grenzen setzen (FRCP 26 [b] [1]).
10.44
2. Prozessuale Beweisbeschränkungen Soweit in bestimmten Prozessarten nicht alle Beweismittel zugelassen sind, gilt die jeweilige lex fori.92 Im deutschen Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess gelten also die Beschränkungen gem. §§ 592, 595, 605 ZPO, unabhängig von dem in der 87 Vgl. C. K. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, S. 209. 88 Vgl. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 325 f. 89 W. Habscheid, ZZP 96 (1983), 306; R. Geimer, ZfRV 1992, 401, 410; M. Nissen, Das Recht auf Beweis im Zivilprozess, 2019. 90 W. Habscheid, SJZ 1984, 381; G. Walter, ZBernJV 127 (1991), 309. 91 W. Habscheid, FS Benda, S. 105, 115. 92 R. Geimer, IZPR, Rz. 2299 u 2633; Kegel/Schurig, § 22 IV (S. 1058).
617
10.45
§ 10 Rz. 10.45 | Internationales Beweisrecht
Sache anwendbaren Recht. Auch die Frage, ob sich aus Zeugnisverweigerungsrechten Beweisschranken ergeben, ist nach der lex fori zu beantworten.93 3. Materielle Qualifikation ausländischer Beweisbeschränkungen
10.46 Berühmte Beispiele sind Art. 1341 franz. Code Civil und Art. 2721 ital. Codice Civile (sowie ähnliche Vorschriften in anderen Staaten): der Ausschluss des Zeugen zugunsten des Urkundenbeweises. Um das französische Recht auch in Deutschland zum Tragen zu bringen, hat man früher diese Beweisregeln im Interesse des Entscheidungseinklangs materiell-rechtlich qualifiziert.94 Die Rom I-VO, die auch im Verhältnis zu Frankreich gilt, sieht aber in Art. 18 II vor, dass zum Beweis eines Rechtsgeschäfts stets alle Beweisarten der lex fori offen stehen. Die traditionelle materielle Qualifikation ist damit jedenfalls im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU, die im nationalen Recht Beweismittelbeschränkungen kennen (wie Belgien und Italien) überholt (s. Rz. 10.11). Art. 1341 franz. Code Civil ist danach prozessual zu qualifizieren und für ein deutsches Gericht unbeachtlich.95 10.47 Gesetzliche Verbote, über bestimmte Tatsachen Beweis zu erheben, haben meist materielle Gründe. Die in einigen Rechtsordnungen vorgesehenen Verbote der Vaterschaftsfeststellung (s. Rz. 10.54) sind daher (in den Grenzen des ordre public) zu beachten, wenn das Verbot in der lex causae enthalten ist.96 Rein prozessuale Beweismittelbeschränkungen, die lediglich die Richtigkeit der zu treffenden Feststellungen sichern wollen, wie z.B. das Verbot des Zeugen vom Hörensagen (s. Rz. 10.53), unterstehen dagegen der jeweiligen lex fori.97 4. Beweisbedürftigkeit
10.48 Die zu beweisenden Tatbestandsvoraussetzungen ergeben sich aus der lex causae.98 Sie legt auch fest, welche Voraussetzungen vermutet werden und damit keines primären Beweises bedürfen. Wie genau eine Tatsache behauptet oder bestritten werden muss, um eine Beweisbedürftigkeit auszulösen (Substantiierungspflicht), bestimmt dagegen die lex fori. Sie legt grds. auch fest, in welchem Umfang und in welchen Formen die Parteien über die Beweisbedürftigkeit z.B. durch Geständnis, Nichtbestreiten (§ 138 III ZPO), Anerkenntnis oder Säumnis disponieren können.99 Soweit das ausländische Recht besondere Streitgegenstände der Parteidisposition entzieht, führt die lex causae zur Anpassung des inländischen Verfahrens: eine unstreitige Tat93 R. Geimer, IZPR, Rz. 2300. 94 Vgl. J. Kropholler, IPR, § 56 IV 1; G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 348 ff., 353; a.A. M. Schoch, S. 147 ff. 95 BGH, JZ 1955, 702 (F. Gamillscheg); H. Schack, IZVR, Rz. 763 ff. 96 H. Schack, IZVR, Rz. 748; a.A. M. Schoch, S. 151 ff. 97 H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 10.16. 98 D. Coester-Waltjen, Rz. 266 ff.; G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 348. 99 H. Schack, IZVR, Rz. 738; Kreuzer/Wagner in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, 2000, Q 284; M. Schoch, S. 145 ff.; Soergel/Kronke, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 137.
618
II. Notwendigkeit und Zulässigkeit der Beweisaufnahme | Rz. 10.54 § 10
sache ist vom Gericht nachzuprüfen.100 Umgekehrt schließt § 113 IV Nr. 5 FamFG im Scheidungsverfahren das Geständnis nur aus, wenn die lex causae eine Disposition der Parteien über die Eheauflösung ausschließt.101 5. Vermutungen Schrifttum: T. Hatta, Presumption and its evidentiary relevance, in La prueba en el proceso, Barcelona, 2018, S. 351.
Unwiderlegliche und widerlegliche gesetzliche Vermutungen verändern die gesetzlichen Tatbestände und unterstehen daher der lex causae.102 Soweit das Prozessrecht Vermutungen dieser Art enthält, ist es insoweit als lex causae anzusehen.103
10.49
Tatsächliche Vermutungen unterliegen wie der Anscheinsbeweis der lex fori (s. Rz. 10.64). In beiden Fällen ist der Zusammenhang mit der Beweiswürdigung des Richters stärker als mit den Tatbeständen der lex causae.104
10.50
6. Selbständige Beweisaufnahme
10.51
Zur selbständigen Beweisaufnahme s. Rz. 17.84 ff. 7. Beweisthemenverbote
10.52
Mehrere Rechtsordnungen kennen Beweisthemenverbote.105 (1) Das Verbot des Ausforschungsbeweises und das Gegenstück, das pre-trial discovery, sind rein prozessual einzuordnen; es gilt die jeweilige prozessuale lex fori.106 (2) Beweismittelbeschränkungen durch ein Verbot von hearsay evidence oder ähnliche Regeln, die unsichere Beweismittel ausschließen wollen, bestehen ebenfalls nur vor dem jeweiligen forum, unabhängig von der in der Sache anzuwendenden Rechtsordnung.107
10.53
(3) Schwieriger ist die Einordnung nach materiellem Recht unerwünschter Beweise, z.B. ein Verbot, eine nichteheliche Abstammung oder einen Ehebruch generell, in bestimmten Fällen oder mit bestimmten Beweismitteln nachzuweisen. In Art. 205 II 2 franz. CPC heißt es etwa ausdrücklich:
10.54
100 H. Schack, IZVR, Rz. 739. 101 D. Coester-Waltjen, Rz. 601 ff., 606; R. Geimer, IZPR, Rz. 2277. 102 D. Coester-Waltjen, Rz. 309 ff.; H. Schack, IZVR, Rz. 742 ff.; vgl. T. Hatta, in La prueba en el proceso, 2018, S. 351, 355 ff. 103 D. Coester-Waltjen, Rz. 329. 104 A.A. D. Coester-Waltjen, Rz. 331 ff., 338 ff., 353 (die dargelegten Beispiele betreffen aber sämtlich materiell-rechtliche Wertungen, nicht „faktische“ Vermutungen nach der Lebenserfahrung); Soergel/Kronke, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 137. 105 Vgl. D. Coester-Waltjen, Rz. 290 ff. 106 D. Coester-Waltjen, Rz. 296; R. Geimer, IZPR, Rz. 2294; Kreuzer/Wagner, Q 286; vgl. J. Rassi FS Simotta, 2012, S. 443. 107 D. Coester-Waltjen, Rz. 294; R. Geimer, IZPR, Rz. 2298.
619
§ 10 Rz. 10.54 | Internationales Beweisrecht
„Toutefois, les descendants ne peuvent jamais être entendus sur les griefs invoqués par les époux à l´appui d´une demande en divorce ou de séparation de corps.“ Nach h.M. sind der lex causae zwar gesetzliche Vermutungen der (ehelichen) Vaterschaft und Beweiserleichterungen bei einer Geburt nach Trennung der Eheleute oder kurz nach der Eheschließung zu entnehmen. Der Ausschluss bestimmter Beweismittel (z.B. der Blutgruppenuntersuchung) soll dagegen als verfahrensrechtliche Frage im Inland unbeachtlich sein.108 Dagegen wird eingewandt, solche Beweismittelverbote seien derart mit der lex causae verflochten, dass sie mit dieser anzuwenden seien (s. Rz. 10.47).109 Verbote, die Wahrheit zu ermitteln (z.B. bei Vaterschaft und Ehebruch), verstoßen freilich gegen den deutschen ordre public und sind dann im Inland unbeachtlich.
10.55 Auf ausländische Beweismittelverbote ist nur dann Rücksicht zu nehmen,110 wenn den Parteien sonst Rechtsverweigerung droht, etwa eine Prozessführung im Heimatstaat unzulässig oder unzumutbar ist, ein deutsches Statusurteil sonst im Heimatstaat wegen ordre public-Verstoßes nicht anerkannt würde und ein hinkendes Statusurteil den Parteiinteressen nicht gerecht würde. 10.56 (4) Beweisbeschränkungen als Folge von estoppel by record (s. Rz. 10.150) sind der lex fori der anzuerkennenden Entscheidung zu entnehmen111 und nicht nach Maßgabe der (neuen) lex causae anzuwenden.112 Denn aus deutscher Sicht sind diese Wirkungen Folge der prozessualen Anerkennung, d.h. der Wirkungserstreckung der ausländischen Entscheidung. 8. Verwertung erlangter Beweismittel Schrifttum: L. Passanante, Illegally obtained evidence in civil litigation: a comparative perspective, in La prueba en el proceso, Barcelona, 2018, S. 175.
a) Unerlaubt erlangte Beweismittel
10.57 Ob ihre Verwertung zulässig oder verboten ist, richtet sich nach der jeweiligen lex fori.113 In England und in den ehemaligen sozialistischen Ländern können Beweismittel auch verwendet werden, wenn Urkunden gestohlen und/oder heimlich gemachte Tonbandaufnahmen, Telefongespräche oder Photographien vorgelegt werden. Die Wahrheitsfindung hat in solchen Fällen den Vorrang. In Dänemark unterliegt die Verwendung dem richterlichen Ermessen, in Deutschland, Italien und ande-
108 D. Henrich, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2000, S. 240 f. 109 D. Coester-Waltjen, Rz. 291 f.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2293. 110 Vgl. G. Grasmann, Relevanz ausländischen Prozessrechts in Ehesachen, ZZP 83 (1970), 214. 111 R. Geimer, IZPR, Rz. 2296 f. 112 D. Coester-Waltjen, Rz. 299 ff. 113 R. Geimer, IZPR, Rz. 2301; L. Passanante in La prueba en el proceso, 2018, S. 179 ff.
620
III. Beweiswürdigung und Beweislast | Rz. 10.60 § 10
ren Ländern liegt ein unzulässiger Eingriff in die Persönlichkeitssphäre vor, die durch Art. 1 GG oder Verfassungen anderer Länder geschützt ist.114 In New York ist jede Beweisaufnahme über unzulässig abgehörte oder aufgezeichnete Telekommunikationen, Unterhaltungen oder Diskussionen unzulässig, wenn dies ein Betroffener beantragt (CPLR § 4506). b) Zulässigerweise erlangte Beweismittel Nach deutschem Recht darf eine Partei eine durch Beweisaufnahme erlangte Information generell verwenden. Dies ist aber nicht in allen Ländern so. In England, aber auch anderen common law-Staaten kann die Information ggf. davon abhängig gemacht werden, dass die Partei durch sog. undertaking (bewehrt durch contempt-ofcourt-Sanktion) verspricht, die Information nur im Rahmen der laufenden Prozessführung zu verwenden.115
10.58
III. Beweiswürdigung und Beweislast 1. Schrifttum M. Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht, 2005; K. Clermont/E. Sherwin, A comparative view of standards of proof, AmJCompL 50 (2002), 243; K. Clermont/E. Sherwin, A comparative puzzle: Standards of proof, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 629; P. Gottwald, Das flexible Beweismaß im deutschen und englischen Zivilprozess, FS Henrich, 2000, S. 165; P. Gottwald, Auf dem Weg zu einer rationalen Beweiswürdigung, FS Sutter-Somm, 2016, S. 125; S. Haack, Proof, Probability, and Statistics, in La prueba en le proceso, 2018, S. 497; W. Habscheid, Beweislast und Beweismaß, FS Baumgärtel, 1990, S. 105; W. Hau, Europarechtliche Vorgaben zum Beweismaß im Zivilprozess, FS Prütting, 2018, S. 325; B. Maassen, Beweismaßprobleme im Schadenersatzprozess, 1975; R. Motsch, Comparative and Analytical remarks on Judicial fact-finding, FS G. Käfer, 2009. S. 241; Ch. Paulus, Beweismaß und materielles Recht, FS Gerhardt, 2004, S. 747; C. Piché, Evidentiary standards and assessment of evidence across legal systems, in La prueba en el proceso, Barcelona, 2018, S. 225; H. Schack, Beweisregeln und Beweismaß im Internationalen Zivilprozessrecht, FS Coester-Waltjen, 2015, S. 725; M. Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismass, 2014; R. Stürner, Beweiswürdigung, Beweisregeln und Beweismaß im Europäischen Zivilprozess, GS Koussoulis, 2012, S. 781; Y. Tamura, Erneute Überlegungen über das Beweismaß im Zivilprozess, Ritsumeikan Law Review Intern. Ed. 28 (2011), 1; Ch. Thole, Anscheinsbeweis und Beweisvereitelung im harmonisierten Europäischen Kollisionsrecht, IPRax 2010, 285; L. Tichý, Die Wahrscheinlichkeit und das Beweismaß im Schadensersatzrecht, FS Magnus, 2014, S. 709; L. Tichý, Standard of Proof in Europe, 2019.
10.59
2. Beweismaß Nach deutschem Recht hat das Gericht grds. nach freier Überzeugung zu entscheiden (§ 286 ZPO). Regelbeweismaß ist eine hohe Wahrscheinlichkeit, die Zweifeln 114 K.H. Schwab/P. Gottwald in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz, 1978, S. 72. 115 Vgl. P. Schlosser, FS Vollkommer, 2006, S. 217 ff., 232 ff.
621
10.60
§ 10 Rz. 10.60 | Internationales Beweisrecht
Einhalt gebietet, ohne sie ganz auszuschließen.116 Eine Entscheidung ohne Überzeugungsbildung nach dem, was mehr oder weniger wahrscheinlich ist, ist unzulässig.117 Von diesem Ausgangspunkt wird das Beweismaß gesenkt, um genereller Beweisnot Rechnung zu tragen. Nach h.M. ist dies nicht beim Anscheinsbeweis im Allgemeinen, wohl aber bei Prognoseentscheidungen und bei Kausalfragen der Fall.118
10.61 In common law-Ländern ist allgemeines Beweismaß in Zivilsachen dagegen „preponderance of evidence“, also überwiegende Wahrscheinlichkeit119 (in Kalifornien: Cal. CCP § 502u Cal.E.C. § 115 [2]). Einigkeit besteht aber darin, dass der Grad der Überzeugung von einer statistischen Wahrscheinlichkeit zu unterscheiden ist.120 In New York findet das trial in Zivilsachen vor der (aus sechs Personen bestehenden) jury statt, wenn eine Partei dies beantragt; wird kein Antrag gestellt, gilt dies als Verzicht auf die jury (NY CPLR § 4102). Die jury muss in New York mit 5/6-Mehrheit entscheiden (NY CPLR § 4113 [9]).
10.62 Vielfach wird aus diesen begrifflich unterschiedlichen Maßstäben auf tatsächliche Differenzen in der Beweiswürdigung und im Umfang stattgebender Urteile geschlossen.121 Hieraus folgt das Problem, welches Beweismaß in internationalen Verfahren anzuwenden ist. Da sich das unterschiedliche Beweismaß auf den Urteilsinhalt auswirken kann, möchten manche das Beweismaß der lex causae entnehmen122 oder zumindest in der EU das Beweismaß gemeinschaftskonform nach unten angleichen.123 M.E. hängt das Beweismaß aber mit der Stellung des Richters und seiner Überzeugungsbildung derart untrennbar zusammen, dass es insoweit bei Anwendung der lex fori bleiben muss.124 Entgegen der verbreiteten Meinung dürften den unterschiedlichen Formulierungen in Zivilsachen zudem keine sachlichen Unterschiede entsprechen, da sich der reale psychologische Erkenntnis- und Entscheidungsprozess näherer Quantifizierung entzieht.125
116 BGHZ 53, 245, 255 ff. = NJW 1970, 946 (Anastasia); vgl. Prütting in MünchKomm/ZPO, § 286 ZPO Rz. 35 ff. 117 BGH, NJW-RR 1989, 989 f. 118 Vgl. Prütting in MünchKomm/ZPO, § 286 ZPO Rz. 48 ff.; H. Weber, Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozess, 1997, S. 56 ff., 62 ff.; G. Walter, Freie Beweiswürdigung, 1979, S. 206 ff., 295 ff. 119 C. Piché, in La prueba en el proceso, 2018, S. 225, 237 ff.; S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 6-54; G. Nokes, An Introduction to Evidence, 4th ed. 1967, S. 489 f. 120 Vgl. S. Haack, Proof, Probability, and Statistics, in La prueba en el proceso, 2018, S. 497. 121 So W. Habscheid, FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 117 ff. 122 So D. Coester-Waltjen, Rz. 358 ff., 362 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2334 ff. (der aber die Schadensschätzung aus praktischen Gründen ausnehmen will, Rz. 2337). 123 So M. Wolf, Symposium Baur, 1992, S. 35, 61. 124 Ebenso OLG Koblenz, IPRax 1994, 302; W. Habscheid, FS Baumgärtel, S. 105, 119; H. Schack, IZVR, Rz. 776; Linke/Hau, IZVR, Rz. 10.12. 125 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 114 Rz. 13 ff.; P. Gottwald, FS Henrich, 2000, S. 165 ff.; M. Brinkmann S. 61 ff., 85 ff.
622
III. Beweiswürdigung und Beweislast | Rz. 10.67 § 10
3. Freie Beweiswürdigung Von den Regeln über die Beweislastverteilung ist die Berücksichtigung von Erfahrungssätzen zu unterscheiden. Ob solche Erfahrungssätze bestehen, kann der Richter nur aufgrund seiner eigenen Prozessvorschriften ermitteln. Denn die Erfahrungssätze stehen in enger Beziehung zu der Beweiswürdigung. Niemand zweifelt daran, dass die Beweiswürdigung immer nur nach den Regeln der lex fori von den Richtern vorgenommen wird.126
10.63
Der Anscheinsbeweis und die Würdigung typischer Geschehensabläufe sollten daher ebenfalls nach der lex fori erfolgen und nicht über Art. 18 I Rom I-VO bzw. Art. 22 I Rom II-VO der jeweiligen lex causae unterstellt werden. Gleiches gilt für tatsächliche Vermutungen.127
10.64
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ergibt sich aus § 286 ZPO. Doch dieser Grundsatz wird im deutschen Prozessrecht durchbrochen: es sei nur verwiesen auf die Beweiskraft des Protokolls (§ 165 ZPO), des Tatbestandes (§ 314 ZPO) und die unterschiedlich ausgestaltete Beweiskraft der Urkunden. Insoweit sind Reste der legalen Beweistheorie erhalten geblieben.
10.65
In Frankreich wird die gesetzliche Bindung des Richters noch stärker zum Ausdruck gebracht. Die „conviction intime“ bezieht sich grds. auf alle Beweismittel, soweit das Gesetz nicht selbst den Beweiswert einzelner Beweismittel festlegt.128 Art. 317 NCPC hält etwas an dem zugeschobenen und dem einer Partei vom Gericht auferlegten Eid, also an rein formalen Beweismitteln, fest (s. Rz. 10.121, 10.128). An den einer Partei zugeschobenen Eid ist das Gericht gebunden.129 Solche Regeln sind für den deutschen Richter unbeachtlich.130
10.66
Art. 116 des italienischen cprc nimmt ebenfalls Rücksicht auf die gesetzliche Bindung des Richters, wenn es darin heißt:
10.67
„Das Gericht würdigt den Beweis gemäß einem verständigen Urteil, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht.“ Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Zeugenbeweis von dem Instruktionsrichter aufgenommen wird. Wenn dieser in der Regel auch ein Mitglied des erkennenden Gerichts ist, so geht doch der unmittelbare Eindruck von dem Zeugen der Mehrzahl der Richter verloren.
126 R. Geimer, IZPR, Rz. 2338; Kegel/Schurig, § 22 IV (S. 1058); Kreuzer/Wagner, Q 288; Linke/Hau, IZVR, Rz. 10.12. 127 Ch. Thole, IPRax 2010, 285, 287; H. Schack, IZVR, Rz. 745 ff.; Linke/Hau, IZVR, Rz. 10.10; a.A. AG Geldern, NJW 2011, 686, 687; Junker in MünchKomm/BGB, Art. 22 Rom II-VO Rz. 7 f.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2291 unterstellt tatsächliche Vermutungen der Beweiswürdigung, will aber gleichzeitig die lex causae anwenden, was schwerlich gleichzeitig möglich ist. 128 G. Rouhette, Frankreich, in Nagel/Bajons, S. 182 (Rz. 23 ff.). 129 R. Perrot in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz, 1978, S. 91, 108. 130 R. Geimer, IZPR, Rz. 2339; Linke/Hau, IZVR, Rz. 10.31.
623
§ 10 Rz. 10.68 | Internationales Beweisrecht
10.68 Auch Italien hält an den mittelalterlichen Parteieiden in der Form des der einen von der anderen Partei zugeschobenen Eides und dem einer Partei vom Gericht auferlegten Ergänzungseid fest (vgl. Art. 233, 240 cprc i.V.m. Art. 2736 cc). Der einer Partei zugeschobene Eid bindet das Gericht, wenn die Parteien über das Recht (Streitgegenstand) verfügen können. Bestrebungen, die formalen Parteieide und das Geständnis ganz der freien richterlichen Beweisführung zu unterwerfen,131 waren bislang nicht erfolgreich. 10.69 In Schweden entbrannte eine Diskussion um die Frage, was unter einer objektiv begründeten freien Beweiswürdigung zu verstehen sei. Nach Ekelöf132 muss der Richter das Beweismaterial einer hinreichenden diskursiven Analyse unterwerfen. Dabei spielt die Errechnung des Wahrscheinlichkeitsgrades eine besondere Rolle. 10.70 Da das anglo-amerikanische Recht an den „common sense“ und die Erfahrung der Geschworenen – der Jury – appelliert, geht es grds. von der freien Beweiswürdigung aus. Es gibt aber einige Regeln, wonach eine Verurteilung aufgrund lediglich einer Zeugenaussage unzulässig ist und zusätzliche Indizien hinzutreten müssen.133 10.71 Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass die Beweiswürdigung in den verschiedenen Staaten an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft wird. Reste der mittelalterlichen legalen Beweistheorie sind in unterschiedlichem Umfang in den verschiedenen Staaten erhalten. Hierüber kann allein die lex fori entscheiden. Das gilt auch, wenn die Beweiswürdigung an eine Ideologie gebunden wird. 10.72 Die Frage, ob das Beweisrecht nach den Prozessvorschriften der lex fori zu beurteilen ist, wird wesentlich beeinflusst von der Abgrenzung der Verfahrensvorschriften von denen des materiellen Rechts. Damit ist das Problem der Qualifikation angesprochen. Die weit überwiegende Meinung geht dahin, dass die Qualifikation nach den Regeln der lex fori vorgenommen wird,134 Karlgren und Cheshire warnen allerdings vor einer zu weitgehenden Qualifikation ausländischer Normen als prozessuale, weil dadurch die Parteien einen Rechtsverlust erleiden könnten. 10.73 Beweiserleichterungen. Zweifelhaft ist auch, ob Beweiserleichterungen nach der jeweiligen lex fori oder nach Maßgabe des anwendbaren Rechts zu gewähren sind. So wird etwa diskutiert, ob für den Nachweis entgangenen Gewinns in Deutschland generell § 287 ZPO oder bei Kaufverträgen, die unter das CISG fallen, ein autonomer Standard der „reasonableness“ bzw. ein „vernünftiger Grad an Sicherheit“ zugrunde zu legen ist. Der BGH hat die Frage offen gelassen.135 Vermutlich handelt es sich letztlich um ein Scheinproblem. Denn es ist schwerlich vorstellbar, dass sich eine 131 S. Patti, Italien, in Nagel/Bajons, S. 295 (Rz. 36 ff.); A. Chizzini/E.-M. Bajons, in Nagel/ Bajons, S. 325 (Rz. 79 ff.). 132 Rättegång IV, 24; vgl. B. Lindell, Schweden, in Nagel/Bajons, S. 535 (Rz. 26). 133 S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, Chap. 7–17 (p. 196), Chap. 14 (p. 403 ff.). 134 M. Schoch, Klagbarkeit, S. 154 spricht insoweit von einem Primat des Prozessrechts; E. Riezler, IZPR, S. 103; ebenso H. Batiffol/P. Lagarde, no. 291 ff.; Cheshire/North & Fawcett, Private International Law, p. 43 f, 82, sprechen von „classification“. 135 BGH, IHR 2014, 58 (Rz. 14).
624
III. Beweiswürdigung und Beweislast | Rz. 10.78 § 10
Überzeugung auf der Grundlage überwiegender Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) von einem „vernünftigen Grad an Sicherheit“ unterscheidet. 4. Allgemeine Regeln über die Beweislast Die allgemeinen Regeln über die Beweislast werden weltweit überwiegend materiell-rechtlich qualifiziert.136 Art. 18 I Rom I-VO sieht für vertragliche Schuldverhältnisse ausdrücklich vor, dass das Vertragsstatut anzuwenden ist, soweit es gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt. In Deutschland hat das RG bereits 1882 erklärt, die Grundsätze der Beweislast gehörten nicht dem Prozessrecht an, sondern seien identisch mit den Normen des das streitige Rechtsverhältnis beherrschenden materiellen Rechts.137 Diese Auffassung hat der BGH bestätigt.138
10.74
Für das UN-Kaufrecht (CISG) wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass die Beweislastverteilung nicht nur in Art. 79 I, sondern auch sonst mittelbar durch die Formulierung der Vorschriften geregelt sei und gem. Art. 7 II nach den allgemeinen Grundsätzen, die dem Übereinkommen zugrunde liegen, zu beurteilen sei.139 Ein Rückgriff auf das sonst anwendbare materielle nationale Recht ist daher ausgeschlossen.
10.75
Auch in Frankreich herrscht die Auffassung, die Beweislast sei mit dem anzuwendenden materiellen Recht verbunden, weil dessen Regelung mit der Rechtsanwendung unmittelbar zusammenhänge.140 Der häufige Gebrauch von gesetzlichen Vermutungen entspricht dieser Auffassung, denn die gesetzlichen Vermutungen gehören zum materiellen Recht. Hierdurch wird wiederum die Verteilung der Beweislast berührt.
10.76
Auch im spanischen Recht besteht eine enge Verbindung zwischen der Beweislast und den gesetzlichen Vermutungen. Die Verteilung der Beweislast wird materiellrechtlich qualifiziert.141
10.77
In Italien scheint die Rechtsprechung die Frage der Beweislast dem Prozessrecht zuzuordnen und daher insoweit die lex fori anzuwenden. Dasselbe gilt hinsichtlich der
10.78
136 D. Coester-Waltjen, Rz. 371 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2340; Kegel/Schurig, § 22 IV (S. 1058 f.); R. Pohle, FS Dölle II, S. 317, 335; Kreuzer/Wagner, Q 285; Soergel/Kronke Art. 38 EGBGB, Anh. Rz. 137; R. Stürner, FS H. Stoll, S. 691, 693; G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 352; a.A. M. Schoch, S. 139 ff. 137 RGZ 6, 413. 138 BGH, NJW 1952, 142; BGHZ 42, 385, 389 = NJW 1965, 489, 490 (Beweislast nach vereinbartem Recht); OLG Nürnberg, FamRZ 1996, 1148; ebenso Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 116 Rz. 30, 33; H. Schack, IZVR, Rz. 752 ff.; H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 10.8. 139 BGH, NJW 2004, 3181; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Saenger, BGB, Art. 4 CISG Rz. 11; Huber in MünchKomm/BGB, Art. 4 CISG Rz. 41; Staudinger/Magnus, (2018) Art. 4 CISG Rz. 63; T. M. Müller, Ausgewählte Fragen der Beweislastverteilung im UN-Kaufrecht, 2005, S. 28 ff. 140 H. Batiffol/P. Lagarde, No. 706. 141 L. Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho Procesal Civil I, S. 410.
625
§ 10 Rz. 10.78 | Internationales Beweisrecht
widerlegbaren Vermutungen.142 Die neuere Lehre will die Regelung der Beweislast dem anzuwendenden materiellen Recht entnehmen. Cappelletti/Perillo143 weisen auf die engen Beziehungen zwischen der Behauptungs- und der Beweislast hin.
10.79 In Schweden spricht sich Karlgren eindeutig dafür aus, die Frage der Beweislastverteilung nach dem materiellen und nicht nach dem Prozessrecht zu entscheiden.144 Grundsätzlich scheint auch Ekelöf145 mit dieser Auffassung übereinzustimmen, weil er die Aufgabe der Beweislastregeln darin sieht, der Verwirklichung des materiellen Rechts zu dienen. 10.80 Wenn auch die lex fori hinsichtlich der Beurteilung von Beweisfragen in den Ländern des anglo-amerikanischen Rechtskreises absolut im Vordergrund steht, so lässt sich doch eine gewisse Tendenz feststellen, die Frage der Beweislastverteilung materiell-rechtlich zu qualifizieren.146 5. Beweislastumkehr als Folge pflichtwidrigen prozessualen Verhaltens
10.81 Ob sich die Beweislast als Folge eines (pflichtwidrigen) prozessualen Verhaltens verändert, z.B. wegen Beweisvereitelung, als Säumnisfolge usw., entscheidet die lex fori.147 Die Folgen der Beweisvereitelung bestimmen sich jedenfalls nicht als Frage der Beweislast nach Art. 18 I Rom I-VO bzw. Art. 22 I Rom II-VO nach der jeweils anwendbaren lex causae.148 Neben innerprozessualen Sanktionen kommt auch eine Haftung auf deliktischen Schadenersatz in Betracht.149 6. Beweisführungslast
10.82 Die Beweisführungslast und die Darlegungslast richten sich wie die objektive Beweislast grds. nach der lex causae.150 Allerdings ist die Beweisführungslast vielfach durch die Befugnis zur Beweisaufnahme von Amts wegen abgeschwächt.151 Eine Ausnahme gilt aber für die anglo-amerikanischen Regeln über evidential burden, die darüber bestimmen, ob eine Klage ohne Einschaltung der jury abgewiesen werden kann.152 142 G. Morelli, Diritto processuale civile internazionale, S. 37. 143 Civil Procedure in Italy, S. 187. 144 H. Karlgren, Internationell Privat- och Processrätt, 3. Aufl. 1966, S. 189 (5. Aufl. 1979 in deutschen Bibl. nicht nachgewiesen). 145 Rättegång IV, 98; vgl. B. Lindell in Nagel/Bajons, S. 531 (Rz. 19 f.). 146 Cheshire, North & Fawcett, 15th ed. 2017, p. 84 f.; R. Cross/N. Wilkins/R. Bagshaw, Outline of the Law of Evidence, 7th ed. 1996, 26 („dependent on the substantive law“); auch G. Nokes, Introduction to evidence, 4th ed. 1967, p. 462, meint, indirekt hänge die Beweislast von dem materiellen Recht ab; a.A. (für lex fori) Re Fuld’s Estate (No 3) [1968] P 675. 147 Ch. Thole, IPRax 2010, 285; H. Schack, IZVR, Rz. 753; R. Geimer, IZPR, Rz. 2341 f, 2345; Kreuzer/Wagner, Q 285; Soergel/Kronke, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 137; a.A. D. CoesterWaltjen, Rz. 385 ff. 148 Ch. Thole, IPRax 2010, 285, 288 f. 149 Vgl. St. Nolte, Betriebliche Dokumentation und Beweismittelvernichtung, 1996. 150 D. Coester-Waltjen, Rz. 389 ff.; Kreuzer/Wagner, Q 285. 151 Vgl. R. Stürner, FS H. Stoll, S. 691, 696 f. 152 D. Coester-Waltjen, Rz. 394 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2343 f.
626
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.87 § 10
IV. Die einzelnen Beweismittel 1. Der Beweis durch Zeugen a) Zeugenfähigkeit Die lex fori entscheidet allein darüber, wer Zeuge sein kann. Nach deutschem Recht gibt es keine Personen, die vom Zeugenbeweis ausgeschlossen sind. Jeder kann Zeuge sein, der nicht Partei ist. Weder auf das Alter noch auf irgendwelche Gebrechen kommt es an. Weder die Verwandtschaft noch die Ehe beschränken die Zeugenfähigkeit ein. Auch auf ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits ist grds. irrelevant.153 Die neuen englischen CPR haben die frühere Regel von RSC O. 25, wonach Körperbehinderte oder Geisteskranke nicht als Zeuge vernommen werden können, nicht übernommen. Es kommt nunmehr darauf an, ob der Zeuge im konkreten Fall den Ernst einer Aussage vor Gericht versteht.154
10.83
Soweit nach dem anwendbaren Sachstatut die Zeugenfähigkeit fehlen würde und der Zeugenbeweis daher unzulässig wäre, sind solche Regeln im deutschen Prozess unbeachtlich. Nach Art. 18 II Rom I-VO stehen zum Beweis eines Rechtsgeschäfts alle Beweismittel des deutschen Verfahrensrechts offen. Art. 11 Satz 2 CISG sieht ausdrücklich vor, dass ein Vertrag über einen internationalen Warenkauf „auf jede Weise, auch durch Zeugen“ bewiesen werden kann. Tendenziell hat der Europarat bereits 1980 empfohlen, Beweismittelbeschränkungen zugunsten einer Freiheit der Beweismittel abzubauen.155
10.84
Rein prozessuale Beweismittelbeschränkungen, z.B. der Ausschluss des Zeugenbeweises im Urkundenprozess, sollen davon jedoch unberührt bleiben.156
10.85
Die aus Art. 6 I EMRK folgende Garantie der Waffengleichheit im Zivilprozess kann verletzt sein, wenn der Alleingesellschafter einer Gesellschaft nicht zum Beweis eines von ihm geführten Gesprächs als Zeuge für die Gesellschaft vernommen werden kann.157
10.86
Da es sich bei der Pflicht des Zeugen, vor Gericht aussagen zu müssen, um eine prozessuale Verpflichtung handelt, muss jede Person, die als Zeuge in Frage kommt und sich im Geltungsgebiet der ZPO aufhält, auf Vorladung des Gerichts erscheinen und als Zeuge aussagen. Dabei wird auf die Staatsangehörigkeit nicht abgestellt. Ausländer müssen also nach den deutschen Prozessvorschriften als Zeugen aussagen.
10.87
153 P. Gottwald in Jayme, German National Reports for the XIVth Congress of Comparative Law, 1994, S. 135. 154 R. v Hayes [1977] 1 WLR 234; R. v. Bellamy (1985) 82 Cr App R 222. 155 De Lamberterie, R.I.D.Comp. 1992, 641, 680. 156 Ferrari/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 11 CISG, Rz. 8; Ferrari in MünchKomm/HGB, Bd. 5, 4. Aufl. 2018, Art. 11 CISG Rz. 8 f.; Staudinger/Magnus, (2018) CISG Art. 11 Rz. 17. 157 EGMR, NJW 1995, 1413.
627
§ 10 Rz. 10.87 | Internationales Beweisrecht
Ausnahmen bestehen insoweit, als auf die Exemtion von Mitgliedern der diplomatischen Missionen, konsularischen Vertretungen und andere Exemtionen Rücksicht genommen werden muss (s. Rz. 2.60 ff., 2.75 ff.).
10.88 Ein Ausländer kann sich also nicht darauf berufen, dass ihm nach dem Prozessrecht seines Heimatlandes die Zeugenfähigkeit überhaupt nicht zukommt. Die Länder des romanischen Rechtskreises schränken den Begriff des Zeugen immer noch dadurch ein, dass sie vielen Personen die Fähigkeit nehmen, als Zeugen auszusagen. 10.89 Die neue Schweizerische ZPO verzichtet auf jede absolute Einschränkung der Zeugnisfähigkeit, etwa wegen besonderer Beziehung zu einer Partei.158 10.90 Das spanische Recht schränkt den Zeugenbeweis im autonomen Recht ebenfalls ein. Nach Art. 51 Satz 2 Código de comercio kann der Abschluss eines Vertrags über einen Wert von mehr als 1500 Pesetas (ca. 9 €) nicht durch Zeugenaussage, sondern nach Art. 52 CCom nur durch Vorlage der schriftlichen Vertragsurkunde nachgewiesen werden.159 Spanien ist aber im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten an Art. 18 II Rom I-VO gebunden. 10.91 Außerdem sind weiterhin bestimmte Personengruppen von der Zeugenfähigkeit ausgeschlossen. Wer aufgrund geistiger Mängel nicht zurechnungsfähig ist, kann kein Zeuge sein (Art. 1246 Código civil). Ausgeschlossen sind alle Personen, deren Parteilichkeit vermutet wird (Art. 1247 Código civil). Dies sind Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten, Schwiegereltern und Schwiegerkinder. Auch Personen, die ein eigenes Interesse am Prozessausgang haben, wie Gesellschaften im Prozess der Handelsgesellschaft, sind als Zeugen ausgeschlossen. Schließlich kann die Gegenpartei die Streichung eines der Partei darüber hieraus verbundenen Zeugen nach Art. 337 LEC 2000 beantragen. Dies gilt für Verwandte bis zum vierten Grad, Mitgesellschafter und Angestellte, enge Freunde oder Feinde der Gegenseite.160 10.92 Eine ähnliche Regel wie Art. 1247 span. CC enthält Art. 1262 des mexikanischen Código de Comercio. 10.93 Das brasilianische Recht unterscheidet bei Zeugen solche nach der relativen Unfähigkeit (incapacidade mas relativa) und der absoluten Unfähigkeit (incapacidade absoluta). Daneben gibt es noch die verdächtigen Zeugen. Doch besteht kein absolutes Verbot, solche Zeugen zu hören. Der Richter kann vielmehr, wenn es ihm nützlich erscheint, auch unfähige oder verdächtige Personen als Zeugen vernehmen.161 10.94 In Italien können nach Art. 246 cprc Personen nicht Zeugen sein, die am Ausgang des Rechtsstreits derart interessiert sind, dass sie selbst am Verfahren als Partei teil158 Vgl. Th. Weibel/C. Walz in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweiz. ZPO, 3. Aufl. 2016, Art. 169 Rz. 3, 6. 159 Vgl. M. Schwonke/I. Tölg, Spanien, in Nagel/Bajons, S. 604 (Rz. 17). 160 Zur alten Prozessordnung vgl. A. Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozessrechts, 1994, S. 168 ff. 161 Art. 447 brasil. ZPO 2015; H. Theodoro jr., Curso de Direito Processual Civil, Vol. I, 2019, S. 1024 ff.
628
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.99 § 10
nehmen könnten. (Die Regel gilt nicht im Arbeitsgerichtsverfahren, Art. 421 [4] cprc.) Allerdings wird diese Unfähigkeit nur auf Einrede einer Partei beachtet.162 In England sind die Parteien nach CPR r 32.4 verpflichtet, die Aussagen von Zeugen, die im trial gehört werden sollen, vorab auszutauschen und dem Gericht mitzuteilen (witnesses’ statements). IdR wird dadurch das trial verkürzt, die vom Anwalt aufgenommene Aussage eingebracht und der Zeuge nur dem Kreuzverhör durch die Gegenseite unterzogen (CPR r 32.5 [2]).163
10.95
In Frankreich kann der „juge de la mise en état“ jeden Beweis und damit auch Zeugen von Amts wegen (auch gegen den Willen der Parteien) erheben. Der Richter kann sich mit schriftlichen Zeugenerklärungen („attestations“) begnügen (Art. 200 ff. CPC). Art. 205 CPC hat den Kreis der Personen, „qui sont frappées d´une incapacité de témoigner“ erheblich eingeschränkt. Insbesondere dürfen solche Personen uneidlich gehört werden.164 Abkömmlinge dürfen jedoch niemals über Streitigkeiten der Ehegatten zur Unterstützung einer Scheidungsklage oder einer solchen „en séparation de corps“ gehört werden.165
10.96
Auch das griechische Zivilprozess-Gesetzbuch spricht von Personen, die nicht als Zeugen gehört werden können (Art. 399–403).
10.97
In Frankreich und den vom Code Civil beeinflussten Ländern ist der Zeugenbeweis für den Abschluss von Verträgen jenseits minimaler Mindestsummen ausgeschlossen; der Hauptbeweis kann nur durch Vorlage der Vertragsurkunde geführt werden. So in Frankreich (Art. 1341 Code Civil i.V.m. Dekret Nr. 2004–836 v. 20.8.2004 – 1500 €), in Italien (Art. 2721 [1] c.c. – 25 000 €)166, in Griechenland (Art. 393 griech. ZPG – 20 000 €167). Diese Beweisbeschränkungen werden teilweise (so in der Schweiz) als materielle Formvorschriften qualifiziert und bei entsprechendem Sachstatut angewendet.168
10.98
In den USA ist der Zeugenbeweis nach dem adversary system169 ohne Gerichtsbeschluss zulässig. Sachverständige werden grds. wie Zeugen vernommen. Der amerikanische Zivilprozess kennt die jury auch in Zivilsachen. Da die jury einfach nach „common sense“ entscheidet, gibt es keine Regeln über die Beweiskraft eines Zeugnisses, wohl aber zahlreiche Beweisregeln, die sicherstellen sollen, dass die jury nicht irregeführt wird. Für die Bundesgerichte gelten die Federal Rules of Evidence von 1975, State Courts haben ihren eigenen Evidence Code, der inhaltlich überwiegend den Uni-
10.99
162 163 164 165 166
A. Chizzini/E-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 329 (Rz. 85). Vgl. Ch. Kessel, ZVglRwiss. 92 (1993), 395, 413 f.; A. Zuckerman, ZZP Int. 1996, 65. G. Rouhette in Nagel/Bajons, S. 184 (Rz. 28). B. Bangratz, DRiZ 1995, 85, 90 f. Vgl. D. Jacob, ZZPInt 8 (2003), 245, 253, 259. Der Richter kann den Zeugenbeweis jedoch unter Berücksichtigung der Stellung der Parteien, der Art des Vertrags und aller sonstigen Umstände zulassen. 167 Gemäß Art. 38 Gesetz Nr. 3994/2011; Auskunft von A. Kaissis, Thessaloniki. 168 So G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, 5. Aufl. 2012, S. 353. 169 Vgl. Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 6th ed. 2011, § 1.2.
629
§ 10 Rz. 10.99 | Internationales Beweisrecht
form Rules of Evidence von 1974 und 1986 entspricht.170 Der Zeuge ist mündlich zu vernehmen. Er wird gewöhnlich vom Anwalt der präsentierenden Partei vorab befragt und sodann im Rahmen der discovery depositions (FRCP 30) vernommen, worüber i.d.R. ein vollständiges Wortprotokoll aufgenommen wird.171 Im trial wird der Zeuge auf Antrag des Parteianwalts durch (gerichtliche) subpoena geladen und vom präsentierenden Anwalt nach Leistung des Voreides befragt. „Leading questions“ sind nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig. Der Zeuge wird sodann vom Gegenanwalt befragt („cross-examination“). Die Beweisaufnahme wird wörtlich aufgezeichnet. Der Zeuge darf nur über Tatsachen, von denen er persönlich Kenntnis hat, befragt werden. Mittelbarer Beweis („hearsay“) ist grds. unzulässig (Fed Rules Evid. 802 ff.). Die Regeln über cross examination betreffen nur den Gang des Verfahrens, nicht ohne weiteres den Inhalt der Entscheidung. Das Gericht wendet nur seine eigenen Regeln an,172 sofern nicht im Wege der Rechtshilfe ausdrücklich um eine Vernehmung per cross examination ersucht wird (s. Rz. 9.56).
10.100 In schriftlichen Verfahren (motion procedure) können „affidavits“ jedes möglichen Zeugen als Beweismittel benutzt werden. 10.101 In einzelnen Staaten gibt es Beschränkungen der Zeugenfähigkeit. Der Zeuge muss jedenfalls die Bedeutung des Eides verstehen und in der Lage gewesen sein, das fragliche Geschehen zu beobachten. In Kalifornien kann grds. „every person, irrespective of age“ Zeuge sein (Cal. CCP § 700). Der Zeuge muss aber fähig sein, eine verständliche Aussage zu machen und die Wahrheitspflicht zu verstehen (Cal. CCP § 701 [a]).
10.102 Vor dem englischen High Court muss der Zeuge zur Sache aussagen, sofern ihm kein privilege nach dem englischen Prozessrecht zusteht. Auf Weigerungsrechte seines Heimatrechts kann sich der Zeuge grds. nicht berufen.173 10.103 Im Einzelnen gibt es Beschränkungen des Beweisgegenstandes wegen „fraud“ oder „relevancy“.174 Widerspricht der Spruch einer jury „evident“ dem Beweisergebnis, so kann der Richter das Beweisurteil auf Antrag aufheben und die Sache neu vor einer anderen jury verhandeln. In Nichtjury-Fällen muss der Einzelrichter sein Beweisergebnis im Einzelnen begründen; auf appeal kann das Rechtsmittelgericht hier die Feststellungen u.U. selbst korrigieren. b) Zeugnisverweigerungsrecht, Privilegien
10.104 Das deutsche IZPR bestimmt zwar die Partei- und Prozessfähigkeit nach ausländischem Recht. Doch kann Entsprechendes nicht auch für die Zeugenfähigkeit gelten. Die Zeugenunfähigkeit, Zeugnisverweigerungsrechte und Privilegien, als 170 171 172 173 174
630
P. Herzog, AmJCompL 42 (Suppl.) (1994), 275, 277 f. Vgl. S. Timmerbeil, Witness coaching and Adversary system, 2004. D. Coester-Waltjen, Rz. 405, 408 ff. A. Junker in Heldrich/Kono, S. 103, 113. P. Herzog, AmJCompl 42 (Suppl) (1994), S. 285 f.
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.108 § 10
Zeuge nicht aussagen zu brauchen, dienen zweierlei Zwecken: sie schützen die betreffenden Personen vor einem inneren Zwiespalt, die Wahrheit zu sagen oder aber jemanden zu schützen. Sie haben zugleich öffentlich-rechtlichen Charakter, indem sie die freie richterliche Beweiswürdigung in unterschiedlicher Weise beschränken. Für einen Richter, der Zeugenunfähige nicht hören darf, verschließt sich eine bedeutende Quelle, den wahren Sachverhalt ermitteln zu können. Zeugnisverweigerungsrechte können ebenso nachteilig wirken, sie überlassen die Entscheidung, ob sie aussagen wollen oder nicht, weitgehend den geschützten Personen. Inwieweit und mit welchen Mitteln ein Staat Personen schützt, bzw. seine Richter vor einer fehlerhaften Beweiswürdigung bewahrt, ist letztlich eine rechtspolitische Frage, die jeder Staat nach seinem Ermessen entscheidet. Durch die Zeugenunfähigkeit, Zeugnisverweigerungsrechte und Privilegien werden den betreffenden Personen insb. keine materiell-rechtlichen Rechte zuerkannt. Es könnte also auch nicht von „vested rights“ gesprochen werden. Die prozessuale Pflicht, als Zeuge der Wahrheitsfindung zu dienen, wird vielmehr in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Mitteln eingeschränkt. Darüber kann nur die lex fori entscheiden.175. Deutsche, die im Ausland als Zeugen aussagen müssen, können sich also auf die dort geltenden Beschränkungen, nicht aber auf das ihnen nach deutschem Recht zustehende Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Die EU-Richtlinie 2016/943 v. 8.6.2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (in Deutschland umgesetzt durch das Geschäftsgeheimnisgesetz v. 18.4.2019, BGBl. 2019 I 466) hat zwar den Schutz von Geschäftsgeheimnissen in der EU vereinheitlicht, Zeugnisverweigerungsrechte als solche sind darin aber nicht geregelt.
10.105
Das Zeugnisverweigerungsrecht unterscheidet sich von der Zeugenunfähigkeit dadurch, dass die betroffenen Personen grds. als Zeugen aussagen können, sie haben lediglich eine Berechtigung, das Zeugnis zu verweigern. Das Zeugnisverweigerungsrecht wird entweder aus persönlichen oder aus sachlichen Gründen gewährt. In den Prozessrechten der Staaten ist diese Berechtigung unterschiedlich ausgestaltet. Der davon betroffene Personenkreis wird nach der einen ZPO weiter, nach der anderen enger gezogen. § 383 I Nr. 1–3 der deutschen ZPO berücksichtigt noch die Großfamilie; andere Rechtsordnungen beschränken das Privileg auf die Kleinfamilie.
10.106
In vielen Ländern (z.B. Deutschland, Niederlande, Österreich, Schweden) hat das Berufsgeheimnis einen relativen Charakter. Da es Interessen des Geschützten wahren soll, hat dieser das Recht, den Geheimnisträger von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Hat er ihn entbunden, hat der Geheimnisträger keine Wahl mehr: er muss wie jeder andere Zeuge aussagen.
10.107
In Frankreich besteht eine grundsätzliche Aussagepflicht, aber der Richter kann den Zeugen aus jedem gerechtfertigten Grund von der Pflicht entbinden (Art. 206 Satz 2 CPC), so dass ein Arzt nicht zu einem Berufsgeheimnis aussagen muss.176
10.108
175 D. Coester-Waltjen, Rz. 569 ff., 597 ff.; a.A. M. Wolf, Symposium Baur, 1992, S. 35, 62 (für Zeugnisverweigerungsrecht kraft Berufsgeheimnis nach Heimatrecht). 176 Cass 2e civ Bull 1978 II no 267; G. Rouhette in Nagel/Bajons, S. 184 (Rz. 29).
631
§ 10 Rz. 10.109 | Internationales Beweisrecht
10.109 Im US-amerikanischen Prozess kann dem Zeugen ein „privilege“ zustehen, wonach er über einen Gegenstand nicht aussagen muss. Danach muss sich niemand selbst einer strafbaren Handlung überführen (US Constitution, 5th Amendment). Die Gefahr zivilrechtlicher Verantwortung befreit dagegen nicht von der Aussagepflicht (New York CPLR § 4501). Geschützt sind Berufsgeheimnisse, sofern der Auftraggeber nicht Befreiung erteilt, und zwar vertrauliche Mitteilungen an Ärzte, Anwälte, Geistliche und andere Berufsberater (New York CPLR §§ 4503–4505), auch an Psychiater, Psychologen und zugelassene Sozialarbeiter,177 vertrauliche Gespräche zwischen Ehegatten (New York CPLR § 4502 [b]), Mitteilungen zwischen Regierungsstellen; teilweise wird auch der Presse ein Privileg zugestanden. Im Einzelnen bestehen erhebliche Unterschiede178 (Cal.Evid.Code §§ 900–1070). Das Bundesrecht verweist grds. auf „principles of common law“. In Fällen von „diversity jurisdiction“ müssen die Bundesgerichte die Beweisregeln des jeweiligen Bundesstaats anwenden (FRE 501). Seit 19.9.2008 sieht FRE 502 vor Bundesgerichten ausdrücklich ein umfassendes „Attorney-Client Privilege“ vor.179 In Kalifornien sind privileges in Cal.E. C. §§ 900–1070 geregelt. Kalifornien erkennt in Cal.E.C. §§ 1060, 1063 auch ein privilege für ein „trade secret“ an. 10.110 Das Privileg gibt dem Zeugen jedoch nicht das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob er aussagen will oder nicht. Die Zeugen können sich vielmehr im Einzelfall auf ihr Privileg, die Aussage zu verweigern, berufen. Der Richter entscheidet dann anhand aller Umstände darüber, ob der Zeuge aussagen muss. Die englischen Richter sind immer zurückhaltend gewesen, einem Zeugen ein Privileg zu gewähren. Die sog. privaten Privilegien werden enger gefasst als die Zeugnisverweigerungsrechte der kontinentaleuropäischen Länder. 10.111 In England verleihen Berufsgeheimnisse grds. kein privilege. Ein privilege besteht nur für lawyers, soweit der Schriftwechsel mit dem Mandanten notwendig und vertraulich ist,180 sowie für patent agents (Patents Act 1977, s. 132). Dagegen gibt es kein generelles privilege wegen Vertraulichkeit für Priester, Ärzte, Agenten, Hilfspersonen und Freunde, Journalisten, Banker oder Gefängnispersonal. Ärzte müssen also in England als Zeugen grds. über alles aussagen, was sie bei der Behandlung von Patienten festgestellt haben bzw. was ihnen anvertraut wurde.181 Der Richter kann aber nach seinem Ermessen die Vertraulichkeit der zu offenbarenden Information und
177 US Supreme Court, Jaffee v Redmond, 116 S.Ct. 1923 (1996). 178 P. Herzog, AmJCompL 42 (Suppl) (1994), 275, 284 f. 179 Vgl. M. Mann, Neues Beweisrecht in den USA: zum Vertraulichkeitsschutz zwischen Anwalt und beratenem Unternehmen, RIW 2010, 134; H. Merkt, Zur Maßgeblichkeit deutschen Rechts für die Bestimmung des Anwaltsprivilegs des Syndikusanwalts im US-amerikanischen Zivilprozess, FS Martiny, 2014, S. 803. 180 Vgl. Ch. Armbrüster/V. Wächter, Englisches Anwaltsprivileg und deutsches Vertragsrecht, NJW 2019, 1412. 181 D. v National Society for the Prevention of Cruelty to Children [1978] AC 171 (Lord Edmund Davies, 244); C. Garrett, VK (England und Wales), in Nagel/Bajons, S. 707 (Rz. 32).
632
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.115 § 10
das öffentliche Interesse an der Aufdeckung gegeneinander abwägen und eine Offenbarung untersagen.182 Die unterschiedlichen Auffassungen über das Zeugnisverweigerungsrecht bzw. die Privilegien führen bei der Anwendung der lex fori z.B. zu folgenden Ergebnissen: Vor dem deutschen Prozessrichter könnte ein englischer Arzt sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen, sofern er von dem Patienten nicht von der Schweigepflicht entbunden ist. Würde die Partei einen französischen Arzt von der Schweigepflicht entbinden, so müsste er als Zeuge aussagen, obwohl das französische Prozessrecht ihm gebietet zu schweigen. Das deutsche Gericht wird auch nicht durch den französischen ordre public gebunden. Es sollte allerdings schon in dem Verfahren vor dem deutschen Erstrichter geprüft werden, ob ein Verstoß gegen den französischen ordre public einer späteren Anerkennung und Vollstreckung des deutschen Urteils in Frankreich hinderlich sein könnte.
10.112
Umgekehrt könnte ein deutscher Arzt sich vor einem englischen Gericht kaum mit Erfolg auf ein Privileg berufen, selbst dann nicht, wenn er sich darauf beriefe, dass er gegen sein Standesrecht verstoßen würde, wenn er trotz seiner Schweigepflicht, sofern er nicht von ihr entbunden ist, aussagen müsste. Andererseits dürfte der deutsche Arzt vor einem französischen Prozessgericht auch dann nicht als Zeuge aussagen, wenn ihn der Patient von der Schweigepflicht entbunden hätte. Solche Beispiele zeigen, wie sehr die unterschiedlich ausgestalteten Beweisrechte den Zeugen berühren, wenn er sich von einem in das andere Land begibt. Es ist wie zu jener Zeit, als in dem einen Land rechts, in dem anderen links gefahren wurde!
10.113
c) Art und Weise der Aussage Die Art und Weise der Durchführung des Zeugenbeweises richtet sich nach der lex fori. Während in Deutschland ein Zeuge nur auf Antrag der beweisbelasteten Partei vernommen wird (§ 373 ZPO), kann das Gericht einen Zeugen in vielen Ländern auch von Amts wegen laden und vernehmen, so z.B. in den Niederlanden (Art. 198 RV), in Frankreich (Art. 200 CPC), auch – zumindest de iure – vor den amerikanischen Bundesgerichten (FRE 614 [a]; eine entsprechende Regel für State courts sehen die Uniform Rules of Evidence 1974/1986 vor, die bisher von 38 Staaten übernommen wurden). Auch in Österreich kann das Gericht Zeugen von Amts wegen laden, sofern sich nicht beide Parteien dagegen erklären (§ 183 I Nr. 4, II öZPO).183
10.114
Erhebliche Unterschiede bestehen hinsichtlich der Art der Aussage. Während der Zeuge in Deutschland grundsätzlich in der Verhandlung mündlich aussagen muss (§§ 394 ff. ZPO) und eine schriftliche Aussage (§ 377 III ZPO) nur selten angeordnet wird, ist in anderen Ländern die schriftliche Aussage („witness statement“) die Re-
10.115
182 Balabel v Air India [1988] Ch. 317, 330; Crompton (Alfred) Amusement Machines v Customs and Exercise Commissioners [1973] 2 All ER 1169 (H.L.); S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 23–15 ff., 23–42 ff., 23-63 ff. (privileges under the CPR). 183 Vgl. Fasching/Schragel, Zivilprozessgesetze, Bd. II/2, 2. Aufl. 2003, § 183 ZPO Rz. 8.
633
§ 10 Rz. 10.115 | Internationales Beweisrecht
gel.184 In Finnland und den baltischen Staaten sind auch Vernehmungen per Telefon oder Videokonferenz, auch über Skype üblich.185 2. Parteivernehmung, Parteieid, gerichtliches Geständnis a) Parteivernehmung
10.116 Die Parteivernehmung besteht im deutschen Recht als besonderes Beweismittel neben dem Zeugenbeweis. Nach § 445 ZPO ist sie grds. nur subsidiär zulässig: Andere zulässige Beweismittel müssen erschöpft, der Beweis aber noch nicht vollständig geführt sein, oder es muss jeder andere Beweis fehlen. Diese Subsidiarität bleibt auch in internationalen Fällen erhalten, soweit ein Vertrag wie nach Art. 11 Satz 2 CISG „auf jede Weise bewiesen werden kann“.186 Steht der Partei kein anderes Beweismittel zur Verfügung, verstößt die Subsidiarität aber gegen die Garantie eines fairen Verfahrens nach Art. 6 I EMRK.187 Nach sec. 13 des Evidence Act von Ontario/Kanada ist die Parteivernehmung in einem Erbschaftsprozess ebenfalls nur zulässig, wenn das streitige Ereignis, das zu Lebzeiten des Erblassers stattfand, auch durch zusätzliche Beweisindizien gestützt wird. b) Vorrang der Parteivernehmung
10.117 Die Parteivernehmung ist in Norwegen 1915 eingeführt worden (Lov om rettegangsmaaten for tvistemaal, 9. Kap, §§ 111 ff.). Die Subsidiarität der Parteivernehmung wird nicht erwähnt. Aus der Formulierung: „Wenn die Aussagen der Parteien gebraucht werden“, ergibt sich, dass die Parteien schon vor den Zeugen gehört werden können. 10.118 Nach dem schwedischen „Rättegångsbalk“ v. 1.8.1948, RB 43:8 st. 2 kann die Parteivernehmung noch vor der Zeugenvernehmung erfolgen. Die Subsidiarität ist bewusst aufgegeben worden. Man geht davon aus, dass die Parteien den Sachverhalt am besten kennen. Die Parteivernehmung kann von jeder Partei beantragt oder von Amts wegen angeordnet werden.188 10.119 Auch nach der brasilianischen ZPO werden die Parteien vor den Zeugen vernommen. Der Grundsatz der Subsidiarität ist bewusst ausgeschlossen worden.189 Die Parteien werden wie Zeugen vernommen. 184 Vgl. R. Stürner in La prueba en el processo, 2018, S. 49, 62 ff. 185 Vgl. L. Ervo, International cooperation and evidence in the nordic ... countries, in La prueba en el proceso, 2018, S. 555, 571. 186 Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Saenger, BGB, 4. Aufl. 2020, Art. 11 CISG Rz. 8; Gruber in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, Art. 11 CISG Rz. 19; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter/Schmitt-Kessel, Komm. zum UN-Kaufrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 11 Rz. 12. 187 EGMR, NJW 1995, 1413 (dazu P. Schlosser, S. 1404) = ZEuP 1996, 484 (M. Roth); J. Wittschier, DRiZ 1997, 247. 188 B. Lindell, Schweden, in Nagel/Bajons, S. 547 (Rz. 53 ff.). 189 Art. 361 brasil. ZPO 2015; P. C. Pinheiro Carneiro, O Novo Processo Civil Brasileiro, 2019, S. 67.
634
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.123 § 10
In Österreich hat die Novelle von 1983 die Subsidiarität der Parteivernehmung völlig beseitigt. Die Parteivernehmung (gem § 371 öZPO) ist mit anderen Beweismitteln gleichrangig. Sie wird ähnlich wie eine Zeugenvernehmung durchgeführt (§§ 375, 380 öZPO), doch kann weder das Erscheinen noch die Aussage erzwungen werden.190 Die Entwicklung des Beweisrechts geht dahin, dass die Parteivernehmung wie im common law den Regeln des Zeugenbeweises unterstellt wird. Auch Art. 164 niederländische R.V. sieht vor, dass die Parteien als Zeugen vernommen werden können. Die Beweiskraft ist aber eingeschränkt. Denn zu ihrem Vorteil kann die Aussage einer Partei nur verwertet werden, wenn sie durch einen anderen, für sich allein nicht ausreichenden Beweis unterstützt wird (Art. 164 II R.V.).191
10.120
c) Parteieid In den Rechten des romanischen Rechtskreises hat sich die Parteivernehmung als besonderes Beweismittel noch nicht durchgesetzt. Es gelten die formalen Parteieide in der Form des der einen von der anderen Partei zugeschobenen und des einer Partei vom Gericht auferlegten Ergänzungseides. Diese Parteieide binden den Richter, sie erlauben nur teilweise eine freie richterliche Würdigung. Es ist beachtenswert, dass der neue französische cprc hieran nichts Wesentliches geändert hat (Art. 317 bis 322 CPC). Der einer Partei zugeschobene Eid – serment déféré – oder von dieser der anderen zurückgeschobene Eid lässt keinen Raum für eine Beweiswürdigung, er bindet das Gericht.192 Des einer Partei von Amts wegen auferlegten Ergänzungseides bedient sich das Gericht, wenn es von der bisherigen Beweisaufnahme nicht hinreichend überzeugt ist.193
10.121
Neben diesen formalen Parteieiden hat sich die informelle Befragung der Parteien herausgebildet. Der französische Richter kann dazu das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen. Die „comparution personnelle“ kann jedoch nicht erzwungen werden. Eine Partei kann auf ihre Aussage auch nicht beeidet werden.
10.122
d) Geständnis Über die Beweisbedürftigkeit entscheidet grds. die lex fori (s. Rz. 10.48). Deshalb ist ein Geständnis im Inland gem. § 288 ZPO im Inland zu beachten, selbst wenn die lex causae etwas anderes vorsieht. Soweit in Statusverfahren dem Geständnis keine Wirkung zukommt (vgl. § 113 IV Nr. 5 FamFG), sind solche Regeln nur zu beachten, wenn die lex causae die Dispositionsfreiheit über den Streitgegenstand ausschließt.194
190 W. Fasching, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1990, Rz. 1024 ff.; Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts, 9. Aufl. 2017, Rz. 879 ff. 191 H.M. Granow/C. M. Bervoets, Niederlande, in Nagel/Bajons, S. 406 (Rz. 32). 192 Ebenso in Griechenland: Art. 421 ff. griech. ZPGB; vgl. K. Beys, Dike Intern. 1994, 161, 182. 193 R. Perrot in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz, S. 91, 108; für das italienische Recht S. Patti in Nagel/Bajons, S. 295 (Rz. 36 f.); A. Chizzini/E.-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 325 (Rz. 79 ff.). 194 R. Geimer, IZPR, Rz. 357 f, 2277; D. Coester-Waltjen, Rz. 606.
635
10.123
§ 10 Rz. 10.124 | Internationales Beweisrecht
10.124 Während nach § 288 ZPO die von einer Partei behaupteten Tatsachen insoweit keines Beweises bedürfen, als sie im Laufe des Rechtsstreits von dem Gegner bei einer mündlichen Verhandlung oder zu Protokoll eines beauftragten oder ersuchten Richters zugestanden sind, behandeln die romanischen Rechte das gerichtliche Geständnis traditionellerweise als ein besonderes Beweismittel (Art. 1356 franz. c.c.). Das gerichtliche Geständnis erbringt den vollen Beweis für die zugestandenen Tatsachen.195 Nach mexikanischem Recht erbringt ein unter den gesetzlichen Voraussetzungen abgegebenes Geständnis – confesión – vollen Beweis für die zugestandene Tatsache. Ebenso verhält es sich nach Art. 339, 352 ff. der griechischen ZPO.196 In all diesen Fällen handelt es sich um ein gesetzliches Beweismittel, das den Richter bindet. Im Gegensatz dazu wird die „judicial admission“ ähnlich wie im deutschen Prozessrecht behandelt. Sie macht den Beweis überflüssig.197 10.125 Das gerichtliche Geständnis bewirkt, dass der deutsche Richter die zugestandene Tatsache als wahr berücksichtigen muss, sofern das Gegenteil nicht offenkundig ist oder jeder Erfahrung widerspricht.198 Das spanische LEC Nr. 1/2000 hat das (eidliche) gerichtliche Geständnis durch die (nicht beeidete) Parteivernehmung (Art. 301 ff. LEC) ersetzt.199
10.126 In den USA hat jede Partei im discovery-Verfahren die interrogatories der Gegenseite schriftlich zu beantworten und mündlich wie ein Zeuge despositions zu geben (FRCP 30, 33). Während des trial wird die Partei ebenfalls wie ein Zeuge vernommen. Aussageverweigerungsrechte nach dem heimatlichen Personalstatut stehen der ausländischen Partei nicht zu.200 10.127 Request for admission. In den USA kann jede Seite den Gegner schriftlich auffordern, bestimmte Tatsachen innerhalb von 30 Tagen zuzugestehen (FRCP 36).201 Gibt er keine Erklärung ab, so gilt das Geständnis wie bei einer ausdrücklichen Erklärung als abgegeben (FRCP 36 [a] II Satz 2). Jedes Geständnis muss einzeln begehrt werden. Will der Gegner die Geständnisfiktion vermeiden, muss er eine schriftliche Antwort oder Sacheinwendung innerhalb der (ggf. vom Gericht verlängerten) Frist geben. Die Antwort soll die Sache spezifiziert leugnen oder im Detail angeben, warum die Sache nicht zugestanden werden kann. Ist die Sache teilweise wahr, soll ein Teilgeständnis erfolgen. Auf Antrag kann das Gericht eine Verbesserung der Antwort aufgeben. Es kann zur Erledigung des Ersuchens auch eine pre-trial conference ansetzen. Für diese Anträge kann das Gericht Erstattung der Anwaltskosten anordnen (FRCP 36 [a] 3. Absatz; 37 [a] [4]).
195 196 197 198 199 200
G. Rouhette in Nagel/Bajons, S. 186 (Rz. 34). K. Beys, Dike Intern. 1994, 161, 183. McCormick, On Evidence, 6th ed. 2006, § 254 (p. 445). Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 113 Rz. 13. M. Schwonke/I. Tölg in Nagel/Bajons, S. 615 (Rz. 33). A. Junker in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 103, 113. 201 Vgl. A. Junker, Discovery, 1987, S. 186 ff.
636
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.132 § 10
e) Ergebnis Das Ergebnis dieser unterschiedlichen Auffassungen führt dahin, dass eine französische Partei z.B. vor einem deutschen Prozessgericht ihrem Gegner nicht den Eid (gem. Art. 1358 ff. c.c.) über irgendwelche Tatsachen zuschieben kann (s. Rz. 10.66). In Deutschland sind ausländische Regeln über den zugeschobenen Eid unbeachtlich und zwar nicht nur, wenn sie im Einzelfall zu einem dem inländischen ordre public widersprechenden Ergebnis führen würden.202 Sie kann allenfalls seine Parteivernehmung beantragen. Das Ergebnis der uneidlichen Parteivernehmung würdigt der deutsche Richter frei. Liegt jedoch eine beeidete Aussage einer Partei vor, so ist der deutsche Richter praktisch an diese gebunden, weil er frei darüber entscheidet, welche Partei ihre Aussage beeiden soll, da er nach § 452 II ZPO nur eine Partei beeiden darf. Im Ergebnis kommt das dem formalen Parteieid nahe.
10.128
Eine deutsche Partei kann dagegen vor einem französischen Gericht ihrem Gegner den Eid über bestimmte Tatsachen zuschieben. Leistet der Gegner den Eid, so ist der französische Richter hierdurch gebunden. Auf eine Parteivernehmung nach deutschem Vorbild könnte sich eine deutsche Partei nicht berufen, allenfalls eine informelle Parteibefragung anregen.
10.129
3. Der Beweis durch Urkunden VO (EU) 2016/1191 v. 6.7.2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden ..., ABl. EU 2016 Nr. L 200/1. Ausführungsregeln: §§ 1118 ff. ZPO.
10.130
Schrifttum: R. Freitag, Der Beweiswert ausländischer Urkunden vor dem deutschen Standesbeamten, StAZ 2012, 161; M. Heger, Rechtshilfe in Zivilsachen in unruhigen Zeiten, FS E. Koch, 2019, S. 611, 613; Ph. Kienzle, Nachweis der Echtheit ausländischer öffentlicher EDokumente im Zivilprozess, NJW 2019, 1712; X. Kramer, Challenges of electronic Taking of Evidence: Old Problems in a New Guise and New Problems in Disguise, in La prueba en el proceso, Barcelona, 2018, S. 391; Ch. Schmitz, Die „Annahme“ öffentlicher Urkunden nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO, 2020.
a) Die Beweiskraft von Urkunden Nach § 437 ZPO haben inländische öffentliche Urkunden die Vermutung der Echtheit für sich und begründen nach § 415 ZPO vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang. Diese gesetzlichen Vermutungen gelten nicht für ausländische öffentliche Urkunden.
10.131
Nach § 438 ZPO hat das Gericht nach den Umständen des Falles zu ermessen, ob eine Urkunde, die sich als von einer ausländischen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des Auslandes errichtet darstellt, ohne nähe-
10.132
202 OLG Hamm, RIW 1994, 513, 517; R. Geimer, IZPR, Rz. 2325, 2339; H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 10.31; a.A. D. Coester-Waltjen, Rz. 612 ff., 617.
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§ 10 Rz. 10.132 | Internationales Beweisrecht
ren Nachweis als echt anzusehen sei.203 Nach § 438 II ZPO genügt die Legalisation durch einen Konsul oder Gesandten stets zum Nachweis der Echtheit der ausländischen Urkunde.204
10.132a Für öffentliche Urkunden in Erbsachen sieht Art. 59 EuErbVO eine Erstreckung der formellen Beweiskraft einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat errichteten Urkunde vor, sofern diese nicht dem ordre public des Verwendungsstaates widerspricht.205 Wer eine solche Urkunde benützen will, muss sich im Ursprungsstaat die formelle Beweiskraft auf einem Formular bestätigen lassen (Art. 59 I UAbs. 2 EuErbVO). Einwände gegen die Authentizität der Urkunde sind grundsätzlich bei den Gerichten des Ursprungsstaates zu erheben (Art. 59 II EuErbVO). 10.133 Gemäß Art. 4 VO (EU) 2016/1191 (EuUrkVO) v. 6.7.2016206 sind alle öffentlichen Urkunden, die von Behörden eines EU-Mitgliedstaates ausgestellt wurden und einen der in Art. 2 I, II dieser Verordnung aufgeführten Sachverhalt betreffen, von jeder Art der Legalisation und ähnlicher Förmlichkeit befreit. Es handelt sich um Urkunden zum Personenstand, zur Abstammung, Adoption, zum Wohnsitz, zur Staatsangehörigkeit und zur Vorstrafenfreiheit.207 Soweit eine Originalurkunde vorzulegen ist, darf nicht zusätzlich die Vorlage einer beglaubigten Kopie verlangt werden (Art. 5 I EuUrkVO). Soweit eine beglaubigte Kopie vorzulegen ist, genügt eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat gefertigte Kopie (Art. 5 II EuUrkVO). Übersetzungen in die Amtssprache des Staates, in dem die Urkunde vorgelegt wird, dürfen nicht verlangt werden, wenn die Urkunde in einer der Amtssprachen dieses Staates oder in einer anderen Sprache abgefasst ist, die dieser Staat akzeptiert hat (Art. 6 I a EuUrkVO). Soweit es um Urkunden über den Personenstand, den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt oder die Vorstrafenfreiheit geht, werden der Urkunde mehrsprachige Formulare als Übersetzungshilfe beigefügt (Art. 6 I b, 7 I, 8 I EuUrkVO). Eine Übersetzung der Urkunde kann nur verlangt werden, wenn die Information durch das mehrsprachige Formular im Einzelfall nicht ausreicht. Die Regeln über elektronische Signaturen bleiben davon unberührt (Art. 17 II EuUrkVO). Diese neue Verordnung lässt zwar internationale Übereinkünfte unberührt, hat aber zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang gegenüber anderen bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen (Art. 19 I, II EuUrkVO). Die Zuständigkeit für die Ausstellung der mehrsprachigen Formulare ergibt sich in Deutschland aus § 1120 ZPO. Zuständig ist danach die sonst für die Ausstellung der Urkunde zuständige Behörde. Das Bundesamt für Justiz ist zuständig für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Justiz. Es ist zugleich Zentralbehörde nach Art. 15 EuUrkVO. Diese Regelung hindert niemand, die Befreiung von der Legalisation nach anderen Regeln zu nutzen (Erwägungsgrund 4 zu EuUrkVO).
203 R. Freitag, StAZ 2012, 161, 164. 204 Vgl. G. Langhein, Rpfleger 1996, 45, 47 f.; Schreiber in MünchKomm/ZPO, § 438 ZPO Rz. 3. 205 Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 1. 206 ABl. EU 2016 Nr. L 200/1. Die VO gilt seit dem 16.2.2019. 207 Vgl. Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2019, 1477, 1480 ff.
638
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.135 § 10
Im Rahmen von Art. 61 EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO), Art. 56 EuGVO a.F./LugÜ wird ausdrücklich auf die Legalisation von vollstreckbaren öffentlichen Urkunden verzichtet. Diese Urkunden gelten danach quasi als inländische Urkunden iS des § 437 ZPO.208 Dabei muss jedoch beachtet werden, dass es sich hierbei nur um öffentliche Urkunden aus den Gebieten des Zivil- und Handelsrechts handeln darf, wobei die in Art. 1 II aufgeführten Gebiete ausgeschlossen bleiben.
10.134
Außerdem ist das Haager Übereinkommen v. 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation, das sog. Apostilleübereinkommen,209 zu beachten. Danach genügt die Anbringung einer Apostille gem. dem Muster des Übereinkommens auf oder in Verbindung mit der Urkunde. Die Apostille muss von der zuständigen Behörde des Staats ausgestellt sein, in dem die Urkunde errichtet worden ist.210 Nach Art. 5 II beweist die Apostille die Echtheit der Unterschrift, die Eigenschaft des Unterzeichners der Urkunde und die Echtheit des Siegels oder Stempels, mit dem die Urkunde versehen ist. Die Beweiskraft und ihre mögliche Widerlegung richten sich nach der lex fori.211
10.135
Dieses Übereinkommen gilt im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu: Albanien, Andorra, Antigua und Barbuda, Argentinien, Armenien, Australien, Bahamas, Bahrain, Barbados, Belarus, Belgien, Belize, Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Botsuana, Brasilien, Brunei Darussalam, Bulgarien, Chile, den Cook-Inseln, Costa Rica, Dänemark, Dominica, Ecuador, El Salvador, Estland, Fidschi, Finnland, Frankreich, Georgien, Grenada, Griechenland, Guatemala, Honduras, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kap Verde, Kasachstan, Kolumbien, Korea, Kroatien, Lesotho, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malawi, Malta, den Marschallinseln, Mauritius, Mazedonien, Mexiko, Monaco, Montenegro, Namibia, Neuseeland, Nicaragua, den Niederlanden, Niue, Norwegen, Oman, Österreich, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Samoa, San Marino, São Tomé und Principe, Schweden, der Schweiz, Serbien, den Seychellen, der Slowakei, Slowenien, Spanien, St. Kitts and Nevis, St. Lucia, St. Vincent und den Grenadinen, Südafrika, Suriname, Swasiland, Tonga, Trinidad und Tobago, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Uruguay, den USA, Usbekistan, Vanuatu, Venezuela, dem Vereinigten Königreich und Zypern. Indien, Kirgisistan, Kosovo, Liberia, Marokko, Mongolei, Paraguay, Peru, Philippinen, Moldau, Tadschikistan, Tunesien und Usbekistan haben das Übereinkommen gezeichnet; es ist für sie bzw. im Verhältnis zu Deutschland noch nicht in Kraft getreten.
208 F. Cranshaw, in BMJ, Zwangsvollstreckung und Zwangsversteigerung aktuell, 2018, S. 191, 198. 209 BGBl. 1965 II, 875. 210 Vgl. H. Schmidt in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Lfg. 41 (2011), S. 761.3 ff.; C. Kierdorf, Die Legalisation von Urkunden, 1963; R. Bindseil, DNotZ 1992, 275. Viele Staaten erteilen die Apostille bereits in elektronischer Form, vgl. F. Fuchs, IPrax 2020, 302. 211 H. Schmidt in Geimer/Schütze, S. 761.13; H. Schack, IZVR, Rz. 779.
639
§ 10 Rz. 10.136 | Internationales Beweisrecht
10.136 Es gilt weiter das Londoner Europäische Übereinkommen v. 7.6.1968 zur Befreiung der von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichteten Urkunden von der Legalisation.212 Dieses Übereinkommen gilt im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Mazedonien, Moldau, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik, der Türkei, dem Vereinigten Königreich und Zypern. 10.137 Schließlich gelten zweiseitige Abkommen mit Belgien, Dänemark, Frankreich,213 Griechenland, Italien, Österreich und der Schweiz sowie Konsularverträge, wonach die von ausländischen Konsuln aufgenommenen Urkunden von der Legalisation befreit sind, mit folgenden Staaten: Jamaika, Malawi, Mauritius, den Niederlanden, Russland, Spanien, der Türkei, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten.214 10.138 Ist die ausländische öffentliche Urkunde echt, so hat sie dieselbe Beweiskraft wie eine inländische öffentliche Urkunde, sofern sie legalisiert oder davon befreit ist.215 Wirkende – konstituierende – öffentliche Urkunden erbringen formell vollen Beweis über die in ihnen enthaltene amtliche Anordnung oder Entscheidung (§ 417 ZPO). Ein Gegenbeweis ist ausgeschlossen. Berichtende oder bezeugende öffentliche Urkunden erbringen vollen Beweis über die berichtete oder bezeugte Tatsache. Das gilt nicht hinsichtlich der inneren, materiellen Beweiskraft. Diese ist gem. § 286 ZPO frei zu würdigen.216 Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache ist im Allgemeinen zulässig (§ 418 ZPO). 10.139 Andere öffentliche Urkunden, die nicht über eigene Wahrnehmungen oder Handlungen der Urkundsperson, sondern über Erklärungen dritter Personen berichten, begründen den vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs, dagegen nicht die Richtigkeit der gemachten tatsächlichen Angaben (§ 415 ZPO). Hierher gehören z.B. notarielle Urkunden, die die Beurkundung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen betreffen. In allen Fällen ist der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, zulässig. Die Beweiskraft ausländischer öffentlicher Urkunden wird also an dem deutschen Maßstab gemessen.217 Die lex fori entscheidet allein, weil die freie Beweiswürdigung durch die gesetzliche Beweiskraft ausgeschlossen bzw. eingeengt wird. Dies gilt auch für solche ausländischen öffentlichen Urkunden, denen in ihrem Heimatland keine gesetzliche Beweiskraft zugemessen wird. 212 BGBl. 1971 II, 85; vgl. H. Schmidt in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Lfg. 56 (2018), S. 768.1 ff. 213 Vom 13.9.1971, BGBl. 1974 II, 1075. 214 Vgl. K. Hoffmann, Konsularrecht, 1976 ff. 215 H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 10.28; BGH, RIW 2007, 382, 383 (Rz. 13); ebenso H. Schack, Rz. 781. 216 Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Gehle, Grdz § 415 ZPO Rz. 10; Musielak/Voit/Huber, § 415 ZPO Rz. 10. 217 BGH, RIW 2007, 382, 383 (Rz. 13); ebenso H. Schack, IZVR, Rz. 779.
640
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.140a § 10
Wenn z.B. nach Art. 1319 c.c. eine echte öffentliche Urkunde den vollen Beweis – fait pleine foi – der Abmachung, die sie enthält, begründet, so kann der deutsche Richter es dahingestellt lassen, ob es sich hierbei um eine Prozessvorschrift oder eine solche des materiellen Rechts handelt; er beurteilt die Beweiskraft der ausländischen öffentlichen Urkunde nach seiner lex fori. Ihn berührt auch nicht die Bindungswirkung, die eine ausländische öffentliche Urkunde für den ausländischen Richter hat, inwieweit ein Gegenbeweis zulässig ist und ob es dazu des besonderen Verfahrens der „procédure d´inscription de faux“ bedarf.
10.140
Das autonome deutsche Recht wird insoweit überlagert von Art. 59 EuErbVO, Art. 58 EuGüVO und Art. 58 EuPartVO über die „Annahme“ öffentlicher Urkunden im Anwendungsbereich dieser Verordnungen.218 Nach diesen Regeln hat eine in einem EU-Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde (i.S.v. Art. 3 I lit. i EuErbVO, Art. 3 I lit. c EuGüVO bzw. Art. 3 I lit. d EuPartVO) in anderen Mitgliedstaaten dieselbe formelle Beweiskraft wie im Ursprungsstaat, es sei denn diese würde dem ordre public des Staates widersprechen, in dem sie gebraucht werden soll. Diese Beweiskraft ist durch eine formblattmäßige Bescheinigung der Behörde, die die Urkunde errichtet hat (nach Art. 59 I Unterabs. 2 EuErbVO bzw. Art. 58 I Unterabs. 2 EuGüVO/ EuPartVO)219 nachzuweisen. Einwände gegen die Authentizität der Urkunde sind ausschließlich im Ursprungsstaat zu erheben (Art. 59 II EuErbVO, Art. 58 II EuGüVO/EuPartVO).220 Werden Einwände erhoben, so hat die Urkunde keine formelle Beweiskraft, solange darüber im Ursprungsstaat noch nicht endgültig entschieden wurde (Art. 59 III EuErbVO; Art. 58 III EuGüVO/EuPartVO).221 Einwände gegen in Deutschland errichtete Urkunden sind bei dem gem. § 46 IntErbRVG, § 31 IntGüRVG bestimmten Gericht geltend zu machen. Eine Pflicht, das Verfahren bis zur Entscheidung über die Echtheit der Urkunde auszusetzen, besteht zwar nicht, doch darf der Richter des Gebrauchsstaates die Echtheit nach dem Sinn des Art. 59 II EuErbVO, Art. 58 II EuGüVO/EuPartVO nicht selbst frei würdigen.222 Alle drei Normen regeln nur die formelle Beweiskraft einer Urkunde; nicht damit verbunden ist eine materielle Anerkennung der beurkundeten Rechtslage.223 Die Urkunde muss in einem EU-Mitgliedstaat errichtet sein; ein inhaltlicher Bezug zu diesem Staat ist nicht erforderlich.224
10.140a
218 Vgl. Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 59 EuErbVO Rz. 6; Rauscher in MünchKomm/ FamFG, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 8; MünchKomm/FamFG/C. Mayer, Art. 58 EU-EheGüVO Rz. 8, 9. 219 Vgl. Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 59 EuErbVO Rz. 15; Rauscher in MünchKomm/ FamFG, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 18. 220 Krit. Rauscher in MünchKomm/FamFG, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 22 f. 221 R. Geimer, IZPR, Rz. 2330v, 2330u, 2330w; Rauscher in MünchKomm/FamFG, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 26. 222 R. Geimer, IZPR, Rz. 2330z; Rauscher in MünchKomm/FamFG, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 27, 29 (evtl. Notwendigkeit der Rechtskraftdurchbrechung bei Nichtaussetzung). 223 R. Geimer, IZPR, Rz. 2330, 2330b; Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 59 EuErbVO Rz. 10; Rauscher in MünchKomm/FamFG, Art. 59 EU-ErbVO Rz. 9. 224 R. Geimer, IZPR Rz. 2330d, 2330f, 2330g; Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 59 EuErbVO Rz. 9.
641
§ 10 Rz. 10.141 | Internationales Beweisrecht
10.141 Bei privaten Urkunden macht die ZPO keinen Unterschied zwischen inländischen und ausländischen Urkunden. Es gibt keine gesetzliche Vermutung für die Echtheit der privaten Urkunde. Es ist vielmehr Aufgabe des Gegners, sich über die Echtheit der Urkunden zu erklären. „Wird die Erklärung nicht abgegeben, so ist die Urkunde als anerkannt anzusehen, wenn nicht die Absicht, die Echtheit bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht“ (§ 439 III ZPO). Nach § 416 ZPO begründen private Urkunden, die von dem Aussteller unterschrieben oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sind, vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben worden sind. Diese Beweiskraft ist aber nur eine formelle, sie bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass die Erklärung von dem Aussteller abgegeben worden ist, nicht auch auf die Richtigkeit der Erklärung. Über die sog. materielle Beweiskraft der privaten Urkunde entscheidet der Richter aufgrund der freien Beweiswürdigung.225 10.142 Elektronische Dokumente werden international meist den schriftlichen gleichgestellt.226 Bei elektronischen Dokumenten wird dem authentischen (beglaubigten) Ausdruck zum Teil eine besondere Beweiskraft zuerkannt.227 Ein amtlicher Ausdruck aus einem maschinell geführten Grundbuch steht in Deutschland nach § 131 Satz 3 GBO einer beglaubigten Grundbuchabschrift gleich. Gleiches gilt für den amtlichen Ausdruck aus einem maschinell geführten Handelsregister (§ 9 II 4 HGB). 10.143 Die Echtheitsvermutung nach § 371a III 2 und § 371b Satz 2 ZPO gilt nur für inländische elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, nicht aber für ausländische E-Dokumente. Ein Verfahren zur Legalisation solcher Dokumente besteht bisher nicht. Auch die eIDAS-VO enthält keine Regeln zum Nachweis der Echtheit ausländischer öffentlicher elektronische Dokumente. Insoweit bleibt es bei der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO).228 10.144 Alle nicht unterzeichneten Privaturkunden sind mit keiner besonderen Beweiskraft ausgestattet. Der Richter würdigt sie gem. § 286 ZPO frei. Soweit die Gegenpartei ihren Inhalt allerdings nicht bestritten hat, wird er nach dem Verhandlungsgrundsatz zum unstreitigen Sachverhalt. 10.145 Wenn das französische Recht den „actes sous seing privé“ eine besondere Garantiefunktion hinsichtlich der Richtigkeit solcher privater Urkunden verleiht, muss geprüft werden, ob es sich bei Art. 1322 c.c. um eine materiell-rechtliche Formvorschrift handelt. Für die Gültigkeit von Urkunden, die synallagmatische Verträge enthalten, werden so viele Originalabschriften gefordert, wie Vertragsparteien teilgenommen haben. Dabei muss die Anzahl der Originale ausdrücklich vermerkt werden. Erkennt eine Partei, der eine solche Urkunde entgegengehalten wird, ihre
225 226 227 228
642
Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 120 Rz. 32. Vgl. X. Kramer in La prueba, 2018, S. 391, 400. Vgl. Art. 1316-1 cc; G. Rouhette in Nagel/Bajons, S. 189 (Rz. 43). Ph. Kienzle, NJW 2019, 1712 ff.
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.151 § 10
Unterschrift an, so kann sie die Existenz der Urkunde nicht mehr bestreiten.229 Da gegenüber der Privaturkunde nach französischem Recht immer der Gegenbeweis geführt werden kann, dass die Urkunde nicht den genauen Vorgang wiedergebe, entscheidet letztlich doch eine Prozessvorschrift, so dass der deutsche Richter auch insoweit seine lex fori anwenden kann. Ein anerkannter „acte sous seing privé“ hat nach Art. 1322 c.c. dieselbe Beweiskraft wie ein „acte authentique“. Er steht aber einem „acte authentique“ nicht gleich, denn ihm fehlt die „force exécutoire“. Die „actes sous seing privé“ bedürfen vielmehr zur Vollstreckbarkeit eines Urteils.230
10.146
Nach französischem Recht gilt für ausländische Urkunden die Echtheitsvermutung nicht. Es wird daher wie im deutschen Recht die Legalisation benötigt.231
10.147
In Spanien hat die von der Prozesspartei verfasste und unterschriebene Privaturkunde dieselbe Beweiskraft inter partes wie eine öffentliche Urkunde (Art. 1225 CC), sofern die Unterschrift als echt anerkannt ist. Zusätzlich erbringen auch alle anderen, von Dritten ausgestellten Urkunden vollen Beweis gegenüber der Partei, für die sie nachteilig sind, sofern ihre Echtheit nicht bestritten ist (Art. 326 LEC).232
10.148
Das englische Recht geht im Gegensatz zu vielen kontinental-europäischen Rechten nicht von einer besonderen Beweiskraft der Urkunden aus. Einige Urkunden erlangen durch andere prozessuale Mittel dennoch eine starke Beweiskraft. Zum Teil tritt die „Estoppel“-Lehre ein (s. Rz. 10.50). Das wirkt sich bei einem „deed“, einer gesiegelten Urkunde, durch die ein Recht oder ein Anspruch geschaffen oder übertragen wird, dahin aus, dass eine Partei bei Vorlage dieser Urkunde gehindert ist, deren Inhalt zu bestreiten. Diese Estoppel-Wirkung geht jedoch nicht so weit, dass nicht eine fehlerhafte oder betrügerische Erklärung durch einen Gegenbeweis entkräftet werden könnte.233
10.149
Der „estoppel by record“ verleiht Urteilen „in rem“ und „in personam“ eine besondere Rechtskraft, die einen Beweis gegen solche Urkunden entweder zwischen allen oder zwischen denselben Parteien ausschließt (s. Rz. 10.56).234
10.150
Andererseits arbeitet das englische Recht mit der „extrinsic facts“-Lehre, um gewissen Urkunden, die z.B. Verträge enthalten, einen erhöhten Beweiswert beizumessen. Danach dürfen Tatsachen, die außerhalb der Urkunde liegen, nicht bewiesen wer-
10.151
229 R. Perrot, Preuve No. 347. 230 J. Teske, Der Urkundenbeweis im französischen und deutschen Zivil- und Zivilprozessrecht, 1990. 231 F. Rigaux, La force probante des écrits en droit international privé, Rev.crit. 1961, 45. 232 M. Schwonke/I. Tölg in Nagel/Bajons, S. 593, 621 (Rz. 46). 233 So House of Lords, Geer v Kettle [1938] A. C. 156. 234 E. Cohn, Die materielle Rechtskraft im englischen Recht, FS Nipperdey, S. 875, meint, die englische Doktrin vom „estoppel“ sei eigentlich eine Rechtskraftlehre. Die Wirkung der Beweiskraft, die zum „conclusive evidence“ führen kann, darf jedoch nicht übersehen werden. Dass die Gerichte durch die „estoppel by record“-Wirkung in Ehesachen nicht gebunden werden, ergibt sich aus Thomson v Thomson [1957] p. 19.
643
§ 10 Rz. 10.151 | Internationales Beweisrecht
den.235 Wie bei dem „estoppel“ geht es auch bei den „extrinsic facts“ um die Nichtzulässigkeit von Beweisen. Grundsätzlich kann danach der Inhalt einer Urkunde nicht durch Zeugen widerlegt werden. Ausnahmen gelten, wenn die Echtheit der Urkunde oder die vertragliche Abmachung bestritten werden.236 Der Zeugenbeweis wird ferner zugelassen, wenn bewiesen werden soll, dass ein keiner gesetzlichen Schriftform unterliegender Vertrag durch mündliche Vereinbarung abgeändert wurde.237 Das Gleiche gilt, wenn der Text der Urkunde mehrdeutig ist oder wenn ein Wort oder Zusammenhang in einer ungewöhnlichen Bedeutung gebraucht wird.238
10.152 Alle diese fremden Prozessregeln binden den deutschen Richter nicht. Er entscheidet nach seiner lex fori, auch wenn er im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis kommen mag als sein ausländischer Kollege.239 b) Die prozessuale und die materiell-rechtliche Vorlagepflicht von Urkunden
10.153 Die Verpflichtung der Parteien bzw. dritter Personen, in einem Zivilprozess Urkunden vorlegen zu müssen, ist teilweise durch Prozessvorschriften, teilweise durch das materielle Recht geregelt. Danach entscheidet sich, ob die lex fori bzw. das nach dem deutschen IPR maßgebende materielle Recht anzuwenden ist. 10.154 Eine prozessuale Vorlagepflicht ergibt sich aus § 142 I ZPO. Danach kann das Gericht anordnen, dass eine Partei die in ihren Händen befindlichen Urkunden, auf die sie sich bezogen hat, sowie Stammbäume, Pläne, Risse und sonstige Zeichnungen vorlegt. Das Gericht kann auch anordnen, dass die in einer fremden Sprache abgefassten Urkunden übersetzt werden.240 Der Begriff der privaten Urkunde geht im anglo-amerikanischen Recht erheblich weiter als in Deutschland, denn darunter werden auch E-Mails, chat group discussions, Web postings und andere am Computer erzeugte Texte subsumiert.241 Das deutsche Recht sieht solche E-Dokumente als Gegenstand des Augenscheins an (§ 371 I 2 ZPO). Auch wenn eine Partei sich nicht auf Urkunden bezogen hat, kann das Gericht nach § 143 ZPO anordnen, dass sie die in ihrem Besitz befindlichen Akten vorlegt, soweit diese aus Schriftstücken bestehen, welche die Verhandlung und Entscheidung der Sache betreffen. Über den Wortlaut des § 142 ZPO hinaus geht die Ermächtigung des Vorsitzenden des Prozessgerichts, nach § 273 II Nr. 1 und 2 ZPO den Parteien die Vorlage von Urkunden schlechthin aufzugeben bzw. Behörden oder Träger eines öffentlichen Amtes um Mitteilung von Urkunden zu ersuchen.
S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 42–01 ff. S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 42–40 ff. S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 42–52. S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 42-22, 42-40 ff. A.A. Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 18 Rom I-VO Rz. 26; Art. 11 EGBGB Rz. 44; D. Jakob, ZZPInt 8 (2003), 245, 258. 240 Vgl. P. Schlosser, FS Sonnenberger, 2004, S. 135, 139 ff. 241 Ch. McCormick, On evidence, 6th ed. 2006, § 227 (S. 396); D. Coester-Waltjen, Rz. 422;. 235 236 237 238 239
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IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.160 § 10
Nach § 423 ZPO ist der Gegner zur Vorlegung der in seinen Händen befindlichen Urkunden, auf die er im Prozess zur Beweisführung Bezug genommen hat, verpflichtet. Dazu bedarf es eines Antrages des Klägers, jedoch kann das Gericht die Vorlage auch von Amts wegen anordnen. Nach § 425 ZPO kommt es auf die Tatsache, dass der Gegner sich auf Unterlagen bezogen hat, nicht an.
10.155
Führt der Gegner im Wege der Verhandlungsmaxime private Aufzeichnungen, vertrauliche Mitteilungen oder Briefe in den Prozess ein, so erstreckt sich die prozessuale Vorlagepflicht auch auf diese Schriftstücke. Durch die Einführung in den Prozess ist der Mantel des Geheimnisses ohnehin schon gelüftet. Die Parteien haben es also weitgehend in der Hand, wieweit die prozessuale Vorlagepflicht im Einzelnen geht. Die allgemeine prozessuale Vorlagepflicht ist weiterhin unzureichend ausgestaltet, weil das Gericht keine Handhabe hat, die Vorlage zu erzwingen. Es kann lediglich Schlüsse aus dem Verhalten der Parteien ziehen, z.B. die Abschrift einer nicht vorgelegten Urkunde für richtig halten oder beim Fehlen einer Abschrift den vom Beweisführer behaupteten Inhalt der Urkunde als bewiesen ansehen.
10.156
Diese prozessuale Vorlagepflicht erstreckt sich auch auf Ausländer, die vor einem deutschen Gericht als Parteien auftreten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie sich im Inland oder Ausland aufhalten. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob in ihrem Heimatland eine anders geartete prozessuale Vorlagepflicht besteht.
10.157
Gleichgültig ist auch, ob sich die vorzulegende Urkunde im Inland oder Ausland befindet; entscheidend ist nur die Verfügungsbefugnis des Vorlageverpflichteten. Für das deutsche Recht ist zweifelhaft, ob Beweismittel im Besitz einer ausländischen Konzerngesellschaft vorzulegen sind, insb. ob die inländische Muttergesellschaft wie in den USA verpflichtet ist, Unterlagen einer abhängigen Tochtergesellschaft vorzulegen.242 Im Unterhaltsverfahren kann das Gericht den Parteien aufgeben, Auskunft über ihre Einkünfte zu erteilen und die entsprechenden Belege vorzulegen (§ 235 FamFG). Soweit die Parteien dem nicht Folge leisten, kann das Gericht die Auskünfte nach Maßgabe des § 236 FamFG bei Dritten einholen; für diese besteht im Rahmen der Zeugenpflichten Auskunftszwang (§ 236 IV FamFG).
10.158
In Schweden besteht nach RB 38:2 st. 1 eine prozessuale Editionspflicht von Urkunden in demselben Umfang wie die prozessuale Verpflichtung, als Zeuge auszusagen.243 Zusätzlich besteht eine materiell-rechtliche Vorlagepflicht (RB 38:3) aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses oder bei gemeinschaftlichen Urkunden.
10.159
Art. 248 polnische ZPO kennt eine dem schwedischen Recht vergleichbare Editionspflicht. Die Vorlagepflicht entfällt, wenn der Betroffene hinsichtlich einer Aussage
10.160
242 Vgl. K. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, S. 260 ff. 243 Vgl. B. Lindell, Schweden, in Nagel/Bajons, S. 519, 550 (Rz. 59 f.).
645
§ 10 Rz. 10.160 | Internationales Beweisrecht
zum Inhalt ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte, es sei denn es bestehe hinsichtlich der Urkunde ein Vorlageanspruch oder die Urkunde sei im Interesse der Vorlage begehrenden Partei errichtet.244
10.161 In Frankreich ist die prozessuale Vorlagepflicht von Urkunden (in Art. 132 bis 142 CPC) geregelt. Bezieht sich eine Partei im Prozess auf ein Schriftstück, so verpflichtet sie sich damit, es der Gegenpartei mitzuteilen. Wenn dies nicht geschieht, kann die Vorlage durch den Richter angeordnet werden. Ebenso kann auf Anordnung des Gerichts gem. Antrag einer Partei Dritten aufgegeben werden, Urkunden, die sie in Händen haben, vorzulegen. Die Vorlageanordnung kann notfalls zwangsweise durchgesetzt werden. Dies gilt nicht gegenüber Dritten, die einen rechtfertigenden Hinderungsgrund haben.245 Im Falle der Verletzung von Patenten oder sonstigen gewerblichen Schutzrechten steht dem Verletzten weitergehend die saisie-contrefaçon zu (s. Rz. 17.143).
10.162 In Italien sieht Art. 118 cprc eine „ispezione“ und Art. 210 eine „esibizione“ von Urkunden vor. Danach kann das Gericht auf Antrag einer Partei die Vorlage von Urkunden von der Gegenpartei und von Dritten verlangen. Eine solche richterliche Anordnung darf aber nur ergehen, wenn der Beweis nicht auf andere Art und Weise geführt werden kann. Der Gegner und Dritte werden von der Vorlagepflicht befreit, wenn ihnen durch die Vorlage ernsthafter Schaden entstehen könnte oder berufliche Geheimnisse preisgegeben würden. Falls Urkunden von einem Dritten vorgelegt werden sollen, kann das Gericht den Beweisführer auch veranlassen, diesen als Zeugen laden zu lassen.246 Für den Fall der Weigerung, Einsicht in Urkunden zu gewähren, kann eine Geldstrafe von 250 bis 1500 € verhängt werden.247 Die Regeln über die Beweiskraft der Urkunden sind in Art. 2699–2720 codice civile enthalten.248 10.163 In Griechenland ist jede Partei verpflichtet, die Urkunden, auf die sie sich beruft, vorzulegen. Auch Dritte sind verpflichtet, die Urkunden, die sie besitzen und die sie zum Beweis benutzen können, vorzulegen, falls nicht ein wichtiger Grund vorliegt, die Vorlage zu verweigern. Ein solcher liegt vor, wenn der Dritte als Zeuge ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte (Art. 450 griech. ZPO).249 10.164 Nach dem LEC von 2000 kann in Spanien jede Partei von der Gegenseite die Vorlage relevanter Urkunden verlangen, die sie selbst nicht besitzt (Art. 328 I LEC). Auf Antrag kann das Gericht auch Dritten aufgeben, Urkunden vorzulegen, wenn deren Inhalt für die Urteilsfindung bedeutsam sein könnte (Art. 330 I LEC).250
244 J. Mokry/J. Sobkowski, Polen, in Nagel/Bajons, S. 477, 496 (Rz. 46). 245 G. Rouhette, Frankreich, in Nagel/Bajons, S. 167, 190 (Rz. 44); vgl. P. Schlosser, FS Sonnenberger, 2004, S. 135. 246 M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, S. 236. 247 Art. 118 III cprc i.d.F. des Gesetzes Nr. 69/2009. Auskunft von Remo Caponi, Florenz. 248 Vgl. S. Patti, Prova documentale, in Galgano, Commentario del Codice Civile, 1996. 249 K. Beys in Nagel/Bajons, S. 197, 219 (Rz. 55). 250 Vgl. M. Schwonke/I. Tölg, Spanien, in Nagel/Bajons, S. 593, 623 (Rz. 49 ff.).
646
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.169 § 10
Nach englischem Recht sind die Parteien verpflichtet, einander nach Klageerhebung die Existenz oder Nichtexistenz einschlägiger Dokumente zu bestätigen (CPR r 31.2). Die Partei, der die Existenz bestätigt wurde, hat grds. ein Recht auf Einsicht in das Dokument (CPR r 31.3) (disclosure and inspection of documents).251 Wird „standard disclosure“ begehrt, hat jede Partei der Gegenseite eine übersichtliche Liste der relevanten Dokumente zuzustellen (CPR r 31.10) und dabei zu versichern, dass sie ihrer Pflicht nach bestem Wissen nachgekommen ist (CPR r 31.10 [6] [c]). Auf Antrag kann das Gericht disclosure und inspection spezieller Unterlagen anordnen (CPR r 31.12 specific disclosure or inspection). Wer von seinem Einsichtsrecht Gebrauch macht, hat ein Recht, innerhalb von sieben Tagen nach Zugang der Aufforderung eine Kopie der Dokumente zu erhalten (CPR r 31.15).
10.165
Vor Klageerhebung kann der Erlass einer disclosure order beantragt werden (CPR r 31.16 [d]), wenn die Aufdeckung wünschenswert ist, um (i) erwartete Verfahren sachgerecht beizulegen, (ii) dazu beizutragen, dass ein Streit ohne Gerichtsverfahren erledigt wird, oder (iii) um Kosten zu sparen.
10.166
Von Dritten (Nichtparteien) kann eine Offenlegung relevanter Dokumente oder Einsicht vor dem High Court gem. Senior Court Act 1981, sec. 34, sec. 53 jeweils in Verfahren „for personal injuries or death“ sowie in einer Reihe weiterer Sonderfälle verlangt werden.252 Einzelheiten des Offenlegungs- und Vorlageverfahrens regelt CPR r 31.17. Ansonsten ist ein Dritter grds. nicht zur Vorlage von Unterlagen verpflichtet, sondern muss sein Wissen nur als Zeuge offenbaren („mere witness rule“). Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Dritte eine unerlaubte Handlung der Partei (schuldhaft oder schuldlos) unterstützt hat.253
10.167
Im US-amerikanischen Recht ist die discovery of documents Teil der umfassenden Discovery-Pflicht (s. Rz. 10.22 ff.): Seit der Neufassung von 1993 unterscheidet FRCP 26 „initial disclosure“ und „discovery“. Sofern nicht durch Parteien oder local rule ausgeschlossen, hat jede Partei dem Gegner ohne Discovery-Verlangen, spätestens 10 Tage nach dem ersten „meeting of parties“ (Rule 26 [f]) alle Dokumente, Datensammlungen und beweglichen Gegenstände in ihrem Besitz, ihrer Verwaltung oder Kontrolle, die für die streitigen Tatsachen nach den pleadings relevant sind, in Kopie oder zumindest in Beschreibung nach Kategorie und Lageort vorzulegen (Rule 26 [a] [1] [B]). Spätestens 30 Tage vor dem trial ist eine angemessene Identifizierung jedes Dokuments, das die Partei vorlegen will, dem Gegner zu übermitteln (Rule 26 [a] [3] [C]). Soweit nötig sind Angaben und Aufklärung zu ergänzen (Rule 26 [e]). Die Zahl der bereits per „disclosure“ vorzulegenden Dokumente ist nicht beschränkt.
10.168
Soweit eine Partei die Aufklärung per „initial disclosure“ nicht als ausreichend ansieht, kann sie Einsicht und Kopie jeglicher Dokumente einschließlich von Ausdru-
10.169
251 Vgl. P. Matthews/H. Malek, Disclosure, 5th ed. 2017; E.-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 727, 755 (Rz. 98 ff.). 252 Vgl. P. Matthews/H. Malek, Disclosure, 5th ed. 2017, No 4.54 et seq, 3.32 et seq; E.-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 727, 757 (Rz. 102). 253 N. Andrews, Principles of Civil Procedure, 1994, no. 4–009; no. 11–038 ff.; N. Andrews in Birks, English Private Law, Vol. 2, 2000, no. 19.257.
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§ 10 Rz. 10.169 | Internationales Beweisrecht
cken der Datenspeicherungen etc verlangen (FRCP 34 [a]). Die Unterlagen müssen in der betriebsüblichen Ordnung oder nach den Kategorien des Vorlagebegehrens geordnet vorgelegt werden. Dieses discovery-Begehren kann auch an Dritte (Nichtparteien) gerichtet werden. Auch sie sind zur Vorlage sowie Gewährung von Einsicht verpflichtet und können dazu mittels subpoena angehalten werden (FRCP 34 [c], 45). Unterliegt der Dritte nicht der US-amerikanischen Jurisdiktion, so kann die Vorlage nur im Rechtshilfeverfahren erzwungen werden. Zugunsten eines deutschen Dritten greift dann der Vorbehalt des Art. 23 HBÜ (s. § 9 Rz. 9.82 ff.).254
10.170 Parteien wie Dritte kann eine Schadensersatzhaftung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Beweisvernichtung treffen.255 10.171 Eine Zeugenaussage bzw. eine Vorlage von Urkunden kann grds. nur dann nicht verlangt werden, wenn den betreffenden Personen ein „privilege“ (Aussage- bzw. Vorlageverweigerungsrecht) zur Verfügung steht. Solche Privilegien gibt es im amerikanischen Recht im Verhältnis des Anwalts zum Mandanten, des Arztes bzw. Psychotherapeuten zum Patienten, des Seelsorgers zu Gläubigen, der Ehegatten untereinander, teilweise im Verhältnis des Finanz- oder Steuerberaters zum Auftraggeber. Ein Privileg besteht in einigen Einzelstaaten für Reporter hinsichtlich der Auskunft über ihre Informationsquellen. Überdies braucht sich keine Person bei ihrer Aussage selbst zu belasten – 5th Amendment-privilege against self-incrimination.256 10.172 In anglo-amerikanischen Prozessen bedienen sich die Parteien häufig der „affidavits“. Dazu hat der BGH ausgeführt: Die in „affidavits“ beschworenen Erklärungen seien nach der deutschen ZPO keine geeigneten Beweismittel. Der Inhalt der beschworenen Erklärung werde zum Bestandteil des Parteivortrages gemacht; wenn die Gegenseite den Inhalt nicht gegen sich gelten lassen wolle, müsse sie diesen substantiiert bestreiten.257 10.173 Das deutsche Recht kannte bisher keine allgemeine prozessuale Aufklärungs- und Urkundenvorlagepflicht. Nach §§ 422, 423 ZPO war der Gegner nur verpflichtet, solche Urkunden vorzulegen, auf die er sich selbst berufen hatte oder hinsichtlich derer die Partei einen Vorlegungsanspruch nach materiellem Recht hatte. Das ist z.B. der Fall, wenn der Beweisführer Auskunft und Rechnungslegung oder Herausgabe bzw. Einsichtnahme verlangen kann (§§ 242, 259 I, 402, 444, 445, 667, 681, 675, 716, 810, 896, 1145 BGB; §§ 45, 46, 47, 87c, 118, 157, 166, 338 HGB; §§ 131, 165, 170 AktG; §§ 39, 50 WG). 10.174 Diese Beschränkung wurde in der Literatur seit langem kritisiert.258 Der Gesetzgeber hat diese Kritik teilweise aufgegriffen. Er hat die §§ 422, 425 ZPO zwar unverändert 254 255 256 257 258
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Vgl. O. Bolthausen, MDR 2006, 1081, 1082. Vgl. St. Nolte, RIW 1996, 361. E. Stiefel/W. Petzinger, RIW 1983, 242. BGH, RIW 1985, 155. Vgl. R. Stürner, Die Aufklärungspflicht im Zivilprozess, S. 144–146, 325; J. Lang, Die Aufklärungspflicht, S. 93 ff.; P. Gottwald, Gutachten für den 61. DJT, 1996, A 15 ff.
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.178 § 10
gelassen, in § 142 ZPO aber vorgesehen, dass das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht anordnen kann, „dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden oder sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt“ (§ 142 I 1 ZPO; s. Rz. 10.154). Die Vorlagepflicht der Parteien ist nach dem Gesetz unbegrenzt. Dritte sind dagegen nicht zur Vorlage verpflichtet, soweit sie ihnen nicht zumutbar ist oder ihnen in der Sache ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde (§ 142 II ZPO).259 In der Praxis stellt sich die Frage, ob das Gericht die Vorlage gegen Kostenerstattung anordnen kann. Im Unterhaltsverfahren sind Dritte dagegen gem. § 236 FamFG vorlagepflichtig (s. Rz. 10.158). Muss nach dem deutschen IPR ausländisches materielles Recht angewendet werden, richtet sich die materiell-rechtliche Vorlagepflicht der Urkunden nach diesem. Da in einigen Staaten die prozessuale Vorlagepflicht soweit ausgedehnt ist, dass für eine materiell-rechtliche kein oder kaum Raum bleibt, fragt es sich, ob der deutsche Richter insoweit auf die ausländische prozessuale Vorlagepflicht zurückgreifen darf, d.h. ob er dem Beweisführer auch dann eine Frist gem. § 431 ZPO setzen darf, wenn feststeht, dass eine materiell-rechtliche Vorlagepflicht weder für den Gegner noch für den Dritten besteht. M.E. muss der deutsche Prozessrichter dem inländischen oder ausländischen Beweisführer eine Frist setzen. Es ist dann dessen Sache, sich die Urkunde von einem ausländischen Beklagten oder einem ausländischen Dritten zu besorgen. Gemäß § 430 ZPO i.V.m. § 424 Nr. 5 ZPO kann der Beweisführer als Grund angeben, der Gegner bzw. der Dritte seien ihm nach dem ausländischen Prozessrecht zur Vorlage bzw. Herausgabe der Urkunde verpflichtet. Das ausländische Prozessrecht könnte durch Vorlage der entsprechenden Vorschriften glaubhaft gemacht werden. Nach § 434 ZPO könnte die Vorlage der Urkunden in solchen Fällen auch im Wege der internationalen Rechtshilfe erfolgen.
10.175
In einigen Ländern ist die Pflicht zur Vorlage von Handelsbüchern oder sonstigen Geschäftsunterlagen besonders geregelt, so in Deutschland (§§ 258 f HGB) und in den Niederlanden (Art. 162 nRV).260
10.176
4. Der Beweis durch Augenschein Hinsichtlich des Augenscheins treten teilweise dieselben Probleme auf wie bei dem Urkundenbeweis. Nach deutschem Recht gibt es keine allgemeine prozessuale Verpflichtung zur Vorlage von Augenscheinsobjekten. Weil nach deutscher Auffassung Gegenstand des Augenscheins auch Personen sein können, taucht im Gegensatz zum Urkundenbeweis die Frage nach der Duldung von Besichtigungen, Untersuchungen und medizinischen Eingriffen auf. Eine Pflicht zur Duldung der Augenscheinseinnahme kann das Gericht nach § 144 I 3 ZPO nur anordnen, sofern keine Wohnung betroffen ist.
10.177
Nach § 372a ZPO bzw. § 178 FamFG besteht für jedermann im Rahmen von Abstammungsverfahren (§§ 1591 und 1600a BGB) eine real erzwingbare verfahrens-
10.178
259 Vgl. U. P. Gruber/E. Kießling, ZZP 116 (2003), 305; J. Zekoll/J. Bolt, NJW 2002, 3129. 260 H.M. Granow/C. M. Bervoets in Nagel/Bajons, S. 387, 404 (Rz. 29).
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§ 10 Rz. 10.178 | Internationales Beweisrecht
mäßige Duldungspflicht. Diese Pflicht besteht auch für Parteien, die sich im Ausland aufhalten.261 Dabei muss insb. die Entnahme von Blutproben zum Zwecke der Blutgruppenuntersuchung hingenommen werden. Die Duldungspflicht ist abgesehen von einer Durchführung nach anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft nur eingeschränkt durch die Fragestellung, ob dem zu Untersuchenden nach der Art der Untersuchung, nach den Erfolgen ihres Ergebnisses für ihn oder einen nach § 383 I Nr. 1 bis 3 ZPO bezeichneten nahen Verwandten, Verlobten oder Ehegatten eine solche ohne Nachteil für seine Gesundheit zugemutet werden kann. Im Gegensatz zu der Vorlageverpflichtung von Augenscheinsobjekten ist die verfahrensmäßige Duldungspflicht also sehr weit ausgedehnt.262 Wer die Untersuchung verweigert, kann, wenn sie wegen des Auslandsaufenthalts nicht erzwungen werden kann, so behandelt werden, als hätte sie ein „positives“ Ergebnis gehabt, z.B. keine schwerwiegenden Zweifel an der Vaterschaft ergeben.263
10.179 Das schwedische Recht geht konsequent vor, wenn es neben die weitreichende prozessuale Editionspflicht eine ebensolche Exhibitionspflicht stellt.264 Darüber besteht nach dem Lag (1958:642) om blodundersökning m. m. vid utredning av faderskap eine prozessuale Pflicht für alle in Frage kommenden Personen begründet, eine Blutentnahme bzw. eine erbbiologische Untersuchung zu dulden, soweit es um die eheliche oder uneheliche Geburt geht.265 10.180 In Polen entspricht die prozessuale Vorlagepflicht von Augenscheinsobjekten der von Urkunden. Nach Art. 298 polnische ZPO kann die Einnahme des Augenscheins an einer Person nur mit deren Einverständnis stattfinden.266 10.181 In Frankreich sieht der CPC die verifications personelles de juge in Art. 179–183 vor. Danach kann der Richter in allen Streitsachen ähnlich wie beim Augenschein auch ohne Antrag von streitigen Tatsachen persönlich Kenntnis nehmen und die Umstände selbst überprüfen. Der juge de la mise en état kann die verification jederzeit anordnen, Art. 144 CPC, um Tatsachen festzustellen, Schätzungen und Wertungen vorzunehmen. Er kann sich auch, wenn nötig, selbst an den betreffenden Ort begeben (Art. 179 II CPC). Bei der verification kann sich der Richter durch einen technicien (Sachverständigen) unterstützen lassen und die Parteien und Dritte anhören (Art. 181 CPC267). 10.182 Seit der Reform v. 3.1.1972 kann die außereheliche Abstammung in allen Fällen gerichtlich festgestellt werden. Durch Gesetz v. 8.1.1993 ist die Vaterschaftsfeststellung weiter erleichtert worden. Beim Fehlen einer entsprechenden Geburtsurkunde oder 261 262 263 264 265 266 267
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R. Stürner, JZ 1987, 607. OLG Frankfurt, NJW 1979, 1257. BGH, NJW 1986, 2371 = JZ 1987, 42 (R. Stürner). B. Lindell in Nagel/Bajons, S. 519, 552 (Rz. 64). OLG Frankfurt, NJW 1979, 1257. J. Mokry/J. Sobkowski in Nagel/Bajons, S. 477, 499 (Rz. 53). Vgl. W. Fischer, Die Beschleunigungsmechanismen des französischen Zivilprozesses, 1990, S. 89 f.; L. Cadiet/E. Jeuland, Droit judiciaire privé, 7e. éd. 2011, no. 594 ss; B. Bangratz, DRiZ 1995, 85, 89.
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.184 § 10
eines entsprechenden Statusbesitzes268 kann die Abstammung mit allen Beweismitteln gerichtlich festgestellt werden, wenn der Kläger Indizien vorbringt, die das behauptete Kindschaftsverhältnis ausreichend wahrscheinlich machen (vgl. Art. 340 c. c.269). Während der parlamentarischen Debatte über den neuen Art. 340 c.c. sind als Beweismittel explizit genannt worden: die vergleichende Blutanalyse, der genetische Fingerabdruck bzw. der Vergleich von Gewebeproben. Die Zulässigkeit der genetischen Beweismittel sollte jedoch einem eigenen Gesetzesprojekt, dem Gesetz Nr. 2599, vorbehalten werden. Dieses Gesetz ist jedoch nicht erlassen worden. Der Entwurf dieses Gesetzes sah vor, dass genetische Beweismittel nur mit Einverständnis des Betreffenden und nur auf richterliche Anordnung hin erfolgen können. Andernfalls läge ein Verstoß gegen die grundlegenden Rechte des Menschen vor. Solange dieses Gesetzesprojekt nicht verabschiedet wird, wird man die bisherigen Regeln weiter anwenden müssen. Das Gericht ordnet in der Regel (von Amts wegen oder auf Antrag) Blutgruppenuntersuchungen oder andere medizinisch gesicherte Abstammungsfeststellungen durch Sachverständige an. Die Mitwirkung an den Untersuchungen, insb. eine Blutentnahme kann jedoch nicht erzwungen werden. Wird sie verweigert, so kann das Gericht dies frei würdigen.270 In Italien sehen Art. 118, 210 cprc nicht nur eine allgemeine prozessuale Vorlagepflicht von Urkunden und Augenscheinsobjekten vor,271 sondern es wird darüber hinaus zugleich eine allgemeine prozessuale Pflicht für jedermann begründet, körperliche Untersuchungen zu dulden. Es darf aber durch solche Untersuchungen kein Amts- oder Berufsgeheimnis verletzt werden. Diese an sich weitreichende Vorlagepflicht erweist sich allerdings insoweit als Illusion, als gegenüber den Prozessparteien keine Möglichkeit besteht, die richterliche Anordnung zu erzwingen. Dritten Personen gegenüber kann das Gericht wegen Verweigerung der Einsicht zwar eine Geldstrafe (bis zu 5,16 €) verhängen. Diese ist aber so gering, dass sie praktisch keine Sanktion darstellt. Die italienische Lösung gleicht der französischen insoweit, als bei der körperlichen Untersuchung auf die Würde der Person besondere Rücksicht genommen werden muss (Art. 260 cprc spricht von „garantire il rispetto della persona“). Im Übrigen bestehen die Vorlagepflicht und die Verpflichtung, Untersuchungen zu dulden, nur soweit diese „für die Kenntnis der Tatsachen des Rechtsstreits unerlässlich erscheint“ (Art. 118 I cprc).
10.183
In Griechenland muss eine Partei oder ein Dritter die Augenscheinseinnahme dulden. Es muss dabei Rücksicht auf die Gesundheit und die Würde der Person genommen werden (Art. 362 griech. ZPO). Im Übrigen besteht für die Parteien und für Dritte eine prozessuale Vorlagepflicht von Augenscheinsobjekten (Art. 361–367 griech. ZPO). Aus wichtigem Grunde kann die Vorlage verweigert werden. Besteht kein solcher Grund, kann das Gericht die zwangsweise Wegnahme einer Sache oder
10.184
268 Vgl. U. Spellenberg, FamRZ 1984, 117, 127 u. 239, 240. 269 F. Granet, Filiation Naturelle, Recherche de paternité, Juris-Classeur Civil Art. 340 fasc. 36, no 16 ss, 48 ss; F. Ferrand, Die Entwicklung des französischen Kindschaftsrechts, in Schwab/Henrich, Entwicklungen des europäischen Kindschaftsrechts, 1994, S. 41, 48. 270 R. Frank, FamRZ 1995, 975, 976. 271 Vgl. A. Chizzini/E,-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 297, 317 (Rz. 67 ff., 71 f.).
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§ 10 Rz. 10.184 | Internationales Beweisrecht
den gewaltsamen Zugang anordnen. Die persönliche Untersuchung kann nur indirekt erzwungen werden.272
10.185 Das neue spanische Recht kennt für Augenscheinsobjekte ebenso eine prozessuale Vorlagepflicht wie für Urkunden (Art. 353 LEC). Für den Nachweis der Vaterschaft oder Mutterschaft können auch körperliche Untersuchungen angeordnet werden.273 10.186 Im englischen Recht ist der Unterschied zwischen der allgemeinen prozessualen Vorlagepflicht von Urkunden und der von Augenscheinsobjekten besonders stark. Das Gericht hat die Befugnis, jedes Grundstück oder jede bewegliche Sache zu besichtigen, soweit dies zur Streitentscheidung erforderlich ist.274 10.187 Nach sec. 62 Police and Criminal Evidence Act 1984 können zwar Blut-, Haar- oder andere Körperproben von Angeklagten genommen werden. Dieses Gesetz gilt allerdings nur für Strafverfahren. Nach dem Family Law Reform Act von 1969, ss. 20–23, kann das Gericht eine Untersuchung zur Vaterschaftsfeststellung zwar anordnen, sie aber nicht erzwingen. Irgendwelche Zwangsmaßnahmen dürfen nicht ergriffen werden. Aus einer unbegründeten Weigerung können lediglich nachteilige Schlüsse auf das Verhalten der betreffenden Person gezogen werden.275 10.188 In den USA sind Ortsbesichtigungen eine allgemeine Methode des discovery-Verfahrens (FRCP 26 [a] [5]). Jede Partei kann vom Gegner die Erlaubnis zum Zutritt zu bestimmten Grundstücken oder sonstigem Eigentum in seinem Besitz oder seiner Kontrolle verlangen, „for the purpose of inspection and measuring, surveying, photographing, testing, or sampling the property or any designated object or operation thereon ...“. All dies ist im Rahmen von FRCP 26 (b) zulässig, also um jede irgendwie für den Prozess relevante Sachaufklärung zu betreiben (FRCP 34 [a]). In dem Antrag sind die zu besichtigenden Gegenstände konkret oder nach Kategorien zu beschreiben sowie Zeit, Ort und Art und Weise der Besichtigung anzugeben. Ohne gerichtliche Erlaubnis darf der Antrag dem Gegner nicht vor dem ersten Treffen der Anwälte („meeting of parties“ nach FRCP 26 [f]) zugestellt werden (FRCP 34 [b]).
10.189 Etwaige Einwendungen hat der Gegner innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Begehrens vorzubringen (FRCP 34 [b] 2. Absatz). Der Antragsteller kann dann ggf. eine gerichtliche disclosure order und den Erlass von Sanktionen beantragen (FRCP 34 [b]; 37 [a] [B]).
272 K. Beys in Nagel/Bajons, S. 197, 223 (Rz. 62 ff.). 273 M. Schwonke/I. Tölg in Nagel/Bajons, S. 593, 631 (Rz. 65 ff.). 274 C. Garrett in Nagel/Bajons, S. 689, 717 (Rz. 50); vgl. auch J. Lang, Aufklärungspflicht, S. 195 ff. 275 S. Phipson, On Evidence, 17th ed. 2010, No. 15-33 (DNA-evidence); C. Garett, (Fn. 274) Rz. 51.
652
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.192 § 10
Die Konzentration auf das „trial“ und die Beteiligung der jury auch in Zivilsachen haben zur Folge, dass ein Augenschein durch Ortsbesichtigung durch das Gericht praktisch nicht stattfindet. Ortsbesichtigungen für den US-amerikanischen Prozess in Deutschland können nur im Wege des Rechtshilfeverfahrens nach dem HBÜ erfolgen (s. Rz. 9.38 ff.). Anders als im deutschen Prozess sind an der Ortsbesichtigung nur die Parteien und ihre Anwälte beteiligt. Die Ergebnisse der Besichtigung sind notfalls in das trial einzuführen. Eine Ortsbesichtigung durch das Gericht findet nicht statt.
10.190
Allgemeine discovery-Methode ist schließlich die körperliche und geistige Untersuchung einschließlich der Feststellung der Blutgruppe (FRCP 26 [a] [5] 35). Auf Antrag kann das Gericht anordnen, dass sich die Partei einer entsprechenden Untersuchung durch eine zugelassene und erfahrene Untersuchungsperson zu unterziehen oder eine Person in ihrer Obhut oder Kontrolle dem Untersucher vorzuführen hat. Auch ein Verstorbener kann untersucht werden.276 Die Untersuchungspflicht erstreckt sich – von sorgebefohlenen Kindern abgesehen – nicht auf Dritte. Den Bericht erhält der Antragsteller; die untersuchte Partei kann eine Kopie verlangen. Beide Seiten können auch Kopien früherer Untersuchungen zum gleichen Fragenkreis verlangen.
10.191
Lässt sich die Partei nicht untersuchen, kann das Gericht Sanktionen nach FRCP 37 (b) (2) beschließen: (1) die streitige Tatsache kann als bewiesen angesehen werden; (2) die ungehorsame Partei kann mit den entsprechenden Verteidigungsmitteln ausgeschlossen werden; (3) Pleadings können ganz oder teilweise gestrichen oder ein Versäumnisurteil kann erlassen werden. Außerdem kann Kostenerstattung angeordnet werden. Contempt of court-Sanktionen sind dagegen ausdrücklich ausgeschlossen. Unmittelbarer Zwang kann nicht geübt werden. Die Beweisregeln der Einzelstaaten enthalten meist Sonderregeln über „blood tests to determine paternity“. Erfasst sind alle einschlägigen Untersuchungsmethoden, nicht nur Blutgruppentests. Für Kalifornien s. z.B. Family Code sec. 7550–7557 (in Kraft seit 1.1.1994). Danach kann das Gericht von Amts wegen oder auf Anregung eines Betroffenen („upon its own motion or upon suggestion made by or on behalf of any person whose blood is involved“) anordnen, dass sich Mutter, Kind und der Mann, dessen Vaterschaft behauptet wird, „blood tests“ zu unterziehen haben. Cal. Family Code sec. 7551 Satz 2 lautet: „If a party refuses to submit to the tests, the court may resolve the question of paternity against that party or enforce its order if the rights of others and the interests of justice so require. A party´s refusal to submit to the tests is admissible in evidence in any proceeding to determine paternity.“ Das Gericht bestellt den oder die Sachverständigen. Jede Partei kann weitere, unabhängige Untersuchungen verlangen (FC sec. 7552).
276 In re Certain Asbestos Cases, NDTex. 1986, 112 FRD 427.
653
10.192
§ 10 Rz. 10.192 | Internationales Beweisrecht
Kommen die Sachverständigen zu einem negativen Ergebnis, ist die Klage abzuweisen. Kommen die Sachverständigen zu unterschiedlichen Ergebnissen oder ergeben die Tests nur eine Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaft, so muss über die Vaterschaft unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden (FC sec. 7554 [b]).
10.193 Den Uniform Act on Paternity 1960, der entsprechende Regeln für die Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft enthält, haben nur wenige Staaten übernommen. 18 Staaten folgen dem Uniform Parentage Act 1973, der die Vaterschaftsfeststellung für jeden Fall regelt und in § 11 „blood tests“ vorsieht. Auf deren Grundlage kann die Klage abgewiesen oder dem Mann vom Richter die vergleichsweise Anerkennung der Vaterschaft empfohlen werden (§ 13), worauf Anerkenntnisurteil ergeht. Ein Trial findet nur statt, wenn die Klage nicht auf diese Weise erledigt werden kann. 10.194 Wendet der Beklagte Mehrverkehr ein, so ist dieser Einwand nur beachtlich, wenn er sich selbst den „blood tests“ unterzogen hat. Wird ein konkreter Dritter benannt, der der Jurisdiktion des Gerichts unterliegt, so soll er ebenfalls zum Beklagten gemacht werden (§ 14 [c] Uniform Parentage Act). Insgesamt kann das Gericht bei Weigerung des Beklagten i.d.R. die Vaterschaft als erwiesen ansehen (so etwa auch New Jersey Parentage Act, sec. 14) oder das Gericht kann contempt of court-Sanktionen, z.B. Bußgeld oder Beugehaft,277 anordnen. Eine zwangsweise Untersuchung wäre nach der US-Verfassung wohl nicht unzulässig, sie ist aber bisher in der Praxis anscheinend nie direkt erzwungen worden.
10.195 Solche unterschiedlichen Auffassungen insb. hinsichtlich der körperlichen Untersuchung und körperlicher Eingriffe führen dazu, dass die lex fori ausschließlich zuständig ist. Das hat zur Folge, dass auch Ausländer in dem einen Land Blutentnahmen und andere Tests dulden müssen, sie sogar zwangsweise dazu vorgeführt werden können, dass in anderen Ländern entweder gar keine prozessuale Verpflichtung besteht, solche Untersuchungen zu dulden, oder dass Verpflichtungen bestehen, die letztlich nicht erzwungen werden können. Da die Verpflichtung, körperliche Untersuchungen zu dulden, nicht materiell-rechtlich gelöst ist, kann insoweit nicht über das IPR auf ausländisches materielles Recht zurückgegriffen werden. Soweit die Vorlagepflicht von Augenscheinsobjekten auf materiellem Recht beruht, kann das entsprechende ausländische Recht angewendet werden, sofern es nach dem IPR maßgebend ist (s. Rz. 10.39, 10.153 ff., 10.173 ff.). 5. Der Beweis durch Sachverständige
10.196 Die Abgrenzung des Zeugen- von dem Sachverständigenbeweis muss den einzelnen Prozessrechten entnommen werden. Die Annäherung des Sachverständigen an den Zeugen ist im anglo-amerikanischen Recht am stärksten ausgeprägt: der Sachverständige (expert-witness) wird wie ein Zeuge in der Regel mündlich vernommen und von einer der Parteien präsentiert. 277 S.S. v E.S., 578 A. 2d 381, N.J.Super.A.D. 1990.
654
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.201 § 10
Sachverständige werden in den USA grds. wie Zeugen behandelt und von den Parteien gestellt (expert witness). Ein Sachverständiger kann aber über wissenschaftliche, technische oder andere Fragen eines Spezialwissens in der Form eines Gutachtens („opinion“) aussagen (Fed.R.Ev. 702, 705). Das Gericht kann auch auf Antrag oder von Amts wegen einen gerichtlichen Sachverständigen bestellen (FRE 706), doch geschieht dies nur selten. Entsprechende Regeln finden sich auch in den Prozessordnungen der Einzelstaaten, z.B. Cal. Evidence Code §§ 801, 802. Zu Abstammungsuntersuchungen s. Rz. 10.178 ff., 10.191 f.
10.197
Die neuen CPR haben den Sachverständigenbeweis in England der kontinentalen Konzeption angenähert. Nach CPR r 35.4 kann kein Sachverständiger ohne gerichtliche Genehmigung präsentiert werden. Das Gericht kann sogar die Vorlage eines gemeinsamen Sachverständigengutachtens anordnen (CPR r 35.7, 35.8) und damit konkurrierende Parteigutachten ausschalten.278
10.198
Wenn nach § 402 ZPO für den Beweis durch Sachverständige im deutschen Zivilprozess die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend gelten, so werden für den Sachverständigen doch sehr wesentliche Ausnahmen gemacht. Die Auswahl der Sachverständigen erfolgt durch das Prozessgericht (§ 404 I 1 ZPO), während das nach dem anglo-amerikanischen Recht fast ausschließlich Sache der Parteien ist. Auch nach deutschem Recht können die Parteien aber zur Person angehört werden (§ 404 II ZPO). Eine Einigung der Parteien auf einen konkreten Sachverständigen bindet das Gericht (§ 404 V ZPO). Der Sachverständige kann aus denselben Gründen abgelehnt werden wie ein Richter (§ 406 ZPO). Grundsätzlich kann nur eine konkrete Person, kein „Institut“ zum Gutachter bestellt werden. Behörden und Ausschüsse können nur dann Gutachter sein, wenn dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist (z.B. gem. §§ 192 ff. BauGB, § 23 PatG, § 58 MarkenG).279 Im Gegensatz zum Zeugen besteht für den Sachverständigen keine allgemeine prozessuale Verpflichtung, als solcher für das Gericht tätig zu werden. Die Pflicht, Gutachten zu erstatten, ist vielmehr im Einzelnen in § 407 ZPO festgelegt.
10.199
Das schwedische Recht unterscheidet öffentliche Sachverständige (Personen oder Institutionen), die vom Gericht bestellt werden (RB 35:6, 40:1) und private Sachverständige (RB 40:19), die ihr Gutachten im Parteiauftrag fertigen, wie Zeugen vernommen und für ihr Gutachten von der Partei bezahlt werden.280
10.200
In Frankreich hat der CPC eine Änderung der Rechtslage gebracht. Gem Art. 232 kann das Gericht jede Person seiner Wahl als Sachverständigen bestimmen. Da die ausgewählte Person die Übernahme des Amtes, als Sachverständige tätig zu werden, ablehnen kann (Art. 235 CPC), gibt es auch in Frankreich keine allgemeine prozessuale Pflicht, die Aufgabe eines Sachverständigen zu übernehmen. Es ist nicht mehr
10.201
278 N. Andrews in Birks, English Private Law, Vol. 2, 2000, No. 19.132; A. Zuckerman, On Civil Procedure, 3rd ed. 2013, para 21.35 et seq, 21.79 et seq; G. Wagner, ZEuP 2001, 441, 506 ff. 279 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 122 Rz. 17. 280 B. Lindell in Nagel/Bajons, S. 519, 554 (Rz. 69 ff.).
655
§ 10 Rz. 10.201 | Internationales Beweisrecht
vorgeschrieben, dass nur Franzosen Sachverständige sein können. Die Sachverständigen können aus denselben Gründen wie ein Richter abgelehnt werden (Art. 234 I CPC). Je nach Schwierigkeit der zu klärenden Tatfrage wird zwischen Feststellungen (constatation), Befragung (consultation) und Gutachten (expertise) unterschieden (Art. 249 bis 284 CPC281).
10.202 In Italien wird bei den Gerichten eine Liste der Sachverständigen geführt. Die Liste wird von einem Kommissar unter Mitwirkung von Vertretern der Berufsgenossenschaften aufgestellt. Das Gericht wählt Sachverständige grds. aus dieser Liste aus. Die ausgewählte Person muss die ihr übertragene Aufgabe annehmen.282 Danach gibt es eine prozessuale Verpflichtung, die Aufgaben eines Sachverständigen zu übernehmen, nur für die auf der Liste verzeichneten Personen. Daneben gibt es auch den Parteisachverständigen, der zu den Untersuchungen und Ergebnissen des gerichtlichen Sachverständigen Stellung nehmen kann.283 10.203 Nach spanischem Recht kann jede natürliche oder juristische Person Sachverständiger sein. Natürliche Personen sollen einen Hochschulabschluss besitzen, sofern es diesen in ihrem Sachgebiet gibt. Auch kulturelle oder wissenschaftliche Einrichtungen oder Akademien können zum Sachverständigen bestellt werden, die dann ihrerseits eine konkrete Person benennen (Art. 340 LEC). Nach Art. 336 LEC kann jede Partei unabhängig von der anderen ein Privatgutachten einholen und mit der Klage oder Klageerwiderung dem Gericht vorlegen. Dieses Vorgehen ist inzwischen der Normalfall in Spanien. Zwar kann das Gericht einen Sachverständigen auf Antrag in der Klage oder Klageerwiderung bestellen (Art. 339 LEC). Ein solches Vorgehen ist aber selten. Wird doch ein solcher Antrag gestellt, wird der Sachverständige per Los aus der dem Gericht vorliegenden Sachverständigenliste bestimmt, die die verschiedenen Fachinstitutionen den Gerichten jährlich übersenden (Art. 341 LEC).284
10.204 In den Niederlanden kann das Gericht nach Art. 194 I nRV eine Untersuchung oder eine Begutachtung durch einen Sachverständigen durch Zwischenurteil auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen anordnen.285 Seit 2001 sieht das Gesetz auch vor, dass jede Partei ein Privatgutachten vorlegen und das Gericht den Privatgutachter notfalls persönlich anhören kann (Art. 200 nRV).286 10.205 Art. 280 polnische ZPO nähert die Verpflichtung, Gutachten zu erstellen, der Verpflichtung an, als Zeuge aussagen zu müssen. Der Sachverständige kann nämlich die ihm auferlegte Verpflichtung aus den Gründen ablehnen, die einen Zeugen zur Ver-
281 Vgl. B. Bangratz, DRiZ 1995, 85, 90 f.; G. Rouhette in Nagel/Bajons, S. 167, 192 (Rz. 48 ff.). 282 A. Chizzini/E.-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 297, 322 (Rz. 74). 283 A. Chizzini/E.-M. Bajons in Nagel/Bajons, S. 297, 323 (Rz. 75). 284 J. Nieva-Fenoll, Derecho Procesal II, Proceso civil, 2019, S. 223. 285 H.M. Granow/C. M. Bervoets in Nagel/Bajons, S. 387, 410 (Rz. 38 f.). 286 H.M. Granow/C. M. Bervoets, (Fn. 277) Rz. 40.
656
IV. Die einzelnen Beweismittel | Rz. 10.211 § 10
weigerung der Aussage berechtigen; außerdem auch wegen eines Hinderungsgrundes, der ihm die Erstellung des Gutachtens unmöglich macht.287 Nach der griechischen ZPO müssen Personen, die als Sachverständige in eine Liste eingetragen sind, sowie diejenigen, die einen Beruf ausüben, zu dessen Bereich der Gegenstand des Sachverständigenbeweises gehört, die ihnen durch Gerichtsentscheidung übertragenen Aufgaben erfüllen.288
10.206
Da die prozessuale Verpflichtung, als Sachverständiger tätig zu werden, in den verschiedenen Staaten mit erheblichen Unterschieden ausgestattet ist, kann wiederum nur die lex fori darüber entscheiden, wer verpflichtet ist, die Aufgaben eines Sachverständigen zu übernehmen, in welcher Weise Sachverständige bestellt werden, in welcher Art und Weise sie ein Gutachten zu erstellen bzw. vor Gericht auszusagen haben. Die lex fori entscheidet auch darüber, ob die Sachverständigen die Befugnis haben, Fragen an die Parteien oder Zeugen zu stellen.
10.207
Nach allen Rechtsordnungen müssen Sachverständige unabhängig und neutral sein. Die Anforderungen hierzu, insb. die Pflicht ungefragt auf etwaige Bedenken hinzuweisen, unterscheiden sich aber im Detail von Staat zu Staat.289
10.208
Auch die Haftung des Sachverständigen für fehlerhafte Gutachten unterscheidet sich je nach der lex fori.290
10.209
Jeder Ausländer, der sich im Inland aufhält und die Voraussetzungen des § 407 ZPO erfüllt, unterliegt der prozessualen Verpflichtung in eben dem Maße wie ein deutscher Staatsangehöriger. Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer sich nicht im Inland aufhält. Danach kann sich z.B. ein in Deutschland lebender Schwede nicht darauf berufen, nach seinem Recht gebe es keine prozessuale Verpflichtung, dem Gericht als Sachverständiger zu dienen.291
10.210
Zum Beweis ausländischen Rechts durch Sachverständige s. Rz. 11.34 ff.
10.211
287 Vgl. J. Mokry/J. Sobkowski in Nagel/Bajons, S. 477, 501 (Rz. 56). 288 K. Beys in Nagel/Bajons, S. 197, 225 (Rz. 68). 289 Vgl. O. Leclerc, Guaranteeing the independence and technical suitability of the expert, in La prueba en el proceso, 2018, S. 447. 290 Vgl. P. Jung, Die deliktische Haftung von Prozesssachverständigen, ZVglRWiss 107 (2008), 32 (Deutschland, England, Frankreich). 291 Hinsichtlich des technischen Sachverständigen vgl. F. Nicklisch in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz 1978, S. 291–344.
657
§ 11 Die Behandlung ausländischen Rechts I. Rechtshilfeverträge . . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Londoner Europäisches Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht v. 7.6.1968 und Auslands-Rechtsauskunftsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deutsch-marokkanischer Vertrag über Rechtshilfe und Rechtsauskunft v. 29.10.1985 . . . . . . . . . . . . . II. Autonomes deutsches Recht . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Beweis ausländischen Rechts 5. Der Sachverständigenbeweis über ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . 6. Die Ermittlung ausländischen Rechts im Versäumnisverfahren . 7. Ausländisches Recht und einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .
11.1 11.1
11.2 11.12 11.14 11.14 11.15 11.27 11.29 11.34 11.40
8. Nichtfeststellbarkeit ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die Revisibilität ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.46 11.53 11.67 11.67 11.69 11.74 11.77 11.78 11.81 11.83 11.84 11.85 11.86 11.87 11.88 11.90
11.42
I. Rechtshilfeverträge 1. Schrifttum
11.1 R. Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten, 2014, S. 242 ff.; Jastrow, Zur Er-
mittlung ausländischen Rechts: Was leistet das Londoner Auskunftsübereinkommen in der Praxis?, IPRax 2004, 402; Prütting in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2016, § 293 ZPO Rz. 35 ff.; G. Otto, Die gerichtliche Praxis mit dem Europäischen Übereinkommen von 1968, FS Firsching, 1985, S. 209; G. Otto, Das Europäische Übereinkommen vom 7.6.1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht – im Abseits?, Jahrbuch f. ital. Recht 7 (1994), 233; O. Remien, Jura novit curia und die Ermittlung fremden Rechts im europäischen Rechtsraum der Art. 61 ff. EGV, in Aufbruch nach Europa, 2001, S. 617; B. Rodger/J. van Doorn, Proof of Foreign Law: The Impact of the London Convention, ILCQ 46 (1997), 151; D. Schellack, Selbstermittlung oder ausländische Auskunft unter dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen, 1998; Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 293 Anhang (Rz. 87–137); J. Verhellen, Access to foreign law in practice: easier said than done, JPIL 12 (2016), 281; A. Wolf, Das Europäische Übereinkommen vom 7.6.1968 betr. Auskünfte über ausländisches Recht, NJW 1975, 1583.
658
I. Rechtshilfeverträge | Rz. 11.7 § 11
2. Londoner Europäisches Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht v. 7.6.1968 und Auslands-Rechtsauskunftsgesetz Nach diesem Übereinkommen betreffend Rechtsauskünfte1 verpflichten sich alle anderen Vertragsstaaten auf Ersuchen des Gerichts eines Vertragsstaats, Auskünfte über ihr Recht in Zivil- und Handelssachen zu geben. Sie haben damit nicht nur die völkerrechtliche Verpflichtung übernommen, solche Auskünfte kostenlos zu erteilen, sondern auch einen entsprechenden Apparat dafür aufzubauen.2 Ausführungsbestimmungen finden sich in Deutschland im Auslands-Rechtsauskunftsgesetz v. 5.7.1974.3
11.2
Außer Deutschland sind Vertragsstaaten: Albanien (18.8.2001), Aserbaidschan (27.9.2000), Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Costa Rica, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien (19.6.1999), Griechenland, Großbritannien, Island, Italien, Kroatien (7.5.2014), Lettland (6.11.1998), Liechtenstein, Litauen (17.1.1997), Luxemburg, Malta, Marokko (20.9.2013), Mazedonien (16.4.2003), Mexiko (22.5.2003), Moldau (15.6.2002), Monaco (2.12.2017), Montenegro (3.6.2006), Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, Schweden, die Schweiz, Serbien (31.8.2002), die Slowakei (6.3.1997), Slowenien (2.7.1998), Spanien, die Tschechische Republik (25.9.1998), Türkei, Ukraine, Ungarn, Weißrussland (3.10.1997), Zypern.
11.3
Zu dem Übereinkommen besteht ein Zusatzprotokoll v. 15.3.1978,4 dessen Kapitel II für Deutschland nicht verbindlich ist. Dieses Protokoll erstreckt den Anwendungsbereich des Übereinkommens auf Strafsachen.
11.4
Nach Art. 3 muss das Ersuchen um Auskunftserteilung immer von einem Gericht ausgehen, auch wenn dieses das Ersuchen nicht selbst abgefasst hat. Nach Art. 3 des Zusatzprotokolls kann das Auskunftsersuchen im Rahmen eines Prozesskostenhilfeoder Rechtsberatungsverfahrens auch von einer anderen dafür zuständigen Stelle gestellt werden; das Ersuchen kann auch ein erst in Aussicht genommenes Verfahren betreffen.
11.5
Art. 4 verlangt die Angabe der Punkte, zu denen eine Auskunft über das Recht des ersuchten Staats gewünscht wird. Dazu hat das Ersuchen eine Darstellung des Sachverhalts mit Angaben zu enthalten, die zum Verständnis des Ersuchens und zu seiner richtigen und genauen Beantwortung erforderlich sind. Schriftstücke können in Abschrift beigefügt werden, wenn dies zum besseren Verständnis des Ersuchens notwendig ist.
11.6
Diese Vorschrift sollte auch bei Ersuchen an ein wissenschaftliches Institut in der Bundesrepublik Deutschland allgemein von den Gerichten beachtet werden. Ohne eine hinreichend klare Darstellung des Sachverhalts kann keine befriedigende Aus-
11.7
1 2 3 4
BGBl. 1974 II, 938; abgedruckt in Jayme/Hausmann, Nr. 200. A. Wolf, NJW 1975, 1584. BGBl. 1974 I, 1433; abgedruckt in Jayme/Hausmann, Nr. 200a. BGBl. 1987 II, 58.
659
§ 11 Rz. 11.7 | Die Behandlung ausländischen Rechts
kunft über ausländisches Recht erteilt werden. Größte Sorgfalt bei der Ausarbeitung dieses Sachverhalts ist ebenso wichtig, wie z.B. die Aufzählung der Fragen, die an einen im Wege der internationalen Rechtshilfe zu vernehmenden Zeugen gestellt werden sollen.
11.8 Art. 4 III enthält eine weitergehende wichtige Bestimmung. Danach kann zur Ergänzung im Ersuchen Auskunft auch zu solchen Punkten erbeten werden, die andere als Zivil- oder Handelsrecht betreffende Rechtsgebiete angehen, sofern diese Punkte mit denen im Zusammenhang stehen, auf die sich das Ersuchen in erster Linie bezieht. 11.9 Nach Art. 5 ist der unmittelbare Weg von dem ersuchenden Gericht an die in jedem Vertragsstaat einzurichtende Empfangsstelle des ersuchten Staats eröffnet. 11.10 Art. 7 umschreibt den Zweck der Antwort dahin, „das Gericht, von dem das Ersuchen ausgeht, in objektiver und unparteiischer Weise über das Recht des ersuchten Staats zu informieren“. Dabei sollen der Wortlaut der Gesetze und die einschlägigen Gerichtsentscheidungen angegeben werden. Diese Antwort bindet das ersuchende Gericht aber ausdrücklich nicht (Art. 8). Dadurch soll vermieden werden, dass der falsche Anschein einer authentischen Interpretation entsteht.5 Ausnahmen von der Pflicht zur Beantwortung von Ersuchen bestehen dann, wenn Interessen berührt werden, die geeignet sind, die Hoheitsrechte oder die Sicherheit des ersuchten Staats zu gefährden. Otto und Rodger/van Doorn halten die praktischen Erfahrungen für sehr positiv,6 da die Auskunft kostenlos und relativ schnell erteilt wird. 11.11 Wenn Geisler dem BGH vorwirft, dass er mit seiner Forderung nach dem Strengbeweis sich in Widerspruch setze zu dem Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht, so ist es zwar richtig, dass nach § 4 AuRAG die Vernehmung einer Person, die ein Auskunftsersuchen in einem anderen Vertragsstaat bearbeitet hat, zum Zwecke der Erläuterung oder Ergänzung der Antwort unzulässig ist. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Einholung solcher Auskünfte ebenfalls unter den Freibeweis fällt. 3. Deutsch-marokkanischer Vertrag über Rechtshilfe und Rechtsauskunft v. 29.10.1985
11.12 Nach Art. 18 übermitteln sich das Bundesjustizministerium und das Justizministerium des Königreichs Marokko gegenseitig Auskünfte über Gesetze, Gerichtsentscheidungen und sonstige Rechtsauskünfte in Zivil- und Handelssachen.7 11.13 Auch die Gerichte beider Staaten können über diese Ministerien von den zuständigen Stellen im anderen Staat Auskünfte über das Zivil- und Handelsrecht sowie das Verfahrensrecht und die Gerichtsverfassung in diesen Gebieten einholen (Art. 19, 20). Formelle Anforderungen an Auskunftsersuchen sind in den Art. 21, 22 vorgese5 A. Wolf, NJW 1975, 1586. 6 Jahrbuch ital. Recht 7 (1994), S. 233, 238; I.C.L.Q. 46 (1997), 151, 165. 7 BGBl. 1988 II, 1054; abgedruckt in Jayme/Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 201.
660
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.14 § 11
hen. Die Antwort soll in „objektiver Weise“ gegeben werden; gesetzliche Bestimmungen und Gerichtsentscheidungen sind beizufügen (Art. 23). Die Antwort ist kostenfrei (Art. 26). Sie bindet das anfragende Gericht nicht (Art. 24).
II. Autonomes deutsches Recht 1. Schrifttum S. Adamczyk, Die Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts, 1999; M. Aden, Revisibilität des kollisionsrechtlich berufenen Rechts, RIW 2009, 475; M. Artz, Kollisionsrecht und ausländisches Recht in spanischen und deutschen Zivilverfahren, 2004; M. Becker, Die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts in der deutschen Rechtspraxis, FS Martiny, 2014, S. 619; B. Bendref, Gerichtliche Beweisbeschlüsse zum ausländischen und internationalen Privatrecht, MDR 1983, 892; N. Dethloff, Ausländisches Wettbewerbsrecht im einstweiligen Rechtsschutz, RabelsZ 62 (1998), 286; F. Eichel, Die Revisibilität ausländischen Rechts nach der Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO, IPRax 2009, 389; C. Esplugues/J.L. Iglesias/G. Palao, Application of foreign law, 2011; R. Fentiman, Foreign law in English Courts, 1998; A. Flessner, Diskriminierung von grenzüberschreitenden Rechtsverhältnissen im europäischen Zivilprozess, ZEuP 2006, 737; A. Flessner, Das ausländische Recht im Zivilprozess – die europäischen Anforderungen, in Reichelt, 30 Jahre österreichisches IPR-Gesetz, 2009, S. 35; A. Fuchs, Die Ermittlung ausländischen Rechts durch Sachverständige, RIW 1995, 807; W. Geisler, Zur Ermittlung ausländischen Rechts durch „Beweis“ im Prozess, ZZP 91 (1978), 91, 176; R. Hausmann, Pleading and proof a foreign law – a comparative analysis, EuLF 1-2008, I-1; T. C. Hartley, Pleading and proof of foreign law: The major European systems compared, ICLQ 45 (1996), 271; W. Hau, Gerichtssachverständige in Fällen mit Auslandsbezug, RIW 2003, 822; P. Hay/G. Hampe, Nichtermittelbarkeit ausländischen Rechts und Forum Non Conveniens, RIW 1998, 760; A. Heldrich, Probleme bei der Ermittlung ausländischen Rechts in der gerichtlichen Praxis, FS Nakamura, 1996, S. 243; B. Hess/Hübner, Die Revisibilität ausländischen Rechts nach der Neufassung des § 545 ZPO, NJW 2009, 3232; W. Hetger, Die Ermittlung ausländischen Rechts, FamRZ 1995, 654; R. Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten, 2014; M. Jäntera-Jareborg, Foreign Law in National Courts, Rec.d.Cours 304 (2003), 181; N. Jansen/R. Michaels, Die Auslegung und Fortbildung ausländischen Rechts, ZZP 116 (2003), 3; H. U. Jessurun d’Oliveira, Foreign law in summary proceedings, Essays in honour of Voskuil, 1992, S. 119; Th. Kadner Graziano, Rechtsvergleichung vor Gericht, RIW 2014, 473; K. Kerameus, Revisibilität ausländischen Rechts, ein rechtsvergleichender Überblick, ZZP 99 (1986), 166; J. Kindl, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten, ZZP 111 (1998), 177; W. Krause, Ausländisches Recht und deutscher Zivilprozess, 1990; U. Küster, Zur richterlichen Ermessensausübung bei der Ermittlung ausländischen Rechts, RIW 1998, 275; W. Lindacher, Zur Mitwirkung der Parteien bei der Ermittlung ausländischen Rechts, FS Schumann, 2001, S. 283; W. Lindacher, Zur Anwendung ausländischen Rechts, FS Beys, 2003, 909; P. Mankowski/R. Kerfack, Arrest, einstweilige Verfügung und die Anwendung ausländischen Rechts, IPRax 1990, 372; K. Müller, Zur Nichtfeststellbarkeit des kollisionsrechtlich berufenen ausländischen Rechts, NJW 1981, 481; J. Müller, Die Behandlung ausländischen Rechts im Zivilverfahren, 2011; H. Ost, EVÜ und fact doctrine, 1996; G. Otto, Der verunglückte § 293 ZPO und die Ermittlung ausländischen Rechts durch „Beweiserhebung“, IPRax 1995, 299; P. Picone, Die „Anwendung“ einer ausländischen „Rechtsordnung“ im Forumstaat, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 569; A. Ponsard, L’office du juge et l’application du droit étranger, Rev crit 79 (1990), 607; H. Prütting, Ermittlung und Anwendung von ausländischem Recht in Japan und Deutschland, FS Ishikawa, 2001, S. 397; O. Remien, Jura novit curia und die Ermittlung fremden Rechts im europäischen Rechtsraum nach Art. 61 ff. EGV,
661
11.14
§ 11 Rz. 11.14 | Die Behandlung ausländischen Rechts in Aufbruch nach Europa, 75 Jahre MPI für Privatrecht, 2001, S. 617; O. Remien, Proof of and Information about Foreign Law, in German National Reports on the 19th International Congress of Comparative Law, 2014, S. 223; O. Remien, Die Anwendung und Ermittlung des ausländischen Rechts im System des Europäischen Internationalen Privatrechts, ZVerglRWiss 115 (2016), 570; Th. Rogoz, Ausländisches Recht im deutschen und englischen Zivilprozess, 2008; E. Schilken, Zur Rechtsnatur der Ermittlung ausländischen Rechts nach § 293 ZPO, FS Schumann, 2001, S. 373; R. Schütze, Ausländisches Recht als beweisbedürftige Tatsache, NJW 1965, 1652; R. Schütze, Feststellung und Revisibilität europäischen Rechts im deutschen Zivilprozess, Symposium Baur, 1992, S. 93; S. Schwung, Das Ersatzrecht bei einem Verstoß des ausländischen Rechts gegen den ordre public, RabelsZ 49 (1985), 407; K. Sommerlad/J. Schrey, Die Ermittlung ausländischen Rechts im Zivilprozess und die Folgen der Nichtermittlung, NJW 1991, 1377; U. Spellenberg, Ermittlung ausländischen Rechts, IPRax 2020, 136; A. Spickhoff, Fremdes Recht vor inländischen Gerichten: Rechts- oder Tatfrage, ZZP 112 (1999), 265; A. Spickhoff, Die neue Sachverständigenhaftung und die Ermittlung ausländischen Rechts, FS Heldrich, 2005, S. 419; M. Stürner, Wie kann der Zugang zu ausländischem Recht in Zivilsachen verbessert werden?, ZVglRWiss 117 (2018), 1; M. Stürner/F. Krauß, Ausländisches Recht in deutschen Zivilverfahren, 2018; R. Stürner, Parteidisposition über das anwendbare Recht im europäischen Zivilprozess?, FS U. Weber, 2004, S. 589; F. Sturm, Wegen Verletzung fremden Rechts sind weder Revision noch Rechtsbeschwerde zulässig, JZ 2011, 74; F. Sturm, Erforschung und Beweis fremden Rechts, FS Pannier, 2010, S. 197; H. D. Tebbens, New Impulses for the Ascertainment of Foreign Law in Civil Proceedings: A Question of (inter)networking?, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 635; W. Theiss, Feststellung ausländischen Rechts im italienischen Zivilprozess, IPRax 1987, 193; Ch. Thole, Anwendung und Revisibilität ausländischen Gesellschaftsrechts in Verfahren vor deutschen Gerichten, ZHR 176 (2012), 15; C. Trautmann, Ausländisches Recht vor deutschen und englischen Gerichten, ZEuP 2006, 283; C. Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, 2011; P. de Vareilles-Sommières, Glossaire de l’application judiciaire de la loi étrangère, Études à Normand, 2003, S. 485; P. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996; S. Vrellis, Überlegungen betreffend die Auslegung fremder Rechtsnormen, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 829; G. Wagner, Fakultatives Kollisionsrecht und prozessuale Parteiautonomie, ZEuP 1999, 6; I. Zajtay, The application of foreign law, in Int.Encyc.Comp.L. Vol. III Chap. 14, 1972.
2. Einführung
11.15 § 293 ZPO lautet: „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei der Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.“
11.16 Ob ein anderes als das deutsche materielle Recht anzuwenden ist, bestimmen das deutsche IPR bzw. von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossene Staatsverträge. Bei den Konfliktregeln handelt es sich also ausschließlich um deutsches Recht. Hat das Gericht danach festgestellt, dass ein fremdes materielles Recht anzuwenden ist, so geht es um die prozessuale Ermittlung dieses Rechts. Die Anwendung und Ermittlung hängt nicht davon ab, ob der ausländische Staat anerkannt ist oder nicht.
662
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.20 § 11
Nach h.M. ist das deutsche Kollisionsrecht zwingendes Recht und von Amts wegen zu beachten, gleichgültig ob diese Prüfung im Ergebnis zur Anwendung materiellen Inlands- oder Auslandsrechts führt.8 Dagegen will die Lehre vom fakultativen Kollisionsrecht9 letztlich die Anwendung von Auslandsrecht in die Dispositionsfreiheit der Parteien stellen. Die kollisionsrechtliche Frage und damit die eventuelle Anwendbarkeit ausländischen Rechts soll nur geprüft werden, wenn sich eine Partei darauf beruft.10 Dadurch soll die Bewältigung der Fälle mit Auslandsberührung erheblich vereinfacht werden. Nach h.M. erstreckt sich die Verhandlungsmaxime aber nicht auf die Rechtsanwendung. Da der Gesetzgeber im IPR eine Freiheit der Rechtswahl nur im Schuldrecht und in Sonderfällen zugelassen hat, kann prozessual nicht eine allgemeine Freiheit zur Wahl deutschen Rechts zugestanden werden.11
11.17
Auch wenn die Anwendung deutschen oder ausländischen Rechts zu gleichen Ergebnissen führt, darf die Tatsacheninstanz nach h.M. nicht offen lassen, welches sachliche Recht auf das streitige Rechtsverhältnis anzuwenden ist, weil nur deutsches Recht revisibel ist.12 Wenn auf das in einem anderen Staate geltende Recht abgestellt wird, wird damit zugleich zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht allein um die Anwendung fremder Gesetze handelt. Der deutsche Richter muss vielmehr ermitteln, wie das ausländische Recht ausgelegt und in der Praxis angewendet wird. Die bloße Ermittlung des Gesetzeswortlauts genügt daher nicht, vielmehr muss die ausländische Rechtspraxis beachtet werden.13 Ist diese nicht zu ermitteln, sollte man im Zweifel dem Gesetzeswortlaut folgen.14
11.18
Bei unklarer Rechtslage im Ausland kann das Gericht der überwiegenden Rechtsprechung, fehlt eine solche, der überwiegenden Meinung des Schrifttums folgen. Bei neuer oder sonst ungeklärter Rechtslage darf das Gericht auch ausländisches Recht auslegen, Lücken schließen und punktuell fortentwickeln.15 In keinem Fall darf eine Klage ohne nähere Ermittlungen wegen der Unklarheit der Rechtslage, etwa nach dem Zerfall von Jugoslawien, abgewiesen werden.16
11.19
Insbesondere bei Systemunterschieden zwischen den beteiligten Rechtsordnungen kann auch eine Angleichung bzw. Anpassung geboten sein.17
11.20
8 BGH, RIW 1995, 1027, 1028; NJW 1995, 2097; BGH, IPRax 1996, 204; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rz. 131; J. Kropholler, IPR, S. 45 f.; v. Hein in MünchKomm/BGB, Einl. IPR Rz. 295. 9 Vgl. Th. de Boer, Facultative Choice of Law, RdC 257 (1996), 223–427; Staudinger/Looschelders, (2019) Einl. zum IPR Rz. 126 ff. 10 So A. Flessner, RabelsZ 34 (1980), 547. 11 Vgl. v. Hein in MünchKomm/BGB, Einl. IPR Rz. 292 ff.; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 8 ff. 12 BGH, NJW 1991, 2214; BGH, NJW 1996, 54, 55. 13 BGH, ZIP 2001, 675, 676; J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 181; R. Hübner, S. 201 ff. 14 Vgl. U. Spellenberg, IPRax 2020, 136, 145. 15 R. Hübner, S. 344 ff.; für Anpassung aus der Sicht des entscheidenden Gerichts dagegen S. Vrellis, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 829. 16 BGH, RIW 1997, 152. 17 Vgl. J. Kropholler, IPR, § 34 (S. 234 ff.).
663
§ 11 Rz. 11.21 | Die Behandlung ausländischen Rechts
11.21 Ausländisches Recht darf nicht angewandt werden, soweit das Ergebnis dieser Anwendung dem deutschen ordre public widerspricht (Art. 6 EGBGB; Art. 21 Rom IVO; Art. 26 Rom II-VO). Das ausländische Recht bleibt grds. anwendbar. Nur soweit dies nicht möglich ist, ist seine Lücke durch deutsches Recht als Ersatzrecht zu schließen.18 11.22 Ob auch ein fremder ordre public zu beachten ist, ist streitig. Im Rahmen von Art. 9 III Rom I-VO sind sog. Eingriffsnormen von Drittstaaten zu beachten. Der frühere deutsche Vorbehalt gegen Art. 7 I EVÜ ist damit überholt.19 11.23 Fremdes Recht wird in Deutschland als Recht und nicht als Tatsache behandelt und ermittelt.20 Um Tatsachen handelt es sich nur insoweit, als es um die Frage geht, ob ein bestimmtes Gesetz erlassen ist und wie sein Inhalt lautet. Das kann durch Urkunden bewiesen werden. 11.24 Das ausländische Recht unterscheidet sich aber wesentlich von dem deutschen im Geltungsgebiet des Grundgesetzes geltenden Recht. Der Satz „iura novit curia“ kann hinsichtlich des ausländischen Rechts aber nicht uneingeschränkt angewendet werden. Ausländisches Recht ist zwar Recht, aber es kann vom deutschen Richter nicht verlangt werden, dass er es kennt. Der deutsche Richter hat anwendbares ausländisches Recht zwar von Amts wegen zu ermitteln, aber er kann auch eine Mitwirkung der Parteien verlangen, zumindest wenn diese leichteren Zugang zu dem konkret anwendbaren Recht haben.21 Das ausländische Recht wird nur angewendet, wenn der deutsche Gesetzgeber dies über das IPR anordnet. Es ist auch nicht – wie später noch darzulegen ist – revisibel. Dies alles muss berücksichtigt werden, wenn es darum geht, in einem Rechtsstreit ausländisches Recht zu ermitteln. 11.25 In schuldrechtlichen Streitigkeiten können die Parteien zwar grds. darüber bestimmen, ob deutsches bzw. welches bestimmte ausländische materielle Recht in auslandsbezogenen Fällen angewendet werden soll. Haben sie sich auf ein bestimmtes ausländisches Recht geeinigt, so können sie aber nicht darüber bestimmen, wie dieses Recht auszulegen bzw. anzuwenden ist. Trägt also eine Partei einen bestimmten Rechtssatz vor und bestreitet die andere diesen nicht, gilt dieser nicht wie eine Tatsache als zugestanden, vielmehr muss der Inhalt des ausländischen Rechts ausreichend sicher festgestellt werden.22 11.26 Ergibt die Beweiserhebung zum ausländischen Recht, dass die Klage unbegründet ist, so kommt eine Erklärung der Erledigung der Hauptsache nicht in Betracht.23
18 19 20 21 22 23
664
OLG Hamm, IPRax 1995, 174, 177; vgl. S. Schwung, RabelsZ 49 (1985), 408. Martiny in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rom I-VO Rz. 6, 112 ff. J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 179. Vgl. v. Hein in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2018, Einl. IPR Rz. 295. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, § 112 Rz. 15; R. Schütze, NJW 1965, 1662. LG München I, IPRax 2001, 459.
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.28 § 11
3. Rechtswahl Schrifttum: K. Buchta, Die nachträgliche Bestimmung des Schuldstatuts durch Prozessverhalten, 1986; A. Dutta, Kollidierende Rechtswahlklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen, ZVglRWiss 104 (2005), 461; M.B. Jaspers, Nachträgliche Rechtswahl im internationalen Schuldvertragsrecht, 2002; A. Hellgardt, Das Verbot der kollisionsrechtlichen Wahl nichtstaatlichen Rechts und das Unionsgrundrecht der Privatautonomie, RabelsZ 82 (2018), 654; St. Lesage-Mathieu, Dispositives Kollisionsrecht im prozessualen Kontext, 2005; P. Mankowski, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im Lichte der Spieltheorie, FS Schäfer, 2008, S. 369; Th. Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte (§ 23 Rechtswahlvereinbarungen), 1999; H.-E. Rasmussen-Bonne, Alternative Rechts- und Forumswahlklauseln, 1999; Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 2.1 ff.; A. Roth, Die Wahl ausländischen Rechts im Familien-und Erbrecht, 2013; W.-H. Roth, Zur stillschweigenden Rechtswahl in einem künftigen EU-Gemeinschaftsinstrument über das internationale Schuldvertragsrecht, FS Georgiades, 2005, S. 905; H. Schack, Rechtswahl im Prozess, NJW 1984, 2736; E. Steinle, Konkludente Rechtswahl und objektive Anknüpfung nach ... internationalem Vertragsrecht, ZVglRWiss 93 (1994), 312; A. Steiner, Die stillschweigende Rechtswahl im Prozess, 1998; A. Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit als Ausnahmebereiche der EG-Grundfreiheiten, 2004.
11.27
Soweit eine Rechtswahl zulässig ist, kann diese von den Beteiligten ausdrücklich oder konkludent24 im Prozess auch noch mit Rückwirkung getroffen werden.25 In Vertragsstreitigkeiten ist eine Rechtswahl gem. Art. 3 Rom I-VO zulässig.26 In Deliktsprozessen kann der Verletzte nach Art. 40 I 2, 3 EGBGB die Anwendung des Erfolgsstatuts einseitig aber nur im ersten Rechtszug bis zum Ende des frühen ersten Termins oder dem Ende des schriftlichen Vorverfahrens verlangen.27 Allerdings besteht diese Möglichkeit nur noch, soweit die Rom II-VO nach Art. 1 II, etwa bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht anwendbar ist. Ist die Verordnung anwendbar, können Verbraucher das anwendbare Recht nur nachträglich, nach Eintritt des Schadens, kommerziell tätige Parteien auch schon vorweg frei wählen (Art. 14 Rom IIVO). In Verfahren vor staatlichen Gerichten kann bisher nur staatliches Recht gewählt werden. Soweit die Rechtswahl in internationalen Fällen uneingeschränkt frei ist, plädiert Hellgardt dafür, auch die Wahl nichtstaatlichen Rechts zuzulassen.28
11.28
24 BGH, RIW 1997, 426; vgl. BGH, RIW 2009, 245, 246. 25 Vgl. P. Mankowski, RIW 2003, 2; G. Wagner, ZEuP 1999, 6; A. Dutta, ZVglRWiss 104 (2005), 461. Zur Abschlusskontrolle von Rechtswahlvereinbarungen s. A. Baumert, RIW 1997, 805. 26 Vgl. Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 2.1 ff.; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 8 ff.; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Spickhoff, 4. Aufl. 2020, Art. 3 Rom I-VO Rz. 1 ff., 7 ff. 27 Vgl. St. Lorenz, Zivilprozessuale Konsequenzen der Neuregelung des Intern. Deliktsrechts, NJW 1999, 2215, 2216 f.; R. Freitag/St. Leible, Das Bestimmungsrecht des Art. 40 Abs. 1 EGBGB, ZVglRWiss 99 (2000), 101; A. Spickhoff, Die Tatortregel im neuen Deliktskollisionsrecht, IPRax 2000, 1, 5 ff.; krit. K. Schurig, Ein ungünstiges Günstigkeitsprinzip, GS Lüderitz, 2000, S. 699, 703 ff.; A. Junker, RIW 2000, 241, 246 ff.; B. Heiderhoff, IPRax 2002, 366. 28 A. Hellgardt, RabelsZ 82 (2018), 654, 688, 695.
665
§ 11 Rz. 11.29 | Die Behandlung ausländischen Rechts
4. Der Beweis ausländischen Rechts
11.29 Nach § 293 ZPO ist ausländisches Recht zu beweisen, wenn es dem Gericht unbekannt ist. Aus der Vorschrift, dass das Gericht nicht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise beschränkt, vielmehr befugt ist, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und dazu das Erforderliche anzuordnen, hat die Rechtsprechung gefolgert, dass das Gericht ihm unbekanntes ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln habe.29 Diese Pflicht besteht in allen Verfahrensarten. Auch im Urkundenprozess unterliegt die Feststellung ausländischen Rechts keinen Einschränkungen.30 Nach st Rspr. des BGH steht die Art und Weise der Ermittlung ausländischen Rechts im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Art und Umfang der Ermittlungen richten sich nach den tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Feststellung, aber auch danach, wie genau und kontrovers die Parteien die maßgebliche Rechtsfrage vortragen.31
11.30 Dagegen verstößt es gegen § 293 ZPO, wenn er es unterlässt, das ausländische Recht zu ermitteln.32 Die Befugnis des Richters, über die von den Parteien beigebrachten Nachweise hinauszugehen und auch andere Quellen zu benutzen, kann nur als weitgehende Ermächtigung des Gerichts angesehen werden, auf allen ihm nützlich erscheinenden Wegen das in Frage kommende fremde Recht zu ermitteln. Zulässigerweise kann jede Erkenntnisquelle herangezogen werden: ein Rechtsgutachten eines Sachverständigen (an einem Max-Planck-Institut, Universitätsinstitut oder Lehrstuhl), Auskünfte deutscher Auslandsvertretungen, ausländischer Botschaften oder Konsulate, Auskünfte nach dem Europäischen Übereinkommen von 1968 oder private Auskünfte von ausländischen Juristen.33 Auch das Europäische Justizielle Netz in Zivil-und Handelssachen kann (in Deutschland über das Bundesamt für Justiz) für Anfragen genutzt werden.34 11.31 Natürlich bedarf es der Einführung dieser schriftlichen Auskünfte in den jeweiligen Prozess, damit beide Parteien und ihre Rechtsanwälte dazu Stellung nehmen können (Art. 103 I GG). Es handelt sich dabei um einen echten Freibeweis,35 denn die Einholung schriftlicher Auskünfte von persönlich bekannten ausländischen Juristen geht weit über den Rahmen des § 273 II Nr. 2 ZPO hinaus. Schon die Einholung von 29 BGH, RIW 2013, 488; BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916 (Rz. 7); J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 179 f. 30 BGH, RIW 1997, 687. 31 BGH, RIW 1997, 687; BGHZ 118, 151, 162 = RIW 1992, 761 = NJW 1992, 2026; J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 182 ff.; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 49. 32 BGH, NJW 2002, 1209; BGH, WM 2001, 502, 503; BGH, RIW 1995, 156; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 67. 33 J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 186 ff.; v. Hein in MünchKomm/BGB, Einl. IPR Rz. 297; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 26. 34 v. Hein in MünchKomm/BGB, Einl. IPR Rz. 299. 35 Vgl. E. Schilken, FS Schumann, S. 373, 377; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 14.
666
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.34 § 11
Auskünften von Behörden oder Trägern eines öffentlichen Amtes wird als „illegitimer Sprössling“ innerhalb der Beweisfamilie bezeichnet.36 Da in jedem Fall solche Auskünfte insb. auch über die jüngste Rechtsprechung zu dem betreffenden ausländischen Recht vollkommen ausgereicht haben, ist eine solche Methode im Rahmen des richterlichen Ermessens gerechtfertigt. Eine Pflicht der Parteien zur Aufklärung des ausländischen Rechts besteht nicht.37 Doch wird der Umfang der Ermittlungen durch die Parteibehauptungen zum Inhalt des ausländischen Rechts und durch die sonstigen Umstände des Einzelfalles bestimmt.38 Auch die Möglichkeiten des Zugangs der Parteien zum ausländischen Recht sind nach den konkreten Umständen zu beachten.39 Übereinstimmender Vortrag bindet zwar nicht; doch darf das Gericht von seiner Richtigkeit ausgehen, wenn keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit bestehen.40 In der Praxis erweist sich die Mitwirkung der Parteien bei der Ermittlung ausländischen Rechts meistens als dürftig.
11.32
Teilweise werden darüber hinaus ausländische Rechtsanwälte befragt, die zu dem in Frage kommenden Rechtssätzen Stellung nehmen sollen. Gewöhnlich aber überlassen die Parteien es völlig dem Gericht, das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wenn aber der Richter mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nach dem in der Praxis anzuwendenden ausländischen Recht forschen soll, gewinnt der Satz „iura novit curia“ hinsichtlich des fremden Rechts wieder an Bedeutung. Es besteht kein prinzipieller Unterschied mehr zwischen der Forderung nach der Kenntnis des eigenen und der des ausländischen Rechts. Nur in der Methode, wie der Richter ganz allgemein Kenntnis von dem Recht erlangt, besteht ein technischer Unterschied.
11.33
5. Der Sachverständigenbeweis über ausländisches Recht Häufig erlässt das Prozessgericht einen Beweisbeschluss, wonach zu bestimmten Fragen ein schriftliches Gutachten über ausländisches Recht von einem bestimmten Gutachter eingeholt werden soll. Niemals wird ein wissenschaftliches Institut als Ganzes, sondern es werden immer nur der oder die einzelnen Wissenschaftler, die das Gutachten für das Institut erstattet und unterschrieben haben, zu Sachverständigen.41 Ein solches Sachverständigengutachten unterscheidet sich von einem anderen und dem gewöhnlichen Gutachten schon dadurch, dass der Sachverständige sich über Rechtsfragen äußern soll, während es dem gewöhnlichen Sachverständigen untersagt ist, sich über Rechtsfragen zu äußern. Weil er nicht Mitglied des Gerichts ist, hat er diesem lediglich seine Sachkunde zur Verfügung zu stellen. In diesem Ausnah36 37 38 39 40
D. Brüggemann, Judex statutor und judex investigatur, 1968, 401. W. Lindacher, FS Schumann, S. 283, 284 f.; J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 192. BGH, FamRZ 1994, 434; BGH, RIW 1991, 514. BGHZ 118, 151, 163 = RIW 1992, 761 = NJW 1992, 2026; BGH, RIW 1995, 156/57. E. Schilken, FS Schumann, S. 373, 380; R. Geimer, IZPR, Rz. 2586; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 50. 41 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 122 Rz. 17.
667
11.34
§ 11 Rz. 11.34 | Die Behandlung ausländischen Rechts
mefall bezieht sich die Sachkunde auf das in Frage kommende ausländische Recht. Damit übernimmt er aber keine richterliche Aufgabe, er vermittelt dem Gericht nur die Kenntnis des ausländischen Rechts. Das Gericht ist nicht an das Gutachten des Sachverständigen gebunden. Es kann und muss weitere Ermittlungen anstellen, wenn es von dem schriftlichen Gutachten nicht überzeugt ist.
11.35 Entscheidet sich das Gericht für die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, so wählt es insoweit bewusst den Weg des strengen Beweises, so wie er in den §§ 402 ff. ZPO vorgesehen ist; und nicht den Weg des Freibeweises. Eine solche Beweisaufnahme muss allerdings erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn das ausländische Recht anhand anderer Erkenntnisquellen, insb. verfügbarer Literatur, hinreichend sicher ermittelt werden kann oder sich aus dieser Literatur ergibt, dass genauere Ermittlungen praktisch ausscheiden.42 11.36 Hat das Gericht ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt, muss es auf Antrag einer oder beider Parteien den Sachverständigen gem. §§ 402, 411 III, 397 ZPO zu einer mündlichen Verhandlung laden, damit er sein Gutachten erläutert und die Parteien und ihre Vertreter Fragen an ihn stellen können. Dies hat der BGH ausdrücklich bekräftigt.43 Dabei hat er nachgeprüft, ob die Ermittlung des ausländischen Rechts verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen war. Das hat er im gegebenen Fall verneint, weil der Sachverständige nicht zu seinem Gutachten gehört worden war. Die entscheidende Begründung liegt in folgenden Sätzen: Hält das Gericht eine Beweisaufnahme für erforderlich, so hat es die Regeln über den Sachverständigenbeweis voll einzuhalten; insoweit besteht kein Ermessensspielraum.44 11.37 Die Kritik daran45 vermag nicht zu überzeugen. Vor allem ist nicht einzusehen, dass durch die Anhörung des Sachverständigen zu seinem Gutachten ein weiteres Stück gerichtlicher Kompetenz auf den Sachverständigen verlagert werde. Erfahrungsgemäß werden durch die Anhörung der Sachverständigen häufig Unklarheiten und Missverständnisse, die immer wieder in Gutachten auftreten, behoben. Durch die Beantwortung von Fragen wird der Sachverständige jedoch nicht zum Richter. Dabei soll durchaus nicht verkannt werden, dass jeder Sachverständigenbeweis problematisch ist. Fehlt dem Richter die Sachkunde, so ist er in gewissem Sinne von jedem Sachverständigen abhängig. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um einen medizinischen, technischen Sachverständigen oder einen solchen über ausländisches Recht handelt. Das Entscheidende ist und bleibt die Tatsache, dass der Richter durch das Sachverständigengutachten und die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung überzeugt werden muss. 11.38 In der Praxis verlangt die Partei, der ein Sachverständigengutachten ungünstig ist, vielfach die Anhörung des Sachverständigen vor Gericht (§ 411 III ZPO). Dadurch 42 Vgl. OLG Hamm, FamRZ 2019, 809. 43 BGH, NJW 1994, 2959 = RIW 1994, 878; NJW 1975, 2142. 44 Ebenso J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 189 ff.; auch G. Luther, FS Bosch, S. 568; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 29; Musielak/Voit/Huber, § 293 ZPO Rz. 6. 45 Von W. Geisler, ZZP 91 (1978), 176, 193; E. Schilken, FS Schumann, S. 373, 384 ff.; H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 9.14.
668
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.41 § 11
wird keine unnötige Zeit verschwendet, denn das Gericht muss nach Eingang des Gutachtens ohnehin einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen. Es kann im Wege der Vorbereitung rechtzeitig bei den Parteien anfragen, ob sie Fragen an den Sachverständigen richten wollen. Ist das der Fall, kann der Sachverständige rechtzeitig zum Termin geladen werden. Damit sich der Sachverständige auf die Anhörung sinnvoll vorbereiten kann, erscheint es zweckmäßig, dass das Gericht den Parteien aufgibt, die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen schriftlich bei Gericht einzureichen. Bei wissenschaftlichen Gutachten werden die Parteien sich oft Parteisachverständiger bedienen, um die entsprechenden Fragen zu formulieren. Danach genügt es meistens, dass der Sachverständige beauftragt wird, sein Gutachten zu diesen schriftlichen Fragen zu ergänzen. Eine persönliche Anhörung des Sachverständigen erübrigt sich dann in den meisten Fällen. In der Praxis ist eine Mehrbelastung der wissenschaftlichen Institute, die über ausländisches Recht Auskunft geben können, kaum zu erwarten. Hat ein Gericht bereits ein gerichtliches Sachverständigengutachten zum ausländischen Recht in Auftrag gegeben, ist die Einholung eines Privatgutachtens zunächst nicht erforderlich; die dabei anfallenden Kosten gehören daher nicht zu notwendigen Kosten nach § 91 ZPO.46
11.39
6. Die Ermittlung ausländischen Rechts im Versäumnisverfahren Schwierigkeiten hinsichtlich der Frage nach der Ermittlung ausländischen Rechts sind dann entstanden, wenn der Kläger seine Klage auf ausländisches Recht stützt und den Inhalt dieses Rechts von sich aus darstellt, der Beklagte zur Klage überhaupt keine Stellung nimmt und in
11.40
der mündlichen Verhandlung nicht erscheint. Das Gericht darf in diesem Fall nicht einfach von den Behauptungen des Klägers zum ausländischen Recht ausgehen.47 Die Fiktion des Zugestehens ist gem. § 331 I ZPO ausdrücklich nur auf das tatsächliche Vorbringen des Klägers beschränkt. Ausländisches Recht ist aber keine Tatsache (s. Rz. 11.23 ff.). Auf Antrag des Klägers kann also selbst bei Säumnis des Beklagten kein Versäumnisurteil ergehen, wenn das Gericht nicht von der Richtigkeit des ausländischen Rechts, so wie der Kläger es vorgetragen hat, überzeugt ist.48 Das Gericht muss demnach entweder das in Frage kommende ausländische Recht selbst kennen, oder es muss sich zur Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung hinreichende Kenntnisse durch eigenes Studium verschaffen. Der Ruf nach spezialisierten Gerichten, deren Mitglieder auch über Kenntnisse mehrerer Sprachen verfügen sollten, wird also immer stärker.49 Weiß der Kläger, dass sein Gegner zur mündlichen Verhandlung voraussichtlich nicht erscheinen wird, so könnte er auch 46 OLG Koblenz, RIW 1996, 432. 47 So aber OLG München, NJW 1976, 489 (krit. K. Küppers). 48 Linke/Hau, IZVR, Rz. 9.9; R. Geimer, IZPR, Rz. 2592; J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 186; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 55; Musielak/Voit/Huber, § 293 ZPO Rz. 11. 49 Vgl. G. Luther, FS Bosch, S. 569.
669
11.41
§ 11 Rz. 11.41 | Die Behandlung ausländischen Rechts
durch ein von sich aus beschafftes Gutachten, das er der Klageschrift sogleich beifügt, dem Gericht hinreichenden Beweis liefern, so dass ein Versäumnisurteil ergehen könnte. Insoweit liegt eine Parallele zu dem Fall vor, dass der Kläger eine Gerichtsstandsvereinbarung beweisen muss, was er durch Urkundenbeweis schon mit Einreichung der Klage tun könnte. 7. Ausländisches Recht und einstweiliger Rechtsschutz
11.42 In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist ausländisches Recht wie andere Voraussetzungen des Arrest- oder Verfügungsanspruchs nach §§ 920 II, 936 ZPO nur glaubhaft zu machen.50 Gleichwohl bleibt das Ermittlungsproblem grds. bestehen. Das OLG Frankfurt51 hat entschieden, dass sich im einstweiligen Verfügungsverfahren die Pflicht des Richters bezüglich der Ermittlung fremden Rechts auf die Verwendung der präsenten Erkenntnisquellen beschränke. Der Partei obliege es in einem solchen Fall, eine für sie günstige Anwendung fremden Rechts zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft zu machen. § 293 ZPO sei im summarischen Verfahren nicht uneingeschränkt anzuwenden. Das Gericht sei auf die Prüfung der präsenten Beweismittel beschränkt; die Mitwirkungspflicht der Parteien gewinne insoweit eine verstärkte Bedeutung.52 11.43 Die Schwierigkeiten können auch nicht dadurch behoben werden, dass das Gericht in solchen Fällen nur nach einer mündlichen Verhandlung entscheidet.53 Ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung verfehlen oft ihre Wirkung, wenn sie nicht sofort, sondern erst aufgrund einer mündlichen Verhandlung erlassen werden. Das OLG hat zu Recht hervorgehoben, dass den Antragsteller im summarischen Verfahren eine verstärkte Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Ermittlung des in Frage kommenden ausländischen Rechts trifft. Solange keine spezialisierten Gerichte für die Entscheidung auslandsbezogener Fälle zur Verfügung stehen, kann dem OLG Frankfurt kaum ein Vorwurf daraus gemacht werden, dass es eine Erklärung in französischer Sprache abgelehnt hat. 11.44 Andere wollen eine Art summarische Schlüssigkeitsprüfung durchführen und soweit wie möglich die wahre materielle Rechtslage offen lassen.54 Diese Lösung ist allerdings nur bei verwandten Rechtsordnungen möglich, nicht aber wenn die in Betracht kommenden Rechtsordnungen wesentliche Divergenzen aufweisen. 11.45 In Eilfällen soll daher nach verbreiteter Auffassung deutsches Recht als lex fori angewendet werden. Richtiger erscheint auch hier, an der grundsätzlichen Anwendung ausländischen Rechts festzuhalten, die Anforderungen an die Ermittlungspflicht in Relation zur Eilbedürftigkeit der Entscheidung zu vermindern und eine Entschei50 51 52 53 54
670
OLG Hamburg, IPRax 1990, 400, 401. OLG Frankfurt, NJW 1969, 991. Vgl. P. Mankowski/R. Kerfack, IPRax 1990, 372, 374 ff.; R. Hübner, S. 365 ff. So D. Franz, NJW 1969, 1539. D. Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, 1971, S. 83 ff., 164 ff.; wohl auch Staudinger/Sturm, (2003), Einl. zum IPR, Rz. 190, 195 (Erlass ohne materiell-rechtliche Grundlage).
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.49 § 11
dung nach einem Ersatzrecht leichter zuzulassen.55 Freilich ist auf die lex fori zurückzugreifen, wenn das maßgebliche Recht innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden kann.56 Kann der Antragsteller seinen Anspruch nach dem maßgebenden Recht zudem nicht glaubhaft machen, so ist der Antrag im Zweifel zurückzuweisen und nicht ersatzweise nach deutschem Recht als Ersatzrecht zu entscheiden57 (s. Rz. 17.39 ff.). 8. Nichtfeststellbarkeit ausländischen Rechts Schrifttum: A. K. Arnold, Lex fori als verstecke Anknüpfung, 2009, S. 119 ff.
Die Frage, ob ausländisches Recht, welches im gegebenen Fall nach dem IPR anzuwenden wäre, nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann, muss der Richter gem. § 139 ZPO mit den Parteien erörtern.
11.46
Die Parteien können dann, wenn sie über den Anspruch verfügen können, vor dem Gericht eine Vereinbarung treffen, wonach deutsches Recht auf den Fall angewendet werden soll. Die Rechtswahl bleibt ihnen also auch noch während des Prozesses (s. Rz. 11.27 ff.). Davon wird in der Praxis nicht selten Gebrauch gemacht. Bei der Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl geht die Praxis gelegentlich wohl zu weit.58
11.47
Kann der Inhalt des ausländischen Rechts nicht hinreichend ermittelt werden, einigen sich die Beteiligten aber auch nicht auf die Anwendung deutschen Rechts, darf keine Beweislastentscheidung ergehen. Welches Recht als Ersatzrecht anzuwenden ist, wird international nicht einheitlich entschieden.
11.48
Soweit Rechtsordnungen ausländisches Recht im Grundsatz als Tatsache behandeln, ist die Anwendung der lex fori konsequent. Teilweise wird sie auf die (eher irreale) Vermutung gestützt, im Zweifel entspreche das ausländische Recht dem inländischen. Das österr. Recht (§ 4 II IPRG 1978) und das schweiz. Recht (Art. 16 [2] IPRG) sehen die Anwendung der lex fori vor; die Anwendung des nächstverwandten Rechts hat der Schweizer Gesetzgeber abgelehnt. Dies soll aber nur für „Dokumentationslücken“ gelten. Echte“ Lücken des anwendbaren Rechts sollen dagegen ggf. in Anwendung eines „Mutter- oder Schwesterrechts“ geschlossen werden können.59
11.49
55 v. Hein in MünchKomm/BGB, Einl IPR Rz. 301; W. Lindacher, FS Schumann, S. 283, 289 ff.; R. Hübner, S. 362 ff.; ähnlich für Österreich: OGH, IPRax 2020, 50 (dazu B. Lurger, S. 67). 56 J. Kropholler, IPR, § 31 III 3 (S. 219 f.); Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 56 (wenn dies in Abwägung der Parteiinteressen gerechtfertigt ist); N. Dethloff, RabelsZ 62 (1998), 286, 295 ff. 57 J. Kropholler, IPR, § 31 III 3c (S. 220). 58 Krit. T. Straub, IPRax 1994, 432, 433. 59 Keller/Girsberger in Zürcher Kommentar zum IPRG, 3. Aufl. 2018, Art. 16 Rz. 73 f.; BSK IPRG/Mäckler-Erne/Wolf-Mettier, 2. Aufl. 2007, Art. 16 Rz. 17.
671
§ 11 Rz. 11.50 | Die Behandlung ausländischen Rechts
11.50 Das deutsche Recht geht flexibler vor: Als Ersatzrecht ist primär ein Recht anzuwenden, das dem mutmaßlichen Inhalt des ausländischen Rechts nahekommt, etwa die Mutterrechtsordnung innerhalb desselben Rechtskreises.60 11.51 Manche wollen auch auf internationales Einheitsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze als Ersatzrecht abstellen.61 Einheitsrecht besteht aber vielfach nicht oder ist von dem betreffenden Staat nicht übernommen worden. Die allgemeine Geltung konkreter Rechtsgrundsätze lässt sich meist kaum nachweisen (zur lex mercatoria s Rz. 18.123 ff., 18.210). Andere wollen kollisionsrechtliche Hilfsanknüpfungen (soweit es solche gibt) nutzen.62 Aber die Gründe, hilfsweise an eine andere Rechtsordnung anzuknüpfen, decken sich nicht mit den Interessen bei der Nichtermittelbarkeit des Inhalts des anwendbaren Rechts. 11.52 Deutsches Recht als lex fori ist jedenfalls erst hilfsweise anzuwenden, wenn eine solche Annäherung in sinnvoller Weise nicht möglich ist.63 9. Die Revisibilität ausländischen Rechts
11.53 Schrifttum: M. Aden, Revisibilität des kollisionsrechtlich berufenen Rechts, RIW 2009, 475; M. Aden/F. Aden, Revisibilität von Entscheidungen aufgrund rechtsvergleichender Normenauslegung, RIW 2014, 736; F. Eichel, Die Revisibilität ausländischen Rechts nach der Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO, IPRax 2009, 389; M. Jacobs/T. Frieling, Revisibilität ausländischen Rechts in den deutschen Verfahrensgesetzen, ZZP 127 (2014), 137; H. Prütting, Die Überprüfung des ausländischen Rechts in der Revisionsinstanz, FS Schütze, 2015, S. 449; Th. Riehm, Vom Gesetz, das klüger ist als seine Verfasser – Zur Revisibilität ausländischen Rechts, JZ 2014, 73; J. Stamm, Zur fehlenden Revisibilität ausländischen Rechts, FS Klamaris, 2016, S. 769; F. Sturm, Wegen Verletzung fremden Rechts sind weder Revision noch Rechtsbeschwerde zulässig, JZ 2011, 74.
11.54 Wird ausländisches Recht in der ersten Instanz nicht oder völlig unzureichend ermittelt, so liegt darin ein Verfahrensfehler, der das Berufungsgericht auf Antrag einer Partei nach § 538 II Nr. 1 ZPO berechtigt, das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit in die erste Instanz zurückzuverweisen.64 11.55 In der Revisionsinstanz gilt § 545 I ZPO (i.d.F. des FGG-RG v. 17.12.2008). Danach kann die Revision darauf gestützt werden, „dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht“.
60 BGH, NJW 1982, 1215; R. Geimer, IZPR, Rz. 2600 f.; Linke/Hau, IZVR, Rz. 9.19; H. Schack, IZVR, Rz. 719; R. Schütze, IZPR, Rz. 266. 61 K. Kreuzer NJW 1983, 1943; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 62; vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 720. 62 J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 200. 63 BGHZ 69, 387, 394 = NJW 1978, 496, 498; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 112 Rz. 17; W. Lindacher, FS Schumann, S. 283, 284; A. K. Arnold, S. 119 ff., 134; vgl. R. Hübner, S. 352 ff. 64 Vgl. BGH, NJW 1992, 3106; OLG München, RIW 1996, 329; vgl. J. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 192 ff.
672
II. Autonomes deutsches Recht | Rz. 11.59 § 11
Ausländisches Recht ist trotz dieses Wortlauts nach h.M. nicht revisibel; wie bisher wird nur die Anwendung des deutschen IPR einschließlich der Staatsverträge überprüft.65 Entsprechend können auch ausländische AGB nicht überprüft werden.66
11.56
Diese Konsequenz zieht § 560 ZPO: „Die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.“ Hiergegen hat sich seit langem die Kritik gewendet.67 Auch vor dem BAG ist ausländisches Recht revisibel, da die Revision nach § 73 I ArbGG schon immer auf die Verletzung jeder Rechtsnorm gestützt werden kann.68
11.57
Da es sich bei dem deutschen IPR um Recht i.S.d. § 545 I ZPO handelt, hat der BGH von Amts wegen zu überprüfen, ob der Vorderrichter das anzuwendende materielle Recht richtig bestimmt hat.69 Dieser darf vor allem die Frage nicht offen lassen, welche Rechtsordnung der Entscheidung zugrunde gelegt wurde; andernfalls ist das Urteil nicht mit Gründen versehen (§ 547 Nr. 6 ZPO).70 Die Rechtsprechung ist sogar so weit gegangen, ausländische Kollisionsnormen nachzuprüfen, wenn von ihnen die Frage abhängt, ob auf deutsches Recht zurückverwiesen wird.71 Andererseits ist ausländisches Kollisionsrecht nicht revisibel, wenn es auf ein anderes Recht weiterverweist.72
11.58
Allgemeines Völkerrecht ist revisibel, da es gem. Art. 25 GG Teil des Bundesrechts ist. Das Recht der Europäischen Union steht dem inländischen Recht gleich und ist deshalb ebenfalls revisibel.73
11.59
Der BGH kann weiterhin nachprüfen, ob das festgestellte ausländische Recht gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstößt, denn bei Art. 6 EGBGB handelt es sich um deutsches Recht i.S.d. § 545 I ZPO.74 65 BGHZ 198, 14 = NJW 2013, 3656 (zust. H. Roth, NJW 2014, 1224); BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916 (Rz. 8 f.); F. Sturm, JZ 2011, 74; J. Stamm, FS Klamaris, 2016, 769, 785; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1695; H. Schack, IZVR Rz. 724 ff.; a.A. Th. Riehm, JZ 2014, 73; M. Aden, RIW 2009, 475; F. Eichel, IPRax 2009, 389; R. Geimer, IZPR, Rz. 2601; H. Prütting, FS Schütze, 2015, S. 449; für Reform auch M. Jacobs/T. Frieling ZZP 127 (2014), 137. 66 Vgl. J. Maidl, Ausländische AGB im deutschen Recht, 2000. 67 Bereits Soergel/Kegel, Vor Art. 3 EGBGB Rz. 221; A. Flessner, ZEuP 2006, 737, 738 (Verstoß gegen Diskriminierungsverbot in EU); jetzt R. Hübner, S. 374 ff. 68 BAGE 27, 99; GWBG/Benecke, ArbGG, 8. Aufl. 2014, § 73 Rz. 12; GMP/Müller-Glöge, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 73 Rz. 6; Schwab/Weth/Ulrich, ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 73 Rz. 10. 69 BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916 (Rz. 8). 70 BGH, RIW 1988, 736. 71 Statt vieler: BGH, NJW 1958, 750; Krüger in MünchKomm/ZPO, § 560 ZPO Rz. 4; Heßler in Zöller, § 545 ZPO Rz. 9. 72 BGHZ 45, 351 = NJW 1966, 2270; R. Geimer, IZPR, Rz. 2612; R. Schütze, IZPR, Rz. 280. 73 Stein/Jonas/Thole, § 293 ZPO Rz. 8 f, 10 f. 74 So auch Seiler in Thomas/Putzo, § 293 ZPO Rz. 10; R. Schütze, IZPR, Rz. 283.
673
§ 11 Rz. 11.60 | Die Behandlung ausländischen Rechts
11.60 Wie sich der Tatrichter das notwendige Wissen zum ausländischen Recht verschafft, unterliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen. Das Revisionsgericht überprüft aber, ob das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde, insb. ob der Vorderrichter alle sich anbietenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat, um den Inhalt des ausländischen Rechts richtig zu ermitteln. Ist dies nicht der Fall, so ist deutsches Verfahrensrecht verletzt,75 es handelt sich um einen „error in procedendo“, wenn z.B. die Vorschriften des Beweisrechts nicht befolgt worden sind.76 Es ist eine Ermessensfrage, ob sich die Tatsacheninstanz zur Ermittlung des ausländischen Rechts des strengen Beweises oder des Freibeweises bedient. Eine solche Ermessensentscheidung kann das Revisionsgericht nicht nachprüfen.77 Stellt sich jedoch heraus, dass der Freibeweis nicht ausreicht, um das ausländische Recht zu beweisen, hat die Tatsacheninstanz formelle Beweismöglichkeiten auszuschöpfen. In diesem Fall kann das Revisionsgericht wiederum nachprüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt und der Tatsacheninstanz deswegen das ausländische Recht unbekannt geblieben ist.78 Ähnlich sieht in der Schweiz Art. 43a (1) (b) OG vor, dass mit Berufung an das Bundesgericht gerügt werden kann, „der angefochtene Entscheid habe zu Unrecht festgestellt, die Ermittlung des ausländischen Rechts sei nicht möglich.“ 11.61 Der BGH kann auch nachprüfen, ob eine Norm des ausländischen Rechts erst nach der Verkündung des Urteils des OLG erlassen worden ist.79 Hat sich das Tatsachengericht bemüht, das ausländische Recht (nach Rechtsprechung und Lehre) zu ermitteln, so kann das Revisionsgericht das Ergebnis nicht allein deshalb beanstanden, weil es nicht erschöpfend ist.80 11.62 Im Übrigen ist das Revisionsgericht an die Feststellung und Auslegung des ausländischen Rechts durch die Tatsacheninstanz gebunden. Das Revisionsgericht kann insb. nicht nachprüfen, ob das ausländische Recht auf den zu entscheidenden Sachverhalt richtig angewendet worden ist. Der deutsche Richter stellt zwar nur eine Prognose hinsichtlich des in Frage kommenden ausländischen Verfahrensrechts. Dabei wendet er aber auch ausländisches Recht i.S.v. § 545 I ZPO an. Selbst dann, wenn das ausländische Recht sich mit dem betreffenden deutschen Recht inhaltlich deckt, ist es der Revision entzogen.81 Ausländisches Recht ist auch dann nicht revisibel, wenn die Parteien die Anwendung dieses Rechts vereinbart haben,82 weil dies im Widerspruch zu der Regelung des § 545 I 1 ZPO steht. Ausländisches Recht wird durch Vereinbarung der Parteien nicht zum deutschen Recht.
75 BGH, ZIP 2001, 675, 676; BGHZ 118, 151 = RIW 1992, 761; OLG Saarbrücken, NJW 2002, 1209; R. Schütze, IZPR, Rz. 284; Th. Rauscher, IPR, Rz. 1696. 76 BGH, NJW 1975, 2142. 77 BGH, NJW 1961, 410. 78 BGHZ 40, 197, 200 = NJW 1964, 203 f. 79 BGHZ 36, 348 = NJW 1962, 961 ff. 80 BGH, RIW 1990, 581. 81 R. Geimer, IZPR, Rz. 2601. 82 Hierfür R. Schütze, NJW 1970, 1584.
674
III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten | Rz. 11.67 § 11
Ist eine Revision auf die Verletzung ausländischen Rechts gestützt, muss sie als unbegründet zurückgewiesen werden.83 Soweit nach den obigen Ausführungen dem Revisionsgericht ein Nachprüfungsrecht eingeräumt worden ist, kann es gem. § 563 III ZPO selbst entscheiden. Diese Möglichkeit ist denkbar, wenn nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht neues ausländisches Recht erlassen wird, welches das Revisionsgericht kennt. In den meisten Fällen wird aber das Revisionsgericht die Sache gem. § 563 IV ZPO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
11.63
Das Prinzip der Nichtrevisibilität ist heute freilich vielfach durchlöchert.84 Verfahrensrügen, ob ausländisches Recht hinreichend und sorgfältig von Amts wegen ermittelt sei, führen zu einem Verstoß gegen § 293 ZPO. Die Verletzung der prozessualen Ermittlungspflicht des Tatrichters kann gem. § 551 III Nr. 2b ZPO mittels Verfahrensrüge beanstandet werden. Jedoch kann nur überprüft werden, ob der Tatrichter das ausländische Recht pflichtgemäß ermittelt hat, nicht aber indirekt das ausländische Recht voll nachgeprüft werden.85
11.64
Trotz aller Auflockerungen der Nichtrevisibilität bleibt doch der Grundsatz des Gesetzes bestehen, dass ausländisches Recht in der Revisionsinstanz nicht nachgeprüft werden kann. In dieser Beziehung erscheint das brasilianische Recht als moderner und zweckmäßiger. Dort ist ausländisches Recht revisibel.86
11.65
Vor dem Schweizer Bundesgericht kann mit der Beschwerde generell gerügt werden, dass nach ausländisches Recht falsch oder nicht angewendet wurde (Art. 320 lit. a Schweiz. ZPO).87
11.66
III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten 1. Schrifttum N. Andrews, English Civil Proceedings: Proof of Foreign law, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 243; J. C. Barbosa Moreira, Le juge brésilien, FS Nagel, 1987, S. 14; M. Bogdan, Private international law as component of the law of the forum (Chap. 3 and 7), RdC 348 (2011), 9; J. Caduff, Die Feststellung des anwendbaren Rechts im Prozess (Art. 16 IPRG), Diss. St. Gallen, 2000; A.-L. Calvo Caravaca/J. Carrascosa Goncález, The proof of foreign law in the new Spanish Civil Procedure Code 1/2000, IPRax 2005, 170; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law (Ch. 7 The Proof of Foreign 83 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 146 Rz. 3; Krüger in MünchKomm/ZPO, § 545 ZPO Rz. 13; Heßler in Zöller, § 545 ZPO Rz. 8, 14. 84 Vgl. P. Gottwald, IPRax 1988, 210. 85 BGHZ 118, 151, 162 ff. = NJW 1992, 2026, 2029; BGH, NJW 1995, 2097. 86 H. Theodoro Jr., Curso de Direito Processual Civil, Vol. III, 2019, S. 875 ff.; J. C. Barbosa Moreira, FS Nagel, 1987, S. 14, 24. 87 D. Freiburghaus/S. Afheldt in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizer. ZPO, 3. Aufl. 2016, Art. 320 Rz. 3 f.
675
11.67
§ 11 Rz. 11.67 | Die Behandlung ausländischen Rechts Law), 15th ed. 2017, p. 105; C. Esplugues/J. G. Iglesias/L. Palao, Application of foreign law, 2011; T. Ereciński, Prawo obce w sadowym poste-powanuin cywilnym (Ausländisches Recht im zivilgerichtlichen Verfahren), Warschau 1981; R. Fentiman, Foreign law in English Courts, LQR 108 (1992), 142; F. Ferrand, Die Behandlung ausländischen Rechts durch die französische Cour de Cassation, ZEuP 1994, 126; F. Ferrand, Court’s responsibilities for determining foreign law: The French perspective, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 231; T. Fine, American Courts and Foreign Law: The New Debate, DAJV-Newsletter 2006, 107; A. Flessner, Das ausländische Recht im Zivilprozess – die europäischen Anforderungen, in Reichelt, 30 Jahre österreichisches IPR-Gesetz, 2009, S. 35; F. Garau Sobrino, Der Beweis des ausländischen Rechts in der neuen spanischen Zivilprozessordnung vom 7.1.2000, in Aufbruch nach Europa, 75 Jahre MPI für Privatrecht, 2001, S. 685; R. Hausmann, Pleading and proof of foreign law – a comparative analysis, EuLF 2008, I-1; A. Kadletz, Fremdes Recht im kanadischen Zivilprozess, IPRax 1999, 183; W. Kralik, Das fremde Recht vor dem Obersten Gerichtshof, FS Fasching, 1988, S. 297; S. Mégnin, Zu einer systematischeren Anwendung fremden Rechts durch den französischen Richter, IPRax 2005, 459; Y. Nishitani, Treatment of foreign law – Dynamics towards convergence?, 2017; P. Picone, La prova del dirito straniero nella legge italiana di riforma del diritto internazionale privato, FS Jayme, 2004, S. 691; O. Remien, Über die Anwendung fremden mitgliedstaatlichen Zivilrechts in anderen Mitgliedstaaten des Europäischen Rechtsraums, FS W.-H. Roth, 2015, S. 431; Th. Rogoz, Ausländisches Recht im deutschen und englischen Zivilprozess, 2008; V. Sangiovanni, Die neue italienische Rechtsprechung zur Ermittlung des ausländischen Rechts, IPRax 2006, 513; St. Sass, Foreign Law in Federal Courts, AmJCompL 29 (1981), 97; R. Schlesinger, Die Behandlung des Fremdrechts im amerikanischen Zivilprozess, RabelsZ 1963, 54; J. Timochov, Die Pflicht zur Ermittlung des Inhalts ausländischen Rechts im Prozess, FS Boguslavskij, 2004, S. 259; T. Yeo, Common law innovations in proving foreign law, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 493. Zur Reform: C. Esplugues Mota, Harmonisation of Private International Law in Europe and Application of Foreign Law: The „Madrid Principles“ of 2010, Yearbook PIL 13 (2011), 273; S. Lalani, A proposed model to facilitate access to foreign law, Yearbook PIL 13 (2011), 299.
11.68 Wie ausländische Gerichte ausländisches Recht ermitteln, kann hier nur angedeutet werden. Schon anhand einiger Beispiele kann festgestellt werden, dass viele Staaten dazu neigen, ausländisches Recht wie eine Tatsache zu behandeln, andere kehren den Rechtscharakter des ausländischen Rechts so weit heraus, dass sie es (anders als in Deutschland) auf seine richtige Anwendung auch durch ihre höchsten Gerichte nachprüfen lassen. In der EU gibt es noch kein einheitliches Instrumentarium zur Ermittlung ausländischen Rechts. Immerhin hilft das Europäische Netz bei der Ermittlung.88 2. England
11.69 In England wird ausländisches Recht von den Gerichten wie eine Tatsache behandelt. Dies bedeutet, dass das ausländische Recht wie eine Tatsache ausdrücklich behauptet und bewiesen werden muss. Kann das ausländische Recht nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden, wendet es englisches Recht an.89 Recht 88 Vgl. H. D. Tebbens, New impulses for the ascertainment of foreign law in civil proceedings: a question of (inter)networking?, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 635. 89 Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, Vol. 1, 15th ed. 2012, Rule 25 (1), No. 9-025 (p. 332 et seq.); Hartley ICLQ 45 (1996), 271, 282 ff.; R. Fentiman, Foreign Law in English Courts, 1998; A. Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 276 ff.
676
III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten | Rz. 11.74 § 11
eines Commonwealth-Staats kann aber nach dem British Law Ascertainment Act 1859 ermittelt werden. England ist auch Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens betreffend Auskünfte über ausländisches Recht von 1968 (s. Rz. 11.2 ff.). Der Inhalt ausländischen Rechts kann wie jede Tatsache zugestanden werden. Das Gericht darf aber auch ohne Beweis über eine Frage ausländischen Rechts entscheiden. Mangels ausreichenden Beweises des ausländischen Rechts wendet das Gericht auf den Fall englisches Recht an. Auch eine Abweisung wegen „forum non conveniens“ kann erfolgen.90 Dieses System beruht auf zwei Annahmen: (1) die Rechtsordnungen sind nicht gleichberechtigt, sondern englisches Recht ist anderen Rechten überlegen; (2) IPR ist kein zwingendes, sondern fakultatives, der Parteidisposition (nach Nutzen und Kosten) unterliegendes Recht.91 Insgesamt will der pleading approach die Anwendung ausländischen Rechts aber nicht fördern, sondern nach Möglichkeit vermeiden.92
11.70
Bewiesen wird das ausländische Recht durch Sachverständigenbeweis gem. sec. 4 Civil Evidence Act 1972. Die Vorlage ausländischer Gesetzestexte oder Entscheidungen genügt nicht. Als Sachverständiger kommt ein Richter oder Anwalt (legal practitioner) des betreffenden Landes in Betracht, aber auch eine sonstige „erfahrene“ Person, z.B. ein Universitätsprofessor.
11.71
Sofern die Parteien zustimmen, begnügt man sich mit „Affidavits“ von sachverständigen Personen über das ausländische Recht. Wird die Ansicht des Sachverständigen nicht bestritten, ist das Gericht daran i.d.R. wie an unstreitigen Tatsachenvortrag gebunden. Nach sec. 4 (2), (4), (5) Civil Evidence Act 1972 kann man zum Beweis ausländischen Rechts auch eine einschlägige Entscheidung des High Court oder des Court of Appeal vorlegen. Sind ausländische Regeln nachgewiesen, kann sie das Gericht selbst auslegen und unklare Fragen selbst entscheiden.93
11.72
Anders als sonst bei Tatsachen kann der Court of Appeal kontrollieren, ob das ausländische Recht ausreichend bewiesen ist und darüber neu entscheiden.94 Das englische System des Beweises ausländischen Rechts als Tatsache gilt auch in Irland.95
11.73
3. USA In den USA hat die Partei, die eine Frage des ausländischen Rechts vorbringen will, dies vor den Bundesgerichten in ihren pleadings oder auch später in einem sonstigen Schriftsatz zu tun (FRCP Rule 44.1 Satz 1). Präklusionsfristen für die notice der 90 R. Fentiman, Forum law and the forum conveniens, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, 275. 91 R. Fentiman, LQR 108 (1992), 142, 143. 92 R. Fentiman, LQR 108 (1992), 142, 156. 93 R. Fentiman, LQR 108 (1992), 142, 149. 94 R. Fentiman, LQR 108 (1992), 142, 145. 95 W. Binchy, Irish Conflict of Law, 2nd ed. 2008, S. 104 ff.
677
11.74
§ 11 Rz. 11.74 | Die Behandlung ausländischen Rechts
Partei bestehen nicht. Nach FRCP Rule 44.1 Satz 2 kann das Gericht zum Beweis des ausländischen Rechts jedes relevante Material und jedes Beweismittel, einschließlich Zeugenbeweis beachten, und zwar auf Vorlage durch eine Partei und unabhängig davon, ob das Material sonst als Beweismittel zulässig wäre.96 Beruft sich jedoch keine Partei auf ausländisches Recht, wird angenommen, dass die Parteien seine Anwendung ausschließen wollen. Grundsätzlich wendet das Gericht dann die lex fori an.97 Beruft sich eine Partei auf ausländisches Recht, kann es dann aber nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, so werden verschiedene Vermutungen angewendet. Es wird angenommen, (1) dass das ausländische Recht wie das Forumrecht auf „common law“ beruht, (2) dass es mit dem Recht des forum identisch ist, (3) auf allgemein anerkannten Prinzipien des common law zivilisierter Staaten beruht oder (4) sich die Parteien auf die Anwendung des Forumrechts geeinigt haben.98 Von der nach Rule 44.1 FRCP möglichen Beweiserhebung von Amts wegen wird nur ergänzend, durch Fragen an den expert witness oder durch eigene Lektüre, Gebrauch gemacht.99 Stellungnahmen ausländischer Regierungen zu ihrem eigenen Recht sind nicht bindend, sondern frei zu würdigen.100 Bereitet die Ermittlung des anwendbaren Rechts Schwierigkeiten, kommt auch eine Abweisung der Klage wegen „forum non conveniens“ in Betracht.101 Anders als in England ist die Anwendung des ausländischen Rechts nach FRCP Rule 44.1 Satz 3 nicht als Tatsachenfeststellung, sondern nur als Rechtsanwendung anzusehen, so dass sie vom Rechtsmittelgericht voll und nicht nur auf „offene Irrtümer“ überprüft werden kann.102
11.75 Vor den State Courts ist die Rechtslage unterschiedlich. In Kalifornien (Cal.Evid. Code §§ 310–311, 452–455) und New York (N.Y. CPLR 3016, 4511) wird ausländisches Recht als Recht behandelt; das Gericht soll ausländisches Recht beachten („shall take judicial notice“), wenn dies eine Partei der Gegenseite mitteilt und dem Gericht ihr Begehren ausreichend anzeigt. Andere Staaten lassen Fragen des ausländischen Rechts zwar durch den Richter und nicht die jury entscheiden; das ausländische Recht ist aber grds. wie eine Tatsache zu beweisen (so etwa in Illinois oder Iowa).103 11.76 Die Rechtslage in Kanada ähnelt der in den USA.104
96 Vgl. Raising and determining issue of foreign law under rule 44.1 FRCP, 62 ALR Fed. 521 [1983]. 97 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 12.18 (S. 554 ff.). 98 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, 6th ed., § 12.19 (S. 558 ff.). 99 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, 6th ed., § 12.18 (S. 557). 100 P. Hay, Berücksichtigung von Aussagen ausländischer Regierungen zum eigenen Recht im US-amerikanischen Zivilprozess, IPRax 2019, 169. 101 P. Hay/G. Hampe, RIW 1998, 760, 764. 102 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, 6th ed., § 12.18 (S. 557). 103 Clark, AmJCompL 42 (Suppl.) (1994), 23, 34. 104 Vgl. A. Kadletz, IPRax 1999, 183.
678
III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten | Rz. 11.79 § 11
4. Spanien Nach Art. 281.2 LEC 2000 ist ausländisches Recht wie eine Tatsache zu beweisen. Die Norm lautet:
11.77
„Beweisgegenstand ist ebenfalls ... das ausländische Recht ... Das ausländische Recht muss in Bezug auf seinen Inhalt und seine Gültigkeit nachgewiesen werden. Das Gericht kann sich hierbei aller Quellen zur Erkenntnisermittlung bedienen, die es für dessen Anwendung für erforderlich hält.“105 Die Regel entspricht dem aufgehobenen Art. 12.6.2 span. Código Civil. Sie ist aber ungenau, denn ausländisches Recht ist keine Tatsache. Seine Ermittlung entspricht nicht einer gewöhnlichen Beweisaufnahme. Zwar ist es häufig erforderlich, dass ein ausländischer Jurist ein Gutachten über das ausländische Recht erstattet, es ist aber Aufgabe des Richters die korrekte Auslegung einer ausländischen Norm zu ermitteln. Er kann dazu alle Quellen, auch das Internet benutzen.106 5. Frankreich In Frankreich haben die Gerichte Kollisionsrecht und damit auch ausländisches Recht lange Zeit nur fakultativ angewendet. Der Richter musste ausländisches Recht nur prüfen, wenn dies eine der Parteien beantragt hatte.107 1988 erfolgte jedoch eine Rechtsprechungsänderung. Seither nimmt die Cour de Cassation an, Kollisionsnormen seien Rechtsnormen und keine Tatsachen, über die die Parteien verfügen können.108 Soweit die Parteien über den Anspruch verfügen können, war der Richter aber lediglich befugt, nicht verpflichtet, das anwendbare Recht zu ermitteln. Eine Ermittlungs- und Anwendungspflicht bestand nur, soweit internationale Abkommen einschlägig sind.109
11.78
Durch Urteil v. 18.9.2002 hat die Cour de Cassation nunmehr aber eine Pflicht des Tatrichters anerkannt, den Inhalt des durch das Kollisionsrecht bestimmten ausländischen Rechts zu ermitteln.110 Nach der Rechtsprechungsänderung hat das Gericht das ausländische Recht selbst zu ermitteln, soweit es das Kollisionsrecht von Amts wegen zu beachten hat, und seinen Inhalt festzustellen. Die Beweislast trägt weiterhin die Partei, die sich auf das ausländische Recht beruft.111 Kann der Inhalt des ausländischen Rechts nicht ermittelt werden, wendet das Gericht das französische Recht als lex fori an.112
105 Vgl. F. Garau Sobrino in Aufbruch nach Europa, S. 685, 689; A.-L. Calvo Caravaca/J. Carrascosa Gonzáles, IPRax 2005, 170. 106 J. Nieva-Fenoll, Derecho Procesal II, Proceso civil, 2019, S. 191. 107 Cass.civ., Rev.crit. 1960, 97. 108 Cass.civ., Clunet 1989, 349; vgl. A. Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 282 ff. 109 Cass.civ., Rev.crit. 1992, 316; F. Ferrand, ZEuP 1994, 126, 128 ff.; T. Hartley, ICLQ 45 (1996), 271, 278 ff. 110 Cass.civ., Bull.civ. I Nr. 2; vgl. S. Mégnin, IPRax 2005, 459. 111 Cass.civ., Rev.crit. 1992, 314. 112 Vgl. F. Ferrand, ZEuP 1994, 126, 132 f.
679
11.79
§ 11 Rz. 11.80 | Die Behandlung ausländischen Rechts
11.80 Das Gericht hat das ausländische Recht selbst auszulegen; eine Nachprüfung durch die Cour de Cassation findet grds. nicht statt. Auf Rüge wird jedoch geprüft, ob das ausländische Recht entstellt wurde, ob die dafür gegebene Begründung ausreichend ist bzw. ob es für die Rechtsanwendung an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.113 6. Schweden
11.81 In Schweden wird ausländisches Recht von den Gerichten von Amts wegen angewendet. Die Gerichte haben ausländisches Recht in gleicher Weise anzuwenden und auszulegen wie die Gerichte des betreffenden Staats. Ein übereinstimmender Vortrag der Parteien zum Inhalt des ausländischen Rechts bindet das Gericht daher nicht. Das schwedische Gericht wendet das ausländische Recht in der Form an, die es zur Zeit der Rechtsanwendung hat. 11.82 Ist der Inhalt des ausländischen Rechts dem Gericht unbekannt, so kann es die Partei, die sich darauf beruft, auffordern, Beweis dafür zu erbringen (RB Kap. 35 § 2). Das Gericht kann auch den Inhalt des ausländischen Rechts selbst ermitteln. Sowohl Gericht wie Parteien können zu diesem Zwecke die Hilfe der Rechtsabteilung des schwedischen Außenministeriums in Anspruch nehmen, was vor allem in internationalen Familienstreitigkeiten häufig getan wird.114 Schweden ist außerdem Partei des Europäischen Übereinkommens über Auskünfte über ausländisches Recht von 1968 (s. Rz. 11.2 ff.). 7. Schweiz
11.83 In der Schweiz hat das Gericht den Inhalt des anzuwendenden Rechts nach Art. 16 I 1 IPRG von Amts wegen festzustellen, darf sich dabei aber der Mitwirkung der Parteien bedienen.115 Nach Art. 150 II schweiz. ZPO kann bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch ausländisches Recht Beweisgegenstand sein, gemeint ist, soweit das Gericht den Nachweis des ausländischen Rechts den Parteien aufbürdet.116 8. Niederlande
11.84 IPR und ausländisches Recht werden in den Niederlanden nach BW 10:2 von Amts wegen angewendet, jedoch überprüft der Hoge Raad die Anwendung ausländischen Rechts nicht mehr.117
113 Vgl. F. Ferrand, ZEuP 1994, 126, 134 ff. 114 M. Bogdan/D. Fisher, Private International Law, in Tiberg/Sterzel/Cronhult, Swedish Law, 1994, S. 567. 115 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, 5. Aufl. 2012, S. 334 ff.; J. Caduff, Die Feststellung des anwendbaren Rechts, S. 81 ff., 150 ff. 116 Hasenböhler in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., 3. Aufl. 2016, Art. 150 Rz. 24 ff. 117 Th.M. de Boer/L. Strikwerda in Chorus/Hondius/Voermans, Introduction to Dutch Law, 5th ed. 2016, Chap. 14 no. 15 (p. 291 f.).
680
III. Die Ermittlung ausländischen Rechts in anderen Staaten | Rz. 11.88 § 11
9. Italien Auch in Italien wird ausländisches Recht als Recht von Amts wegen angewendet und ermittelt (Art. 14 IPRG 1995). Das ausländische Recht soll „nach Maßgabe seiner eigenen Kriterien zur Auslegung“ angewendet werden (Art. 15 IPRG 1995). Zum bisherigen Recht ging die Doktrin von dem Grundsatz aus, dass das ausländische Recht infolge der italienischen Kollisionsnormen, nach denen es anzuwenden ist, sozusagen zur einheimischen Norm wird.118 Diese Inkorporationstheorie hat den Corte di Cassazione veranlasst, in immer weitergehendem Ausmaß die Entscheidungen der unteren Gerichte daraufhin zu überprüfen, ob das ausländische Recht richtig angewendet worden sei.119 Der Satz „iura novit curia“ wird so verstanden, dass der italienische Richter ex officio verpflichtet ist, sich die Kenntnis des in Frage kommenden ausländischen Rechts zu verschaffen.120
11.85
10. Japan In Japan wird ausländisches Recht ebenfalls von Amts wegen ermittelt; das Gericht darf sich die nötigen Kenntnisse formlos oder durch Sachverständigenbeweis beschaffen.121 Anders als in Deutschland wird ausländisches Recht als revisibel angesehen. Kann das ausländische Recht nicht ermittelt werden, so wird nicht nur die lex fori, sondern unter dem Einfluss von „jôri“ eine verwandte Rechtsordnung herangezogen.122
11.86
11. Russland Nach Art. 1191 I russ. BGB ist das Gericht verpflichtet den Inhalt ausländischen Rechts zu ermitteln und es auf den zu entscheidenden Fall anzuwenden. Das Gericht kann die Pflicht zur Ermittlung des ausländischen Rechts und Vorlage entsprechender Unterlagen auf Parteien delegieren, die einer Geschäftstätigkeit nachgehen (Art. 1191 II 2 russ. BGB).123
11.87
12. Polen Ebenso wird in Art. 1143 poln. ZPO von der Anwendung fremden Rechts gesprochen. Es fällt auf, dass nirgends von dem Beweis ausländischen Rechts die Rede ist. Wenn von „Feststellung“ des fremden Rechts gesprochen wird, bedeutet das keinen prinzipiellen Unterschied zum „Beweis“, denn auch der Beweis führt zur Feststellung des richtigen Inhalts des ausländischen Rechts. Sicherlich, der ausländischen Norm wird der Rechtscharakter nicht bestritten. Der Satz „iura novit curia“ bezieht sich nach Lunz aber nur auf das sowjetische Recht. Es ist folgerichtig, wenn sich in den 118 119 120 121
M. Cappelletti, Riv.dir.intern. 49 (1966), 299. M. Cappelletti/J. Perillo, Civil Procedure in Italy, S. 421. P. Picone, FS Jayme, 2004, S. 691. H. Matsumoto, Prozessuale Probleme bei der Anwendung ausländischen Rechts, in Recht in Japan, Heft 9, 1993, S. 27, 28 ff.; H. Prütting, FS Ishikawa, 2001, S. 397, 402. 122 H. Prütting, FS Ishikawa, 2001, S. 397, 403 ff. 123 J. Timochov, FS Boguslavskij, S. 259.
681
11.88
§ 11 Rz. 11.88 | Die Behandlung ausländischen Rechts
Vorschriften über den Beweis nichts über das ausländische Recht finden lässt. Wenn sich die Gerichte zur Ermittlung ausländischen Rechts nicht an die Beweisvorschriften halten, ermitteln sie dieses im Wege des „Freibeweises“ durch Einholung von Auskünften von den Ministerien. Es können aber auch Sachverständigengutachten eingeholt werden. Inwieweit dabei von den Grundsätzen des Strengbeweises abgewichen wird, ist nicht ersichtlich, wird aber dadurch erklärt, dass den Parteien keine Mitwirkung eingeräumt wird.
11.89 Art. 1143 der polnischen ZPO lautet: „§ 1. Wenn die Notwendigkeit der Anwendung fremden Rechts durch ein polnisches Gericht eintritt, so kann das Gericht sich an den Minister für Justiz wenden wegen der Ermittlung des Textes dieses Rechts sowie wegen der Erläuterung der fremden Gerichtspraxis. § 3. Zur Feststellung des Inhalts des fremden Rechts und der fremden Gerichtspraxis kann das Gericht auch Sachverständigengutachten einholen.“ Danach wirken die Parteien bei der Feststellung des fremden Rechts offenbar überhaupt nicht mit. 13. Türkei
11.90 In der Türkei wird das nach türkischem IPR anwendbare ausländische Recht von Amts wegen angewendet. Der Richter kann zur Feststellung die Hilfe der Parteien in Anspruch nehmen (Art. 2 I türk. IPRG).124 Kann das ausländische Recht nicht ermittelt werden, ist türkisches Recht als Ersatzrecht anzuwenden (Art. 2 II türk. IPRG).
124 IPRax 1982, 254.
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§ 12 Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen I. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . 12.1 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 3. Anerkennungsverfahren und Anerkennungswirkung . . . . . . . . . . . 12.21 4. Versagung der Anerkennung . . 12.37 a) EuGVO n.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.37 b) EuGVO a.F./LugÜ . . . . . . . . . . . . . 12.38 c) Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . 12.39 (1) Ordre public-Verstoß . . . . . . 12.39 (2) Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.56 (3) Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaats . . . . . . . . . . . . . . . 12.82 (4) Unvereinbarkeit mit der früheren Entscheidung eines anderen Mitglied- oder Drittstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.86 (5) Unvereinbarkeit von zwei Entscheidungen desselben Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . 12.87 (6) Kollisionsrechtlicher Vorbehalt (Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ/ LugÜ 1988) . . . . . . . . . . . . . . . 12.89 5. Bindung des Zweitrichters an die Zuständigkeitsentscheidung des Erstrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.93 6. Verbot der révision au fond . . . 12.100 II. Anerkennung nach Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.102 1. Anerkennung nach dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandvereinbarungen . . . . . . . . . . 12.102 2. Anerkennung nach dem Haager Übereinkommen v. 2.7.2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen . . . 12.112 III. Autonomes deutsches Recht . . . 12.118
1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.118 2. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.119 3. Die Art und Weise der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.123 4. Die Wirkungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.129 5. Anerkennungsfähige Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.156 6. Anerkennungsvoraussetzungen 12.169 a) Gerichtsbarkeit des ausländischen Staats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.169 b) Anerkennungszuständigkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.170 c) Rechtliches Gehör bei Verfahrenseinleitung (§ 328 I Nr. 2 ZPO, § 109 I Nr. 2 FamFG) . . . . . . . . . . 12.179 (1) Schutz für den Beklagten . . . 12.179 (2) Heilung von Zustellungsmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.187 (3) Keine Pflicht zur Einlegung von Rechtsmitteln . . . . . . . . . 12.188 d) Keine Unvereinbarkeit mit anderen Entscheidungen (§ 328 I Nr. 3 ZPO, § 109 I Nr. 3 FamFG) . . . . . 12.189 e) Verstoß gegen den ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.190 (1) Materielle Rechtsverstöße . . . 12.191 (2) Verstoß gegen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze . . . . . . 12.194 f) Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG) . . . . . . . . 12.207 7. Folgen der Nichtanerkennung . 12.240 a) Ausländische Entscheidung als Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.240 b) Rückforderung von Leistungen auf nicht anerkannte Entscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.241
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§ 12 Rz. 12.1 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
I. Europäisches Recht 1. Schrifttum
12.1 Zu den Europäischen Verordnungen: J. Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union –
Gegenwartsfragen der Anerkennung im internationalen Zivilverfahrensrecht – Perspektive in der Europäischen Union, in Hess, Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S. 1; Ch. Althammer/M. Tolani, Neue Perspektiven für einen gemeineuropäischen Rechtskraftbegriff in der Rechtsprechung des EuGH zur EuGVVO?, ZZPInt 19 (2014), 227; K. Bälz/St. Marienfeld, Missachtung einer Schiedsklausel als Anerkennungshindernis i.S.v. Art. 34–35 EuGVVO und § 328 ZPO, RIW 2003, 51; E.-M. Bajons, Von der internationalen zur europäischen Urteilsanerkennung und -vollstreckung, FS Rechberger, 2005, S. 1; J. Basedow, Die Verselbständigung des europäischen ordre public, FS Sonnenberger, 2004, S. 291; U. Becker, Grundrechtsschutz bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2004; A. Briggs/P. Rees, Civil Jurisdiction and Judgments, 6th ed. 2015; N. Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht, 2019; B. Burger, Die Anerkennung von Solvent Schemes of Arrangements in Deutschland, FS Elsing, 2015, S. 771; S. Corneloup, The public policy exception in Brussels I practice, EuLF 1-2011, 23; F. Cranshaw, Anerkennung und Vollstreckung auf internationaler und europäischer Ebene – Standards und Reformüberlegungen, in Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Zwangsvollstreckung und Zwangsversteigerung aktuell, 2018, S. 191; K. Danelzik, Die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen ZPO, EuGVVO und HGÜ, 2019; M. Fallon/D.-P. Tzakas, Res iudicata Effects of Foreign Class Action Rulings in the EU Member States, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 653; F. Ferrand, Res Judicata – From national law to a possible European harmonisation? FS Gottwald, 2014, S. 143; R. Freitag, Anerkennung und Rechtskraft europäischer Titel nach EuVTVO, EuMahnVO und EuBagatellVO, FS Kropholler, 2008, S. 759; T. Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, 2006; Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010; R. Geimer, Enge Auslegung der Ausnahmeklausel des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, IPRax 2008, 498; Ph. Georganti, Die Zukunft des ordre public-Vorbehalts im europäischen Zivilprozessrecht, 2006; U. Grušić, Recognition and enforcement of judgments in employment matters in EU private international law, JPIL 12 (2016), 521; S. Hackspiel/P. Bańczyk, Urteilsanerkennung und Integration in der EU und in den USA, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 137; T. Hartley, The modern approach to private international law (Ch XX), RdC 319 (2006), 300; W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, S. 86 ff.; Ch. Heinze, Europäische Urteilsfreizügigkeit von Entscheidungen ohne vorheriges rechtliches Gehör, ZZP 120 (2007), 303; B. Hess, Mutual Recognition in the European Law of Civil Procedure, ZVglRWiss 111 (2012), 21; B. Hess, Das Lugano-Übereinkommen und der Brexit, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 179; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 16 Urteilsfreizügigkeit), 2015, S. 631; H. Kall, Doppelexequatur: „ne vaut“ oder „no worries“?, IHR 2018, 137; V. Karaaslan, Internationale Zustellungen nach der EuZVO und der ZPO und ihre Auswirkungen auf die Anerkennung der Entscheidungen, Diss. Münster 2007; G. Kayser/S. Dornblüth, Anerkennung und Vollstreckbarerklärung italienischer Zahlungsbefehle, ZIP 2013, 57; J. Kindl/C. Meller-Hannich/ H.-J. Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung (Hk-ZV), 3. Aufl. 2016; M. Klöpfer, Schwerpunktbereichsklausur – Internationales Zivilverfahrensrecht: Empfänger verzogen, JuS 2014, 243; Ch. Kohler, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in Zivilsachen im europäischen Justizraum, ZSR 124 (2005) II, 263; Ch. Kohler, Systemwechsel im europäischen Anerkennungsrecht, in Baur/Mansel, Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, 2002, S. 147; St. Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung, 2011; U. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2010, S. 110, 175; T. Koops, Der Rechtskraftbegriff der EuGVVO – Zur Frage der Unvereinbarkeit der Entscheidung Gothaer
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.1 § 12 Allgemeine Versicherung ./. Samskip GmbH mit der EuGVVO, IPRax 2019, 11; Kropholler/ v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011; J. Kummer, Zur Anerkennung von Versäumnisurteilen in Deutschland und der EuGVVO, FS Hirsch, 2008, S. 129; W. Lüke/A. Scherz, Zu den Wirkungen eines Solvent Scheme of Arrangement in Deutschland, ZIP 2012, 1101; D. Martiny, Die Zukunft des europäischen ordre public im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, FS Sonnenberger, 2004, S. 523; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Bd. 3 Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2017, S. 2089; P. Oberhammer/Ch. Koller/M. Slonina, Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 483, 565 ff.; M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, S. 71 ff.; Th. Rauscher, Wie ordnungsgemäß muss die Zustellung für Brüssel I und Brüssel II sein?, FS Jayme, 2004, S. 1285; E. Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008; M. Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, in v. Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, S. 359; N. Rosner, Cross-Border Recognition and Enforcement of Foreign Money Judgments in Civil and Commercial Matters, 2004, S. 155; H. Roth, Heilung von Zustellungsmängeln im internationalen Rechtsverkehr, FS Gerhardt, 2004, S. 799; St. Sax/M. Swierczok, Die Anerkennung des englischen Scheme of Arrangement in Deutschland post Brexit, ZIP 2017, 601; H. Schack, Anerkennungs- und Versagungsgründe im Europäischen Zivilprozessrecht, ZVglRWiss 119 (2020), 237; P. Schlosser/B. Hess, EuZPR – EU-Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2015; P. Schlosser, Anerkennung und Vollstreckbarerklärung englischer „freezing injunctions“, IPRax 2006, 300; S. Sepperer, Der Rechtskrafteinwand in den Mitgliedstaaten der EuGVO, 2010; R. Schütze, Die Doppelexequierung ausländischer Urteile, FS Spellenberg, 2010, S. 511; I. Spiecker gen. Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002; A. Stadler, Die Revision des Brüsseler und Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, in Gottwald, Die Revision des EuGVÜ, 2000, S. 37; A. Stadler, Ordnungsgemäße Zustellung im Wege der remise au parquet und Heilung von Zustellungsmängeln nach der europäischen Zustellungsverordnung, IPRax 2006, 116; A. Stadler, Die internationale Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes mit opt-out Mechanismen, FS Schütze, 2015, S. 561; A. Stadler, Grenzüberschreitende Wirkung von Vergleichen und Urteilen im Musterfeststellungsverfahren, NJW 2020, 265; A. Staudinger, Der ordre public-Einwand im Europäischen Zivilverfahrensrecht, EuLF 2004, 273; A. Stein, Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von zivilrechtlichen Urteilen in Europa, WiRO 2003, 289; M. Stürner, Der Anwendungsbereich der EU-Verordnungen zur grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung, ZVglRWiss 119 (2020), 143; J. Thoma, Die Europäisierung und Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007; Ch. Thomale, Brüssel I und die EU-Osterweiterung – Zum raumzeitlichen Anwendungsbereich der EuGVVO, IPRax 2014, 239; D. Tsikrikas, Grenzüberschreitende Bindungswirkung von Prozessurteilen im europäischen Justizraum, ZZPInt 22 (2017), 213; B. Ulrici, Anerkennung und Vollstreckung nach Brüssel Ia, JZ 2016, 127; R. Wendt, Vollstreckung in der EU unter der Regie der EuGVVO Vollstreckungsgegenklage nach Abschluss eines österreichischen Oppositionsverfahrens?, ErbR 2011, 5; Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 13/2 Brüssel Ia-VO, 4. Aufl. 2019; R. Willer, gegenseitiges Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten als hinreichende Bedingung für die Anerkennung von Entscheidungen nach der EuGVVO?, ZZP 127 (2014), 99; A. Zeuner, Rechtskraft und ihr Verhältnis zur Rechtshängigkeit im Rahmen des europäischen Zivilprozessrechts, FS Kerameus, 2009, S. 1587. Zur Reform: P. Beaumont/E. Johnston, Abolition of the Exequatur in Brussels I, IPRax 2010, 105; G. Cuniberti/I. Rueda, Abolition of Exequatur, RabelsZ 75 (2011), 286; W. Hau, Brüssel Ia – Neue Regeln für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, MDR 2014, 1417; P. Oberhammer, The Abolition of Exequatur,
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§ 12 Rz. 12.1 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen IPRax 2010, 197; W. Rechberger, Grenzenloses Vertrauen in die Rechtsprechung der anderen Mitgliedstaaten?, Überlegungen aus Anlass der geplanten Abschaffung des Exequaturverfahrens in der EuGVVO, FS Ereciński, 2011, S. 1277; H. Schack, The misguided abolition of exequatur proceedings in the European Union, FS Ereciński, 2011, S. 1345; P. Schlosser, The Abolition of Exequatur Proceedings – Including Public Policy Review?, IPRax 2010, 101. – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16.12.2010, KOM (2010) 748 endg. = BR-Drucks. 833/10. – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl. EU 2012 Nr. L 351/1.
12.2 Zum EuGVÜ/LugÜ: St. Bariatti, What are Judgements under the 1968 Brussels Convention?,
Riv.dir.int. 37 (2001), 5; P. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989; A. Baumert, Europäischer ordre public und Sonderanknüpfung zur Durchsetzung von EG-Recht, 1994, S. 251 ff.; M. Becker, Zwingendes Eingriffsrecht in der Urteilsanerkennung, RabelsZ 60 (1966), 691; J.-P. Beraudo, Convention de Bruxelles du 27 Septembre 1968, Reconnaissance des décisions juridictionelles, Juris-Cl. Procédure Civile 52–5, 1988; P.-A. Brand/J. Reichhelm, Fehlerhafte Auslandszustellung, IPRax 2001, 173; St. Braun, Der Beklagtenschutz nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, 1992; A. Bruns, Der anerkennungsrechtliche ordre public in Europa und den USA, JZ 1999, 278; A. Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2000, S. 105 ff.; G. Coscia, Conflitti e contrasti di giudicati nella Convenzione di Bruxelles del 27 Settembre 1968, Riv.dir.int.pr.proc. 31 (1995), 265; Y. Donzallaz, Le renouveau de l’ordre public dans la CBCL au regard des ACJCE Krombach et Renault, AJP/PJA 10 (2001), 160; M. Frank, Das verfahrenseinleitende Schriftstück in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, 1998; R. Freitag, Anerkennung und Rechtskraft europäischer Titel nach EuVTVO, EuMahnVO und EuBagatellVO, FS Kropholler, 2008, S. 759; Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, 1996; H. Gaudemet-Tallon, Les Conventiones de Bruxelles et de Lugano, 1993; R. Geimer, Das Anerkennungsverfahren gem. Art. 26 II des EWG-Übereinkommens vom 27.9.1968, JZ 1977, 145, 213; R. Geimer, Freizügigkeit vollstreckbarer Urkunden im Europäischen Wirtschaftsraum, IPRax 2000, 366; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 1997; Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, 1993; P. Gottwald, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments under the Brussels Convention, in Carey Miller & Beaumont (ed), The Option of Litigating in Europe, 1993, 31; W. Grunsky, Das EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen im deutschitalienischen Rechtsverkehr, RIW 1977, 1; U. Haas, Unfallversicherungsschutz und ordre public, ZZP 108 (1995), 219; W. Habscheid, Die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus den EWG-Staaten in der Bundesrepublik Deutschland, ZfRV 1973, 262; R. Hausmann, Zur Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen des EG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, IPRax 1981, 79; B. Heß, Die begrenzte Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen im Binnenmarkt II, IPRax 2000, 370; J. Hill, The law relating to international commercial disputes, 1994 (Chapter 9); M. Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im Schweizerischen internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998; M. Kengyel/W. Rechberger, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2007; K. Kerameus, Das Brüsseler Vollstreckungsübereinkommen und das griechische Recht der Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen, FS Henckel, 1995, S. 423; M. Koch, Unvereinbare Entscheidungen i.S.d. Art. 27 Nr. 3 und 5 EuGVÜ und ihre Vermeidung, 1993; B. Kössinger, Rechtskraftprobleme im deutsch-französischen Rechtsverkehr, 1993, S. 119 ff.; J. Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; J. Kondring, Die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs des EuGVÜ im Urteils- und Vollstreckungsverfahren, EWS 1995, 217; K. Kreuzer/R. Wagner, Eu-
686
I. Europäisches Recht | Rz. 12.3 § 12 ropäisches Internationales Zivilverfahrensrecht, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, Teil Q, 2. Aufl. 2007; F. Kruis, Anerkennung und Vollstreckung eines italienischen Mahnbescheids (decreto ingiuntivo) in Deutschland, IPRax 2001, 56; D. Lasok/P. A. Stone, Conflict of Laws in the European Community, 1987, S. 287 ff.; D. Leipold, Neuere Erkenntnisse des EuGH und des BGH zum anerkennungsrechtlichen ordre public, FS H. Stoll, 2001, S. 625; M. Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1996; M. Lienard-Ligny, Les motifs de refus de reconnaissance et d’execution des decisions, in Fentiman, L’espace judiciaire européen, 1999, 161; S. Lippke, Der Status im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2008; A. Lopez-Tarruella, Der ordre public im System von Anerkennung und Vollstreckung nach dem EuGVÜ, EuLF 2000/01, 122; M. Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1999; Ch. Pisani, Grenzen des anerkennungsrechtlichen ordre-public-Vorbehalts im EuGVÜ am Beispiel englischer conditional free agreements, IPRax 2001, 293; H. Schack, Perspektiven eines weltweiten Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens, ZEuP 1993, 306; M. J. Schmidt, Die internationale Durchsetzung von Rechtsanwaltshonoraren, 1991; M. J. Schmidt, Die Einrede der Schiedsgerichtsvereinbarung im Vollstreckbarerklärungsverfahren von EuGVÜ und Lugano-Übereinkommen, Festgabe Sandrock, 1995, 205; J. Sedlmeier, Internationales und europäisches Verfahrensrecht – Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Urteilsanerkennung in Europa und weltweit, EuLF 2002, 35; M. Storme, Ein einheitlicher Europäischer Vollstreckungstitel als Vorbote eines weltweiten Titels, FS Nakamura, 1996, S. 581; R. Stürner, Förmlichkeit und Billigkeit bei der Klagzustellung im Europäischen Zivilprozess, JZ 1992, 325; R. Stürner, Anerkennungsrechtlicher und europäischer ordre public als Schranke der Vollstreckbarerklärung, Festgabe BGH, Bd. 3, 2000, 677; T. Taylor/N. Cooper, European Litigation Handbook, 1995; F. Tepper, Das EuGVÜ und das Anwaltshonorar, IPRax 1996, 398; H. U. Walder, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, in Schwander, Das Lugano-Übereinkommen, 1990, S. 135 ff.; Ch. Wolf, Die Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungen im Rahmen eines niederländischen Kort geding-Verfahrens nach dem EuGVÜ, EuZW 2000, 11.
2. Einführung Im Verhältnis der EU-Staaten gelten vorrangig die Vorschriften der EuGVO n.F., der Brüssel IIa-VO, der EuUntVO, der EuErbVO und der EuGüVO; zwischen den Mitgliedstaaten der EU bzw. den Vertragsstaaten des LugÜ gelten die Vorschriften dieser Regelungen hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen vorrangig vor bilateralen Staatsverträgen (Art. 69 EuGVO n.F.)1 und den §§ 328, 722, 723 ZPO. Nach dem Staatsvertrag der anderen EU-Staaten mit Dänemark v 19.10.2005 (s. Rz. 3.10) gilt die EuGVO (auch in der Neufassung) auch im Verhältnis zu Dänemark. Das autonome deutsche Recht kann nur noch angewendet werden, soweit in den EU-Regeln bzw. im LugÜ darauf verwiesen wird, und bezüglich solcher Entscheidungen der Gerichte der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten, die nicht unter EuGVO n.F. bzw. LugÜ, die Brüssel IIa-VO, die EuUntVO, die EuGüVO/EuPartVO, die EuErbVO und die EuInsVO fallen.2 Diese Regelwerke unterscheiden wie das deutsche Recht zwischen Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung.3 Die EuVTVO, die neu gefasste EuGVO, überwiegend 1 Vgl. Liste 3 der Information zu Art. 76 VO (EU) Nr. 1215/2012, ABl. EU 2015 Nr. C 4/2. 2 Kropholler/v. Hein, Art. 32 EuGVO Rz. 6. 3 Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, vor Art. 33–37 Rz. 7.
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12.3
§ 12 Rz. 12.3 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
die EuUntVO sowie die EuMahnVO, die EuGFVO und die EuSchutzMVO verzichten dagegen auf das Verfahren der Vollstreckbarerklärung (s. § 14). Die EuGVO gilt nach Art. 66 II im Verhältnis zu einem neu beigetretenen Mitgliedstaat nur, wenn sie zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung sowohl im Ursprungsstaat als auch im Anerkennungsstaat galt.4 Auf den Zeitpunkt des Entstehens des streitigen Anspruchs kommt es nicht an.
12.4 Nach Wirksamwerden des Brexit bleiben die Regeln der Brüssel Ia-VO über Anerkennung und Vollstreckung gem. Art. 67 Abs. 2 lit. a des Austrittsabkommens v. 24.1.20205 im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nicht nur bis zum Ablauf der Übergangszeit (derzeit am 31.12.2020), sondern auch danach für die Anerkennung und Vollstreckung anwendbar bleiben, soweit die Entscheidungen vor dem Ablauf der Übergangszeit ergingen bzw. die Prozessvergleiche und vollstreckbaren Urkunden errichtet wurden.6 12.5 Die Europäischen Verordnungen haben aus Gründen der Rechtssicherheit absoluten Vorrang vor dem autonomen Recht. Ein Rückgriff auf das autonome deutsche Recht nach dem Günstigkeitsprinzip ist daher (im Umkehrschluss zu Art. 71 EuGVO) ausgeschlossen:7 Eine Entscheidung kann danach (eher theoretisch) nach autonomem deutschen Recht nicht anerkannt werden, selbst wenn dessen sämtliche Voraussetzungen, nicht aber die des europäischen Rechts vorliegen. 12.6 Die EuGVO n.F. bzw. das LugÜ erfassen nach Art. 2 lit. a EuGVO n.F. bzw. Art. 32 LugÜ jede Entscheidung eines Gerichts eines Mitglied- bzw. Vertragsstaats, die in den Anwendungsbereich des Art. 1 fällt (s. Rz. 12.15). Auf ihre Bezeichnung kommt es nicht an. Ein Gericht liegt nur vor, wenn seine Entscheidungen in Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in einem grundsätzlich kontradiktorischen Verfahren ergehen. Ein Notariat in Kroatien ist daher kein Gericht in diesem Sinne.8 12.7 Der Begriff der „Entscheidung“ ist umfassender als der des „Urteils“ nach § 328 ZPO (s. Rz. 12.160 ff.). Es fallen darunter Urteile, auch Prozessurteile,9 Beschlüsse, 4 EuGH – C-514/10, ECLI:EU:C:2012:367 – Wolf Naturprodukte, NJW-RR 2012, 152 = EuZW 2012, 288; a.A. Ch. Thomale, IPRax 2014, 239 (Zeitpunkt der Klageerhebung). 5 ABl. EU 2020 Nr. L 29/7. 6 Vgl. Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2018, 1369, 1370. 7 K. Siehr, IPR, 2001, S. 528; R. Geimer, IZPR, Rz. 2767a; G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 461 (bei LugÜ kein Rückgriff auf autonomes Recht); Rauscher/Leible, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 3; Schwartze, unalex Kommentar, Art. 32 Rz. 6, zweifelnd Wieczorek/ Schütze/Loyal, Vor Art. 36–57 Brüssel Ia-VO Rz. 4. 8 EuGH – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 – Pula Parking (Rz. 56 ff.), IPRax 2018, 79 (dazu H. Roth, S. 41, 42 f.). 9 EuGH – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung, EuZW 2013, 60 (Rz. 22 ff., 32) (dazu I. Bach, S. 56) = IPRax 2014, 163 (dazu H. Roth, S. 136); OLG Bremen, IPRax 2015, 354 (krit. H. Roth, S. 329); Rauscher/Leible, Art. 2 Brüssel IaVO Rz. 5; Schwartze, unalex Kommentar, Art. 32 Rz. 10; krit. D. Tsikrikas, ZZPInt 22 (2017), 213; M. Gebauer, FS Geimer, 2017, S. 103; Wieczorek/Schütze/Loyal, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 5 ff.
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.10 § 12
Zahlungsbefehle10 bzw. Vollstreckungsbescheide und ihre ausländischen Äquivalente,11 verselbständigte Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten, auch gerichtliche Festsetzungen des Anwaltshonorars.12 Die gerichtliche Bestätigung eines Solvent Scheme of Arrangement wird ebenfalls als gerichtliche Entscheidung anerkannt.13 Nach dem Sinn der Verordnung sollen also grds. alle Entscheidungen eines Gerichts eines Mitgliedsstaats in jedem anderen Mitgliedsstaat anerkannt und vollstreckt werden können. Sinngemäß sind aber nur Entscheidungen in Erkenntnisverfahren, nicht auch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung erfasst.14 Bloße Kostenrechnungen der Justizverwaltung gem. §§ 49, 54 GKG sind keine Entscheidungen.15 Anders als in § 328 ZPO wird keine Rechtskraft der Entscheidung verlangt. Vorläufig vollstreckbare Entscheidungen sind bewusst in den Kreis der anzuerkennenden Entscheidungen einbezogen.16 Das folgt nicht nur aus Art. 2 lit. a, 36 EuGVO n.F., sondern auch aus Art. 38 lit. a EuGVO n.F. (Art. 37 EuGVO a.F./LugÜ), wonach der Zweitrichter die Anerkennung aussetzen kann, wenn gegen die Entscheidung des Erstrichters ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist.
12.8
Versäumnis- und Anerkenntnisurteile gehören zu den Entscheidungen. Es kommt nicht darauf an, ob sie in abgekürzter Form abgefasst worden sind.17 Um Schwierigkeiten zu vermeiden, sieht § 313b III ZPO allerdings vor, dass eine Entscheidung nicht in abgekürzter Form abgefasst sein darf, wenn zu erwarten ist, dass aus ihr in einem anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat vollstreckt oder sie dort anerkannt werden soll. § 30 AVAG sieht bei Bedarf die Vervollständigung solcher Entscheidungen vor.
12.9
Weil nicht auf endgültige Entscheidungen abgestellt wird, fallen auch Arreste, einstweilige Verfügungen und einstweilige Maßnahmen unter die Entscheidungen. Doch hat der EuGH Sicherungsmaßnahmen aus dem Kreis anerkennungsfähiger Entscheidungen ausgenommen, wenn sie („ex parte“) ohne Ladung des Gegners ergangen oder ohne Zustellung an ihn vollstreckt werden können.18 In Erwägungs-
12.10
10 Dies soll nicht für bereits anfänglich vollstreckbare (italienische) Zahlungsbefehle als ex parte-Entscheidungen gelten; s. G. Kayser/S. Dornblüth, ZIP 2013, 57, 58. 11 Vgl. M. Jametti Greiner, S. 300 ff. Zum italienischen decreto ingiuntivo s. OLG Zweibrücken, RIW 2006, 709; F. Kruis, IPRax 2001, 56. 12 Vgl. BGH, NJW-RR 2006, 143; OLG Düsseldorf, RIW 1996, 67; F. Tepper, IPRax 1996, 398; M. J. Schmidt, S. 88 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 32 EuGVO Rz. 14; St. Bariatti, Riv.dir.int. 37 (2001), 5 ff. 13 Vgl. B. Burger, FS Elsing, 2015, S. 771, 779. 14 Rauscher/Leible, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 18. 15 OLG Schleswig, RIW 1997, 513; Schwartze, unalex Kommentar, Art. 32 Rz. 18. 16 Rauscher/Leible, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 7. 17 Corte d’appello Genua hat ein solches deutsches Versäumnisurteil für vollstreckbar erklärt, Rspr. Übersicht 1977, Folge 1, Nr. 41. 18 EuGHE 1980, 1553 (Rz. 10) (Denilauler v Couchet Frères) = IPRax 1981, 95 (dazu R. Hausmann S. 79); zustimmend J. Braun, S. 45 ff.; BGH, ZIP 2007, 396, 397 = DZWiR 2008, 242 (krit. D. Schneider-Addae-Mensah); BGH, IPRspr. 2009, Nr. 242, S. 625 (Tz. 7); Ch. Berger/K. Otte, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht, 2006, Kap. 18 Rz. 56 ff.; a.A. Th. Garber, S. 238 ff.
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§ 12 Rz. 12.10 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
grund 33 und Art. 2 lit. a Unterabs. 2 EuGVO n.F. wird diese Rechtsprechung künftig gesetzlich festgeschrieben. Entscheidungen, die vor dem Zeitpunkt, in dem ihre Anerkennung und Vollstreckung beantragt wird, Gegenstand eines kontradiktorischen Verfahrens hätten sein können, wie z.B. ein Vollstreckungsbescheid, werden dagegen anerkannt.19 Anzuerkennen sind daher eine (nach streitiger Verhandlung ergangene) englische freezing order20 und ein Schweizer provisorischer Rechtsöffnungsentscheid (Art. 82 II SchKG).21 Die Anerkennung einer sog. search order (zur Sicherstellung von Beweismitteln)22 scheidet dagegen aus.
12.11 Prozessuale Zwischenentscheidungen, die die Parteien ohne gerichtliche Mitwirkung nicht erfüllen können, z.B. Beweisbeschlüsse, fallen nicht unter Art. 2 lit. a EuGVO n.F. bzw. Art. 32 EuGVO a.F./LugÜ23. Nicht erfasst ist danach die Anordnung einer Zeugenvernehmung vor Anhängigkeit eines Rechtsstreits24 (Erwägungsgrund 25 Satz 2 EuGVO n.F.). Einstweilige Entscheidungen über Auskunfts- oder Informationsbeschaffungspflichten, die auch selbständig einklagbar sind, sollten dagegen als anerkennungsfähig angesehen werden.25 Auch dies wird in Erwägungsgrund 25 Satz 1 EuGVO n.F. durch Hinweis auf Beweiserhebungen gem. Art. 6 u. 7 der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG ausdrücklich festgeschrieben. 12.12 Zweifelhaft ist deshalb, ob der Musterentscheid nach dem KapMuG v. 16.8.200526 bzw. v. 19.10.201227 in den anderen EU-Staaten anzuerkennen ist. In dem Musterentscheid wird das Vorliegen einzelner anspruchsbegründender oder -ausschließender Voraussetzungen für eine Haftung auf Schadenersatz wegen falscher Kapitalmarktinformationen (§§ 97 f. WpHG) festgestellt oder eine streitige Rechtsfrage vorab durch das OLG geklärt. Der Musterentscheid bindet die erstinstanzlichen Gerichte aller ausgesetzten Schadenersatzverfahren (§ 22 KapMuG n.F.). Die Bindungswir19 EuGHE 1995, I-2113 (Rz. 14) (Hengst Import v Campese) = NJW 1996, 1736 = IPRax 1996, 262 (dazu W. Grunsky, S. 245); EuGHE 2004, I-9657 (Rz. 43 ff.) (Mærsk v de Haan) (vorl. Beschluss zur Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds) = IPRax 2006, 262 (krit Geimer/Schütze, Art. 32 EuGVO Rz. 23). 20 OLG Nürnberg, WM 2011, 700 (dazu P. Mankowski, WuB VII Art. 34 EuGVVO 1.11); OLG Karlsruhe, ZZPInt 1996, 91 (A. Zuckerman/J. Grunert); OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 1623; P. Schlosser, IPRax 2006, 300. 21 Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 2006, 183 (dazu M. Sogo, S. 144); M. Sogo, Internationale Vollstreckbarkeit provisorischer Rechtsöffnungsentscheide nach LugÜ, AJP/PJA 2005, 808. 22 So Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, 1996, S. 692. 23 Geimer/Schütze, Art. 32 EuGVO Rz. 43; Kreuzer/Wagner, Q 325; Oberhammer in Stein/ Jonas, Art. 32 Rz. 1. 24 EuGHE 2005, I-3481 (St. Paul Dairy) = RIW 2005, 538 = JZ 2005, 1166 = EuZW 2005, 401; krit. P. Mankowski, RIW 2005, 561, 566. 25 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 21; J. Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 2000, S. 43; M. Jametti Greiner, S. 305; Walter/Domej, IZPR der Schweiz, S. 468 f.; Rauscher/Leible, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 10; Schwartze, unalex Kommentar, Art. 32 Rz. 9. 26 BGBl. I 2437. 27 BGBl. I 2182.
690
I. Europäisches Recht | Rz. 12.16 § 12
kung gleicht daher einer innerprozessualen Bindungswirkung nach § 563 II ZPO oder einer Entscheidung in Vorlageverfahren. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 22 I 2, 3 KapMuG n.F. zusätzlich angeordnet, dass der Musterentscheid in Rechtskraft erwächst und für und gegen alle Beigeladenen (die Parteien der ausgesetzten Verfahren) wirkt. Dadurch will er erreichen, dass der Musterentscheid über Art. 32, 33 I EuGVO/LugÜ bzw. Art. 2 lit. a, 36 I EuGVO n.F. auch in den EU- und EFTA-Staaten anzuerkennen ist. Da der deutsche Gesetzgeber den Bereich anzuerkennender Entscheidungen nicht einseitig erweitern kann, ist fraglich, ob dieses Ziel erreicht wurde.28 Jedenfalls sind prozessuale Zwischenentscheidungen bisher nicht anerkannt worden.
12.13
Wie beim KapMuG ist auch bei der neu eingeführten Musterfeststellungsklage zweifelhaft, ob ein Musterfeststellungsurteil nach § 613 I 1 ZPO eine Entscheidung i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO ist. In der Literatur wird tatsächlich vertreten, dass das Musterfeststellungsurteil nach Art. 36 EuGVO n.F. in den anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen sei.29 Anders als in § 22 KapMuG ordnet der Gesetzgeber in § 613 I 1 ZPO nur eine Bindung des zur Entscheidung zwischen dem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten zuständigen Gericht an. Schon dieser Wortlaut spricht für eine bloße Bindungswirkung, vergleichbar der des § 563 II ZPO. Es handelt sich also auch hier nur um eine prozessuale Zwischenentscheidung, die in anderen EU-Mitgliedstaaten nicht anzuerkennen ist.30 Die Gegenansicht käme zu dem seltsamen Ergebnis, dass ein deutsches OLG dem erstinstanzlichen Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaates vorschreiben könnte, wie es bestimmte Tat- und Rechtsfragen zu entscheiden hat.
12.14
Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Verordnung bzw. des Übereinkommens muss es sich um Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen handeln. Dabei ist es gleichgültig, von welchem Gerichtszweig die Entscheidung erlassen worden ist. Ob die Entscheidung in den Anwendungsbereich der EuGVO bzw. des LugÜ (Art. 1 I) fällt, wird vom Erstgericht zwar (inzident) geprüft. Das Gericht des Anerkennungsstaats ist an diese Feststellung aber nicht gebunden, sondern hat die Frage selbständig zu prüfen.31 Gebunden ist der Zweitrichter gem. Art. 36 EuGVO n.F. (Art. 34, 35 EuGVO a.F./LugÜ) nur, wenn feststeht, dass die Entscheidung in den Anwendungsbereich der Regelung fällt.
12.15
Anzuerkennen ist eine Entscheidung auch, wenn das Gericht seine Kompetenz aus der Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung abgeleitet hat.32 In Erwägungsgrund 12 III EuGVO n.F. wird dies ausdrücklich klargestellt.
12.16
28 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 325a ZPO Rz. 17 f.; Stein/Jonas/Althammer, § 325a Rz. 43 ff. 29 So S. Horn, ZVglRWiss 2019, 314, 330 ff; A. Stadler, NJW 2020, 265, 268.. 30 A.A. Th. Klicka/P. Leupold, Deutsche Musterfeststellungsklage und grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung, vbr 2018, 208, 214 f. 31 BGHZ 155, 279, 281 = NJW 2003, 3488 (Schadenersatz wegen Kriegsverbrechen); Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 4; Kropholler/v. Hein, Art. 32 EuGVO Rz. 3; J. Kondring, EWS 1995, 217. 32 Vgl. M. Illmer, IHR 2011, 108, 112 ff.
691
§ 12 Rz. 12.17 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
12.17 Insolvenzrechtliche Entscheidungen eines anderen EU-Staats (ohne Dänemark) werden nach Art. 19, 32 EuInsVO 2015 automatisch in den anderen EU-Staaten anerkannt.33 Gerichtliche Bestätigungen eines englischen solvent scheme of arrangement sind dagegen Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a, 36 I EuGVO nF34 (Art. 32, 33 EuGVO a.F./LugÜ).35 12.18 Nicht anzuerkennen sind Exequaturentscheidungen der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten, da sie von ihrem Inhalt her nur eine territoriale begrenzte Geltungskraft haben.36 Das Gleiche gilt für Exequaturentscheidungen von Drittstaaten.37 Entsprechendes gilt auch für (ausländische) Schiedssprüche sowie für ausländische Entscheidungen, die Schiedssprüche für vollstreckbar erklären oder ihren Inhalt formell neu feststellen (s. Rz. 18.239, 18.273). 12.19 Aus der Tatsache, dass EuGVO bzw. LugÜ die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten regeln, darf nicht geschlossen werden, dass nur solche Entscheidungen anerkannt werden, die auf einem der aufgezählten Gerichtsstände begründet sind. Soweit die EuGVO bzw. das LugÜ die nationalen Zuständigkeitsregelungen der Vertragsstaaten unberührt lässt, werden auch die hierauf gegründeten Entscheidungen anerkannt (s. Art. 6 II, 36 I EuGVO n.F.; Art. 4 II, 33 I, 35 EuGVO a.F./LugÜ). Das gilt selbst dann, wenn weder der Kläger noch der Beklagte seinen Wohnsitz in einem der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten hat oder gehabt hat. Es ist allein entscheidend, dass es sich um eine Entscheidung eines Gerichts eines Mitglied- oder Vertragsstaats handelt. 12.20 Gerichtliche Vergleiche sind zwar keine Gerichtsentscheidungen. Aus praktischen Gründen sind sie aber ebenso wie vollstreckbare Urkunden gem. Art. 58, 59 EuGVO n.F. (Art. 57, 58 EuGVO a.F./LugÜ) für vollstreckbar zu erklären.38 Nicht erfasst sind freilich vollstreckbare Schuldscheine, die nicht öffentlich beurkundet sind.39 Die Verpflichtung aus den Prozessvergleichen bzw. öffentlichen Urkunden wird selbst nicht prozessual, sondern kollisionsrechtlich bzw. materiell-rechtlich anerkannt.
33 Vgl. P. Huber, ZZP 114 (2001), 133, 149 f.; J. Kemper, ZIP 2001, 1609, 1613 f.; H. Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 7; St. Leible/A. Staudinger, KTS 2000, 533, 560 ff. 34 Vgl. D. Schulz, ZIP 2015, 1912. 35 P. Mankowski, WM 2011, 1201, 1204; H. Eidenmüller/T. Frobenius, WM 2011, 1210, 1217; vgl. BGH, NZI 2012, 425, 427 (Rz. 26) (Ch. Paulus) = ZEuP 2013, 132 (R. Bork); BGH, NJW 2012, 2352; R. Rodriguez/P. Gruber, IPrax 2020, 372. 36 Kropholler/v. Hein, Art. 32 EuGVO Rz. 15; Schwartze, unalex Kommentar, Art. 32 Rz. 19; a.A. H. Kall, IHR 2018, 137. 37 BGH, RIW 2009, 721; Geimer/Schütze, Art. 32 EuGVO Rz. 19; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, 1996, S. 691; H. Dolinar, FS Schütze, 1999, S. 187; Kreuzer/Wagner, Q 325; a.A. R. Schütze, FS Spellenberg, 2010, S. 511. 38 Vgl. P. Mankowski, EWS 1994, 379; A. Atteslander-Dürrenmatt, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis, 2006, S. 135 ff.; T. Frische, S. 150 ff. 39 EuGHE 1999, I-3715 (Unibank v Christensen) = IPRax 2000, 409 (dazu R. Geimer, S. 366).
692
I. Europäisches Recht | Rz. 12.25 § 12
3. Anerkennungsverfahren und Anerkennungswirkung Nach Art. 36 I EuGVO n.F. (Art. 33 I EuGVO a.F./LugÜ) wird die in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat ergangene Entscheidung anerkannt, ohne dass es dazu eines besonderen Verfahrens bedarf. Damit hat das europäische Recht die automatische deutsche Lösung übernommen.40 Irgendwelche Ausschließungsgründe haben solange keine Bedeutung, wie es im Anerkennungsstaat nicht zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Es wird auch an der grundsätzlichen Unterscheidung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen festgehalten.
12.21
Bei Bedarf kann die selbständige Feststellung begehrt werden, dass eine ausländische Entscheidung anzuerkennen sei. Ein besonderes Feststellungsinteresse wird nicht gefordert.41
12.22
Nach der Neufassung der EuGVO (Brüssel Ia-VO) sind alle Entscheidungen automatisch europäische Vollstreckungstitel (s. Rz. 14.7 ff.). Entsprechend kann nach Art. 36 II i.V.m. 45, 46 ff. EuGVO n.F. jeder Berechtigte die Feststellung beantragen, dass kein Grund für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist (ergänzend §§ 1115 ff. ZPO). Da Art. 38 lit. b EuGVO n.F. ausdrücklich vorsieht, dass die Feststellung begehrt werden kann, dass die Anerkennung aus einem bestimmten Grund zu versagen ist, ist nunmehr auch ein Antrag auf eine negative Feststellung zulässig.42
12.23
Art. 33 II EuGVO a.F./LugÜ sehen nur für einen positiven Feststellungsantrag ein Beschlussverfahren entsprechend der Vollstreckbarerklärung vor. Eine negative Feststellung kann in diesem Beschlussverfahren nicht begehrt werden.43 Jedoch ist in Deutschland eine allgemeine negative Feststellungsklage (§ 256 I ZPO) zulässig, wenn hierfür ein besonderes Interesse besteht.44 Problematisch ist diese Lösung, soweit nationale Prozessrechte keine negative Feststellungsklage zu diesem Zweck kennen.45 Gegen die positive oder negative Feststellung der Anerkennung ist wie bei der Vollstreckbarerklärung Beschwerde und Rechtsbeschwerde zulässig (s. Rz. 15.59 ff.).
12.24
Die Anerkennung führt dazu, dass einer erneuten Klage zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand im Anerkennungsstaat die Rechtskraft entgegensteht. Eine erneute Klage muss als unzulässig abgewiesen werden. Eine Leistungs-
12.25
40 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 9; J. Braun, S. 33. 41 Kropholler/v. Hein, Art. 33 EuGVO Rz. 4. 42 Schlosser/Hess/Hess, Art. 36 EuGVVO Rz. 9; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 19; Mayr/Neumayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.899; a.A. Wieczorek/Schütze/Loyal, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 45. 43 Kropholler/v. Hein, Art. 33 EuGVO Rz. 7; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., Art. 33 EuGVO Rz. 11; Rauscher/Leible, 3. Aufl., Art. 33 Brüssel I-VO Rz. 13; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 33 Rz. 13 ff.; a.A. R. Geimer, JZ 1977, 146; P. Schlosser, 3. Aufl., Art. 33 Rz. 4; Geimer/Schütze, Art. 33 EuGVO Rz. 85 f.; Burgstaller/ Neumayr, Art. 33 EuGVO Rz. 5. 44 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 33 EuGVO Rz. 11; Kropholler/v. Hein, Art. 33 EuGVO Rz. 7 (aE); a.A. Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 33 Rz. 6. 45 Vgl. J. Braun, S. 40.
693
§ 12 Rz. 12.25 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
klage ist auch unzulässig, wenn die Vorlage der in Art. 37 EuGVO n.F. aufgeführten Urkunden oder die Beschaffung der Urkunden für die Klauselerteilung nach Art. 53 ff. EuGVO a.F./LugÜ vorübergehend Schwierigkeiten macht.46 Dagegen lässt die Praxis verschiedentlich eine neue Klage im Inland zu, wenn der Gegner die Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Urteils bestreitet.47 Da die Anerkennungsfähigkeit im Rahmen des Verfahrens nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ einfach geklärt werden kann, besteht für diese Ausnahme aber kein Bedürfnis.48 Im System der EuGVO n.F. ist für eine solche Klage überhaupt kein Raum.
12.26 Anerkennungsfähig sind auch Prozessurteile hinsichtlich des festgestellten Abweisungsgrundes ohne Bindung zur Hauptsache.49 Ein Prozessurteil, das eine Klage abweist, weil eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines anderen Staats besteht, bindet die Gerichte der anderen EU-Mitgliedstaaten nicht nur hinsichtlich der eigenen verneinten Zuständigkeit, sondern auch hinsichtlich des tragenden Abweisungsgrundes, der bejahten Zuständigkeit des prorogierten Staats. Insoweit gelte ein eigener Rechtskraftbegriff des Unionsrechts. Das Gericht eines weiteren Mitgliedstaats darf daher seine Zuständigkeit nicht mehr bejahen.50 12.27 Neben dem Feststellungsantrag sehen Art. 36 III EuGVO n.F. (Art. 33 III EuGVO a.F./LugÜ)die Möglichkeit vor, dass ein Gericht eines Mitglied- bzw. Vertragsstaats, dessen Entscheidung von der Anerkennung abhängt, inzident über die Anerkennung entscheidet.51 Eine solche Inzidentfeststellung erwächst nicht in Rechtskraft, doch kann über § 256 II ZPO auch eine rechtskraftfähige Zwischenfeststellung verlangt werden.52 12.28 Wie nach § 328 ZPO werden mit der Anerkennung nach der EuGVO bzw. dem LugÜ die ausländischen Entscheidungswirkungen in den Anerkennungsstaat er-
46 47 48 49
P. Baumann, IPRax 1994, 435, 438. So OLG München, RIW 1996, 856. So auch Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, 1996, S. 722. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 2 Rz. 2, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 16; Schlosser/ Hess/Hess, Art. 2 Rz. 2, Art. 36 EuGVVO Rz. 4; Kropholler/v. Hein, Vor Art. 33 EuGVO Rz. 13; Rauscher/Leible, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 8; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 32 Rz. 2; a.A. Geimer/Schütze, Art. 32 EuGVO Rz. 16, 20. Zur Rechtslage in common lawStaaten s. R. Garnett, Recognition of jurisdictional determination by foreign courts, JPIL 15 (2019), 490. 50 EuGH – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung (Rz. 33 ff., 40 ff.), EuZW 2013, 60 (dazu I. Bach, S. 56) = IPRax 2014, 163 (krit. dazu H. Roth, S. 136); OLG Bremen, IPRax 2015, 354 (krit. dazu H. Roth, S. 329); krit. Ch. Althammer/M. Tolani, ZZPInt 19 (2014), 227. Für Ausdehnung dieser Bindung auf andere Unzuständigkeitsentscheide: M. Gebauer, FS Geimer, 2017, S. 103, 113. 51 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 30; Mayr/Neumayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.900. 52 So Th. Rauscher, S. 97; P. Schlosser, Art. 33 Rz. 2, 5; Burgstaller/Neumayr, Art. 33 EuGVO Rz. 8; für bindende Inzidentanerkennung Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 33 Rz. 19.
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.29 § 12
streckt (Theorie der Wirkungserstreckung).53 Die ausländische Entscheidung hat also im Anerkennungsstaat dieselben materiellen Rechtskraftwirkungen, die ihr nach dem Recht des Urteilsstaats beigemessen werden.54 Auch die Rechtskraft nach französischem Recht über „décisions implicites“ ist daher grds. in Deutschland anzuerkennen.55 Bisher wurde angenommen, dass sich der Umfang der Rechtskraftwirkung auch für Entscheidungen, die im Rahmen der neuen europäischen Verordnung ergangen sind, nach dem nationalen Prozessrecht des Entscheidungsstaats bestimmt.56 Im Urteil vom 15.11.2012 hat der EuGH jedoch entschieden, dass der Umfang der Bindung an ein Prozessurteil eines EU-Mitgliedstaats nicht von unterschiedlichen nationalen Vorschriften über die Rechtskraft abhängt, sondern (jedenfalls bei Prozessurteilen) auf einen Rechtskraftbegriff des Unionsrechts abzustellen ist, der auch die tragenden Entscheidungsgründe mit umfasst.57 Mit der Rechtskraft werden auch die Präklusionswirkungen, also der Ausschluss widersprechenden tatsächlichen Sachvortrags erstreckt.58 Ist eine Entscheidung nach nationalem Recht rechtskräftig, bedarf es nach EU-Recht keines Rechtsbehelfs, um sie wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht überprüfen zu können.59 Das englische Recht,60 aber auch das griechische Recht61 kennen darüber hinaus eine Rechtskrafterstreckung auf Vorfragen (präjudizielle Urteilsgründe) (issue estoppel, 53 EuGH – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung v Samskip (Rz. 34), EuZW 2013, 60; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 12; Linke/Hau, IZVR, Rz. 12.6; Mayr/Neumayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.907; Geimer/Schütze, Art. 33 EuGVO Rz. 1, 11; Rauscher/Leible, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 3 f.; Schlosser/Hess/Hess, Art. 36 Rz. 2; Kropholler/v. Hein, Vor Art. 33 EuGVO Rz. 9; M. Jametti Greiner, S. 21 ff.; auch Musielak/Voit/Stadler, § 328 ZPO Rz. 33; zweifelnd Burgstaller/Neumayr, Art. 33 EuGVO Rz. 9 ff.; krit. Wieczorek/Schütze/Loyal, Art. 36 Brüssel IaVO Rz. 16 ff.; für ein Dreischrittmodell M. Peiffer Rz. 153 ff. 54 Vgl. BGH, FamRZ 2008, 40; R. Wendt, ErbR 2011, 5, 14 f.; M. Peiffer, Rz. 232 ff.; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 33 Rz. 12; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 33 Rz. 27 f. 55 Vgl. R. Stürner, FS Schütze, 1999, S. 913, 927; B. Kössinger, S. 142 ff. 56 R. Freitag, FS Kropholler, 2008, S. 759, 771 ff.; S. Sepperer, Der Rechtskrafteinwand in den Mitgliedstaaten der EuGVO, 2010; A. Zeuner, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1587. 57 EuGH – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung v Samskip (Rz. 39 ff.), EuZW 2013, 60 (dazu I. Bach, S. 56); abl. T. Koops, IPRax 2019, 11; vgl. F. Ferrand, Res judicata, FS Gottwald, 2014, S. 143. 58 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Kropholler/v. Hein, Vor Art. 33 EuGVO Rz. 14; Th. Rauscher, IPR Rz. 2412; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 33 Rz. 23. 59 EuGHE 2006, I-2585 (Kapferer v Schlank & Schick) = RIW 2006, 690 (Rz. 21 ff.). 60 A. Zuckerman, Civil Procedure, 3rd ed. 2013, Rz. 25.83, 254.86 et seq; P. Barnett, Res judicata, Estoppel, and Foreign Judgments, 2001; vgl. C. F. Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europäischen Union, 2009, S. 236 ff. 61 P. Yessiou-Faltsi, Civil Procedure in Hellas, 1995, Rz. 269; K. Beys, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im hellenischen Recht, in Prozessuales Denken aus Attika, 2000, S. 488, 497.
695
12.29
§ 12 Rz. 12.29 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
collateral estoppel). Voraussetzung für eine Bindung ist, dass diese Vorfrage im Vorprozess entscheidungserheblich war und die Parteien deshalb Anlass hatten, dazu umfassend vorzutragen.
12.30 Da der deutsche Gesetzgeber die Rechtskraft auf die Entscheidung über den Streitgegenstand beschränkt und für eine Erweiterung die Zwischenfeststellungsklage (§ 256 II ZPO) vorgesehen hat, wird häufig die Ansicht vertreten, eine Wirkungserstreckung sei insoweit dem deutschen Recht wesensfremd und könne daher nicht anerkannt werden.62 Freilich kennt auch das deutsche Recht eine Vorfragenbindung bei der Aufrechnung (§ 322 II ZPO). Entscheidend sollte daher nicht die im Ausland gar nicht vorgesehene Stellung eines Zwischenfeststellungsantrags sein, sondern das Vorliegen einer echten Vorfrage und der Streit darüber im Vorprozess.63 Unter diesen Voraussetzungen ist eine Vorfragenbindung anzuerkennen.64 12.31 Nach der Gegenmeinung ist die Wirkungserstreckung durch den Gedanken der Gleichstellung zu beschränken (sog Kumulationstheorie65); die Wirkungen einer ausländischen Entscheidung können danach nicht über die einer inländischen hinausgehen. Diese Lösung ist aber zu eng und mit der Idee einer echten Freizügigkeit von Entscheidungen in der EU kaum zu vereinbaren. Angemessener erscheint daher, alle prozessualen Wirkungen einer Entscheidung anzuerkennen, sofern diese nicht gegen den nationalen ordre public (Art. 45 I lit. a EuGVO n.F., Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) verstoßen. 12.32 Neuerdings findet sich auch die Ansicht, man müsse als Folge der Kernpunkttheorie des EuGH zu Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVO; Art. 29 EuGVO n.F.) auch eine einheitliche Rechtskraftkonzeption für den europäischen Justizraum entwickeln,66 wobei die Rechtskraft dann nach französischem oder englischem Vorbild auch präjudizielle Rechtsverhältnisse erfassen müsse.67 12.33 Urteile, die aufgrund einer Garantieklage ergangen sind, werden in Deutschland anerkannt und für vollstreckbar erklärt, obgleich der Gerichtsstand der Klage auf Gewährleistung nach Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) in Deutschland nicht geltend gemacht werden kann (vgl. Art. 65 EuGVO bzw. 1. Protokoll zum LugÜ Art. II). 62 R. Geimer, IZPR, Rz. 2780 ff.; wohl auch Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 33 Rz. 27. 63 G. Fischer, FS Henckel, S. 199, 209; D. Martiny, HdbIZVR, Rz. 382; P. Schlosser, Rec d Cours 284 (2000), 41 f.; P. Gottwald, FS Musielak, 2004, S. 183, 191; Hk-ZPO/Dörner, § 328 Rz. 7. 64 M. Peiffer, Rz. 254 ff. 65 Dafür H. Schack, IZVR, Rz. 881 ff.; Geimer/Schütze/Wolf, Art. 26 Rz. 5; Roth in Stein/ Jonas, § 328 ZPO Rz. 8. 66 S. Böhm, Der Streitgegenstandsbegriff des EuGH, in Bajons/Mayr/Zeiler, Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano, 1997, S. 141, 155 ff.; vgl. auch P. Gottwald, Symposium Schwab, 2000, S. 85, 95 ff. Gegen einen einheitlichen europäischen Streitgegenstand M. Peiffer, Rz. 289. 67 M. Koch, Unvereinbare Entscheidungen, 1993, S. 160 ff.
696
I. Europäisches Recht | Rz. 12.38 § 12
Entsprechendes gilt für Interventions- und Streitverkündungswirkungen nach österreichischem, schweizerischem oder spanischem Recht, umgekehrt für die Wirkungen nach §§ 68, 74 ZPO in den anderen EuGVO bzw. LugÜ-Staaten.68
12.34
Wegen der Tatbestandswirkungen gilt dasselbe wie zum autonomen deutschen Recht (s. Rz. 12.150 f.). Die ausländische Entscheidung hat auch dieselbe Gestaltungswirkung, die sie im Urteilsstaat entfaltet, und zwar ohne Rücksicht auf das angewandte materielle Recht.69 Dies alles folgt aus der Freizügigkeit der Entscheidungen innerhalb des Gebietes der Vertragsstaaten.
12.35
Anzuerkennen sind grds. alle prozessualen Wirkungen, die eine Entscheidung im Ursprungsstaat hat. Ausgenommen sind nur (eher theoretisch denkbare) Wirkungen, die dem Anerkennungsstaat völlig unbekannt bzw. wesensfremd sind70 oder die seinen ordre public verletzen.
12.36
4. Versagung der Anerkennung a) EuGVO n.F. Nach Art. 36 EuGVO n.F. wird jede Entscheidung i.S.d. Art. 2 lit. a EuGVO n.F. automatisch anerkannt. Nach Art. 45 I EuGVO n.F. kann ein Berechtigter beantragen, dass festgestellt wird, dass die Anerkennung wegen Bestehen eines Versagungsgrundes nach Art. 45 I EuGVO n.F. zu versagen ist. Für das Verfahren gelten nach Art. 45 IV EuGVO n.F. die Art. 46 ff., 52 ff. EuGVO n.F. über die Versagung der Vollstreckung.
12.37
b) EuGVO a.F./LugÜ Sämtliche Anerkennungsvoraussetzungen der Art. 34, 35 EuGVO a.F./LugÜ werden nicht mehr von Amts wegen, sondern nur auf Einrede, d.h. erst auf Rechtsbehelf des Gegners in zweiter Instanz geprüft. Für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung folgt dies aus Art. 41 EuGVO a.F./LugÜ; für das (selbständige) Anerkennungsverfahren kann nichts anderes gelten.71 Art. 34 EuGVO a.F./LugÜ formulieren die Versagungsgründe als Anerkennungshindernisse. Deshalb hat diejenige Partei den Versagungsgrund zu beweisen, die sich gegen die Anerkennung wehrt.72 Nur im Anwendungsbereich von EuGVÜ und des LugÜ 1988 bleibt es bei der Prüfung von Amts wegen (bereits in erster Instanz). 68 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 33 Rz. 12; M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 171 ff., 194 ff. 69 Kropholler/v. Hein, Vor Art. 33 EuGVO Rz. 15; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 173 ff.; Rauscher, IPR Rz. 2412; Schlosser/Hess/Hess, Art. 36 EuGVVO Rz. 5; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 33 Rz. 13; Hk-ZPO/Dörner, Art. 36 EuGVVO Rz. 6. 70 Krit. Wieczorek/Schütze/Loyal, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rz. 24. 71 Rauscher/Leible, 3. Aufl., Art. 34 Brüssel I-VO Rz. 3; wohl auch Kropholler/v. Hein, Vor Art. 33 EuGVO Rz. 6. 72 Kropholler/v. Hein, Vor Art. 33 EuGVO Rz. 7; Rauscher/Leible, 3. Aufl., Art. 34 Brüssel IVO Rz. 3.
697
12.38
§ 12 Rz. 12.39 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
c) Versagungsgründe (1) Ordre public-Verstoß
12.39 Art. 45 I lit. a EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) enthalten den Vorbehalt des ordre public des Anerkennungsstaats. Die Anerkennung darf der öffentlichen Ordnung des Staats, in dem sie geltend gemacht wird, nicht offensichtlich widersprechen (zur parallelen Regel des § 328 I Nr. 4 ZPO s. Rz. 12.190 ff.). Dies ist nur ausnahmsweise der Fall, wenn die Entscheidung wesentliche Rechtsgrundsätze missachtet („ordre public international“). Innerhalb der EU ist der ordre public nicht mehr rein national zu verstehen, vielmehr ist ein gemeineuropäischer Rahmen zu beachten.73 Innerhalb dieses Rahmens kann der ordre public-Verstoß Folge der materiellen Rechtsanwendung oder des tatsächlich befolgten Verfahrens sein. 12.40 Das Anerkennungsgericht prüft den ordre public-Verstoß zwar von Amts wegen, der Antragsgegner hat aber die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen.74 12.41 Bei Fragen der materiellen Rechtsanwendung ist ein liberaler Standpunkt anzulegen. Nicht jede national unzulässige Regelung verstößt daher gegen den ordre public.75 Wird jemand als Bürge zur Zahlung verurteilt, obwohl der Bürgschaftsvertrag nach § 138 BGB nichtig wäre, so scheitert die Anerkennung des Urteils nur, wenn der Bürge wegen besonders krasser struktureller Unterlegenheit zum wehrlosen Objekt der Fremdbestimmung gemacht würde und auf unabsehbare Zeit auf das Existenzminimum der Pfändungsfreigrenzen verwiesen würde.76 Ein Prozessbetrug löst den ordre public-Vorbehalt nur ausnahmsweise aus, wenn im Urteilsstaat kein angemessenes Verfahren zur Geltendmachung vorgesehen ist.77 Dies gilt nicht bei der Erwirkung eines Versäumnisurteils durch vorsätzlich falschen Prozessvortrag, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren nicht eingelassen hat.78 Die Höhe einer Schadenersatzpflicht als solche führt nicht zu einem ordre public Verstoß, auch wenn sie zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen führt.79 Eine nicht am Streitwert aus73 EuGH – C-559/14, ECLI:EU:C:2016:349 – Rudolfs Meroni (Rz. 39 f.), RIW 2016, 424 = EuZW 2016, 713 (G. Mäsch); E. Jayme, Nationaler ordre public und europäische Integration, 2000; Mayr/Neumayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.910; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 12; Magnus/Mankowski/Franq, Art. 45 Rz. 15; Wieczorek/Schütze/Haubold, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff.; R. Stürner, Festgabe BGH, Bd. 3, 2000, S. 677, 687 ff.; M. Renfert, Über die Europäisierung der ordre public-Klausel, 2003; a.A. wohl D. Leipold, FS H. Stoll, S. 625, 633. 74 BGH, WM 2012, 1445 (Rz. 9); BGH, IPRspr. 2015 Nr. 258, 664 (Rz. 8). 75 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 16 ff.; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 15 ff.; Magnus/Mankowski/Franq, Art. 45 Rz. 21. 76 BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = IPRax 1999, 371 (dazu G. Schulze, S. 342); vgl. D. Leipold, FS H. Stoll, S. 625, 628 f.; U. Becker, S. 146 ff.; H. Dörner, FS Sandrock, 2000, S. 205. 77 BGH, WM 2014, 1295 (Rz. 6) = NJW 2014, 2365; BGH, IPRspr. 2015 Nr. 258, S. 664 (Rz. 10); W. Hau, IPRax 1996, 322, 333 f. 78 BGH, NJW 2004, 2386, 2388. 79 EuGH – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 – flyLAL, RIW 2014, 830, 834 (Rz. 53 ff.).
698
I. Europäisches Recht | Rz. 12.46 § 12
gerichtete, sondern nach dem konkreten zeitlichen Aufwand berechnete Vergütung eines ausländischen Rechtsanwalts verstößt generell nicht gegen den ordre public.80 Nicht ordre public-widrig ist die Verurteilung zur Leistung auf eine verjährte Forderung.81 Eine Pflicht zur Einlegung von Rechtsbehelfen ist nur bei Nr. 2 (bzw. lit. b), nicht bei Nr. 1 (bzw. lit. a) vorgesehen. Hat der Beklagte aber einen Rechtsbehelf eingelegt, mit dem der behauptete Prozessbetrug beseitigt werden kann, so steht Nr. 1 der Anerkennung (und Vollstreckbarerklärung) des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils nicht entgegen.82
12.42
Zu beanstanden sind Verstöße gegen EU-Wettbewerbsrecht,83 wucherische Zinsen, nicht aber eine Währungssicherungsklausel in einem ausländischen Urteil,84 auch nicht die Anerkennung von Schutzrechten an Kfz-Karosserieteilen, die andere Marktteilnehmer am Import hindern.85
12.43
Die Verurteilung zum Bedauern einer unrichtigen Berichterstattung (über den Widerruf oder eine Richtigstellung hinaus) verletzt den Erklärenden in seiner negativen Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG und verstößt daher gegen den (deutschen) ordre public.86
12.44
Anzuerkennen ist ein Urteil über ein am Gerichtsort zulässiges Erfolgshonorar.87 Die Verurteilung zu einer nach zeitlichem Aufwand konkret berechneten Anwaltsvergütung eines ausländischen Rechtsanwalts ist grundsätzlich mit dem deutschen ordre public vereinbar.88 Wird der Kläger dazu verurteilt, dem Beklagten über die Prozesskosten hinaus einen Pauschbetrag für nicht näher bestimmte Nachteile zu erstatten, verstößt dies nicht gegen den ordre public.89 Die Verurteilung einer Nichtpartei zu den Verfahrenskosten ist ebenfalls mit dem ordre public vereinbar, wenn dies durch konkrete Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.90 Selbst die Bejahung einer unbeschränkten Reederhaftung wegen Eigenverschuldens verstößt nicht gegen den deutschen ordre public.91
12.45
Eine Sicherung eines Gläubigers durch eine Worldwide Asset Freezing Order, die dem Schuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen innerhalb der deutschen
12.46
80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91
BGH, ZIP 2014, 1131, 1132 (Rz. 8) = IPRax 2015, 569 (dazu M. Stürner, S. 535). Hoge Raad Den Haag, EuZW 2018, 741 (O. Seggewisse/N. C. Faber). BGH, NJW 2014, 2365 (Rz. 6). EuGHE 1999, I-3055 (Eco Swiss) = EuZW 1999, 345; B. Hess, EuZPR, § 6 Rz. 206; vgl. B. Kasolowsky/M. Steup, IPRax 2011, 96. BGH, [1994] ILPr 703. EuGHE 2000, I-2973 (Renault v Maxicar) = NJW 2000, 2185 = ZZPInt 5 (2000), 248 (J. Fritzsche) = IPRax 2001, 328 (dazu B. Heß, S. 301). BGH, NJW 2018, 3254 (Rz. 17 ff.) (M. Klöpfer/P. Ramić). Ch. Pisani, IPRax 2001, 293, 297. BGH, MDR 2014, 989 (Rz. 8) = IPRax 2015, 569 (dazu M. Stürner, S. 535). BGH, IPRax 2018, 432 (dazu H. Wais, S. 397). BGH, NZI 2014, 723 (Rz. 9) = IPRax 2015, 569 (dazu M. Stürner, S. 535). OLG Hamburg, RIW 1995, 680.
699
§ 12 Rz. 12.46 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Pfändungsfreigrenzen belässt, ist mit dem ordre public vereinbar. Das OLG Nürnberg meint, nach Vollstreckbarerklärung und Vollzug im Inland habe die Order Folgen, die dem dinglichen Arrest entsprechen.92 Aber dies ist nicht der Fall. Eine freezing order wirkt nur in personam und führt nicht zu einer dinglichen Beschlagnahme.93
12.47 Die Reaktion auf das ausländische Urteil muss verhältnismäßig sein, d.h. nur exzessive Teile einer ausländischen Entscheidung dürfen der Kontrolle zum Opfer fallen.94 Dennoch ist der BGH der Ansicht, dass es gegen den deutschen ordre public verstößt, wenn jemand, der nach § 105 I SGB VII (früher §§ 636, 637 RVO) wegen des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes von persönlicher Haftung befreit ist, im Ausland zum Schadenersatz verurteilt wird.95 12.48 Urteile, die gegen EU-Gemeinschaftsrecht, etwa mittelbar wirkende EU-Richtlinien verstoßen, können nicht allein deshalb als ordre public-widrig beanstandet werden.96 Der ordre public ist allenfalls berührt, wenn das ausländische Gericht eine rechtswahlfeste Norm, die eine EU-Richtlinie durchführt, z.B. das Widerrufsrecht nach § 312 BGB, nicht beachtet.97 12.49 Bei dem Urteil, ob ein Verfahrensfehler zur ordre public-Widrigkeit der Entscheidung geführt hat, ist der Maßstab des Art. 6 I EMRK98 bzw. des Art. 47 II EUGrundrechte-Charta99 zu beachten. Fragen des rechtlichen Gehörs und der Unvereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit einer bereits im Anerkennungsstaat ergangenen Entscheidung werden allerdings bereits durch Art. 45 I lit. b und lit. c EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 und Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) erfasst und daher zu einem großen Teil aus dem Bereich des ordre public ausgeklammert. Andere gravierende Verfahrensverstöße können aber zur Versagung der Anerkennung der ausländischen Entscheidung führen, wenn das fragliche Verfahren nicht mehr als geordnetes rechtsstaatliches Verfahren angesehen werden kann.100 Dies ist nicht der Fall, wenn ein ausländischer Titel trotz Einlegung eines Rechtsbehelfs vorläufig vollstreck92 OLG Nürnberg, WM 2010, 700 (Rz. 47 ff.) = IHR 2011, 215. 93 A. Zuckerman, On Civil Procedure, 3rd ed. 2013, para 10.233 et seq; vgl. auch Ch. Heinze, RIW 2003, 922, 929. 94 Vgl. J. Basedow, IPRax 1994, 85, 86. 95 BGHZ 123, 268 = NJW 1993, 3269; krit. J. Basedow, IPRax 1994, 85; U. Haas, ZZP 108 (1995), 219, 226 ff.; R. Stürner, Festgabe BGH, Bd. 3, S. 677, 691; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 140 ff. 96 A. Baumert, S. 251 ff. 97 A. Baumert, S. 271 ff. 98 Vgl. Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 25; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 36 ff.; N. Trocker, Procedural differences, ordre public and recognition of foreign judgments, in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency ..., 2011, 273, 282 ff. 99 EuGH – C-619/10, ECLI:EU:C:2012:531 – Trade Agency Ltd., RIW 2012, 781 = IPRax 2013, 427 (dazu H. Roth, S. 402); EuGH – C-559/14, ECLI:EU:2016:349 – Rudolfs Meroni (Rz. 44), RIW 2016, 424. 100 BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816, 1818 (D. Henrich).
700
I. Europäisches Recht | Rz. 12.51 § 12
bar ist.101 Ordre public-widrig ist z.B. die Anerkennung eines durch Betrug erschlichenen Urteils.102 Eine fehlende Entscheidungsbegründung ist dann ordre publicwidrig, wenn die 9tscheidungsgrundlage nicht ermittelbar ist.103 Der Erlass einer Sachentscheidung unter Verstoß gegen eine frühere Rechtshängigkeit im Anerkennungsstaat ist nicht als ordre public Verstoß anzusehen.104 Mit dem ordre public vereinbar ist es, wenn eine einstweilige Anordnung eines Verfügungsverbotes ohne Zustellung an die Betroffenen erlassen wird, aber erst mit Parteizustellung an diese wirksam werden soll und den Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt wird, ein Rechtsmittel gegen die Anordnung einzulegen bzw. deren Abänderung zu beantragen.105 Ordre public-widrig ist ein Urteil, wenn der Anwalt des Schuldners nicht zur Vertretung zugelassen wurde, weil dieser (im Strafverfahren) nicht persönlich erschienen war.106 Gleiches gilt für eine Entscheidung, wenn im Verfahren die für die Partei bestimmten Schriftstücke nur zur Gerichtsakte genommen wurden und dies als fiktive Zustellung behandelt wurde, weil die Partei keinen Zustellungsbevollmächtigten im Gerichtsstaat bestellt hatte.107 Ein Ausschluss des verurteilten Prozessgegners wegen contempt of court ist nur dann mit dem ordre public vereinbar, wenn es sich um eine verhältnismäßige Maßnahme handelt.108 Ordre public-widrig ist es, dem Beklagten eine Zweitagesfrist für die Einzahlung des Kostenvorschusses für das Berufungsverfahren zu setzen und einen Fristverlängerungsantrag abzulehnen.109 Kein ordre public-Verstoß liegt darin, dass ein ausländisches erstinstanzliches Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist.110
12.50
Die Anerkennung einer Unterhaltsentscheidung zugunsten eines nichtehelichen Kindes verstößt gegen den ordre public, wenn die Unterhaltspflicht zusammen mit der
12.51
101 So für den ital. Zahlungsbefehl G. Kayser/S. Dornblüth, ZIP 2013, 57, 59. 102 BGH, IPRax 1987, 236 (dazu W. Grunsky, S. 219); E. Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 232; einschränkend Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 40. 103 BGH v. 10.9.2015 – IX ZB 39/13 – Rz. 22 ff., MDR 2015, 1265 = IPRax 2019, 66; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 20; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 44; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 29. 104 EuGH – C-386/17, ECLI:EU:C:2019:24 – Liberato v Grigorescu, FamRZ 2019, 1164 (J. v. Hein/N. Grohmann). 105 EuGH – C-559/14, ECLI:EU:C:2016:349 – Rudolfs Meroni (Rz. 49 f.), RIW 2016, 424 = EuZW 2016, 713 (G. Mäsch). 106 EuGHE 2000, I-1935 (Krombach v Bamberski) = NJW 2000, 1853 = ZZPInt 5 (2000), 219 (K. A. v. Sachsen-Gessaphe) = ZIP 2000, 859 (R. Geimer) = JZ 2000, 720 (Ch. v. Bar) = IPRax 2000, 406 (dazu A. Piekenbrock, S. 364); BGHZ 144, 390 = NJW 2000, 3289 = JZ 2000, 1067 (N. Gross); EGMR, IPRax 2001, 454 (dazu F. Matscher, S. 428); vgl. Y. Donzallaz, AJP/PJA 10 (2001), 160; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 126 ff. 107 BGH v. 10.9.2015 – IX ZB 39/13, Rz. 13 ff., MDR 2015, 1265 = IPRax 2019, 66 (dazu A. Golab, S. 3). 108 EuGHE 2009, I-2563 (Gambazzi v Daimler Chrysler) = IPRax 2010, 164 (dazu G. Cuniberti, S. 148). 109 BGH, WM 2010, 1522 (Rz. 5 ff.) = EuZW 2010, 960. 110 BGH v. 17.9.2015 – IX ZB 47/14, Rz. 7 ff., ZInsO 2015, 2291.
701
§ 12 Rz. 12.51 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Vaterschaft festgestellt wurde und die Vaterschaft ihrerseits ordre public-widrig festgestellt wurde (Feststellung nur aufgrund eines Zeugnisses vom Hörensagen trotz Untersuchungsbereitschaft des Beklagten).111
12.52 Eine Rüge eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public ist aber grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die beschwerte Partei nicht alle im Verfahren vor dem Ursprungsgericht statthaften, zulässigen und zumutbaren Rechtsmittel ausgeschöpft hat, um den Mangel zu beseitigen.112 12.53 Soweit es um die Zuständigkeit des Erstrichters geht, besteht nach EuGVO/LugÜ grds. eine Bindung des Zweitrichters an die Entscheidung des Erstrichters. Die Ausnahmen gem. Art. 45 I lit. e EuGVO n.F. (Art. 35 I EuGVO a.F./LugÜ) beziehen sich auf die Gerichtsstände für Versicherungssachen,113 Verbrauchergeschäfte, Streitigkeiten aus individuellen Arbeitsverträgen und auf die (kraft Gesetzes) ausschließlichen Zuständigkeiten.114 Im Übrigen haben die Zivilprozessordnungen der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten so vieles gemeinsam, dass danach ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren grds. gewährleistet ist. Immerhin könnte die Verletzung des rechtlichen Gehörs Veranlassung geben, die Entscheidung des Erstrichters wegen Verstoßes gegen den ordre public des Anerkennungsstaats nicht anzuerkennen. Wer fehlerhaft zur Verhandlung an einem nicht existierenden Tag geladen wird, ist verpflichtet, beim Gericht um Aufklärung nachzusuchen. Unterlässt er dies, kann er sich nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs berufen.115 Ein Urteil ohne jede (ggf. in der Verhandlung mündlich gegebene) Begründung verstößt gegen den ordre public.116 Die Zurückweisung des Aufrechnungseinwands verletzt dagegen nicht tragende Grundsätze des deutschen Rechts.117 Auch Fehler bei der Urteilszustellung118 oder das Fehlen eines Rechtsmittels119 tangieren nicht den ordre public. 12.54 Gegen den deutschen ordre public verstößt auch der indirekte Eingriff in die deutsche Justizhoheit durch eine sog. anti-suit injunction, mit der einer Partei Klageerhebung oder Fortsetzung eines Prozesses im Inland untersagt werden.120 111 BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816 (D. Henrich). 112 BGHZ 191, 9 = FamRZ 2011, 1568 (B. Heiderhoff); BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816. 113 BGH, NZI 2012, 425 = ZEuP 2013, 132 (krit. R. Bork). 114 R. Schütze, AWD 1974, 429. 115 BGH, MDR 2002, 108 = IPRax 2002, 395 (dazu R. Geimer, S. 378) = NJW-RR 2002, 1151. 116 So für Frankreich; Cour d’appel Poitiers (1996) ILPr 104. 117 OLG Frankfurt, IPRax 1999, 460 (dazu W. Hau, S. 437). 118 Cour de Cass. [2001] ILPr 717, 718. 119 OLG Düsseldorf, RIW 2001, 620; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 21. 120 EuGHE 2004, I-3565 (Turner v Grovit) = IPRax 2004, 425 (dazu Th. Rauscher) = RIW 2004, 541 (dazu J. Krause, S. 533) = ZEuP 2005, 428 (A. Dutta/Ch. Heinze); Rauscher/ Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 23; M. Maack, Englische antisuit injunctions, S. 156 ff., 186; im Erg. auch R. Geimer, IZPR, Rz. 1014, 2792 (keine Sachentscheidung); Burgstaller/ Neumayr, Art. 34 Rz. 13; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 32; Schlosser/Hess/Hess, Art. 45 EuGVVO Rz. 12.
702
I. Europäisches Recht | Rz. 12.58 § 12
Ob die Anerkennung gegen den ordre public verstößt, ist nach der Rechtslage zu dem Zeitpunkt zu entscheiden, zu dem die Anerkennung geltend gemacht wird.121
12.55
(2) Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Verfahrenseinleitung Als Unterfall des allgemeinen ordre public von besonderer Bedeutung ist der Vorbehalt des Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ 2007), wenn sich der Beklagte auf das Verfahren nicht eingelassen hat. Er findet auch Anwendung, wenn für den Beklagten ein angeblicher Vertreter erschienen ist und deshalb kein Versäumnisurteil erging.122 Dieser Versagungsgrund spielte in der bisherigen Praxis die größte Rolle. Die Anerkennung ist zu versagen, wenn dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt wurde.
12.56
Nach der früheren Fassung gem. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ 1988 war Versagungsgrund, dass dem Beklagten, der sich nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden war, dass er sich verteidigen konnte. Diese Fassung liegt der derzeitigen Fassung von § 328 I Nr. 2 ZPO zugrunde. Ordnungsgemäß war die Zustellung, wenn sie dem Abkommen entsprach, dass zwischen dem Urteilsstaat und dem Wohnsitzstaat des Beklagten bestand.123
12.57
Diese kumulativen Erfordernisse ordnungsgemäßer und rechtzeitiger Zustellung (ohne Heilungsmöglichkeit) führten zu ungerechten Ergebnissen, wenn die Klage tatsächlich und rechtzeitig, aber formell fehlerhaft zugestellt war. Der Mangel wurde also nicht dadurch irrelevant, dass der Beklagte das Schriftstück tatsächlich so rechtzeitig erhalten hatte, dass er sich verteidigen konnte.124 In solchen Fällen war der Beklagte nicht verpflichtet, sich am Erstverfahren zu beteiligen, auch wenn ihm dies möglich gewesen wäre.125 Zu Recht wurde eingewandt, ein solches Verständnis verletze den Justizgewährungsanspruch des Klägers, der objektive Fehler der Zustellbehörden weder vermeiden noch überhaupt erkennen könne.126 Der Beklagte könne eine Versagung der Anerkennung daher nur verlangen, wenn er alle ihm im Erststaat zur Verfügung stehenden Mittel vergeblich ausgeschöpft habe, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.127
12.58
121 OLG Köln, NJW-RR 1995, 446; Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rz. 10; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 9; teilweise a.A. Geimer/Schütze, Art. 34 EuGVO Rz. 39. 122 EuGHE 1996, I-4943 (Rz. 21) (Hendrikman u Feyen v Magenta Druck) = NJW 1997, 1061 = ZZPInt 2 (1997), 136 (H. Roth); Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 9a. 123 EuGHE 2005, I-8639 (Scania Finance France) = IPRax 2006, 157 (dazu A. Stadler, S. 116). 124 EuGHE 1990, 2725 (Lancray v Peters) = RIW 1990, 927 = IPRax 1991, 177 (dazu Th. Rauscher, S. 155); BGH, RIW 1990, 101. 125 EuGHE 1996, I-4943, 4967 (Hendrikman v Magenta Druck) = NJW 1997, 1061; BGH, NJW 1993, 2688, 2689. 126 Geimer/Schütze, Art. 34 EuGVO Rz. 81 f. 127 R. Geimer, IPRax 1988, 271, 273 f.
703
§ 12 Rz. 12.59 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
12.59 Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) tragen dieser Kritik voll Rechnung. Danach wird eine Entscheidung eines EU- bzw. LugÜ-Staats nur dann nicht anerkannt, wenn „dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte“.
12.60 Entscheidend ist danach primär die Rechtzeitigkeit der Zustellung (i.d.R. wenigstens drei Wochen vor dem Termin).128 Verstöße gegen die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung (nach der neuen Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1393/2007) (s. Rz. 8.54 ff.) sind kein Versagungsgrund mehr, solange der Beklagte Kenntnis vom Verfahren erlangt hat und die Möglichkeit hatte, sich zu verteidigen.129 Schwerwiegende Zustellungsmängel sind aber ein Indiz dafür, dass das rechtliche Gehör nicht gewährt wurde.130 Nur insoweit ist noch eine gewisse Förmlichkeit garantiert. Eine ordnungsgemäße Zustellung indiziert freilich, dass der Beklagte ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten hatte.131 Ein Versagungsgrund liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn sich der Beklagte tatsächlich sachlich auf das Verfahren eingelassen hat und Gelegenheit zur Verteidigung erhalten hat.132 12.61 Die Rechtzeitigkeit richtet sich allein danach, ob sich der Beklagte aus der Sicht des Vollstreckungsstaats nach den konkreten Umständen des Einzelfalls tatsächlich verteidigen konnte;133 ein Verstoß gegen Regeln des Urteilsstaats ist lediglich ein Indiz für fehlende Rechtzeitigkeit.134 Dies gilt vor allem für die Fälle fiktiver Zustellung. Eine Zustellung per remise au parquet ist zwischen den EU-Mitgliedstaaten aber nicht mehr zulässig. Die Möglichkeit rechtzeitiger Verteidigung setzt nicht voraus, dass der Beklagte tatsächlich Kenntnis von Klageschrift und Ladung hatte. 12.62 An der Verteidigungsmöglichkeit fehlt es zwar tatsächlich bei einer öffentlichen Zustellung. Sofern deren Voraussetzungen nach nationalem Recht vorliegen, kann der Beklagte jedoch im Anerkennungsstaat nicht eine Verletzung seines Rechts auf Gehör einwenden.135 Voraussetzung ist aber, dass sich das Gericht vor der Bewilligung 128 Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 34, 48 ff. (für Einzelfallbetrachtung). 129 A. Markus, SZW 1999, 205, 218; H. Roth, FS Gerhardt, S. 799, 802; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 35; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 63 ff.; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 46 ff. 130 BGH, IPRax 2008, 530 (dazu H. Roth, S. 501); vgl. Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 52 ff. 131 Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rz. 39; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 45. 132 BGH, NJW 2014, 2365 (Rz. 4); BGHZ 191, 9, 14 (Rz. 13), 16 (Rz. 19 ff.) = FamRZ 2011, 1568 (B. Heiderhoff) = NJW 2011, 3103. 133 BGH, NJW 2008, 1531; OLG Koblenz, RIW 1991, 860/61. 134 EuGHE 1985, 1779 (Debaecker v Bouwman) = RIW 1985, 967; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 35. 135 Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 58; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 46; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 217 f.
704
I. Europäisches Recht | Rz. 12.64 § 12
der öffentlichen Zustellung vergewissert hat, dass alle nach Treu und Glauben gebotenen Nachforschungen nach dem Aufenthalt des beklagten vergeblich waren.136 Außerdem wird regelmäßig vermutet, dass eine Zustellung an die letzte bekannte Adresse rechtzeitig erfolgt, wenn die neue Adresse des Beklagten unbekannt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, ob der Beklagte nach „Unbekannt“ verzogen ist, obwohl er vertraglich verpflichtet war, einen Wohnsitzwechsel mitzuteilen.137 Eine Zustellung per remise au parquet ist zwischen den EU-Mitgliedstaaten unzulässig und wäre daher als Verstoß gegen Art. 45 I lit. b anzusehen. .138 Gleiches gilt für eine fiktive Inlandszustellung zu den Gerichtsakten, wenn der ausländische Beklagte keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten bestellt.139 Eine rein informelle Mitteilung durch einen Prozessbeteiligten oder seinen Bevollmächtigten eröffnet in keinem Fall eine Verteidigungsmöglichkeit.140 Trotz faktischer Übermittlung der Klage entfällt die Verteidigungsmöglichkeit, wenn die Klage in einer nicht verstehbaren Fremdsprache (ohne Übersetzung) zugeht141 oder grob irreführende Mitteilungen über das tatsächlich anhängige Verfahren erfolgen, ohne dass ausreichend Zeit besteht, sich Klarheit zu verschaffen.142 Ein Mangel wird aber durch nachträgliche Zustellung einer Übersetzung geheilt143 (s. jetzt Art. 8 III EuZVO).
12.63
Selbst fehlende Rechtzeitigkeit schließt die Anerkennung aber nicht aus, wenn sich der Beklagte nicht am Verfahren beteiligt und keinen Rechtsbehelf (Berufung, Einspruch, Antrag auf Wiedereinsetzung144) einlegt, obwohl die Möglichkeit dazu besteht. Dies gilt vor allem, wenn die Entscheidung des Erstgerichts, insb. ein Versäumnisurteil, zugestellt wird. Ob eine Rechtsbehelfsmöglichkeit besteht, richtet sich nach dem Recht des Urteilsstaates.145 Zusätzlich muss dieser Rechtsbehelf als zulässig behandelt worden sein und müsste eine vollständige Überprüfung der Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ermöglicht haben.146 Die Zustellung muss so rechtzeitig erfolgen, dass sich der Beklagte vor dem Gericht des Ursprungsstaats den
12.64
136 EuGH – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 – G v de Visser (Rz. 55 ff.), EuZW 2012, 381 (I. Bach) = IPRax 2013, 341. 137 EuGH – C-327/10, ECLI_EU:C:2011:745 – Hypotečni banka (Rz. 36 ff.), RIW 2012, 158; BGH, NJW 2008, 1531, 1534 (Rz. 32 f.); BGH, WM 1992, 286, 288 = RIW 1992, 56 = IPRax 1993, 324 (dazu H. Linke, S. 295); krit. R. Geimer, IPRax 1992, 5, 11; a.A. Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 67. 138 Vgl. U. Becker, S. 218 ff. 139 EuGH – C-325/11, ECLI:EU:C:2012:824 – Krystyna Alder, IPRax 2014, 157 (dazu Ch. Heinze, S. 133). 140 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 61. 141 Vgl. OLG Celle, IPRax 2005, 450 (dazu H. Roth, S. 438, 439). 142 A. Stadler, in 50 Jahre BGH, Festgabe der Wissenschaft, Bd. 3, 2000, S. 645, 669; H. Linke in Gottwald, Grundfragen, 1999, S. 95, 131. 143 EuGHE 2005, I-9611 (Götz Leffler v Berlin Chemie) = JZ 2006, 248 (Th. Rauscher) = IPRax 2006, 151 (dazu A. Stadler, S. 116). 144 EuGH – C-70/15, ECLI:EU:C:2016:524 – Lebek, EuZW 2016, 618 (I. Bach). 145 BGH, MDR 2018, 1079. 146 BGH, MDR 2018, 1079 u. 1231 (W. Hau) = EuZW 2018, 732 (M. Gade).
705
§ 12 Rz. 12.64 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Rechtsbehelf tatsächlich einlegen konnte.147 Ordnungsgemäß muss die Zustellung nicht sein, um diese Pflicht auszulösen.148 Der europäische Gesetzgeber hat sich damit klar der Ansicht angeschlossen, wonach es dem Beklagten zumutbar ist, sich nachträglich am Erstverfahren zu beteiligen.149 (Insoweit gilt dasselbe wie bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks.150) Diese Pflicht setzt nicht voraus, dass die Partei über ein zulässiges Rechtsmittel belehrt wurde.151 Wurde der betroffenen Partei die Entscheidung mit ihrem vollen Inhalt zur Kenntnis gebracht, muss sie alle zulässigen und zumutbaren Rechtsbehelfe dagegen ergreifen; sonst ist sie mit der Rüge der Nichtwahrung der Verteidigungsrechte bzw. des Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public präkludiert.152 Wird die ausländische Entscheidung erst mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung zugestellt, hat das Beschwerdegericht das Verfahren auszusetzen und dem Schuldner eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer er den Rechtsbehelf im Ausland einlegen muss.153 Erfährt der Schuldner von der ausländischen Entscheidung aber erst durch Zustellung der erteilten Vollstreckungsklausel, so kann von ihm nicht verlangt werden, dass er im Ausland Rechtsmittel oder außerordentliche Rechtsbehelfe ergreift, um den ausländischen Titel nachträglich zu beseitigen.154 Legt er freilich ein (noch) zulässiges Rechtsmittel ein, kann er sich nicht (mehr) auf Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) berufen.155
12.65 Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ gilt nicht nur für Klagen, die nach dem 1.3.2002 erhoben wurden, sondern auch für nach dem 1.3.2002 erlassene Entscheidungen in vorher begonnenen Verfahren, wenn das EuGVÜ zuvor im Ursprungs- und im Vollstreckungsstaat gegolten hat (Art. 66 EuGVO n.F.156 Für ältere Verfahren und Entscheidungen verbleibt es bei der Regelung von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ.157 12.66 Eine Sonderregelung besteht für die Nichteinlassung im Adhäsionsverfahren. Nach Art. 64 EuGVO n.F. (Art. 61 EuGVO a.F./LugÜ) braucht ein Adhäsionsurteil nicht anerkannt und vollstreckt zu werden, wenn das Gericht bei einer fahrlässigen Straftat 147 EuGHE 2006, I-12041 (ASML Netherlands v SEMIS) = NJW 2007, 825 = IPRax 2008, 519 (dazu R. Geimer, S. 498); Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 61. 148 BGH, FamRZ 2008, 586, 589; BGH, NJW 2011, 3103 (B. Sujecki). 149 BGH, RIW 2010, 470 (Rz. 12 ff.) = IPRax 2011, 265 (dazu I. Bach, S. 241); vgl. Magnus/ Mankowski/Franq, Art. 45 Rz. 57 ff. 150 Vgl. Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 55; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 79. 151 G. Kayser/S. Dornblüth, ZIP 2013, 57, 61. 152 BGHZ 191, 9, 17 (Rz. 23) = NJW 2011, 3103 (B. Sujecki) = FamRZ 2011, 1568 (B. Heiderhoff). 153 BGH, RIW 2010, 470, 471 (Rz. 13 ff.) = IPRax 2011, 265 (dazu I. Bach, S. 241). 154 OLG Zweibrücken, RIW 2005, 779, 781 = IPRax 2006, 487 (dazu H. Roth, S. 466). 155 EuGHE 2009, I-3571 (Rz. 79) (Apostolides v Orams) = EuGRZ 2009, 210; BGH, NJW 2014, 2365 (Rz. 4 f.); BGH, WM 2010, 865 (Rz. 13 ff.); OLG Nürnberg, WM 2011, 700 (Rz. 80). 156 Vgl. BGH, WM 2006, 502; Kropholler/v. Hein, Art. 66 EuGVO Rz. 4 ff. 157 BGH, RIW 2004, 941.
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.69 § 12
das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet hatte, dieser die Anordnung nicht befolgte und infolgedessen eine Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche ergangen ist, ohne dass er sich verteidigen konnte.158 Die Nichtanerkennung steht im Ermessen des Gerichts. Es kann berücksichtigen, warum der Angeklagte nicht erschienen ist und ob ernsthafte Einwände gegen den zivilrechtlichen Anspruch bestehen. Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) stellt auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ab. Aus diesem muss der Gegenstand des Rechtsstreits entsprechend dem Recht des Forum-Staats ersichtlich sein.159 Geht einer Klage ein Mahnverfahren voraus, so ist der Mahnbescheid, nicht aber der Vollstreckungsbescheid als verfahrenseinleitendes Schriftstück anzusehen.160 Im Rahmen des italienischen Mahnverfahrens („procedimento d´ingiunzione“) bildet das „decreto ingiuntivo“ zusammen mit der Antragsschrift das verfahrenseinleitende Schriftstück.161 Bei Kostenfestsetzungsbeschlüssen nach § 104 ZPO genügt es, dass das Hauptverfahren ordentlich eingeleitet wurde. Vor Gebührenfestsetzungen nach § 11 RVG muss der Antrag dagegen dem Mandanten besonders zugeleitet werden.162 Im Verfahren zur Feststellung des Unterhalts im vereinfachten Verfahren (§§ 249 ff. FamFG) ist der Antrag dem Gegner besonders zuzustellen.163 Eine Mitteilung über die per remise au parquet erfolgte Zustellung (sog. notification) war der Zustellung gleichzustellen.164
12.67
Die fehlerhafte Zustellung späterer Schriftsätze oder der Entscheidung fällt nicht unter Art. 45 I lit. b, sondern lit. a EuGVO n.F. (nicht unter Art. 34 Nr. 2, sondern allenfalls unter Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ).165
12.68
Der Schutzzweck für den Beklagten erfordert eine weite Auslegung des Begriffes der Einlassung. Es genügt aber, dass der Beklagte seine Absicht, sich zu verteidigen, zu erkennen gegeben hat. Insoweit deckt sich der Begriff mit dem der Einlassung nach § 328 I Nr. 2 ZPO (s. Rz. 12.186). Der bloße Hinweis auf die fehlerhafte Zustellung kann nicht als Einlassung angesehen werden.166 Hat sich der Beklagte nach fehlerhafter Zustellung eingelassen, hat sein Anwalt aber später das Mandat niedergelegt, so
12.69
158 Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 53; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 63. 159 Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, 1996, S. 515. 160 EuGHE 1981, 1593 (Klomps v Michel) = RIW 1981, 781 = IPRax 1982, 94; BGH, RIW 1991, 510, 511. 161 EuGHE 1995, I-2053 (Rz. 20) (Danvaern Production v Schuhfabriken Otterbeck) = EWS 1995, 308 = EuZW 1995, 803; dazu W. Grunsky, IPRax 1996, 245; vgl. aber F. Kruis, IPRax 2001, 56, 58 (keine Anerkennung eines für sofort vollstreckbar erklärten „decreto ingiuntivo“). 162 St. Braun, S. 75 ff. 163 Vgl. St. Braun, S. 78 ff. 164 Vgl. A. Stadler, IPRax 2006, 116, 117 f. 165 BGH, NJW-RR 1987, 377 = RIW 1990, 575; auch gegen Anwendung von Nr. 1: Cour de Cass., [2001] ILPr 717. 166 OLG Köln, IPRax 1991, 114 (dazu H. Linke, S. 92).
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§ 12 Rz. 12.69 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
liegt kein Fall von Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) vor.167
12.70 Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung richtet sich nach dem Recht des Ursprungsstaats einschließlich der dort geltenden Übereinkommen.168 Das LugÜ stellt selbst keine Zustellungsanforderungen auf. Im Verhältnis der Vertragsstaaten ist deshalb das HZÜ 1965 zu beachten (s. Rz. 8.85 ff.), ergänzt durch die aufrechterhaltenen Zusatzvereinbarungen, die noch zum Haager Übereinkommen über den Zivilprozess von 1954 abgeschlossen wurden (Art. 24 HZÜ 1965). Eine unmittelbare Zustellung von Gericht zu Gericht gem. Art I Abs. 2 des Protokolls Nr. 1 zum LugÜ nach Deutschland scheidet aus, weil das deutsche Recht hierfür keine Formen vorsieht. Dass eine solche Zustellung erfolgt ist, muss notfalls die Partei beweisen, die die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung verlangt.169 12.71 Das Problem ist wegen der Ersatzzustellungen von einiger Bedeutung. Der Zweitrichter muss also möglicherweise die Zustellungsvorschriften des Erstrichters und alle Verträge, die der Urteilsstaat hinsichtlich der internationalen Zustellung mit anderen Staaten abgeschlossen hat, prüfen. Art. 15 HZÜ ändert daran nichts. Danach muss der Erstrichter feststellen, ob das Schriftstück in einer der Formen zugestellt worden ist, die das Recht des ersuchten Staats für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, oder dass die Zustellung entweder dem Beklagten selbst oder aber in seiner Wohnung nach einem anderen in dem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren übergeben worden ist. Die Vorschriften des ersuchten Staats, der häufig Anerkennungsstaat sein wird, sind aber nur insoweit anzuwenden. Ob die Zustellung selbst ordnungsgemäß ist, richtet sich dagegen nur nach dem Recht des Urteilsstaats (einschließlich der Zustellungsabkommen). 12.72 Danach gilt als ordnungsgemäß auch die öffentliche Zustellung gem. §§ 185 ff. ZPO, selbst wenn der Beklagte von ihr tatsächlich nichts von ihr erfahren hat. Doch darf die öffentliche Zustellung nur gewährt worden sein, wenn der Wohnsitz des Beklagten trotz zumutbarer Anstrengungen unbekannt geblieben ist; andernfalls ist die öffentliche Zustellung nicht ordnungsgemäß.170 Taucht der Beklagte im Anerkennungsoder Vollstreckungsverfahren wieder auf und macht geltend, er sei nicht ordnungsgemäß geladen worden, kann er mit diesem Einwand nicht gehört werden. Er könnte sich jedoch darauf berufen, er habe sich nicht rechtzeitig verteidigen können.171 Für diesen Fall sieht Art. 16 HZustÜ die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, falls der Beklagte ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von der Ladung erlangt hat, dass er sich hätte verteidigen können. Der Zweitrichter müsste in diesem Fall das Verfahren gem. Art. 38 EuGVO n.F. (Art. 46 EuGVO a.F./LugÜ) 167 OLG Karlsruhe, RIW 1991, 859. 168 EuGHE 2005, I-8639 (Scania Finance France v Rockinger) (Rz. 17) = RIW 2005, 940, 942 = ZZPInt 10 (2005), 290 (B. Heiderhoff); OLG Karlsruhe, IPRax 1996, 426 = EWS 1996, 109; St. Braun, S. 90 ff.; Geimer/Schütze/Wolf, Art. 27, 28 EuGVO Rz. 24. 169 OLG Karlsruhe, EWS 1996, 109. 170 OLG Düsseldorf, [2002] ILPr 71. 171 Vgl. P. Schlosser, 3. Aufl., Art. 34–36 EuGVO Rz. 17a.
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.75 § 12
aussetzen, bis der Erstrichter über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden hat. Im Übrigen kann ein deutsches Versäumnisurteil auch durch Aufgabe zur Post dem ausländischen Beklagten zugestellt werden, sofern die erforderlichen Voraussetzungen nach § 184 I 2 ZPO vorliegen, da hierdurch kein Verfahren eingeleitet wird.172 Der Umfang, in dem der Zweitrichter die ordnungsgemäße Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks prüft, ist bei einer Versäumnisentscheidung im Zusammenhang mit Art. 37, 53, 57 EuGVO n.F. (Art. 53, 54 EuGVO a.F./LugÜ) zu sehen. Danach muss der Antragsteller eine Ausfertigung der Entscheidung und eine Bescheinigung nach Art. 53 EuGVO n.F. (Art. 54 EuGVO a.F./LugÜ) vorlegen. In dieser Bescheinigung wird unter Nr. 4.4 bei Versäumnisurteilen das Datum der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bestätigt. Diese Bestätigung ist aber für das Zweitgericht im Vollstreckungsstaat nicht bindend. Bestreitet der Beklagte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück zugestellt wurde oder dass die Zustellung rechtzeitig war, hat Gericht des Vollstreckungsstaats dieser Behauptung nachzugehen und nachzuprüfen, ob die Bescheinigung richtig ist.173
12.73
Der Zweitrichter ist hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung an die Feststellungen des Erstrichters nicht gebunden.174 Es gilt aber nur Amtsprüfung, (wohl entgegen dem BGH) nicht Amtsermittlung, so dass das Gericht nur die vom Antragsgegner vorgetragenen Zustellungsmängel überprüft.175
12.74
Im Anwendungsbereich des HZÜ 1965 war eine fiktive Inlandszustellung nach dem System der „remise au parquet“ gem. Art. 659 NCPC a.F. zulässig.176 Denn die Regeln des HZÜ sind grds. nur einzuhalten, wenn nach dem Recht des Ursprungsstaats eine Auslandszustellung erforderlich ist.177 Lediglich im Wege des Kompromisses gewähren Art. 15, 16 HZÜ einen Schutz auch bei der remise au parquet. Zwischen den EU-Mitgliedstaaten muss eine Zustellung nunmehr allerdings nach der EuZVO 2007 erfolgen.178 Eine Zustellung mittels remise au parquet scheidet insoweit wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV aus. Frankreich hat dementsprechend Art. 684 (1) CPC geändert (s. Rz. 8.17).179
12.75
172 Vgl. OLG München, NJW 1983, 527 (zu § 175 I a.F.). 173 Vgl. EuGH – C-619/10, v. 6.9.2012 (Trade Agency v Seramico Investments), RIW 2012, 781 (Rz. 34 ff., 46) = IPRax 2013, 427; BGH, IPRax 2020, 43 (Rz. 7) (dazu H. Roth, S. 21). 174 Vgl. EuGHE 1982, 2723 (Pendy Plastic) = IPRax 1985, 25; EuGH – C-619/10, ECLI:EU: C:2012:531 – Trade Agency Ltd., IPRax 2013, 427 (dazu H. Roth, S. 402); BGH, FamRZ 2008, 390, 391 = NJW 2008, 1531 (dazu B. Heiderhoff, IPRax 2010, 343; R. Geimer, LMK 2008, 253019); BGH, EWS 1993, 258, 259. 175 So auch Geimer/Schütze/Wolf, Art. 27, 28 EuGVO Rz. 35. 176 Vgl. EuGHE 2005, I-8639 (Scania Finance v Rockinger) = IPRax 2006, 157 (dazu A. Stadler, S. 116); OLG Düsseldorf, IPRax 2000, 527 (dazu H. Roth, S. 497). 177 A.A. OLG Karlsruhe, RIW 1999, 538 f. 178 Vgl. EuGH – C-522/03, ECLI:EU:C:2005:606 – Scania Finance France, NJW 2005, 3627 = IPRax 2006, 157 (dazu A. Stadler, S. 116). 179 Zur Rechtslage vor der EuZVO 2007 s. OLG Karlsruhe, RIW 1999, 538, 539. Der EuGH hat im Leffler-Urteil v. 8.11.2005 (EuGHE 2005, I-9611 = IPRax 2006, 151; dazu A. Stadler, S. 116) zu dieser Frage nicht Stellung genommen.
709
§ 12 Rz. 12.76 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
12.76 Ein Zustellungsmangel kann geheilt werden, soweit das Recht des Urteilsstaats einschließlich der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge das bestimmt.180 Es genügt also nicht ohne weiteres (analog § 189 ZPO), dass der Beklagte das Schriftstück in Deutschland tatsächlich erhalten hat, vielmehr muss die Heilungsvorschrift im Recht des Urteilsstaats vorhanden sein. Soweit das Recht des Urteilsstaats auf das des Zustellungsstaats verweist, kommt es jedoch auf dessen Heilungsvorschriften an.181 12.77 Soweit die Zustellung nach dem HZÜ 1965 zu bewirken ist, soll danach eine Heilung ausscheiden, weil das Übereinkommen ausschließlich anwendbar ist und Art. 15 keine Heilungsvorschrift enthält.182 Auch die neue Europäische Zustellungsverordnung enthält keine solche Norm. Beiden Regelwerken ist aber nicht zu entnehmen, dass eine Heilung von Zustellungsmängeln nach dem anwendbaren Prozessrecht ausgeschlossen werden sollte. Vielmehr befassen sie sich mit diesen Fragen weder positiv noch negativ.183 12.78 EuGVO a.F. und LugÜ haben Art. 34 Nr. 2 gegenüber Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ geändert. Nach dieser Fassung kommt es primär nur noch darauf an, dass der Beklagte das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig erhalten hat, dass er sich verteidigen konnte. (Gleiches gilt für Art. 45 I lit. b EuGVO n.F.). Insoweit ist die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung nicht völlig irrelevant. Eine rechtzeitige private Mitteilung von der Klageerhebung genügt in keinem Falle. Irrelevant werden bei rechtzeitiger Mitteilung nur Zustellungsfehler. 12.79 Selbst wenn die Verteidigungsmöglichkeit anfänglich beschränkt war, kann sich der Betroffene aber nicht mehr auf eine fehlerhafte Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes berufen, wenn ihm die Entscheidung des Gerichts ordentlich zugestellt wurde und er dagegen keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obgleich er dies hätte tun können.184 12.80 Das Problem wird auch akut, wenn diese Fristen im Anerkennungsstaat bedeutend länger als im Urteilsstaat sind. Dabei muss auf die Fristen des Urteilsstaats abgestellt werden.185 Da der Vorsitzende nach § 274 III ZPO bei der Festsetzung des Termins die Einlassungsfrist bestimmen muss, wenn im Ausland zuzustellen ist, sollte hierbei großzügig verfahren werden, um von vornherein dem Beklagten die Einrede zu nehmen, er habe sich nicht hinreichend verteidigen können.
180 EuGHE 1990, 2725 (Lancray v Peters) = RIW 1990, 927, 929 = IPRax 1991, 177, 179; BGH, EWS 1993, 258, 259. 181 S. Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, 1996, S. 718. 182 So BGH, RIW 1991, 510, 511; P.-A. Brand/J. Reichhelm, IPRax 2001, 173, 176. 183 Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2007, Art. 27 EuGVÜ Rz. 24; P. Schlosser, FS Matscher, 1993, S. 387, 396; vgl. auch Braun, S. 161 ff.; gegen eine gemeineuropäische Heilung J. Kropholler, 6. Aufl. 2006, Art. 27 Rz. 32. 184 EuGHE 2009, I-2571 (Apostolides) = EuGRZ 2009, 210; BGH, NJW-RR 2010, 571; B. Hess, EuZPR, § 6 Rz. 197; Linke/Hau, IZVR, Rz. 13.22. 185 Vgl. Corte d’appello di Torino, Urt. v. 11.2./11.3.1977, Rspr. Übersicht Folge 2, 1978, Nr. 83.
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.84 § 12
Auf die ordnungsgemäße Ladung des Beklagten muss allerdings bei Arresten und einstweiligen Verfügungen verzichtet werden. Die Wirksamkeit dieser summarischen Verfahren würde vereitelt, wenn dem Beklagten in jedem Fall das das Verfahren einleitende Schriftstück zugestellt werden müsste.186 Deutsche Arreste und einstweilige Verfügungen werden allerdings nur dann im Ausland anerkannt, wenn dem Arrestgegner in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zum rechtlichen Gehör gegeben war.187
12.81
(3) Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaats Nach Art. 45 I lit. c EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn diese mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Anerkennungsstaat ergangen ist. Die Regeln wollen Entscheidungskollisionen lösen, deren Eintritt bereits durch die Art. 29 ff. EuGVO n.F. (Art. 27 ff. EuGVO a.F./LugÜ) verhindert werden soll. Danach wird der Entscheidung des Anerkennungsstaats immer der Vorzug eingeräumt.188 Die Unvereinbarkeit ist vertragsautonom zu bestimmen; auf die Identität des Streitgegenstandes wird nicht abgestellt. Teilweise soll jegliche Präjudizialität, jeder ernstliche Widerspruch in den Entscheidungsgründen ausreichen, um das Anerkennungshindernis auszulösen.189 Eine solche Lösung lehnt sich in etwa an die Rechtskraftlehre in Frankreich und Großbritannien an. Sie greift damit aber unnötig tief in das Rechtsschutzsystem der Staaten ein, die einen engeren Rechtskraftbegriff haben. Praktikabler erscheint es, die Unvereinbarkeit eng zu fassen und nicht weiter gehen zu lassen, als nach dem weitest gehenden der beteiligten nationalen Rechte.190 Der Widerspruch zwischen einer Entscheidung und einem Prozessvergleich genügt nicht.191
12.82
Nach Art. 45 I lit. c EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) hat eine inländische Entscheidung stets Vorrang, selbst wenn sie unter Nichtbeachtung der ausländischen Rechtshängigkeit ergangen ist. Der Vorrang gilt, bis die Inlandsentscheidung auf Restitutionsklage (§ 580 Nr. 7b ZPO) aufgehoben worden ist.
12.83
Sachliche Unvereinbarkeit besteht, wenn sich die Rechtsfolgen der Entscheidungen gegenseitig ausschließen. Dies setzt keine Identität der Streitgegenstände voraus.192
12.84
186 LG Hamburg, Beschl. v. 9.3.1977, leitet dies aus der Natur des Arrestverfahrens her, Rspr. Übersicht Folge 2, Nr. 81. 187 EuGHE 1980, 731 (De Clavel v De Clavel) = IPRax 1981, 19 (dazu R. Hausmann, S. 5); Kropholler/v. Hein, Art. 32 EuGVO Rz. 23. 188 Geimer/Schütze, Art. 34 EuGVO Rz. 158; Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rz. 54; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 61; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 75; Magnus/Mankowski/Francq, Art. 45 Rz. 71; krit. Schlosser/ Hess/Hess, Art. 45 EuGVVO Rz. 29. 189 M. Koch, S. 27 ff., 73 ff., 161. 190 M. Wolf, FS Schwab, 1990, S. 561, 567; vgl. G. Coscia Riv.dir.int.priv.proc. 1995, 265. 191 EuGHE 1994, I-2237 (Rz. 20) (Solo Kleinmotoren v Boch) = EWS 1994, 247 = NJW 1995, 38 = JZ 1994, 1007 m. Anm. P. Schlosser; dazu P. Mankowski, EWS 1994, 379; Kropholler/v. Hein, Art. 34 Rz. 48. 192 Magnus/Mankowski/Francq, Art. 45 Rz. 67 f.; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 85 ff.
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§ 12 Rz. 12.84 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Unvereinbar ist etwa ein Urteil, das einen Vertrag für nichtig erklärt, mit einem weiteren, das zum Schadenersatz wegen Nichterfüllung verurteilt. Die Entscheidungen müssen aber gleichrangig sein: Ein Urteil, mit dem ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt ist, steht einem positiven Urteil in der Hauptsache nicht entgegen. Wird die Anerkennung eines Scheidungsurteils im Inland abgelehnt, so ist die Entscheidung über den nachehelichen Unterhalt ebenfalls nicht anzuerkennen. Nach Ansicht des EuGH besteht Unvereinbarkeit auch im Verhältnis von Scheidungsurteil und Urteil auf Zahlung von Trennungsunterhalt.193
12.85 Die Ablehnung einer Unterlassungsverfügung ist ebenfalls stets mit der Gewährung einer solchen Verfügung unvereinbar. Der BGH meinte zwar in seinem Vorlagebeschluss,194 das Gericht des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats solle befugt sein, im Einzelfall von der Anwendung von Art. 45 I lit. c EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ) abzusehen, wenn die Abweichung bzw. Unvereinbarkeit aus der Sicht des Vollstreckungsstaats nicht schwer genug wiegt. Doch hat sich der EuGH für eine generelle Unvereinbarkeit ausgesprochen.195 (4) Unvereinbarkeit mit der früheren Entscheidung eines anderen Mitgliedoder Drittstaats
12.86 Das Prioritätsprinzip gilt dagegen nach Art. 45 I lit. d EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ (bzw., wenn die Entscheidung mit der früheren Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats unvereinbar ist. Vorausgesetzt ist, dass die frühere Entscheidung im Inland anzuerkennen ist. Anders als bei lit. c (Nr. 3) genügt hier nicht die schlichte Unvereinbarkeit, sondern die Entscheidungen müssen wegen desselben Anspruchs ergangen sein.196 Zwischen „demselben Anspruch“ und „Unvereinbarkeit“ besteht wohl nur dann kein sachlicher Unterschied,197 wenn man den Anspruch auch hier im Sinne der Kernpunkttheorie des EuGH versteht. Die zeitlich frühere Entscheidung eines Drittstaats genießt Vorrang, weil sie ebenfalls ex lege anerkannt wird, auch wenn ihre Vollstreckbarerklärung noch, ggf. nach § 722 ZPO erfolgen muss. (5) Unvereinbarkeit von zwei Entscheidungen desselben Mitgliedstaates
12.87 Zweifelhaft war, ob Art. 45 I lit. d EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 4 EuGVO a.F./LugÜ) analog anzuwenden ist, wenn zwei miteinander unvereinbare Entscheidungen des193 Vgl. EuGHE 1988, 645 (Hoffmann v Krieg) = NJW 1989, 663 = IPRax 1989, 159. 194 BGH, WM 2000, 635, 637 = NJW 2000, 1440. 195 EuGHE 2002, I-4995 (Rz. 39 ff.) (Italian Leather v WECO Polstermöbel) = NJW 2002, 2087 = IPRax 2005, 33 (dazu B. Heß, S. 23) = ZZPInt 7 (2002), 243 (J. Fritzsche). 196 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 34 Rz. 95; Teixeira de Sousa/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 34 Rz. 79. 197 Hierfür Geimer/Schütze, Art. 34 EuGVO Rz. 183, Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rz. 8 u. Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 69.
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I. Europäisches Recht | Rz. 12.91 § 12
selben Mitgliedstaats vorliegen. Auf Vorlage des BGH198 hat der EuGH entschieden, dass dieser Fall nicht von Art. 34 Nr. 4 a.F. erfasst ist; der Konflikt kann nur durch innerstaatliche Rechtsmittel des betreffenden Staates bereinigt werden.199 Auch das LugÜ enthält insoweit eine Lücke, als einander widersprechende Entscheidungen aus zwei verschiedenen Vertragsstaaten vorliegen. Mangels einer Sonderregelung sind auch in diesem Fall die allgemeinen Rechtskraftgrundsätze, d.h. das Prioritätsprinzip anzuwenden.200
12.88
(6) Kollisionsrechtlicher Vorbehalt (Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ/LugÜ 1988) Nach Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ/LugÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn das Gericht des Urteilsstaats bei seiner Entscheidung hinsichtlich einer Vorfrage, die den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung einer natürlichen Person, die ehelichen Güterstände, das Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts betrifft, sich in Widerspruch zu einer Vorschrift des IPR des Staats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, gesetzt hat. Dies gilt aber nicht, wenn die Entscheidung nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn die Vorschriften des IPR dieses Staats angewandt worden wären. Im Interesse der aufgeführten Gebiete wird von der grundsätzlichen Haltung des Übereinkommens, wonach die Anerkennung nicht deswegen versagt werden darf, weil der Erstrichter sein IPR angewendet hat, zugunsten des IPR des Zweitrichters abgewichen.201 Um zu prüfen, ob die Entscheidung des Erstrichters in Widerspruch zu einer Vorschrift des IPR des Zweitrichters steht, muss dieser insoweit eine „révision au fond“ vornehmen.
12.89
Hierbei ist er nicht an die tatsächlichen Feststellungen des Erstrichters gebunden. Eine entsprechende Anwendung des Art. 28 II EuGVÜ bzw. Art. 28 III LugÜ scheitert an der ausdrücklichen Beschränkung der Bindungswirkung auf die tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Zuständigkeiten.202
12.90
Da § 328 ZPO diese Anerkennungsvoraussetzung nicht mehr enthält, kann auf die Prüfung von Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ/LugÜ 1988 nach dem Günstigkeitsprinzip bei Anerkennungen in Deutschland verzichtet werden.203 Dies gilt allerdings nur für die seltenen Fälle, in denen noch auf diese Übereinkommen abzustellen ist. Für die neueren EU-Verordnungen ist dagegen von einem abschließenden Vorrang des europäi-
12.91
198 BGH, ZIP 2012, 996. 199 EuGH – C-157/12, ECLI:EU:C:2013:597 – Salzgitter Mannesmann Handel, RIW 2013, 782 = ZIP 2013, 1982; krit. Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 68. 200 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 34 EuGVO Rz. 49; vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rz. 56. 201 Geimer/Schütze/Wolf, Art. 27, 28 Rz. 39. 202 A.A. Geimer/Schütze/Wolf, Art. 27, 28 Rz. 40. 203 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 19; Art. 34 EuGVO Rz. 51; R. Geimer, IZPR, Rz. 2769, 2965; J. Kropholler, 6. Aufl. 2006, Art. 27 EuGVÜ Rz. 52; Geimer/Schütze/Wolf, Art. 27, 28 Rz. 41; a.A. Linke/Hau, IZVR, Rz. 12.27 (Vorrang des EU-Rechts).
713
§ 12 Rz. 12.91 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
schen Rechts auszugehen.204 Vom Sinn und Zweck her lässt sich diese Entscheidung aber nicht übertragen.
12.92 Diese Regelung ist wegen der inzwischen erlassenen Brüssel IIa-VO (s. Rz. 113.2 ff.) nicht mehr in die EuGVO und in das LugÜ 2007 übernommen worden. Sie hat zudem in der Praxis keine Rolle gespielt. 5. Bindung des Zweitrichters an die Zuständigkeitsentscheidung des Erstrichters
12.93 Grundsätzlich darf der Zweitrichter die Zuständigkeit des Erstrichters nicht nachprüfen. Da die Art. 4 ff. EuGVO n.F. (Art. 2 ff. EuGVO a.F./LugÜ) eine einheitliche Zuständigkeitsordnung enthalten, legt Art. 45 III EuGVO n.F. (Art. 35 III EuGVO a.F./LugÜ) fest, dass die internationale Zuständigkeit bei der Anerkennung grds. nicht mehr nachgeprüft werden darf, und zwar auch nicht aus Gründen des ordre public.205 Art. 45 III EuGVO n.F. (Art. 35 III EuGVO a.F./LugÜ) setzt nicht voraus, dass die Entscheidung in Anwendung der europäischen Zuständigkeitsordnung ergangen ist, sondern gilt auch gegenüber Drittstaatsangehörigen, für die diese nicht gilt, Art. 6 EuGVO n.F. (Art. 4 EuGVO a.F./LugÜ) Die Nachprüfung entfällt sogar, wenn der Erstrichter seine Zuständigkeit auf eine sog. exorbitante Zuständigkeit gestützt hat,206 eine Regelung, die vor allem von Drittstaatsseite kritisiert wird.207 Teilweise wird freilich in extremen Fällen dann einer Nachprüfung das Wort geredet, wenn ein Verstoß gegen Art. 6 I EMRK vorliegt.208 Diese Einschränkung hat der EuGH zurückgewiesen.209 Das Verbot der Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit gilt wegen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens innerhalb der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten auch, soweit nach Art. 71 EuGVO (a.F. und n.F.) bzw. Art. 67 I LugÜ ein besonderes Übereinkommen Vorrang vor der EuGVO genießt und eine Überprüfung zulassen würde.210 12.94 Die Ausnahmen von dem Nachprüfungsverbot zählt derzeit Art. 35 I EuGVO/LugÜ erschöpfend auf: es handelt sich um die Zuständigkeiten für Versicherungssachen, Verbrauchergeschäfte und für die ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 24 EuGVO n.F. (Art. 22 EuGVO a.F./LugÜ) (s. Rz. 3.157 ff., 3.171 ff., 3.303 ff.). Nicht überprüft werden darf, ob das Gericht eine Gerichtsstandsvereinbarung beachtet hat.211 Bei seiner Nachprüfung ist der Zweitrichter insoweit an die tatsächlichen Fest204 Vgl. EuGHE 1976, 1851 (Segoura v Bonakdarian) = NJW 1977, 405 (R. Geimer). 205 EuGHE 2000, I-1935 (Krombach v Bamberski) = ZIP 2000, 859 (R. Geimer) = IPRax 2001, 406 (dazu A. Piekenbrock, S. 364). 206 Geimer/Schütze, Art. 35 EuGVO Rz. 3; Linke/Hau, Rz. 13.4 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 35 EuGVO Rz. 3; vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 35 EuGVO Rz. 3. 207 Vgl. C. R. Einstein/A. Phipps, IPRax 2005, 365, 370. 208 Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 74; Schlosser/Hess/Hess, Art. 45 Rz. 37. 209 Vgl. C. R. Einstein/A. Phipps, IPRax 2005, 365, 370. 210 EuGHE 2010, I-4107 (TNT Express Nederland v AXA Versicherung) = NJW 2010, 1736, 1738 (Rz. 55). 211 Vgl. N. Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht, 2019.
714
I. Europäisches Recht | Rz. 12.99 § 12
stellungen des Erstrichters gebunden (Art. 35 II EuGVO/LugÜ).212 Ein englisches Scheme of Arrangement (über versicherungsrechtliche Ansprüche) kann daher nicht anerkannt werden, wenn das englische Gericht nach den Art. 8 ff. EuGVO nicht zur Entscheidung über die Ansprüche zuständig war.213 Eine Nachprüfung erfolgt auch in den Fällen von Art. 72 EuGVO (n.F. und a.F.) bzw. Art. 68 LugÜ, d.h. wenn Mitglied- bzw. Vertragsstaaten mit Drittstaaten Übereinkommen treffen, wonach die in Art. 5 EuGVO n.F. (Art. 4 EuGVO a.F./LugÜ) aufgeführten „exorbitanten“ Gerichtsstände ausgeschlossen sind. Dies war der Fall in Art. 23 des deutsch-norwegischen Vertrags von 1977. Seit Inkrafttreten des Luganer Übereinkommens 1988 ist dieser Schutz freilich gegenstandslos. Relevant sind solche Drittschutzvereinbarungen heute noch gem. den Verträgen des Vereinigten Königreichs mit Kanada von 1986 und mit Australien von 1990.
12.95
Im Rahmen des Luganer GVÜ darf die Vollstreckung außerdem versagt werden, wenn die Zuständigkeit des Entscheidungsstaats auf einer Regel beruht, die vom Luganer GVÜ abweicht (Art. 64 III LugÜ).
12.96
Sinngemäß ist folglich auch die Einrede der Schiedsvereinbarung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung ausgeschlossen.214 Auch Verstöße gegen die Art. 18 ff. EuGVO a.F./LugÜ bei Arbeitssachen bleiben bei der Anerkennung und Vollstreckung ohne Sanktion.215
12.97
Nach der Neufassung der EuGVO darf die internationale Zuständigkeit nicht nur wie bisher in Versicherungs- und Verbrauchersachen sowie Fällen gesetzlicher ausschließlicher Zuständigkeit, sondern neu auch in Arbeitnehmersachen (Art. 45 I lit. e [i], III 1 EuGVO n.F.) nachgeprüft werden. Der Arbeitnehmerschutz wurde also verbessert.216
12.98
Die Bindungswirkung erstreckt sich nach Art. 45 II EuGVO n.F. (Art. 35 II EuGVO a.F./LugÜ) auch auf alle tatsächlichen Feststellungen des Erstrichters zur Zuständigkeit und sinngemäß auf alle Tatsachen, die im Vorprozess hätten vorgebracht werden können.217 Bei den Ausnahmefällen, in denen dem Zweitrichter im Übrigen eine Nachprüfung erlaubt ist, muss allerdings die Bindungswirkung restriktiv ausgelegt werden (s. Rz. 12.94).
12.99
212 BGH, RIW 1979, 494; a.A. Geimer/Schütze, Art. 35 EuGVO Rz. 45 (nicht für anerkennungsfreundliche Tatsachen). 213 BGH, ZIP 2012, 740 = NZI 2012, 425 (Ch. Paulus) = ZEuP 2013, 132 (R. Bork) = IPRax 2013, 264 (dazu G. Mäsch, S. 234); dazu P. Mankowski, EWiR 2012, 313; vgl. BGH, NJW 2012, 2352. 214 K. Bälz/St. Marienfeld, RIW 2003, 51, 52 f.; M. J. Schmidt, Festgabe Sandrock, 1995, S. 205; A. Besson, Études en l’honneur Poudret, 1999, S. 329; Geimer/Schütze, Art. 35 EuGVO Rz. 33 ff.; Kropholler/v. Hein, Art. 35 EuGVO Rz. 5; Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 83; OLG Celle, RIW 1979, 131; vgl. M. Illmer, IHR 2011, 108, 112 ff. 215 R. Hausmann, EuLF 2000, 40, 47; Rauscher/Leible, 3. Aufl., Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 12. 216 Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 76. 217 Rauscher/Leible, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 84 f.
715
§ 12 Rz. 12.100 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
6. Verbot der révision au fond
12.100 Die Bindungswirkung kulminiert in Art. 45 IV, 52 EuGVO n.F. (Art. 36, 45 II EuGVO a.F./LugÜ), wonach die ausländische Entscheidung keinesfalls auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden darf (Verbot der révision au fond). Bis auf die erwähnten Ausnahmen darf der Zweitrichter also nicht nachprüfen, ob der Erstrichter seine Verfahrensvorschriften und sein materielles Recht richtig angewendet hat.218 Nicht nachgeprüft werden darf auch der Einwand fehlender Parteifähigkeit bzw. des Erlöschens des Klägers als juristische Person.219
12.101 Wird die Anerkennung inzident geltend gemacht, obwohl gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde, kann das Gericht im Zweitstaat sein Verfahren nach Art. 38 EuGVO n.F. (Art. 37 EuGVO a.F./LugÜ) von Amts wegen220 aussetzen, um eine sachlich widersprechende Entscheidung zu vermeiden. Bei dieser Entscheidung sind nur solche Gründe zu berücksichtigen, die die Partei, die das Rechtsmittel eingelegt hat, vor dem Gericht des Urteilsstaates nicht geltend machen konnte.221 Wird im selbständigen Anerkennungsverfahren nach Art. 33 II EuGVO/LugÜ auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Ursprungsstaat hingewiesen, kann das Verfahren nach Art. 46 EuGVO/LugÜ ausgesetzt werden. (Gleiches gilt gem. Art. 51 EuGVO n.F. für das selbständige Feststellungsverfahren nach Art. 36 II EuGVO n.F.).
II. Anerkennung nach Staatsverträgen 1. Anerkennung nach dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandvereinbarungen
12.102 Entscheidungen eines Vertragsstaats, die von einem aufgrund einer ausschließlichen Gerichtsstandvereinbarung zuständigen Gericht erlassen wurden, sind gem. Art. 8 I 1 HGÜ anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Entscheidung muss im Ursprungsstaat wirksam und zur Vollstreckung vollstreckbar (nicht rechtskräftig) sein, Art. 8 III HGÜ. In der Sache darf die Entscheidung nicht nachgeprüft werden, Art. 8 II 1 HGÜ. Stammen die Parteien aus EU-Mitgliedstaaten geht die EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) vor. Hat eine der Parteien dagegen ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat, der nicht Teil der EU ist, hat das HGÜ Vorrang (Art. 26 VI HGÜ).222 Großbritannien ist bestrebt, das Übereinkommen nach dem Austritt aus der EU umgehend zu ratifizieren. 218 Vgl. OLG Celle, RIW 1979, 129; Rauscher/Leible, Art. 52 Brüssel Ia-VO Rz. 1 ff.; Kropholler/v. Hein, Art. 36 EuGVO Rz. 1. 219 BGH, NJW 1992, 627/28. 220 Rauscher/Leible, Art. 38 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Kropholler/v. Hein, Art. 37 EuGVO Rz. 5; Joubert/Weller, unalex-Kommentar, Art. 37 Rz. 6 f. 221 EuGH – C-183/90, ECLI:EU:1991:379 – van Dalfsen, EWS 1993, 119. 222 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 407 f.
716
II. Anerkennung nach Staatsverträgen | Rz. 12.108 § 12
Die Anerkennung bzw. Vollstreckung kann aufgeschoben werden, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde oder die Frist zur Einlegung noch nicht verstrichen ist, Art. 8 IV HGÜ.
12.103
Die Anerkennung darf nach Art. 8 I 2, 9 HGÜ nur versagt werden,
12.104
a) die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des vereinbarten Gerichts ungültig war, b) wenn eine der Parteien unfähig war, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu schließen, c) wenn dem Beklagten (i) das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht oder nicht rechtzeitig übermittelt wurde, so dass er sich nicht verteidigen konnte, es sei denn, er habe sich auf das Verfahren eingelassen, ohne den Mangel zu rügen, oder (ii) wenn das Schriftstück in einer mit den Grundsätzen des ersuchten Staates unvereinbaren Weise übermittelt wurde, d) wenn die Entscheidung durch Prozessbetrug erlangt wurde, e) wenn die Anerkennung dem ordre public des Anerkennungsstaates widersprechen würde, f) wenn die Entscheidung mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaates unvereinbar ist, oder g) wenn die Entscheidung mit einer früheren (anerkennungsfähigen) Entscheidung wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien unvereinbar ist. Vor Gericht geschlossene oder gerichtlich gebilligte Vergleiche werden unter denselben Voraussetzungen wie Entscheidungen anerkannt und vollstreckt, Art. 12 HGÜ.
12.105
Enthält die Entscheidung die Beurteilung einer Vorfrage zu einem nach Art. 2 vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossenen Sachgebiet, so wird die Entscheidung insoweit nicht anerkannt, Art. 10 I HGÜ. Die Anerkennung der Entscheidung kann ganz verweigert werden, wenn die Entscheidung auf der Beurteilung der Vorfrage zu dem ausgeschlossenen Sachgebiet beruht, Art. 10 II HGÜ. Handelt es sich bei der Vorfrage um die Gültigkeit eines Rechts des geistigen Eigentums, so darf die Anerkennung aber nur versagt werden, wenn (a) die Beurteilung mit einer Gerichtsentscheidung oder einem Beschluss der zuständigen Behörde des Staates, nach dessen Recht das Recht des geistigen Eigentums entstanden ist, unvereinbar ist, oder (b) wenn in diesem Staat ein Verfahren über die Gültigkeit des Rechts auf das geistige Eigentum anhängig ist, Art. 10 III HGÜ.
12.106
Schließlich kann die Anerkennung versagt werden, wenn die Entscheidung auf der Beurteilung der Vorfrage zu einem besonderen Rechtsgebiet beruht, das der anerkennende Staat durch Erklärung nach Art. 21 vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen hat, Art. 10 IV HGÜ.
12.107
Ferner kann die Anerkennung versagt werden, soweit eine Partei nach der Entscheidung exemplarischen Schadensersatz oder Strafschadensersatz erhält, denen kein
12.108
717
§ 12 Rz. 12.108 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
tatsächlich erlittener Schaden entspricht, Art. 12 HGÜ. Dies gilt nach Art. 17 II HGÜ aber nicht, soweit dieser Ersatz aufgrund eines Versicherungs- oder Rückversicherungsvertrages geleistet wird.223
12.109 Schließlich kann ein Staat erklären, dass er die Anerkennung versagen wird, wenn es sich bei dem Fall (abgesehen von der Gerichtsstandsvereinbarung) um einen reinen Inlandsfall des Anerkennungsstaates handelt, Art. 20 HGÜ. 12.110 Um die Anerkennung geltend zu machen, um die Partei nach Art. 13 I HGÜ folgende Unterlagen vorlegen: (1) eine vollständige, beglaubigte Abschrift der Entscheidung, (2) die Gerichtsstandsvereinbarung (in beglaubigter Abschrift), (3) bei einem Versäumnisurteil den Nachweis der Zustellung des den Rechtsstreit einleitenden Schriftstücks, (4) einen Nachweis der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat, und (5) im Falle eines gerichtlichen Vergleichs einen Nachweis von dessen Vollstreckbarkeit im Ursprungstaat. Gegebenenfalls kann das Gericht des Anerkennungsstaates die Vorlage weiterer Schriftstücke verlangen, Art. 13 II HGÜ. Sind die Schriftstücke nicht in einer Amtssprache des Anerkennungsstaates verfasst, ist eine beglaubigte Übersetzung in eine dieser Amtssprachen beizufügen, Art. 13 IV HGÜ Die Anerkennung kann erleichtert werden, wenn der Ursprungstaat das von der Haager Konferenz empfohlene Formblatt ausgefertigt hat, Art. 13 III HGÜ.
12.111 Das Verfahren der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung richtet sich nach dem Recht des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaates, Art. 14 HGÜ. In Deutschland werden Entscheidungen formlos (ex lege) anerkannt (s. Rz. 12.123 ff.). Die Vollstreckbarerklärung erfolgt mittels Vollstreckungsklage nach § 722 ZPO (s. Rz. 15.218 ff.). 2. Anerkennung nach dem Haager Übereinkommen v. 2.7.2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen
12.112 Schrifttum: C. North, The 2019 HCCH Judgements Convention: A Common Law Perspecti-
ve, IPRax 2020, 202; H. Schack, Das neue Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen, IPRax 2020, 1; A. Stein, Das Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen 2019 – was lange währt wird endlich gut? IPRax 2020, 197; D. Stewart, The Hague Conference adopts a new convention on the recognition and enforcement of foreign judgments in civil or commercial matters, AmJIL 113 (2019), 772.
12.113 In Ergänzung des Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 wurde am 2.7.2019 ein neues Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen (HAVÜ) beschlos223 St. Reuter/G. Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382, 407.
718
II. Anerkennung nach Staatsverträgen | Rz. 12.114 § 12
sen. Das Übereinkommen wird in Kraft treten, sobald es zwei Vertragsstaaten ratifiziert haben (Art. 28 I HAVÜ). Nach Art. 4 III HAVÜ wird ein Urteil eines Vertragsstaates anerkannt, wenn es im Ursprungsstaat wirksam und vollstreckbar ist. Anerkennung und Vollstreckung sind weiter davon abhängig, dass die internationale Zuständigkeit des Ursprungsgerichts auf einer der in Art. 5 HAVÜ aufgelisteten Zuständigkeiten beruht. Folgende Zuständigkeiten werden in Art. 5 HAVÜ akzeptiert: (a) Der gewöhnliche Aufenthalt des Beklagten im Ursprungsstaat bei Verfahrensbeginn, (b) Der Ort der Hauptniederlassung einer natürlichen Person bei Verfahrensbeginn, wenn die Klage auf deren Aktivität beruht, (c) Bei Anerkennung und Vollstreckung gegen den Kläger jede Klageerhebung (unabhängig von einer Widerklage), (d) Das Unterhalten einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Ursprungsstaat, wenn die Klage auf einer Aktivität dieser Niederlassung beruht, (e) Ausdrückliche Zustimmung des Beklagten zur Zuständigkeit des Ursprungsgerichts, (f) Rügelose Einlassung des Beklagten auf das Verfahren vor dem Ursprungsgericht, es sei denn eine Zuständigkeitsrüge wäre nach dessen Recht unbehilflich gewesen, (g) Vertraglich vereinbarter oder gesetzlich bestimmter Erfüllungsort im Ursprungsstaat für vertragliche Ansprüche, es sei denn die Aktivitäten des Beklagten hätten keine wesentliche zielgerichtete Verbindung zu diesem Staat, (h) Der Lagestaat bei Streitigkeiten über Miete/Pacht von unbeweglichem Vermögen, (i) Der Lagestaat für Streitigkeiten über einen vertraglichen Anspruch, für den eine dingliche Sicherheit an unbeweglichem Vermögen im Ursprungsstaat besteht, wenn die entsprechende Klage zusammen mit der Klage aus dem dinglichen Recht erhoben wurde, (j) Der Ort, an dem den Schaden als Folge von Tötung, Körperverletzung, Beschädigung oder Verlust einer beweglichen Sache, durch eine direkt verursachende Handlung oder Unterlassung im Ursprungsstaat erfolgte, und zwar unabhängig davon, wo der Schaden eingetreten ist, (k) Beim Streit um Gültigkeit, Auslegung, Wirkung, Verwaltung oder Änderung eines freiwillig oder schriftlich begründeten Trusts die Gerichte des Staates, (1) der in der Trust-Urkunde dafür benannt wurde, oder (2) der in der Trust-Urkunde als Hauptverwaltungssitz des Trusts bezeichnet wurde, (l) Für eine Widerklage der Gerichtsstand der Klage, wenn (i) zugunsten des Widerklägers entschieden wurde und die Widerklage mit der Klage in Zusammenhang steht, oder 719
12.114
§ 12 Rz. 12.114 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
(ii) zugunsten des Widerklägers entschieden wurde, es sei denn, der Ursprungsstaat verlangte eine Widerklage, um eine Präklusion zu vermeiden, (m) Eine schriftliche, aber nicht ausschließliche Zuständigkeitsvereinbarung der Parteien. (n) Bei einem Urteil über dingliche Rechte an unbeweglichem Vermögen, wenn dieses im Urteilsstaat belegen ist (Art. 6 HAVÜ).
12.115 Anerkennung und Vollstreckung können nach Art. 7 HAVÜ versagt werden, wenn (a) das klageeinleitende Schriftstück dem Beklagten nicht rechtzeitig und so zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte, sofern er sich nicht rügelos eingelassen hat (und nach dem Recht des Ursprungsstaates ein Bestreiten der Zuständigkeit möglich gewesen wäre), (b) das Urteil durch arglistige Täuschung („fraud“) erlangt wurde, (c) das Urteil offensichtlich gegen den ordre public des Anerkennungsstaates verstößt, (d) das Verfahren im Ursprungsstaat einer Zuständigkeitsvereinbarung der Parteien oder einer Bestimmun in einer Trust-Urkunde widersprach, (e) das Urteil mit einer Entscheidung des ersuchten Staates zwischen den Parteien unvereinbar ist, (f) das Urteil mit einem früheren Urteil eines anderen Staates zwischen denselben Parteien in derselben Sache unvereinbar ist, sofern das frühere Urteil im ersuchten Staat anzuerkennen ist. Wenn im ersuchten Staat zwischen den Parteien ein Rechtsstreit über dieselbe Sache noch anhängig ist, kann die Anerkennung und Vollstreckung zunächst zurückgestellt oder verweigert werden (Art. 7 II HAVÜ).
12.116 Art. 15 HAVÜ sieht ausdrücklich vor, dass eine Anerkennung nach einem günstigeren autonomen Recht zulässig ist, soweit es sich nicht um Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichem Vermögen handelt. 12.117 Wie die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung geltend zu machen ist, ist in dem Übereinkommen nicht geregelt. Insoweit gilt das (noch zu erlassende) Recht des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaates.
III. Autonomes deutsches Recht 1. Schrifttum 12.118 Sh. Bajrami/M. Payandeh, Die innerstaatliche Anerkennung ausländischer Gerichtsentschei-
dungen im Lichte der völkerrechtlichen Nichtanerkennungspflicht, IPRax 2018, 580; J. Basedow, Die Anerkennung von Auslandsscheidungen, 1980; P. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989; M. Becker, Zwingendes Eingriffsrecht in der Urteilsanerkennung, RabelsZ 60 (1996), 691; G. Beitzke, Anerken-
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.118 § 12 nung inländischer Privatscheidungen von Ausländern? IPRax 1981, 202; K. H. Böckstiegel, Vertragspraxis und Streiterledigung im Wirtschaftsverkehr mit arabischen Staaten, 1981; U. Bohnet, Das Gegenseitigkeitsprinzip bei der Anerkennung von Gerichtsurteilen im deutschchinesischen Rechtsverkehr, RIW 1996, Beil. 2 (zu Heft 6), S. 17; S. Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 1997; A. Bruns, Der anerkennungsrechtliche ordre public in Europa und den USA, JZ 1999, 278; H. Bungert, Enforcing US Excessive and Punitive Damages Awards in Germany, Intern. Lawyer 27 (1993), 1075; D. Coester-Waltjen, Deutsches internationales Zivilverfahrensrecht und die punitive damages, in Heldrich/Kono, Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 15; D. Coester-Waltjen, Das Spiegelbildprinzip bei der Anerkennungszuständigkeit, Liber amicorum Buxbaum, 2000, S. 101; O. Dörr, Staatenimmunität als Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis, in Leible/ Ruffert, Völkerrecht und IPR, 2006, S. 175; H. Dolinar, Vollstreckung aus einem ausländischen, einen Schiedsspruch bestätigenden Exequatururteil, FS Schütze, 1999, S. 187; T. Doser, Gegenseitigkeit und Anerkennung ausländischer Entscheidungen (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), 1999; M. Fadlalla, Die Problematik der Anerkennung ausländischer Gerichtsurteile, 2004; G. Fischer, Objektive Grenzen der Rechtskraft im internationalen Zivilprozessrecht, FS Henckel, 1995, S. 199; R. Freitag, Ausländische Eingriffsnormen vor deutschen Gerichten, NJW 2018, 430; M. Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel, 1990; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995; R. Geimer, Verfassung, Völkerrecht und internationales Verfahrensrecht, ZfRV 5 (1992), 401; R. Geimer, „Internationalpädagogik“ oder wirksamer Beklagtenschutz?, FS Nakamura, 1996, S. 169; Geimer/Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 5 Bände (Stand: 2018); Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I/2 (Allgemeine Grundsätze und autonomes deutsches Recht), 1984; C. Götze, Vouching In und Third-Party Practice, Formen unfreiwilliger Drittbeteiligung im amerikanischen Zivilprozess und ihre Anerkennung in Deutschland, 1993; P. Gottwald, Grundfragen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivilsachen, ZZP 103 (1990), 257; U. Haas, Zur Anerkennung US-amerikanischer Urteile in der Bundesrepublik Deutschland, IPRax 2001, 195; W. Habscheid, Zur materiellen Rechtskraft des Urteils gegen den siegreichen Kläger im internationalen Prozessrecht, ZZP 75 (1962), 164; W. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozessrecht, 1996, S. 67 ff. (Beachtung im Ausland abgeschlossener Verfahren); P. Hay, The Recognition and Enforcement of American MoneyJudgments in Germany, AmJCompL 40 (1992), 1001; D. Henrich, Die Abänderungsklage gegen ausländische Unterhaltsurteile, IPRax 1982, 140; D. Henrich, Privatscheidungen im Ausland, IPRax 1982, 94; D. Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland, 2000; B. Hess, Die Anerkennung eines class action settlement in Deutschland, JZ 2000, 373; G.-S. Hök, Discovery-proceedings als Anerkennungshindernis, 1993; B. v Hoffmann/W. Hau, Zur internationalen Anerkennungszuständigkeit US-amerikanischer Zivilgerichte, RIW 1998, 344; H. Kall, Doppelexequatur: „ne vaut“ oder „no worries“?, IHR 2018, 137; St. Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung, 2011; H. Koch, Anerkennungsfähigkeit ausländischer Prozessvergleiche, FS Schumann, 2001, S. 267; J. Kondring, Die Heilung von Zustellungsmängeln im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; B. Kössinger, Rechtskraftprobleme im deutsch-französischen Rechtsverkehr, 1993; K. Koshiyama, Rechtskraftwirkungen und Urteilsanerkennung, 1996; M. Krefft, Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1993; R. Krause, Urteilswirkungen gegenüber Dritten im US-amerikanischen Zivilprozessrecht, 1994; P. Lakkis, Gestaltungsakte im internationalen Rechtsverkehr, 2007; H. Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 2016; M. Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997; H. Linke, Die Versäumnisentscheidungen im deutschen, österreichischen, belgischen und englischen Recht, ihre Anerkennung und Vollstreckbarerklärung, 1971; F. Loyal, Zur Struktur und Dogmatik der Anerkennung auslän-
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.119 § 12 statsachen, 1997, S. 56 ff., 140 ff.; Sieg, Internationale Anerkennungszuständigkeit bei USamerikanischen Urteilen, IPRax 1996, 77; K. Siehr, Zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Verurteilungen zu „punitive damages“, RIW 1991, 705; K. Siehr, Günstigkeits- und Garantieprinzip, FS Walder, 1994, S. 409; U. Spellenberg, Prozessführung oder Urteil – Rechtsvergleichendes zu Grundlagen der Rechtskraft, FS Henckel, 1995, S. 841; M. Sonnentag, Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitshindernisse im autonomen deutschen Recht, ZVglRWiss 113 (2014), 83; A. Spickhoff, Möglichkeiten und Grenzen neuer Tatsachenfeststellungen bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen, ZZP 108 (1995), 475; A. Spickhoff, Der völkerrechtsbezogene ordre public, in Leible/Ruffert, Völkerrecht und IPR, 2006, S. 275; I. Spiecker gen. Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002; A. Stadler, Die internationale Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes mit opt-out Mechanismen, FS Schütze, 2014, S. 561; Staudinger/Spellenberg, EGBGB, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen 2, Neubearb. 2016; E. Stiefel/H. Bungert, US-amerikanische RICO-Urteile im Licht der neuesten Entscheidungen des BGH und des BVerfG, FS Trinkner, 1995, S. 749; E. Stiefel/R. Stürner, Die Vollstreckbarkeit US-amerikanischer Schadenersatzurteile in exzessiver Höhe, VersR 1987, 829; R. Stürner, Die Vereinbarung von „treble damages“ mit dem deutschen ordre public, FS Schlosser, 2005, S. 967; J. Stunz, Vertrauen in fremde Gerichtsverfahren. Über die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Bundesstaaten der USA und den Mitgliedsstaaten der EU, 2008; J. Taupitz, Verjährungsunterbrechung im Inland durch unfreiwillige Beteiligung am fremden Rechtsstreit im Ausland, ZZP 102 (1989), 288; Ch. Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998; Ch. Thole, Die Entwicklung der Anerkennung im autonomen Recht in Europa, in Heß, Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S. 25; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschen Recht, FamRZ 2006, 744; G. Walter/S. Baumgartner, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen außerhalb der Übereinkommen von Brüssel und Lugano, 2000; Th. Wazlawik, Persönliche Zuständigkeit im US-amerikanischen Prozessrecht und ihre Bedeutung im deutschen Exequaturverfahren, RIW 2002, 691; H. Wiehe, Zustellungen, Zustellungsmängel und Urteilsanerkennung am Beispiel fiktiver Inlandszustellungen, 1994.
2. Einführung Das deutsche Recht unterscheidet zwischen der Anerkennung und der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen. Ebenso verhalten sich die meisten anderen Staaten. Zwischen Anerkennung und Vollstreckung besteht eine Wechselwirkung. Nach § 723 II 2 ZPO kann aufgrund eines ausländischen Urteils ein Vollstreckungsurteil nur ergehen, wenn die Anerkennung des Urteils nach § 328 ZPO nicht ausgeschlossen ist. Nach klassischem Völkerrecht ist kein Staat verpflichtet, ausländische Entscheidungen anzuerkennen.224 Jeder Staat bestimmt daher grds. selbst, inwieweit er ausländische Entscheidungen anerkennen und vollstrecken will. In der Verkündung eines Urteils wird die Gerichtshoheit eines jeden Staats offenkundig. Dieser Hoheitsakt kann grds. nur innerhalb der staatlichen Grenzen wirken. Jeder Staat bestimmt deshalb die Voraussetzungen, unter denen er ein ausländisches Urteil anerkennt. Ansätze zur Entwicklung eines Völkergewohnheitsrechts haben sich im Gegensatz zu dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe nicht einmal gezeigt. Es besteht auch darüber keine Einigkeit, dass grds. ausländische Entscheidungen anerkannt werden 224 R. Geimer, Anerkennung, S. 10; H. Nagel ZZP 75 (1962), 408, 435.
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12.119
§ 12 Rz. 12.119 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
sollten. Noch immer gibt es Staaten, die die Vollstreckung aus ausländischen Urteilen grds. nicht zulassen, so dass in solchen Fällen im Ausland noch einmal geklagt werden muss. Die völkerrechtliche Nichtanerkennung einer Gebietsannexion führt nicht dazu, dass allein deshalb die in diesem Gebiet von der neuen Staatsmacht erlassenen Zivilurteile nicht anerkannt werden, da dies nur zu ungerechtfertigten negativen Folgen für die betroffenen Parteien führen würde.225
12.120 Für Deutschland ergibt sich aber aus dem Justiz-(gewährungs-)anspruch ggf. sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht, ausländische Entscheidungen, z.B. in Statussachen, anzuerkennen. Wegen dieser Verbindung zum Justizgewährungsanspruch erscheint es problematisch, die Anerkennung vom Erfordernis der Gegenseitigkeit (s. Rz. 12.207 ff.) abhängig zu machen.226 12.121 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen sind im autonomen Recht in den §§ 328, 722, 723 ZPO und §§ 107–109 FamFG geregelt. Daneben bestehen EU-Verordnungen sowie eine Reihe von multilateralen und bilateralen Staatsverträgen. Im Allgemeinen haben EU-Recht und Vertragsrecht Vorrang vor dem autonomen Recht der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. 12.122 Das EU-Recht beansprucht vorrangige, abschließende Geltung. Soweit das autonome Recht aber sonst anerkennungsfreundlicher ist, hat es nach dem Günstigkeitsprinzip Vorrang gegenüber gewöhnlichen Anerkennungsverträgen, da diese nur Mindeststandards der Anerkennung festlegen, aber grds. keinen Staat daran hindern, darüber hinaus Entscheidungen anzuerkennen.227 Das gleiche Prinzip gilt im Zweifel bei einer Kollision mehrerer Anerkennungsverträge. Jedoch gilt ein Vermischungsverbot: Innerhalb von Regelungseinheiten dürfen nicht einzelne Anerkennungsvoraussetzungen oder Verfahrenserfordernisse ausgetauscht werden.228 3. Die Art und Weise der Anerkennung
12.123 Die Anerkennung und Rechtskraftwirkung eines ausländischen Urteils tritt ohne ein besonderes Verfahren ein. Die Anerkennung erfolgt vielmehr „automatisch“ kraft Gesetzes, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen.229 Eine besondere Delibation, wie nach dem bis 1994 geltenden autonomen italienischen Recht (Art. 796 ff. cpc) oder eine sog. Homologisierung wie in latein- und südamerikanischen Staaten (z.B. in Brasilien, s. Rz. 16.65) zur Wirkungsverleihung ist weder erforderlich noch überhaupt vorgesehen.
225 Sh. Bajrami/M. Payandeh, IPRax 2018, 580. 226 Vgl. R. Geimer, ZfRV 5 (1992), 401, 405 f. 227 R. Geimer, Anerkennung, S. 81 ff. Allgemein: M. B. Noodt Taquela, Applying the most favorable treaty or domestic rules to facilitate private international law co-operation, RdC 377 (2015), 121. Für EU-Recht ist ein Rückgriff auf das autonome Recht dagegen ausgeschlossen (s. Rz. 12.4). 228 K. Siehr, FS Walder, 1994, S. 409; K. Siehr, IPR, 2001, S. 528. 229 H. Schack, Rz. 971; J. Kropholler, IPR, § 60 II 2 (S. 662); Linke/Hau, IZVR, Rz. 12.48; R. Geimer, Anerkennung, S. 157.
724
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.130 § 12
Da die Anerkennung ex lege erfolgt, treten ihre Wirkungen mit Erlass bzw. Rechtskraft der Entscheidung ein, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen in diesem Zeitpunkt vorliegen. Wird das Anerkennungsrecht später liberalisiert oder tritt erst später ein Rügeverzicht ein, so kann die Anerkennung auch erst zu einem späteren Zeitpunkt wirken. Ein Vertrauensschutz in eine Nichtanerkennungsfähigkeit besteht nicht.230
12.124
Ausländische Ehescheidungen bedürfen dagegen der förmlichen Anerkennung durch die zuständige Landesjustizverwaltung (s. Rz. 13.27 ff.), ausgenommen sind freilich Entscheidungen aus EU-Staaten (Art. 21 Brüssel IIa-VO; s. Rz. 13.3 ff.) und Heimatstaatentscheidungen.
12.125
Besteht jedoch ein Streit der Parteien darüber, ob ein ausländisches Urteil anzuerkennen ist, so kann eine Partei eine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO erheben.231 Dieser Fall tritt selten ein, weil in der Mehrzahl der Fälle die Anerkennung mit der Klage auf Vollstreckbarerklärung verbunden ist.
12.126
Im Rahmen von EuGVO n.F. bzw. LugÜ kann die (selbständige) Feststellung, dass die Entscheidung anzuerkennen ist, im Beschlussverfahren nach Art. 36 II, 46 ff. EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) bzw. Art. 33 II, 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ begehrt werden (s. Rz. 12.22 ff.).
12.127
Anerkennung und Vollstreckbarkeitserklärung stehen also in einem engen Zusammenhang. Ohne (inzidente) Anerkennung kann ein ausländisches Urteil nicht für vollstreckbar erklärt werden (§ 723 II 2 ZPO).
12.128
4. Die Wirkungen der Anerkennung Zwar gibt es keinen Satz des Völkergewohnheitsrechts, wonach die Staaten verpflichtet sind, ausländische Urteile anzuerkennen. Doch steht Deutschland der Anerkennung ausländischer Urteile aufgeschlossen gegenüber. Die Anerkennung solcher Urteile ist also das Normale, falls die Voraussetzungen der Nr. 1–5 erfüllt sind.
12.129
a) Ausländischen Urteilen wird durch die Anerkennung dieselbe Wirkung beigemessen, die sie im Urteilsstaat haben. Der objektive Inhalt und die subjektive Reichweite der ausländischen Entscheidung werden auf das Inland erstreckt (Lehre von der Wirkungserstreckung).232 Durch die Anerkennung erhält die Entscheidung aber keine weitergehenden, originär verliehenen Wirkungen.233 Eine Entscheidung aus einem Staat mit enger Rechtskraftpräklusion entfaltet daher in einem Staat mit weiter
12.130
230 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 9; Roth in Stein/Jonas, § 328 Rz. 35; Linke/Hau, IZVR, Rz. 12.47; 231 R. Geimer, Anerkennung, S. 157 f. 232 OLG Köln, FamRZ 2010, 1590, 1591; R. Geimer, Anerkennung, S. 86; R. Geimer, IZPR, Rz. 2776, 2848; v Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rz. 154–155; Kegel/Schurig, IPR, § 22 V 1a (S. 1061); J. Kropholler, IPR, § 60 V 1; Linke/Hau, IZVR, Rz. 12.6 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 160; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 41 f. 233 R. Geimer, Anerkennung, S. 88; R. Schütze, IZPR, Rz. 319.
725
§ 12 Rz. 12.130 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Rechtskraftpräklusion nicht die weiteren Wirkungen. Jedoch wird die Rechtskraft in Deutschland stets von Amts wegen beachtet, auch wenn sie im Erststaat nur auf Einrede hin berücksichtigt wird.234
12.131 Wirkungserstreckung tritt nur ein, wenn und solange die ausländische Entscheidung wirksam ist.235 Wird die Entscheidung im Erststaat aufgehoben, entfallen automatisch auch ihre unmittelbaren Inlandswirkungen, eine inländische Vollstreckbarerklärung muss dagegen besonders aufgehoben werden (s. Rz. 15.74, 15.247). 12.132 Andere wollen die ausländische Entscheidung nur einer inländischen gleichstellen und keine weiterreichenden Wirkungen anerkennen, als sie das deutsche Recht kennt; soweit das ausländische Recht hinter dem deutschen zurückbleibt, sollen die Wirkungen durch die Anerkennung freilich nicht verstärkt werden (so die Gleichstellungs- oder besser Kumulationstheorie236). Letztere Einschränkung spricht bereits gegen eine Gleichstellung. Anerkannt werden sollte eine ausländische Entscheidung so, wie sie im Urteilsstaat ergangen ist und nicht in jeweils anderen, von Land zu Land unterschiedlich begrenzten Wirkungen. Die Anerkennung ist daher grds. nicht durch die Entscheidungswirkungen nach der inländischen lex fori begrenzt.237 12.133 Eine Grenze ergibt sich erst, wenn die ausländische Entscheidungswirkung dem deutschem Recht völlig „wesensfremd“ ist. Dies ist aber nur der Fall, wenn sie dem deutschen Recht nicht nur unbekannt ist, sondern ihre Inlandswirkung gegen den deutschen ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO) verstoßen würde.238 12.134 b) Die Anerkennung der ausländischen Entscheidung hat zur Folge, dass die inländischen Gerichte an die materielle Rechtskraft des ausländischen Urteils gebunden sind239 und seine Richtigkeit nicht nachprüfen dürfen (keine révision au fond; vgl. § 723 I ZPO). Rein formal kann man eine Entscheidung zwar auch nach sachlicher Überprüfung anerkennen; aber in der Sache hat das inländische Gericht den Fall neu entschieden. Die Anerkennung darf nicht versagt werden, weil es den im Ausland zuerkannten Anspruch in gleicher Weise nach inländischem Recht nicht gibt. Sie ist nur zu verweigern, soweit das ausländische Urteil gegen den inländischen ordre public verstößt.240
234 D. Martiny, HdbIZVR III/1, Rz. 392; a.A. R. Geimer, Anerkennung, S. 150. 235 OLG Köln, FamRZ 2010, 1590, 1591. 236 Dafür H. Schack, IZVR, Rz. 886; Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 141; wohl auch R. Schütze, IZPR, Rz. 319; für die Schweiz G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 410 (für IPRG). 237 Ebenso G. Fischer, FS Henckel, S. 199, 204 ff. 238 P. Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 261 ff.; v Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rz. 157; J. Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, § 60 IV 7 (S. 676), § 60 V 1b (S. 680); M. Peiffer, Rz. 153 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 158 Rz. 49 ff.; Staudinger/Spellenberg, Bearb. 2016, § 108 FamFG Rz. 176. 239 H. Schack, Rz. 867; vgl. Y. Sinai, Reconsidering res judicata: a comparative perspective, Duke J. Comp. & Intern. L. 21 (2011), 353. 240 W. Anderson ICLQ 42 (1993), 697; R. Geimer, Anerkennung, S. 57 ff.
726
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.140 § 12
Wird die Rechtskraft im Inland anerkannt, ist eine neue Klage zwischen denselben Parteien über den gleichen Streitgegenstand unzulässig („ne bis in idem“).241
12.135
Soweit das ausländische Urteil nur mittels Vollstreckungsklage (§ 722 ZPO) für vollstreckbar erklärt werden kann, ist nach h.M. eine neue Leistungsklage zulässig, wobei ein neues Sachurteil unter Bindung an das ausländische Urteil zu erlassen ist.242
12.136
Regelmäßig ist die ausländische Entscheidung freilich zu einer präjudiziellen Vorfrage ergangen. Das Gericht ist dann an diese Entscheidung der Vorfrage gebunden und hat sie seinem neuen Urteil unverändert zugrunde zu legen.
12.137
Teil der Rechtskraftbindung ist auch die Rechtskraftpräklusion von Alttatsachen.243 Richtet sich der Umfang der Rechtskraftbindung nach dem Recht des Erststaats, so muss auch der Umfang der Präklusionswirkung aus Gründen prozessualen Vertrauensschutzes nach dem Recht des Erststaats beurteilt werden.244 Anzuerkennen ist nicht nur die Präklusionswirkung einer Erstentscheidung,245 sondern auch die einer ausländischen Zweitentscheidung (z.B. auf Vollstreckungsabwehrklage oder Abänderungsklage).246 Soweit Urteile mit vereinbartem Inhalt (consent judgments) eine verminderte Präklusionswirkung haben, ist dies zu beachten; außerordentliche Rechtsbehelfe, die der Erststaat gegen ein consent judgment eröffnet, müssen dagegen nicht eröffnet werden.247
12.138
Rechtskraftfremde Präklusionswirkungen sind keine Entscheidungswirkungen, sondern knüpfen meist daran an, dass die Partei es unterlassen hat, einen weiteren Klagegrund in das Erstverfahren einzuführen oder einen Rechtsbehelf (z.B. Einspruch gegen ein Versäumnismittel) einzulegen. Nelle meint, solche Regeln seien nur im Inland nach der lex fori maßgeblich und nur auf inländische Präklusionstatbestände anwendbar.248 Aber dies überzeugt nicht. Es besteht kein Anlass, der Partei im Inland mehr Einwendungen gegen ein Urteil zuzubilligen als im Erststaat. Rechtskraftfremde Präklusionen sind daher ebenfalls anzuerkennen (nicht anders entscheidet die Rechtsprechung seit jeher über Einwendungen gegen einen Schiedsspruch).
12.139
Nach anglo-amerikanischem Prozessrecht bindet eine Entscheidung nicht nur hinsichtlich des Tenors, sondern auch hinsichtlich der Beurteilung von Vorfragen, die tatsächlich verhandelt und entschieden wurden („collateral estoppel“ oder „issue
12.140
241 R. Schütze, IZPR, Rz. 320. 242 BGH, NJW 1964, 1626; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 ZPO Rz. 47. 243 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 322 ZPO Rz. 136 ff.; R. Geimer, Anerkennung, S. 152. 244 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 236 ff., 243; R. Geimer, IZPR, Rz. 2812; R. Geimer, Anerkennung, S. 149. 245 Vgl. M. Peiffer, Rz. 597 ff. 246 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 290 ff. 247 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 269 ff. 248 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 258.
727
§ 12 Rz. 12.140 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
preclusion“).249 Inter partes sind solche Wirkungen dem deutschen Recht vergleichbar und anzuerkennen. Lange Zeit bestand eine solche Bindung an präjudizielle Rechtsverhältnisse auch nach französischem Recht.250 Der französische Gesetzgeber und die Rechtsprechung haben die -Rechtskraft aber inzwischen auf die Entscheidung im „dispositif“ beschränkt; die Ausführungen in den Gründen nehmen nicht mehr an der Rechtskraft teil, auch soweit es sich um entscheidungserhebliche Ausführungen handelt.251 Jedoch sind Nach-oder Restforderungen nach einer Entscheidung über eine Teilklage ausgeschlossen.252. Auch wird die Rechtkraft stärker als in Deutschland auf sachlich unvereinbare Anträge ausgedehnt.253 Eine Bindung an durch Zwischenurteil entscheidbare Vorfragen254 dürfte dagegen inter partes anzuerkennen sein.255,256
12.141 Soweit die materielle Rechtskraft gegenüber Dritten wirkt, ist zu unterscheiden: Zu Lasten eines Dritten kann die Rechtskraft nur wirken, soweit dieser Rechtsnachfolger der Partei ist oder in eine Bindung eingewilligt hat. Ansonsten widerspricht die Bindung der Garantie rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG), die im Rahmen der Urteilsanerkennung Bestandteil des deutschen ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO) ist.257 12.142 Zugunsten des Dritten wirkt collateral estoppel, sei es zur Verteidigung oder als Angriffsmittel des Dritten,258 sicherlich im gleichen Rahmen. Gegenüber der Hauptpartei sollte die Präklusionswirkung aber auch dann anerkannt werden, wenn das Interesse des Dritten im Erstprozess bereits erkennbar im Spiel war.259 Eine eventuelle weitergehende Bindung der Parteien des Erstprozesses gegenüber Dritten ist dagegen nicht anzuerkennen.
249 Vgl. Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 6th ed. 2011, § 14.3 (p. 610); R. Casad/K. Clermont, Res judicata, 2nd ed. 2001, Chap. 7, pp. 113 ff.; P. Hay, US-Amerikanisches Recht, 4. Aufl. 2008, Rz. 207; U. Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht, 2005, Rz. 771 ff.; H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 184 ff.; B. Stapf, Die Entwicklung der Rechtskraftlehre im französischen und spanischen Recht, 2017, S. 563 ff. (zu England). 250 B. Kössinger, S. 92 ff., 146 ff. 251 B. Stapf (Fn. 250), 2017, S. 101 ff., 107 ff. 252 B. Stapf (Fn. 250), 2017, S. 194 ff., 623. 253 B. Stapf (Fn. 250), 2017, S. 190 ff., 623. 254 Hierfür English Court of Appeal, [1996] ILPr 906. 255 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 168; Musielak/Voit/Musielak, § 328 ZPO Rz. 35; G. Fischer, FS Henckel, S. 199, 208 f.; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 319. 256 Zu den objektiven Rechtskraftgrenzen im Ausland vgl. U. Ritter, ZZP 87 (1974), 138; U. Spellenberg, FS Henckel, 1997, S. 841; R. Stürner, FS Schütze, 1999, S. 913. 257 Vgl. im Einzelnen R. Krause, Urteilswirkungen gegenüber Dritten im US-amerikanischen Zivilprozessrecht, 1994, S. 51 ff.; a.A. für die class action: J. Dixon, The res judicata effect in England of a US class action settlement, ICLQ 46 (1997), 134; für Bindungswirkung gegenüber allen Mitgliedern der class, die vom Verfahren ordnungsgemäß benachrichtigt wurden M. Peiffer, Rz. 489 ff. 258 Vgl. C. Tiedtke Smith, DRiZ 1995, 94; H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 185. 259 Vgl. R. Krause, S. 244 ff.
728
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.146 § 12
Die Anerkennung der materiellen Rechtskraft erfolgt rein prozessual. Sie hängt nicht davon ab, ob das ausländische Urteil in Anwendung des nach deutschem IPR anwendbaren materiellen Rechts ergangen ist.260
12.143
Die Rechtskraftwirkungen richten sich nur nach dem Recht des Urteilsstaats, nicht nach der Rechtsordnung, die das Gericht auf die Sachentscheidung angewendet hat.261 Die gegenteilige Lehre von der kollisionsrechtlichen Relativität der Rechtskraft möchte Friktionen auf der Ebene der lex causae, insb. bei Gestaltungsurteilen, vermeiden.262 Aber sie erkauft diese Einheitlichkeit durch Unsicherheit über die tatsächlichen Rechtsfolgen eines Urteils. Nachdem 1986 jeder kollisionsrechtliche Vorbehalt aus § 328 ZPO gestrichen wurde, kann dieser Lehre nicht mehr gefolgt werden.
12.144
c) Anzuerkennen ist auch die Gestaltungswirkung einer gerichtlichen Entscheidung (z.B. die Ehescheidung, der Ausschluss eines Gesellschafters, die Herabsetzung einer Vertragsstrafe usw), und zwar ebenfalls rein prozessual nach dem Recht des Urteilsstaats, ohne Rücksicht sowohl auf die nach deutschem IPR anzuwendende Rechtsordnung als (in Statussachen) auf die Haltung des Heimatstaats der oder eines der Beteiligten.263 Bei Statusänderungen ist von der Rechtsfolge auszugehen, die nach der angewandten Rechtsordnung angeordnet werden konnte.264 Danach ist zu entscheiden, ob zu der Entscheidung noch eine Registrierung etc hinzutreten muss, um die Statusänderung herbeizuführen.
12.145
d) Anzuerkennen sind weiter Drittwirkungen, die der Interventionswirkung (§ 68 ZPO) oder der Streitverkündungswirkung (§§ 74 III, 68 ZPO) des deutschen Rechts entsprechen, auch wenn sie im Ausland ggf. materiell-rechtlich qualifiziert werden.265 Voraussetzung dafür ist, dass die Entscheidung selbst im Inland anerkannt werden kann. Wenn nach h.M. sämtliche Anerkennungsvoraussetzungen insoweit gegeben sein müssen,266 so bedeutet dies, dass die Zuständigkeit des Erstgerichts gegenüber dem Beklagten, nicht aber gegenüber dem einem Streitverkündungsempfänger vergleichbaren vauchee bestehen muss.267 Den Dritten gegenüber muss aber ein Streitverkündungsgrund vorliegen und die Streitverkündung (analog § 328 I Nr. 2 ZPO) ordnungsgemäß zugestellt worden sein. Sie darf analog § 328 I Nr. 3 ZPO kei-
12.146
260 261 262 263
264 265 266 267
R. Geimer, Anerkennung, S. 37 ff., 44 ff., 149 („Emanzipation“ des Anerkennungsrechts). H. Schack, Rz. 1007 ff., 1020 ff.; G. Fischer, FS Henckel, S. 199, 202 f. Vgl. R. Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, S. 183 ff. R. Geimer, Anerkennung, S. 41 f., 152 f.; M. Peiffer, Rz. 501 ff.; Gottwald in MünchKomm/ ZPO, § 328 ZPO Rz. 173 ff.; H. Schack, IZVR, Rz. 869; Zöller/Geimer, § 328 ZPO Rz. 52 ff.; R. Schütze, IZPR, Rz. 321. Für eine Rückführung der Gestaltungswirkung auf die Rechtskraftbindung P. Lakkis, Gestaltungsakte im internationalen Rechtsverkehr, 2007. Staudinger/Spellenberg, Bearb. 2016, § 108 FamFG Rz. 190. Wieczorek/Schütze/Mansel, § 68 Rz. 24 ff., 27, 30 ff.; R. Geimer, Anerkennung, S. 46, 153 ff. D. Martiny, HdbIZVR III/1 Rz. 397; E. Milleker, ZZP 80 (1967), 288; H. Schack, Rz. 1018 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 177 f.; Wieczorek/Schütze/ Mansel, § 68 Rz. 33. C. Götze, Vouching In und Third-Party Practice, 1993, S. 146 ff.; R. Geimer, Anerkennung, S. 155; a.A. BGH, NJW 1970, 387 (Geimer); teilw. abw. M. Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 222 ff.
729
§ 12 Rz. 12.146 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
ner anderen vorrangig beachtlichen Entscheidung und analog § 328 I Nr. 4 ZPO nicht dem deutschen ordre public widersprechen. Im Verhältnis zum Wohnsitzstaat des Dritten braucht aber keine Gegenseitigkeit zu bestehen.268
12.147 Unter diesen Voraussetzungen ist die Bindungswirkung des vouching in des USamerikanischen Rechts gegenüber dem vouchee, z.B. gegenüber dem Verkäufer nach dem Uniform Commercial Code sec. 2–607 (5) (a), im Inland anzuerkennen.269 Nicht gebunden ist der Dritte aber an einen Vergleich zwischen den Hauptparteien. Wegen der funktionellen Vergleichbarkeit soll auch die Bindung an ein consent judgment entfallen.270 12.148 Anzuerkennen sind auch Garantieklageurteile und Urteile auf Gewährleistungsklage. Art. 65 EuGVO (n.F. und a.F.) und Art II des 1. Protokolls zum LugÜ 2007 schließen zwar die Zuständigkeiten für Gewährleistungs- bzw. Interventionsklagen nach den Art. 8 Nr. 2 und Art. 13 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 und Art. 11 EuGVO a.F./LugÜ für Deutschland aus, sehen aber ausdrücklich vor, dass die entsprechenden in einem anderen EuGVO- bzw. LugÜ-Staat ergangenen Urteile anerkannt und vollstreckt werden (s. Rz. 12.33 f.).271 12.149 Für gegenüber Dritten auf Garantie- oder Regressklage ergehende Urteile aus anderen Staaten gelten dagegen die allgemeinen Anerkennungsvoraussetzungen, da das Urteil gegenüber dem Dritten eine selbständige vollstreckbare Entscheidung bildet. Solange deshalb nicht ein Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F. (Art. 6 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) entsprechender Gerichtsstand in die ZPO eingefügt wird, muss gegenüber dem Dritten eine andere Anerkennungszuständigkeit (analog §§ 12 ff. ZPO) gegeben sein; der Sachzusammenhang mit dem Hauptprozess genügt nicht.272 Scheitert die Anerkennung danach an § 328 I Nr. 1 ZPO, kann dem Drittklageurteil nicht etwa eine anerkennungsfähige Interventionswirkung entnommen werden. Drittklage und Streitverkündung sind ein aliud, die Streitverkündung ist schon wegen der unterschiedlichen Prozessführungslasten kein darin enthaltenes minus.273 12.150 e) Ob ein ausländisches Urteil im Inland Tatbestandswirkung entfaltet, ist dagegen keine Frage der Wirkungserstreckung eines ausländischen Urteils. In Auslegung der jeweiligen Norm des materiellen Rechts ist vielmehr zu ermitteln, ob und unter welchen Voraussetzungen die dort vorgesehenen Wirkungen auch durch eine ausländische Entscheidung (im Wege der Substitution) ausgelöst werden.274 268 269 270 271 272
Wieczorek/Schütze/Mansel, § 68 Rz. 39. Vgl. C. Götze, S. 57 ff., 126 ff., 138, 166. So C. Götze, S. 142 ff. Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 1018. C. Götze, S. 168 ff.; St. Knöchel, S. 297 ff., 318 ff.; H. Schack, IZVR, Rz. 1018 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 179; Wieczorek/Schütze/Mansel, § 68 Rz. 45; Zöller/Geimer, § 328 ZPO Rz. 59; a.A. R. Geimer, IZPR, Rz. 2820. 273 C. Götze, S. 184 ff.; Wieczorek/Schütze/Mansel, § 68 Rz. 47. 274 H. Schack, IZVR, Rz. 870; R. Geimer, Anerkennung, S. 42 f.; C. Schulz, Die Subsumtion ausländischer Rechtstatsachen, 1997, S. 38, 42 ff., 56 ff.; Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 141; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 323.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.156 § 12
Für die praktisch wichtige Verjährungshemmung bzw. Verlängerung der Verjährungsfrist (§§ 197 I Nr. 3, 204 I BGB) soll nach einer Ansicht jede Klage und jede Streitverkündung bzw. jedes Urteil im Ausland genügen,275 nach einer weiteren Ansicht müsse das ausländische Gericht jedenfalls aus deutscher Sicht international zuständig sein.276 Schack will die Wirkung des § 204 I Nr. 1 BGB an jede Klageerhebung, bei der rechtliches Gehör gewährt wurde, die Wirkung des § 197 I Nr. 3 BGB aber von der Anerkennung des ausländischen Urteils im Inland abhängig machen.277 Die h.M. verlangt wohl zu Recht für eine Tatbestandswirkung nach deutschem Recht, dass Rechtshängigkeit und Streitverkündung bzw. Urteil im Inland anerkannt werden können.278
12.151
Die Anerkennungsvoraussetzungen sind für jeden Streitgegenstand gesondert zu prüfen, so dass eine Teilanerkennung in Betracht kommt.279 Auch eine Teilanerkennung eines teilbaren Anspruchs kommt in Betracht.
12.152
Die Anerkennung schließt nicht aus, die Entscheidung im Inland wegen veränderter Umstände abzuändern (s. Rz. 6.26 f.).
12.153
f) Die Vollstreckbarkeit, die eine Entscheidung im Erststaat hat, wird (soweit es sich nicht um Europäische Vollstreckungstitel handelt) de lege lata nicht anerkannt, sondern muss der Entscheidung erst im Inland in rechtsgestaltender Weise verliehen werden.280
12.154
Als Ausnahme von dieser Regel sind die Europäischen Vollstreckungstitel, insb. Gemäß Art. 39 EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) und gem. Art. 5 EuVTVO in allen EUStaaten unmittelbar vollstreckbar (s. Rz. 14.7 ff., 14.30 ff.). Europäische Vollstreckungstitel sind auch der Europäische Umgangstitel, der Europäische Zahlungsbefehl, Titel, die im europäischen small claim Verfahren ergangen sind, europäische Schutzanordnungen sowie Unterhaltsentscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten, die an das Haager Protokoll gebunden sind (s. Rz. 14.78 ff., 14.93 ff., 14.99 ff., 14.119, 14.122 ff.).
12.155
5. Anerkennungsfähige Entscheidungen a) Der Kreis der anzuerkennenden ausländischen Entscheidungen ist begrenzt. Anerkannt werden alle rechtskräftigen Entscheidungen, gleichgültig ob sie in einem ordentlichen oder einem summarischen Verfahren (ohne oder nur mit eingeschränkter Beweiserhebung) ergangen sind.281 Diese dürfen nicht mehr mit einer Berufung, Revision, Kassation oder anderen Rechtsmitteln im Erststaat angegriffen 275 276 277 278
So R. Frank, IPRax 1983, 108. So R. Geimer, IPRax 1984, 83 f. H. Schack, IZVR, Rz. 872 ff. J. Taupitz, ZZP 102 (1989), 288, 307 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 181 f. 279 R. Geimer, Anerkennung, S. 95. 280 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 183; R. Geimer, Anerkennung, S. 163. 281 R. Geimer, Anerkennung, S. 97; R. Schütze, IZPR, Rz. 328.
731
12.156
§ 12 Rz. 12.156 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
werden. Die Entscheidung muss wirksam sein.282 Da jeder Staat selbständig über die Anerkennung (und die Vollstreckbarkeit) entscheidet, können ausländische Exequaturentscheidungen nicht anerkannt werden.283
12.157 Vorläufig vollstreckbare Entscheidungen werden nicht anerkannt. Das ist von großer praktischer Bedeutung. Es vergehen oft viele Jahre, bis eine ausländische Entscheidung rechtskräftig und damit endgültig geworden ist. Dabei kommt es entscheidend auf den Instanzenzug des Erststaats an. 12.158 Arreste und einstweilige Verfügungen scheiden aus. Bei einstweiligen Verfügungen und Arresten handelt es sich um vorläufige Maßnahmen. Schon daraus folgt, dass sie nicht unter § 328 ZPO fallen können.284 Es soll durchaus nicht verkannt werden, dass in der Praxis viele einstweilige Verfügungen und Arreste den Streit endgültig bereinigen. 12.159 Urkunden-, Wechsel- und Scheckurteile werden nicht anerkannt, sofern die Entscheidungen noch mit einem Nachverfahren belastet sind. 12.160 b) § 328 ZPO spricht vom Urteil eines ausländischen Gerichts. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass alle gerichtlichen Sachentscheidungen gemeint sind, unabhängig von ihrer Bezeichnung.285 Um ein Gericht handelt es sich, wenn ein weisungsfreies staatliches oder staatlich beliehenes286 Organ entschieden hat und den Parteien in dem Verfahren rechtliches Gehör gewährt worden ist. 12.161 c) Klagabweisende Prozessurteile sollen nach h.M. nicht anerkennungsfähig sein bzw. keinen anerkennungsfähigen Inhalt haben.287 Es besteht aber durchaus ein Bedürfnis, z.B. die rechtskräftige Klagabweisung wegen einer wirksamen Schiedsvereinbarung auch in einem anderen Staat anzuerkennen (s. Rz. 12.26). 12.162 d) Gegenstand der Entscheidung muss eine Zivil- oder Handelssache sein. Maßgeblich ist dafür im autonomen deutschen Recht das inländische Verständnis nach § 13 GVG;288 auf die Bezeichnung des ausländischen Spruchkörpers kommt es nicht an. Anerkennungsfähig sind danach auch Entscheidungen von ArbG oder von VG, soweit diese materiell über zivilrechtliche Ansprüche entschieden haben. Nicht zu den Zivilsachen gehört ein Schadenersatzanspruch gegen einen Hoheitsträger aus 282 Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1991, 1161/62; R. Geimer, Anerkennung, S. 87, 111. 283 G. Kegel, FS Müller-Freienfels, 1986, S. 377; R. Geimer, Anerkennung, S. 86 f.; vgl. H. P. Glenn in Aufbruch nach Europa, 75 Jahre MPI für Privatrecht, 2001, S. 705; a.A. H. Kall, IHR 2018, 137. 284 E. Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, S. 668, weist darauf hin, dass die Anordnungen im Ausland nicht erzwungen werden können; R. Geimer, IZPR, Rz. 2857, will darauf abstellen, ob die einstweilige Maßnahme nach dem Recht des Erststaats geeignet ist, die Streitsache endgültig zu erledigen. 285 J. Kropholler, IPR, 60 III 1 (S. 662); R. Geimer, Anerkennung, S. 97. 286 Zur Scheidung durch kirchliche Gerichte s. Rz. 13.6, 13.27. 287 R. Geimer, Anerkennung, S. 89 ff.; R. Geimer, IZPR, Rz. 2788; Linke/Hau, IZVR, Rz. 12.32; vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 58. 288 Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 60; R. Geimer, Anerkennung, S. 100.
732
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.166 § 12
der Ausübung hoheitlicher Befugnisse.289 Ein Schadenersatzurteil ist in einer Zivilsache auch dann ergangen, wenn ihm, wie bei einer Entscheidung über punitive damages, auch pönale Elemente innewohnen.290 Strafurteile sind anzuerkennen, soweit im Adhäsionsprozess endgültig über zivilrechtliche Ansprüche entschieden ist.
12.163
Die Vollstreckung ausländischer Strafurteile ist geregelt im Übereinkommen v. 13.11.1991 zwischen den Mitgliedstaaten der EU über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen.291
12.164
e) Ausländische Schiedssprüche fallen nicht unter die anzuerkennenden Entscheidungen, selbst dann nicht, wenn sie durch ein ausländisches Gericht für vollstreckbar erklärt sind.292 In Erwägungsgrund 12 Abs. 3 u. 4 EuGVO n.F. wird dies ausdrücklich klargestellt. Insoweit gelten das New Yorker UN-Übereinkommen und die Sonderregelung des § 1061 ZPO (s. Rz. 18.228 ff.). Etwas anderes gilt auch nicht für ein ausländisches Urteil, das einen Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt.293 Die gegenteilige Ansicht294 beruhte auf einer Fehlinterpretation der merger-Wirkung eines Exequatururteils.295 Der BGH hat sie 2009 ausdrücklich aufgegeben.296
12.165
f) Soweit es sich um Entscheidungen internationaler Gerichte handelt, kommt es darauf an, ob Deutschland Vertragspartner des entsprechenden völkerrechtlichen Vertrags ist. Die Anerkennung ist dann i.d.R. in dem speziellen Abkommen geregelt, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 328 ZPO bedurfte. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichts erster Instanz sind danach wie inländische Entscheidungen zu behandeln (Art. 280, 299 AEUV). Entsprechendes gilt für den Schiedsgerichtshof der Gemischten Kommission für das Londoner Abkommen über deutsche Auslandsschulden, die Zentralkommission in Rheinschifffahrtssachen und den Berufungsausschuss der Mosel-Kommission in Moselschifffahrtssachen. Für deren Entscheidungen ist die Vollstreckbarerklärung besonders geregelt, so dass auch die Inzidentanerkennung nicht zusätzlichen Voraussetzungen nach § 328 ZPO unterliegen kann.
12.166
Handelt es sich dagegen um ein internationales Gericht, an dessen vertraglicher Regelung Deutschland nicht beteiligt ist, so gilt für dessen Entscheidungen § 328 ZPO.297 289 290 291 292 293 294
BGHZ 155, 279, 281 ff. = NJW 2003, 3488. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 57, 122. Gesetz v. 7.7.1997, BGBl. II 1350; vgl. BR-Drucks. 320/96. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 59. BGH, NJW 2009, 2826. Vgl. BGH, RIW 1984, 557 (krit. R. Schütze, RIW 1984, 734); BGH, NJW 1984, 2763 = RIW 1984, 644 (Mezger) = IPRax 1985, 158 (dazu P. Schlosser, S. 141); OLG Hamburg, RIW 1992, 939. 295 H. Dolinar, FS Schütze, S. 187. 296 BGH v. 2.7.2009 – IX ZR 152/06, SchiedsVZ 2009, 285 = RIW 2009, 721; dazu R. Schütze, RIW 2009, 817; H. Plaßmeier, SchiedsVZ 2010, 82; R. Geimer, IPRax 2010, 346. 297 Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 70; Zöller/Geimer, § 328 ZPO Rz. 90.
733
§ 12 Rz. 12.167 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
12.167 g) Nach h.M. fallen ausländische Prozessvergleiche und ausländische vollstreckbare Urkunden (§ 794 I Nr. 1 und Nr. 5 ZPO) nicht unter § 328 ZPO. In beiden Fällen handelt es sich nicht um rechtskräftige ausländische Entscheidungen.298 Eine generelle Gleichstellung wie nach Art. 59 EuGVO n.F. bzw. Art. 57 LugÜ wäre für Prozessvergleiche durchaus sinnvoll, ist aber dem Gesetzgeber vorbehalten. Die in diesen Titeln enthaltenen Parteierklärungen sind freilich wie andere private Willenserklärungen auch ohne formelle Anerkennung im Inland wirksam, sie sind aber keine Vollstreckungstitel, so dass auf ihrer Grundlage notfalls im Inland neu geklagt werden muss. 12.168 Anerkennungsfähig ist dagegen ein sog. consent judgment, das auf der Grundlage eines Vergleichs (mit dessen Wortlaut) ergeht.299 Aufgrund der Notwendigkeit einer richterlichen Genehmigung sollte auch ein class action settlement (US-amerikanischen Rechts) anerkannt werden.300 6. Anerkennungsvoraussetzungen a) Gerichtsbarkeit des ausländischen Staats
12.169 Ausländische Entscheidungen werden (analog § 328 I Nr. 1 ZPO) nur anerkannt, wenn der ausländische Staat seine Gerichtsbarkeit in der Streitsache ausüben durfte. Entscheidend ist, ob in spiegelbildlicher Anwendung des deutschen Rechts Immunität bestand.301 Ein Urteil, das die Bundesrepublik Deutschland zu Schadenersatz wegen Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verurteilt, kann daher nicht anerkannt werden.302 b) Anerkennungszuständigkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG)
12.170 Die Gerichte des anderen Staats müssen bei hypothetischer Anwendung der deutschen Gesetze bei Klageerhebung zuständig gewesen oder während des Verfahrens zuständig geworden sein (Spiegelbildprinzip). Fehlt die internationale Anerkennungszuständigkeit, kann die Entscheidung nicht anerkannt werden.303 § 328 I Nr. 1 298 Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 58, 59; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 74; R Geimer, Anerkennung, S. 99; A. Atteslander-Dürrenmatt, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis, 2006, S. 155 f.; a.A. (für Gleichstellung) H. Koch, FS Schumann, S. 267; E. Riezler, IZPR, S. 530. 299 Vgl. T. Frische, S. 79, 90, 107, 138 ff. 300 B. Heß, JZ 2000, 373, 377; a.A. R. Schütze, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1245, 1255; vgl. auch J. Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter bes Berücksichtigung der U.S.-amerikanischen Class Action Settlements, 2001/02; P. Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceablitity of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, in Contratto e impresa/Europa 12 (2007), 613. 301 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 79; Kegel/Schurig, IPR, § 22 I (S. 1047 ff.); v Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rz. 159; O. Dörr, Staatenimmunität als Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis, in Leible/Ruffert, Völkerrecht und IPR, 2006, S. 175. 302 BGHZ 155, 279 (Fall Distomo) = NJW 2003, 3488. 303 BGHZ 141, 286 = NJW 1999, 3198, 3199; BGH, RIW 1996, 966; OLG Düsseldorf, RIW 1995, 947; LG München I, RIW 1988, 738; R. Geimer, Anerkennung, S. 114 ff.; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 43 ff.; B. Schreiner, Internationale Zuständigkeit, S. 45 ff.; Ch. Schärtl, S. 26 ff.
734
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.172 § 12
ZPO befindet nicht über die internationale Entscheidungszuständigkeit der ausländischen Gerichte. Er legt lediglich als generellen Schutz des Beklagten die deutsche internationale Zuständigkeitsordnung als Maßstab für die Anerkennung der ausländischen Entscheidung fest. Bei der in § 328 I Nr. 1 ZPO genannten Zuständigkeit handelt es sich nur um die internationale und nicht um die örtliche Zuständigkeit.304 Es geht daher nicht darum, ob das konkrete Erstgericht zuständig gewesen ist, sondern ob die Gerichte des betreffenden ausländischen Staats nach der deutschen Auffassung überhaupt international zuständig waren. Die Verteilung der einzelnen Sachen auf bestimmte Gerichte durch die ausländische Prozessordnung interessiert den deutschen Zweitrichter nicht. Die Anerkennungszuständigkeit wird durch jede deutsche Entscheidungszuständigkeit begründet, auch durch Prorogation oder rügelose Einlassung entsprechend § 39 ZPO. (Die Vorschriften der EuGVO sind insoweit nicht heranzuziehen.305) Für die rügelose Einlassung soll dies nach Ansicht des BGH306 nur gelten, wenn der ausländische Urteilsstaat keine Zuständigkeit unabhängig davon beansprucht. Diese Einschränkung ist aber verfehlt. Denn sie zwingt dazu, die ausländische Zuständigkeitsordnung zu überprüfen, statt den Streit darüber aufgrund der rügelosen Einlassung abzuschneiden.307
12.171
Es liegt auf der Hand, dass sich die deutsche internationale Anerkennungszuständigkeit in mancher Beziehung nicht immer mit der ausländischen internationalen Entscheidungszuständigkeit deckt308 (s. Rz. 3.602). Da die Vorschriften über die deutsche internationale Zuständigkeit grds. an diejenigen über die örtliche Zuständigkeit geknüpft sind, ergibt sich ein sehr weiter Rahmen. Dieser wirkt sich meist vorteilhaft für ausländische Entscheidungen aus, weil die Anerkennung nach der Voraussetzung Nr. 1 damit in sehr vielen Fällen gesichert ist. Es sei nur daran erinnert, dass der so oft angegriffene Gerichtsstand des Vermögens gem. § 23 ZPO ausländischen Urteilen eine Anerkennungsmöglichkeit verschafft, während er deutschen Urteilen im Ausland hinderlich sein und die Anerkennung und Vollstreckung aus ihnen unmöglich machen kann. Die Bindung der Anerkennungszuständigkeit an die eigenen Regeln über die Entscheidungszuständigkeit schließt in einzelnen Fällen die Anerkennung aber auch dann aus, wenn eine dem deutschen Recht unbekannte Entscheidungszuständigkeit durchaus als sachgerecht erscheint.309 Die Anerkennung ei-
12.172
304 R. Geimer, Anerkennung, S. 116. 305 Vgl. Ch. Schärtl, IPRax 2006, 438; P. Bäder, Die Anerkennung südafrikanischer Urteile, 2014, S. 27–94. 306 BGHZ 120, 334 = NJW 1993, 1073 = WM 1993, 524; BGH, RIW 1996, 966; ebenso OLG Düsseldorf, RIW 1995, 947, 948; R. Geimer, Anerkennung, S. 120. 307 H. Schack, ZZP 107 (1994), 75, 77 ff.; H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 719 f.; J. Basedow, IPRax 1994, 183; R. Geimer, IPRax 1994, 187; a.A. P. Winkler v Mohrenfels, JR 1994, 281, 282. 308 Vgl. Th. Wazlawik, RIW 2002, 691. 309 R. Geimer, Anerkennung, S. 115 f (Rechtssicherheit); krit. dagegen P. Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 271 f.; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 46; B. Schreiner, S. 104 ff.
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§ 12 Rz. 12.172 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
nes englischen Scheme of Arrangement könnte nach dem Brexit an der fehlenden Zuständigkeit der englischen Gerichte scheitern.310
12.173 Bei Mehrrechtsstaaten wie den USA oder Kanada soll es nach der Rspr. teilweise erforderlich sein, dass das Vermögen in dem Bundesstaat belegen ist, dessen Gerichte das anzuerkennende Urteil erlassen haben.311 Dem ist nicht zuzustimmen, da die Anerkennungszuständigkeit einen Staat als Gesamtheit erfasst und die interne Gerichtsorganisation Sache jedes Staats ist. Außerdem sind die US-Bundesgerichte geradeeinheitlich organisiert; insoweit bestehen keine selbständigen Gerichte pro Bundesstaat.312 Zu bedenken ist auch, dass umgekehrt § 23 ZPO seinen Sinn einbüßen würde, wenn das Ausland auf die Belegenheit des Vermögens in Bayern, Niedersachsen etc und eine Entscheidung durch die entsprechenden LG abstellen würde. Auch in den USA bilden Bundesgerichte und einzelstaatliche Gerichte ein Rechtsschutzsystem, so dass auch bei einer Entscheidung eines Einzelstaatsgerichts nur auf die Zuständigkeit des Gesamtstaats abzustellen ist.313 12.174 Nicht anerkannt werden können Urteile, die nur aufgrund „transient jurisdiction“ ergangen sind (s. Rz. 3.608 ff.). In Fällen von „transacting business“ wird meist eine Zuständigkeit entsprechend §§ 21, 29, 32 oder 23 ZPO vorliegen.314 In Fällen des „Zuständigkeitsdurchgriffs“ kommt i.d.R. ein Gerichtsstand nach §§ 21 oder 23 ZPO in Betracht. 12.175 Der deutsche Zweitrichter muss insb. prüfen, ob für den gegebenen Fall eine ausschließliche deutsche Zuständigkeit bestanden hat, denn diese verträgt sich nicht mit der ausländischen internationalen Zuständigkeit.315 Irrelevant ist in jedem Fall, ob der Erststaat ausschließliche Zuständigkeiten eines Drittstaats beachtet hat oder nicht.316 12.176 Die Anerkennungszuständigkeit ist nach h.M. von Amts wegen, nicht nur auf Rüge des Beklagten zu prüfen.317 Grundsätzlich muss sie zur Zeit des Erstprozesses be310 Vgl. St. Sax/A. Swierczok, Die Anerkennung des englischen Scheme of Arrangement in Deutschland post Brexit, ZIP 2017, 601, 604. 311 So OLG Hamm, RIW 1997, 1039, 1040 f. (R. Schütze); D. Coester-Waltjen, Liber amicorum Buxbaum, S. 101, 110 ff. 312 Ebenso BGHZ 141, 286 = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 1381, 1382 f = IPRax 2001, 230 (dazu U. Haas, S. 195); OLG Koblenz, NJOZ 2004, 3370, 3371; v Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rz. 160; R. Geimer, Anerkennung, S. 117; B. v Hoffmann/W. Hau, RIW 1998, 344, 351; Ch. Schärtl, S. 46 ff., 115 ff., 270 f.; krit. H. Roth, ZZP 112 (1999), 485; R. Schütze, IZPR, Rz. 331. 313 B. v Hoffmann/W. Hau, RIW 1998, 344, 351 f.; a.A. D. Coester-Waltjen, Liber amicorum Buxbaum, 2000, S. 101, 111 f. 314 Vgl. OLG Koblenz, RIW 2004, 302; H. Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992, S. 221 ff.; H. Grothe in Heldrich/Kono, S. 209, 227 f. 315 A.A. R. Geimer, Anerkennung, S. 52 f. 316 R. Geimer, Anerkennung, S. 53. 317 BGHZ 59, 116, 121 = NJW 1972, 1671; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 76; Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 31, 80, 85; a.A. R. Geimer, Anerkennung, S. 54.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.181 § 12
standen haben, doch genügt, wenn sie nachträglich als Folge einer Änderung der deutschen Zuständigkeitsregeln entstanden ist.318 Bei seinen Prüfungen ist der deutsche Zweitrichter (außerhalb von staatsvertraglichen Sonderregeln) nicht an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des ausländischen Erstrichters gebunden.319 Da die internationalen Zuständigkeiten nicht übereinstimmen, hat der deutsche Anerkennungsrichter ohne Bindung an die Feststellungen des Ursprungsgerichts zu prüfen und ggf. aufzuklären, ob die Voraussetzungen einer Anerkennungszuständigkeit tatsächlich bestehen.320 Soweit im Ursprungsverfahren doppelrelevante Tatsachen für die Entscheidungszuständigkeit wie im deutschen Recht unterstellt wurden, muss deren Bestehen im Anerkennungsverfahren neu festgestellt werden.321
12.177
Allerdings kann sich der Beklagte im Verfahren vor dem Zweitrichter nicht mehr auf die Derogation des an sich international zuständigen Erstgerichts berufen, wenn er das nicht im Verfahren vor dem Erstrichter getan hat.322 Das Gleiche gilt hinsichtlich des Einwandes, die Parteien hätten ein Schiedsgericht vereinbart.323
12.178
c) Rechtliches Gehör bei Verfahrenseinleitung (§ 328 I Nr. 2 ZPO, § 109 I Nr. 2 FamFG) (1) Schutz für den Beklagten Es handelt sich um eine besondere Schutzvorschrift für den Beklagten (rsp. Antragsgegner). Auf den Schutz des unterlegenen deutschen Beklagten kommt es nicht mehr an. Aus dem Charakter als Schutzvorschrift für den Beklagten ergibt sich, dass dieser sich dagegen wehren muss, wenn ihm das rechtliche Gehör verweigert worden ist oder wenn er nicht genügend Zeit gehabt hat, seine Verteidigung vorzubereiten. Hierbei spielt die ordnungsgemäße internationale Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks eine besondere Rolle.
12.179
Welche Anforderungen an das verfahrenseinleitende Schriftstück zu stellen sind, richtet sich nur nach Art. 103 I GG: der Beklagte muss in etwa erfahren, dass und aus welchem Anlass ein Prozess gegen ihn eingeleitet wird. Die Mitteilung eines genauen Klageantrags ist nicht erforderlich.324
12.180
Als Schutzvorschrift für den Beklagten wird diese nicht von Amts wegen durch den Zweitrichter geprüft. Dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen
12.181
318 KG, NJW 1988, 649; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 94; Soergel/Kronke, Art. 38 Anh. Rz. 144; B. Schreiner, S. 60 ff. 319 R. Geimer, IZPR, Rz. 1871, 2906. 320 A.A. A. Spickhoff, ZZP 108 (1995), 475, 486 ff. 321 BGHZ 124, 237 = NJW 1994, 1413 = IPRax 1995, 101 (dazu P. Gottwald, S. 75); R. Geimer, Anerkennung, S. 122. 322 R. Geimer, IZPR, Rz. 1809 f, 2907. 323 A.A. K. Bälz/St. Marienfeld, RIW 2003, 51, 54. 324 BGH, RIW 1999, 1381, 1384.
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§ 12 Rz. 12.181 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
hat, obliegt es, Zustellungsmängel zu rügen.325 Dabei kommt es darauf an, dass die Zustellung an den Beklagten nach den Vorschriften des Erstrichters erfolgt ist. Daraus ergibt sich die Folgerung, dass die öffentliche Zustellung als ordnungsgemäße Zustellung gilt, wenn das Prozessrecht des Erststaats die öffentliche Zustellung kennt. Zu dem autonomen Zustellungsrecht des Erststaats kommen die von ihm abgeschlossenen internationalen Übereinkommen hinzu, im gegebenen Fall also das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess, bestehende Zusatzvereinbarungen und das Haager Zustellungsübereinkommen. Eine nur fiktive Zustellung führt nicht generell zu einem Anerkennungshindernis, vielmehr kommt es auf die Umstände im Einzelfall an, insb. ob alles getan wurde, um eine reale (und rechtzeitige) Zustellung auszuführen.326
12.182 § 118 Nr. 2 der japanischen ZPO schützt den unterlegenen japanischen Staatsangehörigen, der die verfahrenseinleitende Ladung im Wege der öffentlichen Zustellung erhalten hat. Wenn er sich auf eine öffentlich zugestellte Klage nicht eingelassen hat, wird das Urteil, nach dem er unterlegen ist, von dem japanischen Gericht nicht anerkannt, weil er keine Gelegenheit hatte, sich an dem Verfahren zu beteiligen.327 Dabei spielt es keine Rolle, dass die öffentliche Zustellung im Erststaat als ordnungsgemäße Zustellung gilt. 12.183 Will dagegen ein deutscher Kläger einen Japaner vor einem japanischen Gericht verklagen, hat der Beklagte aber in Japan keinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort und ist ein anderer Gerichtsstand in Japan nicht gegeben, so könnte der Prozess wegen Fehlens einer Zustellung, die öffentliche scheidet ja aus, nicht in Gang gesetzt werden.328 12.184 Die Anzahl der Fälle, bei denen im Erststaat keine ordnungsgemäße Ladung des Beklagten erfolgt ist, scheint zu wachsen. Ist das das Verfahren einleitende Schriftstück in der Sprache des Erstgerichts abgefasst und keine Übersetzung in die Sprache des Beklagten beigefügt, so kann das Schriftstück nur bei freiwilliger Entgegennahme (gem. Art. 5 II HZÜ) ordnungsgemäß zugestellt werden. Für eine förmliche, unfreiwillige Zustellung bedarf es jedenfalls in Deutschland (außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZVO) auch der Zustellung einer deutschen Übersetzung (Art. 5 I, III HZÜ i.V.m. § 3 AusfG).329 12.185 Erforderlich ist, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück kumulativ ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt wurde.330 Rechtzeitig ist die Zustellung, wenn die inländische Einlassungsfrist gewahrt ist. Auch eine kurze Frist kann genügen, wenn diese auf Antrag verlängert werden kann.331 Es genügt nicht, wenn die Zustellung feh325 326 327 328 329 330
Zöller/Geimer, § 328 ZPO Rz. 153; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 Rz. 96. OLG Bremen, FamRZ 2013, 808, 809; dazu M. Streicher, FamRBint 2013, 9. M. Takeshita, ZZPInt Bd. 1 (1996), 305, 311 f. H. Nagel, FS Waseda-Universität, 1988, S. 757. Vgl. BGH, RIW 1999, 1381, 1386 f. BGH, FamRZ 2019, 996 (Rz. 15 ff.) (Ch. Gomille); OLG Stuttgart, IPRax 2018, 626 (Rz. 33 ff.) (dazu H. Roth, S. 606). 331 BGH, RIW 1999, 1381, 1384 f.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.187 § 12
lerhaft ist, aber an sich so rechtzeitig erfolgte, dass sich der Beklagte hätte verteidigen können.332 Der Versagungsgrund entfällt auch nicht, wenn dem Beklagten später die ergangene Entscheidung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er daher die Möglichkeit hatte, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Urteilsstaat einzulegen.333 Hat der Beklagte sich auf das Verfahren eingelassen, so verliert die Schutzvorschrift des § 328 I Nr. 2 ZPO ihre Bedeutung. Da sich die Schutzvorschrift im internationalen Rahmen als hemmend erweist, besteht eine Tendenz, den Begriff der Einlassung des Beklagten weit auszulegen.334 Es genügt, wenn der Beklagte sich überhaupt gegen die Klage wendet. Er gibt damit zu erkennen, dass er Kenntnis von der Klage erlangt hat. Entscheidend bleibt es, dass der Beklagte die Möglichkeit gehabt hat, seine Verteidigung ordnungsgemäß aufzubauen.
12.186
(2) Heilung von Zustellungsmängeln Mängel, die bei der Zustellung unterlaufen, können nach dem Recht des Zustellungsstaats einschließlich der für ihn geltenden völkerrechtlichen Verträge heilen.335 Es genügt nicht, dass die lex fori am Ort des Empfängers eine Heilungsmöglichkeit vorsieht.336 War die Zustellung nach dem das Haager Zustellungsübereinkommen 1965 auszuführen, soll danach jede Heilung von Zustellungsmängeln ausscheiden, weil das Übereinkommen eine Heilung nicht vorsieht und zugleich exklusiv anzuwenden sei.337 Dies soll selbst dann gelten, wenn das Recht des Erststaats das HZÜ anders auslegt und eine Heilungsmöglichkeit bejaht.338 Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht.339 Denn weder das Übereinkommen noch der Bericht dazu enthalten irgendeinen Hinweis, dass sie eine nach autonomem Prozessrecht gegebene Heilungsmöglichkeit ausschließen wollten. Zudem unterlaufen Zustellungsfehler beim Vollzug des HZÜ derart häufig, dass der rigorose Ausschluss jeder Heilung dem berechtigten Vertrauen des Klägers auf effektiven Rechtsschutz mit Hilfe eines (durch die Justizbehörden vollzogenen) Rechtshilfevertrags nicht gerecht wird. Der BGH vertritt inzwischen eine vermittelnde Ansicht: Soweit das HZÜ verletzt ist, scheidet eine Heilung aus, soweit bei der Zustellung nur nationale Vorschriften des Zustellungsstaates nicht eingehalten wurden, soll eine Heilung möglich sein.340 332 BGH, NJW 1991, 641; a.A. St. Stade, NJW 1993, 184. 333 BGHZ 120, 305, 313 f = NJW 1993, 598, 600; OLG München, RIW 1995, 1026; R. Schütze, IZPR, Rz. 334; Musielak/Voit/Stadler, § 328 Rz. 16; a.A. Zöller/Geimer, § 328 ZPO Rz. 163. 334 R. Geimer, NJW 1973, 2141. 335 BGHZ 120, 305, 308 = NJW 1993, 598; BGH, NJW 1991, 641. 336 BGHZ 120, 305, 311 = NJW 1993, 598, 600; OLG München RIW 1995, 1026; a.A. H. Roth, FS Gerhardt, S. 799, 807. 337 BGH, RIW 1999, 1381, 1387; OLG Stuttgart, IPRax 2018, 626 (Rz. 57); H. Roth, FS Gerhardt, S. 799, 811 f. 338 BGHZ 120, 305, 313 = NJW 1993, 598, 600 = ZZP 106 (1993), 391 (R. Schütze). 339 Für Heilung auch: Zöller/Geimer, § 328 ZPO Rz. 160; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 102. 340 BGHZ 191, 59 (Rz. 33) = FamRZ 2011, 1860 (J. Kondring) = NJW 2011, 3581 (Th. Rauscher); vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 695 f.
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12.187
§ 12 Rz. 12.187 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Die ordnungsgemäße Zustellung soll sicherstellen, dass sich ein Beklagter in einem Verfahren angemessen verteidigen kann. Es kann aber nicht Sinn von Zustellungsregeln sein, dem Beklagten lediglich Vorteile eines forum shopping zu sichern.341 (3) Keine Pflicht zur Einlegung von Rechtsmitteln
12.188 Da Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) weitergehende Mitwirkungspflichten des Beklagten vorsehen (s. Rz. 12.59, 12.64), stellt sich die Frage, ob § 328 I Nr. 2 ZPO im Sinne des europäischen Rechts auszulegen ist und eine prozessuale Last besteht, sich in zumutbarem Rahmen am ausländischen Verfahren zu beteiligen.342 Die Rechtsprechung hält sich aber an den Wortlaut der Bestimmungen und verneint eine solche Pflicht.343 d) Keine Unvereinbarkeit mit anderen Entscheidungen (§ 328 I Nr. 3 ZPO, § 109 I Nr. 3 FamFG)
12.189 Diese Vorschrift schützt nicht nur die deutsche Partei. Die Staatsangehörigkeit spielt keine Rolle mehr. Das ausländische Urteil darf nur nicht unvereinbar sein mit einem in Deutschland erlassenen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil; ebenso darf das zugrunde liegende Verfahren nicht mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar sein.344 e) Verstoß gegen den ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG)
12.190 Der deutsche ordre public ist verletzt, wenn die Entscheidung im Ergebnis mit wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätzen, insb. den Grundrechten, oder mit international anerkannten Menschenrechten345 offensichtlich unvereinbar ist. „Offensichtlich“ meint hier, dass es sich um eine Abweichung von einiger Bedeutung handeln muss. Auch bei den Grundrechten bedarf es sachlich einer Verletzung eines elementaren Schutzbereichs des Grundrechts.346 Der Verstoß kann sich aus Abweichungen im materiellen Recht oder aus Verletzungen der Verfahrensgerechtigkeit ergeben. Der ordre public-Verstoß ist vielfach einleuchtend, wenn die Sache einen gewissen Inlandsbezug hat. Dieser ist aber keine zwingende Voraussetzung. Verstöße gegen ein Minimum an naturrechtlicher Gerechtigkeit oder Menschenrechte verletzen den ordre public auch ohne einen solchen Bezug.347 Ein Verstoß kann selbst dann gegeben sein, wenn das ausländische Gericht deutsches Recht angewandt hat.348 341 Vgl. aber den Hinweis in BGHZ 120, 305, 309 = NJW 1993, 598. 342 Hierfür P. Gottwald, FS Schumann, 2001, S. 149, 157 f.; R. Geimer, IZPR Rz. 2921. 343 BGH, FamRZ 2019, 996 (Rz. 26 ff.) (Ch. Gomille); OLG Stuttgart, IPRax 2018, 626, 630 (Rz. 67 ff.); vgl. Linke/Hau, IZVR, Rz. 13.22; H. Schack, IZVR Rz. 941; R. Schütze, IZPR, Rz. 334. 344 Vgl. M. Lenenbach, passim; R. Schütze, IZPR, Rz. 335, 336. 345 Vgl. A. Spickhoff, Der völkerrechtsbezogene ordre public, S. 275, 292 ff. 346 R. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 1994, S. 172 ff., 177. 347 R. Geimer, ZfRV 5 (1992), 401, 411. 348 R. Geimer, Anerkennung, S. 61.
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III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.192 § 12
(1) Materielle Rechtsverstöße Verletzt ist der materielle ordre public, wenn das Ergebnis der ausländischen Rechtsanwendung mit Grundprinzipien des deutschen Rechts schlechthin unvereinbar ist.349 Dies wäre etwa bei durch Prozessbetrug erschlichenem Urteil der Fall.350 Bei Verstößen gegen sog. Eingriffsnormen ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Urteilsergebnis wirklich dem deutschen ordre public widerspricht.351 Bei der Prüfung sind die Kriterien von Art. 9 Rom I-VO und Art. 26 Rom II-VO zu beachten. Eine Entscheidung, die gegen drittstaatliche Eingriffsnormen verstößt, berührt den deutschen ordre public i.d.R. nicht. Noch kein Verstoß liegt darin, dass ein Schadenersatzurteil einen Deutschen zu einem höheren Ersatz als nach Art. 40 II EGBGB (vgl. Art. 26 Rom II-VO) verurteilt.352 Die Verurteilung zu einem im Ausland üblichen Erfolgshonorar (quota litis) ist hinzunehmen.353 Auch die Pflicht zur Leistung überhöhten Unterhalts aufgrund von ausländischen Regeln der Devisenzwangswirtschaft354 ist nicht ordre public-widrig. Der Verstoß gegen den Termin- oder Differenzeinwand bei Devisentermingeschäften gehört ebenfalls nicht mehr zum ordre public.355 Dem ordre public kann die Anerkennung einer Scheidung widersprechen, die auf politischen oder staatlichen Druck erfolgte.356 Der Anerkennung einer Scheidung steht aber nicht entgegen, wenn Scheidungsfolgevereinbarungen unter Druck abgeschlossen wurden, jedenfalls wenn entsprechende Verfahrensmängel im Scheidungsverfahren nicht gerügt wurden.357
12.191
Dagegen ist dies bei US-amerikanischen Urteilen über punitive damages358 der Fall, soweit die Urteilssumme den gewöhnlichen Schadensersatz, ein angemessenes Schmerzensgeld und angemessene Anwaltskosten übersteigt. Die Anerkennung (und Vollstreckbarerklärung) ist nur zu verweigern, soweit das Urteil in untragbarem Widerspruch zu inländischen Wertvorstellungen steht.359 Punitive damages müssen
12.192
349 350 351 352
353 354 355 356 357 358 359
Vgl. etwa BMW v Gore, 116 S.Ct. 1589 [1996]. BGH, RIW 1999, 1381, 1387. Vgl. M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 724 ff. BGHZ 88, 17, 24 = IPRax 1984, 202; BGH, ZIP 1992, 1264; D. Coester-Waltjen in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 15, 29; H. Bungert, ZIP 1992, 1713; E. Stiefel/R. Stürner, VersR 1987, 833, 837; a.A. R. Schütze, RIW 1993, 139. BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3101; R. Geimer, Anerkennung, S. 142. Vgl. BGH, NJW 1990, 2197. BGH, IPRax 1999, 466, 468 (dazu G. Fischer, S. 450); vgl. E. Schwark, FS Sandrock, 2000, S. 881. BayObLGZ 1992, 195, 198 = FamRZ 1993, 451. BayObLG, FamRZ 2001, 1622, 1623. Vgl. C. Trapp, Punitive damages in den USA zwischen Mythos und Rückgang, Liber amicorum Rauscher, 2005, S. 157. BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096; dazu H. Koch, S. 3073; H. Schack, ZZP 106 (1993), 104; H. Bungert, Intern. Lawyer 27 (1993), 1075; Seibt, DAVJ-Newsletter 2/94, 40; J. Zekoll, Col.J.Transnat’lL. 30 (1992), 641; J. Zekoll, US-Amerikanisches Produkthaftungspflichtrecht vor deutschen Gerichten, 1987, S. 151 ff.; E. Stiefel/R. Stürner/A. Stadler, AmJCompL 39 (1991), 779; A. Fiebig, Ga.J.Int’l & CompL 22 (1992), 635; P. Nettesheim/ H. Stahl Texas Int’lL.J. 28 (1993), 415; J. Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-
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§ 12 Rz. 12.192 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
nach dem Recht der meisten US-Staaten und nach einer Entscheidung des Supreme Court vom Mai 1996360 in angemessenem Verhältnis zum tatsächlich erlittenen Schaden stehen, so dass die ordre public-Widrigkeit künftig wohl seltener auftreten dürfte. Dennoch gehen die zur Abschreckung verhängten Summen immer noch über großzügig bemessene Beträge zur „Genugtuung“ im Rahmen eines deutschen Schmerzensgeldes hinaus. Entgegen dem BGH sollte nicht (allein) auf eine Aufgliederung der Schadensposten abgestellt, sondern die Gesamtsumme einer gewissen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterworfen werden.361
12.193 US-amerikanische Urteile auf Leistung von treble damages, z.B. nach dem RICOAct, haben wirtschaftsstrafrechtliche Funktion und verstoßen daher hinsichtlich der Verdreifachung des Schadenersatzes gegen den deutschen ordre public.362 Ob solche Urteile darüber hinaus wegen der relativen Unbestimmtheit des Haftungstatbestandes nicht anzuerkennen sind,363 erscheint zweifelhaft. Bei anderen Entscheidungen zu treble damages ist zu beachten, ob nicht auch nach deutschem Recht eine ähnliche „abstrakte“ Schadensberechnung, z.B. im Wettbewerbsrecht oder im Immaterialgüterrecht, zulässig ist. (2) Verstoß gegen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze
12.194 Ausländische Entscheidungen sind nur anzuerkennen, wenn das ausländische Verfahren grundlegenden Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit entsprochen hat364 (Unparteilichkeit des Gerichts;365 rechtliches Gehör im Verfahren; Gleichbehandlung der Parteien; fairer Verfahrensablauf; kein Prozessbetrug366). Das Fehlen von Urteilsgründen ist als solches nicht ordre public-widrig.367 Schriftliche Gründe können z.B. ersetzt werden durch eine mündliche Begründung in der Verhandlung oder beim Versäumnisurteil durch den Bezug auf die Klageschrift. Ein US-amerikanisches Ur-
360 361 362 363 364 365 366 367
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amerikanischer punitive damages, 1999; R. Stürner, Festgabe BGH, Bd. 3, 2000, S. 677, 678 ff.; R. Geimer, Anerkennung, S. 141; für grundsätzliche Anerkennung (mit Kappungsgrenze bei 400 000 €) P. Müller, Punitive damages und deutsches Schadenersatzrecht, 2000, S. 360 ff.; vgl. D. Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland, 2000. Vgl. F. Ebbing, RIW 1996, 993, 998. D. Coester-Waltjen in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 30 ff.; vgl. J. Rosengarten, Punitive damages, 1994, S. 181 ff., der nur eine Mehrfachbestrafung zurückweisen will. Vgl. J. Zekoll/N. Rahlf, JZ 1999, 384; H. Bungert, ZIP 1994, 1905, 1913 ff.; E. Stiefel/ H. Bungert, FS Trinkner, 1995, S. 749, 764 ff.; D. Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999; R. Stürner, FS Schlosser, S. 967. Vgl. H. Bungert, ZIP 1994, 1905, 1910 ff. Vgl. BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816; BGHZ 48, 327; R. Geimer, Anerkennung, S. 135. Nach Ansicht von R. Schütze, RIW 2005, 579, 586 sind gewählte Richter an Gerichten von US-Einzelstaaten konzeptionell befangen. R. Geimer, Anerkennung, S. 144 f. R. Geimer, Anerkennung, S. 144.
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.199 § 12
teil verstößt nicht allein deshalb gegen den verfahrensrechtlichen deutschen ordre public, weil es auf ein ausgedehntes pre-trial-discovery hin ergangen ist.368 Eine Zustellung der Klage im Wege des „Zustellungsdurchgriffs“ entspricht nicht dem deutschen Recht, verstößt aber kaum gegen den deutschen ordre public. Gegen den ordre public verstößt nicht, wenn die Partei nicht zum Termin geladen wird.369
12.195
Ein auf class action ergangenes Urteil bindet nach US-Recht alle Gruppenmitglieder. Eine Bindung von Deutschen, die sich der Klage nicht aktiv angeschlossen, sondern lediglich nicht ausdrücklich für einen Ausschluss optiert haben, dürfte aber gegen den deutschen ordre public verstoßen.370 Dies gilt freilich nur, wenn deutsche Beteiligte nicht aus der Gruppe ausgenommen wurden.371 A. Stadler tritt dafür ein, den ordre public enger auszulegen. Auch eine im opt-out Verfahren ergangene Entscheidung sei anzuerkennen, wenn es für den Einzelnen um weniger als 100 € geht oder den Betroffenen der Hinweis auf die Austrittsmöglichkeit persönlich zugestellt wurde und dennoch kein Austritt erfolgte.372
12.196
Mängel des Erstverfahrens sind aber nur relevant, wenn sie der Beklagte im Erstverfahren in zumutbarer Weise vergeblich gerügt hat; andernfalls ist er mit der Berufung auf den Mangel präkludiert.373
12.197
Die Anerkennung darf aber nicht verweigert werden, weil die Entscheidung gegen den ordre public eines Drittstaats verstößt.374
12.198
Der BGH hat die Frage, ob es gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoße, wenn ein englisches Gericht den Beklagten wegen „contempt of court“ von der weiteren Teilnahme an dem Verfahren ausgeschlossen habe, verneint.375 Der Beklagte hatte in einem Unterhaltsrechtsstreit auf eine einstweilige Anordnung des englischen Erstrichters nicht gezahlt. Der BGH meinte, der Beklagte hätte wissen müssen, wel-
12.199
368 BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096 (dazu H. Koch, S. 3073) = ZIP 1992, 1707 (H. Bungert); J. Zekoll, US-Amerikanisches Produkthaftpflichtrecht, 1987, S. 141, 147 ff.; a.A. R. Schütze, FS Stiefel, 1987, S. 697, 701 ff.; R. Schütze, RIW 2005, 579, 586; G.-S. Hök, Discovery-proceedings als Anerkennungshindernis, 1993, S. 206 ff.; R. Stürner/P. Murray, German Civil Justice, 2004, p 536. 369 BGH, RIW 1999, 1381, 1385. 370 Vgl. J. Mark, EuZW 1994, 238, 241; Ch. Greiner, Die class action im amerikanischen Recht und deutscher ordre public, Diss München 1997; V. Hoppe, Die Einbeziehung ausländischen Beteiligter in US-amerikanische class actions unter Berücksichtigung des Class Action Fairness Act, 2005; R. Schütze, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1245, 1252 f. 371 Vgl. Vivendi Universal, S.A. Securities Litigation, 242 F.R.D.76; N. Trocker, Procedural differences, ordre public ..., in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency ..., 2011, 273, 295 ff. 372 A. Stadler, FS Schütze, 2015, S. 561. 373 OLG Koblenz, RIW 2004, 302, 306; R. Geimer, Anerkennung, S. 61 ff., 137; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 126. 374 Geimer/Schütze, I, 1952. 375 BGH, NJW 1968, 354.
743
§ 12 Rz. 12.199 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
ches Risiko er durch die Nichtbefolgung der einstweiligen Anordnung einging, zumal er anwaltlich beraten war.
12.200 Berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit eines Richters müssen im Erststaat rechtzeitig und unter Ausschöpfung der zulässigen Rechtsbehelfe geltend gemacht werden. Wegen eines ordre public-Verstoßes darf die Anerkennung nur verweigert werden, wenn solche Rechtsbehelfe erfolglos waren oder ihre Geltendmachung konkret unzumutbar war.376 12.201 Abweichungen des Beweisverfahrens vom deutschen Recht verstoßen i.d.R. nicht gegen den deutschen ordre public. Ein Vaterschaftsurteil aufgrund der Aussage der Mutter ohne Einholung eines Abstammungsgutachtens ist nicht ordre public-widrig.377 In einem anderen Fall hat der BGH entschieden, dass die Nichteinholung eines erbbiologischen Gutachtens durch ein norwegisches Gericht nicht gegen den ordre public verstoße. Das norwegische Gericht hatte die Mutter des Kindes vernommen und ein serologisches Gutachten eingeholt. Ein ergänzendes Gutachten hatte nicht eingeholt werden können, weil der Beklagte keine Blutprobe zur Verfügung gestellt hatte.378 12.202 Eine Vaterschaftsfeststellung kann aber nicht anerkannt werden, wenn das ausländische Gericht den Einwand des Mehrverkehrs und der Zeugungsunfähigkeit nicht geprüft hat.379 Gleiches gilt, wenn die Vaterschaft aufgrund eines bloßen Zeugnisses vom Hörensagen festgestellt wurde, obwohl der Mann bereit war, sich untersuchen zu lassen.380 12.203 Fehlende Kostenerstattung im Erststaat ist kein Grund, die Anerkennung zu verweigern381 (s. aber Rz. 12.236 zu USA), ebenso nicht die Vereinbarung eines Erfolgshonorars.382 12.204 Bei der Prüfung, ob die ausländische Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, ist der Zweitrichter nach h.M. an die tatsächlichen Feststellungen des ausländischen Gerichts gebunden.383 Der BGH lässt jedoch einen neuen Tatsachenvortrag zur Darlegung eines ordre public-Verstoßes (§ 328 I Nr. 4 ZPO) zu.384 Geimer385 will danach unterscheiden, ob die Anerkennungsvoraussetzungen unmittelbaren Staatsinte376 377 378 379 380 381
382 383 384 385
744
Vgl. O. Sandrock, RIW 2009, 577, 584 ff. BGH, NJW 1986, 2193 = IPRax 1987, 247; a.A. R. Geimer, Anerkennung, S. 136. NJW 1979, 1105. AG Würzburg, FamRZ 1994, 1596. BGHZ 182, 188, 197 ff. = FamRZ 2009, 1816 (D. Henrich). BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3099 (dazu H. Koch, S. 3073); OLG Koblenz, RIW 2004, 302, 306; R. Geimer, Anerkennung, S. 137; vgl. S. Neufang, Kostenverteilung im US-amerikanischen Zivilprozess und Urteilsanerkennung in Deutschland, 2002; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 339. OLG Koblenz, RIW 2004, 302, 306. BGH, NJW 1998, 2358; A. Spickhoff, ZZP 108 (1995), 475, 489 ff. BGH, RIW 1999, 598, 703 (Prozessbetrug). R. Geimer, IZPR, Rz. 2990; R. Geimer, Anerkennung, S. 142 f.
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.209 § 12
ressen dienen oder ob sie nur den Schutz der Parteien bezwecken. Soweit unmittelbare Staatsinteressen auf dem Spiele stehen, komme eine Prüfung von Amts wegen oder sogar eine Tatsachenermittlung von Amts wegen in Betracht. Die Nichtberücksichtigung der Rechtshängigkeit vor einem deutschen Gericht ist als Verstoß gegen den deutschen ordre public gewertet worden.386 Im Ergebnis ist diese Entscheidung allerdings unbefriedigend.
12.205
Der Verfahrensmangel hindert die Urteilsanerkennung, wenn er das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst haben kann; wie sonst bei Verfahrensfehlern kann ein voller Kausalitätsnachweis nicht verlangt werden.387
12.206
f) Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG) Anerkennung hat etwas mit Gegenseitigkeit zu tun. Wer selbst anerkannt werden möchte, erkennt anderen gleichen Rang zu. Wer den anderen nicht anerkennt, muss sich nicht wundern, dass ihn dieser seinerseits nicht anerkennt. In einer Rechtsgemeinschaft oder auf vertraglicher Grundlage entstehen hieraus für die Rechtsunterworfenen keine Schwierigkeiten, wohl aber im vertragslosen Rechtsverkehr. Denn hier stellt sich die Frage nach dem ersten Schritt. Solange keine Seite dazu bereit ist, sind die Bürger die Leidtragenden. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit ist daher stets als Fremdkörper in einem System des subjektiven Rechtsschutzes kritisiert worden. Der Gesetzgeber hat hieran aber im Staatsinteresse, vorgeblich zum Schutz deutscher Interessen im internationalen Handelsverkehr,388 festgehalten.389
12.207
Die Anerkennung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. Diese Voraussetzung erweist sich in der Praxis als besonders schwerwiegend, denn sie schließt die Anerkennung von Entscheidungen aus vielen Staaten von vornherein aus. Die Verbürgung der Gegenseitigkeit sollte deshalb zuerst geprüft werden. Ist sie nicht gegeben, so erübrigen sich alle weiteren Prüfungen.
12.208
Einfach verhält es sich, wenn der ausländische Staat eine förmliche Vereinbarung der Gegenseitigkeit durch Staatsvertrag oder Regierungserklärungen verlangt und auch in seiner Praxis daran festhält. Schwieriger verhält es sich, wenn wie im deutschen Recht faktische Gegenseitigkeit besteht, weil der deutsche Richter dann im konkreten Fall feststellen muss, ob zu dem entsprechenden Land die Gegenseitigkeitslage gegeben ist. Bei der Durchsicht der einschlägigen Kommentare stellt er sehr bald fest, dass im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu vielen Staaten unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Auch alle Hilfsmittel bleiben insoweit unvollständig, als sie mit der tatsächlichen Entwicklung nicht Schritt halten können. Die Unsicherheit beruht teilweise 386 387 388 389
OLG München, NJW 1964, 979. P. Gottwald, ZZP 103 (190), 257, 279; R. Geimer, Anerkennung, S. 138, 143. So R. Schütze, FS Martiny, 2014, S. 825, 827. Vgl. R. Schütze, FS Georgiades, 2005, S. 577.
745
12.209
§ 12 Rz. 12.209 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
darauf, dass im Verhältnis zu Deutschland keine praktischen Präjudizien feststellbar sind, teilweise darauf, dass die Reichweite mancher Anerkennungsvoraussetzungen unklar ist. Soweit keine konkreten Gerichtsentscheidungen vorliegen, wird vermutet, dass jeder Staat seine eigenen Gesetze tatsächlich befolgt, so dass Gegenseitigkeit meist zu unterstellen ist.390
12.210 Die Gegenseitigkeit ist nur auf die ausländische Entscheidung bezogen. Es geht um die Gleichbehandlung deutscher Entscheidungen im Ausland. Dabei handelt es sich letztlich nicht um ein juristisches, sondern ausschließlich um ein politisches Argument. Die Einführung der Gegenseitigkeit in verschiedenen Vorschriften der ZPO hat allein den Zweck verfolgt, Trümpfe für abzuschließende Staatsverträge in der Hand zu behalten.391 Die Gegenseitigkeit wird also als Druckmittel gegenüber anderen Staaten benutzt.392 Es liegt auf der Hand, dass die Interessen der Rechtsuchenden im In- und Ausland dabei leiden müssen. Das Prinzip der Gegenseitigkeit in den §§ 110, 328 ZPO kann nur durch den Gesetzgeber aufgehoben werden. 12.211 Die Gegenseitigkeit ist verbürgt, wenn ein Staat die Entscheidungen deutscher Gerichte unter im Wesentlichen gleichartigen Bedingungen anerkennt und die Zwangsvollstreckung aus ihnen zulässt, wie die deutschen Gerichte die Entscheidungen des betreffenden ausländischen Staats.393. Die Bedingungen eines anderen Staats sind insb. dann erheblich schwerer, wenn dieser vorschreibt, dass deutsche Entscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden müssten.394 12.212 Im Verhältnis zu allen EU-Staaten gilt heute die EuGVO (im Verhältnis zu Dänemark auf staatsvertraglicher Grundlage), ergänzt durch die Brüssel II-VO, EuUntVO, EuErbVO und EuGüVO/EuPartVO, im Verhältnis zu den EFTA-Staaten das LugÜ. Dadurch ist die Gegenseitigkeit verbürgt. Darüber hinaus lässt sich die Voraussetzung der Gegenseitigkeit gegenüber solchen Staaten verteidigen, deren Entscheidungen nicht dem deutschen Standard entsprechen. Insoweit wirkt die Gegenseitigkeit als Schutzvorschrift für Deutsche, die im Ausland verklagt werden.
12.213 Die Gegenseitigkeit fehlt partiell, wenn der ausländische Staat weitreichende internationale Zuständigkeiten in Anspruch nimmt, aber für deutsche Entscheidungen keine vergleichbaren Zuständigkeiten akzeptiert.395
390 Vgl. B. Elbalti, Reciprocity and the recognition and enforcement of foreign judgments, JPIL 13 (207), 184. 391 G. Kegel, RabelsZ 1975, 131. 392 So J. Kropholler, IPR, § 60 IV 6 (S. 675); H. Schack, IZVR, Rz. 964 f.; K. Siehr, IPR, 2001, S. 532. 393 BGH, IPRax 2001, 457, 458 (dazu R. Schütze, S. 441); RGZ 82, 30; R. Geimer, Anerkennung, S. 93 f. 394 RGZ 7, 409. 395 BGH, RIW 1999, 1381, 1386.
746
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.217 § 12
Die Beweislast für das Bestehen der Gegenseitigkeit trägt die Partei, die im Inland die Anerkennungsfähigkeit geltend macht bzw. aus der Entscheidung vollstrecken will.396
12.214
Auch der deutsche Richter muss eine ausländische Entscheidung in gewisser Hinsicht nachprüfen. Eine solche Prüfung bezieht sich aber immer nur auf die Voraussetzungen des § 328 I Nr. 1 bis 4 ZPO. Im Übrigen darf der deutsche Richter eine ausländische Entscheidung weder in verfahrensrechtlicher noch in materiell-rechtlicher Hinsicht überprüfen.
12.215
In der folgenden Auflistung von Staaten ist „ja“ vermerkt, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist, hingegen „nein“, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist; bei „ungewiss“ werden unterschiedliche Auffassungen vertreten:
12.216
Abu Dhabi nein; Afghanistan nein; Ägypten ja; Albanien nein; Algerien ja;397 Andorra ja;398 Angola nein;399 Argentinien ja;400 Aserbaidschan ja; Äthiopien eher nein;401 Australien ja (für alle Einzelstaaten und Territorien);
12.217
Bahamas ja; Bahrain ja; Bangladesh ja;402 Barbados ja; 396 BGH, RIW 1999, 1381, 1386. 397 K. Bälz, RIW 2013, 55, 59; S. Klaiber, IPRax 2010, 87, 88; zweifelnd: Th. Rauscher in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1004.6; abl. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 398 D. Martiny, Rz. 1313; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 348. 399 Für partielle Gegenseitigkeit soweit nicht Angolaner betroffen, R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, Rz. 435. 400 B. Piltz in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1009.11. 401 R. Schütze, IZPR, Rz. 348. 402 D. Otto in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1018.8; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 348.
747
§ 12 Rz. 12.217 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Belarus nein;403 Belgien ja, alle EU-Verordnungen, dt.-belg. Vertrag; Benin nein; Bermuda ja; Bolivien nein;404 Bosnien-Herzegowina ja;405 Botswana ja;406 Brasilien ja;407 Bulgarien alle EU-Verordnungen, ja;408 Burkina Faso wohl ja;409 Burundi ja;
12.218 Cayman Island ja; Chile ja; China ja;410 Costa Rica ja; Cuba nein;
12.219 Dänemark ja, EuGVÜ, EuGVO;411 die EuUntVO gilt für Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckbarkeit (Brüssel IIa-VO, EuVTVO, EuMahnVO, EuGFVO, EuGüVO und EuErbVO gelten nicht); Dominikanische Republik nein;
12.220 Ecuador ja; El Salvador ja;412 Elfenbeinküste ja; Estland ja, alle EU-Verordnungen; 403 D. Marenkov in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1019.14. 404 R. Schütze, IZPR, Rz. 348. 405 LG Darmstadt, IPRax 2007, 49 (dazu St. Pürner, S. 34); a.A. OLG Köln, IPRax 1996, 268 (dazu R. Schütze, S. 254). 406 R. Schütze, JR 1978, 55. 407 J. Samtleben in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1023.31. 408 Vgl. Ch. Jessel-Holst in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1025.13. 409 Geimer/Schütze/Schütze, EuZVR E.1 Rz. 151. 410 Y. Siebel, Die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen zwischen Deutschland und China, 2018; R. Schütze, RIW 2008, 1; L. Ma, IPRax 1997, 52, 56. 411 Gemäß Übk. v. 19.10.2005, ABl. EG Nr. L 299/62. 412 Nur partiell: R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435.
748
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.224 § 12
12.221
Fiji ja (Zahlungsurteile); Finnland ja, alle EU-Verordnungen; Frankreich ja, alle EU-Verordnungen;
12.222
Gabun nein; Gambia eher nein;413 Georgien ja; Ghana nein; Griechenland ja, alle EU-Verordnungen, dt.-griech. Vertrag; Guatemala ja;414 Guinea nein; Guyana ja;415
12.223
Haiti nein; Honduras ja;416 Hongkong ja;417
12.224
Indien ja;418 Indonesien nein; Irak nein; Iran ja;419 Irland ja, alle EU-Verordnungen; Island ja, LugÜ 2007; Israel ja, dt.-israel. Vertrag; Italien ja, alle EU-Verordnungen; dt.-ital. Vertrag;
413 Roth in Stein/Jonas, Rz. 134 (ungeklärt); für Gegenseitigkeit R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 414 A.A. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 415 A.A. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 416 Nur partiell (ohne Versäumnisurteile) R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 417 Vgl. T. Luthra, RIW 1997, 625, 629. 418 Vgl. D. Martiny, HdbIZVR, Rz. 1379 ff.; a.A. (teilweise révision au fond) R. Schütze, IZPR, Rz. 349. 419 K. Bälz/T. Jourabchi-Eisenhut in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1050.10; W. Wurmnest/N. Yassari, IPRax 2006, 217, 220; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 349; Roth in Stein/Jonas, Rz. 136.
749
§ 12 Rz. 12.225 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
12.225 Jamaika ja; Japan ja;420 Jemen nein; Jordanien ja;421
12.226 Kambodscha nein; Kamerun ja;422 Kanada ja (Einzelheiten s Rz. 16.54 f.); Kap Verde ja; Kasachstan nein; Katar ja;423 Kenia ja;424 Kirgisistan nein;425 Kolumbien ja; Kongo (Dem. Rep.) (früher Zaire) ja;426 Kongo (Rep.) nein; Korea (Süd) ja; Kroatien ja; alle EU-Verordnungen (seit 1.7.2013); Kuweit ja;
12.227 Laos ungeklärt; Lesotho ja; Lettland ja, alle EU-Verordnungen; Libanon ja;427 Liberia nein;
420 A. Petersen-Padberg in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1058.15; vgl. M. Haga, Anerkennung ausländischer Urteile in Japan (in Jap.), 2018. 421 R. Schütze, RIW/AWD 1977, 766. 422 H. Krüger, IPRax 2008, 147. 423 K. Bälz/S. Klaiber in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1068a.6. 424 M. Wietzorek, RIW 2017, 799, 802; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 350. 425 Ch. Mindach in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1069.10. 426 D. Martiny, Rz. 1573; a.A. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 427 K. Bälz/Koch in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1078a.7.
750
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.229 § 12
Libyen wohl nein;428 Liechtenstein HUVÜ 1958, sonst nein;429 Liechtenstein ist dem LugÜ nicht beigetreten; Litauen ja, alle EU-Verordnungen; Luxemburg ja, alle EU-Verordnungen;
12.228
Madagaskar nein; Malaysia
ja;430
Malediven nein; Mali nein; Malta ja, alle EU-Verordnungen; Marokko ja;431 Mauretanien ja;432 Mauritius ja;433 Mexiko ja; Moldau ja; Monaco ja;434 Mongolei ja;435 Montenegro ja; Mosambik wohl ja;436 Myanmar nein;437
12.229
Namibia ja;438 Nepal nein; 428 K. Bälz/Hamza in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1078b.7 f.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Anh. § 328 Rz. 12; K. Bälz, RIW 2013, 55, 57 (zweifelhaft). 429 BGH, Betr. 1977, 718; OLG Stuttgart, BB 2014, 2433 = IPRax 2015, 444 (dazu P. Mankowski, S. 410); R. Schütze, RIW 2015, 111. 430 R. Schütze in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1086.8. 431 K. Bälz, RIW 2013, 55, 59; Th. Rauscher in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1088.11. 432 K. Bälz, RIW 2013, 55, 59. 433 D. Otto in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1089.8. 434 M. Wietzorek in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1091a.19. 435 A. Nelle in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1092.6. 436 C. F. Nordmeier in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1093.20 ff. 437 S. aber A. Respondek/G. Witte in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1093a.10 ff. 438 M. Wietzorek in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1093b.30.
751
§ 12 Rz. 12.229 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
Neuseeland ja; Nicaragua ja;439 Niederlande ja, alle EU-Verordnungen, dt.-niederl. Vertrag; Niger nein; Nigeria ja;440 Nordmazedonien ja; Norwegen LugÜ 1998 u. 2007, dt.-norw. Vertrag, sonst nein;441
12.230 Österreich ja, alle EU-Verordnungen, dt.-österr. Vertrag; Oman nein;
12.231 Pakistan nein;442 Palästina nein;443 Panama ja (ohne VU); Paraguay nein;444 Peru ja;445 Philippinen nein; Polen ja, alle EU-Verordnungen, UNUÜ, CMR; Portugal ja, alle EU-Verordnungen;
12.232 Ruanda ja; Rumänien ja, alle EU-Verordnungen (seit 1.1.2007); Russland nein (kein Staatsvertrag, nicht vollstreckbare Entscheidungen ausgenommen);446 da russische Wirtschaftsgerichte (Arbitrage-Gerichte) Entscheidungen auch ohne Staatsvertrag anerkannt haben, wird die Gegenseitigkeit insoweit zum Teil bejaht.447
12.233 Salomonen ja; Sambia ja; 439 440 441 442 443 444
D. Martiny, Rz. 1448; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 350. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Weber, Anh. § 328 Rz. 14. R. Mörsdorf in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1104.9. D. Otto, IPRax 1997, 436, 438 f (wegen begrenzter révision au fond). H. Krüger in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1110.8. Für Gegenseitigkeit (ohne Versäumnisurteile) Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/ Gehle/Weber, Anh. § 328 Rz. 16. 445 M. Söhngen in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1111.10. 446 A. Trunk/V. Jarkov in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1118.10 f. 447 Abl. LG Wiesbaden, IPRax 2018, 527 (dazu krit. L. Kopczyński).
752
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.233 § 12
San Marino ja; Saudi Arabien nein;448 Schweden alle EU-Verordnungen, nach autonomem Recht nein;449 Schweiz LugÜ 1998 u. 2007, dt.-schweiz. Vertrag, ja;450 Senegal ja; Serbien ja; Seychellen ja;451 Sierra Leone ja;452 Simbabwe ja; Singapur ja; Slowakische Republik ja, alle EU-Verordnungen; Slowenien ja, alle EU-Verordnungen; Somalia nein; Spanien ja, alle EU-Verordnungen, dt.-span. Vertrag; Sri Lanka ja;453 Südafrikanische Republik ja;454 Sudan nein;455 Suriname nein; Swasiland nein;456 Syrien ja;457 448 449 450 451 452 453 454
455 456 457
A. Haberbeck/K. Bälz in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1119.6. L. Pålsson in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1120.11 f. A. Schnyder in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1121.7 ff. Vgl. M. Wietzorek, Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen in der Republik Seychellen, ZfRV 2017, 263. A.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 351. D. Otto in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1131.7. Vgl. OLG Hamburg, IPRax 2014, 170 (dazu R. Geimer, S. 145); BGHZ 42, 194, 197 = NJW 1964, 2350; BGHZ 52, 251 = NJW 1969, 2090 = MDR 1969, 922; P. Bäder, Die Anerkennung südafrikanischer Zivilurteile, 2014, S. 162 ff. (partielle Gegenseitigkeit bei Zuständigkeit aufgrund Wohnsitz, Aufenthalt, Gerichtsstandsvereinbarung oder rügeloser Einlassung sowie im Anwendungsbereich des Protection of Businesses Act 1978); s. Rz. 16.63. K. Bälz, RIW 2013, 55, 60; R. Schütze, IZPR, Rz. 351; zweifelnd K. Bälz in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1132.5. M. Wietzorek in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1134.14 f. BGHZ 49, 50 = NJW 1968, 357; vgl. A. Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1994, S. 416 ff.
753
§ 12 Rz. 12.234 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
12.234 Tadschikistan nein; Taiwan ja;458 Tansania nein;459 Thailand nein;460 Timor-Leste ja;461 Togo ja; Trinidad und Tobago nein; Tschad nein; Tschechische Republik ja, alle EU-Verordnungen; Tunesien dt.-tun. Vertrag; ja;462 Türkei ja (nach Art. 34 ff. IPR-Gesetz v. 22.11.1982463); Turkmenistan nein;464
12.235 Uganda ja (Zahlungsurteile);465 Ukraine nein;466 Ungarn alle EU-Verordnungen, ja;467 Uruguay ja; Usbekistan nein;468
12.236 Vatikanstadt ja (EU-Verordnungen gelten nicht); Venezuela ja;
Vereinigte Arabische Emirate nein;469 aber: Dubai International Finance Centre ja;470 458 459 460 461 462 463 464 465 466 467 468 469 470
754
Vgl. B. Etgen, RIW 1995, 205. R. Schütze, IZPR, Rz. 351. R. Falder in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1140.6. C. F. Nordmeier in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1142.20. K. Bälz, RIW 2013, 55, 58. IPRax 1988, 30; R. Schütze/I. Esin in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1146.10. Ch. Mindach in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1149.10. R. Knieper in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1150.5; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 352. A. Himmelreich/D. Marenkov in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1152.18. V. Harsági in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1151.32 f (§ 111 uIPRG für Entscheidungen aus Nicht-EU-Staaten). Ch. Mindach in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1153.10. K. Bälz/S. Elrifai in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1155.9 f. K. Bälz/S. Elrifai in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1155.17.
III. Autonomes deutsches Recht | Rz. 12.239 § 12
Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland ja, alle prozessualen EU-Verordnungen, deutsch-brit. Abkommen; die EU-Verordnungen, an denen GB beteiligt ist, gelten nach Art. 67 des Austrittsvertrages auch nach dem Brexit für alle Verfahren fort, die Brexit fortgelten, ist derzeit offen. Vereinigte Staaten von Amerika ja471 (für Zahlungsurteile mit Ausnahme von Mississippi)472. Die Gegenseitigkeit entfällt auch nicht für Entscheidungen unter 100 000 US$ wegen der hohen, nicht erstattungsfähigen Kosten der Vollstreckbarerklärung.473 Vietnam ja;474
12.237
Zaire (s. Kongo, Dem. Rep.) Zentralafrikanische Republik
ja;475
Zypern ja, alle EU-Verordnungen. Bei der Verbürgung der Gegenseitigkeit wird z.T. nach Urteilsgruppen unterschieden; deswegen spricht Schütze476 zu Recht von einer partiellen Verbürgung der Gegenseitigkeit. Dabei nehmen Versäumnisentscheidungen eine besondere Stelle ein. Schwierigkeiten scheint es auch im Verhältnis zu solchen Staaten zu geben, die wie Indien, Pakistan, Bangladesch das Exequatur nur nach einer bestimmten Anzahl von Jahren (fünf) nach Erlass der Erstentscheidung zulassen. Eine weitere Gruppe wird dadurch gebildet, dass im Verhältnis zu einigen Staaten Entscheidungen nicht anerkannt werden, weil der betreffende Staat seine Zuständigkeit auf einen „exorbitanten“ Gerichtsstand, z.B. den des Vermögens, gegründet hat.
12.238
Gemäß § 328 II ZPO wird von dem Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit abgesehen, soweit das Urteil einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch betrifft. Für Familiensachen verzichtet § 109 IV FamFG auf die Gegenseitigkeit ebenfalls nur bei nichtvermögensrechtlichen Entscheidungen. Bei gewöhnlichen nichtvermögens-rechtlichen Streitigkeiten wird zusätzlich verlangt, dass ein deutscher Gerichtsstand fehlt. Da im Übrigen die Voraussetzungen für die Anerkennung nach § 328 I Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO auch bei nichtvermögensrechtlichen Ansprüchen erhalten bleiben, tritt Abs. 2 in eine gewisse Konkurrenz zu der Voraussetzung des Abs. 1 Nr. 1. Es kommt nicht nur darauf an, dass das Gericht des Urteilsstaats international
12.239
471 BGHZ 141, 286 = IPRax 2001, 230 (dazu U. Haas, S. 195); vgl. J. Stunz, Vertrauen in fremde Gerichtsverfahren, 2008. 472 R. Schütze in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1157.21, sieht die Gegenseitigkeit dagegen als generell verbürgt an. 473 BGHZ 118, 312, 325 f = NJW 1992, 3096; OLG Koblenz, NJOZ 2004, 3369, 3376 f.; a.A. R. Schütze, ZVglRWiss. 98 (1999), 131, 138 u. IZPR, Rz. 352; S. Neufang, Kostenverteilung im US-amerikanischen Zivilprozess, 2002, S. 148 ff.; offengelassen in BGH, IPRspr. 2011, Nr. 30, S. 61 (Rz. 10). 474 L. Nguyen/A. Wieczorek/Le Net in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1160.7 f.; a.A. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 435. 475 R. Knieper in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, S. 1180.5. 476 Schütze, NJW 1973, 2143.
755
§ 12 Rz. 12.239 | Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen
zuständig i.S.d. deutschen Zuständigkeitsbestimmungen gewesen ist. Es darf darüber hinaus kein deutscher Gerichtsstand begründet gewesen sein. Danach kann auf die Voraussetzung der Gegenseitigkeit dann nicht verzichtet werden, wenn neben dem ausländischen zugleich ein inländischer Gerichtsstand gegeben war, beide also konkurrierend nebeneinander bestanden. 7. Folgen der Nichtanerkennung a) Ausländische Entscheidung als Beweismittel
12.240 Kann die ausländische Entscheidung nicht anerkannt werden, hat sie keine Inlandswirkung. Soweit erforderlich, kann in der gleichen Sache ein Inlandsverfahren ohne Bindung an die ausländische Entscheidung durchgeführt werden. In diesem Verfahren kann die ausländische Entscheidung aber als Beweismittel verwendet werden.477 b) Rückforderung von Leistungen auf nicht anerkannte Entscheidungen?
12.241 Aus der prozessualen Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung folgt nicht ohne weiteres, dass eine daraufhin erbrachte Leistung ohne Rechtsgrund (z.B. nach § 812 BGB) erfolgt ist. Die Rechtslage ist vielmehr selbständig zu prüfen.478 12.242 Schwieriger ist die Rechtslage, wenn die ausländische Entscheidung an sich richtig ist, ihre Anerkennung aber gegen den deutschen ordre public verstoßen würde. Der im Ausland dort zu Recht Unterlegene kann mittels des ordre public-Vorbehalts nach deutschem Recht nur die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung im Inland verhindern. Der ordre public bildet aber keine Rechtsgrundlage für eine Rückforderung einer im Ausland erbrachten deutschen Vorstellungen widersprechenden Mehrleistung. Einen besonderen Erstattungsanspruch in solchen Fällen, wie ihn der englische Protection of Trading Interests Act 1980 (sec. 6 [2]) vorsieht, kennt das deutsche Recht nicht.479
477 R. Geimer, Anerkennung, S. 106. 478 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 191; R. Geimer, Anerkennung, S. 105; a.A. wohl Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 39 (kein Rechtsgrund). 479 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 192; a.A. Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 39.
756
§ 13 Anerkennung von Entscheidungen in Familien- und Erbrechtssachen I. Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen . . . . . . . . . . . . 13.1 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 13.1 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 b) Brüssel IIa-Verordnung . . . . . . . 13.2 c) Automatische Anerkennung eheauflösender Entscheidungen . . . 13.3 d) Selbständiges Anerkennungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.11 e) Anerkennungsversagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.19 2. Autonomes deutsches Recht . . . 13.26 II. Anerkennung von Entscheidungen in Sorgerechts-/Kindschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . 13.56 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . 13.56 2. Europäische Titel zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.70 3. Anerkennung nach Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.73 4. Autonomes deutsches Recht . . . 13.83 III. Anerkennung von Abstammungsentscheidungen . . . . . . . 13.89 IV. Anerkennung von Adoptionsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . 13.94 1. Haager Adoptions-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.95 2. Europäisches Übereinkommen v. 27.11.2008 über die Adoption von Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.101 3. Autonomes deutsches Recht . . . 13.102 V. Anerkennung von Entscheidungen in Ehewohnungs- und Haushaltssachen . . . . . . . . . . . . 13.113 VI. Anerkennung von Entscheidungen in Gewaltschutzsachen . . . 13.116 VII. Anerkennung von Entscheidungen in Güterrechtssachen . . . . 13.119
VIII. Anerkennung von Entscheidungen in Versorgungsausgleichssachen . . . . . . . . . . . . . . . 13.124 IX. Anerkennung von Entscheidungen von Unterhaltssachen 13.127 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.127 2. Europäische Vollstreckungstitel 13.128 3. Andere EU-Unterhaltstitel . . . . 13.132 4. Unterhaltstitel nach LugÜ 2007 13.136 5. Titel aus Vertragsstaaten der Haager Übereinkommen . . . . . . 13.137 6. Titel aus Staaten mit Gegenseitigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . 13.145 7. Titel aus Drittstaaten . . . . . . . . . 13.147 X. Anerkennung von Entscheidungen in Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . 13.149 1. Statusentscheidungen . . . . . . . . 13.149 2. Güterrechtsentscheidungen . . . 13.150 XI. Anerkennung von Entscheidungen in Betreuungssachen . 13.153 1. Anerkennung nach dem ErwSÜ 13.153 2. Anerkennung nach autonomem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.157 XII. Anerkennung von Entscheidungen in Erbrechtssachen . . . 13.158 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.158 2. Anerkennung nach der EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.159 3. Europäisches Nachlasszeugnis . 13.164 4. Anerkennung nach Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.167 5. Anerkennung in anderen Fällen 13.168 XIII. Anerkennung von Personenstandsurkunden (Statusverhältnissen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.169
757
§ 13 Rz. 13.1 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
I. Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen 1. Europäisches Recht a) Schrifttum
13.1 Zur Brüssel IIb-VO (VO (EU) 2019/1111 des Rates v. 25.6.2019) (ABl. Nr. L 178/1): M. Erb-
Klünemann/N.Niethammer-Jürgens, Die neue Brüssel IIa-VO, FamRB 2019, 454; P. Finger, Die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen, FuR 2029, 640. Zur Brüssel IIa-VO (Nr. 2201/2003): Ch. Althammer, Brüssel IIa – Rom III, 2014 (in Englisch: Brussels IIa Rom III, 2019); M. Andrae in Dauner-Lieb, Nomos Kommentar – BGB, Bd. 1, Anh. I zum III. Abschnitt EGBGB, 3. Aufl. 2016, S. 2460 ff.; D. Coester-Waltjen, Die Berücksichtigung der Kindesinteressen in der neuen EU-Verordnung „Brüssel IIa“; FamRZ 2005, 241; H. Dörner, Internationale Scheidungszuständigkeit und Anerkennung von Scheidungsurteilen nach der EG-Verordnung Nr. 2201/2003, in Großfeld/Yamauchi u.a., Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts, 2006, S. 17; A. Dutta, Die Entscheidungsbescheinigungen nach der Brüssel-IIa-Verordnung – ein Erfolgsmodell?, StAZ 2011, 33; P. Finger, Internationale Kindesentführung, FuR 2005, 443; E. Gitschthaler/Th. Garber, Internationales Familienrecht, 2019, S. 3; Ch. Grünenwald/R. Behrentin, Inzidente Anerkennung ausländischer Statusentscheidungen, NJW 2018, 2010; W. Hau, Doppelte Staatsangehörigkeit im europäischen Eheverfahrensrecht, IPRax 2010, 50; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil K II), 2. Aufl. 2018; B. Heiderhoff, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen, StAZ 2009, 328; Ch. Holzmann, Brüssel IIa VO: Elterliche Verantwortung und internationale Kindesentführung, 2008, S. 225; A. Johanson, Die Anerkennung europäischer Privatscheidungen nach dem Sahouni-Urteil, NJOZ 2020, 353; S. Lippke, Der Status im Europäischen Zivilverfahrensrecht – Scheidung und Scheidungsfolgen im Anerkennungsrecht, 2008; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Schlussanhang I 1, 3. Aufl. 2019, S. 839; P. Pietsch, Die Anerkennung von ausländischen Ehescheidungen in Deutschland, FF 2011, 237; H. Rausch, Elterliche Verantwortung – Verfahren mit Auslandsbezug vor und nach „Brüssel II a“ (2. Teil), FuR 2005, 112; Rauscher/Rauscher, Brüssel IIa-VO, in EuZPR/ EuIPR, 4. Aufl. 20150, B I 1, S. 3; H. Schack, Das Anerkennungsverfahren in Ehesachen nach § 107 FamFG – Vorbild für Europa?, FS Spellenberg, 2010, S. 497; A. Schulz, Das Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz, FamRZ 2011, 1273; Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht (§ 4C V Rz. 106 ff.), 8. Aufl. 2019; D. Solomon, „Brüssel IIa“ – Die neuen europäischen Regeln zum internationalen Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, FamRZ 2004, 1409; I. Toscano, Ehescheidungen mit grenzüberschreitendem Bezug, 2011, S. 103. Zur Brüssel II-VO (Nr. 1347/2000): D. Coester-Waltjen, Die internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen in der Europäischen Union, in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts, 2002, S. 163; H. Gaudemet-Tallon, Le règlement no 1347/2000 du Conseil du 29 mai 2000: „competence, reconnaissance et exécution des decisions en matière matrimoniale et en matière de responsabilité parentale des enfants communs“, JDI 128 (2001), 381; P. Gottwald, Kommentierung der Brüssel II-Verordnung in MünchKomm/ZPO, Bd. 3, 2. Aufl. 2001, S. 2209; R. Hausmann, Neues internationales Eheverfahren in der EU (II), EuLF 2000/01, 345; T. Helms, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen im Europäischen Eheverfahrensrecht, FamRZ 2001, 257; T. Hub, Die Neuregelung der Anerkennung und Vollstreckung in Zivilund Handelssachen und das familienrechtliche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, NJW 2001, 3145; M. Jäntera-Jareborg, Marriage Dissolution in an Integrated Europe, Yearbook of Private International Law 1 (1999), 1; M. Lupoi, Brussels II: new rules for transnatio-
758
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.3 § 13 nal matrimonial disputes, in Carpi/Lupoi, Essays on transnational and comparative civil procedure, 2001, S. 105; F. Mosconi, Giurisdizione e riconoscimento delle decisioni in materia matrimoniale secondo il regulamento comunitario de 29 maggio 2000, Riv.dir.proc. 61 (2001), 376; K. Polyzogopoulos, Internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen in der Europäischen Union, in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts, 2002, S. 133; H. Schack, Das neue internationale Eheverfahrensrecht in Europa, RabelsZ 65 (2001), 615; U. Spellenberg, Anerkennung eherechtlicher Entscheidungen nach der EheGVO, ZZPInt 6 (2001), 109; U. Spellenberg, Der Anwendungsbereich der EheGVO („Brüssel II“) in Statussachen, FS Schumann, 2001, S. 423; B. Sturlèse, Compétence, reconnaissance et exécution des décisions en matière matrimoniale et en matière de responsbilité parentale des enfants communs, Juris-Cl. Procédure Civile Fasc. 910–10, 2001; G. Wagner, Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach der Brüssel II-Verordnung, IPRax 2001, 73.
b) Brüssel IIa-Verordnung Die EuGVO wurde für Ehesachen und Streitigkeiten über das Sorgerecht gemeinsamer Kinder zunächst durch die (Europäische) Verordnung Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen v. 29.5.20001 („Brüssel II“) ergänzt. Diese wurde mit Wirkung v. 1.3.2005 durch die Verordnung Nr. 2201/2003 v. 27.11.2003 („Brüssel IIa-VO“ oder EuEheVO)2 ersetzt. Die Regeln über Anerkennung und Vollstreckung der Brüssel IIa-VO bleiben im Verhältnis zu Großbritannien auch nach dem Brexit für alle Entscheidungen wirksam, die in Verfahren ergehen, die vor dem Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 eingeleitet wurden bzw. für Prozessvergleiche und vollstreckbare Urkunden, die bis zu diesem Zeitpunkt errichtet wurden (Art. 67 Abs. 2 lit. b des Austrittsabkommens v. 24.1.2020).3 Der Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO erstreckt sich nunmehr auf alle Sorgerechtsentscheidungen. Nach Art. 21 Brüssel IIa-VO werden Entscheidungen der Mitgliedstaaten, auch für die Beischreibung in den Personenstandsbüchern, ohne besonderes Verfahren anerkannt. Dies gilt auch, soweit die Entscheidung als Vorfrage für sozialrechtliche Ansprüche relevant ist.4 Anerkennungsversagungsgründe sind inzident zu prüfen. Wer gestützt auf eine ausländische Entscheidung die Beischreibung im Personenstandsbuch beantragt, hat diese in Ausfertigung unter Rechtskraftbestätigung und Zustellungsnachweis, jeweils mit Übersetzung auf Verlangen des Gerichts, vorzulegen (Art. 37–39 Brüssel IIa-VO) (s. Rz. 13.3, 13.9 f.).
13.2
c) Automatische Anerkennung eheauflösender Entscheidungen Nach Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO sind die in einem Mitgliedstaat der EU (außer Dänemark) ergangenen Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung der Ehe automatisch (d.h. ohne besonderes Verfahren) anzuerkennen. Über die Anerkennung kann als Vorfrage 1 2 3 4
ABl. EG Nr. L 160/19 v. 30.6.2000. ABl. EG Nr. L 338/1. ABl. EU 2020 Nr. L 29/7. Vgl. Ch. Grünenwald/R. Behrentin, NJW 2018, 2010, 2015.
759
13.3
§ 13 Rz. 13.3 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
(Art. 21 IV Brüssel IIa-VO),5 bei Bedarf aber auch auf selbständigen (positiven oder negativen) Feststellungsantrag hin entschieden werden. Anerkennung bedeutet Wirkungserstreckung, hier primär der Gestaltungswirkung der Scheidung oder sonstigen Auflösung der Ehe.6 Bedarf es dazu im Erststaat der Registrierung der Entscheidung, so kann die Gestaltungswirkung auch erst an der Registrierung anerkannt werden.7 Zur Erleichterung der Anerkennung erteilt der Ursprungsstaat gem. Art. 39 Brüssel IIa eine Bescheinigung über die Art der Entscheidung und das Datum des Eintritts der Rechtswirksamkeit.8
13.4 Aufhebungen der eingetragenen Lebenspartnerschaft kann man trotz der Ähnlichkeit zur Ehe nicht gleichbehandeln,9 da die Brüssel IIa-VO sich bewusst auf die Lösung der traditionellen, heterosexuellen Ehe beschränkt. 13.5 Erwägungsgrund (8) im Eingang zur VO stellt klar, dass nach der Brüssel IIa-VO (wenig überzeugend) nur eheauflösende Entscheidungen anzuerkennen sind.10 Aus dieser Einschränkung folgt, dass (in der Praxis seltene) Klage- bzw. Antragsabweisungen nicht anzuerkennen sind. Auch Entscheidungen, die das Bestehen einer Ehe feststellen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO.11 Der in einem Mitgliedstaat erfolglose Scheidungskläger kann daher unter Ausnutzung materieller Rechtsunterschiede sogleich in einem anderen Mitgliedstaat auf Scheidung usf klagen bzw. antragen.12 13.6 Nach Erwägungsgrund (8) des Eingangs sollen bei einer Scheidung nicht einmal Feststellungen zum Scheidungsverschulden anerkannt werden.13 Der gleiche Erwägungsgrund (8) präzisiert Art. 21 I Brüssel IIa-VO dahin, dass nur die Statusentscheidung, nicht aber Entscheidungen über vermögensrechtliche Scheidungsfolgen von der Verordnung erfasst werden.14
5 Vgl. NK-BGB/Andrae, Art. 21 EheVO 2003 Rz. 41; P. Pietsch, FF 2011, 237, 239. 6 NK-BGB/Andrae, Art. 21 EheVO 2003 Rz. 16; T. Helms, FamRZ 2001, 257, 258; U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 113 f, 127. 7 U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 127. 8 NK-BGB/Benicke, Art. 39 EheVO 2003 Rz. 1; krit. A. Dutta, StAZ 2011, 33. 9 A.A. G. Wagner, IPRax 2001, 281, 288. 10 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 21 EuEheVO Vorbem. 1b; NK-BGB/Andrae, Art. 21 EheVO 2003 Rz. 7; R. Hausmann, Teil K Rz. 29; G. Wagner, IPRax 2001, 73, 76; U. Spellenberg, FS Schumann, S. 423, 432; M. Lupoi, S. 144. 11 M. Andrae, § 2 Rz. 18; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 8; Staudinger/Spellenberg, (2015) Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 23; Magnus/Mankowski/Pintens, (2017) Art. 1 Rz. 34; a.A. Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 13 ff.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 1 EuEheVO Rz. 2, Art. 21 Vorb Rz 1b. 12 Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 2 Brüssel IIa-VO Rz. 6; H. Dörner, S. 17, 27 f.; R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 348; M. Jäntera-Jareborg, Yearb. PIL 1999, 1, 22, 25; krit. U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 124 f.; für Anerkennung nach nationalem Recht T. Helms, FamRZ 2001, 257, 258; U. Spellenberg, FS Schumann, S. 423, 433. 13 Für Anerkennung dagegen U. Spellenberg, FS Schumann, S. 423, 434. 14 R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 348.
760
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.12 § 13
Entscheidungen, die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe feststellen, fallen nicht unter die Brüssel IIa-VO,15 wohl aber Entscheidungen religiöser Gerichte, wenn diese im Entscheidungsstaat zuständig sind.16 Privatscheidungen fallen dagegen nicht unter die Verordnung.17 Scheidungen ohne Gericht, aber unter Mitwirkung staatlicher Behörden, wie in Italien, stehen dagegen gerichtlichen Entscheidungen gleich und sind nach Art. 21 EheGVO anzuerkennen.18
13.7
Anerkannt werden sollen aber Kostenbeschlüsse auch nach „negativen“ Status-Entscheidungen.19 Öffentliche Urkunden und Prozessvergleiche, z.B. behördlich genehmigte Sorgerechtsvereinbarungen,20 werden Entscheidungen gleichgestellt (Art. 13 III Brüssel IIa-VO).
13.8
Art. 21 II Brüssel IIa-VO stellt klar, dass die Anerkennung ex lege auch für die Beischreibung in Personenstandsbüchern gilt. Für Scheidungsentscheidungen der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten (ohne Dänemark) findet daher kein formelles Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG mehr statt.21
13.9
Die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung kann dem Standesamt gegenüber durch die Bescheinigung nach Art. 33 i.V.m. Anhang IV der Brüssel IIa-VO nachgewiesen werden.
13.10
d) Selbständiges Anerkennungsverfahren Besteht Streit über die Anerkennungsfähigkeit, kann jede Partei, die ein Interesse hat, ein selbständiges Anerkennungsverfahren nach Art. 21 III, 28 ff. Brüssel IIaVO einleiten. Zuständig ist das Familiengericht, in dessen Bezirk sich der Antragsgegner gewöhnlich aufhält oder das Interesse an der Feststellung hervortritt (Art. 29 III Brüssel IIa-VO i.V.m. §§ 10 [Strich 1], 12, 32 IntFamRVG).
13.11
Der Kreis der Antragsberechtigten ist nicht auf die Parteien des Erstverfahrens beschränkt, sondern erstreckt sich auf jeden, dessen Rechtsposition von der Anerkennung oder Nichtanerkennung betroffen ist (z.B. Erben oder künftige Ehepartner).22
13.12
15 U. Spellenberg, FS Schumann, S. 423, 433; T. Helms, FamRZ 201, 257, 259; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 21 Brüssel IIa-VO Rz. 3; a.A. für negative Feststellungen Rauscher/Rauscher, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 13 ff. 16 T. Helms, FamRZ 2001, 257, 259; H. Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 627. 17 EuGH – C-372/16, ECLI:EU:C:2017:988 – Sahyouni, FamRZ 2018, 169 (C. Mayer) = IPRax 2018, 261 (dazu D. Coester-Waltjen, S. 238); T. Helms, FamRZ 2001, 257, 260; Johanson, NJOZ 2020, 353. 18 KG FamRZ 2020, 1215 (A. Dutta). 19 K. Polyzogopoulos in Gottwald, Aktuelle Entwicklungen, S. 133, 154; zweifelnd H. Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 629. 20 H. Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 627. 21 Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 21 Brüssel IIa-VO Rz. 8; Hüßtege in Thomas/ Putzo, Art. 21 EuEheVO Rz. 2; R. Hausmann, Teil K Rz. 43; G. Wagner, IPRax 2001, 73, 79; H. Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 627. 22 M. Andrae, § 3 Rz. 68.
761
§ 13 Rz. 13.13 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
13.13 Bestreitet der Standesbeamte die Anerkennungsfähigkeit, muss er die Beteiligten auf dieses Verfahren verweisen; wegen des Vorrangs von Art. 21 III Brüssel IIa-VO scheidet ein Vorgehen nach § 45 II PStG,23 aber auch die freiwillige Einleitung eines Verfahrens nach § 107 FamFG24 aus. Anders als Art. 36 II EuGVO n.F. bzw. Art. 33 II LugÜ sieht Art. 21 III Brüssel IIa-VO auch einen negativen Feststellungsantrag vor. Für eine negative Feststellungsklage (§ 256 ZPO) besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis. 13.14 Das Verfahren erster Instanz wird, wie bei der Vollstreckbarerklärung, einseitig ohne Beteiligung des Antragsgegners durchgeführt (Art. 21 III, 31 I Brüssel IIa-VO). Geprüft wird anhand der vorgelegten Urkunden nur, ob ein Anerkennungsversagungsgrund besteht (Art. 31 II Brüssel IIa-VO). 13.15 Gegen die Entscheidung des Familiengericht gibt es gem. § 32 IntFamRVG die Beschwerde nach §§ 24 ff. IntFamRVG. In diesem Beschwerdeverfahren wird der Antragsgegner gehört (Art. 33 III Brüssel IIa-VO). Gegen die Beschwerdeentscheidung des OLG steht die Rechtsbeschwerde an den BGH nach §§ 28 ff. IntFamRVG offen.25 13.16 Mit Rechtskraft erlangt die Entscheidung Bindungswirkung nur zwischen den Beteiligten des Verfahrens. Eine Bindung aller Behörden wie in § 107 IX FamFG ist zwar nicht vorgesehen, sollte aber sinngemäß angenommen werden.26 13.17 Soweit die Anerkennung für die Entscheidung des Gerichts in einer anderen Sache erheblich ist, wird darüber wie allgemein üblich, formlos und inzident entschieden (Art. 21 IV Brüssel IIa-VO). Die Inzidententscheidung erwächst nicht in Rechtskraft.27 Die Zuständigkeit des Familiengerichts für Verfahren nach Art. 21 III Brüssel IIa-VO schließt sinngemäß aus, dass die Statusfrage in jedem beliebigen Verfahren zum Gegenstand einer rechtskraftfähigen Zwischenfeststellung (§ 256 II ZPO) gemacht werden kann.28 13.18 Ist gegen die anzuerkennende Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden, so kann das Anerkennungsgericht sein Verfahren sowohl im selbständigen Anerkennungsverfahren wie bei Inzidentanerkennung29 zunächst aussetzen (Art. 27 Brüssel IIa-VO). Die Regel hat praktisch nur bei Sor-
23 Ebenso T. Hub, NJW 2001, 3145, 3149; a.A. für Zulässigkeit U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 129; T. Helms, FamRZ 2001, 257, 261 gibt dem Standesbeamten die Antragsbefugnis. 24 T. Helms, FamRZ 2001, 257, 261; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 21 EuEheVO Vorb. Rz. 4; a.A. U. Spellenberg, FS Schumann, S. 433, 438 und ZZPInt 6 (2001), 109, 131. 25 Vgl. BGH, FamRZ 2012, 1561. 26 M. Andrae, § 3 Rz. 71; Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 21 Rz. 45 f. 27 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 21 EuEheVO Rz. 14. 28 Für Zwischenfeststellung vor Familiengerichten T. Helms, FamRZ 2001, 257, 262; a.A. (keine Beschränkung) H.-J. Vogel, MDR 2000, 1045, 1049. 29 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 27 EuEheVO Rz. 1.
762
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.23 § 13
gerechtsentscheidungen Bedeutung, da Ehescheidungen generell erst mit Rechtskraft wirksam werden (vgl. Art. 21 II Brüssel IIa-VO). e) Anerkennungsversagungsgründe Die Anerkennungsvoraussetzungen (bzw. -hindernisse) werden in Art. 22 und 23 Brüssel IIa-VO für Ehescheidungen und Sorgerechtsentscheidungen getrennt festgelegt.
13.19
Einheitlich gilt, dass die Entscheidung über die Zuständigkeit des Ursprungsstaats (wie nach der EuGVO) im Zweitstaat nicht nachgeprüft werden darf.30 Auch Entscheidungen, die in Restzuständigkeiten (Art. 7 Brüssel IIa-VO) ergangen sind, sind anzuerkennen.31 Zuständigkeitsmängel verstoßen in keinem Fall gegen den ordre public des Anerkennungsstaats (Art. 24 Brüssel IIa-VO). Nur bei Entscheidungen, die nach Erlass der Brüssel II-VO, aber vor Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO ergangen sind, ist die Zuständigkeit zu überprüfen (Art. 64 IV Brüssel IIa-VO). Sind die beteiligten Eheleute Doppelstaater, hat der Anerkennungsstaat die Zuständigkeit auch des anderen Heimatstaats zu respektieren.32
13.20
Auch in der Sache selbst darf die Entscheidung nicht überprüft werden (Art. 26 Brüssel IIa-VO). Eine Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung wegen veränderter Umstände bleibt zulässig.33
13.21
In Ehesachen (Art. 22 Brüssel IIa-VO) sind vier Anerkennungshindernisse vorgesehen:
13.22
(1) Ein offensichtlicher Verstoß gegen den ordre public des Anerkennungsstaats (Art. 22 [a]). Zuständigkeitsfehler (Art. 24), aber auch Unterschiede im anwendbaren Recht (Art. 25 Brüssel IIa-VO) sind nicht als ordre public-Fälle anzusehen. Mit diesen Einschränkungen kann sich der Verstoß aus der materiellen Rechtsanwendung oder aus groben Verfahrensfehlern ergeben.34 Nicht als ordre public-Verstoß ist es anzusehen, wenn eine Sachentscheidung unter Missachtung der früheren Rechtshängigkeit im Anerkennungsstaat erlassen wurde.35 (2) Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Verfahrenseinleitung. Sie führt zur Versagung der Anerkennung, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so 30 R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 348; T. Helms, FamRZ 2001, 257, 262. 31 T. Helms, FamRZ 2001, 257, 262; U. Spellenberg, FS Schumann, S. 423, 441 und ZZPInt 6 (2001), 109, 133; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 24 EuEheVO Rz. 1. 32 EuGHE 2009, I-6871 (Hadadi v Hadadi) = IPRax 2010, 66 (dazu W. Hau, S. 50; J. Dilger, S. 54). 33 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 26 EuEheVO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 26 Brüssel IIa-VO Rz. 3. 34 T. Helms, FamRZ 2001, 257, 262; Gottwald in MünchKomm, Art. 22 Brüssel IIa-VO Rz. 4; Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 22 Rz. 8 ff.; U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 143 ff. 35 EuGH – C-386/17, ECLI:EU:C:2019:24 – Liberato v Grigorescu, FamRZ 2019, 1164 (J. v. Hein/N. Grohmann).
763
13.23
§ 13 Rz. 13.23 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte (Art. 22 [b]). Auf die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung kommt es ebenso wie nach Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F., aber abweichend von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ) nicht mehr an. Mängel der tatsächlichen Zustellung sind nur noch dann relevant, wenn dadurch die Verteidigungsmöglichkeit beeinträchtigt wurde.36 Eine bloße mündliche oder schriftliche Information vom anhängigen Verfahren durch die Gegenpartei oder deren Anwalt ersetzt nicht den Zugang des verfahrenseinleitenden Schriftstücks.37 Abweichend von Art. 45 EuGVO n.F. (Art. 34 EuGVO a.F.) wird der Mangel aber nicht irrelevant, weil der Antragsgegner keinen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt hat.38 Auf Rechtzeitigkeit und Verteidigungsmöglichkeit kommt es aber nicht an, wenn festgestellt wird, dass der Antragsgegner „mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist“.39 Dies ist etwa der Fall, wenn der Antragsgegner selbst eine neue Ehe schließen will oder wenn er nachehelichen Unterhalt einklagt.40 Abweichend von Art. 34 Nr. 2 EuGVO schließt das Nichteinlegen von Rechtsmitteln die Berufung auf den Versagungsgrund nicht ohne weiteres aus.41
13.24 (3) Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaats (Art. 22 [c]). Eine inländische Entscheidung hat wie nach der EuGVO stets Vorrang, unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge des Erlasses. Da die Brüssel IIa-VO nur „positive“ Entscheidungen erfassen will, kann sich die Unvereinbarkeit aber nicht aus einer „negativen“, abweisenden Entscheidung ergeben.42 Unvereinbar ist danach etwa ein ausländisches Scheidungsurteil mit einer inländischen Aufhebungsentscheidung.43 13.25 (4) Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats (Art. 22 [d]). Insoweit gilt der Prioritätsgrundsatz. Vorrang hat die frühere Entscheidung, sofern sie selbst anerkannt werden kann. Eine Ehescheidung ist mit der früheren Ehetrennung nicht unvereinbar.44 Ein Ehenichtigkeits- oder -aufhebungsurteil (mit ex tunc-Wirkung) ist mit einem früheren Scheidungsurteil (mit ex nunc-Wirkung) nur vereinbar, wenn die Nichtigkeit oder Aufhebbarkeit keinen Zusammenhang mit den Scheidungsgründen hat.
36 37 38 39 40 41 42 43 44
764
T. Helms, FamRZ 2001, 257, 264; U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 135. OLG München, FamRZ 2012, 1512, 1513. Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 22 Rz. 26. G. Wagner, IPRax 2001, 73, 78; R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 349; M. Lupoi, S. 146. Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 22 EuEheVO Rz. 2; Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 22 Rz. 29. A.A. U. Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109, 138. Ch. Kohler, NJW 2001, 10, 13; H. Dörner, S. 17, 28 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 22 Rz. 3; a.A. T. Helms, FamRZ 2001, 257, 265; NK-BGB/Andrae, Art. 22 EheVO 2003 Rz. 13. R. Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 350. K. Polyzogopoulos, S. 133, 156 f.; T. Helms, FamRZ 2001, 257, 265.
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.27 § 13
2. Autonomes deutsches Recht Schrifttum: M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 3 Rz. 59 ff., S. 199 ff.; M. Andrae/Th. Heidrich, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehe- und Lebenspartnerschaftssachen, FPR 2004, 292; J. Antomo, Anerkennung ausländischer Privatscheidungen – Rom III-Verordnung analog?, NJW 2018, 435; J. Basedow, Die Anerkennung von Auslandsscheidungen, 1980; R. Ellger, Anerkennung und Vollstreckung zivilrechtlicher Urteile – insbesondere familiengerichtlicher Entscheidungen im Verhältnis zu Australien, FS Martiny, 2014, S. 663; K. Elmaliah/F. Thomas, Die Anerkennung von Ehescheidungen aus dem außereuropäischen Ausland – am Beispiel der israelischen Scheidung, FamRZ 2018, 739; R. Geimer, Das Anerkennungsverfahren für ausländische Entscheidungen in Ehesachen, NJW 1967, 1398; P. Gottwald, Zur Anerkennung ausländischer Ehescheidungen – verfahrensrechtliche und kollisionsrechtliche Fragen, FS Rüßmann, 2013, S. 771; J. Haecker, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen, 3. Aufl. 2009; W. Hau, Zum Anwendungsbereich des obligatorischen Anerkennungsverfahrens für ausländische Ehestatusentscheidungen, FS Spellenberg, 2010, S. 435; R. Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken der Gestaltungskraft von Scheidungsurteilen, 1980; K. Hirschfeld, Die Anwendung von Get Statutes und die Anerkennung von auf Get Statutes beruhenden Urteilen in Deutschland, 2007; K. Kleinrahm/H.Ch. Partikel, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen, 2. Aufl. 1970; H. Krzywon, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen, StAZ 1989, 93; St. Leible, Probleme der Anerkennung ausländischer Ehescheidungen im vereinten Deutschland, FamRZ 1991, 1245; S. Lippke, Der Status im Europäischen Zivilverfahrensrecht. Scheidung und Scheidungsfolgen im Anerkennungsstaat, 2008; D. Martiny, HdbIZVR Bd III/1 (§ 12), 1984; K. A. von Sachsen Gessaphe, Keine Anerkennung mexikanischer „Blitzscheidungen“, StAZ 1992, 334; H. Schack, Das Anerkennungsverfahren in Ehesachen nach § 107 FamFG – Vorbild für Europa?, FS Spellenberg, 2010, S. 497; Staudinger/Spellenberg, EGBGB, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen 2, Neubearb. 2016; Ch. Tsai, Das Scheidungsrecht in Taiwan und die Anerkennung einer taiwanesischen Ehescheidung in Deutschland, Diss. Regensburg, 2001; L. Wardle, International Marriage Recognition: A World Dilemma, in N. Lowe/G. Douglas, Families across Frontiers, 1996, 75.
13.26
Deutschland ist weder dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen v. 1.6.197045 noch dem Luxemburger CIECÜbereinkommen über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen v. 8.9.1967 beigetreten. EuGVO, EuGVÜ bzw. LugÜ erfassen Ehescheidungen nicht (Art. 1 II lit. a). Nach autonomem deutschem Recht richtet sich die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen im Verhältnis zu Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten und Dänemark). Maßgebend ist insoweit § 107 FamFG: „§ 107 Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen (1) Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Bande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Parteien festgestellt worden ist, werden nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen. Die Verbür45 Vgl. dazu Ch. v. Bar, RabelsZ 57 (1993), 63, 113–119; D. Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263, 294 ff.; D. Martiny, HdbIZVR III/2 Kap. II (§ 4), 1984, S. 174.
765
13.27
§ 13 Rz. 13.27 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
gung der Gegenseitigkeit ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung. Hat ein Gericht oder eine Behörde des Staates entschieden, dem beide Ehegatten zur Zeit der Entscheidung angehört haben, hängt die Anerkennung nicht von einer Feststellung der Landesjustizverwaltung ab. (2) Zuständig ist die Justizverwaltung des Landes, in dem ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist die Justizverwaltung des Landes zuständig, in dem eine neue Ehe geschlossen oder eine Lebenspartnerschaft begründet werden soll; die Justizverwaltung kann den Nachweis verlangen, dass die Eheschließung oder die Begründung der Lebenspartnerschaft angemeldet ist Wenn eine andere Zuständigkeit nicht gegeben ist, ist die Justizverwaltung des Landes Berlin zuständig. (3) Die Landesregierungen können die den Landesjustizverwaltungen nach dieser Vorschrift zustehenden Befugnisse durch Rechtsordnung auf einen oder mehrere Präsidenten der Oberlandesgerichte übertragen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung nach Satz 1 auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (4) Die Entscheidung ergeht auf Antrag. Den Antrag kann stellen, wer ein rechtliches Interesse an der Anerkennung glaubhaft macht. (5) Lehnt die Landesjustizverwaltung den Antrag ab, so kann der Antragsteller beim Oberlandesgericht die Entscheidung beantragen. (6) Stellt die Landesjustizverwaltung fest, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, kann ein Ehegatte, der den Antrag nicht gestellt hat, beim Oberlandesgericht die Entscheidung beantragen. Die Entscheidung der Landesjustizverwaltung wird mit der Bekanntmachung an den Antragsteller wirksam. Die Landesjustizverwaltung kann jedoch in ihrer Entscheidung bestimmen, dass die Entscheidung erst nach Ablauf einer von ihr bestimmten Frist wirksam wird. (7) Zuständig ist ein Zivilsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Landesjustizverwaltung ihren Sitz hat. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung. Für das Verfahren gelten die Abschnitte 4 und 5 sowie § 14 Abs. 1 und 2 und § 48 Abs. 2 entsprechend. (8) Die vorstehenden Vorschriften sind sinngemäß anzuwenden, wenn die Feststellung begehrt wird, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Entscheidung nicht vorliegen. (9) Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen oder nicht vorliegen, ist für Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend. (10) War am 1. November 1941 in einem deutschen Familienbuch (Heiratsregister) aufgrund einer ausländischen Entscheidung die Nichtigerklärung, Aufhebung, Scheidung oder Trennung oder das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe vermerkt, steht der Vermerk einer Anerkennung nach dieser Vorschrift gleich.“
13.28 Im Gegensatz zu § 328 I ZPO und § 108 FamFG erfolgt die Anerkennung ausländischer Entscheidungen (von Nicht-EU-Staaten) in Ehesachen nicht automatisch, sondern nach § 107 FamFG „erstinstanzlich“ in einem besonderen Verwaltungsver766
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.31 § 13
fahren.46 Darin wird förmlich und generell bindend festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen oder nicht vorliegen. Die Anerkennung führt wie sonst zu einer Wirkungserstreckung der ausländischen Ehescheidung, hat also für die Scheidungsfolgen Rückwirkung auf den Scheidungszeitpunkt.47 Die Anerkennungsentscheidung selbst hat nur Inlandswirkung und wird im Ausland nicht anerkannt.48 Die Feststellungsbefugnis ist ausschließlich auf die Landesjustizverwaltungen bzw. OLG-Präsidenten, also auf Verwaltungsbehörden, übertragen.49 Früher sind dagegen verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, weil die Feststellung, ob ein ausländisches Urteil in Ehesachen anzuerkennen sei, zu dem Bereich der Rechtsprechung gehöre und daher von den Gerichten entschieden werden müsse. Die h.M. teilt diese Bedenken nicht.50 Da gegen Entscheidungen der LJV bzw. des OLG-Präsidenten das OLG angerufen werden kann, verstößt § 107 FamFG nicht gegen Art. 92 GG.51
13.29
Kommt es in einem Gerichtsverfahren auf die Anerkennung einer ausländischen Scheidung an, so kann das Gericht sein Verfahren (unter Setzung einer angemessenen Frist) auf Antrag (§ 148 ZPO; § 21 FamFG) auszusetzen, damit die Parteien das Feststellungsverfahren durchführen können.52
13.30
Von der formellen Anerkennung sind Entscheidungen des Heimatstaats beider Ehegatten befreit (§ 107 I 2 FamFG). Bei ihnen wird die Wirksamkeit der Scheidung als evident unterstellt. Ein freiwilliges Anerkennungsverfahren lässt die Rspr. jedoch zu, um in Zweifelsfällen Rechtssicherheit zu schaffen.53 Besitzt einer der geschiedenen Ehegatten auch die deutsche Staatsangehörigkeit, so ist das Anerkennungsverfahren dagegen zwingend, da die deutsche Staatsangehörigkeit nach Art. 5 I 2 EGBGB im Inland Vorrang hat.54 Ist zweifelhaft, ob eine Heimatstaatentscheidung vorliegt, ist das Anerkennungsverfahren durchzuführen.55
13.31
46 Zu den Anforderungen an das Verfahren im Einzelnen vgl. P. Gottwald, FS Rüßmann, S. 771, 778 ff. 47 BGH, FamRZ 2019, 1535, 1538 (Rz. 36); BGH, FamRZ 1982, 1203 (Rz. 17) = IPRax 1983, 292 (dazu J. Basedow u. H. Bürgle, S. 278); OLG Frankfurt, FamRZ 2019, 625 = NZFam 2018, 907; M. Andrae, § 3 Rz. 75. 48 Österr.OGH, FamRZ 2020, 698. 49 Vgl. K. Kleinrahm/H.-Ch. Partikel, 34; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap I Rz. 1659 ff. 50 Vgl. BGHZ 82, 34, 39 = NJW 1982, 517; BayObLGZ 1977, 180 = FamRZ 1978, 243; Staudinger/Spellenberg, (2016) § 107 FamFG Rz. 15 f. 51 Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 107 FamFG Rz. 13; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap I Rz. 1682; a.A. R. Geimer, ZfRV 5 (1992), 401, 417. 52 OLG Frankfurt, NZFam 2018, 907 = FamRZ 2019, 625; OLG Köln, IPRax 1999, 48. 53 BGHZ 112, 127 = NJW 1990, 3081; OLG Frankfurt, NJW-RR 1990, 778; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap. I Rz. 1704; a.A. (für Verfahren nach § 108 II FamFG) Zöller/Geimer, § 107 FamFG Rz. 38. 54 BayObLG, FamRZ 1990, 898; OLG München, FamRZ 2018, 817, 818 (P. Mankowski); Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 107 Rz. 36. 55 Präsidentin des OLG Frankfurt, IPRax 2000, 124 (dazu G. Hohloch, S. 96); M. Andrae, § 3 Rz. 76.
767
§ 13 Rz. 13.32 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
13.32 Antragsberechtigt ist jeder, der ein rechtliches Interesse an der Anerkennung oder Nichtanerkennung hat (§ 107 IV 2 FamFG). Neben den Ehegatten sind dies Erben, ein neuer Ehegatte oder die Verwaltungsbehörde, die Eheaufhebungsklage erheben kann.56 13.33 Der Begriff der Entscheidung ist weiter gefasst als der des Urteils gem. § 328 I ZPO, obgleich auch dieser extensiv ausgelegt werden sollte. § 107 I FamFG vermeidet es anzugeben, von welcher ausländischen Stelle die Entscheidung ausgegangen sein muss. Von einer gerichtlichen Entscheidung ist nur bezüglich der Entscheidungen des gemeinsamen Heimatstaats die Rede. Daraus folgt, dass es sich nicht um ausländische Gerichtsentscheidungen handeln muss.57 Es kommen auch Entscheidungen von ausländischen Verwaltungsbehörden und Entscheidungen geistlicher Gerichte hinzu, soweit sie vom zuständigen Staat dazu ermächtigt sind:58 z.B. die Entscheidungen durch den norwegischen „Fylkesman“, das isländische Ministerium für Justiz und kirchliche Angelegenheiten, die königliche Bewilligung von Dänemark, den Gnadenakt des Präsidenten der Republik Süd-Vietnam, die Entscheidung des israelischen Rabbinatsgerichts;59 die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde.60 Solche nicht gerichtlichen Entscheidungen sind auch inzident nach § 108 FamFG anzuerkennen, soweit das formelle Anerkennungsverfahren entbehrlich ist.61 Wird die ausländische Entscheidung von den Staaten, denen die Ehegatten angehören, anerkannt, so stehen die Vorschriften des § 98 I Nr. 1 bis 3 FamFG einer Anerkennung in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen. 13.34 Die Entscheidung muss rechtskräftig sein. Ob dies der Fall ist, ist notfalls nach § 26 FamFG von Amts wegen zu ermitteln.62 Die Entscheidung muss selbstverständlich auch echt sein; gefälschte Entscheidungen können nicht anerkannt werden. 13.35 Hat bei der Privatscheidung im Ausland (durch Vertrag, Scheidebrief, talàq) eine Behörde, etwa durch Registrierung, mitgewirkt, ist über die Anerkennung im Verfahren nach § 107 FamFG zu entscheiden.63 Dies ist inzwischen in den meisten Staaten der Fall.64 Allerdings ist auch § 107 I 2 FamFG anzuwenden. Bei einer Privat56 Vgl. P. Gottwald, FS Rüßmann, 2013, S. 771, 779; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap. I Rz. 1715 ff. 57 OLG Stuttgart, FamRZ 2019, 1532, 1533. 58 Staudinger/Spellenberg, (2016) § 107 FamFG Rz. 63 ff.; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap. I Rz. 1684 ff. 59 BGHZ 176, 305, 373 (Rz. 30) = FamRZ 2008, 1409; K. Kleinrahm/H.-Ch. Partikel, S. 64 ff.; vgl. K. Hirschfeld, S. 103 ff. 60 OLG Schleswig, FamRZ 1957, 223. 61 A.A. OLG Koblenz, IPRax 2005, 354 (krit R. Geimer, S. 325) = FamRZ 2005, 1692 (krit P. Gottwald). 62 KG, FamRZ 2019, 1534, 1535. 63 BGH, FamRZ 2019, 371; BGHZ 82, 34 = FamRZ 1982, 44; BGH, NJW 1990, 2195; OLG München, FamRZ 2018, 817 (P. Mankowski); OLG München, FamRZ 2012, 1142 (D. Henrich); P. Gottwald, FS Rüßmann, S. 771, 772; Geimer in Zöller, § 107 FamFG Rz. 24; dazu auch R. Süß, MittBayNot 2012, 306. 64 Für Marokko vgl. H. Kotzur, S. 212 f.; für die Rabbinats-Scheidung in Israel: E. Scheftelowitz, FamRZ 1995, 593; Ch. Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2000, S. 420 ff.; für Japan: Y. Nishitani, IPRax 2002, 49, 53.
768
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.38 § 13
scheidung im (damaligen) gemeinsamen Heimatstaat der Eheleute ist das Anerkennungsverfahren nur fakultativ; zu einer Antragstellung sind die Ex-Eheleute nicht verpflichtet. Über die Wirksamkeit der Scheidung haben daher Gericht oder Behörde als Vorfrage selbst zu entscheiden.65 Inhaltlich richtet sich die Anerkennung danach, ob das nach Art. 5 Rom III-VO gewählte oder das nach Art. 8 Rom III-VO kraft Gesetzes anwendbare Recht die Privatscheidung zulässt und ob sie nach dem anwendbaren Recht wirksam vorgenommen wurde. Die Privatscheidung kann nicht anerkannt werden, wenn deutsches Recht auf die Scheidung anwendbar ist, da § 1564 Satz 1 BGB eine Privatscheidung ausschließt.66 Eine Privatscheidung kann auch nicht anerkannt werden, wenn sie im Inland erfolgte (Art. 17 III EGBGB)67 oder sonst gegen den deutschen ordre public (Art. 6, 17 II Nr. 5 EGBGB) verstößt.68 Art. 10 Rom III-VO ist insoweit nicht anzuwenden. Nicht anerkannt werden kann auch eine Entscheidung, die das Bestehen einer Ehe bestätigt, wenn diese im Inland weder vor dem Standesamt noch vor einer vom Heimatstaat ordnungsgemäß ermächtigten Person geschlossen wurde.69
13.36
Um Rechtssicherheit zu erreichen, wäre es durchaus sinnvoll, alle Privatscheidungen dem Anerkennungsverfahren zu unterstellen.70 Die bisher h.M. erkennt die im Ausland ohne Mitwirkung staatlicher Gerichte oder Behörden vollzogene Privatscheidung aber im Inland einfach als privates Rechtsgeschäft an.71 Eine formelle Anerkennung scheidet dagegen aus, sofern nach Art. 17 IIEGBGB n.F. deutsches Recht Scheidungsstatut ist72 oder die Privatscheidung bei Beteiligung eines Deutschen sonst gegen den deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB; § 1564 S. 1 BGB) verstößt.
13.37
Die Privatscheidung von Ausländern in ihrem Heimatstaat berührt den deutschen ordre public nicht, bei Beteiligung eines Deutschen kommt es auf das anwendbare Scheidungsstatut an.73 Die einseitige Verstoßung einer Ehefrau ist mit Art. 3 II GG nicht vereinbar, ein darauf gestütztes Scheidungsurteil tangiert Art. 6 EGBGB. Die Anerkennung des Urteils verstößt jedoch nur dann gegen den deutschen ordre public, wenn die Ehefrau 65 66 67 68 69 70
71 72 73
BGH, FamRZ 2019, 371, 372 (Rz. 19 f.) = NJW 2019, 931. M. Andrae, § 3 Rz. 154 f. R. Hepting/A. Dutta, Familie und Personenstand, 3. Aufl. 2019, Rz. III-486. OLG Stuttgart, FamRZ 2019, 1532, 1533 (einseitige Verstoßung eines deutschen Ehegatten). KG, IPRax 2020, 44 (dazu M. Brosch, S. 24). P. Gottwald, FS Rüßmann, 2013, S. 771, 773; Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 161; de lege lata M. Andrae, § 3 Rz. 149; Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 107 Rz. 28; für Fälle, in denen Behördenmitwirkung möglich ist, ohne Wirksamkeitsvoraussetzung zu sein: Staudinger/Spellenberg, § 107 FamFG Rz. 58 ff. BGHZ 176, 365, 375 (Rz. 36) = FamRZ 2008, 1409; BGHZ 110, 267, 272 = FamRZ 1990, 607. M. Andrae, § 3 Rz. 157 ff.; vgl. BGHZ 176, 365, 375 (Rz. 37) = FamRZ 2008, 1409; OLG München, FamRZ 2012, 1142, 1144. M. Andrae, § 3 Rz. 153 ff.; vgl. H. Kotzur, Kollisionsrechtliche Probleme christlich-islamischer Ehen, 1988, S. 218 ff.
769
13.38
§ 13 Rz. 13.38 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
mit der Scheidung nicht (auch nicht nachträglich) einverstanden ist (oder selbst geschieden werden will) oder (bei ihrem Widerspruch) kein vom deutschen Recht anerkannter Scheidungsgrund vorliegt.74 Beantragt z.B. die deutsche Ehefrau selbst die Anerkennung der ausländischen Privatscheidung und hat sie darüber hinaus berechtigte Scheidungsgründe, so wäre nicht einzusehen, warum sie noch ein Scheidungsverfahren gegen ihren ausländischen Ehemann führen sollte.75 Eine Verstoßung einer deutschen Ehefrau im Ausland (Kairo) durch ihren ägyptischen Ehemann ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen widerspricht wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch dann dem deutschen ordre public, wenn die Ehefrau selbst die Scheidung vor einem deutschen Gericht erstrebt.76
13.39 Eine Privatscheidung kann nicht im Inland vorgenommen werden, weil eine Ehe in der Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 17 III EGBGB nur durch ein Gericht geschieden werden kann. Bei konsequenter Durchführung dieser Meinung kann eine Privatscheidung auch dann nicht anerkannt werden, wenn ein wesentlicher Teilakt im Inland vorgenommen wurde. Unwirksam ist eine Privatscheidung etwa, wenn die Talaq-Erklärung in Deutschland abgegeben wurde.77 Es schadet auch, wenn der Scheidungsbrief der Ehefrau in Deutschland zugestellt wurde, weil die Zustellung konstitutiver Teilakt ist.78 Auch die in einer Botschaft oder einem Konsulat eines ausländischen Staates im Inland erklärte Scheidung verstößt gegen Art. 17 III EGBGB.79 13.40 Obgleich die im Inland vorgenommene Privatscheidung eindeutig nichtig ist, wendet die Praxis § 107 FamFG auf diesen Fall analog an. Die Nichtigkeit darf also nicht einfach inzident bejaht, sondern muss formell festgestellt werden.80 13.41 § 107 I FamFG bezieht sich (wie früher Art. 7 § 1 FamRÄndG) dem Wortlaut nach nicht auf klageabweisende Entscheidungen. Eine Ausnahme wird nur für den Fall gemacht, dass die Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der Ehe abgewiesen ist, denn damit wird zugleich rechtskräftig festgestellt, dass die Ehe besteht. Eine solche Entscheidung kann also förmlich durch die Landesjustizverwaltung anerkannt werden.81 Jede sachliche Abweisung enthält freilich die Feststellung, dass die Ehe fortbesteht bzw. die Scheidungs- oder Nichtigkeitsgründe nicht vorlagen. Deshalb gilt § 107 FamFG auch für sachliche Klageabweisungen.82 74 OLG Stuttgart, FamRZ 2019, 1532; BayObLG, IPRax 1989, 238; OLG Stuttgart, IPRax 2000, 427 (dazu Th. Rauscher, S. 391); vgl. Staudinger/Spellenberg, § 109 FamFG Rz. 283. 75 K. Kleinrahm/H.-Ch. Partikel, S. 166. 76 BayObLG, IPRax 1982, 104 (dazu D. Henrich, S. 94). Vgl. auch die Entscheidung des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalen v. 3.12.1980 (IPRax 1982, 25), nach der eine in Thailand vollzogene einverständliche Privatscheidung von Ehegatten, von denen einer deutscher Staatsangehöriger ist, im Inland nicht anerkannt wird,. 77 M. Andrae, § 3 Rz. 124. 78 Vgl. Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 107 Rz. 28; M. Andrae, § 3 Rz. 124. 79 M. Andrae, § 3 Rz. 124, 153. 80 OLG Nürnberg, IPRax 2018, 528 (dazu M. Gebauer, S. 497). 81 So Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 107 Rz. 24; Keidel/Zimmermann, § 107 FamFG Rz. 9. 82 Staudinger/Spellenberg, § 107 FamFG Rz. 77, 79.
770
I. Anerkennung in Ehesachen | Rz. 13.46 § 13
Ein weiteres Problem bilden die Nebenentscheidungen. Diese sind nach förmlicher Anerkennung der Ehescheidung nicht automatisch anzuerkennen, vielmehr müssen insoweit die Anerkennungsvoraussetzungen von § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG erfüllt sein.83 Ggf kann also zwar die Hauptentscheidung anerkannt, die Nebenentscheidung aber wegen fehlender Zuständigkeit oder Mangel der Gegenseitigkeit nicht anerkannt werden.84 Sofern die Ehescheidung aber dem Verfahren nach § 107 FamFG unterliegt, kann eine von der Scheidung wirklich abhängige Neben- oder Folgeentscheidung erst nach förmlicher Anerkennung durch die LJV anerkannt werden.85
13.42
Die Voraussetzungen für die Anerkennung der ausländischen Entscheidungen richten sich nach der allgemeinen Regel des § 109 FamFG86, die weitgehend § 328 ZPO entspricht (s Rz. 12.169 ff.). Besonderheiten ergeben sich für die Anerkennungszuständigkeit ausländischer Gerichte. Nach § 109 I Nr. 1 FamFG muss das ausländische Gericht in spiegelbildlicher Anwendung der deutschen Zuständigkeitsregeln zuständig gewesen sein.87 Schon hieran scheitert meist die Anerkennung von Scheidungen aus sog. Scheidungsparadiesen.88 Nach h.M. steht die Anerkennungszuständigkeit nicht zur Disposition der Beteiligten und ist stets strikt von Amts wegen zu prüfen.89
13.43
Für die Anerkennungszuständigkeit nach § 98 I Nr. 1 FamFG kommt es nur auf die Zugehörigkeit zum Gerichtsstaat an; eine zusätzliche deutsche Staatsangehörigkeit geht entgegen Art. 5 I 2 EGBGB nicht vor.90
13.44
Soweit die Entscheidungszuständigkeit auf eine einseitige Aufenthaltszuständigkeit gestützt wurde, käme es in Anwendung von § 98 I Nr. 4 FamFG wieder auf die Anerkennung in Deutschland an. Diesen Zirkel löst § 109 II 1 FamFG auf.91 Es genügt daher, wenn einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat hatte.
13.45
Durch § 109 II 2 FamFG wird die Anerkennungszuständigkeit zusätzlich erweitert. Wird die Ehescheidung im Staat X vom gemeinsamen Heimatstaat Y oder den Heimatstaaten Y und Z anerkannt, so wird sie auch in Deutschland anerkannt, unabhängig davon, ob der Gerichtsstaat nach § 98 I Nr. 1–3 FamFG zur Entscheidung
13.46
83 84 85 86 87 88 89 90 91
Staudinger/Spellenberg, § 107 FamFG Rz. 84. J. Basedow, S. 188 ff. M. Andrae, § 3 Rz. 114; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap. I Rz. 1667 ff., 1692. BayObLG, FamRZ 2001, 1622; P. Gottwald, FS Rüßmann, S. 771, 776 ff. BayObLG, FamRZ 2001, 1622; BayObLGZ 1987, 439, 441 = FamRZ 1988, 860; Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 109 Rz. 11 f.; M. Andrae, § 3 Rz. 92. Vgl. K. A. v. Sachsen Gessaphe, Keine Anerkennung mexikanischer „Blitzscheidungen“, StAZ 1992, 334; Keidel/Zimmermann, § 109 FamFG Rz. 3. Hüßtege in Thomas/Putzo, § 109 FamFG Rz. 3; Staudinger/Spellenberg, § 109 FamFG Rz. 15 ff. Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 109 Rz. 15. Th. Rauscher, IPR, Rz. 2284.
771
§ 13 Rz. 13.46 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
zuständig gewesen wäre. Die Anerkennung nur in einem Heimatstaat genügt dagegen nicht.92
13.47 Nach § 109 I FamFG kommt es für die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen in Ehesachen nicht auf die Gegenseitigkeit an, da die Gegenseitigkeit im FamFG nicht als Anerkennungshindernis aufgeführt ist. 13.48 Eine Verwirkung der prozessualen Antragsbefugnis ist nicht anzuerkennen, wohl aber eine materielle Verwirkung, sich auf Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Scheidung zu berufen. 13.49 In der Praxis scheitert die Anerkennung meist, weil dem Antragsgegner das rechtliche Gehör bei der Einleitung des Verfahrens nicht oder nur unzureichend gewährt wurde.93 Wurde einer Partei etwa der Scheidungsantrag nicht mitgeteilt, so verwirkt sie das Recht, sich auf § 109 I Nr. 2 FamFG zu berufen, wenn sie das Scheidungsurteil später jahrelang (solange der „geschiedene“ Ehegatte am Leben ist) als Faktum hinnimmt, auch nachdem sie objektiv die Lebensgemeinschaft wieder hätte aufnehmen können oder objektiv in der Lage war, gegen die Anerkennung des Urteils vorzugehen.94
13.50 Da eine Ehe im Inland nur vor dem Standesbeamten oder einer ordnungsgemäß ermächtigten Person eines Heimatstaates geschlossen werden kann (Art. 13 IV EGBGB), kann ein ausländisches Urteil, das das Bestehen einer dieser Form nicht entsprechenden im Inland abgeschlossenen Ehe bestätigt, wegen Verstoßes gegen den ordre public (§ 109 I Nr. 4 FamFG) nicht anerkannt werden.95 13.51 Zuständig für das Anerkennungsverfahren ist in erster Instanz die Landesjustizverwaltung, in deren Bezirk ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 107 II 1 FamFG). Hilfsweise ist die Justizverwaltung zuständig, in deren Bezirk eine neue Ehe geschlossen werden soll, nochmals hilfsweise die Landesjustizverwaltung Berlin (§ 107 II 2, 3 FamFG). Nach § 107 III FamFG kann diese Zuständigkeit auf die Präsidenten der OLG übertragen werden. Von dieser Ermächtigung haben die meisten Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) Gebrauch gemacht.96 13.52 Eine Ablehnung des Antrags kann der Antragsteller durch Antrag auf Entscheidung des OLG anfechten (§ 107 V FamFG); wird dem Antrag stattgegeben, kann der andere Ehegatte, aber auch jeder Dritte, der an der Feststellung des ehelichen Status ein rechtliches Interesse hat,97 den Bescheid entsprechend anfechten (§ 107 VI 1
92 93 94 95 96 97
772
Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 109 Rz. 18, 21. Vgl. OLG Bremen, FamRZ 2013, 752; P. Gottwald, FS Rüßmann, 2013, S. 771, 777. LJV Baden-Württemberg, FamRZ 1995, 1411. KG, FamRZ 2019, 685. Vgl. Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 107 Rz. 40. Staudinger/Spellenberg, (2016), § 107 FamFG Rz. 222, 223.
II. Anerkennung in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 13.57 § 13
FamFG).98 Das OLG entscheidet in einem FamFG-Verfahren als Tatsacheninstanz, so dass die Beteiligten neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen können.99 Der Antrag ist nach § 107 VI 3 i.V.m. § 63 I, III FamFG innerhalb einer Monatsfrist ab Bekanntgabe der Entscheidung der Landesjustizverwaltung zu stellen. Diese kann nach § 68 I 1, 2 FamFG dem Antrag abhelfen, da die Entscheidung über den Anerkennungsantrag formell keine Familiensache ist.100
13.53
Die Entscheidung des OLG unterliegt nach § 107 VII 3 i.V.m. § 70 FamFG der Rechtsbeschwerde an den BGH.101
13.54
Nach § 107 VII 3 i.V.m. § 48 II FamFG und §§ 578 ff. ZPO besteht auch die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens.102
13.55
II. Anerkennung von Entscheidungen in Sorgerechts-/ Kindschaftssachen Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil N), 2. Aufl. 2018; A. Schulz, Das deutsche internationale Kindschaftsrecht, FamRZ 2018, 797, 804; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht (§ 7D II Rz. 54 ff.), 8. Aufl. 2019.
1. Europäisches Recht Alle Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung nach Art. 1 I lit. b und i.S.d. Art. 2 Nr. 7 Brüssel IIa-VO werden nach Art. 21 Brüssel IIa-VO automatisch anerkannt. Gleichgestellt sind vollstreckbare Urkunden und vollstreckbare Vereinbarungen, etwa Scheidungsfolgenvereinbarungen,103 zwischen den Parteien (Art. 46 Brüssel IIa-VO). Anerkennung bedeutet wie sonst Wirkungserstreckung.104 Dabei bestehen folgende Anerkennungsvoraussetzungen (Art. 23 Brüssel IIa-VO):
13.56
(1) Kein offensichtlicher ordre public-Verstoß (Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO), wobei das Kindeswohl aus der Sicht des Anerkennungsstaats zu beachten ist.105 Versagungsgrund ist aber nur ein massiver Verstoß gegen das Kindeswohl.106 Dem materiellen ordre public widerspricht es etwa, wenn der deutschen Mutter das Sorgerecht entzogen wurde, weil sie sich nicht zum islamischen Glauben bekennt.107
13.57
98 Vgl. P. Gottwald, FS Rüßmann, 2013, S. 771, 784; D. Martiny, HdbIZVR III/1 Kap. I Rz. 1730 ff.; Rauscher in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2018, § 107 Rz. 54 ff. 99 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 107 Rz. 58. 100 P. Gottwald, FS Rüßmann, 2013, S. 771, 784. 101 W. Hau, FamRZ 2009, 821, 825; Keidel/Zimmermann, § 107 FamFG Rz. 50. 102 P. Gottwald, FS Rüßmann, 2013, S. 771, 785. 103 Vgl. J. Rieck, FPR 2007, 425. 104 R. Hausmann, Teil N Rz. 54. 105 Hierfür Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 23 EuEheVO Rz. 1. 106 Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 23 Rz. 12. 107 OLG Koblenz, IPRspr. 2005, Nr. 71, S. 150.
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§ 13 Rz. 13.57 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
Fragen der Zuständigkeit des Gerichts gehören gem. Art. 24 Satz 2 Brüssel IIa-VO nicht zu den Bestandteilen des ordre public des Anerkennungsstaats.108 Entspricht die Entscheidung nachträglich nicht mehr dem Kindeswohl, ist sie anzuerkennen, aber auf Antrag abzuändern.109 Die Missachtung der früheren Rechtshängigkeit im Anerkennungsstaat ist kein ordre public-Verstoß.110 Eine streitige Entscheidung ohne jede Begründung verstößt gegen den verfahrensrechtlichen ordre public.111
13.58 (2) Nichtanhörung des Kindes (Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO). Die Anhörung des materiell betroffenen Kindes ist ein Sonderfall des verfahrensrechtlichen ordre public. Ob das Kind anzuhören war, ist nicht strikt nach § 159 FamFG,112 sondern nach einem autonomen internationalen Standard zu beurteilen.113 Eine Anhörung etwa durch einen Beauftragten des Gerichts (Sachverständiger, Sozialbehörde) sollte genügen.114 Fehlt es an der Anhörung, kann die Entscheidung nicht anerkannt werden.115 Bei der Neuordnung der Brüssel IIa-VO sollen einheitliche Regeln für die Anhörung des Kindes aufgestellt werden.116 13.59 (3) Nichteinlassung des Verfahrensgegners (Art. 23 lit. c Brüssel IIa-VO). Es gilt das zu Rz. 13.23 Gesagte. 13.60 (4) Nichtanhörung des Sorgeberechtigten (Art. 23 lit. d Brüssel IIa-VO). Wird das Sorgerecht zwischen den Eltern geregelt, obwohl es einem Dritten (Vormund, Jugendamt) zusteht, so kann dieser die Versagung der Anerkennung beantragen, wenn ihm vor Erlass kein rechtliches Gehör gewährt wurde.117 13.61 Ob Eilentscheidungen zum Sorgerecht, die ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners oder des Sorgeberechtigten erlassen wurden, wie im Anwendungsbereich von Art. 2 lit. a, 35 EuGVO n.F. (Art. 31 EuGVO a.F.) nicht anzuerkennen sind, erscheint zweifelhaft. Nach dem Zweck der Verordnung sollte die Möglichkeit nachträglichen Gehörs genügen.118 13.62 (5) Unvereinbarkeit mit einer späteren Entscheidung des Anerkennungsstaats zum Sorgerecht (Art. 23 lit. e Brüssel IIa-VO). Die spätere Entscheidung des Anerken108 EuGH – C-455/15 PPU, ECLI:EU:C:2015:763 (Rz. 42) – P v Q, FamRZ 2016, 111 = IPRax 2017, 282 (dazu B. Rentsch/M.-Ph. Weller). 109 D. Coester-Waltjen, S. 163, 181; a.A. wohl M. Andrae, § 9 Rz. 163. 110 EuGH – C-386/17, ECLI:EU:C:2019:24 – Liberato, FamRZ 2019, 1164 (J. v. Hein/N. Grohmann). 111 R. Hausmann, Teil N Rz. 91. 112 Hierfür allerdings OLG Hamm v. 26.8.2014 – UF 85/14,juris; NK-BGB/Andrae, Art. 23 EheVO 2003 Rz. 4; R. Hausmann, Teil N Rz. 97; auch Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 23 EuEheVO Rz. 2 (der aber doch auf die jeweilige Gerichtspraxis abstellt). 113 D. Coester-Waltjen, S. 163, 182. 114 Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 23 Brüssel IIa-VO Rz. 3; Hk-ZPO/Dörner Rz. 3; Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 23 Rz. 15; wohl auch Althammer/Weller, Rz. 3. 115 OLG Schleswig, FamRZ 2008, 1761. 116 Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2018, 1369, 1370. 117 R. Hausmann, Teil N Rz. 102. 118 T. Helms, FamRZ 2001, 257, 261.
774
II. Anerkennung in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 13.67 § 13
nungsstaats hat stets Vorrang. Es genügt insoweit eine spätere isolierte Sorgerechtsentscheidung.119 Erfasst werden soll etwa der Fall, dass nach einer Ehescheidung mit Sorgerechtsregelung eine abweichende Feststellung der Vaterschaft erfolgt.120 (6) Unvereinbarkeit mit einer späteren Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats (Art. 23 lit. f Brüssel IIa-VO). Vorrang hat die spätere Sorgerechtsentscheidung, wenn sie (i) in dem Staat ergangen ist, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und (ii) ihrerseits nach der Brüssel IIa-VO, einem Übereinkommen oder nach § 108 FamFG anerkennungsfähig ist.121
13.63
Auch insoweit genügt eine spätere isolierte Sorgerechtsentscheidung.
In der Sache darf die Entscheidung nicht nachgeprüft werden (Art. 26 Brüssel IIa-VO). Die Anerkennung der Sorgerechtsentscheidung schließt eine Überprüfung und Abänderung wegen nachträglicher Veränderung der Verhältnisse nicht aus.122
13.64
Sorgerechtsentscheidungen eines EU-Staats sind nach Art. 21 I Brüssel IIa-VO automatisch anzuerkennen.123 Zur Erleichterung der Anerkennung erteilt der Ursprungsstaat gem. Art. 39 Brüssel IIa-VO eine Bescheinigung über Inhalt und Wirksamkeit der Entscheidung.124
13.65
Einstweilige Maßnahmen, die ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO zuständiges Gericht erlassen hat, sind in allen EU-Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO anzuerkennen.125 Hat das Gericht seine Zuständigkeit nur auf Art. 20 Brüssel IIa-VO gestützt, sind einstweilige Maßnahmen dagegen nicht nach den Art. 21 ff. Brüssel IIaVO in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen.126 Eine Anerkennung ist dann aber auf der Grundlage sonst nachrangiger Übereinkommen oder des autonomen Rechts möglich.127
13.66
Soweit es sich um Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, muss das erlassende Gericht seine Zuständigkeit zusätzlich auf die Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt haben. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Maßnahme nach Art. 20 Brüssel IIaVO vor, für die das Gericht aber nach seinem nationalen Recht zuständig gewesen sein muss.128 In diesem Fall erfolgt die Anerkennung in Deutschland nach § 108 I
13.67
119 120 121 122 123 124 125 126
D. Coester-Waltjen, S. 163, 183. Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 23 EuEheVO Rz. 5. Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 23 EuEheVO Rz. 6; R. Hausmann, Teil N Rz. 110 f. Anders (aber kaum zutreffend) M. Jäntera-Jareborg, Yearb. PIL 1999, 1, 26. BGHZ 205, 10, 13 (Rz. 13) = FamRZ 2015, 1011, 1012 (W. Hau, S. 1102). Krit. A. Dutta, StAZ 2011, 33. BGHZ 188, 270, 274 (Rz. 16 ff.) = NJW 2011, 855 = FamRZ 2011, 542 (T. Helms). EuGHE 2010, I-7353 (Bianca Purrucker v Giulliermo Vallés Pérez) = NJW 2010, 2861 = FamRZ 2010, 1521; Geimer/Schütze/Geimer, Art. 20 VO Nr. 2201/2003 Rz. 13; undeutlich Rauscher/Rauscher, Art. 20 Brüssel IIa-VO Rz. 24. 127 BGHZ 188, 270, 275 (Rz. 18) = NJW 2011, 855. 128 BGH, FamRZ 2016, 799 (Rz. 14) (A. Schulz); Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 20 Brüssel IIa-VO Rz. 17; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 20 EuEheVO Rz. 4a; a.A. M. Andrae, § 9 Rz. 83 (kein Rückgriff auf nationale Zuständigkeiten).
775
§ 13 Rz. 13.67 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
FamFG. Bei der geplanten Neufassung der Brüssel IIa-VO soll dies geändert werden. Künftig sollen einstweilige Maßnahmen in dringenden Fällen stets erlassen werden können und in allen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen sein, bis der in der Hauptsache zuständige Mitgliedstaat eine andere Entscheidung erlässt.129
13.68 Feststellungsverfahren. Nach Art. 21 III (i.V.m. Art. 30 ff.) Brüssel IIa-VO kann jede interessierte Partei beim Familiengericht eine Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Entscheidung beantragen. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners, des betroffenen Kindes oder dem Ort, an dem ein Fürsorgebedürfnis besteht (§ 10 IntFamRVG).130 Gegen die Entscheidung gibt es Beschwerde nach § 24 IntFamRVG und Rechtsbeschwerde nach §§ 32, 28 IntFamRVG, sofern die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.131 13.69 Jeder Beteiligte kann unabhängig von einem Anerkennungsantrag einen Antrag auf Nichtanerkennung stellen. Der Antrag auf Nichtanerkennung ist auch zulässig, wenn der Antragsteller gleichzeitig im Ursprungsstaat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt hat.132 2. Europäische Titel zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes
13.70 Nach Art. 40 I, 41, 42 Brüssel IIa-VO kann für vollstreckbare Entscheidungen eines Mitgliedsstaats über das Umgangsrecht und über die Rückgabe des Kindes im Ursprungsstaat eine „Bescheinigung über das Umgangsrecht“ bzw. eine „Bescheinigung über die Rückgabe des Kindes“ ausgestellt werden. Vor deren Ausstellung hat das Gericht des Ursprungsstaats im Wesentlichen zu prüfen, ob allen Beteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde (Art. 42 II Brüssel IIa-VO) (s. Rz. 14.124). 13.71 Ist ein Titel mit dieser Bescheinigung versehen worden, so ist er in jedem EU-Mitgliedstaat anzuerkennen und zu vollstrecken, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf (Art. 41 I 1, 42 I 1 Brüssel IIa-VO). Die Gerichte des Anerkennungsstaats dürfen die Entscheidung nicht, auch nicht anhand ihres ordre public überprüfen.133 Einwendungen gegen die Entscheidung können nur im Ursprungsstaat, nicht im Vollstreckungsstaat erhoben werden.134 13.72 Grundvoraussetzung dieser unbedingten Vollstreckbarkeit ist das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Qualität der Justiz der anderen Mitgliedstaaten. Da es in der Realität doch erhebliche Unterschiede gibt, wird bereits die Ansicht vertreten, das Gericht des erlassenden Staates müsse vorab prüfen, ob es im späteren Voll129 130 131 132
Vgl. Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2018, 1369, 1370. Vgl. R. Hausmann, Teil N Rz. 62. BGH, FamRZ 2012, 1561. AG Pankow-Weißensee, IPRspr. 2009, Nr. 251, 653 (Rz. 11); vgl. R. Hausmann, Teil N Rz. 58. 133 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 41 EuEheVO Art. 41 Rz. 1; Gitschthaler/Prisching, Brüssel IIa-VO Art. 41 Rz. 32. 134 EuGHE 2010, I-6673 (Povse v Alpago) = FamRZ 2010, 1229, 1232 (Rz. 70 ff.).
776
II. Anerkennung in Sorgerechts-/Kindschaftssachen | Rz. 13.78 § 13
streckungsstaat deutliche Anzeichen für grundlegende Defizite gebe.135 Eine solche Prüfung steht dem Gericht freilich nicht zu. 3. Anerkennung nach Staatsverträgen a) Konkurrierende Regelungen. Die Anerkennung von Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung aus Nicht-EU-Staaten kann auf Art. 23 KSÜ 1996, Art. 7 ESÜ 1980, das HKÜ 1980 und auf Art. 7 MSA 1961 gestützt werden. Insoweit herrscht kein strikter Vorrang, vielmehr gilt grds. das Günstigkeitsprinzip. Es ist Sache des Antragstellers, sich das Regelwerk auszusuchen, das am Einfachsten zur Anerkennung führt.136
13.73
b) Brüssel IIa-VO. Die Brüssel IIa-VO hat in ihrem Anwendungsbereich Vorrang (Art. 60). Ist keiner der beteiligten Staaten ein EU-Mitgliedsstaat, so hat das jüngere Übereinkommen Vorrang vor dem Älteren. KSÜ und HKÜ gehen also dem MSA vor (Art. 51 KSÜ, Art. 34 HKÜ).137
13.74
Das HKÜ geht dem KSÜ vor (Art. 50 KSÜ). Nach Art. 20 II EuSÜ können die Vertragsstaaten anderen Übereinkommenden Vorrang einräumen. c) KSÜ. Nach Art. 23 I KSÜ werden Maßnahmen zur elterlichen Verantwortung und zum Kinderschutz in anderen Vertragsstaaten automatisch anerkannt, sofern nicht ein Versagungsgrund nach Art. 23 II KSÜ vorliegt.138 Diese Gründe entsprechen sachlich und nahezu wortgleich den Anerkennungsversagungsgründen von Art. 23 Brüssel IIa-VO (s. Rz. 13.56 ff.).
13.75
Nach Art. 24 KSÜ kann jeder Betroffene bei den zuständigen Behörden eine ausdrückliche Feststellung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer getroffenen Maßnahme beantragen.139
13.76
Art. 14 KSÜ lässt eine Abänderung der anzuerkennende Entscheidung durch die Gerichte des Anerkennungsstaates zu, verlangt aber, dass die Zuständigkeit des Entscheidungsstaates durch eine Veränderung der Umstände weggefallen ist. Eine Abänderung nur wegen abweichender Beurteilung der unveränderten Sachlage ist unzulässig.140
13.77
d) MSA. Soweit das MSA noch anwendbar ist (nur noch im Verhältnis zu ChinaMacau), sind Maßnahmen zum Schutz Minderjähriger nach Art. 7 Satz 1 MSA automatisch anzuerkennen. Gegenüber einer Inlandsvollstreckung können aber die Aner-
13.78
135 136 137 138
So M. Weller, Mutual trust within judicial cooperation in civil matters, NIPR 2017, 1,19. K. Breuer, Ehe- und Familiensachen in Europa, Rz. 332. K. Breuer, Ehe- und Familiensachen in Europa, Rz. 333. Ch. Grünenwald/R. Behrentin, NJW 2018, 2010, 2012; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 7 Rz. 75 f.; Gitschthaler/Huter, KSÜ Art. 23 Rz. 16 ff. 139 K. Breuer, Ehe- und Familiensachen in Europa, Rz. 335. 140 M. Andrae, § 9 Rz. 199; a.A. wohl Gitschthaler/Huter, KSÜ Art. 14 Rz. 36.
777
§ 13 Rz. 13.78 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
kennungsversagungsgründe des § 109 FamFG geltend gemacht werden (Art. 7 Satz 2 MSA).
13.79 e) HKÜ. Das HKÜ 1980 geht sinngemäß davon aus, dass Entscheidungen eines Vertragsstaats zur Zurückgabe eines Kindes anzuerkennen sind. In den Art. 8 ff. HKÜ ist die Art und Weise der Unterstützung bei der Rückgabe des Kindes geregelt.141 13.80 f) Auch Sorgerechtsentscheidungen, die unter das ESÜ142 fallen, werden automatisch anerkannt, und, wenn sie vollstreckbar sind, auch für vollstreckbar erklärt (Art. 7 ESÜ).143 Der Sorgeberechtigte kann aber nicht direkt aus der Entscheidung hervorgehen, sondern muss sich an die Zentrale Behörde des ersuchten Staats wenden, die alles Notwendige veranlasst (Art. 8, 9 ESÜ).144 Entsprechend ist dem Anerkennungsantrag nicht nur eine Ausfertigung der Entscheidung und der Nachweis ihrer Vollstreckbarkeit, sondern auch eine Ermächtigung der zentralen Behörde des ersuchten Staates beizufügen (s. Art. 13 I ESÜ). 13.81 Die Anerkennung von Säumnisentscheidungen ist nach Art. 9 ESÜ ausgeschlossen, wenn weder der Antragsgegner noch das Kind oder ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Erlassstaat hatte. Andere Entscheidungen werden nach Art. 10 ESÜ nicht anerkannt, wenn das Kind Angehöriger des Anerkennungsstaates ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hatte und keine solche Beziehung zum Erlassstaat bestand. Besitzt das Kind die Staatsangehörigkeit von Erlass- und Anerkennungsstaat, wird die Entscheidung nicht anerkannt, wenn es seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Anerkennungsstaat hat.145 13.82 Nach § 32 i.V.m. §§ 16 ff. IntFamRVG kann auch hinsichtlich der Titel nach dem ESÜ die gesonderte Feststellung beantragt werden, dass der Titel anzuerkennen oder nicht anzuerkennen ist. Gegen die Entscheidung sind Beschwerde und Rechtsbeschwerde zugelassen. 4. Autonomes deutsches Recht
13.83 Schrifttum: Ch. Grünenwald/R. Behrentin, Inzidente Anerkennung ausländischer Statusentscheidungen, NJW 2018, 2010; F. Klinck, Das neue Verfahren zur Anerkennung ausländische Entscheidungen nach § 108 II Satz 1 FamFG, FamRZ 2009, 741.
13.84 Sorgerechtsentscheidungen aus Staaten, denen gegenüber weder die Brüssel IIa-VO, noch KSÜ, ESÜ und MSA gelten, sind heute nach den §§ 108, 109 FamFG inzident (automatisch) anzuerkennen.146 141 Vgl. Gitschthaler/Nademleinsky, HKÜ Art. 8 Rz. 1 ff. Zur Praxis in Japan: M. Murakami, Japan’s recent approach to the Hague Child Abduction Convention, ZZPInt 22 (2017), 339. 142 BGBl. 1990 II, 206. 143 Vgl. Staudinger/Pirrung, (2018), Vorbem. F zu Art. 19 EGBGB Rz. F 36. 144 Staudinger/Pirrung, (2018), Vorbem. F zu Art. 19 EGBGB Rz. F 44 f. 145 M. Andrae, § 9 Rz. 158. 146 OLG Köln, FamRZ 2010, 1590, 1591. Vgl. Keidel/Zimmermann, § 108 FamFG Rz. 15 ff.; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 7 Rz. 79.
778
III. Anerkennung von Abstammungsentscheidungen | Rz. 13.89 § 13
Die Anerkennungszuständigkeit (§ 109 I Nr. 1 FamFG) richtet sich nach dem Spiegelbildprinzip, besteht also wenn deutsche Gerichte entsprechend §§ 98 III, 99 FamFG zuständig wären. Allerdings soll der Grundsatz der perpetuatio fori insoweit nicht gelten. Hat das Kind während des ausländischen Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt ins Inland verlegt, so ist die Aufenthaltszuständigkeit entfallen. In Betracht kommt dann nur eine Zuständigkeit kraft Staatsangehörigkeit oder kraft Fürsorgebedürfnisses147
13.85
Auch nach autonomem Recht verstößt es nicht gegen den ordre public, wenn das Kind nicht durch das Gericht, sondern durch einen beauftragten Gutachter gehört wurde.148
13.86
Jedenfalls soweit ein Kind genetisch mit einem Elternteil verwandt ist, verstößt die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, die ein Kind im Fall der Leihmutterschaft den Wunscheltern zuweist, nicht gegen den deutschen ordre public.149 Bei Bedarf kann nach § 108 II, III FamFG in allen nichtvermögensrechtlichen Fällen auch eine direkte Feststellung der Anerkennung oder Nichtanerkennung beantragt werden.150
13.87
Bei einer Änderung der Verhältnisse können anzuerkennende ausländische Entscheidungen oder gerichtlich gebilligte Vergleiche nach § 166 FamFG abgeändert werden, soweit die Voraussetzungen des § 1696 BGB vorliegen.151
13.88
III. Anerkennung von Abstammungsentscheidungen Schrifttum: U. Ernst, Probleme des Verfahrens der Vaterschaftsfeststellung und ihrer Anerkennung im Verhältnis mit Polen, FS Martiny, 2014, S. 687; Ch. Grünenwald/R. Behrentin, Inzidente Anerkennung ausländischer Statusentscheidungen, NJW 2018, 2010; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil O), 2. Aufl. 2018; St. Hösel, Grenzüberschreitende Leihmutterschaft als Herausforderung im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2020; C. Mayer, Ordre public und Anerkennung der rechtlichen Elternschaft in internationalen Leihmutterschaftsfällen, RabelsZ 78 (2014), 551; K. Siehr, Anerkennung ausländischer Entscheidungen bei Leihmutterschaften auf Wunsch von Inländern, FS A. Schnyder, 2018, 327.
Regelungen der EU gibt es nicht. Abstammungsentscheidungen fallen aber unter die bilateralen Anerkennungsabkommen mit Belgien, Griechenland, Italien, der Schweiz und Spanien.152 Ein näheres Eingehen hierauf erübrigt sich aber, da insoweit das Günstigkeitsprinzip gilt153 und die Anerkennung nach dem autonomen deutschen 147 148 149 150 151 152 153
Vgl. M. Andrae, § 9 Rz. 159. OLG Oldenburg, FamRZ 2012, 1887, 1888 f. BGH, FamRZ 2018, 1846 (Ph. Reuß); BGHZ 203, 350 = FamRZ 2015, 240. Vgl. F. Klinck, FamRZ 2009, 741. M. Andrae, § 9 Rz. 200 f. Vgl. R. Hausmann, Teil O Rz. 3. R. Hausmann, Teil O Rz. 4.
779
13.89
§ 13 Rz. 13.89 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
Recht einfacher ist. Entscheidungen sind also nach §§ 108, 109 FamFG anzuerkennen.154 Es muss aber eine Entscheidung (eines Gerichts oder einer Behörde) sein.155 Die Eintragung in ein Geburtenregister und die nachfolgend ausgestellte Geburtsurkunde sind keine anerkennungsfähigen Entscheidungen.156
13.90 § 109 I Nr. 1–3 FamFG werfen insoweit keine besonderen Probleme auf. Die Anerkennungszuständigkeit nach § 109 I Nr. 1 richtet sich nach den deutschen Zuständigkeitsregeln in spiegelbildlicher Anwendung.157 13.91 Dagegen ist immer wieder zu entscheiden, ob eine Vaterschaftsfeststellung ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens gegen den deutschen ordre public verstößt (§ 109 I Nr. 4 FamFG). Zu Recht haben die Gerichte differenziert. Hat der Antragsgegner eine Untersuchung oder sonstige Mitwirkung im Verfahren verweigert, so verstößt eine Vaterschaftsfeststellung aufgrund von Zeugenaussagen oder dem Zeugnis der Mutter über die Beiwohnung in der Empfängniszeit nicht gegen den deutschen ordre public. Anders verhält es sich dagegen, wenn das ausländische Gericht die Erstellung eines Abstammungsgutachtens gar nicht versucht hat und seine Entscheidung gar nur auf ein Zeugnis vom Hörensagen gestützt hat oder sonst das rechtliche Gehör des Vaters ernstlich verletzt hat.158 13.92 Die Zunahme internationaler Leihmutterfälle wirft weiter die Frage auf, ob § 1591 BGB, wonach die Gebärende notwendig die rechtliche Mutter ist, als Teil des ordre public anzusehen ist. M.E. sollte die Regel eine Zuordnung zu der genetischen Mutter in internationalen Fällen nicht ausschließen.159 Eine ausländische Vaterschaftsfeststellung, die im Fall einer Leihmutterschaft die rechtliche Vaterschaft dem Wunschvater zuweist, der leiblicher Vater des Kindes ist, verstößt nicht gegen den deutschen ordre public.160 Gleiches gilt für eine Entscheidung, die den Wunscheltern die rechtliche Elternstellung zuweist, jedenfalls wenn ein Elternteil mit dem Kind genetisch verwandt ist.161 Schließlich hat das KG entschieden, dass die rechtliche Zuweisung eines Kindes zu einem Wunschvater, die vor der Geburt des Kindes getroffen wurde, unabhängig davon anzuerkennen ist, ob dieser mit dem Kind genetisch verwandt ist.162 13.93 Eine rein inzidente Anerkennung oder Nichtanerkennung einer ausländischen Abstammungsentscheidung, z.B. im Rahmen eines Unterhaltsverfahrens,163 bindet an154 155 156 157 158 159 160 161 162 163
780
Ch. Grünenwald/R. Behrentin, NJW 2018, 2010, 2012. R. Hausmann, Teil O Rz. 8. BGH, FamRZ 2019, 890 (Ukraine). OVG Münster, FamRZ 2016, 2130 (K. Duden); M. Andrae, § 7 Rz. 81. BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816; OLG Hamm, FamRZ 2006, 968; M. Andrae, § 7 Rz. 81, § 10 Rz. 299. BGHZ 203, 350 = FamRZ 2015, 240 (T. Helms); dazu auch Ch. Schall, DNotZ 2015, 306; R. Hausmann, Teil O Rz. 22 ff.; zuvor bereits C. Mayer RabelsZ 78 (2014), 551, 571 ff. OVG NW, FamRZ 2016, 2130. (K. Duden). BGH, FamRZ 2018, 1846 (Ph. Reuß). KG FamRZ 2020, 607 (Ch. v Bary). Vgl. Österr. OGH, FamRZ 2019, 811.
IV. Anerkennung von Adoptionsentscheidungen | Rz. 13.95 § 13
dere Gerichte oder Behörden nicht. Um eine Bindung zu erreichen, kann jeder Beteiligte (i.S.d. § 7 FamFG), der daran ein rechtliches Interesse hat, eine Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung beantragen. Nach § 108 II i.V.m. § 107 IX FamFG bindet eine solche Entscheidung alle deutschen Gerichte und Verwaltungsbehörden. Örtlich zuständig ist nach § 108 III FamFG das Gericht, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder die Person, auf die sich die Entscheidung bezieht, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; fehlt ein solcher, das Gericht, in dessen Bezirk ein Feststellungsinteresse oder ein Fürsorgebedürfnis besteht.
IV. Anerkennung von Adoptionsentscheidungen Schrifttum: R. Behrentin, Handbuch Adoptionsrecht, Teil D, 2017, S. 321; Ch. Benicke, Ordre-public-Verstoß ausländischer Adoptionsentscheidungen bei ungenügender Prüfung des Kindeswohls, FS v. Hoffmann, 2011, S. 545; Ch. Benicke in NK-BGB, Bd. 1, Anh. I zu Art. 22 EGBGB: AdWirkG, 3. Aufl. 2016, S. 2177; A. Botthof, Perspektiven der Minderjährigenadoption, 2014, S. 117 ff., 157 ff.; M. Busch, Adoptionswirkungsgesetz und Haager Adoptionsübereinkommen – von der Nachadoption zur Anerkennung und Wirkungserstreckung, IPRax 2003, 13; E. Gitschthaler/R. Fucik, Internationales Familienrecht, 2019, S. 2827; Ch. Grünenwald/R. Behrentin, Inzidente Anerkennung ausländischer Statusentscheidungen, NJW 2018, 2010; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil P), 2. Aufl. 2018; R. Hepting/A. Dutta, Familie und Personenstand, Teil V III 3. Aufl. 2019, S. 583; I. Ludwig, Internationales Adoptionsrecht in der notariellen Praxis nach dem Adoptionswirkungsgesetz, RNotZ 2002, 353; H.-U. Maurer, Zur Rechtsnatur der Verfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz, FamRZ 2013, 90; Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Adoptionsrecht in der Praxis, 2. Teil, 3. Abschnitt, 4. Aufl. 2020, Rz. 253 ff.; M. S. Narurieta, L’adoption internationale des mineurs et les droits de l’enfant, RdC 376 (2014), 199; J. Reinhardt/R. Kemper/W. Weitzel, Adoptionsrecht, 3. Aufl. 2019.
13.94
1. Haager Adoptions-Übereinkommen Ausländische Adoptionen eines Vertragsstaats sind nach Art. 23 des Haager Übereinkommens über die internationale Adoption v. 29.5.1993 (HAÜ)164 kraft Gesetzes anzuerkennen, wenn die zuständige Behörde des Staats, in dem die Adoption abgeschlossen wurde, bescheinigt, dass die Adoption nach den Regeln des Übereinkommens zustande gekommen ist.165 Anwendbar ist das Übereinkommen auf Adoptionen, die für das anzunehmende Kind von vornherein mit einem Wechsel des Landes des gewöhnlichen Aufenthalts verbunden sind (Art. 2 I HAÜ) und ein dauerhaftes Eltern-Kind-Verhältnis begründen (Art. 2 II HAÜ).
164 BGBl. 1993 II 1035; vgl. C. Rudolf, ZfRV 2001, 183, 188. Auflistung der Vertragsstaaten bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 19. Aufl. 2018, Nr. 223 Fn. 1. 165 Ch. Benicke, FS v Hoffmann, 2011, S. 454, 549; Krenzler/Borth/Grziwotz/Siede, Anwaltshandbuch Familienrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 4 B Rz. 201; Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Rz. 268 ff.; R. Hepting/A. Dutta, Rz. V-554; R. Hausmann, Teil P Rz. 29 ff.
781
13.95
§ 13 Rz. 13.96 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
13.96 Die Anerkennung umfasst (a) das Eltern-Kind-Verhältnis zwischen Kind und Adoptiveltern, (b) die elterliche Verantwortung der Adoptiveltern für das Kind und (c) die Beendigung der Rechtsbeziehungen zu den leiblichen Eltern, wenn dies im Adoptionsstatut vorgesehen ist (Art. 26 I HAÜ). Ist letzteres der Fall, genießt das Kind im Aufnahmestaat dieselben Rechte wie ein Kind bei einer dortigen Volladoption (Art. 26 II HAÜ). Die Anerkennung führt insoweit zu einer Gleichstellung, nicht zu einer Wirkungserstreckung.166 13.97 Die Anerkennung einer Adoption, für die eine Bescheinigung ausgestellt wurde, ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Adoption (unter Berücksichtigung des Kindeswohls) offensichtlich dem ordre public widerspricht (Art. 24 HAÜ). Die Anerkennung ist danach ausgeschlossen, wenn die Bescheinigung des Adoptionsstaates fehlt, dass die Adoption nach den HAÜ-Regeln erfolgte und wenn die Entscheidung ohne Prüfung des Kindeswohls erging. Die Anerkennung einer solchen Entscheidung würde gegen den deutschen ordre public verstoßen.167 Gleiches gilt, wenn sich herausstellt, dass das Kind entführt wurde oder die erforderlichen Zustimmungen gefälscht oder durch arglistige Täuschung erlangt sind.168 Da die zentralen Behörden der beiden beteiligten Staaten zuvor einer Fortsetzung des Adoptionsverfahrens zugestimmt haben müssen (Art. 17 lit. c HAÜ) und jede Stelle, die eine Missachtung von Regeln des HAÜ feststellt, die zentrale Behörde ihres Staates unterrichtet, die für Abhilfe sorgen soll (Art. 33 HAÜ), sollte ein solcher Fall nur selten vorkommen. 13.98 Um den Beteiligten Rechtssicherheit zu geben, sieht § 2 I AdWirkG vor, dass das Familiengericht auf Antrag feststellt, ob eine Annahme als Kind anzuerkennen oder wirksam ist und ob durch sie das Eltern-Kind-Verhältnis zu den bisherigen Eltern erloschen ist. Diese Feststellung kann sowohl bei einer ausländischen Dekretadoption als bei einer Vertragsadoption beantragt werden.169 Dabei ist zusätzlich festzustellen, ob das Annahmeverhältnis einer Annahme als Kind nach deutschem Sachrecht gleichsteht und, wenn dies nicht der Fall ist, ob es hinsichtlich der elterlichen Sorge und der Unterhaltspflicht der Annehmenden der Adoption nach deutschem Recht gleichsteht (§ 2 II AdWirkG).170 Eine solche Feststellung wirkt nach § 4 II 1 AdWirkG für und gegen jedermann. Sie wirkt auch gegenüber den bisherigen Eltern, wenn sie den Antrag gestellt oder auf Antrag eines anderen Antragstellers am Verfahren beteiligt wurden (§ 4 II 2 AdWirkG). Diese erweiterte Wirkung kann auch in einem besonderen Verfahren beantragt werden (§ 4 II 3 AdWirkG).171 Die positive Feststellung ist nach § 5 IV 1 AdWirkG i.V.m. § 197 III FamFG nicht anfechtbar und unabänderlich. 166 Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Rz. 271; wohl auch Helms in MünchKomm/BGB, Art. 22 EGBGB Rz. 31; St. Lorenz, FS Sonnenberger, 2004, S. 497, 502, spricht von einer „Substitution auf der Ebene des Sachrechts“. 167 AG Düsseldorf, FamRZ 2018, 1423, 1424; R. Hepting/A. Dutta, Rz. V-555. 168 R. Hausmann, Teil P Rz. 35; Gitschthaler/Fucik, HAÜ Art. 24 Rz. 2. 169 NK-BGB/Benicke, § 5 AdWirkG Rz. 5; R. Hausmann, Teil P Rz. 62; St. Lorenz, FS Sonnenberger, 2004, S. 497, 508. 170 Vgl. R. Hausmann, Teil P Rz. 71 ff. 171 NK-BGB/Benicke, § 5 AdWirKG, Rz. 21.
782
IV. Anerkennung von Adoptionsentscheidungen | Rz. 13.102 § 13
Antragsbefugt sind der Annehmende, das Kind, ein bisheriger Elternteil und das Standesamt (§ 4 I Nr. 1 AdWirkG).172 Zuständig ist das Familiengericht am Sitz des OLG (§ 5 I 1 AdWirkG). International ist es zuständig, wenn einer der Annehmenden oder das Kind Deutscher ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 101 FamFG). Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des oder der Annehmenden, hilfsweise nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Sind beide nicht im Inland, ist das AG Schöneberg in Berlin zuständig (§ 187 I, II, V FamFG).
13.99
Handelt es sich bei der Adoption um eine sog. schwache Adoption, die das bisherige Eltern-Kind-Verhältnis nicht beendet, kann die Adoption nach Art. 27 HAÜ anerkannt und in eine Volladoption umgewandelt werden. Auch bei Umwandlungsentscheidungen hat die zuständige Behörde zu bescheinigen, dass sie entsprechend dem Übereinkommen erfolgte (Art. 27 II HAÜ). In Deutschland richtet sich die Umwandlung nach § 3 AdWirkG.173 Den Umwandlungsantrag kann nur der Annehmende stellen (§ 4 I Nr. 2 AdWirkG). Die Entscheidung wirkt wiederum für und gegen alle, gegenüber einem bisherigen Elternteil jedoch nur, wenn dieser an dem Verfahren beteiligt wurde (§ 4 II 2, 3, § 5 III 3 AdWirkG).174
13.100
2. Europäisches Übereinkommen v. 27.11.2008 über die Adoption von Kindern Das Übereinkommen175 regelt das materielle Adoptionsrecht und die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten, aber weder die internationale Zuständigkeit für Adoptionen noch die Anerkennung von Adoptionen, die in anderen Vertragsstaaten herbeigeführt wurden.
13.101
3. Autonomes deutsches Recht a) Adoptionen aus Nichtvertragsstaaten sowie ursprüngliche Inlandsadoptionen176 sind nach autonomem Recht anzuerkennen. Auch Auslandsadoptionen, bei denen Bestimmungen des HAÜ nicht beachtet wurden, können nach dem Günstigkeitsprinzip ggf. nach autonomem Recht anerkannt werden.177 Nach § 108 I FamFG werden ausländische Adoptionsentscheidungen „automatisch“ anerkannt, sofern kein Anerkennungshindernis nach § 109 I FamFG vorliegt. Darüber wird grds. inzident bei Bedarf entschieden.178 Nach dem Entwurf des Adoptionshilfe-Gesetzes v. 22.1.2020179 soll in § 1 II AdWirkG vorgesehen werden, dass internationale Adoptionen, die nicht unter Art. 23 172 173 174 175 176 177
Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Adoptionsrecht, Rz. 281. R. Hepting/A. Dutta, Rz. V-557, 565; R. Hausmann, Teil P Rz. 78 ff. NK-BGB/Benicke, § 5 AdWirKG, Rz. 44; R. Hausmann, Teil P Rz. 91. BGBl. 2015 II, 3. BGHZ 206, 86 = FamRZ 2015, 1479, 1481 (Rz. 29). OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 611 f.; R. Hepting/A. Dutta, Rz V-526, 556; M. Andrae, § 8 Rz. 75 ff.; a.A. Prütting/Helms/Hau, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 13. 178 Ch. Grünenwald/R. Behrentin, NJW 2018, 2010, 2012. 179 BT-Drucks. 19/16718.
783
13.102
§ 13 Rz. 13.102 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
HAÜ fallen, der ausdrücklichen Anerkennungsfeststellung durch das Familiengericht (auf Antrag der Adoptionseltern) bedürfen. § 108 I FamFG soll entsprechend angepasst werden. Bis zum Abschluss des Anerkennungsverfahrens gilt die ausländische Adoptionsentscheidung aber als vorläufig anerkannt (E § 7 AdWirkG), sofern eine Bescheinigung nach § 2d Adoptionsvermittlungsgesetz vorgelegt wird und kein Anerkennungshindernis nach § 109 I FamFG besteht.180
13.103 Nach § 2 I AdWirkG stellt das Familiengericht auf Antrag förmlich fest, dass eine nicht unter Art. 23 HAÜ fallende Auslandsadoption anerkannt wird. In den Fällen des § 1 II AdWirkG kann der Antrag nicht zurückgenommen werden (E § 2 II AdWirkG). Die Anerkennung führt zur Wirkungserstreckung der ausländischen Adoption auf das Inland; die Entscheidung wirkt für und gegen jedermann.181 Eine ausländische Entscheidung, die eine Vertragsadoption bestätigt, die ohne Beteiligung einer Stelle, die das Kindeswohl prüft, ergangen ist, soll bereits keine anerkennungsfähige Adoptionsentscheidung sein.182 13.104 Die Adoption eines Nichtvertragsstaats ist nicht anzuerkennen, wenn dieser in spiegelbildlicher Anwendung von § 101 FamFG aus deutscher Sicht international nicht zuständig war (§ 109 I Nr. 1 FamFG).183 13.105 Eine ausländische Adoption kann wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public international (§ 109 I Nr. 4 FamFG) nicht anerkannt werden, wenn das ausländische Gericht keine Prüfung des Kindeswohls vorgenommen184 oder insoweit den Auslandsbezug des Falles nicht beachtet hat.185 Gleiches gilt, wenn den leiblichen Eltern vor der Adoption kein rechtliches Gehör gewährt wurde186 oder ein Kind zu Unrecht als Waisenkind angesehen wurde.187 Nicht ordre public-widrig ist eine schwache Adoption, bei der die Verwandtschaft zu den bisherigen Eltern bestehen bleibt.188 § 1741 II 1 BGB sieht zwar eine gemeinschaftliche Adoption nur durch ein Ehepaar vor. Diese Regel entspricht dem nationalen, nicht aber dem internationalen ordre public. Mit diesem ist auch die Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner bzw. Personen, die in einer dauerhaften und stabilen Lebensgemeinschaft leben, vereinbar.189
180 181 182 183 184 185 186 187 188 189
784
Vgl. St. Schlauß, Das Adoptionshilfe-Gesetz, FamRZ 2020, demnächst. M. Andrae, § 8 Rz. 102; R. Hepting/A. Dutta, Rz. V-563 f. OLG Stuttgart, FamRZ 2019, 1548, 1549. Helms in MünchKomm/BGB, Art. 22 EGBGB Rz. 88; M. Andrae, § 8 Rz. 80; R. Hausmann, Teil P Rz. 116 ff. Vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 611, 613; OLG Stuttgart, FamRZ 2019, 1548, 1549 (keine Prüfung der Elterneignung); OLG Frankfurt, FamRZ 2020, 1105 (keine Ermittlung zu Adoptionsbewerbern): R. Hausmann, Teil P Rz. 130. OLG Celle, FamRZ 2012, 1226; OLG Düsseldorf, FamRZ 2012, 1229 u. 2013, 714; KG, FamRZ 2012, 1234; M. Andrae, § 8 Rz. 83. OLG Düsseldorf, FamRZ 2012, 1229; Krenzler/Borth/Siede, Kap. 4 B Rz. 203. OLG Frankfurt, FamRZ 2012, 1229. M. Andrae, § 8 Rz. 89. BGHZ 206, 86 = FamRZ 2015, 1479, 1482 (Rz. 34 ff.) (B. Heiderhoff).
IV. Anerkennung von Adoptionsentscheidungen | Rz. 13.110 § 13
Nach E § 4 I 1 AdWirkG wird (i.d.F. des Adoptionshilfegesetzes) eine ausländische Adoptionsentscheidung, die ohne vorherige internationale Adoptionsvermittlung ergangen ist, grundsätzlich nicht anerkannt. Nach E § 4 I 2 AdWirkG kann die Entscheidung aber dennoch anerkannt werden, wenn zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht und die Annahme für das Wohl des Kindes erforderlich ist. Ausländische Vertragsadoptionen sind nicht nach § 108 FamFG anzuerkennen, sondern nach dem deutschen IPR (Art. 22, 23 EGBGB) auf ihre Wirksamkeit zu prüfen („materiell-rechtliche“ Anerkennung).190 Bedarf die Vertragsadoption im Ursprungsstaat der gerichtlichen oder behördlichen Genehmigung, finden §§ 108, 109 FamFG Anwendung.191
13.106
b) Soweit der Angenommene minderjährig ist, haben die §§ 2, 4 u. 5 AdWirkG jedoch Vorrang (§ 108 II 2 FamFG).
13.107
Nach §§ 2 ff. AdWirkG v. 9.11.2001 ist die ausländische Adoption auf Antrag eines nach § 4 I Berechtigten vom Familiengericht am Sitz des OLG (§ 5 I) förmlich anzuerkennen.192 Die internationale Zuständigkeit folgt aus § 101 FamFG, die örtliche Zuständigkeit aus § 187 I, II, V FamFG (§ 5 I 2 AdWirkG). Mit der Anerkennung ist festzustellen, ob das Annahmeverhältnis einem deutschen Annahmeverhältnis gleichsteht (§ 2 II AdWirkG). Die Anerkennung ist nach § 109 I Nr. 4 FamFG zu versagen, wenn vor der ausländischen Adoption keine oder nur eine unzureichende Prüfung des Kindeswohls stattgefunden hat (s. Rz. 13.105).193
13.108
Der Beschluss des Familiengerichts, der die Anerkennung und Wirksamkeit der ausländischen Adoption ausspricht, ist unabänderlich und unanfechtbar (§ 5 IV AdWirkG i.V.m. § 197 III FamFG), es sei denn er leide an einem so offensichtlich Mangel, dass er als unwirksam zu behandeln ist. Dazu bedarf es eines Verstoßes gegen den ordre public international.194 Der Beschluss hat zudem nach § 4 II 1 AdWirkG Wirkung für und gegen jedermann und bindet daher alle inländischen Behörden und Gerichte.195
13.109
Entsprechendes gilt, wenn eine inländische Adoption auf der Grundlage eines ausländischen Adoptionsstatuts ergangen ist (§ 2 III AdWirkG).196
13.110
190 Th. Rauscher, IPR, Rz. 2643 f.; M. Andrae, § 8 Rz. 92. 191 M. Andrae, § 8 Rz. 95. 192 Vgl. W.-M. Hölzel, Verfahren nach §§ 2 und 3 AdWirkG, StAZ 2003, 289; Müller-Engels/ Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Rz. 280 ff. Das Verfahren ist eine Adoptions- und Familiensache, so H.-U. Maurer, FamRZ 2013, 90. 193 OLG Düsseldorf, StAZ 2012, 175; OLG Celle, FamRZ 2012, 1226. 194 BGHZ 206,86 = FamRZ 2015, 1479, 1482 (B. Heiderhoff) (verneint bei gemeinsamer Adoption durch gleichgeschlechtliches Paar). 195 M. Andrae, § 8 Rz. 102. 196 Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Rz. 314.
785
§ 13 Rz. 13.111 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
13.111 Gegen die Ablehnung der Anerkennung steht den Beteiligten die Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG offen; dabei ist ein Abhilfeverfahren nach § 68 I 1 FamFG durchzuführen.197 13.112 Zusätzlich kann das Familiengericht eine „schwache“ ausländische Adoption auf Antrag in eine „starke“ nach inländischem Recht umwandeln, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht (§ 3 I AdWirkG).198 Sofern eine ausländische Volladoption geringere Wirkungen als eine deutsche (z.B. in Bezug auf Verwandte des Annehmenden) hat, kann auch sie in eine deutsche Adoption umgewandelt werden (§ 3 II AdWirkG). Auch diese Umwandlungsentscheidungen wirken für und gegen jedermann (§ 4 II 1 AdWirkG).
V. Anerkennung von Entscheidungen in Ehewohnungs- und Haushaltssachen Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil R II), 2. Aufl. 2018.
13.113 Ehewohnungs- und Haushaltsachen sind nach Art. 1 II lit. a EuGVO von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen. Auch die Brüssel IIa-VO erfasst sie nicht, da sie sich nicht mit vermögensrechtlichen Folgen der Ehescheidung befasst.199 Wenn die Zuweisung von Wohnung und/oder Haushaltsgegenständen der Unterhaltssicherung dient, könnte die EuUntVO anwendbar sein.200 Im Regelfall erfolgt die Zuweisung aber unabhängig von einem Unterhaltsbedürfnis. Die Wohnungszuweisung ist auch keine Schutzmaßnahme nach der EuSchutzMVO (s. Rz. 13.116). Derartige Entscheidungen werden aber seit 29.1.2019 von der EuGüVO erfasst. Denn nach Art. 3 I lit. a EuGüVO umfasst der Begriff „ehelicher Güterstand“ sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen zwischen den Ehegatten (und Dritten) aufgrund der Ehe oder ihrer Auflösung. 13.114 Nach Art. 36 I EuGüVO sind solche Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligen, automatisch anzuerkennen. Bei Bedarf kann nach Art. 36 II EuGüVO auch die selbständige Feststellung der Anerkennung beantragt werden (s. Rz. 13.119 ff.). 13.115 Soweit die EuGüVO nicht anwendbar ist, sind derartige Entscheidungen nach §§ 108, 109 FamFG anzuerkennen. Die Anerkennung erfolgt auch insoweit automatisch, wenn kein Anerkennungshindernis vorliegt.
197 OLG Hamm, FamRZ 2012, 1230 (W. Weitzel); OLG Köln, FamRZ 2012, 1234; a.A. OLG Düsseldorf, FamRZ 2012, 1233 u. 2013, 714. 198 Vgl. Krenzler/Borth/Siede, Anwaltshandbuch Familienrecht, Kap. 4 B Rz. 206 f.; MüllerEngels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Rz. 301 ff.; M. Andrae, § 8 Rz. 107 f.; I. Ludwig, RNotZ 2002, 353. 199 R. Hausmann, Rz. R 25. 200 Vgl. R. Hausmann, Rz. C 532 ff., R 26.
786
VI. Anerkennung in Gewaltschutzsachen | Rz. 13.118 § 13
VI. Anerkennung von Entscheidungen in Gewaltschutzsachen Schrifttum: A. Dutta, Grenzüberschreitender Gewaltschutz in der Europäischen Union, FamRZ 2015, 85; E. Gitschthaler/F. Mohr, Internationales Familienrecht, 2019, S. 1695; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil R III), 2. Aufl. 2018; P. Mayr/Th. Garber, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (10. Kap.), 2017, S. 765; P. Pietsch, Die EU-Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen, NZFam 2014, 726; Rauscher/Binder, EU-SchutzMVO, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 1189. – Verordnung (EU) Nr. 606/2013 v. 12.6.2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen (ABl. EU Nr. L 181/4) – Richtlinie 2011/99/EU vom 13.12.2011 über die Europäische Schutzanordnung (ABl. EU Nr. L 338/2) – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen v. 5.12.2014 (BGBl. 2014 I, 1964). – Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU ...und zur Durchführung der VO (EU) Nr. 606/2013 ..., v. 22.10.2014, BT-Drucks. 18/2955.
Schutzmaßnahmen, die in einem EU-Mitgliedstaat (ohne Dänemark) angeordnet wurden und über die eine Bescheinigung im Ursprungsstaat (Art. 5 EuSchMVO) ausgestellt sowie dem Antragsgegner zugestellt wurde, werden in allen anderen Mitgliedstaaten ex lege anerkannt (Art. 4 EuSchMVO) und, soweit nötig, ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt (Art. 4 I EuSchMVO).201 Allerdings gilt dies nur für 12 Monate ab dem Tag der Ausstellung der Bescheinigung (Art. 4 IV EuSchMVO). Wird die Maßnahme verlängert, muss eine neue Bescheinigung nach Art. 5 EuSchMVO ausgestellt werden.202 Art. 2 II EuSchMVO stellt, wohl überflüssigerweise, klar, dass die Verordnung nur für grenzüberschreitende Fälle gilt.203
13.116
Die Vollstreckung selbst richtet sich, wie auch sonst, nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates (Art. 4 IV EuSchMVO). Soweit erforderlich, kann die angeordnete Maßnahme an das Recht des Vollstreckungsstaates angepasst werden (Art. 11 EuSchMVO).
13.117
Anerkennung und Vollstreckung dürfen auf Antrag des Antragsgegners nur versagt werden, wenn die angeordnete Schutzmaßnahme dem ordre public des Vollstreckungsstaates widerspricht oder mit einer im Vollstreckungsstaat ergangenen Entscheidung unvereinbar ist (Art. 13 I EuSchMVO).204
13.118
201 202 203 204
Rauscher/Binder, (2015), Einl. EU-SchutzMO Rz. 91 ff. Gitschthaler/Mohr, EuSchMaVO Art. 4 Rz. 8. R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 207 f. P. Pietsch, NZFam 2014, 726, 729; Rauscher/Binder, (2015), Einl. EU-SchutzMVO Rz. 114; Gitschthaler/Mohr, EuSchMaVO Art. 13 Rz. 1 ff.
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§ 13 Rz. 13.119 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
VII. Anerkennung von Entscheidungen in Güterrechtssachen Schrifttum: E. Gitschthaler/B. Verschraegen, Internationales Familienrecht, 2019, S. 1781 u. 2014; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil L), 2. Aufl. 2018; B. Heiderhoff, Vorschläge zur Durchführung der EU-Güterrechtsverordnungen, IPRax 2017, 231; R. Magnus in Hüßtege/Mansel, NK-BGB, Bd. 6, 3. Aufl. 2019, S. 644; D. Martiny, Die Kommissionsvorschläge für das internationale Ehegüterrecht sowie für das internationale Güterrecht eingetragener Partnerschaften, IPRax 2011, 437; Schwab/Ernst/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 17 Rz. 117 ff. – Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates v. 24.6.2016 ... im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Gütertands, ABl. EU 2016 Nr. L 183/1. – Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates v. 24.6.2016 ... im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. EU 2016 Nr. L 183/30. – Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts v. 16.3.2011, KOM (2011), 126 endg. – Deutsches Ausführungsgesetz: IntGüRVG v. 17.12.2018 (BGBl. 2018 I, 2573); dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 10.8.2018 (IntGüRVG), BR-Drucks. 385/18.
13.119 Art. 1 II (a) EuGVO bzw. LugÜ nimmt die ehelichen Güterstände vom Anwendungsbereich dieser europäischen Regelungen aus. 13.120 Seit 29.1.2019 sind Entscheidungen in Güterrechtssachen nach Art. 36 I EuGüVO/ EuGüPartVO wie Entscheidungen in Zivilsachen automatisch anzuerkennen.205. Jede Partei kann nach Art. 36 II eine Entscheidung über die Anerkennung beantragen. Das Gericht entscheidet dann über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Grundes für die Nichtanerkennung gem. Art. 37. Beide Verordnungen gelten an sich nur für Entscheidungen aus Verfahren, die ab dem 29.1.2019 eingeleitet werden und aus den 18 EU-Mitgliedstaaten stammen, die sich an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligen.206 Nach Art. 69 II EuGüVO/EuPartVO werden aber Entscheidungen aus vorher eingeleiteten Verfahren, die nach dem 29.1.2019 ergangen sind, dennoch nach den Verordnungen anerkannt, wenn die angewandten Zuständigkeitsvorschriften mit denen der Verordnungen übereinstimmen.207
13.121 Einzelheiten des Verfahrens richten sich nach § 21 IntGüRVG. Zuständig für die Anerkennung ist das AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat oder in dessen Bezirk vollstreckt werden soll (§ 4 IntGüRVG). Das Verfahren auf Anerkennung unterliegt in erster Instanz keinem Anwaltszwang (§ 6 II IntGüRVG). Ist die Entscheidung anzuerkennen, wird sie mit einer „Vollstreckungsklausel“ versehen (§ 8 I IntGüRVG). Dem Antragsgegner wird eine beglaubig205 Gitschthaler/Verschraegen, EuEhegüterVO, Art. 36–41 Rz. 10 ff. 206 Vgl. C. Mayer in MünchKomm/FamFG, EU-EheGüVO Vor Art. 1 Rz. 13. 207 R. Hausmann, Teil L Rz. 174.
788
VIII. Anerkennung in Versorgungsausgleichssachen | Rz. 13.125 § 13
te Abschrift zugestellt, dem Antragsteller eine solche formlos übersendet (§ 10 I IntGüRVG). Wird der Antrag abgelehnt, wird die Entscheidung dem Antragsteller zugestellt (§ 10 II IntGüRVG). Gegen die Entscheidung erster Instanz kann Beschwerde beim OLG eingelegt werden (§§ 11, 12 IntGüRVG). Gegen dessen Entscheidung findet die Rechtsbeschwerde an den BGH statt (§ 13 IntGüRVG).
13.122
Soweit die EuGüVO nicht anwendbar ist, sind Entscheidungen zum Güterrecht nach §§ 108, 109 FamFG automatisch anzuerkennen, wenn kein Anerkennungshindernis vorliegt. Insb. bei einer Inzidentanerkennung prüft jedes Gericht von Amts wegen, ob die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen.208 Die Anerkennungszuständigkeit ergibt sich aus einer spiegelbildlichen Anwendung von § 98 FamFG. Dies gilt auch für die Verbundzuständigkeit der §§ 98 III, 262 FamFG.209 Da diese der ausschließlichen Zuständigkeit anderer Gerichte vorgeht, gilt § 24 ZPO insoweit nicht. Eine ausländische Entscheidung zur Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem inländischen Grundstück im Zuge einer güterrechtlichen Auseinandersetzung kann daher anerkannt werden.210 Das Feststellungsverfahren nach § 108 II FamFG ist nicht eröffnet, da dies nur in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten vorgesehen ist.211
13.123
VIII. Anerkennung von Entscheidungen in Versorgungsausgleichssachen Schrifttum: R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil R I), 2. Aufl. 2018.
Entscheidungen zum Versorgungsausgleich werden von keiner EU-Verordnung erfasst. Von der EuGVO sind sie nach Art. 1 II lit. a ausgeschlossen.212 Die Brüssel IIaVO regelt nur nichtvermögensrechtliche Fragen. Der Versorgungsausgleich ist auch keine Unterhaltspflicht, die auf Ehe oder Verwandtschaft beruht (Art. 1 EuUntVO). Schließlich ist der Versorgungsausgleich durch Art. 1 II lit. f EuGüVO ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Güterrechtsverordnung ausgeschlossen.213
13.124
Entscheidungen zum Versorgungsausgleich gehören aber zu den Entscheidungen in Ehe- oder Familiensachen, die nach Art. 2 des deutsch-griech. Anerkennungsvertrages v. 4.11.1961 (BGBl. 1963 II, 109) anzuerkennen sind, wenn die Parteien Angehörige der beiden Vertragsstaaten sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatten. Eine Anerkennung griechischer Entscheidungen in Deutschland kann aber nicht praktisch werden, da das griechische Recht keinen Versor-
13.125
208 209 210 211
BGH, NJW 2019, 3575, 3576 (Rz. 5). BGH, NJW 2019, 3575, 3576 (Rz. 9). BGH, NJW 2919, 3575, 3577 (Rz. 11 ff.). Rauscher in MünchKomm/FamFG, FamFG § 108 Rz. 23; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff, FamFG, 3. Aufl. 2018, § 108 Rz. 7 (kein Bedarf, da Möglichkeit der Vollstreckbarerklärung). 212 R. Hausmann, Rz. R 1. 213 R. Hausmann, Rz. R 3.
789
§ 13 Rz. 13.125 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
gungsausgleich kennt und deshalb bereits keine gerichtliche Zuständigkeit für den Erlass einer Entscheidung über einen Versorgungsausgleich (nach deutschem Recht) besteht, griechische Gerichte also insoweit gar nicht tätig werden. Möglicherweise kommt auch eine Anerkennung nach dem deutsch-brit. Abkommen v. 14.7.1960 (BGBl. 1961 II, 80) in Betracht.214
13.126 Von diesen Sonderfällen abgesehen sind ausländische Entscheidungen zum Versorgungsausgleich nach §§ 108, 109 FamFG anzuerkennen und ggf. nach § 110 FamFG für vollstreckbar zu erklären. Jedoch kennen die meisten Staaten keinen Versorgungsausgleich, so dass der Fall selten sein dürfte.
IX. Anerkennung von Entscheidungen von Unterhaltssachen 1. Schrifttum 13.127 M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019; N. Conti, Grenzüberschreitende
Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa, 2011; Fasching/Konecny/Fucik, Zivilprozessgesetze, Bd. 5/2, 2. Aufl. 2010, EuUVO, S. 1009; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Kap. 36, S. 2109; E. Gitschthaler/L. Fuchs, Internationales Familienrecht, 2019, S. 2193; W. Hau, Die Europäische Unterhaltsverordnung und das Haager Unterhaltsprotokoll in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 115 (2016), 672, 685; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil M), 2. Aufl. 2018; M. Heger, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, FS Brudermüller, 2014, S. 291; M. Heger/U. Selg, Die europäische Unterhaltsverordnung und das neue Auslandsunterhaltsgesetz, FamRZ 2011, 1101; B. Hess/St. Spancken, Die Durchsetzung von Unterhaltstiteln mit Auslandsbezug nach dem AUG, FPR 2013, 27; K. Hilbig-Lugani, Die Änderungen im AUG und AVAG durch das Durchführungsgesetz zum Haager Unterhaltsübereinkommen 2007, FamRBInt 2013, 74; G. Hohloch, Durchsetzung ausländischer Unterhaltstitel im Inland. Zur Rechtslage nach Inkrafttreten des FamFG, GS M. Wolf, 2011, S. 429; O. Knöfel, Die Rolle der Zentralen Behörden bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Unterhaltstiteln in der Europäischen Union, IPRax 2018, 487; S. Lippke, Der Status im Europäischen Zivilverfahrensrecht. Scheidung und Scheidungsfolgen im Anerkennungsrecht, 2008, S. 154; Prütting/Helms/Hau, FamFG, Anh. 3 zu § 110: EuUnthVO, 4. Aufl. 2018, S. 1047; Rauscher/Andrae/Schimrick, EG-UntVO, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 443; Saenger/Dörner in HK-ZPO, 7. Aufl. 2017, S. 3469; Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Unterhaltsrecht, 8. Aufl. 2019, § 11 Rz. 120 ff.; I. Viarengo, The enforcement of maintenance decisions within the EU, in Beaumont/Hess/Walker/Spancken, The recovery of maintenance in the EU and worldwide, 2016, S. 473; Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl. 2020, S. 3062.
2. Europäische Vollstreckungstitel
13.128 Soweit eine Unterhaltsentscheidung aus einem EU-Mitgliedstaat stammt, in dem das Haager Protokoll von 2007215 gilt, wird der Titel ohne weiteres anerkannt;216 die An214 Hierfür R. Hausmann, Rz. R 5. 215 Vgl. U.P. Gruber, FS Spellenberg, 2010, S. 177; Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 17 EG-UntVO Rz. 1, 3; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 36 Rz. 86. 216 Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 17 EG-UntVO Rz. 3.
790
IX. Anerkennung in Unterhaltssachen | Rz. 13.132 § 13
erkennung kann nicht angefochten werden (Art. 16 II, 17 I EuUntVO). Diese Titel bedürfen keiner Vollstreckbarerklärung, sie sind also Europäische Vollstreckungstitel (Art. 17 II EuUntVO; § 30 I AUG). Da es keine Versagungsgründe, auch keine ordre public Kontrolle,217 gibt, ist ein gesondertes Verfahren zur Feststellung der Anerkennung nicht mehr vorgesehen.218 Das Haager Protokoll gilt tatsächlich in allen Mitgliedstaaten außer Großbritannien und Dänemark. Die bloße Anerkennung spielt in der Regel als Vorfrage in einem neuen Unterhaltsstreit eine Rolle. Anerkannt werden rechtskräftige und nicht rechtskräftige Entscheidungen.219 Allerdings beschränkt sich die bedingungslose Anerkennung auf die Unterhaltsentscheidung als solche. Sie erstreckt sich nach Art. 22 EuUntVO nicht auf die Anerkennung bzw. Feststellung von Statusverhältnissen, auf der die Unterhaltspflicht beruht. Die Unterhaltsentscheidung ist aber selbst dann anzuerkennen (und zu vollstrecken), wenn die Statusentscheidung gegen den ordre public verstößt.220 Erst wenn im Anerkennungsstaat eine abweichende Statusentscheidung ergangen ist, kann die Vollstreckung der Unterhaltsentscheidung nach Art. 21 II Unterabs. 2 EuUntVO verweigert werden.221
13.129
Bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung kann der Gläubiger zudem die Hilfe der Zentralen Behörden gem. Art. 51 I lit. e, f, Art. 56 EuUntVO in Anspruch nehmen.222 Der Unterhaltsgläubiger kann seinen Vollstreckungsantrag aber auch unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates stellen.223
13.130
Hat der Schuldner von dem Verfahren im Ursprungstaat keine Kenntnis erlangt, so kann er lediglich dort gem. Art. 19 EuUntVO eine Nachprüfung der Entscheidung verlangen.224
13.131
3. Andere EU-Unterhaltstitel Stammt der Unterhaltstitel aus einem EU-Mitgliedstaat, in dem das Haager Protokoll von 2007 nicht gilt (also aus Großbritannien oder Dänemark), wird er zwar ebenfalls automatisch anerkannt (Art. 23 I EuUntVO)225, bedarf aber der Vollstreck217 Vgl. I. Viarengo, S. 473, 475; Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 6.332; Gitschthaler/Kaller-Pröll, EuUVO Art. 17 Rz. 9 ff. 218 Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 17 EG-UntVO Rz. 2; für analoge Anwendung von Art. 23 II EuUntVO bei Bedarf Lipp in MünchKomm/FamFG, EG-UntVO Art. 17 Rz. 8 ff. 219 M. Andrae, § 10 Rz. 213; R. Hausmann, Teil M Rz. 38. 220 R. Hausmann, Teil M Rz. 133. 221 M. Andrae, § 10 Rz. 218, 228 ff.; R. Hausmann, Teil M Rz. 120; Gitschthaler/Kaller-Pröll, EuUVO Art. 21 Rz. 29. 222 Vgl. O. Knöfel, IPRax 2018, 487; R. Hausmann, Teil T Rz. 14 ff.; Gitschthaler/Fuchs, EuUVO, Art. 51 Rz. 10 ff. 223 EuGH – C-283/16, ECLI:EU:C:2017:104 – MS v PS, IPRax 2018, 515. 224 Vgl. Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 36 Rz. 91 ff.; Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 19 EG-UntVO Rz. 6, 9 ff. 225 Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 36 Rz. 131 f.
791
13.132
§ 13 Rz. 13.132 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
barerklärung nach Art. 26 ff. EuUntVO.226 Das Verfahren entspricht praktisch demjenigen nach den Art. 38 ff. EuGVO a.F. (s. Rz. 15.10 ff.). Nach dem Brexit bleiben die Art. 23 ff., 26 ff. EuUntVO im Verhältnis zu Großbritannien weiterhin auf solche Entscheidungen anwendbar, die in Verfahren ergehen, die vor dem 31.12.2020, dem Ende der Übergangsfrist, eingeleitet wurden sowie auf solche Prozessvergleiche und vollstreckbare Urkunden, die bis zu diesem Datum errichtet wurden (Art. 67 Abs. 2 lit. c Austrittsabkommen v. 24.1.2020).227 Da die Anerkennung ggf. versagt werden kann, ist in Art. 23 II EuUntVO insoweit ein besonderes Verfahren zur Feststellung der Anerkennung vorgesehen.228
13.133 Die Anerkennung findet nicht statt, wenn einer der Versagungsgründe in Art. 24 EuUntVO vorliegt. (1) Ordre public-Verstoß229 (2) Gehörsverletzung bei Verfahrenseinleitung (3) Unvereinbarkeit mit Entscheidung des Anerkennungsstaats (4) Unvereinbarkeit mit früherer Entscheidung eines anderen EU-Mitgliedstaats oder eines Drittstaats. (5) Kein Versagungsgrund im Rahmen der EuUntVO ist die internationale Unzuständigkeit des Gerichts des Erststaates.
13.134 Die Unvereinbarkeit besteht nicht nur bei Identität der Streitgegenstände, sondern bereits dann, wenn die ausländische Entscheidung ein präjudizielles Rechtsverhältnis betrifft, das der Rechtsfolge der vorrangigen (inländischen oder ausländischen) Entscheidung widerspricht. Unvereinbarkeit kann sich daher insb. aus einer Diskrepanz von Statusurteil und Unterhaltsurteil ergeben. Wird etwa die Anerkennung eines Scheidungsurteils im Inland abgelehnt, kann auch eine Entscheidung über nachehelichen Unterhalt nicht anerkannt werden. Wird das Scheidungsurteil anerkannt, kann ein Urteil über Trennungsunterhalt (für die Zeit nach der Scheidung) nicht anerkannt werden.230 Ein Unterhaltstitel kann nicht anerkannt werden, wenn die Vaterschaft, auf der die Unterhaltspflicht beruht, im Inland erfolgreich angefochten wurde.231 13.135 Ein Feststellungantrag nach Art. 23 II EuUntVO ist nur zulässig, wenn für die Feststellung ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Daran fehlt es, wenn ein Prozessvergleich
226 M. Heger/U. Selg, FamRZ 2011, 1101, 1105; Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 134. 227 ABl. EU 2020 Nr. L 29/7. 228 Vgl. Mayr/Weber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 6.339 ff.; Lipp in MünchKomm/ FamFG, EG-UntVO, Art. 23 Rz. 5 ff. 229 Vgl. I. Viarengo, S. 473, 476. 230 EuGHE 1988, 645, 649 (Hoffmann v Krieg) = NJW 1989, 663 = IPRax 1989, 159; vgl. S. Lippke, S. 155 ff. 231 M. Andrae, § 10 Rz. 218, 230.
792
IX. Anerkennung in Unterhaltssachen | Rz. 13.138 § 13
anerkannt werden soll, obgleich die darin übernommenen Verpflichtungen bereits erfüllt sind.232 4. Unterhaltstitel nach LugÜ 2007 Unterhaltstitel aus Island, Norwegen und der Schweiz sind vom Lugano Übereinkommen 2007 erfasst und nach Art. 33 I LugÜ automatisch anzuerkennen. Bei Bedarf steht nach Art. 33 II i.V.m. Art. 38 ff., 53 ff. LugÜ ein selbständiges Anerkennungsverfahren offen. Die Anerkennungsversagungsgründe entsprechen denen der EuGVO a.F. (s. Rz. 12.37 ff.).
13.136
5. Titel aus Vertragsstaaten der Haager Übereinkommen Schrifttum: E. Gitschthaler/M. Weber, Internationales Familienrecht, 2019, S. 2641; Rauscher/Kern, HUntVerfÜbk 2007, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 887. A. Borrás/J. Degeling, Explanatory report on the Convention on the International Recovery of Child Support and other forms of family maintenance, 2013.
13.137
a) Titel aus Vertragsstaaten (1) des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen v. 23.11.2007 (HUÜ),233 und (2) des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. 2.10.1973 (HUVÜ) werden automatisch anerkannt und bei Bedarf gem. §§ 57 ff., 36 ff. AUG im gleichen Beschlussverfahren anerkannt wie Titel aus EU-Staaten, gegenüber denen noch ein Exequaturverfahren stattfindet (s. Rz. 13.132 ff.). Nach Art. 3 lit. e), Art. 19 I 2 HUÜ 2007 werden auch Vergleiche oder Vereinbarungen als Entscheidungen behandelt, wenn sie vor Gericht oder einer Behörde geschlossen oder von ihr genehmigt wurden.234 Nach Art. 21 HUVÜ 1973 sind vollstreckbare Vergleiche unter denselben Voraussetzungen wie Entscheidungen anzuerkennen.235 Das Haager Übereinkommen (HUÜ) von 2007 gilt derzeit im Verhältnis zu Albanien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Guyana (7.3.2020), Honduras, Kasachstan (seit 14.6.2019), Montenegro, Norwegen, der Türkei, der Ukraine, den USA und Weißrussland. Auch Großbritannien hat das Übereinkommen mit Wirkung zum 1.4.2019 ratifiziert. Nach Art. 67 V LugÜ hat das HUÜ 2007 Vorrang vor dem LugÜ, 232 OLG Stuttgart, FamRZ 2014, 865; unklar R. Hausmann, Internat. u. Europ. Ehescheidungsrecht, K 123 (Rechtsschutzinteresse erforderlich), K 128 (nur Prüfung, ob Hindernisse nach Art. 24 vorliegen). 233 In Kraft seit 1.8.2014. 234 Vgl. Rauscher/Kern, (2015) Art. 19 HUntVerfÜbk Rz. 5. 235 Vgl. A. Atteslander-Dürrenmatt, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis, 2006, S. 147 ff.
793
13.138
§ 13 Rz. 13.138 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
so dass es für Deutschland im Verhältnis zu Norwegen anwendbar ist. Großbritannien ist nach dem Austritt aus der EU bestrebt, das Übereinkommen noch vor dem Ablauf der Übergangsfrist (Ende 2020) zu ratifizieren. Das Haager Übereinkommen von 1973 gilt derzeit noch im Verhältnis zu Andorra, Australien und der Schweiz.236 Das HUÜ 2007 erfasst nach Art. 2 Unterhaltstitel zugunsten einer Person bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres sowie Unterhaltstitel zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten.237
13.139 Nach dem HUÜ 2007 wird eine Entscheidung nur anerkannt, wenn sie im Ursprungsstaat wirksam ist (Art. 20 VI HUÜ). Art. 20 I HUÜ regelt die Anerkennungszuständigkeit als Anerkennungsvoraussetzung. Sie besteht, wenn (1) der Antragsgegner (lit. a) oder (2) der Antragsteller (lit. c) seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Verfahrenseinleitung im Ursprungsstaat hatte, ferner (3) bei rügeloser Einlassung des Antragsgegners (lit. b), (4) im Fall des Kindesunterhalts, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte, sofern der Antragsgegner mit dem Kind zusammenlebte oder ebenfalls dort lebte und Unterhalt für das Kind leistete (lit. d), (5) die Zuständigkeit auf einer schriftlichen Parteivereinbarung beruht – Kindesunterhalt ausgenommen (lit. e), oder (6) wenn es sich um eine Annexzuständigkeit mit einer Status- oder einer Sorgerechtssache handelt, sofern diese nicht nur auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien beruht (lit. f).238 Nach Art. 27 HUÜ ist der Vollstreckungsstaat an die tatsächlichen Feststellungen des Ursprungsstaats zur Zuständigkeit gebunden. 13.140 Jeder Vertragsstaat kann gegen Zuständigkeiten nach (2), (5) und (6) einen Vorbehalt anbringen. Er hat die Entscheidung dann trotzdem anzuerkennen, wenn seine Gerichte nach dem eigenen innerstaatlichen Recht zuständig gewesen wären (Art. 20 II, III HUÜ).239 Kann die Entscheidung aufgrund des Vorbehalts nicht anerkannt werden, muss der Zweitstaat aber angemessene Maßnahmen ergreifen, dass eine Unterhaltsentscheidung ergeht, wenn der Verpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zweitstaat hat (Art. 20 IV HUÜ). Dies setzt aber voraus, dass der Antrag auf Anerkennung (bzw. Vollstreckung) über die Zentralen Behörden der Vertragsstaaten gestellt wurde.240 Kann eine Unterhaltstitel zugunsten eines minderjährigen Kindes aufgrund des Vorbehalts nicht anerkannt werden, so dient er doch dem Nachweis der Unterhaltsberechtigung des Kindes (Art. 20 V HUÜ).241 236 Eine aktuelle Statustabelle für alle Haager Übereinkommen findet sich auf der Website der Haager Konferenz. 237 Vgl. Wendl/Dose/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 9 Rz. 605; Rauscher/Kern, (2015) Art. 2 HUntVerfÜbk Rz. 7 ff., 13 ff. Die Ukraine hat allerdings durch Vorbehaltserklärung die Anwendbarkeit auf Kinder bis zum 18. Lebensjahr beschränkt. 238 Vgl. Rauscher/Kern, Art. 20 HUnterVerfÜbk Rz. 4 ff.; Gitschthaler/Weber, HUÜ Art. 20 Rz. 2 ff. 239 Rauscher/Kern, Art. 20 HUntVerfÜbk Rz. 17; Gitschthaler/Weber, HUÜ Art. 20 Rz. 40. 240 M. Andrae, § 10 Rz. 285; Rauscher/Kern, Art. 20 HUntVerfÜbk Rz. 23. 241 Rauscher/Kern, Art. 20 HUntVerfÜbk Rz. 25 f.; Gitschthaler/Weber, HUÜ Art. 20 Rz. 42.
794
IX. Anerkennung in Unterhaltssachen | Rz. 13.145 § 13
Anerkennungsversagungsgründe sind nach Art. 22 HUÜ (1) der ordre public-Verstoß, (2) Prozessbetrug, (3) ein vorrangige inländische Rechtshängigkeit, (4) Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Vollstreckungsstaates oder einer anzuerkennenden Entscheidung eines Drittstaates, (5) bei einer Säumnisentscheidung unzureichende Benachrichtigung vom Verfahren ohne spätere Gewährung rechtlichen Gehörs oder nicht ordnungsgemäße Benachrichtigung von der Entscheidung, so dass kein Rechtsmittel eingelegt werden konnte und schließlich (6) ein Verstoß gegen Art. 18 HUÜ, der dem Ursprungsgericht eine ausschließliche Abänderungszuständigkeit zuspricht, solange der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Ursprungsstaat hat. Die Regel zu (6) entspricht Art. 8 EuUntVO (s. Rz. 4.152). In allen Fällen besteht aber ein gewisses Ermessen die Entscheidung trotz Vorliegens des Versagungsgrundes anzuerkennen und zu vollstrecken.242
13.141
Der ordre public-Verstoß kann sich, wie auch sonst, aus materiellen oder prozessualen Verstößen ergeben. Ein zu hoher Unterhalt führt nur dann zu einem Verstoß, wenn er eklatant die Leistungsfähigkeit des Schuldners missachtet, ein zu niedriger, wenn er die Bedürfnisse des Gläubigers völlig außer Acht lässt. Allerdings können bereits die Pfändungsfreigrenzen ausreichende Abhilfe bieten; der Schuldner hat vorrangig auch einen möglichen Abänderungsantrag zu stellen.243
13.142
Die Unvereinbarkeit betrifft einmal Bestand und Höhe der Unterhaltspflicht.244 Sie kann sich aber auch aus einem Widerspruch zu der die Unterhaltspflicht begründenden Statusfeststellung ergeben. „Derselbe Gegenstand“ erfasst insoweit auch die Vorfrage (s. Rz. 13.134). Gleiches gilt, wenn die Anerkennung der ausländischen Statusentscheidung im Inland verweigert wurde.245
13.143
b) Titel aus Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern v. 15.4.1958 sind nicht in das einfache Beschlussverfahren einbezogen. Sie werden wie Schiedssprüche im fakultativen Beschlussverfahren nach dem deutschen AusfG v. 18.7.1961 (BGBl. 1961 I, 1033) anerkannt. Das Übereinkommen von 1958 gilt noch im Verhältnis zu Liechtenstein und Suriname. Das Übereinkommen erfasst nur gerichtliche Entscheidungen, anders als die neueren Unterhaltsübereinkommen aber keine Vergleiche.246
13.144
6. Titel aus Staaten mit Gegenseitigkeitsvereinbarung Die Anerkennung von Titeln aus Staaten mit formeller Gegenseitigkeitsvereinbarung (USA, Kanada, Südafrika) ist als solche nicht geregelt. § 64 AUG i.V.m. § 110 I, II
242 243 244 245
Rauscher/Kern, Art. 22 HUntVerfÜbk Rz. 15; Gitschthaler/Weber, HUÜ Art. 22 Rz. 3. M. Andrae, § 10 Rz. 297. Rauscher/Kern, Art. 22 HUntVerfÜbk Rz. 10. M. Andrae, § 10 Rz. 292 ff.; a.A. Gitschthaler/Weber, HUÜ Art. 22 Rz. 19 (derselbe Streitgegenstand). 246 A. Atteslander-Dürrenmatt, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis, 2006, S. 146.
795
13.145
§ 13 Rz. 13.145 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
FamFG ordnen nur die Vollstreckbarerklärung.247 Die Anerkennung erfolgt daher gem. § 108 I FamFG automatisch, sofern kein Anerkennungshindernis nach § 109 FamFG vorliegt Bei Bedarf sollte ein Feststellungsverfahren analog § 35 AUG zugelassen werden.
13.146 Das Verfahren ist eine Familienstreitsache, so dass bei Rechtsmitteln § 117 FamFG zu beachten ist, d.h. die Beschwerde muss zwingend begründet werden.248 Über § 117 I 4 FamFG gilt auch § 522 I 4 ZPO, so dass gegen eine Entscheidung, die die Beschwerde als unzulässig verwirft, die Rechtsbeschwerde ohne Zulassung statthaft ist.249 7. Titel aus Drittstaaten
13.147 Die Anerkennung solcher Titel erfolgt gem. § 108 I FamFG automatisch. Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Unterhaltstitels, der Teil eines Scheidungsurteils ist, setzt nicht voraus, dass das Scheidungsurteil zuvor förmlich gem. § 107 FamFG anerkannt wurde.250 Ist allerdings die Nichtanerkennungsfähigkeit der Statusentscheidung festgestellt, hindert dies auch die Anerkennung (und Vollstreckbarerklärung) der darauf aufbauenden Unterhaltsentscheidung.251 13.148 Soweit ein Scheidungsurteil nach § 107 FamFG förmlich anzuerkennen ist, muss diese Anerkennung erfolgt sein, damit eine Entscheidung zum nachehelichen Unterhalt anerkannt werden kann.252
X. Anerkennung von Entscheidungen in Lebenspartnerschaftssachen 1. Statusentscheidungen
13.149 Auf Entscheidungen zum Status der Lebenspartnerschaft ist die Brüssel IIa-VO nicht anwendbar.253 Die Aufhebung der Lebenspartnerschaft kann aber unter die bilateralen Anerkennungsverträge mit Belgien, Griechenland, Österreich, der Schweiz, Spanien und dem Vereinigten Königreich fallen.254 Nähere Ausführungen hierzu erübrigen sich aber, da das Günstigkeitsprinzip gilt255 und gerichtliche Entscheidungen daher stets nach § 108 I FamFG automatisch anzuerkennen sind, sofern kein Anerkennungshindernis nach § 109 FamFG vorliegt.256 Bei Bedarf kann ein fakultatives 247 248 249 250 251 252 253
Für Kalifornien s. BGH, FamRZ 2018, 1347 (Rz. 11 ff.) (W. Hau). BGH, FamRZ 2018, 1347 (Rz. 14 ff.). BGH, FamRZ 2018, 1347 (Fn. 17). Vgl. BGH, NJW-RR 2007, 722. M. Andrae, § 10 Rz. 294. M. Andrae, § 10 Rz. 295. R. Hausmann, Teil Q Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 5. 254 R. Hausmann, Teil Q Rz. 9. 255 R. Hausmann, Teil Q Rz. 16. 256 M. Andrae, § 10 Rz. 52.
796
XI. Anerkennung in Betreuungssachen | Rz. 13.153 § 13
Anerkennungsverfahren nach § 108 II FamFG durchgeführt werden. Ein Beschluss, dass die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen bzw. nicht vorliegen, ist für alle deutschen Gerichte und Behörden bindend (§ 108 II 2 i.V.m. § 107 IX FamFG). Etwaige „Privatscheidungen“ einer Lebenspartnerschaft werden materiell-rechtliche anerkannt, wenn sie nach dem Recht des Register führenden Staates wirksam sind. 2. Güterrechtsentscheidungen – VO (EU) 2016/1104 ... im Bereich ... von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften v. 24.6.2016 (ABl. EU Nr. L 183/ 30).
13.150
– Deutsches Ausführungsgesetz: IntGüRVG v. 17.12.2018 (BGBl. 2018 I, 2573). Nach Art. 36 I EuPartVO sind Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, die von einem Gericht eines EU-Mitgliedstaates erlassen wurden, der sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligt, in den anderen Mitgliedstaaten (auch in Deutschland) automatisch anzuerkennen. Eine Anerkennung der Partnerschaft als solcher ist damit nicht verbunden (Erwägungsgrund 63).257 Wie bei Eheleuten erfasst die Verordnung alle vermögensrechtlichen Regelungen zwischen den Partnern aufgrund der Eintragung oder der Auflösung der Partnerschaft (Art. 3 I lit. b EuPartVO). Nach Art. 69 I EuPartVO gilt dies immer, wenn das Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, ab dem 29.1.2019 eingeleitet wurde. Wurde das Verfahren früher eingeleitet, gilt dies nur, wenn das Gericht auch nach Art. 4 ff. EuPartVO zuständig gewesen wäre (Art. 69 II EuPartVO). Nach Art. 36 II EuPartVO (i.V.m. Art. 44 ff. EuPartVO) kann insoweit auch die ausdrückliche Feststellung der Anerkennung beantragt werden. Örtlich zuständig ist das AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk der Antragsgegner seinen Wohnsitz hat (§ 21 I i.V.m. § 4 IntGüRVG).
13.151
Entscheidungen zum Güterrecht von eingetragenen Partnern aus EU-Staaten, die nicht an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen, sowie aus Drittstaaten sind nach §§ 108, 109 FamFG automatisch anzuerkennen, sofern kein Anerkennungshindernis vorliegt.
13.152
XI. Anerkennung von Entscheidungen in Betreuungssachen 1. Anerkennung nach dem ErwSÜ Schrifttum: Ch. Benicke, in NK-BGB, Anh. IV zu Art. 24 EGBGB, 3. Aufl. 2016, S. 2345; T. Guttenberger, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, 2004; R. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Teil S), 2. Aufl. 2018; T. Helms, Reform des internationalen Betreuungsrechts durch das Haager Erwachse-
257 R. Hausmann, Teil Q Rz. 30.
797
13.153
§ 13 Rz. 13.153 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen nenschutzabkommen, FamRZ 2008, 1995; Staudinger/v. Hein, Haager Erwachsenenschutzübereinkommen v. 13.1.2000 (ErwSÜ), in EGBGB/IPR Art. 19–24, Neubearb. 2019, S. 376.
Nach Art. 22 ErwSÜ sind die in einem Vertragsstaat getroffenen Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens eines Erwachsenen in den anderen Vertragsstaaten „automatisch“ anzuerkennen, sofern nicht ein Versagungsgrund vorliegt.258
13.154 Versagungsgründe sind nach Art. 22 II ErwSÜ (1) die fehlende internationale Zuständigkeit der anordnenden „Behörde“. Die Zuständigkeit muss sich aus Art. 5 ff. ErwSÜ ergeben. Dies gilt auch, soweit Schutzmaßnahmen gegenüber einem Minderjährigen angeordnet wurden und gem. Art. 2 II ErwSÜ nach Volljährigkeit bestehen bleiben.259 Das Vorliegen der Anerkennungszuständigkeit ist selbständig zu prüfen. Jedoch besteht nach Art. 24 ErwSÜ eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der erkennenden Behörde.260 (2) die Verletzung des rechtlichen Gehörs des betroffenen Erwachsenen (außer in dringenden Fällen), sofern dadurch ein ordre public-Verstoß eingetreten ist.261 (3) der offensichtliche Verstoß gegen den ordre public des ersuchten Staats. (4) die Unvereinbarkeit mit einer späteren Maßnahme eines nach dem Vertrag aber zuständigen Nichtvertragsstaats. Vorrang hat die spätere Maßnahme, weil diese vermutlich der Lage des Erwachsenen besser gerecht wird.262 (5) bei Anordnung der Unterbringung ein Verstoß gegen das Konsultationsverfahren des Art. 33 ErwSÜ.
13.155 Jeder Betroffene kann ungeachtet der automatischen Anerkennung im Anerkennungsstaat eine ausdrückliche Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der in einem anderen Vertragsstaat getroffenen Maßnahme beantragen (Art. 23 Satz 1 ErwSÜ). 13.156 Das Verfahren richtet sich gem. § 8 ErwSÜAG nach den §§ 1 ff. FamFG (Art. 23 Satz 2 ErwSÜ).263 Zuständig ist das Betreuungsgericht am Sitz des OLG für dessen gesamten Bezirk (§ 6 I Nr. 1 ErwSÜAG). Einzelheiten des Anerkennungsverfahrens regelt § 8 ErwSÜAG.
258 Staudinger/v. Hein, (2019) Art. 22 ErwSÜ Rz. 1 ff.; T. Guttenberger, S. 97 ff.; T. Helms, FamRZ 2008, 1995, 2000 f.; NK-BGB/Benicke, Art. 22 ESÜ Rz. 4 ff.; R. Hausmann, Teil S Rz. 12. 259 Staudinger/v. Hein, (2019) Art. 22 ErwSÜ Rz. 5; R. Hausmann, Teil S Rz. 18. 260 NK-BGB/Benicke, Art. 22 ESÜ Rz. 6; R. Hausmann, Teil S Rz. 17, 33 ff. 261 Staudinger/v. Hein, (2019) Art. 22 ErwSÜ Rz. 7 ff.; R. Hausmann, Teil S Rz. 19 ff. 262 Staudinger/v. Hein, (2019) Art. 22 ErwSÜ Rz. 13 ff.; R. Hausmann, Teil S Rz. 24 ff. 263 R. Hausmann, Teil S Rz. 32.
798
XII. Anerkennung in Erbrechtssachen | Rz. 13.159 § 13
2. Anerkennung nach autonomem Recht Betreuungsentscheidungen aus Nicht-Vertragsstaaten werden nach § 108 I FamFG automatisch anerkannt, sofern kein Anerkennungshindernis nach § 109 FamFG besteht. Bei Bedarf kann jeder Beteiligte eine gerichtliche Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung beantragen (§ 108 II FamFG). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 108 III FamFG.
13.157
XII. Anerkennung von Entscheidungen in Erbrechtssachen 1. Schrifttum F. Bauer, Art. 59 EuErbVO: Verfahrensrechtliche Kollisionsnorm zur Sicherung des freien Verkehrs öffentlicher Urkunden, GS Unberath, 2105, 19; Bergquist/Damascelli/Frimston/Lagarde/Odersky/Reinhartz, EU-Erbrechtsverordnung, 2015; M. Buschbaum/M. Kohler, Vereinheitlichung des Erbkollisionsrechts in Europa, GPR 2010, 162; M. Buschbaum/U. Simon, Beantragung und Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses sowie Verwendung eines ausländischen Europäischen Nachlasszeugnisses in Deutschland, Rpfleger 2015, 444; A. Deixler-Hübner/M. Schauer, Kommentar zur EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO), 2. Aufl. 2020; Ch. Dorsel, Europäische Erbrechtsverordnung und Europäisches Nachlasszeugnis, ZErb 2014, 212; A. Dutta/J. Weber, Internationales Erbrecht, 2016; J. Fitschen, „Recognition“, Acceptance and Enforcement of authentic instruments in the Succession Regulation, JPIL 8 (2012), 323; Geimer/Schütze, Europäische Erbrechtsverordnung, in Internationaler Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen, EL 49, 2015, S. 578.1; W. Gierl/A. Köhler/L. Kroiß/H. Wilsch, Internationales Erbrecht, 3. Aufl. 2019; St. Herzog, Die EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO), ErbR 2013, 2; J. Kleinschmidt, Optionales Erbrecht: Das Europäische Nachlasszeugnis als Herausforderung an das Kollisionsrecht, RabelsZ 77 (2013), 723; D. Looschelders, in Hüßtege/Mansel, NK-BGB, Bd. 6, 3. Aufl. 2019, S. 1124; H.-P. Mansel, Negotium und instrumentum – Zur Urkundenanerkennung und Urkundenannahme im Europäischen Kollisionsrecht, Liber amicorum Kohler, 2018, S. 301; J. Müller-Lukoschek, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, 2013; H. Pamboukis, EU Succession Regulation No. 650/2012, 2017; W. Rechberger, Das Europäische Nachlasszeugnis und seine Wirkungen, ÖJZ 2012, 14; J. Remde, Die Europäische Erbrechtsverordnung nach dem Vorschlag der Kommission vom 14.10.2009, RNotZ 2012, 65; D. Schäuble, Zur Anerkennung englischer Erbbescheinigungen, ZErb 2011, 267; M. Schauer, Europäisches Nachlasszeugnis, EF-Z 2012, 245; J. Schmidt, Der Erbnachweis in Deutschland ab 2015: Erbschein vs. Europäisches Nachlasszeugnis, ZEV 2014, 389; P. Schroer, Europäischer Erbschein, 2010; S. Weber, Das internationale Zivilprozessrecht erbrechtlicher Streitigkeiten, 2012. – Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht, BT-Drucks. 18/4201 v. 4.3.2015.
13.158
2. Anerkennung nach der EuErbVO Nach Art. 39 I EuErbVO (VO Nr. 650/2012 v. 4.7.2012)264 sind Entscheidungen eines Gerichts eines Mitgliedstaats in Erbsachen (Art. 3 I lit. g EuErbVO) in den anderen EU-Mitgliedstaaten „automatisch“, d.h. ohne besonderes Verfahren anzuerkennen. Gericht iS dieser Bestimmung kann auch eine sonstige Behörde oder ein Angehöriger eines Rechtsberufes sein, der gerichtliche Funktionen ausübt (Art. 3 II Eu264 ABl. EU Nr L 201/107.
799
13.159
§ 13 Rz. 13.159 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
ErbVO). Ein Notar, der auf Antrag eine Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung errichtet, erlässt insoweit keine Entscheidung i.S.v. Art. 3 I lit. g, II EuErbVO.265
13.160 Eine Entscheidung ist nicht anzuerkennen, wenn ein Versagungsgrund nach Art. 40 EuErbVO vorliegt. Versagungsgründe sind (1) der Verstoß gegen den nationalen ordre public, (2) die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten, (3) die Kollision mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaates und (4) die Kollision mit einer früheren Entscheidung eines anderen EU-Mitgliedstaates oder eines Drittstaates. Die darin aufgeführten Gründe entsprechen voll Art. 34 EuGVO a.F.266 (s. Rz. 12.39 ff.). Die Regelung des Art. 40 EuErbVO ist abschließend.267 Verstöße gegen die Art. 4 ff. EuErbVO sind kein Grund für die Nichtanerkennung. Nach Art. 41 EuErbVO ist eine révision au fond verboten. 13.161 Anerkennung bedeutet wie in der Brüssel Ia-VO Wirkungserstreckung aller Wirkungen der Entscheidung im Ursprungsstaat, ausgenommen die Vollstreckbarkeit.268 Die „automatische“ Anerkennung erfolgt meistens, indem ein Gericht oder eine Behörde über die Anerkennung inzident als Vorfrage für eine davon abhängige Frage entscheidet (Art. 39 III EuErbVO). Bei Bedarf kann aber jede Partei, die die Anerkennung geltend macht, ein selbständiges Anerkennungsverfahren nach Art. 39 II i.V.m. Art. 45-58 EuErbVO betreiben. Nach dem Wortlaut von Art. 39 II EuErbVO, der Art. 36 II EuGVO n.F. entspricht, kann nur eine positive Feststellung beantragt werden.269
13.162 Abweichend von der EuGVO sind in Erbsachen nach Art. 59 EuErbVO auch öffentliche Urkunden eines Mitgliedstaats in den anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen, es sei denn, ihre Gültigkeit sei im Ursprungstaat angefochten worden oder der Anerkennung stehe der ordre public des Anerkennungsstaats entgegen. Ziel dieser Regelung ist die freie Zirkulation und Verwendbarkeit von Urkunden in allen EUMitgliedstaaten.270 Errichtet ein Notar eine Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung, so handelt es sich um eine Urkunde i.S.d. Art. 59 EuErbVO.271 Formal ist dieses Ziel aber bereits durch Abschaffung der Legalisation erreicht. Für eine wie bei Entscheidungen vergleichbare Wirkungserstreckung besteht bei Urkunden keine Grundlage; nach IPR gelten die darin abgegebenen Parteierklärungen entsprechend dem Erbstatut.272
265 EuGH – C-658/17, ECLI:EU:C:2019:444 – WB, FamRZ 2019, 1184 (M. Fornasier) = ErbR 2019, 421 (P. Mankowski). 266 Vgl. Rauscher/Hertel, EuZPR/EuIPR, (2016) EuErbVO Art. 40 Rz. 1 ff. 267 Geimer/Schütze/Franzmann/Schwerin, Art. 40 EuErbVO Rz. 2. 268 Geimer/Schütze/Franzmann/Schwerin, Art. 40 EuErbVO Rz. 11. 269 Dutta/Weber/Weber, Art. 39 EuErbVO Rz. 33; a.A. Geimer/Schütze/Franzmann/Schwerin, Art. 39 EuErbVO Rz. 13. 270 Vgl. F. Bauer, GS Unberath, 2015, 19. 271 EuGH – C-658/17, ECLI:EU:C:2019:444 – WB, FamRZ 2019, 1184 (M. Fornasier). 272 M. Buschbaum/M. Kohler, GPR 2010, 162, 164; H.-P. Mansel, Liber amicorum Kohler, 2018, 301, 303 ff.
800
XII. Anerkennung in Erbrechtssachen | Rz. 13.166 § 13
Nach Art. 60 EuErbVO sind in einem EU-Mitgliedstaat aufgenommene vollstreckbare Urkunden in Erbsachen auch in den anderen Mitgliedstaaten für vollstreckbar zu erklären. Gleiches gilt für die Vollstreckbarerklärung gerichtlicher Vergleiche (Art. 61 EuErbVO).
13.163
3. Europäisches Nachlasszeugnis Mit der EuErbVO wurde zum 17.8.2015 (Art. 84 EuErbVO) ein Europäisches Nachlasszeugnis eingeführt. Nach Art. 63 I EuErbVO dient dieses Zeugnis in allen EUMitgliedstaaten als Nachweis für die Stellung als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter.273 Nach Art. 62 EuErbVO wird es zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt, kann also nur beantragt werden, wenn der Nachlassfall einen Auslandsbezug hat.274 Auslandsvermögen muss aber nicht nachgewiesen werden; es genügt, dass der Antragsteller das Zeugnis im Ausland, z.B. bei der Verwertung eines Nachlassgegenstandes, gebrauchen will.275 Nach Art. 69 I EuErbVO entfaltet es seine Wirkung „automatisch“ in allen EU-Mitgliedstaaten276 und nach Art. 62 III 2 EuErbVO hat es diese Wirkungen auch in dem Staat, der es ausgestellt hat. Neben dem Europäischen Nachlasszeugnis muss also im Inland nicht zusätzlich ein deutscher Erbschein beantragt werden. Das Europäische Nachlasszeugnis ist aber nach Art. 62 II EuErbVO nur ein fakultatives Instrument. Jedem möglichen Antragsteller steht es frei, das nationale Erbzeugnis oder das Europäische Nachlasszeugnis (s. Erwägungsgrund 69) oder auch beide zu beantragen.
13.164
Das Europäische Nachlasszeugnis wird gem. Art, 67 I 2, 81 II EuErbVO auf einem Formblatt277 erteilt, das alle in Art. 68 EuErbVO aufgelisteten Angaben enthält.
13.165
Wie bei einem Erbschein (§ 2365 BGB) geht von dem Europäischen Nachlasszeugnis die (widerlegliche)278 Vermutung der Richtigkeit der darin bezeugten Erbfolge aus (Art. 69 II 1 EuErbVO). Diese Vermutung erstreckt sich auch auf die Rechte und Beschränkungen der Erben, der Vermächtnisnehmer (!), Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter (Art. 69 II 2 EuErbVO). Wie im deutschen Recht (§ 2367 BGB) darf an den durch das Europäische Nachlasszeugnis Legitimierten befreiend geleistet werden (Art. 69 III EuErbVO) und kann von ihm (gutgläubig) wirksam aus dem Nachlass erworben werden (Art. 69 IV EuErbVO).279 Eine Vermutung, dass der veräußerte Gegenstand zum Nachlass gehörte, besteht dagegen nicht; ein Gutglaubensschutz ergibt sich insoweit nur aus §§ 932 ff. und § 892 BGB.280 Nach Art. 69 V EuErbVO legitimiert das Europäische Nachlasszeugnis auch für die Eintragung in öffentliche Register, wie das Grundbuch (s. auch § 35 I GBO). Wer seine Berechtigung
13.166
273 M. Buschbaum/M. Kohler, GPR 2010, 162, 165; Ch. Kohler/W. Pintens, FamRZ 2012, 1425, 1429; M. Schauer, EF-Z 2012, 245. 274 Geimer/Schütze/Dorsel, Art. 62 EuErbVO Rz. 2. 275 Dutta/Weber/Fornasier, Art. 62 EuErbVO Rz. 3. 276 Vgl. St. Herzog, ErbR 2013, 2, 13. 277 Formblatt V der Durchführungs-VO (EU) Nr. 1329/2014 v. 9.12.2014 (ABl. Nr. L 359/30). 278 Dutta/Weber/Fornasier, Art. 69 EuErbVO Rz. 7. 279 Vgl. K.W. Lange, DNotZ 2012, 168, 176 f. 280 Dutta/Weber/Fornasier, Art. 69 EuErbVO Rz. 19.
801
§ 13 Rz. 13.166 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
durch das Europäische Nachlasszeugnis nachweisen will, hat eine beglaubigte Abschrift des Zeugnisses vorzulegen (vgl. Art. 79 I EuErbVO). Diese Abschrift ist aber nur für i.d.R. sechs Monate ab Ausstellung gültig. Bei beantragten Grundbucheintragungen verfällt das Zeugnis, wenn die Frist zwar bei Antragstellung gewahrt ist, aber vor Eintragung in das Grundbuch abläuft.281 Sofern zum gleichen Erbfall auch ein nationaler Erbnachweis ausgestellt wird und dieser inhaltlich dem Europäischen Nachlasszeugnis widerspricht, ist dessen Vermutung der Richtigkeit aufgehoben.282 4. Anerkennung nach Staatsverträgen
13.167 Erbrechtliche Zeugnisse sind darüber hinaus nach bilateralen Verträgen anzuerkennen. Frühere bilaterale Staatsverträge haben nach Art. 75 I EuErbVO Vorrang vor der EuErbVO. Nach § 17 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens (Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags v. 29.5.1929)283 genügt ein Zeugnis der zuständigen Behörde des Heimatstaates des Erblassers zum Nachweis der Erbberechtigung hinsichtlich des beweglichen Nachlasses.284 Insoweit ist in Deutschland ein türkischer Erbschein anzuerkennen; umgekehrt sind in der Türkei deutscher Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis anzuerkennen.285 5. Anerkennung in anderen Fällen
13.168 Im Übrigen wird die Ansicht vertreten, dass ausländische Erbbescheinigungen nicht anerkannt werden können, da die Vermutung der Erbberechtigung eine materiellrechtliche Wirkung sei, die nicht der verfahrensrechtlichen Anerkennung unterliege.286 Denkbar sei zwar eine materielle „Anerkennung“, d.h. eine Tatbestandswirkung des ausländischen Erbfolgezeugnisses in Form der Substitution. Im Rahmen des Nachweises der Erbfolge nach § 2365 BGB bzw. § 35 GBO scheide aber eine solche Substitution aus.287 Überzeugender ist das Argument, dass ein sachlich auf das jeweilige ausländische Vermögen beschränktes Erbzeugnis darüber hinaus keine Rechtswirkung im Ausland entfalten kann.
XIII. Anerkennung von Personenstandsurkunden (Statusverhältnissen) 13.169 Schrifttum: M. Buschbaum, Anerkennung von Rechtslagen aufgrund von Personenstands-
urkunden?, StAZ 2011, 106; Dutta/Freitag/Helms/Kissner, Der freie Verkehr öffentlicher Urkunden und die gegenseitige Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkun281 KG, FamRZ 2020, 53 = IPRax 2020, 250 (dazu U. Bergquist, S. 232). 282 Dutta/Weber/Fornasier, Art. 62 EuErbVO Rz. 20; Geimer/Schütze/Dorsel, Art. 62 EuErbVO Rz. 15. 283 RGBl. 1930 II, 748; abgedruckt in Jayme/Hausmann, Nr. 62. 284 Staudinger/Dörner, (2007), vor Art. 25 f EGBGB Rz. 189 f. 285 Dutta/Weber/Bauer, Art. 75 EuErbVO Anh. II Rz. 11. 286 D. Schäuble, ZErb 2011, 267, 268; Prütting/Helms/Hau, § 108 FamFG Rz. 17. 287 D. Schäuble, ZErb 2011, 267, 269 f.; Prütting/Helms/Hau, § 108 FamFG Rz. 18.
802
XIII. Anerkennung von Personenstandsurkunden | Rz. 13.172 § 13 den in der Europäischen Union, StAZ 2011, 165; K. Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 2009; H.-P. Mansel/D. Coester-Waltjen/D. Henrich/Ch. Kohler, Stellungnahme im Auftrag des Deutschen Rates für IPR zum Grünbuch der Europäischen Kommission ..., IPRax 2011, 335; C. F. Nordmeier, Stand, Perspektiven und Grenzen der Rechtslagenanerkennung im europäischen Rechtsraum anhand Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte, IPRax 2012, 31; W. Rechberger, Zur „Zirkulation“ öffentlicher Urkunden in Europa, FS Klamaris, Bd. 2, 2016, S. 621; J. Rieks, Anerkennung im Internationalen Privatrecht, 2011; H. J. Sonnenberger, Anerkennung statt Verweisung?, FS Spellenberg, 2010, S. 371; R. Wagner, Anerkennung von Personenstandsurkunden – was heißt das?, DNotZ 2011, 176; R. Wagner, Inhaltliche Anerkennung von Personenstandurkunden – ein Patentrezept?, FamRZ 2011, 609; R. Wagner, Anerkennung im Ausland begründeter Statusverhältnisse – neue Wege?, StAZ 2012, 133; M. Weller, Europäisches Kollisionsrecht, in Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (§ 8A VI 4), 2016, S. 929. – Verordnung (EU) 2016/1191 v. 6.7.2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden ... (ABl. EU 2016 Nr. L 200/1) (EU-Apostillen-VO) Dutta/Frank/Freitag/Helms/Krömer/Pintens, Ein Name in ganz Europa – Entwurf einer Europäischen Verordnung über das Internationale Namensrecht, StAZ 2016, 33.
Aus der Freizügigkeit des Personenverkehrs (Art. 21 AEUV; vorher Art. 18 EGV) leitet der EuGH ab, dass behördliche Verwaltungsakte, die dem Betroffenen in einem Mitgliedstaat der EU eine gewisse Rechtsstellung verleihen, auch in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind. Dies gelte auch und gerade dann, wenn die materielle Rechtslage in dem Zweitstaat mit derjenigen im Erststaat nicht übereinstimmt. Im Fall Grunkin ging es um die Namensführung eines deutschen Kindes, das in Dänemark geboren wurde und dort nach dänischem Recht einen aus beiden Namen der Eltern gebildeten Doppelnamen erhielt, während das Kind nach damaligem deutschem Recht (Art. 10 I EGBGB i.V.m. § 1616 BGB) nur den Ehenamen der Eltern als Geburtsnamen erhalten konnte. Nach Ansicht des EuGH muss das Kind den in Dänemark legal erworbenen Namen auch in Deutschland führen dürfen.288
13.170
Von dieser Rechtsprechung ausgehend beabsichtigt die EU-Kommission, eine allgemeine Anerkennung von Personenstandsurkunden in der EU einzuführen. Gemeint ist damit nicht die Anerkennung der formellen Beweiskraft oder der Echtheit, sondern eine inhaltliche Anerkennung der darin bezeugten Rechtsstellung, die bisher nur über IPR und materielles Sachrecht gewährleistet war.289
13.171
Wird ein nichtehelicher Vater aufgrund eines wirksam beurkundeten Vaterschaftsanerkenntnisses als Vater in ein französisches Register eingetragen und eine entsprechende Geburtsurkunde in Frankreich ausgestellt, so ist dieses Anerkenntnis auch im deutschen Geburtenbuch beizuschreiben, selbst wenn die nach § 1595 BGB erforderliche Zustimmung der Mutter fehlt.290
13.172
288 EuGHE 2008, I-7639 (Grunkin) = FamRZ 2008, 2089 (K. Funken); dazu F. Wall, IPRax 2010, 433; N. Koritz, FPR 2008, 629; D. Martiny, DNotZ 2009, 453. 289 Vgl. R. Wagner, DNotZ 2011, 176, 185 ff.; krit. M. Weller, in Gebauer/Teichmann, Europ. Privat- u. Unternehmensrecht, 2016, § 8 Rz. 137 ff. (Rechtslagenshopping; Metakollisionsrecht). 290 KG, NJW 2011, 535.
803
§ 13 Rz. 13.173 | Anerkennung in Familien- u. Erbrechtssachen
13.173 Mit Gesetz v. 23.1.2013291 hat der deutsche Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert. Nach dem neu gefassten Art. 48 EGBGB kann danach eine Person, deren Namen deutschem Recht unterliegt, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen EU-Mitgliedstaat erworbenen und dort im Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen, sofern dessen Führung nicht dem deutschen ordre public widerspricht.292 Der BGH verlangt weitergehend, dass der Name vom Ursprungsstaat rechtmäßig erworben wurde.293 13.174 Auch diese Regelung hat der EuGH beanstandet. Besitzt ein Angehöriger eines Mitgliedstaates auch die Staatsangehörigkeit eines weiteren Mitgliedstaates, so muss er den in einem seiner Heimatstaaten rechtmäßig geänderten Namen auch in den anderen Mitgliedstaaten führen dürfen. Darauf, ob er während der Namensänderung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem ändernden Mitgliedstaat hatte, komme es nicht an. Soweit eine Namensänderung nach dem Namensänderungsgesetz möglich sei, folge aus Art. 21 AEUV, dass das Ermessen im Sinne einer Verpflichtung zur Namensänderung ausgeübt werden müsse.294
291 BGBl. 2013 I, 101. Zur Begründung s. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 17.10.2012, BT-Drucks. 17/11049, 15. 292 Vgl. R. Freitag, Die Namenswahl nach Art. 48 EGBGB, StAZ 2013, 69. 293 BGH, IPrax 2020, 354; dazu P. Mankowski, IPrax 2020, 323. 294 EuGH – C-541/15, ECLI:EU:C:2017:432 – Freitag, IPRax 2018, 416 (dazu S. L. Gössl, S. 376).
804
§ 14 Europäische Vollstreckungstitel I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens . . . . . . . . . 3. Einwände im Vollstreckungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfassende Abschaffung des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . 3. Einwände gegen die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat . . 4. Vollstreckungsabwehrklage . . . . III. Vollstreckungstitel nach der EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Titel in einer Zivil- oder Handelssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Titel über eine „unbestrittene Geldforderung“ . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen für eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mindestvorschriften für das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Heilung von Zustellungsmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsbehelf bei schuldloser Nichtverteidigung . . . . . . . . . . . . g) Bestätigung deutscher Titel . . . . h) Berichtigung oder Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . 3. Bestätigung der Nichtvollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vollstreckung des Europäischen Vollstreckungstitels . . . . . . . . . .
14.1 14.1 14.2 14.5 14.6 14.6 14.7 14.18 14.25 14.26 14.29 14.29 14.30 14.30 14.33 14.40 14.45 14.53 14.56 14.59 14.62 14.65
a) Keine Vollstreckbarerklärung . . 14.66 b) Vorzulegende Urkunden . . . . . . 14.67 c) Vollstreckung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.68 d) Verweigerung der Vollstreckung nur wegen Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung . . 14.70 e) Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . 14.72 f) Vollstreckungsabwehrklage . . . 14.74 V. Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts . . . . . . . . . . 14.77 VI. Der Europäische Zahlungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.78 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.78 2. Der Zahlungsbefehl als Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.79 3. Überprüfung des Zahlungsbefehls im Ursprungstaat . . . . . 14.80 4. Verweigerung der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.85 5. Vollstreckungsabwehrklage . . . 14.89 VII. Entscheidungen im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen . . . . . . . . . . . . . 14.92 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.92 2. Abschaffung des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.93 3. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 14.94 4. Ablehnung der Vollstreckung . 14.95 5. Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . 14.96 6. Vollstreckungsabwehrklage . . . 14.97 VIII. Entscheidungen in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.98 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.98 2. Kein Exequaturverfahren . . . . . 14.99 3. Nachprüfung im Ursprungsland 14.101 4. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 14.105
14.66
805
§ 14 Rz. 14.1 | Europäische Vollstreckungstitel 5. Durchführung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.107 6. Rechtsbehelfe im Vollstreckungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.111 7. Abänderung von Unterhaltsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 14.117 IX. Entscheidungen in Gewaltschutzsachen . . . . . . . . . . . . . . . 14.118 X. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . 14.121
1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.121 2. Titel zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes nach Brüssel IIa-VO 2003 . . . . . . . . . 14.122 3. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung nach der Brüssel IIb-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.136
I. Allgemeines 1. Schrifttum 14.1 L. d’Avout, La circulation automatique des titres exécutoires imposée par le règlement 805/
2004 au 21 avril 2004, Rev.crit. 2006, 1; I. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung in Europa, 2008, S. 183 ff., 358 ff., 484 ff.; E.-M. Bajons, Von der Internationalen zur Europäischen Urteilsanerkennung und -vollstreckung. Entwicklungsstadien des österreichischen Rechts auf dem Weg zum Europäischen Vollstreckungstitel, FS Rechberger, 2005, S. 1; Baur/Stürner/ Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 55 VII; U. Becker, Grundrechtsschutz bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im europäischen Zivilverfahrensrecht, Bestimmung der Grenzen für die Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, 2004; D.-Ch. Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, 2008; D.-Ch. Bittmann, Der Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 104 ZPO als Europäischer Vollstreckungstitel, Rpfleger 2009, 369; D.-Ch. Bittmann, Der europäische Vollstreckungstitel, AnwBl. 2011, 378; A. Burgstaller/M. Neumayr, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, ÖJZ 2006, 179; D. Coester-Waltjen, Einige Überlegungen zu einem künftigen europäischen Vollstreckungstitel, FS Beys, 2003, S. 183; D. Coester-Waltjen, Der Europäische Vollstreckungstitel – Bestandsaufnahme und kritische Bewertung, FS Ansay, 2006, S. 47; C. Crifo, First steps towards the Harmonization of Civil Procedure: The Regulation creating an European Enforcement Order for uncontested claims, C.J.Q. 24 (2005), 200; C. Crifo, Cross-Border Enforcement of Debts in the European Union, 2009, S. 61; M. Ernst, Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, JurBüro 2005, 568; Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen, Bd. V/1, 2. Aufl. 2008; T. Franzmann, Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 – notarielle Urkunden europaweit vollstreckbar, MittBayNot 2004, 404; T. Franzmann, Der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen – Hinweise für die notarielle Praxis, MittBayNot 2005, 470; T. Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, 2006; Th. Garber, Zur Bestätigung einstweiliger Maßnahmen als Europäischer Vollstreckungstitel, in Zivilverfahrensrecht Jahrbuch 2009, S. 73; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Lakkis, Zwangsvollstreckungsrecht (§ 12), 12. Aufl. 2010, S. 219; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 28, 2. Aufl. 2010, S. 1497; R. Geimer, Verbesserung der Rechtsverfolgung über die Grenze in der Europäischen Union – Einige Bemerkungen zum Europäischen Vollstreckungstitel, Festgabe Vollkommer, 2006, S. 385; S. Gerling, Die Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln durch die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, 2006; B. Gsell, Die Geltendmachung nachträglicher materieller Einwendungen im Wege der Vollstreckungsgegenklage bei Titeln aus dem Europäischen Mahnoder Bagatellverfahren, EuZW 2011, 87; Ph. Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit,
806
I. Allgemeines | Rz. 14.1 § 14 2020; M. Hazelhorst, Free Movement of civil Judgments in the European Union and the Right to a Fair Trial, 2017; B. Hess, Europäischer Vollstreckungstitel und nationale Vollstreckungsgegenklage, IPRax 2004, 493; R. Hüßtege, Der europäische Vollstreckungstitel, in Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union, 2004, S. 113; R. Hüßtege, Braucht die Verordnung über den europäischen Vollstreckungstitel eine ordre-public-Klausel?, FS Jayme, 2004, S. 371; Ch. Kohler, Von der EuGVVO zum Europäischen Vollstreckungstitel, in Reichelt/Rechberger, Europäisches Kollisionsrecht, 2004, S. 63; Ch. Kohler, Quantensprung im europäischen Justizraum, RIW 2003, Heft 10 (Erste Seite); X. E. Kramer, Enhancing Enforcement in the European Union. The European Order for Payment Procedure and its Implementation in the Member States, in van Rhee/Uzelac, Enforcement and Enforceability, 2010, S. 17; Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, S. 763; St. Leible/Lehmann, Die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen und ihre Auswirkungen auf die notarielle Praxis, NotBZ 2004, 453; F. Loyal, Parteivereinbarungen bei der Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen anderer EU-Mitgliedstaaten, GPR 2018, 63; J. Luckey, Der Europäische Vollstreckungstitel (EG-VO Nr. 805/ 2004), ZGS 2005, 420; J. Luckey, Gerichtsvollzieher ohne Grenzen, ProzRB 2005, 242; G. Mäsch/M. Peiffer, Das neue Vollstreckungsregime unter der Brüssel Ia-VO, RIW 2019, 245; P. Mankowski, Europäischer Vollstreckungstitel und prozessualer Verbraucherschutz, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 785; P. Mankowski, Europäischer Vollstreckungstitel und prozessualer Verbraucherschutz, FS Kerameus, 2009, S. 785; P. Mankowski, Prozessualer Verbraucherschutz beim Europäischen Vollstreckungstitel, VuR 2010, 16; C. Meller-Hannich, Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen dem europäischen Zivilprozessrecht und dem deutschen Vollstreckungsrecht, ZVglRWiss 119 (2020), 254; J. Münch, Die vollstreckbare Notariatsurkunde im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 805/2004, FS Rechberger, 2005, S. 395; P. Oberhammer, Der Europäische Vollstreckungstitel: Rechtspolitische Ziele und Methoden, JBl 2006, 477; M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, S. 534 ff.; Th. Pfeiffer, Einheitliche und unbedingte Urteilsgeltung in Europa, FS Jayme, 2004, S. 675; Th. Pfeiffer, Europa als einheitlicher Vollstreckungsraum, BauR 2005, 1541; H. Rausch, Vereinfachte Unterhaltsvollstreckung in der EU mit dem neuen Europäischen Vollstreckungstitel, FuR 2005, 437; H. Rausch, Der Europäische Vollstreckungstitel – Erleichterungen bei grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung, FamRBint 2005, 79; Th. Rauscher, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, 2004; Th. Rauscher, Ehegüterrechtlicher Vertrag und Verbraucherausnahme? – Zum Anwendungsbereich der EuVTVO, IPRax 2011, 484; W. Rechberger, Die Verordnung zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen und die europäische Rechtskultur, FS Kerameus, 2009, S 1141; C. H. van Rhee/A. Uzelac, Enforcement and Enforceability, Tradition and Reform, 2010; B. Ringwald, Europäischer Vollstreckungstitel nach EuVTVO und Rechtsbehelfe des Schuldners, 2010; H. Schack, Anerkennungs- und Versagungsgründe im Europäischen Zivilprozessrecht, ZVglRWiss 119 (2020), 237; E. Storskrubb, Civil Procedure and EU-Law, 2008, p 153; A. Stadler, Kritische Anmerkungen zum Europäischen Vollstreckungstitel, RIW 2004, 801; A. Stadler, Das europäische Zivilprozessrecht – Wie viel Beschleunigung verträgt Europa?, IPRax 2004, 2; Ch. Strasser, Praxisprobleme bei der Zwangsvollstreckung aus einem Europäischen Vollstreckungstitel, Rpfleger 2007, 249; Ch. Strasser, Europäischer Vollstreckungstitel bei Verbraucherbeteiligung, RpflStud. 2014, 41; M. Stürner, Rechtsschutz gegen fehlerhafte Europäische Vollstreckungstitel, GPR 2010, 43; M. Stürner, Die EuVTVO als Baustein des Europäischen Zivilprozessrechts, FS Simotta, 2012, S. 587; M. Stürner, Der Anwendungsbereich der EU-Verordnungen zur grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung, ZVglRWiss 119 (2020), 143; B. Sujecki, Niederländisches Gesetz zur Durchführung der VO (EG) Nr. 805/2004 zum Europäischen Vollstreckungstitel, IPRax 2006, 525; G. Tarzia, Il titulo esecutivo Europeo per i crediti non contestati, FS Schlosser, 2005, S. 985; D. Tsikrikas, Einlegung von Rechtsbehelfen im Vollstreckungsverfahren aufgrund eines Europäischen Vollstreckungstitels, ZZPInt 11 (2006), 51; R. Wagner, Der Europäische Vollstreckungstitel, NJW
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§ 14 Rz. 14.1 | Europäische Vollstreckungstitel 2005, 1157; R. Wagner, Die neue EG-Verordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel, IPRax 2005, 189; R. Wagner, Das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 805/ 2204 zum Europäischen Vollstreckungstitel, IPRax 2005, 401; A. Windolf/St. Zemmrich, Der europäische Vollstreckungstitel – schon jetzt ein „Dauerbrenner“ im Europäischen Zivilprozessrecht?, JuS 2007, 803.
2. Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens
14.2 Mit der Europäischen Vollstreckungstitel-Verordnung begann eine „neue Generation“ europäischer Rechtsinstrumente.1 Um ein wirklich reibungsloses Funktionieren des europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten, hat sich der Europäische Rat das Ziel gesetzt, eine uneingeschränkte Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu verwirklichen. In einer ersten Phase hat die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 (EuVTVO) das Vollstreckbarerklärungsverfahren für unbestrittene Forderungen in Zivil- und Handelssachen (Art. 2 I 1 EuVTVO) abgeschafft. Art. 5 EuVTVO sieht ausdrücklich vor, dass eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedsstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt wird, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.2 Sinngemäß bezieht sich die in Art. 5 EuVTVO vorgesehene Anerkennung auf die Vollstreckbarkeit,3 denn die Anerkennung erfolgt ja bereits nach den Art. 33 ff. EuGVO. § 1082 ZPO wiederholt bzw. konkretisiert diese Regel dahin, dass die Zwangsvollstreckung im Inland aus dem Europäischen Vollstreckungstitel stattfindet, ohne dass es einer Vollstreckungsklausel bedarf. Diesen Weg ist der Europäische Rat konsequent weitergegangen. 14.3 Seit dem Inkrafttreten der neu gefassten EuGVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012)4 ist der Europäische Vollstreckungstitel innerhalb der EU für Zivil- und Handelssachen der Normalfall (s. Rz. 14.6 ff.). Bereits seit 2008 sind Unterhaltsentscheidungen der meisten EU-Mitgliedstaaten ex lege vollstreckbar. Ab 2022 werden auch Entscheidungen in Ehesachen und Verfahren über die elterliche Verantwortung nach der neu gefassten Brüssel IIb-VO ex lege vollstreckbar sein. Eine Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaates ist dann nur noch in Sonderfällen erforderlich. 14.4 Nach der EuVTVO hat der Gläubiger stets die Wahl, ob er einen Titel als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen lässt oder ob er seine Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat beantragt; er kann auch beide Wege gleichzeitig einschlagen (Art. 27 EuVTVO).5 Ist der Titel aber auf der einen oder anderen Grundlage voll1 Vgl. F. Frattini, ZEuP 2006, 225, 230; Ch. Kohler, RIW 2003, Heft 10, Erste Seite; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ZPO Anh EuVollstrTitelVO Vorbem. Rz. 2. 2 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuVTVO Rz. 3; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 1 ff. 3 Burgstaller/Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 188. 4 Abl EU Nr L 351/1 v. 20.12.2012. 5 Burgstaller/Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 183; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 199.
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II. Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung | Rz. 14.6 § 14
streckbar, so entfällt i.d.R. das Rechtsschutzinteresse dafür, einen weiteren Vollstreckungstitel zu erlangen.6 3. Einwände im Vollstreckungsstaat Gegen eine rein technische Vereinfachung des Verfahrens ist kaum etwas einzuwenden. Doch besteht verbreitet die Sorge, dass der Rechtschutz entscheidend verkürzt wird, wenn der Schuldner die Vollstreckung selbst trotz gravierender Rechtsverletzungen in seinem Wohnsitzstaat nicht mehr verhindern könnte.
14.5
Der europäische Gesetzgeber schwankt insoweit in seinen Lösungen. In der EuVTVO gibt es entgegen zahlreichen Stimmen derzeit weder bei der Bestätigungsprüfung noch später im Vollstreckungsstaat irgendeine ordre public-Kontrolle.7 Wird ein Titel in einem EU-Mitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, findet eine ordre public-Prüfung im Vollstreckungsstaat nicht statt.8 Dadurch sollen die Einheitlichkeit des europäischen Rechtsraums betont und das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege gestärkt werden. Die Versagungsgründe der Art. 34, 35 EuGVO a.F. können dem Europäischen Vollstreckungstitel nach der EuVTVO nicht entgegengehalten werden. Allerdings wird ein Teil der wesentlich gleichen Gründe im Ursprungsstaat vor der Bestätigung des Titels als Europäischer Vollstreckungstitel geprüft.9 Gegenüber einem Europäischen Zahlungsbefehl und gegenüber einem Titel nach dem Verfahren über geringfügige Forderungen kann sich der Schuldner im Vollstreckungsstaat nur auf die Unvereinbarkeit mit einem anderen Titel berufen (s. Rz. 14.85, 14.95). Fällt ein Titel dagegen nur unter die neu gefasste EuGVO, kann der Schuldner die Vollstreckung weiterhin durch Berufung auf alle klassischen Versagungsgründe mittels Rechtsbehelf im Vollstreckungsstaat abwehren (s. Rz. 14.18 ff.).
II. Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung 1. Schrifttum T. Alio, Die Neufassung der Brüssel I-Verordnung, NJW 2014, 2395; R. Arenas Garcia, Abolition of exequatur: problems and solutions, Yearbook PIL 12 (2010), 351; P. Beaumont/L. Walker, Recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters in the Brussels I Recast and some lessons from it and the recent Hague conventions for the Hague 6 BGH, RIW 2010, 231 (Tz. 10) = IPRax 2011, 81 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 55); vgl. Rauscher/Pabst, (2015) Art. 27 Eu-VollstrTitelVO Rz. 12. 7 D. Coester-Waltjen, FS Beys, S. 183, 193; Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuVTVO Rz. 5, 14; vgl. R. Hüßtege, FS Jayme, S. 371; Th. Pfeiffer, FS Jayme, S. 675; krit. E.-M. Bajons, FS Rechberger, S. 1, 18; H. Schack, SchlHA 2006, 115, 118; S. Gerling, S. 199 ff., 242 ff. 8 BGHZ 201, 22 (Rz. 13 ff.) = NJW 2014, 2363. 9 Kropholler/v. Hein, Art. 5 EuVTVO Rz. 4; krit. Rauscher/Pabst, (2015) Art. 5 EuVollstTitelVO Rz. 10 ff.
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14.6
§ 14 Rz. 14.6 | Europäische Vollstreckungstitel Judgments Project, JPIL 11 (2015), 31; G. Cuniberti/I. Rueda, Abolition of exequatur, RabelsZ 75 (2011), 286; T. Domej, Die Neufassung der EuGVVO, RabelsZ 78 (2014), 508; R. Geimer, Unionsweite Titelvollstreckung ohne Exequatur nach der Reform der Brüssel I-Verordnung, FS Schütze, 2014, S. 109; S. Gössl, Die Vollstreckung von dynamischen Zinssätzen unter der neuen EuGVVO, NJW 2014, 3479; U. Grohmann, Die Reform der EuGVVO, ZIP 2015, 16; W. Hau, Brüssel Ia – Neue Regeln für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, MDR 2014, 1417; J. Haubold, Europäische Titelfreizügigkeit und Einwände des Schuldners in der Zwangsvollstreckung, FS Schütze, 2015, S. 163; B. Hess, Urteilsfreizügigkeit nach der VO Brüssel-Ia: beschleunigt oder ausgebremst?, FS Gottwald, 2014, S. 273; E.-M. Kieninger, Die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in der EuGVVO und die Zukunft des Verbraucherschutzes, VuR 2011, 243; B. König/ E. Praxmarer, Erweiterung der Gründe für ein Versagungsverfahren (Art. 45 Brüssel Ia-VO) im Interesse des Schuldnerschutzes?, ecolex 2015, 290; F. Loyal, Parteivereinbarungen bei der Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen anderer EU-Mitgliedstaaten, GPR 2018, 63; G. Mäsch/M. Peiffer, Das neue Vollstreckungsregime unter der Brüssel Ia-VO, RIW 2019, 245; P. Oberhammer, The abolition of exequatur, IPRax 2010, 197; M. Pohl, Die Neufassung der EuGVVO – im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Kontrolle, IPRax 2013, 109; H. Schack, The misguided abolition of exequatur proceedings in the European Union, FS Ereciński, 2011, S. 1345; M. Thöne, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO: Bestandsaufnahme, Bewertung, Ausblick, 2016; M. Stürner, Die Vollstreckung aus ausländischen Zivilurteilen nach der Brüssel Ia-VO, DGVZ 2016, 215; L. Timmer, Abolition of Exequatur under the Brussels I Regulation: Ill conceived and premature?, JPIL 9 (2013), 129; B. Ulrici, Inländische Anerkennungs- und Vollstreckungsbescheinigung nach der Brüssel Ia-VO, GPR 2015, 295; B. Ulrici, Anerkennung und Vollstreckung nach Brüssel Ia, JZ 2016, 127; B. Ulrici, Vollstreckung nach der Brüssel Ia-VO bei Abhängigkeit von einer Sicherheitsleistung, RIW 2019, 406; R. Wagner/M. Beckmann, Beibehaltung oder Abschaffung des Vollstreckbarkeitserklärungsverfahrens in der EuGVVO?, RIW 2011, 44; Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 13/2 Brüssel Ia-VO, 4. Aufl. 2019; D. Wiedemann, Vollstreckbarkeit: Entwicklung, Wirkungserstreckung und Qualifikation im System Brüssel Ia, 2017; H. Zimmer, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens im Rahmen der Brüssel Ia-VO, 2019.
2. Umfassende Abschaffung des Exequaturverfahrens
14.7 Die neugefasste EuGVO (VO (EU) Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012)10 verzichtet ganz auf das Verfahren der Vollstreckbarerklärung. Nach Erwägungsgrund 26 Satz 2 und Art. 39 EuGVO n.F. ist eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die dort vollstreckbar ist, auch in allen anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedürfte. Dies gilt auch für nur vorläufig vollstreckbare Entscheidungen. Auf einen Auslandsbezug des zugrunde liegenden Sachverhalts kommt es nicht an.11 Diese Regelung gilt nach Art. 66 I EuGVO n.F. für alle Entscheidungen aus Verfahren, die ab dem 10.1.2015 eingeleitet wurden. Für Entscheidungen aus vorher eingeleiteten Verfahren bleibt es bei der Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff. EuGVO a.F. (Brüssel I-VO) (s. Rz. 15.8 ff.).12 14.8 Abgeschafft ist das Exequaturverfahren auch für entsprechende öffentliche Urkunden und für gerichtliche Vergleiche, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar 10 ABl. EU Nr L 351/1 v. 20.12.2012. 11 R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 196; M. Stürner, ZVglRWiss 119 (2020), 143, 153. 12 Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 2018, 624 (Rz. 7 f.).
810
II. Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung | Rz. 14.11 § 14
sind (Art. 58, 59 EuGVO n.F.).13 Über die vollstreckbare Verpflichtung wird dem Gläubiger im Ursprungstaat eine Bescheinigung auf einem Formblatt ausgestellt (Art. 60 EuGVO n.F.).14 Als Folge der Vollstreckbarkeit ex lege hat der Gläubiger nach der Neufassung der EuGVO dieselben Befugnisse, die er nach der bisherigen Fassung nach der Vollstreckbarerklärung hat.
14.9
Den Umfang der Vollstreckbarkeit bestimmt das Recht des Ursprungstaates. Für die Vollstreckung selbst gilt wie bisher das Recht des Vollstreckungsstaats (Art. 41 I EuGVO n.F. u. Erwägungsgrund 26 Satz 3);15 dies gilt auch für eventuelle Aussetzungsund Verweigerungsgründe (Art. 41 II EuGVO n.F.),16 etwa die vertragliche Beschränkung der Vollstreckung auf bestimmte Vermögensteile.17 Anders als bisher darf nicht mehr gefordert werden, dass der Vollstreckungsgläubiger im Vollstreckungsstaat über eine Postanschrift verfügt. Auch zur Bestellung eines bevollmächtigten Vertreters ist der Gläubiger nicht mehr verpflichtet, es sei denn, ein solcher Vertreter ist nach dem Recht des Vollstreckungsstaats unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz der Parteien vorgeschrieben (Art. 41 III EuGVO n.F.). Auf die Vollstreckbarkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat können die Parteien nicht vertraglich verzichten.18
14.10
Zur Betreibung der Vollstreckung muss der Antragsteller
14.11
(1) eine Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung und (2) eine gem. Art. 53 EuGVO n.F. ausgestellte (formblattmäßige) Bescheinigung19 vorlegen, in der bestätigt wird, dass die Entscheidung vollstreckbar ist oder unter welchen Voraussetzungen sie vollstreckbar wird (Art. 42 I EuGVO n.F.).20 Das Gericht des Ursprungsstaates darf bei der Bestätigung der Vollstreckbarkeit nicht von Amts wegen prüfen, ob die Entscheidung unter Verstoß gegen verbraucherschützende Zuständigkeitsnormen ergangen ist, um dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, einen Versagungsantrag nach Art. 45 EuGVO n.F. zu stellen.21 Die Bescheinigung ist dem Schuldner vor der ersten Vollstreckungsmaßnahme zuzustellen; sofern noch nicht zugestellt, wird die zu vollstreckende Entscheidung dieser Zustellung beigefügt (Art. 43 I EuGVO n.F.). Auf dieses Erfordernis kann nicht vorab verzichtet werden.22 Die mit der Bescheinigung bestätigte Vollstreckbarkeit des Titels kann im 13 Wieczorek/Schütze/Kern, Art. 58 Brüssel Ia-VO Rz. 1, Art. 59 Brüssel Ia-VO Rz. 1. 14 Gemäß Anhang II; ersetzt durch Delegierte VO (EU) 2015/281 der Kommission v. 26.1.2014 (ABl. EU 2015 Nr. L 54/1). 15 Mayr/Neumayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.923; D. Wiedemann, S. 123 f., 143 ff. 16 Vgl. Wieczorek/Schütze/Loyal, Art. 41 Brüssel Ia-VO Rz. 4 ff. 17 F. Loyal, GPR 2018, 63, 68. 18 A.A. F. Loyal, GPR 2018, 63, 68. 19 Gemäß Anhang I; dieser wurde ersetzt durch Delegierte VO (EU) 2015/281 der Kommission v. 26.11.2014 (ABl. EU 2015 Nr. L 54/1). 20 Vgl. B. Ulrici, GPR 2015, 295, 300 f. 21 EuGH – C-347/18, ECLI:EU:C:2019:661 – Salvoni v Fiermonte. 22 Zweifelnd F. Loyal, GPR 2018, 63, 66.
811
§ 14 Rz. 14.11 | Europäische Vollstreckungstitel
Vollstreckungsstaat nicht überprüft werden.23 Hat das Ausgangsgericht aber nicht den Anwendungsbereich der EuGVO n.F. festgestellt, muss das Gericht des Vollstreckungsstaates diese Prüfung nachholen.24 Wie lange ein Titel nach Erlass vollstreckt werden kann, richtet sich nach dem Recht des Ursprungsstaates.25 Den nachträglichen Wegfall der Vollstreckbarkeit nach Ausstellung der Bescheinigung kann der Schuldner mittels Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) geltend machen.26 Die Bescheinigung wird nach Art. 53 EuGVO n.F. auf Antrag eines Berechtigten erteilt. In Deutschland erteilt die Bescheinigung nach §§ 1110, 1111 ZPO die Stelle des Gerichts des jeweiligen Rechtszuges, die für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zuständig ist. Nach § 20 I Nr. 11 RPflG ist insoweit der Rechtspfleger zuständig. Bei der Erteilung darf nur die Vollstreckbarkeit des Titels geprüft werden, nicht aber ob das Gericht verbraucherschützende Zuständigkeitsregeln beachtet hat.27
14.12 Im Fall einer Rechtsnachfolge muss ein deutscher Titel mit einer titelübertragenden Klausel (§ 727 ZPO) versehen werden, damit er im Ausland für oder gegen den Rechtsnachfolger vollstreckt werden kann. Soweit das Recht des Ursprungsstaates eine solche Klausel nicht vorsieht, sollte die Rechtsnachfolge aus der Bescheinigung hervorgehen. Wenn nicht, muss sie notfalls vom Vollstreckungsorgan geprüft werden.28 14.13 Der Schuldner kann außerdem verlangen, dass die Entscheidung in einer Sprache vorgelegt wird, die er versteht oder die der Amtssprache seines Wohnsitzstaats entspricht. Vor Vorlage dieser Übersetzung darf die Vollstreckung nicht über Sicherungsmaßnahmen hinausgehen (Art. 43 II Unterabs. 2 EuGVO n.F.), sofern die Entscheidung selbst dem Schuldner nicht in einer dieser Sprachen oder in einer entsprechenden Übersetzung zugestellt wurde (Art. 43 III EuGVO n.F.). Da sich der Schuldner die Übersetzung verlangen muss, wird die Ansicht vertreten, der Schuldner könne hierauf vorab verzichten.29 Da man auf das Recht auf Gehör auch nicht vorab verzichten kann, ist dem nicht zuzustimmen. 14.14 Ein Titel muss grundsätzlich bestimmt sein, um vollstreckt werden zu können. Allerdings sind die Ansichten dazu von Staat zu Staat verschieden. Enthält eine vollstreckbare Entscheidung eine Maßnahme oder Anordnung, die im Vollstreckungsstaat unbekannt ist, so ist diese dort soweit möglich an eine dort bekannte Maßnahme mit vergleichbaren Zielen und Wirkungen anzupassen (Art. 54 I EuGVO n.F.), soweit sich die erweiterte Vollstreckbarkeit nicht bereits aus der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVO n.F. ergibt. Die Vollstreckung hinsichtlich gesetzlicher Zinsen oder aus dy23 D. Wiedemann, (S. 162 ff., 168, 202) stellt darauf ab, ob die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat bindend festgestellt ist oder nicht. 24 EuGH – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 – Weil, FamRZ 2019, 1557 (M. Brosch). 25 D. Wiedemann, S. 203 ff., 211. 26 D. Wiedemann, S. 212. 27 EuGH – C-347/18, ECLI:EU:C:2019:661 – Alessandro Salvoni, RIW 2019, 657. 28 D. Wiedemann, S. 234 ff. 29 F. Loyal, GPR 2018, 63, 66.
812
II. Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung | Rz. 14.18 § 14
namischen Zinstiteln ist ein praktischer Anwendungsfall.30 Kein Anpassungsfall ist die Rechtsnachfolge. Insoweit muss die Entscheidung im Ursprungsstaat mit einer Nachfolgeklausel versehen werden, zumindest muss die Nachfolge in der Bescheinigung klargestellt werden.31 Eine solche Anpassung kann jeder Beteiligte anfechten (Art. 54 III EuGVO n.F.). Die Zuständigkeit hierfür liegt in Deutschland bei dem jeweiligen Vollstreckungsorgan. Gegen dessen Anpassungsentscheidung ist nach § 1114 ZPO das Rechtsmittel vorgesehen, das gegen dessen Vollstreckungsmaßnahme statthaft ist. Die Anpassung durch den Gerichtsvollzieher kann mit Erinnerung (§ 766 ZPO), die durch Vollstreckungs- oder Prozessgericht mit sofortiger Beschwerde (§ 793 ZPO), die des Grundbuchamts mit Beschwerde nach § 71 GBO angefochten werden.32 Ist die Vollstreckung (einer vorläufig vollstreckbaren Entscheidung) von einer Sicherheitsleistung abhängig, so liegt die abstrakte Vollstreckbarkeit bereits vor, bevor die Sicherheit geleistet wurde; die Bescheinigung darf also vor Leistung der Sicherheit ausgestellt werden.33 Hat der Schuldner die Vollstreckung durch eigene Sicherheitsleistung oder Hinterlegung (§ 711 ZPO) abgewendet, so ist die Entscheidung nicht mehr vollstreckbar.34
14.15
Ist der Titel nur Zug um Zug gegen Erbringung einer Gegenleistung vollstreckbar, gehört zur Vollstreckbarkeit zumindest das Angebot der Gegenleistung.35
14.16
Wird die Vollstreckung eines Titels zulässigerweise generell oder vorübergehend ausgeschlossen, so beschränkt eine solche Vereinbarung die Vollstreckbarkeit des Titels nach dem Recht des Ursprungsstaates, ist also auf Einrede im Vollstreckungsstaat zu beachten. Die konkreten Vollstreckungsbedingungen richten sich aber nach Art. 41 I 2 EuGVO n.F. nach dem Recht des ersuchten Vollstreckungsstaates. Hierzu zählt der Fall der vertraglichen Beschränkung auf bestimmte Gegenstände. Eine solche Vereinbarung ist als konkretes Vollstreckungshindernis nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zu beachten.36
14.17
3. Einwände gegen die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat Während nach der ursprünglichen Konzeption der Kommission mit dem Exequaturverfahren auch sämtliche Einwendungen gegen die Entscheidung im Vollstreckungs30 31 32 33
Vgl. S. Gössl, NJW 2014, 3479. Für Anpassung auch in diesem Fall wohl D. Wiedemann, S. 278 ff. S. Gössl, NJW 2014, 3479, 3482. C. Meller-Hannich, ZVglRWiss 119 (2020), 254, 264; B. Ulrici, RIW 2019, 406, 410 (Die nationale Vollstreckungsklausel werde unabhängig von der Sicherheitsleistung erteilt), 412; a.A. D. Wiedemann, Vollstreckbarkeit, 2017, S. 202. 34 A.A. Wieczorek/Schütze/Haubold, ZPO, 4. Aufl. 2019, Brüssel Ia-VO Art. 53 Rz. 15; B. Ulrici, RIW 2019, 406, 411. 35 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 53 Brüssel Ia-VO Rz. 10; Wieczorek/Schütze/Loyal, 4. Aufl. 2019, Art. 39 Brüssel Ia-VO R 8; Rauscher/Mankowski, (2015) Art. 39 Brüssel IaVO Rz. 44; a.A. B. Ulrici, RIW 2019, 406, 413 f. 36 F. Loyal, GPR 2018, 63, 68.
813
14.18
§ 14 Rz. 14.18 | Europäische Vollstreckungstitel
staat ausgeschlossen werden sollten, hat sich im Laufe der rechtspolitischen Diskussion die Meinung durchgesetzt, dass eine solche radikale Lösung den berechtigten Rechtschutzbelangen des Titelschuldners nicht gerecht würde. Nach der Neufassung der EuGVO (Brüssel Ia-VO) kann der Titelschuldner beantragen, dass die Vollstreckung einer Entscheidung aus einem der Gründe des Art. 45 versagt wird (Art. 46 EuGVO n.F.). Dies sind sämtliche bisher in Art. 34 EuGVO a.F. vorgesehenen Anerkennungsversagungsgründe37 (s. Rz. 12.39 ff.). Über das bisherige Recht hinaus kann auch ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregeln in Arbeitsvertragssachen gerügt werden (Art. 45 I lit. e [i] EuGVO n.F.). Sämtliche Versagungsgründe werden nur auf Antrag geprüft.38
14.19 Im Einzelnen kann die Versagung der Vollstreckung beantragt werden, wenn a) die Anerkennung dem ordre public des Vollstreckungsstaats offensichtlich widersprechen würde (Art. 45 I lit. a) (s. Rz. 12.39 ff.), b) dem Beklagten bei der Verfahrenseinleitung im Ursprungsstaat das rechtliche Gehör nicht hinreichend gewährt wurde, es sei denn, er hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte (Art. 45 I lit. b) (s. Rz. 12.56 ff.), c) wenn die Entscheidung mit einer Entscheidung zwischen denselben Parteien unvereinbar ist, die im Vollstreckungsstaat ergangen ist (Art. 45 I lit. c) (s. Rz. 12.82 ff.), d) wenn die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs unvereinbar ist, die im Vollstreckungsstaat anzuerkennen ist (Art. 45 I lit. d) (s. Rz. 12.86 ff.), e) wenn die Entscheidung unvereinbar ist mit den zwingenden Regeln über die internationale Zuständigkeit zum Schutz von Versicherungsnehmern, Versicherten, Geschädigten oder Begünstigten eines Versicherungsvertrags, von Verbrauchern oder individuellen Arbeitnehmern, oder wenn die Regeln über die ausschließliche Zuständigkeiten in Art. 24 (n.F.) verletzt sind (Art. 45 I lit. e). Darüber hinaus kann der Schuldner geltend machen, dass die Brüssel Ia-VO auf den Titel gar nicht anwendbar ist. Die durch die Bescheinigung bestätigte Vollstreckbarkeit kann er im Vollstreckungsstaat nicht bestreiten.39
14.20 Wie bisher ist das Gericht bei Prüfung, ob die Zuständigkeiten gewahrt sind, an die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts des Ursprungsstaats gebunden (Art. 45 II n.F.) (s. Rz. 12.93).
37 Vgl. M. Pohl, IPRax 2013, 109, 113. 38 Krit. zum ordre public-Verstoß R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 381. 39 Wieczorek/Schütze/Loyal, Art. 42 Brüssel Ia-VO Rz. 1; a.A. Mayr/Neumayr, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.941.
814
II. Vollstreckungstitel nach der Brüssel Ia-Verordnung | Rz. 14.25 § 14
Soweit kein Fall des Art. 45 I lit. e vorliegt, darf die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts nicht überprüft werden; Fehler dürfen auch nicht als ordre public-Verstöße gewertet werden (Art. 45 III EuGVO n.F.).
14.21
Schließlich ist der Antrag auf Versagung der Anerkennung gem. Art. 45 IV EuGVO n.F. im Verfahren nach Art. 46 ff., 52 ff. EuGVO n.F. zu stellen. Die Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 1115 ff. ZPO. Zuständig ist ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat, bei Fehlen eines Inlandswohnsitzes das Landgericht, in dessen Bezirk vollstreckt werden soll.
14.22
Beantragt der Schuldner die Versagung der Vollstreckung, kann das Gericht des Vollstreckungsstaats auf Antrag des Schuldners
14.23
(1) das Vollstreckungsverfahren auf Sicherheitsmaßnahmen beschränken, (2) die Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen, und (3) das Vollstreckungsverfahren ganz oder teilweise aussetzen (Art. 44 I EuGVO n.F.). Ist die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat ausgesetzt worden, ist das Vollstreckungsverfahren auf Antrag des Schuldners zwingend auszusetzen (Art. 44 II EuGVO n.F.). Schon zuvor kann das mit einem Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung befasste Gericht oder das Rechtsbehelfsgericht, das Verfahren nach Art. 51 EuGVO n.F. aussetzen, wenn im Ursprungsstaat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt worden ist oder die Rechtsbehelfsfrist noch nicht abgelaufen ist.40
14.24
Gegen die Vollstreckung aus öffentlichen Urkunden kann nach Art. 58 I 2 EuGVO n.F. (Art. 57 I 2 EuGVO a.F./LugÜ) nur ein Verstoß gegen den ordre public eingewandt werden. Gleiches gilt gegenüber der Vollstreckung aus einem Prozessvergleich (Art. 59 EuGVO n.F.; Art. 58 Satz 1 EuGVO a.F./LugÜ).
14.24a
4. Vollstreckungsabwehrklage Sachliche Einwendungen gegen die Entscheidung können nicht unmittelbar als Einwand gegen die Vollstreckung geltend gemacht werden (s. Rz. 15.28); für sie steht in Deutschland die besondere Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) zur Verfügung (§§ 1117, 1086 ZPO).41 Solche Einwände, z.B. der Erfüllungseinwand, können zudem nach § 767 II ZPO nur vorgebracht werden, wenn sie nicht durch die Rechtskraft der zu vollstreckenden Entscheidung präkludiert sind; sie müssen also nach Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des Ausgangsverfahrens entstanden sein.
40 Vgl. B. König/E. Praxmarer, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rückforderung und Schadenersatz, 2016, S. 149 ff. 41 J. Haubold, FS Schütze, 2015, S. 163, 177; D. Wiedemann, S. 236 ff., 249 f, krit. Schlosser/ Hess/Hess, Art. 41 EuGVVO Rz. 8 (nur bei unstreitigen Einwendungen mit Titelfreizügigkeit vereinbar).
815
14.25
§ 14 Rz. 14.25 | Europäische Vollstreckungstitel
Auch die Verjährung des titulierten Anspruchs ist mit Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen.
III. Vollstreckungstitel nach der EuInsVO 14.26 Nach Art. 32 I EuInsVO 2015 sind zur Durchführung und zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangene Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaates gem. Art. 39 ff., 47 ff. Brüssel Ia-VO ohne Vollstreckbarerklärung ex lege in den anderen EU-Mitgliedstaaten vollstreckbar. Nach Art. 32 I 1 EuInsVO 2015 gilt dies ausdrücklich auch für einen gerichtlich bestätigten Vergleich, also einen Insolvenzplan deutschen Rechts. 14.27 Gleiches gilt bereits für die entsprechenden Entscheidungen, die unter der Geltung der EuInsVO 2000, aber nach Inkrafttreten der Brüssel Ia-VO ergangen sind, da Art. 25 EuInsVO für die Vollstreckbarkeit auf die EuGVÜ verweist und die Art. 68 Abs. 2 EuGVO a.F. und Art. 68 II n.F. (Brüssel IIa-VO) im Wege einer „dynamischen Verweisung“ auf die aktuelle Rechtslage verweisen.42 14.28 Soweit im Rahmen von Insolvenzverfahren Entscheidungen ergehen, die nicht von Art. 32 I EuInsVO 2015 bzw. Art. 25 I EuInsVO 2000 erfasst sind, gelten nach Art. 32 II EuInsVO 2015 bzw. Art. 25 II EuInsVO 2000 einfach die Regeln der Brüssel IaVO (EuGVO n.F.). Auch diese Entscheidungen sind daher jetzt ohne besondere Vollstreckbarerklärung nach Art. 39 ff. EuGVO n.F. vollstreckbar.43
IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen 1. Schrifttum
14.29 I. Bach, Die EuVTVO im System des Europäischen Zivilverfahrensrechts, RIW 2018, 549; A.
Baumert, Die EuVTVO im System des Europäischen Zivilverfahrensrechts, RIW 2018, 555; P. Biavatti, Some remarks about the European Regulation creating an enforcement order for uncontested claims, FS Kerameus, 2009, S. 75; D.-Ch. Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, 2008; Ch. Giebel, Fünf Jahre Europäischer Vollstreckungstitel in der deutschen Gerichtspraxis, IPRax 2011, 529; R. Hannemann-Kacik, Die EUVerordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, 2011; A. Heringer, Der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, 2007; M. Klöpfer/P. Ramić, Der Europäische Vollstreckungstitel in C2C-Streitigkeiten, GPR 2014, 107; C. Klumpp, Die Zustellungsformen der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels, 2009; M. Lehmann, Europäischer Vollstreckungstitel, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 717; P. Mankowski, Europäischer Vollstreckungstitel und prozessualer Verbraucherschutz, FS Kerameus, Bd. I, 2009, S. 785; P. Mayr/M. Neumayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, (8. Kap.), 2017, S. 707; M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, S. 535 ff.; P. Ptak, Der Europäische Vollstreckungstitel und das rechtliche Gehör des Schuldners, 2014; Th. Rauscher, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene 42 Thole in MünchKomm/InsO, Art. 25 EuInsVO 2000 Rz. 13. 43 Thole in MünchKomm/InsO, Art. 25 EuInsVO 2000 Rz. 28.
816
IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen | Rz. 14.32 § 14 Forderungen, 2004; Rauscher/Pabst, EG-VollstrTitelVO, in EuZPR/EuIPR Bd. II, 4. Aufl. 2015, S. 3; W. Rechberger, Die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen und die Europäische Rechtsschutzkultur, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 1141; W. Rechberger/U. Frauenberger-Pfeiler, Der Europäische Vollstreckungstitel, FS Peter Fischer, 2004, S. 399; K. Rellermeyer, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, Rpfleger 2005, 389; M. Reichel, Das EG-VollstreckungstitelDurchführungsgesetz, NZA 2005, 1096; B. Ringwald, Europäischer Vollstreckungstitel nach der EuVTVO und Rechtsbehelfe des Schuldners, 2011; A. Stein, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen tritt in Kraft, IPRax 2004, 181; A. Stein, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, EuZW 2004, 679; Ch. Strasser, Europäischer Vollstreckungstitel bei Verbraucherbeteiligung, RpflStud. 2014, 41.
2. Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel a) Titel in einer Zivil- oder Handelssache Die Verordnung Nr. 805/2004 gilt wie die EuGVO in Zivil- und Handelssachen, ohne Rücksicht auf die Art der Gerichtsbarkeit; sie erfasst daher auch Forderungen, die in die Zuständigkeit der ArbG, teilweise auch der Sozialgerichte fallen. Ansprüche aus „acta iure imperii“ sind nicht erfasst (Art. 2 I 2 EuVTVO). Die Verordnung gilt nicht (ähnlich wie Art. 1 II EuGVO) für den Personenstand, den ehelichen Güterstand, das Erbrecht, das Insolvenzrecht, die soziale Sicherheit und die Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 2 II EuVTVO). Ansprüche auf Zahlung von Zugewinnausgleich sind daher vom Anwendungsbereich der EuVTVO ausgeschlossen.44 Wird eine nicht ausgeschlossene Forderung (Anwaltsgebühren) als Nebenforderung zu einer ausgeschlossenen Forderung geltend gemacht, so fällt sie ebenfalls unter die Anwendungssperre von Art. 2 II EuVTVO.45
14.30
Anwendbar ist die Verordnung im Verhältnis zu allen EU-Mitgliedsstaaten, mit Ausnahme Dänemarks (Art. 2 III EuVTVO). Auf einen Auslandsbezug des konkreten Rechtsstreit kommt es nicht an.46 Nach dem Brexit bleibt die Verordnung im Verhältnis zu Großbritannien auf alle Entscheidungen anwendbar, die in Verfahren ergehen, die vor dem 31.12.2020 eingeleitet wurden, sowie auf Prozessvergleiche und vollstreckbare Urkunden, die vor diesem Datum errichtet wurden (Art. 67 Abs. 2 lit. d des Austrittsvertrages).
14.31
Ein Ordnungsmittelbeschluss nach § 890 ZPO ist zwar in einer Zivilsache ergangen, kann aber nicht als Europäischer Vollstreckungstitel nach der EuVTVO bestätigt werden, weil das Verfahren zu seinem Erlass keine Belehrung des Schuldners nach Art. 17 EuVTVO vorsieht,47 es sei denn, der Gläubiger habe in seinem Antrag selbst belehrt.48
14.32
44 45 46 47
KG, FamRZ 2010, 1596. KG, FamRZ 2010, 1596. M. Stürner, ZVgkRWISS 119 (2020), 143, 153. BGHZ 185, 124, 127 (Rz. 11 ff.) = NJW 2010, 1883 = IPRax 2012, 72 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 62). 48 Vgl. Adolphsen in MünchKomm/ZPO, Anh. §§ 1079–1086 EG-VollstrTitelVO Art. 17 Rz. 9.
817
§ 14 Rz. 14.33 | Europäische Vollstreckungstitel
b) Titel über eine „unbestrittene Geldforderung“
14.33 Grundvoraussetzung für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist, dass ein Titel über eine „unbestrittene Forderung“ vorliegt. Ob dies der Fall ist, ist autonom zu bestimmen.49 Die Abgrenzung findet sich in Art. 3 I 2 EuVTVO in kasuistischer Weise.50 Als unbestritten gilt eine Forderung, wenn (1) ihr der Schuldner im Verfahren durch Anerkenntnis oder durch Zustimmung zu einem vom Gericht gebilligten oder vor ihm geschlossenen Vergleich zugestimmt hat oder (2) der Schuldner der Forderung im Verfahren nach dem Recht des Ursprungsstaats zu keiner Zeit widersprochen hat oder (3) der Schuldner zu einer Gerichtsverhandlung über die Forderung nicht erschienen ist oder dabei nicht vertreten worden ist, nachdem er zuvor der Forderung widersprochen hatte, sofern ein solches Verhalten nach dem Recht des Ursprungsstaats als stillschweigendes Zugeständnis der Forderung oder des vom Gläubiger behaupteten Sachverhalts anzusehen ist, oder (4) der Schuldner die Forderung ausdrücklich in öffentlicher Urkunde anerkannt hat. Liegt ein Titel über eine unbestrittene Forderung vor, hat der Gläubiger die Wahl, ob er den Titel nach der EuVTVO oder nach der Brüssel Ia-VO vollstrecken will.51
14.34 Mit erfasst sind auch Entscheidungen, die nach Anfechtung von Entscheidungen, Vergleichen oder öffentlichen Urkunden ergangen sind, die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurden (Art. 3 II EuVTVO). 14.35 Unproblematisch an diesem Katalog sind die Fälle des Anerkenntnisurteils, des consent judgment, des Prozessvergleichs und der Anerkennung in öffentlicher Urkunde.52 Die öffentliche Urkunde ist in Art. 4 Nr. 3 EuVTVO so definiert, dass Anwaltsvergleiche, aber auch Jugendamtsurkunden über Unterhalt mit erfasst sind.53 Als Prozessvergleich sind auch Vergleiche nach § 118 I 3 ZPO und § 492 III ZPO anzusehen.54 14.36 Schwieriger sind die Fälle zu beurteilen, bei denen das Verhalten des Schuldners als stillschweigendes (passives) Nichtbestreiten zu bewerten ist. Als Fall, bei dem der Schuldner zu keiner Zeit der Forderung widersprochen hat, ist im deutschen Recht
49 50 51 52 53
EuGH – C-511/14, ECLI:EU:C:2016:448 – Pebros Servizi (Rz. 37), EuZW 2016, 556. Vgl. Adolphsen in MünchKomm, §§ 1079 ff. ZPO Anh EuVollstrTitelVO Art. 3 Rz. 2 ff. M. Stürner, ZVglRWiss 119 (2020), 143, 161. Rauscher/Pabst, (2015) Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rz. 6–17; D.-Ch. Bittmann, S. 36. Kropholler/v. Hein, Art. 4 EuVTVO Rz. 8; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Art. 3 Rz. 23, Art. 4 Rz. 10, Art. 24 Rz. 2 ff. 54 St. Leible/M. Lehmann, NotBZ 2004, 453, 456.
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IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen | Rz. 14.38 § 14
der Vollstreckungsbescheid nach § 699 ZPO anzusehen.55 Unbestritten ist eine Forderung auch, wenn gegen den Schuldner ein Versäumnisurteil ergangen ist, weil er sich überhaupt nicht am Verfahren beteiligt hat.56 Als Fall anfänglichen Bestreitens, das aber im Laufe des Verfahrens entfällt, sind weiter die Fälle der §§ 331, 333 ZPO anzusehen, wenn gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil ergeht, weil er der Verhandlung fern bleibt bzw. sich nicht wirksam anwaltlich vertreten lässt und deshalb der Forderung nicht widerspricht.57 Erfasst ist auch das Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren nach § 331 III i.V.m. § 276 I 1 ZPO sowie das zweite Versäumnisurteil nach § 345 ZPO.58 Unsubstantiiertes Bestreiten genügt als „Widerspruch“.59 Legt der Schuldner gegen ein streitiges Urteil Berufung ein und wird seine Berufung durch Versäumnisurteil zurückgewiesen (§ 539 I ZPO), bleibt das streitige Urteil bestehen; eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist ausgeschlossen. Ergeht dagegen gegen den Berufungsbeklagten ein Versäumnisurteil (§ 539 II ZPO), so liegt ein Fall eines nachträglichen Nichtbestreitens vor; das Versäumnisurteil kann als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.60
14.37
Notwendig ist ein Titel über eine bestimmte (fällige) Geldsumme (Art. 4 Nr. 2 EuVTVO). Bei regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen (Unterhalt) genügt ein fester künftiger Fälligkeitstag.61 Damit auch dynamische Unterhaltstitel als Europäischer Vollstreckungstitel ausgefertigt werden können, können sie auf Antrag nach § 245 FamFG beziffert werden.62 Eine nur Zug-um-Zug zu erfüllende Geldforderung genügt nicht, da die Forderung einredebehaftet und in diesem Sinne nicht uneingeschränkt fällig ist.63
14.37a
Kann der Titel über die Hauptforderung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, so wird auch der Titel über die Höhe der zu erstattenden Kosten als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, es sei denn, der Schuldner hat der Pflicht zum Kostenersatz ausdrücklich widersprochen (Art. 7 EuVTVO). Betrifft die Hauptsacheentscheidung keine unbestrittene Forderung, kann auch die dazu gehörende Kostenentscheidung nicht als europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.64
14.38
55 Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 24; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rz. 27. Der vorausgehende Mahnbescheid (§ 692 ZPO) ist noch kein Vollstreckungstitel. 56 EuGH – C-511/14, ECLI:EU:C:2016:448 – Pebros Servizi (Rz. 39 ff.), EuZW 2016, 556. 57 R. Hüßtege, FS Jayme, S. 371, 373. 58 Kropholler/v. Hein, Art. 3 EuVTVO Rz. 9; zweifelnd Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Art. 3 Rz. 9. 59 W. Rechberger/U. Frauenberger-Pfeiler, FS P. Fischer, S. 399, 405. 60 Kropholler/v. Hein, Art. 3 EuVTVO Rz. 8, 9; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 26. 61 Kropholler/v. Hein, Art. 4 EuVTVO Rz. 5; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 4 EG-VollstrTitelVO Rz. 15; MünchKomm/ZPO/Adolphsen, §§ 1079 ff. ZPO Anh EuVollstrTitelVO Art. 4 Rz. 21. 62 R. Wagner, IPRax 2005, 401, 409; K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 403. 63 Kropholler/v. Hein, Art. 4 EuVTVO Rz. 5; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 4 EG-VollstrTitelVO Rz. 8. 64 EuGH – C-66/17, ECLI:EU:C:2017:972 – Chudaś v Deutsche Allgemeine Versicherung (Rz. 35), RIW 2018, 152.
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§ 14 Rz. 14.39 | Europäische Vollstreckungstitel
14.39 Der Ordnungsmittelanspruch nach § 890 ZPO ist ebenfalls als Geldforderung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 EuVTVO anzusehen.65 c) Voraussetzungen für eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel
14.40 Die weiteren Voraussetzungen für eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel regeln die Art. 6 I, 9, 24, 25 EuVTVO. (1) Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgt nur auf Antrag (Art. 6 I EuVTVO). Der Antrag kann jederzeit und daher schon im verfahrenseinleitenden Schriftsatz gestellt werden.66
14.41 (2) Erforderlich ist zunächst, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist (Art. 6 I lit. a EuVTVO). Entgegen ursprünglichen Entwürfen bedarf der Titel nicht der Rechtskraft; wie nach der EuGVO können auch vorläufig vollstreckbare Entscheidungen als Europäischer Vollstreckungstitel ausgefertigt werden.67 Die Bestätigung gilt nur, solange die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat besteht (Art. 11 EuVTVO). 14.42 (3) Weiter darf die Entscheidung nicht im Widerspruch zu den Zuständigkeitsregeln der Art. 8 bis 14 und 22 EuGVO a.F. (gem. Art. 80 Brüssel Ia-VO jetzt: Art. 10–16 und 24 Brüssel Ia-VO) stehen, d.h. nicht den Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen und ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 22 EuGVO a.F. (Art. 24 Brüssel Ia-vo9 widersprechen. Das Gericht darf also seine internationale Zuständigkeit nicht unter Verletzung der entsprechenden Normen bejaht haben. Ein Verstoß gegen andere zwingende Schutzregeln der EuGVO schließt die Ausfertigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht aus.68 Dies ist freilich konsequent, da ein solcher Verstoß auch eine Vollstreckbarerklärung nicht hindert. Sofern kein Verstoß gegen eine zwingende Zuständigkeitsregel vorliegt, kann auch ein in einer reinen Inlandssache ergangener Titel als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.69 14.43 (4) Im Fall eines konkludenten oder stillschweigenden Nichtbestreitens (Art. 3 I lit. b oder c EuVTVO) muss das Verfahren den Voraussetzungen der Art. 12 ff. EuVTVO entsprochen haben.70 Dadurch soll sichergestellt werden, dass dem Schuldner das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt worden ist, so dass er sich hätte verteidigen können. Kann die Anschrift des Schuldners nicht ermittelt werden und ist weder dieser noch ein für ihn bestellter Vertreter (Kurator) zum Verfahren erschienen, kann die gerichtliche Entscheidung nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.71 65 BGHZ 185, 124, 129 f (Rz. 15 ff.) = NJW 2010, 1883. 66 BGHZ 185, 124, 130 (Rz. 17) = NJW 2010, 1883; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 6 EG-VollstrTitelVO Rz. 3. 67 Kropholler/v. Hein, Art. 6 EuVTVO Rz. 5; S. Gerling, S. 80 f.; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 48. 68 Krit S. Gerling, S. 83 ff. 69 A. Burgstaller/M. Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 181. 70 Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 54; D.-Ch. Bittmann, S. 60 ff. 71 EuGH – C-518/18, ECLI:EU:C:2019: 546 – RD v SC, RIW 2019, 515 = EuZW 2019, 839.
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IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen | Rz. 14.47 § 14
(5) Zum Schutz des Verbrauchers muss die Entscheidung in dem Mitgliedsstaat ergangen sein, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz i.S.v. Art. 62, 63 EuGVO n.F. hat, sofern die Entscheidung nur auf einem Nichtbestreiten des Schuldners beruht oder die Forderung einen Vertrag betrifft, den ein Verbraucher geschlossen hat, oder wenn der Schuldner Verbraucher ist (Art. 6 I lit. d EuVTVO). Dadurch soll gesichert werden, dass Art. 16 II EuGVO beachtet wird.72 Auf einen Vertrag zwischen zwei Verbrauchern ist Art. 6 I lit. d EuVTVO nicht anwendbar.73
14.44
d) Mindestvorschriften für das Verfahren Schließlich müssen im Ursprungsstaat Mindestvorschriften für das Verfahren eingehalten worden sein. Bei Entscheidungen, die auf dem vermuteten Nichtbestreiten durch den Schuldner beruhen (Art. 12 EuVTVO), muss das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Schuldner in einer den Anforderungen der Art. 13 bis 15 EuVTVO genügenden Weise zugestellt worden sein. Diese Zustellungsanforderungen gelten für grenzüberschreitende und innerstaatliche Zustellungen gleichermaßen.74
14.45
(1) Zulässig sind nach Art. 13 EuVTVO Zustellungen mit Empfangsbestätigung, durch die nachgewiesen wird, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Schuldner (oder gem. Art. 15 EuVTVO seinem gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter)75 zugestellt worden ist. Aufgelistet werden
14.46
(a) die persönliche Zustellung mit Empfangsbestätigung des Schuldners, (b) die persönliche Zustellung mit Protokollierung durch die Zustellungsperson, (c) die postalische Zustellung mit Rücksendung einer Empfangsbestätigung durch den Schuldner, und (d) die elektronische Zustellung mit Rücksendung einer Empfangsbestätigung. Eine Ladung zu einer Verhandlung, die nicht mit einer Klagezustellung verbunden ist, kann in gleicher Weise zugestellt werden; es genügt nach Art. 13 II EuVTVO aber, dass sie dem Schuldner mündlich in einer Verhandlung, an der er teilgenommen hat, bekannt gemacht wurde, sofern dies im Protokoll festgehalten ist. (2) Zulässig sind nach Art. 14 EuVTVO auch Zustellungen ohne Empfangsnachweis, bei denen der Empfang aber in hohem Maße wahrscheinlich ist. Erfasst sind die üblichen (dem deutschen Recht bekannten) Formen der Ersatzzustellung, 72 Vgl. Rauscher/Pabst, (2015) Art. 6 EG-VollstrTitelVO Rz. 31 ff.; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Art. 6 Rz. 19 ff.; P. Mankowski, FS Kerameus, Bd. I, 2009, S. 785; Ch. Strasser, RPflStud. 2014, 41; krit. R. Schütze, IZPR, Rz. 309, 310; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 56. 73 EuGH – C-508/12, ECLI:EU:C:2013:790 – Vapenik v Thurner, EuZW 2014, 147 (B. Sujecki); dazu M. Klöpfer/P. Ramić, GPR 2014, 107. 74 Kropholler/v. Hein, Art. 12 EuVTVO Rz. 4; D. Coester-Waltjen, FS Beys, S. 183, 188; vgl. C. Klumpp, Zustellungsformen, 2009. 75 Wer Vertreter ist, ist nach dem IPR der lex fori zu bestimmen, Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 122.
821
14.47
§ 14 Rz. 14.47 | Europäische Vollstreckungstitel
(a) die Zustellung an eine in der Wohnung des Schuldners lebende76 oder dort beschäftigte Person, (b) die Zustellung in den Geschäftsräumen des Schuldners (selbständige oder juristische Person) an eine dort beschäftigte Person, (c) die Hinterlegung im Briefkasten des Schuldners,77 (d) die Hinterlegung beim Postamt oder der zuständigen Behörde unter konkreter schriftlicher Benachrichtigung im Briefkasten mit Hinweis auf die eintretenden Zustellungswirkungen. In diesen Fällen muss die Zustellung durch die Zustellungsperson konkret bescheinigt worden sein (Art. 14 III EuVTVO).
14.48 Schließlich genügen (e) die einfache postalische Zustellung ohne Empfangsbescheinigung, wenn der Schuldner seine Anschrift im Ursprungsmitgliedsstaat (dem Gerichtsstaat) hat (Art. 14 I lit. e), und (f) die elektronische Zustellung mit automatisch erstellter Sendebestätigung, wenn der Schuldner mit dieser Art Zustellung vorab ausdrücklich einverstanden war (Art. 14 I lit. f). Bei einem Fax genügt das Sendeprotokoll des Absendegerätes, bei einer E-Mail eine Bestätigung des Ausgangsservers des Providers des Absenders.78 Das Einverständnis kann zwar vorab generell erklärt werden, da es aber ausdrücklich erklärt werden muss, genügt die bloße Mitteilung einer E-MailAdresse nicht.
14.49 Unzulässig sind die Zustellungsformen des Art. 14 I EuVTVO, wenn die Anschrift des Schuldners nicht sicher ermittelt werden kann (Art. 14 II EuVTVO). Erst recht sind danach alle fiktiven Zustellungsformen bei unbekannter Anschrift des Schuldners, aber auch die remise au parquet, ausgeschlossen. Wurde in dieser Weise zugestellt, kann der Titel nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.79 14.50 Damit der Schuldner sachgerecht über eine eventuelle Verteidigung entscheiden kann, muss ihn das zugestellte verfahrenseinleitende Schriftstück über alle Essentialia der eingeklagten Forderung (Parteien, Höhe und Grund der Forderung, Höhe und Zeitraum der Zinsen) unterrichten (Art. 16 EuVTVO).
76 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Art. 14 Rz. 3 ff. 77 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Rz. 9; krit. S. Gerling, S. 103. 78 Kropholler/v. Hein, Art. 14 EuVTVO Rz. 24; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 14 EG-VollstrTitelVO Rz. 27; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Art. 14 Rz. 11. 79 EuGH v.15.3.2012 – C-292/10 (G v de Visser) (Rz. 63 ff.), EuZW 2012, 381 (I. Bach); Kropholler/v. Hein, Art. 14 EuVTVO Rz. 26; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh EuVollstrtTitelVO Art. 14 Rz. 12; A. Stadler, IPRax 2004, 2, 6.
822
IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen | Rz. 14.54 § 14
Zusätzlich muss dem Schuldner zusammen mit dem verfahrenseinleitenden Schriftstück oder einer Ladung zu einer Gerichtsverhandlung eine Belehrung darüber zugestellt worden sein, (1) in welcher Form und Frist und bei welcher Stelle er die Forderung bestreiten kann und ob dafür Anwaltszwang besteht, (2) welche Folgen ein Nichtbestreiten bzw. Nichterscheinen für ihn im Hinblick auf die gerichtliche Entscheidung, ihre Vollstreckung und die Pflicht zum Kostenersatz hat (Art. 17 EuVTVO). Die §§ 215, 276 II, 338, 499 ZPO sind rechtzeitig an diese Belehrungspflichten angepasst worden. Fehlt eine Belehrung zu (1) oder (2) kann der Titel nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.80 Die Belehrung in der Ladung gem. § 215 ZPO muss sich nicht darauf erstrecken, dass ein zweites Versäumnisurteil nur (eingeschränkt) mit Berufung angefochten werden kann.81 Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Belehrung über die Einspruchsmöglichkeit hindert aber nicht die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel.82
14.51
Nicht angepasst wurde dagegen das Verfahren zur Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 890 ZPO, so dass dieses den Anforderungen der EuVTVO derzeit nicht genügt.83
14.52
e) Heilung von Zustellungsmängeln Verstöße gegen die Art. 13 bis 17 EuVTVO bei der Zustellung der Klage bzw. der ersten Ladung werden nach Art. 18 I EuVTVO geheilt, wenn (1) die Entscheidung selbst dem Schuldner gem. Art. 13 oder 14 EuVTVO zugestellt wurde, (2) der Schuldner gegen die Entscheidung einen zur umfassenden Überprüfung führenden Rechtsbehelf (wie den deutschen Einspruch, §§ 338 ff. ZPO) einlegen konnte und darüber (in Deutschland gem. § 215 I ZPO) konkret belehrt wurde, und (3) er es versäumt hat, diesen Rechtsbehelf einzulegen.84
14.53
Verstöße gegen die Art. 13 oder 14 werden außerdem geheilt, wenn sich der Schuldner am Verfahren beteiligt und dadurch nachgewiesen wird, dass er das zuzustellende Schriftstück so rechtzeitig persönlich erhalten hat, dass er sich verteidigen konnte (Art. 18 II EuVTVO). Das entspricht in etwa Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F. Verstöße gegen Belehrungsmängel nach Art. 16 und 17 EuVTVO werden dagegen nicht geheilt.85
14.54
80 81 82 83 84
EuGH – C-289/17, ECLI:EU:C:2018:133 – Collect Inkasso, RIW 2018, 292. BGH, MDR 2010, 1340 = FamRZ 2010, 1977 (LS). BGH, NJW 2011, 522, 524 (Rz. 21 ff.) = FamRZ 2011, 362. BGHZ 185, 124, 132 (Rz. 22) = NJW 2010, 1883. Vgl. R. Hüßtege in Gottwald, S. 113, 131; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ff. ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Rz. 5 ff.; D.-Ch. Bittmann, S. 63 ff.; Ch. Giebel, IPRax 2011, 529, 533. 85 BGHZ 185, 124, 132 (Rz. 22) = NJW 2010, 1883; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ZPO Anh. EuVollstrTitelVO Art. 18 Rz. 9; a.A. Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 140.
823
§ 14 Rz. 14.55 | Europäische Vollstreckungstitel
14.55 Ist der Zustellungsmangel geheilt, kann die Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden. Das Vorliegen der einzelnen Heilungsvoraussetzungen muss in dem Bestätigungsformular angegeben werden. f) Rechtsbehelf bei schuldloser Nichtverteidigung
14.56 Schließlich sichert Art. 19 I EuVTVO einen weiteren prozessualen Mindeststandard. Ist dem Schuldner das verfahrenseinleitende Schriftstück bzw. die Ladung gem. Art. 14 EuVTVO nicht persönlich zugestellt worden und konnte er sich infolgedessen ohne sein Verschulden nicht (rechtzeitig) verteidigen oder war er infolge höherer Gewalt oder sonstiger außergewöhnlicher Umstände an einer Verteidigung gehindert, so kann die ergangene Entscheidung nur dann das Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, wenn das Recht des Ursprungsstaats dem Schuldner für diese Fälle einen Rechtsbehelf zur Verfügung stellt und er diesen nicht (unverzüglich) genutzt hat.86 14.57 Das Recht des Ursprungsstaats muss diesen Rechtsbehelf generell zur Verfügung stellen, unabhängig davon, ob der Schuldner konkret in seiner Verteidigung behindert war.87 Außerdem muss der Rechtsbehelf zu einer umfassenden Überprüfung der Entscheidung führen.88 14.58 Im deutschen Recht genügen der Einspruch gegen Versäumnisurteil bzw. Vollstreckungsbescheid (§§ 338, 700 ZPO), der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil (§ 345 ZPO) sowie die ergänzende Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei schuldloser Fristversäumung (§§ 233 ff. ZPO) diesen Anforderungen.89 g) Bestätigung deutscher Titel
14.59 Zuständig für die Bestätigung deutscher Titel sind die Gerichte, Behörden oder Notare, die deren vollstreckbare Ausfertigung erteilen (§ 1079 ZPO). Bei Gericht wird die Bestätigung vom Rechtspfleger (§ 20 Nr. 11 RPflG),90 bei notariellen Urkunden vom Notar, bei anderen öffentlichen Urkunden von der ausstellenden Behörde erteilt.91
86 D.-Ch. Bittmann, S. 67 ff. 87 Kropholler/v. Hein, Art. 19 EuVTVO Rz. 5; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 148. 88 Kropholler/v. Hein, Art. 19 EuVTVO Rz. 3. 89 Kropholler/v. Hein, Art. 19 EuVTVO Rz. 11; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, §§ 1079 ZPO Anh EuVollstrTitelVO Art. 19 Rz. 9 f.; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 154. 90 R. Wagner, IPRax 2005, 401, 403; K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 397; D.-Ch. Bittmann, S. 91. Zur Vereinbarkeit mit der EuVTVO s. Ch. Althammer, ZVglRWiss 119 (2020), 197, 212 ff. 91 Vgl. T. Franzmann, MittBayNot 2005, 470; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1079 ZPO Rz. 15.
824
IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen | Rz. 14.64 § 14
Die Bestätigungen werden in Deutschland ohne Anhörung des Schuldners ausgestellt (§ 1080 I 1 ZPO); eine Ausfertigung der Bestätigung wird dem Schuldner von Amts wegen zugestellt (§ 1080 I 2 ZPO).92
14.60
Wird der Antrag des Gläubigers auf Erteilung der Bestätigung zurückgewiesen, kann er dagegen sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) bzw. Beschwerde nach § 54 BeurkG einlegen (vgl. § 1080 II ZPO).93 Dem Schuldner steht gegen die Ausstellung der Bestätigung kein Rechtsbehelf zu (Art. 10 IV EuVTVO).94
14.61
h) Berichtigung oder Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel Auf Antrag kann das Gericht des Ursprungsstaats bzw. die Stelle, die den Titel geschaffen hat, die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel berichtigen oder widerrufen (Art. 10 EuVTVO). Eine Berichtigung erfolgt, wenn Entscheidung und Bestätigung voneinander abweichen. Art. 10 I lit. a EuVTVO verlangt eine Abweichung aufgrund eines „materiellen Fehlers“. Tatsächlich kann aber nur eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 319 ZPO gemeint sein.95
14.62
Ein Widerruf findet statt, wenn das Gericht die Bestätigung zu Unrecht erteilt hat, weil ihre Voraussetzungen „eindeutig“ nicht vorliegen. Mehr als eine Beweislastregel sollte dieser Formulierung aber nicht entnommen werden.96 In Deutschland kann der Widerruf nur befristet, innerhalb eines bzw. zweier Monaten nach Zustellung an den Schuldner beantragt werden. Dabei sind die Gründe anzugeben, warum die Bestätigung zu Unrecht erteilt wurde (§ 1081 II ZPO).97
14.63
In Deutschland entscheidet (wie im Fall des § 319 ZPO) das Gericht, das die Bestätigung erteilt hat (§ 1081 ZPO), durch den Rechtspfleger (§ 20 Nr. 11 RPflG).98
14.64
Lehnt der Rechtspfleger die Berichtigung oder den Widerruf ab, kann befristete Erinnerung an den Richter eingelegt werden (§ 11 II RPflG).99
92 D.-Ch. Bittmann, S. 115 ff. 93 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1080 ZPO Rz. 7 f.; K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 400. 94 D.-Ch. Bittmann, S. 122 ff. 95 Kropholler/v. Hein, Art. 10 EuVTVO Rz. 4; vgl. Adolphsen in MünchKomm/ ZPO§§ 1079 ff. ZPO Anh EuVollstrTitelVO Art. 10 Rz. 4; R. Wagner, IPRax 2005, 401, 403. 96 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 10 EuVTVO Rz. 7; für weite Auslegung Rauscher/Pabst, (2015) Art. 10 EG-VollstrTitelVO Rz. 15 ff. 97 Vgl. Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 90. 98 Vgl. R. Wagner, IPRax 2005, 401, 404; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 86; D.-Ch. Bittmann, S. 123 ff. 99 K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 401, Rauscher/Pabst, (2015) Art. 10 EG-VollstrTitelVO Rz. 29; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1081 ZPO Rz. 7; D.-Ch. Bittmann, S. 135 ff.
825
§ 14 Rz. 14.64 | Europäische Vollstreckungstitel
Über den Antrag auf Berichtigung oder Widerruf hinaus gibt es gegen die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel keinen Rechtsbehelf.100 3. Bestätigung der Nichtvollstreckbarkeit
14.65 Entfällt die Vollstreckbarkeit des Titels (z.B. durch Aufhebung im Rechtsmittelverfahren) oder wird sie eingeschränkt, so stellt das Gericht des Ursprungstaats auf jederzeitigen Antrag auf einem Formblatt eine Bestätigung über die Nichtvollstreckbarkeit bzw. die Beschränkung der Vollstreckbarkeit aus (Art. 6 II EuVTVO). In Deutschland führt die Vorlage dieser Bescheinigung zur Einstellung bzw. Aufhebung der Zwangsvollstreckung nach §§ 775, 776 BGB.101 4. Vollstreckung des Europäischen Vollstreckungstitels a) Keine Vollstreckbarerklärung
14.66 Nach Art. 20 I 2 EuVTVO wird der Europäische Vollstreckungstitel in allen EUStaaten (außer Dänemark) wie ein im Vollstreckungsstaat erlassener Titel vollstreckt. Nach Art. 5 EuVTVO bedarf es keiner Vollstreckbarerklärung. Nach § 1082 ZPO bedarf es in Deutschland keiner Vollstreckungsklausel. b) Vorzulegende Urkunden
14.67 Der Gläubiger muss dem Vollstreckungsorgan aber Ausfertigungen der Entscheidung und der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel sowie, falls erforderlich, eine Übersetzung der Bestätigung (nicht des Titels) in die Sprache des Vollstreckungsstaats vorlegen (Art. 20 II EuVTVO; § 1083 ZPO).102 Von dem Gläubiger eines Europäischen Vollstreckungstitels darf weder wegen seiner Ausländereigenschaft noch wegen seines fehlenden Inlandswohnsitzes oder -aufenthalts eine Sicherheitsleistung verlangt werden (Art. 20 III EuVTVO). Ein Nachweis für die Zustellung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel braucht für die Einleitung der Zwangsvollstreckung nicht vorgelegt zu werden.103 c) Vollstreckung nach nationalem Recht
14.68 Die Voraussetzungen und die Durchführung der Zwangsvollstreckung richten sich ansonsten nach nationalem Recht (Art. 20 I 2 EuVTVO). Das nationale Recht regelt auch die Rechtsbehelfe gegenüber einer Vollstreckung.
100 Kropholler/v. Hein, Art. 10 EuVTVO Rz. 10; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 10 EG-VollstrTitelVO Rz. 1 ff. 101 Rauscher/Pabst, (2015), Art. 6 EG-VollstrTitelVO Rz. 51, Art. 20 Rz. 34. 102 Vgl. Adolphsen in MünchKomm/ZPO § 1083 Rz. 1; K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 401; Rauscher/Pabst, (2015), Art. 20 EG-VollstrTitelVO Rz. 7 ff.; Gebauer/Wiedmann/ Bittmann, Kap. 28 Rz. 164; Bittmann, S. 145 f. 103 Ch. Strasser, Rpfleger 2007, 249, 251; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 20 EG-VollstrTitelVO Rz. 31.
826
IV. Der Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen | Rz. 14.72 § 14
Auch ein Europäischer Vollstreckungstitel ist notfalls vom Vollstreckungsorgan auszulegen, etwa dahin, wer Gläubiger und Schuldner sein soll (§ 750 I 1 ZPO). Aus einem gegen eine (nicht existierende) GmbH gerichteten Titel kann daher nicht gegen den tatsächlichen Schuldner vollstreckt werden.104
14.69
d) Verweigerung der Vollstreckung nur wegen Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung
In Anlehnung an Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVO sieht Art. 21 I EuVTVO vor, dass die Vollstreckung eines Europäischen Vollstreckungstitels wegen einer früheren, damit unvereinbaren Entscheidung zwischen den Parteien über denselben Streitgegenstand verweigert werden kann. Die frühere Entscheidung muss im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangen oder doch dort anerkennungsfähig sein; sie kann auch aus einem Drittstaat stammen.105 Erforderlich ist weiter, dass die Unvereinbarkeit noch nicht geltend gemacht worden ist und auch nicht früher hätte geltend gemacht werden können.106
14.70
Eine ordre public-Kontrolle des Titels findet im Rahmen des Art I EuVTVO nicht statt.107 Ein Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung ist nach § 1084 I ZPO beim AG als Vollstreckungsgericht zu stellen.108 Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 1084 II ZPO), gegen den sofortige Beschwerde statthaft ist.109 Zuvor kann es die Zwangsvollstreckung auch einstweilen einstellen oder Sicherheitsleistung anordnen (§§ 1084 II 2, 769, 770 ZPO).
14.71
e) Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung Das Vollstreckungsgericht ist auch zuständig, um über Anträge auf Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung zu entscheiden (§ 1084 I ZPO), weil (1) im Ursprungsstaat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt wurde, der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, oder (2) weil eine Berichtigung oder ein Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 10 EuVTVO beantragt wurde (Art. 23 EuVTVO). Das Vollstreckungsgericht kann dann nach seinem Ermessen110 (1) die Vollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen be104 BGH, NJW 2010, 2137, 2138. 105 Kropholler/v. Hein, Art. 21 EuVTVO Rz. 5; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 21 EG-VollstrTitelVO Rz. 5 ff.; D.-Ch. Bittmann, S. 168, 174 f. 106 Für Erweiterung des Art. 21 EuVTVO um einen ordre public-Einwand s. S. Gerling, S. 245. 107 BGHZ 201, 22 (Rz. 13 ff.) = NJW 2014, 2363. 108 Vgl. K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 402; Rauscher/Pabst, Art. 21 EG-VollstrTitelVO Rz. 11 ff. 109 Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 171. 110 Kropholler/v. Hein, Art. 23 EuVTVO Rz. 6; Rauscher/Pabst, Art. 23 EG-VollstrTitelVO Rz. 5 f, MünchKomm/ZPO/Adolphsen, § 1084 ZPO Rz. 5; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 28 Rz. 178; vgl. R. Wagner, IPRax 2005, 401, 404; K. Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389, 403. Zur Beachtung von Art. 6 EMRK s. A. Burgstaller/M. Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 189 f.
827
14.72
§ 14 Rz. 14.72 | Europäische Vollstreckungstitel
schränken, (2) eine Sicherheitsleistung anordnen oder (3) das Vollstreckungsverfahren (nur im Ausnahmefall) aussetzen.
14.73 Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbare einstweilige Anordnung, § 1084 III ZPO. f) Vollstreckungsabwehrklage Schrifttum: B. Gsell, Die Geltendmachung nachträglicher materieller Einwendungen im Wege der Vollstreckungsgegenklage bei Titeln aus dem Europäischen Mahn- oder Bagatellverfahren, EuZW 2011, 87.
14.74 Auch der Europäische Vollstreckungstitel unterliegt der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO (§ 1086 ZPO). Zwar darf der Titel nach Art. 21 II EuVTVO, Art. 19 EuMVVO, Art. 20 I EuGFVO im Vollstreckungsstaat nicht in der Sache selbst nachgeprüft werden. Mit der Vollstreckungsabwehrklage können aber nach § 767 II ZPO nachträglich entstandene Einwendungen vorgebracht werden, die der Richter des Ursprungsstaats nicht berücksichtigen konnte.111 Die anfängliche ordre public-Widrigkeit des Titels kann daher nicht geltend gemacht werden.112
14.75 Die internationale Zuständigkeit hierfür kann sich auf Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO) stützen.113 Örtlich zuständig ist nach § 1086 I ZPO das Gericht am Wohnsitz des Schuldners, hilfsweise das Gericht des Vollstreckungsortes. 14.76 Problematisch ist die Zulassung der Vollstreckungsabwehrklage allerdings gegenüber nichtrechtskraftfähigen Titeln wie Prozessvergleichen und öffentlichen Urkunden, bei denen keine Rechtskraftpräklusion besteht und infolgedessen gegen entsprechende inländische Titel auch anfängliche Einwendungen vorgebracht werden können.114 Damit Art. 21 II EuVTVO für diese Titel nicht dadurch unterlaufen werden kann, hat der deutsche Gesetzgeber in §§ 1086 II, 1096 II 2, 1109 II ZPO eine entsprechende Anwendung von § 767 II ZPO angeordnet. Die Vollstreckungsabwehrklage gegen einen Europäischen Vollstreckungstitel kann also auch bei einem Prozessvergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde nur auf nachträglich entstandene Einwendungen gestützt werden.115
111 R. Wagner, IPRax 2005, 401, 407 f.; S. Gerling, S. 132 ff., 143; D.-Ch. Bittmann, S. 184 ff.; M. Stürner, FS Simotta, 2012, S. 587, 593; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1086 ZPO Rz. 1; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 20 EG-VollstrTitelVO Rz. 36; krit. St. Leible/M. Lehmann, NotBZ 2004, 453, 461. 112 Kropholler/v. Hein, Art. 20 EuVTVO Rz. 13. 113 B. Gsell, EuZW 2011, 87, 90. 114 Vgl. K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, § 767 ZPO Rz. 75; Herget in Zöller, § 767 ZPO Rz. 20. 115 Kropholler/v. Hein, Art. 24 EuVTVO Rz. 12, Art. 25 EuVTVO Rz. 11; Rauscher/Pabst, (2015) Art. 24 EG-VollstrTitelVO Rz. 23, Art. 25 Rz. 23.
828
VI. Der Europäische Zahlungsbefehl | Rz. 14.81 § 14
V. Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts Die Entscheidungen des (künftigen) Einheitlichen Patentgerichts (s. Rz. 1.82) sind in jedem Vertragsstaat des EPGÜ unter denselben Voraussetzungen wie inländische Entscheidungen vollstreckbar (E Art. 82 I, III EPGÜ). Sie stehen damit praktisch europäischen Vollstreckungstiteln gleich.
14.77
VI. Der Europäische Zahlungsbefehl 1. Schrifttum Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 34, 2. Aufl. 2010, S. 2001; R. Freitag, Rechtsschutz des Schuldners gegen den Europäischen Zahlungsbefehl nach der EuMahnVO, IPRax 2007, 509; B. Gsell, Die Geltendmachung nachträglicher Einwendungen ... bei Titeln aus dem Europäischen Mahn- oder Bagatellverfahren, EuZW 2011, 87; B. Hess/D.-Ch. Bittmann, Die Verordnungen zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahren und eines Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen, IPRax 2008, 305; J. Kormann, Das neue Europäische Mahnverfahren in Deutschland und Österreich, 2007; Kropholler/v. Hein, Europäisches ZPR, 9. Aufl. 2011, S. 901; M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, S. 535; N. Preuß, Erlass und Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls, ZZP 122 (2009), 3; Rauscher/Gruber, EuZPR/EuIPR, Bd. II, 4. Aufl. 2015, Teil A I 4, S. 251.
14.78
2. Der Zahlungsbefehl als Vollstreckungstitel Ebenfalls ohne Vollstreckbarerklärung ist der Europäische Zahlungsbefehl (Art. 19 EuMVVO) vollstreckbar,116 wenn er zuvor vom zuständigen Gericht – wenn kein Einspruch eingelegt wurde – auf dem Formblatt G für vollstreckbar erklärt wurde (Art. 18 EuMVVO). Nach § 1093 ZPO bedarf der Europäische Zahlungsbefehl dann keiner zusätzlichen Vollstreckungsklausel.117 Im Verhältnis zu Großbritannien bleibt es dabei für Europäische Zahlungsbefehle, die bis zum Ende der Übergangsperiode am 31.12.2020 beantragt wurden (Art. 67 Abs. 3 lit. d des Austrittsvertrages).
14.79
3. Überprüfung des Zahlungsbefehls im Ursprungstaat Nutzt der Antragsgegner die Einspruchsfrist des Art. 16 II EuMVVO nicht, so wird der Europäische Zahlungsbefehl bestandskräftig. Wie ein rechtskräftiges Urteil kann er nur noch ausnahmsweise überprüft werden.
14.80
a) Nach Art. 20 I EuMVVO ist dies der Fall, wenn er gem. Art. 14 EuMVVO ersatzweise zugestellt wurde, die Zustellung nicht rechtzeitig erfolgte oder wenn der Antragsgegner aufgrund höherer Gewalt oder sonstiger außergewöhnliche Umstände den Einspruch schuldlos nicht rechtzeitig einlegen konnte. Dieser Grund soll den
14.81
116 Vgl. X. Kramer, S. 17, 27; C. Crifò, S. 103 ff. 117 Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 34 Rz. 76.
829
§ 14 Rz. 14.81 | Europäische Vollstreckungstitel
Wegfall des Anerkennungsversagungsgrundes von Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F. ausgleichen118 und entspricht in etwa der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.119
14.82 b) In Parallele zu Art. 10 I lit. b EuVTVO kann der Europäische Zahlungsbefehl außerdem überprüft werden, wenn er aufgrund außergewöhnlicher Umstände, etwa aufgrund Prozessbetrugs, offensichtlich zu Unrecht erlassen wurde (Art. 20 II EuMVVO). Es geht hier also um die inhaltliche Unrichtigkeit aus Gründen, die ein Wiederaufnahmeverfahren oder eine Schadensersatzklage nach § 826 BGB rechtfertigen würden.120 Analog soll Art. 20 II EuMVVO auf den Fall angewendet werden, dass der Zahlungsbefehl zu Unrecht für vollstreckbar erklärt wurde.121 Kein Fall des Art. 20 II EuMVVO liegt vor, wenn das Gericht des Ursprungsgerichts seine Zuständigkeit aufgrund falscher Angaben zu Unrecht bejaht hat.122 14.83 c) Zuständig für die Überprüfung in Deutschland erlassener Zahlungsbefehle ist nach § 1087 ZPO ausschließlich das AG Wedding in Berlin. Der Antragsteller muss die besonderen Umstände glaubhaft machen (§ 1092 II ZPO). Der Richter (§ 20 Nr. 7 RPflG) prüft dann, ob sie vorliegen. Findet er, dass die genannten Gründe vorliegen, wird der Zahlungsbefehl durch unanfechtbaren Beschluss für nichtig erklärt (Art. 20 III EuMVVO; § 1092 I ZPO). Das Europäische Mahnverfahren ist dann beendet (§ 1092 III ZPO); es wird nicht in ein streitiges Verfahren übergeleitet.123 Die Sachgerechtigkeit dieser Rechtsfolge wird zum Teil bezweifelt, wenn die Einspruchsfrist unverschuldet versäumt wurde; das Gericht solle dann neben der Nichtigerklärung einen Europäischen Zahlungsbefehl ein zweites Mal erlassen.124 Jedoch würde dies vermutlich nur zu einem erneuten Einspruch und dann zur Überleitung ins streitige Verfahren führen. Gegen eine solche Überleitung hat sich der deutsche Gesetzgeber aber klar in § 1092 III ZPO ausgesprochen. Deshalb muss der Antragsteller in diesen Fällen entweder einen neuen Mahnantrag stellen oder Klage erheben.125 14.84 Kann das Gericht die außergewöhnlichen Umstände nicht feststellen, weist es den Antrag auf Nichtigerklärung zurück; der Europäische Zahlungsbefehl bleibt bestehen (Art. 20 III EuMVVO). 4. Verweigerung der Vollstreckung
14.85 Eine Kontrolle des Europäischen Zahlungsbefehls anhand der in Art. 45 EuGVO n.F. (Art. 34, 35 EuGVO a.F.) aufgeführten Anerkennungsversagungsgründe findet nicht statt.126 118 Kropholler/v. Hein, Art. 20 EuMVVO Rz. 6. 119 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 2; B. Hess/D.-Ch. Bittmann, IPRax 2008, 305, 309. 120 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 3. 121 Kropholler/v. Hein, Art. 20 EuMVVO Rz. 11. 122 EuGH – C-245/14 – Thomas Cook Belgium, EuZW 2016, 196 = RIW 2016, 55 (J. v. Hein). 123 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 56. 124 So N. Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 15 f. 125 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EG-MahnVO Rz. 10. 126 Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 34 Rz. 76; Kropholler/v. Hein, Art. 19 EuMVVO Rz. 4.
830
VI. Der Europäische Zahlungsbefehl | Rz. 14.91 § 14
Auf Antrag prüft das Vollstreckungsgericht im Vollstreckungsstaat gem. Art. 22 EuMVVO lediglich, ob der Zahlungsbefehl mit einer früheren Entscheidung oder einem früheren Zahlungsbefehl eines EU-Mitgliedstaats oder mit einem anerkennungsfähigen Titel eines Drittstaats unvereinbar ist. Konnte diese Unvereinbarkeit im Ursprungstaat nicht geltend gemacht werden (Art. 22 I lit. c), wird die Vollstreckung verweigert.127
14.86
Sie wird ebenfalls verweigert, wenn der Antragsgegner (Schuldner) den titulierten Betrag nachträglich bezahlt hat (Art. 22 II EuMVVO).128
14.87
Anträge nach Art. 22 I EuMVVO sind an das örtlich zuständige Vollstreckungsgericht zu stellen (§§ 1096 I, 1084 I ZPO).129 Die nachträgliche Zahlung ist dagegen gem. §§ 1096 II, 1086 I, 767 ZPO mittels Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen.130 Daneben gilt in Deutschland freilich § 775 Nr. 4 und 5 ZPO: Kann der Schuldner die Zahlung durch öffentliche Urkunde, Privatquittung des Gläubigers oder einen Einzahlungsschein, bzw. Überweisungsbeleg nachweisen, stellt das zuständige Vollstreckungsorgan die Zwangsvollstreckung ein.131
14.88
5. Vollstreckungsabwehrklage Da Art. 20 und Art. 22 II EuMVVO nicht alle nachträglichen Einwendungen gegen einen Vollstreckungstitel erfassen, stellt sich die Frage, ob eine Vollstreckungsabwehrklage (oder ein vergleichbarer Rechtsbehelf) gegen den Zahlungsbefehl im Ursprungstaat oder/und Vollstreckungsstaat erhoben werden kann.
14.89
a) Soll ein in Deutschland erlassener Europäischer Zahlungsbefehl trotz Zahlung im Inland vollstreckt werden, greift Art. 22 II EuMVVO nicht ein, da er eine Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat voraussetzt. Der Schuldner muss sich gleichwohl nach Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. und § 767 ZPO mit nachträglichen Einwendungen gegen die Vollstreckung mit der Vollstreckungsabwehrklage zur Wehr setzen können (s. § 1095 ZPO).132
14.90
b) Wurde der Europäische Zahlungsbefehl im Ausland erlassen, greift bei Entrichtung des Betrages Art. 22 II EuMVVO (s. Rz. 14.87 f.).133 Erlischt die Forderung des Gegners aus anderen Gründen (Erlass, Leistung an Erfüllungsstatt), muss dem
14.91
127 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 22 EuMVVO Rz. 2 ff.; Rauscher/Gruber, (2015) Art. 22 EGMahnVO Rz. 3–27. 128 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 22 EuMVVO Rz. 8 ff.; Rauscher/Gruber, (2015) Art. 22 EGMahnVO Rz. 28–36. 129 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 22 EG-MahnVO Rz. 26. 130 Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Kap. 34 Rz. 91 ff. 131 Rauscher/Gruber, (2015) Art. 22 Rz. 38. 132 Kropholler/v. Hein, Art. 20 EuMVVO Rz. 27 ff.; Rauscher/Gruber, (2015) Art. 20 EGMahnVO Rz. 59 f.; N. Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 20 ff. 133 Vgl. N. Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 26 ff.
831
§ 14 Rz. 14.91 | Europäische Vollstreckungstitel
Schuldner als Rechtsbehelf die Vollstreckungsabwehrklage unmittelbar zur Verfügung stehen.134
VII. Entscheidungen im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen 1. Schrifttum
14.92 Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 35, 2. Aufl. 2010, S. 2057; Ch. Kern, Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, JZ 2012, 389; Kramer, The European Small Claims Procedure, ZEuP 2008, 355; Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, S. 1075; H.-P. Mayer/J. Lindemann/G. Haibach, Small Claims Verordnung, 2009; Rauscher/Varga, EuZPR/EuIPR, Bd. II, 4. Aufl. 2015, Teil A I 5, S. 403.
2. Abschaffung des Exequaturverfahrens
14.93 Jedes im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung bereits vor Rechtskraft vollstreckbar (Art. 15 I EuGFVO).135 Es ist nach Art. 20 I EuGFVO in jedem Mitgliedstaat anzuerkennen und ist dort ohne jede Vollstreckbarerklärung vollstreckbar. Im Verhältnis zu Großbritannien gilt dies auch nach dem Brexit für alle Entscheidungen in diesen Verfahren, die bis zum Ende der Übergangsperiode am 31.12.2020 begonnen wurden (Art. 67 Abs. 3 lit. e des Austrittsvertrages). 3. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
14.94 Vorzulegen ist lediglich eine Ausfertigung des Urteils, die Bestätigung gem. Formblatt D und ggf. eine Übersetzung in die Sprache des Vollstreckungsstaats (Art. 21 II EuGFVO). Einer Vollstreckungsklausel bedarf es nicht (§ 1107 ZPO). Die Vollstreckung selbst richtet sich nach der jeweiligen lex fori (Art. 21 I EuGFVO). 4. Ablehnung der Vollstreckung
14.95 Der Schuldner kann im Vollstreckungsstaat aber die Ablehnung der Vollstreckung nach Art. 22 EuGFVO beantragen, wenn (1) ein früheres Urteil zwischen den Parteien über denselben Streitgegenstand vorliegt, (2) dieses frühere Urteil im Vollstreckungsstaat ergangen oder dort anzuerkennen ist und 134 Kropholler/v. Hein, Art. 22 EuMVVO Rz. 15; Hüßtege in Thomas/Putzo, Anh. § 1096 Art. 22 EuMVVO Rz. 8; Rauscher/Gruber, Art. 22 EG-MahnVO Rz. 40 ff.; R. Freitag, IPRax 2007, 509, 513; B. Hess/D. Bittmann, IPRax 2008, 305, 310; krit. N. Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 29 ff. 135 Vgl. B. König/E. Praxmarer, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rückforderung und Schadenersatz, 2016. S. 112 ff.
832
VIII. Entscheidungen in Unterhaltssachen | Rz. 14.99 § 14
(3) die Unvereinbarkeit beider Entscheidungen im Verfahren für geringfügige Forderungen nicht geltend gemacht werden konnte. Die Regel entspricht Art. 21 EuVTVO (s. Rz. 14.70 f.). Weitere Ablehnungsgründe, insb. eine ordre public-Kontrolle, sind wie in der EuVTVO nicht vorgesehen. 5. Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung Hat der Schuldner allerdings eine Überprüfung des Urteils im Entscheidungsstaat nach Art. 18 EuGFVO beantragt, so kann die Vollstreckung nach Art. 23 EuGFVO (wie nach Art. 23 EuVTVO) auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt, von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht oder (unter außergewöhnlichen Umständen) auch ausgesetzt werden (s. Rz. 14.72).
14.96
6. Vollstreckungsabwehrklage Nachträglich entstandene Einwendungen, etwa eine erfolgte Leistung, hat der Schuldner in Deutschland als Ursprungstaat oder als Vollstreckungsstaat mittels Vollstreckungsabwehrklage (§§ 767, 1109 II, 1086 ZPO) geltend zu machen.136
14.97
VIII. Entscheidungen in Unterhaltssachen 1. Schrifttum M. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 10D II (Rz. 209 ff.); M. Andrae, Das neue Auslandsunterhaltsgesetz, NJW 2011, 2445; N. Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa, 2011; F. Eichel, Europarechtliche Fallstricke im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem AVAG und dem neuen Auslandsunterhaltsgesetz (AUG), GPR 2011, 193; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 36, 2. Aufl. 2010, S. 2109; E. Gitschthaler/M. Kaller-Pröll, Internationales Familienrecht, 2019, S. 2331; B. Gsell/F. Netzer, Vom grenzüberschreitenden zum potentiell grenzüberschreitenden Sachverhalt – Art. 19 EuUnthVO als Paradigmenwechsel im Europäischen Zivilverfahrensrecht, IPRax 2010, 403; M. Heger/U. Selg, Die europäische Unterhaltsverordnung und das neue Auslandsunterhaltsgesetz, FamRZ 2011, 1101; B. Hess/St. Spancken, Die Durchsetzung von Unterhaltstiteln mit Auslandsbezug nach dem AUG, FPR 2013, 27; G. Hohloch, Internationale Vollstreckung familienrechtlicher Titel, FPR 2012, 495, 496; C. Schmidt, Internationale Unterhaltsrealisierung, 2011.
14.98
2. Kein Exequaturverfahren Ergeht der Unterhaltstitel in einem EU-Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 (HUP) gebunden ist, ist er in den anderen EU-Mitgliedstaaten ohne weiteres anzuerkennen (Art. 17 I EuUntVO) und ohne Vollstreckbarerklärung voll136 Rauscher/Varga, (2015) Art. 22 EG-BagatellVO Rz. 8; Kropholler/v. Hein, Art. 21 EuGFVO Rz. 1.
833
14.99
§ 14 Rz. 14.99 | Europäische Vollstreckungstitel
streckbar (Art. 17 II EuUntVO).137 Dies wird durch § 30 AUG 2011 nochmals bestätigt.138 Allerdings gilt dies nur für Entscheidungen in Verfahren, auf die die EuUntVO nach Art. 75 anwendbar ist.139 Nach Art. 39 EuUntVO kann das Ursprungsgericht eine Unterhaltsentscheidung für vorläufig vollstreckbar erklären, auch wenn das nationale Recht dies nicht vorsieht.140 Vorausgesetzt ist allerdings, dass es sich um eine familienrechtliche Unterhaltspflicht handelt (Art. 1 I EuUntVO).141 Nicht durch das HUP gebunden sind Großbritannien und Dänemark; Entscheidungen aus diesen Staaten bedürfen also weiterhin der Vollstreckbarerklärung (s. Rz. 15.254).
14.100 Die unmittelbare Vollstreckbarkeit gilt nach Art. 48 EuUntVO nicht nur für gerichtliche Entscheidungen, sondern auch für gerichtliche Vergleiche (Art. 2 I Nr. 2 EuUntVO) und vollstreckbare öffentliche Urkunden (Art. 2 I Nr. 3 EuUntVO). Auch Titel, die unabhängige Verwaltungsbehörden erlassen haben, sind gem. Art. 2 II EuUntVO erfasst. 3. Nachprüfung im Ursprungsland
14.101 Zum Ausgleich steht dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hatte, ein Recht auf Nachprüfung der Entscheidung im Ursprungsstaat gem. Art. 19 EuUntVO zu.142 Voraussetzung dafür ist freilich, dass (1) ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte, (2) er aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne Verschulden gehindert war, Einspruch einzulegen, und er (3) nicht eine Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsmittels ungenutzt hat verstreichen lassen. 14.102 Zuständig für die Nachprüfung ist das Gericht des Ursprungstaats. Die Nachprüfung muss spätestens innerhalb von 45 Tagen beantragt werden (Art. 19 II 2 EuUntVO). 14.103 Kann das Gericht keinen Nachprüfungsgrund feststellen, wird der Antrag zurückgewiesen. Der Unterhaltstitel bleibt in Kraft (Art. 19 III 1 EuUntVO). Stellt das Gericht einen Nachprüfungsgrund fest, wird der Titel für nichtig erklärt. Die mit der ursprünglichen Klage verbundene Unterbrechung bzw. Hemmung der Verjährung bleibt jedoch erhalten (Art. 19 III 2 EuUntVO).143 Obwohl der Titel für nichtig zu erklären ist, sieht § 70 III AUG vor, dass wie bei einem erfolgreichen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil vorzugehen ist: Das Unterhaltsverfahren wird fortgesetzt 137 Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 17 EG-UntVO Rz. 8 f.; Gebauer/Wiedmann/ Bittmann, Kap. 36 Rz. 89; G. Hohloch, FPR 2012, 495, 498. 138 Vgl. B. Hess/St. Spancken, FPR 2013, 27, 28. 139 Vgl. BGH, MDR 2019, 1532 = FamRZ 2020, 123 (N. Kleinjohann). 140 Vgl. B. König/E. Praxmarer, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rückforderung und Schadenersatz, 2016, S. 119 ff. 141 Vgl. Ch. Althammer, Der Begriff der Familie als Anknüpfungspunkt im Europäischen Kollisions- und Verfahrensrecht, NZFam 2016, 629. 142 Vgl. B. Gsell/F. Netzer, IPRax 2010, 403; Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 19 EGUntVO Rz. 6 ff.; Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 148. 143 Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 19 EG-UntVO Rz. 21; Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 36 Rz. 105.
834
VIII. Entscheidungen in Unterhaltssachen | Rz. 14.106 § 14
und in die Lage vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt. Die §§ 343 ff. ZPO gelten entsprechend (§ 70 III 2, 3 AUG). Auch die Zwangsvollstreckung aus dem Titel bleibt möglich und wird gem. § 70 III 4 AUG lediglich auf Antrag des Schuldners ohne Sicherheitsleistung eingestellt. Ob diese Lösung mit Art. 19 III EuUntVO vereinbar ist, wird teilweise bezweifelt.144 Die Nichtigkeit ist aber wohl nur so zu verstehen, dass das bisherige Verfahrensergebnis keinen Bestand haben soll und neu überprüft werden kann und muss. Dazu muss aber kein neues Verfahren eingeleitet werden.145 Daneben können die Beteiligten sich gegen die Verweigerung bzw. die Ausstellung des Formblatts und der Bescheinigung im Ursprungsstaat wenden. § 71 II 2 AUG sieht insoweit vor, dass die Regeln über die Anfechtung von Entscheidungen über die Erteilung der Vollstreckungsklausel entsprechend gelten.
14.104
4. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung Um die Vollstreckung aus einem europäischen Vollstreckungstitel über Unterhalt betreiben zu können, muss der Gläubiger vorlegen:
14.105
(1) eine Ausfertigung der Entscheidung oder des Vergleichs (in Originalsprache), (2) einen Auszug aus der Entscheidung oder dem Vergleich unter Verwendung des Formblattes in Anhang I der Unterhaltsverordnung, aus dem sich u.a. die Vollstreckbarkeit ergibt,146 (3) wenn es Unterhaltsrückstände gibt, ein Schriftstück mit Angabe der Höhe und dem Datum der Berechnung; dies ist sinnvoll, wenn die Rückstände nicht direkt tituliert sind, sondern nach Titelerrichtung aufgelaufen sind,147 (4) eine beglaubigte Übersetzung des Auszugs zu (2) (§ 1083 ZPO), wenn das Formblatt individuelle Angaben enthält.148 Die Vorlage einer Übersetzung der Entscheidung selbst bedarf es zur Vollstreckung nicht. Die Vorlage einer Übersetzung wird erst verlangt, wenn der Schuldner einen Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung nach Art. 21 EuUntVO stellt149 Für deutsche Titel werden das Formblatt und die Bescheinigung von den Gerichten, Behörden oder Notaren ausgestellt, die sonst für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zuständig sind (§ 71 I, II AUG). Die Ausstellung des Formblatts schließt das Recht auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht aus (§ 71 III AUG), damit der Titel auch im Inland vollstreckt werden kann.150 Ein Titel, der auf einen Prozentsatz des Mindestunterhalts lautet, ist auf Antrag zu beziffern (§ 72 144 145 146 147 148 149 150
Vgl. Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 19 EG-UntVO Rz. 21. Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 19 EG-UntVO Rz. 28 f. Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 20 EG-UntVO Rz. 16.a ff. Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 20 EG-UntVO Rz. 3. Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 20 EG-UntVO Rz. 7 f, 10 ff. Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 20 EG-UntVO Rz. 9. Vgl. M. Andrae, § 10 Rz. 215 f.
835
14.106
§ 14 Rz. 14.106 | Europäische Vollstreckungstitel
AUG i.V.m. § 245 FamFG). Ein verkürzter Anerkenntnis- oder Versäumnisbeschluss ist auf Antrag zu vervollständigen (§ 73 AUG). 5. Durchführung der Zwangsvollstreckung
14.107 Die Vollstreckung eines EU-Unterhaltstitels erfolgt in jedem Mitgliedstaat nach dem jeweiligen nationalen Vollstreckungsrecht unter denselben Bedingungen wie eine nationale Entscheidung (Art. 41 I EuUntVO). Von dem Antragsteller darf nicht verlangt werden, dass er im Inland über eine Postanschrift oder einen bevollmächtigten Vertreter verfügt (Art. 41 II EuUntVO). 14.108 Lehnt das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung wegen Unbestimmtheit des Titels ab, kann der Gläubiger beim AG am Sitz des OLG, in dessen der Bezirk der Schuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder die Vollstreckung durchgeführt werden soll, eine Konkretisierung des Titels beantragen (§§ 34, 35 AUG). 14.109 Nach Art. 64 III, IV EuUntVO kann eine öffentliche Einrichtung, auf die der Unterhaltsanspruch übergegangen ist, entweder aus einer auf sie selbst lautenden Entscheidung oder auch aus einem zugunsten des eigentlichen Unterhaltsgläubigers ergangenen Entscheidung vollstrecken, soweit sie ihre Leistungen an den Unterhaltsberechtigten und den Rechtsübergang auf sich schriftlich nachweisen kann. 14.110 Für die Vollstreckung eine Entscheidung kann der Gläubiger nach Art. 56 I lit. b, III EuUntVO die Rechtshilfe der Zentralen Behörde des ersuchten Staates in Anspruch nehmen. Über Art. 64 I EuUntVO steht diese Möglichkeit auch der öffentlichen Einrichtung für die Vollstreckung ihres Rückgriffanspruchs zu.151 6. Rechtsbehelfe im Vollstreckungsstaat
14.111 Der Vollstreckungsstaat prüft von Amts wegen, ob überhaupt ein Titel (aus einem nach dem 18.6.2011 eingeleiteten Verfahren) vorliegt, der nach der EuUntVO unmittelbar vollstreckbar ist. Wird die Vollstreckung abgelehnt, weil der Titel zu alt ist, kann der Berechtigte in Deutschland eine gerichtliche Entscheidung analog § 34 AUG beantragen.152 Wird die Vollstreckung zugelassen, kann eine Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung analog § 767 ZPO, ggf. eine entsprechende einstweiligen Anordnung nach § 769 ZPO beantragt werden.153 14.112 Wird die Entscheidung im Ursprungsstaat aufgehoben oder verliert sie sonst ihre Vollstreckbarkeit, kann der Schuldner nach § 32 AUG i.V.m. §§ 775 Nr. 1, 2, 776 ZPO eine Einstellung bzw. Beschränkung der Zwangsvollstreckung beantragen.154 14.113 Wird im Ursprungsstaat ein Nachprüfungsantrag nach Art. 19 EuUntVO gestellt (s. Rz. 14.101, kann die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat auf Antrag des Schuld151 152 153 154
836
Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 64 EG-UntVO Rz. 34. M. Andrae, § 10 Rz. 221, 226. M. Andrae, § 10 Rz. 226. M. Andrae, § 10 Rz. 227.
VIII. Entscheidungen in Unterhaltssachen | Rz. 14.116 § 14
ners ganz oder teilweise ausgesetzt werden (Art. 21 III EuUntVO). Das Gericht entscheidet über den Antrag nach seinem Ermessen. Es berücksichtigt, ob der Antrag auf Nachprüfung voraussichtlich erfolgreich sein wird oder ob er nur zur Verzögerung gestellt ist. Ergänzend zur Regelung der EuUntVO sieht § 33 AUG vor, dass die Zwangsvollstreckung auf Antrag (gem. §§ 707, 719 I ZPO, § 120 II 2, 3 FamFG) einstweilen eingestellt werden kann, wenn der Schuldner im Ursprungsstaat Wiedereinsetzung beantragt oder ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt hat.155 Im Vollstreckungsstaat kann der Verpflichtete weiter beantragen, die Vollstreckung nach Art. 21 II EuUntVO zu verweigern oder auszusetzen,
14.114
(1) weil der Anspruch nach dem Recht des Ursprungsstaats oder dem des Vollstreckungsstaats (die längere Frist gilt) bereits verjährt ist (Art. 21 II, 1. Unterabs. EuUntVO) oder (2) weil die Entscheidung mit einer anderen vollstreckbaren Entscheidung (einem Vergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde), die im Vollstreckungsstaat, in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder einem Drittstaat ergangen ist, unvereinbar ist (Art. 21 II, 2. Unterabs. EuUntVO).156 Entscheidend ist nur die Unvereinbarkeit. Das Gericht hat aber ein Ermessen, ob es der früheren oder der späteren Entscheidung den Vorrang gibt. Bei einer direkten Kollision von Unterhaltsentscheidungen sollte die spätere Entscheidung Vorrang haben, weil sie den konkreten Lebensumständen im Zweifel besser entspricht. Wird eine Unterhaltsentscheidung abgeändert, hat immer die Abänderungsentscheidung Vorrang (Art. 21 II Unterabs. 3 EuUntVO). Beim Widerspruch zu einer Statusentscheidung, auch einer inländischen Entscheidung über die Nichtanerkennungsfähigkeit eine ausländischen Statusentscheidung) haben diese Vorrang.157 Solche Anträge sind bei dem AG zu stellen, in dessen Bezirk die Vollstreckung stattfinden soll oder stattgefunden hat (§ 31 I AUG; § 764 II ZPO). Der ordre public-Einwand kann gegenüber EU-Unterhaltstiteln nicht erhoben werden.158
14.115
Wahlweise neben Rechtsschutzmöglichkeiten im Ursprungsstaat steht dem Schuldner im Vollstreckungsstaat über Art. 21 I EuUntVO auch die Vollstreckungsabwehrklage zur Verfügung (§ 120 FamFG i.V.m. § 767 ZPO).159 Sie kann aber nur auf Gründe gestützt werden, die nach Erlass der Entscheidung entstanden sind (§ 66 I 2 AUG). Zuständig ist nach § 66 III 2 i.V.m. § 35 I, II AUG das AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk sich der Titelschuldner gewöhnlich aufhält oder die Vollstreckung durchgeführt werden soll. Der EuGH stützt die Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage im Vollstreckungsstaat allerdings auf Art. 41 EuUntVO.160
14.116
155 156 157 158 159 160
M. Andrae, § 10 Rz. 227. Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Kap. 36 Rz. 125 f. Lipp in MünchKomm/FamFG, Art. 21 EG-UntVO Rz. 19 ff.; M. Andrae, § 10 Rz. 228 ff. M. Andrae, § 10 Rz. 209. Rauscher/Andrae/Schimrick, (2015) Art. 21 EG-UntVO Rz. 38 ff. EuGH – C-41/19; ECLI:EU:C:200:425 – FX v GZ, FamRZ 2020, 1289 (T. Donej)
837
§ 14 Rz. 14.117 | Europäische Vollstreckungstitel
7. Abänderung von Unterhaltsentscheidungen
14.117 Die Abänderung von Unterhaltstiteln ist völkerrechtlich unbedenklich. Die internationale Zuständigkeit für die Abänderung ergibt sich wie die für die ursprüngliche Unterhaltsklage aus Art. 3 ff. EuUntVO.161 Die abzuändernde Entscheidung muss (im Wege inzidenter Prüfung) gem. Art. 23 f EuUntVO anerkannt werden.162 Die EuUntVO geht in Art. 8 I, 56 I lit. e, II lit. b, c selbst davon aus, dass Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaates in einem anderen abgeändert werden können. Die Abänderungsregelungen selbst sind dem aktuellen Unterhaltsstatut zu entnehmen. Der BGH hat entschieden, dass eine Neufestsetzung des Unterhalts nicht zulässig ist und die Abänderung deshalb grundsätzlich nach dem Sachrecht zu erfolgen hat, das dem abzuändernden Titel zugrunde liegt. Falls aber nach Erlass der abzuändernden Entscheidung ein echter Statutenwechsel eingetreten sei, sei ab dem Zeitpunkt des Statutenwechsels das neue Unterhaltsstatut anzuwenden.163 Hierfür sprechen auch Art. 11 lit. a u. b HUP, da danach das aktuelle Unterhaltsstatut bestimmt, ob und in welchem Umfang Unterhalt, auch für die Vergangenheit, verlangt werden kann.164 Allerdings rechtfertigt ein bloßer Statutenwechsel keine Abänderung, vielmehr müssen sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben.165
IX. Entscheidungen in Gewaltschutzsachen 14.118 Schrifttum: A. Dutta, Grenzüberschreitender Gewaltschutz in der Europäischen Union,
FamRZ 2015, 85; Mayr/Garber, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2017, Kap. 10, S. 765; Rauscher/Binder, EU-SchutzMVO, in EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, S. 1189; M. Requejo Isidro, El reglamento (UE) no. 606/2013, relativo al reconocimiento mutuo de medidas de protección en materia civil, IJPL 5 (2015), 51.
– Richtlinie 2011/99/EU v. 13.12.2011 über die Europäische Schutzanordnung (ABl. EU Nr. L 338/2). – Verordnung (EU) Nr. 606/2013 v. 12.6.2013 (ABl. EU Nr. L 181/4) – EU-Gewaltschutzverfahrensgesetz (EUGewSchVG) v. 5.12.2014 (BGBl. 2014 I, 1964)
14.119 Nach Art. 4 VO Nr. 606/2013 und § 17 EUGewSchVG bedürfen Gewaltschutzanordnungen der Gerichte eines EU-Mitgliedstaates keiner Vollstreckbarerklärung im Inland und keiner Vollstreckungsklausel.166 Im Verhältnis zu Großbritannien bleibt es 161 BGHZ 203, 372 (Rz. 11) = FamRZ 2015, 479 (B. Heiderhoff) = IPRax 2016, 374 (dazu U. P. Gruber). 162 BGHZ 203, 372 (Rz. 13) = FamRZ 2015, 479 (B. Heiderhoff) = IPRax 2016, 374 (dazu U. P. Gruber). 163 BGHZ 203, 372 (Rz. 24 ff.) = FamRZ 2015, 479 (B. Heiderhoff) = IPRax 2016, 374 (dazu U. P. Gruber). 164 Mankowski in Staudinger, (2016) HUP Rz. 66 f. 165 Mankowski in Staudinger, (2016) HUP Rz. 71 f. 166 Erbarth in MünchKomm/FamFG, EU-GewaltschutzVO Art. 4 Rz. 6 f.; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 10.33 ff.; Rauscher/Binder, (2015) Einl EU-SchutzMVO Rz. 69.
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X. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung | Rz. 14.122 § 14
dabei für Bescheinigungen, die bis zum Ende der Übergangsperiode am 31.12.2020 ausgestellt wurden (Art. 67 Abs. 3 lit. f des Austrittsvertrages). Für die Zwangsvollstreckung ist nach § 19 EUGewSchVG örtlich das Familiengericht zuständig, in dessen Bezirk sich (1) die gefährdende Person aufhält oder (2) die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Dieses Gericht kann den Titel, falls erforderlich, nach Art. 11 VO Nr. 606/2013 anpassen (§ 20 EUGewSchVG). Es entscheidet auch über Anträge auf Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung nach Art. 13 VO Nr. 606/2013 (§ 21 EUGewSchVG).
14.120
X. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung 1. Schrifttum G. Britz, Grundrechtsschutz in der justiziellen Zusammenarbeit – zur Titelfreizügigkeit in Familiensachen, JZ 2013, 105; K. Schulte-Bunert, Die Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung nach der VO (EG) 2201/2003 in Verbindung mit dem IntFamRVG, FamRZ 2007, 1608; A. Schulz, Das Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz, FamRZ 2011, 1273, 1277; A. Schulz, Die Neufassung der Brüssel IIa-Verordnung, FamRZ 2020, 1141.
14.121
2. Titel zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes nach Brüssel IIa-VO 2003 Die Art. 40 I, 41 ff. Brüssel IIa-VO sehen für Entscheidungen zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes die Erstellung einer besonderen Bescheinigung (über das Umgangsrecht bzw. über die Rückgabe des Kindes, Art. 41 II, 42 II Brüssel IIaVO, § 48 II IntFamRVG) vor.167 Aufgrund dieser Bescheinigung werden diese Titel Europäische Vollstreckungstitel. Sie können also in jedem Mitgliedstaat der EU vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedürfte und ohne dass die Anerkennung im Vollstreckungsstaat angefochten werden könnte (Art. 41 I 1, 42 I 1 Brüssel IIa-VO). Gemeint ist mit der letzten Formulierung, dass im Zweitstaat keine Einwendungen gegen die Anerkennungsfähigkeit dieser Titel erhoben werden können.168 Auch eine ordre public-Prüfung ist dadurch ausgeschlossen.169 Einwendungen gegen den Titel oder die Bescheinigung können nur vor den Gerichten des Erlassstaates erhoben werden.170 Allerdings muss vor Erteilung der Bescheinigung im Ursprungsstaat geprüft werden, ob das Verfahren Mindeststandard erfüllt hat.171 Nicht ausreichend ist auch die mündliche Mitteilung von der anhängigen Klage durch den Kläger oder eine entsprechende formlose schriftliche Mitteilung durch 167 Vgl. EuGHE 2008, I-5271 (Rinau) = FamRZ 2008, 1729 (A. Schulz) = NJW 2008, 2973 (dazu J. Rieck, S. 2958); Rauscher/Rauscher (2015) Art. 40 Brüssel IIa-VO Rz. 3. 168 D. Solomon, FamRZ 2004, 1409, 1418. 169 Für eine „reduzierte Grundrechtsprüfung“ im Vollstreckungsstaat aber G. Britz, JZ 2013, 105. 170 OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1941 (K. Schweppe). 171 Hk-ZPO/Dörner, Art. 41 EheGVO Rz. 6 ff.
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14.122
§ 14 Rz. 14.122 | Europäische Vollstreckungstitel
dessen Anwalt.172 Weist die Umgangssache bei Verkündung der Entscheidung bereits einen grenzüberschreitenden Bezug auf, wird die Bescheinigung von Amts wegen ausgestellt (Art. 41 III Brüssel IIa-VO).173
14.123 Bei der eigentlichen Vollstreckung nach nationalem Recht (Art. 47 I Brüssel IIa-VO) soll nach Ansicht mancher Autoren eine vollstreckungsrechtliche ordre public-Prüfung möglich sein.174 Diese Ansicht hat der EuGH aber mit Urteil vom 1.7.2010 zurückgewiesen. Auch über den Einwand der Gefährdung des Kindeswohls oder des Verstoßes gegen Grundrechte könne nur das Gericht des Ausgangsstaates entscheiden; der Vollstreckungsstaat dürfe die Entscheidung sachlich nicht überprüfen.175 14.124 Voraussetzung für die Erteilung der Bescheinigung ist die Prüfung, dass (1) eine von Art. 40 I Brüssel IIa-VO erfasste Entscheidung vorliegt, (2) allen Beteiligten das rechtliche Gehör gewährt wurde, und zwar, (i) dass der Partei, die sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass sie sich verteidigen konnte, oder dass festgestellt werden kann, dass sie mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist, (ii) alle Betroffenen Gelegenheit hatten, gehört zu werden, (iii) das Kind (soweit nach Alter und Reifegrad angebracht) Gelegenheit hatte, gehört zu werden, (iv) das Gericht bei einer Rückgabeentscheidung die Gründe und Beweismittel berücksichtigt hat, die der nach Art. 13 HKÜ ergangenen Entscheidung zugrunde liegen.
14.125 Die Bescheinigung über die Rückgabe des Kindes wird stets von Amts wegen ausgestellt (Art. 42 II 3 Brüssel IIa-VO), die Bescheinigung über das Umgangsrecht nur, wenn der Fall bereits bei seiner Entscheidung einen grenzüberschreitenden Bezug hat (Art. 41 III 1 Brüssel IIa-VO). Entsteht dieser Bezug erst später, kann die Ausstellung nachträglich beantragt werden (Art. 41 III 2 Brüssel IIa-VO). 14.126 Gegen die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 41 oder Art. 42 gibt es kein Rechtsmittel (Art. 43 II Brüssel IIa-VO). Zulässig ist nur ein Antrag auf Berichtigung (Art. 43 I Brüssel IIa-VO). Nach § 49 IntFamRVG ist insoweit § 319 ZPO entsprechend anzuwenden.
172 So OLG München, FamRZ 2012, 1512. 173 Vgl. R. Wagner, ZZP 131 (2018), 183, 193. 174 So D. Solomon, FamRZ 2004, 1409, 1419; Rauscher/Rauscher, (2015) Art. 40 Brüssel IIaVO Rz. 9; a.A. H. Rausch, FuR 2005, 112, 115; K. Schulte-Bunert, FamRZ 2007, 1608, 1609. 175 EuGH – C-211/10 PPU, EuGHE 2010, I-6673 (Rz. 80 ff.), FamRZ 2010, 1229 (A. Schulz); auch EuGH – C-491/10 PPU, ECLI:EU:C:2010:828 – Aguirre Zarraga, FamRZ 2011, 355; OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1941 (K. Schweppe).
840
X. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung | Rz. 14.132 § 14
Zur Vollstreckung in Deutschland nach deutschem Recht (Art. 47 I Brüssel IIa-VO) gelten die Vollstreckungsregeln der §§ 86 ff. FamFG.176 Ergänzend sieht § 44 I IntFamRVG bei der Vollstreckung eines auf Herausgabe einer Person oder die Regelung des Umgangs gerichteten Titels vor, dass das Gericht bei einer Zuwiderhandlung Ordnungsgeld, und für den Fall, dass es nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen soll. Nur wenn die Anordnung des Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, soll direkt Ordnungshaft angeordnet werden (§ 44 I IntFamRVG). Das Kindeswohl ist vor der Anordnung eines Ordnungsmittels grundsätzlich nicht erneut zu prüfen.177
14.127
Um die Vollstreckung von Umgangstiteln zu erleichtern, kann das Gericht des Vollstreckungsstaates aber nach Art. 48 I Brüssel IIa-VO die praktischen Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts regeln, soweit diese in der zu vollstreckenden Entscheidung nicht ausreichend festgehalten sind oder sich die Bedingungen geändert haben. Der Wesensgehalt der Entscheidung darf dabei nicht verändert werden. Örtlich zuständig ist gem. §§ 10, 12 IntFamRVG das Familiengericht in dessen Bezirk sich der Gegner oder das Kind, um das es geht, gewöhnlich aufhält. Ergänzt das Gericht der Hauptsache seine Entscheidung, treten die vom Vollstreckungsgericht festgelegten Modalitäten außer Kraft (Art. 48 II Brüssel IIa-VO).
14.128
Nach § 90 FamFG kann das Gericht die Anwendung unmittelbaren Zwangs nur noch anordnen, wenn (1) die Festsetzung von Ordnungsmitteln erfolglos geblieben ist, (2) keinen Erfolg verspricht oder (3) eine alsbaldige Vollstreckung unbedingt geboten ist. Eine gleichzeitige Anordnung von Ordnungsmittel und unmittelbarem Zwang scheidet daher aus.178
14.129
Zu jeder Vollstreckung müssen aber die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) vorliegen. Einer formellen Klausel bedarf es nicht, vielmehr genügt, dass der Titel nach der vorgelegten Bescheinigung vollstreckbar ist.
14.130
Die zu vollstreckende Entscheidung muss zudem bereits zugestellt sein oder gleichzeitig zugestellt werden (§ 87 II FamFG). Zuzustellen ist nach § 15 II 1 FamFG i.V.m. §§ 168, 191 ZPO durch das erkennende (ausländische) Gericht oder den Vollstreckungsgläubiger. Soweit der Titel auf Herausgabe oder Rückgabe eines Kindes gerichtet ist, ist er nach § 44 III IntFamRVG von Amts wegen zu vollstrecken, so dass insoweit auch eine Zustellung durch das vollstreckende Gericht genügt.179 Analog Art. 20 II 1 EuUntVO muss der Vollstreckungsgläubiger zunächst keine Übersetzung der (gesamten) Entscheidung in die deutsche Sprache vorlegen.180
14.131
Nach § 92 I FamFG ist der Verpflichtete vor der Festsetzung von Ordnungsmitteln und grundsätzlich auch vor der Anordnung unmittelbaren Zwangs (schriftlich) anzuhören. Das Kindeswohl ist vor der Festsetzung nicht erneut zu prüfen. Daher be-
14.132
176 177 178 179 180
OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1939. BGH, FamRZ 2012, 533 (St. Hammer). Vgl. OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1940. OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1941. OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1941.
841
§ 14 Rz. 14.132 | Europäische Vollstreckungstitel
darf es weder der Bestellung eines Verfahrensbeistands für ein Kind noch der Anhörung des Jugendamts.181
14.133 Soll unmittelbarer Zwang gegen ein Kind angeordnet werden, ist nach § 90 II 2 FamFG zu prüfen, ob dieser mit dem Kindeswohl verträglich ist und kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Zwar sollen insoweit die §§ 158 ff. FamFG nicht anzuwenden sein, doch müsse das Kind regelmäßig persönlich angehört werden. Das Jugendamt und bei kleinen Kindern auch ein Verfahrensbeistand seien um eine Stellungnahme zu ersuchen.182 Dabei darf es aber nur um die Anordnung des unmittelbaren Zwangs gehen; ob die angeordnete Maßnahme dem Kindeswohl entspricht, entscheidet (wie in Rz. 123 dargelegt) nur das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates.183 14.134 Gegen die Anordnung eines Ordnungsmittels oder unmittelbaren Zwangs durch das Familiengericht erster Instanz kann der Verpflichtete nach § 87 IV FamFG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO sofortige Beschwerde einlegen. 14.135 Entscheidungen zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes, die nach der Brüssel IIa-VO bereits Europäische Vollstreckungstitel sind, bleiben dies auch nach der Neufassung durch die Brüssel IIb-VO (VO 2019/1111) gem. Art. 45 I Brüssel IIb-VO als sog. privilegierte Entscheidungen. 3. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung nach der Brüssel IIb-VO
14.136 Sämtliche Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaates über die elterliche Verantwortung sind künftig nach Art. 34 Brüssel IIb-VO ((EU) 2019/1111) in den anderen EUMitgliedstaaten ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckbar.184 Zur Vollstreckung vorzulegen sind eine Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung und eine Bescheinigung nach Art. 36 über ihre Vollstreckbarkeit (Art. 35 I Brüssel IIb-VO). 14.137 Soll eine einstweilige Maßnahme vollstreckt werden, muss aus der Bescheinigung zusätzlich zur Vollstreckbarkeit auch hervorgehen, dass die Maßnahme entweder von dem in der Hauptsache zuständigen Gericht angeordnet wurde oder dass es sich um eine Anordnung zur Rückgabe eines Kindes nach Art. 27 V i.V.m. Art. 15 Brüssel IIb-VO handelt. Wurde die Maßnahme ohne Vorladung des Antragsgegners angeordnet, muss auch die Zustellung der Entscheidung an den Antragsgegner nachgewiesen werden (Art. 35 II Brüssel IIb-VO). 14.138 Falls erforderlich kann die Vollstreckungsbehörde zusätzlich die Vorlage einer Übersetzung oder Transliteration der übersetzbaren Freitextfelder der Bescheinigung nach Art. 36 verlangen (Art. 35 III Brüssel IIb-VO). Kann die Vollstreckung ohne Übersetzung oder Transliteration der Entscheidung selbst nicht fortgesetzt werden,
181 182 183 184
842
OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1942. OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1942. K. Schweppe, FamRZ 2018, 1942, 1943. Vgl. A. Schulz, FamRZ 2020, 1141, 1146.
X. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung | Rz. 14.141 § 14
kann die betreibende Partei auch zur Vorlage einer Übersetzung bzw. Transliteration der ganzen Entscheidung aufgefordert werden (Art. 35 IV Brüssel IIb-VO). Die Vollstreckung einer Entscheidung zur elterlichen Verantwortung ist nach Art. 41 Brüssel IIb-VO zu versagen, wenn einer der Gründe zur Versagung der Anerkennung nach Art. 39 Brüssel IIb-VO vorliegt. Es sind dies nach Art. 39 I Brüssel IIbVO
14.139
(1) der Verstoß gegen den ordre public (unter Berücksichtigung des Kindeswohls), (2) die Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Verfahrenseinleitung, (3) Eingriff in das Sorgerecht ohne rechtliches Gehör, (4) Unvereinbarkeit mit einer späteren Entscheidung im Vollstreckungsstaat, (5) Unvereinbarkeit mit einer späteren, anerkennungsfähigen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates oder eines Drittstaates und (6) ein Verstoß gegen Art. 82. Wurde dem Kind, das dazu fähig war, keine Gelegenheit zur Meinungsäußerung gegeben, kann die Vollstreckung nach Art. 39 II Brüssel IIb-VO versagt werden, es sei denn die Entscheidung betreffe nur Vermögen des Kindes oder es gab für die Nichtanhörung schwerwiegende Gründe, insb. die Dringlichkeit des Falles. Privilegierte Vollstreckungstitel. Entscheidungen zum Umgangsrecht und zur Rückgabe des Kindes, die schon nach Art. 40 ff. Brüssel IIa-VO Europäische Vollstreckungstitel waren, bleiben dies selbstverständlich auch nach der VO 2019/1111. Gegenüber den sonstigen Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung wird ihre Vollstreckung nach Art. 47 ff. VO 2019/1111 aber dadurch privilegiert, dass die Anerkennung und Vollstreckung nach Art. 50 VO 2019/1111 nur versagt werden darf, wenn sie mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung für dasselbe Kind unvereinbar ist.
14.140
Öffentliche Urkunden und Vereinbarungen über die elterliche Verantwortung, die in einem EU-Mitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen wurden, werden in den anderen Mitgliedstaaten nicht nur anerkannt, sondern wie gerichtliche Entscheidungen ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt (Art. 65 II Brüssel IIb-VO). Neben der Urkunde muss die Partei zur Vollstreckung eine Bescheinigung des Ursprungstaates auf dem vorgesehenen Formblatt vorlegen, die eine Zusammenfassung der vollstreckbaren Verpflichtung enthält (Art. 66 I lit. b Brüssel IIb-VO). Die Bescheinigung darf nur von einem Mitgliedstaat ausgestellt werden, der zur Entscheidung zuständig wäre, wenn die Urkunde oder Vereinbarung nach seinem Recht verbindlich ist, und es keine Anzeichen dafür gibt, dass die Urkunde oder Vereinbarung dem Kindeswohl widerspricht (Art. 66 II, III Brüssel IIb-VO). Ohne Vorlage der Bescheinigung wird die Urkunde oder Vereinbarung weder anerkannt noch vollstreckt (Art. 66 V Brüssel IIb-VO).
14.141
843
§ 14 Rz. 14.142 | Europäische Vollstreckungstitel
14.142 Die Anerkennung oder Vollstreckung der Urkunde wird versagt, wenn sie (1) offensichtlich dem ordre public des Vollstreckungsstaates widerspricht, (2) in Rechte einer Person eingreift, die bei der Errichtung nicht einbezogen wurde und diese Person dies beantragt, (3) einer späteren Entscheidung oder Urkunde des Vollstreckungsstaates widerspricht, oder (4) einer anerkennungsfähigen späteren Entscheidung oder Urkunde eines anderen EU-Mitgliedstaates oder eines Drittstaates widerspricht (Art. 68 II Brüssel IIb-VO). Außerdem kann die Vollstreckung abgelehnt werden, wenn dem dazu fähigen Kind vor der Errichtung der Urkunde oder dem Abschluss der Vereinbarung keine Gelegenheit zur Meinungsäußerung gegeben wurde (Art. 68 III Brüssel IIb-VO).
14.143 Schließlich wird die Vollstreckung nach Art. 56 I Brüssel IIb-VO von Amts wegen oder auf Antrag ausgesetzt, wenn die Entscheidung im Ursprungsstaat vorläufig nicht vollstreckbar ist. Ist die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs im Ursprungsstaat noch nicht verstrichen, kann eine Frist zur Einlegung bestimmt werden (Art. 56 III Brüssel IIb-VO). Außerdem kann die Vollstreckung in Ausahmefällen ausgesetzt werden, wenn sie aufgrund nachträglich eingetretener Umstände zu einer schwerwiegenden Gefahr für Körper oder Psyche des Kindes führen würde.185
185 A. Schulz, FamRZ 2020, 1141, 1147.
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§ 15 Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 1. EuGVO 2001/LugÜ 2007 . . . . . . 15.5 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 b) Vollstreckbarerklärung gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . 15.8 c) Die Vollstreckung aus öffentlichen Urkunden und Prozessvergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.76 (1) Öffentliche Urkunden . . . . . . 15.77 (2) Prozessvergleiche . . . . . . . . . . 15.88 d) Verhältnis von EuGVO und LugÜ zu anderen Übereinkommen . . . . 15.90 2. EuGVÜ/LugÜ 1988 . . . . . . . . . . . 15.95 3. Kostenentscheidungen nach dem Haager Zivilprozess-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.101 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.101 b) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.102 c) Verfahren der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.103 d) Verhältnis zu anderen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.119 4. Multilaterale Übereinkommen . 15.121 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.121 b) Haager Übereinkommen von 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.122 c) Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.123 d) Haager Übereinkommen v. 2.7.2019 über Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen 15.132 e) Übereinkommen für besondere Sachgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.133 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.133 (2) Zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden . . . . 15.134 (3) Haftung der Inhaber von Kernenergieanlagen . . . . . . . . 15.135 (4) Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen . . . . . . . . . . . . . . 15.136
(5) Streitigkeiten aus Beförderungsverträgen im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.137 (6) Seegerichtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.141 5. Bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen . . . . . 15.144 a) Deutsch-belgisches Abkommen v. 30.6.1958 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.144 b) Deutsch-britisches Abkommen v. 14.7.1960 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . 15.146 c) Deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.148 d) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 20.7.1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.150 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.150 (2) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 15.151 (3) Gründe für die Versagung der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . 15.155 (4) Die Vollstreckbarerklärung . 15.161 e) Deutsch-italienisches Abkommen v. 9.3.1936 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . 15.170 f) Deutsch-niederländischer Vertrag über die gegenseitige Anerken-
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§ 15 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel nung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen v. 30.8.1962 . . . . . . . . 15.174 g) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen v. 17.6.1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.176 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.176 (2) Restgeltung . . . . . . . . . . . . . . . 15.177 h) Deutsch-österreichischer Vertrag v. 6.6.1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.180 i) Deutsch-schweizerisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen v. 2.11.1929 . . . 15.183 j) Deutsch-spanischer Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen v. 14.11.1983 . . . . . . . . . . . 15.184 k) Deutsch-tunesischer Vertrag v 19.7.1966 über Rechtsschutz, Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . 15.187 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.187 (2) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 15.188 (3) Anerkennungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.191 (4) Versagungsgründe für die Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . 15.205 (5) Das Vollstreckungsverfahren 15.212 6. Die Vollstreckbarerklärung nach autonomem Recht . . . . . . . . . . . . 15.219 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.219 b) Die Vollstreckungsklage . . . . . . . 15.220
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III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.252 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.252 2. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.253 3. Vollstreckbarerklärung europäischer Unterhaltstitel . . . . . . . . . . 15.254 4. Unterhaltstitel nach EuGVO 2001/LugÜ 2007 . . . . . . . . . . . . . 15.258 5. Vollstreckbarerklärung nach internationalen Übereinkommen 15.259 a) Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen von 2007 . . . . . . . . . . . . . 15.260 b) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 . . . . . . . . . . . . . . . . 15.268 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.268 (2) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 15.269 (3) Kreis der Berechtigten . . . . . 15.271 (4) Unterhaltsentscheidungen . . 15.272 (5) Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung 15.274 (6) Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung . 15.279 c) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (HUVÜ 1958) . . . . . . . . . . . . . . . . 15.286 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.286 (2) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 15.287 (3) Der vertragliche Zuständigkeitskatalog . . . . . . . . . . . . . . . 15.290 (4) Schutzvorschriften für den Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.294 (5) Weitere Versagungsgründe für die Anerkennung . . . . . . . 15.298 (6) Die Abänderung ausländischer Unterhaltsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.300 (7) Verfahrensvorschriften . . . . . 15.304 (8) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.306 d) New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (UNUÜ 1956) . . . . . . . . . . . . . . . . 15.307 (1) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 15.307
I. Allgemeines | Rz. 15.1 § 15 (2) Vertragsgegenstand . . . . . . . . 15.308 (3) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 15.310 (4) Regelung der Verwaltungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.311 e) Entscheidungen aus Staaten mit formeller Gegenseitigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.317 f) Vollstreckbarerklärung von Unterhaltsentscheidungen aus anderen Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . 15.333 IV. Andere Familiensachen . . . . . . . 15.336 A. Personenrechtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.336 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.336 2. Sorgerechtsentscheidungen . . . . . 15.337 3. Erwachsenenschutz . . . . . . . . . . . . 15.354 4. Gewaltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.358 a) EU-Schutzmaßnahmen-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.358 b) EuGVO/LugÜ . . . . . . . . . . . . . 15.360 c) Autonomes Recht . . . . . . . . . . 15.361 B. Vermögensrechtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.362 1. Kostenentscheidungen in Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.362 2. Güterrechtliche Entscheidungen . 15.369 a) Europäisches Recht . . . . . . . . . 15.369
(1) Keine Zivil- oder Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . 15.369 (2) EuGüVO . . . . . . . . . . . . . . . 15.370 b) Autonomes Recht . . . . . . . . . . 15.376 3. Ehewohnungs- und Haushaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.378 4. Sonstige Familiensachen . . . . . . . 15.381 5. Lebenspartnerschaftssachen . . . . 15.383 a) Güterrechtliche Ansprüche . . 15.384 b) Unterhaltsansprüche . . . . . . . . 15.387 c) Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 15.388 d) Sonstige Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.389 e) Autonomes Recht . . . . . . . . . . 15.390 V. Erbrechtssachen . . . . . . . . . . . . . . 15.391 1. EuGVO/LugÜ . . . . . . . . . . . . . . . . 15.391 2. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.392 3. Staatsvertragliche Regelungen . 15.395 a) Bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge . . . . . . . . . 15.395 b) Deutsch-türkisches Nachlassabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.396 4. Autonomes deutsches Recht . . . 15.397
I. Allgemeines Traditionellerweise muss einem ausländischen Titel nach deutschem Recht die Vollstreckbarkeit (zusätzlich zur Anerkennung) durch inländischen Hoheitsakt besonders verliehen werden. Der Grund hierfür liegt weniger darin, dem Vollstreckungsorgan eine klare Anweisung zu geben, welche ausländische Titel vollstreckbar sind und den Titel, wenn nötig, an inländische Formen anzupassen, als vielmehr vor allem in dem Bestreben, nur solche Entscheidungen zur Zwangsvollstreckung im Inland zuzulassen, die einem qualitativen Mindeststandard verfahrensrechtlicher und materiell-rechtlicher Art entsprechen. Der ausländische Titel wird deshalb bei der Vollstreckbarerklärung keineswegs sachlich überprüft (Art. 52 EuGVO n.F.; Art. 31 III Brüssel IIa-VO; § 723 I ZPO) und darf auch nicht inhaltlich verändert werden.1 Es wird aber kontrolliert, ob das ausländische Verfahren einem rechtstaatlichen Mindeststandard entspricht oder ob ein Anerkennungsversagungsgrund der Anerkennung und Vollstreckbarkeitserklärung entgegensteht (Art. 34, 35, 45 EuGVO a.F.; 1 Vgl. M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 666 ff.
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15.1
§ 15 Rz. 15.1 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
Art. 22 ff., 31 Brüssel IIa-VO; §§ 328 I, 723 II 2 ZPO). Allerdings unterscheidet sich die Prüfungstiefe im Detail.2
15.2 Bei vermögensrechtlichen Titeln kommt zusätzlich ein „politisches“ Element in Form des Erfordernisses der Gegenseitigkeit hinzu. Entscheidungen werden danach nur anerkannt und für vollstreckbar erklärt, wenn auch der jeweilige ausländische Staat dies unter im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen tut. Über Gewährung oder Verweigerung von Gegenseitigkeit wird zumindest primär auf politischer Ebene entschieden, und zwar unabhängig von der Einzelqualität sowie von Verfahren und Entscheidung. Die Gegenseitigkeit ist insoweit ein Fremdkörper in einem sonst dem subjektiven Rechtsschutz verpflichteten System.3 15.3 Als ein erster gegenseitiger Vertrauensbeweis wird vielfacht in Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen ein summarisches, vereinfachtes Prüfungsverfahren, teilweise auch eine Reduzierung der Prüfungstiefe von Verstößen zu offensichtlichen oder schweren Verstößen, vereinbart.4 15.4 Auf die Kontrolle eines Mindeststandards wird erst verzichtet, wenn zwischen den beteiligten Staaten ein generelles Vertrauen in die Justiz des jeweils anderen besteht und das subjektive Rechtsschutzsystem jeweils so hoch entwickelt ist, dass gravierende Verstöße gegen die Verfahrensgerechtigkeit die absolute Ausnahme sind, die den generellen Kontrollaufwand nicht mehr rechtfertigen. An diesem Punkt sind die EUStaaten mit dem Ziel der Schaffung eines Europäischen Justizraums angelangt, so dass sie Schritt für Schritt auf das Zwischenverfahren der Vollstreckbarerklärung verzichten.5 Allerdings werden Entscheidungen der EU-Mitgliedstaaten innerstaatlichen Entscheidungen noch nicht vollständig gleichgestellt. Denn auch nach der Neufassung der EuGVO kann der Schuldner auf Antrag eine Versagung der Vollstreckung erreichen, wenn einer der klassischen Anerkennungsversagungsgründe vorliegt (Art. 45, 46 ff. EuGVO n.F.).
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen 1. EuGVO 2001/LugÜ 2007 a) Schrifttum
15.5 EuGVO 2001: Zur I. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung in Europa, 2008, S. 162 ff.;
E.-M. Bajons, Von der Internationalen zur Europäischen Urteilsanerkennung und -vollstreckung. Entwicklungsstadien des österreichischen Rechts auf dem Weg zum Europäischen Vollstreckungstitel, FS Rechberger, 2005, S. 1; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 55 II; U. Becker, Grundrechtsschutz bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2004; A.-K. Bitter, Vollstreckbar2 Vgl. Th. Rauscher, Vollstreckung von Zivilentscheidungen aus Europa und Drittstaaten in Deutschland, IJPL 1 (2011), 265. 3 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 158 ZPO Rz. 54. 4 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 1041 ff. 5 Vgl. B. Hess, EuZPR, § 2 Rz. 36 ff., § 3 Rz. 22 ff.; § 10 Rz. 2 ff.
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II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.6 § 15 erklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009, 9; A. Botur, Aktuelle Probleme der grenzüberschreitenden Vollstreckung europäischer Unterhaltstitel nach der Brüssel I-VO, FamRZ 2010, 1860; F. Eichel, Europarechtliche Fallstricke im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem AVAG und dem neuen Auslandsunterhaltsgesetz (AUG), GPR 2011, 193; J. Fleischhauer, Vollstreckbare Urkunden im europäischen Rechtsverkehr, MittBayNot 2002, 15; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Lakkis, Zwangsvollstreckungsrecht (§ 12 III), 12. Aufl. 2010, S. 205; M. Gebauer/Th. Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010; R. Geimer, Exequaturverfahren, FS Georgiades, 2005, S. 489; C. Graf, Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVVO, wbl 2006, 97; B. Heß/Th. Hub, Die vorläufige Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile im Binnenmarktprozess, IPRax 2003, 93; G. Kayser/S. Dornblüth, Anerkennung und Vollstreckbarerklärung italienischer Zahlungsbefehle nach der EuGVVO, ZIP 2013, 57; W. Kennett, The Enforcement of Judgments in Europe, 2000, S. 213 ff.; A. Keßler, Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ, 1998; K. Kreuzer/R. Wagner/W. Reder, Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd 2, Teil Q, Stand 2018; H. Krumscheid, Pfändung aus ausländischen Titeln als Sicherungsmaßnahme vor Zustellung des Exequaturbeschlusses, RIW 2003, 389; P. Mankowski, Wie viel Bedeutung verliert die EuGVVO durch den Europäischen Vollstreckungstitel?, FS Kropholler, 2008, S. 829; Ch. Mauch, Die Sicherungsvollstreckung gem. Art. 47 EuGVVO, Art. 39 EuGVÜ und Art. 39 Luganer Übereinkommen, 2003; C. Meller-Hannich, Materiell-rechtliche Einwendungen bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung und die Konsequenzen von „Prism Investment“, GPR 2012, 90 u. 153; W. Münzberg, Berücksichtigung oder Präklusion sachlicher Einwendungen im Exequaturverfahren, FS Geimer, 2002, S. 745; M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, S. 317 ff.; P. Schlosser, Vollstreckbarerklärung nicht vollstreckungsfähiger Entscheidungen?, FS Kerameus, 2009, S. 1183; P. Schlosser, Brussels I and protective measures in the state to be requested subsequent to the passing of sentence in the state of origin, FS Ereciński, 2011, S. 1359; W. Schuschke/W.-D. Walker/W. Jennissen, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl. 2011, S. 2170; S. Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010; A. Stadler, Die Revision des Brüsseler und Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, in Gottwald, Revision des EuGVÜ, 2000, S. 37; K. Stoppenbrink, Systemwechsel im internationalen Anerkennungsrecht, ERPL 2002, 641; B. Sujecki, Zur Anerkennung und Vollstreckung von deutschen Kostenfestsetzungsbeschlüssen für einstweilige Verfügungen in den Niederlanden, IPRax 2010, 562; R. Wagner, Vom Brüsseler Übereinkommen über die Brüssel I-Verordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel, IPRax 2002, 75; R. Wagner, Zur Vollstreckung deutscher dynamisierter Unterhaltstitel im Ausland, FS Sonnenberger, 2004, S. 727. Zur Reform: R. Arenas García, Abolition of exequatur: problems and solutions – Mutual recognition, mutual trust and recognition of foreign judgments: too many words in the sea, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 351; I. Bach, Drei Entwicklungsschritte im europäischen Zivilprozessrecht, ZRP 2011, 97; G. Cuniberti/I. Rueda, Abolition of Exequatur, RabelsZ 75 (2011), 286; E.-M. Kieninger, Die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in der EuGVVO und die Zukunft des Verbraucherschutzes, VuR 2011, 243; P. Mankowski, Beibehaltung oder Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in der EuGVVO?, RIW 2011, 44; P. Oberhammer, The Abolition of Exequatur, IPRax 2010, 197; W. Rechberger, Grenzenloses Vertrauen in die Rechtsprechung der anderen Mitgliedstaaten? Überlegungen aus Anlass der geplanten Abschaffung des Exequaturverfahrens in der EuGVVO, FS Ereciński, 2011, S. 1277; H. Schack, The misguided abolition of exequatur proceedings in the European Union, FS Ereciński, 2011, S. 1345; R. Wagner/M. Beckmann, Beibehaltung oder Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in der EuGVVO?, RIW 2011, 44; J. Wolber, Schuldnerschutz im europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015.
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15.6
§ 15 Rz. 15.7 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.7 Zum EuGVÜ/LugÜ: A. Atteslander-Dürrenmatt, Sicherungsmittel „a discretion“?, Zur Um-
setzung von Art. 39 LugÜ in der Schweiz, AJP/PJA 10 (2001), 180; B. Brückner, Unterhaltsregress im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1994; H. Clemens, Zu den Wirkungen von Geständnis, Nichtbestreiten und Anerkenntnis im Klauselerteilungsverfahren, 1996; Ch. Fahl, Die Stellung des Gläubigers und des Schuldners bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach dem EuGVÜ, 1993; A. v. Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998; U. Feige, Die Kosten des deutschen und französischen Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach dem GVÜ, 1988; H. Gaudemet-Tallon, Les Conventions de Bruxelles et de Lugano, 1993; R. Geimer, Das neue Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz, NJW 1988, 2157; R. Geimer, Freizügigkeit vollstreckbarer Urkunden im Europäischen Wirtschaftsraum, IPRax 2000, 366; S. Haedicke, Die Vollstreckung deutscher Urteile in Frankreich auf der Grundlage des EuGVÜ, 1999; W. Hau, Zum Rechtsschutz gegen die Vollstreckbarerklärung gem. Art. 36 bis 38 EuGVÜ, IPRax 1996, 322; G. Hohloch, Grenzüberschreitende Unterhaltsvollstreckung, FPR 2004, 315; P. Kaye, Law of the European Judgments Convention, Vol 5, 1999; K. Kerameus, Comparative Aspects of Litigation Pertaining to Enforcement, FS Drobnig, 1998, S. 549; G. Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, 1997; G. Luther, Zur Auslegung von Art. 39 des Europäischen Gerichtsstandsund Vollstreckungsübereinkommens, IPRax 1982, 120; P. Mennicke, Berücksichtigung einer Schutzschrift des Antragsgegners bei der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung nach EuGVÜ, IPRax 2000, 294; A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000; E. Oskarsson, The Lugano Convention and Iceland, in Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa, 1992, S. 249; V. Paetzold, Vollstreckung schweizerischer Entscheidungen nach dem Lugano-Übereinkommen in Deutschland (Handelskammer Deutschland-Schweiz), 1995; B. Reinmüller, Die „Urkunde“ eines französischen Gerichtsvollziehers („huissier“) und ihre Vollstreckung nach dem EuGVÜ, IPRax 2001, 207; H. Roth, Herausbildung von Prinzipien im europäischen Vollstreckungsrecht, IPRax 1989, 14; M. J. Schmidt, Die internationale Durchsetzung von Rechtsanwaltshonoraren, 1991, S. 31 ff.; R. Schütze, Die Geltendmachung von Einwendungen gegen die Klauselerteilung nach dem EuGVÜ durch eine Schutzschrift, FS Bülow, 1981, S. 211; R. Schütze, Internationalprivat- und -prozessrechtliche Probleme des materiell für vollstreckbar erklärten Anwaltsvergleichs, DZWir 1993, 133; R. Stürner, Die notarielle Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, DNotZ 1995, 343; R. Stürner, Rechtliches Gehör und Klauselerteilung im europäischen Vollstreckungsverfahren, IPRax 1985, 254; R. Stürner, Anerkennungsrechtlicher und europäischer Ordre public als Schranke der Vollstreckbarerklärung, Festgabe BGH, Bd. 3, 2000, S. 677; R. Trittmann/Ch. Merz, Die Durchsetzbarkeit des Anwaltsvergleichs gem. §§ 796a ff ZPO im Rahmen des EuGVÜ/LugÜ, IPRax 2001, 178; M. Wolf, Einheitliche Urteilsgeltung im EuGVÜ, FS Schwab, 1990, S. 561.
b) Vollstreckbarerklärung gerichtlicher Entscheidungen
15.8 Von den Europäischen Vollstreckungstiteln abgesehen sind Titel aus EFTA-Staaten und aus EU-Staaten aus der Zeit vor dem 10.1.2015 (Art. 66 I EuGVO n.F.) im Inland nicht direkt vollstreckbar. Die Vollstreckbarkeit muss ihnen vielmehr erst verliehen werden. Formeller Vollstreckungstitel ist dann die zweitstaatliche Vollstreckbarerklärung.6 Entsprechend Erwägungsgrund 20 zur EuVTVO steht es dem Gläubiger frei, eine Bestätigung des Titels nach Art. 6 EuVTVO oder eine Vollstreckbar6 Geimer/Schütze, Art. 38 EuGVO Rz. 5 f.; Kropholler/v. Hein, Art. 38 EuGVO Rz. 14; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 38 EuGVO Rz. 23; Rauscher/Mankowski, Art. 38 Brüssel I-VO Rz. 3.
850
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.13 § 15
erklärung nach Art. 38 ff. EuGVO a.F. zu beantragen. Ist ein Titel bereits als europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, scheidet eine Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff. EuGVO a.F. aus.7 Die eigentliche Vollstreckung erfolgt nach dem Recht des Vollstreckungsstaats (s. Rz. 19.5).
15.9
Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung richtet sich nach den Art. 38 bis 52 EuGVO a.F./LugÜ 2007, den Art. 31 ff. EuGVÜ/LugÜ 1988 sowie nach dem AVAG. Diese Regelungen unterscheiden sich hauptsächlich darin, dass nach Art. 41 EuGVO a.F. in erster Instanz Anerkennungsversagungsgründe (gem Art. 34, 35 EuGVO a.F.) nicht mehr geprüft werden; diese Prüfung findet nur auf Rechtsbehelf des Schuldners im streitigen Verfahren statt. Außerdem sind die Anforderungen an die vorzulegenden Unterlagen vereinfacht worden.
15.10
Die Art. 38 ff. EuGVO a.F. sind freilich gem. Art. 66 II EuGVO a.F. nur anwendbar, wenn der Ursprungstaat bei Erlass der Entscheidung bereits Mitgliedstaat der EU war.8 Soweit die Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ bzw. Art. 31 ff. EuGVÜ/LugÜ anwendbar sind, scheidet eine Vollstreckungsklage nach §§ 722, 723 ZPO (s. Rz. 15.218 ff.) und generell eine neue Leistungsklage9 (s. Rz. 15.241) aus. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage besteht aber, wenn und soweit ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist.10
15.11
aa) Die Vollstreckbarerklärung erfolgt nach Art. 38 I EuGVO/LugÜ auf Antrag des Berechtigten. Nach § 4 II AVAG kann der Antrag schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des zuständigen LG gestellt werden; im ersten Rechtszug besteht in keinem Fall Anwaltszwang (§ 6 III AVAG). Der Antrag kann auf Teile des Titels beschränkt werden (vgl. § 9 II AVAG). Er muss nicht in deutscher Sprache gestellt werden, jedoch kann das Gericht dann eine Übersetzung verlangen (§ 4 III AVAG).
15.12
Ist der Antragsteller nicht durch einen Rechtsanwalt oder einen sonstigen inländischen Bevollmächtigten vertreten, so hat er im Antrag einen Zustellungsbevollmächtigten mit Wohnsitz im Gerichtsbezirk, mit Zustimmung des Vorsitzenden Richters auch mit sonstigem Inlandswohnsitz, zu bestellen (§ 5 I 1, II AVAG). Bis zur Benennung des Zustellungsbevollmächtigten kann an den Antragsteller durch Aufgabe zur Post (§§ 184 I 2 ZPO) zugestellt werden (§ 5 I AVAG). Wird der Antrag durch einen Anwalt eines EU-Staats gestellt, muss ein inländischer Anwalt als Zustellungsbevollmächtigter benannt werden, § 5 IV AVAG mit § 31 EuRAG. Bis zur
15.13
7 BGH, NJW-RR 2010, 571 = IPRax 2011, 81 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 55); a.A. B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 222, § 10 Rz. 37. 8 EuGH – C-514/10, ECLI:EU:C:201:367 – Wolf Naturprodukte), EuZW 2012, 626. 9 Rauscher/Leible, Art. 32 Brüssel I-VO Rz. 4; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 38 Rz. 3; Hk-ZPO/Kindl, § 723 Rz. 7; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 38 EuGVO Rz. 4. 10 BGH, FamRZ 2019, 289 (Rz. 16).
851
§ 15 Rz. 15.13 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
Benennung gilt der Einvernehmensanwalt nach § 31 II 1 EuRAG als Zustellungsbevollmächtigter. Gibt es diesen nicht, wird an die Partei nach allgemeinen Regeln zugestellt (§ 31 II, Halbs. 2 EuRAG).
15.14 Die Entscheidung kann auf Antrag in mehreren EuGVO bzw. LugÜ-Staaten gleichzeitig für vollstreckbar erklärt werden.11 Die Vollstreckbarerklärung setzt nicht voraus, dass der Gläubiger Wohnsitz/Aufenthalt oder Vermögen des Schuldners in dem betreffenden Staat behauptet.12 15.15 Dem Antrag sind nach der EuGVO a.F. (Brüssel I-VO) folgende Unterlagen beizufügen: (1) eine Ausfertigung der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung, Art. 53 I EuGVO a.F., zzgl. zweier Abschriften, § 4 IV AVAG, (2) die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVO a.F. (gem Anhang V). Das Gericht bzw. der Notar im Ursprungsstaat bestätigt darin auf einem Formblatt (a) das Datum der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, wenn sich der Beklagte nicht eingelassen hat, (b) den Wortlaut der Entscheidung bzw. des Prozessvergleichs, (c) welcher Partei Prozesskostenhilfe gewährt wurde und (d) die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat. In Deutschland wird die Bescheinigung durch die in § 56 AVAG genannten Stellen erteilt. Ergibt sich aus der Entscheidung selbst nicht, ob sie in den Anwendungsbereich der EuGVO fällt, muss das Gericht dies vor deren Erlass prüfen.13
15.16 (3) Das Gericht kann die Vorlage von beglaubigten Übersetzungen dieser Urkunden verlangen (Art. 55 II EuGVO a.F.). Wird die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVO a.F. nicht vorgelegt, so kann das Gericht eine Frist zur Vorlage bestimmen, sich mit gleichwertigen Urkunden begnügen oder von der Vorlage der Bescheinigung befreien, wenn es sie oder eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält (Art. 55 I EuGVO a.F.).
15.17 Die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVO a.F. ist eine öffentliche Urkunde i.S.d. § 418 ZPO. Ihre inhaltliche Richtigkeit wird in erster Instanz nicht geprüft (s. Rz. 15.17). Hat die ausstellende Behörde die Bescheinigung nicht selbst zugestellt, kann ihre Richtigkeit im Beschwerdeverfahren überprüft werden.14 15.18 Nach der Brüssel I-VO prüft die erste Instanz nur noch formell, ob eine zu vollstreckende Entscheidung (im Anwendungsbereich der Verordnung) und die weiteren 11 Kreuzer/Wagner, Q 389; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 38 EuGVO Rz. 6. 12 Vgl. dagegen für Großbritannien H. Kupelyants, Recognition and enforcement of foreign judgments in the absence of the debtor ..., JPIL 14 (2018), 455. 13 EuGH – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 – Ágnes Weil, RIW 2019, 511. 14 BGH, FamRZ 2018, 1253 = IHR 2019, 28.
852
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.21 § 15
Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung gem. der Bescheinigung vorliegen.15 Materielle Anerkennungsversagungsgründe (s. Rz. 12.39 ff.) und materielle Einwendungen (s. Rz. 15.29) sind in erster Instanz irrelevant (s. Rz. 15.46). Zu prüfen ist aber, ob der Titel nach dem Recht des Ursprungsstaates (noch) vollstreckbar ist.16 Der Titel muss nicht rechtskräftig sein. Deshalb ist auch ein Versäumnisurteil, gegen das im Ursprungsstaat Einspruch eingelegt wurde, für vollstreckbar zu erklären.17 Das Verfahren entspricht damit praktisch einem Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff. ZPO.18 Dies kann zur Folge haben, dass sogar eine ordre public-widrige Entscheidung zunächst für vollstreckbar erklärt wird.19 Ist ein Titel dagegen bereits als europäischer Vollstreckungstitel vollstreckbar, fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckbarerklärung (s. Rz. 15.8).
15.19
bb) Sachlich zuständig ist in Deutschland der Vorsitzende einer Kammer des LG (§§ 3 I, III AVAG).
15.20
Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Wohnsitz des Schuldners oder alternativ durch das Gericht bestimmt, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (Art. 39 II EuGVO a.F. bzw. Art. 32 II EuGVÜ/LugÜ). § 3 II 1 AVAG eröffnet die örtliche Zuständigkeit am Vollstreckungsort dagegen nur, wenn der Schuldner im Inland keinen Wohnsitz hat (was aber mit Art. 39 II EuGVO a.F. nicht übereinstimmt!). Insoweit genügt nicht, dass der Wohnsitz nur unbekannt ist; § 16 ZPO (letzter bekannter Wohnsitz) ist nicht anwendbar.20 Für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung wird also der Gerichtsstand des Vermögens zugelassen. Für die Vollstreckung von Unterlassungstiteln kommt es auf eine Vermögensbelegenheit nicht an.21 Für die Zuständigkeit genügt es, dass der Gläubiger schlüssig behauptet, dort vollstrecken zu wollen; auf konkrete Erfolgsaussichten kommt es nicht an. Jedoch dürfte es nicht genügen, wenn der Gläubiger selbst lediglich mit künftigem Vermögenserwerb im Gerichtsbezirk rechnet oder wenn er darlegt, dass der Schuldner nur vollstreckungsfreies Vermögen im Gerichtsstaat besitzt.
15.21
15 A. Markus, SZW/RSDA 1999, 205, 219 f.; A. Stadler in Gottwald, Revision des EuGVÜ, 2000, S. 37, 54. 16 OLG Düsseldorf, MDR 2019, 828. J. Wolber (S. 265 ff.) meint, auch der Wegfall der Vollstreckbarkeit, etwa durch eine Entscheidung nach § 765a ZPO, sei zu beachten. Das Gericht kann davon aber erst auf Beschwerde des Schuldners Kenntnis erlangen (s. Rz. 15.28a). 17 BGH, NJW 2014, 2365. 18 R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., Vor Art. 38 EuGVO Rz. 1. 19 Kropholler/v. Hein, Art. 41 EuGVO Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 41 EuGVO Rz. 1; krit. E. Jayme/Ch. Kohler, IPRax 2000, 454, 460; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 41 Brüssel I-VO Rz. 4 f. 20 OLG Saarbrücken, EWS 1993, 263 = RIW 1993, 672. 21 OLG München, IPRax 2012, 425.
853
§ 15 Rz. 15.22 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.22 Die Vollstreckbarerklärung erfolgt gegenüber dem Schuldner des Titels. Wird eine Person im Inland als Schuldner in Anspruch genommen, so hat der Gläubiger zu beweisen, dass sie mit dem Schuldner identisch ist.22 Sinngemäß sind die Parteien der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung auch im Beschlussverfahren ohne erneute Prüfung als parteifähig anzusehen.23
15.23 Der Vorsitzende entscheidet grds in einem einseitigen, schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung (Art. 41 EuGVO a.F./LugÜ; § 5 AVAG). Er kann jedoch eine mündliche Erörterung mit dem Antragsteller anordnen, wenn dies der Beschleunigung dient. Der Antragsteller braucht auch dann nicht durch einen Anwalt vertreten zu sein (§ 6 III AVAG). 15.24 Der Gegner wird in diesem Verfahren nicht angehört, denn Art. 41 Satz 2 EuGVO a.F./LugÜ untersagt ein solches Vorgehen ausdrücklich.24 Nach § 55 I AVAG ist § 7 II AVAG in den von der EuGVO a.F./LugÜ erfassten Fällen nicht anzuwenden. (Nach dieser Regel könnte der Gegner beteiligt werden, wenn der Nachweis besonderer Vollstreckungsvoraussetzungen [Frist, Zug-um-Zug-Leistung etc.] durch Urkunden nicht möglich ist, § 7 II AVAG. Ansonsten ist die Zuleitung des Antrags zur Stellungnahme an ihn fehlerhaft.25 Im Rahmen von EuGVO/LugÜ ist dies aber generell unzulässig). 15.25 Das Gericht prüft rein formal, ob Titel und Bescheinigung über seine Vollstreckbarkeit vorliegen. Soweit notwendig, ist der Titel ggf. zu konkretisieren (s. Rz. 15.55).26 Das Gericht hat aber von Amts wegen zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Entscheidung im Erststaat aufgehoben worden ist oder sonst ihre Vollstreckbarkeit verloren hat, da eine bereits aufgehobene Entscheidung oder nicht mehr vollstreckbare Entscheidung nicht zur Vollstreckung zugelassen werden kann.27 15.26 Da es sich in erster Instanz um ein einseitiges Verfahren handelt, scheidet eine einseitige Erledigungserklärung durch den Antragsteller aus.28 15.27 cc) Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung kann der Schuldner erst mit Rechtsbehelf gegen die erteilte Klausel (Art. 43 EuGVO a.F./LugÜ in Form der Beschwerde gem. §§ 11 ff., 55 I AVAG) geltend machen.29 Nach Art. 43 EuGVO a.F. 22 OLG Köln, JurBüro 1995, 496. 23 O. Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren, 1995, S. 216 ff., 227. 24 Vgl. Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 41 Rz. 12; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 40, 41 Rz. 34 ff. 25 OLG Koblenz, RIW 1991, 860. 26 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 40, 41 Rz. 15 ff. 27 BGHZ 171, 310, 316 (Rz. 15) = FamRZ 2007, 989 (P. Gottwald) = IPRax 2008, 38 (dazu B. Hess, S. 25); BGH (v. 10.10.2009 – IX ZB 143/07), IPRspr. 2009, Nr. 242, S. 625 (Rz. 6); OLG Düsseldorf, MDR 2019, 828 (Vollstreckungsverjährung nach rumän. Recht). 28 BGH, NJW-RR 2010, 571 (Rz. 7) = IPRax 2011, 81 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 55); W. Hau, IPRax 1998, 255, 256. 29 BGH, NJW 2002, 960 (nachträgliche Restschuldbefreiung im Ursprungsstaat); R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83; C. Graf, wbl 2006, 97, 99 ff.
854
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.29 § 15
steht der Rechtsbehelf nur einer Partei des bisherigen Verfahrens, nicht Dritten, etwa Gläubigern des Schuldners zu.30 Eine etwa (analog zum nationalen einstweiligen Rechtsschutz) eingereichte Schutzschrift nimmt der Vorsitzende daher vor Erteilung der Klausel nicht zur Kenntnis.31 Früher wurden im Beschwerdeverfahren Einwendungen gegen die titulierte Forderung berücksichtigt. Einwendungen waren aber nur zulässig, soweit sie erst nach Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung entstanden sind (§ 12 I AVAG).32 Zu den möglichen Einwendungen des Schuldners gehörte auch ein gesetzlicher Forderungsübergang auf einen Sozialhilfeträger.33 Sie mussten auch mit der Beschwerde vorgebracht werden; andernfalls war der Antragsgegner wiederum präkludiert (§ 14 I AVAG). Problematisch hieran ist, dass diese Regelung unterstellt, dass eine § 767 II ZPO entsprechende Präklusion für alle Entscheidungen aus allen EU-Staaten besteht. Dies ist freilich nicht der Fall. Der ausländischen Entscheidung darf aber auch im Rahmen des Verfahrens der Vollstreckbarerklärung nicht eine Präklusionswirkung beigelegt werden, die sie im Erststaat nicht hat.34 Man sollte deshalb § 12 I AVAG i.S.d. allgemeinen Lehre von der Wirkungserstreckung restriktiv auslegen.
15.28
Art. 45 I EuGVO/LugÜ ordnet freilich an, dass die Vollstreckbarerklärung nur aus den Gründen der Art. 43 oder 44 EuGVO/LugÜ versagt werden darf. Dies spricht dafür, dass materielle Einwendungen gegen den Anspruch im Verfahren nach der EuGVO ausgeschlossen sind.35 Gleiches gilt bei der Vollstreckbarerklärung nach dem LugÜ 2007.36 Dies gilt insb. für den Einwand der nachträglichen Erfüllung oder der Aufrechnung. Aus praktischen Gründen hatte die deutsche Rechtsprechung eine Ausnahme für liquide (unstreitige oder rechtskräftig festgestellte) Einwendungen gemacht.37 Jedoch hat der EuGH in der Prism Investments-Entscheidung eindeutig dar-
15.29
30 EuGH – C-167/08, ECLI:EU:C:2009:263 – Draka NK Cables u.a., IPRax 2010, 167 (dazu H. Roth, S. 154). 31 Kropholler/v. Hein, Art. 41 EuGVO Rz. 10; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 41 EuGVO Rz. 3; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 40, 41 Rz. 38; A. Nelle, Anspruch, S. 455; a.A. LG Darmstadt, IPRax 2000, 309 (krit P. Mennicke, S. 294); Geimer/Schütze, Art. 34 EuGVO Rz. 7; einschränkend P. Schlosser, 3. Aufl. 2009, Art. 41 EuGVVO Rz. 2. 32 BGHZ 180, 88, 93 (Rz. 12) = FamRZ 2009, 858; Kropholler/v. Hein, Art. 43 EuGVO Rz. 27. 33 BGH, FamRZ 2011, 802 (B. Heiderhoff). 34 Krit A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 272 ff., 278. 35 EuGH – C-139/10, ECLI:EU:C:2011:653 – Prism Investments, NJW 2011, 3506 (Rz. 30 ff.); so auch C. Meller-Hannich, GPR 2012, 153; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 45 Brüssel I-VO Rz. 6; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 43 EuGVO R 9 f.; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 43 Rz. 28 f.; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 43 Rz. 15 ff.; B. Hess, IPRax 2004, 493; a.A. Kropholler/v. Hein, Art. 45 EuGVO Rz. 6. 36 OLG Düsseldorf v. 22.1.2015 – 3 W 221/13, ZInsO 2015, 472. 37 So im Ergebnis BGH, NJW 2012, 2663 (Rz. 15) = RIW 2013, 83; BGHZ 171, 310 = FamRZ 2007, 989 (krit P. Gottwald) = NJW 2007, 3432; M. Peiffer, Rz. 829 ff., 850, 930; BGHZ 180, 88, 93 = FamRZ 2009, 858 (zu Art. 36 EuGVÜ); OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 803, 804; OLG Düsseldorf, RIW 2005, 708, 709; A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 435 ff., 447 ff.; Geimer/Schütze, Art. 45 EuGVO Rz. 11; P. Schlosser, EU-
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§ 15 Rz. 15.29 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
gelegt, dass materielle Einwendungen in keinem Fall im Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu beachten sind.38 Dem hat sich der BGH angeschlossen.39 Durch Gesetz v. 20.2.2013 hat der deutsche Gesetzgeber § 55 AVAG geändert. Die Neufassung stellt klar, dass die §§ 12, 14 AVAG bei der Vollstreckbarerklärung nach europäischem Recht (§ 1 I Nr. 2 AVAG) nicht anwendbar sind.40 Soweit sie nicht zulässig sind, steht die Vollstreckungsabwehrklage ohne weiteres offen.41 Sie wird in einem neuen § 56 AVAG ausdrücklich besonders zugelassen.
15.30 Die Neuregelung schließt allerdings nicht aus, im Beschwerdeverfahren eine neue Entscheidung des Ursprungsstaates zu beachten, die die Vollstreckbarkeit der Entscheidung aufhebt oder einschränkt und dadurch der Vollstreckbarerklärung die Grundlage entzieht.42 15.31 Der Antragsteller kann das Verfahren der Vollstreckbarerklärung in der Beschwerdeinstanz aufgrund von Umständen für erledigt erklären, die während des Beschwerdeverfahrens vorgefallen sind.43 15.32 dd) Gebühren des Verfahrens. Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung kostet in 1. Instanz (Art. 52 EuGVO a.F. entsprechend) 200 € (GKG-Kostenverzeichnis Nr. 1510). Stellt der Anwalt den Antrag, so erhält er eine 1,3 Gebühr nach dem Gegenstandswert, §§ 2 II, 13 I RVG i.V.m. VV Nr. 3100. Auch die notwendigen Kosten eines ausländischen Verkehrsanwalts sind zu erstatten.44 Die Ausstellung einer Bescheinigung nach §§ 54 oder 56 AVAG kostet 10 € (GKG – KV Nr. 1511); der Rechtsanwalt erhält für den Antrag auf Ausstellung keine besondere Gebühr (§ 19 I 2 Nr. 9 RVG). 15.33 ee) Erfasste Titel. Nach Art. 38 EuGVO a.F./LugÜ werden grds alle Entscheidungen im Anwendungsbereich der EuGVO bzw. des LugÜ (Art. 32 EuGVO a.F./LugÜ) für vollstreckbar erklärt, sofern sie im Urteilsstaat vollstreckbar sind und zugestellt wurden.45 Rechtskräftig müssen die Entscheidungen nicht sein. Den Interessen des Schuldners an einem Rechtsmittelverfahren im Ursprungsstaat kann nach Art. 46
38 39 40 41 42 43 44 45
856
Prozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 43 EuGVVO Rz. 14; W. Münzberg, FS Geimer, 2002, S. 750; T. Hub, NJW 2001, 3147; M. Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rz. 222; R. Geimer, FS Georgiades, S. 489, 505 f.; C. Graf, wbl 2006, 97, 103 ff.; krit. B. Hess, IPRax 2008, 25. EuGH – C-139/10, ECLI:EU:C:2011:653 – Prism Investments, NJW 2011, 3506 = EuZW 2011, 869 (I. Bach); ebenso österr.OGH, EuLF 2018, 136. BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 87/11 (Rz. 3), juris. BGBl. 2013 I, 273; zur Begründung s. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens v. 23.11.2007 (Art. 2 Nr. 3), BR-Drucks 311/12 v. 25.5.2012. C. Meller-Hannich, GPR 2012, 153, 155 ff.; Geimer/Schütze, Art. 45 EuGVO Rz. 12; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 45 Brüssel I-VO Rz. 7. OLG Dresden, IHR 2007, 211 (Rz. 27); vgl. BGH, NJW 2016, 248. BGH, NJW-RR 2010, 571 (Rz. 7) = IPRax 2011, 81. Vgl. OLG Düsseldorf, RIW 1990, 500. Vgl. EuGHE 1999, I-2543 (Coursier v Fortis Bank), IPRax 2000, 18 (dazu H. Linke, S. 8); Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 38 Rz. 9 f.; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 38 Rz. 20, 24 ff.
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.38 § 15
EuGVO a.F./LugÜ durch Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens oder durch Anordnung einer Sicherheitsleistung Rechnung getragen werden. Auch einstweilige Verfügungen können für vollstreckbar erklärt werden, wenn sie in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sind; auf die tatsächliche Beteiligung des Gegners in dem zugrunde liegenden Verfahren kommt es nicht an. Zwangsgeldentscheidungen sind nur für vollstreckbar zu erklären, wenn die Höhe des Zwangsgelds im Ursprungsstaat endgültig festgesetzt wurde (Art. 49 EuGVO a.F./LugÜ).46 Erfasst sind auch Entscheidungen nach der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (EG) Nr. 6/2002 v. 12.12.2001, da diese in Art. 79 I auf das EuGVÜ verweist. Diese Verweisung ist nach Art. 68 II EuGVO a.F. als Verweisung auf die EuGVO a.F.47 und nach Art. 80 EuGVO n.F. als Verweisung auf die Brüssel Ia-VO zu verstehen. Nicht vollstreckbar erklärt werden können ausländische Exequaturentscheidungen, da die Anerkennungsvoraussetzungen sonst durch Doppelexequierung umgangen werden könnten.48
15.34
Erfasst sind dagegen auch Kostenfestsetzungen und andere Nebenentscheidungen. Die „ordonnance executoire“ des Präsidenten eines französischen LG zur Vollstreckbarerklärung einer Festsetzung eines Anwaltshonorars ist ebenfalls Entscheidung i.S.d. Art. 32 EuGVO a.F.49
15.35
Auch Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind für vollstreckbar zu erklären, insb einstweilige Unterhaltsanordnungen.50 Ausgeschlossen sind aber Entscheidungen, die auf einseitigen Antrag des Gläubigers hin ergangen sind („ex parte“); sie werden nach Ansicht des EuGH (vom EuGVÜ) nicht erfasst.51 Bei Erlass nach Beteiligung des Antragsgegners sind daher auch englische freezing order für vollstreckbar zu erklären.
15.36
Nicht anzuerkennen sind schließlich Zwischenentscheidungen in gerichtlichen Verfahren.52 Beweisbeschlüsse, die eine Beweisaufnahme im Ausland anordnen, werden aber auf Ersuchen der EuBewVO, nach dem HBÜ 1970 bzw. nach comitas gentium ausgeführt.
15.37
Insolvenzrechtliche Entscheidungen eines anderen EU-Staats, die noch unter Art. 25 I EuInsVO 2000 fallen, waren, soweit erforderlich, nach Art. 31 ff. EuGVÜ, d.h. über Art. 68 II EuGVO a.F. nach Art. 38 ff. EuGVO a.F. für vollstreckbar zu
15.38
46 Vgl. OLG Köln, RIW 2004, 868; OLG Oldenburg, NJOZ 2003, 3201. 47 OLG München, EuZW 2011, 79 (Rz. 22). 48 Kropholler/v. Hein, Art. 32 EuGVO Rz. 15; Rauscher/Leible, (2011) Art. 32 Brüssel I-VO Rz. 14; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 32 Rz. 3; B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 176. 49 BGH, NJW-RR 2006, 143; LG Karlsruhe, IPRax 1992, 92 (dazu B. Reinmüller, S. 73). 50 Vgl. BGH, NJW 1980, 2022; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 32 Rz. 4. 51 Vgl. EuGHE 1980, 1553 (Denilauler v Couchez Frères), IPRax 1981, 95; EuGHE 1984, 3971 (Brennero v Wendel), IPRax 1985, 339. 52 OLG Hamburg, IPRax 2000, 530 (dazu Th. Försterling, S. 499).
857
§ 15 Rz. 15.38 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
erklären.53 Art. 68 II Brüssel Ia-VO (EuGVO n.F.) führt aber zur Geltung der Brüssel Ia-VO, so dass sie seit deren Inkrafttreten ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckbar sind.54 Insolvenzrechtliche Entscheidungen in nach dem 26.6.2017 eröffneten Verfahren werden nach Art. 32 I EuInsVO 2015 durch ausdrückliche Verweisung auf Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt (s. Rz. 14.7 ff.).
15.39 Eine zu vollstreckende Entscheidung, die noch unter die EuGVO a.F. bzw. das LugÜ fällt, muss im Urteilsstaat (formell) vollstreckbar sein (Art. 38 I EuGVO a.F.).55 Nach Art. 53 II, 54 EuGVO a.F. wird dieser Nachweis einfach durch die Bescheinigung gem. Anhang V erbracht. Es genügt die vorläufige Vollstreckbarkeit. Hängt die Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat von einer Sicherheitsleistung, dem Ablauf einer Frist oder dem Eintritt einer anderen Tatsache ab, so muss der Zweitrichter prüfen, ob der Nachweis durch Urkunden geführt ist. Ausnahmsweise kann der Beweis auch in anderer Weise geführt werden (§ 7 AVAG).56 15.40 Entfällt die Vollstreckbarkeit (durch Aufhebung der Entscheidung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit während eines Rechtsmittelverfahrens), ist dies während des gesamten Verfahrens der Vollstreckbarerklärung zu berücksichtigen; eine Vollstreckbarerklärung scheidet dann aus.57 15.41 Gegen einen Dritten kann die Vollstreckungsklausel nach § 7 I AVAG nur erteilt werden, wenn der Titel nach dem Recht des Ursprungsstaats gegen den Dritten vollstreckt werden könnte.58 15.42 Im Zweitstaat kann auch aus Vollstreckungsbescheiden vollstreckt werden (vgl. § 32 AVAG; § 688 III ZPO). Nach § 32 III 1 AVAG beträgt die Widerspruchsfrist gegen den Mahnbescheid bei Zustellung im Ausland einen Monat; die Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid ist vom Richter bei der Zustellung zu bestimmen, §§ 700 I, 339 ZPO. 15.43 Ist die Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat aus dem Titel ohne Vollstreckungsklausel zulässig, wie z.B. bei deutschen Vollstreckungsbescheiden (§ 796 I ZPO), bei Arrestbefehlen und einstweiligen Verfügungen (§§ 929 I, 936 ZPO), hat der Zweitrichter die Zwangsvollstreckung auch ohne Vorlage einer Klausel zuzulassen. Um praktische Probleme zu vermeiden, sind solche Titel auf Antrag in Deutschland aber mit 53 Vgl. H.-Ch. Duursma-Kepplinger, EuInsVO, 2002, Art. 25 Rz. 5 ff.; Ch. Paulus, EuInsVO, 3. Aufl. 2010, Art. 25 Rz. 13; Thole in MünchKomm/InsO, Art. 25 EuInsVO 2000 Rz. 12; Geimer/Schütze/Gruber, IRV, Art. 25 EuInsVO Rz. 16 ff.; Gottwald/Kolmann/Keller, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015, § 131 Rz. 95. 54 Thole in MünchKomm/InsO, Art. 25 EuInsVO 2000Rz. 13; Rauscher/Mankowski, (2016) Art. 68 Brüssel Ia-VORz. 15 f, 19. 55 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 38 Rz. 21, 24 ff.; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 38 Rz. 23 ff.; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 38 Brüssel I-VO Rz. 11, 13 ff. 56 Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 38 Brüssel I-VO Rz. 13. 57 BGHZ 171, 310, 316 (Rz. 15) = FamRZ 2007, 989 (P. Gottwald); BGH, NJW-RR 2010, 1079 (Rz. 8); Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 38 Brüssel I-VO Rz. 12a. 58 OLG Düsseldorf, RIW 1999, 540.
858
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.49 § 15
der Vollstreckungsklausel zu versehen, sofern ihre Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen Land betrieben werden soll (§ 31 AVAG). Im Vereinigten Königreich ist die zu vollstreckende Entscheidung nach Art. 38 II EuGVO a.F./LugÜ in einem der Rechtsprechungsbezirke England und Wales, Schottland oder Nordirland zu registrieren. Das Registrierungsverfahren entspricht dem der Vollstreckbarerklärung, ist aber förmlicher, da die Registrierung nicht schriftlich beantragt werden kann; der Antragsteller bzw. sein Solicitor muss den Antrag vielmehr persönlich stellen.59
15.44
Nach Art. 40 III, 53 II, 54 EuGVO a.F./LugÜ muss der Antragsteller unter Vorlage der Formblattbescheinigung nur nachweisen, dass die Entscheidung im Urteilsstaat vollstreckbar ist. Soweit das LugÜ 1988 gilt, muss der Zweitrichter dagegen prüfen, ob die Entscheidung des Urteilsstaats dem Beklagten ordnungsgemäß zugestellt worden ist.60 Die entsprechenden Zustellungsurkunden sind mit vorzulegen (Art. 47 Nr. 1 LugÜ). Diese Zustellung ist von der des verfahrenseinleitenden Schriftstücks zu unterscheiden. Ist Deutschland Urteilsstaat, sind die deutschen Zustellungsvorschriften anzuwenden.61 Bei Versäumnisurteilen sind somit zwei Zustellungen nachzuweisen: (1) nach Art. 46 Nr. 2 LugÜ die Zustellung des den Rechtsstreit einleitenden Schriftstücks (Vorlage der Zustellungsurkunde in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift) und (2) nach Art. 47 Nr. 1 LugÜ die Zustellungsurkunde über das Versäumnisurteil selbst.
15.45
Nach Art. 41 Satz 1 EuGVO a.F./LugÜ sind die Anerkennungsvoraussetzungen bzw. -hindernisse der Art. 34, 35 EuGVO a.F./LugÜ in erster Instanz nicht mehr zu prüfen; das neue Recht unterstellt also, dass Entscheidungen der Mitgliedstaaten generell anzuerkennen sind, so dass es genügt, auf Rechtsbehelf über Einwendungen erst in zweiter Instanz zu entscheiden.62 Für die Beschwerdeinstanz will der BGH allerdings an einer Amtsprüfung (ohne Amtsermittlung der Tatsachen) festhalten.63
15.46
Nur im Anwendungsbereich des LugÜ 1988 sind bereits in erster Instanz im Rahmen der Vollstreckbarerklärung die Anerkennungsvoraussetzungen zu prüfen (Art. 34 II, III i.V.m. Art. 27, 28 LugÜ). Ohne Rüge des Gegners ist diese Prüfung aber häufig nur begrenzt möglich.
15.47
Liegen alle Voraussetzungen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel vor, entscheidet der Zweitrichter unverzüglich (Art. 41 Satz 1 EuGVO a.F./LugÜ).
15.48
Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner wird das erstinstanzliche Verfahren der Klauselerteilung nicht unterbrochen; ein Antrag auf Klauselerteilung kann neu gestellt werden.64 Gleiches gilt für den Antrag auf Vervollstän-
15.49
59 60 61 62
Kropholler/v. Hein, Art. 38 EuGVO Rz. 19. OLG Frankfurt, RIW 1978, 620. Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rz. 39; Art. 38 EuGVO Rz. 8. Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 41 Rz. 10; A. Stadler in Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 56. 63 BGH, FamRZ 2008, 586 (krit P. Gottwald). 64 OLG Bamberg, ZIP 2006, 1066; OLG Saarbrücken, IPRax 1995, 35 (dazu B. Hess, S. 16); Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 40 Brüssel I-VO Rz. 6a.
859
§ 15 Rz. 15.49 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
digung eines Anerkenntnisurteils, um die Vollstreckbarerklärung im Ausland beantragen zu können.65 Dagegen wird das Beschwerdeverfahren nach Art. 43 EuGVO a.F. i.V.m. §§ 11 ff. AVAG als streitiges Verfahren nach § 240 ZPO unterbrochen.66
15.50 Gewöhnlich wird im schriftlichen Verfahren entschieden. In keinem Fall wird der Antragsgegner gehört (Art. 41 Satz 2 EuGVO a.F./LugÜ). Die Vollstreckungsklausel ergibt sich aus § 9 AVAG. Nach Art. 42 I EuGVO a.F./LugÜ teilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dem Antragsteller die Entscheidung des Zweitrichters unverzüglich mit. Diese Mitteilung erfolgt an den benannten Zustellungsbevollmächtigten, hilfsweise durch Aufgabe zur Post (§ 5 AVAG). 15.51 ff) Nach EuGVO a.F./LugÜ ist der Antragsteller bereits vor der Vollstreckbarerklärung befugt, aufgrund des anzuerkennenden Titels einstweilige Maßnahmen einschließlich der Sicherungsvollstreckung nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts zu ergreifen (Art. 47 I EuGVO a.F./LugÜ).67 Entsprechende Anträge kann der Gläubiger in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig stellen.68 Ein Antrag nach Art. 41 EuGVO a.F./LugÜ muss dazu nicht gestellt, doch müssen die nach Art. 53 ff. EuGVO a.F./LugÜ erforderlichen Urkunden vorgelegt werden.69 15.52 Die Vollstreckbarerklärung gibt dann (ex lege) definitiv diese Befugnis (Art. 47 II EuGVO a.F.), ist also sachlich wie ein Arrestbeschluss zu behandeln.70 Diese Befugnis wird in den §§ 19 bis 24 AVAG näher ausgestaltet. Solange die Rechtsbehelfsfrist gegen die Vollstreckbarerklärung läuft und über die eingelegte Beschwerde noch nicht entschieden ist, darf die Zwangsvollstreckung aber nicht über Sicherungsmaßnahmen hinausgehen (Art. 47 III EuGVO a.F.; § 22 II AVAG).71 15.53 Im Fall des Art. 47 I EuGVO a.F. dürfen die Versagungsgründe der Art. 34, 35 EuGVO a.F. vor Erlass von Sicherungsmaßnahmen nicht geprüft werden (arg Art. 41 EuGVO a.F.).72 65 OLG Frankfurt, IPRax 2002, 35, 36 (dazu Th. Rinne/X. Sejas, S. 28, 29). 66 OLG Köln, ZIP 2007, 2287; U. P. Gruber, IPRax 2007, 426, 428; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 38 EuGVO Rz. 19. 67 Vgl. Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 47 Rz. 1 ff.; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 47 Brüssel I-VO Rz. 1 ff., 6 ff.; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 47 Rz. 4 ff.; B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 235 ff.; H. Krumscheid, RIW 2003, 389; Ch. Mauch, Die Sicherungsvollstreckung, S. 44 ff.; Ch. Berger/K. Otte, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht, 2006, Kap. 18 Rz. 73 ff.; M. Peiffer, Rz. 763 ff. 68 Geimer/Schütze, Art. 47 EuGVO Rz. 10. 69 Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 74. 70 Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 47 Brüssel I-VO Rz. 12; vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 47 EuGVO Rz. 13; Hess, EuZPR § 6 Rz. 37. 71 Vgl. Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 47 Rz. 10; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 47 Rz. 10 ff.; Peiffer, Rz. 756 ff. 72 Magnus/Mankowski/Pålsson, (2007), Art. 47 Rz. 4; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 47 EuGVO Rz. 4; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 27 Rz. 229; a.A. Rauscher/ Mankowski, (2011) Art. 47 Brüssel I-VO Rz. 7; Kropholler/v. Hein, Art. 47 EuGVO Rz. 5; Hk-ZPO/Dörner, 5. Aufl. 2013, Art. 47 EuGVO Rz. 2.
860
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.56 § 15
Nach EuGVO und LugÜ ist dem Antragsteller die Vollstreckungsklausel mit der Mitteilung nach Art. 42 auszuhändigen. Denn Sinn des einseitigen Klauselerteilungsverfahrens ist, dass der Gläubiger den Schuldner mit der Sicherungsvollstreckung nach Art. 47 III EuGVO/LugÜ überraschen kann. Die Aushändigung der Klausel darf daher nicht bis zum Nachweis der Zustellung von Titel und Klausel an den Schuldner (vgl. §§ 9 I, 10 III 1 AVAG) zurückgestellt werden.73 § 750 ZPO verlangt keine Zustellung des Titels vor der Vollstreckung, sondern lässt eine Zustellung „gleichzeitig“ mit dem Beginn der Vollstreckung genügen.74
15.54
gg) Die Vollstreckungsklausel muss bestimmt und eindeutig sein. Schwierigkeiten ergeben sich aus der unterschiedlichen Tenorierungspraxis in den einzelnen Ländern. Ausländische Titel, die nach deutscher Vorstellung unbestimmt sind, sind in der Vollstreckungsklausel zu konkretisieren, soweit die fehlenden Angaben aus in Bezug genommenen Urkunden, ausländischen Gesetzen oder amtlichen Statistiken zu ergänzen sind.75 Hierher gehört die Konkretisierung der Verurteilung zur Zahlung „gesetzlicher Zinsen“,76 „zuzüglich Mehrwertsteuer“,77 der Beginn der Zinspflicht78 oder die Verurteilung zu dynamisiertem Unterhalt (entsprechend einem amtlichen Index).79 UU ist dabei auch zum Inhalt des ausländischen Rechts Beweis zu erheben.80 Bei der gebotenen Auslegung können im Inland auch Forderungen für vollstreckbar erklärt werden, die im Erststaat ohne ausdrückliche Titulierung im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden können.81 Nicht konkretisierbar sind Lohnquotentitel, da der jeweilige Monatslohn nicht durch öffentliche Urkunden nachgewiesen werden kann.82
15.55
Fremdwährungstitel werden ohne Umrechnung mit der Vollstreckungsklausel versehen.83
15.56
73 Geimer/Schütze, Art. 42 EuGVO Rz. 9 ff.; P. Schlosser, 3. Aufl. Art. 43 EuGVO Rz. 5; a.A. OLG Saarbrücken, RIW 1994, 1048 = IPRax 1995, 244 (dazu U. Haas, S. 223); Rauscher/ Mankowski, (2011), Art. 42 Brüssel I-VO Rz. 3. 74 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 47 EuGVO Rz. 13; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 47 Brüssel I-VO Rz. 12. 75 BGHZ 122, 16, 19 ff. = NJW 1993, 1801 = IPRax 1994, 367 (dazu H. Roth, S. 350); BGH, WM 2012, 179 (Rz. 6); BGH, IPRspr. 2015, Nr. 258, S. 664 (Rz. 6); Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 38 Rz. 17; B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 222; vgl. A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 492 ff. 76 BGH, RIW 1990, 497; OLG Zweibrücken, IPRax 2006, 49 (dazu H. Roth, S. 22); S. Seidl, S. 208 ff.; s. aber OLG Köln, IPRax 2006, 51 (anwendbares Recht muss feststellbar sein). 77 S. Seidl, S. 210. 78 OLG Zweibrücken, IPRax 2006, 49(dazu H. Roth, S. 22); A. v. Falck, S. 58 ff., 76 ff., 148 ff., 174 ff. 79 S. Seidl, S. 210 f. 80 BGH, WM 2014, 42 (Rz. 9); BGH, IPRspr. 2015, Nr. 258, S. 664 (Rz. 6). 81 BGH, NJW 2014, 702 = RIW 2014, 307 = IPRax 2015, 448 (dazu B. König, S. 458). 82 S. Seidl, S. 211. 83 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 40, 41 Rz. 23; B. Bachmann, Fremdwährungsschulden in der Zwangsvollstreckung, 1994, S. 50 ff.
861
§ 15 Rz. 15.57 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.57 Handelt es sich um einen Unterlassungstitel, in dem Ordnungsmittel noch nicht angedroht sind (vgl. § 890 II ZPO), ist diese Androhung auf Antrag des Gläubigers mit in die Vollstreckungsklausel aufzunehmen. Nach Ansicht des BGH ist dies aber zweifelhaft, wenn die Unterlassungsverfügung im Ursprungsstaat nicht selbst erzwungen werden kann, sondern Zuwiderhandlungen lediglich eine Schadenersatzpflicht auslösen.84 15.58 Wird die Vollstreckungsklausel erteilt, muss der mit der Vollstreckungsklausel versehene Schuldtitel und gegebenenfalls seine Übersetzung dem Schuldner von Amts wegen zugestellt werden (Art. 42 II EuGVO/LugÜ; § 10 I AVAG). Die Zustellung erfolgt nach den Vorschriften des Vollstreckungsstaats. Dabei gibt es keine Schwierigkeiten, wenn der Schuldner im Vollstreckungsstaat wohnt. Ist dies jedoch nicht der Fall und die Zuständigkeit des Zweitrichters auf dem Gerichtsstand des Schuldnervermögens gegründet, so muss ihm die Entscheidung entweder in Person oder in seiner Wohnung zugestellt werden (Art. 43 V 2 EuGVO a.F./LugÜ), sofern er seinen Wohnsitz in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat hat (§ 55 II AVAG). Diese besondere Schutzvorschrift für den Schuldner schließt nicht nur eine Zustellung im Wege der „remise au parquet“ und eine öffentliche Zustellung aus, sondern auch gewisse Ersatzzustellungen, wie sie in vielen Zivilprozessordnungen vorgesehen sind.85 15.59 hh) Die besondere Zustellungsregelung ist deshalb von Bedeutung, weil von der danach bewirkten Zustellung die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Schuldner zu laufen beginnt. Wohnt der Schuldner im Vollstreckungsstaat, beträgt die Frist einen Monat, wohnt er in einem anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat, beträgt sie zwei Monate (Art. 43 V 2 EuGVO a.F./LugÜ). Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. Die Beschwerdefrist beginnt erst mit ordnungsgemäßer Zustellung, nicht bereits mit Kenntnis des Schuldners von der Klauselerteilung zu laufen.86 Da § 55 I AVAG die Anwendung von § 10 II AVAG ausschließt, ist eine Fristverlängerung im Einzelfall nicht zulässig. Wohnt der Schuldner in einem Drittstaat, bleibt es bei der Monatsfrist des Art. 43 V 1 EuGVO a.F./LugÜ. Die Literatur meint aber, in diesem (nicht von Art. 43 V 2, 3 EuGVO a.F./LugÜ erfassten Fall) sei eine Fristverlängerung zulässig.87 Da § 55 I AVAG aber jede Anwendung von § 10 II AVAG ausschließt, erscheint dies zweifelhaft. 15.60 Die Beschwerde ist in der Bundesrepublik Deutschland bei dem zuständigen OLG einzureichen (Art. 43 II EuGVO a.F./LugÜ m Anh III). Zuständig ist dort der Senat 84 Vgl. BGH, WM 2000, 635, 637 f (Vorlage der Frage an den EuGH). 85 Kropholler/v. Hein, Art. 43 EuGVO Rz. 15; Geimer/Schütze/Haß, (2009) Art. 36 EuGVO Rz. 8; Rauscher/Mankowski, (2011), Art. 43 Brüssel I-VO Rz. 16; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 43 Rz. 15. 86 EuGHE 2006, I-1579 (Gaetano Verdoliva v Van der Hoeven), RIW 2006, 304 = NJW 2006, 1114. 87 Vgl. Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 43 Rz. 10; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 43 Rz. 18; Magnus/Mankowski/Kerameus, (2007), Art. 43 Rz. 15; wie hier Kropholler/v. Hein, Art. 43 EuGVO Rz. 21 f.
862
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.65 § 15
in voller Besetzung.88 Da die Beschwerde auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann, besteht insoweit kein Anwaltszwang (§ 11 I 1 AVAG, § 78 II ZPO). Die Zulässigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sie bei dem LG, das die Vollstreckung zugelassen hat, eingelegt worden ist (§ 11 II AVAG). Das LG darf der Beschwerde in diesem Fall aber nicht abhelfen, sondern hat sie dem OLG vorzulegen.89 Das OLG kann ebenfalls ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 13 I 1 AVAG). Solange eine mündliche Verhandlung nicht angeordnet ist, können Anträge und Erklärungen auch vor dem OLG zu Protokoll abgegeben werden (§ 13 II 1 AVAG). Wird mündliche Verhandlung angeordnet, so sind die Parteien bei der Ladung, soweit nötig, aufzufordern, einen Anwalt zu bestellen (§ 13 II 2 AVAG; § 215 II ZPO). Da es sich um ein kontradiktorisches Verfahren90 handelt, wird es nach § 240 ZPO unterbrochen, wenn nach Einlegung des Rechtsbehelfs über das Vermögen des Schuldners (aber auch des Gläubigers) ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.91
15.61
ii) Gegen die Entscheidung des OLG findet die Rechtsbeschwerde an den BGH statt, sofern ein entsprechendes Urteil die Revisionsvoraussetzungen erfüllen würde (§§ 15 ff. AVAG).92 Nach § 15 I AVAG, § 574 II ZPO muss die Sache grundsätzliche Bedeutung haben; ansonsten ist die Rechtsbeschwerde unzulässig.93 Das OLG muss die Rechtsbeschwerde auch dann zulassen, wenn es von einer Entscheidung des EuGH abweicht (§ 15 I AVAG).
15.62
Weist das OLG die Beschwerde des Schuldners zurück oder lässt es auf Beschwerde des Gläubigers die Zwangsvollstreckung zu, so kann die Zwangsvollstreckung über Sicherungsmaßnahmen hinaus fortgesetzt werden (§ 22 I AVAG).
15.63
Auf Antrag des Schuldners kann aber bis zum Ablauf der Frist für die Rechtsbeschwerde die Zwangsvollstreckung mit oder ohne Sicherheitsleistung auf eine Sicherungsvollstreckung beschränkt werden, wenn die weitergehende Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ 22 II AVAG).
15.64
jj) Nach Art. 46 I EuGVO a.F./LugÜ kann das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht das Verfahren der Vollstreckbarerklärung auf Antrag aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im Urteilsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde oder die Rechtsbehelfsfrist noch läuft. Bei seiner Ermessensentscheidung kann das Gericht
15.65
88 OLG Zweibrücken, RIW 2005, 779, 780; OLG Köln, IPRax 2003, 354. 89 OLG Celle, IPRax 2005, 450 (dazu H. Roth, S. 438); OLG Zweibrücken, RIW 2005, 779. 90 Vgl. K. Pflugmacher, Beweiserhebung und Anerkenntnis im Klauselerteilungsverfahren, 2001. 91 So OLG Zweibrücken, RIW 2001, 700; OLG Köln, ZIP 2007, 2287; Kropholler/v. Hein, Art. 43 EuGVO Rz. 11; Rauscher/Mankowski, (2011) Art. 43 Brüssel I-VO Rz. 14; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 38 EuGVO Rz. 19; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 43 Rz. 9. 92 Vgl. BGH v. 8.12.2005 – IX ZB 28/04, WM 2006, 502 (Rz. 3) = NJW-RR 2006, 1290. 93 BGH v. 8.11.2012 – IX ZB 120/11 u IX ZA 12/11, WM 2013, 45.
863
§ 15 Rz. 15.65 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
die Erfolgsaussichten des ausländischen Rechtsbehelfs berücksichtigen.94 Das Gericht prüft, ob die Entscheidung ersichtlich fehlerhaft und mit ihrer Aufhebung zu rechnen ist. Dabei dürfen nur neue Gründe beachtet werden, die der Schuldner im Ursprungsverfahren noch nicht vorbringen konnte.95 Nach § 22 II, III AVAG führt die Aussetzung aber nur zu einer Beschränkung des Gläubigers auf die Sicherungsvollstreckung.96 Im Rahmen der Sicherungsvollstreckung ist der Schuldner auch verpflichtet, eine eidesstattliche Versicherung über sein Vermögen abzugeben.97
15.66 Das Gericht kann diese Aussetzung auch wieder aufheben.98 Wird die Entscheidung im Ausland aufgehoben oder abgeändert, wird der Antrag auf (unveränderte) Vollstreckbarerklärung unzulässig; das Verfahren kann für erledigt erklärt werden.99 15.67 Was ordentlicher Rechtsbehelf ist, ist autonom nach EuGVO a.F. bzw. LugÜ zu bestimmen und weit auszulegen. Erfasst ist jeder Rechtsbehelf, der zur Aufhebung oder Abänderung der dem Verfahren zugrunde liegenden Entscheidung im Erststaat führen kann und für dessen Einlegung eine mit Erlass der Entscheidung laufende Frist besteht.100 Wiederaufnahmeverfahren gehören aber nicht dazu.101 15.68 Erfasst sind danach auch der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil sowie die Kassation der romanischen Rechtssysteme.102 Nach dem Sinn und Zweck genügt auch die Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage im Erststaat.103 15.69 Der Zweitrichter braucht seine Entscheidung aber nicht auszusetzen, wenn gegen die Entscheidung des Erstrichters ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Er kann auch die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen (Art. 46 III EuGVO a.F./LugÜ104). Eine solche Sicherung ist aber nicht anzuordnen, wenn der Schuldner bereits durch eine solche nach § 22 II AVAG geschützt ist.105 94 OLG Nürnberg, WM 2011, 700 (Rz. 86); Peiffer, Rz. 759 ff.; Rauscher/Mankowski, (2011), Art. 46 Brüssel I-VO Rz. 12; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 46 EuGVO Rz. 4; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 46 Rz. 7. 95 EuGHE 1991, I-4743 (Rz. 33) (van Dalfsen v van Loon), EWS 1993, 119; OLG Nürnberg, WM 2011, 700 (Rz. 86); Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 46 Rz. 9; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 46 Rz. 8. 96 BGH, NJW-RR 2006, 996 (Rz. 4); Geimer/Schütze, Art. 46 EuGVVO Rz. 27; Rauscher/ Mankowski, (2011), Art. 46 Brüssel I-VO Rz. 15. 97 BGH, NJW-RR 2006, 996 (Rz. 5 ff.). 98 W. Hau, IPRax 1996, 322, 323. 99 Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 279 (dazu W. Hau, S. 255); BGH, NJW 1980, 2022; A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 399 f. 100 EuGHE 1977, 2175 (Industrial Diamond Supplies v Riva), NJW 1978, 1107 (LS). 101 Schuschke/Walker/Jennißen, 5. Aufl. 2011, Art. 46 EuGVVO Rz. 2. 102 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 37 EuGVO Rz. 4; B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 242; a.A. OLG Koblenz, RIW 1977, 102 (Schütze). 103 Kropholler/v. Hein, Art. 46 EuGVO Rz. 3; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 46 EuGVO Rz. 5; a.A. Rauscher/Mankowski, (2011), Art. 46 Brüssel I-VO Rz. 8; Geimer/Schütze, EuZPR Art. 46 EuGVO Rz. 15. 104 Vgl. OLG Celle, RIW 1979, 129; Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 46 Rz. 10 ff. 105 OLG Hamburg, RIW 1995, 680, 681.
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II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.74 § 15
Die bloße Notwendigkeit einen Erstattungsanspruch wegen ungerechtfertigter Vollstreckung im Ausland verfolgen zu müssen, genügt nicht, um eine Sicherheitsleistung anzuordnen.106 Lehnt das Gericht eine Aussetzung ab oder hebt es eine früher angeordnete Aussetzung auf, so gibt es dagegen keine Rechtsbeschwerde. Auch wenn gegen die Vollstreckbarerklärung Rechtsbeschwerde eingelegt wird, ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht befugt, eine Aussetzung des Verfahrens erstmals oder erneut anzuordnen.107
15.70
kk) Wird der Antrag des Antragstellers vom Zweitrichter abgelehnt, so kann er Beschwerde an das OLG einlegen (Art. 43 I, II EuGVO a.F./LugÜ). Frist und Form der Beschwerde richten sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats, weil EuGVO bzw. LugÜ dafür keine Vorschriften enthalten. Es besteht wiederum kein Anwaltszwang. In diesem Verfahren muss der Schuldner gehört werden (Art. 43 III EuGVO a.F./LugÜ). Lässt er sich auf das Verfahren nicht ein, sind Art. 26 II-IV EuGVO a.F./LugÜ auch dann anzuwenden, wenn er seinen Wohnsitz nicht in dem Hoheitsgebiet eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats hat. Das Verfahren muss solange ausgesetzt werden, bis der Schuldner im Wege der internationalen Rechtshilfe geladen worden ist.
15.71
Gegen die Entscheidung des OLG findet die Rechtsbeschwerde an den BGH statt (Art. 44 EuGVO a.F./LugÜ mit Anhang IV). Überprüft werden nur Rechtsfehler der zweitinstanzlichen Beschwerdeentscheidung, etwa bei der Beurteilung von Anerkennungsversagungsgründen.108
15.72
ll) Ist dem Antragsteller in dem Verfahren vor dem Erstrichter Prozesskostenhilfe bewilligt worden, genießt er diese (anders als nach § 114 ZPO) ohne weiteres auch für das Verfahren vor dem Zweitrichter (Art. 50 EuGVO a.F./LugÜ).
15.73
Nach Art. 51 EuGVO a.F./LugÜ darf einer Partei, die in einem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat eine in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat ergangene Entscheidung vollstrecken will, wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder wegen Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthalts eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, nicht auferlegt werden (s. auch Rz. 5.86). Der Schuldner ist durch diese Regelung dann benachteiligt, wenn der Gläubiger in einem Drittstaat ansässig ist und im Verhältnis des Vollstreckungsstaats zu diesem das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1.3.1954 nicht gilt.109
15.74
106 BGH, RIW 2014, 529 (Rz. 8). 107 EuGHE 1995, I-2269 (SISRO v Ampersand), RIW 1995, 940 = IPRax 1996, 366 (dazu W. Hau, S. 322). 108 Ch. Althammer, unalex Kommentar, Art. 44 Rz. 2, 4. 109 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 51 EuGVO Rz. 2 („gewisse Erschwerung“); Rauscher/Mankowski, (2011), Art. 51 Brüssel I-VO Rz. 3.
865
§ 15 Rz. 15.75 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.75 mm) Wird der für vollstreckbar erklärte Titel nachträglich im Erststaat aufgehoben oder abgeändert, so kann nach § 27 AVAG die Aufhebung oder Änderung der Vollstreckungsklausel bei dem Gericht beantragt werden, das die Klausel erteilt hat.110 Da dieses vereinfachte Verfahren zur Verfügung steht, ist eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) unzulässig.111 c) Die Vollstreckung aus öffentlichen Urkunden und Prozessvergleichen
15.76 Schrifttum: A. Dürrenmatt-Atteslander, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis,
2006; T. Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, 2006; F. Guillaume/M. Schwitter, Europäische und schweizerische öffentliche Urkunden als Vollstreckungstitel, AJP 2006, 660; G. Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, 1997; J. Püls, Die Vollstreckung aus notariellen Urkunden in Europa, FS Spellenberg, 2010, S. 481; W. Rechberger, Die Vollstreckung notarieller Urkunden nach der EuGVVO, FS G. Weißmann, 2003, S. 771; W. Rechberger, Perspektiven der grenzüberschreitenden Zirkulation und Vollstreckung notarieller Urkunden in Europa, FS Geimer, 2002, S. 903; D. Seebach, Das notarielle Zeugnis über die unbeschränkte Zwangsvollstreckung aus ausländischen Urkunden nach EuGVVO und AVAG, MittBayNot 2013, 200; R. Trittmann/Ch. Merz, Die Durchsetzbarkeit des Anwaltsvergleichs ... im Rahmen des EuGVÜ/LugÜ, IPRax 2001, 178; C. Visinoni-Meyer, Die Vollstreckung einer öffentlichen Urkunde gem. Art. 50 LugÜ in der Schweiz, FS Karl Spühler, 2005, S. 419; H. Wolfsteiner, Die vollstreckbare Urkunde (§ 53 Europäische Urkundenvollstreckung), 4. Aufl. 2019, S. 646.
(1) Öffentliche Urkunden
15.77 Die Vollstreckung aus ausländischen öffentlichen Urkunden (vgl. die Definition in Art. 4 Nr. 3 lit. a EuVTVO) ist in der ZPO nicht vorgesehen. Art. 57 EuGVO a.F./ LugÜ erleichtert insoweit den Rechtsverkehr zwischen den Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten, da danach die in einem derartigen Staat aufgenommenen öffentlichen Urkunden in jedem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat für vollstreckbar erklärt werden können. Es muss sich um eine vollstreckbare öffentliche Urkunde112 über Ansprüche in Zivil- oder Handelssachen handeln (Art. 1 I 1 EuGVO a.F./LugÜ). Urkunden über öffentlich-rechtliche Ansprüche, aber auch über Ansprüche, die nach Art. 1 II EuGVO a.F./LugÜ vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, sind nicht erfasst.113 Seit 2015 verweist auch Art. 35 EuErbVO für Urkunden über erbrechtliche Ansprüche auf Art. 57 EuGVO a.F. Nach EuGüVO/EuPartVO bedürfen öffentliche Urkunden in güterrechtlichen Sachen ebenfalls der Vollstreckbarerklärung, hier nach Art. 59 i.V.m. Art. 44 ff. EuGüVO/EuPartVO. In Unterhaltssachen bedürfen nur Urkunden aus EU-Mitgliedstaaten, die nicht durch das Haager Protokoll von
110 Vgl. BGH, NJW 1980, 2022. 111 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 333 f. 112 Für autonome Auslegung des Begriffs EuGHE 1999, I-3715 (Unibank v Christensen) = IPRax 2000, 409; Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 57 Rz. 8. 113 Kropholler/v. Hein, Art. 57 EuGVO Rz. 1; B. Hess, IZPR § 6 Rz. 262; a.A. Geimer/Schütze, EuZVR Art. 57 EuGVO Rz. 24; H. Wolfsteiner, Vollstreckbare Urkunde, 4. Aufl. 2019, Rz. 53.10 ff.
866
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.80 § 15
2007 gebunden sind, der Vollstreckbarerklärung (Art. 48 i.V.m. Art. 26 ff. EuUntVO). Das trifft nur auf Urkunden aus Dänemark und aus Großbritannien zu. Für Großbritannien gilt dies nach dem Austrittsvertrag noch für Urkunden, die bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 errichtet werden. Entscheidend ist, dass die öffentliche Urkunde in einem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar ist. Die Urkunde muss im Ursprungstaat von einer öffentlichen Stelle (Notar, Behörde, sonstige Urkundsperson) ausgestellt bzw. vor ihr errichtet worden sein.114 Die Staatsangehörigkeit der Beteiligten und die Verbindung des Rechtsverhältnisses zu irgendeinem Staat sind irrelevant,115 desgleichen auch der Wohnsitz der Parteien.
15.78
In der Urkunde muss eine private Erklärung beurkundet sein; Verwaltungsakte oder Kostenfestsetzungen der Notare scheiden daher aus.116 Art. 57 II EuGVO a.F./LugÜ stellt klar, dass auch Jugendamtsurkunden nach §§ 59, 60 SGB VIII erfasst sind. (Allerdings hat im Verhältnis der EU-Staaten untereinander insoweit inzwischen Art. 48 II EuUntVO Vorrang.)117 Vollstreckbare Privaturkunden erfüllen nicht die Form.118 Der vom französischen huissier ausgestellte „titre exécutoire“ ist öffentliche Urkunde i.S.v. Art. 57 EuGVO a.F./LugÜ.119 Öffentliche Urkunden, die in einem Drittstaat aufgenommen sind, fallen nicht unter Art. 57 EuGVO a.F./LugÜ. Anders ist es mit Urkunden, die ein Konsularbeamter eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats außerhalb des Entsendestaats aufgenommen hat, weil sie als innerhalb der Hoheitssphäre eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats aufgenommen gelten.120
15.79
Die Urkunde muss schließlich im Beurkundungsstaat vollstreckbar sein. Dies ist jetzt auch bei vollstreckbaren Urkunden der Fall, die vor Notaren errichtet werden (s. Art. 347 Schweiz. ZPO).121 Zu den öffentlichen Urkunden gehören auch Vergleiche, die nicht vor einem Richter, sondern vor Gütestellen (§§ 794 I Nr. 1, 797a ZPO) oder vor Einigungsstellen zur Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten nach § 15 VI, VII UWG geschlossen werden.122 Der Anwaltsvergleich (§ 796a ZPO) ist zunächst keine öffentliche Urkunde; er wird dazu aber, sobald er vom Gericht oder vom Notar für vollstreckbar er-
114 115 116 117 118 119 120 121 122
Kropholler/v. Hein, Art. 57 EuGVO Rz. 3; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 57 Rz. 11. H. Wolfsteiner, Rz. 53.5. P. Schlosser, 3. Aufl. Art. 57 EuGVVO Rz. 1; H. Wolfsteiner, Rz. 53.8; 53.23. Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 57 EuGVO Rz. 11. EuGHE 1999, I-3715 (Unibank v Christensen), IPRax 2000, 409 (dazu R. Geimer, S. 367) = ZZPInt 6 (2001), 179 (R. Geimer). OLG Saarbrücken, IPRax 2001, 238 (dazu B. Reinmüller, S. 207). Kropholler/v. Hein, Art. 57 EuGVO Rz. 5; H. Wolfsteiner, Rz. 53.3. Vgl. J. Schmid in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizer. ZPO, 3. Aufl. 2016, Art. 347 Rz. 1 ff. Krit wegen der möglichen Einwände des Schuldners Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 57 Rz. 19, 24. Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 58 EuGVO Rz. 1a; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 57 EuGVO Rz. 1.
867
15.80
§ 15 Rz. 15.80 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
klärt worden ist (§§ 796b, 796c ZPO).123 Gleiches gilt für eine Mediationsvereinbarung vor einem privaten Mediator.124
15.81 Derartige öffentliche Urkunden werden im Verfahren nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./ LugÜ für vollstreckbar erklärt. 15.82 Der Antragsteller hat eine Ausfertigung der Urkunde (Art. 57 IV, 53 I EuGVO a.F./ LugÜ), zusammen mit zwei Abschriften (§ 4 IV AVAG) zzgl. auf Verlangen des Gerichts mit Übersetzungen (Art. 55 II EuGVO a.F./LugÜ) vorzulegen. 15.83 Den Nachweis der Vollstreckbarkeit im Aufnahmestaat kann er durch Vorlage der Bescheinigung nach Art. 57 IV 2 EuGVO a.F./LugÜ i.V.m. Anhang VI führen. Bei deutschen Urkunden bedarf es zur Ausstellung der Bescheinigung zuvor der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung.125 15.84 Eine notarielle Urkunde kann unter den gleichen Voraussetzungen auch von einem Notar für vollstreckbar erklärt werden (§ 55 III AVAG).126 Der Notar erhält hierfür eine Gebühr von 240 € (GNotKG KV Nr. 23805). Für die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 56 AVAG erhält er eine Gebühr von 15 € (GNotKG KV Nr. 23807). 15.85 Im Gegensatz zu den (endgültigen) Ablehnungsgründen für die Anerkennung bzw. Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (Art. 34, 35 EuGVO a.F./LugÜ) kann der Antrag bei öffentlichen Urkunden nur abgelehnt werden, wenn die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats (offensichtlich) widersprechen würde (Art. 57 I 2 EuGVO a.F./LugÜ). Ein Verstoß der Urkundsperson gegen nationale Zuständigkeitsregeln ist irrelevant.127 Grobe Mängel des Beurkundungsverfahrens können freilich dazu führen, dass die Beurkundung nicht wirksam ist und damit gar keine vollstreckbare Urkunde vorliegt.128 15.86 Gericht oder Notar prüfen wie bei gerichtlichen Entscheidungen nur die formellen Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung (Titel, Vollstreckbarkeit, Anwendbarkeit von EuGVO a.F./LugÜ). Auch ein eventueller ordre public-Verstoß berechtigt nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 57 I 2 EuGVO a.F. erst das Beschwerdegericht die Vollstreckbarkeit auf Rechtsbehelf hin zu versagen.129 123 R. Geimer, IPRax 2000, 366, 367; R. Trittmann/Ch. Merz, IPRax 2001, 178, 180 ff.; Rauscher/Staudinger, (2011), Art. 57 Brüssel I-VO Rz. 5; Hk-ZPO/Dörner, Art. 58 EuGVVO Rz. 3; a.A. H. Wolfsteiner, Rz. 53.21. 124 Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 57 Rz. 14; vgl. Rauscher/Staudinger, Art. 57 Brüssel I-VO Rz. 6a. 125 H. Wolfsteiner, Rz. 53.27. 126 Vgl. H. Wolfsteiner, Rz. 53. 36 ff.; J. Fleischhauer, MittBayNot 2002, 15, 19 f.; D. Seebach, MittBayNot 2013, 200. 127 R. Geimer, IPRax 2000, 366, 369; H. Wolfsteiner, Rz. 53.33; Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 57 Rz. 23. 128 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 57 Rz. 27. 129 B. Hess, IZPR § 6 Rz. 263; Kropholler/v. Hein, Art. 57 EuGVO Rz. 11; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 57 EuGVO Rz. 19; a.A. (für liquide Verstöße) H. Wolfsteiner, Rz. 53.46 ff.
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II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.89 § 15
Mit der Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung können nach § 12 II AVAG Einwendungen gegen den Titel auch aus der Zeit vor der Errichtung vorgebracht werden.130 Diese Regelung ist freilich verfehlt. Denn einmal kann sich aus der Parteivereinbarung oder dem ausländischen Errichtungsstatut durchaus eine zeitliche Präklusion ergeben;131 es ist kein Grund ersichtlich, warum diese in Deutschland nicht mehr gelten sollte. Zum anderen widerspricht die allgemeine Zulassung materieller Einwendungen Art. 57 I 2 EuGVO a.F. Danach kann nur der ordre public-Verstoß gerügt werden. Alle anderen (streitigen) Einwendungen sind der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) vorbehalten.132 Für das LugÜ 2007 stellt dies § 55 I AVAG klar; für die EuGVO a.F. gilt aber nichts anderes.
15.87
(2) Prozessvergleiche Nach Art. 58 EuGVO a.F./LugÜ werden ausländische gerichtliche Vergleiche unter denselben Voraussetzungen wie öffentliche Urkunden vollstreckt. Dies betrifft insb. Prozessvergleiche nach § 794 I Nr. 1 ZPO, auch wenn sie nach § 278 VI ZPO abgeschlossen wurden.133 Auch der Vergleich muss sich auf eine Zivil- und Handelssache beziehen, die nach Art. 1 in den Anwendungsbereich von EuGVO a.F. bzw. LugÜ fällt.134 Für eine Einbeziehung von Vergleichen über ausgeschlossene Angelegenheiten enthalten Art. 58 EuGVO a.F./LugÜ keinen Anhaltspunkt. Unterhaltsvergleiche sind jetzt nach Art. 48 EuUnthVO, Vergleiche in Güterrechtssachen seit 2019 nach Art. 60 EuGüVO, Vergleiche in Erbrechtssachen seit 2015 nach Art. 33 EuErbVO anzuerkennen und zu vollstrecken.
15.88
Die Vollstreckbarerklärung erfolgt unter denselben Voraussetzungen wie bei öffentlichen Urkunden (Art. 58 Satz 1 EuGVO a.F./LugÜ). Die nötigen Nachweise kann der Antragsteller durch Vorlage der Bescheinigung nach Formblatt gem. Anhang V führen. Für inländische Vergleiche erteilt die Bescheinigung das Gericht, das für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zuständig ist (§ 56 AVAG). Abgelehnt werden darf die Vollstreckbarerklärung auf Rechtsbehelf des Schuldners nur wegen eines ordre public-Verstoßes. Die internationale Zuständigkeit des Gerichts für das
15.89
130 W. Rechberger, FS Weißmann, S. 771, 779 f. 131 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 279 f. 132 Kropholler/v. Hein, Art. 57 EuGVO Rz. 14; Rauscher/Staudinger, (2011), Art. 57 Brüssel I-VO Rz. 18, Art. 58 Rz. 16, 18; Hk-ZPO/Dörner, Art. 58 EuGVVO Rz. 9 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. Art. 57 EuGVO Rz. 22 f.; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 57 Rz. 29; Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 57 Rz. 25; B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 264; A. Nelle, Anspruch, S. 484 ff.; G. Leutner, Vollstreckbare Urkunde, S. 279 ff. 133 Kropholler/v. Hein, Art. 58 EuGVO Rz. 1b; Rauscher/Staudinger, (2011), Art. 58 Brüssel I-VO Rz. 9; Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 58 Rz. 11. 134 Kropholler/v. Hein, Art. 58 EuGVO Rz. 2; Rauscher/Staudinger, (2011), Art. 58 Brüssel IVO Rz. 2; Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 58 Rz. 4; Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 58 Rz. 4 f.; a.A. Geimer/Schütze, Art. 51 EuGVO Rz. 4; P. Schlosser, 3. Aufl., Art. 58 EuGVVO Rz. 1.
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§ 15 Rz. 15.89 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wurde, ist irrelevant.135 Der Schuldner kann materielle Einwendungen gegen die titulierte Forderung (ebenso wie bei vollstreckbaren Urkunden, s. Rz. 15.87) nicht im Verfahren der Vollstreckbarerklärung vorbringen; die §§ 12, 14 AVAG waren mit den Vorgaben von EuGVO a.F./LugÜ nicht vereinbar.136 Nach der Neufassung von § 55 I AVAG (durch Gesetz v. 20.2.2013) ist ihre Anwendbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen. d) Verhältnis von EuGVO und LugÜ zu anderen Übereinkommen
15.90 EuGVO und LugÜ ersetzen grds die entsprechenden bilateralen Verträge zwischen den Mitglied- bzw. Vertragsstaaten (Art. 69 EuGVO a.F. bzw. Art. 65 LugÜ). Nach Art. 70 EuGVO a.F. bzw. Art. 66 LugÜ behalten aber die Abkommen und Verträge ihre Wirksamkeit für die Rechtsgebiete, auf die die EuGVO bzw. LugÜ nicht anzuwenden sind. Ebenso bleiben die Abkommen bzw. Verträge für Altentscheidungen oder Urkunden, die vor dem Inkrafttreten von EuGVO bzw. LugÜ ergangen oder aufgenommen worden sind, wirksam (Art. 70 II EuGVO bzw. Art. 66 II LugÜ). Im Übrigen gehen EuGVO bzw. LugÜ vor; ein Rückgriff auf ein bilaterales Abkommen ist ausgeschlossen, auch soweit es im Einzelfall geringere Anerkennungsvoraussetzungen enthalten sollte.137 (Zur Restbedeutung der bilateralen Vollstreckungsverträge mit anderen EU-Staaten s. Rz. 15.144 ff.). Das europäische Recht ist ein in sich geschlossenes, abschließendes und vorrangiges Regelwerk, so dass ein (theoretisch denkbarer) Rückgriff auf autonomes Recht nach dem Günstigkeitsprinzip ausscheidet.138 15.91 Nach Art. 67, 71 I EuGVO a.F. bzw. Art. 67 LugÜ bleiben Rechtsakte der Gemeinschaft und solche Übereinkommen unberührt, denen die Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen regeln. Soweit die Spezialübereinkommen mit der EuGVO bzw. dem LugÜ konkurrieren, gehen die ersteren vor, sofern diese für die Anerkennung und Vollstreckung Ausschließlichkeit beanspruchen.139 Hierbei handelt es sich – soweit nicht auf einzelne Ab- oder Übereinkommen in den folgenden Abschnitten eingegangen wird – insb. um: – die Revidierte Rheinschifffahrtsakte v. 17.10.1868, in der Fassung v. 11.3.1969;140 – das Warschauer Abkommen v. 12.10.1929 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr;141 135 Oberhammer in Stein/Jonas, Art. 58 Rz. 5; Ten Wolde/Knot/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 58 Rz. 14 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., Art. 58 EuGVO Rz. 6; B. Hess, EuZPR § 6 Rz. 257. 136 T. Frische, S. 178 ff., 202. 137 BGH, EWS 1993, 258, 260 = RIW 1993, 673. 138 Geimer/Schütze, Art. 32 EuGVO Rz. 24; P. Schlosser, 3. Aufl. Art. 34–36 EuGVVO Rz. 1; Rauscher/Leible, (2011), Art. 32 Brüssel I-VO Rz. 3; B. Hess, EuZPR § 4 Rz. 41. 139 Vgl. P. Mankowski, EWS 1996, 301. 140 BGBl. 1976 II, 547; vgl. dazu HdbIZVR/Wolff, Bd III/2, 1984 (Kap. IV § 7); P. Schlosser, RdC 284 (2000), 48. 141 BGBl. 1964 II, 1295.
870
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.93 § 15
– das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im intern. Luftverkehr v. 28.5.1999 enthält keine eigenen Regeln über Anerkennung und Vollstreckung. – das internationale Übereinkommen v. 10.5.1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen;142 – das internationale Übereinkommen v. 10.5.1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über den Arrest in Seeschiffen;143 – den Vertrag über die Schiffbarmachung der Mosel v. 27.10.1956;144 – das Londoner Abkommen über Auslandsschulden v. 27.2.1953;145 – das internationale Übereinkommen über den Eisenbahnverkehr (COTIF) v. 9.5.1980,146 i.d.F. des Änderungsprotokolls v. 3.6.1999147 mit Anhängen A u. B (CIV – Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck, CIM – Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern);148 – das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr v. 19.5.1956149 (CMR). Soweit die Spezialübereinkommen keine besonderen Vorschriften für die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen enthalten, bleibt es insoweit unter den Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten bei den Regeln der EuGVO (n.F. u.a.F.) bzw. des LugÜ.
15.92
Soweit Sonderregeln bestehen, bestimmt sich die Konkurrenz zwischen Spezialübereinkommen und EuGVO bzw. LugÜ nach Art. 71 II (b) EuGVO (n.F. u.a.F.) bzw. Art. 67 III LugÜ. Danach kann eine Entscheidung nach den Regeln des Spezialabkommens für vollstreckbar erklärt werden. Art. 71 II (b) EuGVO bzw. Art. 67 II LugÜ erweitern aber die Freizügigkeit der Titel, indem sie festlegen, dass ein Titel eines Mitglieds- bzw. Vertragsstaats des europäischen Rechtsraums stets auch nach Art. 33 ff., 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ anerkannt und vollstreckt werden kann, selbst wenn die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung auf das Spezialübereinkommen gestützt war.150
15.93
142 143 144 145 146 147 148 149 150
BGBl. 1972 II, 653; 1973 II, 169. BGBl. 1972 II, 653; 1973 II, 172. BGBl. 1956 II, 1838. BGBl. 1953 II, 331. BGBl. 1974 II, 357. BGBl. 2002 II, 2149 (in Kraft seit 1.7.2006). BGBl. 1985 II, 130. BGBl. 1961 II, 1119. Vgl. BGH, NJW 2008, 1531, 1532 (Rz. 12).
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§ 15 Rz. 15.93 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
Für Deutschland ist das Wahlrecht zwischen EuGVO bzw. LugÜ und HUVÜ 1973 praktisch irrelevant, weil die Titel nach beiden Regelungen im Beschlussverfahren nach dem AVAG vollstreckbar erklärt werden.
15.94 Art. 31 III, IV CMR legt nur die Pflicht zur Vollstreckbarerklärung von Urteilen und Vergleichen fest, regelt aber nicht das Verfahren dazu. Je nachdem, aus welchem Vertragsstaat der Titel stammt, richtet sich die Vollstreckbarerklärung daher nach Art. 38 ff. EuGVO/LugÜ bzw. §§ 722 f ZPO.151 2. EuGVÜ/LugÜ 1988
15.95 Nach dem EuGVÜ/LugÜ sind dem Antrag folgende Unterlagen beizufügen: (1) eine Ausfertigung der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung, Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ, zzgl. zweier Abschriften, § 4 IV AVAG,
15.96 (2) bei Entscheidungen, die aufgrund von Säumnis ergangen sind, die Zustellungsurkunde für das verfahrenseinleitende Schriftstück, und zwar in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift, Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ. Hat sich der Beklagte auf das Verfahren eingelassen, so ist dieser Zustellungsnachweis entbehrlich; auf Mängel der Zustellung kommt es dann nicht an.152 Hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so ist die genannte Zustellungsurkunde, nicht nur das verfahrenseinleitende Schriftstück vorzulegen; die Zustellungsurkunde über das Versäumnisurteil selbst genügt nicht.153 15.97 (3) die Urkunde über die Vollstreckbarkeit des Titels im Ursprungsstaat, Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ, Vorliegen muss lediglich die generelle formelle Vollstreckbarkeit, ohne dass die Voraussetzungen für eine tatsächliche Vollstreckung geschaffen werden müssten.154
15.98 (4) die Urkunde über die Zustellung des Titels im Urteilsstaat, Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ. Der Nachweis kann ggf. nachträglich im Verfahren der Vollstreckbarerklärung, auch im Beschwerdeverfahren geführt werden. Nach Ansicht des EuGH genügt der nachträgliche Zustellungsnachweis, sofern (1) der Schuldner über eine angemessene Frist verfügt, um das Urteil freiwillig zu erfüllen, und (2) der Vollstreckungsgläubiger die Kosten eines etwa unnötigen Verfahrens zu tragen hat.155 15.99 (5) ggf. ein urkundlicher Nachweis über Armenrecht bzw. Prozesskostenhilfe im Ursprungsstaat, Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ, 151 Thume/Demuth, 2. Aufl. 2007, 1994, Art. 31 Rz. 55 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 1a CMRG Rz. 17. 152 Vgl. OLG Karlsruhe, RIW 1991, 859. 153 Vgl. OLG Köln, RIW 1990, 229. 154 BGH, RIW 2009, 244 (Rz. 10). 155 EuGHE 1996, I-1393 (Van der Linden v Berufsgenossenschaft Feinmechanik), EuZW 1996, 240 = Rev.crit. 1996, 506 (H. Gaudemet-Tallon) = IPRax 1997, 186 (dazu A. Stadler, S. 171); OLG Hamm, IPRax 1998, 202 (dazu R. Geimer, S. 175).
872
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.104 § 15
(6) sowie auf Verlangen des Gerichts Übersetzungen der Urkunden zu (1) bis (5) (auf Verlangen beglaubigt). In Deutschland sind die Übersetzungskosten Teil der zu erstattenden Vollstreckungskosten, § 788 ZPO, § 8 IV AVAG. Werden die Urkunden zu (2) oder (5) nicht vorgelegt, so hat das Gericht nach Art. 48 I EuGVÜ/LugÜ vorzugehen. Es bestimmt also eine Frist zur Vorlage oder begnügt sich mit gleichwertigen Urkunden oder befreit von der Vorlagepflicht, wenn es deren Vorlage nicht für erforderlich hält.
15.100
3. Kostenentscheidungen nach dem Haager Zivilprozess-Übereinkommen a) Schrifttum A. Bülow, Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung einer Kostenentscheidung nach Art. 18 HZÜ, Rpfleger 1955, 301; A. Bülow, Das neue Haager Übereinkommen über den Zivilprozess, Rpfleger 1959, 141; A. Bülow, in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 1981, S. 100.29–31 u 101.18–22; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Bd. III, 5. Aufl. 2017, IZPR Nr C IV, S. 2308; M. Wolff, Vollstreckbarerklärung, HdbIZVR, Bd III/2, 1984, Kap IV (§ 4), S. 460 ff.
15.101
b) Einführung Die Regelung über die Vollstreckung von Kostenentscheidungen in Art. 18, 19 HZPÜ 1954 war bereits im HZÜ 1905 enthalten. Sie bildet mithin die älteste multilaterale Vollstreckungsübereinkunft. Verständlich ist sie nur im Zusammenhang mit Art. 17 HZPÜ, wonach Angehörige der Vertragsstaaten, die ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat haben, in einem anderen Vertragsstaat von der Pflicht zur Sicherheitsleistung für Prozesskosten als Ausländer befreit sind (s. Rz. 5.71 ff., 5.89). Zum Ausgleich für diese Befreiung soll dem siegreichen Beklagten die Vollstreckung der Kostenentscheidung gegen den unterlegenen Kläger in seinem Heimatstaat erleichtert werden. Die Regelung gilt also nur, soweit der Kläger im Gerichtsstaat keinen Wohnsitz hat.156
15.102
Zu den Vertragsstaaten s. Rz. 7.8. c) Verfahren der Vollstreckbarerklärung Nach Art. 19 I HZÜ werden Kostenentscheidungen ohne Anhörung der Parteien nach den Vorschriften des Vollstreckungsstaats unbeschadet eines späteren Rekurses der verurteilten Partei für vollstreckbar erklärt. Es handelt sich also ähnlich wie nach EuGVO bzw. EuGVÜ/LugÜ erstinstanzlich um ein einseitiges Verfahren ohne Anhörung des Vollstreckungsgegners.
15.103
Das Verfahren ist jedoch nach Art. 18 I HZPÜ sehr förmlich ausgestaltet, da der Antrag auf Vollstreckbarerklärung auf diplomatischem Wege zu stellen ist. Dadurch ist das Verfahren sehr zeitaufwendig. Positiv an der Regelung ist aber, dass die Kos-
15.104
156 OLG Frankfurt, IPRax 1984, 32; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 18, 19 HZPÜ Rz. 1.
873
§ 15 Rz. 15.104 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
tenentscheidung im Vollstreckungsstaat kostenfrei für vollstreckbar zu erklären ist (Art. 18 I HZPÜ).
15.105 In Deutschland kann der Kostengläubiger sein Gesuch um Herbeiführung der Vollstreckbarerklärung bei dem Gericht stellen, das die Kostenentscheidung erlassen hat. Dieses bereitet den von der zuständigen deutschen diplomatischen Vertretung zu stellenden Antrag gem. § 66 II-V ZRHO mit Rechtskraftvermerk und Übersetzungen vor. Der so vorbereitete Antrag ist auf diplomatischem Wege beim Außenministerium des ersuchten Staats zu stellen. Der Vollstreckungsstaat ist dann nach Art. 18 I verpflichtet, das Gesuch der zuständigen Behörde zuzuleiten und gleichsam im Prozessstandschaft für den ersuchenden Staat die Vollstreckbarerklärung herbeizuführen. 15.106 Nach Art. 18 III HZPÜ kann der Kostengläubiger unmittelbar einen eigenen Antrag auf Vollstreckbarerklärung bei dem zuständigen ausländischen Gericht stellen, soweit entsprechende Zusatzvereinbarungen zwischen den Vertragsstaaten bestehen. Dies ist der Fall im Verhältnis zu Belgien (Art. 8 ZV), Frankreich (Art. 9 ZV), Griechenland (Art. 16 I Rechtshilfeabkommen), Italien (Art. 15 deutsch-italienischer Vertrag), den Niederlanden (Art. 8 ZV), Norwegen (Art. 9 ZV), Österreich (Art. 7 ZV), Polen (Art. 9 deutsch-polnische Vereinbarung v. 21.2.1994),157 der Schweiz (Abkommen v. 24.12.1929), der Tschechischen Republik (Art. 5 I deutsch-tschechischer Vertrag v. 2.2.2000),158 der Türkei (Art. 3 II Abkommen v. 28.5.1929), Tunesien (Art. 36 deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966). Ein Teil dieser Zusatzvereinbarungen enthält auch Formerleichterungen für den Antrag.159 15.107 Soll die Kostenentscheidung in Österreich vollstreckt werden, ist nicht Vollstreckbarerklärung, sondern Bewilligung der Exekution nach § 79 ff. EO zu beantragen. 15.108 In der Schweiz bedarf es keines besonderen Antrags auf Vollstreckbarerklärung; der Kostengläubiger kann vielmehr nach Art. 67, 69 SchKG v. 11.4.1889 beim zuständigen Betreibungsamt per Betreibungsbegehren unmittelbar einen Zahlungsbefehl beantragen. Die Fassung des SchKG v. 16.12.1994, die zum 1.1.1997 in Kraft getreten ist, ändert daran nichts. 15.109 In Deutschland eingehende Ersuchen um Vollstreckungshilfe nach Art. 18, 19 HZPÜ werden gem. § 138 ZRHO behandelt. 15.110 Über den Antrag entscheidet das AG (§ 4 I AusfG zum HZÜ 1954). Örtlich zuständig ist das Gericht, bei dem der Kostenschuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat; beim Fehlen eines solchen das AG, in dessen Bezirk sich Vermögen des Kostenschuldners befindet oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (§ 4 II AusfG). § 5 AusfG regelt, wie die Vollstreckungsklausel zu erteilen ist. Nach § 5 II ist sie dem Kostenschuldner nur bei einem direkten Antrag des Kostengläubigers von Amts wegen zuzustellen. 157 BGBl. 1974 II, 364. 158 BGBl. 2001 II, 1211, 1212. 159 Vgl. Geimer/Schütze, § 42 ZRHO Fn. 156, S. 900.40.
874
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.116 § 15
Das Gericht hat bei der Vollstreckbarerklärung nach Art. 19 II HZPÜ nur formale Anerkennungsvoraussetzungen zu prüfen, nämlich:
15.111
„1. ob die Ausfertigung der Kostenentscheidung nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie ergangen ist, die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt; 2. ob die Entscheidung nach diesen Rechtsvorschriften die Rechtskraft erlangt hat; 3. ob der entscheidende Teil der Entscheidung in der Sprache der ersuchten Behörde oder in der zwischen den beteiligten Staaten vereinbarten Sprache abgefasst oder aber von einer Übersetzung in eine dieser Sprachen begleitet ist, die vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung durch einen diplomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden Staates oder einem beeidigten Übersetzer des ersuchten Staates beglaubigt ist.“ Hinsichtlich der Sprache bzw. der Übersetzung sind wieder die Zusatzvereinbarungen zum HZPÜ zu beachten. Eine Sprachvereinbarung enthält Art. 4 deutsch-luxemburgischer ZV. Im Verkehr mit Dänemark und der Schweiz beschafft die ersuchte Behörde etwa fehlende Übersetzungen selbst. Aufgrund der Zusatzvereinbarung mit Belgien (Art. 10), Frankreich (Art. 11), Dänemark (Art. 4), den Niederlanden (Art. 10), Norwegen (Art. 11), Polen (Art. 11), Schweden (Art. 1) und der Tschechischen Republik (Art. 7) können Übersetzungen auch von einem vereidigten Übersetzer des ersuchenden Staats beglaubigt werden.
15.112
Materielle Versagungsgründe sieht Art. 19 II HZPÜ nicht vor.160 Eine ordre publicPrüfung ist damit wohl nicht ausgeschlossen, kommt aber wohl praktisch kaum in Betracht. Das Gericht hat aber zu prüfen, ob die Kostenentscheidung in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt.
15.113
Nach § 6 des deutschen AusfG kann der Kostenschuldner gegen die Vollstreckbarerklärung als Rekurs i.S.d. Art. 19 I HZPÜ sofortige Beschwerde nach §§ 577 ff. ZPO einlegen. Mit der Beschwerde können materielle Einwendungen gegen den Kostentitel geltend gemacht werden.161
15.114
Wird die Vollstreckbarerklärung abgelehnt, kann der Kostengläubiger dagegen einfache Beschwerde nach § 6 II AusfG einlegen. Wurde der Antrag auf diplomatischem Wege gestellt, steht die Beschwerde dem Staatsanwalt zu, § 6 II 2 AusfG.
15.115
Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung ist nach Art. 18 I HZPÜ kostenfrei, gleichgültig ob es auf diplomatischem Weg oder durch unmittelbaren Antrag des Kostengläubigers eingeleitet wird. Die Kostenfreiheit gilt aber nur für die Vollstreckbarerklärung selbst.
15.116
160 Vgl. D. Coester-Waltjen, Die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in den Haager Übereinkommen, RabelsZ 57 (1993), 263 (278). 161 OLG München, JW 1936, 3583; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 18, 19 HZÜ Rz. 6; a.A. A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, 2000, S. 429 ff.
875
§ 15 Rz. 15.117 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.117 Die in Art. 19 IV HZPÜ aufgeführten Kosten der Bescheinigung, Übersetzung und Beglaubigung gelten als Vollstreckungskosten und sind zu Lasten des Kostenschuldners zu berücksichtigen. Legt der Kostenschuldner erfolglos Beschwerde ein, ist er kostenpflichtig. Unterliegt der Kostengläubiger im Beschwerdeverfahren, so trägt er die Kosten des Gegners nach § 91 ZPO. 15.118 Die eigentliche Vollstreckung wird vom HZPÜ 1954 nicht erfasst. Sie hat jeder Gläubiger nach dem Recht des jeweiligen Vollstreckungsstaats ohne Rechtshilfe zu betreiben. d) Verhältnis zu anderen Übereinkommen
15.119 Das Verfahren nach dem HZPÜ bleibt von der EuGVO (Art. 71 I) bzw. vom LugÜ (Art. 67 I) unberührt. Soweit der Titel nach der EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) ex lege vollstreckbar ist, ist ein Rückgriff auf das HZPÜ entbehrlich. Für ältere Titel hat der Kostengläubiger aber die Wahl, nach welchem Übereinkommen er vorgehen möchte. Regelmäßig wird ein Vorgehen nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ schneller sein,162 auch wenn dann die Vollstreckbarerklärung kostenpflichtig ist. Wählt der Kostengläubiger das Verfahren nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ, so richten sich die Anerkennungsvoraussetzungen gleichwohl gem. Art. 71 II (b) EuGVO bzw. Art. 67 V LugÜ nach dem HZPÜ. 15.120 Soweit mit dem Vollstreckungsstaat nur ein bilateraler Vertrag besteht, hat das Verfahren nach den Art. 18, 19 HZPÜ Vorrang, da die Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen hier einfacher geregelt sind. 4. Multilaterale Übereinkommen a) Schrifttum 15.121 B. Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998;
D. Coester-Waltjen, Die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in den Haager Übereinkommen, RabelsZ 57 (1993), 263; J. Fleischhauer, Reasons to include authentic instruments in a worldwide Convention on the Recognition and Enforcement of Judgments, IPRax 1999, 216; F. Juenger, A Hague Judgments Convention?, BrooklynJIntL 24 (1998), 111; F. Juenger, Eine Haager Konvention über die Urteilsanerkennung?, GS Lüderitz, 2000, S. 329; C. Kessedjian, Synthesis of the work of the Special Commission of March 1998 on international jurisdiction and the effects of foreign judgments ..., Hague Conference (Internet); A. Lowenfeld, Thoughts about a Multinational Judgements Convention, Law & Contemp. Problems 57 (1994), 289; A.T. v. Mehren, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments: A new Approach for the Hague Conference?, Law and Contemp. Problems 57 (1994), 271; A.T. v. Mehren, The Case for a Convention-mixte, RabelsZ 61 (1997), 86; A.T. v. Mehren, Recognition of United States Judgments Abroad and Foreign Judgments in the United States, RabelsZ 57 (1993), 449; A. Philip, Global Convention on Foreign Judgments, Liber amicorum Droz, 1997, S. 337; G. Rühl, Das Haager Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtliche Zuständigkeiten: Rückschritt oder Fortschritt?, IPRax 2005, 410; H. Schack, Perspektiven eines weltwei-
162 Vgl. Fasching/Bajons, Zivilprozessgesetze, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, Anh. A §§ 38–40 JN Rz. 70.
876
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.125 § 15 ten Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens, ZEuP 1 (1993), 306; H. Schack, Hundert Jahre Haager Konferenz für IPR – Ihre Bedeutung für die Vereinheitlichung des Internationalen Zivilverfahrensrechts, RabelsZ 57 (1993), 224; P. Schlosser, A New Hague Convention and the United States, Univ.Kansas LRev. 45 (1996), 39; M. Storme, Ein einheitlicher Europäischer Vollstreckungstitel als Vorbote eines weltweiten Titels, FS Nakamura, 1996, S. 581; P. Trooboff, Proposed Hague Conference General Convention on Jurisdiction and the Recognition and Enforcement of Judgments, Liber amicorum Droz, 1997, S. 461; R. Wagner, Die Bemühungen der Haager Konferenz für IPR um ein Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und ausländische Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, IPRax 2001, 533.
b) Haager Übereinkommen von 1971 Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen v 1.2.1971 ist von Deutschland – im Hinblick auf das EuGVÜ – nicht gezeichnet worden. Das Übereinkommen gilt nur in den Niederlanden, Portugal und Zypern.163 Auch zwischen diesen Staaten hat die EuGVO aber inzwischen Vorrang.
15.122
c) Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005
15.123
– Übereinkommen v. 30.6.2005, ABl. EU 2009 Nr. L 133/3 – Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens ...v. 10.12.2014, BGBl. I 2082. Auf Vorschlag der USA hat die Haager Konferenz im November 1999 einen verbesserten Entwurf für ein neues weltweites Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilsachen fertiggestellt. Nach der Grundidee Arthur von Mehrens164 sollte das Übereinkommen allgemein akzeptierte („weiße“), allgemein nicht akzeptierte („schwarze“) und „graue“ Gerichtsstände enthalten, bei denen jeder Staat frei entscheiden kann, ob er eine Entscheidung anerkennen will. Das Übereinkommen hätte helfen können, die Anerkennungszuständigkeit sicherer als bisher vorab zu beurteilen. Allerdings war von Anfang an zweifelhaft, ob es gelingt, sich über die „weißen“ und „schwarzen“ Gerichtsstände, insb zwischen den USA und Europa zu einigen. Außerdem blieben generelle Zweifel, ob man denn wirklich Urteile weltweit ohne Prüfung des Justizstandards akzeptieren solle.165 Ein Interim-Text vom Juni 2001 versuchte, den US-Vorstellungen u.a. zur Notwendigkeit eines anerkannten Gerichtsstandes wegen „transacting business“ gerecht zu werden,166 ist aber letztlich an der Unvereinbarkeit der Positionen gescheitert.
15.124
Verabschiedet werden konnte am 30.6.2005 lediglich ein Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten. Dieses sieht vor, dass die in einem Ver-
15.125
163 Englischer Text in AmJCompL 15 (1966), 362; vgl. D. Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263, 284–289. 164 Vgl. Law and Contemp. Problems 57 (1994), 271. 165 Krit F. Juenger, GS Lüderitz, S. 329, 343 f. 166 Vgl. R. Wagner, IPRax 2001, 533.
877
§ 15 Rz. 15.125 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
tragsstaat aufgrund einer wirksamen Gerichtsstandabrede ergangenen Urteile in allen Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken sind (Art. 8 I HGÜ).167 Eine révision au fond ist ausgeschlossen (Art. 8 II HGÜ). Anerkennung und Vollstreckung können ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung im Ausgangsstaat durch einen ordentlichen Rechtsbehelf angefochten worden ist oder noch angefochten werden kann (Art. 8 IV HGÜ). Gerichtliche Vergleiche werden wie Entscheidungen vollstreckt (Art. 12 HGÜ).
15.126 Die Anerkennung und Vollstreckung darf nach Art. 9 abgelehnt werden, wenn (1) die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des vereinbarten Staats unwirksam ist, (2) einer der Vertragsparteien die erforderliche Geschäftsfähigkeit für den Abschluss der Vereinbarung fehlt, (3) bei der Verfahrenseinleitung das rechtliche Gehör des Beklagten verletzt wurde, (4) das Urteil durch Prozessbetrug erwirkt wurde, (5) das Urteil offensichtlich in den ordre public des Anerkennungsstaats, insb gegen seine Prinzipien prozessualer Fairness verstößt, (6) das Urteil mit einem Urteil zwischen den Parteien in dem Anerkennungsstaat nicht vereinbar ist, oder (7) wenn das Urteil mit einer früheren Entscheidung in einem anderen .Vertragsstaat in derselben Angelegenheit nicht vereinbar ist. Kein Versagungsgrund liegt insoweit vor, als das Urteil zur Leistung aus einem Versicherungs- oder Rückversicherungsvertrag wegen einer Angelegenheit verpflichtet, die selbst vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen ist.
15.127 Darüber hinaus brauchen Urteile auf Schadenersatz nur im Umfang tatsächlich erlittener Schäden anerkannt zu werden (Art. 11 I). Punitive damages werden also nicht anerkannt.168 15.128 Ob die Anerkennung Vorfragen erfasst, wird vom Übereinkommen nicht festgelegt. Jedenfalls kann die Anerkennung bezüglich der ausgeschlossenen Vorfragen versagt werden (Art. 10 II). 15.129 Die Anerkennung einer Entscheidung, die sich mit der Gültigkeit eines Immaterialgüterrechts als Vorfrage befasst, darf freilich nur versagt werden, wenn die Entscheidung über die Vorfrage mit einer Entscheidung der zuständigen Behörde des Staats unvereinbar ist, nach dessen Recht das Immaterialgüterrecht besteht, oder, wenn in diesem Staat ein Verfahren über die Gültigkeit des Immaterialgüterrechts anhängig ist.
167 Vgl. G. Rühl, IPRax 2005, 410, 413 f. 168 G. Rühl, IPRax 2005, 410, 414.
878
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.134 § 15
Das Übereinkommen ist zum 1.10.2015 im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Mexiko in Kraft getreten. Seit 2016 gilt es auch im Verhältnis zu Singapur, seit 2018 auch im Verhältnis zu Montenegro. Weitere Staaten, wie die USA, haben das Übereinkommen gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert.
15.130
Soweit die Parteien des Rechtsstreits ihren Aufenthalt in der Europäischen Union haben, hat das EuGVO n.F. (die Brüssel Ia-VO) Vorrang vor dem Übereinkommen; hat eine der Parteien ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, hat das Übereinkommen nach Art. 26 VI HGÜ Vorrang.
15.131
d) Haager Übereinkommen v. 2.7.2019 über Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen Schrifttum: H. Schack, Das neue Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen, IPRax 2020, 1.
Das Übereinkommen regelt Anerkennungszuständigkeiten (Art. 5, 6), Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung (Art. 7, 10) sowie die Dokumente, die zur Anerkennung und Vollstreckung vorzulegen sind (Art. 12). Die Anerkennung, die Vollstreckbarerklärung und die Vollstreckung selbst sollen nach dem Recht des ersuchtenStaates erfolgen (Art. 13 I). Inhaltliche Vorgaben enthält das Übereinkommen insoweit nicht.
15.132
e) Übereinkommen für besondere Sachgebiete (1) Schrifttum Kreuzer/R. Wagner, Europäisches Internationales Verfahrensrecht, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd 2, 2000, Q 370 ff.; D. Martiny, Anerkennung nach multilateralen Staatsverträgen (§§ 5–7), HdbIZVR Bd. III/2, 1984, S. 191 ff.
15.133
(2) Zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden Das Internationale Übereinkommen v. 25.5.1984 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden169 (Neufassung des Internationalen Übereinkommens von 1969) regelt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen in Art X. Diese Bestimmung lautet:
„(1) Ein von einem nach Artikel IX zuständigen Gericht erlassenes Urteil, das in dem Ursprungsstaat, in dem es nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann, vollstreckbar ist, wird in jedem Vertragsstaat anerkannt, es sei denn, a) dass das Urteil durch betrügerische Machenschaften erwirkt worden ist oder b) dass der Beklagte nicht binnen angemessener Frist unterrichtet und dass ihm keine angemessene Gelegenheit zur Vertretung seiner Sache vor Gericht gegeben worden ist. 169 BGBl. 1988 II, 825; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 380, 429; D. Martiny, HdbIZVR III/2, Rz. 465 ff.
879
15.134
§ 15 Rz. 15.134 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
(2) Ein nach Absatz 1 anerkanntes Urteil ist in jedem Vertragsstaat vollstreckbar, sobald die in dem betreffenden Staat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt sind. Diese Förmlichkeiten dürfen keine erneute Entscheidung in der Sache selbst zulassen.“ (3) Haftung der Inhaber von Kernenergieanlagen
15.135 Art. 13 (d) des Pariser Übereinkommens über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie v 29.7.1960170 regelt die Anerkennung und Vollstreckung besonders. Die Bestimmung lautet: „Art 13 (d) Hat ein gemäß diesem Artikel zuständiges Gericht nach einer streitigen Verhandlung oder im Säumnisverfahren ein Urteil gefällt und ist dieses nach dem von diesem Gericht angewandten Rechte vollstreckbar geworden, so ist es im Hoheitsgebiet jeder anderen Vertragspartei vollstreckbar, sobald die von dieser anderen Vertragspartei vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt worden sind; eine sachliche Nachprüfung ist nicht zulässig. Dies gilt nicht für vorläufig vollstreckbare Urteile.“ (4) Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen
15.136 Das Übereinkommen über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen v 25.5.1962171 regelt die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Art XI (4). Diese Bestimmung lautet: „(4) (a) Rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen, die von einem nach Artikel X zuständigen Gericht erlassen worden sind, werden im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats anerkannt, es sei denn, i) dass die gerichtliche Entscheidung durch betrügerische Machenschaften erlangt worden ist oder ii) dass dem Inhaber keine angemessene Gelegenheit zur Vertretung seiner Sache vor Gericht gegeben worden ist. b) Wird die Vollstreckung einer anerkannten rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nach den gesetzlichen Förmlichkeiten des Vertragsstaats beantragt, in dem die Vollstreckung nachgesucht wird, so ist die Entscheidung in gleicher Weise zu vollstrecken, als handelte es sich um die Entscheidung eines Gerichts dieses Vertragsstaats. c) Die Begründetheit des dem Urteil zugrunde liegenden Anspruchs unterliegt keiner weiteren gerichtlichen Nachprüfung.“
170 BGBl. 1976 II, 308; vgl. Kreuzer/Wagner, Q 378 f, 428. 171 BGBl. 1975 II, 977.
880
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.139 § 15
(5) Streitigkeiten aus Beförderungsverträgen im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) Art. 31 I, III, IV des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) v 19.5.1956172 enthält für die Vollstreckbarkeit folgende besondere Regelung:
15.137
„(1) Wegen aller Streitigkeiten aus einer diesem Übereinkommen unterliegenden Beförderung kann der Kläger, außer durch Vereinbarung der Parteien bestimmte Gerichte von Vertragsstaaten, die Gerichte eines Staates anrufen, auf dessen Gebiet a) der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Hauptniederlassung oder die Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle hat, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen worden ist, oder b) der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung vorgesehene Ort liegt. Andere Gerichte können nicht angerufen werden. (3) Ist in einer Streitsache im Sinne des Absatzes 1 ein Urteil eines Gerichtes eines Vertragsstaates in diesem Staat vollstreckbar geworden, so wird es auch in allen anderen Vertragsstaaten vollstreckbar, sobald die in dem jeweils in Betracht kommenden Staat hierfür vorgeschriebenen Formerfordernisse erfüllt sind. Diese Formerfordernisse dürfen zu keiner sachlichen Nachprüfung führen. (4) Die Bestimmungen des Absatzes 3 gelten für Urteile im kontradiktorischen Verfahren, für Versäumnisurteile und für gerichtliche Vergleiche, jedoch nicht für nur vorläufig vollstreckbare Urteile sowie nicht für Verurteilungen, durch die dem Kläger bei vollständiger oder teilweiser Abweisung der Klage neben den Verfahrenskosten Schadenersatz und Zinsen auferlegt werden.“ Vertragsstaaten sind Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Iran, Irland, Italien, Jordanien, Kasachstan, Kirgisistan, Kroatien, Lettland, Libanon, Litauen, Luxemburg, Malta, Marokko, Mazedonien, Moldau, Mongolei, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, die Schweiz, Serbien, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Syrien, Tadschikistan, Tschechische Republik, Tunesien, die Türkei, Tunesien, Turkmenistan, die Ukraine, Ungarn, Usbekistan, das Vereinigte Königreich und Weißrussland.
15.138
Vertraglich gesichert ist nach Art. 31 III, IV CMR die Vollstreckbarkeit endgültig vollstreckbarer Urteile eines Vertragsstaats, die in einem Streit über einen der CMR unterliegenden Beförderungsvertrag ergangen sind.173 Anerkannt werden Urteile im kontradiktorischen Verfahren, im Versäumnisverfahren sowie Prozessvergleiche (Art. 31 IV).
15.139
172 BGBl. 1961 II, 1119; vgl. D. Martiny, HdbIZVR III/2, Kap II Rz. 430 ff. 173 I. Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 9; Herber/Piper, CMR, Art. 31 Rz. 30; Staub/Reuschle, HGB, Bd 14, 5. Aufl. 2017, Art. 31 CMR Rz. 52 ff.
881
§ 15 Rz. 15.139 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
Ausdrücklich ausgenommen sind vorläufig vollstreckbare sowie klagabweisende Entscheidungen, bei denen dem Kläger neben den Kosten Schadenersatz und Zinsen auferlegt werden (Art. 31 IV CMR).
15.140 Für die Vollstreckbarerklärung gelten nach Art. 31 III die im Vollstreckungsstaat „vorgeschriebenen Formerfordernisse“. Im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten ist die Vollstreckbarerklärung inzwischen abgeschafft (Art. 39 Brüssel Ia-VO). Im Verhältnis zu EFTA-Staaten gelten die Art. 37 ff. LugÜ und das AVAG, im Übrigen die §§ 722 f ZPO.174 (6) Seegerichtliche Entscheidungen
15.141 Gem Anlage VI Art. 14 zum Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen v 10.12.1982175 wird bei dem Internationalen Seegerichtshof eine Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten gebildet. Deren Zuständigkeit ist in Art. 187 ff. des Seerechtsübereinkommens geregelt.176 Nach Anlage VI Art. 39 zum Seerechtsübereinkommen sind Entscheidungen dieser Kammer in den Vertragsstaaten ebenso vollstreckbar wie Urteile oder Verfügungen des höchsten Gerichts des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Vollstreckung angestrebt wird.177 15.142 Nach Anlage III Art. 21 II zum Seerechtsübereinkommen ist außerdem jede endgültige Entscheidung eines aufgrund des Seerechtsübereinkommens zuständigen Gerichts oder Gerichtshofs betreffend die Rechte und Pflichten der Behörde und des Vertragsnehmers in jedem Vertragsstaat vollstreckbar. 15.143 In Deutschland richtet sich die Vollstreckung nach dem Seegerichtsvollstreckungsgesetz (SeeGVG) v 6.6.1995, das als Art. 14 des AusfG zum Seerechtsübereinkommen erlassen wurde.178 Nach § 1 SeeGVG sind die in Rz. 15.116, 15.117 genannten Entscheidungen Vollstreckungstitel und werden nach der ZPO vollstreckt. Die Vollstreckungsklausel erteilt das OLG am Sitz des Seegerichtshofs, also das OLG Hamburg, nach Anhörung des Schuldners durch unanfechtbaren Beschluss (§ 2 SeeGVG). Dieses Gericht nimmt auch die Aufgaben des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges als Vollstreckungsorgan wahr (§ 3 SeeGVG). Einwendungen gegen den festgestellten Anspruch können vor inländischen Gerichten nicht geltend gemacht werden (§ 4 SeeGVG).
174 Herber/Piper, CMR, Art. 31 Rz. 32; Kreuzer/Wagner, Q 376, 426. 175 BGBl. 1994 II, 1799. 176 Vgl. P. Seidel, Zuständigkeit und Verfahren des Internationalen Seegerichtshofs in Angelegenheiten der Schifffahrt, 1986; T. Treves, Private Maritime Law Litigation, RabelsZ 63 (1999), 350; St. Talmon, Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg, JuS 2001, 550. 177 Vgl. T. Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streitbeilegung in Wirtschaftssachen, 2001, S. 498. 178 BGBl. 1995 I, 786.
882
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.146 § 15
5. Bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen a) Deutsch-belgisches Abkommen v. 30.6.1958 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen Das deutsch-belgische Abkommen179 ist bereits am 1.2.1973 weitgehend durch das EuGVÜ von 1968 (Art. 55) ersetzt worden. Gem Art. 56 EuGVÜ behielt es seine Wirksamkeit für die Rechtsgebiete, auf die das EuGVÜ insb. aufgrund der Ausschlüsse von Art. 1 II EuGVÜ nicht anwendbar war. Das Abkommen war nicht anwendbar, wenn im Einzelfall ein Versagungsgrund nach Art. 27, 28 EuGVÜ vorlag. Das Abkommen war danach anwendbar auf
15.144
(1) Ehe- und Familienstandsachen (Art. 4), (2) Erbschaftssachen (Art. 3 I Nr. 8), (3) Entscheidungen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 1 III) sowie (4) Schiedssprüche und Schiedsvergleiche (Art. 13 I, II). (5) Schließlich fand das Abkommen Anwendung, soweit der Begriff der Zivilsachen hier weiter ausgelegt wurde als im EuGVÜ.180 Zum 1.3.2002 wurde das EuGVÜ auch im Verhältnis zu Belgien durch die neue EuGVO (VO Nr. 44/2001) für die danach ergangenen Entscheidungen ersetzt (Art. 76 EuGVO). Seit dem Inkrafttreten der EG-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen (zum 1.3.2001), in Erbrechtssachen(VO Nr. 650/2012) zum 17.8.2015181 sowie der Verordnung in Güterstandsachen (zum 29.1.2019) hat das Abkommen noch eine Restbedeutung für die Fälle (3) bis (5).
15.145
Im Hinblick diese geringe Relevanz wird von einer Darstellung abgesehen. Zur näheren Information s. 5. Aufl. § 13 Rz. 300 ff.). b) Deutsch-britisches Abkommen v. 14.7.1960 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Großbritannien ist dem EuGVÜ 1987 beigetreten. Dieses (Art. 56 EuGVÜ) bzw. seit 1.4.2002 die EuGVO (Art. 76) haben Vorrang vor dem deutsch-britischen Abkommen.182 Im Verhältnis zu Großbritannien gilt das deutsch-britische Abkommen daher praktisch nur noch für Erbschaftssachen (Art IV [1] [c]) sowie für Hilfsverfahren zu Schiedssachen.183 Zwar erfasst das Abkommen auch „Familienstands- oder Statussachen einschließlich der Scheidungs- oder anderen Familiensachen“ (Art IV 179 180 181 182 183
BGBl. 1961 II, 2408. Vgl. BGH, NJW 1978, 1113. ABl. EU Nr L 201/107. BGBl. 1961 II, 301. OLG Hamburg, RIW 1996, 862.
883
15.146
§ 15 Rz. 15.146 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
[1] [c]). Jedoch verlangen die Art II (1), V (1), dass die Entscheidung von einem „oberen Gericht“ erlassen wurde; Rechtsmittelentscheidungen gegen Entscheidungen der unteren Gerichte sind ebenfalls ausgenommen. Seit die Familiensachen den Familiengerichten beim AG zugewiesen sind, sind sie damit aus dem Anwendungsbereich des Abkommens herausgefallen.184 Entsprechend fallen auch Entscheidungen der englischen Magistrates’ Courts sowie Rechtsmittelentscheidungen des High Court in Familiensachen nicht mehr unter das Abkommen.
15.147 Seit 1.3.2001 galt auch im Verhältnis zum Vereinigten Königreich die Brüssel IIaVO (VO Nr. 1347/2000), mit Wirkung zum 1.3.2005 wurde sie durch die neue Brüssel IIa-VO (VO Nr. 2201/2003, auch EuEheVO genannt) ersetzt. Mit Inkrafttreten der EuErbVO Nr. 650/2012 (v 4.7.2012) zum 17.8.2015 wurde das deutsch-britische Abkommen für neue Fälle endgültig gegenstandslos. Ob das deutsch-britische Abkommen nach Ablauf der Übergangsfrist nach dem Brexit (nach dem 31.12.2020) wieder anwendbar sein wird, ist derzeit nicht absehbar. Im Hinblick auf die nur noch marginale Restbedeutung wird von einer Darstellung abgesehen. Im Bedarfsfall s. 5. Aufl., § 13 Rz. 330 ff. c) Deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden
15.148 Infolge des Beitritts von Griechenland zum EuGVÜ galt der deutsch-griechische Vertrag von 1961185 nur noch, soweit das EuGVÜ nicht eingriff (Art. 56 EuGVÜ). Der Vertrag war daher noch für Ehe- und Familiensachen anwendbar (Art. 2), auch soweit diese der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen sind (Art. 1 I). Der Vertrag hatte auch in Griechenland Vorrang vor dem autonomen Recht (Art. 323 griech. ZPO 1967/1971). Die neue EuGVO (VO Nr. 44/2001) löste das EuGVÜ auch im Verhältnis zu Griechenland zum 1.3.2002 (Art. 76 EuGVO) ab. 15.149 Seit dem Inkrafttreten der Europäischen Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen186 am 1.3.2001 („Brüssel II“), abgelöst zum 1.3.2005 durch die sog. Brüssel IIa-Verordnung, hat der deutsch-griechische Anerkennungsvertrag nur noch einen marginalen Anwendungsbereich. Deshalb wird von einer näheren Darstellung abgesehen. Bei Bedarf s. 5. Aufl. § 13 Rz. 380 ff.
184 Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2001, Art II Rz. 2; R. Schütze, RIW 1980, 170. 185 BGBl. 1963 II, 109. 186 V. 29.5.2000, ABl. EG Nr L 160/19 v. 30.6.2000.
884
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.154 § 15
d) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 20.7.1977 (1) Schrifttum L. Garb, Enforcement of Foreign Judgments, in A. Kaplan, Israeli Business Law, 1999; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2017, IZPR Nr C V 1, S. 2312; J. Pirrung, Zu den Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen der BR Deutschland mit Israel und Norwegen, IPRax 1982, 130; J. Pirrung, Vertrag zwischen der BRD und dem Staat Israel, in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Lfg. 8), 1983, S. 625.1; R. Schütze, Der deutsch-israelische Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag, in Internationale Wirtschafts-Briefe 1981, 741; K. Siehr, Die Anerkennung und Vollstreckung israelischer Zivilentscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland, RabelsZ 50 (1986), 586.
15.150
(2) Einführung Der deutsch-israelische Vertrag v 20.7.1977187 folgt dem Muster der neueren deutschen Vollstreckungsverträge. Der Vertrag ist dem EuGVÜ 1968 nachgebildet, so dass dieses in Zweifelsfällen zur Auslegung herangezogen werden kann.188 Dies gilt vor allem hinsichtlich der Anerkennung (Art. 9 II, III) und der Vollstreckung (Art. 11; § 3 AVAG). Der Zweitrichter ist hinsichtlich der Beurteilung der Zuständigkeit des Erstrichters (auch bei Versäumnisurteilen) an dessen tatsächliche und rechtliche Feststellungen gebunden (Art. 8 II). Geprüft werden kann aber, ob die bejahte Zuständigkeit dem Katalog des Art. 7 des Vertrages entspricht.189 Die Zuständigkeit kann außerdem überprüft werden, wenn die internationale Zuständigkeit ungeprüft unterstellt wurde.190
15.151
Der Vertrag erfasst grds alle rechtskräftigen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Art. 3). Soweit nach israelischem Recht die Zuständigkeit religiöser Gerichte besteht, werden auch deren Entscheidungen anerkannt.191
15.152
Art. 4 schließt aber bestimmte Sachbereiche aus. Nicht anerkannt werden danach Entscheidungen in Ehe- und Familienstandsachen, bezüglich des Personenstandes, der Handlungsfähigkeit von Personen oder des ehelichen Güterrechts; Entscheidungen auf dem Gebiet des Erbrechts, in Adhäsionsverfahren, in Konkurs- oder Vergleichsverfahren; Entscheidungen in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit, in Atomhaftungssachen sowie einstweilige Verfügungen, einstweilige Anordnungen und Arreste. Unterhaltsentscheidungen jedweder Art werden dagegen anerkannt (Art. 4 II).
15.153
Nach Art. 3 ist die Anerkennung auf rechtskräftige Entscheidungen beschränkt. Die Regelung ist aber missverständlich. Denn nach Art. 4 II, 20, 21 werden alle Un-
15.154
187 188 189 190 191
BGBl. 1980 II, 925. Vgl. BGH, RIW 2002, 63, 64. OLG Hamm, IPRspr. 2014, Nr. 237a, S. 604 (Rz. 47). Vgl. BGH, RIW 2002, 63, 64. K. Siehr, RabelsZ 50 (1986), 586, 592.
885
§ 15 Rz. 15.154 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
terhaltsentscheidungen zur Zwangsvollstreckung zugelassen; aus anderen nicht rechtskräftigen Entscheidungen wird immerhin eine Sicherungsvollstreckung gestattet (Art. 21). Insoweit werden nicht rechtskräftige Entscheidungen also doch anerkannt. Ausgeschlossen sind aber alle Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes.192 (3) Gründe für die Versagung der Anerkennung
15.155 Die Anerkennung einer Entscheidung darf nur aus den in Art. 5 aufgeführten Gründen versagt werden. Erster Versagungsgrund ist das Fehlen der Anerkennungszuständigkeit (Art. 5 I Nr. 1). Der Zuständigkeitskatalog von Art. 7 hält sich im üblichen Rahmen zweiseitiger Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge. Anerkannt werden die Gerichtsstände (1)
des Wohnsitzes/Sitzes des Beklagten oder des gewöhnlichen Aufenthalts,
(2)
der Zweigniederlassung,
(3)
der Gerichtsstandsvereinbarung,
(4)
in Unterhaltssachen der Gerichtsstand am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers,
(5)
der unerlaubten Handlung für Handlungen im Entscheidungsstaat,
(6)
für unerlaubte Handlungen im Geschäftsverkehr,
(7)
der unbeweglichen belegenen Sache,
(8)
des Vermögens,
(9)
der konnexen Widerklage,
(10) der Klage auf Ersatz des Vollstreckungsschadens und (11) der rügelosen Einlassung. Ein in Israel schriftlich eingereichtes „statement of defence“ muss bereits die Zuständigkeitsrüge enthalten.193
15.156 Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes fehlt im Zuständigkeitskatalog. Nicht enthalten ist auch der im common law verbreitete Gerichtsstand der tatsächlichen Anwesenheit im Gerichtsstaat bzw. der persönlichen Zustellung der Klageschrift im Gerichtsstaat.194
192 Vgl. St. Goldstein, Provisional relief and international jurisdiction, in Rabello, Essays on European Law and Israel, 1996, S. 733. 193 BGH, RIW 2002, 63, 65. 194 OLG Hamm, IPRspr. 2014, Nr. 237a, S. 604 (Rz. 50).
886
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.163 § 15
Besonderheiten bestehen insoweit, als der Gerichtsstand des gewöhnlichen Aufenthalts stets neben dem des Wohnsitzes anerkannt wird (Art. 7 I Nr. 1). Für Gerichtsstandvereinbarungen verlangt Art. 7 I Nr. 3 Schriftlichkeit oder halbe Schriftlichkeit. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung wird nach Art. 7 I Nr. 5 nur anerkannt, soweit am Handlungsort geklagt wird. Eine am Erfolgsort ergangene Entscheidung wird nach dem Übereinkommen nicht anerkannt, kann in Deutschland aber nach autonomem Recht (§§ 328 I Nr. 1 i.V.m. 32 ZPO) anerkannt werden.195 Diese Einschränkung gibt es nicht bei Verletzung von Patenten, Gebrauchsmustern, Warenzeichen, Sortenschutzrechten, gewerblichen Mustern und Urheberrechtsverletzungen (Art. 7 I Nr. 6).
15.157
Der Vermögensgerichtsstand wird nach Art. 7 I Nr. 8 anerkannt, soweit der Beklagte in keinem der Vertragsstaaten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, sich im Erststaat aber Vermögen zur Zeit der Verfahrenseinleitung befindet.
15.158
Ausgeschlossen ist die Anerkennung, soweit der Anerkennungsstaat eine eigene ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht (Art. 7 II), z.B. Deutschland nach § 24 ZPO.196
15.159
Weitere Versagungsgründe sind (1) der ordre public-Verstoß, (2) vorrangige Rechtshängigkeit im Anerkennungsstaat, (3) die abweichende Beurteilung einer IPR-Vorfrage in Statussachen (Art. 6 II) und (4) die Nichteinlassung des Beklagten nach nicht ordnungsgemäßer oder nicht rechtzeitiger Ladung. Die Anforderungen an die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks richten sich nach Art. 2 ff. HZÜ 1965.197 Eine Heilung mit tatsächlicher Zustellung wird von deutschen Gerichten nicht akzeptiert.198
15.160
Die Anerkennungsversagungsgründe sind von Amts wegen zu prüfen.199 (4) Die Vollstreckbarerklärung In Deutschland ist das Verfahren der Vollstreckbarerklärung (Art. 10f des Vertrags) dem EuGVÜ nachgebildet; entsprechend gilt das AVAG auch für den deutsch-israelischen Vertrag (§ 1 I Nr. 1d AVAG).
15.161
Die §§ 45 ff. AVAG enthalten jedoch Sonderregeln, weil der Vertrag die Zwangsvollstreckung nur aus rechtskräftigen Entscheidungen mit Ausnahme von Unterhaltsentscheidungen (Art. 20) zulässt.
15.162
Da Art. 21 aus nicht rechtskräftigen Entscheidungen eine Sicherungsvollstreckung zulässt, sehen die §§ 45, 46 AVAG vor, dass die Zwangsvollstreckung über Maß-
15.163
195 K. Siehr, RabelsZ 50 (1986), 586, 601. 196 K. Siehr, RabelsZ 50 (1986), 586, 594; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Dt.-israel. Vertr. Art. 7 Rz. 3. 197 Vgl. OLG Köln, IPRax 1997, 259 (dazu J. Kondring, S. 242); BGH, RIW 2002, 63, 66. 198 OLG Hamm, IPRspr. 2014, Nr. 237a, S. 604 (Rz. 63). 199 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Dt.-israel. Vertr. Art. 5 Rz. 6.
887
§ 15 Rz. 15.163 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
regeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, bis der Gläubiger eine gerichtliche Anordnung oder ein Zeugnis vorlegt, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf.
15.164 Abweichend von anderen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen enthält Art. 24 eine besondere Vorschrift, wonach die Anerkennung oder Zulassung der Zwangsvollstreckung verweigert werden kann, wenn 25 Jahre vergangen sind, seitdem die Entscheidung mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht angefochten worden ist. 15.165 Zuständig für die Vollstreckbarerklärung ist nach Art. 14 II des Vertrags das Gericht am Wohnsitz des Schuldners, hilfsweise am Ort des Vermögens oder der Zwangsvollstreckung. Wird die Vollstreckung gegen mehrere Schuldner mit verschiedenen Wohnsitzen gleichzeitig betrieben, so hat der Gläubiger die Wahl, das Verfahren der Vollstreckbarerklärung gegen alle Schuldner am Wohnsitz eines von ihnen zu betreiben.200 15.166 Art. 15 des Vertrags enthält den Katalog der vorzulegenden Urkunden. Dazu eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung (Nr. 1) sowie der Nachweis ihrer Rechtskraft (Nr. 2) und ihrer Vollstreckbarkeit (Nr. 3) sowie Übersetzungen in die Sprache des Vollstreckungsstaats (Nr. 7). Entscheidungsgründe werden nicht verlangt.201 15.167 Nach Art. 15 Nr. 5 muss auch die Zustellung der Entscheidung urkundlich nachgewiesen werden. Das Zustellungsverfahren muss insoweit nur dem innerstaatlichen Recht, nicht dem Haager Zustellungsübereinkommen entsprechen.202 15.168 Bei der Entscheidung über die Zulassung der Zwangsvollstreckung darf nach Art. 16 des Vertrags nur geprüft werden, ob die erforderlichen Urkunden vorliegen und ob ein Versagungsgrund nach Art. 5 oder 6 II vorliegt. Fehlen nach Art. 15 erforderliche Urkunden kann die Zulassung zur Zwangsvollstreckung versagt werden. Das Beschwerdegericht kann die Zwangsvollstreckung aber auch ohne diese Vorlage zulassen, wenn es auf andere Weise die Überzeugung gewinnt, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach Art. 10 des Vertrages erfüllt sind.203 15.169 In Israel findet die Zwangsvollstreckung nach der Verordnung über die Vollstreckung ausländischer Urteile (Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland) 1981204 sowie dem Gesetz über die Zwangsvollstreckung ausländischer Urteile von 1958 statt.205 Nach einer Erklärung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten des Staats Israel können Anträge, die Zwangsvollstreckung zuzulassen, abweichend von Art. 14 I Nr. 2 des Vertrags bei jedem zuständigen Gericht Israels gestellt werden.206
200 201 202 203 204 205 206
888
H. Roth, RIW 1987, 814 ff. Vgl. BGH, RIW 2002, 63, 65. BGH, RIW 2002, 63, 66. BGH, MDR 2018, 623 = RIW 2018, 454. Nr. 4237 v. 24.5.1981. Vgl. Geimer/Schütze/Pirrung, IRV, S. 625.16. Bekanntmachung, BGBl. 1990 II, 3.
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.174 § 15
e) Deutsch-italienisches Abkommen v. 9.3.1936 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Schon das EuGVÜ hatte Vorrang vor diesem Abkommen (Art. 55 EuGVÜ). Nach Art. 56 EuGVÜ war das Deutsch-Italienische Abkommen vom 9.3.1936207 nur noch für solche Rechtsgebiete wirksam, auf die das EuGVÜ nicht anzuwenden ist. Das waren nach Art. 2 Nr. 6 Erbschaftsstreitigkeiten, nach Art. 3 nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten wie Statussachen, Ehescheidungen und das eheliche Güterrecht sowie nach Art. 8 die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen und Schiedsvergleichen. Zum 1.4.2002 ist das EuGVÜ im Verhältnis zu Italien durch die EuGVO ersetzt worden.
15.170
Für Entscheidungen in Ehesachen und über die elterliche Sorge hat seit 1.3.2001 die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, seit 1.3.2005 die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 v. 27.11.2003 („Brüssel IIa“) Vorrang vor dem deutsch-italienischen Vertrag (Art. 36 I, 38 I Brüssel IIa-VO).
15.171
Für Erbschaftsstreitigkeiten hat die EuErbVO (Nr. 650/2012 v. 4.7.2012)208 seit 17.8.2015 Vorrang. Seit der Anwendbarkeit der EuGüVO und der EuPartVO zum 29.1.2019, ist das deutsch-italienische Abkommen für neue Fälle praktisch gegenstandslos.
15.172
Da Deutschland und Italien Vertragsstaaten sind, richten sich die Voraussetzungen für die Anerkennung von Schiedssprüchen heute nach dem UNÜ 1958. Art. 8 III garantiert aber zusätzlich die Vollstreckbarkeit von Schiedsvergleichen und Art. 8 II gewährt eine Beweiserleichterung für den Nachweis eines Schiedsspruchs.
15.173
Angesichts dieser nur noch marginalen Restbedeutung wird auf eine Darstellung verzichtet. Zur näheren Information s. 5. Aufl. § 13 Rz. 420 ff. f) Deutsch-niederländischer Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivilund Handelssachen v. 30.8.1962 Der deutsch-niederländische Vertrag v. 30.8.1962209 hatte noch Bedeutung für Entscheidungen über Erbstreitigkeiten und auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 1 I). Nach dem gemeinsamen Bericht der Unterhändler210 sollten darunter auch gerichtliche Verfügungen bei der Vermittlung einer Auseinandersetzung unter Miterben gem. §§ 86 ff. FGG (jetzt §§ 363 ff. FamFG) sowie Entscheidungen nach der HausratsVO (jetzt §§ 1361a, 1361b, 1568a, 1568b BGB; § 200 FamFG) fallen. Mit dem Inkrafttreten der EuErbVO (Nr. 650/2012 v 4.7.2012) zum 17.8.2015 und der EuGüVO/EuPartVO (Nr. 2016/1103 u. 2016/1104) zum 29.1.2019 wurde der deutsch-niederländische Vertrag für Zivilsachen vollständig gegenstandslos. 207 208 209 210
RGBl. 1937 II, 154. ABl. EU Nr L 201/107. BGBl. 1965 II, 26. BT-Drucks. IV/2351, 13.
889
15.174
§ 15 Rz. 15.174 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
Ohne Bedeutung ist inzwischen die Anerkennung von vollstreckbaren Urkunden über Unterhalt gem. Art. 16 (1) (b), weil auch insoweit das EuGVÜ (Art. 50), die EuGVO a.F. (Art. 57) und jetzt die EuUntVO (Art. 69 II) Vorrang haben.
15.175 Die Anerkennung von Eintragungen in die Konkurstabelle sowie von bestätigten Zwangsvergleichen (im Konkurs, Vergleichsverfahren sowie im niederländischen Verfahren des Zahlungsaufschubs) war bis zum 31.5.2002 nur nach Art. 16 (1) (c), (d) des Vertrags gewährleistet, da das EuGVÜ nach Art. 1 II Nr. 2 auf Insolvenzverfahren generell nicht anwendbar war. Seit dem 31.5.2002 gilt insoweit aber die EGVerordnung Nr. 1346/2000 v. 29.5.2000.211 über Insolvenzverfahren, seit 26.6.2017 die EU-Verordnung Nr. 2015/848 v. 20.5.2015. Wegen der nur noch marginalen Restbedeutung für ältere Entscheidungen wird auf eine nähere Darstellung verzichtet. Zur näheren Information s. 5. Aufl., § 13 Rz. 435 ff. g) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen v. 17.6.1977 (1) Schrifttum
15.176 Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2001, Bd. III IZPR Nr. 5g (S. 2383); J. Pirrung, Zu
den Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen der BR Deutschland mit Israel und Norwegen, IPRax 1982, 130; J. Pirrung, Vertrag zwischen der BRD und dem Königreich Norwegen, in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Lfg. 8 u. 17), S. 645.1.
(2) Restgeltung
15.177 Der Deutsch-Norwegische Vertrag212 hat nur noch geringe Bedeutung. Seit 1.3.1995 gilt das LugÜ auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Norwegen. Das LugÜ hat daher Vorrang vor dem deutsch-norwegischen Vertrag (Art. 55 LugÜ). Ebenso wie das LugÜ (Art. 1 II) erfasst auch dieser Vertrag nicht Entscheidungen, die betreffen: Ehe- und Familienstandsachen, die Rechts- und Handlungsfähigkeit oder die gesetzliche Vertretung einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Gesellschaft, Atomhaftungsschäden, Konkurs- oder Vergleichsverfahren, einstweilige Verfügungen, Anordnungen und Arreste (Art. 3). 15.178 Nach Art. 4 I ist der Vertrag auf Unterhaltssachen nicht anzuwenden. Art. 4 II verweist auf das HUVÜ 1958. Da Deutschland und Norwegen inzwischen Vertragsstaaten des HUVÜ 1973 sind, gilt dieses (Art. 29 HUVÜ 1973) sowie wahlweise das LugÜ. 15.179 Infolgedessen gilt der deutsch-norwegische Vertrag nur noch für die Vergangenheit (Art. 56 II LugÜ) sowie für die Rechtsgebiete, auf die das LugÜ nicht anwendbar ist (Art. 56 I LugÜ). Seit 1.3.1995 erfasst der Vertrag daher nur noch Erbrechtssachen (Art. 8 I Nr. 1). 211 ABl. EG Nr. L 160/1 v. 30.6.2000. 212 BGBl. 1981 II, 342.
890
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.183 § 15
Im Hinblick auf diesen schmalen Anwendungsbereich wird von einer näheren Erläuterung abgesehen. Im Bedarfsfall s. 5. Aufl. § 13 Rz. 450 ff. h) Deutsch-österreichischer Vertrag v. 6.6.1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen Der Deutsch-Österreichische Vertrag213 ist inzwischen praktisch gegenstandslos. Österreich wurde zum 1.1.1995 Mitglied der Europäischen Union. Mit dem 4. Beitrittsübereinkommen v 29.11.1996 ist es zum 1.1.1999 dem EuGVÜ beigetreten, das zum 1.4.2002 durch die EuGVO abgelöst wurde. Als früherer EFTA-Staat hatte Österreich das Luganer GVÜ bereits zum 1.9.1996 ratifiziert. Vom 1.9.1996 an galt also im Verhältnis zu Österreich primär das LugÜ 1988 (Art. 54, 54b LugÜ). Für danach erhobene Klagen hatte der deutsch-österreichische Vertrag noch Bedeutung für die vom EuGVÜ/LugÜ nicht erfassten Rechtsgebiete (Art. 56 EuGVÜ/LugÜ), d.h. für Status- und Erbrechtssachen (Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ) sowie für Alttitel aus der Zeit vor dem Beitritt Österreichs zur EFTA.214
15.180
Nach Art. 1 I erfasste der Vertrag auch streitige Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit,215 nicht aber Sorgerechtsverfahren, Vormundschaftssachen oder Adoptionen.216 Nicht anzuwenden war der Vertrag auf Entscheidungen in Ehesachen und in anderen Familienstandsachen (Art. 14 I Nr. 1) sowie auf einstweilige Verfügungen, einstweilige Anordnungen und Arreste (Art. 14 I Nr. 3). Für Ehesachen und Sorgerechtssachen gilt seit 1.3.2001 die sog. Brüssel II-VO Nr. 1347/2000 v 29.5.2000, seit 1.3.2005 die VO (EG) Nr. 2201/2003 („Brüssel IIa“) (s. Rz. 13.2 ff.; Rz. 14.100 ff.; Rz. 15.320 ff.).
15.181
In Erbrechtssachen gilt ab 17.8.2015 die EuErbVO (Nr. 650/2012 v 4.7.2012). Seit der Anwendbarkeit der EuGüVO (Nr. 2016/1103) und der EuPartVO (Nr. 2016(1104) seit dem 29.1.2019 ist der deutsch-österreichische Vertrag nahezu gegenstandslos.
15.182
Von einer näheren Darstellung abgesehen. Bei Bedarf s. 5. Aufl. § 13 Rz. 460 ff. i) Deutsch-schweizerisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen v. 2.11.1929 Das deutsch-schweizerische Abkommen217 hat ebenfalls nur noch eine Restbedeutung. Das Luganer Parallel-Übereinkommen von 1988 ist am 1.3.1995 für Deutschland in Kraft getreten. Nach Art. 55 LugÜ hat es Vorrang vor dem Abkommen von 1929. Gleiches gilt für das Lugano Übereinkommen von 2007 (Art. 65). Das Abkom213 214 215 216 217
BGBl. 1960 II, 1245. OLG Frankfurt, FamRZ 2016, 397. Österr. OGH, IPRax 2013, 182 (dazu H. Roth, S. 188). Vgl. BayObLG, IPRax 1982, 106. RGBl. 1930 II, 1066.
891
15.183
§ 15 Rz. 15.183 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
men von 1929 hat daher nur noch Bedeutung für die vom LugÜ nicht erfassten Rechtsgebiete (Art. 66 LugÜ 2007), d.h. für Status-, Güterstand- und Erbrechtssachen (Art. 1 II Nr. 1 LugÜ). Wegen dieses begrenzten Anwendungsbereichs wird von einer weiteren Erläuterung abgesehen. Im Bedarfsfall s. 5. Aufl. § 13 Rz. 490 ff. j) Deutsch-spanischer Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen v. 14.11.1983
15.184 Seit dem Inkrafttreten des 3. Beitrittsübereinkommens zum EuGVÜ im Verhältnis zwischen Deutschland und Spanien zum 1.12.1994218 war der deutsch-spanische Vertrag v. 14.11.1983219 nur noch für die vom EuGVÜ nicht erfassten Sachgebiete (Art. 55 EuGVÜ) und die früheren Entscheidungen relevant. Zum 1.4.2002 ist das EuGVÜ durch die EuGVO ersetzt worden. Anwendbar war der Vertrag danach noch in Eheund Familiensachen (Art. 8) sowie in Erbschaftsangelegenheiten (Art. 7 I Nr. 13). 15.185 In Ehesachen und Sorgerechtsstreitigkeiten hat seit 1.3.2001 die Brüssel II-VO (Verordnung [EG] Nr. 1347/2000) Vorrang vor dem Vertrag (Art. 36 I, 38 I Brüssel IIVO) seit 1.3.2005 die Brüssel IIa-VO (Art. 59 I) (s. Rz. 13.2 ff.; Rz. 14.100 ff.; Rz. 15.320 ff.). Der deutsch-spanische Vertrag galt danach noch für die sonstigen Familiensachen und für Erbrechtssachen. 15.186 Für Erbrechtssachen wurde der Vertrag zum 17.8.2015 durch die EuErbVO (Nr. 650/2012 v. 4.7.2015) ersetzt. Seit dem Inkrafttreten der EU-Verordnung über Ehegüterstandsachen (Nr. 2016/ 1103) und der parallelen Verordnung über die güterrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften (Nr. 2016/1104) zum 29.1.2019 ist der Vertrag praktisch gegenstandslos. Von einer näheren Erläuterung wird daher abgesehen. Im Bedarfsfall s. 5. Aufl. § 13 Rz. 510 ff. k) Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966 über Rechtsschutz, Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1) Schrifttum
15.187 H. Arnold, Die Problematik von Rechtshilfeabkommen erläutert am Beispiel des deutsch-tu-
nesischen Vertrages v 19.7.1966, NJW 1970, 1478; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, Schlussanh V B 8; J: Ganske, Der deutsch-tunesische Rechtshilfe- und Vollstreckungsvertrag, AWD 1970, 145; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Bd III, 5. Aufl. 2017, IZPR Nr C V 2, S. 2321.
218 BGBl. 1994 II, 518. 219 BGBl. 1987 II, 34.
892
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.192 § 15
(2) Einführung
Dieser zweiseitige Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag220 fällt aus dem sonst üblichen Rahmen, da er auch die internationale Rechtshilfe mit umfasst (s. Rz. 8.166 ff. u. Rz. 9.158 f.).221 Nach dem Vertrag werden vorläufig vollstreckbare Entscheidungen nicht anerkannt. Art. 27 fordert, dass die Entscheidungen Rechtskraft erlangt haben. Damit ist die formelle Rechtskraft gemeint, d.h. gegen die Entscheidungen dürfen im Urteilsstaat keine ordentlichen Rechtsmittel mehr zulässig sein.222 Es wird nicht darauf abgestellt, in welchem Gerichtszweig die Entscheidung erlassen wurde; es kommt vielmehr lediglich darauf an, dass sie ihrer Natur nach eine Entscheidung in einer Ziviloder Handelssache ist. Danach fallen Entscheidungen der ArbG und Adhäsionsurteile unter den Vertrag. Auch streitige fG-Entscheidungen werden anerkannt. Die deutsche Denkschrift erwähnt hierzu die gerichtliche Bestätigung einer Auseinandersetzung bei der Vermittlung unter Miterben nach §§ 86 ff. FGG (jetzt §§ 363 ff. FamFG) und Entscheidungen aufgrund der HausratsVO (jetzt gem. §§ 200 ff. FamFG).
15.188
Als Ausnahme zur Grundregel des Art. 27 I werden nach Art. 27 IV aber einstweilige Anordnungen, die auf eine Geldleistung lauten, anerkannt. Sinngemäß sind danach auch einstweilige Unterhaltsanordnungen anzuerkennen.223
15.189
Nach Art. 28 I werden Entscheidungen in Ehe- oder Unterhaltssachen anerkannt, nicht jedoch solche, die die Rechts- oder Handlungsfähigkeit und die gesetzliche Vertretung natürlicher oder juristischer Personen unmittelbar betreffen. Nach Nr. 2 des Protokolls zum Vertrag können die ausgeschlossenen Entscheidungen aber nach dem jeweiligen autonomen Recht anerkannt werden. Die deutsche Denkschrift zu Art. 28 hebt außerdem hervor, dass deutsche Entscheidungen, durch die nichtehelichen Kindern Unterhalt zugesprochen wird, in Tunesien (gem Art. 29 I Nr. 2) nur anerkannt werden, wenn der Beklagte die Vaterschaft freiwillig anerkannt hat.
15.190
Nach Art. 28 II findet der Vertrag keine Anwendung in Insolvenzsachen und in Sozialrechtsangelegenheiten. (3) Anerkennungszuständigkeiten Wie alle zweiseitigen Vollstreckungsabkommen regelt der deutsch-tunesische Vertrag nur die Anerkennungszuständigkeit (System der indirekten Kompetenz). Danach werden nach Art. 31 I folgende Zuständigkeiten anerkannt:
15.191
Nr. 1, wenn der Beklagte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens im Urteilsstaat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte; bei juristischen Personen, Gesellschaften und Vereinigungen wird auf den Sitz oder die Hauptniederlassung abgestellt. Das dem tunesischen Recht bekannte Wahldomizil fällt nicht unter Nr. 1.224
15.192
220 221 222 223 224
BGBl. 1994 II, 518. H. Arnold, NJW 1970, 1478. Deutsche Denkschrift, BT-Drucks. V/3167, 44 ff. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Deutsch-tunesischer Vertrag, Art. 27 Rz. 2. Deutsche Denkschrift zu Art. 31.
893
§ 15 Rz. 15.193 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.193 Nr. 2 betrifft die geschäftliche Niederlassung oder Zweigniederlassung des Beklagten, wenn er für Ansprüche aus deren Betriebe belangt worden ist. Selbständige Agenturen und Handelsvertreter fallen nicht unter Nr. 2. 15.194 Nr. 3 betrifft den Gerichtsstand in Arbeitssachen. Abgestellt wird auf den Arbeitsort im Betrieb oder in der Arbeitsstelle im Urteilsstaat. Bei einer Entsendung in den anderen Vertragsstaat oder einen Drittstaat genügt es für die Zuständigkeit der Gerichte des Entsendestaats, dass der Arbeitnehmer vom dortigen Unternehmen oder Betrieb Weisungen erhielt. 15.195 Nr. 4 gibt für Unterhaltsklagen einen Klägergerichtsstand am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten. 15.196 Nr. 5 betrifft den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung und der gleichgestellten Gefährdungshaftung. Notwendig ist, dass der Täter sich bei Begehung der schädigenden Handlung im Urteilsstaate aufgehalten hat. Bei einem Verkehrsunfall muss der Halter des Unfallwagens sich aber nicht ebenfalls im Urteilsstaat aufgehalten haben.225 15.197 Nach Nr. 6 sind für dingliche Klagen über Rechte an unbeweglichen Sachen die Gerichte des Staats der Belegenheit zuständig. 15.198 Nr. 7 betrifft Klagen aus Erbstreitigkeiten. Anerkannt werden Entscheidungen des Heimatstaats des Erblassers, bei Drittstaatsangehörigen Entscheidungen des Staats des letzten Wohnsitzes des Erblassers. In beiden Fällen gilt dies für Streitigkeiten über den beweglichen und den unbeweglichen Nachlass. 15.199 Nr. 8 akzeptiert den Gerichtsstand der konnexen Widerklage, wenn das Erstgericht für die Hauptklage nach dem vertraglichen Zuständigkeitskatalog zuständig war. 15.200 Nr. 9 betrifft Klagen auf Ersatz des im Zweitstaat erlittenen Vollstreckungsschadens nach Aufhebung des Titels im Erststaat; in diesem Fall muss der Erststaat die Entscheidung des Zweitstaats anerkennen. 15.201 In diesem umfangreichen Katalog fehlen die Gerichtsstände des Erfüllungsortes, der Gerichtsstandsvereinbarung und der rügelosen Einlassung. Gerichtsstandsvereinbarungen sind in Tunesien nach Art. 3 tun. CPCC nichtig.226 Die tunesische Haltung gegenüber der Parteifreiheit ist aber ersichtlich gespalten, da in Art. 47 deutsch-tunes. Vertrag internationale Schiedsvereinbarungen anerkannt werden.
15.202 Ein besonderes Problem bereiten die ausschließlichen Gerichtsstände. Nach Art. 31 II werden Entscheidungen des Erstrichters nicht anerkannt, wenn nach dem Recht des Anerkennungsstaats dessen Gerichte für die betreffenden Klagen ausschließlich zur Entscheidung zuständig sind. Tunesien nimmt eine ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte in Anspruch, wenn an dem Rechtsstreit als Kläger oder Beklagte tu225 Deutsche Denkschrift zu Art. 31 Nr. 5. 226 Vgl. B. Cramer-Frank, Auslegung und Qualifikation bilateraler Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge, 1987, S. 137.
894
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.206 § 15
nesische öffentliche Unternehmungen oder Gesellschaften, die im öffentlichen Eigentum stehen oder an deren Kapital der tunesische Staat unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist.227 Da solche Unternehmen hauptsächlich am Außenhandel beteiligt sind, stand zu erwarten, dass der deutsch-tunesische Vertrag allein durch diese Tatsachen zum großen Teil gegenstandslos wurde. Deswegen haben die Vertragsstaaten in dem Zusatzprotokoll zum Vertrage bestimmt: „Als eine ausschließliche Zuständigkeit im Sinne des Art 31 II ist es nicht anzusehen, wenn das Recht eines Vertragsstaats für Verfahren von öffentlichen Unternehmungen (offices) oder Gesellschaften, die im Eigentum dieses Staats stehen (sociétés nationales) oder an deren Kapital dieser Staat beteiligt ist, seine Gerichte für ausschließlich zuständig erklärt.“ Art. 32 regelt die internationale Anerkennungs-Zuständigkeit in Ehesachen. Danach werden Entscheidungen (1) anerkannt, wenn beide Ehegatten nicht die Staatsangehörigkeit des Anerkennungsstaats besitzen; (2) gehören beide Ehegatten einem dritten Staate an, so wird die Zuständigkeit des Entscheidungsstaats anerkannt, wenn die Entscheidung im Heimatstaat anerkannt wird. Der Fall, dass die Ehegatten verschiedenen Drittstaaten angehören, ist nicht geregelt. Hier sollte analog § 98 I Nr. 1 FamFG die Anerkennung in einem Heimatstaat genügen.228 (3) Besaß einer der Ehegatten die Staatsangehörigkeit des Anerkennungsstaats, so sind die Gerichte des Entscheidungsstaats zuständig, wenn der Beklagte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatte oder wenn die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatten und einer der Ehegatten zur Zeit der Einleitung des Verfahrens sich im Entscheidungsstaat aufhielt.
15.203
Das tunesische IPRG v 27.11.1998 hat auch die internationale Anerkennungszuständigkeit neu geregelt, so dass ggf. eine weitergehende Anerkennung nach autonomem Recht in Betracht kommt.229
15.204
(4) Versagungsgründe für die Anerkennung Nach Art. 29 „darf die Anerkennung ... nur versagt werden, wenn ...“ Diese Gründe sind nach Art. 33 abschließend. Sie sind zugleich zwingend; bei ihrem Vorliegen hat das Gericht im Anerkennungsstaat keinerlei Ermessen. Die Anerkennung ist zu versagen, sofern sie nicht über das Günstigkeitsprinzip nach autonomem Recht doch zulässig ist.
15.205
Nach Art. 29 bestehen folgende Voraussetzungen für die Anerkennung:
15.206
(1) das Erstgericht muss zuständig i.S.d. Art. 31 und 32 des Vertrags gewesen sein; (2) die Anerkennung der Entscheidung darf der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaats nicht widersprechen (Nr. 2); die Entscheidung darf nicht durch betrügerische Machenschaften erwirkt sein (Nr. 3); 227 Deutsche Denkschrift zu Art. 31. 228 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 32 deutsch-tunes. Vertrag Rz. 2. 229 Vgl. B. Menhofer, IPRax 1999, 266, 267.
895
§ 15 Rz. 15.206 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
(3) ein Verfahren darf nicht zuerst vor einem Gericht des Anerkennungsstaats zwischen denselben Parteien und wegen desselben Gegenstandes anhängig gemacht sein (Nr. 4), und die Entscheidung des Erstrichters darf nicht mit einer im Anerkennungsstaat ergangenen rechtskräftigen Entscheidung unvereinbar sein (Nr. 5).
15.207 (4) Hat sich der Beklagte auf das Verfahren nicht eingelassen, ist die Anerkennung zu versagen, wenn die Klage, die Vorladung oder ein anderes der Einleitung des Verfahrens dienendes Schriftstück nicht nach dem Recht des Entscheidungsstaats und, wenn er sich im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens im Anerkennungsstaat befand, nicht auf einem der in Art. 8 bis 16 vorgesehenen Wege zugestellt worden ist. Eine Heilung ist nicht vorgesehen.230 Die erste Alternative sieht also auch eine öffentliche Zustellung i.S.d. § 185 ZPO vor. Zur Alt. 2 s. Rz. 8.166 ff. Es fällt auf, dass der besondere Schutz des Beklagten bei der Zustellung, den Art. 17 des Vertrags gewährt, nicht auch in Art. 29 II in Bezug genommen worden ist. Die deutsche Denkschrift begnügt sich damit, darauf hinzuweisen, dass über Art. 17 I hinaus die Rechte des im Anerkennungsstaat ansässigen Beklagten gewahrt sind. Es muss aber beachtet werden, dass nach Art. 17 II eine Zustellung als bewirkt vermutet wird, wenn seit der Übermittlung des Zustellungsantrages an die Empfangsstelle des Anerkennungsstaats acht Monate verstrichen sind. Der Zweitrichter muss prüfen, ob der Erstrichter diese Vorschrift beachtet hat. 15.208 Um dem Beklagten alle Möglichkeiten des rechtlichen Gehörs zu gewähren, ist die Anerkennung trotz ordnungsgemäßer Zustellung versagt werden, wenn der Beklagte nachweist, dass er ohne sein Verschulden von der Zustellung nicht rechtzeitig genug Kenntnis erlangt hat (Art. 29 II 2). 15.209 (5) Die Anerkennung darf nicht allein deshalb versagt werden, weil der Erstrichter nach seinem IPR andere Gesetze angewendet hat, als sie nach dem IPR des Anerkennungsstaats anzuwenden gewesen wären (Art. 30 I). Die Anerkennung darf jedoch versagt werden, wenn in Statusfragen die IPR-Vorfrage im Ergebnis abweichend beurteilt wurde (Art. 30 II). 15.210 Eine Sonderstellung nehmen Kostenentscheidungen gegen den erfolglosen Kläger ein. Ihre Anerkennung darf nur abgelehnt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaats widerspricht. Dies gilt besonders für die Anerkennung der Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten (Art. 29 III und Art. 27 III). Nach der deutschen Denkschrift zu Art. 29 gehört zum ordre public auch die ordnungsgemäße Ladung des Beklagten bei Einleitung des Verfahrens. 15.211 Das Protokoll zu dem Vertrag (Nr. 2) gestattet schließlich die Anerkennung von Entscheidungen, die in einem einseitigen fG-Verfahren (jetzt FamFG-Verfahren) ergangen sind (Art. 27 II 2), und von Entscheidungen über Statusfragen gem. Art. 28 I. Beide Arten von Entscheidungen können in dem anderen Vertragsstaat nach autonomen Rechtsvorschriften einschließlich des IPR anerkannt werden. 230 LJV Baden-Württemberg FamRZ 2001, 1015 (P. Gottwald).
896
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.216 § 15
(5) Das Vollstreckungsverfahren Gerichtliche Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen, die in dem einen Staat vollstreckbar sind, werden in dem anderen vollstreckt, wenn sie anerkannt werden und dort für vollstreckbar erklärt sind (Art. 34). Das Verfahren richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats (Art. 35). Der Antrag wird in Deutschland an das LG, in der Tunesischen Republik an das „Tribunal de première instance“ gerichtet (Art. 37 I). Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten hat die die Vollstreckung betreibende Partei die Wahl (Art. 37 II). In Art. 38 sind die Urkunden aufgeführt, die der Antragsteller beizubringen hat.
15.212
Einzelheiten des Verfahrens ergeben sich aus dem deutschen Ausführungsgesetz v 29.4.1969.231 Die Vollstreckbarerklärung erfolgt danach im sog. fakultativen Beschlussverfahren (§ 5 AusfG i.d.F. von Art. 2 § 10 SchiedsVfG 1997).
15.213
Art. 39 legt den Umfang der Prüfungspflicht fest. Diese darf sich nur darauf erstrecken, ob der Antragsteller die in Art. 38 aufgeführten Urkunden beigebracht hat und ob einer der in Art. 29 I, II und in Art. 30 II genannten Versagungsgründe vorliegt. Eine weitere Nachprüfung ist ausgeschlossen (Art. 39 II).
15.214
Art. 39 III wiederholt, dass die Vollstreckung von Entscheidungen, durch welche die Kosten dem mit der Klage abgewiesenen Kläger auferlegt worden sind, nur abgelehnt werden darf, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats widerspricht (Art. 27 III). In dem Verfahren der Vollstreckbarerklärung kann der Schuldner Einwendungen gegen den Anspruch selbst geltend machen, soweit die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind (§ 7 I AusfG).232 Gegen gerichtliche Vergleiche oder öffentliche Urkunden kann der Schuldner Einwendungen gegen den Anspruch selbst ohne diese Beschränkungen geltend machen (§ 7 II AusfG). Ist eine gerichtliche Entscheidung oder ein anderer Schuldtitel bereits für vollstreckbar erklärt, kann der Schuldner Einwendungen gegen den Anspruch selbst in einem Verfahren nach § 767 ZPO nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Ablauf der Frist, innerhalb derer er Beschwerde hätte einlegen können, oder erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind, in der er die Einwendungen spätestens hätte geltend machen können (§ 7 III AusfG).233
15.215
Der Vertrag und das AusfG regeln schließlich die Folgen, die es hat, wenn die Entscheidung des Erstrichters abgeändert bzw. aufgehoben wird, und wie eine Sicher-
15.216
231 BGBl. 1969 I, 333. 232 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, 2000, S. 282 ff., plädiert zu Recht für eine restriktive Auslegung unter Präklusion der nach dem Recht des Erststaats präkludierten Einwendungen. 233 Krit A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 425 ff.
897
§ 15 Rz. 15.216 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
heitsleistung oder besondere Voraussetzungen für die Vollstreckung nachgewiesen werden müssen.
15.217 Die vor einem staatlichen Gericht abgeschlossenen und zu Protokoll genommenen Vergleiche werden vollstreckt, wenn sie in dem Erststaat vollstreckbar sind (Art. 42). Der Vollstreckungsstaat prüft nur, ob die erforderlichen Urkunden beigebracht sind, ob die Parteien nach dem Recht des Vollstreckungsstaats berechtigt sind, über den Gegenstand des Verfahrens einen Vergleich zu schließen, und ob die Vollstreckung der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats widerspricht (Art. 42 III). 15.218 Öffentliche Urkunden, die in dem einen Staat aufgenommen und vollstreckbar sind, können in dem anderen Staat für vollstreckbar erklärt werden. In dem Vollstreckungsstaat ist die Prüfung darauf beschränkt, ob die Ausfertigung der Urkunde die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen nach dem Recht des Erststaats hat, und ob die Vollstreckbarerklärung der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats widerspricht (Art. 43). Auch die von den Jugendämtern aufgenommenen Verpflichtungserklärungen (§§ 59, 60 SGB VIII) können in Tunesien für vollstreckbar erklärt werden, sofern ihre Vollstreckbarerklärung nicht der öffentlichen Ordnung widerspricht.234 Dazu muss der Vater die Vaterschaft freiwillig anerkannt haben (s. Rz. 15.190). 6. Die Vollstreckbarerklärung nach autonomem Recht a) Schrifttum
15.219 P. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Unter-
haltssachen, 1989; P. Chrocziel/D. Westin, Die Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile und Schiedssprüche, ZVglRWiss 87 (1988), 145; H. P. Dopffel, Vollstreckbarerklärung ausländischer Unterhaltstitel mit gesetzlicher Indexierung, DAVorm. 1984, 217; A. v Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998; P. Finger, Vollstreckung ausländischer Unterhaltstitel in Deutschland, FamRBint 2006, 38; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/ Lakkis, Zwangsvollstreckungsrecht (§ 12 II), 12. Aufl. 2010, S. 195; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, S. 163; R. Geimer, Exequaturverfahren, FS Georgiades, 2005, 489; P. Gottwald, Grundfragen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivilsachen, ZZP 103 (1990), 257; H. Hanisch, Umrechnung von Fremdwährungsforderungen in Vollstreckung und Insolvenz, ZIP 1988, 341; G. Hohloch, Zur Bedeutung des Ordre-public-Arguments im Vollstreckbarerklärungsverfahren, FS Kropholler, 2008, S. 809; G. Kegel, Exequatur sur exequatur ne vaut, FS Müller-Freienfels, 1986, S. 377; K. Kerameus, Enforcement in the International Context, RdC 264 (1997), 179; K. Kerameus, Rechtsvergleichende Bemerkungen zur autonomen Urteilsvollstreckung im Ausland, FS G. Lüke, 1997, S. 337; H. Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 2016; H. Linke, Zum Wert oder Unwert der Vollstreckungsklage, FS Schütze, 1999, S. 427; A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000; K. Niethammer-Jürgens, Vollstreckungsprobleme im HKÜ-Verfahren, FPR 2004, 306; H. Plaßmeier, Ende des „Doppelexequatur“ bei ausländischen Schiedssprüchen, SchiedsVZ 2010, 82; D. Schefold, Vollstreckung von Urteilen, die auf Zahlung in fremder Währung lauten, in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., Bd III, 5. Aufl. 2017, § 115 VIII (Rz. 375 ff.); P. Schlosser, Vollstreckbarerklärung nicht voll234 Deutsche Denkschrift zu Art. 43.
898
II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.221 § 15 streckungsfähiger Entscheidungen?, FS Kerameus, 2009, S. 1183; R. Schütze, Zur Zuständigkeit im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 722 ZPO, NJW 1983, 154; R. Schütze, Überlegungen zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung US-amerikanischer Zivilurteile in Deutschland – zur Kumulierung von Ordre-public-Verstößen, FS Geimer, 2002, S. 1025; R. Schütze, Aktuelle Fragen der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von US-amerikanischen Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen in Deutschland, ZVglRWiss 104 (2005), 427; R. Schütze, Forum non conveniens und Verbürgung der Gegenseitigkeit im deutsch-amerikanischen Verhältnis, FS Kropholler, 2008, S. 905; R. Schütze, Die Zustellung US-amerikanischer class actions und die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung US-amerikanischer class action-Urteile und -vergleiche, FS Kerameus, 2009, S. 1245; R. Schütze, Der Abschied vom Doppelexequatur ausländischer Schiedssprüche, RIW 2009, 817; S. Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010; V. Sich, Die zwischenstaatliche Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im deutsch/US-amerikanischen Verhältnis nach den Normen des Auslandsunterhaltsgesetzes und des Uniform Interstate Family Support Act, 2004, S. 73 ff.; T. Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in Handelssachen, 1986; Ch. Strasser, Vollstreckung aus Nicht-EU-Urteilen – Was sind ausländische Urteile wert?, NZFam 2015, 103; R. Stürner/J. Münch, Die Vollstreckung indexierter ausländischer Unterhaltstitel, JZ 1987, 178; Th. Wazlawik, Persönliche Zuständigkeit im US-amerikanischen Prozessrecht und ihre Bedeutung im deutschen Exequaturverfahren, RIW 2002, 691.
b) Die Vollstreckungsklage Aus einem ausländischen Urteil findet die Vollstreckung im Inland nur statt aufgrund der Bestimmungen der §§ 722 und 723 ZPO.
15.220
§ 722 ZPO: „(1) Aus einem Urteil eines ausländischen Gerichts findet die Zwangsvollstreckung nur statt, wenn ihre Zulässigkeit durch ein Vollstreckungsurteil ausgesprochen ist. (2) Für die Klage auf Erlass des Urteils ist das Amtsgericht oder das Landgericht, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, und sonst das Amtsgericht oder Landgericht zuständig, bei dem nach § 23 gegen den Schuldner Klage erhoben werden kann.“ § 723 ZPO: „(1) Das Vollstreckungsurteil ist ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu erlassen. (2) Das Vollstreckungsurteil ist erst dann zu erlassen, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts nach dem für dieses Gericht geltenden Recht die Rechtskraft erlangt hat. Es ist nicht zu erlassen, wenn die Anerkennung des Urteils nach § 328 ausgeschlossen ist.“ Danach bedarf es einer prozessualen Gestaltungsklage, die dem ausländischen Urteil die im Inland fehlende Vollstreckbarkeit originär verleiht.235 Grundlage der Zwangsvollstreckung im Inland ist nicht der ausländische Titel, sondern nur die in235 OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, 3309, 3311; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 379, 381 (Wirkungserstreckung).
899
15.221
§ 15 Rz. 15.221 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
ländische Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung.236 Während die Anerkennung ausländischer Entscheidungen bis auf solche in Ehesachen (außerhalb der Brüssel IIa-VO) automatisch erfolgt, behält sich der deutsche Gesetzgeber eine gewisse Überprüfung des ausländischen Urteils vor, bevor in diesem neuen Prozess die Vollstreckbarkeit gewährt wird. Andere Staaten haben schon für die Anerkennung ein besonderes Verfahren der Wirkungsverleihung vorgeschaltet, so dass in diesem sowohl über die Anerkennung als auch über die Vollstreckbarkeit entschieden wird (s. Rz. 12.123).
15.222 Die vereinfachten Verfahren der Vollstreckbarerklärung in den verschiedenen Beschlussverfahren nach den europäischen Verordnungen und den Anerkennungsund Vollstreckungsverträgen haben sämtlich Vorrang vor der Vollstreckungsklage.237 Soweit einfachere Verfahren zulässig sind, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckungsklage.238 15.223 Entscheidungen der Europäischen Gerichte (EuGH und EuG) sind wie inländische Urteile vollstreckbar;239 die Vollstreckungsklausel erteilt der Bundesminister der Justiz.240 15.224 Für die sachliche Zuständigkeit des Amts- oder des LG ist allein der Wert des Gegenstandes, der sich aus dem ausländischen Urteil ergibt, maßgebend.241 15.225 Örtlich ist das Gericht zuständig, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Es gelten dafür die §§ 12 bis 39 ZPO. Hat der Schuldner im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners oder der Streitgegenstand befindet (§ 23 ZPO).242 Da für den Gläubiger aus dem ausländischen Urteil ein legitimes Interesse daran besteht, die Vollstreckung dort zu betreiben, wo sich Vermögen des Schuldners befindet, ist es ganz natürlich, wenn ihm ein Gerichtsstand zur Verfügung gestellt wird, sofern der Schuldner im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Gerichtsstand des § 23 ZPO kann in diesem Zusammenhang nicht als „unerwünscht oder exorbitant“ bezeichnet werden.243 Auf den Inlandsbezug der zu vollstreckenden Forderung kommt es nicht an, da der Schuldner ansonsten vollstreckungsfreies Vermögen bilden könnte. Irrelevant ist auch, ob das Vermögen zur Befriedigung des Gläubigers ausreicht.244 Es handelt sich weder bei der sachlichen noch bei der örtlichen Zustän236 BGHZ 112, 16, 18 = NJW 1993, 1801; R. Geimer, Anerkennung, S. 164. 237 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 Rz. 7; W. Zimmermann, § 722 ZPO Rz. 2 ff., 9. 238 KG, RIW 1998, 630; AG Garmisch-Partenkirchen, NJW 1971, 2135; Seiler in Thomas/ Putzo, §§ 722, 723 ZPO Rz. 1 239 Vgl. für Österreich N. Schoibl, FS Geimer, 2002, S. 981, 986. 240 BGBl. 1961 II 50. 241 R. Geimer, IZPR, Rz. 3128. 242 R. Geimer, Anerkennung, S. 174 f, will die Klage bereits antizipiert zulassen, bevor der Schuldner Vermögen im Inland erwirbt. 243 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 Rz. 31; vgl. auch R. Geimer, IZPR, Rz. 1390, 2896; P. Mankowski, RIW 1995, 56. 244 BGH, RIW 1997, 238 (M. Munz).
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II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.229 § 15
digkeit um eine ausschließliche, denn das Gesetz hat diese Gerichtsstände nicht als ausschließliche bezeichnet. Die Parteien dieses neuen Rechtsstreits könnten also eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen. Verfügt der Schuldner über inländisches Vermögen scheidet eine Ersatzzuständigkeit am Sitz der Bundesregierung aus.245 Ob der Gläubiger eine Vollstreckbarerklärung auch dann beantragen kann, wenn der Beklagte kein Inlandsvermögen besitzt, erscheint zweifelhaft. Geimer möchte eine Zuständigkeit am Sitz der Bundesregierung analog §§ 15 I 2, 27 II ZPO, d.h. wohl des AG Schöneberg in Berlin, bejahen.246
15.226
Streitgegenstand der Vollstreckungsklage ist nicht der private Anspruch, der dem ausländischen Urteil zugrunde liegt, sondern der öffentlich-rechtliche Anspruch auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils.247 Daraus folgt zunächst für die Zuständigkeit, dass die AG und LG auch dann zuständig sind, wenn der ursprüngliche materiell-rechtliche Anspruch nach den deutschen Vorschriften vor einem ArbG zu entscheiden gewesen wäre.248 In Familiensachen ist das Familiengericht zuständig.249
15.227
Daraus folgt weiter, dass der Anspruch teilweise der Disposition der Parteien entzogen ist. Es steht dem Kläger zwar frei, ob er die Vollstreckungsklage erheben will. Er könnte aus dem ausländischen Urteil im Ursprungsland oder in einem dritten Staat vollstrecken. Der Beklagte kann jedoch den Anspruch nicht anerkennen, denn die Interessen des deutschen Gesetzgebers gehen dahin, zunächst festzustellen, ob die Vollstreckungsklausel überhaupt gewährt werden kann.250 Der Beklagte könnte allerdings vor Beginn der mündlichen Verhandlung die geschuldete Summe freiwillig zahlen, so dass die Hauptsache erledigt wäre. Die Parteien können sich über den dem ausländischen Urteil zugrunde liegenden Anspruch auch noch in dem Verfahren vor dem Zweitrichter vergleichen. Dieser Vergleich betrifft jedoch nicht den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils. Der Kläger kann aber auf den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Vollstreckbarerklärung verzichten251 oder die Klage zurücknehmen.
15.228
Im Übrigen handelt es sich um ein gewöhnliches Erkenntnisverfahren, auf das die allgemeinen Vorschriften anzuwenden sind. Die Parteien müssen deshalb parteifähig sein; eine Bindung an die Feststellungen in der anzuerkennenden Entscheidung besteht nicht.252 Eine Widerklage wird zugelassen. Aus der Natur der Klage folgt je-
15.229
245 246 247 248 249
KG, MDR 2020, 59. R. Geimer, IZPR, Rz. 3127. Münzberg in Stein/Jonas, § 722 ZPO Rz. 11; R. Geimer, Anerkennung, S. 165. A.A. A. v. Falck, S. 49. Vgl. BGHZ 88, 113 = NJW 1983, 2775; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Eichel, 7. Aufl. 2020, § 722 ZPO Rz. 4. 250 W. Zimmermann, § 723 ZPO Rz. 2; Hk-ZPO/Kindl, § 723 ZPO Rz. 5. 251 So zu Recht R. Geimer, IZPR, Rz. 3135; missverständlich Münzberg in Stein/Jonas, § 722 ZPO Rz. 3, wonach der öffentlich-rechtliche Anspruch jeder privaten Vereinbarung entzogen ist. 252 Vgl. O. Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, S. 201 ff.
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§ 15 Rz. 15.229 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
doch, dass eine Klage im Urkundenprozess unzulässig ist. Einwendungen des Beklagten können wegen der Rechtskraftbindung (vgl. § 322 ZPO) nur soweit vorgebracht werden, als sie nicht aufgrund der Präklusionswirkung der ausländischen Entscheidung abgeschnitten sind.253 Wird eine Partei insolvent, wird das Verfahren nach § 240 ZPO unterbrochen.254
15.230 Kläger ist der Titelinhaber nach dem Recht des Erststaats, in Fällen gesetzlicher Prozessstandschaft also der Prozessstandschafter.255 15.231 Gegen Dritte kann die Vollstreckbarerklärung nur betrieben werden, soweit das Urteil im Ursprungsstaat gegen den Dritten vollstreckbar wäre.256 15.232 Da es sich um ein inländisches Verfahren handelt, kann eine arme ausländische Partei Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) nach allgemeinen Regeln erhalten257 (s. Rz. 5.123 ff.). Außerhalb des Vertragsrechts wirkt eine PKH-Bewilligung für das ausländische Erkenntnisverfahren nicht unmittelbar für die Inlandsvollstreckung. 15.233 Es muss ein Leistungsurteil eines ausländischen Gerichts vorliegen, das im Erststaat vollstreckbar ist.258 Ein Urteil, das nach § 888 III ZPO im Inland nicht vollstreckt werden kann, ist dennoch für vollstreckbar zu erklären, damit der Gläubiger das Interesse geltend machen kann.259 Feststellungsurteile260 und Gestaltungsurteile können nicht für vollstreckbar erklärt werden. 15.234 Die ausländischen Entscheidungen müssen nach dem Recht des Ursprungsstaats formelle Rechtskraft erlangt haben (§ 723 II 1 ZPO). Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung schadet nicht.261 Auf für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteile kann also die Klage auf Vollstreckbarerklärung nicht gestützt werden. Im Einzelfall kann viel Zeit notwendig werden, ehe der Kläger die Durchsetzung seines Anspruchs verwirklichen kann. Da die Einspruchsfrist für Versäumnisurteile nur 14 Tage beträgt, können diese oft viel schneller die formelle Rechtskraft erreichen als andere Urteile. Die Vernichtbarkeit des Titels nach dem Recht des Ursprungsstaats schließt die Vollstreckbarerklärung nicht aus, solange das Urteil nicht tatsächlich aufgehoben worden262 oder seine Vollstreckbarkeit im Erststaat entfallen ist.263
253 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 236 ff., 254 ff.; T. Frische, S. 232 ff. 254 BGH, FamRZ 2008, 1749. 255 Vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 312. 256 OLG Düsseldorf, RIW 1999, 540. 257 Vgl. OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, 3309. 258 R. Geimer, Anerkennung, S. 164, 176. 259 R. Geimer, FS Georgiades, 2005, S. 489, 496. 260 AG Würzburg, FamRZ 1994, 1596. 261 BGH, RIW 1999, 1381, 1384. 262 BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096. 263 A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 327, 330 ff., 401 f.
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II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.241 § 15
Leistungsverfügungen und andere Titel des einstweiligen Rechtsschutzes können nach § 722 ZPO (im Gegensatz zum europäischen Recht, Vertragsrecht und dem AUG) nicht für vollsteckbar erklärt werden.264
15.235
Da § 722 in § 795 ZPO nicht erwähnt ist, scheidet auch eine Vollstreckbarerklärung von Prozessvergleichen und ausländischen vollstreckbaren Urkunden nach allgemeinem autonomem Recht aus.265
15.236
Ausländische Exequaturentscheidungen fallen nicht unter § 722 ZPO, gleichgültig ob darin Entscheidungen von Drittstaaten oder Schiedssprüche für vollstreckbar erklärt werden. Die Ausnahme, die der BGH lange Zeit für US-amerikanische Exequatururteile über Schiedssprüche gemacht hat,266 hat er mit Urteil v 2.7.2009 zu Recht aufgegeben267 (s. Rz. 12.165).
15.237
Entscheidungen gegen einen ausländischen Staat können im Rahmen des Europäischen Übereinkommens über Staatsimmunität von 1972268 (in Kraft seit 16.8.1990 im Verhältnis zu Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und Zypern) nicht vollstreckt und für vollstreckbar erklärt werden269 (s. Rz. 19.28).
15.238
Eine bestehende Vollstreckungsimmunität (s. Rz. 19.25 ff.) ist ansonsten bei der Vollstreckbarerklärung nicht zu beachten.
15.239
Der Schwerpunkt einer Klage auf Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung liegt in der Nachprüfung der Voraussetzungen für die Anerkennung nach § 328 I ZPO (s. Rz. 12.169 ff.). Der Beklagte kann dabei insb geltend machen, dass der Erstrichter nicht zuständig gewesen sei. Das gilt auch dann, wenn der Beklagte sich vor dem ausländischen Gericht nicht eingelassen hat, also ein Versäumnisurteil gegen sich hat ergehen lassen, obwohl er die Unzuständigkeit des Erstgerichts bereits hätte rügen können.270
15.240
Die ausländische Entscheidung wird im Übrigen auf ihre sachliche Richtigkeit nicht nachgeprüft (Verbot der „révision au fond“). Das Gleiche gilt hinsichtlich der Frage, ob das Erstgericht abgesehen von den Vorschriften § 328 I Nr. 1 und Nr. 2 ZPO seine Verfahrensvorschriften richtig angewendet hat. Soweit ein Verstoß gegen den ordre public des § 328 I Nr. 4 ZPO in Betracht kommt, ist ergänzender Parteivertrag
15.241
264 Teilweise abw. R. Geimer, Anerkennung, S. 170. 265 Musielak/Voit/Lackmann, § 722 ZPO Rz. 3; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 Rz. 21; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Eichel § 722 ZPO Rz. 1; H. Wolfsteiner, Die vollstreckbare Urkunde, 4. Aufl. 2019, Rz. 52.6; a.A. R. Geimer, Anerkennung, S. 169; R. Geimer, FS Georgiades, 2005, S. 489, 498; Geimer in Zöller, § 722 ZPO Rz. 10. 266 Vgl. BGH, NJW 1984, 2765. 267 BGH, SchiedsVZ 2009, 285 = RIW 2009, 721; dazu R. Schütze, RIW 2009, 817; H. Plaßmeier, SchiedsVZ 2010, 82. 268 BGBl. 1990 II, 34. 269 Vgl. H. Kronke, IPRax 1991, 141. 270 BGHZ 52, 30 = WM 1969, 571; Musielak/Voit/Stadler, § 328 ZPO Rz. 13; Geimer in Zöller, § 328 ZPO Rz. 115.
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§ 15 Rz. 15.241 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
zulässig.271 Generell besteht für den deutschen Beklagten aber aller Anlass, sich vor dem ausländischen Gericht, vor das er ordnungsgemäß geladen ist, wegen des materiellen Anspruchs und wegen der Einhaltung der ausländischen Verfahrensregeln zu verteidigen, sofern nicht offenkundig ist, dass das Urteil wegen einer der in § 328 I genannten Voraussetzungen nicht anerkannt werden kann.
15.242 Ist eine ausländische Entscheidung im Inland anzuerkennen, ist deren Rechtskraft zu beachten (s. Rz. 12.28 ff., 12.134 ff.). Eine erneute Leistungsklage ist grds unzulässig. 15.243 Die Rechtsprechung lässt aber im Anwendungsbereich der §§ 722, 723 ZPO auch eine neue Leistungsklage zu.272 Dem Gläubiger soll damit das Risiko der falschen Klageart abgenommen werden. Ist das ausländische Urteil aber anzuerkennen, ist die Bindungswirkung der Rechtskraft zu beachten und ein inhaltlich gleiches Urteil zu erlassen. Der Antrag, den Schuldner zu einer anderen Leistung zu verurteilen, ist unbegründet. Eine andere Leistung wird auch verlangt, wenn statt der titulierten ausländischen Währung Leistung in Euro verlangt wird.273 15.244 Das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Leistungsklage fehlt dagegen, wenn der ausländische Titel bereits für vollstreckbar erklärt ist oder in einem vereinfachten Verfahren für vollstreckbar erklärt werden kann. Das schnellere und billigere Klauselerteilungsverfahren hat stets Vorrang.274 Bloße Schwierigkeiten bei der Beschaffung der nötigen Unterlagen für das Klauselerteilungsverfahren rechtfertigen nicht das Ausweichen auf eine Leistungsklage.275 15.245 Da für den Kläger nach § 722 ZPO oft nicht zu übersehen ist, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung und damit für ein Vollstreckungsurteil gegeben sind, kann der Kläger neben dem Hauptantrag, das ausländische Urteil für vollstreckbar zu erklären, hilfsweise den Antrag stellen, den Beklagten zu eben derselben Leistung zu verurteilen, wie er es bereits vor dem Erstrichter getan hatte.276 Kann das Urteil nicht anerkannt werden, so entfällt auch die Rechtskraftwirkung der ausländischen Entscheidung.277 15.246 Die Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbricht nach § 240 ZPO das Verfahren der Vollstreckungsklage.278 Gleiches gilt für die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Ursprungsstaat, in einem EU-Mitgliedstaat (Art. 18 EuInsVO) oder in einem Drittstaat, wenn diese im Inland anzuerkennen ist (s. § 343 InsO).279 271 BGH, RIW 1999, 1381, 1388. 272 BGH, FamRZ 1987, 370; BGH, NJW 1979, 2477; OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, 3309; OLG Karlsruhe, FamRZ 1991, 600; OLG Hamm, FamRZ 1991, 718. 273 Vgl. KG, IPRax 1994, 455 (dazu P. Baumann, S. 435, 437). 274 P. Baumann, IPRax 1990, 28, 29; R. Geimer, Anerkennung, S. 181; P. Gottwald, FamRZ 1999, 310; a.A. OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 309. 275 P. Baumann, IPRax 1994, 435, 438; a.A. KG, IPRax 1994, 455, 457. 276 Vgl. OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, 3309. 277 So zu Recht R. Schütze, DB 1977, 2129. 278 BGH, NZI 2008, 681. 279 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 ZPO Rz. 39; Geimer in Zöller, § 722 ZPO Rz. 4b.
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II. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen | Rz. 15.249 § 15
Bestimmtheit des Titels. Die ausländische Entscheidung muss nach Inhalt und Grenzen ausreichend bestimmt sein, um für vollstreckbar erklärt zu werden. Freilich sind ausländische Tenorierungsgewohnheiten zu beachten. Die ausländische Entscheidung ist daher im Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach formellen deutschen Maßstäben zu konkretisieren, soweit die Maßstäbe hierfür (unter Mitwirkung des Antragstellers gem. § 293 ZPO) sicher festgestellt werden können. Entsprechend können ein Titel, der zur Zahlung „gesetzlicher Zinsen“280 oder „zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer“281 verurteilt, oder ein Unterhaltstitel, der einem gesetzlichen Währungsausgleich oder einer sonstigen gesetzlichen Indexierung unterliegt, für die Inlandsvollstreckung konkretisiert werden.282 Der Titel ist in der zulassenden Entscheidung so zu fassen wie ein entsprechender deutscher Titel. Zu unbestimmt sind allerdings Titel, die Unterhalt unter der Bedingung „ernsthaften Studiums“283 oder i.H.v. einem Viertel des Nettoeinkommens des Schuldners zusprechen.284
15.247
Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 55 EuGVO n.F. (Art. 49 EuGVO a.F./ LugÜ) soll es auch zulässig sein, dass der Zweitrichter ein nur in unbestimmter Höhe angedrohtes Zwangsgeld konkret festsetzt.285 Von der notwendigen Konkretisierung abgesehen wird der Titel bei der Vollstreckbarerklärung jedoch nicht verändert. Die Pflicht zur Leistung in ausländischer Währung wird unverändert für vollstreckbar erklärt. Eine Umrechnung in Inlandswährung unterbleibt, auch wenn eine Ersetzungsbefugnis nach § 244 I BGB besteht. Die Umrechnung obliegt nach deutschem Recht den Vollstreckungsorganen zum Zeitpunkt der effektiven Zahlung.286 Das Gericht kann aber bei der Klauselerteilung den Umrechnungszeitpunkt klarstellen.287 Erhebliche Veränderungen der Währungsparität berechtigen nicht, die Vollstreckbarerklärung abzulehnen.288
15.248
Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) kann nicht gegen den ausländischen Titel, sondern erst gegen das deutsche Vollstreckungsurteil erhoben werden.289 Gegebenenfalls kann aber vor Erhebung der Vollstreckungsklage ein Bedürfnis des Schuld-
15.249
280 Vgl. BGH, RIW 1990, 497; OLG Düsseldorf, VersR 1991, 1161/62; OLG Hamburg, RIW 1994, 424, 426; S. Seidl, S. 160 ff. 281 Vgl. BGH, NJW 1990, 3084; OLG Celle, NJW 1988, 2183. 282 BGHZ 112, 16 = NJW 1993, 1801 = IPRax 1994, 367 (dazu H. Roth, S. 350); R. Stürner/J. Münch, JZ 1987, 178; R. Geimer, Anerkennung, S. 168; eingehend A. v. Falck, S. 7 ff., 42 ff., 157 ff.; krit. S. Seidl, S. 158 ff. 283 OLG Karlsruhe, FamRZ 2002, 1430; a.A. R. Geimer, FS Georgiades, 2005, S. 489, 508. 284 AG Wiesbaden, FamRZ 2006, 562; a.A. OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, 3309, 3312 (Aufklärung durch Gutachten erforderlich); S. Seidl, S. 169 ff. (für Klärung gem. §§ 235, 236 FamFG). 285 R. Geimer, FS Georgiades, 2005, S. 489, 506. 286 BGH, IPRax 1987, 172; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 Rz. 44; vgl. H. Hanisch, ZIP 1988, 341; B. Bachmann, Fremdwährungsschulden in der Zwangsvollstreckung, 1994, S. 35 ff. 287 F. Baur/R. Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, 1996, S. 702. 288 A.A. AG Singen, FamRZ 2002, 114 (abl. Jessel-Holst). 289 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 Rz. 52 f.; a.A. A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 329 f, 342 ff., 494 ff.
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§ 15 Rz. 15.249 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
ners bestehen, auf Feststellung zu klagen, dass der titulierte Anspruch ganz oder teilweise erloschen ist.290 Die zuvor entstandenen Einwendungen können und müssen im Vollstreckungsverfahren nach § 722 ZPO geltend gemacht werden,291 soweit sie nicht durch die (anzuerkennende) Rechtskraft der Entscheidung präkludiert sind. Mit Einwendungen, die er im Verfahren nach §§ 722, 723 ZPO hätte geltend machen können, ist er nach h.M. präkludiert; nur später entstandene Einwendungen berechtigen zur Vollstreckungsabwehrklage.292 Eine nachträgliche Aufhebung der Entscheidung im Ursprungsstaat kann aber stets geltend gemacht werden. Die in einem Drittstaat erfolgreiche Vollstreckungsabwehrklage ist als solche ohne Inlandswirkung auf die Vollstreckbarkeit des Titels.293 Die im Ursprungsstaat anhängige Vollstreckungsabwehrklage schließt daher eine entsprechende inländische Klage nicht aus.294 Doch kann das deutsche Verfahren analog § 148 ZPO bis zur Entscheidung im Ausland ausgesetzt werden.295
15.250 Ob materiell-rechtlich eine Einwendung besteht, sollte nicht nach der nach deutschem Kollisionsrecht neu bestimmten lex causae, sondern zur Vermeidung von Friktionen nach der vom Erstgericht angewandten Rechtsordnung beurteilt werden.296 15.251 Auch Abänderungsgründe können aus prozessökonomischen Gründen im Verfahren der Vollstreckungsklage berücksichtigt werden.297 Diese Möglichkeit besteht nicht im Klauselerteilungsverfahren.298
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen 1. Schrifttum 15.252 F. Eichel, Europarechtliche Fallstricke im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem AVAG
und dem neuen Auslandsunterhaltsgesetz (AUG), GPR 2011, 193; B. Gsell, Vom grenzüberschreitenden zum potentiell grenzüberschreitenden Sachverhalt – Art. 19 EuUnthVO als Paradigmenwechsel im Europäischen Zivilverfahrensrecht, IPRax 2010, 403; M. Heger/U. Selg, Die europäische Unterhaltsverordnung und das neue Auslandsunterhaltsgesetz – Die erleichterte Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, FamRZ 2011, 1101; G. Hohloch, Durchsetzung ausländischer Unterhaltstitel im Inland. Zur Rechtslage nach Inkrafttreten des FamFG, GS M. Wolf, 2011, S. 429; G. Hohloch, Internationale Vollstreckung familienrechtlicher Titel, FPR 2012, 495, 499. 290 Vgl. A. Nelle, Anspruch, S. 497 f. 291 BGH, FamRZ 1987, 1146; BGH, NJW 1994, 1413, 1416; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/ Eichel, § 723 ZPO Rz. 9; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 Rz. 52; S. Seidl, S. 148; vgl. BGH, FamRZ 2010, 966; a.A. (für Berücksichtigung streitiger Einwendungen nur auf Vollstreckungsabwehr-Widerklage) A. Nelle, Anspruch, S. 402 ff., 420, 461 ff. 292 R. Geimer, Anerkennung, S. 181. 293 Vgl. A. Nelle, Anspruch, S. 335 ff. 294 A. Nelle, Anspruch, S. 503 ff. 295 A. Nelle, Anspruch, S. 506 ff. 296 R. Geimer, FS Georgiades, 2005, S. 489, 503. 297 Vgl. BGH, FamRZ 1987, 370; OLG Hamm, FamRZ 1989, 1332. 298 Vgl. BGH, FamRZ 1990, 504 = NJW 1990, 1419.
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III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.256 § 15
2. Allgemeines Wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers wurde seit langem versucht, die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen zu erleichtern. Der bedeutendste Schritt gelang insoweit mit Art. 17 EuUntVO, wonach Unterhaltstitel eines EU-Mitgliedstaats, der an das Haager Protokoll gebunden ist, kraft Gesetzes Europäische Vollstreckungstitel sind (s. Rz. 14.99). Soweit dies nicht der Fall ist, werden Unterhaltstitel in EU und EFTA wie allgemeine Titel in Zivilsachen behandelt (s. Rz. 15.254 ff., 15.258). Darüber hinaus sind die drei Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen zu beachten.
15.253
3. Vollstreckbarerklärung europäischer Unterhaltstitel Unterhaltstitel aus EU-Mitgliedstaaten, die nicht durch das Haager Protokoll gebunden sind, bedürfen der Vollstreckbarerklärung nach Art. 26 ff. EuUntVO. Dies betrifft Großbritannien und Dänemark. Nach dem Austritt aus der EU gilt die EuUntVO im Verhältnis zu Großbritannien noch für alle Entscheidungen weiter, die in Verfahren ergehen, die bis zum Ende der Übergangszeit am 31.12.2020 begonnen wurden (Art. 67 des Austrittsvertrages). Danach trifft dies nur noch auf Titel aus Dänemark zu.299 Die §§ 36 ff. AUG sind als deutsche Ausführungsvorschriften zu beachten.300 Zuständig ist das Amtsgericht am Sitz des OLG, in dessen Bezirk der Gegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder die Vollstreckung durchgeführt werden soll (§ 35 I AUG).
15.254
In der Sache entsprechen das Verfahren der Vollstreckbarerklärung, die Versagungsgründe des Art. 24 EuUntVO und deren Behandlung voll der Regelung der Art. 38 ff. EuGVO a.F.301 (s. Rz. 15.8 ff.). Abweichend von Art. 41 EuGVO a.F. schreibt Art. 30 EuUntVO vor, dass die Vollstreckbarerklärung in erster Instanz grds innerhalb von 30 Tagen zu erfolgen hat. Die befassten Gerichte haben dabei zu prüfen, ob und ggf. inwieweit die ausländische Entscheidung im Ursprungstaat aufgehoben oder abgeändert worden ist.302
15.255
Nach Art. 75 II lit. a EuUntVO sind nach dem 18.6.2011 (dem Tag des Inkrafttretens der EuUntVO) auch alle zuvor ergangenen Unterhaltstitel eines EU-Mitgliedstaats nach den Art. 26 ff. EuUntVO für vollstreckbar zu erklären, wenn der Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach dem 18.6.2011 gestellt wird.303 Dies gilt auch, wenn der Ursprungsstaat an das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist.304
15.256
299 Vgl. Schwab/Ernst/Streicher, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 11 Rz. 133 f. 300 Vgl. G. Hohloch, FPR 2012, 495, 498. 301 Vgl. OLG Koblenz, FamRZ 2013, 574 (krit F. Eichel); Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 162 ff. 302 BGH, FamRZ 2015, 2144 (F. Eichel). 303 OLG Frankfurt, FamRZ 2018, 1828, 1829; OLG Karlsruhe, FamRZ 2012, 660; OLG Stuttgart, FamRZ 2012, 1510. 304 OLG München, FamRZ 2012, 1512.
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§ 15 Rz. 15.257 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.257 In dem Verfahren der Vollstreckbarerklärung sind gem. Art. 34 I EuUntVO nur die Anerkennungsversagungsgründe des Art. 24 EuUntVO zu prüfen. Der Erfüllungseinwand ist als nachträgliche rechtsvernichtende Einwendung nicht zu berücksichtigen, sondern muss gem. § 66 AUG durch besonderen Vollstreckungsabwehrantrag nach § 120 I FamFG i.V.m. § 767 ZPO geltend gemacht werden.305 4. Unterhaltstitel nach EuGVO 2001/LugÜ 2007
15.258 Nach Art. 38 ff. EuGVO a.F. (s. Rz. 15.8 ff.) sind nur noch solche Unterhaltstitel für vollstreckbar zu erklären, bei denen der Antrag auf Vollstreckbarerklärung vor dem 18.6.2011 gestellt wurde (Art. 75 II EuUntVO). Die EuUntVO gilt aber nur zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Unterhaltsentscheidungen (einschließlich Vergleich, vollstreckbare Urkunden und einstweilige Maßnahmen) aus den EFTA-Staaten (Schweiz, Norwegen, Island) müssen weiterhin nach Art. 38 ff. LugÜ (s. Rz. 15.8 ff.) für vollstreckbar erklärt werden. 5. Vollstreckbarerklärung nach internationalen Übereinkommen
15.259 Unterhaltstitel, die (1) unter das Haager Übereinkommen v 23.11.2007 oder (2) unter das Haager Übereinkommen v 2.10.1973 fallen, werden in demselben Beschlussverfahren wie Titel in Zivilsachen aus EUStaaten für vollstreckbar erklärt (§§ 57, 36 ff. AUG)306 (s. Rz. 15.8 ff.). Die Staatsverträge mit Israel (s. Rz. 15.153) und Tunesien (s. Rz. 15.190) erfassen ebenfalls Unterhaltssachen. a) Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen von 2007
15.260 Das Haager Unterhalts-Übereinkommen vom 23.11.2007 (HUÜ) ist am 1.8.2014 für die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie Norwegen, Bosnien-Herzegowina, Albanien und die Ukraine in Kraft getreten. Es gilt weiter für Brasilien, Honduras, Montenegro, die Türkei, die Vereinigten Staaten von Amerika und Weißrussland, seit 14.6.2019 auch für Kasachstan. Es regelt die internationale Zusammenarbeit bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen (Art. 9 ff.) sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen (Art. 19 ff.) in einem Vertragswerk.307. Das entsprechende deutsche Durchführungsgesetz wurde bereits am 20.2.2013 verkündet.308 305 OLG Frankfurt, FamRZ 2018, 1828, 1829. 306 Vgl. G. Hohloch, FPR 2012, 495, 499. 307 Vgl. R. Wagner, Zum Stand der Vereinheitlichung des IZVR, in Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, 2004, S. 249, 262 f. 308 BGBl. I, 273; zur Begründung s. BT-Drucks. 17/10492 v. 15.8.2012.
908
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.263 § 15
Das Übereinkommen wird danach im Rahmen des entsprechend angepassten AUG (§ 1 I 1 Nr. 2a) ausgeführt. Unterhaltsentscheidungen aus Nicht-EU-Vertragsstaaten werden in gleicher Weise wie Entscheidungen nach der EuUntVO, die der Vollstreckbarerklärung bedürfen, für vollstreckbar erklärt (§§ 57 ff., 60a AUG) (s. Rz. 15.253, 15.254 ff.). Nach Art. 20 I HUÜ wird eine in einem Vertragsstaat ergangene Entscheidung anerkannt und vollstreckt, wenn die Anerkennungszuständigkeit gegeben ist.309 Sie besteht, wenn
15.261
(a) der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatte, (b) wenn sich der Antragsgegner auf das Verfahren rügelos eingelassen hatte, (c) wenn der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatte, (d) das Kind, dessen Unterhalt geregelt wurde, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatte und der Verpflichtete dort mit dem Kind zusammenlebte oder dort Unterhalt für das Kind geleistet hat, (e) wenn die Zuständigkeit (ausgenommen Kindesunterhalt) vereinbart wurde, oder (f) wenn eine Behörde über den Unterhalt als Annex zum Personenstand oder der elterlichen Verantwortung entschieden hat. Zusätzlich muss die Entscheidung wirksam (dh rechtskräftig)310 und im Ursprungsstaat vollstreckbar sein (Art. 20 VI HUÜ). Die USA haben einen Vorbehalt gegenüber den Zuständigkeiten zu (c), (e) und (f) erklärt. Sie müssen eine solche Entscheidung aber anerkennen, wenn ein US-Gericht im vergleichbaren Fall zuständig gewesen wäre (Art. 20 III HUÜ). Ist die Entscheidung aufgrund des Vorbehalts nicht anzuerkennen, muss der Staat angemessene Maßnahmen treffen, damit der Berechtigte einen Unterhaltstitel erhält, wenn der Verpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Vorbehaltsstaat hat (Art. 20 IV HUÜ). Kann eine Entscheidung zum Kindesunterhalt wegen des Vorbehalts nicht anerkannt und vollstreckt werden, erbringt sie im Vollstreckungsstaat immerhin den Nachweis der Unterhaltsberechtigung (Art. 20 V HUÜ).
15.262
Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisse sind nach Art. 22 HUÜ
15.263
(a) Verstoß gegen den ordre public, (b) Prozessbetrug, (c) zeitlich frühere Anhängigkeit eines Verfahrens mit gleichem Gegenstand im Vollstreckungsstaat,
309 Vgl. Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 180 ff. 310 M. Andrae, § 10 Rz. 259.
909
§ 15 Rz. 15.263 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
(d) Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Vollstreckungsstaates oder eines anderen Staates, die im Vollstreckungsstaat anerkannt werden kann, zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand, (e) bei einer Säumnisentscheidung die fehlende Benachrichtigung vom Verfahren, ohne später gehört worden zu sein, oder die fehlende Benachrichtigung von der Entscheidung, so dass keine Möglichkeit bestand, dagegen Rechtsmittel einzulegen, schließlich (f) Missachtung der Zuständigkeitsbegrenzung nach Art. 18 HUÜ. Liegt ein solcher Grund vor, hat der Vertragsstaat, nicht das Gericht ein Ermessen, die Entscheidung dennoch anzuerkennen.311
15.264 Die Art. 23 und 24 HUÜ sehen zwei alternative Verfahren für Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung vor. Während der Schuldner im Verfahren nach Art. 23 in erster Instanz nicht gehört wird, kann ein Vertragsstaat erklären, dass er das Verfahren nach Art. 24 anwenden wird, bei dem bereits in erster Instanz kontradiktorisch verhandelt wird. Die EU hat keinen Vorbehalt erklärt, so dass in den Mitgliedstaaten das Verfahren nach Art. 23 HUÜ stattfindet.312 In dem Verfahren nach Art. 23 HUÜ darf die Anerkennung und Vollstreckung in erster Instanz nur wegen eines ordre public-Verstoßes verweigert werden. Weder Antragsteller noch Antragsgegner können Einwendungen vorbringen (Art. 23 IV HUÜ). 15.265 Erst mit einem innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe einlegbaren Rechtsmittel können die Beteiligten die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht anfechten (Art. 23 V; VI HUÜ). Überprüft werden aber nur die Anforderungen an die Zuständigkeit nach Art. 20, die Hindernisse des Art. 22 und die Echtheit der nach Art. 25 HUÜ vorgelegten Schriftstücke (Art. 23 VII HUÜ). Außerdem kann die Erfüllung bereits fälliger Unterhaltsschulden eingewendet werden (Art. 23 VIII HUÜ). 15.266 Einem Unterhaltsgläubiger, der in einem anderen Vertragsstaat vollstrecken will, ist zu empfehlen, die Hilfe der Zentralen Behörden (in Deutschland des Bundesamts für Justiz) gem. Art. 6 HUÜ in Anspruch zu nehmen. Dem Unterhaltsgläubiger steht es aber frei, sich selbst unmittelbar an die Behörden des Vollstreckungsstaates zu wenden (Art. 19 V, 37 HUÜ). 15.267 Unterhaltsvereinbarungen, die in einem Vertragsstaat getroffen wurden, werden anerkannt und vollstreckt, wenn sie im Ursprungsstaat wie eine Entscheidung vollstreckbar sind (Art. 30 I HUÜ). Dem entsprechenden Antrag sind (1) die vollständige Vereinbarung und (2) der schriftliche Nachweis ihrer Vollstreckbarkeit beizufügen (Art. 30 III HUÜ). Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung kann verweigert werden, wenn sie (a) gegen den ordre public verstößt, (b) durch Betrug erlangt ist, oder (c) mit einer anzuerkennenden Entscheidung in
311 Lipp in MünchKomm/FamFG, Vor Art. 1 HUntVÜbk 2007 Rz. 39. 312 M. Andrae, § 10 Rz. 262.
910
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.269 § 15
derselben Sache des Vollstreckungsstaates oder eines anderen Staates unvereinbar ist. Nicht erfasst von Art. 30 HUÜ sind einseitige vollstreckbare Urkunden.313 b) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (1) Schrifttum P. Baumann, Kommentar zum HUVÜ 1973, in Geimer/Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Band II, 1989, 795.83 ff.; P. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, S. 5 ff.; A.S. Boehm, Geltendmachung und Vollstreckung von Unterhalt im Ausland, DAVorm 2000, 1041; P. Finger, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer (Unterhalts-)Urteile im Inland, FuR 2001, 97; W. Galster, Zur Vollstreckung übergeleiteter Unterhaltstitel im Ausland nach dem Haager Übereinkommen, IPRax 1990, 146; Grotheer, Kindesunterhalt im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, 1998; G. Hohloch, Grenzüberschreitende Unterhaltsvollstreckung, FF 2001, 147; G. Hohloch, Grenzüberschreitende Unterhaltsvollstreckung, FPR 2004, 315; J. Kropholler/F. Blobel, Unübersichtliche Gemengelagen im IPR durch EG-Verordnungen und Staatsverträge – dargestellt am Beispiel des Internationalen Unterhaltsvollstreckungsrechts, FS Sonnenberger, 2004, S. 453; D. Looschelders/S. Boos, Das grenzüberschreitende Unterhaltsrecht in der internationalen und europäischen Entwicklung, FamRZ 2006, 374; D. Martiny, Maintenance Obligations in the Conflict of Laws, RdC 247 (1994 III), 131, 258 ff.; D. Martiny, Anerkennung nach multilateralen Staatsverträgen, in HdbIZVR III/2 Kap. II (§ 3), 1984, S. 153; D. Martiny, Grenzüberschreitende Unterhaltsdurchsetzung nach europäischem und internationalem Recht, FamRZ 2008, 1681, 1684; Lipp in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Schlussanh II 2, S. 1614; Staudinger/Kropholler, Anh III D zu Art. 18 EGBGB, 14. Bearb 2003, S. 269; M. Wolff, Vollstreckbarerklärung, HdbIZVR III/2 Kap III (§ 6), 1984, S. 504.
15.268
(2) Einführung Das HUVÜ 1973314 ersetzt nach Art. 29 zwischen den Vertragsstaaten das Haager Übereinkommen v 15.4.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern. Inhaltlich ist das HUVÜ 1973 weit umfassender als das Übereinkommen von 1958. Sinn und Zweck von Art. 29 HUVÜ ist es, das alte Übereinkommen ganz zu verdrängen. Dazu ist es allerdings noch nicht gekommen. Belgien, Liechtenstein, Österreich, Surinam, Ungarn, Vertragsstaaten des Übereinkommens von 1958 (s. Rz. 15.287 ff.), haben das HUVÜ 1973 nicht ratifiziert. Vertragsstaaten des HUVÜ sind außer Deutschland Albanien (seit 1.12.2012), Andorra (seit 1.7.2012), Australien (1.2.2002), Dänemark, Estland (seit 1.4.1998), Finnland, Frankreich, Griechenland (seit 1.2.2004), Großbritannien (einschl. Jersey), Italien,315 Litauen (1.10.2003), Luxemburg, die Niederlande (seit 10.10.2010 auch des karibischen Teils, Bonaire, Saba, Curaçao und St. Martin), Norwegen, Polen (seit 313 M. Andrae, § 10 Rz. 257. 314 BGBl. 1986 II, 826. 315 Zur Vollstreckung deutscher Unterhaltstitel in Italien aus der Zeit vor der EuUntVO s. A.-S. Boehm, DAVorm 2000, 1054.
911
15.269
§ 15 Rz. 15.269 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
1.7.1996),316 Portugal, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien, die Tschechische Republik, die Ukraine (seit 1.8.2008) und die Türkei.
15.270 Da die EuUntVO Vorrang vor dem Übereinkommen hat (Art. 69 II EuUntVO), ist das Übereinkommen seit 18.6.2011 nur noch im Verhältnis zu Nicht-EU-Mitgliedstaaten relevant (s. Rz. 15.285), also im Verhältnis zu Albanien, Andorra, Australien, Norwegen der Schweiz, der Türkei und der Ukraine. Norwegen und die Schweiz sind auch Vertragsstaaten des LugÜ. Ein Gläubiger eines Titels aus diesen Staaten hat die Wahl, ob er einen Titel nach dem einen oder anderen Übereinkommen für vollstreckbar erklären lassen will.317 (3) Kreis der Berechtigten
15.271 Das HUVÜ 1973 hat den Kreis der Unterhaltsberechtigten gegenüber dem Übereinkommen von 1958 ganz erheblich erweitert. Dabei wird, wie z.B. bei der Schwägerschaft, auf die autonomen gesetzlichen Verpflichtungen anderer Staaten Rücksicht genommen. Eine Ausgleichsregelung findet sich in Art. 26. Danach kann jeder Vertragsstaat Vorbehalte machen, u a hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtungen bei Verwandten in der Seitenlinie, der Schwägerschaft usw. Einen solchen Vorbehalt hat die Bundesrepublik Deutschland erklärt.318 (4) Unterhaltsentscheidungen
15.272 Die Unterhaltsentscheidungen werden im weitesten Sinn aufgefasst. Auf die Bezeichnung kommt es nicht an. Es fallen darunter Vergleiche, ebenso Titel über Ansprüche zwischen Unterhaltsverpflichteten und einer öffentliche Aufgaben übernehmenden Einrichtung sowie Regressansprüche, Art. 1 I Nr. 2. Nach Art. 4 II gehören zu den anzuerkennenden Entscheidungen auch vorläufig vollstreckbare Entscheidungen und einstweilige Maßnahmen, sofern im Anerkennungsstaat gleichartige Entscheidungen erlassen und vollstreckt werden können.319 Wegen Abänderungstiteln (Art. 2 II) s. Rz. 15.300 ff. Exequaturentscheidungen fallen nicht unter die anzuerkennenden und zu vollstreckenden Entscheidungen. Nach Art. 26 Nr. 3 HUVÜ 1973 kann jeder Vertragsstaat einen Vorbehalt gegenüber der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Einmalzahlungen erklären. Hiervon haben Estland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Polen und die Türkei Gebrauch gemacht.320 316 Zur Geltendmachung von Unterhalt in Polen vor der EuUntVO s. I.-D. Niclas, DAVorm 2000, 455. 317 BGH, FamRZ 2009, 390; Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 185. 318 Im Einzelnen P. Baumann in Geimer/Schütze, IRV, Anh zu Art. 26 HUVÜ 73, S. 795.173. 319 Vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1480, 1481; OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 1623, 1624 (verneint für englische freezing order); P. Baumann in Geimer/Schütze, IRV, Art. 4 HUVÜ 73 IV (S. 795.106); Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 163. G. Hohloch, FPR 2004, 315, 320 übersieht Art. 4 II HUVÜ. 320 Lipp in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 26 HUVÜ 1973 Rz. 4; Staudinger/Kropholler, Anh. III zu Art. 18 EGBGB Rz. 141.
912
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.277 § 15
Während sonst die Anerkennung einer Annex-Unterhaltsentscheidung (außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 21 Brüssel IIa-VO; s. Rz. 13.3, 13.9) voraussetzt, dass das Scheidungsurteil zuvor gem. § 107 FamFG anerkannt worden ist, soll im Rahmen des HUVÜ 1973 nur die internationale Zuständigkeit für die Ehescheidung zu prüfen sein, der Unterhaltstitel aber unabhängig vom Scheidungsurteil anerkannt werden.321 Zur Begründung beruft man sich auf Art. 3, teilweise auch auf Art. 8, und darauf, dass das Spezialübereinkommen Vorrang vor den allgemeinen Regeln hat. Relevant ist die Frage allerdings nur beim nachehelichen Unterhalt des Ehegatten, da Kindesunterhalt nicht von der Scheidung der Eltern abhängt.322
15.273
(5) Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung Für vollstreckbar erklärt werden können unanfechtbare Entscheidungen, vorläufig vollstreckbare und einstweilige Entscheidungen (Art. 4 I Nr. 2, II HUVÜ 1973). Vorausgesetzt wird lediglich, dass sie von einer zuständigen Behörde erlassen wurden (Art. 4 I Nr. 1, Art. 7, 8 HUVÜ 1973).
15.274
Folgende Versagungsgründe sind bei der Vollstreckbarerklärung zu prüfen:
15.275
(1) Die Anerkennungszuständigkeit ist in Art. 7, 8 HUVÜ 1973 werden Entscheidungen der Gerichte
geregelt.323
Danach
(i) am gewöhnliche Aufenthalt von Schuldner oder Gläubiger, (ii) des gemeinsamen Heimatstaats, (iii) die kraft rügeloser Einlassung zuständig wurden und (iv) in Scheidungssachen für Annexentscheidungen über nachehelichen Unterhalt. Nicht anerkannt ist die Annexzuständigkeit in Kindschaftssachen.324 Nach Art. 9 HUVÜ ist die Behörde des Vollstreckungsverfahrens an die tatsächlichen Feststellungen der Behörde des Ursprungsstaats hinsichtlich der Zuständigkeit gebunden.
15.276
(2) Der Ordre public-Verstoß, Art. 5 Nr. 1 und 2.325
15.277
(3) Ein Verstoß gegen die Rechtshängigkeit im Vollstreckungsstaat, Art. 5 Nr. 3. (4) Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung zwischen den Parteien, Art. 5 Nr. 4. Dabei ist gleichgültig, in welchem Staat die andere Entscheidung ergangen ist, doch muss sie anerkennungsfähig sein. Die Entscheidungen müssen denselben Ge-
321 Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 156. 322 Vgl. OLG München, IPRax 1982, 400; P. Baumann in Geimer/Schütze, IRV, Art. 3 HUVÜ 1973 II (S. 795.99 ff.); a.A. OLG Celle, FamRZ 1990, 1390. 323 Vgl. W. Galster, IPRax 1990, 146, 147; P. Baumann in Geimer/Schütze, IRV, Art. 7 I (S. 795.127). 324 Vgl. Lipp in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 8 HUVÜ 1973 Rz. 2. 325 Vgl. BGH, NJW 1990, 2197/98; OLG Köln, FamRZ 2008, 1763; P. Baumann, S. 110 ff.
913
§ 15 Rz. 15.277 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
genstand betreffen; der Widerspruch zu einer vorrangigen Statusentscheidung genügt nicht.326
15.278 (5) Verstoß gegen das rechtliche Gehör bei der Einleitung des Verfahrens gegenüber Versäumnisentscheidungen, Art. 6 HUVÜ 1973. Wie bei Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bedarf es einer ordnungsgemäßen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und einer ausreichenden Verteidigungsfrist. Zusätzlich wird verlangt, dass das einleitende Schriftstück die wesentlichen Klagegründe enthält. Große Anforderungen werden jedoch nicht gestellt. Es genügt, Unterhalt zu verlangen.327 Die bloße Ladung zum Gerichtstermin genügt aber nicht. (6) Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung
15.279 Das Verfahren richtet sich gem. Art. 13 ff. HUVÜ 1973 nach dem Recht des Vollstreckungsstaats, in Deutschland gem. § 1 I Nr. 2a AUG nach den §§ 36 ff., 57 ff., 61 f AUG.328 Gem Art. 17 HUVÜ 1973 hat die Partei, die die Anerkennung und Vollstreckung beantragt, folgende Unterlagen beizubringen: 1. eine vollständige mit der Unterschrift übereinstimmende Ausfertigung der Entscheidung; 2. die Urkunden, aus denen sich ergibt, dass gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig ist und, gegebenenfalls, dass die Entscheidung dort vollstreckbar ist; 3. wenn es sich um eine Versäumnisentscheidung handelt, die Urschrift oder die beglaubigte Abschrift der Urkunde, aus der sich ergibt, dass das das Verfahren einleitende Schriftstück mit den wesentlichen Klagegründen der säumigen Partei nach dem Recht des Ursprungsstaats ordnungsgemäß zugestellt worden ist; 4. gegebenenfalls jedes Schriftstück, aus dem sich ergibt, dass die Partei im Ursprungsstaat Prozesskostenhilfe oder Befreiung von Verfahrenskosten erhalten hat; 5. eine beglaubigte Übersetzung der genannten Urkunden, wenn die Behörde des Vollstreckungsstaats darauf nicht verzichtet.
15.280 Den Antrag kann der Unterhaltsberechtigte, aber auch eine öffentliche Einrichtung für ihren eigenen Erstattungstitel stellen, wenn auf sie der Unterhaltsanspruch auf Antrag oder kraft Gesetzes übergegangen ist (Art. 18 ff. HUVÜ 1973).329
326 A.A. OLG Düsseldorf, FamRZ 2013, 484 (Widerspruch zu inländischer Sorgerechtsentscheidung). 327 Vgl. P. Baumann in Geimer/Schütze, IRV, Art. 6 HUVÜ 1973 III 2 (S. 795.122); dagegen R. Geimer, IPRax 1992, 5, 8 („gravierende Unterschiede“). 328 Vgl. Prütting/Helms/Hau, FamFG, § 110 Anh 2 Rz. 47 f. 329 Vgl. W. Galster, IPRax 1990, 146, 148 ff.; Lipp in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 18 HUVÜ 1973 Rz. 2.
914
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.286 § 15
Dieses Klauselerteilungsverfahren steht ausschließlich zur Verfügung; der Kläger kann nicht bereits dann auf eine neue Leistungsklage ausweichen, wenn er die nötigen Unterlagen nicht oder vorübergehend nur mit Schwierigkeiten beschaffen kann, solange er zumindest über § 38 AUG zu einer Vollstreckbarerklärung gelangen kann.330
15.281
Nach § 59a I AUG kann der Schuldner mit seiner Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung Einwendungen gegen den Anspruch selbst geltend machen, soweit die Gründe dafür erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind.. Bei einer Beschwerde gegen die Zulassung der Vollstreckung aus einem Vergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde gibt es diese Grenze nicht (§ 59a II AUG). Beschwerdegericht ist nach § 43 I AUG das OLG.
15.282
Ein Vollstreckungsabwehrantrag nach § 120 FamFG i.V.m. § 767 ZPO kann zulässigerweise nur noch auf Einwendungen gestützt werden, die nicht mit der Beschwerde nach § 59a AUG geltend gemacht werden konnten (§ 66 II AUG). Zuständig ist das Gericht, das über die Erteilung der Vollstreckungsklausel entschieden hat (§ 66 III 1 AUG).331
15.283
Im Verhältnis zu anderen Regelungen sieht Art. 23 HUVÜ 1973 ausdrücklich das Günstigkeitsprinzip vor.332 Jedoch dürfen nicht die Einzelvoraussetzungen, die eine Einheit bilden, aus unterschiedlichen Übereinkommen kombiniert werden. Zulässig war aber nach Art. 23 HUVÜ 1973 i.V.m. Art. 71 II EuGVO, dass die Anerkennungsvoraussetzungen dem HUVÜ, das Verfahren dagegen der EuGVO entnommen wird.
15.284
Seit dem 18.6.2011 werden Unterhaltstitel im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedstaaten jedoch nur noch nach der EuUntVO anerkannt und für vollstreckbar erklärt, und zwar auch ältere Titel (Art. 75 II EuUntVO) (s. Rz. 15.256). Da für EuUntVO und HUVÜ einheitlich die §§ 36 ff. AUG gelten, ergeben sich aus dieser Kombinationsmöglichkeit (wie schon zuvor nach den §§ 3 ff. AVAG)333 keine Vorteile.
15.285
c) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (HUVÜ 1958) (1) Schrifttum P. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, S. 65 ff.; R. Hausmann, Annex-Unterhaltsentscheidungen nach dem EuGVÜ, IPRax 1981, 5; D. Henrich, Die Abänderungsklage gegen ausländische Unterhaltsurteile, IPRax 1982, 140; R. Lansky, Das Haager Übereinkommen v 15.4.1958 über die Anerkennung 330 Vgl. (noch zum AVAG) P. Baumann IPRax 1994, 435, 438; P. Baumann in Geimer/ Schütze, IRV, Art. 13 HUVÜ 1973 III 3 (S. 795.142). 331 M. Andrae, § 10 Rz. 256. 332 BGH, FamRZ 2015, 2043 (P. Gottwald); BGH, FamRZ 2008, 390 = NJW 2008, 1531; OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 803, 804; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1762. 333 Vgl. R. Geimer, IPRax 1992, 5, 8; G. Hohloch, FPR 2004, 315, 320; A.-S. Boehm/N. Faetan, FPR 2004, 324, 327; P. Baumann in Geimer/Schütze, IRV, Art. 23 HUVÜ 1973 III 2 (S. 795.163).
915
15.286
§ 15 Rz. 15.286 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, Diss. 1960; D. Leipold, Das anwendbare Recht bei der Abänderungsklage gegen ausländische Urteile, FS Nagel, 1987, S. 189; D. Martiny, Anerkennung nach multilateralen Staatsverträgen (§ 2), HdbIZVR III/2, 1984, 125 ff.; Lipp in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Schlussanh Nr II 1, S. 1609; P. Schlosser, Zur Abänderung von Unterhaltsentscheidungen, IPRax 1981, 120; Staudinger/Kropholler, Anh III B zu Art. 18 EGBGB, 14. Bearb 2003, S. 232; M. Wolff, Vollstreckbarerklärung, HdbIZVR Bd III/2 Kap. II (§ 5), 1984, S. 479.
(2) Einführung
15.287 Aufgrund des Vorrangs von EuUntVO und HUVÜ 1973 gilt das HUVÜ 1958334 noch im Verhältnis zu Liechtenstein, den überseeischen Departements Frankreichs und Surinam.335 15.288 Für die Staaten, für die das HUVÜ 1958 neben der EuUntVO gilt (Deutschland, Belgien, Österreich und Ungarn) hat die EuUntVO im Verhältnis zueinander Vorrang (Art. 69 II EuUntVO). Da dies auch für alle Titel gilt, deren Anerkennung und Vollstreckung nach dem 18.6.2011 beantragt wird (s. Rz. 15.256), hat das HUVÜ 1958 nur noch einen marginalen Anwendungsbereich.336 15.289 Da in einigen Staaten Verwaltungsbehörden über den Unterhalt entscheiden können, wird nicht auf Entscheidungen von Gerichten, sondern von Behörden abgestellt. Die Entscheidungen müssen Unterhaltsansprüche von ehelichen, unehelichen und an Kindes Statt angenommenen Kindern, die unverheiratet sind und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, betreffen (Art. 1). Vergleiche, vollstreckbare Urkunden fallen nicht unter das Übereinkommen. Insoweit sind EuUntVO, LugÜ, HUÜ 2007 und das HUVÜ 1973 weiter gefasst.337 (3) Der vertragliche Zuständigkeitskatalog
15.290 Art. 3 HUVÜ 1958 regelt die internationale Zuständigkeit für die Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen anderer Vertragsstaaten. Im Gegensatz zum EuGVÜ folgt das HUVÜ dem System der indirekten Zuständigkeit (compétence indirecte), d.h. es greift nicht in die Zuständigkeitskataloge der Vertragsstaaten ein, sondern regelt nur, unter welchen Voraussetzungen der Zweitrichter/die Behörde die Zuständigkeit des Erstrichters/Behörde als gegeben annehmen muss. 15.291 Die internationale Zuständigkeit ist danach auf drei Gerichtsstände begrenzt: 1. den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Beklagten, des Unterhaltsverpflichteten. Der gewöhnliche Aufenthaltsort ist deshalb gewählt worden, weil man sich nicht auf einen einheitlichen Wohnsitzbegriff hat einigen können. Der Begriff des gewöhnli334 BGBl. 1962 II 15. 335 Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 192. 336 Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 119, 122 f.; Lipp in MünchKomm/ FamFG, 3. Aufl. 2019, Anh II 1 Art. 11 HUVÜ 1958 Rz. 1 f. 337 Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 43.
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III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.295 § 15
chen Aufenthalts ist autonom auszulegen und nach etwa sechsmonatiger Dauer anzunehmen.338 2. International zuständig sind die Behörden des Staats, in dessen Hoheitsgebiet der Unterhaltsberechtigte – forum actoris – im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Dieser Klägergerichtsstand enthält einen tiefen Eingriff in die alte Regel „actor sequitur forum rei“. Die Regelung des Art. 3 Nr. 2 HUVÜ 1958 geht noch über den Klägergerichtsstand des § 23a ZPO hinaus, denn dieser ist nur gegeben, wenn der Beklagte im Inland keinen Gerichtsstand hat.339 Da der deutsche Erstrichter nur von der Zuständigkeitsregelung der ZPO ausgehen darf, kommt er zu dem Klägergerichtsstand nur, wenn der Beklagte im Inland überhaupt keinen Gerichtsstand – auch nicht den des Vermögens nach § 23 ZPO – hat. Der Klägergerichtsstand ist also für den deutschen Erstrichter im Gegensatz zu dem Zweitrichter/Behörde erheblich eingeschränkt.
15.292
3. Die internationale Zuständigkeit des Erstrichters wird nach Art. 3 Nr. 3 HUVÜ 1958 schließlich durch ausdrückliche Unterwerfung des Beklagten (also Prorogation) oder dadurch begründet, dass dieser sich, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache eingelassen hat.
15.293
(4) Schutzvorschriften für den Beklagten Die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat ist weiter davon abhängig, dass der Beklagte nach dem Recht des Staats, dem die entscheidende Behörde angehört, ordnungsgemäß geladen oder vertreten war. Auf die ordnungsgemäße Ladung des Beklagten braucht nicht abgestellt zu werden, wenn er in dem Verfahren ordnungsgemäß vertreten war. Dadurch wird eine nicht ordnungsgemäße Ladung geheilt.340 Dies beruht offenbar darauf, dass es nicht so sehr auf die formelle Beachtung der Zustellungsvorschriften des Staats, dessen Behörde oder Gericht die Entscheidung erlassen hat, ankommt, als vielmehr auf die Bekanntgabe seitens des Gerichts bzw. der Behörde, dass das Verfahren stattfinde.341 War der Beklagte jedoch nicht vertreten, so kann auf die Einhaltung der Zustellungsvorschriften des Erststaats nicht verzichtet werden, denn diese sind zugleich Schutzvorschriften für den Beklagten. Art. 2 Nr. 2 HUVÜ 1958 weicht erheblich von § 328 I Nr. 2 ZPO a.F. ab. Es wird nicht nur auf den deutschen Beklagten abgestellt. Bei der Zustellung im Wege der internationalen Rechtshilfe wird auch nicht nur auf die deutschen Zustellungsvorschriften abgestellt. Es genügt, wenn das deutsche Erstgericht die Zustellung nach den Vorschriften des Zustellungsstaats erbeten hat.
15.294
Eine öffentliche Zustellung und eine Zustellung im Wege der „remise au parquet“ fallen unter eine ordnungsgemäße Ladung.342 Dabei sind auch die Vorschriften der
15.295
338 339 340 341 342
Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 99. Vgl. dazu J. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 342. Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 64. So R. Lansky, 104. Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 66.
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§ 15 Rz. 15.295 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
§§ 171, 172, 184 ZPO über die Zustellung an Bevollmächtigte zu berücksichtigen. Für den Fall, dass eine Versäumnisentscheidung gegen den Beklagten ergangen ist, werden die Schutzvorschriften zu seinen Gunsten erweitert. Die Anerkennung und Vollstreckung darf von der Behörde des Zweitstaats dann versagt werden, wenn diese in Anbetracht der Umstände des Falles der Ansicht ist, dass die säumige Partei ohne ihr Verschulden von dem Verfahren keine Kenntnis hatte oder sich in ihm nicht verteidigen konnte. Diese Fälle können insb bei öffentlichen Zustellungen oder bei einer solchen nach dem System der „remise au parquet“ auftreten.343
15.296 Weitere Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung gem. Art. 2 Nr. 3 HUVÜ 1958 ist grds die Rechtskraft der Entscheidung im Erststaat. Vorläufig vollstreckbare Entscheidungen und einstweilige Maßnahmen können in einem anderen Vertragsstaat für vollstreckbar erklärt werden, wenn in dem Staat gleichartige Entscheidungen erlassen und vollstreckt werden können.344 Hierdurch ist eine starke Begrenzung des HUVÜ 1958 im Verhältnis zu solchen Staaten, die keine vorläufig vollstreckbaren Entscheidungen kennen und aus solchen auch nicht vollstrecken, geschaffen. 15.297 Art. 7 HUVÜ 1958 erwähnt den Fall der Unterhaltsleistung durch regelmäßig wiederkehrende Zahlungen. Dann kann die Vollstreckung sowohl wegen der bereits fällig gewordenen als auch wegen der künftig fällig werdenden Zahlungen bewilligt werden. Das Verfahren richtet sich im Übrigen nach den Vorschriften des Vollstreckungsstaats. Hat der Entscheidungsstaat einer Partei Prozesskostenhilfe bewilligt, so genießt sie diese auch im Vollstreckungsstaat (Art. 9). Für das im Übereinkommen vorgesehene Verfahren braucht keine Sicherheitsleistung für die Prozesskosten geleistet zu werden (Art. 9 II). Beigebrachte Urkunden bedürfen keiner weiteren Beglaubigung oder Legalisation (Art. 9 III). (5) Weitere Versagungsgründe für die Anerkennung
15.298 Art. 2 Nr. 4 HUVÜ 1958 führt einen weiteren Versagungsgrund für die Anerkennung und Vollstreckung auf: die Entscheidung des Erststaats darf nicht in Widerspruch stehen zu einer Entscheidung, die über denselben Anspruch und zwischen denselben Parteien in dem Zweitstaat erlassen worden ist. Die Vollstreckung darf auch dann versagt werden, wenn in dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, vor ihrem Erlass dieselbe Sache rechtshängig geworden ist. 15.299 Schließlich darf die Entscheidung des Erststaats nach Art. 2 Nr. 5 HUVÜ 1958 mit der öffentlichen Ordnung des Staats, in dem sie geltend gemacht wird, nicht offensichtlich unvereinbar sein. Entscheidend ist, ob die Geltendmachung dieser Entscheidung gegen den ordre public des Zweitstaats verstößt.345 Aus der Formulierung des 343 R. Lansky, 105, und Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 68 weisen zu Recht darauf hin, dass diese erweiterte Schutzvorschrift dann keine Anwendung finden kann, wenn der Unterhaltsverpflichtete verschwindet, um sich der Ladung zu entziehen. 344 Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 74. 345 Vgl. dazu im Einzelnen Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 82 ff.
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III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.303 § 15
Übereinkommens kann geschlossen werden, dass die ausländische Entscheidung im Zweifel anzuerkennen ist. Gegen den ordre public des Anerkennungsstaats wird nicht schon dadurch verstoßen, dass der Erstrichter/Behörde aufgrund seines IPR ein anderes Recht angewendet hat, als der Zweitrichter/Behörde nach seinem Recht anzuwenden hätte. Die Gerichte überprüfen auch, ob die Vaterschaft ordnungsgemäß festgestellt wurde. Eine Feststellung aufgrund einer Zeugenaussage der Mutter widerspricht nicht dem ordre public.346 In diesem Zusammenhang ist auch das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht v 24.10.1956347 zu berücksichtigen.348 Im Übrigen darf die Entscheidung des Erstrichters/Behörde nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden (Verbot einer „révision au fond“). (6) Die Abänderung ausländischer Unterhaltsentscheidungen
Ein besonderes Problem bildet die Abänderung ausländischer Entscheidungen. Nach Art. 8 HUVÜ 1958 gelten die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung auch für Entscheidungen einer der in Art. 3 bezeichneten Behörden, durch die eine Verurteilung zu Unterhaltsleistungen abgeändert wird. Wie das HUVÜ 1958 insgesamt legt auch Art. 8 nur eine Anerkennungszuständigkeit fest; das Abänderungsurteil ist also unter denselben Voraussetzungen wie eine Erstentscheidung anzuerkennen, auch in dem Staat, der die Erstentscheidung erlassen hat.349
15.300
Die Abänderung einer ausländischen Entscheidung ist aus völkerrechtlicher Sicht nicht problematisch.350 Ein völkerrechtlicher Gewohnheitsrechtssatz, welcher die Abänderung ausländischer Hoheitsakte allgemein verbietet, besteht nicht.351
15.301
Unabhängig von dem HUVÜ 1958 sind die deutschen Gerichte zur Abänderung ausländischer Unterhaltsentscheidungen dann befugt, wenn (1) sie international zuständig sind, (2) das ausländische Urteil in Deutschland anerkannt wird352 und (3) nach dem anwendbaren Unterhaltsrecht die Abänderung zulässig ist.353 Irrelevant ist, ob und inwieweit der Erststaat eine Abänderung des Urteils vorsieht.354
15.302
Prozessual erfolgt die Abänderung in Deutschland auf Antrag gem. § 238 ff. FamFG. Dabei ist streitig, ob eine Abänderung voll nach Maßgabe des Unterhalts-
15.303
346 347 348 349 350 351 352 353 354
Vgl. OLG Dresden, FamRZ 2006, 563. BGBl. 1961 II, 1012. Soergel/Kegel, Art. 18 EGBGB Rz. 162 ff. Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 111 ff.; Soergel/Kegel, Art. 18 Rz. 146. BGH, FamRZ 1992, 1060, 1061; Mankowski in Staudinger, (2016), HUP Rz. 43; P. Schlosser, IPRax 1981, 120. BGHZ 203, 372 (Rz. 24ff) = FamRZ 2015, 479 (B. Heiderhoff) = IPRax 2016, 374 (dazu U. P. Gruber, S. 338); Mankowski in Staudinger, (2016) HUP Rz. 50ff, 55. Mankowski in Staudinger, (2016) HUP Rz. 44. OLG Düsseldorf, IPRax 1982, 152 (dazu D. Henrich, S. 140). Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 323 ZPO Rz. 100, 101; Pasche in MünchKomm/ FamFG, § 238 FamFG Rz. 77.
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§ 15 Rz. 15.303 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
statuts zulässig ist355 oder ob die Zeitschranke des § 238 III FamFG als prozessuale lex fori stets zu beachten ist.356 Der BGH hat eine eindeutige Entscheidung zunächst vermieden.357 Im Hinblick auf Art. 10 Nr. 1 und 2 HUVÜ 1973 erscheint es aber sachgerecht, § 238 III FamFG materiell-rechtlich zu qualifizieren und die Zeitgrenzen dem Unterhaltsstatut zu entnehmen, das zum Zeitpunkt der Abänderungsentscheidung nach dem HUP Unterhaltsstatut ist.,358 (7) Verfahrensvorschriften
15.304 In Art. 4 sind die Unterlagen aufgezählt, welche die Partei, die die Vollstreckung beantragt, beibringen muss: – eine Ausfertigung der Entscheidung, welche die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt; – den Nachweis, dass die Entscheidung vollstreckbar ist; – bei Versäumnisentscheidungen eine beglaubigte Abschrift der das Verfahren einleitenden Ladung oder Verfügung und die Urkunden, aus denen sich die ordnungsgemäße Zustellung dieser Ladung oder Verfügung ergibt.
15.305 Nach § 1 des deutschen AusfG sind sachlich die AG zuständig, und zwar das Familiengericht;359 örtlich ist das AG zuständig, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat; beim Fehlen eines solchen ist das AG zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners befindet oder in dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Für die Vollstreckbarerklärung gelten die §§ 1063 I, 1064 II ZPO entsprechend (§ 2 AusfG). Es gilt also das fakultative Beschlussverfahren für die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs. Der Schuldner kann Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit vorbringen, als die Gründe dafür erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. (8) Kosten
15.306 Für die Vollstreckbarerklärung fallen an: (1) Gerichtskosten, GKG-KV Nr. 1510 eine Gebühr von 240 €. (2) Anwaltsgebühren, RVG-VV Nr. 3100 1,3 Gebühren nach dem Streitwert. Nach § 51 FamGKG richtet er sich nach dem Unterhalt für ein Jahr, höchstens dem Gesamtbetrag der Unterhaltsforderung; Rückstände werden hinzugerechnet. 355 Dafür P. Gottwald, FS Schwab, 1990, S. 151, 158 f. 356 So D. Leipold, FS Nagel, S. 189, 206; P. Baumann, IPRax 1990, 28, 31; H. Schack, IZVR Rz. 1116; Pasche in MünchKomm/FamFG, § 238 FamFG Rz. 76. 357 Vgl. BGH, FamRZ 1993, 43. 358 Ebenso jetzt BGHZ 203, 372 (Rz. 24 ff.) = FamRZ 2015, 479 (B. Heiderhoff) = IPRax 2016, 374 (dazu U.P. Gruber, S. 338). 359 OLG Frankfurt, IPRax 1981, 213; OLG Rostock, IPRax 2000, 214, 215 (dazu P. Mankowski, S. 188).
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III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.310 § 15
d) New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (UNUÜ 1956) (1) Schrifttum A.-S. Boehm, Geltendmachung und Vollstreckung von Unterhalt im Ausland, DAVorm 2000, 1041; A.-S. Boehm/N. Faetan, Durchsetzung von Kindesunterhalt im Ausland durch das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, FPR 2004, 324; Ch. Böhmer/K. Siehr, Das gesamte Familienrecht, Bd 2, 2. Lfg 1980; H. Klinkhardt, Einige Erfahrungen mit der Geltendmachung der Unterhaltsansprüche nichtehelicher Kinder im Ausland, ZBlJugR 1984, 161 u 209; R. Lansky, Neue Wege zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, FamRZ 1979, 193; F. Mecke in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Lfg 41 (2011), 794.1 ff.; Lipp in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Schlussanh. Nr II 4, S. 1658; I.-D. Niclas, Prozesskostenhilfe für Übersetzungskosten, JAmt 2001, 213; Staudinger/Kropholler, BGB, Anh. III F zu Art. 18 EGBGB, 14. Bearb. 2003, S. 320; P. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996, S. 176 ff.
15.307
(2) Vertragsgegenstand Dieses Übereinkommen v. 20.6.1956360 ist eigentlich kein Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag, sondern ein besonderes Rechtshilfeabkommen, in dem sich die Vertragsstaaten verpflichten, einander Amts- und Rechtshilfe zur außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung und Vollstreckung von Unterhaltsansprüchen zu gewähren, und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz der Beteiligten.
15.308
Das UNUÜ 1956 ist in den Anwendungsbereich des AUG 2011 (§ 1 I Nr. 2c) einbezogen worden.
15.309
(3) Geltungsbereich Das Übereinkommen ist von über 70 Vertragsstaaten ratifiziert worden. Im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander hat jedoch die Zusammenarbeit nach der EuUntVO Vorrang (Art. 69 II EuUntVO). Im Verhältnis der Vertragsstaaten des HUÜ 2007 hat dieses Übereinkommen nach Art. 49 HUÜ 2007 Vorrang. Das UNUÜ 1956 gilt danach noch im Verhältnis zu Algerien, Argentinien, Australien, Barbados, Burkina Faso, Chile, China (Taiwan), Ecuador, Guatemala, Haiti, dem Heiligen Stuhl, Israel, den Kap Verden, Kirgisistan, Kolumbien, Liberia, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Moldau, Monaco, Neuseeland, Niger, Pakistan, Philippinen, der Schweiz, Serbien, den Seychellen, Sri Lanka, Suriname, Tunesien, Uruguay und der Zentralafrikanischen Republik361.
360 BGBl. 1959 II, 150. 361 Vgl. Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 19. Aufl. 2018, Nr. 220 Fn. 2.
921
15.310
§ 15 Rz. 15.311 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
(4) Regelung der Verwaltungshilfe
15.311 Der Berechtigte kann sein Gesuch zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruchs im Ausland bei der Übermittlungsstelle seines Aufenthaltsstaats einreichen; diese leitet das Gesuch an die Empfangsstelle des Aufenthaltsstaats des Verpflichteten weiter (Art. 3 ff.). In Deutschland wird das Bundesamt für Justiz als zentrale Behörde und Empfangs- und als Übermittlungsstelle tätig (§ 1 I Nr. 2c, § 4 I 1, § 5 I AUG 2011). Der Berechtigte kann sein Gesuch in Deutschland auch gebührenfrei beim AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, einreichen (§ 7 AUG 2011). 15.312 Die Empfangsstelle ist verpflichtet, den Anspruch des Berechtigten gebühren- und auslagenfrei durchzusetzen (Art. 6, 9 UNUÜ). Je nach Sachlage hat die Empfangsstelle den Anspruch im Namen des Berechtigten zu regeln, einzuklagen, die Vollstreckbarerklärung eines anerkennungsfähigen Titels und die eigentliche Vollstreckung zu betreiben.362 Der Berechtigte kann in seinem Antrag festlegen, in welcher Weise die Empfangsstelle vorgehen soll, um den Anspruch durchzusetzen. 15.313 Die einzureichenden Urkunden (Art. 3 III UNUÜ) sind in die Gerichtssprache des Empfangsstaats zu übersetzen.363 15.314 Die Empfangsstelle wird nach Art. 6 UNUÜ (§ 5 IV AUG 2011) als Bevollmächtigter des Unterhaltsberechtigten tätig. Sie darf den Unterhalt auch durch Vergleich oder Anerkenntnis regeln (§ 5 IV 2 AUG). Je nach Sachlage kann sie auch einen Anwalt oder das Jugendamt zum Prozessbevollmächtigten bestellen. 15.315 Das Übereinkommen regelt die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltstitel nicht selbst, sondern verweist in den Art. 5 III, 6 I UNUÜ lediglich auf das jeweilige nationale Recht. Die Vollstreckbarerklärung hat daher in dem Verfahren zu erfolgen, das im Verhältnis zu dem Ursprungsstaat gilt. Der deutsche Gesetzgeber sieht in § 57 AUG für Unterhaltstitel aus Vertragsstaaten des UNUÜ 1956 generell eine Vollstreckbarerklärung gem. §§ 36 ff. AUG vor, also in dem Beschlussverfahren, das für Titel aus EU-Staaten gilt, die nicht durch das Haager Protokoll gebunden sind (s. Rz. 15.254 ff.). 15.316 Nach Art. 9 I UNUÜ erhält der Unterhaltsberechtigte für eine Klage und für die Vollstreckung Prozesskostenhilfe (vgl. § 23 AUG). e) Entscheidungen aus Staaten mit formeller Gegenseitigkeitserklärung
15.317 Schrifttum: a) Zum AUG 2011: M. Andrae, Das neue Auslandsunterhaltsgesetz, NJW 2011, 2545; Prütting/Helms/Hau, FamFG, 4. Aufl. 2018, Anh 2 zu § 110, S. 1017. b) zum AUG 1986: A. Bach, Zehn Jahre Auslandsunterhaltsgesetz, FamRZ 1996, 1250; P. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, S. 107 ff.; Ch. Böhmer, Das Auslandsunterhaltsgesetz, IPRax 1987, 139; Lipp in
362 Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 260. 363 Vgl. Staudinger/Kropholler, Anh III zu Art. 18 EGBGB Rz. 252. Zur Übernahme der Übersetzungskosten durch die Bundesländer s. I.-D. Niclas, JAmt 2001, 213.
922
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.323 § 15 MünchKomm/FamFG, Schlussanh Nr III 2, 3. Aufl. 2019, S. 1818; V. Sich, Die zwischenstaatliche Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im deutsch/amerikanischen Verhältnis nach den Normen des Auslandsunterhaltsgesetzes und des Uniform Interstate Family Support Act, 2004; S. Uhlig/P. Berard, Die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Inland und Ausland nach dem AUG, NJW 1987, 1521.
Da die common law-Staaten dem UNUÜ 1956 nicht beigetreten sind, bestand im Verhältnis zu ihnen eine empfindliche Rechtsschutzlücke. Diese Lücke wurde weitgehend durch das AUG v 19.12.1986364 geschlossen (welches durch das AUG 2011 abgelöst wurde). Es hat das gleiche Ziel wie das UNUÜ 1956, erreicht es aber auf dem Wege der Parallelgesetzgebung mit förmlicher Gegenseitigkeitserklärung.
15.318
Für Unterhaltsansprüche besteht im Verhältnis zu common law-Staaten weiterhin eine Sonderregelung. Das AUG v 19.12.1986365 sah ein dem UNUÜ 1956 entsprechendes Verwaltungsverfahren für die Geltendmachung deutscher Unterhaltsansprüche im Ausland (§§ 3 ff.) und ausländischer Ansprüche im Inland (§§ 7 f.) vor (s. Rz. 15.311 ff.). Soweit ein Titel bereits vorliegt, wollte das Gesetz die Voraussetzungen für die Anerkennung durch förmliche Feststellung der Gegenseitigkeit mit US-Staaten und anderen common law-Staaten schaffen. Das Gesetz war deshalb ähnlich wie der US-amerikanische RURESA (Revised Uniform Reciprocal Enforcement of Support Act) konzipiert.366 Bei der Neufassung des AUG 2011 wurde diese Konzeption beibehalten. Das Bundesamt für Justiz ist zentrale Behörde in Deutschland und wird als Empfangsbehörde für eingehende Besuche sowie als Übermittlungsbehörde für ausgehende Gesuche tätig (§ 5 I AUG) und unternimmt alles Nötige, um den Unterhaltsanspruch durchzusetzen (§ 5 II AUG).
15.319
Wie beim UNUÜ kann sich ein Unterhaltsberechtigter in Deutschland an das AG am Sitz des für seinen gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen OLG als Justizverwaltungsbehörde wenden, damit diese über die Empfangsstelle des ausländischen Staats den Unterhaltsanspruch geltend macht (§§ 7 ff. AUG).
15.320
Liegt bereits ein gerichtlicher Unterhaltstitel vor, so kann der Unterhaltsberechtigte beantragen, dass die Entscheidung im Ausland registriert wird (§ 12 AUG). Der Antrag kann nicht nur für gerichtliche Entscheidungen, sondern auch für „sonstige Titel“ gestellt werden. Leider genügen die beliebten vollstreckbaren Urkunden der Jugendämter oder notarielle Urkunden insoweit nicht.
15.321
Bei Gesuchen, die vom Ausland in Deutschland eingehen, hat das Bundesamt für Justiz als zentrale Behörde den Anspruch im Namen des Berechtigten außergerichtlich oder gerichtlich geltend zu machen (§§ 4, 5 AUG) (s. Rz. 15.311). Liegt ein Titel vor, hat er die Vollstreckbarerklärung mittels Vollstreckungsantrag herbeizuführen (§ 5 IV AUG).
15.322
Durch die Vereinbarung mit dem common law-Staat ist lediglich die Gegenseitigkeit eindeutig festgelegt (§ 1 I Nr. 3 AUG 2011). Mit welchen Staaten, Teilstaaten
15.323
364 BGBl. 1986 I, 2563. 365 BGBl. 1986 I, 2563. 366 Vgl. V. Sich, S. 23 ff.
923
§ 15 Rz. 15.323 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
und Provinzen die Gegenseitigkeit förmlich vereinbart ist, ist durch Bekanntmachung v 18.6.2011 neu festgestellt worden.367 Die Gegenseitigkeit besteht danach im Verhältnis zu folgenden Einzelstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika (zum Teil mit Einschränkungen): Alaska, Arizona, Arkansas, Colorado (nur Kindesunterhalt), Connecticut, Delaware, Florida, Georgia, Hawaii, Idaho, Illinois, Indiana, Iowa (Kindesunterhalt; Ehegattenunterhalt nur in Verbindung mit Kindesunterhalt), Kalifornien, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maryland, Massachusetts, Michigan, Minnesota, Missouri, Montana, Nevada, New Hampshire (nur Kindesunterhalt), New Jersey, New Mexiko, New York, North Carolina, North Dakota, Ohio, Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina (nur Kindesunterhalt) South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia (Kindesunterhalt; Ehegattenunterhalt nur, wenn zusammen mit Kindesunterhalt), Washington, West Virginia, Wisconsin (nur Kindesunterhalt) and Wyoming; in Kanada mit Alberta, British Columbia, Manitoba, Neu-Braunschweig, Neufundland und Labrador, Neu-Schottland, Nordwest-Territorien, Ontario, Prince Edward Island, Saskatchewan und Yukon-Territory. Die Gegenseitigkeit ist außerdem mit Südafrika vereinbart. Da im Verhältnis zu den USA seit 1.1.2017 das HUÜ 2007 gilt (s. Rz. 15.260 ff.), kommt ein Vorgehen aufgrund der Gegenseitigkeitsvereinbarung nach § 1 Nr. 3 u. § 64 AUG nur noch für Altentscheidungen in Betracht.368
15.324 Für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel enthält § 64 AUG 2011 insoweit eine Modifizierung. Die Bestimmung lautet: „Vollstreckbarkeit ausländischer Titel. (1) Die Vollstreckbarkeit ausländischer Titel in Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 richtet sich nach § 110 Absatz 1 und 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Rechtskraft der Entscheidung ist für die Vollstreckbarerklärung nicht erforderlich. (2) Ist der ausländische Titel für vollstreckbar zu erklären, so kann das Gericht auf Antrag einer Partei in seinem Vollstreckungsbeschluss den in dem ausländischen Titel festgesetzten Unterhaltsbetrag hinsichtlich Höhe und Dauer der zu leistenden Zahlungen abändern. Ist die ausländische Entscheidung rechtskräftig, so ist eine Abänderung nur nach Maßgabe des § 238 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zulässig.“
15.325 Bei der Neufassung des AUG 2011 wurde die bisherige Regelung an das FamFG angepasst. Die Vollstreckbarkeit ist nunmehr auf Antrag durch Beschluss auszuspre-
367 BGBl. 2011 I, 1109. 368 Prütting/Helms/Hau, FamFG, 4. Aufl. 2018, Anh 2 § 110 Rz. 4; St. Schlauß/Th. Meysen, Ratifizierung des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 durch die USA, JAmt 20017, 2.
924
III. Vollstreckbarerklärung in Unterhaltssachen | Rz. 15.331 § 15
chen (§ 110 II FamFG). Nach der ausdrücklichen Klarstellung in § 64 I 2 AUG hängt die Vollstreckbarerklärung nicht von der Rechtskraft der Entscheidung ab. Unterhaltsentscheidungen, die in einem einseitigen Verfahren (ex parte), z.B. in Kanada ergangen sind, werden nicht anerkannt und können nicht für vollstreckbar erklärt werden; sie gelten aber als Gesuch für die Geltendmachung des Anspruchs im Inland (§ 15 AUG 2011).369
15.326
Zuständig für die Vollstreckbarerklärung ist das Familiengericht, da es sich um eine Familienstreitsache handelt. Die Zuständigkeitsregelung des § 110 III FamFG ist nach § 64 I 1 AUG nicht anwendbar. Nach der Korrektur durch das Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens von 2007 v. 20.2.2013 gilt § 35 AUG auch für Vollstreckbarerklärungen nach Abschnitt 5, also auch für § 64 AUG.370 Zuständig ist daher nach § 35 I AUG ausschließlich das AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk (1) sich der Titelschuldner gewöhnlich aufhält, oder (2) die Vollstreckung durchgeführt werden soll. In Berlin (Bezirk des KG) ist das AG Pankow-Weißensee zuständig.
15.327
Gegen die Entscheidung des Familiengerichts kann Beschwerde und Rechtsbeschwerde eingelegt werden (§§ 43 ff. AUG). Die Beschwerde ist entsprechend § 117 I FamFG zwingend zu begründen.371 Wird die Beschwerde als unzulässig verworfen, ist die Rechtsbeschwerde zulassungsfrei statthaft.372 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung wird ggf. nach § 113 I FamFG, § 240 ZPO unterbrochen.373
15.328
Da es vor der Vollstreckbarerklärung im Inland an einem Titel fehlt, soll der Schuldner bereits im Verfahren der Vollstreckbarerklärung Einwendungen gegen den Titel, wie Erfüllung, Verzicht, Verjährung, Stundung, vorbringen können, soweit diese Einwendungen nach dem für das ausländische Verfahren maßgeblichen Präklusionszeitpunkt entstanden sind.
15.329
Außerdem kann der Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach § 64 II 1 AUG 2011 mit einem Abänderungsantrag verbunden werden. Ist die ausländische Entscheidung rechtskräftig, darf die Abänderung gem. § 64 II 2 AUG nur nach Maßgabe des § 238 FamFG erfolgen.374
15.330
Ein Vollstreckungsabwehrantrag nach § 120 I FamFG i.V.m. § 767 ZPO ist erst nach Erlass der Vollstreckbarerklärung zulässig.375
15.331
369 370 371 372 373 374
Vgl. M. Andrae, § 10 Rz. 270. BGBl. I, 273; vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 15.8.2012, BT-Drucks. 17/10492. BGH, FamRZ 2018, 1347 (Rz. 15). BGH, FamRZ 2018, 1347 (Rz. 13). BGH, FamRZ 2018, 1347 (Rz. 23 ff.). Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 722 ZPO Rz. 59; zum inhaltsgleichen § 10 II AUG 1986 vgl. Ch. Böhmer, IPRax 1987, 139; S. Uhlig/P. Berard, NJW 1987, 1521; V. Sich, S. 99 ff.; für separate Abänderungsklage S. Seidl, S. 142 ff. (unter Berufung auf Entscheidungen, die nicht zum AUG ergangen sind). 375 M. Andrae, § 10 Rz. 272.
925
§ 15 Rz. 15.332 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.332 Das AUG gilt auch für übergegangene oder übergeleitete Unterhaltsansprüche, also für Regressgläubiger.376 f) Vollstreckbarerklärung von Unterhaltsentscheidungen aus anderen Drittstaaten
15.333 Unterhaltsentscheidungen aus sonstigen Drittstaaten werden vom AUG 2011 nicht erfasst. Sie sind daher auf Antrag im Beschlussverfahren nach § 110 II, III (i.V.m. § 95 I Nr. 1) FamFG für vollstreckbar zu erklären.377 Voraussetzung ist insoweit die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung (§ 110 III 2 FamFG).378 Nach dem Günstigkeitsprinzip gilt dies auch für Entscheidungen aus Israel und Tunesien, die unter den deutsch-israelischen Vertrag (s. Rz. 15.153) bzw. den deutschtunesischen Vertrag (s. Rz. 15.190) fallen.379
15.334 Zuständig ist das Familiengericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat oder in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners befindet (§ 110 III 1 FamFG). 15.335 Unterhaltsvergleiche und vollstreckbare Urkunden aus solchen Drittstaaten können nicht für vollstreckbar erklärt werden. Insoweit ist nur eine neue Leistungsklage im Inland möglich.
IV. Andere Familiensachen A. Personenrechtliche Entscheidungen 1. Schrifttum
15.336 S. Dornblüth, Die europäische Regelung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von
Ehe- und Kindschaftsentscheidungen, 2003; M. Frank, Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 29, 2. Aufl. 2010, S. 1591; U.P. Gruber, Das neue Internationale Familienverfahrensgesetz, FamRZ 2005, 1603; T. Hub, Die Neuregelung der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen und das familienrechtliche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, NJW 2001, 3145; K. SchulteBunert, Die Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung nach der VO (EG) 2201/2003 in Verbindung mit dem IntFamRVG, FamRZ 2007, 1608; D. Solomon, „Brüssel IIa“ – Die neuen europäischen Regeln zum Internationalen Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, FamRZ 2004, 1409; R. Wagner, Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach der Brüssel II-Verordnung, IPRax 2001, 73; G. Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001. 376 B. Brückner, Unterhaltsregress im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1994, S. 163 f. 377 BGH, FamRZ 2015, 2043 (P. Gottwald); G. Hohloch FPR 2012, 495, 499; M. Andrae, § 10 Rz. 263. 378 M. Andrae, § 10 Rz. 267. 379 Schwab/Ernst/Streicher, § 11 Rz. 198 ff., 206 ff.
926
IV. Andere Familiensachen | Rz. 15.340 § 15
2. Sorgerechtsentscheidungen a) Nach den Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO (VO [EG] Nr. 2201/2003, „EuEheVO“) können Entscheidungen eines Mitgliedstaats über die elterliche Verantwortung für ein Kind, die im Erlassstaat vollstreckbar und zugestellt worden sind, nach Vollstreckbarerklärung auch in einem anderen Mitgliedsstaat vollstreckt werden. Im Verfahren der Vollstreckbarerklärung ist dem Kind kein Verfahrensbeistand zu bestellen.380
15.337
Entscheidungen, die die elterliche Sorge neu regeln, sie einem anderen Elternteil oder einem Dritten zuweisen, sind freilich rechtsgestaltender Art und bedürfen daher keiner Vollstreckung. Für eine Vollstreckung in Betracht kommen daher nur Umgangsregelungen381 und Titel über die Herausgabe382 oder Unterbringung383 eines Kindes sowie Kostenentscheidungen bei Sorgerechtsverteilungen und den entsprechenden Kostenfestsetzungen. Öffentliche Urkunden und Vergleiche sind (soweit solche überhaupt zulässig sind) den Entscheidungen gleichgestellt (Art. 46 Brüssel IIa-VO).384
15.338
Umgangsregelungen und Anordnungen über die Rückgabe eines Kindes nach Art. 11 VIII Brüssel IIa-VO können auf Antrag des Trägers der elterlichen Verantwortung nach den Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO für vollstreckbar erklärt werden.385 Der Sorgeberechtigte hat aber die freie Wahl, ob er den Titel im Ursprungsstaat als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen (s. Rz. 14.122) oder ob er ihn im Vollstreckungsstaat für vollstreckbar erklären lassen will (Art. 40 II EheGVO). Die Vollstreckung darf aber nicht angeordnet werden, bevor die zu vollstreckende Entscheidung den betroffenen Eltern/Elternteilen zugestellt wurde.386
15.339
Einstweilige Anordnungen eines Gerichts eines EU-Mitgliedstaates sind ebenfalls nach Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO für vollstreckbar zu erklären. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Gericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat. Hat das Gericht die Anordnung gem. Art. 20 I Brüssel IIa-VO auf nationale Zuständigkeitsregeln gestützt, kann die Anordnung in anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt (s. Rz. 13.66 f.) und für vollstreckbar erklärt werden.387 Ergibt sich die Zuständigkeit nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO nicht aus der Entscheidung, ist davon auszuge-
15.340
380 BGHZ 205, 10 = FamRZ 2015, 1012 (dazu W. Hau, S. 1102). 381 Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 28 Brüssel IIa-VO Rz. 3; a.A. Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht, S. 136 (nur wirkliche Leistungsurteile). 382 Vgl. EuGH – C-325/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 – Hampshire County Council (Rz. 54 ff.), FamRZ 2019, 56; BGHZ 205, 10 = FamRZ 2015, 1012. 383 EuGH – C-92/12 PPU, ECLI:EU:C:2012:255 – HSE v S.C. u A.C. (Rz. 107 ff.), FamRZ 2012, 1466; dazu J. Pirrung, IPRax 2013, 404. 384 Krit R. Geimer, IPRax 2000, 366, 368. 385 EuGH – C-325/18 PPU u. C-375/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 – C.E. u. N. E. (Rz. 55 ff.), FamRZ 2019, 56; vgl. U. P. Gruber, FamRZ 2005, 1603, 1607 f. 386 EuGH – C-325/18 PPU u. C-375/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 – C.E. u. N. E. (Rz. 75), FamRZ 2019, 56. 387 EuGH – C-256/09, ECLI:EU:C:2010:437 – Purrucker, FamRZ 2010, 1521 = IPRax 2011, 378 (dazu J. Pirrung, S. 351).
927
§ 15 Rz. 15.340 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
hen, dass sie nicht aufgrund einer Zuständigkeit nach der Brüssel IIa-VO ergangen ist.388
15.341 Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist beim Familiengericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen (§ 16 II IntFamRVG). Örtlich zuständig ist das Familiengericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners oder des Kindes, auf das sich der Antrag bezieht. Befinden sich beide im Ausland, ist auf den Ort der Vollstreckung abzustellen (Art. 29 II Brüssel IIa-VO). § 12 IntFamRVG hat diese Zuständigkeiten auf das Familiengericht am Sitz des OLG konzentriert. 15.342 Das Verfahren erster Instanz wird ohne Beteiligung des Gegners und grundsätzlich schriftlich durchgeführt (§ 18 I IntFamRVG). Ein Anwaltszwang besteht im ersten Rechtszug nicht (§ 18 II IntFamRVG). Das Gericht prüft, ob Anerkennungshindernisse nach Art. 23 Brüssel IIa-VO vorliegen. Die Entscheidung, mit der das Gericht die Zwangsvollstreckung zulässt, wird aber erst mit Rechtskraft wirksam (§ 22 I IntFamRVG). Soweit ein Beschluss über die freiheitsentziehende Unterbringung eines Kindes für vollstreckbar erklärt wird, hat das Gericht aber die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anzuordnen (§ 22 II IntFamRVG). 15.343 Gegen die Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Zustellung (Art. 33 V 1 Brüssel IIa-VO) die Beschwerde zum OLG eingelegt werden. Diese Frist kann nicht verlängert werden.389 Die Beschwerde kann nach § 24 I IntFamRVG schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden. Im Beschwerdeverfahren wird beiden Seiten rechtliches Gehör gewährt (Art. 33 III Brüssel IIa-VO). Solange keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, besteht kein Anwaltszwang (§ 26 II 1 IntFamRVG). Auch der Beschluss des OLG wird erst mit Rechtskraft wirksam (§ 27 I IntFamRVG). Das OLG kann aber die sofortige Wirksamkeit seines Beschlusses anordnen (§ 27 II IntFamRVG). 15.344 Gegen den Beschluss des OLG findet Rechtsbeschwerde an den BGH statt (§ 28 IntFamRVG). Die Rechtsbeschwerde ist aber nur zulässig, wenn der BGH findet, dass sie Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 28 IntFamRVG i.V.m. § 574 II ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der OLGEntscheidung einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats ab Zustellung zu begründen (§ 575 II ZPO). Es besteht Anwaltszwang; die Rechtsbeschwerde ist durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen.390 Der BGH prüft nur, ob die Entscheidung des OLG auf einem Rechtsverstoß beruht (§ 30 I IntFamRVG). Gemäß § 30 III IntFamRVG kann er die vom OLG angeordnete sofortige Wirksamkeit der Entscheidung aufheben oder die sofortige Wirksamkeit erstmals anordnen.
388 BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542 (T. Helms); BGH, FamRZ 2016, 799 (A. Schulz) = IPRax 2017, 491 (dazu U. P. Gruber); M. Andrae, § 9 Rz. 188. 389 EuGH – C-325/18 PPU u. C-375/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 – C.E. u. N. E. (Rz. 82), FamRZ 2019, 56 . 390 Lipp in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 7.
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IV. Andere Familiensachen | Rz. 15.349 § 15
Sobald die Vollstreckbarerklärung wirksam ist, erteilt in Deutschland der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auf Antrag die Vollstreckungsklausel (§ 23 IntFamRVG). Die Vollstreckung erfolgt nach dem Recht des jeweiligen EU-Mitgliedstaates, in Deutschland gem. § 44 IntFamRVG.346
15.345
Unterbringungsentscheidungen, die mit Freiheitsentziehung gegenüber einem Kind verbunden sind, müssen vor ihrem Vollzug im ersuchten Vollstreckungsstaat für vollstreckbar erklärt werden. Da solche Entscheidungen i.d.R. rasch vollzogen werden müssen, hat die Vollstreckbarerklärung besonders schnell zu erfolgen. Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckbarerklärung dürfen in solchen Fällen keine aufschiebende Wirkung haben.391 Wird eine Unterbringung zunächst nur befristet angeordnet, so bedarf eine Verlängerungsentscheidung einer erneuten Vollstreckbarkeitserklärung.392
15.346
Wird die Entscheidung in einem Ex-parte-Verfahren für vollstreckbar erklärt, so darf sie nicht vollstreckt werden, bevor sie den betroffenen Eltern zugestellt wurde und diese nach Art. 33 einen Rechtsbehelf einlegen und einen etwaigen Anerkennungsversagungsgrund geltend machen konnten.393 Die in Art. 33 V Brüssel IIa-VO vorgesehene Rechtsbehelfsfrist kann das angerufene Gericht nicht verlängern.394
15.347
b) Das europäische Übereinkommen v. 15.5.2003 über den Umgang von und mit Kindern395 ist von Deutschland nicht ratifiziert worden. Es regelt die Beilegung von Umgangsstreitigkeiten (Art. 7), die internationale Zusammenarbeit von Justiz, zentralen Behörden und sozialen Diensten zur Durchführung des grenzüberschreitenden Umgangs (Art. 11 ff.) sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Umgangsund Sorgerechtsentscheidungen (Art. 14 ff.).396 Vertragsstaaten sind Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Malta, Rumänien, San Marino, Tschechien und die Türkei.
15.348
c) Nach Art. 26 Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) v. 19.10.1996397 sind nach dem Übereinkommen getroffene Maßnahmen des Kinderschutzes, die im Erlassstaat vollstreckbar sind, auf Antrag für vollstreckbar zu erklären oder zur Vollstreckung zu registrieren. In Deutschland richtet sich das Verfahren nach §§ 16 ff. IntFamRVG, entspricht also dem bei der Vollstreckbarerklärung von Titeln nach der Brüssel IIa-VO (s. Rz. 15.341 ff.).
15.349
391 EuGH – C-92/12 PPU – HSE v S.C. u A.C. (Rz. 118 ff., 128 ff., 133), FamRZ 2012, 1466; EuGH – C-325/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 (Rz. 65), FamRZ 2019, 56. 60. 392 EuGH – C-92/12 PPU – HSE v S.C. u A.C. (Rz. 134 ff., 143 f.), FamRZ 2012, 1466. 393 EuGH – C-325/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 – Hampshire County Council (Rz. 69 ff., 75), FamRZ 2019, 56, 60. 394 EuGH – C-325/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 – Hampshire County Council (Rz. 82), FamRZ 2019, 56, 61. 395 Text bei Staudinger/Pirrung, (2018), Vorbem. H zu Art. 19 EGBGB. 396 Vgl. G. Schomburg, Das Übereinkommen des Europarats über den Umgang mit Kindern, Kind-Prax spezial 2004, 7. 397 BGBl. 2009 II, 603.
929
§ 15 Rz. 15.350 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.350 d) Nach Art. 7 Europ. Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) v 20.5.1980398 werden Sorgerechtsentscheidungen der Vertragsstaaten (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Moldau, Montenegro, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, der Schweiz, Serbien, der Slowakei, der Tschechischen Republik, der Türkei, der Ukraine, Ungarn, dem Vereinigten Königreich und Zypern) anerkannt und, wenn sie im Ursprungsstaat vollstreckbar sind, auch für vollstreckbar erklärt. Im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten hat aber die Brüssel IIa-VO (Art. 60 lit. d Brüssel IIa-VO) Vorrang (s. Rz. 13.73 ff., 13.80 ff.). Auch Entscheidungen über die Herausgabe eines Kindes aus Nicht-EU-Vertragsstaaten des ESÜ 1980 sind nach Art. 7 ff. ESÜ i.V.m. §§ 16 ff. IntFamRVG für vollstreckbar zu erklären und mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen.399
15.351 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung richtet sich nach §§ 16 ff., 19 IntFamRVG.400 Örtlich zuständig ist (sofern keine Ehesache anhängig ist) das Familiengericht, (1) in dessen Bezirk sich das Kind zur Zeit des Eingangs des Antrags gewöhnlich aufhält, (2) hilfsweise in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge besteht, hilfsweise das im Bezirk des KG zuständige Familiengericht (§ 10 IntFamRVG). Nach § 16 I IntFamRVG wird der Titel mit einer Vollstreckungsklausel versehen. Art. 15 ESÜ sieht allerdings vor, dass vor einer Entscheidung die Meinung des Kindes festzustellen ist, so dass ein einseitiges Verfahren ausscheidet.
15.352 Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ist in den Fällen der Art. 8, 9 sowie 10 I (a) oder (b) ESÜ ausgeschlossen (§ 19 IntFamRVG).401 15.353 e) Autonomes deutsches Recht. Sorgerechtsentscheidungen aus Drittstaaten, auch Rückführungsentscheidungen nach dem HKÜ,402 fallen nicht unter § 95 I FamFG und bedürfen daher im Gegenschluss aus § 110 II FamFG keiner Vollstreckbarerklärung. Die Vollstreckung erfolgt unmittelbar nach §§ 86 ff. FamFG. Das zuständige Vollstreckungsorgan prüft dann die Anerkennungsfähigkeit inzident (vgl. § 110 I FamFG).403 In Betracht kommen insoweit Entscheidungen über die Kindesherausgabe oder zum Umgangsrecht.404 Nach Rauscher erfolgt die Vollstreckbarerklärung in diesen Fällen durch (auch konkludente) Zwischenentscheidung.405 Soweit Entscheidungen zum Umgangsrecht vollstreckt werden sollen, ist auch ein Vermittlungsverfahren nach § 165 FamFG durchzuführen.406 398 399 400 401 402 403
BGBl. 1990 II, 220. Vgl. M. Jorzik, Das neue zivilrechtliche Kindesentführungsrecht, 1995. BGBl. 2005 I, 162. Vgl. M. Jorzik, Das neue zivilrechtliche Kindesentführungsrecht, 1995. Vgl. K. Niethammer-Jürgens, FPR 2004, 306. Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff, § 110 FamFG Rz. 5; Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Rz. 15. 404 Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Rz. 13. 405 Rauscher in MünchKomm/FamFG, § 110 FamFG Rz. 8. 406 M. Andrae, § 9 Rz. 198.
930
IV. Andere Familiensachen | Rz. 15.358 § 15
3. Erwachsenenschutz Vollstreckbare Entscheidungen, die unter das ErwSÜ 2000 fallen, werden gem. Art. 25 I ErwSÜ in jedem Vertragsstaat nach seinem eigenen Verfahrensrecht für vollstreckbar erklärt oder zur Vollstreckung registriert. Die Vollstreckbarerklärung kann versagt werden, wenn ein Anerkennungshindernis gem. Art. 22 II ErwSÜ vorliegt. Sie kann also grundsätzlich nach einem günstigeren nationalen Recht gewährt werden. Da § 109 I FamFG aber dieselbe Regelung vorsieht, ist diese Möglichkeit für Deutschland wohl ohne Bedeutung.407
15.354
Jeder Vertragsstaat wendet dabei ein einfaches und schnelles Verfahren an (Art. 25 II ErwSÜ). In Betracht kommen Entscheidungen zur zwangsweisen Unterbringung oder ärztlichen Behandlung des Betroffenen, aber auch etwa die Zwangsveräußerung eines Grundstücks zur Bestreitung von Pflegekosten.408 In Deutschland richtet sich das Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach den §§ 108, 109 FamFG (§ 8 I 1 ErwSÜAG). Gem § 10 ErwSÜAG erfolgt die Vollstreckbarerklärung (parallel zu § 20 IntFamRVG) dadurch, dass der ausländische Titel mit einer Vollstreckungsklausel versehen wird.
15.355
Zuständig für die Vollstreckbarerklärung ist das AG – Betreuungsgericht – am Sitz des OLG für dessen Bezirk (§ 6 I ErwSÜAG). Örtlich zuständig ist das Betreuungsgericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Antragstellung hat (§ 6 III 1 ErwSÜAG). Fehlt ein solcher Aufenthalt oder ist er nicht feststellbar, so ist das Betreuungsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Fürsorgebedürfnis hervortritt (§ 6 III 2 ErwSÜAG). Hilfsweise ist das AG Schöneberg in Berlin zuständig (§ 6 I 2, III 3 ErwSÜAG).
15.356
Betrifft die Entscheidung eine Unterbringung oder eine ärztliche Behandlung, ist der Betroffene vor der Vollstreckbarerklärung persönlich anzuhören (§ 8 II ErwSÜAG). Der Beschluss über die Vollstreckbarerklärung ist zu begründen (§ 8 IV ErwSÜAG). Er unterliegt der Beschwerde (§ 8 VI ErwSÜAG).
15.357
4. Gewaltschutz a) EU-Schutzmaßnahmen-Verordnung Unterlassungsanordnungen zum Gewaltschutz bedürfen der Vollstreckung nur insoweit, als Sanktionen bei einem Verstoß zu verhängen sind. Als vollstreckungsbedürftige Schutzmaßnahmen,409 die in einem EU-Mitgliedstaat angeordnet wird, sind sie freilich in jedem anderen EU-Mitgliedstaat anzuerkennen und ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckbar (Art. 4 I EuSchutzMVO; § 17 EuGewSchVG) (s. Rz. 14.118). 407 Staudinger/v. Hein, (2019), Art. 22 ErwSÜ Rz. 4 ff. 408 Staudinger/v. Hein, (2019), Art. 25 ErwSÜ Rz. 1 ff.; T. Guttenberger, Das Haager Übereinkommen, 2004, S. 210 ff. 409 Vorschlag für Verordnung ... über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen v. 18.5.2011, KOM (2011) 276 endg.
931
15.358
§ 15 Rz. 15.359 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.359 Die Vollstreckung selbst richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats; Gleiches gilt für Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung sowie für die Anpassung einer ausländischen Schutzmaßnahme in eine im Vollstreckungsstatt vorgesehene, sofern insoweit Unterschiede bestehen (Art. 11 EuSchutzMVO). b) EuGVO/LugÜ
15.360 Entscheidungen zum Gewaltschutz liegt in der Regel eine unerlaubte Handlung zugrunde,410 so dass entsprechende Entscheidungen auch nach Art. 39 ff. EuGVO n.F. anzuerkennen und zu vollstrecken bzw. nach Art. 38 ff. LugÜ für vollstreckbar zu erklären sind (s. Rz. 12.21 ff., Rz. 14.7 ff.). c) Autonomes Recht
15.361 Gewaltschutzentscheidungen ergehen in der Regel im Rahmen einstweiliger Anordnungen bzw. Verfügungen. Da diese nicht in der Rechtskraft erwachsen, können Entscheidungen aus Nicht-EU-Staaten nach § 723 II 1 ZPO im Inland nicht für vollstreckbar erklärt werden. B. Vermögensrechtliche Entscheidungen 1. Kostenentscheidungen in Ehesachen
15.362 Über Art. 49 Brüssel IIa-VO sind die Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO auch auf die Vollstreckbarerklärung von Kostenentscheidungen in Ehesachen anwendbar.411 15.363 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung entspricht weitgehend dem nach Art. 38 ff. EuGVO.412 Seine Details sind in dem neuen Internationalen Familienverfahrensgesetz (IntFamRVG) v. 26.1.2005 geregelt.413 Sinn der Abweichungen und Ergänzungen ist die Anpassung an die sonstigen Regeln des FamFG-Verfahrens. 15.364 Zuständig ist in erster Instanz das Familiengericht am Sitz des OLG (§ 12 IntFamRVG). Örtlich zuständig ist das Gericht, das für den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollstreckungsgegners bzw. des betroffenen Kindes, oder falls sich diese im Ausland befinden, für den Ort der Vollstreckung zuständig ist (Art. 29 Brüssel IIa-VO). 15.365 In erster Instanz findet ein einseitiges Klauselerteilungsverfahren statt; weder der Vollstreckungsgegner noch das Kind werden gehört (Art. 31 I Brüssel IIa-VO; § 18 IntFamRVG). 15.366 Abweichend von Art. 41 Satz 1 EuGVO a.F. hat aber bereits die erste Instanz etwaige Versagungsgründe nach den Art. 22, 23 und 24 Brüssel IIa-VO von Amts wegen zu 410 Prütting/Helms/Hau § 105 FamFG Rz. 13. 411 Vgl. BGHZ 163, 248, 264 = FamRZ 2005, 1540, 1545 = NJW 2005, 3424 (zur Brüssel IIVO); Hüßtege in Thomas/Putzo, Vorbem. vor Art. 28–35 EuEheVO Rz. 1. 412 Vgl. G. Winkel, S. 117 ff.; R. Wagner, IPRax 2001, 73, 79. 413 Vgl. U. P. Gruber, FamRZ 2005, 1603 ff.
932
IV. Andere Familiensachen | Rz. 15.370 § 15
prüfen (Art. 31 II Brüssel IIa-VO).414 Eine sachliche Überprüfung der Entscheidung ist unzulässig (Art. 31 III Brüssel IIa-VO).
Wie in der EuGVO a.F. darf auch in der Brüssel IIa-VO die internationale Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats nicht nachgeprüft werden (Art. 24 Satz 1 Brüssel IIa-VO). Eine Überprüfung ist auch im Rahmen der ordre public-Kontrolle untersagt (Art. 24 Satz 2 Brüssel IIa-VO). Dieses Verbot erstreckt sich aber nicht auf die Zuständigkeit aufgrund einer Verweisung an das besser geeignete Gericht nach Art. 15 Brüssel IIa-VO. Da diese Zuständigkeit nur durch Zusammenwirken der Gerichte des abgebenden und des aufnehmenden Staats begründet werden kann, ist es aber erst recht nicht gerechtfertigt, sie im Rahmen einer ordre public-Prüfung zu kontrollieren.415
15.367
Gegen die positive oder negative Entscheidung steht jeder Partei ein Rechtsbehelf (Beschwerde) an das OLG zu (Art. 33 I, II i.V.m. Art. 68 Brüssel IIa-VO; § 24 IntFamRVG). Gegen dessen Entscheidung gibt es bei Zulassung durch das OLG die Rechtsbeschwerde an den BGH (Art. 34, 68 Brüssel IIa-VO i.V.m. §§ 28 ff. IntFamRVG). Bei Zweifeln über die Auslegung der Brüssel IIa-VO kann bereits das OLG die Rechtsfrage dem EuGH nach Art. 267 AEUV vorlegen.416
15.368
2. Güterrechtliche Entscheidungen a) Europäisches Recht (1) Keine Zivil- oder Handelssachen Verfahren, die die ehelichen Güterstände betreffen, sind vom Anwendungsbereich der EuGVO und des LugÜ ausgenommen (Art. 1 II lit. a EuGVO/LugÜ). Unter die Ausnahme fallen nicht nur Streitigkeiten aus dem Güterrecht im engeren Sinne, sondern alle Verfahren über vermögensrechtliche Beziehungen zwischen den Parteien, die sich aus der Ehe oder ihrer Auflösung ergeben.417
15.369
(2) EuGüVO Schrifttum: H. Schneider, Verfahren und Kosten bei der Anerkennung und Vollstreckung von güterrechtlichen Entscheidungen nach dem IntGüRVG, FamRB 2020, 161.
Güterrechtliche Entscheidungen aus den 18 EU-Mitgliedstaaten, die sich an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligen,418 und in Verfahren ergehen, die ab dem 29.1.2019 eingeleitet werden, sind bei ehelichen Paaren nach Art. 42 ff. EuGüVO (Nr. 2016/1103), bei eingetragenen Partnern nach Art. 42 ff. EuPartVO (Nr. 2016/ 1104) auf Antrag für vollstreckbar zu erklären. Güterrechtlich sind insoweit Ent414 415 416 417
T. Hub, NJW 2001, 3145, 3148; B. Ancel/H. Muir Watt, Rev.crit. 2001, 403, 453. So zu Recht D. Solomon, FamRZ 2004, 1409, 1418. T. Hub, NJW 2001, 3145, 3149. Kropholler/v. Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 27; Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 58. 418 Es sind dies außer Deutschland Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik und Zypern.
933
15.370
§ 15 Rz. 15.370 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
scheidungen über sämtliche vermögensrechtliche Regelungen zwischen den Ehegatten (Lebenspartnern) und Dritten aufgrund der Ehe (Lebenspartnerschaft) oder ihrer Auflösung (Art. 3 I lit. a EuGüVO/EuPartVO). Gleiches gilt für öffentliche Urkunden über güterrechtliche Ansprüche (Art. 58 f. EuGüVO) und für Prozessvergleiche in güterrechtichen Verfahren (Art. 60 EuGüVO).
15.371 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung richtet sich in Deutschland nach §§ 4 ff. IntGüRVG. Zuständig ist das AG am Sitz des OLG, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat oder in dessen Bezirk vollstreckt werden soll (§ 4 II IntGüRVG). Mit seinem Antrag hat der Antragsteller eine Ausfertigung des mit der Vollstreckungsklausel zu versehenden Titels samt Übersetzung in die deutsche Sprache sowie je zwei Abschriften vorzulegen (§ 5 IV IntGüRVG). In erster Instanz besteht kein Anwaltszwang (§ 6 II IntGüRVG). Das Gericht entscheidet grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung (§ 6 I IntGüRVG). 15.372 Ist der Titel zur Vollstreckung zuzulassen, wird er mit der Vollstreckungsklausel (gem. § 9 IntGüRVG) versehen; andernfalls wird der Antrag durch Beschluss abgelehnt (§ 8 IntGüRVG). 15.373 Wird positiv entschieden, sind dem Gegner der Beschluss, der mit der Vollstreckungsklausel versehene Titel, seine Übersetzung sowie etwaige zur Begründung in Bezug genommene Urkunden in beglaubigter Abschrift zuzustellen (§ 10 I 1 IntGüRVG). Dem Antragsteller werden eine beglaubigte Abschrift des zulassenden Beschlusses, die Ausfertigung des Titels mit Vollstreckungsklausel sowie eine Bescheinigung über die Zustellung an den Gegner formlos übersendet (§ 10 I 2 IntGüRVG). 15.374 Gegen die Entscheidung erster Instanz kann bei dem Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, schriftlich Beschwerde eingelegt werden (§ 11 II IntGüRVG). Ein Mindestbeschwerdewert besteht nicht (§ 11 III IntGüRVG). Über die Beschwerde entscheidet das OLG (§ 11 I IntGüRVG) durch Beschluss, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann (§ 12 I IntGüRVG). 15.375 Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts kann innerhalb eines Monats ab dessen Zustellung Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt werden, wenn sie das OLG in seinem Beschluss zugelassen hat (§ 13 I-III IntGüRVG). Eine Sprungrechtsbeschwerde ist ausgeschlossen (§ 13 IV IntGüRVG). b) Autonomes Recht
15.376 Güterrechtliche Entscheidungen sind nach autonomen deutschen Recht für vollstreckbar zu erklären, wenn sie rechtskräftig sind (§ 110 III 2 FamFG). Die Vollstreckbarerklärung erfolgt im Beschlussverfahren nach § 110 II FamFG (§ 95 I Nr. 1 FamFG). Sie kann nicht erfolgen, wenn ein Anerkennungsversagungsgrund nach § 109 FamFG vorliegt (§ 110 I FamFG). 15.377 Zuständig ist das Familiengericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat oder in dessen Bezirk Vermögen des Schuldners belegen ist (§ 110 III 1 FamFG). 934
IV. Andere Familiensachen | Rz. 15.384 § 15
3. Ehewohnungs- und Haushaltssachen Verfahren über die Zuweisung von Ehewohnung und Haushalt sind i.S.d. Art. 1 II lit. a EuGVO/LugÜ güterrechtlich zu qualifizieren,419 werden also von EuGVO/ LugÜ nicht erfasst. Im Verhältnis zu den teilnehmenden Staaten gelten insoweit seit 29.1.2019 die EuGüVO und die EuPartVO. Nach deren Art. 3 I lit.a erfasst sie sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen zwischen den Ehegatten bzw. Lebenspartnern. Ehewohnungs- und Hausratsentscheidungen sind daher nach Art. 42, 44 ff. EuGüVO/EuPartVO für vollstreckbar zu erklären (s. Rz. 15.370 ff.).
15.378
Soweit die EuGüVO/EuPartVO nicht anwendbar ist, sind entsprechende Entscheidungen auf Herausgabe nach autonomem Recht anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Herausgabetitel für bewegliche420 und unbewegliche Sachen (§ 95 I Nr. 2 FamFG) werden nach § 110 II FamFG auf Antrag durch Beschluss für vollstreckbar erklärt, sobald sie rechtskräftig geworden sind (§ 110 III 2 FamFG).
15.379
Zuständig ist das AG, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat oder in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners befindet (§ 110 III 1 FamFG).
15.380
4. Sonstige Familiensachen Die sonstigen Familiensachen des § 266 FamFG bilden international keine einheitliche Gruppe (s. Rz. 4.177 ff.). Soweit es sich um Zivilsachen handelt, sind diese Titel seit Inkrafttreten der Neufassung der EuGVO (zum 10.1.2015) Europäische Vollstreckungstitel (s. Rz. 14.3 ff.), ältere Titel aus EU- bzw. EFTA-Staaten sind nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ für vollstreckbar zu erklären.
15.381
Andere Zahlungstitel sind im Beschlussverfahren nach § 110 II FamFG für vollstreckbar zu erklären (s. Rz. 15.379 f.).
15.382
5. Lebenspartnerschaftssachen Lebenspartnerschaftssachen gem. § 269 FamFG werden international ebenfalls nicht einheitlich behandelt.
15.383
a) Güterrechtliche Ansprüche Soweit über vermögensrechtliche Ansprüche zwischen eingetragenen (Ex-)Lebenspartnern zu entscheiden ist, handelt es sich um „Güterstände“ auf Grund von mit der Ehe vergleichbaren Verhältnissen, so dass die EuGVO n.F. und a.F. bzw. das LugÜ gem. Art. 1 II lit. a nicht anwendbar sind.421 Erfasst sind insoweit Ansprüche nach § 269 I Nr. 5, 6, 7 und 10 FamFG. 419 Prütting/Helms/Hau § 105 FamFG Rz. 11; Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia VO Rz. 58; vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 27; N. Koritz, FÜR 2010, 572. 420 Für Hausratsverteilung Prütting/Helms/Hau, § 110 FamFG Rz. 16. 421 Kropholler/v. Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 27; Rauscher/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 14a.
935
15.384
§ 15 Rz. 15.385 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
15.385 Parallel zur Verordnung über das eheliche Güterrecht (VO (EU) 2016/1103) hat der Rat der EU am 24.6.2016 im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit422 eine Verordnung über die güterrechtlichen Wirkungen Auseinandersetzung eingetragener Partnerschaften erlassen (VO (EU) 2016/1104). Entsprechende Entscheidungen können im Beschlussverfahren nach den Art. 42, 44 ff. EuPartVO für vollstreckbar erklärt werden, wenn der Antragsteller eine Ausfertigung der Entscheidung und eine Bescheinigung des Ursprungsstaates über ihre Vollstreckbarkeit vorlegt (Art. 45 III EuPartVO). Die Anerkennungsversagungsgründe des Art. 37 EuPartVO können vom Antragsgegner erst im Rechtsbehelfsverfahren (Art. 49, 51 EuPartVO) geltend gemacht werden. 15.386 Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist in Deutschland gem. § 4 I, II IntGüRVG beim AG am Sitz des OLG zu stellen, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat bzw. die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung kann Beschwerde beim OLG eingelegt werden (§§ 11 ff. IntGüRVG). Gegen dessen Entscheidung findet die Rechtsbeschwerde nur statt, wenn sie das OLG in seinem Beschluss zugelassen hat (§ 13 IntGüRVG). b) Unterhaltsansprüche
15.387 Unterhaltsansprüche zwischen Lebenspartnern werden von der EuUnthVO erfasst.423 Die entsprechenden Entscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll gebunden sind, sind danach Europäische Vollstreckungstitel (Art. 17 EuUntVO). Titel aus anderen Mitgliedstaaten und Titel aus der Zeit vor dem 18.6.2011 sind im Verfahren nach den Art. 26 ff. EuUntVO für vollstreckbar zu erklären. c) Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten
15.388 In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Lebenspartnern ist die Brüssel IIa-VO für Ehesachen nicht anwendbar, da diese Verordnung unter „Ehe“ nur die traditionelle, heterosexuelle Lebensgemeinschaft versteht.424 Dagegen ist die Brüssel IIa-VO für Streitigkeiten zwischen Lebenspartnern über die elterliche Sorge, das Umgangsrecht und die Herausgabe eines gemeinsamen Kindes (§ 289 I Nr. 3 FamFG) anwendbar, da Kindschaftssachen keinen Bezug zu einer Ehesache haben müssen.425 Entsprechende Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaats (ohne Dänemark) werden im Verfahren nach den Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO für vollstreckbar erklärt.
422 423 424 425
936
S. Rz. 15.368. Prütting/Helms/Hau, § 103 FamFG Rz. 14. Rauscher/Rauscher, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 7. Prütting/Helms/Hau, § 103 FamFG Rz. 20.
V. Erbrechtssachen | Rz. 15.394 § 15
d) Sonstige Lebenspartnerschaftssachen Entscheidungen in sonstigen Lebenspartnerschaftssachen nach § 269 II Nr. 2 und 3 FamFG sind wie die entsprechenden Streitigkeiten nach § 266 I Nr. 2 und 3 FamFG als allgemeine Zivilsachen zu qualifizieren, so dass insoweit EuGVO und LugÜ anwendbar sind. Entsprechende Titel sind daher nach Art. 39 ff. EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) ohne weiteres vollstreckbar bzw. nach Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ für vollstreckbar zu erklären.
15.389
e) Autonomes Recht Soweit die europäischen Verordnungen (bzw. unterhaltsrechtliche Übereinkommen) nicht anwendbar sind, werden Entscheidungen in Lebenspartnerschaftssachen im Beschlussverfahren nach § 110 II (i.V.m. § 95 I) FamFG für vollstreckbar erklärt.
15.390
V. Erbrechtssachen 1. EuGVO/LugÜ Erbrechtssachen sind gem. Art. 1 II lit. a EuGVO/LugÜ vom Anwendungsbereich dieser Regelwerke ausgeschlossen. Erbrechtliche Titel können also nach diesen europäischen Regeln nicht für vollstreckbar erklärt bzw. nicht nach der EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) direkt vollstreckt werden.
15.391
2. EuErbVO Die EuErbVO (Nr. 650/2012) tratt zum 17.8.2015 in Kraft (Art. 84 EuErbVO). Erbrechtliche Titel eines EU-Mitgliedstaats (gerichtliche Entscheidungen, Art. 43, Prozessvergleiche, Art. 61 und vollstreckbare Urkunden, Art. 60) werden seither in einem den Art. 38 ff. EuGVO (Brüssel I-VO) entsprechenden Beschlussverfahren für vollstreckbar erklärt (Art. 45 ff. EuErbVO).426
15.392
Der Antragsteller hat mit dem Antrag die Entscheidung und eine Bescheinigung über deren Vollstreckbarkeit vorzulegen (Art. 46 III lit. b EuErbVO).427 Die Vollstreckbarerklärung erfolgt erstinstanzlich in einem einseitigen Verfahren ohne Beteiligung des Gegners (Art. 48 EuErbVO). Zuständig ist das Landgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (§ 3 I, II IntErbRVG).
15.393
Die Vollstreckbarerklärung kann aber auf Rechtsbehelf nach Art. 50, 51 EuErbVO versagt oder aufgehoben werden, wenn ein Grund für die Nichtanerkennung der Entscheidung gem. Art. 40 EuErbVO vorliegt (Art. 52 EuErbVO). Die Anerken-
15.394
426 Vgl. Dutta in MünchKomm/BGB, IPR I, EuErbVO Art. 43 Rz. 3 ff.; Rauscher in MünchKomm/FamFG, EU-ErbVO Art. 43 Rz. 1 ff.; Mayr/Wittwer, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 7.129; St. Herzog, ErbR 2013, 2, 11 f. 427 Vgl. Ch. Dorsel/Ch. Schall, GPR 2015, 36.
937
§ 15 Rz. 15.394 | Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel
nungsversagungsgründe des Art. 40 EuErbVO entsprechen Art. 34 EuGVO a.F. Im Einzelnen handelt es sich (a) um einen offensichtlichen Verstoß gegen den nationalen ordre public des Vollstreckungsstaats, (b) einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör des Gegners bei der Verfahrenseinleitung, es sei denn, dieser habe keinen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt, obwohl er dies konnte, (c) die Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Vollstreckungsstaats und (d) die Unvereinbarkeit mit einer anzuerkennenden früheren Entscheidung eines anderen EU-Mitgliedstaats oder eines Drittstaats.428 3. Staatsvertragliche Regelungen a) Bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge
15.395 Von den bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen Deutschlands sind die Verträge mit – Belgien (Art. 3 I Nr. 8; s. Rz. 15.144), – Großbritannien (Art IV [1] [c]; s. Rz. 15.146), – Italien (Art. 2 Nr. 6; s. Rz. 15.170), – den Niederlanden (Art. 1 I; s. Rz. 15.174), – Norwegen (Art. 8 I Nr. 1; s. Rz. 15.179), – Österreich (Art. 1 I; s. Rz. 15.180), – der Schweiz (Art. 1; s. Rz. 15.183), – Spanien (Art. 7 I Nr. 13; s. Rz. 15.185 f.) und – Tunesien (Art. 31 I Nr. 7; s. Rz. 15.188 ff.) auf Erbrechtsstreitigkeiten anwendbar. Seit 17.8.2015 gilt im Verhältnis zu Belgien, Italien, den Niederlanden, Österreich und Spanien allerdings die EuErbVO. Die bilateralen Verträge sind daher insoweit nur noch für ältere Entscheidungen relevant.
Die Vollstreckbarerklärung erfolgt nach den jeweiligen Ausführungsgesetzen in einem fakultativen Beschlussverfahren, das inhaltlich dem Verfahren bei der Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen entspricht (Einzelheiten s. 4. Aufl. § 13 Rz. 300 ff.). b) Deutsch-türkisches Nachlassabkommen
15.396 Das deutsch-türkische Nachlassabkommen sieht in § 15 nur die Anerkennung von Entscheidungen über Erbschaftsansprüche, Vermächtnisse und Pflichtteilsansprüche 428 Vgl. Rauscher in MünchKomm/FamFG, EU-ErbVO Art. 40 Rz. 3 ff.; Dutta in MünchKomm/BGB, IPR I, EuErbVO Art. 40 Rz. 3 ff.
938
V. Erbrechtssachen | Rz. 15.398 § 15
vor. Die Vollstreckbarerklärung dieser Entscheidungen ist nicht geregelt, erfolgt also nach autonomem Recht. 4. Autonomes deutsches Recht Soweit nicht die EuErbVO oder ein bilateraler Staatsvertrag eingreifen, sind rechtskräftige (§ 110 III 2 FamFG) erbrechtliche Entscheidungen im Beschlussverfahren nach § 110 II (§ 95 I Nr. 1 oder 2) FamFG für vollstreckbar zu erklären.
15.397
Zuständig ist das AG, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat oder in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners befindet (§ 110 III 1 FamFG). Solange der Nachlass nicht geteilt ist, ergibt sich damit über den Vermögensgerichtsstand eine gemeinsame Zuständigkeit, um einen Titel gegen Miterben, die in verschiedenen Gerichtsbezirken wohnen, in einem Verfahren für vollstreckbar erklären zu können.
15.398
939
§ 16 Anerkennung und Vollstreckung im Ausland I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennungsgrundsätze . . . . . . a) Keine Anerkennungspflicht . . . . b) Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Révision au fond . . . . . . . . . . . . . . II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung in den USA . . . . . . 2. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in common law-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16.1 16.1 16.2 16.2 16.4 16.7 16.8 16.8
3. Anerkennung in Lateinamerika . 16.64 4. Anerkennung in Civil law-Staaten des europäischen Rechtsraums . 16.75 5. Anerkennung und Vollstreckung in ost- und südosteuropäischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.97 6. Anerkennung in arabisch-/islamischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . 16.111 7. Anerkennung in Ostasien . . . . . . 16.120
16.38
I. Einführung 1. Schrifttum
16.1 J. Basedow, Die Anerkennung von Auslandsscheidungen, 1980; A. Bruns, Der anerkennungs-
rechtliche ordre public in Europa und den USA, JZ 1999, 278; D. Campbell, International execution against judgment debtors, Vol 1 (Loseblatt), 2005; R. Casad, Civil Judgment Recognition, 1981; St. Cromie, International Commercial Litigation, 2nd ed. 1997, S. 512 ff.; G. Cuniberti, Le fondement de l’effet des jugements étrangers, 2019; G. Delaume, Law and Practice of Transnational Contracts, 1988 (S. 199–222); B. Etgen, Die Anerkennung und Vollstreckung deutscher Zivilurteile in der Republik China auf Taiwan, RIW 1995, 205; E. Gaillard, Anti-suit injunction et reconnaissance des sentences annulées au siège, J.D.I. 2003, 1105; P. Glenn, The prospective effect of res judicata, FS Kerameus, Athen 2009, S. 435; T. Hartley, The modern approach to private international law (Part IV Recognition and enforcement of foreign judgments), RdC 319 (2006), 279; P. Hay, On Comity, Reciprocity, and Public Policy in U.S. and German Judgments Recognition Practice, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 237; P. Herzog u J. Hitters, The effect T of foreign judgments and arbitral awards in Andolina, Transnational aspects of procedural law, Bd. 3, 1998, S. 845; A.-M. Karl, Die Anerkennung von Entscheidungen in Spanien, 1993; T. Kono/N. Tada/M. Shin, Recognition and enforcement of foreign judgments relating to IP rights and unfair competition: the Transparency proposal, in Basedow/Kono/Metzger, Intellectual property in the Gobal Arena, 2010, p. 293; K. Koshiyama, Rechtskraftwirkungen und Urteilsanerkennung, 1996; J. Lew/L. Garb, Enforcement of Foreign Judgments, 2011; A. Lowenfeld, International Litigation and the Quest for Reasonableness, RdC 245 (1994 I), 9, 157 ff.; R. Lutz, Enforcement of Foreign Judgments, Part I: A Selected Bibliography on United States Enforcement of Judgments Rendered Abroad, Intern. Lawyer 27 (1993), 471; H. Matsumoto, Probleme der Rechtskraft im internationalen Zivilprozess in Kroeschell/Cordes, Vom nationalen zum transnationalen Recht, 1995, S. 77; A. von Mehren, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments – General Theory, RdC 167 (1980 II), 9; P. de Miguel Asensio, Recognition and Enforcement of Judgments in Intellectual
940
I. Einführung | Rz. 16.5 § 16 Property Litigation: The CLIP Principles, in Basedow/Kono/Metzger, Intellectual Property in the Global Arena, 2010, p. 239; H. Müller/G. Hök, Deutsche Vollstreckungstitel im Ausland, 1990 (Loseblatt); H. Muir Watt, Effets en France des Decisions Etrangeres, Juris-Cl. Procédure Civile, Fasc. 124–3 ff., 1990; Y. Piantino, Switzerland’s Treatment of US Money Judgments, AmJCompL 46 (1998), 181; Ch. Platto/W. Horton, Enforcement of Foreign Judgments Worldwide, 2nd ed. 1993; N. Rosner, Cross-Border Recognition and Enforcement of Foreign Money Judgments in Civil and Commercial Matters, 2004; P. Schlosser, Jurisdiction and international judicial and administrative co-operation, Rec.d.Cours 284 (2000), 9, 31 ff.; R. Schütze, Die Anerkennung und Vollstreckung deutscher Urteile im Ausland, 1977; R. Schütze, Die Geltendmachung deutscher Urteile in Afrika, 1966; R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016; O. Sieg, Internationale Anerkennungszuständigkeit bei US-amerikanischen Urteilen, IPRax 1996, 77; J. Steinbach, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile und Schiedssprüche in der Russischen Föderation, 2003; I. Szászy, International Civil Procedure, Budapest, 1967; R. Ch. Verschuur, Vrij verkeer van vonnissen, 1995; R. Wagner, Zur Vollstreckung deutscher dynamischer Unterhaltstitel im Ausland, FS Sonnenberger, 2004, S. 727; G. Walter/S. Baumgartner, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments outside the scope of the Brussels and Lugano Conventions, 2000.
2. Anerkennungsgrundsätze a) Keine Anerkennungspflicht Völkerrechtlich ist kein Staat verpflichtet, Entscheidungen ausländischer Gerichte anzuerkennen und die Vollstreckung aus ihnen in seinem Hoheitsgebiet zuzulassen. Die Wirkung von Entscheidungen in Zivilsachen müsse grds auf das Hoheitsgebiet des Ursprungsstaats begrenzt werden, weil sie ggf. auf governmental principles beruhen, die anderen Staaten unbekannt seien.1
16.2
Der weltweite Handels-, Kapital- und Personenverkehr erfordert aber praktisch, dass ausländische Entscheidungen anerkannt und vollstreckt werden. Über die Voraussetzungen und die Art und Weise der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung entscheidet freilich jeder Staat in autonomer Weise.
16.3
Eine Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung besteht nur im Rahmen von Staatsverträgen, in der EU aufgrund der EU-Verordnungen. b) Gegenseitigkeit Außerdem wirkt sich der Grundsatz von der Gegenseitigkeit besonders hemmend aus. Auch der deutsche Gesetzgeber hat in § 328 I Nr. 5 ZPO und § 109 IV FamFG für vermögensrechtliche Streitigkeiten am Erfordernis der Gegenseitigkeit festgehalten. Es kann nicht erwartet werden, dass andere Staaten die Anerkennung und Vollstreckung aus deutschen Entscheidungen erleichtern. Das Hindernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit steht also in vielen Staaten der Anerkennung und Vollstreckung deutscher Gerichtsentscheidungen entgegen.
16.4
Aus der Übersicht in Rz. 12.216–237 ist ersichtlich, im Verhältnis zu welchen Staaten die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist und im Verhältnis zu welchen Staaten Unklar-
16.5
1 I. Szászy, International Civil Procedure, S. 545.
941
§ 16 Rz. 16.5 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
heiten bestehen. Noch unübersichtlicher wird die Lage dadurch, dass die Gegenseitigkeit im Verhältnis zu einigen Staaten nur teilweise verbürgt ist. In den Staaten, zu denen die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist oder wo dies zweifelhaft ist, werden deutsche Entscheidungen schon deswegen im Zweifel nicht anerkannt.
16.6 Ist die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im Ausland entweder ausgeschlossen oder nur in einem aufwendigen Verfahren zu erreichen, so sollte sich ein Gläubiger vorab fragen, ob es nicht sinnvoller ist, sogleich im Ausland zu klagen.2 c) Révision au fond
16.7 Eine ansehnliche Reihe von Staaten besteht zwar nicht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, überprüft aber stattdessen ausländische Urteile auf ihre sachliche Richtigkeit. Das Prinzip der „révision au fond“ geht zurück auf die französische Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts.3 Der Exequaturrichter musste danach nachprüfen, „qu´un point quelconque, de fait ou de droit, a été mal jugé“.4 Die luxemburgische Rechtsprechung gab als erste die „révision au fond“ mit der Begründung auf, der Exequaturrichter dürfte sich nicht zum Berufungsrichter über seinen ausländischen Kollegen machen.5 Es folgte der französische Kassationshof in der berühmten Entscheidung v. 7.1.1964 in Sachen Munzer gegen Munzer.6 Heute ist das System der „révision au fond“ in den meisten, aber nicht in allen Staaten überwunden.
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten 1. Anerkennung in den USA
16.8 Schrifttum: G. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, 6th
ed. 2018; R. Brand, Enforcing Foreign Judgments in the United States and United States Judgments Abroad, 1992; N. Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht, 2019; W. Ebke/M. Parker, Foreign Country Money-Judgments and Arbitral Awards and the Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States, Int.Lawyer 24 (1990), 21; P. Hay, On Comity, Reciprocity, and Public Policy in US and German Judgments Recognition Practice, Liber amicorum Siehr, 2000, 237; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018; F. Juenger, The recognition of money judgments in civil and commercial matters, AmJCompL 36 (1988), 1; A. Kohl/A. Reus, Anerkennung und Durchsetzung deutscher Zahlungstitel in Florida, RIW 2000, 773; N. Koritz, Zwangsvollstreckung deutscher Forderungen und Urteile in den USA –
2 Vgl. H. Nagel, Durchsetzung von Vertragsansprüchen im Auslandsgeschäft, 1978, S. 177 ff. 3 Batiffol/Lagarde, no. 729; E. Schlachter, Neue Aspekte zur Frage der Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile in Frankreich, AcP 156 (1958), 507, 510. 4 Batiffol/Lagarde, no. 729. 5 Tribunal civil d’Arrondissement de Luxembourg v. 21.11.1956, Pasicrisie lux. Vol. XVII, 180. 6 Rev crit 1964, 344.
942
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.11 § 16 eine immer noch (fast) unendliche Geschichte, FPR 2013, 391; R. v Mehren, Transnational Litigation in American Courts, Dickinson J.Int.L. 3 (1984), 43, 56; Ch. Rassmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel in den USA, RIW 1996, 817; N. Rosner, CrossBorder Recognition and Enforcement of Foreign Money Judgments in Civil and Commercial Matters (Chap. 7), 2004, S. 323; G. Rühl, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in den USA, RIW 2006, 192; H. Schack, Einführung in das US-amerikanische Recht, 4. Aufl. 2011; I. Scheuermann, Internationales Zivilverfahrensrecht bei Verträgen im Internet, 2004; R. Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, 1992; W. Schurtmann/O. Walter, Der amerikanische Zivilprozess, 1978; Siegel, New York Practice, 4th ed. 2005; L. Silberman/F. Ferrari, Recognition and enforcement of foreign judgments, 2017; D. Stewart, Recognition and enforcement of foreign judgments in the United States, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 179; S. I. Strong, Recognition and enforcement of foreign judgments in the United States, in Hess, Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S. 57; T. Vedie, Arthur T. von Mehren und das internationale Zivilverfahrensrecht im transatlantischen Dialog, 2017, S. 250; F. Weinschenk, Die Anerkennung und Vollstreckung bundesdeutscher Urteile in den Vereinigten Staaten, 1988; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 8, 2013, 617 ff.
Die Anerkennungsvoraussetzungen sind in dem Uniform Foreign MoneyJudgment Recognition Act von 19627 (in revidierter Fassung von 2005) im Einzelnen festgelegt, damit die Staaten, die die Voraussetzung der Gegenseitigkeit kennen, diese besser beurteilen können. Dieses Modellgesetz wurde von Alaska, California,8 Colorado, Connecticut, dem District of Columbia, Florida (FS § 55.603),9 Georgia, Idaho, Illinois, Iowa, Maryland, Massachusetts, Michigan, Minnesota, Missouri, Montana, New Mexico, New York (CPLR §§ 5301–5309), North Carolina, Ohio,10 Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Porto Rico, Texas, Virgin Islands, Virginia und Washington (mit Änderungen im Detail) übernommen. Die Neufassung von 2005 haben Alabama, Arizona, California, Colorado, Georgia, Hawaii, Idaho, Indiana, Illinois, Iowa, Michigan, Montana, New Mexico, Nevada, North Carolina, North Dakota, Oklahoma, Oregon, Texas, Virginia und Washington umgesetzt.11
16.9
Der Act erfasst jedes ausländische Urteil wegen Zahlung einer Geldsumme (Steuern, Ordnungs- und Geldstrafen sowie Unterhalt in Ehe- und Familiensachen ausgenommen, § 1 II UFMJRA). Nahezu die gleichen Voraussetzungen enthält das Restatement of the Law 3rd Foreign Relations Law von 1987 (§§ 481, 482).
16.10
Das Urteil muss „final and conclusive“ sowie im Heimatstaat vollstreckbar sein.12 Es muss danach für die Instanz bindend sein, so dass Versäumnisurteile ausscheiden, solange sie dem Einspruch unterliegen. Endurteile müssen dagegen nicht rechtskräftig sein. Solange die Rechtsmittelfrist läuft und der Beklagte Rechtsmittel einlegen will, kann das Gericht aber das Verfahren zur Vollstreckbarerklärung einstellen. Das ausländische Urteil wird insoweit wie das eines amerikanischen Bundesstaats (sister state) behandelt.
16.11
7 8 9 10 11 12
13 ULA 261 (1968). Cal. CCP §§ 1713–1724; vgl. Ch. Rassmann, RIW 1996, 817. Vgl. A. Kohl/A. Reus, Anerkennung und Durchsetzung in Florida, RIW 2000, 773. Vgl. Black Gold Potato Sales v Garibaldi, [1996] ILPr 171. Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 24.36 (p. 1425). Vgl. Dresdner Bank (New York Branch) v Edelmann, 493 NYS 2d 703 (1985).
943
§ 16 Rz. 16.12 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
16.12 Ein deutscher Prozessvergleich wird einem „consent judgment“ gleichgestellt und kann für vollstreckbar erklärt werden.13 Zu den Urteilen, die final sind, gehören auch Entscheidungen, durch die ein Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt wird.14 Urteile wegen Kindesunterhalt werden, da abänderbar, nach dem Uniform Act nicht anerkannt.15 16.13 Die anderen Bundesstaaten (nicht der Bund selbst) erkennen ausländische Entscheidungen grds nach „comity“ an,16 wenn die Entscheidung bestimmten prozessualen und materiellen Standards entspricht. Auf die Gegenseitigkeit kommt es mit wenigen Ausnahmen nicht an. Anerkannt werden Zahlungsurteile, Status-Entscheidungen und Eigentumsfeststellungen. Die Voraussetzungen unterscheiden sich im Detail von Bundesstaat zu Bundesstaat (und sonstigem Territorium).17 Bundesgerichte wenden die Regeln des jeweiligen Bundesstaats an. Das American Law Institute hat den Entwurf eines Bundesgesetzes („Foreign Judgments Recognition and Enforcement Act“) verabschiedet.18
16.14 Der Uniform Foreign-Money Judgment Recognition Act kennt folgende Gründe die Anerkennung zu versagen:19 (1) Die ausländische Entscheidung ist nicht „conclusive“, weil das Gericht nicht unabhängig war oder den Standards von „due process of law“ entsprach.
16.15 (2) Aus dem gleichen Grund ist die Anerkennung zu versagen, wenn das Gericht international nicht zuständig war („did not have personal jurisdiction over the defendant“).20 Das Fehlen der internationalen (Anerkennungs-)Zuständigkeit ist der häufigste Grund, die Anerkennung bzw. Vollstreckung zu versagen. Ähnlich wie die deutschen Gerichte prüfen die amerikanischen Gerichte, ob nach eigenem Recht eine Grundlage für die Ausübung von jurisdiction im Urteilsstaat bestand (ebenso § 482 Restatement [Third] Foreign Relations Law 1987). 16.16 Nach § 5 des Uniform Foreign Money-Judgments Recognition Act wird die internationale Zuständigkeit nicht beanstandet, wenn (1) die Klage dem Beklagten im Urteilsstaat persönlich zugestellt wurde; (2) sich der Beklagte auf das Verfahren rügelos 13 Mailender Druckmaschinen v Otto Issenschmid, 88 A.D. 2d 654, 450 NYS 2d 533 (1982). 14 Seetransport Willing Trader Schifffahrtsgesellschaft v Navimpex Centrala Navala, 837 F. Supp. 79 (S.D.N.Y. 1993). 15 Mandel v Treves, 103 Misc. 2d 700 (1980). 16 Somportex v Philadelphia Chewing Gum, 453 F. 2d 435 (3rd Cir. 1971); P. Hay, Liber amicorum Siehr, S. 237, 239 ff. 17 Vgl. R. Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, S. 7; R. Schütze in Geimer/ Schütze, Intern. Rechtsverkehr, Lfg. 36 (2009), S. 1157.21 f. Zur Gegenseitigkeit zwischen den US-Staaten s. K. Voegele, Full Faith and Credit – Die Anerkennung zivilgerichtlicher Entscheidungen zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten, 2003. 18 Vgl. G. Rühl, RIW 2006, 192. 19 Vgl. R. Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, S. 12 ff.; Ch. Rassmann RIW 1996, 817. 20 Vgl. J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational Civil Litigation, Chap. 8 C, 2013, 636 ff.
944
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.21 § 16
eingelassen hat; (3) eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt;21 (4) der Beklagte seinen Wohnsitz bei Klageerhebung im Gerichtsstaat hatte bzw. eine juristische Person ihre Hauptniederlassung oder ihren Gründungssitz dort hatte oder auf andere Weise den Status einer juristischen Person im Gerichtsstaat erlangt hat; (5) der Beklagte eine Geschäftsstelle („business office“) im Gerichtsstaat hatte und die Klage mit dieser Tätigkeit im Zusammenhang steht;22 (6) der Beklagte ein Kraftfahrzeug oder ein Flugzeug im Gerichtsstaat betrieben hat und das Verfahren darauf beruht. Wenn die Zuständigkeit nur auf „personal service“ beruht, darf das Forum für den Beklagten nicht „seriously inconvenient“ gewesen sein (§ 4 [b] [6] Uniform Act). Andere Zuständigkeiten können anerkannt werden, wenn die Anforderungen von „minimum contacts“ und „adequate notice“ erfüllt sind. Ein japanisches Urteil wurde anerkannt, weil der Beklagte in Japan ausreichend geschäftlich tätig war („doing business“).23 Der deutsche Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO) hat im US-amerikanischen Recht keine direkte Entsprechung. Seitdem der BGH aber einen hinreichenden Inlandsbezug verlangt,24 werden meist andere Zuständigkeiten des amerikanischen Rechts (wie „doing business“ oder sonstige Long-arm Statutes) erfüllt sein.25
16.17
(3) Das Gericht muss sachlich zuständig gewesen sein („jurisdiction over the subject matter“).
16.18
(4) Das Urteil wird weiter nicht anerkannt, wenn der Beklagte vom ausländischen Verfahren nicht so rechtzeitig benachrichtigt wurde, dass er sich verteidigen konnte. Die ordnungsgemäße Ladung muss im Urteil genau festgestellt worden sein.26 Bei einer Zustellung nach dem HZustÜ 1965 muss das dort vorgesehene Verfahren eingehalten worden sein.27
16.19
(5) Das Urteil darf nicht durch „extrinsic fraud“ erwirkt worden sein.28
16.20
(6) Das Urteil darf im Ergebnis nicht dem ordre public des Anerkennungsstaats widersprechen.29 Die Anerkennung eines deutschen Urteils über die Geschäftsgebühr eines Anwalts wurde etwa abgelehnt, weil es über Art und Umfang einer „15–20 Tage dauernden Studie“ keine Unterlagen in den Handakten des Anwalts gab.30 Einem
16.21
21 Tonga Air Services v Fowler, 826 P. 2d 204 (1992). 22 Zur Anerkennung von Urteilen bei Urheberrechtsverletzungen im Internet s. Ginsburg RdC 273 (1998), 282 ff. 23 Nippon Emo-Trans v Emo-Trans, 744 F.Supp. 1215 (EDNY 1990). 24 BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3093. 25 Vgl. H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 718 f. 26 Gondre v Silberstein, 744 F.Supp. 429 (EDNY 1990). 27 Ackermann v Levine, 788 F. 2d 830 (2nd Cir. 1986). 28 Bank of Nova Scotia v Tschabold Equipment Ltd., 754 P. 2d 1290 (1988). 29 Vgl. J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational civil Litigation, Chap. 8 D. 2013, 651 ff. 30 Ackermann v Levine, 788 F. 2d 830, 841 ff. (2nd Cir. 1986).
945
§ 16 Rz. 16.21 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
englischen Schadenersatzurteil wegen „libel“ durch Verbreitung falscher Nachrichten wurde die Anerkennung versagt, weil die englische Beweislastverteilung zu Lasten des Beklagten die Garantie der Meinungsfreiheit nach dem First Amendment der US-Verfassung verletzt.31 Die Anerkennung entsprechender Entscheidungen ist inzwischen nach dem sog. SPEECH Act v 10.8.2010 zu versagen.
16.22 (7) Das Urteil darf nicht einem anderen abschließenden Endurteil widersprechen. 16.23 (8) Das Verfahren vor dem Erstgericht darf nicht einer Parteivereinbarung widersprechen, wonach der Rechtsstreit in anderer Weise erledigt werden sollte. 16.24 Erfüllt das ausländische Urteil die Anerkennungsvoraussetzungen, so bindet es (ohne weiteres) die Parteien, soweit darin der Geldzahlungsanspruch zuerkannt oder aberkannt wurde (§ 3 Satz 1 UFMJRA). 16.25 Das Urteil kann wie das Urteil eines anderen US-Staats vollstreckt werden, aber erst nachdem auf Klage ein Vollstreckungsurteil ergangen ist (action upon the judgment). Jurisdiction für die action upon the judgment kann auf domicile oder residence des Beklagten oder darauf beruhen, dass dieser vollstreckungsfähiges Vermögen im Gerichtsstaat besitzt. Die sonst bestehenden Vorbehalte gegenüber dem Vermögensgerichtsstand gelten nicht für das Vollstreckungsverfahren. Handelt es sich, wie meist, um die Klage eines Ausländers gegen einen Bewohner des betreffenden US-Staats, so ist nach der diversity rule (28 USC § 1332) das Bundesgericht für die Klage zuständig.32 Bestehen Einwände nur gegen Teile des Urteils, so wird es „to the greatest extent consistent with ... ideals of justice and fair play“ teilweise anerkannt.33 Nach dem Uniform Foreign-Money Claims ersetzt das Judgment on Foreign Money Claims in der Währung, die im anzuerkennenden Urteil zugesprochen wurde (§ 7 I FMCA).34
16.26 In den meisten Staaten kann das ausländische Urteil im beschleunigten Verfahren per summary judgment für vollstreckbar erklärt werden, sofern der Beklagte keine ernstlichen Einwendungen erhebt (z.B. New York CPLR § 5303). 16.27 Das Registrierungsverfahren, das für Sister State-Urteile nach dem Uniform Enforcement Foreign Judgments Act 1964 vorgesehen ist, ist dagegen gegenüber ausländischen Urteilen meist ausgeschlossen (so z.B. in Kalifornien, § 1713.3 CCP).35 16.28 Unterhaltsurteile werden nach dem Revised Uniform Reciprocal Enforcement of Support Act (RURESA) 1968 in einfacherer Weise anerkannt. Der Act ist für jede Art von Ehegatten- und Kindesunterhalt anwendbar. Der Act gilt nicht nur gegen31 Bachchan v India Abroad Publications Inc., 154 Misc. 2d 228 (1992); ähnlich: Matsusevitch v Telnikoff [1996] ILPr 181. 32 Bank of Montreal v Kough, 430 F.Supp. 1243 (D.C. 1977). 33 Ackermann v Levine, 788 F. 2d 830, 844/45 (2nd Cir. 1986). 34 Vgl. P. Hay, RIW 1995, 113, 118. 35 Für Washington D.C. s. Matusevitch v Telnikoff, [1996] ILPr 181.
946
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.33 § 16
über einem Staat der USA, sondern auch gegenüber „any foreign jurisdiction in which this or a substantially similar reciprocal law is in effect“ (§ 2 [m]). Im Hinblick darauf hat Deutschland das AUG erlassen und mit vielen US-Staaten die Gegenseitigkeit nach dem Revised Enforcement of Support Act 1968 vereinbart (s. Rz. 15.304 ff.).36 Nach § 8 RURESA kann auch ein staatlicher Regressgläubiger seinen Anspruch nach diesem Act geltend machen.
16.29
Soweit dies der Fall ist, kann der deutsche Unterhaltstitel dem Clerk des zuständigen Gerichts zur Registrierung vorgelegt werden (§§ 36 ff. RURESA). Nach der Registrierung wird der Titel dem Schuldner per Einschreiben zugesandt. Zugleich wird der „prosecuting attorney“ benachrichtigt, damit er die Beitreibung des Titels für den Gläubiger betreibt (§ 39 RURESA). Der Schuldner kann innerhalb von 20 Tagen Einwendungen gegen den Titel vorbringen (§ 40 RURESA).37 Der deutsche Gläubiger stellt seinen Antrag auf Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs beim AG seines gewöhnlichen Aufenthalts (§ 3 AUG). Nach Vorprüfung und Übersendung der Unterlagen wird das Gesuch an die Zentrale Behörde (das Bundesamt für Justiz) weitergeleitet. Dieser sendet es an das zuständige Gericht im Wohnsitzstaat des Schuldners.
16.30
Außerhalb des Anwendungsbereichs des RURESA werden Unterhaltsurteile nach Restatement 3rd Foreign Relations Law, § 486, anerkannt, wenn
16.31
(1) bei Eheleuten beide ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Urteilsstaat hatten, als die Unterhaltsforderung entstand, (2) der Schuldner zur Zeit des Urteils Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder (3) der Gläubiger Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Urteilsstaat hatte und sich der Schuldner auf das Verfahren eingelassen hat. Regelmäßig kann der anerkannte ausländische Unterhaltstitel in den USA auf Antrag einer Partei abgeändert werden, sofern das Gericht auch gegenüber dem Gegner jurisdiction ausüben kann (Restatement 3rd Foreign Relations, § 486 II).
16.32
Deutsche Scheidungsbeschlüsse. Die Anerkennung von Scheidungsentscheidungen ist Angelegenheit der Einzelstaaten. Sie werden anerkannt, wenn das deutsche Gericht „personal jurisdiction“ hatte. Nach § 484 I Restatement of the Law 3rd Foreign Relations Law 1987 werden Entscheidungen am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt beider Parteien zur Zeit der Scheidung immer anerkannt. Nach § 484 II Restatement 3rd Foreign Relations können, aber müssen nicht anerkannt werden Entscheidungen, wenn (a) eine Partei zur Zeit der Scheidung Wohnsitz oder gewöhnli-
16.33
36 Vgl. R. Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, S. 19 ff. 37 Vgl. I. Mockenhaupt DAVorm 1985, 2; ferner: W. Müller-Freienfels, FS Kegel, 1987, S. 389.
947
§ 16 Rz. 16.33 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
chen Aufenthalt im Scheidungsstaat hatte, oder (b) wenn das Gericht jurisdiction über beide Parteien hatte, eine persönlich erschienen war und die andere Partei zum Verfahren geladen war und Gelegenheit hatte daran teilzunehmen.38 Eine Scheidung kann in den Fällen des Abs. 2 auch dann anerkannt werden, wenn sie im Wohnsitz- oder Aufenthaltsstaat zur Zeit der Scheidung anerkannt wird (§ 484 III). Nicht gesichert ist die Anerkennung daher bei einer Scheidung Deutscher, die nur auf die Heimatstaatszuständigkeit nach § 98 I Nr. 1 FamFG gestützt war. In Fällen, in denen eine Partei vor Gericht erschienen und die andere nur durch Anwalt vertreten war, ist die Haltung der Staaten gespalten und wird die Anerkennung eher überwiegend versagt. Auch wenn die Scheidung danach nicht anerkannt wird, kann eine Partei doch gehindert sein, sich auf die Unwirksamkeit der Scheidungsentscheidung zu berufen, wenn (1) sie das Verfahren im Ausland selbst begonnen hatte, (2) eine oder beide Parteien wieder verheiratet sind, oder (3) seit der Scheidung erhebliche Zeit verstrichen ist.
16.34 Sorgerechtsentscheidungen werden von den US-Staaten anerkannt, wenn (1) das Kind bei Verfahrensbeginn seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat hatte, (2) das Kind und ein Elternteil sonst eine wesentliche Beziehung zu dem Staat hatten, oder (3) sich das Kind in dem Staat aufgehalten hat und ein dringender Fall zum Schutze des Kindes vorlag (Restatement 3rd Foreign Relations Law, § 485 I). Amerikanische Gerichte ändern ausländische Sorgerechtsentscheidungen nur ab, wenn das ausländische Gericht dazu nicht mehr zuständig ist oder seine Zuständigkeit nicht mehr ausübt (§ 485 II). 16.35 Entscheidungen werden in der Fremdwährung anerkannt, in der sie ergangen sind.39 16.36 Der Staat New York wird als besonders anerkennungsfreundlich hinsichtlich ausländischer Geldurteile bezeichnet.40 Ein ausländisches Urteil wird für vollstreckbar erklärt „by an action on the judgment, a motion for summary judgment in lieu of complaint, or in a pending action by counterclaim, crossclaim or affirmative defense“ (New York CPLR § 5303). Dabei wird der „Uniform Foreign Country MoneyJudgments Recognition Act“ angewendet. Das ausländische Urteil muss „final and conclusive“ sein, es darf also in der Instanz vom Erstrichter nicht mehr abgeändert werden können. Soweit der Erststaat „jurisdiction in rem“ hatte, wird auf die Belegenheit im Territorium abgestellt bzw. bei Ehesachen auf das Domizil, das in New York auf 12 Monate vor Erhebung der Klage begründet gewesen sein muss. Bei „Personal Jurisdiction“ wird an die persönliche Zustellung der Klageschrift an den Beklagten im Erststaat abgestellt, auf die Unterwerfung des Beklagten unter das Verfahren im Erststaat, auf eine Gerichtsstandsvereinbarung des Gerichts des Erststaats, auf 38 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 6th ed. 2018, § 15.17–23 (S. 714 ff.); H. W. Baade, Marriage and Divorce in American Conflicts Law, Colum.L. Rev. 72 (1972), 329. 39 P. Hay, RIW 1995, 113, 118. 40 R. Schütze, JR 1986, 322.
948
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.38 § 16
die Einlassung im Erststaat, auf die geschäftliche Tätigkeit im Erststaat. Soweit es um das rechtliche Gehör geht, wird auf das Restatement 3rd Foreign Relations Law 1987 abgestellt. Die Gegenseitigkeit ist ebenso wie in Kalifornien begründet. Hinsichtlich der übrigen amerikanischen Staaten sollte Folgendes berücksichtigt werden: Ein gewisser Einfluss geht von dem „Restatement Second of Conflict of Laws“ von 1971 aus.41 In dem (privat erstellten) Restatement ist die Rechtsprechung berücksichtigt. Dadurch wirkt es indirekt wieder auf die Rechtsprechung zurück. Folgende Grundsätze können zusammengefasst werden: Ausländische Urteile können im Wege der „action on the foreign judgment“ vollstreckt werden, wobei sich die Lehre von der „Conclusiveness“ auswirkt, wenn sie in den USA anerkannt werden. An Voraussetzungen dafür wird gefordert, dass das Urteil im Urteilsstaat Wirksamkeit erlangt hat, ein deutsches Urteil muss also in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar sein, wobei es genügt, dass es vorläufig vollstreckbar ist.42 Das Urteil muss aufgrund einer fairen mündlichen Verhandlung im streitigen Verfahren ergangen sein.43 Versäumnisurteile werden anerkannt, wenn das Erstgericht international zuständig gewesen und der Beklagte ordnungsgemäß geladen worden ist.44 Das Urteil darf nicht durch betrügerische Machenschaften erschlichen worden sein, und der Beklagte muss hinreichend Gelegenheit zur Verteidigung gehabt haben.45 Im Allgemeinen gehen die amerikanischen Gerichte davon aus, dass der Erstrichter international zuständig gewesen ist; man kann von einer Vermutung zugunsten der Zuständigkeit des Erstrichters sprechen.
16.37
Der deutsche Vermögensgerichtsstand hat im US-amerikanischen Recht keine direkte Entsprechung. Seitdem der BGH einen ausreichenden Inlandsbezug verlangt,46 werden zumeist Anknüpfungen des amerikanischen Rechts (wie doing business oder andere long arm-statutes) erfüllt sein.47 2. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in common lawStaaten Schrifttum: P. Bäder, Die Anerkennung südafrikanischer Zivilurteile, 2014; W. Binchy, Irish Conflict of Law, 2nd ed. 2017; D. Buchhold, Die Vollstreckung deutscher Titel in Großbritannien, NJW 2007, 2734; H. Carmon, Foreign Judgments in Israel – Recognition and Enforcement, 2015; St. Cromie, International commercial litigation, 2nd ed. 1997, Chap. XI (F 1 England and Wales, G 1 Australia, 2 Canada), p. 522 ff.; T. Doser, Gegenseitigkeit und Anerkennung ... dargestellt am Beispiel Südafrika, 1999; H. Glenn, Codification of private international law in Quebec, RabelsZ 60 (1996), 231, 262 ff. (Recognition and enforcement of foreign decisions); W. Hau, Der Anerkennungsverkehr zwischen Deutschland und Indien in Zivil- und Handelssachen, FS Schütze, 2015, S. 151; E.-M. Henke, Ausländische Gerichtsent41 Vgl. A. Ehrenzweig, Conflict of Laws I, 1959, S. 22. 42 F. Perret, La reconnaissance et l’exécution des jugements étrangers aux Etats Unis, 1951, S. 155. 43 E. Deutsch, ZZP 71 (1958), 329. 44 M. Brenscheidt, RIW/AWD 1976, 554. 45 F. Perret, S. 156. 46 BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092. 47 Vgl. H. Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 718 f.
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16.38
§ 16 Rz. 16.38 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland scheidungen in Südafrika, ZfRV 2011, 166; G. Hoffmann, Urteilsanerkennung im deutschaustralischen Rechtsverkehr, 2010; P. Kutner, Recognition and enforcement of foreign judgments – The common law’s jurisdictional requirement, RabelsZ 83 (2019), 1; J. D. McClean, The reciprocal enforcement of judgments within the Commonwealth, 1975; J. D. McClean, Recognition of family judgments in the Commonwealth, 1983; A. J. Moran/A. J. Kennedy, Commercial Litigation in Anglophone Africa, 2018; S. Phadnis/D. Otto, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile und Schiedsentscheidungen in Indien, RIW 1994, 471; R. Schütze, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in Ghana, SJZ 1964, 65; D. Sikora, Die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Urteile in England, 1998; H. Silberberg, The recognition and enforcement of foreign judgments in South Africa, 1970 ff.; J. Sinsupparoek, Recognition and enforcement of foreign judgments in Canada, 2000; F. Tepper, Die Anerkennung deutscher Zahlungsurteile in Kanada, Festgabe Sandrock, 1995, 89.
16.39 a) In Großbritannien werden deutsche Titel nach den EG-Verordnungen Nr. 1215/ 2012 (EuGVO n.F., Brüssel Ia-VO), Nr. 44/2001 (EuGVO a.F.), Nr. 805/2004 (EuVTVO), Nr. 1896/2006 (EuMVVO), Nr. 861/2007 (EuGFVO), Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-VO) und Nr. 4/2009 (EuUntVO) anerkannt und vollstreckt. In England muss der Antrag auf Registrierung beim High Court in London (CPR r. 74), in Schottland beim Court of Session (RCS r. 62) gestellt werden.48 Nach Art. 67 II des Austrittsvertrag sollen diese Verordnungen im Verhältnis zu Großbritannien für alle Titel weitergelten, die in Verfahren ergangen sind oder noch ergehen, die vor dem 31.12.2020 begonnen wurden. 16.40 Entscheidungen aus Commonwealth-Staaten werden nach dem Administration of Justice Act 1920 bzw. dem Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 anerkannt.49 Die Common law-Regel geht davon aus, dass ein ausländisches Urteil aufgrund comity ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeit anerkannt wird. Das ausländische Urteil kann in England aber nicht direkt vollstreckt werden, vielmehr muss der Gläubiger eine Klage „on the foreign judgment“ erheben. Dabei kann er regelmäßig ein summary judgment nach Part 24 CPR 1998 beantragen.50 Ein Rückgriff auf die ursprüngliche Verbindlichkeit ist jedoch ausgeschlossen. Diese ist im ausländischen Urteil aufgegangen („merged“); dieses darf in der Sache nicht nachgeprüft werden.51 16.41 Als Folge davon wird das ausländische Urteil nicht wie in „Civil Law“-Ländern für vollstreckbar erklärt, sondern es bedarf grds einer Klage, um die Verpflichtung aus dem ausländischen Urteil geltend zu machen. „... English Courts enforce foreign judgments because the foreign adjudication is considered to create a legal obligation that may be enforced in England by an action of debt.“
48 49 50 51
950
Vgl. D. Buchhold, NJW 2007, 2734. A. Briggs, Conflict of Laws, 3rd ed. 2013, S. 165 ff. Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Vol. 1, Rule 42, no. 14-011. Godard v Gray, 6 LR-QB 139, 152 (1870); Schibsby v Westenholz, 6 LR-QB 155 (1870); R. Gwynne/St. Harwood, England and Wales, in D. Campbell, International Execution, 1993.
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.44 § 16
Die Beweiskraft des ausländischen Urteils geht danach sehr weit. In der in England erhobenen „action on the foreign judgment“ entfalten die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des deutschen Erstrichters „conclusive evidence“, grds wird der englische Richter durch sie gebunden. Eine Überprüfung ist ausgeschlossen, so dass von einer unwiderlegbaren Vermutung für die Richtigkeit des der Entscheidung zugrunde liegenden Anspruchs gesprochen werden kann. Ernst Cohn52 hatte diese Regelung damit erklärt, dass die Frage der rechtskräftig entschiedenen Sache – res judicata – dem Beweisrecht zugerechnet werden müsse. Unter dieser Voraussetzung werde der unterlegene Beklagte des ausländischen Urteils in dem neuen Prozess vor dem englischen Richter daran gehindert, Tatsachen, auf die er sich bereits in dem früheren ausländischen Verfahren gestützt hatte, nochmals vorzutragen und zu beweisen.
16.42
Die für den englischen Prozess entwickelte Lehre von dem „Estoppel“ schränkt die Beweismöglichkeiten des Beklagten in der „action on the foreign judgment“ ein. Praktisch nähert sich diese Klage stark der Vollstreckungsklage gem. §§ 722, 723, 328 ZPO.
16.43
Ein common law-Gericht erkennt die Verpflichtung aus dem ausländischen Urteil an, sofern dieses gewisse Mindestvoraussetzungen, also Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt.53
16.44
(1) Das Erstgericht muss international zuständig gewesen sein. Englische Richter fragen, ob das ausländische Gericht „jurisdiction in the international sense“ hatte.54 Hierfür genügt gegenüber natürlichen Personen gewöhnlicher Aufenthalt („residence“) oder einfache freiwillige Anwesenheit im Gerichtsstaat.55 Eine juristische Person kann danach am Sitz der Hauptniederlassung, einer Zweigniederlassung oder am Sitz eines ständigen Agenten56 verklagt werden, wenn der Streit aus Geschäften dieser Niederlassung bzw. des Agenten herrührt. Eine Tochtergesellschaft wird im Allgemeinen nicht als Niederlassung angesehen.57 Die Zuständigkeit wird auch begründet durch eigene Klage, Zuständigkeitsvereinbarung oder rügelose Einlassung. Eine Einlassung, um primär die Zuständigkeit zu bestreiten, genügt nicht (Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, sec 33 (a)).58 Darüber hinaus gilt, vor allem in Vertrags- und Deliktsstreitigkeiten nicht das Spiegelbildprinzip, d.h. ausländische Urteile werden auch dann nicht anerkannt, wenn nach dem eigenen Recht eine Zu52 53 54 55
FS Nipperdey, Bd. I, 1975, S. 875. Vgl. J. Jacob, S. 68 ff. Cheshire, North & Fawcett, Private international law, 15th ed. 2017, pp. 528 et seq. Die Klageschrift muss dann während dieser Anwesenheit persönlich zugestellt worden sein. 56 P. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1, 22 ff. 57 Adams v Cape Industries Plc [1990] Ch 433. 58 Vgl. Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, 15th ed. 2017, Chap. 16, pp. 534 et seq. Entgegen dem eindeutigen Wortlaut von Sec. 33 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 meint P. Kutner (RabelsZ 83 (2019), 1, 54 ff.), das englische Recht folge nach wie vor der Entscheidung Harris v Taylor [1915] 2 KB 580 (CA), wonach im bloßen Bestreiten der Zuständigkeit bei hilfsweisen Ausführungen zur Sache eine rügelose Einlassung liege.
951
§ 16 Rz. 16.44 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
ständigkeit bestünde.59 Die bloße Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt genügt nicht, ebenso nicht bloßes domicile, ohne realen Aufenthalt in dem Gerichtsstaat.60 Auch der Vermögensgerichtsstand wird nicht akzeptiert.61 Die meisten Common law-Staaten lehnen damit konsequenterweise die liberale Ansicht ab, dass es genüge, wenn der Fall zum Gerichtsstaat eine „real and substantial connection“ habe.62
16.45 (2) Der verurteilten Partei muss ausdrücklich rechtliches Gehör gewährt worden sein. „Natural justice“ verlangt, dass die Klage ordentlich zugestellt und der Partei hinreichendes Gehör gewährt wurde. 16.46 (3) Das ausländische Urteil darf nicht sonstigen fundamentalen Anforderungen prozessualer oder materieller Gerechtigkeit widersprechen und darf nicht auf „fraud“ beruhen. Das Urteil wird sachlich überprüft, ob „fraud“ vorliegt oder ob es der „public policy“ des englischen Rechts widerspricht. Ein Urteil wird ferner nicht anerkannt, wenn es dem „Protection of Trading Interest Act 1980“ widerspricht, etwa weil es „multiple damages“ zuspricht (sec 5 [2]).
16.47 Das ausländische Urteil wird ferner nicht anerkannt, wenn es einem früheren englischen Urteil widerspricht.63 16.48 (4) Das Urteil muss „final and conclusive“ sein, darf also in derselben Instanz nicht mehr geändert werden können. Soweit Unterhaltsentscheidungen für künftige Zeiträume geändert werden können, sind sie nicht „final“.64 Eine Abänderung auf appeal schließt nicht aus, dass das Urteil „final“ ist.65 16.49 Seit 1975 können auch in England Urteile auf Leistung in fremder Währung ergehen.66 Solche Urteile werden aber im Rahmen der Vollstreckung auf den Zahlungstag, genauer aber auf den Tag der Zulassung der Vollstreckung umgerechnet.67 16.50 Bei der Entscheidung eines „oversea country“ wird außerdem geprüft, ob sie entgegen einer abweichenden Schieds- oder Schlichtungsvereinbarung ergangen ist (Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, sec 32 I a). Die Vereinbarung muss nach englischer Ansicht wirksam sein, und das ausländische Gerichtsverfahren muss vereinbarungswidrig ohne rügelose Einlassung des Gegners durchgeführt worden sein.68 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68
952
P. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1, 63 ff. P. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1, 28 ff., 34 ff. P. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1, 38. P. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1, 66 ff.; für England: Rubin v Eurofinance SA [2012] IESC 12. Vervaeka v Smith, [1983] 1 AC 145 (H.L.). Harrop v Harrop, [1920] 3 KB 386. Arrowmaster v Unique Forming, Ontario Court of Justice [1995] ILPr 505. Miliangos v Georg Frank (Textiles) Ltd AC 544 (H.L.); Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Vol. 2, Rule 265 (1), No. 37-082 et seq. Dicey, Morris & Collins, Conflict of Laws, 15th ed. 2012, Rule 265 (2), No. 37-092 et seq. Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, 15th ed. 2017, pp. 584 et seq.
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.56 § 16
In dem Verfahren „on the foreign judgment“ wird grds weder das Verfahren im Ausland noch der Inhalt des ausländischen Urteils nachgeprüft. Auch offensichtliche Fehler bei der Anwendung englischen Rechts müssen im ursprünglichen Verfahren gerügt werden.69
16.51
Das anerkennungsfähige Urteil ist „res iudicata“. Jede Partei (oder ihr Rechtsnachfolger) „is estopped in any subsequent litigation from disputing or questioning such decision on the merits“.70 Die estoppel-Regel wird konstruktiv als Beweisregel verstanden.
16.52
Estoppel greift bei gleichem Streitgegenstand ein oder als Bindung hinsichtlich einer präjudiziellen Vorfrage.71 Auch eine Klagabweisung wegen einer Gerichtsstandsvereinbarung bindet hinsichtlich der Auslegung der Vereinbarung und der Zuordnung.72 Bei Vorfragen wird aber beachtet, ob die Partei im Ausland die Möglichkeit hatte, die Frage im ausländischen Verfahren entscheiden zu lassen.73
16.53
Entscheidungen von Superior Courts von Commonwealth-Staaten werden dagegen nach dem Administration of Justice Act 1920 „registriert“. Als Folge der Registrierung wird die Entscheidung wie ein Urteil des registrierenden Gerichts behandelt. Soweit Gegenseitigkeit durch „Order in Council“ formell anerkannt ist, können Urteile auch anderer Staaten nach dem Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 registriert werden. Nach diesem Gesetz werden auch deutsche obergerichtliche Entscheidungen „registriert“, soweit sie nicht unter die EuGVO fallen. Die Registrierung muss innerhalb von sechs Jahren nach Erlass des Urteils erfolgen (sec. 2).
16.54
Ausländische Scheidungsurteile fallen nicht unter das Gesetz,74 sondern werden nach dem Recognition of Divorces and Legal Separations Act 1971 (as amended by Family Law Act 1986) anerkannt, soweit sie nicht unter die Brüssel IIa-VO („EuEheVO“) fallen.
16.55
b) In Irland werden Entscheidungen aus EU-Staaten nach der EuGVO, der EuVTVO, der EuMVVO, der EuGFVO, der EuUntVO und der Brüssel IIa-VO (EuEheVO) anerkannt. Die Anerkennung anderer ausländischer Zivilurteile richtet sich nach common law-Prinzipien.75 Ehescheidungen aus anderen Staaten werden nach sec. 5 (1), (4) The Domicile and Recognition of Foreign Divorces Act 1986 anerkannt.76 Danach werden Scheidungsurteile anerkannt, die in dem Land erlassen wurden, in dem beide oder einer von beiden Ehegatten sein Domizil hat. Hat keiner
16.56
69 Godard v Gray 6 LR-QB 139 (1870). 70 Carl Zeiss Stiftung v Rayner and Keeler Ltd. (no. 2), [1967] 1 AC 853; vgl. G. Spencer Bower/A. Turner/K.R. Handley, The Doctrine of Res Judicata, 3rd ed. 1996. 71 Vgl. E. Cohn, Die materielle Rechtskraft im englischen Recht, FS Nipperdey, Bd. I, 1975, S. 875; P. Barnett, Res Judicata, Estoppel and Foreign Judgments, 2001. 72 The Sennar (no. 2), [1985] 1 WLR 490 (H.L.). 73 Vgl. A. Zuckerman, On civil procedure, 3rd ed. 2013, para. 25.144. 74 Maples v Maples, [1987] 3 All ER 188. 75 Vgl. R. Schütze in Geimer/Schütze, IRV, Lfg 26 (2003), S. 1051.9 f. 76 W. Binchy, Irish Conflicts of Law, 2nd ed. 2017.
953
§ 16 Rz. 16.56 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
der Ehegatten sein Domizil im Gerichtsstaat, so wird die Entscheidung anerkannt, wenn sie im Domizilstaat bzw. den Domizilstaaten anerkannt wird. Zweifelhaft ist, ob außergerichtliche Scheidungen anerkannt werden.77
16.57 c) Die common law-Provinzen Kanadas kennen Gesetze über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen durch Registrierung.78 Zugunsten deutscher Urteile ist die Anwendbarkeit aber nur in British Columbia (durch order in council) erklärt worden.79 Zu den anderen common law-Provinzen (Alberta, New Brunswick, Newfoundland, Nova Scotia, Ontario, Prince Edward Island, Saskatchewan, North West Territories und Yukon Territory) ist zwar die Gegenseitigkeit verbürgt,80 die Anerkennung erfolgt aber nur durch Klage (action upon the judgment).81 Gegenüber der deutschen Vollstreckungsklage ist diese jedoch erleichtert, weil der Kläger ein „summary judgment proceeding“ betreiben kann, solange der Beklagte keine substantiierten Einwendungen erhebt. Der Beweis kann im summarischen Verfahren mittels affidavits geführt werden. 16.58 Seit der Neuregelung des IPR ist die Gegenseitigkeit seit 1995 auch mit Quebec gewährleistet. Nach Art. 3155 CC werden ausländische Entscheidungen in Quebec anerkannt und vollstreckt. Eine révision au fond findet nicht mehr statt (Art. 3158 CC). Eine Verbürgung der Gegenseitigkeit wird nicht verlangt, ein IPR-Vorbehalt besteht nicht (Art. 3157 CC). Anerkennungsvoraussetzungen (Art. 3155 CC) sind (1) Anerkennungszuständigkeit (sie baut wie in Deutschland auf dem Spiegelbildprinzip auf und verlangt stets, dass die Sache eine wesentliche Verbindung zum Entscheidungsstaat hat), (2) die Entscheidung muss endgültig sein und darf nicht (3) gegen fundamentale Verfahrensprinzipien, (4) die vorrangige Rechtskraft oder (5) den ordre public verstoßen.82 Bei Versäumnisurteilen muss das verfahrenseinleitende Schriftstück nach dem deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr 1928 zugestellt worden sein.83 Kanada akzeptiert auch in internationalen Fällen eine über das allgemeine common law hinausgehende Anerkennungszuständigkeit bereits dann, wenn der Fall eine „real and substantial connection“ mit dem Gerichtsstaat hat.84 16.59 Eine Pflicht zur Zahlung in ausländischer Währung wird in kanadische Währung umgerechnet zum Umtauschkurs am Tag, ab dem die Entscheidung am Ort ihres Erlasses vollstreckbar war (sec. 3161 Civil Code Quebec). 77 J. Hill, The recognition of foreign divorces in Ireland, ICLQ 50 (2001), 144, 155. 78 Vgl. C. Branson/J. McLean, Canada, in Campbell, International Execution, 1993. 79 BGH, IPRax 2001, 457 (dazu R. Schütze, S. 441); F. Tepper, Festgabe Sandrock, 1995, S. 89, 90. 80 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 146; Roth in Stein/Jonas, § 328 ZPO Rz. 138. 81 B. Bachmann in Geimer/Schütze, IRV, Lfg 27 (2004), S. 1065.21. 82 Text in RabelsZ 60 (1996), 351; dazu H. P. Glenn, RabelsZ 60 (1996), 262; B. Bachmann (Fn. 109), S. 1065.24. 83 F. Tepper, Festgabe Sandrock, 1995, S. 89, 98 ff. 84 P. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1, 66 ff.; De Savoye v Morguard Investment Ltd. [1990] 3 SCR 1077; Beal v Saldanha [2003] SCC 3 SCR 416.
954
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.63 § 16
d) In Australien richtet sich die Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach dem Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1991.85 Australien und Neuseeland haben die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen im „Agreement on Trans-Tasman Court Proceedings and Regulatory Enforcement“ von 2008 näher geregelt.86
16.60
e) Die common law-Prinzipien sind auch Ausgangspunkt für die Urteilsanerkennung in Israel. Sie ist geregelt im Enforcement of Foreign Judgments Law 1958.87
16.61
f) Gemäß sec. 13 f CCP werden ausländische Entscheidungen auch in Indien anerkannt.88
16.62
g) In Südafrika werden ausländische Entscheidungen nach comity, der aquired rights theory oder der most significant relationship theory anerkannt.89 Die Anerkennung ausländischer Zahlungstitel ist im Enforcement of Judgments Act (Act No. 32 of 1988) geregelt. Ob Prozessvergleiche nach comity anzuerkennen sind, ist streitig.90
16.63
Voraussetzungen der Anerkennung91 sind (1) Jurisdiction des Erststaats nach common law,92 (2) die Entscheidung muss „final and conclusive“ sein,93 (3) sie darf nicht gegen den südafrikanischen ordre public verstoßen,94 insb nicht durch fraud erlangt sein, nicht Grundsätzen von „natural justice“ oder dem Protection of Business Act No. 99 of 1978 widersprechen. Nach dem Wortlaut dieses Gesetzes bedürfte die Anerkennung jedes Urteils der Zustimmung des südafrikanischen Wirtschaftsministers. Die südafrikanischen Gerichte haben das Gesetz aber primär auf die Anerkennung von Urteilen über multiple oder punitive damages bezogen.95 Nach sec. 1 D dieses Gesetzes werden zusätzlich Urteile auf Schadenersatz wegen Köperverletzung nicht anerkannt, wenn diese auf dem Verbrauch oder dem Kontakt mit einem aus Südafrika stammenden Rohstoff beruht, es sei denn insoweit bestünde eine Haftung auch nach südafrikanischem Recht.96 85 Vgl. G. Hoffmann, Urteilsanerkennung im deutsch-australischen Rechtsverkehr, 2010. 86 Vgl. O. Knöfel, Internationales Zivilverfahrensrecht „Down Under“ – Australisch-neuseeländisches Binnenmarktprozessrecht, RIW 2009, 603. 87 Vgl. C. Wasserstein Fassberg, Israeli Foreign Judgments Law: A case for codification?, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 671. 88 S. Phadnis/D. Otto, RIW 1994, 471; D. Otto, Länderbericht Indien, in Geimer/Schütze, Internat. Rechtsverkehr, Lfg. 20 (1997), S. 1046.6 ff.; W. Hau, FS Schütze, 2015, S. 151. 89 T. Doser, Gegenseitigkeit, S. 294 ff.; P. Bäder, Die Anerkennung, S. 96 ff. 90 T. Doser, S. 302 f. 91 T. Doser, S. 304 ff.; T. Doser in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 29 (2005), S. 1133.8 ff.; E.-M. Henke, ZfRV 2011, 166, 167. 92 P. Bäder, Die Anerkennung, S. 104–138. 93 P. Bäder, Die Anerkennung, S. 139 ff. 94 P. Bäder, Die Anerkennung, S. 144 ff. 95 P. Bäder, Die Anerkennung, S. 154 ff. 96 P. Bäder, Die Anerkennung, S. 156 f.
955
§ 16 Rz. 16.63 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
Für Unterhaltstitel ist die Gegenseitigkeit förmlich durch Erklärungen gem. § 1 I 1 Nr. 3, S. 2 AUG 2011 verbürgt.97 Entsprechend der common law-Praxis wird die ausländische Entscheidung nicht für vollstreckbar erklärt, sondern auf deren Grundlage eine neue (inländische) Sachentscheidung gefällt.98 3. Anerkennung in Lateinamerika
16.64 Schrifttum: N. de Araujo/F. do Valle Malgalhães Marques, Recognition of Foreign Judgments
in Brazil, Yearbook of PIL VII (2005), 119; J. M. Arruda Alvim, Manual de Direito Procesual Civil, 12th ed Vol 2, 2008; J. C. Barbosa Moreira, Comentários ao Código de Proceso Civil, Vol V, 12. Aufl. 2005; J. C. Barbosa Moreira, Problems in International Litigation, National Report on Brazilian Law, in The International Symposium on Civil Justice in the Era of Globalization, Tokyo 1993, S. 89; J. C. Hitters, Effectos de las sentencias y de los laudos arbitrales extranjeros, Taormina World Congress of Procedural Law, 1995; E. Möllring, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Südamerika, 1985; J. Samtleben, Ausschließliche Scheidungszuständigkeit der peruanischen Gerichte, IPRax 1982, 119.
16.65 a) Das brasilianische Recht verbietet die „révision au fond“. Auch das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit ist abgeschafft worden. Ausländische Entscheidungen müssen aber, vorbehaltlich einer anderen gesetzlichen oder staatsvertraglichen Regelung, förmlich anerkannt werden (Art. 961 ZPO 2015), sog. „homologação de sentença estrangeira“. Anerkannt werden endgültige Entscheidungen (Art. 961 § 1 ZPO 2015), aber auch Entscheidungen des einstweiligen Rechtschutzes (Art. 962 ZPO 2015), dabei kann es sich auch um Entscheidungen nicht-richterlicher Organe handeln (z B eine Ehescheidung), wenn hierfür nach brasil. Recht ein Gericht zuständig wäre. Zuständig für diese Homologisierung ist nicht mehr das Oberste Bundesgericht, sondern das Bundesobergericht (Art. 105 I lit. i brasil. Verfassung). Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung hat nach Art. 963 ZPO 2015 folgende Voraussetzungen: a) ein zuständiger Richter muss die ausländische Entscheidung erlassen haben; b) die Parteien müssen gesetzmäßig geladen worden sein; c) die ausländische Entscheidung muss im Urteilsstaat vollstreckbar sein; d) die Entscheidung darf nicht einem rechtskräftigen brasilianischem Urteil widersprechen, e) die ausländische Entscheidung muss zusammen mit einer offiziellen Übersetzung vorgelegt werden; f) die ausländische Entscheidung darf nicht dem brasilianischen ordre public widersprechen.99 Nach Art. 964 ZPO 2015 darf zusätzlich keine ausschließliche Zuständigkeit der brasil. Gerichte bestanden haben. 16.66 Die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichts muss nach den Art. 88, 89 brasil. ZPO bestehen. Dies ist nur der Fall, wenn kein ausschließlicher Gerichtsstand in Brasilien bestand, die Parteien wirksam den ausländischen Gerichtsstand durch ausdrückliche Vereinbarung oder rügelose Einlassung gewählt haben oder 97 Vgl. aber T. Doser in Geimer/Schütze, IRV, S. 1133.7 f. 98 E.-M. Henke, ZfRV 2011, 166, 169. 99 A. Gonçalvez de Castro Mendes, Competência Cível da Justiça Fedear, 4. Aufl. 2012, S. 109; A. Gonçalvez de Castro Mendes, Novo Código de Processo Civil Comparado e Anotado, 4. Aufl. 2017, S. 591 f.
956
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.70 § 16
wenn der Beklagte wegen Aktivitäten im Ausland aufgrund einer Zuständigkeit in Anspruch genommen wurde, die brasilianischen Zuständigkeitsregeln entsprach.100
b) In Mexiko werden ausländische Urteile anerkannt, wenn (1) um die Vollstreckung per letter rogatory ersucht wird, (2) das Ausgangsgericht international zuständig war, (3) die Klage persönlich zugestellt wurde, (4) die Entscheidung endgültig und (5) die Sache nicht in Mexiko rechtshängig ist. Außerdem darf es sich (6) nicht um eine Klage in rem handeln und (7) der mexikanische ordre public nicht verletzt sein.101
16.67
c) Zwischen den MERCOSUR-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) richten sich die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen nach dem Inter-amerikanischen Übereinkommen von Montevideo v. 8.5.1979 über die extraterritoriale Gültigkeit ausländischer Urteile102 sowie nach dem Protokoll von Las Leñas über gerichtliche Zusammenarbeit und Hilfeleistung v. 27.6.1992.103 Art. 20 des Protokolls verlangt a) die formelle Authentizität der ausländischen Entscheidung, b) ggf. ihre Übersetzung mit den erforderlichen Urkunden, c) die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats, d) die ordentliche Ladung und die Möglichkeit der Verteidigung des Beklagten, e) die Rechtskraft bzw. Vollstreckbarkeit der Entscheidung sowie f) keinen Verstoß gegen den ordre public.
16.68
Anders als im europäischen Recht entscheidet jeder Staat selbst über die Anerkennungszuständigkeit.104 Nur teilweise ist bereits die Entscheidungszuständigkeit im Protokoll von Buenos Aires über internationale Zuständigkeit für Schuldverträge v. 5.8.1994105 vereinheitlicht. Dieses Protokoll gilt nur für Verträge von Privatpersonen (Art. 1). Anerkannt werden Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 4 I), der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 7, 8), des Wohnsitzes des Beklagten (Art. 9), aber auch des Klägers nach Erbringung der Gegenleistung (Art. 7c).106
16.69
In internationalen Handelsgeschäften können die Parteien auch vorab schriftlich die Zuständigkeit der Gerichte eines Staats vereinbaren, sofern die Vereinbarung nicht missbräuchlich ist und zwischen Streitgegenstand und Forum eine hinreichende Beziehung besteht.107 d) In Kolumbien richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach Art. 693 ff. c.proc.civ 1970. Art. 693 verlangt Gegenseitigkeit; 100 J. Samtleben in Geimer/Schütze, IRV, S. 1023.22 f. 101 Vazquez Pando, IntLawyer 23 (1989), 995, 1006; K. A. v. Sachsen Gessaphe in Geimer/ Schütze, IRV, Lfg. 25 (2003), S. 1090.15 ff. 102 Vgl. R. Casad, Civil Judgment Recognition, S. 169 ff. 103 Abgedruckt in RabelsZ 63 (1999), 147; vgl. auch H. Pabst, IPRax 1999, 76, 77; H. Pabst, Mercosul – IZVR in Südamerika, in Jayme, Das Recht der lusophonen Länder, 2000, S. 43, 44. 104 J. Samtleben, RabelsZ 63 (1999), 1, 24. 105 In englischer Übersetzung abgedruckt in ILM 1997, 1263. 106 Vgl. J. Samtleben, RabelsZ 63 (1999), 1, 35 ff. 107 Vgl. J. Samtleben, RabelsZ 56 (1992), 1, 21 f.
957
16.70
§ 16 Rz. 16.70 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
es genügt „legislative Gegenseitigkeit“. Im Verhältnis zu Deutschland ist die Gegenseitigkeit anerkannt.108
16.71 e) In Peru ist die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Urteilen und Schiedssprüchen in den Art. 2102–2110 Código Civil v. 14.11.1984 geregelt.109 Grundvoraussetzung für die Anerkennung ist die Gegenseitigkeit (Art. 2102 II, 2103, 2104 Nr. 8 CC). Im Verhältnis zu Deutschland ist sie gegeben.110 An weiteren Anerkennungsvoraussetzungen werden verlangt: (1) die Zuständigkeit des Erststaats nach „den allgemeinen Grundsätzen“ der internationalen Zuständigkeit (Art. 2104 Nr. 2 CC); (2) kein Verstoß gegen die ausschließliche peruanische Zuständigkeit (Art. 2104 Nr. 1 CC); (3) Ladung des Beklagten nach dem Recht des Urteilsstaats, ausreichende Zeit zur Einlassung und Möglichkeit der Verteidigung (Art. 2104 Nr. 3 CC); (4) kein Verstoß gegen eine vorherige peruanische Rechtshängigkeit; (5) kein Verstoß gegen eine anerkennungsfähige Entscheidung eines Drittstaats; (6) die Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung nach dem Prozessrecht des Urteilsstaats (Art. 2104 Nr. 4 CC) und (7) kein Verstoß gegen den ordre public Perus (Art. 2104 Nr. 7 CC).
16.72 Für die Scheidung der eigenen Staatsangehörigen nimmt Peru keine ausschließliche Zuständigkeit mehr in Anspruch. Deutsche Scheidungsurteile sind also grds anerkennungsfähig. 16.73 Ausländische Entscheidungen werden im Exequaturverfahren nach den Art. 2106– 2108 CC durch den Corte Superior für vollstreckbar erklärt. In dem gleichen Verfahren erfolgt auch die (notwendige) förmliche Anerkennung; lediglich nichtstreitige Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit werden inzident anerkannt.111 16.74 f) Ausländische Urteile sind in Venezuela gem. Art. 53 IPRG v. 6.8.1998 wirksam, wenn sie (1) in Zivil- oder Handelssachen ergangen, (2) rechtskräftig sind, (3) weder dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen in Venezuela noch sonstige Fälle ausschließlicher Zuständigkeit der venezolanischen Gerichte betreffen,
108 Vgl. D. Martiny, HdbIZVR, Bd. III/1, Kap. I Rz. 1418. 109 J. Samtleben, RabelsZ 49 (1985), 486, 513 ff. 110 J. Samtleben, RabelsZ 49 (1985), 486, 515; vgl. auch M. Söhngen, Das internationale Privatrecht von Peru, 2006. 111 J. Samtleben, RabelsZ 49 (1985), 486, 516.
958
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.76 § 16
(4) Anerkennungszuständigkeit parallel zur venezolanischen Entscheidungszuständigkeit besteht, (5) die Verteidigung des Beklagten ausreichend garantiert war und (6) keine Unvereinbarkeit mit einem früheren Urteil oder keine frühere Rechtshängigkeit der Sache in Venezuela besteht.112 Auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit wird dagegen verzichtet.113 4. Anerkennung in Civil law-Staaten des europäischen Rechtsraums Schrifttum: S. Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz, M. Bogdan, The recognition in Sweden of money judgments in civil and commercial matters, Nordisk Tidsskrift for International Ret 54 (1985) (Fasc. 3–4) 85; G. Cuniberti, Le fondement de l’effet des jugements étrangers, RdC 394 (2017), 87; G. Frangou, Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Griechenland, 2017; A. Firsching, Schweden: Zur Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Vollstreckungstitel, ZfRV 2003, 4; J. Fischler, Schwedisches Handels- und Wirtschaftsrecht mit Verfahrensrecht, 3. Aufl. 1978; M. Fricke, Die Anerkennung ausländischer Urteile in Frankreich nach autonomem Recht, IPRax 1989, 202; St. Haedicke, Die Vollstreckung deutscher Urteile in Frankreich auf der Grundlage des EuGVÜ, 1999; I. v d Heyde, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Italien gemäß Artt 64–66 IPRG, IPRax 2000, 441; D. Hochstrasser/N. P. Vogt, Commercial Litigation and Enforcement of Foreign Judgments in Switzerland, 1995; G. Jónsson, Verfolgung von Forderungen vor isländischen Gerichten, AnwBl. 2002, 644; M. A. Lupoi, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments outside the scope of application of the Brussels and Lugano conventions: Italy in Walter/Baumgartner, Recognition and Enforcement, 2000, S. 347; E. Mezger, Anerkennung deutscher Vaterschafts- und Unterhaltsurteile in Frankreich, IPRax 1981, 103; H. Muir Watt, Effets en France des Decisions Etrangers, Juris-Classeur, Procédure civile, 1990, Fasc. 124–3 bis 124–10; H. Peroz, La réception des jugements étrangers dans l’ordre juridique français, 2005; N. Rosner, Cross-Border Recognition and Enforcement of Foreign Money Judgments in Civil and Commercial Matters (Chap. 4, 6), 2004, S. 222 u. 290; I. Schwander, Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Scheidungsurteile, FamPra.ch 4/2009, 832; O. Seggewisse, Die Vollstreckung deutscher Titel in den Niederlanden, NJW 2008, 2156; D. Tsikrikas, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen und Schiedssprüche nach dem griechischen Zivilverfahrensrecht, ZZPInt 23 (2018), 79; G. Walter, Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Italien, ZZP 109 (1996), 3; G. Walter/S. Baumgartner, Recognition and enforcement of foreign judgments outside the scope of the Brussels and Lugano Conventions, 2000.
16.75
a) Das autonome französische Recht ist für die von EuGVO und Brüssel IIa-VO nicht erfassten Sachgebiete nach wie vor maßgeblich. Davon nicht erfasste Urteile, die den Personenstand und die Geschäftsfähigkeit betreffen, werden ohne besonderes Verfahren anerkannt, sofern die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind. Urteile in vermögensrechtlichen (erbrechtlichen) Streitigkeiten bedürfen für ihre Anerkennung eines vorherigen Exequaturs.114
16.76
112 Text abgedruckt in IPRax 1999, 196, 199. 113 E. Hernandez-Breton, IPRax 1999, 194, 196. 114 M. Fricke, IPRax 1989, 202, 203; H. Batiffol/P. Lagarde, No. 730 ff.; Lécuyer-Thieffry, France, in Campbell, International Execution, 1993; N. Rosner, S. 222 ff.; R. Schütze in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 23 (2000), S. 1039.10.
959
§ 16 Rz. 16.77 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
16.77 Im Fall Munzer hat die Cour de Cassation folgende fünf Anerkennungsvoraussetzungen aufgestellt:115 (1) Das Erstgericht muss international zuständig gewesen sein.116 Die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts wird nicht anerkannt, soweit Frankreich selbst eine ausschließliche Zuständigkeit in Anspruch nimmt. Wann dies der Fall ist, ist im Einzelnen unklar, weil nicht eindeutig geregelt ist, wann international ausschließliche Zuständigkeiten bestehen. Tendenziell wird aber aufgrund der Art. 14, 15 Code civil eine ausschließliche französische Zuständigkeit in Anspruch genommen, wenn ein Franzose am streitigen Rechtsverhältnis beteiligt ist, sofern er nicht selbst im Ausland geklagt hat oder sich dort rügelos eingelassen hat.117 Im Übrigen wird die Anerkennungszuständigkeit des Auslands akzeptiert, wenn der Fall eine hinreichende Beziehung zum Gerichtsstaat hatte, so dass dessen Zuständigkeit nicht willkürlich, gekünstelt oder betrügerisch ist.118
16.78 (2) In Anwendung des französischen IPR muss das richtige Recht angewendet worden sein. Nicht erforderlich ist, dass gleiche Normen angewendet worden sind, sondern nur dass sich gleichartige Rechtsfolgen ergeben.119 Auch Rechtsanwendungsfehler sind grds unbeachtlich. 16.79 (3) Es darf kein Rechtsmissbrauch vorliegen. Dieser könnte im Fall der Gesetzesumgehung oder des forum shopping gegeben sein.120 16.80 (4) Das ausländische Urteil darf nicht dem französischen ordre public widersprechen. Der ordre public hat wie üblich eine verfahrensrechtliche und eine materiellrechtliche Seite.121 Verfahrensrechtlich werden ggf. hohe Anforderungen an den Nachweis der Vaterschaft gestellt.122 16.81 (5) Vollstreckungsfähige Entscheidungen müssen im Ursprungsstaat vollstreckbar sein; vorläufige Vollstreckbarkeit genügt. 16.82 Die Vollstreckbarerklärung erfolgt im streitigen Exequaturverfahren durch Klage nach Art. 55, 56 CPC vor dem Tribunal de Grande Instance (Art L.311–11 C.Org. Jud.). Die Klage ist gegen den Vollstreckungsgegner zu richten. Ein einseitiges Antragsverfahren nach Art. 493 ff. CPC, Art. 38 ff. EuGVO/LugÜ kommt nicht in Betracht.123 16.83 b) Das autonome italienische Recht ist durch das IPR-Gesetz v. 31.5.1995 (legge n. 218/1995) reformiert und weitgehend der Rechtslage nach dem EuGVÜ angepasst 115 116 117 118 119 120 121 122 123
960
Cass.civ. 7.1.1964, Rev.crit. 1964, 344; H. Batiffol/P. Lagarde, No. 718 ff. H. Muir Watt, J.-Cl., P.C. Fasc. 124–5 no. 21 ff. Im Einzelnen vgl. M. Fricke, IPRax 1989, 202, 204. Fall Simitch, Cass.civ. Rev.crit. 1985, 369. H. Muir Watt, J.-Cl., P.C. Fasc. 124–5, no. 86 ff. M. Fricke, IPRax 1989, 202, 205 f.; H. Muir Watt, J.-Cl., P.C. Fasc. 124–6 no. 1 ff. H. Muir Watt, J.-Cl., P.C. Fasc. 124–6 no. 27 ff., 79 ff. Vgl. M. Fricke, IPRax 1989, 202, 206. Vgl. H. Muir Watt, J.-Cl., P.C.Fasc. 124–9.
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.86 § 16
worden.124 Anders als bisher sind ausländische Entscheidungen jetzt nach Art. 64 IPRG automatisch anzuerkennen, wenn die üblichen Voraussetzungen gegeben sind. Das vorher erforderliche besondere Delibationsverfahren (Art. 796 I cprc a.F.) wurde bereits mit Wirkung zum 1.1.1997125 abgeschafft.
16.84
Voraussetzungen für die Anerkennung ex lege sind nach Art. 64 I:126 (1) Die (spiegelbildliche) Zuständigkeit des ausländischen Gerichts nach italienischen Regeln (nach Art. 3 [2] Legge n. 218/95 gelten allgemein die Zuständigkeitsregeln des EuGVÜ), (2) die ordnungsgemäße Bekanntgabe des verfahrenseinleitenden Akts gegenüber dem Beklagten nach den Regeln des Prozessgerichts und die grundsätzliche Wahrung der Rechte der Verteidigung, (3) die Einlassung der Parteien auf das Verfahren nach dem Prozessrecht des Verfahrensortes, (4) die Rechtskraft des Urteils nach ausländischem Recht, (5) kein Widerspruch des Urteils gegen ein italienisches rechtskräftiges Urteil, (6) kein Verstoß gegen die Rechtshängigkeit eines Verfahrens vor einem italienischen Gericht mit gleichem Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien, das vor dem ausländischen Prozess eingeleitet wurde, und schließlich (7) kein Verstoß gegen den italienischen ordre public. Eine révision au fond ist generell ausgeschlossen.127 Die Gestaltungswirkung von ausländischen Scheidungsurteilen und anderen ausländischen Anordnungen bezüglich der Handlungsfähigkeit oder des Bestehens familiärer Beziehungen oder von Persönlichkeitsrechten wird nach Art. 65 IPRG 1995 kollisionsrechtlich anerkannt, wenn sie von Behörden des Staats erlassen wurden, dessen Recht nach dem IPRG in der Sache anwendbar ist. Drittstaatentscheidungen werden anerkannt, wenn sie im Staat des anwendbaren Rechts anerkannt werden. Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass die Entscheidungen nicht dem ordre public widersprechen und die Verteidigungsrechte des Beklagten gewahrt werden.128
16.85
c) Soweit deutsche Zahlungsurteile weder unter EuGVO n.F., EuUntVO, EuGüVO noch den deutsch-niederländischen Vertrag fallen, können sie in den Niederlanden nicht anerkannt werden (Art. 431 R.V.).
16.86
124 Text in: ZZP 109 (1996), 4 und Riv.dir.int.priv.proc. 31 (1995), 511; vgl. G. Walter, ZZP 109 (1996), 3; A. Pesce, RIW 1995, 977, 982; F. Pocar, IPRax 1997, 145, 160; F. Sturm, Festgabe Schnyder, 1995, S. 761, 772 ff.; F. Carpi Riv.dir.proc. 52 (1997), 981. 125 IPRax 1997, 141; F. Pocar, IPRax 1997, 145, 160. 126 Vgl. G. Walter, ZZP 109 (1996), 3, 23 ff.; I. v. der Heyde, IPRax 2000, 441, 442; R. Pfeifer in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 25 (2003), S. 1056.10 ff. 127 G. Walter, ZZP 109 (1996), 3, 23. 128 Vgl. G. Walter, ZZP 109 (1996), 3, 24 f.
961
§ 16 Rz. 16.87 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
16.87 Danach kann aber ein neues Verfahren in den Niederlanden durchgeführt werden. Freilich übernimmt das niederl. Gericht i.d.R. die ausländische Entscheidung, soweit die Parteien daran gebunden sind. Dafür muss (1) das ausländische Gericht zuständig gewesen sein, (2) die Entscheidung darf nicht dem niederländischen ordre public widersprechen, und schließlich (3) muss sie in einem due process entsprechenden Verfahren ergangen sein.129 16.88 Entscheidungen zum persönlichen Status fallen nicht unter Art. 431 R.V. Bis vor kurzem wurden sie einem IPR-Test unterzogen und geprüft, ob das ausländische Gericht das gleiche Recht wie ein niederl. Gericht angewandt hat. Seit einigen Jahren wird jedoch nur noch darauf abgestellt, ob das ausländische Gericht international zuständig war, rechtliches Gehör gewahrt ist, kein Verstoß gegen den ordre public vorliegt und keine Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung eines niederländischen Gerichts oder einer in den Niederlanden anerkannten Entscheidung eines ausländischen Gerichts gegeben ist.130 16.89 d) Liechtenstein. Vgl. M. Frick, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivilsachen im Fürstentum Liechtenstein, 1992. 16.90 e) In der Schweiz richtet sich die Anerkennung außerhalb von LugÜ 1988 und LugÜ 2007 nach Art. 25 ff. IPRG (v 18.12.1987). Nach Art. 25 IPRG wird eine ausländische Entscheidung anerkannt, wenn (1) das ausländische Gericht zuständig war, (2) die Entscheidung endgültig ist und (3) kein Weigerungsgrund nach Art. 27 IPRG vorliegt. Weigerungsgründe sind (1) der Verstoß gegen den Schweizer ordre public, (2) die fehlerhafte Ladung zum Verfahren, es sei denn die Partei habe sich vorbehaltlos eingelassen, (3) die Verletzung wesentlicher Grundsätze des Schweizer Verfahrensrechts und (4) die frühere Anhängigkeit eines Rechtsstreits zum gleichen Gegenstand in der Schweiz oder dessen frühere Entscheidung in der Schweiz oder in einem Drittstaat, wenn dessen Entscheidung anzuerkennen ist (Art. 27 IPRG). 16.91 f) Im Verhältnis zu Schweden galt seit 1.4.1995 das Lugano Übereinkommen, also das System des EuGVÜ. Nachdem Schweden zum 1.1.1999 Mitglied der EU wurde, galt das EuGVÜ.131 Seit 1.3.2002 gelten im Verhältnis zu Schweden die EuGVO (s. Rz. 12.16 ff.), seit 1.3.2001 die Brüssel IIa-VO132 und nunmehr auch die alle neueren EU-Verordnungen. 16.92 Im Verhältnis zu Schweden gelten außerdem das Haager Zivilprozessübereinkommen 1954, das HUÜ 2007, das HUVÜ 1973 und das HUVÜ 1958. Für die davon nicht erfassten vermögensrechtlichen Entscheidungen gilt Folgendes: Das schwedische Prozessgesetz kennt keine Anerkennung und Vollstreckung auslän129 Th.M. de Boer/L. Strikwerda in Chorus/Hondius/Voermans, Introduction to Dutch Law, 5th 2016, Chap. 14 No. 34 (p. 310). 130 Th.M. de Boer/L. Strikwerda in Chorus/Hondius/Voermans, Introduction to Dutch Law, 5th ed. 2016, Chap. 14 No. 35 (p. 311). 131 Vgl. R. Wagner, RIW 1998, 590. 132 Vgl. A. Firsching, ZfRV 2003, 4, 5 f.
962
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.97 § 16
discher Urteile.133 Die Gerichte prüfen ausländische Urteile aber im Allgemeinen nicht nach, sondern behandeln sie als „Beweis“ für den darin festgestellten Anspruch.134 Überprüft wird, ob schwedisches Kollisionsrecht befolgt ist. Beruhte die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts auf vertraglicher Vereinbarung, so wird das Urteil nicht überprüft, wenn das ausländische Verfahren fair war und die Entscheidung nicht dem schwedischen ordre public widerspricht. In der Sache wird das ausländische Urteil somit ähnlich wie in England als Beweis für den geltend gemachten Anspruch behandelt und auf Klage ein Urteil „upon the judgment“ erlassen.135 Außerhalb von EuGVO/LugÜ werden ausländische Urteile in Schweden ausnahmsweise anerkannt, wenn schwedische Gerichte für eine Entscheidung über den Streitgegenstand nicht zuständig waren (z.B. über ein ausländisches Grundstück). Anerkannt werden auch ausländische Entscheidungen im Bereich des Familienrechts136 und des Erbrechts (nach dem Gesetz [1937:81]).137
16.93
Schweden ist Vertragsstaat des Haager Übereinkommens über die Anerkennung von Ehescheidungen von 1970.138 Außerhalb von Staatsverträgen werden solche Entscheidungen anerkannt, wenn die Sache eine ausreichende Beziehung zum Entscheidungsstaat hat und die Entscheidung nicht gegen den schwedischen ordre public verstößt.139
16.94
g) Im Verhältnis zu Finnland gelten neben den EU-Verordnungen das HUÜ 2007, das HUVÜ 1973, das HUVÜ 1958 sowie das HZÜ 1954.140 Außerhalb des Anwendungsbereiches des EU-Rechts und dieser Übereinkommen werden ausländische Entscheidungen nicht anerkannt. Als Beweismittel, das eine neue Sachprüfung ausschließt, werden sie nur gewertet, wenn das Verfahren auf einer Gerichtsstandsvereinbarung beruhte oder ausländische Immobilien betraf.141
16.95
h) Im Verhältnis zu Island galt lange Zeit nur das Haager Zivilprozessübereinkommen von 1905. Als Mitglied der EFTA hat Island aber das LugÜ 1988 mit Wirkung zum 1.1.1995 ratifiziert.142 Seit 1.1.2011 gilt das LugÜ 2007 auch im Verhältnis zu Island (s. Rz. 3.11).
16.96
5. Anerkennung und Vollstreckung in ost- und südosteuropäischen Staaten Schrifttum: M. Boguslavskij, Internationales Zivilprozessrecht in den GUS-Staaten, in Boguslawskij/Trunk, Reform des Zivil- und Wirtschaftsprozessrechts in den Mitgliedsstaaten der GUS, 2004, S. 19; M. Bytomski, Zur Frage der Anerkennung und Vollstreckung polnischer 133 M. Bogdan/D. Fisher in Tiberg/Sterzel/Cronhult, Swedish law, 1994, S. 584. 134 L. Pålsson in Geimer/Schütze, IRV, S. 1120.11. 135 M. Bogdan Nordish Tidsskrift Int’L Ret 1985 (no. 3–4), 85, 86 f.; F. Juenger, AmJCompL 36 (1988), 1, 27; vgl. auch R. Schütze, RIW 1983, 417. 136 Vgl. L. Pålsson in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 25 (2003), S. 1120.1, 12. 137 A. Firsching, ZfRV 2003, 4, 7, 9. 138 Abgedruckt bei Jayme/Hausmann, 11. Aufl. Nr. 183 (nicht mehr in späteren Auflagen). 139 M. Bogdan in Tiberg/Sterzel/Cronhult, Swedish Law, 1994, S. 585. 140 Vgl. U. Uusitalo, Finland, in Campbell, International Execution, 1993. 141 F. Juenger AmJCompL 36 (1988), 1, 28. 142 Die Darstellung von St. Stefánsson in Geimer/Schütze, IRV, S. 1053.1 ff. ist überholt.
963
16.97
§ 16 Rz. 16.97 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland Urteile über vermögensrechtliche Ansprüche in der Bundesrepublik Deutschland, FamRZ 1997, 986; P. Dobiáš, Die Neuregelung des IPR in der Tschechischen Republik, RIW 2012, 671; E. Gerasimchuk, Die Anerkennung und Vollstreckung von zivilrechtlichen Urteilen im deutsch-russischen Rechtsverkehr, 2007; E. Gralla, Das polnische internationale Zivilverfahrensrecht, Jahrbuch für Ostrecht, X (1969), 167; G. Halili, Das albanische internationale Zivilverfahrensrecht in Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa, 1992, S. 35; J. Jodlowski, Les Conventions relatives à la coopération judiciaire en matières civile et commerciale entre les Etats socialistes el les Etats occidentaux, RdC 158 (1977 V), 281; M. Kiliç, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Scheidungsurteile durch türkische Gerichte, IPRax 1994, 477; H. Krüger, Vollstreckung deutscher Gerichtsentscheidungen in der Türkei, RIW 1986, 639; M. Krusche, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Urteile in Polen, Tschechien und Ungarn, WiRO 1999, 173; Z. Kučera, Tschechische und Slowakische Föderative Republik – Internationale Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile, in Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht, 1992, S. 53; E. Kurzynsky-Singer, Anerkennung ausländischer Urteile durch russische Gerichte, RabelsZ 74 (2010), 493; A. Mączyński, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Polen, in E. Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht, 1992, S. 103; E. Nomer, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in der Türkei, FS Kitagawa, 1992, S. 771; R. Pikó, Ungarn im Blickfeld des Internationalen Zivilverfahrensrechts, WiRO 1994, 242; Ch. Rumpf, Zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen in der Türkei, IPRax 1998, 48; K. Sajko, Das EuGVÜ und das jugoslawische Recht in Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht, 1992, S. 65; V. Šaula, Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen in Bosnien und Herzegowina, insbesondere in der Republik Srpska, IPRax 2004, 361; M. Sawczuk, Poland in Walter/Baumgartner, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments Outside the Scope of the Brussels and Lugano Convention, 2000, S. 449; M. Sawczuk, Internationales Zivilprozessrecht in Polen, FS Geimer, 2002, S. 921; K. Schwenzfeier, Zwangsvollstreckung aus deutschen Titeln in Ungarn, DGVZ 2006, 97; W. Seiffert, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Osteuropa, 1994; H. Sikiriæ, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile in Kroatien, JbOstR 45 (2004), 63; Y. Skrdlik, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Tschechien, 2000; J. Steinbach, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile und Schiedssprüche in der Russischen Föderation, 2003; G. Tekinalp, Über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Türkei in Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht, 1992, S. 143; Th. Tschipev, Die internationale Zuständigkeit bulgarischer Gerichte und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile in Bulgarien in Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa, 1992, S. 45; D. Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997.
16.98 a) Soweit es sich um vertragliche Ansprüche handelt, hat sich die Frage in Wirtschaftsstreitigkeiten bisher kaum gestellt, weil die bisherigen staatlichen Handelsunternehmen grds auf die Schiedsgerichtsbarkeit ausgewichen sind. Entscheidungen ausländischer Gerichte werden in vielen osteuropäischen Staaten nur anerkannt und vollstreckt, soweit die Gegenseitigkeit durch Staatsvertrag gewährleistet ist. Für Russland folgt dies aus Art. 409 Pkt 1 ZPO u Art. 241 Pkt 1 APO (beide von 2002).143 Da ein solcher Vertrag mit Russland nicht besteht, werden deutsche Entscheidungen generell nicht anerkannt.144 143 M. Boguslawskij, S. 19, 27; A. Trunk/V. Jarkov in Geimer/Schütze, Intern. Rechtsverkehr, Lfg. 27 (2004), S. 1118.11. 144 S. aber E. Kurzynsky-Singer, RabelsZ 74 (2010), 493.
964
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.101 § 16
Ausnahmen bestehen für Kostenentscheidungen im Rahmen von Art. 18 HZPÜ 1954, für Entscheidungen, die unter das Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden v. 29.11.1969 sowie für von der CMR erfasste Entscheidungen, da Russland diesen Übereinkommen beigetreten ist. Dem Übereinkommen über den Ersatz des Dritten auf der Erdoberfläche durch ausländische Luftfahrzeuge zugefügte Schäden von 1952 ist zwar die Sowjetunion, nicht aber Deutschland beigetreten. Entscheidungen, die keiner Vollstreckung bedürfen, wie Ehescheidungen, werden dagegen auch ohne Staatsvertrag anerkannt (Art. 413–415 ZPO).145 b) In den anderen Nachfolgestaaten der UdSSR, etwa in der Ukraine und in Kirgisistan, besteht derzeit die gleiche Rechtslage. In Kasachstan richtet sich die Anerkennung ausländischer Entscheidungen nun nach Art. 425, 426 Zivilprozessgesetzbuch v. 1.7.1999.146 Art. 425 (1) verlangt für die Anerkennung von Leistungsurteilen wie bisher gesetzliche oder staatsvertragliche Gegenseitigkeit.
16.99
c) Ungarn ist seit 1.4.2004 EU-Mitglied, so dass seither alle EU-Verordnungen und die LugÜ gelten. In Ungarn kann ein Europäischer Zahlungsbefehl vom Notar ausgestellt werden.147
16.100
Ausländische Entscheidungen aus Drittstaaten werden gem. §§ 109–123 IPRG von 2017 (Gesetz Nr XXVIII)148 anerkannt und vollstreckt. Voraussetzungen sind: Kein Verstoß (1) gegen den ungarischen ordre public, (2) gegen das rechtliche Gehör des Unterlegenen, der nicht am Verfahren teilgenommen hat, bei der Ladung zum Verfahren, (3) gegen eine vorrangige inländische Rechtshängigkeit, (4) gegen eine frühere inländische Entscheidung in derselben Sache, (5) gegen eine frühere anzuerkennende Entscheidung eines ausländischen Gerichts in derselben Sache, und (6) in vermögensrechtlichen Angelegenheiten keine fehlende Gegenseitigkeit, es sei denn Ungarn wäre international nicht zuständig gewesen oder die Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts beruhte auf einer Parteivereinbarung, die ungarischem Recht genügt.149 Ungarn ist außerdem Vertragsstaat des HZPÜ 1954 (s. Rz. 8.142 ff.), des HUÜ 2007, des KSÜ 1996, und des EuSorgeRÜ 1980. d) Rumänien ist seit 1.1.2007 EU-Mitgliedstaat; seither gelten alle EU-Verordnungen und das LugÜ. Für ältere Entscheidungen und im Verhältnis zu Drittstaaten richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach Art. 165–178 IPRG 1992.150 Ex lege anerkannt werden Urteile zum Personenstand von Angehörigen des Staats, in dem es ergangen ist, oder entsprechende Drittstaat145 A. Trunk/V. Jarkov in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 27 (2004), S. 1118.11. 146 Abgedruckt in IPRax 2002, 60, 62. 147 V. Harsági, The Notarial Order for Payment Procedure as a Hungarian Peculiarity, Revista de Processo 37 (2012), 177, 190. 148 Deutsche Übersetzung in IPRax 2018, 306. 149 V. Harsági in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 57 (2019), S. 1151.1, 32 ff.; Z. Csehi, IPRax 2018, 298, 304 f. 150 Jb. f. Ostrecht 34 (1993), 192, 229 f.
965
16.101
§ 16 Rz. 16.101 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
entscheidungen, die der Heimatstaat jeder Partei anerkennt (Art. 166 IPRG). Andere Entscheidungen werden nach Art. 168 IPRG anerkannt, wenn sie (1) rechtskräftig sind, (2) das Erstgericht nachseinem Recht zuständig war, (3) faktische Gegenseitigkeit besteht, (4) im Ausland ein ordnungsgemäßes Verfahren stattgefunden hat, (5) die Entscheidung nicht gegen den rumänischen ordre public und (6) in der Sache nicht eine rumänische Entscheidung vorliegt oder die rumänische Rechtshängigkeit missachtet wurde. In Personenstandsfragen darf außerdem im Ergebnis eine Abweichung von den rumänischen IPR-Regeln bestehen. Die Gegenseitigkeit ist im Verhältnis Deutschland zu Rumänien zu bejahen.151
16.102 e) Im Verhältnis zu Polen galt seit 1.2.2000 das LugÜ (s. Rz. 3.9).152 Seit 1.4.2004 gelten alle EU-Verordnungen. Soweit diese nicht anwendbar sind, erkennt Polen ausländische nicht vollstreckungsfähige Entscheidungen gem. Art. 1146 KPC (poln. ZPO) unter folgenden Voraussetzungen an: (1) Gegenseitigkeit, (2) keine ausschließliche polnische Zuständigkeit, (3) Rechtskraft, (4) Gewährleistung des Rechtsschutzes im Verfahren, (5) Anwendung eines dem polnischen Recht äquivalenten Rechts, (6) kein entgegenstehendes inländisches Urteil und (7) kein Verstoß gegen den polnischen ordre public.153 Seit der Neufassung des Art. 1150 § 1 poln. ZPO genügt faktische Gegenseitigkeit; das bisherige Erfordernis staatsvertraglich vereinbarter Gegenseitigkeit ist aufgegeben worden.154 Art. 1150 poln. ZPO legt die Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile seit 1.7.1996 wie folgt fest: „§ 1. Entscheidungen ausländischer Gerichte in Zivilsachen, für die in Polen der Gerichtsweg gegeben ist und die zur Vollstreckung im Wege der Zwangsvollstreckung geeignet sind, sind Vollstreckungstitel und in Polen vollstreckbar, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, wenn 1) die Entscheidung in dem Staat, aus dem sie herrührt, der Vollstreckung unterliegt, 2) die in Art 1146 § 1 Nr 1–6 KPC genannten Voraussetzungen gegeben sind. § 2. Die Vorschrift des vorstehenden Paragraphen findet entsprechende Anwendung auf Entscheidungen von Schiedsgerichten, die im Ausland erlassen wurden.“
Die bisherige Sonderregelung für Unterhaltsurteile in Art. 1150 § 3 (a.F.) ist entfallen. Vollstreckt werden auch ausländische vollstreckbare öffentliche Urkunden (Art. 1151 § 3) und ausländische Prozessvergleiche (Art. 1152).155 151 OLG Hamm, IPRax 1986, 234; A. Bormann in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 40 (2011), S. 1116.10 ff. 152 Vgl. R. Wagner, WiRO 2000, 47; H. Trzeciakowska, WiRO 2000, 404. 153 Vgl. M. Bytomski, FamRZ 1997, 986; D. Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997; M. Sawczuk, FS Schütze, 1999, S. 733, 740; M. Sawczuk in Walter/Baumgartner, S. 452 ff. 154 D. Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, S. 146 f.; E. Gralla in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 23 (2000), S. 1113.10 f. 155 M. Sawczuk in Walter/Baumgartner, S. 451.
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II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.106 § 16
Jeder, der ein rechtliches Interesse hat, kann das förmliche, streitige Anerkennungsverfahren (Art. 1147, 1148 poln. ZPO) einleiten; ein vereinfachtes Beschlussverfahren ist im autonomen Recht nicht vorgesehen.156
16.103
Die deutsch-polnische Vereinbarung v. 21.2.1994 bezieht sich nur auf den Rechtshilfeverkehr, nicht auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen.
16.104
Polen ist außerdem Vertragsstaat des HUVÜ 1973, der CMR, des COTIF sowie des HZPÜ 1954. f) Die Tschechische Republik ist seit 1.4.2004 Mitglied der EU. Seither gelten dort alle EU-Verordnungen. Soweit diese für ausgeschlossene Sachgebiete und Altentscheidungen nicht anwendbar sind sowie im Verhältnis zu Drittstaaten ist die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in §§ 63–68 IPRG (v 25.1.2012), die Anerkennung von Schiedssprüchen in §§ 17–19 IPRG geregelt.157
16.105
Rechtskräftige ausländische Entscheidungen können anerkannt werden, sofern nicht (1) eine ausschließliche Zuständigkeit der tschechischen Gerichte besteht, (2) in der gleichen Sache bereits ein tschechisches Gericht entschieden hat, ein Verfahren in derselben Sache vor einem tschechischen Gericht früher anhängig gemacht wurde oder eine anerkannte Entscheidung eines Drittstaats vorliegt, (3) der unterlegenen Partei kein rechtliches Gehör bei Verfahrenseinleitung gewährt, insb die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, (4) die tschechische ordre public verletzt und (5) keine Gegenseitigkeit (bei Beteiligung eines Tschechen) gewährleistet ist. Entscheidungen in Ehesachen sowie Vaterschaftsfeststellungen sind in einem besonderen Verfahren vor dem Obersten Gericht anzuerkennen. Die Gegenseitigkeit wird grds durch einen Anerkennungsvertrag hergestellt, kann aber auch vom Justizministerium entsprechend praktischer Übung bestätigt werden.158 Die Tschechische Republik ist Vertragsstaat der Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 1958 und 1973, der CMR sowie des HZÜ 1954. Darüber hinaus ist eine generelle Erklärung zur Gegenseitigkeit nicht erfolgt; diese ist also generell nicht gegeben.159 Der Rechtshilfevertrag v. 2.2.2000 enthält keine Gegenseitigkeitsvereinbarung. Entbehrlich ist die Gegenseitigkeit aber in Tschechien in Ehesachen und hinsichtlich der Vaterschaftsfeststellung.160 g) Im Verhältnis zu Serbien und Montenegro ist die Gegenseitigkeit verbürgt. Serbien scheint von der ausschließlichen Zuständigkeit seiner Gerichte für die Schei156 M. Sawczuk in Walter/Baumgartner, S. 456. 157 Vgl. P. Dobiáš, RIW 2012, 671, 673. 158 Vgl. L. Tichy, Záhlady uzniní cizích sozedních sochodnutí v ceském a europském právu, 1995. 159 Y. Skrdlik, S. 148 ff. 160 Y. Skrdlik, S. 152, 180 ff.; vgl. D. Martiny, HdbIZVR III/1, Kap. I Rz. 1501.
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16.106
§ 16 Rz. 16.106 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
dung jugoslawischer Staatsangehöriger auszugehen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein absolutes Hindernis für die Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile. Eine ausländische Ehescheidung kann anerkannt werden, wenn der Beklagte die Anerkennung beantragt oder gegen den Antrag des Klägers auf Anerkennung kein Widerspruch erhoben wird. Das Bestehen der Gegenseitigkeit wird vermutet, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. In Ehesachen wird auf die Gegenseitigkeit ganz verzichtet.161
16.107 h) Kroatien ist seit 1.7.2013 EU-Mitglied. Es gelten alle EU-Verordnungen. Nur soweit sie nicht anwendbar sind, ist die Rechtslage ähnlich wie in Serbien.162 Durch die Anerkennung werden ausländische Entscheidungen kroatischen gleichgestellt (Art. 86 IPRG). Anerkannt werden rechtskräftige Entscheidungen, wenn dem Beklagten rechtliches Gehör gewährt worden war (Art. 88 IPRG), keine ausschließliche Zuständigkeit Kroatiens bestand (Art. 89 IPRG), die Entscheidung nicht mit früherer kroatischer Rechtshängigkeit oder kroatischer Rechtskraft kollidiert (Art. 90 IPRG), kein ordre public-Verstoß vorliegt (Art. 91 IPRG) und faktische Gegenseitigkeit besteht (Art. 92 I IPRG). Diese besteht im Verhältnis zu Deutschland.163 In Familiensachen kommt es nicht auf die Gegenseitigkeit an (Art. 92 II IPRG). 16.108 i) Slowenien164 ist seit 1.4.2004 Mitglied der EU; es gelten sämtliche EU-Verordnungen. Soweit diese nicht anwendbar sind, werden ausländische Urteile nach dem bisherigen (jugoslawischen) Gesetz zur Regelung der Kollision der Gesetze mit Vorschriften anderer Staaten von 1982 (Art. 86–95) anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Die Anerkennungsvoraussetzungen ähneln denen des § 328 dt. ZPO. Die Gegenseitigkeit wird vermutet und im Verhältnis zu Deutschland bejaht. 16.109 j) Deutsche Urteile über vermögensrechtliche Ansprüche werden in der Türkei grds anerkannt. Nach Art. 54, 58 türk. IPRG (Nr. 5718 v. 27.11.2008)165 müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: (1) es darf keine ausschließliche Zuständigkeit türkischer Gerichte bestehen; (2) die Entscheidung darf nicht gegen den türkischen ordre public verstoßen; (3) die unterlegene Partei darf sich nicht (zu Recht) darauf berufen, nicht ordnungsgemäß geladen, nicht gesetzlich vertreten oder per Versäumnisurteil ungesetzlich verurteilt worden zu sein. Auf die Gegenseitigkeit kommt es nur noch für die Vollstreckbarkeit, nicht für die Anerkennung an (Art. 58 I IPRG). Damit das ausländische Urteil als Beweismittel oder als rechtskräftige Entscheidung anerkannt wird, muss das Gericht zuvor feststellen, dass es die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen erfüllt. 161 T. Varady, Zur Anerkennung deutscher Scheidungsurteile in Jugoslawien, IPRax 1984, 249; Urteil des OLG Karlsruhe, IPRax 1984, 270. 162 Vgl. H. Sikiriæ, JbOstR 45 (2004), 63. 163 Vgl. H. Sikiriæ, JbOstR 45 (2004), 63, 74. 164 Vgl. A. Lunder, WiRO 1998, 70. 165 In deutscher Übersetzung abgedruckt in IPRax 2008, 283.
968
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.112 § 16
Auf schriftlichen Antrag an das Grundgericht (LG) am Wohnsitz des Schuldners, hilfsweise an seinem Aufenthaltsort, hilfsweise bei den Gerichten in Ankara, Istanbul oder Izmir ist die Vollstreckung im summarischen Verfahren durch Vollstreckungsurteil zuzulassen (Art. 50 ff. türk. IPRG).166 Da die Türkei nicht mehr die ausschließliche Zuständigkeit für ihre Staatsangehörigen in Anspruch nimmt (Art. 41 türk. IPRG), ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Scheidung türkischer Eheleute eröffnet worden. Dies hat zur Folge, dass nunmehr auch deutsche Scheidungsbeschlüsse in der Türkei anerkannt werden können.167
16.110
6. Anerkennung in arabisch-/islamischen Staaten Schrifttum: E. Abdallah, La Convention de la Ligue Arabe sur l’Exécution des Jugements, RdC 138 (1973-I), 503; K. Bälz, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und Schiedssprüche in den arabischen Golfstaaten, RIW 2011, 118, K. Bälz, Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Zivilurteilen und Schiedssprüchen in arabischen Staaten, RIW 2012, 354; K. Bälz, Die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Schiedssprüchen in den arabischen Staaten Nordafrikas, RIW 2013, 55; W. Bishara, Enforcement of foreign judgments in Egypt, 1997; A. Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996; J. Dilger, Schiedsgerichtsbarkeit und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in den Golfstaaten in Böckstiegel, Vertragspraxis und Streiterledigung im Wirtschaftsverkehr mit arabischen Staaten, 1981, 101; A. Hiller, Reform der Vollstreckbarerklärung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, IPRax 2020, 185; H. Krüger, Grundzüge des internationalen Zivilverfahrensrechts der Vereinigten Arabischen Emirate, RIW 1993, 384; H. Krüger, Zur Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Oman, IPRax 1998, 127; H. Krüger, Das internationale Zivilprozessrecht Jordaniens, IPRax 2000, 435; H. Krüger, Keine Verbürgung der Gegenseitigkeit im Verhältnis Deutschland – VE, IPRax 2001, 376; H. Krüger, Internationalrechtliche Probleme in Saudi-Arabien, IPRax 2005, 386; H. Krüger, Anerkennung ausländischer Titel in den VAE, IPRax 2005, 472; H. Krüger, Zur Anerkennung ausländischer Urteile in arabischen Golfstaaten, GS Konuralp, Bd. 1, 2009, S. 631; R. Meyer-Reumann, Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile, Schiedssprüche ... in den Vereinigten Arabischen Emiraten, RIW 1994, 780; D. Otto, Schwierigkeiten bei der Vollstreckung ausländischer Urteile und Schiedsentscheidungen in Pakistan, IPRax 1997, 436; W. Wurmnest/N. Yassari, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile im Iran, IPRax 2006, 217.
16.111
a) Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den arabischen Staaten richtet sich nach dem Übereinkommen der Arabischen Liga über die Vollstreckung von Urteilen v. 14.9.1952.168 Zwischen den arabischen Golfstaaten ist die Anerkennung und Vollstreckung besonders geregelt, und zwar in der Konvention von Riyadh über die justizielle Zusammenarbeit von 1983 sowie in dem Übereinkommen über die Vollstreckung von Urteilen, die Vertretung und gerichtliche Zustellung unter den arabischen Staaten des Golf Kooperationsrates von 1996.169
16.112
166 IPRax 2008, 283, 288 f.; vgl. E. Nomer, FS Kitagawa 1992, S. 771. 167 Türk. Kassationshof FamRZ 2002, 77; H. Krüger, IPRax 1986, 304; M. Kiliç, IPRax 1994, 477. 168 Vgl. E. Abdallah, RdC 138 (1973-I), 503, 522 ff. 169 Vgl. K. Bälz, RIW 2011, 118, 119.
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§ 16 Rz. 16.113 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
16.113 b) In Syrien werden ausländische Titel nach Art. 306 ff. syr. ZPO anerkannt und vollstreckt,170 nach Art. 310 syr. ZPO auch ausländische vollstreckbare Urkunden.171 Die Anerkennung setzt stets Gegenseitigkeit voraus (Art. 306, 309, 310 syr. ZPO). Anerkennungsbereitschaft nach dem Gesetz genügt; eine formelle Feststellung durch Staatsvertrag oder Regierungserklärung ist nicht erforderlich.172 Anerkannt werden rechtskräftige Titel. Die Verletzung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit Syriens ist Anerkennungshindernis.173 Zusätzlich muss das ausländische Gericht nach seiner eigenen lex fori zuständig gewesen sein (Art. 308 [a] syr. ZPO).174 Der Beklagte muss im Erststaat ordnungsgemäß geladen worden sein. Verfahren und Inhalt der Entscheidung dürfen nicht gegen den syrischen ordre public verstoßen.175
16.114 c) In Jordanien werden ausländische Entscheidungen auf Geldleistung, Herausgabe einer beweglichen Sache oder auf Rechnungslegung nach dem Gesetz Nr. 8/1952 anerkannt.176 Art. 7 dieses Gesetzes enthält die üblichen Anerkennungsvoraussetzungen. Das Urteil muss rechtskräftig sein. Gegenseitigkeit kraft tatsächlicher Handhabung muss bestehen.177 16.115 d) In Tunesien richtet sich die Anerkennung ausländischer Entscheidungen (außerhalb des deutsch-tunesischen Vertrags) nach Art. 11 Code de Droit International Privé v. 1.12.1998.178 16.116 e) In den Vereinigten Arabischen Emiraten werden ausländische Urteile nur anerkannt, wenn keine eigene ausschließliche internationale Zuständigkeit besteht.179 Außerdem muss die Gegenseitigkeit durch Gesetz oder Staatsvertrag verbürgt sein (Art. 85 ZPO).180 Hieran fehlt es im Verhältnis zu Deutschland. Aus demselben Grund scheitert auch die Anerkennung von deutschen Urteilen in Saudi-Arabien.181 16.117 f) Im Sultanat Oman werden ausländische Urteile anerkannt, wenn keine eigene internationale Zuständigkeit besteht (stets bei eigenen Staatsangehörigen als Beklagten) und der Entscheidungsstaat zuständig war. Gegenseitigkeit wird verlangt, muss aber 170 171 172 173 174 175 176 177 178
A. Börner, S. 43 ff. A. Börner, S. 74 ff. A. Börner, S. 130 ff.; A. Börner in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 22 (1999), S. 1135.10. A. Börner, S. 170 ff. A. Börner, S. 206 ff. A. Börner, S. 210 ff., 223 ff. Abgedruckt in IPRax 2000, 447. Zu Einzelheiten s. H. Krüger, IPRax 2000, 435, 437 ff. Abgedruckt in IPRax 1999, 292 u RabelsZ 65 (2001), 102, 107; vgl. A. Mezghani RabelsZ 65 (2001), 78, 96 ff.; B. Menhofer, IPRax 1999, 266, 267; Th. Rauscher in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 22 (1999), S. 1147.9 ff. 179 Vgl. A. Hiller, IPRax 2020, 185, 186. 180 Text in IPRax 2020, 187; zur früheren Rechtslage (nach Art. 235 I lit. a ZPO a.F.) s. H. Krüger, IPRax 2001, 376 und IPRax 2005, 472; K. Bälz in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 28 (2005), S. 1155.7; Bälz, RIW 2011, 118, 124. 181 H. Krüger, IPRax 2005, 386, 388; K. Bälz, RIW 2011, 118, 123.
970
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.120 § 16
nicht durch Staatsvertrag garantiert sein (Art. 119, 120 des Gesetzes über das Verfahren in Handelsstreitigkeiten).182 g) In Pakistan werden ausländische Urteile nach s. 13 Civil Procedure Code von 1908 anerkannt. Überprüft wird ua, ob das ausländische Gericht das pakistanische Recht nicht angewandt hat, obwohl es nach pakistanischer Sicht anwendbar gewesen wäre, sowie ob die ausländische Entscheidung auf einem „Bruch pakistanischen Rechts“ beruht. Ob sich die Anwendung beider Regeln im Rahmen der üblichen kollisionsrechtlichen und ordre public-Kontrolle hält oder zu einer generellen révision au fond führt, ist zweifelhaft.183 Deshalb dürfte es insgesamt an der Gegenseitigkeit fehlen.184
16.118
h) Im Iran richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach Art. 169 VollstreckungsG v. 16.11.1977.185 Dessen Voraussetzungen entsprechen weitgehend § 328 ZPO. Für die Gegenseitigkeit genügt generelle Anerkennungsbereitschaft. Eine revision au fond findet nicht statt.186
16.119
7. Anerkennung in Ostasien Schrifttum: A. Chong, Moving towards harmonisation in the recognition and enforcement of foreign judgment rules in Asia, JPIL 16 (2020), 31; D. Czernich, Die Vollstreckung fremder Urteile und Schiedssprüche in der VR China, RIW 1995, 650; A. Ishikawa/M. Haga, Anerkennung ausländischer punitive damages Urteile in Japan, FS Kerameus, Athen 2009, S. 513; S. Jeong, Die Anerkennung ausländischer Urteile in Korea, in Hess, Die Anerkennung im internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S. 79; Z. Kitagawa, Doing Business in Japan, 1986, § 4. 07 2b; T. Kono/A. Trunk, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Japan, ZZP 102 (1989), 319; H. Menkhaus, Anerkennung und Vollstreckbarkeitserklärung deutscher zivilgerichtlicher Entscheidungen in Japan, RIW 1988, 189; Du Ngoc Bich, Recognition and enforcement of foreign judgments in civil and commercial matters: a proposal for Vietnam, 2006; Y. Nishitani, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer punitive damages-Urteile in Japan, IPRax 2001, 365; C. Ong, Cross-Border Litigation within ASEAN, 1997; P. Oser, Die Vollstreckung fremder Urteile und Schiedssprüche in der VR China, RIW 1995, 651; A. Petersen, Das internationale Zivilprozessrecht in Japan, 2003; A. Petersen, Japan, in Geimer/Schütze, Internat. Rechtsverkehr, Lfg. 25 (2003), S. 1058.1; T. Sawaki, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Japan, Int. Lawyer 23 (1989), 29; T. Sawaki, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in Singapur und Hongkong, RIW/AWD 1982, 722; T. Sawaki in Bülow/Böckstiegel, Internat. Rechtsverkehr, 1989, S. 1058.1; H. Tagata, Probleme der Urteilsanerkennung im japanischen Zivilprozessrecht, in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilprozessrechts, 1994, S. 49; M. Takeshita, Neuere Tendenzen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Japan, ZZPInt Bd. 1 (1996), 305, 323; W. Zhang, Recognition and enforcement of foreign judgments in China, 2014.
182 H. Krüger, IPRax 1998, 127, 128; gegen eine Verbürgung R. Schütze in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 24 (2001), S. 1106.7. 183 Vgl. D. Otto, IPRax 1997, 436, 438 f. 184 D. Otto in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 16 (1994), S. 1109.6 ff. 185 Vgl. W. Wurmnest/N. Yassari, IPRax 2006, 217, 218. 186 Vgl. W. Wurmnest/N. Yassari, IPRax 2006, 217, 221.
971
16.120
§ 16 Rz. 16.121 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
16.121 a) Japan erkennt ausländische Entscheidungen nach § 118 jap. ZPO unter vier Voraussetzungen an: (1) Zuständigkeit des ausländischen Gerichts wird bejaht; (2) ist der unterlegene Beklagte Japaner, hat er die Zustellung der für die Einleitung des Verfahrens nötigen Ladung in anderer Weise als durch öffentliche Zustellung erhalten oder sich auf die Klage eingelassen, ohne diese erhalten zu haben; (3) das Urteil des ausländischen Gerichts verstößt nicht gegen den japanischen ordre public; (4) die Gegenseitigkeit ist verbürgt.187 Erfüllt das ausländische Urteil diese Voraussetzungen und wird seine Rechtskraft nachgewiesen, so wird es ohne weiteres anerkannt. Anerkennungsfähige Feststellungs- und Scheidungsurteile gelten also ohne weiteres in Japan. Die erste Voraussetzung wird ähnlich wie in Deutschland beurteilt. Es kommt darauf an, ob ein japanisches Gericht, wäre es unter entsprechenden Voraussetzungen angerufen worden, zuständig gewesen wäre.188
16.122 Der Sinn der zweiten Voraussetzung besteht darin, dem Beklagten das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Deswegen erfasst die zweite Voraussetzung nicht nur die öffentliche Zustellung, sondern auch die Ladung auf einem Wege, durch den ein japanischer Staatsangehöriger tatsächlich keine rechtzeitige Kenntnis von der Einleitung des Verfahrens erlangen konnte. Dagegen kann ein ausländisches Urteil trotz öffentlicher Zustellung in Japan anerkannt werden, wenn sich der japanische Beklagte auf die Klage eingelassen hat.189 Zusätzlich verstößt die direkte Postsendung der Klageschrift ohne Übersetzung gegen diese Vorschrift.190 16.123 Der japanische ordre public erstreckt sich wie in Deutschland und den meisten Staaten nicht nur auf den Inhalt des Urteils, sondern auch auf Art und Weise seines Zustandekommens. „Punitive damages“ in einem US-amerikanischen Urteil verstoßen gegen den japanischen ordre public,191 soweit darin „compensatory damages“ enthalten sind, werden sie aber anerkannt.192 16.124 Auch widersprechende ausländische Urteile werden nach japanischem ordre public nicht anerkannt.193 Obwohl sich die Anerkennungsvoraussetzungen nach deutschem 187 A. Petersen-Padberg in Geimer/Schütze, IRV, S. 1058.11; T. Sawaki Int Lawyer 23 (1989), 29, 30. 188 Y. Taniguchi in Baum/Drobnig, Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 1994, S. 641, 685; H. Takata in Heldrich/Kono, S. 49, 57 ff.; M. Takeshita, ZZPInt Bd. 1 (1996), 305, 309 ff. 189 M. Takeshita, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, ZZPInt Bd. 1 (1996), 305, 311 f. 190 LG Tokyo v. 26.3.1990, Kinyushojihomu H. 857 S 39; LG Tokyo v. 11.11.1988, Hanrei Taimuzu H. 703 S 96. 191 Japanischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 11.7.1997, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen, Bd. 51, H. 6, S. 2573. 192 Y. Nishitani, IPRax 2001, 365. 193 T. Sawaki, Int Lawyer 23 (1989), 29, 35.
972
II. Anerkennung und Vollstreckung in wichtigen ausländischen Staaten | Rz. 16.127 § 16
und japanischem Recht gleichen, wurde die Gegenseitigkeit lange Zeit verneint, weil es keinen praktischen Anerkennungsfall gab. Das japanische Oberste Gericht hat jedoch 1983 entschieden, dass es für die Gegenseitigkeit genügt, dass Entscheidungen unter im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen im Ausland anerkannt werden müssten. Im Anschluss daran hat das Distriktgericht Nagoya194 die Gegenseitigkeit im Verhältnis zu Deutschland als verbürgt angesehen. Damit ist von einer grundsätzlichen Gewährleistung der Gegenseitigkeit auszugehen.195 b) China. Nach § 204 chin. Zivilprozessordnung v. 9.4.1991 können ausländische Zivilurteile anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Voraussetzungen hierfür sind Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats, kein Verstoß gegen den chinesischen ordre public sowie Verbürgung der Gegenseitigkeit.196 Im Verhältnis zur Volksrepublik China ist die Gegenseitigkeit zu bejahen.197
16.125
Rechtskräftige deutsche Urteile und Prozessvergleiche werden auch in Taiwan anerkannt.198 c) Hongkong ist seit 1.7.1997 chinesische Sonderverwaltungszone. Das deutsch-brit. Abkommen gilt nicht mehr.199 In Hongkong werden deutsche Entscheidungen nach der Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Ordinance (Cap. 319) vollstreckt, die weitgehend auf dem englischen Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 beruht. Das Vollstreckungsverfahren ist in R.S.C.O. 71 geregelt.
16.126
Das ausländische Urteil muss beim High Court registriert werden. Dem Schuldner wird erst die Registrierung zugestellt; er kann deren Aufhebung beantragen. Vollstreckt werden darf erst nach Ablauf der Aufhebungsfrist bzw. nach Zurückweisung eines Aufhebungsantrags. Jedoch ist weiterhin von Gegenseitigkeit auszugehen.200
16.127
d) In Südostasien (den ASEAN-Staaten) ist die Rechtslage uneinheitlich.201 Wie früher in den Niederlanden können ausländische Urteile in Indonesien grds nicht anerkannt werden (sec. 436 Indonesian Code on Civil Procedure). Auch in Thailand werden ausländische Urteile nicht anerkannt; sie dienen lediglich als Beweismittel in einem neuen Verfahren.202
194 GRUR-Int. 1988, 860. 195 T. Kono/A. Trunk, ZZP 102 (1989), 319; H. Menkhaus, RIW 1988, 189. 196 R. Schütze in Geimer/Schütze, IRV, 1989, S. 1027.4 f.; H. v. Senger/G. Xu, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht der Volksrepublik China, 2. Teil, 1994, S. 519 ff. 197 D. Czernich, RIW 1995, 650; R. Schütze, (Fn. 240), S. 1027.5; a.A. U. Bohnet, RIW 1996, Beil 2 zu H 6, S. 17. 198 Vgl. B. Etgen, RIW 1995, 205. 199 T. Luthra, RIW 1997, 625, 626 f. 200 A. Zinser, RIW 1998, 941, 944. 201 Vgl. P. Koh, ICLQ 45 (1996), 844. 202 Vgl. R. Falder in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 21 (1998), S. 1140.6.
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§ 16 Rz. 16.128 | Anerkennung und Vollstreckung im Ausland
16.128 e) In den früheren britischen Kolonien Brunei, Malaysia203 und Singapur204 werden ausländische Urteile bei Gegenseitigkeit anerkannt. In Malaysia richtet sich die Anerkennung nach dem Reciprocal Enforcement of Judgment Act 1958 (Rev. 1972), in Singapur nach dem Reciprocal Enforcement of Commonwealth Judgment Act (Cap 264) und dem Reciprocal Enforcement of Foreign Judgments Act (Cap 262).
16.129 f) In den Philippinen können ausländische Urteile zwar nach sec. 50 (b), r 39 Rev. Rules of Court anerkannt werden; das Oberste Gericht kann ausländische Urteile aber sachlich (auf Sach- und Rechtsfehler) nachprüfen. 16.130 g) In Vietnam richtet sich die Urteilsanerkennung nach der Ordinance on the Recognition and Enforcement of Civil Judgments and Devisions of Foreign Courts of 26 April 1993. Welche Urteilsarten danach anerkannt werden, ist nicht klar.
203 Vgl. R. Schütze in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 12 (1990), S. 1086.5 f. 204 R. Schütze in Geimer/Schütze, IRV, Lfg. 11 (1989), S. 1127.5 f.
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§ 17 Internationaler einstweiliger Rechtsschutz I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Brüssel Ia-VO und LugÜ . . . . . . . 3. Grenzüberschreitende vorläufige Kontopfändung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Internationale Arreste . . . . . . . . . . a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Internationale Zuständigkeit . . . . c) Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Persönlicher Arrest . . . . . . . . . . . . e) Der Arrestanspruch . . . . . . . . . . . f) Arrestverfahren . . . . . . . . . . . . . . . g) Arrestvollziehung . . . . . . . . . . . . . 6. Internationale einstweilige Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationale Zuständigkeit . . . . b) Vollzug der einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadenersatz nach § 945 ZPO . . d) Probleme der Befriedigungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Selbständiges Beweisverfahren . . a) Inländisches Beweissicherungsverfahren für Beweismittel im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbständiges inländisches Beweisverfahren ohne Hauptsachezuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwertung des ausländischen Beweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums . III. Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einstweilige Maßnahmen in Ehesachen und Fragen der elterlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . .
17.1 17.2 17.2 17.3 17.27 17.41 17.47 17.47 17.48 17.51 17.56 17.57 17.61 17.64 17.67 17.68 17.72 17.73 17.75 17.80 17.81 17.84 17.85 17.90 17.91
a) Internationale Zuständigkeit . . . . 17.92 b) Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.95 c) Elterliche Verantwortung . . . . . . 17.96 2. Einstweilige Unterhaltsanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.104 a) Allgemeine Anordnungen . . . . . . 17.104 b) Unterhalt im Abstammungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.109 c) Prozesskostenvorschuss . . . . . . . . 17.110 3. Einstweilige Maßnahmen in Bezug auf Ehewohnung, Hausrat, Gegenstände des persönlichen Gebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.113 4. Gewaltschutz, Kontaktverbote . . 17.115 5. Sicherung von Ansprüchen aus dem ehelichen Güterrecht . . . . . . 17.118 IV. Einstweiliger Rechtsschutz in Erbrechtsachen . . . . . . . . . . . . . . . 17.123 V. Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.128 VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten . . . . . . 17.133 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.133 2. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.135 3. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.136 4. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.144 5. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.152 6. Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.158 7. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.159 8. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.163 9. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.165 10. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.170 11. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.172 a) Preliminary injunction . . . . . . . . . 17.173 b) Temporary Restraining Order . . 17.174 c) Attachment . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.175 12. Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.176
17.92
975
§ 17 Rz. 17.1 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
I. Einführung 17.1 Gesteigerte Bedeutung erlangt in internationalen Zivilprozessen der einstweilige Rechtsschutz. Zu den sonstigen Gründen für eine vorläufige Sicherung eines Anspruchs treten noch einige Besonderheiten internationaler Prozesse, die die Verfahren häufig verlängern und dadurch ein gesteigertes Sicherungsbedürfnis begründen. Zu nennen sind hier insb. die eventuell komplizierte Zustellung, Sprachprobleme, größere Schwierigkeiten bei der Terminierung mit im Ausland ansässigen Prozessbeteiligten und die Notwendigkeit von Rechtsgutachten bei der Anwendung ausländischen Rechts.1 Zudem gestaltet sich in der Regel auch die Vollstreckung eines Titels schwieriger, wenn der Schuldner im Ausland sitzt.
II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen 1. Schrifttum 17.2 Zur Brüssel Ia-VO: A. Dickinson, Provisional measures in the „Brussels I“ Review – Distur-
bing the status quo?, IPRax 2010, 203; T. Domej, Die Neufassung der EuGVVO, RabelsZ 78 (2014), 508, 542; T. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung, 2016, S. 296 ff.; F. Eichel, Die .Auswirkungen der Brüssel I-Reform auf die Zuständigkeit für einstweiligen Rechtsschutz gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO, ZZP 131 (2018), 71. Zum EuGVÜ und zur Brüssel I-VO: H.-J. Ahrens, Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie, FS Michael Loschelder, 2010, S. 1; Ch. Albrecht, Das EuGVÜ und der einstweilige Rechtsschutz in England und in der Bundesrepublik Deutschland, 1991; Ch. Albrecht, Art. 24 EuGVÜ und die Entwicklung des einstweiligen Rechtsschutzes in England seit 1988, IPRax 1992, 184; N. Andrews, Towards a European protective order in civil matters, in M. Storme, Procedural Laws in Europe, 2003, S. 267; Ch. Berger/K. Otte, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht, Kap. 18, 2006; J. Brinkhof, Crossborder injunctions: a blessing or a curse?, in W. Heere, International law and the Hague’s 750th anniversary, 1999, S. 103; I. Carl, Einstweiliger Rechtsschutz bei Torpedoklagen, 2007; C. Consolo, Avoiding the Risk of Babel after Van Uden and Mietz, ZZPInt 6 (2001), 49; C. Consolo, The subtle interpretation of the case law of the European Court on provisional remedies, ZSR 124 (2005), II 359; A. Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1991; F. Eisermann, Einstweilige Maßnahmen auf dem Gebiet der Brüssel I-VO, 2011; K. Fohrer/P. Mattil, Der „grenzüberschreitende“ dingliche Arrest im Anwendungsbereich des EuGVÜ, WM 2002, 840; Th. Garber, Einstweiliger Rechtsschutz nach der EuGVVO, 2011; Giardina, Provisional Measures in Europe: Some Comparative Observations, Études en l’Honneur de Lalive, 1993, 499; S. Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz, 1994; Ch. Groß, Die internationale Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, 2010; St. Grundmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen nach IPRG und Lugano-Übereinkommen, 1996; Ch. Heinze, Internationaler einstweiliger Rechtsschutz. Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der freezing injunction des englischen Rechts, RIW 2003, 922; Ch. Heinze, Europäische Urteilsfreizügigkeit von Entscheidungen ohne vorheriges rechtliches Gehör, ZZP 120 (2007); 303; Ch. Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im 1 U. Spellenberg/St. Leible in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 293; Ch. Berger/ K. Otte, Kap. 18 Rz. 1.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.2 § 17 Europäischen Immaterialgüterrecht, 2007; Ch. Heinze, Die Sicherung von Forderungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZVglRWiss 119 (2020), 167; H. Heiss, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1987; B. Heß, Die begrenzte Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen im Binnenmarkt II, IPRax 2000, 370; B. Heß/G. Vollkommer, Die begrenzte Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen nach Art. 24 EuGVÜ, IPRax 1999, 220; R. Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (6. Kap.), 2005, S. 198; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz (§ 11), 2015, S. 395; K. Kerameus, Subjektive Anwendungsgrenzen des Brüsseler Übereinkommens v. 10.5.1952 über den Arrest in Seeschiffe, FS Nagel, 1987, S. 133; K. Kerameus/J. Normand, La necessité de procedures provisoires dans les litiges transnationaux in Andolina, Transnational aspects of procedural law, 1998, S. 1139 u. 1167; C. Kessedjian, Note on Provisional and Protective Measures in Private International Law and Comparative Law, Hague Conference, Prel. Doc. No. 10, 1998; C. Kessedjian, Mesures provisoires et conservatoires. A propos d’une résolution adoptée par d’association de droit international, JDI 1997, 103; M. Kimmerle, Befriedigungsverfügungen nach Art. 24 EuGVÜ/Art. 31 EuGVO, 2013; S. Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005; H. Koch, Neuere Probleme der internationalen Zwangsvollstreckung einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 171; H. Koch, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz in Heldrich/Kono, Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 1994, S. 85; B. König, Einstweilige Maßnahmen (einstweilige Verfügungen) und die Brüssel I-Verordnung, in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich III, 2012, S. 65; X. Kramer, Harmonisation of provisional and protective measures in Europe, in M. Storme, Procedural Laws in Europe, 2003, S. 305; C. Kurtz, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, 2004; I. Meier, Besondere Vollstreckungstitel nach dem Lugano-Übereinkommen (1. Teil: Vorsorgliche Maßnahmen und Arrest) in: Schwander (Hrsg), Das Lugano-Übereinkommen, 1990, S. 157; O. Merkt, Les mesures provisoires en droit international privé, Zürich 1993; S. Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz für Zahlungsgläubiger in Europa, 2004; S. Nieschulz, Der Arrest in Seeschiffe, 1997; K. Otte, Verfahrenskoordination und einstweiliger Rechtsschutz bei der Verletzung eines europäischen Patents, IPRax 1999, 440; L. Pålsson, Interim Relief under the Brussels and Lugano Conventions, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 621; Th. Pfeiffer/H. Wais, Einstweilige Maßnahmen im Anwendungsbereich der EuGVO, IJPL 2 (2012), 274; R. Pansch, Die einstweilige Verfügung zum Schutze des geistigen Eigentums im grenzüberschreitenden Verkehr, 2003; L. Querzola, Notes about the conditions for interim relief in E.C. Law, in Carpi/Lupoi, Essays on transnational and comparative civil procedure, 2001, S. 219; I. Renke, Der Prozesskostenvorschuss im Ehescheidungsverfahren und Art. 24 EuGVÜ, FuR 1990, 149; P. Schlosser, Jurisdiction and international judicial and administrative co-operation, RdC 284 (2000), 156 ff.; P. Schlosser, Brussels I and protective measures in the state to be requested subsequent to the passing of sentence in the state of origin, FS Ereciński, 2011, S. 1359; A. Schmutz, Maßnahmen des vorsorglichen Rechtsschutzes im Lugano-Übereinkommen aus schweizerischer Sicht, 1995; F. Schneider, Die Leistungsverfügung im niederländischen, deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2012; A. Schulz, Einstweilige Maßnahmen nach dem Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, ZEuP 2001, 805; U. Spellenberg/St. Leible, Die Notwendigkeit vorläufigen Rechtsschutzes bei transnationalen Streitigkeiten in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, S. 293; A. Stadler, Erlass und Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen im Anwendungsbereich des EuGVÜ, JZ 1999, 1089; S. Stickler, Das Zusammenwirken von Art. 24 EuGVÜ und §§ 916 ff. ZPO, 1992; D. Stoll, Die britische Mareva-Injunction als Gegenstand eines Vollstreckungsbegehrens unter dem Lugano-Übereinkommen, Schweiz. JZ 1996, 104; R. Stürner, Der einstweilige Rechtsschutz in Europa, FS Geiß, 2000, S. 199; R. Stürner, Einstweiliger Rechtsschutz: Generalbericht in Storme, Procedural laws in Europe, 2003, 143; G. Theocharidis, Jurisdiction for provisional relief under the Brussels Con-
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§ 17 Rz. 17.2 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz vention in maritime context, RHDI 55 (2002), 453; P. Treichel, Die französische Saisie-contrefaçon im europäischen Patentverletzungsprozess. Zur Problematik der Beweisbeschaffung im Ausland nach Art. 24 EuGVÜ, GRUR-Int. 2001, 690; G. Uecker, Zur Frage der Zulässigkeit von einstweiligen Anordnungsverfahren zur Regelung des Trennungsunterhalts für Auslandsdeutsche vor deutschen Gerichten, FPR 2013, 35; S. Walther, Das Zusammenwirken von Art. 24 EuGVÜ und §§ 916 ff. ZPO, Diss Regensburg 1991; U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel auf der Grundlage des EuGVÜ in Italien, 1991, S. 290 ff. (Der einstweilige Rechtsschutz im deutsch-italienischen Rechtsverkehr); M. Weinert, Vollstreckungsbegleitender einstweiliger Rechtsschutz, 2007; V. Willeitner, Vermögensgerichtsstand und einstweiliger Rechtsschutz im deutschen, niederländischen und europäischen Zivilverfahrensrecht, 2003; Ch. Wolf, Konturen eines europäischen Systems des einstweiligen Rechtsschutzes, EWS 2000, 11; Ch. Wolf/S. Lange, Das Europäische System des einstweiligen Rechtsschutzes – doch noch kein System?; RIW 2003, 55; G. Zeiler, Europäisches Sicherungsverfahren: Die Regelung des Europäischen GVÜ über einstweilige Maßnahmen, österr. JBl 1996, 635; C. Zhou, Einstweiliger Rechtsschutz in China und im europäischen Justizraum, 2008. International Law Association, Principles on Provisional and Protective Measures in International Litigation („Helsinki Principles“), (1996) 67 I.L.A.Rep. 202, abgedruckt in RabelsZ 62 (1998), 128 und in AmJCompL 45 (1997), 941.
2. Brüssel Ia-VO und LugÜ
17.3 a) In der Europäischen Union bzw. im Europäischen Rechtsraum ist der einstweilige Rechtsschutz nicht vereinheitlicht, und zwar weder die möglichen Rechtsschutzbehelfe noch die internationalen Zuständigkeiten (s. Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ). Jedoch ergibt sich aus Art. 36 EuGVO n.F. bzw. Art. 32 LugÜ, dass auch Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes in allen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten anzuerkennen sind. Eine wichtige Einschränkung folgt aber aus Art. 2 lit. a Unterabs. 2 EuGVO n.F. sowie Erwägungsgrund 33 Satz 4. Beide Regeln sehen ausdrücklich vor, dass einstweilige Maßnahmen nur dann grenzüberschreitend anzuerkennen und zu vollstrecken sind, wenn sie von einem (hypothetisch) nach Art. 4 ff. EuGVO n.F. zuständigen Gericht erlassen wurden.2 Das angerufene Gericht sollte deshalb in seiner Entscheidung klarstellen, ob es seine Zuständigkeit auf die Art. 4 ff. EuGVO n.F. oder auf das autonome Recht stützt.3 17.4 Der EuGH hat die Pflicht zur Anerkennung allerdings auf solche Entscheidungen begrenzt, die nach Anhörung des Gegners ergangen sind, sog. ex parte-Entscheidungen dagegen ausgenommen (s. Rz. 12.10).4 In wirklich eiligen Fällen, in denen eine Überraschung des Gegners erforderlich ist, musste einstweiliger Rechtsschutz daher parallel in jedem Vollstreckungsstaat beantragt werden (s. Rz. 17.24 ff.).5 17.5 Diese unbefriedigende Rechtslage ist mit der Neufassung der EuGVO ein wenig verbessert worden. In Erwägungsgrund 33 EuGVO n.F. wird präzisiert, dass ex parte2 Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 5, 9. 3 Vgl. F. Eichel, ZZP 131 (2018) 71, 91. 4 EuGHE 1980, 1553 (Denilauler v Couchet Frères) = IPRax 1981, 95 (dazu R. Hausmann, S. 79); krit. W. Kennett, The enforcement of judgments in Europe, 2000, 150 ff. 5 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 466 f., 566; für Reform: Rauscher/Leible, Art. 32 Brüssel I-VO Rz. 12.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.9 § 17
Entscheidungen zwar nach der Verordnung grds nicht anerkannt werden. Doch soll dies anders sein, wenn „die die Maßnahme enthaltende Entscheidung ... dem Beklagten vor der Vollstreckung zugestellt worden“ ist. Ansonsten bleibt es dabei, dass ex parte-Entscheidungen nur im Erlassstaat anerkannt und vollstreckt werden können. Eine kleine Erleichterung sieht auch Art. 47 LugÜ insoweit vor, als der Inhaber einer anzuerkennenden Entscheidung eines Vertragsstaats auf deren Grundlage einstweiligen Rechtsschutz in jedem anderen Vertragsstaat beantragen kann, ohne dass die anzuerkennende Entscheidung zuvor für vollstreckbar erklärt werden müsste (s. Rz. 15.51 f.).6
17.6
Der damit erreichte Zustand ist noch immer unbefriedigend. Deshalb wurde vorgeschlagen, den einstweiligen Rechtsschutz in der EU z.B. auf der Grundlage der Helsinki Principles der International Law Association zu vereinheitlichen7 bzw. einen „European protective order“ einzuführen.8 Diese Vorschläge haben sich aber auch bei der Reform der EuGVO nicht durchgesetzt.
17.7
b) Einstweilige Maßnahmen. Art. 35 EuGVO n.F. erfasst alle „im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen“. Aus Erwägungsgrund 25 Satz 1 zur EuGVO n.F. folgt ergänzend, dass auch Anordnungen zur Beweiserhebung oder Beweissicherung i.S.v. Art. 6 u 7 Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG als solche Maßnahmen anzusehen sind. Die Durchsetzung von Vorlage- und Besichtigungsansprüchen im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes ist daher erfasst.9 Nicht erfasst sollen dagegen sonstige, nicht auf eine Sicherung gerichtete Maßnahmen, wie eine Zeugenvernehmung, sein (Erwägungsgrund 25 Satz 2).10 Erwägungsgrund 25 Satz 3 stellt klar, dass eine Beweisaufnahme nach der EuBewVO unabhängig davon zulässig bleibt.
17.8
c) Internationale Zuständigkeit. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann sich sowohl nach den Grundsätzen des deutschen internationalen Zivilprozessrechts aus den §§ 916 ff. ZPO (und einer Reihe speziellerer Normen des nationalen deutschen Verfahrensrechts, insb. aus §§ 98 ff. FamFG) ergeben, als auch aus europäischen Regelungen und internationalen Abkommen ergeben. In Zivil- und Handelssachen ergibt sich dies aus Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ,11 in Unionsmarkensachen nach Art. 103 I UMVO, in Unionsdesignsachen (Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen) nach Art. 90 I UDVO,12 in Unterhaltssachen aus Art. 14
17.9
6 Vgl. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 73 ff. 7 N. Andrews, Judicial Co-operation: Recent Progress, Referat für den 1. Europäischen Juristentag, 2001, S. 33; X. Kramer in Storme, Procedural laws in Europe, 2003, 305. 8 N. Andrews in Storme, Procedural laws in Europe, 2003, 267. 9 Vgl. F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 87; Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 69, 73. 10 S aber F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 85 ff. 11 Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 15 ff., 18 ff. 12 Vgl. B. Hansen, Die internationale Zuständigkeit bei der Verletzung von Unionsschutzrechten, 2018, S. 277.
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§ 17 Rz. 17.9 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
i.V.m. Art. 3 ff. EuUntVO,13 in Erbrechtssachen aus Art. 19 EuErbVO, in Güterrechtssachen aus Art. 4 ff. EuGüVO/EuPartVO.
17.10 Hat der Gegner (in einem von Art. 1 EuGVO/LugÜ erfassten Rechtsgebiet) Wohnsitz/Sitz in einem Staat des europäischen Rechtsraums, ist von Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ auszugehen. Teilweise wird angenommen, Art. 35 EuGVO gelte nicht, wenn der Gegner seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat.14 Aber dies widerspricht Art. 6 I EuGVO n.F. und den darin in Bezug genommenen Regeln, die auch gegenüber Beklagten mit Wohnsitz in Drittstaaten anwendbar sind. Ist der Anwendungsbereich eröffnet, hat der Gläubiger die Wahl, ob er sich an ein nach dem europäischen Recht zuständiges Gericht oder an eines, das nach autonomem Prozessrecht zuständig ist, wendet.15 Gleiches gilt in Unterhaltssachen (Art. 14 EuUntVO), in Erbrechtssachen (Art. 19 EuErbVO) und in Güterrechtssachen (Art. 19 EuGüVO/EuPartVO).
17.11 Ein Gericht, das nach Art. 4 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 2 ff. LugÜ in der Hauptsache zuständig ist oder hypothetisch sein könnte, besitzt uneingeschränkte Eilzuständigkeit, ist also auch für die Anordnung aller einstweiligen oder sichernden Maßnahmen zuständig.16 Es kann selbst Leistungsverfügungen ohne Einschränkung erlassen.17 Die Anhängigkeit der Hauptsache in einem EU-Mitgliedstaat schließt also weder die hypothetische Hauptsachezuständigkeit18 noch eine Zuständigkeit nach autonomem Recht aus, so dass einstweilige Maßnahmen grds nebeneinander in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten beantragt werden können.19 Auf die Vollstreckbarkeit im Erlassstaat kommt es nicht an.20 Eine rügelose Einlassung auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begründet aber nicht eine Hauptsachezuständigkeit nach Art. 26 EuGVO n.F. bzw. Art. 24 LugÜ21, begründet also insoweit keine Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen. 13 Vgl. G. Uecker, FPR 2013, 35. 14 Magnus/Mankowski/Pertegás Sender/Garber, Article 35 N Rz. 13; Rauscher/Leible, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 8; F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 73 f. 15 Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 20, 23, 53. 16 Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.823 ff., 3.832 ff., 3.844 ff.; Wieczorek/ Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 24 ff.; Tsikrikas/Hausmann, unalex Kommentar, Art. 31 Rz. 19; Th. Garber, S. 73 ff.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 16. 17 EuGH – C-159/97 – Trasporti Castelletti v Trumpy, EuGHE 1999, I-1597 (Rz. 41, 46) = JZ 1999, 1105, 1107 f (dazu A. Stadler, S. 1089) = IPRax 2000, 411 (dazu B. Heß, S. 370) = ZZPInt 4 (1999), 205 (U. Spellenberg/St. Leible), einschränkend Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 38 (nur unter den in Rz. 20 dargelegten Voraussetzungen). 18 Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 19 Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 82 f. 20 EuGH – C-391/95 – Van Uden v Deco-Line, EuGHE 1998, I-7091 (Rz. 19, 22) = JZ 1999, 1103 (krit A. Stadler, S. 1089, 1092) = RIW 1999, 776 (K. Pörnbacher); Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 46 ff. 21 EuGH – C-158/97 – Trasporti Castelletti v Trumpy, EuGHE 1999, I-1597 (Rz. 52) = JZ 1999, 1105, 1108; Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 32 f.; Ch. Berger/ K. Otte, Kap. 18 Rz. 51; Wagner in Stein/Jonas, Art. 31 EuGVO Rz. 44.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.15 § 17
Nach Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ) können einstweilige oder sichernde Maßnahmen bei den Gerichten des betreffenden Staats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedbzw. Vertragsstaats zuständig ist, sofern hierfür eine Zuständigkeit nach autonomem Recht besteht. Die Auslegung dieser Regel ist streitig.
17.12
Zweifelhaft ist einmal, ob eine besondere Zuständigkeit im Verhältnis zu Mitgliedbzw. Vertragsstaaten fortbesteht, soweit das autonome Recht wie § 919 ZPO für den Arrest oder § 937 I ZPO für einstweilige Verfügungen das „Gericht der Hauptsache“ für zuständig erklärt. Manche meinen, das Gericht der Hauptsache sei nicht „hypothetisch“ nach autonomem Recht, sondern ausschließlich nach der EuGVO bzw. dem LugÜ zu bestimmen.22 Aber diese Ansicht überzeugt nicht, da sie die Öffnung von Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ) für die nationalen Zuständigkeitsregeln weitgehend gegenstandslos machen würde.23
17.13
Dies gilt auch für die Ansicht, wonach die exorbitanten nationalen Zuständigkeitsregeln, die Art. 5 EuGVO n.F. bzw. Art. 3 LugÜ) für Klagverfahren ausschließe, auch im Rahmen von Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ ausgeschlossen sein sollen.24 Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ ist indes dahin zu interpretieren, dass die entsprechenden Bestimmungen der nationalen Gerichtsstände bei einstweiligen Maßnahmen erhalten bleiben.25 Wenn der Schuldner im Ausland wohnt und kein anderer Gerichtsstand zur Verfügung steht, wären die Rechte des Gläubigers zu sehr beschnitten, wenn er sich z.B. nicht auf den Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO stützen könnte.
17.14
Der Vorbehalt des Art. 35 EuGVO n.F. bzw. des Art. 31 LugÜ ist umfassend zu verstehen. Einstweiliger Rechtsschutz kann danach auch im Verhältnis zu Staaten des Europäischen Rechtsraums in einem Gerichtsstand nach autonomem Recht beantragt werden, den EuGVO/LugÜ nicht vorsehen oder unter die exorbitanten Zuständigkeiten des Art. 5 II EuGVO n.F. bzw. Art. 3 II LugÜ einordnen.26 Diese Möglichkeit steht auch dann offen, wenn die Hauptsache bereits anhängig ist. Insoweit besteht kein Rechtshängigkeitseinwand.27 Die Eilzuständigkeit kann sich dann aber auch aus Art. 4 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 2 ff. LugÜ ergeben.28 Einstweiliger Rechtsschutz kann in beiden Fällen auch dann im EU-Staat B beantragt werden, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache im Staat A anhängig ist und dadurch für das Haupt-
17.15
22 So G. Zeiler, österr. JBl 1996, 635 ff. 23 Ebenso Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 21. 24 So OLG Koblenz, RIW 1977, 359; H.-J. Puttfarken, RIW 1977, 360; S. Gronstedt, S. 19 ff.; vgl. U. Hornung, ZVglRWiss 95 (1996), 305, 309 ff. 25 F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 72. 26 EuGH – C-391/95 – Van Uden v Deco-Line, EuGHE 1998, I-7091 (Rz. 42) = JZ 1999, 1103, 1105; Th. Garber, S. 102 ff.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 27. 27 Vgl. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 32; D. Tsikrikas/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 31 Rz. 20; F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 73. 28 A. Stadler, JZ 1999, 1089, 1094; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 29.
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§ 17 Rz. 17.15 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
verfahren die Rechtshängigkeitssperre nach Art. 29 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 27 ff. LugÜ eingetreten ist.29
17.16 Soweit der Arrest bei dem Gericht begehrt wird, bei dem die Hauptsache anhängig ist, genügt die (nicht zu überprüfende) Rechtshängigkeit der Hauptsache dann nicht, wenn sich dieses Gericht für international unzuständig erklären müsste.30 Stellt ein Gericht, bei dem die Hauptsache anhängig ist, bei der Überprüfung im Zusammenhang mit einem Arrestantrag fest, dass es nach EuGVO bzw. LugÜ international für die Hauptsache nicht zuständig ist, muss das aber nicht zu einer Unzuständigkeit für die Arrestentscheidung führen. Das Gericht kann das Arrestverfahren weiterführen, sofern es nur nach den §§ 12 ff. ZPO zuständig ist. 17.17 Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache bezieht sich im Zweifel auch auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes; sie schließt also insoweit andere gesetzliche Zuständigkeiten nach Art. 4 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 2 ff. LugÜ aus.31 Wird die Gerichtsstandsvereinbarung ausdrücklich auf den einstweiligen Rechtsschutz erstreckt, bleiben doch Eilzuständigkeiten nach autonomem Recht bestehen, jedenfalls wenn sie wie im deutschen Recht nach § 802 ZPO derogationsfest sind.32 17.18 Haben die Parteien den staatlichen Rechtsschutz durch eine Schiedsvereinbarung ausgeschlossen, besteht zwar keine Hauptsachezuständigkeit nach EuGVO/LugÜ, ja Art. 1 II lit. d EuGVO n.F. bzw. Art. 1 II Nr. 4 LugÜ schließt die Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt vom Anwendungsbereich des europäischen Rechts aus. Nach Ansicht des EuGH wird damit aber nicht der einstweilige Rechtsschutz in solchen Fällen aus dem europäischen Regelwerk ausgenommen. Denn einstweilige Maßnahmen seien nicht auf Durchführung des Schiedsverfahrens gerichtet, sondern würden parallel dazu stattfinden. Art. 35 EuGVO n.F. (Art. 31 EuGVO a.F./LugÜ begründeten eine Zuständigkeit des Gerichts für den vorläufigen Rechtsschutz daher nur nach autonomem nationalem Recht, wenn das Hauptverfahren vor einem Schiedsgericht stattfinden müsste.33
29 L. Pålsson, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 621, 623; A. Schulz, ZEuP 2001, 805, 812; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 18, 54; vgl. auch LG Düsseldorf, IPRax 1999, 461 (dazu K. Otte, S. 440) (einstweiliger Rechtsschutz bei Verletzung eines europäischen Patents). 30 OLG Koblenz, RIW 1990, 316; a.A. H. Hanisch, IPRax 1991, 215 f.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 99. 31 Mayr/Garber Handbuch des europ. ZVR, Rz. 3.857 ff.; Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 31, 35. 32 Rauscher/Leible, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 37 f. 33 EuGH – C-391/95 – Van Uden v Deco-Line, EuGHE 1998, I-7091 (Rz. 34) = JZ 1999, 1103, 1104 = IPRax 1999, 240 (dazu B. Heß/G. Vollkommer, S. 220); BGH, RIW 2009, 238; D. Tsikrikas/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 31 Rz. 21 f.; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 31 EuGVO Rz. 45 f.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 24 ff.; Th. Garber, S. 198 f.; für Anwendbarkeit auch der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO dagegen Rauscher/Leible, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 22 f.; Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 37.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.20 § 17
d) Die Wahrnehmung der rein nationalen Zuständigkeiten hat der EuGH aber durch qualifizierte Anforderungen an jede einstweilige Maßnahme eingeschränkt. Er verlangt, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Mitglieds- bzw. Vertragsstaats eine reale Verknüpfung besteht. Dadurch versucht er vor allem, ein mögliches forum shopping einzuschränken.34 Die Maßnahme, z.B. ein Arrest, dürfe nur bestimmte (vom Gericht festzulegende) Vermögensgegenstände des Antragsgegners betreffen, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden.35 Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Leistungsverfügungen ohne Hauptsachezuständigkeit36 erscheint demnach nicht mehr als zulässig. Dieses Erfordernis der realen Verknüpfung gilt auch im Rahmen von Art. 35 EuGVO n.F. weiter.37 Die franz. Cour de Cassation hat deshalb etwa die (selbständige) Anordnung einer Sachverständigenbegutachtung ablehnt, weil sich alle Beweismittel in England befanden.38
17.19
Eichel meint darüber hinaus, dass bei Anträgen auf Erlass einer Leistungsverfügung Streitgegenstandsidentität mit dem Hauptsacheverfahren bestehe. Ein in einem EUMitgliedstaat anhängiges Hauptsacheverfahren schließe deshalb ein Leistungsverfügungs-verfahren in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 29 EuGVO n.F. aus.39 e) Das europäische Recht gestattet auch Leistungsverfügungen unabhängig von der europäischen Zuständigkeitsordnung. Damit diese nicht einfach umgangen werden könne, müsse das Gericht, das aufgrund von Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ in Verbindung mit nationalen Zuständigkeitsregeln tätig werde, sicherstellen, dass der einstweilige oder sichernde Charakter der angeordneten Maßnahme gewahrt bleibe. Zur Sicherung der Wirksamkeit eines Urteils in der Hauptsache könne es sogar erforderlich sein, die vorläufige Erbringung der vertraglichen oder außervertraglichen40 Hauptleistung anzuordnen, doch müsse für den Fall, dass der Antragsteller nicht obsiegt, gewährleistet sein, dass der zugesprochene Betrag zurückgezahlt werden könne.41 Die bloße Ersatzpflicht entsprechend § 945 ZPO genügt hierfür nicht; vielmehr muss das Gericht Sicherheitsleistung oder die Stellung einer Bürgschaft
34 EuGH – C-391/95 – Van Uden v Deco-Line, EuGHE 1998, I-7091 = JZ 1999, 1103; Kropholler/v. Hein, Art. 31 EuGVO Rz. 15; D. Tsikrikas/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 31 Rz. 2, 26 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 31 EuGVO Rz. 49 ff. 35 EuGHE 1998, I-7091 (Rz. 40, 47); Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 42; a.A. B. Heß/G. Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224. 36 Hierfür B. Heß, IPRax 2000, 370, 373. 37 Rauscher/Leible, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 27; F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 74 ff. 38 Cour de Cass. Rev.crit. 2002, 372; krit. F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 88 (hypothetische Hauptsachezuständigkeit nach Art. 4 Brüssel Ia-VO). 39 F. Eichel, ZZP 131 (2018), 71, 83; Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 38. 40 A. Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. 41 EuGHE 1998, I-7091 (Rz. 47) = JZ 1999, 1103; EuGH – C-159/97 – Trasporti Castelletti v Trumpy, EuGHE 1999, I-1597 = JZ 1999, 1105, 1107; EuGH, – C 99/96 – Mietz v Intership Yachting, EuGHE 1999, I-2277 = JZ 1999. 1105 (A. Stadler) = IPRax 2000. 411 (dazu B. Heß, S. 370); vgl. Th. Garber, S. 134 ff.; P. Volken, SZIER 1999, 460.
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17.20
§ 17 Rz. 17.20 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
anordnen.42 Allerdings soll dies nicht gelten, wenn das Hauptsachegericht die Leistungsverfügung anordnet.43 Die territoriale Beschränkung der Maßnahme bedeutet bei einer Leistungsverfügung nach h.M., dass der Antragsteller eine gewisse Wahrscheinlichkeit darlegen muss, dass sie im Erlassstaat aus dem dort belegenen Vermögen des Schuldners realisiert werden kann,44 die Leistungsverfügung ist aber inhaltlich nicht auf das im Erlassstaat belegene Vermögen beschränkt.45
17.21 Für eine freezing order (Mareva-injunction) folgt daraus, dass diese in europäischen Fällen mit europaweiter Wirkung nur noch erlassen werden darf, wenn englische Gerichte in der Hauptsache zuständig sind46 (s. Rz. 17.11. Eine territoriale Wirkungsbegrenzung47 würde der Maßnahme viel von ihrer Wirksamkeit nehmen; sie ist weder von Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ noch aus völkerrechtlichen Gründen48 geboten. Das Unterlassungsgebot darf sich aber nur an den Prozessgegner richten; Dritte dürfen nicht verpflichtet werden.49 17.22 f) Der zu sichernde Anspruch richtet sich ggf. nach den Regeln des Internationalen Privatrechts nach ausländischem Recht. Auch bei Eilverfahren ist dessen Inhalt zu beachten und zu ermitteln. Die Ermittlung darf sich aber entsprechend der Eilbedürftigkeit auf präsente Quellen beschränken. Nur in dringenden Fällen, wenn innerhalb angemessener Zeit keine Kenntnis zu gewinnen ist, darf unter Außerachtlassung des Kollisionsrechts nach deutschem Recht entschieden werden50 (s. Rz. 11.42 ff.). 17.23 g) Vollstreckung. Im Anwendungsbereich von EuGVO bzw. LugÜ sind Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, sofern eine Zuständigkeit nach den europäischen Regeln besteht und dem Gegner vor Erlass rechtliches Gehör gewährt, zumindest die Entscheidung vor der Vollstreckung zugestellt wurde (s. Rz. 12.10 u Rz. 15.33, 15.36). Eine englische freezing order (Mareva injunction) kann danach in den anderen Staaten des europäischen Rechtsraums für vollstreckbar erklärt werden, sofern sie nach Anhörung des Gegners erlassen wurde.51 Für Österreich wird die Ansicht vertreten, dass nur solche Maßnahmen anerkennungsfähig und vollstreckungsfähig sind, bei denen Bewilligung und Vollzug getrennt erfolgen.52 42 A. Stadler, JZ 1999, 1089, 1097; H. Schack, IZVR, Rz. 486; krit. B. Heß, IPRax 2000, 370, 373 (das Zweitgericht könne analog Art. 38 III EuGVÜ die Sicherheit anordnen). 43 So Wieczorek/Schütze/Eichel, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 63. 44 Rauscher/Leible, Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 29 f.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 31 EuGVO Rz. 52; D. Tsikrikas/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 31 Rz. 31. 45 Wagner in Stein/Jonas, Art. 31 EuGVO Rz. 33. 46 D. Tsikrikas/R. Hausmann, unalex Kommentar, Art. 31 Rz. 29. 47 Hierfür Wagner in Stein/Jonas, Art. 31 EuGVO Rz. 53. 48 So zu Recht R. Geimer, IZPR, Rz. 399a, 3230. 49 R. Geimer, IZPR, Rz. 399b. 50 H. Linke/W. Hau, IZVR, Rz. 15.12; ähnlich Prütting in MünchKomm/ZPO, § 293 ZPO Rz. 56; Stein/Jonas/Thole, § 293 Rz. 73 ff. 51 OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 1178; OLG Karlsruhe, ZZPInt. 1996, 96 m. Anm. A. Zuckerman/J. Grunert; H. Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 257; H. Stoll, Schweiz. JZ 1996, 104; Th. Garber, S. 238 ff. 52 G. Zeiler, österr. JBl 1996, 635, 639 ff.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.27 § 17
Im Anwendungsbereich von EuGVO bzw. LugÜ sind Arrestbeschlüsse, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, zu vermeiden, wenn eine Vollziehung im Ausland erforderlich sein kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen diese unter Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) und können nicht vollstreckt werden53 (s. Erwägungsgrund 33 Satz 2 EuGVO n.F.). Wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens gilt zwar die Einlassungsfrist des § 274 III ZPO im einstweiligen Rechtsschutz nicht54 und die Ladungsfrist des § 217 ZPO kann gem. § 226 I ZPO verkürzt werden. Eine auf dieser Basis anberaumte baldige mündliche Verhandlung wird dennoch häufig den Anforderungen des Art. 45 I lit. b EuGVO n.F. (Art. 34 Nr. 2 EuGVO a.F./LugÜ) nicht genügen.
17.24
Ob es sachgemäß ist, die mündliche Verhandlung als zwingendes Erfordernis einer Anerkennung zu behandeln, kann bezweifelt werden. Immerhin ist die Gewährung rechtlichen Gehörs ja auch in einem schriftlichen Verfahren möglich.55 Ein nach EuGVO/LugÜ sicher nicht überwindbares Vollstreckungshindernis ist es aber, wenn auch die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme nicht gewährt wird. § 921 I ZPO gestattet eine solche Entscheidung ohne Anhörung des Gegners nicht nur, die Praxis sieht sie sogar als den Normalfall an. Eine schriftliche Anhörung kommt nach verbreiteter Ansicht nur in Frage, wenn dadurch der Zweck des Arrestes nicht gefährdet wird.56 Solche Überraschungsentscheidungen können aber sinnvollerweise nur in dem Staat beantragt werden, in dem sie auch vollstreckt werden sollen. Besteht die Gefahr, dass ein im Ausland belegener Vermögensgegenstand der Vollstreckung entzogen wird, wenn der Schuldner angehört wird, empfiehlt es sich, im Staat der Belegenheit nach dortigem Prozessrecht besonders vorzugehen.
17.25
Kommt es zu Eilverfahren in mehreren EuGVO/LugÜ-Staaten, besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen. Der Widerspruch zwischen einer inländischen und einer ausländischen Eilentscheidung ist entsprechend Art. 45 I lit. c EuGVO n.F. bzw. Art. 34 Nr. 3 LugÜ zugunsten der inländischen Entscheidung zu klären.57
17.26
3. Grenzüberschreitende vorläufige Kontopfändung Schrifttum: G. Cuniberti/S. Migliorini, La procédure d’ordonnance européenne de saisie conservatoire des comptes bancaires établie par le règlement UE n° 655/2014, Rev.crit. DIP 2018, 31; T. Domej, Ein wackeliger Balanceakt – Die geplante Verordnung über die Europäische vorläufige Kontenpfändung, ZEuP 2013, 496; R. Faulhaber, Die vorläufige europäische Kontenpfändung, in Bundesministerium der Justiz, Zwangsvollstreckung und Zwangsversteigerung aktuell, 2028, S. 151; B. Häcker, Die geplante EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden vorläufigen Kontopfändung, WM 2012, 2180; N. Harbeck, Vorläufige Kontenpfändung im Ausland – Zum Vorschlag einer Europäischen Verordnung zur vorläufigen Kontenpfändung 53 54 55 56 57
A.A. S. Gronstedt, S. 74 ff. Seiler in Thomas/Putzo, § 274 ZPO Rz. 3 u. § 922 ZPO Rz. 2. Für eine Anerkennung dieser Entscheidungen U. Spellenberg/St. Leible, S. 321. Drescher in MünchKomm/ZPO, § 922 ZPO Rz. 4. EuGHE 2002, I-4995 (Italian Leather v WECO) = NJW 2002, 2087 = IPRax 2005, 33 (dazu B. Hess, S. 23); K.-P. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 33.
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17.27
§ 17 Rz. 17.27 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz in grenzüberschreitenden Verfahren, in Seibel/Grothe/Harbeck u.a., Zwangsvollstreckungsrecht aktuell, 2. Aufl. 2013, S. 259; B. Hess, Die Europäische Kontenpfändung aus der Perspektive eines Europäischen Vollstreckungsrechts, FS Kropholler, 2008, S. 795; B. Hess, Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht: Herausforderungen und rechtspolitische Perspektiven, DGVZ 2010, 45; B. Hess, Der Vorschlag der EU-Kommission zur vorläufigen Kontenpfändung – ein weiterer Integrationsschritt im europäischen Zivilverfahrensrecht, FS Kaissis, 2012, S. 399; B. Hess/K. Raffelsieper, Eckpunkte der Kontenpfändungsverordnung, in Hess, Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Vollstreckungsrecht, 2014, S. 214; J. Lüttringhaus, Die Europäisierung des Zwangsvollstreckungsrechts im Bereich der vorläufigen Kontopfändung, ZZP 129 (2016), 187; P. Mayr/Th. Garber, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (9. Kap), 2017, S. 735; C. F. Nordmeier/J. Schickmann, Der europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, RIW 2017, 407; B. Nunner-Krautgasser, Der geplante Rechtsakt zur europäischen Kontenpfändung, in Hess, Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Vollstreckungsrecht, 2014, S. 125; G. Orfanidis, Die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über ein europäisches Verfahren zur vorläufigen Kontenpfändung, in Hopt/Tzouganatos, Das Europäische Wirtschaftsrecht vor neuen Herausforderungen, 2015, S. 263; N. Pogorelčnik-Vogrinc, Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung in Österreich, Deutschland und Slowenien, WiRO 2019, 1 u. 38; Rauscher/Rauscher/Wiedemann, EU-KPfVO, in EuZPR/EuIPR Bd II, 4. Aufl. 2015, S. 553; W. Rechberger, Zu den Bewilligungsvoraussetzungen einer vorläufigen Kontenpfändung nach der EuKoPfVO, FS Coester-Waltjen, 2015, S. 651; J. Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014; M. Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, S. 273; St. Schlauß, Erleichterte grenzüberschreitende Zwangsvollstreckung in der EU durch die zentrale Einholung von Kontoinformationen, RIW 2017, 205; Th. Sikorski, Vorläufige Kontopfändungen, 2018; J. Stamm, Plädoyer für einen Verzicht auf den Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, IPRax 2014, 124; St. Schlauß, Erleichterte grenzüberschreitende Zwangsvollstreckung in der EU durch die zentrale Einholung von Kontoinformationen, RIW 2017, 205; B. Sujecki, Grenzüberschreitende Kontenpfändung in der EU, EWS 2011, 414; M. Trenker, Vorläufige Kontenpfändung: Überblick und ausgewählte Fragen, in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich IV, 2015, S. 129; D. Wiedemann/N. Harbeck, Die Europäische Kontenpfändungsverordnung, RIW 2018, 777; J. Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 191.
– VO (EU) Nr. 655/2014 v. 27.6.2014 (ABl. EU Nr. L 189/59), in Kraft ab 18.1.2017. 17.28 Der Vorschlag einer Verordnung für die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen ... v. 15.12.200558 sah in E Art. 34 eine grenzüberschreitende Lohnoder Kontenpfändung wegen einer Unterhaltsforderung vor. Dieser Vorschlag war aber unausgereift59 und ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren für die EuUntVO fallen gelassen worden.
17.29 Einen verbesserten Vorschlag für eine vorläufige grenzüberschreitende Kontenpfändung hat die EU-Kommission am 25.7.2011 vorgelegt.60 Auf dessen Grundlage wurde schließlich die Verordnung „zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichte-
58 KOM (2005), 649 endg; vgl. B. Heß, JZ 2001, 573, 579; B. Heß, Study ..., S. 91 ff. 59 Krit P. Gottwald, FS Lindacher, 2007, S. 13. 60 KOM (2011) 445 vgl. B. Hess, FS Kaissis, 2012, S. 399; M. Schimrick, S. 273 ff.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.32 § 17
rung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen“ v. 15.5.2014 (Nr. 655/2014) erlassen.61 Das Verfahren zur vorläufigen Kontenpfändung gilt für Geldforderungen in Zivilund Handelssachen bei grenzüberschreitenden Rechtssachen (Art. 2 I, 3 I EuBvKpfVO). Ausgeschlossen sind Forderungen aus den Bereichen Güterstand, Erbrecht, Insolvenzrecht, soziale Sicherheit und Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 2 II EuBvKpfVO). Eine Unterhaltsforderung kann dagegen Grundlage für eine Pfändung sein.62 Nach Art. 6 ff. EuBvKpfVO kann der Gläubiger danach beim Gericht der Hauptsache den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung beantragen, wenn (1) die Forderung gegenüber dem Antragsteller begründet ist und (2) ohne die vorläufige Pfändung die Gefahr besteht, dass die spätere Vollstreckung gegenüber dem Schuldner unmöglich oder wesentlich erschwert wird. (Art. 7 I EuBvKpfVO).63 Beispielsweise hebt der Antragsgegner sein Geld von dem Bankkonto ab, verwendet es anderweitig oder verschiebt es. Besitzt der Antragsteller bereits einen vollstreckbaren Titel, kann er dadurch das Bestehen seiner Forderung nachweisen (Art. 7 II EuBvKpfVO).64 Der Antrag ist auf einem (vollständig ausgefüllten) Formular zu stellen (Art. 8 EuBvKpfVO).65 Der Pfändungsbeschluss wird grds ohne Anhörung des Gegners erlassen (Art. 11 EuBvKpfVO).
17.30
Das Gericht kann vom Antragsteller Sicherheitsleistung für einen etwaigen Schaden des Antragsgegners verlangen (Art. 12 EuBvKpfVO), nach Erwirkung eines Titels aber nur, wenn dies den Umständen nach angemessen erscheint. Art und Höhe der Sicherheitsleistung richten sich nach dem Prozessrecht des Ursprungsgerichts (Art. 12 III 1 EuBvKpfVO).
17.31
Wird der Pfändungsantrag noch vor Erwirkung eines vollstreckbaren Titels gestellt,66 ist für den Erlass des Pfändungsbeschlusses das Gericht zuständig, das in der Hauptsache zuständig ist (Art. 6 I EuBvKpfVO).67 Ein laufendes Mahnverfahren ist insoweit ein Hauptsacheverfahren.68 Der Gläubiger muss dann das Hauptsacheverfahren innerhalb von 30 Tagen nach Einreichung seines Antrags bzw. von 14 Tagen nach Erlass des Beschlusses einleiten, andernfalls wird die vorläufige Kontopfändung widerrufen (Art. 10). Das Gericht selbst erlässt seine Entscheidung bis zum Ende des zehnten Arbeitstages nach Eingang des Antrags (Art. 18 I EuBvKpfVO).
17.32
61 ABl. EU 2014 Nr. L 189/59. 62 M. Stürner, ZVglRWiss 119 (2020), 143, 150. 63 OLG Hamm, MDR 2019, 571; J. Wolber, S. 195; Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 7 EU-KPfVO Rz. 5 ff.; Mayr/Garber Handbuch des europ. ZVR, Rz. 9.61. 64 Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 7 EU-KPfVO Rz. 2 f. 65 Vgl. Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 8 EU-KPfVO Rz. 1 ff.; Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 9.46 ff. 66 Art. 4 Nr. 8-10 EuBvKPfVO sind dahin auszulegen, dass der Titel vollstreckbar sein muss, so EuGH – C-555/18, ECLI:EU:C:2019:937 – K.H.K. v B.A.C., RIW 2020, 30 (Rz. 37 ff., 45); dazu F. Rieländer, RIW 2020, 102. 67 Vgl. Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 6 EU-KPfVO Rz. 4 ff. 68 EuGH – C-555/18, ECLI:EU:2019:937 (Rz. 46 ff., 52), RIW 2020, 30.
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§ 17 Rz. 17.33 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
17.33 Liegt bereits ein Vollstreckungstitel vor, so kann der Antragsteller den Pfändungsbeschluss bei den Gerichten des Mitgliedstaates beantragen, der die Entscheidung erlassen hat bzw. bei dem ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wurde (Art. 6 III EuBvKpfVO). In diesem Fall muss das Gericht seine Entscheidung bis zum Ende des fünften Arbeitstages nach Eingang des Antrags erlassen (Art. 18 II EuBvKpfVO). Vermutet der Titelgläubiger ein Bankkonto in einem Mitgliedstaat, kennt aber nicht die genauen Kontoangaben, kann er beim Gericht, das den Pfändungsbeschluss erlässt, die Einholung von Kontoinformationen bei der Auskunftsbehörde des Vollstreckungsstaates beantragen (Art. 14 I EuBvKpfVO). Der Gläubiger muss aber plausible Gründe angeben, warum er ein Konto in dem betreffenden Mitgliedstaat vermutet (berufliche Tätigkeit, Eigentum).69 Diese Informationen (auch ein fehlendes Ergebnis) werden dann dem Gericht des Ursprungsstaates übermittelt. Dem Gläubiger werden nur Name und Anschrift der Bank übermittelt (vgl. Art. 19 II lit. d EuBvKpfVO).70 Das Gericht entscheidet über den Antrag ohne Anhörung des Gegners (Art. 11 EuBvKpfVO), damit dieser das Kontoguthaben der Pfändung nicht noch entziehen kann.71 Besitzt der Gläubiger noch keinen Vollstreckungstitel, ist der Beschluss zur vorläufigen Pfändung innerhalb von 10 Arbeitstagen zu erlassen. Besitzt er bereits einen Vollstreckungstitel beträgt die Frist 5 Arbeitstage (Art. 18 I, II EuBvKpfVO).
17.34 Der Beschluss über die vorläufige Kontopfändung ist zwar sofort wirksam,72 entfaltet aber keine unmittelbare Beschlagwirkung in Bezug auf im Ausland geführte Konten, vielmehr ist er durch die Behörden des Mitgliedstaates, in dem das Konto geführt wird, zu vollstrecken.73 Der Beschluss wird in allen EU-Staaten anerkannt und ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt (Art. 22 EuBvKpfVO), und zwar nach dem jeweiligen nationalen Vollstreckungsrecht des betroffenen Mitgliedstaates (Art. 23 I EuBvKpfVO). 17.35 Der Beschluss wird der kontoführenden Bank zugestellt, bei einer Inlandszustellung nach inländischen Regeln, bei einer grenzüberschreitenden Zustellung nach der EuZVO Nr. 1393/2007. In Deutschland verweist § 950 ZPO insoweit auf die §§ 704 ff., insb. § 930 I 2 ZPO. Der Beschluss zur vorläufigen Kontopfändung hat daher den Rang wie ein Arrestpfandrecht.74 Ist ein im Inland erlassener Beschluss zu vollziehen, hat ihn der ausländische Gläubiger der Bank nach § 951 I 1 ZPO im Wege der Parteizustellung (§§ 191 ff. ZPO) zuzustellen.75 69 OLG Hamm, MDR 2019, 571, 572; Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 14 EUPfVO Rz. 9; vgl. St. Schlauß, RIW 2017, 205; B. Bailly, Erläuterungen zur Einholung von Kontoinformationen, in Bundesministerium der Justiz, Zwangsvollstreckung und Zwangsversteigerung aktuell, 2018, S. 175. 70 Mayr/Garber Handbuch des europ. ZVR, Rz. 9.55. 71 Krit im Hinblick auf Art. 6 EMRK Mayr/Garber, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 9.66. 72 Vgl. B. König/E. Praxmarer, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rückforderung und Schadenersatz, 2016, S. 126 ff. 73 T. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung, 2016, S. 312. 74 Hilbig-Lugani in MünchKomm/ZPO, § 950 Rz. 3. 75 Hilbig-Lugani in MünchKomm/ZPO, § 951 Rz. 1.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.38 § 17
Mit der Zustellung an die Bank als Drittschuldner (§ 829 III ZPO) wird die vorläufige Pfändung in Deutschland wirksam.76 Dem Schuldner ist der Beschluss erst nach Vollzug der Kontopfändung zusammen mit der Drittschuldnererklärung der Bank zuzustellen (Art. 28 EuBvKpfVO). Wohnt der Schuldner im Erlassstaat, stellt ihm das deutsche Gericht den Beschluss von Amts wegen direkt zu (§ 951 II 1ZPO) (was als Parteizustellung gilt). Das jeweils zuständige AG ergibt sich aus § 952 ZPO.
17.35a
Ist der Beschluss nicht im Erlassstaat zu vollziehen, hat das Gericht bzw. der Gläubiger die Zustellung an die Bank nach Art. 23 III Unterabs. 1 EuBvKpfVO durch Übermittlung an die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaates zu veranlassen. An den Schuldner ist der Beschluss gem. Art. 28 III EuBvKpfVO zuzustellen. Zuständig ist nach § 952 II Nr. 1 ZPO das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Vollstreckung stattfinden soll. Dieses leitet den Zustellungsauftrag aber an den zuständigen Gerichtsvollzieher zur Parteizustellung weiter.77
17.35b
Die Bank nimmt unverzüglich nach Eingang (Art. 24 I) eine vorläufige Pfändung des im Beschluss angegebenen Geldbetrages vor (Art. 24 II EuBvKpfVO) und unterrichtet die zuständige Behörde und den Antragsteller innerhalb von drei Tagen unter Verwendung des gesetzlichen Formblatts, ob und inwieweit Gelder auf dem Konto vorläufig gepfändet wurden (Art. 25 EuBvKpfVO). Der Beschluss hat also die Wirkung einer vorläufigen Sperrung des Kontoguthabens: weder der Schuldner noch seine Gläubiger dürfen darüber verfügen. Dies gilt solange, bis der Beschluss durch ein Gericht widerrufen wird, die Vollstreckung des Beschlusses durch ein Rechtsbehelfsgericht beendet bzw. durch Sicherheitsleistung abgewendet oder durch Vollstreckungsmaßnahmen nach nationalem Recht ersetzt wird (Art. 20 EuBvKpfVO).78
17.36
Beträge innerhalb der nationalen Pfändungsfreigrenzen des Vollstreckungsstaates sind von der Beschlagnahmewirkung ausgenommen (Art. 31 I EuBvKpfVO).79
17.37
Der Antragsgegner kann sich gegen eine zu Unrecht angeordnete vorläufige Kontopfändung sowohl im Ursprungsstaat (Art. 33 EuBvKpfVO) als auch im Vollstreckungsstaat (Art. 34 EuBvKpfVO) zur Wehr setzen. Im Ursprungsstaat kann der Schuldner inhaltliche Einwendungen gegen die vorläufige Kontopfändung erheben, etwa den gesicherten Anspruch oder die Dringlichkeit einer Sicherung bestreiten. Im Vollstreckungsstaat kann er vorbringen, dass die Pfändungsfreibeträge nicht korrekt berücksichtigt sind (Art. 34 I lit. a EuBvKpfVO) oder dass die vorläufige Vollstreckung gegen den ordre public des Vollstreckungsstaates verstößt (Art. 34 II EuBvKpfVO).80
17.38
76 77 78 79
Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 23 EU-KPfVO Rz. 8 f. H. Hesterberg/B. Mathey, DGVZ 2019, 98, 99. J. Wolber, S. 197; Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 20 EU-KPfVO Rz. 1 ff. Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 31 EU-KPfVO Rz. 1 ff.; J. Wolber, S. 200 (für Entwicklung einer einheitlichen europäischen Regelung, S. 228 ff.). 80 J. Wolber, S. 201; Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 34 EU-KPfVO Rz. 2 ff., 8 f.
989
§ 17 Rz. 17.39 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
17.39 Das Ursprungsgericht oder die Behörde des Vollstreckungsstaats können die vorläufig gepfändeten Gelder auf Antrag des Schuldners freigeben, wenn dieser ausreichende Sicherheit leistet (Art. 38 EuBvKpfVO).81 17.40 Der Gläubiger haftet dem Schuldner nach Art. 13 EuBvKpfVO für alle Schäden, die diesem durch die vorläufige Kontopfändung aus Verschulden des Gläubigers entstanden sind, und zwar nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. 4. Staatsverträge
17.41 a) Eine einheitliche Regelung zulässiger einstweiliger Maßnahmen enthält Art. 50 TRIPS-Übereinkommen v. 15.4.1994 (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums).82 Die Norm lautet: „1. „1. a Die Justizbehörden sind befugt, unverzügliche und wirksame einstweilige Maßnahmen anzuordnen: a) um die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern, und insbesondere, um zu verhindern, dass Waren, einschließlich eingeführter Waren, unmittelbar nach der Zollabfertigung in die innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegenden Handelswege gelangen; b) um einschlägige Beweise im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung zu sichern. 2. Die Justizbehörden sind befugt, falls erforderlich, einstweilige Maßnahmen ohne Anhörung der anderen Partei zu treffen, insbesondere dann, wenn durch eine Verzögerung dem Inhaber des Rechts wahrscheinlich ein nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht oder wenn nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweismaterial vernichtet wird. 3. Die Justizbehörden sind befugt, den Antragsteller aufzufordern, soweit zumutbar alle Beweismittel vorzulegen, um sich mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass der Antragsteller der Inhaber des Rechts ist und dass das Recht des Antragstellers verletzt wird oder dass eine solche Verletzung droht, und den Antragsteller anzuweisen, eine Kaution zu stellen oder eine entsprechende Sicherheit zu leisten, die ausreicht, um den Antraggegner zu schützen und einem Missbrauch vorzubeugen. 4. Wenn einstweilige Maßnahmen ohne Anhörung der anderen Partei getroffen wurden, sind die betroffenen Parteien spätestens unverzüglich nach der Durchführung der Maßnahmen davon in Kenntnis zu setzen. Auf Antrag des Antraggegners findet eine Prüfung, die das Recht zur Stellungnahme einschließt, mit 81 Rauscher/Rauscher/Wiedemann, (2015) Art. 36 EU-KPfVO Rz. 1. 82 BGBl. 1994 II, 1730; vgl. C. Markfort, Geistiges Eigentum im Zivilprozess, 2001, S. 122 ff.; W. Grosheide, GRUR-Int. 2000, 310; R. Hye-Knudsen, S. 234 ff.; H.-J. Ahrens, FS M. Loschelder, 2010, S. 1.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.42 § 17
dem Ziel statt, innerhalb einer angemessenen Frist nach der Mitteilung der Maßnahmen zu entscheiden, ob diese abgeändert, widerrufen oder bestätigt werden sollen. 5. Der Antragsteller kann aufgefordert werden, weitere Informationen vorzulegen, die für die Identifizierung der betreffenden Waren durch die Behörde, die die einstweiligen Maßnahmen durchführt, notwendig sind. 6. Unbeschadet des Abs. 4 werden aufgrund der Abs. 1 und 2 getroffene einstweilige Maßnahmen auf Antrag des Antragsgegners widerrufen oder auf andere Weise außer Kraft gesetzt, wenn das Verfahren, das zu einer Sachentscheidung führt, nicht innerhalb einer angemessenen Frist eingeleitet wird, die entweder von der die Maßnahme anordnenden Justizbehörde festgelegt wird, sofern dies nach dem innerstaatlichen Recht des Mitglieds zulässig ist, oder, wenn es nicht zu einer solchen Festlegung kommt, 20 Arbeitstage oder 31 Kalendertage, wobei der längere der beiden Zeiträume gilt, nicht überschreitet. 7. Werden einstweilige Maßnahmen widerrufen oder werden sie aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig oder wird in der Folge festgestellt, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag, so sind die Justizbehörden befugt, auf Antrag des Antragsgegners den Antragsteller anzuweisen, dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für den durch diese Maßnahme entstandenen Schaden zu leisten.83 8. Soweit einstweilige Maßnahmen aufgrund verwaltungsrechtlicher Verfahren angeordnet werden können, entsprechen diese Verfahren im Wesentlichen den in diesem Abschnitt dargelegten Grundsätzen“. Die Bestimmung sieht also (a) (vorbeugende) Unterlassungsverfügungen und (b) Verfügungen zur Beweissicherung vor, regelt aber nicht im Einzelnen die Verfahrensmodalitäten für gerichtliche Rechtsbehelfe.84 Soweit es für den Bereich des geistigen Eigentums Gemeinschaftsrecht gibt (wie etwa im Unionsmarkenrecht), haben die nationalen Gerichte bei dem Erlass von Anordnungen des einstweiligen Rechtschutzes soweit wie möglich Wortlaut und Zweck von Art. 50 TRIPS-Übereinkommen zu berücksichtigen.85 Das autonome deutsche Recht der §§ 935, 940, 936 ZPO wird den Anforderungen des Art. 50 TRIPS-Übereinkommen gerecht.86 Art. 50 II TRIPS gibt dem Einzelnen aber innerstaatlich kein Recht, dass einstweilige Maßnahmen ohne Anhörung der Gegenpartei erlassen werden.87 Auch das deutsche Verfahren der selbständigen Beweisaufnahme soll den An-
83 Die Aufhebung setzt insoweit entgegen § 926 I ZPO keinen Antrag des Antragsgegners voraus (Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 85). 84 EuGH – C-89/99, EuGHE 2001, I-5851 (Schieving-Nijstad v Groeneveld) = GRUR-Int. 2002, 41, 44. 85 EuGH – C-380/98 u. 392/98, EuGHE 2000, I-11307 (Rz. 47) (Dior v TUK) = GRUR 2001, 235; vgl. Th. Groh/S. Wündisch, GRUR 2001, 497. 86 Vgl. C. Markfort, Geistiges Eigentum im Zivilprozess, 2001, S. 124 ff., 138 f. 87 Schulte, Patentgesetz, 6. Aufl. 2001, § 139 Rz. 282; vgl. auch EuGH (Fn. 84) Rz. 55.
991
17.42
§ 17 Rz. 17.42 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
forderungen an die Beweissicherung genügen.88 Dies ist aber zweifelhaft, da Zwang nicht möglich ist und § 485 ZPO nicht alle verfügbaren Beweismittel erfasst. Zweifelhaft ist auch, ob das deutsche Recht ausreichende Möglichkeiten zur Durchsetzung von Besichtigungsansprüchen und zur Vorlage von Urkunden bereitstellt.89 Zur Reform im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes s. Rz. 17.90 u. Rz. 10.19 f.
17.43 b) Für den Arrest von Luftfahrzeugen ist das Abkommen v. 29.5.1933 zur Vereinheitlichung der Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen90 zu beachten. 17.44 c) Die Zuständigkeit für den Arrest in Seeschiffe richtet sich nach dem internationalen Übereinkommen v. 10.5.1952.91 Das Genfer Internationale Übereinkommen für den Arrest in Seeschiffe v. 12.3.1999 ist seit dem 14.9.2011 für elf Staaten in Kraft, Deutschland hat das Übereinkommen aber bisher nicht ratifiziert. In Deutschland bedarf es für den Arrest einer Glaubhaftmachung von Arrestanspruch und Arrestgrund (§ 920 II ZPO). Durch die Reform des Seehandelsrechts v. 13.12.2012 ist der Arrest in Seeschiffe erleichtert worden. Seither ist die Glaubhaftmachung eines Arrestgrundes bei einem Arrest zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in ein Schiff entbehrlich (§ 917 II 2 ZPO).92 17.45 d) Für den Arrest von Forderungen eines Eisenbahnunternehmens ist Art. 12 § 4 COTIF 1999;93 für den Arrest von Eisenbahnfahrzeugen ist Art. 12 § 5 COTIF zu beachten.94 17.46 e) Sonderegeln über die Arrestvollziehung enthält auch das Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung v. 16.11.2001 (Art. 13).95 Das Übereinkommen ist noch nicht in Kraft getreten. 17.46a f) Bilaterale Verträge befassen sich mit dem Arrest nur in wenigen Fällen. Viele bilaterale Vollstreckungsabkommen schließen Arrest und einstweilige Verfügungen ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich aus (vgl. Art. 12 deutsch-italienisches Abkommen v. 3.9.1936; Art. 14 deutsch-österreichischer Vertrag v. 6.6.1959; Art I 88 89 90 91
92 93 94 95
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C. Markfort, Geistiges Eigentum im Zivilprozess, S. 163 ff. C. Markfort, S. 189 f.; krit. P. Treichel, GRUR-Int. 2001, 690. RGBl. 1935 II, 301. BGBl. 1972 II, 653 in Kraft gem. Bek. v. 8.3.1973 (BGBl. II 1973, 172); vgl. S. Nieschulz, Der Arrest in Seeschiffe, 1997; F. Berlingieri, Arrest of Ships, 2. Aufl. 1996; D. Dalfino, In the Matter of „Arrest of Ships“, in Stürner/Kawano, Comparative Studies on Enforcement and Provisional Measures, 2011, S. 369; V. R. Abou-Nigm, The Arrest of Ships in Private International Law, 2011; R. Herber, Seehandelsrecht, 2. Aufl. 2016 (§ 14 III, S. 128 ff.); J. Puttfarken, Seehandelsrecht, 1997, 10. Kap. S. 337 ff.; E.-M. Harm, Das neue Schiffsarrestrecht nach der Reform des Seehandelsrechts, 2013. Zum Regierungsentwurf s. BT-Drucks. 17/10309. BGBl. II 2002, 2149. Zum COTIF i.d.F. 1980 s. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 87. Abgedruckt in IPRax 2003, 276; vgl. Ch. Henrichs, IPRax 2003, 210; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 89 ff.
II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.48 § 17
[3] deutsch-britisches Abkommen v. 14.7.1960; Art. 17 I Nr. 2 deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961; Art. 3 Nr. 5 deutsch-spanischer Vertrag v. 14.11.1983). Moderner ist insoweit nur der deutsch-niederländische Vertrag v. 30.8.1962, der Arreste und einstweilige Verfügungen in Art. 1 (2) ausdrücklich als anerkennungsfähige Entscheidungen aufzählt. Die Arrestvollziehung richtet sich auch dann nach autonomem Recht. 5. Internationale Arreste a) Schrifttum Ch. Berger/K. Otte, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht (Kap. 18), 2006; U. Ehricke, Zur teleologischen Reduktion des § 917 II ZPO, NJW 1991, 2189; R. Freitag, Schadenersatzansprüche gem. § 935 ZPO nach einstweiligem Rechtsschutz im Ausland?, IPRax 2002, 287; H.-F. Gaul, Tendenzen zur vorzeitigen Erlangung von Zahlungstiteln und einstweiliger Rechtsschutz, Festgabe Vollkommer, 2006, S. 61; H. Gieseke, Neue Entwicklungen zum Arrestgrund der Auslandsvollstreckung im Europarecht, EWS 1994, 149; S. Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz, 1994; Ch. Groß, Die internationale Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, 2010; U. Hornung, Auswirkungen der Einschränkung des Vermögensgerichtsstandes auf die internationale Zuständigkeit im dinglichen Arrestverfahren, ZVglRWiss 95 (1996), 305; J. Kropholler/C. H. Hartmann, Die Europäisierung des Arrestgrundes der Auslandsvollstreckung, FS Drobnig, 1998, S. 337; C. Kurtz, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, 2004; P. Mankowski, Zum Arrestgrund der Auslandsvollstreckung in § 917 II ZPO, NJW 1992, 599; P. Mankowski/R. Kerfack, Arrest, einstweilige Verfügung und die Anwendung ausländischen Rechts, IPRax 1990, 372; B. Morbach, Einstweiliger Rechtsschutz in Zivilsachen, 1988; R. Pansch, Die einstweilige Verfügung zum Schutz geistigen Eigentums im grenzüberschreitenden Verkehr, 2003; H.-K. Ress, Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung nach § 917 II ZPO und das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot, JuS 1995, 967; M. Rohe, Schadensfälle durch Zivilprozess, IPRax 1997, 14; H. Schack, Rechtsangleichung mit der Brechstange..., ZZP 108 (1995, 47; F. Schneider, Die Leistungsverfügung im niederländischen, deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2013; W. Schuschke/W.-D. Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl. 2015; A. Sessler, Die Anwendbarkeit des § 917 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf Urteile aus EuGVÜ-Staaten, WM 2001, 497; R. Thümmel, Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung im Fadenkreuz des Europäischen Rechts, EuZW 1994, 242; R. Thümmel, Inlandsvermögen – Achillesferse des Arrestgrundes der Auslandsvollstreckung?, FS Rothoeft, 1994, S. 97; R. Thümmel, Einstweiliger Rechtsschutz im Auslandsrechtsverkehr, NJW 1996, 1930; G. Wagner, The purpose and importance of preliminary and summary procedures, in Gilles/Pfeiffer, Prozessrecht und Rechtskulturen, 2004, S. 69; M. Weinert, Vollstreckungsbegleitender einstweiliger Rechtsschutz, 2007; Ch. Wolf, Sind auch ausländische Urteile Urteile i.S.v. § 917 Abs. 1 ZPO?, FS Schütze, 1999, S. 983.
17.47
b) Internationale Zuständigkeit Nach europäischem Recht folgt die internationale Zuständigkeit aus Art. 4 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 2 ff. LugÜ (s. Rz. 3 ff.). Nach autonomem deutschen IZPR richtet sich die internationale grds nach der örtlichen Zuständigkeit (s. Rz. 3.519 ff.). Das gilt auch für den einstweiligen Rechtsschutz.
993
17.48
§ 17 Rz. 17.49 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
17.49 Der Arrest kann nach § 919 ZPO sowohl beim Gericht der Hauptsache als auch bei dem Gericht beantragt werden, in dessen Bezirk sich der zu beschlagnahmende Gegenstand oder die in ihrer Freiheit zu beschränkende Person befindet. Aus § 919 ZPO folgt somit eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, wenn sich diese Anknüpfung im Inland befindet.96 17.50 Ist eine Hauptsache noch nicht anhängig, steht dem Antragsteller also die ganze Palette von Gerichtsständen der §§ 12 ff. ZPO zur Verfügung. Wichtigster Arrestgerichtsstand ist der des (Inlands-)Vermögens nach § 23 ZPO.97 Durch das Erfordernis eines „hinreichenden Inlandsbezuges“ (s. Rz. 3.535) ist mittelbar freilich auch die Hauptsachezuständigkeit nach § 919 (1. Alt) ZPO eingeschränkt worden, so dass vielfach nur die Belegenheitszuständigkeit nach § 919 (2. Alt) ZPO übrig bleibt.98 Eine ausschließliche Prorogation in der Hauptsache hat grds keine Wirkung für den einstweiligen Rechtsschutz.99 c) Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung
17.51 Die ZPO hat in § 917 II einen besonderen Arrestgrund für Fälle mit Auslandsberührung. Das Erfordernis einer Auslandsvollstreckung stellt für sich bereits (als abstrakte Gefährdung) einen Arrestgrund dar. Deren Notwendigkeit entfällt, wenn der Schuldner ein zur Befriedigung des Gläubigers ausreichendes Inlandsvermögen besitzt und keine Gefahr der Vollstreckungsvereitelung besteht. Bei ausländischen Reedereien mit Liniendienst besteht i.d.R. kein Anlass, eine Gefährdung anzunehmen.100 Der ausländische Wohnsitz oder Sitz des Schuldners allein genügt nicht für die Annahme des Arrestgrundes.101 Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung (§ 917 II ZPO) war ursprünglich auch gegeben, wenn die Entscheidung in einem anderen Staat der Europäischen Union vollstreckt werden musste.102
17.52 Nachdem der EuGH am 10.2.1994103 entschieden hatte, dass § 917 II ZPO a.F. bei einer Vollstreckung in einem anderen EU-Land dem Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV (jetzt Art. 18 AEUV) widerspreche, wurde Abs. 2 durch Satz 2 ergänzt.
96 Drescher in MünchKomm/ZPO, § 919 ZPO Rz. 3. 97 Vgl. OLG Hamburg, RIW 1990, 225; zur Belegenheit von Forderungen s. S. Gronstedt, S. 32 ff. 98 Vgl. U. Hornung, ZVglRWiss 95 (1996), 305. Gegen das Erfordernis des „Inlandsbezugs“ Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 102. 99 H. Schack, Rz. 478; a.A. S. Gronstedt, S. 42 ff.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 105 f. 100 OLG Hamburg, MDR 1971, 767; R. Thümmel, FS Rothoeft, 1994, S. 97, 105; Schuschke/ Walker/Kessen/Thole/Kessen, § 917 ZPO Rz. 6; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 118. 101 A.A. wohl R. Thümmel, FS Rothoeft, 1994, S. 97, 108. 102 U. Ehricke, NJW 1991, 2189. 103 EuGHE 1994, I-467 (Mund & Fester v Hatrex) = NJW 1994, 1271 = IPRax 1994, 439 (dazu R. Geiger, S. 415); P. Schlosser, ZEuP 1995, 250; H.-K. Ress, JuS 1995, 967; krit. H. Schack, ZZP 108 (1995), 47.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.59 § 17
Danach war der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung im Anwendungsbereich von EuGVO bzw. EuGVÜ/LugÜ nicht mehr anwendbar. Durch Gesetz v. 4.11.2003 wurde § 917 II ZPO nochmals neu gefasst. Nunmehr muss zur Notwendigkeit der Auslandsvollstreckung generell die fehlende Gegenseitigkeit hinzutreten.
17.53
Allerdings kann das Gericht den Arrest auch dann anordnen, wenn der Arrestgrund nicht glaubhaft gemacht ist, der Antragsteller aber ausreichende Sicherheit bietet (§ 921 Satz 1 ZPO).
17.54
Der „normale“ Arrestgrund der drohenden Vollstreckungsvereitelung oder Erschwerung weist in internationalen Fällen keine Besonderheiten auf. Vorsicht ist allenfalls dort geboten, wo ein Antragsteller versucht, sich durch einen Arrest in Deutschland vor Unzulänglichkeiten der heimischen Rechtsordnung zu schützen. Das Erfordernis der internationalen Zuständigkeit sollte hier aber genug Filterwirkung ausüben.
17.55
d) Persönlicher Arrest Lediglich subsidiär zulässig ist der persönliche Arrest, § 918 ZPO.104 Er ist auch gegen Ausländer zulässig.105 Art. 26 HZPÜ 1954 schränkt seine Zulässigkeit nicht ein.106
17.56
e) Der Arrestanspruch Für den Arrestanspruch gelten die Regeln des IPR. Das bedeutet, dass die Gerichte auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eventuell ausländisches Recht anzuwenden haben.107 Die Einholung von Gutachten zum ausländischen Recht ist ein Grund für die häufig längere Prozessdauer internationaler Verfahren, begründet also gerade das Interesse für einstweiligen Rechtsschutz.
17.57
Daraus folgerten manche Gerichte, dass im einstweiligen Rechtsschutz ausländisches Recht eben doch nicht anzuwenden sei.108 Diese Lösung ist jedenfalls nicht mehr zeitgemäß; sie wird so pauschal wohl auch nicht mehr vertreten. Stattdessen wird in manchen jüngeren Entscheidungen dem Antragsteller die Glaubhaftmachungslast für das ausländische Recht auferlegt.109 Gelingt ihm das nicht, wird die deutsche lex fori angewandt.
17.58
Diese Anwendung des § 294 ZPO auf ausländisches Recht lässt sich damit rechtfertigen, dass § 293 ZPO ausländisches Recht ähnlich wie Tatsachen behandelt. Gleich-
17.59
104 105 106 107 108
Seiler in Thomas/Putzo, § 918 ZPO Rz. 1. Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessen, § 918 ZPO Rz. 1. Drescher in MünchKomm/ZPO, § 918 ZPO Rz. 5. U. Spellenberg/St. Leible, S. 317. OLG Karlsruhe, IPRspr. 1975 Nr. 48 = StAZ 1976, 19; IPRspr. 1972 Nr. 64a und b; OLG Hamburg, IPRspr. 1968/69 Nr. 101. 109 OLG Hamburg, VersR 1989, 1164; OLG Frankfurt, NJW 1969, 991, 992; Drescher in MünchKomm/ZPO, § 920 ZPO Rz. 13.
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§ 17 Rz. 17.59 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
wohl ist zu fordern, dass der Richter über die von den Parteien beigebrachten hinaus die Erkenntnisquellen nutzt, die ihm unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit zur Verfügung stehen.110 Die von § 293 ZPO eingeräumte Befugnis zu eigenen Ermittlungen ist längst als Verpflichtung zu interpretieren.111 Von den Parteien ist gleichzeitig zu verlangen, dass sie, schon im eigenen Interesse, das Gericht unterstützen, z.B. durch Beibringung eines Parteigutachtens.112
17.60 Die Anwendung der lex fori als Ersatzrecht muss extremen Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.113 Will das Gericht die lex fori anwenden, muss es besonders begründen, warum das Risiko einer Fehlentscheidung aufgrund einer unterschiedlichen Rechtslage im Ausland geringer erscheint, als das Risiko des Rechtsverlustes während der Zeit, die bis zur Ermittlung des ausländischen Rechts, regelmäßig also bis zur Einholung eines Gutachtens verstreicht.114 Auch bei der Anordnung der Sicherungsmittel sollte das Gericht im Rahmen seines Ermessens besondere Vorsicht walten lassen. In Fällen der Leistungsverfügung (im Einzelnen dazu unten), bei denen also notwendig die Hauptsache vorweggenommen wird, ist die Anwendung der lex fori als Ersatzrechtsordnung grds abzulehnen. f) Arrestverfahren
17.61 Die ZPO lässt für die Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz verschiedene Vereinfachungen gegenüber dem Hauptsacheverfahren zu. Zu nennen sind hier insb. der Wegfall der Einlassungsfrist des § 274 III,115 die mögliche Verkürzung der Ladungsfrist nach § 226 I und, als wichtigste Besonderheit, das Absehen von der mündlichen Verhandlung nach § 921 I. Diese gelten grds. auch in internationalen Fällen, da das Prozessrecht der lex fori Anwendung findet.116 Zu beachten ist allerdings, dass manche dieser Vereinfachungen zu Schwierigkeiten bei der Anerkennung der Arrestentscheidung im Ausland führen können. Die Auswirkung verschiedener Möglichkeiten der Verfahrensvereinfachung auf die Vollstreckbarkeit im Ausland muss daher in die gerichtliche Ermessensentscheidung einfließen, wie das Verfahren zu gestalten ist.
17.62 Andere Abweichungen des einstweiligen Rechtsschutzes vom Normalverfahren sind dagegen auch mit Blick auf eine eventuelle Auslandsvollstreckung unproblematisch
110 So auch Drescher in MünchKomm/ZPO, § 920 ZPO Rz. 13. 111 Geimer in Zöller, § 293 ZPO Rz. 14, 19; H. Schack, Rz. 704; R. Schütze, WM 1980, 1438, 1440. 112 BGH, NJW 1976, 1581, 1583; OLG Frankfurt, MDR 1983, 410: Grunsky in Stein/Jonas, § 920 ZPO Rz. 8. 113 So auch U. Spellenberg/St. Leible, S. 318; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 122. 114 So wohl auch H. Schack, Rz. 704. 115 Seiler in Thomas/Putzo, § 274 ZPO Rz. 3; Seiler in Thomas/Putzo, § 922 ZPO Rz. 2; Schellhammer, Zivilprozess, 13. Aufl. 2010, Rz. 1913; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/ Kessen, § 922 ZPO Rz. 2. 116 U. Spellenberg/St. Leible, S. 320.
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II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.66 § 17
und gelten uneingeschränkt auch in internationalen Fällen. Auch in Fällen mit Auslandsbezug herrscht nach §§ 920 III, 78 III ZPO kein Anwaltszwang. Jeder, auch ein ausländischer Antragsteller, muss in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keinen Gerichtskostenvorschuss einzahlen, weil diese Verfahren in § 12 I GKG nicht aufgeführt sind. Umstritten ist allerdings, ob eine Ausländersicherheit nach § 110 ZPO zu leisten ist. Die wohl h.M. lehnt das allerdings ab, solange nicht mündlich verhandelt wird.117 Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Staat des europäischen Rechtsraums sind nach § 110 I ZPO in jedem Fall von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreit (s. Rz. 5.86).
17.63
g) Arrestvollziehung Der Territorialitätsgrundsatz schließt nicht aus, dass eine deutsche Arrestentscheidung gegenüber einem ausländischen Arrestgegner im Inland vollzogen werden kann. Nach der deutschen ZPO kann mittels Arrestpfändung durchaus auf Vermögen eines Ausländers zugegriffen werden, selbst wenn die internationale Zuständigkeit zum Erlass des Arrestes nur auf § 23 ZPO beruht.
17.64
Schwierigkeiten ergeben sich aber, wenn der Arrestbefehl mit der Pfändungsanordnung (bezüglich des im Inland belegenen Gegenstandes) ins Ausland zugestellt werden muss. Wegen der damit verbundenen Beschlagnahmewirkung, soll eine solche Zustellung unzulässig sein.118 Eindeutig ist in jedem Fall, dass ein deutsches Gericht nicht durch Arrestpfändung einen im Ausland belegenen Gegenstand pfänden kann. Besonderheiten bei der Arrestvollziehung im Ausland können sich auch dann ergeben, wenn Dritte beteiligt sind, etwa die kontoführende Bank oder ein sonstiger Drittschuldner. Hier ist in der Regel eine Beteiligung des betroffenen Dritten am Arrestverfahren erforderlich,119 jedenfalls aber eine Zustellung an ihn. Ein Auslandsbezug mit den damit verbundenen Schwierigkeiten kann also allein darauf beruhen, dass ein Drittschuldner im Ausland sitzt.
17.65
Nach § 929 II ZPO muss ein Arrestbefehl in Deutschland innerhalb eines Monats seit seinem Erlass vollzogen werden. Diese Frist ist auch bei der Vollziehung eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat erlassenen Arrests einzuhalten. Denn nach Art. 39 EuGVO n.F. sind Entscheidungen eines anderen EU-Mitgliedstaates mit ihrer Vollstreckbarkeit im Erlassstaat ex lege auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten vollstreckbar. Nach Art. 41 I 2 EuGVO n.F. wird eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung aber nur unter den gleichen Bedingungen wie eine deutsche Entscheidung vollstreckt. Soweit die Entscheidung vor dem 10.1.2015 ergangen ist,
17.66
117 OLG Köln,ZIP 1994, 326; Hüßtege in Thomas/Putzo, § 110 ZPO Rz. 3; Herget in Zöller, § 110 ZPO Rz. 3; St. Leible, NJW 1995, 2817; a.A. R. Schütze, IZPR, Rz. 423 (nur solange kein Antrag gestellt wird). 118 Vgl. S. Gronstedt, S. 124 ff.; R. Schütze, IZPR, Rz. 432. 119 H. Koch in Heldrich/Kono, S. 90.
997
§ 17 Rz. 17.66 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
bedarf sie der Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 I EuGVO a.F., so dass die Monatsfrist ab dem Zeitpunkt der Vollstreckbarerklärung läuft.120 6. Internationale einstweilige Verfügungen
17.67 Entsprechend der Systematik der ZPO gilt auch in dieser Darstellung für die einstweilige Verfügung im Wesentlichen das für den Arrest Gesagte. a) Internationale Zuständigkeit
17.68 Die (internationale, örtliche und sachliche) Zuständigkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung folgt aus § 937 I ZPO.121 Hierfür gilt alles zu § 919 1. Alt ZPO Gesagte entsprechend (s. Rz. 17.48 f.), gerade auch bezüglich des Verhältnisses zur Zuständigkeitsordnung der EuGVO bzw. des LugÜ. Hinsichtlich einstweiliger Verfügungen in Bezug auf den Besitz oder die Pacht von Grundstücken sind die Gerichte des Lagestaats ausschließlich zuständig (Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F., Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ bzw. §§ 24, 29a ZPO).122 Soweit die Parteien eine Schiedsabrede getroffen haben, bestimmt der Sitz des Schiedsgerichts den Ort des Gerichts der Hauptsache.123 17.69 Daneben treten noch die Zuständigkeiten des § 942 ZPO. Bei § 942 I ZPO fragt sich, ob dieser doppelfunktional ist, also eine internationale Zuständigkeit begründen kann, wenn Gericht der Hauptsache ein ausländisches Gericht ist. Problematisch erscheint das deshalb, weil die Norm vorauszusetzen scheint, dass das Gericht der Hauptsache auf Basis der gleichen Verfahrensordnung entscheidet. § 942 I ZPO schreibt zwingend eine Anordnung eines Rechtfertigungsverfahrens vor, das vom Hauptsachegericht durchzuführen ist. Gleichwohl wird die Ansicht vertreten, auch § 942 I ZPO begründe eine internationale Zuständigkeit, ohne dass jedoch das Problem des Rechtfertigungsverfahrens erörtert würde.124 Eingeschränkt wird § 942 I ZPO nur insoweit, als die gewöhnlichen Verzögerungen einer Rechtsverfolgung im Ausland nicht ausreichen können, um die besondere Dringlichkeit zu begründen, die für eine Zuständigkeit nach § 942 I ZPO erforderlich ist.125 Dem kann nicht zugestimmt werden. § 942 I ZPO ist nicht doppelfunktional. Vielmehr setzt er eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aufgrund von § 937 I zwingend voraus. Diese wird in der Regel auch bestehen, da die Hauptsachezuständigkeit hier ja autonom bestimmt werden kann. Ansonsten müsste nämlich das AG der Belegenheit des Streitgegenstandes dem Antragsteller eine Frist zur Fortsetzung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens im Ausland setzen. Das ist schon allein deshalb nicht mög120 EuGH – C-379/17, ECLI:EU:C:2018:806 – Società Immobiliare Al Bosco Srl. (Rz. 32, 40 ff.), = RIW 2018, 756; L. Rademacher, GPR 2019, 109; B. Rentsch, IPrax 2020, 337. 121 Vgl. S. Gronstedt, S. 288 ff.; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessen, § 937 ZPO Rz. 2; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 28 Rz. 110. 122 OLG Düsseldorf, IPRax 2000, 547. 123 OLG Hamburg, RIW 1996, 857. 124 R. Geimer, RIW 1975, 81, 86; A. Eilers, S. 11; U. Spellenberg/St. Leible, S. 310. 125 A. Eilers, S. 11; U. Spellenberg/St. Leible, S. 310.
998
II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.73 § 17
lich, weil ausländische Gerichte nicht zur Kooperation verpflichtet werden können.126 Vertretbar ist eine internationale Zuständigkeit daher allenfalls bei § 942 II ZPO, der ein Rechtfertigungsverfahren nicht zwingend vorschreibt.127 Tatsächlich ist hier die Anwendung als internationale Zuständigkeitsnorm allerdings vor allem deshalb weniger problematisch, weil bei grundstücksbezogenen Ansprüchen eine ausländische Hauptsachenzuständigkeit wenig wahrscheinlich ist, zumindest aber das ausländische Gericht deutsches materielles Recht anwenden müsste.
17.70
Ein im Ausland anhängiges Hauptsacheverfahren sperrt ein inländisches Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht. Beide Verfahren haben einen verschiedenen Streitgegenstand.128 Bei parallelen Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes kommt die Rechtshängigkeitssperre des § 261 III ZPO in Betracht, scheitert aber wohl meist, weil die ausländische Entscheidung im Inland nicht anerkannt wird.129
17.71
b) Vollzug der einstweiligen Verfügung Auch eine einstweilige Verfügung muss nach §§ 936, 929 II ZPO innerhalb eines Monats vollzogen werden.130 Soweit es dazu einer Auslandszustellung an den Verfügungsschuldner bedarf, wird die Monatsfrist durch den Antrag auf Auslandszustellung gewahrt, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (vgl. § 167 ZPO).131 Diese Zustellung ist keine Vollstreckungsmaßnahme i.S.d. Art. 39 ff. EuGVO n.F. bzw. Art. 38 ff. LugÜ, selbst wenn in der Verfügung bereits gem. § 890 II ZPO Ordnungsmittel angedroht werden.132
17.72
c) Schadenersatz nach § 945 ZPO Erweist sich die einstweilige Verfügung als ungerechtfertigt, so hat der Gegner einen entstandenen Vollziehungsschaden zu ersetzen. Ein solcher entsteht aber nach Ansicht des BGH nur, wenn der Verfügungskläger mit der Vollziehung begonnen hatte. Enthalte eine Unterlassungsverfügung keine Androhung von Zwangsmitteln nach § 890 ZPO, so sei dies nicht der Fall, selbst wenn deren Androhung nur wegen des Auslandssitzes des Antragsgegners unterlassen wurde. Die bloße Parteizustellung der einstweiligen Verfügung ohne deren Vollstreckbarerklärung im Sitzstaat des Gegners löst daher keinen Ersatzanspruch aus.133
126 127 128 129 130 131
Zust. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 110. Ebenso Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 111. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 112. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 114. Vgl. S. Gronstedt, S. 313 ff. KG, IPRax 2001, 236 (dazu P. Mennicke, S. 202); R. Schütze, IZPR, Rz. 434; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 124. 132 KG, IPRax 2001, 236; H. Schack, IZVR, Rz. 1083; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 125. 133 BGH, IPRax 1997, 36 (krit. M. Rohe, S. 14).
999
17.73
§ 17 Rz. 17.74 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
17.74 Der Ersatzanspruch ist ein selbständiger Anspruch. Die internationale Zuständigkeit für eine auf § 945 ZPO gestützte Klage ist daher unabhängig davon, ob das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im In- oder Ausland durchgeführt wurde.134 Als materielle Anspruchsgrundlage ist § 945 ZPO aber nur bei inländischen Entscheidungen anwendbar.135 Ansonsten ist der Anspruch nach internationalem Deliktsrecht136 (jetzt Art. 4 Rom II-VO) zu bestimmen. d) Probleme der Befriedigungsverfügung
17.75 In Abweichung von dem Grundsatz, dass eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, hat die Rechtsprechung die sog. Befriedigungsverfügung entwickelt. Hauptfall ist die Leistungsverfügung im Unterhalts- oder Schadenersatzrecht. Ähnlich zu behandeln ist die Unterlassungsverfügung im Wettbewerbs- und Presserecht.137 17.76 Die Befriedigungsverfügung ist problematisch, weil sie in einem summarischen Verfahren ergeht, dennoch aber über eine bloße Sicherung des Antragstellers hinausgeht.138 Die zumindest faktische Endgültigkeit solcher Verfügungen lässt die im einstweiligen Rechtsschutz bestehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung in einem anderen Licht erscheinen, weil sie zwangsläufig zu einer Verkürzung des rechtlichen Gehörs führen und das Gericht auf weniger sicherer Tatsachengrundlage entscheidet. Umgekehrt führt in bestimmten Situationen eine Verweisung auf das Hauptverfahren faktisch zu einer Verweigerung des Rechtsschutzes. Innerhalb des EuGVO- bzw. LugÜ-Systems hat der EuGH die Zulässigkeit von Leistungsverfügungen in Staaten, in denen keine Hauptsachezuständigkeit nach europäischem Recht besteht, stark eingeschränkt (s. Rz. 17.11 ff., 17.19). 17.77 Dieser Konfliktlage wird Rechnung getragen, indem nur unter besonders strengen Voraussetzungen eine solche Befriedigungs- oder Unterlassungsverfügung zugelassen wird. Es bestehen in derartigen Fällen gesteigerte Anforderungen an den Verfügungsgrund. Eine Zahlungspflicht kann durch einstweilige Verfügung nur (zeitlich befristet) angeordnet werden, wenn der Dauerberechtigte auf die Zahlung dringend angewiesen ist und prozessual unverschuldet nicht rechtzeitig zu einem endgültigen Titel kommen kann.139 17.78 Darüber hinaus muss dem Antragsteller von Amts wegen aufgegeben werden, binnen einer in der Verfügungsentscheidung zu bestimmenden Frist die Hauptsache anhängig zu machen, sofern sie nicht schon anhängig ist.140
134 135 136 137 138 139
Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 128. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 129; R. Freitag, IPRax 2002, 267. M. Rohe, IPRax 1997, 14, 16 ff. U. Spellenberg/St. Leible, S. 295. Drescher in MünchKomm/ZPO, § 938 ZPO Rz. 13 ff. Vgl. Seiler in Thomas/Putzo, § 940 ZPO Rz. 7 u 8; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/ Roderberg, Vor § 935 Rz. 44 ff. 140 Drescher in MünchKomm/ZPO, § 938 ZPO Rz. 17.
1000
II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.81 § 17
Im Rahmen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen sind Leistungsverfügungen dagegen einfacher zu handhaben, als „normale“ Sicherungs- oder Regelungsverfügungen. Die Tatsache nämlich, dass es sich um endgültige Entscheidungen handelt, macht Befriedigungsverfügungen nach zahlreichen bi- und multilateralen Abkommen anerkennungsfähig, sobald sie formell rechtskräftig sind (in materielle Rechtskraft erwachsen dagegen Befriedigungsverfügungen nicht). Auch das deutsche Recht erkennt lediglich solche endgültigen Regelungen in summarischen Verfahren an, während andere ausländische Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz nicht anerkennungsfähig sind (s. im Einzelnen u Rz. 17.130, 17.132). Zum Teil beschränkt sich die Anerkennung allerdings auf die unterhaltsrechtlichen Leistungsverfügungen (vgl. Art. 17 II deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961).
17.79
7. Selbständiges Beweisverfahren Schrifttum: H.-J. Ahrens, Grenzüberschreitende selbständige Beweisverfahren, FS Schütze, 1999, S. 1; H.-J. Ahrens, Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie, FS M. Loschelder, 2010, S. 1; L. Dörschner, Beweissicherung im Ausland, 2000 (Deutschland, Schweiz, Frankreich); E. D. Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwendung im deutschen Zivilprozess, 2002; S. Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz, 1994, S. 172 ff., 216 ff.; N. v. Hartz, Beweissicherung im gewerblichen Rechtsschutz und Verkehrsrecht, Diss Freiburg 2003/04; Ch. Heinze, Beweissicherung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2008, 480; A. Holzgreve, Ausländisches Beweissicherungsverfahren im inländischen Prozess, 2018; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015, S. 222; Ch. Lenz, Die Auswirkungen des référé-expertise auf deutsche Zivilgerichtsverfahren – Die Brüssel Ia-VO auf dem Prüfstand, 2019; P. Mankowski, Selbständige Beweisverfahren und einstweiliger Rechtsschutz in Europa, JZ 2005, 1144; W. Meilicke, Beweissicherungsverfahren bei Auslandssachverhalten, NJW 1984, 2017; R. Stürner, Das ausländische Beweissicherungsverfahren, IPRax 1984, 299; Hj. Wussow, Zur Sachverständigentätigkeit im Ausland bei anhängigen (deutschen) Beweissicherungsverfahren, FS Korbion, 1986, S. 493.
17.80
a) Inländisches Beweissicherungsverfahren für Beweismittel im Ausland Grenzüberschreitende selbständige Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO waren bisher selten. Denn generell war es einfacher, die Beweissicherung im Staat des Hauptsacheverfahrens zu betreiben. International zuständig für das selbständige Beweisverfahren sind nach § 486 I, II ZPO die Gerichte der Hauptsache, lediglich in dringenden Fällen kann der Antrag auch beim AG gestellt werden, in dessen Bereich sich das Beweismittel befindet (§ 486 III ZPO).141 In europäischen Fällen ist Art. 31 EuGVO a.F./LugÜ nach h.M. nicht anwendbar.142 (Die neu gefasste EuGVO bezieht dagegen Anordnungen zur Beweiserhebung oder Beweissicherung i.S.d. Art. 6 u 7 der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG v. 29.4.2004 in den Begriff der einstweiligen 141 L. Dörschner, S. 153 ff. 142 EuGH – C-104/03, EuGHE 2005, I-3497 (St. Paul Dairy v Unibel Exser) = RIW 2005, 538 = JZ 2005, 1166, 1167 (Rz. 17 ff.); a.A. A. Holzgreve, S. 57 ff.; P. Mankowski, JZ 2005, 1144; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 141; Ch. Besso, Provisional measures and taking of evidence, in Stürner/Kawano, Comparative studies on enforcement and provisional measures, 2011, S. 390.
1001
17.81
§ 17 Rz. 17.81 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
Maßnahmen mit ein). Folglich ist das Gericht der Hauptsache wie bei Arrest und einstweiliger Verfügung autonom zu bestimmen; die Beweissicherung kann bei dem nach autonomem Recht zuständigen Gericht beantragt werden. Soweit eine Beweissicherung im EU-Ausland erforderlich wird, kann sie nach der EuBVO durchgeführt werden, da die Verwendung in einem „zu eröffnenden gerichtlichen Verfahren“ genügt (s. Rz. 9.12 ff.).143 Die französische Literatur subsumiert freilich die „saisie-contrefaçon“, d.h. eine Beweissicherung für eine Patentverletzung (gem Art L 615-5 CPI) unter Art. 35 EuGVO n.F. (Art. 31 EuGVO a.F.).144
17.82 Ein nach diesen Grundsätzen international zuständiges deutsches Gericht wendet die ZPO als lex fori an.145 Soweit sich das Beweismittel im Ausland befindet, kommt im Rahmen von Art. 17 EuBewVO eine Beweisaufnahme des deutschen Gerichts im Ausland, eine Beweisaufnahme durch deutsche diplomatische oder konsularische Vertreter im Ausland nach Art. 15 ff. HBÜ 1970 oder eine Beweisaufnahme durch das ausländische Gericht nach einem Rechtshilfeersuchen gem. Art. 1 ff. HBÜ in Betracht. Nach Art. 1 II HBÜ kann ein Rechtshilfeverfahren bereits für ein künftiges gerichtliches Verfahren durchgeführt werden. Zuständig ist dann das Gericht, das für den künftigen Rechtsstreit zuständig wäre.146 17.83 Streitig ist, ob ein in Deutschland bestellter Sachverständiger im Ausland (ohne Zwang) tätig werden kann. Da er selbst nicht hoheitlich tätig wird, bestehen dagegen jedoch keine Bedenken.147 Ebenso kann das deutsche Gericht einen zur Tätigkeit bereiten Sachverständigen mit Aufenthalt im Ausland bestellen (s. Rz. 9.119 f., 9.148 f.).148 Zum Teil wird allerdings die Ansicht vertreten, eine Bestellung sei nur im Wege der Rechtshilfe zulässig.149 b) Selbständiges inländisches Beweisverfahren ohne Hauptsachezuständigkeit
17.84 Das widerspricht in vielen Fällen aber den Interessen an einer schnellen Beweissicherung, weil Rechtshilfeverfahren langwierig sein können. Deshalb kann entsprechend dem Grundgedanken des § 486 III ZPO ein selbständiges Beweisverfahren der Schnelligkeit halber auch ohne inländische Hauptsachezuständigkeit angestrengt werden, wenn der entscheidende Beweis im Inland zu erheben ist.150 143 Rauscher/v. Hein, Art. 1 EG-BewVO Rz. 52. 144 Vgl. P. Treichel, Die französische Saisie-contrefaçon im europäischen Patentverletzungsprozess, GRUR-Int. 2001, 690, 698. 145 L. Dörschner, S. 169 f (gegen Beachtung der lex causae bei der Beweissicherung). 146 Krit. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 331 (unzweckmäßig bei konkurrierenden Zuständigkeiten). 147 R. Geimer, IZPR, Rz. 445; Hj. Wussow, FS Korbion, S. 493, 495; Berger in Stein/Jonas, § 363 ZPO Rz. 17; a.A. D. Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery, 1989, S. 42; L. Dörschner, S. 176 ff. 148 R. Geimer, IZPR, Rz. 441; Berger in Stein/Jonas, § 363 ZPO Rz. 6. 149 Berger in Stein/Jonas, § 363 ZPO Rz. 17. 150 Vgl. Rauscher/v. Hein, Art. 1 EG-BewVO Rz. 53 f.; H.-J. Ahrens, FS Schütze, 1999, S. 1 u. FS Loschelder, 2010, S. 1, 11; R. Janal, S. 236; ablehnend OLG Köln, MedR 2012, 125, 126.
1002
II. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen | Rz. 17.89 § 17
c) Verwertung des ausländischen Beweises Deutsche Gerichte haben gelegentlich die Verwertung derart gewonnener Beweise im deutschen Hauptsacheverfahren nach § 493 I ZPO verweigert.151 Aber diese Rechtsprechung entspricht im Ergebnis nicht den Erfordernissen des internationalen Wirtschaftsverkehrs.152 Sie ist auch deshalb nicht überzeugend, weil das über ein Rechtshilfeersuchen angerufene ausländische Gericht bei der Beweisaufnahme in der Regel sein eigenes Beweisrecht anwendet. § 486 I ZPO begründet keine ausschließliche deutsche internationale Zuständigkeit, so dass die Ergebnisse einer ausländischen (sichernden) Beweiserhebung im Inland verwertbar sind.153 Einer formellen Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung bedarf es nicht. Allerdings ist das ausländische Beweisergebnis nicht nach § 493 ZPO zu übernehmen,154 sondern im Wege des frei zu würdigenden Urkundenbeweises in das inländische Verfahren einzuführen.155
17.85
Das ausländische Verfahren muss dann nicht voll dem deutschen entsprechen, sondern lediglich funktionell vergleichbar sein.156 Unter diesen Voraussetzungen hemmt auch der Beweissicherungsantrag im Ausland die Verjährung gem. § 204 I Nr. 7 BGB.157
17.86
Die Verwertung eines solchermaßen gewonnenen Beweises kann auch keinesfalls verweigert werden. Lediglich bei der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO kann berücksichtigt werden, wenn das konkrete Vorgehen der Parteien oder das ausländische Beweisverfahren Zweifel an der Glaubwürdigkeit aufkommen lassen.158
17.87
Sofern ein ausländisches Beweisverfahren nicht von einem deutschen Gericht angeordnet wurde, können die Kosten für dieses Verfahren nicht im Rahmen der Kostenentscheidung ausgeglichen werden.159 Allerdings wird die obsiegende Partei diese Kosten als Schadenersatz aufgrund einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage fordern können.
17.88
Umgekehrt ist fraglich, ob ein selbständiges Beweisverfahren nach § 486 III ZPO am deutschen AG der Belegenheit des Beweismittels beantragt werden kann, wenn (beabsichtigtes) Gericht der Hauptsache ein ausländisches Gericht ist.160
17.89
151 OLG Köln, NJW 1983, 2779; krit. R. Stürner, IPRax 1984, 299. 152 So auch W. Meilicke, NJW 1984, 2017, der eine Einordnung unter die einstweiligen Maßnahmen nach Art. 24 EuGVÜ (jetzt Art. 31 EuGVO) propagierte. 153 E. D. Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwertung im inländischen Zivilprozess, 2002, S. 236 ff.; R. Schütze, IZPR, Rz. 241. 154 Für analoge Anwendung in geeigneten Fällen L. Dörschner, S. 199. 155 H.-J. Ahrens, FS Schütze, S. 1, 12 f.; Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh Rz. 139. 156 A. Spickhoff, IPRax 2001, 37, 38 ff. 157 LG Hamburg, IPRax 2001, 45, 46 f (dazu A. Spickhoff, S. 37). 158 Vgl. R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 335. 159 Insoweit richtig OLG Hamburg, IPRax 2000, 530 (dazu Th. Försterling, S. 499); OLG Köln, NJW 1983, 2779; a.A. wohl R. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 5. Aufl. 2016, Rz. 336; H.-J. Ahrens, FS Schütze, S. 1, 13. 160 Vgl. R. Stürner, IPRax 1984, 299, 300.
1003
§ 17 Rz. 17.89 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
Um der Effektivität des Rechtsschutzes willen sollte diese Möglichkeit auch dann bejaht werden, wenn das ausländische Gericht ein entsprechendes Beweissicherungsverfahren kennt und das deutsche Gericht im Wege der Rechtshilfe um die Beweiserhebung ersuchen könnte.161 d) Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
17.90 Die Richtlinie 2004/48/EG v. 29.4.2004162 stellt in Art. 7 Anforderungen an Maßnahmen zur Beweissicherung, denen die §§ 485 ff. ZPO nicht voll genügen. Zur Umsetzung wurden deshalb materielle Auskunftsansprüche (§ 140c PatG, § 24c GebrMG, § 46a GeschmMG, § 46a DesignG, § 37c SortenschutzG, § 9 II HalblSchG, § 101a UrhG und § 19a MarkenG) eingeführt, die durch einstweilige Verfügung durchgesetzt werden können.163
III. Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht 17.91 Schrifttum: P. Finger, Einstweilige Anordnungen nach §§ 49 ff. FamFG, MDR 2012, 1197;
M. Löhnig/G. Heiß, Die Neuregelung des einstweiligen Rechtsschutzes nach dem FamFG, FamRZ 2009, 1101; G. Uecker, Zur Frage der Zulässigkeit von einstweiligen Anordnungsverfahren zur Regelung des Trennungsunterhalts für Auslandsdeutsche vor deutschen Gerichten, FPR 2013, 35.
1. Einstweilige Maßnahmen in Ehesachen und Fragen der elterlichen Verantwortung a) Internationale Zuständigkeit
17.92 Für Verfahren zur Ehescheidung und über die elterliche Verantwortung sieht Art. 20 Brüssel IIa-VO vor, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats einstweilige Maßnahmen nach ihrem jeweiligen Recht erlassen können, und zwar (1) immer, wenn eine internationale Zuständigkeit nach Art. 3 ff., 8 ff. Brüssel IIaVO besteht, oder (2) darüber hinaus in dringenden Fällen in Bezug auf die in dem betreffenden Staat befindlichen Personen oder Vermögensgegenstände.164 In diesem Fall sowie außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel IIa-VO ergibt sich die internationale Zuständigkeit auch für den Erlass einstweiliger Anordnungen nach § 49 FamFG aus §§ 98–105 FamFG.
161 H.-J. Ahrens, FS Schütze, S. 1, 11. 162 ABl. EU v. 30.4.2004 Nr L 157; ber. ABl. EU v. 2.6.2004 Nr L 195. 163 Vgl. Ch. Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007; C. Götz, Tatsachen- und Informationsbeschaffung im Immaterialgüterrechtsprozess, 2012, S. 209 ff.; R. Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015, S. 202 ff., 222 ff. 164 Vgl. BGH, FamRZ 2016, 799 (Rz. 18 ff.).
1004
III. Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht | Rz. 17.96 § 17
Dringlichkeit besteht in Fällen der Kindesherausgabe aber nur, wenn die Lage des Kindes schnelles Handeln gebietet und es praktisch nicht möglich ist, den Antrag vor einem in der Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen.165 In Verfahren über die elterliche Verantwortung muss sich nicht nur das Kind, sondern auch der Elternteil, in dessen Sorgerecht eingegriffen werden soll, in dem betreffenden Mitgliedstaat befinden.166 Außerdem darf die Maßnahme nur vorübergehender Art sein.167 Hat das Gericht der Hauptsache bereits eine Entscheidung gefällt, so besteht keine Kompetenz mehr, eine einstweilige Maßnahme nach Art. 20 Brüssel IIa-VO zu erlassen.168 In der Neufassung durch die VO (EU) 2019/1111 wird die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen in Art. 15 n.F. auf Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung beschränkt.
17.93
Wie in Zivilsachen kann das Gericht eines EU-Mitgliedstaates auch in Verfahren über die elterliche Verantwortung keine sog. anti-suit injunction erlassen, mit der der Gegenpartei verboten wird, die Gerichte ihres Heimatstaates anzurufen oder ein dort eingeleitetes Verfahren weiter zu betreiben.169 Nach dem FamFG kann eine einstweilige Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG in allen Familiensachen unabhängig von der Anhängigkeit eines Hauptsacheverfahrens beantragt werden. In Antragsverfahren muss das Gericht dem Antragsteller auf Antrag der Gegenseite eine Frist zur Einleitung eines Hauptsacheverfahrens oder zur Stellung eines VKH-Antrags setzen (§ 52 II 1 FamFG). Stellt der Antragsteller keinen entsprechenden Antrag, wird die einstweilige Anordnung aufgehoben (§ 52 II 3 FamFG).
17.94
b) Ehesachen Eine einstweilige Scheidung gibt es nicht. Zulässig sind aber Anordnungen zur Gestaltung des Getrenntlebens. Auch Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz sowie eine vorläufige Wohnungszuweisung sind erfasst.170 Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO oder aus § 98 FamFG.
17.95
c) Elterliche Verantwortung Innerhalb der EU (ohne Dänemark) gelten für Verfahren über die elterliche Verantwortung die Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO. Danach sind grds die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind bei Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 8 I Brüssel IIa-VO). Bei einem rechtmäßigen Umzug ins Ausland blei-
165 166 167 168
BGH, FamRZ 2016, 799 (Rz. 21). BGH, FamRZ 2016, 799 (Rz. 22). EuGH – C-523/07, ECLI:EU:C:2009:225 – A, FamRZ 2009, 843. EuGH – C-403/09 PPU – Detiček, EuGHE 2009, I-12193 = FamRZ 2010, 525 (D. Henrich) = IPRax 2011, 190 (dazu U. Janzen/V. Gärtner). 169 EuGH – C-325/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:739 (Rz. 89 ff.) – Hampshire County Council = FamRZ 2019, 56, 61. 170 Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 20 Brüssel IIa-VO Rz. 6.
1005
17.96
§ 17 Rz. 17.96 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
ben die Gerichte des früheren Aufenthaltsstaats noch drei Monate lang zuständig (Art. 9 I Brüssel IIa-VO).
17.97 Bei einer Kindesentführung bleiben die Gerichte des bisherigen Aufenthaltsstaats zuständig, bis alle Sorgeberechtigten dem neuen Aufenthalt zugestimmt haben oder sich das Kind wenigstens ein Jahr in dem neuen Staat aufhält, ohne dass ein Rückgabeantrag gestellt wurde (Art. 10 Brüssel IIa-VO). 17.98 Über einen Antrag auf Rückgabe eines entführten Kindes haben die Gerichte des neuen Aufenthaltsstaats mit „der gebotenen Eile“ und nach „dem zügigsten Verfahren des nationalen Rechts“ zu entscheiden (Art. 11 III Brüssel IIa-VO). Einzelheiten des Verfahrens sind in Art. 12 f HKÜ und in Art. 11 II-VIII Brüssel IIa-VO geregelt. 17.99 Die elterliche Sorge ist nach § 1671 BGB im Scheidungsfall und nach § 1672, 1671 BGB für das Getrenntleben der Eltern in einem FamFG-Verfahren zu regeln. Gleiches gilt für den Herausgabeanspruch des Sorgeberechtigten aus § 1632 BGB und das Umgangsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils aus § 1634 BGB. 17.100 Eine vorläufige Regelung kann nach § 49 ff. FamFG durch einstweilige Anordnung erfolgen. Auf die Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens kommt es insoweit nicht mehr an. In internationalen Fällen besteht eine Eilzuständigkeit nach Art. 20 I Brüssel IIa-VO.171 Das Gericht erlässt in dringenden Fällen Maßnahmen zum Schutz von Personen oder Sachen in dem betreffenden Staat nach seinem eigenen Recht. Nach Art. 15 Brüssel IIb (VO (EU) 2019/1111) ist ein in der Hauptsache nicht zuständiges Gericht eines EU-Mitgliedstaates dennoch in dringenden Fällen zuständig, einstweilige Maßnahmen anzuordnen, und zwar a) für das Kind, das sich in diesem Staat aufhält, oder b) für Vermögen eines Kindes in diesem Mitgliedstaat. Die Eilzuständigkeit wird also unionsrechtlich geregelt; eine Zuständigkeit nach autonomem Recht besteht daneben nicht mehr.172 17.101 Außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel IIa-VO besteht eine Eilzuständigkeit nach Art. 11 I KSÜ; Danach kann das Gericht in allen dringenden Fällen vorläufige Maßnahmen zum Schutz des Kindes oder seines Vermögens nach der jeweiligen lex fori erlassen.173 Diese Maßnahmen treten außer Kraft, sobald ein regulär (nach Art. 5 ff. KSÜ) zuständiges Gericht die gebotenen Maßnahmen getroffen hat (Art. 11 II KSÜ). 17.102 Liegt kein dringender Fall vor, gestattet Art. 12 KSÜ den Erlass vorläufiger Schutzmaßnahmen, aber beschränkt auf das Gebiet des Erlassstaates. Diese Maßnahmen dürfen aber nicht bereits getroffenen Maßnahmen eines regulär (nach Art. 5 ff. KSÜ) zuständigen Gerichts widersprechen (Art. 12 I KSÜ). Auch diese Maßnahmen treten
171 Vgl. Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 165 ff.; Gottwald in MünchKomm/FamFG, Art. 20 Brüssel IIa-VO Rz. 1 ff. 172 Vgl. Gitschthaler/Garber, Brüssel IIa-VO Art. 20 Rz. 58. 173 Staudinger/Pirrung, (2018), EU-Verordnungen und Übereinkommen zum Schutz von Kindern Teil D Rz. 81 ff.
1006
III. Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht | Rz. 17.107 § 17
außer Kraft, wenn ein regulär zuständiges Gericht die gebotenen Maßnahmen angeordnet hat (Art. 12 II KSÜ).174 Eine Eilzuständigkeit nach autonomem Recht kommt nur in Betracht, soweit nach Art. 14 Brüssel IIa-VO eine Restzuständigkeit besteht und nicht das KSÜ eingreift.175 Dazu muss das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat haben.176 Mangels einer Sonderregelung ergibt sich eine Zuständigkeit aus § 98 FamFG.
17.103
2. Einstweilige Unterhaltsanordnungen a) Allgemeine Anordnungen Im Bereich des Unterhaltsrechts unterscheidet sich die einstweilige Anordnung nach §§ 246–248 FamFG von der allgemeinen Regelung. Einstweilige Anordnungen für den Kindesunterhalt, den Ehegattenunterhalt und die Unterhaltsansprüche der mit dem Mann nicht verheirateten Mutter können in voller Höhe geltend gemacht werden; ein Nachweis besonderer Dringlichkeit ist entbehrlich.
17.104
Zuständig ist das Gericht der Hauptsache (§ 50 FamFG). Innerhalb der EU-Staaten folgt die internationale Zuständigkeit entweder aus Art. 3 ff. EuUntVO177 oder §§ 105, 232 FamFG (Art. 14 EuUntVO), im Verhältnis zu LugÜ-Staaten aus Art. 5 Nr. 2 LugÜ oder §§ 105, 232 FamFG, im Verhältnis zu Drittstaaten nur aus den §§ 105, 232 FamFG.
17.105
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 232 FamFG. Soweit das nach Art. 3 ff. EuUntVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ zuständige Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung erlassen soll, bestehen in Deutschland keine Einschränkungen für den Erlass von Maßnahmen nach §§ 49 ff., 246 ff. FamFG oder § 119 II FamFG i.V.m. §§ 916 ff. ZPO. Ein auch in der Hauptsache zuständiges Gericht kann daher durch einstweilige Anordnung Zahlung von Unterhalt oder einen Arrest in im Inland belegene Vermögenswerte anordnen.
17.106
Ist in der Hauptsache dagegen ein Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaates zuständig und beruht die Zuständigkeit in Deutschland auf Art. 14 EuUntVO i.V.m. §§ 105, 232 FamFG bzw. auf Art. 31 LugÜ i.V.m. §§ 105, 232 FamFG, bedarf es einer realen Verknüpfung mit dem Gerichtsstaat. Bei einem Arrest von in Deutschland belegenen Vermögensgegenständen ist dies sicher der Fall.178 Bei einer Leistungsverfügung, die ja in Unterhaltssachen die Regel ist, verlangt der EuGH aber, dass die Rückzahlung für den Fall einer anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache gesichert ist und die Maßnahme nur Vermögen im Gerichtsstaat betrifft.179 Da die Unterhaltsanord-
17.107
174 175 176 177 178 179
M. Andrae, § 9 Rz. 87 f. Vgl. OLG Hamm, FamRZ 1988, 864 (Fürsorgebedürfnis). M. Andrae, § 9 Rz. 89. Vgl. G. Uecker, FPR 2013, 35. Rauscher/Andrae, Art. 14 EG-UntVO Rz. 13. EuGHE 1998, I-7091 (Rz. 47) (van Uden) = IPRax 1999, 240 (dazu B. Heß/G. Vollkommer, S. 220); EuGHE 1999, I-2277 (Rz. 42 ff.) (Mietz) = IPRax 2000, 411 (dazu B. Heß, S. 370).
1007
§ 17 Rz. 17.107 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
nung in der Regel dazu dient, dem Berechtigten Mittel für seinen laufenden Unterhalt zu beschaffen, lassen sich diese Anforderungen bei Unterhaltsanordnungen nicht erfüllen, so dass praktisch eine Zuständigkeit nur nach nationalem Recht für Leistungsanordnungen nicht in Anspruch genommen werden kann.180 In jedem Fall darf die Vollstreckung aus einer noch nicht formell rechtskräftigen einstweiligen Anordnung nach Art. 36 III EuUntVO nicht über Maßnahmen der Sicherung hinausgehen.
17.108 Sind mehrere EU-Mitgliedstaaten zuständig, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, hat der Antragsteller die Wahl, in welchem Staat er einen Antrag stellt. Sobald ein Hauptsacheverfahren anhängig ist, kann das Gericht eines anderen Mitgliedstaates aber nur noch Maßnahmen im Rahmen des Art. 14 EuUntVO (s. Rz. 17.107) erlassen.181 Können Hauptsacheverfahren in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten eingeleitet werden, so stellt sich die Frage, ob die Einleitung eines einstweiligen Anordnungsverfahrens in einem dieser Staaten einen widersprechenden Hauptsacherechtsschutz in dem anderen Mitgliedstaat gem. Art. 12 EuUntVO sperrt. Zum Teil wurde dies angenommen, da eine einstweilige Unterhaltsanordnung in Deutschland das Hauptsacheverfahren vorwegnehmen kann. Da aber die einstweilige Unterhaltsanordnung weder in Rechtskraft erwächst noch die Einleitung eines Hauptverfahrens ausschließt, ist dem nicht zu folgen. b) Unterhalt im Abstammungsverfahren
17.109 Das Gericht des Abstammungsverfahrens ist nach Art. 3 lit. c EuUntVO auch zuständig, über den Unterhalt zu entscheiden, sofern seine Zuständigkeit nicht nur auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien beruht.182 Sobald ein Rechtsstreit auf Feststellung des Bestehens der Vaterschaft in Deutschland anhängig ist, können Kind und Mutter nach § 248 FamFG bei Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen, die den Unterhalt für Kind und Mutter regelt. Das Gericht kann Zahlung oder Sicherheitsleistung anordnen und die Höhe des Unterhalts regeln. c) Prozesskostenvorschuss
17.110 Ob ein Anspruch auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses besteht, richtet sich gem. Art. 15 I EuUntVO i.V.m. Art. 3 I HUP nach dem Recht des Staates, in dem der Berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, da der Prozesskostenvorschuss zum gesamten Lebensbedarf i.S.d. Unterhaltsrecht gehört183 (s. Rz. 5.167 ff.). Es ist nicht einfach an die lex fori als Prozesskostenhilfestatut anzuknüpfen. Nach Art. 15 EuUntVO i.V.m. Art. 3 ff. HUP ist deutsches Recht grds dann anzuwenden, wenn der Unterhaltsgläubiger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Hat der Unterhaltsgläubiger die Gerichte im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Verpflichteten angerufen, so ist das Recht im Staat des angerufenen Gerichts maßgeblich 180 181 182 183
Rauscher/Andrae, Art. 14 EG-UntVO Rz. 15, 16. M. Andrae, § 10 Rz. 88. M. Andrae, § 10 Rz. 50. Brudermüller in Palandt, BGB, § 1610 Rz. 14.
1008
III. Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht | Rz. 17.113b § 17
und nur hilfsweise das Recht des Aufenthaltsstaats des Berechtigten (Art. 4 III HUP). Die Qualifikation des Prozesskostenvorschusses als Unterhalt führt grds zur Anwendbarkeit der EuUntVO bzw. des LugÜ(s. Rz. 17.105 ff.). Soweit die internationale Zuständigkeit für das Scheidungsverfahren nur auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien beruht, ist das Gericht nicht unbedingt auch für die Unterhaltssache zuständig (Art. 3 lit. c EuUntVO; Art. 5 [2] lit. c LugÜ 2007). Soweit die Zahlung des Prozesskostenzuschusses aber mittels einstweiliger Anordnung (in Deutschland gem. § 246 I FamFG) begehrt wird, ist dies irrelevant, da eine Zuständigkeit nach nationalem Recht insoweit genügt (Art. 14 EuUntVO; Art. 31 LugÜ 2007).
17.111
Sofern materielles deutsches Recht anwendbar ist, ergibt sich der materiell-rechtliche Anspruch auf einen Prozesskostenanspruch (Verfahrenskostenvorschuss) gegen den Ehegatten während der Ehe aus § 1360a IV BGB, während des Getrenntlebens aus §§ 1361 IV 4, 1360a IV BGB. Nach der Scheidung gibt es nach deutschem Recht keinen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss mehr.184 Im Eltern-Kind-Verhältnis zählt ein Prozesskostenvorschuss zum angemessenen Unterhalt nach § 1610 BGB, Anspruchsgrundlage ist demnach § 1601 BGB.185
17.112
3. Einstweilige Maßnahmen in Bezug auf Ehewohnung, Hausrat, Gegenstände des persönlichen Gebrauchs Da die EuGüVO alle vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen den Eheleuten erfasst (s. Art. 1 I, 3 I lit. a), können einstweilige Maßnahmen in Ehewohnungs- und Hausratssachen im Anwendungsbereich der EuGüVO nach Art. 19 EuGüVO bei einem Gericht beantragt werden, das international nach der EuGüVO oder nach autonomem Recht zuständig ist.186 Im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten, die sich nicht an der EuGüVO beteiligen, kann bei einem Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren auf Art. 20 Brüssel IIa-VO zurückgegriffen werden, der ebenfalls eine Wahl zwischen einem nach Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO und dem nach autonomem recht zuständigen Gericht eröffnet.
17.113
Soweit die EuGüVO nicht anwendbar ist bzw. eine Zuständigkeit nach autonomem Recht gewählt werden kann, ergibt sich die internationale Zuständigkeit für einstweilige Anordnungen in Bezug auf selbständige Wohnungs- und Hausratssachen aus § 105 FamFG i.V.m. einer örtlichen Zuständigkeit nach § 201 FamFG.
17.113a
Einstweilige Anordnungen zur Regelung der Benutzung der Ehewohnung und des Hausrats können, während ein Scheidungsverfahren anhängig ist, aufgrund von § 49 FamFG getroffen werden. Die Verfahrensnormen der §§ 49 ff. FamFG sind auch dann anwendbar, wenn sich die materielle Rechtslage nicht nach deutschem Recht richtet, weil insoweit die lex fori gilt.187 Für die im Inland belegene Ehewohnung und
17.113b
184 185 186 187
BGHZ 89, 33 = FamRZ 1984, 465; Brudermüller in Palandt, BGB, § 1578 Rz. 45. Vgl. Born in MünchKomm/BGB, § 1610 BGB Rz. 156 ff. C. Mayer in MünchKomm/FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 19 EU-EheGüVO Rz. 3. Weber-Monecke in MünchKomm/BGB, § 1361a BGB Rz. 7.
1009
§ 17 Rz. 17.113b | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
die im Inland belegenen Haushaltsgegenstände hat der Gesetzgeber in Art. 17a EGBGB188 angeordnet, dass sich die Zuteilung nach deutschem Sachrecht richtet. Über eine im Ausland belegene Wohnung oder dort belegene Haushaltsgegenstände hat ein deutsches Gericht wohl nur selten zu entscheiden. Anzuwenden ist dann nicht das Belegenheitsstatut, sondern das Ehewirkungs- bzw. Scheidungsstatut.189
17.114 Nicht zum Hausrat zählen Gegenstände, die zum persönlichen Gebrauch eines einzelnen Familienmitglieds bestimmt sind, insbesondere Ausweise, Urkunden, Kleidung oder Schmuck.190 Auch insoweit können einstweilige Anordnungen nach Art. 20 Brüssel IIa-VO bzw. §§ 98, 99 FamFG i.V.m. §§ 49 ff. FamFG ergehen. Materielle Anspruchsgrundlage kann Art. 43 I EGBGB i.V.m. § 985 BGB sein. Der Herausgabeanspruch ist jedoch von der Eigentumslage unabhängig. Die verfahrensrechtliche Regelung dient in Fällen, in denen der Nichteigentümer die Herausgabe beantragt, zugleich als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage. Problematisch ist das allerdings dann, wenn nicht deutsches materielles Recht anzuwenden ist. Diese Fälle sind jedoch zumindest dann selten, wenn man auch diese Herausgabepflicht zum Unterhaltsrecht zählt. Nach anderer Ansicht ergibt sich der Herausgabeanspruch bei einem Ehegatten vor der Rechtskraft der Scheidung aus § 1353 BGB, bei einem Kind aus § 1601 BGB. 4. Gewaltschutz, Kontaktverbote Schrifttum: A. Dutta, Grenzüberschreitender Gewaltschutz in der Europäischen Union, FamRZ 2015, 85; R. Geimer, Grenzüberschreitender Gewaltschutz in der Europäischen Union, FS Coester-Waltjen, 2015, S. 375, B. Hess, Grenzüberschreitende Gewaltschutzanordnungen im Europäischen Justizraum, FS Coester-Waltjen, 2015, S. 453.
17.115 Die internationale Zuständigkeit für den Erlass von Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz ist streitig. Teilweise wird angenommen, es handele sich um einen allgemeinen Deliktsanspruch, der als Zivilsache unter die EuGVO n.F. (Brüssel IaVO) fällt.191 Nach der Gegenansicht geht es stets um eine Familiensache, so dass die §§ 105, 211 FamFG immer eingreifen.192 Überzeugender erscheint es, Eilmaßnahmen aus Anlass eines unter die Brüssel IIa-VO fallenden Verfahrens als von Art. 20 Brüssel IIa-VO erfasste Familiensache einzuordnen; dagegen die Art. 4, 7 Nr. 2 EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) anzuwenden, wenn ein familienrechtlicher Zusammenhang fehlt.193 Da der deutsche Gesetzgeber den Gewaltschutz aber familienrechtlich ein188 Eingefügt durch Gesetz v. 11.12.2001 (BGBl. 2011 I, 3513). 189 Winkler v. Mohrenfels in MünchKomm/BGB, Art. 17a EGBGB Rz. 10 ff.; D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 153. 190 G. Kaßing in Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Aufl. 2018, Kap. 8 Rz. 74. 191 So Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff, FamFG, 3. Aufl. 2018, § 105 Rz. 6 (Abs. 3); Prütting/ Helms/Hau, § 105 Rz. 13. 192 Johannsen/Henrich/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl. 2015, § 105 FamFG Rz. 3; Musielak/ Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 6. Aufl. 2018, § 105 Rz. 2, 3; Keidel/Dimmler, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 105 Rz. 2. 193 Rauscher/Binder, EuZPR/EuIPR, Bd. IV, 4. Aufl. 2015, Einl. EU-SchutzMVO Rz. 15 (Abs. 2); R. Hausmann, Internat. U. Europ. Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil E Rz. 2.
1010
III. Einstweiliger Rechtsschutz im Familienrecht | Rz. 17.118 § 17
ordnet, sind § 105 i.V.m. § 211 FamFG jedenfalls stets anwendbar, soweit der Antragsgegner seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat. Zuständig ist nach § 211 FamFG das Gericht in dessen Bezirk (1) die Tat begangen wurde, (2) sich die gemeinsame Wohnung der Beteiligten befindet, oder (3) der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine örtliche Divergenz zur Anwendung der Art. 4, 7 Nr. 2 EuGVO n.F. ergibt sich daraus nicht. Nachdem der deutsche Gesetzgeber alle Verfahren zur Vollstreckung einer Anordnung eines EU-Mitgliedstaates als Familiensache einordnet (§ 1 EUGewSchVG), erscheint (aus deutscher Sicht) die generelle Behandlung als Familiensache unschädlich. Bei einem gemeinsamen Haushalt kann das Gericht über Art. 17a EGBGB Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen (§ 1 GewSchG) treffen sowie anordnen, dass die gemeinsam benutzte Wohnung dem Antragsteller zur Alleinbenutzung überlassen wird (§ 2 GewSchG).
17.116
Nach der EU-Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen Nr. 606/2013 v. 12.6.2013194 sind derartige Schutzmaßnahmen in allen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen (Art. 4 I EuSchutzMVO). Titel über Schutzmaßnahmen werden ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt (Art. 4 I EuSchutzMVO; § 17 EUGewSchVG). Zur Vollstreckung muss die Partei lediglich die Schutzanordnung und eine Bescheinigung der Vollstreckbarkeit (Art. 4 II, 5, EuSchutzMVO), ggf. auch in Übersetzung (Art. 4 II lit. c EuSchutzMVO) vorlegen. Allerdings hat die Ausstellungsbehörde des Ursprungsstaates zuvor die Bescheinigung der gefährdenden Person zuzustellen und sie darauf hinzuweisen, dass die Anordnung in den Mitgliedstaaten anzuerkennen ist und dort vollstreckbar ist (Art. 8 EuSchutzMVO).
17.117
Ausschließlich örtlich zuständig für die Vollstreckung ist das Familiengericht, in dessen Bezirk sich (1) die gefährdende Person aufhält, oder (2) die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (§ 19 EUGewSchVG). 5. Sicherung von Ansprüchen aus dem ehelichen Güterrecht Für Streitigkeiten aus dem ehelichen Güterrecht gilt seit 29.1.2019 die VO (EU) 2016/1103 v. 24.6.2016 (EuGüVO).195 Die Verordnung ist im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit erlassen worden und gilt im Verhältnis zu Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik und Zypern. Nach Art. 19 EuGüVO können einstweilige Maßnahmen vor den Gerichten der beteiligten Mitgliedstaaten auch dann beantragt werden, wenn nach der Verordnung die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates zuständig sind. Die internationale Zuständigkeit kann sich also (1) aus den Art. 4 ff. EuGüVO oder aus dem jeweiligen autonomen Recht ergeben. 194 ABl. Nr. L 181/4; abgedruckt in Jayme/Hausmann, 19. Aufl. 2018, Nr. 188; zum Entwurf KOM (2011) 276 endg. 195 ABl. 2016 Nr. L 183/1.
1011
17.118
§ 17 Rz. 17.119 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
17.119 Nach Art. 4 EuGüVO sind die beim Tod eines Ehegatten nach der EuErbVO Nr. 650/2012 zuständigen Gericht auch für Entscheidungen über den Güterstand in Verbindung mit dem Nachlass zuständig. Nach Art. 5 I EuGüVO sind die Gerichte, die für die Scheidung nach Art. 3 Brüssel IIa-VO zuständig sind, auch für Entscheidungen zum ehelichen Güterstand zuständig. Beruht die Zuständigkeit aber auf dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers nach Art. 3 I lit. a, fünfter oder sechster Gedankenstrich, so müssen die Ehegatten die Zuständigkeit für die güterrechtliche Streitigkeit vereinbaren. Gleiches gilt, wenn die Statuszuständigkeit auf Art. 5 oder 7 Brüssel IIa-VO beruht (Art. 5 II EuGüVO). 17.120 Nach autonomem Recht ist das Gericht der Hauptsache (§ 919 ZPO; §§ 105, 262 FamFG), d.h. das Gericht der Ehesache oder das Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners zuständig.196 17.121 Nach deutschem Güterrecht kommt ein Arrest zur Sicherung des vorzeitigen Zugewinnausgleichs in Betracht. Seit dem 1.9.2009 kann mit dem Antrag auf Aufhebung der Zugewinngemeinschaft zugleich unmittelbar Zahlung des Zugewinns beantragt werden (§§ 1385, 1386 BGB). Verlangt der Ausgleichsberechtigte danach vorzeitigen Zugewinnausgleich, so kann er den zukünftigen Anspruch durch Antrag auf Erlass eines Arrests nach § 916 ZPO sichern lassen.197 Dies gilt auch, wenn eine Ehesache anhängig ist.198 17.122 Die Zahlung von Zugewinnausgleich kann durch einstweilige Anordnung nach § 49 FamFG nicht angeordnet werden.
IV. Einstweiliger Rechtsschutz in Erbrechtsachen 17.123 Ist ein Gericht eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 4 ff. EuErbVO in der Hauptsache zuständig, kann es, gestützt auf diese Kompetenz, auch einstweilige Maßnahmen anordnen.199 17.124 Nach Art. 19 EuErbVO kann in europäischen Sachen einstweiliger Rechtsschutz aber auch vor den nach nationalem Recht zuständigen Gerichten beantragt werden. Der EuGH verlangt aber, dass zwischen dieser Zuständigkeit und dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme eine konkrete Beziehung besteht. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Maßnahme wirklich nur einstweiligen, sichernden Charakter hat.200 Nach deutschem Recht besteht in Streitsachen eine internationale Zuständigkeit für das Gericht der Hauptsache entsprechend §§ 919, 937 I ZPO i.V.m. §§ 12 ff., 23, 27, 28 ZPO. Nach § 919 ZPO ist auch das AG für den Erlass eines Ar196 197 198 199
D. Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 257. G. Brudermüller, FamRZ 2009, 1184, 1189; Prütting/Helms/Stößer, § 49 FamFG Rz. 15. Prütting/Helms/Helms, § 119 FamFG Rz. 7 ff. Dutta/Weber/Lein, Art. 19 EuErbVO Rz. 3; Deixler-Hübner/Schauer/Gitschthaler, Art. 19 EuErbVO Rz. 4; Geimer/Schütze/Jäger, Art. 19 EuErbVO Rz. 9. 200 Geimer/Schütze/Jäger, Art. 19 EuErbVO Rz. 11 ff.
1012
V. Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen im Inland | Rz. 17.130 § 17
rests in das in seinem Bezirk belegene Vermögen zuständig. In FamFG-Sachen besteht eine Zuständigkeit gem. § 105 i.V.m. §§ 50, 343 FamFG. Entgegen seinem Wortlaut bietet Art. 19 EuErbVO auch eine Grundlage für Maßnahmen, die das Gericht von Amts wegen anordnen kann.201
17.125
Während Art. 20 II Brüssel IIa-VO vorsieht, dass aufgrund nationaler Kompetenz erlassene einstweilige Maßnahmen außerkrafttreten, wenn das Hauptsachegericht selbst angemessene Maßnahmen getroffen hat, enthält Art. 19 EuErbVO keine entsprechende Regelung. Teilweise wird die Regelung aber entsprechend angewandt.202
17.126
Nach Art. 39 I EuErbVO sind alle erbrechtlichen Entscheidungen eines Mitgliedstaates in den anderen automatisch anzuerkennen und können nach Art. 48 EuErbVO für vollstreckbar erklärt werden. Einschränkungen für Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes, wie sie Art. 2 lit. a Unterabs. 2 und Erwägungsgrund 33 Satz 4 EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) vorsehen, enthält die EuErbVO nicht. Es wird aber vorgeschlagen, die Regeln jedenfalls bei Streitverfahren entsprechend anzuwenden,203 so dass Maßnahmen, die nur auf eine nationale Kompetenz gestützt sind, in anderen Mitgliedstaaten nicht anzuerkennen sind.
17.127
V. Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen im Inland Ob eine ausländische Entscheidung im Inland vollstreckt wird, entscheidet sich im autonomen Recht grds nach §§ 723 II 2, 328 ZPO. Ist die Entscheidung nach § 328 ZPO anerkennungsfähig, kann auch eine Vollstreckungsklausel für sie erteilt werden. Vorrangig gelten zwar zunächst multi- und bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen, diese schließen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz aber in zahlreichen Fällen aus ihrem Anwendungsbereich aus, so dass in den meisten Fällen ein Rückgriff auf §§ 723 II, 328 ZPO erforderlich ist.
17.128
Nach § 723 II ZPO ist nur eine rechtskräftige ausländische Entscheidung in Deutschland vollstreckbar. Sofern damit eine materielle Rechtskraft gemeint ist, sind einstweilige Entscheidungen nicht vollstreckbar, was auch der h.M. entspricht.204 Zwingend ist das deshalb nicht, weil auch Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz jedenfalls in formelle Rechtskraft erwachsen.205
17.129
Von dieser Behandlung ausgenommen, d.h. einer Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland fähig, sind jedoch Leistungsverfügungen.206
17.130
201 Dutta in MünchKomm/BGB, Art. 19 EuErbVO Rz. 4. 202 Deixler-Hübner/Schauer/Gitschthaler, Art. 19 EuErbVO Rz. 14; Dutta in MünchKomm/ BGB, Art. 19 EuErbVO Rz 2; zweifelnd Geimer/Schütze/Jäger, Art. 19 EuErbVO Rz. 7, 20. 203 Hierfür Dutta/Weber/Lein, Art. 19 EuErbVO Rz. 10. 204 Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 134. 205 H. Koch, S. 86. 206 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 328 ZPO Rz. 66, 68 f., § 723 ZPO Rz. 3 f.
1013
§ 17 Rz. 17.131 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
17.131 Soweit mit ausländischen Staaten bilaterale Abkommen bestehen, führen diese i.d.R. nicht zu erleichterter Anerkennung und Vollstreckung. Zahlreiche Anerkennungsund Vollstreckungsverträge schließen vorläufige Entscheidungen aus ihrem Anwendungsbereich aus. Das geht zum Teil auf deutsche Initiative zurück.207 Nicht anerkannt werden Arreste und einstweilige Verfügungen nach Art. 1 deutsch-schweizerisches Abkommen v. 2.11.1929, Art. 12 deutsch-italienisches Abkommen v. 3.9.1936, Art. 14 deutsch-österreichischer Vertrag v. 6.6.1959, Art I (3) deutsch-britisches Abkommen v. 14.7.1960, Art. 3 Nr. 4 deutsch-norwegischer Vertrag v. 17.6.1977 und Art. 3 Nr. 5 deutsch-spanischer Vertrag v. 14.11.1983. 17.132 Eine zweite Gruppe von bilateralen Abkommen nimmt Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes zwar grds von der Anerkennung aus, erlaubt aber die Anerkennung von Leistungsverfügungen. Das ist der Fall nach Art. 17 I Nr. 2, II deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961, Art. 1 (1) deutsch-belgisches Abkommen v. 30.6.1958, Art. 4 (1) Nr. 7, (2) deutsch-israelischer Vertrag v. 20.7.1977 (der allerdings nur einstweilige Verfügungen im Unterhaltsrecht einbezieht) und Art. 27 (1), (4) deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966. Moderner ist der deutsch-niederländische Vertrag v. 30.8.1962, der Arreste und einstweilige Verfügungen in Art. 1 (2) ausdrücklich als anerkennungsfähige Entscheidungen aufzählt.
VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten 1. Schrifttum
17.133 I. Andolina, New perspectives for provisional measures (Italy), ZZPInt 9 (2004), 87; Ch. Ber-
ger/K. Otte, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht, 2006, Kap. 18 Rz. 187 ff.; G. Bermann, B. Ristau, C. McLachlan and P. Schlosser, Provisional and Protective Measures in J. Goldsmith, International Dispute Resolution, 1997, S. 99–209; S. Campbell, Attacking foreign assets, 1992; D. Capper, The Trans-Jurisdictional Effects of Mareva Injunctions, Civil Justice Q. 15 (1996), 211; D. Capper, Further Trans-Jurisdictional Effects of Mareva Injunctions, Civil Justice Quarterly 17 (1998), 35; L. Collins, The Territorial Reach of Mareva Injunctions, L.Q. Rev. 1989, 262; L. Collins, Provisional and Protective Measures in International Litigation, RdC 234 (1992-III), 9–238 = L. Collins, Essays in international litigation and the conflict of laws, 1994, S. 1; M. de Cristofaro, Provisional and Protective Measures in Globalized Transnational Litigation, in Stürner/Kawano, Comparative Studies on Enforcement and Provisional Measures, 2011, S. 345; St. Cromie, International Commercial Litigation, 2nd ed 1997, Chap. VII, S. 319 ff. (Interlocutory relief); N. Deren-Yildirim, Der Einfluss des Fremdenrechts im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes, Dike Int. 2000, 1159; B. Dohmann, „Worldwide Mareva“ Injunctions and the enforcement of Foreign Judgments in England in Schlosser (Hrsg), Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 157; J. Epp, World-Wide Mareva injunctions in common law Canada, M.L.R. 59 (1996), 460; E. Gaillard, Anti-suit injunctions et reconnaisance des sentences annulées au siège, J.D.I. 130 (4, 2003), 1105; R. Gassmann, Arrest im internationalen Rechtsverkehr, Zürich 1998; F. Gerhardt, L’exécution forcée transfrontière des injonctions extraterritoriales non pécuniaires en droit privé, 2000; J. Grunert, Interlocuto-
207 Geimer/Schütze I, 2. Halbband, S. 1441 in Fn. 56.
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VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.134 § 17 ry remedies in England and Germany, Civil Justice Quarterly 15 (1996), 18; J. Grunert, Die „world-wide“ Mareva Injunction: eine Zwischenbilanz, 1998; O. Hartwieg/J. Grunert, Bedarf und Möglichkeiten provisorischer Eilverfügungen im E-Commerce, ZIP 2000, 721; Ch. Heinze, Internationaler einstweiliger Rechtsschutz, RIW 2003, 922; Th. Ingenhoven, Grenzüberschreitender Rechtsschutz im europäischen Zivilrechtsverkehr, 2001; M. Jametti Greiner, Der vorsorgliche Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, ZBernJV 130 (1994), 649; C. Kessedjian, Note on Provisional and Protective Measures in Private International Law and Comparative Law, Hague Conference, Prel. Dok. No 10, 1998; L. Killias, Internationale Zuständigkeit für Arrest- und Arrestprosequierungsverfahren in der Schweiz, RIW 1996, 1005; B. Knothe, Einstweiliger Rechtsschutz im spanischen und deutschen Zivilprozessrecht, 1999; C. McLachlan, The continuing controversy over provisional measures in international disputes, Intern. Law Forum 7 (2005), 5; P. Matthews, Provisional and protective measures in England and Ireland at common law and under the convention, Civil Justice Q. 14 (1995), 190; I. Meier, „Swiss-Worldwide-Mareva“ im Scheidungsprozess?, FS Heini, 1995, S. 277; O. Merkt, Les mesures provisoires en droit international privé, 1993; B. Müller, Die worldwide Mareva injunction, 2002; L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 1998 (Part II); P. Norrenberg, Die Anton Piller Order, 1998; P. Nygh, Provisional and protective measures in international litigation, The Helsinki Principles, RabelsZ 62 (1998), 115; S. Phurtag, Vorsorgliche Maßnahmen im internationalen Zivilprozessrecht, 2019; B. Rodger, Interim relief in support of foreign litigation?, CJQ 18 (1999), 199; L. Schrader, Einstweiliger Rechtsschutz von Zahlungsansprüchen des Wirtschaftsverkehrs im spanischen und deutschen Zivilprozess, 1999; M. Stolper, Einstweiliger Rechtsschutz im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, Jahrbuch f. Ital. Recht Bd. 7, 1994, S. 213; P. Treichel, Die französische Saisie-contrefaçon im europäischen Patentverletzungsprozess. Zur Problematik der Beweisbeschaffung im Ausland nach Art. 24 EuGVÜ, GRUR-Int. 2001, 690; N. Trocker, Provisional Remedies in transnational Litigation: A comparative outline in forms of judicial cooperation, in Stürner/Kawano, Comparative studies on enforcement and provisional measures, 2011, S. 271; P. de VareillesSommières, La compétence internationale des tribunaux français en matière de mesures provisoires, Rev crit 1996, 397; J. P. Verheul/J. A. Wade, Prejudgment attachment of movables in french, dutch and english law, Essays in honour of Voskuil, 1992, 377; G. Walter, Vorläufiger Rechtsschutz in der Schweiz, FS Nakamura, 1996, S. 657; P. Yessiou-Faltsi, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz nach autonomem griechischen Recht, FS Schlosser, 2005, S. 1141; G. Zeiler, Internationales Sicherungsverfahren, 1996; G. Zondler, Schweizer Arrest auf Vermögenswerte im Ausland?, AJP/PJA 2005, 573. Materialien: International Law Association, The Helsinki Principles on Provisional and Protective Measures in International Litigation, RabelsZ 62 (1998), 128.
Für eine detaillierte Darstellung des einstweiligen Rechtsschutzes im Ausland ist dies nicht der richtige Rahmen. Es sollen aber einige Grundprinzipien dargestellt werden. Die Ausführungen beschränken sich auf einige wichtige Staaten. Welche Behelfe des einstweiligen Rechtsschutzes angeboten werden, ist eine Frage der jeweiligen lex fori: Die Abgrenzung von einstweiligem und endgültigem Rechtsschutz ist innerhalb der EU autonom vorzunehmen. Einstweilige Maßnahmen sollen einen Status quo sichern, damit eine spätere Hauptsacheentscheidung noch durchgesetzt werden kann.208
208 EuGHE 1992, I-2149 (Reichert v Dresdner Bank) = IPRax 1993, 26 (dazu P. Schlosser, S. 17).
1015
17.134
§ 17 Rz. 17.135 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
2. Belgien
17.135 Die Sicherung von Geldforderungen kann in Belgien durch die saisie conservatoire erreicht werden, die in Art. 1413–1493 Code judiciaire (c.j.) geregelt ist. Die saisie conservatoire gibt es in drei Erscheinungsformen, die jeweils nach dem Sicherungsgegenstand unterschieden werden. Die Sicherung aus beweglichem Vermögen erfolgt durch den saisie mobilière conservatoire (Art. 1422–1428 c.j.), die Sicherung aus unbeweglichem Vermögen durch die saisie immobilière conservatoire (Art. 1429–1444 c.j.) und die Pfändung von Forderungen durch die saisie-arrêt conservatoire (Art. 1445–1460 c.j.). Weiteres Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes, das in etwa der deutschen einstweiligen Verfügung entspricht, ist der référé (Art. 1035–1040 c.j.).209 3. Frankreich
17.136 Für den einstweiligen Rechtsschutz gibt es grds zwei Verfahrensarten, ein Antragsverfahren ohne Anhörung des Gegners – ordonnance sur requête – und ein streitiges Verfahren – ordonnance de référé.210 Aufgrund dieser Verfahren können verschiedenartige Maßnahmen erlassen bzw. angeordnet werden. Das requête-Verfahren führt zu einer Anordnung ohne Anhörung des Gegners. Daher steht es nur zur Verfügung, wenn eine Kenntnis des Gegners von der Maßnahme deren Erfolg zu gefährden droht.211
17.137 Ansonsten kann in Fällen besonderer Dringlichkeit („cas d´urgence“) ein référé-Verfahren eingeleitet werden. Neben der urgence ist Zulässigkeitsvoraussetzung, dass keine Vorwegnahme der Hauptsache angestrebt wird. Über Punkte, die zwischen den Parteien streitig sind („sérieusement contésté“), darf nur im Hauptsacheverfahren entschieden werden.212 Da es unter Beteiligung des Gegners durchgeführt wird, können bestimmte Maßnahmen nur durch référé, nicht aber durch requête angeordnet werden. Zudem kann es als Rechtfertigungsverfahren für eine Maßnahme dienen, die im requête-Verfahren erlassen wurde. Die référé-Entscheidung wirkt wie ein vorläufig vollstreckbares Urteil, Rechtsmittel haben keine aufschiebende Wirkung.213 Vor der Vollstreckung kann eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. 17.138 Mit die größte Bedeutung haben auch im französischen Recht die Maßnahmen der Vollstreckungssicherung (mesures conservatoires). Daneben können aber z.B. auch Beweissicherungsverfahren angestrengt werden.214 Die mesures conservatoires finden ihre Grundlage im loi no. 91–650 v. 9.7.1991 und im décret no. 92–755 v. 31.7.1992. Das Verfahren bestimmt sich zum Teil nach dem CPC.215 209 210 211 212 213 214 215
Vgl. A. Eilers, Maßnahmen, S. 107; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 220. A. Eilers, S. 89; C. Kessedjian, No 82 ff.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 211 ff. B. Morbach, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 138. B. Morbach, S. 131; A. Eilers, S. 89. A. Eilers, S. 85; B. Morbach, S. 133. B. Morbach, S. 140; vgl. Th. Försterling, IPRax 2000, 499. Vgl. Ch. Traichel, Die Reform des französischen Zwangsvollstreckungsrechts, 1995.
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VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.143 § 17
Die saisie conservatoire, die dem deutschen dinglichen Arrest vergleichbar ist, dient der Erhaltung des beweglichen Vermögens als Vollstreckungsgegenstand durch Erlass eines Verfügungsverbotes.216 Gegenstand eines solchen Verfügungsverbots können neben beweglichen Sachen auch Geldforderungen, Wertpapiere und Anteilsrechte sein. Dagegen ist eine Lohnpfändung zu Sicherungszwecken nicht möglich.217
17.139
Voraussetzungen sind neben der urgence (s. Rz. 17.137) ein Anspruch und eine Gefährdung der Erfüllung.218 Die Maßnahme wird in einer bestimmten Höhe bewilligt219 und befristet. Bei einer Anordnung durch ordonnance de requête ist eine Überprüfung durch référé oder im Hauptsacheverfahren zur Vermeidung der Ungültigkeit erforderlich. Es gibt auch verschiedene Unterformen der saisie conservatoire, die in besonderen Fällen angeordnet werden können. Im Rahmen dieser Darstellung ist hauptsächlich die saisie foraine interessant. Hat der Schuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, befindet er sich aber vorübergehend in Frankreich, kann aufgrund einer saisie foraine das Vermögen beschlagnahmt werden, das er bei sich führt.220
17.140
Neben der saisie conservatoire zählen zu den mesures conservatoires noch die sasie revendication zur Sicherung von Herausgabeansprüchen und die sûretés judidicaires (Zwangssicherheiten221).
17.141
Die internationale Zuständigkeit folgt im Grundsatz der örtlichen Zuständigkeit. Subsidiär zu dieser compétence internationale ordinaire kann sich aufgrund von Art. 14, 15 cc eine compétence internationale privilégiée ergeben.222 Schließlich hat die Rechtsprechung eine Eilzuständigkeit für einstweilige Maßnahmen entwickelt, wenn in der Hauptsache eine Rechtsverfolgung im Ausland erforderlich ist.223
17.142
In Fällen der Verletzung von Patenten oder anderen gewerblichen Schutzrechten sieht Art L 615-5 CPI eine sog. saisie contrefaçon vor. Danach kann der Verletzte die angebliche Verletzungshandlung auf Anordnung des Präsidenten des Tribunal de grande instance durch jeden Gerichtsvollzieher mit Unterstützung durch Sachverständige seiner Wahl genau mit oder ohne Beschlagnahme patentverletzender Erzeugnisse oder Verfahren feststellen lassen. Es handelt sich um eine über das allgemeine Zivilprozessrecht hinaus gehende Möglichkeit der Beweissicherung.224
17.143
216 A. Eilers S. 84 f.; E. du Rusquec, Juris-Cl. Procédure Civile, Fasc. 2420 (1998); M. Defossez, Juris-Cl. Procédure Civile, Fasc. 2430 (1993). 217 Ch. Traichel, Die Reform des französischen Zwangsvollstreckungsrechts, 1995, S. 207. 218 A. Eilers, S. 84. 219 A. Eilers, S. 84 f. 220 A. Eilers, S. 85 f. 221 Vgl. Ch. Traichel, Die Reform des französischen Zwangsvollstreckungsrechts, 1995, S. 216 ff. 222 Vgl. P. de Vareilles-Sommières, Rev crit 1996, 397. 223 A. Eilers, S. 91. 224 Vgl. P. Treichel, GRUR-Int. 2001, 690.
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§ 17 Rz. 17.144 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
4. England Schrifttum: N. Andrews, Injunctions in Support of Civil Proceedings and Arbitration, in Stürner/Kawano, Comparative Studies on Enforcement and Provisional Measures, 2011, S. 319; N. Andrews, On civil processes, Vol. I Court proceedings, 2013, Chap. 10.3 Interim injunctions (p. 219), Chap. 21.2 Freezing relief (p. 590); A. Zuckerman, On Civil Procedure, Chap. 10, 3rd ed. 2013, p. 393.
17.144 Der einstweilige Rechtsschutz in England gehörte zur Equity-Gerichtsbarkeit. Das bedeutet, dass es keinen Anspruch auf Erlass einstweiliger Maßnahmen gibt, sondern die Gerichte solche nach ihrem Ermessen erlassen können.225 17.145 Grundform der einstweiligen Maßnahme ist die interim injunction. Ihre Funktion ist „to preserve the matters in statu quo pending the trial“.226 Zulässig ist diese aber nur, um „substantial and irreparable damage“ zu verhindern; sind die drohenden Schäden weniger schwer, ist der Antragsteller auf eine Schadenersatzklage zu verweisen.227 In der Regel werden „prohibitive injunctions“ erlassen, dem Antragsgegner also ein bestimmtes Verhalten verboten. Seltener sind „mandatory interim injunctions“, mit denen dem Antragsgegner aufgegeben wird, eine bestimmte Handlung vorzunehmen.228 Gestaltende oder feststellende vorläufige Entscheidungen gibt es dagegen nicht.229 In Fällen der mandatory injunctions wird eventuell auch eine, jedenfalls befristete Befriedigung des Gläubigers hingenommen.230 Die Anordnung ist aber in ihrer Wirksamkeit in der Regel bis zur Hauptsacheentscheidung oder bis zum Erlass einer neuen injunction begrenzt. 17.146 Eine unmittelbare Vollstreckung der angeordneten Maßnahme ist nicht möglich. Vielmehr ist ein Verstoß gegen die Anordnung contempt of court, und wird als solches sanktioniert. Die Sanktionen, die das Gericht in seinem Ermessen erlassen kann, sind ihrem Charakter nach Strafsanktionen und ähneln zumeist den Zwangsmitteln der Unterlassungsvollstreckung nach der ZPO. Mit der Entwicklung der mandatory injunction hat sich aber auch der Katalog der Zwangsmittel erweitert und umfasst mittlerweile auch die Ersatzvornahme oder Vermögensbeschlagnahme.231 17.147 Als Voraussetzung wurde früher ein prima facie case verlangt, was praktisch oft zu einer zwangsläufigen Vorwegnahme der Hauptsache führte. Mittlerweise ist nur noch erforderlich, dass die Klage weder mutwillig noch offensichtlich aussichtslos ist.232 Darüber hinaus muss eine Interessenabwägung (balance of convenience) ergeben, dass dem Kläger irreparable Schäden entstünden, wenn er nicht bis zum Abschluss der Hauptsache durch die injunction gesichert würde, die ihn härter träfen 225 S. section 37 (1) of the Supreme Court Act 1981. 226 Gordon Cottage Ltd. v Milk Board [1984] A.C. 130, 140 [H.L. (E.)]; A. Zuckerman, para. 10.12. 227 Ch. Albrecht, S. 45. 228 A. Zuckerman, para. 10.102 et seq. 229 Ch. Albrecht, S. 46. 230 Parker v Camden London Borough Concil [1986] Ch. 162 (C.A.). 231 Ch. Albrecht, S. 47. 232 American Cynamid v Ethicon [1975] 1 All E.R. 504 (H.L.).
1018
VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.151 § 17
als der Erlass der Maßnahme den Beklagten träfe, selbst wenn dieser die Hauptsache gewönne.233 Grds ist eine Anhängigkeit der Hauptsache erforderlich, in besonders dringenden Fällen kann davon jedoch abgesehen werden. Die injunction kann ohne mündliche Verhandlung durchgeführt werden und sogar ohne jegliche Anhörung des Gegners als sog. ex parte injunction. Letztere Anordnungen werden aber in der Regel befristet und müssen durch eine Anordnung aufgrund mündlicher Verhandlung bestätigt werden. Zudem ist der Antragsteller der ex parte injunction verpflichtet, auch für den Antragsgegner günstige Tatsachen vorzutragen. Auch die Beweisführung ist erleichtert, die Glaubhaftmachung durch affidavits ist zulässig.234
17.148
Zur Sicherung seines Hauptanspruchs kann ein Gläubiger gem. s 37 (3) Supreme Court Act 1981 und CPR 25.1 (1) (f) eine freezing order (früher: Mareva injunction) beantragen. Mit dieser erst 1975 entwickelten Form der einstweiligen Verfügung kann das Gericht dem Schuldner verbieten, Vermögen aus der Gerichtsbarkeit englischer Gerichte abzuziehen oder es sonst der Vollstreckung eines künftigen Urteils zu entziehen.235 In neueren Entscheidungen wurde auch im Ausland belegenes Vermögen in die Entscheidung miteinbezogen („World-wide Mareva injunction“).236
17.149
Voraussetzung der freezing order sind der Verfügungsanspruch („good arguable case“), sowie die Glaubhaftmachung der Gefährdung der Vollstreckung. Letztlich hängt der Erlass davon ab, dass das Gericht die Überzeugung gewinnt, es handle sich um einen „good arguable case“.237 Verbunden werden kann die freezing order mit einer Anordnung zur Auskunftserteilung („order of discovery“).
17.150
Zur Sicherung von Beweismitteln dient die search order gem. CPR Art. 25 (1) (h) (früher: Anton Piller Order), ein Unterfall der mandatory injunction.238 Sie gibt dem Antragsgegner auf, bestimmte Auskünfte zu erteilen oder bestimmte Nachforschungen und Beweiserhebungen des Antragstellers zu dulden. Der wichtigste Anwendungsbereich ist das Urheberrecht.239 Die search order ist an strengere Voraussetzungen geknüpft als andere einstweilige Maßnahmen. Der Antragsteller muss einen
17.151
233 Ch. Albrecht, S. 47. 234 Ch. Albrecht, S. 50. 235 Mareva Compania Naviera S.A. v International Bulk carriers S.A. (1975) 2 Lloyd’s Rep 509; Ch. Albrecht, S. 52; H. Schack, Rz. 488; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 188; A. Zuckerman, 3rd ed. 2013, para 10.201-268. 236 Crédit Suisse Fides Trust v Cuoghi, ILPr [1998], 41 (C.A.); Durby & Co. Ltd. v Weldon (1989) 2 WLR 413; Republic of Haiti v Duvalier (1989) 2 W.L.R. 261; J. Kropholler, IPR, S. 256 f.; vgl. Extra-territorial jurisdiction and Mareva relief, Civil Justice Q. 15 (1996), 6; B. Dohmann in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 157, 169; J. Grunert, Die „worldwide“ Mareva Injunction, Diss Hannover 1997; S. Gronstedt, S. 225 ff.; B. Müller, Die worldwide Mareva injunction, 2002. 237 A. Zuckerman, 3rd ed., para 10.215 et seq. 238 Ch. Albrecht, S. 57; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 200. 239 A. Eilers, S. 137.
1019
§ 17 Rz. 17.151 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
„strong prima facie case“ vortragen.240 Zumeist wird die search order ex-parte, also ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen.241 5. Italien
17.152 Für den vorläufigen Rechtsschutz sind italienische Gerichte international zuständig, wenn die Entscheidung in Italien zu vollziehen ist oder wenn die italienischen Gerichte für die Hauptsache zuständig sind (Art. 10 IPRG 1995). 17.153 Die procedimenti cautelari nach den Art. 670 ff. c. proc. civ. ähneln in ihrer Struktur denen der deutschen ZPO, auch wenn sie nicht völlig vergleichbar sind.242 Die wichtigsten Formen sind die arrestähnlichen Beschlagnahmen sequestro giudiziario (Art. 670 c. proc. civ.) und sequestro conservativo (Art. 671 c. proc. civ.), sowie die provvedimenti d’urgenza nach Art. 700 c. proc. civ., die in etwa der einstweiligen Verfügung entsprechen. Daneben gibt es spezielle Besitzschutzverfahren (procedimenti possessori, Art. 703 ff. c. proc. civ.), Beweissicherungsverfahren (procedimenti di istruzione preventive, Art. 692 ff. c. proc. civ.) und ein spezielles Unterlassungsverfahren in Bausachen (Art. 688 f c. proc. civ.), die hier keine detailliertere Erörterung erfahren sollen. Die verschiedenen Maßnahmen unterscheiden sich im Wesentlichen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, während sich die Voraussetzungen entsprechen. Der Antragsteller muss jeweils glaubhaft machen, dass ein Arrest- oder Verfügungsanspruch besteht („fumus boni juris“) und dass ein Arrest- oder Verfügungsgrund vorliegt („periculum in moras“). Für Letzteres muss er also Tatsachen dartun, aus denen sich ergibt, dass der jeweilige Anspruch ohne die einstweilige Maßnahme gefährdet ist.
17.154 Das italienische Recht unterscheidet zwei Beschlagnahmeverfahren, eine Sicherungsbeschlagnahme und eine Sicherstellungsbeschlagnahme. Die Sicherungsbeschlagnahme, sequestro giudiziario (Art. 670 c. proc. civ.) dient der Sicherung eines Anspruchs auf Herausgabe einer Sache. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann sich dieser Anspruch nur aus Eigentum oder Besitz ergeben, nach der Rechtsprechung kann ein sequestro giudiziario aber auch zur Sicherung schuldrechtlicher Herausgabeansprüche angeordnet werden.243 Darüber hinaus kann nach Art. 670 Nr. 2 c. proc. civ. eine Sicherungsbeschlagnahme auch der Sicherstellung von Beweismitteln dienen, sofern ein Anspruch auf Vorlage im Streit steht. 17.155 Die Sicherstellungsbeschlagnahme, sequestro conservativo (Art. 671 c. proc. civ.), dient dagegen dazu, die Deckung für eine andere Forderung zu garantieren, und entspricht somit dem dinglichen Arrest. 240 Ch. Albrecht, S. 58. 241 A. Eilers, S. 137; vgl. Anton Pillers after the Practice Direction, Civil Justice Q. 15 (1996), 13; P. Norrenberg, Die Anton-Piller-Order, 1998; M. Dockray & K. Reece Thomas, Anton Piller orders: the new Statutory Scheme, CJQ 17 (1998), 272. 242 U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel auf der Grundlage des EuGVÜ in Italien, S. 295, Fn. 15; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 237 ff. 243 U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel, S. 295.
1020
VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.158 § 17
Eine Anhörung des Gegners ist nur bei einer Beschlagnahme von unbeweglichen Sachen oder Sachgesamtheiten erforderlich, Art. 672 IV c. proc. civ., oder wenn ein Rechtsstreit zwischen den Parteien schon anhängig ist, Art. 673 III c. proc. civ. In Fällen besonderer Dringlichkeit kann aber auch auf diese verzichtet werden. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Die Beschlagnahme muss innerhalb von 30 Tagen vollzogen werden, Art. 675 c. proc. civ., sonst verliert sie ihre Wirksamkeit. Darüber hinaus ist ein Bestätigungsverfahren nach Art. 680 oder 681 c. proc. civ. durchzuführen. Wird diese versäumt, verliert die Beschlagnahme ebenfalls ihre Wirksamkeit, Art. 683 c. proc. civ. Grds ist das Bestätigungsverfahren vor dem Gericht der Hauptsache durchzuführen. Ist Hauptsachegericht ein ausländisches Gericht, ist das Gericht der Anordnung zuständig. Dieses setzt eine Frist, innerhalb derer ein ausländisches Urteil zu erwirken und in Italien anzuerkennen bzw. für vollstreckbar zu erklären ist, Art. 680 III c. proc. civ. Die einstweilige Verfügung, provvedimento d’urgenza, Art. 700 c. proc. civ., ist als Auffangtatbestand ausgestaltet, der zu allen anderen Formen des einstweiligen Rechtsschutzes subsidiär ist.244
17.156
Der Anwendungsbereich der provvedimenti d’urgenza ist umstritten. In der Literatur wird zum Teil eine Begrenzung auf den Schutz absoluter Rechte vertreten, die Rechtsprechung vertritt jedoch einen weiten Anwendungsbereich.245 Ausgeschlossen ist die Sicherung von Ansprüchen auf Vornahme unvertretbarer Handlungen. Hinsichtlich des Verfahrens verweist Art. 702 c. proc. civ. auf die Art. 689 ff. c. proc. civ., also auf die Bestimmungen über das Unterlassungsverfahren in Bausachen. Diese entsprechen im Wesentlichen den Vorschriften über das Beschlagnahmeverfahren.246 In internationalen Fällen ist problematisch, ob eine einstweilige Verfügung bei im Ausland anhängiger Hauptsache möglich ist. Die Rechtsprechung scheint dies überwiegend abzulehnen.247 Ausländische Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes werden in Italien im Rahmen des EuGVÜ anerkannt. Das IPRG 1995 hat die Anerkennungsfähigkeit von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geregelt.248
17.157
6. Japan Nach § 118 jap. ZPO werden nur rechtskräftige Urteile eines ausländischen Gerichts anerkannt. Darunter fallen zivilrechtliche streitbeendende Entscheidungen, die eine die Gerichtsbarkeit ausübende Organisation über einen zivilrechtlichen Streit in einem prozessualen Verfahren getroffen hat, worin beiden Parteien Gelegenheit ge244 245 246 247 248
U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel, S. 309. Vgl. im Einzelnen U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel, S. 310 m.w.N. U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel, S. 311. U. Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel, S. 312. G. Walter, ZZP 109 (1996), 3, 27.
1021
17.158
§ 17 Rz. 17.158 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
währt wurde, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Dieses Kriterium wird nach der ausländischen Verfahrensordnung beurteilt. Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes werden nicht anerkannt; ausländische einstweilige Anordnungen und ausländische Arreste werden nicht zur Vollstreckung in Japan zugelassen. Eine Entscheidung auf dem Gebiet der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (z.B. Sorgerechtsentscheidung) wird nicht als eine anzuerkennende Entscheidung qualifiziert, aber aufgrund dieser Entscheidung kann ein Vollstreckungsurteil erlassen werden, falls die Voraussetzungen nach § 118 Nr. 1 und Nr. 3 jap. ZPO erfüllt sind. Bei der Prüfung dieser Entscheidung berücksichtigt das japanische Gericht auch nachträglich eingetretene tatsächliche Umstände.249 7. Niederlande
17.159 Der einstweilige Rechtsschutz in der Niederlande kennt das kort geding (Rv 254 ff.),250 das der einstweiligen Verfügung entspricht, und verschiedene Arten von Arresten.251 17.160 Wichtigste Form des Arrests ist der conservatoir beslag, Rv 700 f, eine Beschlagnahme beweglichen Vermögens und von Forderungen zur Sicherung von Geldforderungen. Liegt bereits ein Vollstreckungstitel vor, gibt es den executoriaal beslag (Rv 704). Im internationalen Kontext besonders wichtig ist der Vremdelingen beslag nach Rv 767. Er kann erlassen werden, wenn der Schuldner keinen Wohnsitz in den Niederlanden hat, dort aber Vermögen besitzt. Mit der Beschlagnahme wird eine Zuständigkeit des niederländischen Gerichts gegenüber dem Schuldner begründet (Rv 109). Der Fremdenarrest steht nicht gegenüber Schuldnern mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat und auch dann nicht zur Verfügung, wenn aufgrund eines Staatsvertrags oder aufgrund Parteivereinbarung die Möglichkeit besteht, in den Niederlanden einen Vollstreckungstitel zu beantragen. Weitere Formen des Arrestes gibt es für bestimmte Ansprüche, z.B. den vindicatoir beslag zur Sicherung des Herausgabeanspruchs des Eigentümers oder den marital beslag, mit dem verhindert werden kann, dass ein Ehegatte während des Scheidungsverfahrens Vermögen zur Seite schafft. 17.161 Wie im deutschen Recht folgt die internationale der örtlichen Zuständigkeit.252 Örtlich zuständig ist zunächst das Gericht am Wohnsitz oder Aufenthalt des Beklagten, Art. 126 Nr. 1 u 2 R.V. Hat der Beklagte weder Wohnsitz noch Aufenthalt in den Niederlanden, ist nach Art. 126 Nr. 3 R.V. das Gericht am Wohnsitz des Klägers ört249 Tokyo OLG v. 15.11.1993, Zivilrechtliche Entscheidungen des OLG, Bd. 46, H. 3 S. 98; M. Takeshita, ZZPInt Bd 1 (1996), 305, 316 ff.; K. Matsumoto, Nihon Univ. Comparative Law 13 (1996), 181; Y. Honma, Current problems of provisional measures in Japan, in Stürner/Kawano, Comparative studies on enforcement and provisional measures, 2011, S. 219; M. Haga, Comment on international provisional measures, in Stürner/Kawano, S. 223. 250 Vgl. H.J. Snijders in Chorus/Hondius/Voermans, Introduction to Dutch Law, 5th ed. 2016, Chap 13 § 7 Rz. 22, 31; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 203 f. 251 Vgl. A. Eilers, S. 118 ff.; C. Kessedjian, No. 109 ff.; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 205 ff. 252 A. Eilers, S. 120.
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VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.166 § 17
lich und somit auch international zuständig. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung aufgrund von Art. 289 R.V. eine zusätzliche Eilzuständigkeit entwickelt. Zuständig ist auch der Gerichtspräsident des Gerichtsbezirks, in dem die Maßnahme vollstreckt werden soll. Umstritten ist, ob diese Zuständigkeit durch eine Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschlossen ist.253 Art. 126 Nr. 3 R.V. ist ein exzessiver Gerichtsstand, der in Art. 5 II EuGVO n.F. bzw. Art. 3 II LugÜ ausgeschlossen ist. Art. 35 EuGVO n.F. bzw. Art. 31 LugÜ erlaubt jedoch auch hier eine autonome Anknüpfung. Auch eine Entscheidung eines nur nach Art. 126 Nr. 3 R.V. zuständigen Gerichts wird in Deutschland aber jedenfalls dann anerkannt, wenn gleichzeitig eine der in Art. 4 deutsch-niederländischer Vertrag v. 30.8.1962 (s. Rz. 15.74) aufgelisteten Zuständigkeiten vorliegt. Der deutschniederländische Vertrag schließt Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes ausdrücklich mit ein, vgl. Art. 1 (2).
17.162
8. Österreich Nach §§ 370 ff. EO kann zur Sicherung von noch nicht rechtskräftig titulierten Geldforderungen die sog. Exekution zur Sicherstellung bewilligt werden.254
17.163
Ansonsten kennt das österreichische Recht als Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes die einstweilige Verfügung in verschiedenen Formen, die in den §§ 378–402 EO geregelt sind.255
17.164
9. Schweiz Nach der Generalklausel von Art. 262 schweiz. ZPO (v. 19.12.2008) kann das Gericht jede Anordnung treffen, die geeignet ist, einen drohenden Nachteil abzuwenden. Es kann dementsprechend Sicherungsmaßnahmen, Leistungsmaßnahmen und Regelungsmaßnahmen erlassen.256 Zur Sicherung der Vollstreckung einer Geldforderung steht aber ausschließlich der Arrest nach Art. 271 ff. SchKG zur Verfügung.257
17.165
Bundeseinheitlich geregelt ist im schweiz. IPRG die internationale Zuständigkeit schweizerischer Gerichte. Das IPRG hat zahlreiche besondere Vorschriften, die die internationale Zuständigkeit für Verfahren in bestimmten Rechtsgebieten regeln, z.B. Art. 51 für das Ehegüterrecht, Art. 61 für Ehescheidungen oder Art. 89 für erbrechtliche Streitigkeiten. Diese Zuständigkeiten umfassen jeweils „Klagen und Massnahmen“, so dass Hauptsachezuständigkeit und Zuständigkeit für den einstweiligen
17.166
253 Vgl. A. Eilers, S. 121 f. 254 Vgl. W. Buchegger/K. Markowetz, Exekutionsrecht, 2014, S. 305 ff. 255 Vgl. W. Buchegger/K. Markowetz, Exekutionsrecht, 2014, S. 314 ff.; W. Rechberger/D.-A. Simotta, Exekutionsverfahren, 2. Aufl. 1992, S. 487 ff.; W. Rechberger/P. Oberhammer Exekutionsrecht, 4. Aufl. 2005, S. 219 ff.; B. König, Zum Curriculum der Regelungsverfügung, FS Sprung, 2001, S. 233; Ch. Berger/K. Otte, Kap. 18 Rz. 224 ff. 256 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Huber, Kommentar zur Schweiz. ZPO, 3. Aufl. 2016, Art. 262 Rz. 6, 7, 9 ff., 15 ff., 24 ff. 257 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Huber, Art. 261 Rz. 11.
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§ 17 Rz. 17.166 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
Rechtsschutz parallel laufen.258 Besteht keine solche besondere internationale Zuständigkeit, kann sich die Zuständigkeit aus allgemeinen Grundsätzen oder aus Art. 10 schweiz. IPRG ergeben.
17.167 Nach Art. 10 schweiz. IPRG können schweiz. Gerichte vorsorgliche Maßnahmen treffen, auch wenn sie für die Entscheidung in der Sache selbst nicht zuständig sind. Diese Befugnis bleibt nach Art. 31 LugÜ ausdrücklich bestehen.259 Art. 4 schweiz. IPRG bietet darüber hinaus einen subsidiären Arrestgerichtsstand, wenn kein anderer schweiz. Gerichtsstand besteht.260 Der Gerichtsstand aufgrund von Art. 4 IPRG ist als exorbitante Zuständigkeit durch Art. 3 LugÜ ausgeschlossen.261 17.168 Voraussetzung für den Erlass vorsorglicher Maßnahmen ist die Glaubhaftmachung des zu sichernden Anspruchs, sowie des Nachteils, der bei Unterlassung der Maßnahme droht.262 Der zu sichernde Anspruch kann sich nach den Grundsätzen des schweiz. IPR auch aus ausländischem Recht ergeben. In diesen Fällen reicht die bloße Glaubhaftmachung nicht nur für die tatsächlichen, sondern auch für die rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs.263 Als Maßnahmen kommen insb. Beschlagnahme, Eintragung von Verfügungsbeschränkungen im Grundbuch oder einstweiliger Entzug der Vertretungsmacht in Frage.264 17.169 Wichtigste Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Arrest, der in den §§ 271 ff. SchKG bundeseinheitlich geregelt ist. Anders als die anderen vorsorglichen Maßnahmen ist der Arrest von einer Hauptsache unabhängig.265 Wohl auch deshalb gelten für den Arrestgrund strengere Maßstäbe, als sie sonst im Bereich der vorsorglichen Maßnahmen angelegt werden.266 Seit 1.1.1997 ist das Fehlen eines inländischen Wohnsitzes nur noch dann Arrestgrund, wenn die Forderung ausreichenden Bezug zur Schweiz hat oder auf einem vollstreckbaren gerichtlichen (inländischen und ausländischen) Urteil oder einer Schuldanerkennung besteht (Art. 271 I Nr. 4 SchKG).267 Diese Regel ist auch gegenüber einer natürlichen Person mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat des LugÜ noch anwendbar.268 Eine (persönlich wirkende) freezing order englischen Rechts (mit einer weltweiten Sperre von Bankkonten) wird in der Schweiz anscheinend über Art. 47 III LugÜ durch Anordnung eines Arrests auf die schweiz. Bankkonten nach Art. 271 I Nr. 6, III SchKG vollzogen.269 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267
H. U. Walder, S. 226 f. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 548 ff. G.Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 121 f, 554. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 205, 554. H. U. Walder, S. 231. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 560. H.U. Walder, S. 232; M. Jametti Greiner, S. 650 f. M. Jametti Greiner, S. 665. M. Jametti Greiner, S. 664. Vgl. L. Gani, SchweizJZ 1996, 227; W. Stoffel, Das neue Arrestrecht, AJP 1996, 1401; F. Meier-Dieterle, Der „Ausländerarrest“, AJP 1996, 1416; L. Killias RIW 1996, 1005; R. Gassmann, Arrest im internationalen Rechtsverkehr, 1998. 268 G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 558. 269 P. Grolimund/T. Schnyder, Internationales Privat- und Zivilprozessrecht, 2011, S. 108 f.
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VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.171 § 17
Ob der Antragsteller vor Durchsetzung der einstweiligen Maßnahme Sicherheit zu leisten hat und die Schadenersatzpflicht bei zu Unrecht angeordneten Maßnahmen ist eine Frage des kantonalen Rechts.270 10. Spanien Das spanische Zivilprozessgesetz (LEC) v. 7.1.2000 regelt den vorläufigen Rechtsschutz (Medidas Cautelares) einheitlich (Art. 721–747 LEC).271 Art. 727 LEC listet elf verschiedene Arten einstweiliger Maßnahmen auf. Nach seinem Ermessen kann der Richter aber auch andere Maßnahmen anordnen.
17.170
Ausdrücklich vorgesehen sind:
17.171
– der Arrest (Art. 727 Nr. 1), – die gerichtliche Intervention oder Verwaltung von Produktionsgütern (Art. 727 Nr. 2), – die Verwahrung beweglicher Gegenstände (Art. 727 Nr. 3), – die Errichtung eines Vermögensinventars (Art. 727 Nr. 4), – die vorläufige Eintragung von Klagen im Grundbuch und anderen öffentlichen Registern (Art. 727 Nr. 5), – andere Registereintragungen, die einen Erwerb kraft öffentlichen Glaubens ausschließen (Art. 727 Nr. 6), – das einstweilige Verbot eine Handlung vorzunehmen oder das einstweilige Unterlassungsgebot, insb. das einstweilige Verbot eine Tätigkeit auszuüben (Art. 727 Nr. 7), – die Einziehung und Verwahrung von Einnahmen aus rechtswidrigen Handlungen (Art. 727 Nr. 8), – bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten die einstweilige Verwahrung von Erzeugnissen, Gegenständen und der zur Herstellung erforderlichen Materialien (Art. 727 Nr. 9), – die Aussetzung von Gesellschafterbeschlüssen (Art. 727 Nr. 10), und – sonstige vorläufige Maßnahmen, die in Sondergesetzen vorgesehen sind (Art. 727 Nr. 11). Der Antragsteller hat seinen Anspruch und dessen Gefährdung glaubhaft zu machen sowie Sicherheit zu leisten (Art. 728 LEC). In der Regel wird einstweiliger Rechtsschutz in der Klageschrift zur Hauptsache zusätzlich beantragt (Art. 730.1 LEC). In dringenden Fällen können einstweilige Maßnahmen auch vor Klageerhebung beim Gericht der Hauptsache beantragt werden. Die vorläufige Maßnahme wird aber wir270 H. U. Walder, S. 234. 271 Vgl. J. Fröhlingsdorf/K. Lincke, RIW 2001, 357, 358; C. Esplugues-Mota in Stürner/Kawano, S. 207.
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§ 17 Rz. 17.171 | Internationaler einstweiliger Rechtsschutz
kungslos, wenn Klage zur Hauptsache nicht innerhalb von 20 Tagen erhoben wird (Art. 730.2 LEC). In der Regel hört das Gericht den Gegner vor der Entscheidung über die einstweilige Anordnung (Art. 733.1 LEC). In dringenden Fällen kann die Anordnung auch vor einer Anhörung ergehen (Art. 733.2 LEC). Der Gegner kann eine einstweilige Anordnung innerhalb von 20 Tagen anfechten (Art. 739 ff. LEC). Einstweilige Anordnungen sind grundsätzlich bis zum Erlass eines Endurteils in der Hauptsache wirksam. Gibt das Urteil der Klage statt, bleibt die einstweilige Maßnahme bis zum Erlass eines Vollstreckungsbescheids wirksam, falls die Zwangsvollstreckung innerhalb von 20 Tagen beantragt wird (Art. 730, 548 LEC).272 11. USA
17.172 Für die Federal District Courts regeln die FRCP 64 ff. die möglichen Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (provisional remedies). a) Preliminary injunction
17.173 Einstweilige Verfügungen auf Unterlassung oder auf Vornahme bestimmter Handlungen können nach Rule 65 (a) FRCP nur nach Benachrichtigung und Anhörung des Gegners ergehen. Das Gericht kann anordnen, dass die Verhandlung über die injunction mit der zur Hauptsache verbunden wird. Ein Beweis im Verfügungsverfahren kann auch ohne eine solche Verbindung im Hauptsacheverfahren berücksichtigt werden. Der Erlass der Verfügung steht im Ermessen des Gerichts; sie ergeht zum Schutz von Eigentums- und Vermögensrechten, wenn irreparable Schäden drohen und Schadenersatz in Geld unzureichend wäre.273 Auch in den USA kann ein Verfügungsverbot mit weltweiter Wirkung angeordnet werden.274 b) Temporary Restraining Order
17.174 Bei besonderer Dringlichkeit kann eine solche Unterlassungsverfügung auch ohne vorherige Benachrichtigung des Gegners ergehen, FRCP Rule 65 (b). Ihre Geltung ist dann aber auf 10 Tage ab Kenntnis des Gegners beschränkt, sofern das Gericht die Geltung nicht auf begründeten Antrag verlängert oder sich der Gegner mit einer längeren Geltung einverstanden erklärt. Die zunächst unterbliebene Anhörung ist während der Geltungsdauer so schnell wie möglich nachzuholen.275
272 J. Nieva-Fenoll, Derecho Procesal II, Proceso civil, 2019, S. 112. 273 P. Hay, US-amerikanisches Recht, 6. Aufl. 2015, Rz. 191; C. Kessedjian, No. 36 ff. 274 962 F. 2d 1355 (1989); In re Marcos Human Rights Litigation 25 F. 3d 1467 (9th Cir. 1994); P. Schlosser, RdC 284 (2000), 182. 275 P. Hay, US-amerikanisches Recht, 6. Aufl. 2015, Rz. 192.
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VI. Einstweiliger Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten | Rz. 17.176 § 17
c) Attachment Nach Erhebung der Hauptsacheklage kann der Gläubiger nach State law auch ein attachment order beantragen, wodurch das in den USA befindliche Vermögen des Schuldners bis zur Beendigung des Rechtsstreits beschlagnahmt („eingefroren“) wird, FRCP Rule 64. Meist wird der Arrest nur gegen Sicherheitsleistung gewährt.276 Vor Erhebung der Hauptsacheklage kann ein attachment order (anders als in England) nicht ergehen.277
17.175
Zulässig ist auch ein attachment order zur Sicherung der Erfüllung eines künftigen Schiedsspruchs278 oder einer ausländischen Entscheidung.279 Nach gerichtlichem Ermessen können ausländische preliminary injunctions anerkannt werden.280 12. Türkei Nach früherem türkischen Recht konnte ein Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz in der Türkei begehren, wenn der Gegner Vermögen in der Türkei besaß. Nach Art. 390 NCCP kann einstweiliger Rechtsschutz nur noch bei einem Gericht beantragt werden, das für ein Hauptverfahren zuständig ist. Wohnt der Antragsgegner nicht in der Türkei, besteht eine Gerichtsstandsvereinbarung für Gerichte eines anderen Staates oder haben die Parteien eine Schiedsvereinbarung geschlossen, ist in der Türkei kein einstweiliger Rechtsschutz verfügbar.281
276 P. Hay, US-amerikanisches Recht, 6. Aufl. 2015, Rz. 193. 277 H. Buxbaum, Asset Freezes in US Federal Courts, IPRax 2000, 39; P. Murray in Stürner/ Kawano, Comparative Studies on Enforcement, 2011, S. 229, 234. 278 L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 2nd ed. 1998, II-27 ff. 279 L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 2nd ed. 1998, II-87 ff. 280 L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 2nd ed. 1998, II-67 ff. 281 A. Yeşilirmak, Turkish International Civil Procedural Law in the new Millenium, MIHDER 7 (2011), 1, 6.
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17.176
§ 18 Internationale Schiedsgerichtsbarkeit I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1 1. Allgemeines Schrifttum . . . . . . . 18.1 2. Rechtsnatur der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . 18.2 3. Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 4. Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.8 II. Internationale Mediation und andere Formen alternativer Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . 18.11 III. Internationale Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.13 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.13 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.14 3. Unabhängigkeit vom Hauptvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.21 4. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . 18.22 5. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.30 6. Objektive Schiedsfähigkeit . . . . 18.40 7. Subjektive Schiedsfähigkeit, Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.62 8. Vertretungsmacht zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.75 9. Bindung Dritter an die Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . 18.76 10. Mehrparteienschiedsgerichte . . 18.80 11. Auslegung und Reichweite der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . 18.84 12. Einseitig eingesetzte Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.89 IV. Das Schiedsverfahrensrecht . . 18.92 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.92 2. Ad hoc- oder Institutionelles Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . 18.93 3. Bestellung der Schiedsrichter . . 18.102 4. Schiedsrichtervertrag . . . . . . . . . 18.103 5. Sitz des Schiedsgerichts . . . . . . . 18.106 6. Verfahren vor dem Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.108 7. Kostenvorschuss, Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.124
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8. Tatsachenfeststellung – Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.126 9. Vergleichsbemühungen . . . . . . 18.130 10. Beschlussfassung, Abfassung eines Schiedsspruchs . . . . . . . . . . 18.131 11. Kosten des Schiedsverfahrens . 18.134 12. Rechtskraft, Registrierung des Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . 18.137 13. Schiedsgerichts- und Schlichtungsordnungen . . . . . . . . . . . . . 18.142 V. Das in der Sache anzuwendende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.163 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.163 2. Rechtswahl der Parteien . . . . . . 18.164 3. Rechtswahl des Schiedsgerichts 18.168 4. Lex mercatoria . . . . . . . . . . . . . . 18.169 5. Tronc commun . . . . . . . . . . . . . 18.172 6. Handelsbräuche . . . . . . . . . . . . . 18.174 7. Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . 18.176 8. Ermittlung des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.178 9. Billigkeitsentscheidungen . . . . . 18.179 VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht 18.180 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.180 2. Schiedseinrede . . . . . . . . . . . . . . 18.181 3. Kompetenz-Kompetenz . . . . . . 18.187 4. Anti-suit Injunction . . . . . . . . . 18.196 5. Aufrechnung vor dem Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.201 6. Ersatzbestellung von Schiedsrichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.203 7. Abberufung von Schiedsrichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.204 8. Verfahrensverzögerungen . . . . 18.206 9. Hilfestellung bei der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.207 10. Entscheidung über rechtliche Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.210 VII. Einstweiliger Rechtsschutz . . . 18.211 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.211
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit | § 18 2. Einstweiliger Rechtsschutz vor dem staatlichen Gericht . . . . . . . 18.212 3. Einstweiliger Rechtsschutz durch das Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . 18.214 VIII. Vollstreckbarerklärung und Aufhebung inländischer Schiedssprüche sowie Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.219 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.219 2. Inländische – ausländische Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . 18.220 3. Vollstreckbarerklärung und Aufhebung inländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.224 4. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland 18.228 5. Verfahren der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.235 6. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 18.241 7. Versagungsgründe . . . . . . . . . . . 18.245 8. Ausländische Schiedsvergleiche 18.271 9. Doppelexequatur des Schiedsspruch-Exequatururteils . . . . . . 18.273 IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht . . . . 18.274 1. New Yorker UN-Übereinkommen v. 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . 18.274 2. Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 21.4.1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.282 3. Genfer Protokoll und Genfer Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.302 4. Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.303
5. Bilaterale Verträge . . . . . . . . . . . 18.304 a) Deutsch-schweizerisches Abkommen v. 2.11.1929 . . . . . . . . . 18.304 b) Deutsch-italienisches Abkommen v. 9.3.1936 . . . . . . . . . . . . . . 18.305 c) Deutsch-belgisches Abkommen v. 30.6.1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.306 d) Deutsch-niederländischer Vertrag v. 30.8.1962 . . . . . . . . . . . . . 18.309 e) Deutsch-österreichischer Vertrag v. 6.6.1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.310 f) Deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.311 g) Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.312 h) Deutsch-amerikanisches Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsabkommen v. 29.10.1954 18.315 i) Deutsch-sowjetisches Handelsund Schifffahrtsabkommen v. 25.4.1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.318 X. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.319 1. Weltbank-Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten v. 18.3.1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.319 2. Übereinkommen zur Errichtung der Multilateralen InvestitionsGarantie-Agentur (MIGA) v. 11.10.1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.332 3. Energiecharta-Vertrag v. 17.12.1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.333 4. CETA-Abkommen v. 21.9.2017 18.334 XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.335
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§ 18 Rz. 18.1 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
I. Einführung 1. Allgemeines Schrifttum
18.1 M. Aden, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2003; J. Adolphsen, Grundfra-
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1030
I. Einführung | Rz. 18.1 § 18 sualen Rechtskulturen, IDR 2002, 19; S. Elsing, The influence of the English language, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 85; P. Esposito/J. Martire, Arbitrating in a World of Communicative Reason, ArbInt 28 (2012), 325; F. Ferrari, Forum shopping in the international commercial arbitration context, 2013; C. I. Florescu, Excessive Judicialization – an Obstacle to Efficiency in arbitration, CYArb 5 (2015), 87; R. Folsom, Principles of international litigation and arbitration, (Chap. 3 International commercial arbitration), 2016; Ph. Fouchard, Arbitrage Commercial International, Sources, Juris-Cl. Droit International Fasc. 85–2 (1993); Ph. Fouchard/E. Gaillard, Traité de l’arbitrage commercial international, 1996; Ph. Fouchard/E. Gaillard/B. Goldman, On International Commercial Arbitration, 1999; Ch. Frank, Der Durchgriff im Schiedsvertrag, 2000; St. Frommel, Conflicting Legal Cultures in Commercial Arbitration, 1999; E. Gaillard, Aspects Philosophiques du Droit de l’Arbitrage International, Rec. d. Cours 329 (2007), 49; E. Gaillard, Legal Theory of International Arbitration, 2010; R. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020; R. Geimer u U. Walder, Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, in Schlosser, Integritätsprobleme im Umfeld der Justiz, 1994, S. 113; Geimer/ Schütze/Bredow, Internationaler Rechtsverkehr, UNÜ (Stand 1991), S. 714.1 ff.; J. Gentinetta, Die lex fori internationaler Handelsschiedsgerichte, 1973; D. Girsberger, Entstaatlichung der friedlichen Konfliktregelung zwischen nichtstaatlichen Wirkungseinheiten: Umfang und Grenzen. Das Beispiel der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, in Dicke/Hammer/Girsberger ua, Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System, 2000, S. 231; D. Girsberger/N. Voser, International Arbitration, 3. Aufl. 2016; O. Glossner/J. Bredow/M. Bühler, Das Schiedsgericht in der Praxis, 4. Aufl. 2001; M. Gómez Jene, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Binnenmarkt, IPRax 2005, 84; R. Goode, The role of the lex loci arbitri in international commercial arbitration, in Rose, Lex Mercatoria, 2000, S. 245; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997; S. Greenberg/Ch. Kee/J. Weeramantry, International commercial arbitration; an Asia-Pacific perspective, 2011; H. Grigera Naón, The evolution of International Commercial Arbitration, FS Ress, 2005, 103; H. Grigera Naón, International Commercial Arbitration: Identifying and implementing the „right“ policies, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, 137; H. Grigera Naón, The Future of International Commercial Arbitration, FS Horn, 2006, S. 949; S. Greenberg/Ch. Kee/J. Weeramantry, International commercial arbitration, 2011; L. Hauberg Wilhelmsen, European Perspectives on International Commercial Arbitration, JPIL 10 (2014), 113; Ph. Heigl, Das deutsche Schiedsverfahrensrecht von 1998 im Vergleich zum englischen Arbitration Act 1996, 2000; G. Herrmann, Das UNCITRAL-Modellgesetz über internationale Handelsschiedsgerichtbarkeit und das nationale Recht, in Beys/Habscheid, Grundfragen des Zivilprozessrechts, 1991, 235; B. Hess, The private – public divide in international dispute resolution, Rec.d.Cours 388 (2016), 49, 185 ff.; J. Hill, International Commercial Disputes in English Courts, 3rd ed. 2005 (Chap. 16); H. Hoffmann, Schiedsgerichte als Gewinner der Globalisierung?, SchiedsVZ 2010, 96; H. Holtzmann/J. Neuhaus, A Guide to the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, 1989; G. Horvath, The Judicialization of International arbitration, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 251; M. Huner/A. Marriott, The Internationalisation of International Arbitration, 1995; G. Hußlein-Stich, Das UNCITRALModellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1990; C. Iffland, Börsenschiedsgerichtsbarkeit in Deutschland und Russland, 2008; R. Jacobs/L. Masters/P. Stanley, Liability Insurance in International Arbitration, 2004; J.-M. Jacquet, Droit international privé et arbitrage commercial international, RdC 396 (2018), 9; G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, International Arbitration – Law and Practice in Switzerland, 2015; A. Kellerhals, Schiedsgerichtsbarkeit, 1997; K. Kerameus, La contribution de l’arbitrage à l’harmonisation internationale des règles de procédure civile, in Cadiet/Clay/Jeuland, Médiation et arbitrage, 2005, 237; V. König, Präzedenzwirkung internationaler Schiedssprüche, 2013; D. Kolkey/R. Chernick/B. Reeves Neals, Practitioner’s handbook on international arbitration and mediation, 3rd ed. 2012; U. Kornblum, Probleme der schiedsrichterlichen Unabhängigkeit, 1968; R. Kreindler, Arbitrage et recours juridictionelles, RDAI 1998, 173; R. Kreindler/Th. Mahlich, Das neue
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1032
I. Einführung | Rz. 18.1 § 18 barkeit und das klassische Internationale Privat- und Prozessrecht, FS H. Stoll, 2001, S. 661; J. Schäfer, Einführung in die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Jura 2004, 153; P. Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989; P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit und das deutsche Recht, FS Zeuner, 1994, S. 467; P. Schlosser, Coordinated transnational interaction in civil litigation and arbitration, Michigan J.Int.L. 12 (1990), 150; P. Schlosser, Das neue deutsche Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, in Gottwald, Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht, 2000, S. 163; R. Schmidt-Diemitz, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit – eine empirische Untersuchung, DB 1999, 369; R. Schütze, Effektivität des Rechtsschutzes vor den Schiedsgerichten, in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes vor staatlichen und privaten Gerichten, 2005, S. 169; R. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 5. Aufl. 2012; R. Schütze/D. Tscherning/W. Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, 2. Aufl. 1990; K.H. Schwab, Kollisionsrechtliche Fragen des deutschen internationalen Schiedsgerichtsrechts, FS Luther, 1976, S. 163; K.H. Schwab/G. Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005; St. Schwebel, International Arbitration: Three salient problems, 1987; St. Shackleton, International Commercial Arbitration, 2013; A. Spickhoff, Internationales Handelsrecht vor Schiedsgerichten, RabelsZ 56 (1991), 116; U. Stein, Lex mercatoria, 1995; H. Stieglmeier, Vertragsarbitrage und Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2018; J. Tackaberry/A. Mariott, Bernstein’s Handbook of Arbitration and Dispute Resolution Practice, 4th ed. 2003; R. Thirgood, International Arbitration: The Justice Business, JIntArb 21 (4) (2004), 341; St. Toope, Mixed International Arbitration, Cambridge 1990; H. Torggler/V. Wong ua, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2016; A. u. K. Tweeddale, Arbitration of Commercial Disputes, 2005; K. Uff, Common Law Arbitration – an Overview, IDR 2004, 10; T. Varady/J. Barceló/St. Kröll/A. v. Mehren, International Commercial Arbitration, 6th ed. 2015; M. Hunter, The Internationalisation of International Arbitration, 1995; G. Walter, The relationship between arbitration and other forms of private and public forms of justice, in Gilles/Pfeiffer, Prozessrecht und Rechtskulturen, 2004, S. 115; G. Walter/W. Bosch/J. Brönnimann, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 1991; G. Wegen/M. Barth, International Arbitration in Germany, 2013; F.-B. Weigand, Practitioner’s Handbook on International Commercial Arbitration, 2. Aufl. 2009 (3rd ed. 2019); I. Welser, Effizienz in internationalen Schiedsverfahren – Wunsch oder Wirklichkeit?, FS Torggler, 2013, S. 1279; J. Wichard, Die Anwendung der UNIDROIT-Prinzipien für internationale Handelsverträge durch Schiedsgerichte und staatliche Gerichte, RabelsZ 60 (1996), 269; Ch. Wolf, Die institutionelle Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1992; N. Wühler, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der völkerrechtlichen Praxis der Bundesrepublik Deutschland, 1985. Verhältnis EuGVO – Schiedsgerichtsbarkeit: M. Brinkmann/F. Barth, Parallelverfahren vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten vor dem Hintergrund der Neufassung der EuGVVO, 2013; T. Domej, Alles klar? – Bemerkungen zum Verhältnis zwischen staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten unter der neu gefassten EuGVVO, FS Gottwald, 2014, S. 97; R. Fentiman, Arbitration in Europe: Immunity or Regulation?, IJPL 1 (2011), 151; B. Hess, Die Reform der Verordnung Brüssel I und die Schiedsgerichtsbarkeit, FS v. Hoffmann, 2011, S. 648; L. Radicati di Brozolo, Arbitration and the Draft Revised Brussels I Regulation, JPIL 2011, 423. Zeitschriften: Arbitration International (Kluwer) (seit 1985); Arbitration Law Monthly (seit 2001); Arbitration Law Reports and Review (2001–2006); Asian International Arbitration Journal (Kluwer, seit 2005); Association Suisse de l’Arbitrage Bulletin (ASA Bull) (seit 1983); IDR-Journal of International Dispute Resolution (seit 2004); International Arbitration Law Review (seit 1998); Journal of International Arbitration (seit 1983); Mealey’s International Arbitration Report (seit 1996); Revue de l’arbitrage (seit 1955); Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) (seit 2003); The American Review of International Arbitration (seit 1989); World Trade and Arbitration Materials (Kluwer) (seit 1989); Yearbook Commercial Arbitration (Kluwer) (seit 1976). Für eine vollständige Übersicht über die Zeitschriften zur Schiedsgerichtsbarkeit s. YCA 36 (2011), 650.
1033
§ 18 Rz. 18.2 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
2. Rechtsnatur der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit
18.2 Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist staatlich zugelassene und geregelte private Schiedsgerichtsbarkeit zur Entscheidung privater, grenzüberschreitender Streitsachen. Sie untersteht einem bestimmten nationalen Recht (i.d.R. am „Sitz“ des Schiedsgerichts), das meist der Parteiautonomie weiteren Raum lässt als im nationalen Prozessrecht.1 Da viele Staaten nationale und internationale Schiedsverfahren unterschiedlichen Regeln unterstellen, ist zu unterscheiden. Damit der Streit international ist, genügt jedes grenzüberschreitendes Element, sei es des Erfüllungsortes oder der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit der Parteien.2 18.3 Manche vertreten die Auffassung, Schiedsvereinbarungen, Schiedsverfahren und internationale Schiedssprüche könnten durch Parteivereinbarung einem anationalen bzw. transnationalen Rechtsraum zugeordnet werden.3 Diese Ansicht widerspricht aber dem weltweit akzeptierten New Yorker Übereinkommen, das in Art. V der Schiedsgerichtsbarkeit klare Grenzen nach nationalem Recht vorgibt. 18.4 Einige Staaten unterstellen die internationale Schiedsgerichtsbarkeit aber einer besonderen, meist liberaleren Ordnung als das innerstaatliche Schiedswesen, so z.B. Frankreich, die Schweiz,4 Irland und Griechenland, während andere, wie Deutschland, nationale und internationale Schiedsgerichtsbarkeit denselben Regeln unterwerfen.5 18.5 Davon zu unterscheiden sind völkerrechtliche Schiedsgerichte zwischen Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten.6 3. Vorteile
18.6 Soweit Streitigkeiten im internationalen Handel überhaupt förmlich entschieden werden, geschieht dies vielfach durch Schiedsgerichte.7 Denn Verträge im internationalen Wirtschaftsverkehr enthalten meist Schiedsklauseln. Die Parteien wollen damit erreichen, dass ihre künftigen Streitigkeiten von einem (örtlich und personell) „neutralen“ Spruchkörper entschieden werden,8 dessen Zusammensetzung und dessen Verfahren sie direkt oder durch Vereinbarung eines institutionellen Schiedsgerichts indirekt bestimmen. Dies erleichtert insb. die Austragung von Verfahren, in denen ein Staat direkt (oder indirekt) als Partei beteiligt ist.9 Die Parteien können erfahrene 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. W. Habscheid, ZZP 114 (2001), 109 f. Redfern/Hunter, Rz. 1.19 ff. Vgl. Poudret/Besson, Rz. 120 ff., 180 ff. Vgl. U. Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, 1991, S. 24 ff., 42 ff. Vgl. Poudret/Besson, Rz. 22 ff. Vgl. E. Decaux, Arbitrage entre sujets du droit international, Juris-Cl. Droit Intern. Fasc. 245 (1990), 246 (1991), 247 (1992), 248 (1996). Vgl. H. Hoffmann, SchiedsVZ 2010, 96. Redfern/Hunter, Rz. 1.99. Vgl. L. Bouchez, The prospects for international arbitration, JIntArb 8 (1) (1991), 81; R. Kreindler/R. Harms/M. Rust, Wahl zwischen ordentlichen Gerichtsverfahren und Schiedsverfahren, in Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch (§ 7), 11. Aufl. 2016.
1034
I. Einführung | Rz. 18.8 § 18
Juristen oder Fachleute, etwa in internationalen Bausachen, zu Schiedsrichtern berufen. Das Schiedsgericht kann an einem frei vereinbarten Ort tagen, in einer den Beteiligten zugänglichen Sprache verhandeln; sein Verfahren kann frei und flexibel gestaltet werden, ohne Bindung an nationale Besonderheiten. Zustellungen können formlos ohne Bindung an nationale Regeln oder Rechtshilfeverträge erfolgen.10 Die Parteien können sich durch die eigenen Anwälte vertreten lassen und müssen in den meisten Ländern keinen ortsansässigen Anwalt beauftragen. Das Verfahren ist nicht öffentlich; über den Inhalt des Verfahrens kann Vertraulichkeit vereinbart werden. Der Schiedsspruch ist i.d.R. endgültig und kann nur ausnahmsweise angefochten werden. Soweit die Beteiligten daran interessiert sind, kann auf diese Weise eine sachkundige Entscheidung schneller als vor einem staatlichen Gericht erlangt werden.11 Da sich die Parteien sachverständige Schiedsrichter aussuchen können, können sie dem Schiedsgericht auch Aufgaben eines Schiedsgutachters zuweisen, insb. Vertragslücken zu füllen oder langfristige Verträge an veränderte Bedingungen anzupassen.12 Ansonsten unterscheidet sich der Schiedsgutachter vom Schiedsrichter darin, dass er nicht den Streit verbindlich entscheidet, sondern einzelne Streitelemente verbindlich festlegt, etwa durch bindende Wertgutachten.13
18.7
Von entscheidendem Vorteil ist weiter, dass ein Schiedsspruch nach dem New Yorker Übereinkommen von 1958 (UNÜ) nahezu weltweit vollstreckbar ist (s. Rz. 18.228 ff.), während die Vollstreckung staatlicher Gerichtsentscheidung vielfach an fehlender Gegenseitigkeit scheitert. 4. Nachteile Versucht jedoch eine der Parteien, das Verfahren zu verzögern, kann seine Abwicklung auch länger dauern, möglicherweise sogar ganz vereitelt werden. Auch die Schiedsrichter selbst können das Verfahren verschleppen. Schließlich macht die Organisation eines Verfahrens mit mehreren Parteien unter Beteiligung von Regressschuldnern etc erhebliche Schwierigkeiten. Da das Schiedsverfahren vollständig privat zu organisieren ist, haben die Parteien die Kosten der Schiedsrichter (Honorar, Reise- und Aufenthaltskosten) und alle Verwaltungs- und Verhandlungskosten (Miete für Verhandlungsraum, Kosten für Schreibkräfte, Telefonkosten) einschließlich der Kosten einer beauftragten Schiedsinstitution selbst zu tragen. Das Verfahren ist deshalb meist nicht billiger als ein Verfahren über zwei Instanzen vor einem staatlichen Gericht.14 10 Walter/Domej, IZPR der Schweiz, S. 578. 11 Zur praktischen Verbreitung s. R. Schmidt-Diemitz, DB 1999, 369; H. Hesse, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 277. 12 Vgl. K.P. Berger, ArbInt 17 (2001), 1; St. Kröll, Ergänzung und Anpassung von Verträgen durch Schiedsgerichte, 1998; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 175 Rz. 12. 13 Vgl. OLG München, SchiedsVZ 2006, 286; M. Borowsky, Das Schiedsgutachten im Common Law, 2001; A. Sieveking, Schiedsgutachtenverträge nach deutschem und New Yorker Recht, 2007. 14 Vgl. J.-P. Lachmann, BRAK 2005, 217, 220; H. Hawickhorst, BRAK 2005, 222, 223.
1035
18.8
§ 18 Rz. 18.8 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Ein gewisser Nachteil der Schiedsgerichtsbarkeit wird auch darin gesehen, dass die Rechtsanwendung bzw. Rechtsfortbildung durch Schiedsgerichte tendenziell unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt, so dass weder eine kohärente Rechtsanwendung gewährleistet ist noch Schiedssprüche als Präjudizien für andere Fälle wirken können.15
18.9 Die EuGVO schließt den Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit von ihrem Anwendungsbereich aus (Art. 1 II lit. d). Die Neufassung durch die VO Nr. 1215/2012 hat daran nichts geändert. Durch den neuen Erwägungsgrund 12 wird die Abgrenzung allerdings konkretisiert. 18.10 Das deutsche internationale Schiedsrecht war lange Zeit reformbedürftig. Durch das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz v. 22.12.199716 wurde das deutsche Schiedsrecht einheitlich an das UNCITRAL-Modellgesetz von 198517 angepasst.18
II. Internationale Mediation und andere Formen alternativer Streitbeilegung Schrifttum: Th. Arntz, Die Eskalationsklausel im internationalen Rechtsverkehr, RIW 2014, 801; Czernich/Geimer/Aschauer, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 4 Mediation), 2017, S. 491; C. Esplugues Mota, Civil and Commercial Mediation in Europe, Vol. 2 Cross-Border Mediation, 2014; J. Grygar, The Interaction of Arbitration and Mediation in Relation to Justice, CYArb 5 (2015), 115; S. Koehler/M. Müller, Alternative Streitbeilegung und Schiedsverfahren, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 973; J. Landbrecht/S. Gabriel, Konfliktmanagement im internationalen Rechtsverkehr, 2017; M. Rubino-Sammartano, Domestic, Transnational, Foreign und International Mediations, FS Elsing, 2015, S. 465; Salger/Trittmann/Dendorfer-Ditges, Internationale Schiedsverfahren (§ 25), 2019; M. Svatoš, The Mediator-Judge Interaction: Does the Win-Win Approach apply?, CYArb 5 (2015), 217. – Settlement of commercial disputes, International commercial mediation: Draft UNCITRAL Mediation rules. Note by the secretariat, 16.4.2019, A/CN.9/986. – Settlement of Commercial Disputes, International commercial mediation: Draft UNCITRAL Notes on Mediation, 18.4.2019, A/CN.9/987.
15 Vgl. V. König, Präzedenzwirkung internationaler Schiedssprüche, 2013. 16 BGBl. 1997 I, 3224. 17 Vgl. P. Binder, UNCITRAL Model Law on International Arbitration, 2000; K. Calavros u. G. Herrmann, in Habscheid, Grundfragen des Zivilprozessrechts, 1991, S. 235 u. 309; G. Hußlein-Stich, Das UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1990; A. Broches, Commentary on the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, 1990; W. Melis, in Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Teil P Rz. 228–362; The UNCITRAL Model Law after 25 Years, 2013. 18 Vgl. BR-Drucks. 211/96 u. BT-Drucks. 13/9124; G. Zerbe, Die Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts auf der Grundlage des UNCITRAL-Modellgesetzes über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1995. Inzwischen haben 80 Staaten (mit 111 Jurisdiktionen) ihr Recht anhand des UNCITRAL-Modellgesetzes reformiert.
1036
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.13 § 18
Mit der zunehmenden Neigung, einvernehmliche Formen der Streitbeilegung zu wählen, werden Mediationsverfahren oder Schlichtungsverfahren auch bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen, insb. bei Großprojekten vereinbart. Die Ausgestaltung solcher Verfahren ist höchst unterschiedlich. Die meisten Schiedsorganisationen bieten auch eine Mediationsordnung und die Betreuung von Mediationsverfahren an.19
18.11
Vielfach finden sich sog. Eskalationsklauseln in Verträgen, wonach zuerst ein Mediations-oder Schlichtungsverfahren stattfindet und bei dessen Scheitern ein Schiedsgerichtsverfahren durchgeführt werden soll.20
18.12
III. Internationale Schiedsvereinbarungen 1. Schrifttum J.-M. Ahrens, Die subjektive Reichweite internationaler Schiedsvereinbarungen und ihre Erstreckung in die Unternehmensgruppe, 2001; V. Anurov, Autonomy of the arbitration agreement: danger of broad interpretation, CYArb 2 (2012), 3; A. Běhlolávek, B2C Arbitration – Consumer Protection in Arbitration, 2012; A. Běhlolávek, Autonomy in B2C arbitration: Is the European model of consumer protection really adequate?, CYArb 2 (2012), 17; G. Bermann, Arbitration and Private International Law, RdC 381 (2015), 41; K. H. Böckstiegel/K. P. Berger/J. Bredow, Die Beteiligung Dritter an Schiedsverfahren, 2005; Th. de Boer, Choice of law in arbitration proceedings, RdC 375 (2014), 53, 71; G. Born, International Arbitration and Forum Selection Agreements, 4th ed. 2013; S. Brekoulakis, Third parties in international commercial arbitration, 2010; D. Busse, Die Bindung Dritter an Schiedsvereinbarungen, SchiedsVZ 2005, 118; L. Chroback, Der Anwendungsbereich des Schiedsverfahrens in Erbsachen, 2018; D. Coester-Waltjen, Einige Überlegungen zu Schiedsgerichtsvereinbarungen und ihrer Wirksamkeit, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 595; L. Colberg, Der Schutz der Schiedsvereinbarung, 2019; G. Cordero Moss, Legal capacity, arbitration and private international law, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 619; D. Czernich/R. Geimer, Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (Teil 3 bearb v. M. Roth, M. Nueber u. G. Hammer), 2017, S. 359; D. Eckhardt, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Schiedsverfahren, FS v. Hoffmann, 2011, S. 934; F. Eichel, Inhaltskontrolle von AGB-Schiedsklauseln im internationalen Handelsverkehr, IPRax 2010, 219; M. Epping, Die Schiedsvereinbarung im internationalen privaten Rechtsverkehr nach der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts, 1999; F. Ferrari/St. Kröll, Conflict of Laws in International Arbitration, 2011; P. Friedland, Arbitration Clauses for International Contracts, 2nd ed. 2007; E. Gaillard, Arbitrage Commercial International, Convention d’arbitrage, Juris-Classeur Droit International Fasc. 586–1-6 (1994); E. Gaillard/P. di Domenico, Enforcement of Arbitration Agreements and International Awards, 2008; M. Gebauer, Zur subjektiven Reichweite von Schieds- und Gerichtstandsvereinbarungen, FS Schütze, 2015, S. 95; D. Girsberger, The Effects of Assignment on Arbitration Agreements, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 723; D. Girsberger, The law applicable to the assignment of claims subject to an arbitration agreement, in Ferrari/Kröll, Conflict of laws in international arbitration, 2011, S. 379; D. Girsberger, Form und Konsens bei Schiedsverein19 Vgl. Salger/Trittmann/Dendorfer-Ditges, Internationale Schiedsverfahren, 2019 § 25 Rz. 32. 20 Vgl. Salger/Trittmann/Dendorfer-Ditges, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 25 Rz. 71 ff.; Th. Arntz, RIW 2014, 801.
1037
18.13
§ 18 Rz. 18.13 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit barungen, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 363; D. Girsberger/P. Ruch, Pathological arbitration clauses, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 123; M. Günter, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Insolvenz, 2011; Ch. Hausmaninger, Die Auslegung pathologischer Schiedsvereinbarungen..., FS G. D. Karth, 2013, S. 375; M. Heese, Insolvenzverfahren und Verfahrensautonomie, KTS 2017, 167; J.-F. Hochbaum, Missglückte internationale Schiedsvereinbarungen, 1995; A. Holeweg, Schiedsvereinbarungen und Strohmanngesellschaften, 1997; H. van Houtte, Consent to Arbitration through Agreement to printed contracts, ArbInt 2000, 1; H.-V. van Hülsen, Die Gültigkeit von internationalen Schiedsvereinbarungen, 1973; P. Karrer, Pathological Arbitration Clauses, Liber amicorum Th. Bär u R. Karrer, 1997, 109; G. Kaufmann-Kohler, Arbitration agreements in Online Business to Business Transactions, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 355; P. Kindler, Lex loci arbitri vs. lex fori concursus vs. lex societatis: Die Insolvenz der ausländischen Schiedspartei nach der (geplanten) Reform der EuInsVO, FS Schütze, 2014, S. 221; U. König, Zur Bestimmung des Schiedsvertragsstatuts bei fehlender Gesetzesgrundlage nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung, SchiedsVZ 2012, 129; St. Koussoulis, Zur Dogmatik des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts, FS Schlosser, 2005, S. 415; J. Kren Kostkiewicz, Schiedsklausel und ihre Bedeutung für den Immunitätsverzicht ..., FS A. Schnyder, 2018, S. 209; A. Kuhli/N. Köppel, Die Schiedsbindung von Insolvenzverwaltern, SchiedsVZ 2020, 2; H. Labes, Financial capacity of the parties – a condition for the validity of arbitration agreements?, 2004; H. Labes, Schiedsvereinbarungen in Rückversicherungsverträgen, 1996; J. Landrove, Assignment and Arbitration, 2009; V. Lazic, Insolvency proceedings and commercial arbitration, 1998; N. Lendermann, Procedure Shopping Through Hybrid Arbitration Agreements, 2018; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, Comparative International Commercial Arbitration (Chap. 6–9), 2003; W. Lindacher, Schiedsklauseln und Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handelsverkehr, FS Habscheid, 1989, S. 167; A. Loos, Wann sind Schiedsvereinbarungen und sogar Schiedsordnungen ebenso beurkundungsbedürftig wie das Grundgeschäft?, FS Elsing, 2015, 303; P. Mayer, La „circulation“ du conventions d’arbitrage, JDI 132 (2005), 251; A. Meier, Einbezug Dritter vor internationalen Schiedsgerichten, 2007; L. Mistelis/St. Brekoulakis, Arbitrablitiy: International & comparative perspectives, 2009; F. Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen, 2006; T. Niedermaier, Schiedsvereinbarungen im Bereich des organisierten Sports, SchiedsVZ 2014, 280; K. Plavec, Schiedsgerichtsbarkeit und Handelsvertreterrecht – eine riskante Kombination?, ZZPInt 22 (2017), 105; N. Preuß, Die Schiedspartei in der Insolvenz, FS Elsing, 2015, S. 417; W. Rechberger, Evergreen: Gültigkeit der Schiedsklausel, FS Schlosser, 2005, S. 733; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 8.181 ff.; H. Rüßmann/K. Timár, The laws applicable to the arbitration agreement, FS Kaissis, 2012, S. 837; J. Samtleben, „Sandwich und Salat“ – Zur Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln in Formularverträgen, FS v. Hoffmann, 2011, S. 1066; A. Samuel, Arbitration clauses incorporated by general reference and formal validity under article II (2) of the New York Convention, Études en l’honneur Poudret, 1999, S. 505; O. Sandrock, The extension of arbitration agreements to non-signatories. An enigma still unresolved, Liber amicorum Buxbaum, 2000, S. 461; O. Sandrock, Die Erstreckung von Schiedsvereinbarungen auf Staaten, RIW 2012, 9; M. Schäfer, Die Verträge zur Durchführung des Schiedsverfahrens, 2010; R. Schütze, Armut in internationalen Schiedsverfahren, FS Schlosser, 2005, S. 807; R. Schütze, Kollisionsrechtliche Probleme der Schiedsvereinbarung, insb. der Erstreckung ihrer Bindungswirkung auf Dritte, SchiedsVZ 2014, 274; I. Schwytz, Schiedsklauseln und Schiedsrichtervertrag, 3. Aufl. 2000; O. Sieg, Internationale Gerichtsstands- und Schiedsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, RIW 1998, 102; F. Sparka, Jurisdiction and Arbitration Clauses in Martime Transport Documents, 2010; A. V. M. Struycken, Arbitration and State Contracts, RdC 374 (2014), 9; M. Stürner/Ch. Wendelstein, Das Schiedsvereinbarungsstatut bei vertraglichen Streitigkeiten, IPRax 2014, 473; St. Thönissen, Die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in Deutschland und den USA, ZZPInt 23 (2018), 315; K. Thorn/W. Grenz, The effect of overriding mandatory rules on the arbitration agreement, in Ferrari/Kröll, conflict of laws in inter-
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III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.13 § 18 national arbitration, 2011, S. 187; R. Trittmann/I. Hanefeld, Arbitration Agreement, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, Chap. II, S. 94; F. Vischer/L. Huber/ D. Oser, Internationales Verfahrensrecht, 2. Aufl. 2000, S. 626 ff.; G. Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 578; G. Wagner, Insolvenz und Schiedsverfahren, KTS 71 (2010), 39; L. Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, 2005; K. Wörle, Die internationale Effektivität von Schiedsvereinbarungen, 2014; H.-L. Yu, Written arbitration agreements – What written arbitration agreements?, CJQ 32 (2013), 68. Schiedsfähigkeit: Acts of State and Arbitration, 1997 (dazu L. Teitz, ZZPInt 1998, 477); J. Alvik, Contracting with soveirnty: state contrats and international arbitration, 2011; H. Arfazadeh, Arbitrability under the New York Convention: the Lex Fori Revisited, ArbInt 17 (2001), 73; S. Asmussen, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelkonflikten in Körperschaften, 2008; H. Barber, Objektive Schiedsfähigkeit und ordre public in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 1994; St. Brekoulakis, Arbitrability and conflict of jurisdictions: The (diminishing) relevance of lex fori and lex arbitri, in Ferrari/Kröll, Conflict of laws in international arbitration, 2011, S. 117; I. Frost, Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des geistigen Eigentums nach deutschem und US-amerikanischem Schiedsrecht, 2001; E. Gaillard, Juris Classeur, Droit International 11, Arbitrage Commercial International, Fasc. 586–3, 2000; St. U. Gilfrich, Schiedsverfahren im Scheidungsrecht, 2007; K. Günther, Kartellrechtsstreitigkeiten vor Schiedsgerichten, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 253; A. Heini, Randfragen der Rechtsanwendung durch internationale Schiedsgerichte, FS H. Stoll, 2001, S. 619; K. Hempel, Zur Schiedsfähigkeit von Rechtsstreitigkeiten über Beschlussmängel in der GmbH, FS Krejci, Bd 2, 2001, S. 1669; F. Heukamp, Schiedszusagen in der Europäischen Fusionskontrolle, 2006; N. Holzner, Die objektive Schiedsfähigkeit von Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten, 2001; R. Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz, 2007; B. Karabelnikov/A. Makovskij, Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten: der russische Ansatz, FS Boguslavskij, 2004, S. 271; J. Kleinheisterkamp, Eingriffsnormen und Schiedsgerichtsbarkeit, RabelsZ 73 (2009), 818; W. Kühn, Schiedsgerichtsbarkeit in gesellschaftsrechtlichen Beschlussstreitigkeiten, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 443; T. Kyselovská, Arbitrability of Intellectual Property Rights Disputes, CYArb 2017, 83; J. Langkeit, Staatenimmunität und Schiedsgerichtsbarkeit, 1989; V. Lazic, Insolvency Proceedings and Commercial Arbitration, 1998; M. Lehmann, Wertpapierhandel als schiedsfreie Zone? – Zur Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen nach § 37h WpHG, SchiedsVZ 2003, 219; E. Loquin, Les illusions perdues du contrôle de l’arbitrabilité du litige international, Études à Normand, 2003, S. 339; D. Marenkow, Dealing with pathological arbitration clauses at the institutional level, SchiedsVZ 2013, 327; L. Mistelis/St. Brekoulakis, Arbitrability: International and Comparative Perspectives, 2009; J. Münch, Der Beschlussmängelstreit im Schiedsverfahren, ZZP 123 (2010), 3; T. Niedermaier, Schiedsgerichtsbarkeit und Finanztermingeschäfte – Anlegerschutz durch § 37h WpHG und andere Instrumente, SchiedsVZ 2012, 177; T. Niedermayer, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013; D. Pfaff, Grenzbewegungen der Schiedsfähigkeit – Patentnichtigkeit im Schiedsverfahren, FS Nagel, 1987, S. 278; P. Picht/G. Loderer, Arbitration in SEP/FRAND Disputes, JIntArb 36 (2019), 575; D. Quinke, Börsenschiedsvereinbarungen und prozessualer Anlegerschutz, 2005; H. Raeschke-Kessler, 60 Jahre ... Rechtsprechung zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten, FS Goette, 2011, S. 381; J. Rosell/H. Prager, International Arbitration and Bankruptcy, J.Int.Arb. 18 (4) (2001), 417; G. Rosenberg, State as Party to Arbitration, ArbInt 2004, 387; G. Roth, Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen, FS Nagel, 1987, S. 318; J. Samtleben, Schiedsgerichtsbarkeit und Finanztermingeschäfte – Der Schutz der Anleger vor der Schiedsgerichtsbarkeit durch § 37h WpHG, IPRax 2011, 469; O. Sandrock, The Extension of Agreements to Non-Signatories, Liber amicorum Buxbaum, 2000, S. 461; A. Sayed, Corruption in international trade and commercial arbitration, 2004; P. Schlosser, Die objektive Schiedsfähigkeit des Streitgegenstandes, FS Fasching, 1988, S. 405; K.H. Schwab, Wandlungen der Schiedsfähigkeit, FS Henckel, 1995,
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§ 18 Rz. 18.13 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit S. 803; F.-J. Semler, Deutscher Handelsvertreterausgleich und internationale Schiedsverfahren, FS Wegen, 2015, S. 743; C. de Stefano, Arbitration agreements as waivers to sovereign immunity, ArbInt 30 (2014), 59; N. Voser, Arbitrability and the Applicable Law in the Claims Resolution Process for Dormant Accounts in Switzerland, ASA Special Series No. 13 (2000), 50; G. Wegen, Schiedabreden über Beschlussmängelstreitigkeiten betreffend GmbHs im Rechtsverkehr zwischen Deutschland und Österreich, FS Torggler, 2013, S. 1263.
2. Rechtsnatur
18.14 a) Eine Schiedsvereinbarung ist nach der Definition in Art. 7 I UNCITRAL-ML „eine Vereinbarung der Parteien, alle oder bestimmte Streitigkeiten, die zwischen ihnen in bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis, vertraglicher oder nichtvertraglicher Art, entstanden sind oder künftig entstehen, einem schiedsrichterlichen Verfahren zu unterbreiten“. Notwendig ist die Beschränkung auf Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis oder solchen im Zusammenhang damit.21 Die Schiedsvereinbarung ist ein Prozessvertrag; Zulässigkeit und Wirkungen bestimmen sich nach der jeweiligen lex fori.22 Der wirksame Abschluss selbst richtet sich – abgesehen von der (durch Art. II UNÜ bestimmten) Form – nach dem von den Parteien gewählten Vertragsstatut.23 Dieses kann, muss aber nicht mit dem Statut des Hauptvertrags übereinstimmen.24 Fehlt eine besondere Rechtswahl, ist das für den Hauptvertrag geltende Recht anzuwenden.25 Andere wollen entsprechend Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ auf das Recht des Landes, nach dem der Schiedsspruch ergangen ist, also auf das Recht am Sitz des Schiedsgerichts abstellen.26 Haben die Parteien den Sitz aber nicht selbst festgelegt, ist dies aber eine zweifelhafte Lösung.
Das Abschlussrecht ist auch für die materielle Wirksamkeit der Vereinbarung maßgebend. Diese kann etwa nach deutschem Recht gem. § 138 BGB nichtig sein, wenn sie unfreiwillig unter Zwang abgeschlosssen wurde.27 Wie sonst tritt eine vertragliche Bindung aber auch ein, wenn die Partei die Vereinbarung ungelesen unterschreibt oder gar nicht lesen kann.28 Grundanforderungen an den Bezug der Vereinbarung auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis ergeben sich aus Art. II (1) UNÜ und aus § 1029 I ZPO.
18.15 Die Rechtsordnungen der meisten westlichen Staaten erkennen die Freiheit von Kaufleuten, eine Schiedsvereinbarung als selbständigen Vertrag oder als Klausel in21 Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 50 ff. 22 Vgl. OLG Frankfurt, IPRax 2013, 83, 86 (Rz. 67); G. Wagner, Prozessverträge, S. 578 ff. 23 BGH, ZIP 2010, 2505, 2508; Weigand/Haas, Art. II Rz. 76, 85 ff.; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 18 ff.; Kreindler/Schäfer/Wolff, Rz. 117 ff. 24 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 278 ff. 25 BGH, ZIP 2010, 2505, 2508; für Anknüpfung an „widely-accepted principles of transnational law“: L. Graffi, Law applicable to the validity of the arbitration agreement, in Ferrari/Kröll, S. 19, 51, 61. 26 So OLG Düsseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17; vgl. V. Wächter, SchiedsVZ 2018, 294, 296. 27 Vgl. LG München I, SchiedsVZ 2014, 100 (Fall Pechstein); P. Heermann, GS Unberath, 2015, S. 159. 28 St. Wilske, SchiedsVZ 2004, 238.
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III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.18 § 18
nerhalb eines Hauptvertrags abzuschließen, an (§ 1029 II ZPO; Art. 7 I 2 UNCITRAL-ML).29 In Lateinamerika begründeten Schiedsvereinbarungen über künftige Streitigkeiten dagegen bislang nur eine nicht erzwingbare Pflicht, einen Schiedsvertrag nach Entstehen der Streitigkeit abzuschließen. Notwendige Elemente der Vereinbarung sind die Parteien, die erfassten Streitigkeiten und die Vereinbarung, diese durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Hinzu kommt die Verbindung zu einer bestimmten Rechtsordnung. Nützlich, aber nicht notwendig sind die Festlegung der Zahl der Schiedsrichter, etwaiger fachlicher Anforderungen an die Schiedsrichter, der Sprache des Schiedsverfahrens, die Bestimmung von Schiedsverfahrensregeln, etwa zur Beweiserhebung, und des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts.30 Die bloße Vereinbarung, „sich zu bemühen“, eine Streitlösung durch ein Schiedsgericht herbeizuführen, ist noch keine bindende Schiedsvereinbarung.31
18.16
Die Vereinbarung ist aber nur gültig, wenn das berufene Schiedsgericht eindeutig bestimmt oder doch bestimmbar ist (§ 1029 I ZPO)32 oder nicht später wegfällt.33 Nicht erforderlich ist, dass beide Parteien dasselbe Schiedsgericht anrufen müssen; zulässig ist die Vereinbarung gespaltener Zuständigkeiten, je nachdem welche Partei Beklagter ist. Zulässig ist es auch zu vereinbaren, dass die Parteien den Schiedsspruch innerhalb einer bestimmten Frist nicht anerkennen und den Rechtsstreit dann vor das staatliche Gericht bringen können.34
18.17
b) Von Schiedsvereinbarungen zu unterscheiden sind in der Praxis zunehmend übliche internationale Schlichtungsvereinbarungen.35 Viele Schiedsinstitutionen, auch UNCITRAL, stellen auch Regeln für Schlichtungsverfahren bereit.36 Schließlich gibt es zulässigerweise auch Mischformen, etwa Vereinbarungen, dass ein Schiedsverfahren erst nach erfolgloser Mediation oder Schlichtung stattfinden soll (sog. Eskalationsklauseln).37 Zulässig ist auch eine Schiedsvereinbarung, wonach es jeder Partei
18.18
29 Vgl. K. Lionnet, S. 59 ff. 30 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 3.10 ff., 3.23 ff.; Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 119 ff. 31 Vgl. Kruppa v Benedetti & Anor, English High Court [2014] EWHC 1887 (Comm). 32 OLG Hamm, RIW 1995, 681, 682. 33 Vgl. J.-F. Hochbaum, Missglückte internationale Schiedsvereinbarungen, 1995. 34 BGHZ 171, 245 (Rz. 16 ff.) = ZZP 120 (2007), 367 (R. Wolff). 35 Vgl. M. Rubino-Sammartano, p. 7 ff. Einen Überblick über die verschiedenen ADR-Formen gibt Ch. Liebscher, Using ADR Techniques in Arbitration, in Medenî Usûl ve İcra İflâs Hukukçuları Toplantısı, S. 26. 36 Vgl. Draft Guide to Enactment and Use of the UNCITRAL Model Law on International Commercial Conciliation, A/CN 9/514 v. 27.5.2002; J. Sekolec YCA 2002, 398; D. Cimmino, Das UNCITRAL-Modellgesetz über internationale ADR-Verfahren in Wirtschaftsstreitigkeiten, 2008. 37 Vgl. St. Kröll, Eskalationsklauseln im internationalen Wirtschaftsverkehr, ZVglRWiss 114 (2015), 545; K.P. Berger, Law and Practice of Escalation Clauses, ArbInt 22 (2006), 1; Th. Arntz, Die Eskalationsklausel im internationalen Rechtsverkehr, RIW 2014, 801.
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§ 18 Rz. 18.18 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
freistehen soll, binnen einer Frist nach Erlass eines Schiedsspruches Klage vor dem staatlichen Gericht zu erheben.38
18.19 c) Eine internationale Mediationsvereinbarung39 ist schuldrechtlich zu qualifizieren, so dass die Parteien das darauf anwendbare Recht frei vereinbaren können (Art. 3 I 1 Rom I-VO). Ohne Rechtswahl ist nach Art. 4 Rom I-VO auf das Recht abzustellen, dem der Hauptvertrag untersteht. Wählen die Parteien ein institutionelles Mediationsverfahren, so ist auf das Recht am Sitz der Mediationsorganisation abzustellen.40 18.20 d) Schließlich ist die Schiedsabrede von der Vereinbarung eines Schiedsgutachtens zu unterscheiden.41 Der Schiedsgutachter soll streitige Tatsachen bindend feststellen (Sachmängel, Wert eines Gegenstands). Soll ein Dritter Sachmängel feststellen und die entsprechende Kaufpreisminderung bindend festlegen (sog. Commodity arbitration), liegt eine Mischform von Schiedsgutachten und schiedsrichterlicher Tätigkeit vor. Der Spruch über den zu zahlenden Preis ist als Schiedsspruch zu behandeln und vollstreckbar.42 3. Unabhängigkeit vom Hauptvertrag
18.21 Für die praktische Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung ist entscheidend, dass sie generell von der Wirksamkeit des Hauptvertrags unabhängig ist.43 Sie kann daher einer anderen Rechtsordnung unterliegen als der Hauptvertrag.44 Wichtiger noch ist, dass ein Schiedsgericht, das über alle Streitigkeiten aus einem Vertrag zu entscheiden hat, auch und gerade in internationalen Fällen dafür zuständig ist, über die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Hauptvertrags zu entscheiden.45 4. Anwendbares Recht
18.22 Das New Yorker UN-Übereinkommen enthält keine direkte Regelung, sondern verweist indirekt in Art. V (1) lit. a auf das von den Parteien gewählte Recht, hilfsweise auf das Recht des Landes, in dem der Schiedsspruch ergangen ist. Haben die Parteien keine direkte Wahl getroffen, so ist zu prüfen, ob nicht eine konkludente Rechtswahl vorliegt. Fehlt es daran, ist auf das Recht abzustellen, mit dem die Vereinbarung die 38 BGHZ 171, 245, 249 f. = SchiedsVZ 2007, 160. 39 Vgl. C. Esplugues Mota/J.L. Iglesias/G. Palao, Civil and Commercial Mediation in Europe, Vol. II Cross-Border Mediation, 2013. 40 H. Unberath, Internationale Mediation – Die Bestimmung des anwendbaren Rechts, FS v. Hoffmann, 2011, S. 500, 505. 41 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 15 ff.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 8.192 ff.; H. Stieglmeier, Vertragsarbitrage und internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2018, S. 63 ff. 42 Poudret/Besson, Rz. 18. 43 Weigand/Haas, Art. II UNÜ Rz. 73; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 21; G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 3.07; Lew/Mistelis/Kröll, para 6-7 et seq. 44 Lew/Mistelis/Kröll, para 6-23. 45 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 163 ff.; Redfern/Hunter, Rz. 2.101 ff.
1042
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.26 § 18
engste Verbindung aufweist.46 Eine konkludente Wahl kann in der Rechtswahl im Hauptvertrag oder der Bestimmung des Sitzes des Schiedsgerichts (vgl. Art. V (1) lit. a UNÜ) gesehen werden. Keine Einigkeit besteht darin, welcher der beiden Anknüpfungsmomente Vorrang hat.47 Während der englische Court of Appeal und der BGH48 auf das Recht des Hauptvertrages abstellt, meint der Supreme Court of Singapore, dass dies dem Willen der Parteien nicht gerecht werde, die das Schiedsgericht beim Scheitern des Hauptvertrages anrufen würden; abzustellen sei daher auf das Recht am Sitz des Schiedsgerichts.49 Obwohl sich Art. V UNÜ unmittelbar nur an das staatliche Gericht im Anerkennungsstadium richtet, sollte die Regel bereits vom Schiedsgericht beachtet werden,50 so dass mangels einer konkreten Rechtswahl der Parteien auf das Recht am Sitz des Schiedsgerichts (die lex arbitri) oder auf das Recht abzustellen ist, mit dem der Fall am engsten verbunden ist.51 Nach Art. VI (2) EuÜ gelten beide Anknüpfungen auch, wenn ein staatliches Gericht über Bestehen oder Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung zu entscheiden hat.52 Ist der Sitz des Schiedsgerichts noch nicht bestimmt, so ist nach Art. VI (2) lit. c EuÜ auf das Kollisionsrecht des angerufenen Gerichts abzustellen.
18.23
Im nationalen Recht sieht Art. 178 II schweiz. IPRG vor, dass sich die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung nach dem von den Parteien gewählten Recht, hilfsweise nach dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht oder nach schweizerischem Recht richtet.53 Das deutsche Recht enthält nur eine indirekte (Art. V (1) lit. a UNÜ nachgebildete) Regelung in § 1059 II Nr. 1a ZPO.54
18.24
Untersteht eine Schiedsvereinbarung deutschem Recht, so unterliegt sie, wenn sie in AGB enthalten ist, der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB.55
18.25
Unabhängig vom anwendbaren Recht ist die Schiedsvereinbarung an zwingenden Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 Rom I-VO bzw. Art. 16 Rom II-VO zu messen und kann deshalb nichtig sein.56
18.26
46 Vgl. Sulamerica v Enesa Egenharia, [2012] EWCA Civ 638. 47 Vgl. Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 22 ff. 48 BGH, SchiedsVZ 2011, 46 (Rz. 30 f.); vgl. Münch in MünchKomm/ZPO, § 1029 Rz. 29. Ebenso die Rechtbank Gelderland, YCA 42 (2017), 469. 49 FirstLink Investments Corp v GT Payment, [2014] SGHCR 12; ebenso das Berufungsgericht Den Haag in Owerri v. Dielle, YCA 19 (1994) 703; vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 6-61. 50 Poudret/Besson, Rz. 302. 51 ICC Award No. 19127, YCA 42 (2017), 251, 260. 52 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 299. 53 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 3.30, 3.75 ff.; ICC Award No 19127, YCA 42 (2017), 251. 54 Vgl. Münch in MünchKomm/ZPO, § 1029 Rz. 31. 55 OLG Dresden, IPRax 2010, 241 (zum österr. Recht); dazu F. Eichel, IPRax 2010, 219. 56 Vgl. OLG München v. 15.1.2015 – U 1110/14 Kart, JZ 2015, 355, 357 (Rz. 71 ff.) (Fall Pechstein). Der BGH hat im Fall Pechstein freilich einen Verstoß der Schiedsvereinbarung gegen § 19 GWB a.F. verneint (BGHZ 210, 292 = NJW 2016, 2266 = IPRax 2016, 458 (dazu K. Thorn/C. Lasthaus, S. 426).
1043
§ 18 Rz. 18.27 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.27 Eine Schiedsvereinbarung darf (aus Gründen des ordre public) nicht dazu führen, dass die Haftungsgrenzen nach den Hague-Visby Rules für Seetransporte unterschritten würden.57 18.28 Das insoweit anwendbare Recht betrifft die Form und die inhaltliche Gültigkeit der Schiedsvereinbarung. Für die subjektive Schiedsfähigkeit der Parteien gilt dagegen das jeweilige Personalstatut, d.h. das Recht des Sitzes der Partei bzw. bei natürlichen Personen das jeweilige Heimatrecht (s. Rz. 18.64 ff.). 18.29 Ob eine Partei beim Abschluss der Schiedsvereinbarung wirksam vertreten wurde, richtet sich bei organschaftlicher Vertretung nach dem Sitz der Partei, bei rechtsgeschäftlicher Vertretung dagegen nach dem nach IPR bestimmten Vertretungsstatut (s. Rz. 18.75). 5. Form
18.30 Die meisten Staaten verlangen eine schriftliche Vereinbarung; nur wenige, wie Frankreich (Art. 1507 CCP), Schottland und Neuseeland lassen auch formlose Übereinkünfte genügen.58 Mittelbar wird die Schriftform durch Art. II UNÜ 1958 geregelt.59 Nach Abs. 1 erkennt jeder Vertragsstaat „eine schriftliche Vereinbarung an, durch die sich die Parteien verpflichten ... Streitigkeiten ... einem schiedsrichterlichen Verfahren zu unterwerfen.“ Art. II (2) UNÜ lautet: „Unter einer ‚schriftlichen Vereinbarung‘ ist eine Schiedsklausel in einem Vertrag oder einer Schiedsabrede zu verstehen, sofern der Vertrag oder die Schiedsabrede von den Parteien unterzeichnet oder in Briefen oder Telegrammen enthalten ist, die sie gewechselt haben.“ Schon aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass eine Unterschrift nicht unbedingt erforderlich ist. Schärfere Formerfordernisse dürfen jedenfalls im Rahmen des Anwendungsbereichs des New Yorker Übereinkommens nicht verlangt werden.60 Sec. 5 (2) (a) des englischen Arbitration Act stellt ausdrücklich klar, dass es für die Schriftform generell nicht auf die Unterschrift der Parteien ankommt.
18.31 Dieses Formerfordernis gilt auch für Schiedsvereinbarungen unter Kaufleuten. Die Schriftform ist nach § 1031 ZPO (bzw. Art. 7 II 2 UNCITRAL-ML)61 erfüllt, wenn die Parteien ein Schriftstück unterschrieben haben oder die Vereinbarung in einem Schriftwechsel enthalten ist.62 Dieser kann per Brief, Telefax, Telegramm oder durch andere Telekommunikationsmittel geführt werden, bei denen die Vereinbarung do57 BGH, NJW 1983, 2772. 58 Vgl. H.-L. Yu, CJQ 32 (2013), 68; D. Girsberger, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 363, 370. 59 BGH, SchiedsVZ 2005, 306, 307; Weigand/Haas, Art. II Rz. 23 ff.; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. II UNÜ Rz. 12, 17 ff.; Poudret/Besson, Rz. 188 ff. 60 Lew/Mistelis/Kröll, para. 6-39. 61 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 195 f.; Redfern/Hunter, Rz. 2.13 ff. 62 Vgl. BGH, ZIP 2010, 2505, 2507.
1044
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.35 § 18
kumentiert werden kann.63 Art. II (2) UNÜ ist unter Berücksichtigung von Art. 7 II UNCITRAL-Modellgesetz ebenfalls so auszulegen, dass die elektronische Schiedsvereinbarung gültig ist.64 Nach § 1031 II ZPO ist die Schriftform auch gewahrt, wenn die Schiedsvereinbarung nur von einer Vertragspartei unterschrieben, dieses Schriftstück aber der anderen Partei übermittelt worden ist und der Inhalt des Schriftstücks nach der Verkehrssitte als vereinbart gilt, wenn kein rechtzeitiger Widerspruch erfolgt.65 Ähnlich das Schweizer Recht. Es sieht die Schriftform als gewahrt an, wenn sie nur von einer Partei der Schiedsvereinbarung gewahrt wird. Jedoch bedarf es der Zustimmung der anderen Partei; ansonsten besteht keine Schiedsvereinbarung.66
18.32
Da die Schiedsvereinbarung vom Hauptvertrag unabhängig ist (s. Rz. 18.21), führt die Beurkundungsbedürftigkeit des Hauptvertrages i.d.R. nicht zur entsprechenden Formbedürftigkeit der Schiedsvereinbarung. Eine Schiedsklausel in einem beurkundeten Grundstückskaufvertrag, in der auf eine nicht beurkundete Schiedsordnung Bezug genommen wird, ist daher gültig.67
18.33
Zweifelhaft ist, ob eine Schiedsvereinbarung zustandekommt, wenn sie zwar in einem schriftlichen Angebot enthalten ist, die Parteien aber anschließend nur über andere Fragen korrespondieren und dann den Vertrag durchführen. Entscheidend ist, ob die Gegenpartei der Schiedsklausel nach dem anwendbaren Recht ausdrücklich zustimmen muss oder ob entsprechend Option I Art. 7 (3), (5) UNCITRAL ML eine nur konkludente Zustimmung genügt.
18.34
Verweist der Vertrag auf Geschäftsbedingungen mit der Schiedsklausel, so müssen diese nach allgemeinen Regeln durch Bezugnahme Vertragsbestandteil geworden sein (§ 1031 III).68 Eine separate Urkunde ist nur bei Beteiligung eines Verbrauchers erforderlich (§ 1031 V ZPO). Ausreichend ist die allgemeine schriftliche Antwort auf eine Auftragsbestätigung, die die Schiedsklausel enthielt.69 Im kaufmännischen Verkehr reicht es, dass der Vertragstext einen Hinweis auf AGB enthält, ohne dass diese der Gegenseite bei Abschluss vorliegen.70 Nach § 1031 II ZPO genügt schließlich, dass die Schiedsklausel in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben oder im Schlussschein eines Maklers enthalten ist.71 Ansonsten führt das bloße Schweigen
18.35
63 64 65 66 67 68 69 70 71
Vgl. G. Kaufmann-Kohler, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 355. K. Boele-Woelki, Internet und IPR, BerDGVölkR 39 (2000), 307, 322. Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 78 ff. Vgl. D. Girsberger, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 363, 373 ff., 379 ff. BGHZ 202, 168 = NJW 2014, 3652 = SchiedsVZ 2014, 303; vgl. A. Loos, FS Elsing, 2015, 303; M. Hilgard/N. Haubner, Beurkundungsbeürftigkeit von Schiedsordnungen?, BB 2014, 970. Vgl. Poudret/Besson, Rz. 213 ff. Schiedsgericht der Bundeskammer Wien, RIW 1995, 590; Weigand/Haas, Art. II Rz. 44; Kreindler/Schäfer/Wolff, Rz. 150 ff. OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 707; A. Samuel, Études Poudret, 1999, S. 505. P. Schlosser in Gottwald, S. 163, 184; P. Schlosser, FS Medicus, 1999, S. 543, 546.
1045
§ 18 Rz. 18.35 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
auf ein Vertragsangebot mit Schiedsklausel nicht zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung.72 Schweigen auf die Übersendung von Kontoauszügen, denen ein Merkblatt mit Schiedsklausel beigefügt ist, führt nicht zu einer Schiedsvereinbarung.73 Die Schiedsvereinbarung muss zwischen bestimmten Personen abgeschlossen werden. Es genügt daher nicht, dass der Inhaber eines Domain-Namens in der Registrierung der Domain öffentlich erklärt, dass für alle Streitigkeiten mit späteren Nutzern eine Schiedsvereinbarung gelte.74
18.36 Ist eine Schiedsvereinbarung formnichtig, so verhält sich die Partei, die unterschrieben hat, nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Unwirksamkeit beruft, wenn sich die Gegenseite ebenfalls widersprüchlich verhalten hat, weil sie für sich selbst keine Unterschrift vorgesehen hat.75 18.37 Diese Anforderungen werden aber ggf. nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ und im Anwendungsbereich des EuÜ 1961 durch einen Rückgriff auf das liberalere nationale Recht aufgelockert.76 Nach Art. I (2) (a) EuÜ genügt „im Verhältnis zwischen Staaten, die in ihrem Recht für Schiedsvereinbarungen nicht die Schriftform fordern, jede Vereinbarung, die in den nach diesen Rechtsordnungen zulässigen Formen geschlossen ist“. Gem § 1031 II ZPO genügt etwa nach deutschem Recht die widerspruchslose Hinnahme der Schiedsklausel in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Soweit Staaten keine Schriftform verlangen, ist die formlose Vereinbarung gültig,77 die Schriftform aber aus Beweisgründen dringend anzuraten.
18.38 Ist an der Schiedsvereinbarung ein Verbraucher beteiligt, bedarf es nach § 1031 V ZPO einer besonderen schriftlichen, von beiden Parteien eigenhändig unterschriebenen Vereinbarung, die – außer bei notarieller Beurkundung – keine andere Vereinbarung enthält. Die Schiedsvereinbarung kann aber in derselben Urkunde enthalten sein,78 auch standardisierte Schiedsklauseln dürfen verwendet werden.79 In internationalen Fällen gilt allerdings nur Art. II UNÜ. Der Verbraucherschutz des § 1031 V ZPO kann allenfalls über dessen teleologische Reduktion erreicht werden.80
72 Zur Auslegung von Art. II UNÜ s. Weigand/Haas, Art. II Rz. 49 ff.; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. II UNÜ Rz. 19. 73 BGHZ 187, 126 = ZIP 2010, 2505, 2507. 74 Oberstes Gericht der Tschech. Rep., CYArb 2015, 563. 75 BGH, ZIP 2010, 2512. 76 BGHZ 187, 126 = ZIP 2010, 2505, 2508; P. Kindler, FS Kaissis, 2012, S. 481, 482 f.; ablehnend Poudret/Besson, Rz. 187. 77 Vgl. BGH, SchiedsVZ 2005, 306, 307 f. 78 Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 84. 79 Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 87. 80 Vogl, EWiR § 1031 ZPO 1/11, 791; vgl. dagegen BGH, ZIP 2011, 2325.
1046
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.41 § 18
Schließlich kann die Schiedsvereinbarung nachträglich durch Behauptung in der Schiedsklage und schriftliche rügelose Einlassung81 darauf (§ 1031 VI ZPO), ggf. auch durch nachträgliche Unterwerfungsvereinbarung (submission agreement)82 zustande kommen.
18.39
6. Objektive Schiedsfähigkeit Die Schiedsvereinbarung ist nur wirksam, wenn der Streitgegenstand (objektiv) schiedsfähig ist. Die Schiedsfähigkeit wird in den meisten Ländern gem. Art. V (1) (a) UNÜ nach dem vereinbarten Verfahrensrecht, hilfsweise nach der lex fori am Sitz des vereinbarten Schiedsgerichts83 und nicht nach der lex contractus des Hauptvertrags beurteilt. Ruft eine Partei ein staatliches Gericht an und beruft sich die Gegenpartei auf die Schiedsvereinbarung, ist die objektive Schiedsfähigkeit in der Einredesituation zusätzlich nach der lex fori des angerufenen Gerichts zu beurteilen.84 In dieser Einredesituation ist eine evtl Schiedsunfähigkeit nach dem Recht eines denkbaren Vollstreckungsstaats (Art. V Abs. 2 (a) UNÜ) nicht zu berücksichtigen, da sonst der schiedsunfreundlichste Staat Schiedsverfahren blockieren könnte. Die von französischen Gerichten und Autoren favorisierte „de-nationale“ Anknüpfung der Schiedsvereinbarung steht mit Art. V UNÜ kaum in Einklang; die Bestimmung zulässiger Grenzen aus allgemeinen Prinzipien und aus dem ordre public international ist zudem viel zu unbestimmt.85 Damit ein Schiedsverfahren am Ende zu einem praktischen Erfolg führt, sollten daher das Statut der Schiedsvereinbarung und das Recht des voraussichtlichen Vollstreckungsstaats kumulativ beachtet werden.
18.40
Das neue deutsche Recht lässt Schiedsvereinbarungen nach schweizer Vorbild (Art. 177 I schweiz. IPRG) über jeden vermögensrechtlichen Anspruch zu (§ 1030 I 1 ZPO).86 Daher sind auch vermögensrechtliche Gestaltungsklagen (z.B. nach §§ 117, 127, 140 HGB)87 und Unterhaltsansprüche88 schiedsfähig. Über nichtvermögensrechtliche Ansprüche kann eine Schiedsvereinbarung nur geschlossen werden, wenn die Parteien über den Anspruch verfügen können (§ 1030 I 2 ZPO). Über Ausschnitte aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht kann der Urheber grds disponieren und daher auch insoweit einen Schiedsvertrag schließen.89
18.41
81 OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 707; OGH Österreich, IPRax 2006, 496, 500 (dazu A. Spickhoff, S. 522); OGH Österreich, IPRax 2006, 496, 500 (dazu A. Spickhoff, S. 522); krit. H. Kollhosser, Liber amicorum Esser, 1995, 77. 82 Redfern/Hunter, Rz. 2.119 ff. 83 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 134 f. 84 Vgl. Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. II UNÜ Rz. 11, Art. V UNÜ Rz. 67; für ausschließliche Anwendung der lex fori des angerufenen staatlichen Gerichts R. Geimer, IZPR, Rz. 3811. 85 Vgl. O. Sandrock, FS H. Stoll, S. 661, 663 ff., 671. Die praktische Unsicherheit betont F.B. Weigand, Handbook, 2nd ed. 2009, para 1.121. 86 P. Schlosser, in Gottwald, S. 163, 179 ff.; Münch in MünchKomm/ZPO, § 1030 ZPO Rz. 13 ff. 87 Vgl. G. Wagner, Prozessverträge, S. 584 ff. 88 OLG München, FamRZ 2012, 1962. 89 I. Frost, S. 97 ff.
1047
§ 18 Rz. 18.42 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.42 Über den Bestand von Mietverhältnissen über Wohnraum in Deutschland kann keine Schiedsvereinbarung geschlossen werden (§ 1030 II ZPO). 18.43 § 1031 V ZPO sieht für Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern lediglich als besondere Form eine von beiden Parteien eigenhändig unterzeichnete Urkunde vor.90 Die einseitige Unterschrift des Verbrauchers wahrt diese Form nicht.91 Eine Kontrolle von Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern anhand von § 307 BGB (höhere Kosten; Schiedsort; Sprache; Verfahrensordnung) ist aber weiterhin zulässig.92 Jedoch erscheint es zweifelhaft, ob die Prorogationsschranken von Art. 25 IV EuGVO n.F. bzw. Art. 23 V LugÜ auf europäische Schiedsvereinbarungen übertragen werden können.93 Andere Rechtsordnungen gehen hier weiter. Nach österreichischem Recht (§ 879 III ABGB) ist eine Vertragsbestimmung in AGB nichtig, die einen Vertragspartner gröblich benachteiligt. Diese Regel wird auch auf Schiedsvereinbarungen angewendet.94
18.44 Grenzen der Schiedsfähigkeit ergeben sich in vielen Staaten aus dem nationalen ordre public.95 Auch Regeln über ausschließliche Gerichtszuständigkeiten (z.B. Art. 24 EuGVO n.F. bzw. Art. 22 LugÜ) können (müssen aber nicht) sinngemäß die Schiedsfähigkeit ausschließen.96 18.45 Nach deutschem Recht bleiben sondergesetzliche Schranken der Schiedsfähigkeit unberührt (§ 1030 III ZPO). Eine Sonderregelung enthält Art. 22 UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea von 1978.97 18.46 Streitigkeiten aus dem grenzüberschreitenden Straßentransport sind schiedsfähig. Die Schiedsvereinbarung muss nach Art. 33 CMR aber die Anwendung der CMR vorschreiben; der Vertrag muss also die Rechtswahl zugunsten eines CMR-Vertragsstaates vorsehen,98 andernfalls ist die Schiedsvereinbarung nach Art. 41 CMR nichtig. 90 Vgl. BGH, RIW 2010, 879 = IPRax 2011, 499, 502 (dazu J. Samtleben, S. 469, 472); Münch in MünchKomm/ZPO, § 1031 ZPO Rz. 44 ff. 91 BGH, RIW 2010, 885, 886 (Tz. 21). 92 Vgl. EuGHE 2006, I-10421 (Mostaza Claro v Centro Móvil Milenium) = NJW 2007, 135; G. Wagner, Prozessverträge, S. 596 ff.; a.A. im Erg. Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 30, 32 f, 34. Generell zum Verhältnis Verbraucherschutz und Schiedsgerichtsbarkeit M. Kahl, ZZPInt 22 (2017), 361. Zur Haltung von US-Gerichten s. Brower v Gateway 2000, Inc, 246 A.D. 2d 246 (1998). 93 Hierfür aber N. Reich, ZEuP 1998, 984, 992. 94 OLG Bremen, MDR 2009, 465; krit. K. Thorn/W. Grenz, S. 187, 190 ff. 95 Poudret/Besson, Rz. 343. 96 Poudret/Besson, Rz. 345b; A. Uzelac, (Un)Arbitrability and exclusive jurisdiction, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 451. Zur Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten aus dem EUEinheitspatent s. D. Kaneko, EU-Einheitspatent und Schiedsverfahren, 2018. 97 Vgl. P. Mankowski, TranspR 1992, 301, 307. 98 Vgl. A. Furrer, Schiedsgerichtsbarkeit im grenzüberschreitenden Strassentransport, FS Kren Kostkiewciz, 2018, S. 333.
1048
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.48 § 18
Nach deutschem Recht sind Ansprüche aus individuellen Arbeitsverträgen grds nicht schiedsfähig (vgl. §§ 101 ff. ArbGG).99 Das US-amerikanische Recht ordnet Arbeitsverträge dagegen als Handelsverträge ein und bejaht deren Schiedsfähigkeit.100 Bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen richtet sich die Zulässigkeit einer Schiedsvereinbarung freilich nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut.101 Die Unterwerfung eines deutschen Handelsvertreters unter ein Schiedsverfahren vor der AAA hat das OLG München für unwirksam angesehen, weil die Gefahr bestand, dass dieses die zwingenden Regeln über den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (§ 89b HGB) nicht anwenden würde.102 Auch der OGH Österreich hat den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters als zwingende Eingriffsnorm eingeordnet und daraus die Unwirksamkeit einer darauf bezogenen Schiedsvereinbarung abgeleitet.103 Sachgerechter erscheint es, den Schiedsgerichten eine korrekte Rechtsanwendung zuzutrauen und eventuelle Mängel im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung zu prüfen.104
18.47
Schiedsfähig sind dagegen nach Ansicht des BGH Beschlussmängelstreitigkeiten bei Aktiengesellschaft und GmbH, obgleich deren Entscheidung nach §§ 248 I, 249 I AktG bzw. in deren entsprechender Anwendung Rechtskraft für und gegen alle Gesellschafter wirkt, auch wenn sie am Schiedsverfahren nicht beteiligt sind. Vorausetzung ist aber, dass eine Schiedsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben oder nachträglich unter allen Gesellschaftern vereinbart wurde und die notwendigen Mitwirkungsrechte aller Gesellschafter bei der Schiedsrichterbestellung gewahrt sind (s. Rz. 18.82, 18.100).105 Gleiches gilt für Beschlussmängelstreitigkeiten bei Personengesellschaften, insb. bei Kommanditgesellschaften.106 Da sich bei Aktiengesellschaften eine Beteiligung aller Aktionäre kaum erreichen lässt, sind diese Streitigkeiten im praktischen Ergebnis doch meist nicht schiedsfähig. Streitigkeiten über die Leistung von Stammeinlagen sind ohne weiteres schiedsfähig.107
18.48
99 Vgl. R. Birk, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit in Arbeitssachen, 1. Erlanger FS Schwab, 1990, S. 305. 100 Circuit City Stores Inc v Adams, 532 US 105 (2001); Lobo v Celebrity Cruises Inc, US District Court Southern District of Florida, YCA 33 (2008), 820, 829. 101 C.-H. Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 101 Rz. 4. 102 OLG München, IPRax 2007, 322; dazu G. Rühl, IPRax 2007, 294; D. Quinke, SchiedsVZ 2007, 246; K. Thorn/W. Grenz, S. 187, 195 ff.; F.-J. Semler, FS Wegen, 2015, S. 743. 103 Österr. OGH, IHR 2017, 123 (D. Eckardt). 104 K. Plavec, ZZPInt 22 (2017), 105, 121 ff. 105 BGHZ 180, 221 (GmbH) = NJW 2009, 1962 = ZZP 123 (2010), 94; dazu J. Münch, ZZP 123 (2010), 3; anders noch BGHZ 132, 278 = ZIP 1996, 830 = JZ 1996, 1017 mit Anm P. Schlosser; krit. W. Timm ZIP 1996, 445; G. Wagner, Prozessverträge, S. 588 ff.; St. Genzsch/P. Hauser/S. Kapoor, SchiedsVZ 2019, 64; vgl. K.H. Schwab, FS Gaul, 1997, S. 729; W. Timm/D. Witzorrek EWiR 1996, 481; M. Schröder, Schiedsgerichtliche Konfliktbeilegung bei aktienrechtlichen Beschlussmängelklagen, 1999; a.A. W. Kühn, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 443; für Österreich: K. Hempel, FS Krejci, Bd 2, 2001, S. 1669. Zur positiven Beschlussfeststellungsklage s. BGH, NJW 2001, 2176. 106 BGH, MDR 2017, 774; BGH, SchiedsVZ 2017, 197; A. Heinrich, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften, ZIP 2018, 411. 107 BGHZ 160, 127 = JZ 2005, 154 (P. Schlosser) = SchiedsVZ 2004, 259.
1049
§ 18 Rz. 18.49 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.49 Kartellsachen sind nach deutschem Recht schiedsfähig; die frühere Beschränkung gem. § 91 I GWB a.F. ist durch § 19 SchiedsVfG 1996 aufgehoben worden.108 Die Art. 101, 102 AEUV sind zwar als zwingendes Recht vom Schiedsgericht zu beachten, beschränken aber nicht die objektive Schiedsfähigkeit.109 18.50 Im Bereich des Patentrechts sind nicht nur vertragliche Lizenzstreitigkeiten, sondern auch Verletzungsstreitigkeiten über deutsche und europäische Patente (auf Unterlassung und Schadensersatz) schiedsfähig.110 Gleiches gilt für Streitigkeiten im Bereich des Markenrechts.111 Die Schiedsfähigkeit von Nichtigkeitsstreitigkeiten wird dagegen unterschiedlich beurteilt: In den USA, der Schweiz112 und in Schweden wird sie bejaht, auch in England, aber nur mit Wirkung inter partes. In Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden wird sie verneint. Hier besteht insoweit eine ausschließliche Zuständigkeit der staatlichen Gerichte, in Deutschland des BPatG (§§ 65, 81 PatG).113 Die Gegenansicht, nach der auch Verfahren über die Nichtigkeit deutscher Patente schiedsfähig sind,114 hat sich nicht durchsetzen können. Vermögensrechtliche Fragen sind auch dann schiedsfähig, wenn sie national vor VG auszutragen wären.115 18.51 Schiedsvereinbarungen über künftige Streitigkeiten aus Wertpapierdienstleistungsverträgen und Finanztermingeschäften sind nach § 101 WpHG nur zwischen Kaufleuten oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts zulässig.116 Bejaht wird auch die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten aus internationalen Devisenverträgen117 und internationalen Anleihen.118 Auch in den USA wird die Schiedsfähigkeit von Wertpapierstreitigkeiten inzwischen akzeptiert (s. auch Rz. 18.58).119 18.52 Eine Schiedsvereinbarung ist nach heute h.M. grds nicht deshalb unwirksam, weil der Hauptvertrag wegen Betrugs oder Korruption sittenwidrig und nichtig ist. Denn die Schiedsvereinbarung ist ein selbständiger Vertrag; das Schiedsgericht ent108 Vgl. K. Günther, Liber amicorum Böckstiegel, S. 253. International ist die Haltung aber nicht einheitlich, vgl. Redfern/Hunter, Rz. 2.133 ff.; zum US-Recht s. Mitsubishi Motors Corp. v Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614. 109 Vgl. A. Komninos, Arbitration and EU Competition Law, in Basedow/Franq/Idot, International Antitrust Litigation, 2012, S. 191, 194 ff.; (noch zu Art. 81, 85 EGV) Poudret/ Besson, Rz. 349 ff.; Lew/Mistelis/Kröll No 9.42 ff. 110 I. Frost, S. 41 ff., 89 ff.; J. Adolphsen, Europ. ZPR in Patentsachen, 2. Aufl. 2009, Rz. 990; Redfern/Hunter, Rz. 2.131. 111 I. Frost, S. 110 ff. 112 Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 9-66. 113 Vgl. J. Adolphsen, Europ. ZPR in Patentsachen, 2. Aufl. 2009, Rz. 991; Poudret/Besson, Rz. 354 ff. 114 Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 43; P. Schlosser, in Gottwald, S. 163, 182 f.; I. Frost, S. 41 ff., 49 ff., 89 ff. 115 Zu Kunststreitigkeiten s. E. Jayme, IPRax 2001, 68. 116 Vgl. BGHZ 184, 365 = ZIP 2010, 786, 787 (Rz. 21); BGH, IPRax 2011, 499 (dazu J. Samtleben, S. 469, 474); R. Jordans, S. 110 ff. 117 O. Sandrock, Int.Lawyer 23 (1989), 933; K.P. Berger, ZVglRWiss 96 (1997), 316. 118 O. Sandrock, JIntArb 11 no 3 (1994), 33. 119 Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, No 9-48 ff.
1050
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.58 § 18
scheidet daher im Zweifel auch über die Nichtigkeit des Hauptvertrags und die Folgen der Nichtigkeit.120 Fällt der Gegenstand des Hauptvertrages unter ein internationales Handelsembargo, bleibt die Schiedsvereinbarung aus demselben Grund wirksam.121 Die Anerkennung eines Schiedsspruchs, der das Embargo missachtet, scheitert aber am ordre public (Art. V (2) lit. b UNÜ). Nach der Invasion des Iraks in Kuwait verbot Art. 1 (2) (e) VO (EG) Nr. 3541/1992122 die Anerkennung eines Schiedsspruchs über einen vom Embargo erfassten Anspruch.
18.53
Im internationalen Sport beeinträchtigt auch der faktische Zwang für einen Sportler zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung mit einem Monopolsportverband nicht die Wirksamkeit der Vereinbarung, wenn ohne solche Vereinbarungen eine Wahrung einheitlicher Wettkampfregeln (z.B. Doping-Verbot) nicht gewährleistet wäre.123
18.54
Eine umfassende Schiedsvereinbarung für alle Streitigkeiten aus einem Geschäft erfasst auch Ansprüche aus Wechseln, die im Zusammenhang mit dem Geschäft begeben wurden.124
18.55
Eine Schiedsvereinbarung wird nicht nach Art. II (3) UNÜ „hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar“, weil Dritte ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Hinblick auf Regress- oder Folgeansprüche haben.125
18.56
Nach Art. 2059 c.c. kann in Frankreich jede Person ein Recht, über das sie frei verfügen kann, der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. Art. 2060 Abs. 1 c.c. schränkt diese Befugnis für Fragen der Geschäftsfähigkeit, der Scheidung und allgemein für alle Bereiche ein, die den ordre public betreffen (z.B. Abstammung).126
18.57
In den USA haben die Gerichte nach und nach die Schiedsfähigkeit sämtlicher Ansprüche aus internationalen Handels- und Wirtschaftsgeschäften bejaht, auch soweit Ansprüche auf multiple oder punitive damages geltend gemacht werden.127 Private Schiedsvereinbarungen schließen aber Verfahren der US International Trade Commission wegen Wettbewerbsverstößen nicht aus.128
18.58
120 Vgl. A. Sayed, Corruption in international trade and commercial arbitration, 2001; Hilmarton v Omnium de traitement, YCA 20 (1995), 663; Omnium de taitement v Hilmarton, YCA 24 (1999), 777; A. M. Martin, International Arbitration and Corruption, 2012; Poudret/Besson, Rz. 364; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, Rz. 9.80. 121 Für Schiedsunfähigkeit Court of Appeal of Genoa, YCA 21 (1996), 594. 122 ABl. EG 1992 Nr L 361/1; vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, Rz. 9.70 ff. 123 BGH, NJW 2016, 2266 = SchiedsVZ 2016, 218 (Fall Pechstein). 124 BGH, JZ 1994, 370; OLG München, RIW 1990, 585. 125 M. Diesselhorst, Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit, 1994, S. 140 f. 126 E. Gaillard, Juris Classeur, Droit International 11, Fasc. 586–3, Nr. 27. 127 Vgl. Scherk v Alberto-Culver, 417 US 506, 419 US 885 (1974); Mitsubishi v Soler, 473 US 614 (1985); L. Newman/M. Burrows V-1 ff. 128 Farrel Corp. v US Intern. Trade Commission, 949 F. 2d 1147 (Fed. Cir. 1991); krit. R. Brand, Col.J.Transn.L. 31 (1993), 181.
1051
§ 18 Rz. 18.59 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.59 Nach Art. 806 cprc. sind in Italien alle Streitigkeiten schiedsfähig, die Gegenstand eines Rechtsgeschäfts sein können und nicht durch Sondergesetz ausgeschlossen sind. Die Schiedsfähigkeit entfällt nicht, wenn ein Sachzusammenhang mit einer bei Gericht anhängigen Streitsache besteht (Art. 819 bis cprc.). 18.60 Im Bereich der internationalen Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist die Schiedsfähigkeit von Handels-, Konzessions- und Investitionsschutzverträgen, die Staaten selbst oder durch staatliche Organisationen abschließen.129 Viele Staaten der „Dritten Welt“ oder sog. „Schwellenländer“ schließen in ihren Rechtsordnungen die Schiedsfähigkeit von Verträgen über Technologietransfer und industrielle Entwicklung sowie Investitionsverträge ganz oder doch insoweit aus, als ein Schiedsspruch die Souveränität dieser Staaten berührt, und wollen diese Streitigkeiten den eigenen Gerichten vorbehalten.130 Wendet eine Partei die Schiedsunfähigkeit ein, so behält das Schiedsgericht zwar die Kompetenz, über die Schiedsfähigkeit zu entscheiden (s. Rz. 18.187 ff.). Das letzte Wort haben aber die staatlichen Gerichte bei einer etwaigen Anfechtung oder bei Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs. Der Vorbehalt kann aber zu Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines Schiedsspruchs führen, selbst wenn das Recht am Sitz des Schiedsgerichts schiedsfreundlicher ist. 18.61 In den letzten Jahren sind auch in rein völkerrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Bereichen Schlichtungs- und Schiedsverfahren vereinbart worden.131 7. Subjektive Schiedsfähigkeit, Immunität
18.62 a) Wer Verträge schließen kann, ist im Allgemeinen auch schiedsfähig.132 Probleme ergeben sich allerdings bei Beteiligung ausländischer Staaten und staatlicher Organisationen, da deren eigenes Recht vielfach die Schiedsfähigkeit ausschließt oder nur unter Einschränkungen zulässt.133 Jeweils entsteht dann die Frage, ob sich die staatliche Organisation unter Berufung auf ihr eigenes Recht einem Schiedsverfahren widersetzen und auf die staatliche Immunität berufen kann, obwohl sie dem Schiedsverfahren zuvor vertraglich zugestimmt hatte.134 129 Vgl. Th. Markert, Rohstoffkonzessionen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 1989; A. Broches, Selected Essays, World Bank, ICSID, and other subjects, 1995, S. 447 ff.; H. Theodorou, Investitionsschutzverträge vor Schiedsgerichten, 2001; R. Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren nach Art. 26 Energiecharta, 2000; S. Wolfgramm, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, 2001. 130 Vgl. K. Bälz, Schiedsklauseln in Verträgen mit der iranischen öffentlichen Hand, SchiedsVZ 2006, 28; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, Rz. 9.90. 131 Vgl. K. Oellers-Frahm/A. Zimmermann, Dispute Settlement in Public International Law, 2nd ed, 2001. 132 Poudret/Besson, Rz. 269; Redfern/Hunter, Rz. 2.31 ff. 133 Vgl. BGH, IPRax 1999, 104 (krit dazu R. Schütze S. 87); G. Delaume, Transnational Contracts, 1988, § 10.02; Poudret/Besson, Rz. 228 ff., 235 f.; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 27.5 ff. 134 Vgl. G. Delaume, § 10.04.
1052
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.68 § 18
Nach Art. II (1) EuÜ 1961 besitzen „juristische Personen des öffentlichen Rechts“ die Schiedsfähigkeit, soweit der Staat bei der Ratifikation nicht Beschränkungen erklärt. Belgien hat insoweit die Schiedsfähigkeit dem Staat selbst vorbehalten. Diese Regelung gilt aber nur zwischen den Vertragsstaaten.
18.63
Nach Art. VI (2) EuÜ 1961 ist über die persönliche Fähigkeit zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung (a) nach dem für die Schiedsvereinbarung gewählten Recht, (b) hilfsweise nach dem Recht des Schiedsortes, und (c) solange dieser nicht feststeht, nach dem Kollisionsrecht des angerufenen staatlichen Gerichts zu entscheiden.
18.64
Art. V (1) (a) UNÜ 1958 bestimmt dagegen, dass sich jede Seite gegen die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs wehren kann, wenn sie „nach dem Recht, das für sie persönlich maßgebend ist, in irgendeiner Hinsicht (zum Abschluss der Schiedsvereinbarung) nicht fähig“ war. Solange ein Schiedsspruch nicht ergangen ist, ist nach Art. V (2) (a) UNÜ auf das Personalstatut nach dem IPR des mit der Sache befassten Gerichts abzustellen.135 Ist ein Schiedsspruch ergangen, ist das IPR des jeweiligen Exequaturstaats maßgeblich.136
18.65
Art. 177 II schweiz. IPRG 1987 will das Vertrauen in die Gültigkeit der mit einer staatlichen Partei geschlossenen Schiedsvereinbarung schützen. Er sieht deshalb vor:
18.66
„Ist eine Partei ein Staat, ein staatlich beherrschtes Unternehmen oder eine staatlich kontrollierte Organisation, so kann sie nicht unter Berufung auf ihr eigenes Recht ihre Parteifähigkeit im Schiedsverfahren oder die Schiedsfähigkeit einer Streitsache in Frage stellen, die Gegenstand der Schiedsvereinbarung ist.“ Dadurch soll verhindert werden, dass ein Staat oder eine staatlich beherrschte Organisation ein Schiedsverfahren unter Berufung auf die eigene Gesetzgebungshoheit, ggf. noch durch nachträgliche Gesetzesänderung, vereitelt.137 Diese Regel wird in Deutschland als allgemein gültiger Rechtsgrundsatz angesehen.138 Überwiegend wird dieser Schutz auch auf die Vertretungsbefugnis für die staatliche Partei erstreckt. Sinngemäß ist damit auch festgelegt, dass sich die staatliche Partei im Schiedsverfahren nicht auf eine etwaige völkerrechtliche Immunität berufen kann.139
18.67
1991 hat die ILA einen Entwurf „on Jurisdictional Immunities of States and their property“ vorgelegt.140
18.68
135 S. Poudret/Besson, Rz. 270 ff.; Weigand/Haas, Art. II Rz. 55 ff.; Lew/Mistelis/Kröll, para 6-51. 136 Hierfür generell Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 20. 137 F. Vischer in Heini/Keller, IPRG-Kommentar, 1993, Art. 177 Rz. 23 ff.; Poudret/Besson, Rz. 234. 138 Salger/Trittmann/v. Schlabrendorff, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 2 Rz. 48. 139 F. Vischer in Hein/Keller, IPRG-Kommentar, 1993, Art. 177 Rz. 27. 140 Vom 11.9.1991, ILM 1991, 1563.
1053
§ 18 Rz. 18.69 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.69 Art. 177 II schweiz. IPRG entspricht tatsächlich der überwiegenden internationalen Schiedspraxis, nach Ansicht von Berger zugleich einem identischen Prinzip des Völkergewohnheitsrechts und einem transnationalen ordre public, der sich gegenüber widersprechendem nationalem Recht durchsetze.141 Die Mehrheit der Staaten erkennt die subjektive Fähigkeit von Staaten, Partei eines Schiedsverfahrens zu sein, an.142 Allerdings verweist Art. V (1) lit. a UNÜ auf das Personalstatut des jeweiligen Staats, so dass Fälle subjektiver Schiedsunfähigkeit nicht auszuschließen sind. Innerstaatliche Beschränkungen gelten jedenfalls nicht ohne weiteres auch im internationalen Kontext.143 18.70 In einem Schiedsverfahren genießt der Staat keine Immunität (auch nicht in staatlichen Verfahren zur Ergänzung oder Unterstützung von Schiedsverfahren), da die Immunität nur gegenüber der Hoheitsgewalt eines anderen Staats besteht.144 Durch den Schiedsvertrag unterwirft sich der Staat aber nicht ohne weiteres der anschließenden Zwangsvollstreckung.145 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist dagegen noch ein vom Immunitätsverzicht erfasstes Erkenntnisverfahren.146 Die französische Cour de Cassation hat allerdings entschieden, dass die Vereinbarung einer ICC-Schiedsklausel, in der sich die Partei auch zur Erfüllung des Schiedsspruchs verpflichtet, sinngemäß einen Verzicht auf eine Vollstreckungsimmunität enthält.147
18.71 b) Verbraucher sind nach deutschem Recht subjektiv schiedsfähig.148 Zum Schutze des Verbrauchers verlangt § 1031 V ZPO aber, dass Schiedsvereinbarungen, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, vom Verbraucher eigenhändig unterzeichnet und (abgesehen von notariellen Urkunden) in einer besonderen Urkunde enthalten sein müssen.149 Ist diese Form nicht gewahrt, ist die Schiedsvereinbarung unwirksam, selbst wenn sich der Verbraucher selbst auf diese beruft.150
141 Intern. Economic Arbitration, 1993, S. 184 f. Die VR China hält dagegen an der absoluten Staatsimmunität fest; im Abschluss einer Schiedsvereinbarung liege kein Immunitätsverzicht, vgl. Court of Final Appeal of the Hong Kong Special Administrative Region, 8.6.2011, YCA 36 (2011), 594. 142 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 229. 143 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 233. 144 J. Langkeit, Staatenimmunität und Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, S. 51 ff.; vgl. Redfern/ Hunter, Rz. 1.202 ff. 145 BGH, SchiedsVZ 2006, 44, 46 (H. Raeschke-Kessler); J. Langkeit, S. 203 ff.; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll para. 27-53 ff. 146 BGH, SchiedsVZ 2013, 110. 147 Cour de Cass. (6.7.2000) JDI 2000, 1054; krit. St. Kröll, IPRax 2002, 439. 148 Rechtsvergleichende Übersicht bei A. Bělohlávek, B2C Arbitration: Consumer Protection in Arbitration, 2012, S. 161 ff. 149 Vgl. BGH, ZIP 2010, 2505; L. Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, 2005; G. Wagner/D. Quinke, Ein Rechtsrahmen für die Verbraucherschiedsgerichtsbarkeit, JZ 2005, 932; A. Bělohlávek, (Fn. 148), S. 261 ff. 150 BGH, NJW 2011, 2976 = JR 2012, 340 (S. Elsing) = SchiedsVZ 2011, 227.
1054
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.74 § 18
c) Schiedsvereinbarungen über künftige Streitigkeiten aus Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen oder Finanztermingeschäften können nach § 101 WpHG (i.d.F. v. 3.1.2018) nur Kaufleute oder juristische Personen des öffentlichen Rechts schließen. Dies gilt auch im Anwendungsbereich des New Yorker Übereinkommens (UNÜ).151 Doch gilt die Norm unmittelbar nur, wenn für das materielle Geschäft nach IPR deutsches Recht Anwendung findet.152 Andere stellen darauf ab, ob die Schiedsvereinbarung selbst deutschem Recht unterliegt, etwa weil sich der Schiedsort in Deutschland befindet.153 § 101 WpHG gehört aber nach h.M. nicht zum deutschen ordre public, so dass eine (nach ihrem Personalstatut) nichtschiedsfähige Partei die Unwirksamkeit der Vereinbarung im Anerkennungsstadium nicht mehr geltend machen kann.154
18.72
d) Armut der Partei. Eine Schiedsvereinbarung bildet ein Prozesshindernis für die Klage vor dem staatlichen Gericht, es sei denn, dass sie „undurchführbar ist“ (§ 1032 I ZPO). Undurchführbar wird die Vereinbarung, wenn der Schiedskläger oder der Schiedsbeklagte die Gebühren des Schiedsgerichts nicht bezahlen kann, sofern nicht die Gegenpartei den Kostenanteil der mittellosen Partei übernimmt; einer Kündigung der Schiedsvereinbarung bedarf es nicht.155
18.73
e) Insolvenz einer Partei führt nicht notwendig zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung156 oder zur Unterbrechung eines laufenden Schiedsverfahrens über Forderungen des Insolvenzschuldners157 Ob hierüber die lex fori am Sitz des Schiedsgerichts oder das Heimatrecht der insolventen Partei entscheidet, ist zweifelhaft.158 Laufende Verfahren werden jedenfalls gem. Art. 18 EuInsVO n.F. nur nach Maßgabe der lex fori unterbrochen.159 Grds ist auch der Insolvenzverwalter an eine Schiedsver-
18.74
151 BGH, ZIP 2010, 2505, 2507 (Tz. 21 f.) = SchiedsVZ 2011, 46; BGH, RIW 2011, 321, 323 (Rz. 22). 152 A. Fuchs/P. Jung, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 37h Rz. 44, 49. 153 H. Hirte in Kölner Komm. zum WpHG, 2. Aufl. 2014, § 37h Rz. 33; Assmann/Schneider/ Mülbert/Sethe, WpHG, 7. Aufl. 2019, § 101 Rz. 43. 154 Assmann/Schneider/Mülbert/Sethe, WpHG, 7. Aufl. 2019, § 101 Rz. 48 ff.; T. Niedermaier, SchiedsVZ 2012, 177, 183. 155 BGHZ 145, 116 = NJW 2000, 3720 = JZ 2001, 258 (P. Schlosser) = ZZP 114 (2001), 97 (G. Walter); dazu auch M. Kremer/Th. Weimann MDR 2004, 181; krit. R. Schütze, FS Schlosser, 2005, S. 867. 156 D. Schmitz, Schiedsverfahren und Insolvenz, 2016; Th. Jestaedt, Schiedsverfahren und Konkurs, 1985; G. Wagner KTS 2010, 39, 41 ff.; a.A. L. Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rz. 13.28; vgl. D. Eckhardt, FS v. Hoffmann, 2011, S. 934; V. Lazić, Cross-border insolvency and arbitration, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 337; M. Kraus, Das Schicksal internationaler Schiedsverfahren in der Insolvenz des Schiedsbeklagten, 2020. 157 OLG Brandenburg, BB 2001, Beilage 6, S. 21; Gottwald/Eckardt, Handbuch des Insolvenzrechts, 6. Aufl. 2020, § 32 Rz. 115. 158 Vgl. St. Brekoulakis, Arbitrability and conflict of jurisdictions, in Ferrari/Kröll, S. 117, 132 f.; St. Kröll, in Ferrari/Kröll, S. 211, 226 ff. 159 English Court of Appeal (9.7.2009) YCA 24 (2009), 313. Das Schweiz. Bundesgericht, für das die EuInsVO nicht gilt, hat zunächst auf das Personalstatut der insolventen Partei abgestellt, YCA 24 (2009), 286 (Vivendi v Elektrim); a.A. jetzt BGE 138 III 714 (X Lda (Portugal) v Y Ltd. (China)).
1055
§ 18 Rz. 18.74 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
einbarung gebunden.160 Dies gilt freilich nicht für originäre Ansprüche des Insolvenzverwalters wie das Insolvenzanfechtungsrecht.161 Zu den originären Ansprüchen zählt der BGH gar Ansprüche nach der Erklärung der Nichterfüllung eines Vertrags durch den Insolvenzverwalter.162 Auch in den USA werden „core matters“ als nicht schiedsfähig angesehen.163 Allerdings kann das Insolvenzgericht in manchen Ländern eine Unterbrechung bzw. Einstellung des Schiedsverfahrens anordnen.164 Auch bei Fortbestand der Schiedsvereinbarung muss ein Insolvenzgläubiger aber seine Forderung gem. § 174 I 1 InsO zur Tabelle anmelden und kann nicht aus dem später ergehenden Schiedsspruch vollstrecken.165 8. Vertretungsmacht zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung
18.75 Die internationalen Regelwerke enthalten keine Normen über die Vollmacht zum Abschluss eines Schiedsvertrags. Abzustellen ist daher auf das nach IPR anwendbare nationale Recht. Die Vertretungsmacht von Gesellschaftsorganen richtet sich danach nach dem Gesellschaftsstatut, die Vertretungsmacht anderer Bevollmächtigter nach dem Vollmachtsstatut.166 Nach Art. 126 II schweiz. IPRG ist Vollmachtsstatut das Recht am Ort der Niederlassung des Bevollmächtigten und, wenn er keine Niederlassung hat, das Recht am Handlungsort.167 Das schweizerische Recht sieht in Art. 158 Schweiz IPRG ergänzend zu Recht vor, dass sich eine Partei nicht auf nach dem Recht der Gegenpartei unübliche Beschränkungen der Vertretungsmacht ihrer Organe berufen kann, solange die Gegenpartei diese nicht kennt oder kennen muss.168 9. Bindung Dritter an die Schiedsvereinbarung Schrifttum: M. Abdel Wahab, Extension of arbitration agreements to third parties, in Ferrari/Kröll, Conflict of Laws in International Arbitration, 2011, S. 137; J.-M. Ahrens, Die subjektive Reichweite internationaler Schiedsvereinbarungen, 2001; H. Batliner/J. Gasser, Sind Schiedsklauseln zu Lasten Dritter gem. Art. 6 EMRK zulässig?, FS for Baudenbacher, 2007, S. 705; St. Brekoulakis, Third parties in international commercial arbitration, 2010; M. Gebauer, Zur subjektiven Reichweite von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen – Maßstab und anwendbares Recht, FS Schütze, 2015, S. 95; P. Gottwald, Zur Bindung Dritter an internationale Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, FS Geimer, 2017, S. 131; C. Jürschik, Die Ausdehnung von Schiedsvereinbarungen auf konzernzugehörige Unternehmen, 2011; F. Martens, Wirkungen der Schiedsvereinbarung und des Schiedsverfahrens auf Dritte, 2005; F. Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen, 2006; B. Niklas, Die subjektive Reichweite von Schiedsvereinbarungen, 2008; St. Pfisterer, Ausdehnung von 160 BGH, SchiedsVZ 2018, 127; vgl. M. Heese, KTS 2017, 167, 173; Poudret/Besson, Rz. 290. 161 BGH, NJW 1957, 791; BGH, SchiedsVZ 2008, 148; M. Heese, KTS 2017, 167, 176; N. Preuß, FS Elsing, 2015, 417, 420 ff.; krit. T. Heydn, SchiedsVZ 2010, 182. 162 BGH, ZZP 126 (2013), 111 (U. Haas); zust. A. Kuhli, SchiedsVZ 2012, 321; zu Recht krit. M. Heese, KTS 2017, 167, 177 ff. 163 Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, No 9.59 ff. 164 So in USA: J. Rosell/H. Prager J.IntArb. 18 (4) (2001), 417, 418 ff. 165 Vgl. N. Preuß, FS Elsing, 2015, 417, 427 ff. 166 Poudret/Besson, Rz. 274 ff. 167 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 3.110 ff. 168 Kosovo-Fall. ICC, Final Award, Case No. 16369, YCA 39 (2014), 169.
1056
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.76 § 18 Schiedsvereinbarungen im Konzernverhältnis, 2011; Ph.-R. Retzbach, Mittelbare Drittwirkungen und subjektive Reichweite der Schiedsvereinbarung, 2020; K. Sachs/T. Niedermaier, Zur Group of Companies Doctrine und der Auslegung der subjektiven Reichweite von Schiedsvereinbarungen – Welches Recht ist anwendbar?, FS Elsing, 2015, S. 475; Salger/Trittmann/Elsing, Internationale Schiedsverfahren (§ 9 Mehrparteienverfahren und Drittbeteiligung), 2019, S. 247; O. Sandrock, Die Erstreckung von Schiedsvereinbarungen auf Staaten, RIW 2012, 9; K. Wörle, Die internationale Effektivität von Schiedsvereinbarungen, 2014, S. 156.
Über die Bindung Dritter an die Schiedsvereinbarung entscheidet das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht.169 Mangels ausdrücklicher Wahl wird als stillschweigend gewähltes Recht auf das Statut des Hauptvertrages, aber auch auf das Recht am Sitz des Schiedsgerichts abgestellt.170 International wird eine Bindung Dritter in fünf Fällen vertreten:171 (1) Der Dritte ist Rechtsnachfolger der Schiedsvertragspartei oder hat in sonstiger Weise alle Pflichten aus dem Schiedsvertrag übernommen. (2) Der Dritte ist ein Konzernunternehmen des Konzerns der Schiedspartei.172 (3) Zwischen Schiedspartei und Dritten besteht eine Geschäftsherr-Stellvertreter-Beziehung.
Der BGH hat etwa eine Bindung des Patentinhabers an eine Schiedsvereinbarung in einer Lizenzvereinbarung, deren Partei er nicht ist, die er aber als Vertreter des Lizenzgebers abgeschlossen hat, erwogen.173 (4) Schiedspartei ist eine juristische Person oder Gesellschaft. Der Dritte ist als Hintermann die eigentliche Geschäftspartei, so dass ein Durchgriff und eine Bindung angemessen erscheint („veil piercing“, „alter ego“).174 (5) Eine Bindung des Dritten entspricht aus sonstigen Gründen der Billigkeit („equitable estoppel“). Das Schweizer Bundesgericht hat etwa die Schiedsbindung eines Dritten (kraft Handelsbrauchs) akzeptiert, der sich in die Ausführung eines Werkvertrages ständig eingemischt hatte.175 Brekoulakis hat diese Fallgruppen kritisiert und möchte Dritte generell bei jeder wirtschaftlichen Nähe zum Schiedsvertrag binden.176 Diese Lösung geht aber wohl zu weit177 und ist bisher von der Praxis nicht übernommen worden. 169 BGH, SchiedsVZ 2019, 354, 355 (Rz. 11); BGH, SchiedsVZ 2014, 151 (dazu R. Schütze, S. 274) = IPRax 2016, 63 (dazu St. Kröll, S. 43); vgl. Poudret/Besson, Rz. 264; ICC Award No 11869, YCA 36 (2011), 47. 170 Vgl. BGH, SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 11, 20 f.). 171 Vgl. ICC, partial award in case no 13774, in YCA 39 (2014), 141, 142. 172 Ablehnend Peterson Farms Inc. v C & M Farming Ltd, [2004] EWHC 121 (Comm.). 173 BGH, SchiedsVZ 2014, 151; dazu R. Schütze, SchiedsVZ 2014, 274; St. Kröll, NJW 2015, 833. 174 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 3.174 ff.; Dallah Real Estate and Tourism Holding Company v The Ministry of Religious Affairs, Government of Pakistan [2010] UKSC 46 (verneint). 175 BGE 129 III 727 (16.10.2003). 176 St. Brekoulakis, Third parties in international commercial arbitration, 2010. 177 P. Gottwald, Zur Bindung Dritter an internationale Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, FS Geimer, 2017, S. 131, 136 f.
1057
18.76
§ 18 Rz. 18.76 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Nach deutschem Recht sind zunächst nur die konkreten Parteien an die Schiedsvereinbarung gebunden, auch deren Rechtsnachfolger (und zwar sowohl nach einer Abtretung178 als nach einem Forderungsübergang kraft Gesetzes)179, aufgrund (tatsächlicher) Firmenfortführung,180 Drittberechtigte aus einem echten Vertrag zugunsten Dritter sowie persönlich haftende Gesellschafter von OHG und KG.181 Gebunden ist auch der Insolvenzverwalter an eine vom Schuldner abgeschlossene Schiedsvereinbarung.182 Eine persönliche Bindung von Stellvertretern, Geschäftsführern, Vorstand oder gar eines Mehrheitsaktionärs wurde bisher abgelehnt.183 Ein bilateraler Investitionsschutzvertrag enthält i.d.R. eine Schiedsvereinbarung zugunsten des jeweiligen Investors.184
18.77 Bürgen, Garanten etc sind nicht an die Schiedsvereinbarung des Hauptschuldners gebunden,185 Konzernunternehmen sind nicht an Schiedsvereinbarungen anderer Konzernunternehmen, sei es der Mutter- oder einer Tochtergesellschaft gebunden.186 Denkbar ist aber, dass ein Vertreter (sinngemäß) mit Vollmacht für mehrere Konzernunternehmen gehandelt hat.187 Auch im Verhältnis Staat und Staatsunternehmen besteht keine gegenseitige Bindung.188 Es gibt aber Entscheidungen, die über equitable estoppel oder alto ego zu einer Bindung des Staates gelangt sind.189
Unbedenklich ist es, einem Dritten im Wege des Vertrags zugunsten Dritter ein Wahlrecht einzuräumen, ob er ein Schiedsgericht oder ein staatliches Gericht anrufen will.190
18.78 Indirekt gebunden ist aber ein Haftpflichtversicherer. Soweit er Personen- oder Sachschäden versichert, auch in Form von Freistellung oder Anspruchsabwehr, muss er auch einen Schiedsspruch gegen sich gelten lassen.191 178 Vgl. BGH, SchiedsVZ 2014, 151; Poudret/Besson, Rz. 284 ff.; Redfern/Hunter, Rz. 2.42, 2.54 f; F., Mohs, S. 38 ff. 179 Poudret/Besson, Rz. 289. 180 KG, BB 2016, 397 (M. Burianski). 181 P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 34; B. Hanotiau, JIntArb 18 (3) (2001), 251, 261; C. Ambrose, J.B.L. 2001, 415; J. Werner, JIntArb 8 (2) (1991), 13; D. Busse, SchiedsVZ 2005, 118; vgl. D. Girsberger in Ferrari/Kröll, S. 379. 182 KG, ZIP 2012, 990; dazu A. Kuhli, SchiedsVZ 2012, 321. 183 B. Hanotiau, JIntArb 18 (3) (2001), 251, 288 ff. 184 Vgl. OLG Frankfurt, IPRax 2013, 83, 87 (dazu Ch. Tietje, S. 64). 185 OLG Frankfurt, IBR 2015, 48. 186 O. Sandrock, Etudes Lalive, 1993, 625; O. Sandrock, Liber amicorum Buxbaum, S. 461; K. P. Berger, International Economic Arbitration, 1993, 159 ff.; anders z.T. französische Gerichte und Schiedsgerichte, s. Dow Chemical France v ISOVER YCA 9 (1984), 131; B. Hanotiau, JIntArb 18 (3) (2001), 251, 280 ff.; Poudret/Besson, Rz. 252 ff.; M. Abdel Wahab, Extension of arbitration agreements, in Ferrari/Kröll, S. 137, 154 ff; vgl. St. Pfisterer, S. 81 ff, 194 ff. 187 Poudret/Besson, Rz. 264; O. Sandrock, Liber amicorum Buxbaum, S. 461, 466 ff. 188 Poudret/Besson, Rz. 266 ff. 189 Vgl. O. Sandrock, RIW 2012, 9. 190 BGH, SchiedsVZ 2019, 354, 356 (Rz. 14 ff.). 191 R. Koch, Schiedsgerichtsvereinbarungen und Haftpflichtversicherungsschutz, SchiedsVZ 2007, 281.
1058
III. Internationale Schiedsvereinbarungen | Rz. 18.83 § 18
Eine Sammelklage (class action) vor einem Schiedsgericht ist nur zulässig, wenn alle Mitglieder der Gruppe durch eine entsprechende Schiedsklausel gebunden sind.192
18.79
10. Mehrparteienschiedsgerichte a) Schrifttum: I. Dore, Theory and Practice of Multiparty Commercial Arbitration, 1990; M. Diesselhorst, Mehrparteienschiedsverfahren, 1994; R. Fiebinger/Ch. Hauser, Mehrparteienschiedsverfahren nach den neuen Wiener Regeln, FS Elsing, 2015, S. 111; J. Frick, Arbitration and Complex International Contracts, 2001; B. Hanotiau, Problems Raised by Complex Arbitrations Involving Multiple Contracts – Parties – Issue – An Analysis, JIntArb. 18 (2001) (3), 251; B. v. Hoffmann, Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit und Internationale Handelskammer, FS Nagel, 1987, S. 112; ICC, Multiparty Arbitration, 2010; B. Macmahon, Multiple Party Actions in International Arbitration, 2009; K. Massuras, Dogmatische Strukturen der Mehrparteien-Schiedsgerichtsbarkeit, 1998; M. Orgel, Class Arbitration, 2014; K.H. Schwab, Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit und Streitgenossenschaft, FS Habscheid, 1989, S. 258; T. Varady, Observation of Group Affiliation (or: Cohabitation with the Impossible) in International Commercial Arbitration, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 745; I. Welser, MehrparteienSchiedsverfahren aus praktischer Sicht: Segen oder Fluch?, FS Elsing, 2015, S. 651.
18.80
b) An Großprojekten ist häufig eine Vielzahl von Unternehmen beteiligt. Treten bei der Ausführung Störungen auf oder zeigen sich nachträglich Mängel, besteht ein erhebliches praktisches Bedürfnis, Schadensursachen, die Verantwortung dafür und den Aufwand zur Beseitigung einheitlich festzustellen; dies gilt sowohl im Verhältnis zwischen Mitschuldnern als in der Gewährleistungs- bzw. Regresskette.193
18.81
Ein einheitliches Schiedsverfahren für oder gegen mehrere Beteiligte kann aber nur stattfinden, wenn alle durch dieselbe Vereinbarung oder durch sachlich identische oder aufeinander Bezug nehmende Vereinbarung gebunden sind oder nachträglich eine Konsolidation bereits anhängiger Verfahren beschließen.194 Eine konkrete, moderne Regelung des Vorgehens bei Mehrparteienverfahren und der Zusammenlegung anhängiger Schiedsverfahren findet sich in Art. 6 (4–7), 7–10 ICC-Rules 2017. Nach deutschem Recht kann das Schiedsgericht verschiedene Schiedsverfahren nicht ohne Zustimmung aller Parteien miteinander verbinden, selbst wenn jeweils der gleiche Spruchkörper zuständig ist. Gegen eine eventuelle parallele bzw. gleichzeitige Verhandlung inhaltlich zusammengehöriger Verfahren bestehen aber keine Bedenken.
18.82
Auch das staatliche Gericht hat nach deutschem Recht keine Befugnis, mehrere Schiedsverfahren vor oder nach Beginn zusammenzulegen.195
18.83
192 US Supreme Court, (27.4.2010, Stolt-Nielsen v Animalfeeds International Corp.) EWiR § 10 FAA 1/10, S. 39 (Th. Vogl). 193 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 237. 194 B. Hanotiau, JIntArb 18 (3) (2001), 251, 299 ff.; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 35 ff.; Poudret/Besson, Rz. 240 ff., 245 ff. 195 Vgl. M. Diesselhorst, Mehrparteienschiedsverfahren, 1994; K. Massuras, Dogmatische Strukturen der Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit, 1998, S. 278 ff.; International Law Association, Complex Arbitrations, Report of the 66th Conference, 1994, S. 689; vgl. auch Th. Nöcker, Mehrparteienschiedsverfahren – Quo vadis?, Festgabe für Sandrock, 1995, 193; K. Lionnet, Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 205 ff. Zum US-Recht s. L. Newman/M. Burrows, V-93 ff.; Th. Carbonneau, in Gottwald, S. 878 f.
1059
§ 18 Rz. 18.84 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
11. Auslegung und Reichweite der Schiedsvereinbarung
18.84 Die Auslegung der Schiedsvereinbarung richtet sich nach dem auf sie anwendbaren Recht.196 Unklarheiten, welches Schiedsgericht vereinbart ist, sind durch Auslegung der Schiedsvereinbarung in Verbindung mit dem Hauptvertrag zu klären.197 18.85 Eine Schiedsvereinbarung ist ein vom Hauptvertrag unabhängiger Vertrag (vgl. § 1040 Abs. 1 2 ZPO). Sie ist im Zweifel weit auszulegen und erfasst nicht nur Ansprüche aus dem Hauptvertrag, sondern auch Streitigkeiten über dessen Gültigkeit oder Ungültigkeit, über die Abwicklung sowie gesetzliche Ansprüche, die mit vertraglichen Ansprüchen konkurrieren.198 Eine allgemein gehaltene Schiedsvereinbarung erfasst auch kartelldeliktsrechtliche Schadensersatzansprüche.199 18.86 Ebenfalls durch Auslegung zu ermitteln ist, ob eine Schiedsvereinbarung, die sich auf Streitigkeiten aus einem bestimmten Vertrag bezieht, auch den Streit aus ergänzenden oder Folgevereinbarungen mit umfasst.200 18.87 Wie andere Dauerschuldverhältnisse kann auch eine internationale Schiedsvereinbarung aus wichtigem Grund gekündigt werden, etwa weil sich die Heimatstaaten der Parteien im Kriegszustand befinden oder vergleichbare Spannungen bestehen, so dass es der einen Partei nicht mehr zumutbar ist, ein Schiedsgericht in dem anderen Staat anzurufen.201 18.88 Zweifelhaft ist, ob sich eine Partei schadensersatzpflichtig macht, wenn sie eine Klage vor einem staatlichen Gericht unter Verstoß gegen eine Schiedsvereinbarung erhebt. Wird die Schiedsvereinbarung lediglich als zuständigkeitsbegründender Prozessvertrag angesehen, scheidet eine Schadensersatzpflicht aus. Wird sie als materiell-rechtlicher Vertrag eingeordnet oder wird ihr eine Doppelnatur zuerkannt, liegt eine Schadensersatzpflicht nahe. Insoweit kommt es auf das Statut der Schiedsvereinbarung an. Nach common law, insb. englischem und US-amerikanischem Recht besteht danach eine Ersatzpflicht. Im deutschen Recht wird zwar trotz der Einordnung als Prozessvertrag anerkannt, dass die Parteien verpflichtet sind, das Schiedsverfahren zu fördern; eine Schadensersatzpflicht wurde bisher aber eher verneint.202 Da der BGH aber mit Urteil v. 17.10.2019203 eine Schadensersatzpflicht bei Verstoß gegen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung auch ohne besondere Vereinbarung anerkannt hat, sollte der Verstoß gegen eine Schiedsvereinbarung dem Grunde nach keine anderen Folgen haben. 196 Poudret/Besson, Rz. 304. 197 OLG München, SchiedsVZ 2012, 159. 198 Münch in MünchKomm/ZPO, § 1029 ZPO Rz. 72; Reithmann/Martiny/Hausmann, 8. Aufl. 2015, Rz. 8.269 f.; vgl. Poudret/Besson, Rz. 305 ff. 199 LG Dortmund, IPRax 2018, 617 (dazu A. Wolf, S. 594). 200 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 308 ff. 201 LG Kassel, NJW 1992, 3107 = IPRax 1993, 240 (dazu W. u.E. Habscheid, S. 219). 202 Münch in MünchKomm/ZPO, § 1029 ZPO Rz. 118; wohl auch Musielak/Voit/Voit, § 1029 Rz. 26; für Ersatzpflicht dagegen Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 Rz. 59; L. Colberg, S. 170 ff., 205 ff., 215 f. 203 BGHZ 223, 269 = RIW 2020, 64.
1060
IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.92 § 18
12. Einseitig eingesetzte Schiedsgerichte Schrifttum: Ch. v. Bary, Schiedsfähigkeit und Bindungswirkung bei einseitigen Schiedsanordnungen im Erbrecht unter Berücksichtigung der internationalen Perspektive, ZEV 2019, 317; M. Beckmann, Statutarische Schiedsklauseln im deutschen Recht und internationalen Kontext, 2007; J. Gleim, Letztwillige Schiedsverfügungen, 2020; U. Haas, Arbitral tribunals not established by agreement, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, S. 618; U. Haas, Beruhen Schiedsabreden in Gesellschaftsverträgen nicht doch auf Vereinbarungen i.S.d. § 1066 ZPO?, SchiedsVZ 2007, 1; U. Haas, Schiedsgerichte in Erbsachen und das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, SchiedsVZ 2011, 289; P. Mankowski, Erbrechtliche Schiedsgerichte in Fällen mit Auslandsbezug und die EuErbVO, ZEV 2014, 395; Schiedsgerichte in Erbsachen, Zürich 2012; A. Stallknecht, Schiedsklauseln in Verfügungen von Todes wegen, RNotZ 2019, 433.
18.89
Schiedsgerichte sind parteiautonom eingesetzte Spruchkörper. Im Regelfall beruht ihre Macht daher auf einer konkreten Parteivereinbarung.
18.90
Statutarische Schiedsklauseln in Satzungen von GmbHs, Aktiengesellschaften, Verbänden etc sind durch den Erwerb der Aktie bzw. den Beitritt zum Verband rechtsgeschäftlich legitimiert und daher Schiedsvereinbarungen, auch i.S.d. UNÜ gleichzustellen.204 Ob eine einseitig vom Erblasser in einem Testament angeordnete Schiedsklausel nicht nur national (s. § 1066 ZPO), sondern auch international im Rahmen des UNÜ bindet, ist zweifelhaft. Für eine Bindung spricht, dass auch im Rahmen des UNÜ eine Bindung Dritter, z.B. bei Ansprüchen aus einem Vertrag zugunsten Dritter anerkannt wird.205
18.91
IV. Das Schiedsverfahrensrecht 1. Schrifttum a) Allgemein: A. Bartels, Bedeutung der Streitverkündung vor dem staatlichen Gericht für das nachfolgende schiedsrichterliche Verfahren, BB 2001, Beiheft 7, S. 20 u TranspR 2002, 19; C. Baudenbacher, The Independence and Impartiality of Arbitrators: Towards General Standards, FS Wegen, 2015, S. 575; A. Bělohlávek, Seat of arbitration and supporting and Supervising Function of Courts, CYArb 5 (2015), 21; A. J. van den Berg, Planning efficient arbitration proceedings – The law applicable in international arbitration, 1996; Ch. Berger, Schiedsrichtervertrag und Insolvenz der Schiedspartei, FS v. Hoffmann, 2011, S. 903; K.P. Berger, Die Aufrechnung im internationalen Schiedsverfahren, RIW 1998, 426 (engl. Fassung in ArbInt 1999, 53); W. v. Bernuth/N. Hoffmann, Nach der Schuldrechtsreform: Verjährungshemmung bei Klagen vor einem ordentlichen Gericht trotz Schiedsklausel, SchiedsVZ 2006, 127; K.-H. Böckstiegel, Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001; X. Bozcobza/Y.-M. Serinet, Les principes du procès équitable dans l’arbitrage international, JDI 139 (2012), 41; Bühler/Dorgan, Witness Testimony Pursuant to the 1999 IBA-Rules of Evidence in International Commercial Arbitration, JIntArb 2000 (1), 3; J. Butchers/Ph. Kimbrough, The
204 Vgl. M. Beckmann, S. 117 ff., 383 ff. 205 Vgl. U. Haas, SchiedsVZ 2011, 289, 291 ff.
1061
18.92
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1062
IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.92 § 18 nale Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Verjährung, 2009; B. Osterthun, Schadensfälle im Schiedsverfahren, 2001; G. Petrochilos, Procedural Law in International Arbitration, 2004; L. Pfister, Schiedsrichterablehnung in internationalen Schiedsverfahren, 2019; P. Pichonnaz/L. Gullifer, Set-off in arbitration and commercial transactions, 2014; D. Poelzig, Die Diskriminierung von Schiedsrichtern durch Schiedsparteien, ZEuP 2012, 955; G. Real, Der Schiedsrichtervertrag, 1983; Th. Ritz, Die Geheimhaltung im Schiedsverfahren nach Schweizerischem Recht, 2007; K. Sachs/T. Lörcher, Conduct of Arbitral Proceedings, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, Chap. V, S. 275; I. Saenger/St. Eberl/W. Eberl, Schiedsverfahren, 2018; L. Sagun, Professional conduct of cousel in international arbitration, 2018; H.-C. Salger/R. Trittmann, Internationale Schiedsverfahren, 2019; O. Sandrock, Die „Terms of Reference“ und die Grenzen ihrer Präklusionswirkung, RIW 24 (1987), 649; O. Sandrock, Zur Prozesskostensicherheit in internationalen Schiedsverfahren, FS Gaul, 1997, S. 607; O. Sandrock, Compound Interest in International Arbitration, Études en l’honneur Poudret, 1999, S. 519; O. Sandrock, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Verjährung nach deutschem Recht, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 671; J. Schäfer, Einführung in die internationale Schiedsgerichtsbarkeit: Welche Verfahrensregeln gelten vor einem internationalen Schiedsgericht?, Jura 2004, 153; M. Schäfer, Die Verträge zur Durchführung des Schiedsverfahrens, 2010; P. Schlosser, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Schiedsrichtern und Mediatoren, FS Schütze, 2015, S. 519; N. Schmidt-Ahrendts/F. Klein, Der richtige Schiedsstandort, in R. Wilhelmi/M. Stürner, Post-M&A-Schiedsverfahren, 2018, S. 165; M. Schneider/J. Knoll, Performance as a remedy: Non-monetary relief in international arbitration, 2011; N. Schoibl, Zur Sicherheitsleistung für Prozesskosten im schiedsgerichtlichen Verfahren, FS Jelinek, 2002, 263; R. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 4. Aufl. 2007; R. Schütze, Die Bedeutung des effektiven Schiedsortes im internationalen Schiedsverfahren, FS v. Hoffmann, 2011, S. 1077; R. Schütze, Die Besetzung eines internationalen Schiedsgerichts und das anwendbare Recht, FS Kaissis, 2012, S. 887; R. Schütze, Die Mehrfachbenennung von Schiedsrichtern als Ablehnungsgrund, FS Simotta, 2012, S. 519; R. Schütze, Der Rücktritt des Schiedsrichters vom Amt, FS Wegen, 2015, S. 751; R. Schütze, Die Verletzung der Offenbarungspflicht im Schiedsverfahren, FS Elsing, 2015, S. 525; R. Schütze, Hemmung der Verjährung durch Schieds- oder Schlichtungsverfahren, RIW 2018, 481; I. Schwytz, Schiedsklauseln und Schiedsrichtervertrag, 3. Aufl. 2000; F.-J. Semler, Die sekundäre Darlegungs- und Beweislast – Ein Instrument zur Steigerung der Effizienz auch von internationalen Schiedsverfahren, FS Schütze, 2015, S. 535; A. Sergeev/ T. Tereshchenko, The Flexibility of Arbitration Procedure, CYArb 2017, 135; T. Varady, Observation of group affiliation (or: cohabitation with the impossible) in international commercial arbitration, Liber amicorum Siehr, 2010, S. 745; V. Veeder, L’indépendance et l’impartialité de l’arbitre dans l’arbitrage international, in Cadiet/Clay/Jeuland, Médiation et arbitrage, 2005, 219; K. Wach, Streitverkündung und Schiedsverfahren, FS Elsing, 2015, S. 611; J. Waincymer, Procedure in international arbitration, 2012; R. Ward, The Flexibility of Evidentary Rules in International Trade Dispute Arbitration, JIntArb 1996 (3), 5; Th. Webster, Obtaining Documents from Adverse Parties in International Arbitration, ArbInt 17 (2001), 41; M. Wilke, Verfahrenseinleitung und Verjährungshemmung in AAA-, DIS- und ICC-Schiedsverfahren, RIW 2007, 189; St. Wilske, Abweichende Meinung zur dissenting opinion in internationalen Schiedsverfahren, FS Schütze, 2015, S. 729; R. Wolff, Streitwertfestsetzung bei wertabhängiger Schiedsrichtervergütung – Schiedsrichter in eigener Sache?, SchiedsVZ 2006, 131; E. Zucconi Galli Fonseca/C. Rasia, Parties‘ and Arbitrators‘ Autonomy in Conduct of Arbitral Proceedings, CYArb 2017, 191. UNCITRAL, Notes on Organizing Arbitral Proceedings, 1996. Dazu: R. Ceccon, UNCITRAL Notes on Organizing Arbitral Proceedings, JIntArb 14 (2) (1995), 67; Ph. Habegger/A. v. Mühlendahl, UNCITRAL Notes on Organizing Arbitral Proceedings, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 207.
1063
§ 18 Rz. 18.92 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit b) Online Arbitration: I. Amro, Online Arbitration in theory and Practice, 2019; J. Antonov, Conduct of Electronic Arbitration, CYArb 2017, 3; G. Herrmann, Some legal E-flections on Online Arbitration („cybitration“), Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 267; A. Kaissis, Die Internet-Schiedsgerichtsbarkeit, in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes vor staatlichen und privaten Gerichten, 2005, S. 219; A. Splittgerber, Online-Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland und den USA, 2003.
2. Ad hoc- oder Institutionelles Schiedsverfahren
18.93 Zweckmäßigerweise legen die Parteien bereits in der Schiedsvereinbarung fest, ob sie ein „institutionelles Schiedsgericht“ oder ein „ad hoc-Schiedsgericht“ bestellen wollen und wie viele Schiedsrichter (einer, drei usf.) den Streit entscheiden sollen. 18.94 Ein „institutionelles Schiedsgericht“ wird administrativ durch eine Schiedsorganisation unterstützt; das Verfahren wird i.d.R. nach der von der Institution bereits gestellten Verfahrensordnung abgewickelt. Zwischen den Parteien und der Schiedsorganisation wird ein Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen.206 Die Institution achtet darauf, dass die eigenen Regeln (Fristen) eingehalten werden. Sie kümmert sich (in unterschiedlichem Umfang) um administrative Fragen, damit das Schiedsgericht an einem bestimmten Ort tätig werden kann. Größte Bedeutung hat insoweit das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris207 mit der Schiedsgerichtsordnung v. 1.1.2012 (i.d.F. v. 1.3.2017) (s. Rz. 18.143). Von größerer Bedeutung208 sind daneben (1) der London Court of International Arbitration (LCIA), (2) das Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC), (3) das Singapore International Arbitration Centre (SIAC), (4) das Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer (SCC), (5) das Dubai International Arbitration Centre (DIAC), (6) das International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) bei der Weltbank,209 das International Center for Dispute Resolution der American Arbitration Association (ICDR/AAA), (7) die Kommission für Wirtschafts- und internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit in China (CIETAC),210
206 Vgl. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 41 f. 207 Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer, 38, Cours Albert 1er, F-75008 Paris. 208 Angaben zum Fallaufkommen der wichtigsten Institutionen bei L. Mistelis, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 363, 365. 209 Vgl. K. Lionnet, S. 245 ff. 210 Vgl. L. Kniprath, Die Schiedsgerichtsbarkeit der Chinese International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC), 2004.
1064
IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.95 § 18
(8)
die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS),211
(9)
das Internationale Schiedsgericht der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft in Wien,212
(10) die Schiedsgerichte der Schweizerischen Handelskammern (von Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano, Neuchâtel und Zürich), (11) das Internationale Handelsschiedsgericht (MKAS) bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation, und (12) das Kuala Lumpur Regional Centre for Arbitration (KLRCA). Hinzuweisen ist auch auf – den Permanent Court of Arbitration in Den Haag (PCA) für Schiedsverfahren mit Beteiligung wenigstens eines Staates, – das Schiedszentrum der WIPO in Genf,213 – den Court of Arbitration for Sport (CAS)214 in Lausanne215, sowie – die Internet Corporation for Assigned Names (ICANN), die ein besonderes Verfahren für Uniform Domain Name Disputes anbietet (s. Rz. 18.111). Schiedsvereinbarungen sind so auszulegen, dass der Parteiwille, die Streitigkeit einem Schiedsgericht zu unterbreiten, nach Möglichkeit respektiert wird. Haben die Parteien daher ein Schiedsgericht einer Institution vereinbart, die es gar nicht gibt, ist der Vertrag als Vereinbarung eines ad hoc-Schiedsgerichts mit Sitz in dem betreffenden Staat auszulegen. 211 DIS, Marienforster Str. 52, 53177 Bonn – Bad Godesberg. 212 Vgl. M. Heider/M. Nueber, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit am Schiedsort Wien, FS Torggler, 2013, S. 451. 213 Vgl. D. Kaboth, Das Schlichtungs- und Schiedsgerichtsverfahren der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), 2000. 214 Vgl. I. Blackshaw, Sport, Mediation and Arbitration, 2009; F. Osthülz, Sportschiedsgerichtsbarkeit, 2005; J. Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, S. 484 ff.; J. Adolphsen, SchiedsVZ 2004, 169; U. Haas, Die Streitbeilegung durch Schiedsgerichte im internationalen Sport, in Gilles/Pfeiffer, Neue Tendenzen im Prozessrecht, 2008, S. 9; U. Haas, Der Court of Arbitration for Sport, ZVglRWiss 114 (2015), 516; J. Hochtritt, Internationale Sportschiedssprüche vor deutschen Gerichten, 2007; M. Pereira Borges, Verbandsgerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit im internationalen Berufsfußball, 2009; A. Rigozzi, L’arbitrage international en matière du sport, 2005; Ch. Weber, Die Sportschiedsgerichtsbarkeit nach dem World Anti-Doping Code, SchiedsVZ 2004, 193; M. Holla, Der Einsatz von Schiedsgerichten im organisierten Sport, 2006; M. Reeb u. J. Nafziger, The Court of Arbitration for Sport, in W. Heere, International law and the Hague’s 750th Anniversary, 1999, S. 233 u. 239; P. Schlosser, Kompentenzfragen in der Sportschiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2015, 257; J. Paulsson, Assessing the Usefulness and Legitimacy of CAS, SchiedsVZ 2015, 263; Schweiz: BG SchiedsVZ 2004, 208 (CAS als Schiedsgericht); W. Seitz, Sportrecht International, FS Heldrich, 2005, S. 1035. Zur Aufhebung eines CAS-Schiedsspruchs s. BG SchiedsVZ 2007, 330 (U. Haas/St. Reiche). 215 Avenue de Beaumont, 2, CH-1012 Lausanne, [email protected].
1065
18.95
§ 18 Rz. 18.96 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.96 Bei einem ad hoc-Schiedsgericht müssen Parteien und Schiedsrichter selbst für die verwaltungsmäßige und verfahrensmäßige Abwicklung sorgen;216 außerdem muss Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass eine Partei oder ein Schiedsrichter seine Mitwirkung verweigert oder verzögert. Notfalls kann dazu das staatliche Gericht zur Vornahme einer Ersatzbestellung angerufen werden (§ 1035 III-V ZPO). Da aber keine Gebühren für eine Schiedsorganisation anfallen, ist das ad hoc Verfahren kostengünstiger. 18.97 In den meisten Ländern muss dazu aber eine Einigung über den Ort des Schiedsverfahrens bzw. über den Sitz, d.h. die Nationalität des Schiedsgerichts vorliegen.217 Als Musterordnung für internationale ad hoc-Schiedsgerichte stehen die UNCITRAL-Rules zur Verfügung (s. Rz. 18.161). Vielfach sind Schiedsorganisationen auch bereit, für ad hocSchiedsgerichte Service-Funktionen zu übernehmen, Schiedsrichter zu ernennen usf. 18.98 Die Parteien können das Verfahren der Schiedsrichterbestellung frei vereinbaren (§ 1035 I ZPO). Ist ein Dreierschiedsgericht vorgesehen, bestellt jede Partei „ihren“ Schiedsrichter; beide bestellen den Vorsitzenden. Verzögert eine Seite die Bestellung ihres Richters oder können sich beide Richter nicht auf einen Vorsitzenden einigen, wird der fehlende auf Antrag vom zuständigen Gericht bestellt (§ 1035 III ZPO). Dies gilt jedoch nicht, wenn ein benannter Schiedsrichter zurücktritt oder von der Gegenseite abgelehnt wird.218 18.99 Manche Organisationen sehen vor, dass parteibenannte Schiedsrichter durch die Organisation bestätigt werden müssen.219 Andere Organisationen sehen stattdessen Listenverfahren vor: Je nach Organisation können die Parteien einen Schiedsrichter nur aus der Liste wählen (so beim CAS) oder die Liste enthält nur einen unverbindlichen Vorschlag von aus Sicht der Organisation geeigneten Kandidaten.220 18.100 Wird das Verfahren von oder gegen Streitgenossen eingeleitet (Mehrparteienverfahren), so muss sich jede Seite auf „ihren“ Richter einigen. Art. 12 (6), (7), (8) ICC Rules 2012 (i.d.F. v. 2017) sieht dies ausdrücklich vor und bestimmt ergänzend, dass der „Schiedsgerichtshof“ notfalls den Schiedsrichter für jede Partei bestellen kann.221 Anders als sec. 1 (7) des englischen Arbitration Act 1996 gibt das deutsche Recht dem staatlichen Gericht nicht die Befugnis, bei fehlender Einigung den Schiedsrichter zu bestellen oder ein Verfahren zur Bestellung festzulegen.222 18.101 Die Schiedsrichter sollen unabhängig von der Art ihrer Bestellung als Spruchkörper zusammenarbeiten.223 Alle Schiedsrichter müssen wie Richter unabhängig sein und können wegen Befangenheit abgelehnt werden (§ 1036 ZPO).224 Damit über mögli216 217 218 219 220 221 222 223 224
Vgl. UNCITRAL, Notes on Organizing Arbitral Proceedings, 1996. Vgl. K. Lionnet, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 477. KG, SchiedsVZ 2008, 200. Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 4.42 ff. Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 4.36 ff. Vgl. B. Hanotiau JIntArb 18 (3) (2001), 251, 241 f.; Poudret/Besson, Rz. 242 ff. P. Schlosser, Neues deutsches Recht, in Gottwald, Revision des EuGVÜ, 2000, S. 163, 167. A. Lowenfeld, International litigation and arbitration, 1993, S. 337/38. Vgl. S. Luttrek, Bias challenges in international commercial arbitration, 2009; S. Elsing, Schiedsrichterliche Unabhängigkeit Vorurteile und Wirklichkeit, SchiedsVZ 2019, 16. Zur Rechtslage in der Schweiz G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 4.96 ff.
1066
IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.102 § 18
che Ablehnungsgründe frühzeitig entschieden werden kann, sieht § 1036 I 1 ZPO vor, dass die als Schiedsrichter ausgewählte Person alle Umstände offenzulegen hat, die Zweifel an ihrer Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können.225 In der Praxis werden vielfach unterschiedlich strenge Anforderungen an parteiernannte Schiedsrichter und den neutralen Vorsitzenden gestellt. Kein Ablehnungsgrund ist es, wenn der parteiernannte Schiedsrichter den anderen Schiedsrichtern (und den Parteien) die Rechtslage nach der ihm vertrauten Rechtsordnung erläutert.226 Kein Ablehnungsgrund ist es, wenn der Schiedsrichter eine Partei vor Jahren punktuell anwaltlich beraten hat227 oder wenn der gleiche Schiedsrichter von einer Partei mehrfach in parallelen Verfahren benannt wird.228 Allgemeine wissenschaftliche Äußerungen mit Bezug auf das konkrete Verfahren sind ein Ablehnungsgrund, allgemeine wissenschaftliche Veröffentlichungen ohne diesen Bezug nur, wenn daraus eine gewisse Festlegung für den konkreten Fall folgt.229 Die Parteien können (vorbehaltlich des § 1037 III ZPO) ein Ablehnungsverfahren vereinbaren (§ 1037 I ZPO).230 3. Bestellung der Schiedsrichter Die Parteien können das gesamte Schiedsverfahren einschließlich der Bestellung der Schiedsrichter frei regeln. Das deutsche Recht sieht im Zweifel ein Dreierschiedsgericht vor (§ 1034 I 2 ZPO). Nach Art. 1450 I CPC können in Frankreich nur natürliche Personen als Schiedsrichter benannt werden. Dies wird jedoch als eine auf die interne französische Schiedsgerichtsbarkeit bezogene Beschränkung angesehen. Sobald die Interessen des internationalen Handels betroffen sind, kann auch eine juristische Person unabhängig von ihrem Sitz und ihrer Nationalität zum Schiedsrichter bestellt werden. Dies soll sogar dann gelten, wenn das französische Verfahrensrecht von den Parteien gewählt wurde.231 Die Parteien können besondere persönliche Anforderungen an ihre Schiedsrichter (Sprache, Religion, Sachkunde) stellen, ohne dass darin ein Verstoß gegen Antidiskriminierungsgesetze liegen würde.232 Kommt eine Partei ihrer Pflicht zur Bestellung eines Schiedsrichters nicht nach, geht die Befugnis zur Bestellung auf die nach den vereinbarten Schiedsregeln zuständige Stelle über;233 fehlt eine solche Vereinbarung, kann das Gericht am Sitz des Schiedsgerichts angerufen werden (s. Rz. 18.98 u. Rz. 18.203).
225 226 227 228 229 230 231 232 233
Vgl. OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2008, 199. A. Lowenfeld, International litigation and arbitration, 1993, S. 337; K. Lionnet, S. 107 ff. OLG Hamburg, SchiedsVZ 2006, 55. R. Schütze, FS Simotta, 2012, S. 519. Vgl. D. Effer-Uhe, Schiedsrichterliche Unabhängigkeit bei wissenschaftlichen Äußerungen, SchiedsVZ 2018, 75. Vgl. OLG Hamburg, SchiedsVZ 2006, 55. Ph. Fouchard, Juris Classeur, Droit international 11, Fasc. 586–7-1, Nr. 13. Vgl. SCUK, (2011)UKSC40 = ZEuP 2012, 955 (D. Poelzig). Vgl. Ch. Kee, The evolving role of an appointing authority, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 301.
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18.102
§ 18 Rz. 18.103 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
4. Schiedsrichtervertrag Schrifttum: Ch. Berger, Schiedsrichtervertrag und Insolvenz der Schiedspartei, FS v. Hoffmann, 2011, S. 903; Ch. Liebscher, Verhaltenskodizes für Schiedsrichter, FS Torggler, 2013, S. 765; R. Schütze, Der Rücktritt des Schiedsrichters vom Amt, FS Wegen, 2015, S. 751; J. Wessing, Die Strafbarkeit des Schiedsrichters, FS Elsing, 2015, S. 671; St. Wilske, Der kränkelnde Schiedsrichter – Eine subtile Guerilla-Taktik mittels eines absichtslos handlenden Werkzeugs, FS Wegen, 2015, S. 793.
18.103 Mit Annahme seines Amtes tritt der Schiedsrichter in ein vertragliches Schuldverhältnis zu beiden Parteien.234 Der Vertrag ist ein besonderer Geschäftsbesorgungsvertrag; er unterliegt dem gewählten Recht (Art. 3 Rom I-VO),235 hilfsweise dem Recht am Sitz des Schiedsgerichts (Art. 4 III Rom I-VO). Die Schiedsrichter sind grds verpflichtet, die schiedsrichterliche Tätigkeit höchstpersönlich auszuüben und u.a. den Schiedsspruch so korrekt abzufassen, dass er vollstreckt werden kann.236 Der Einsatz von Hilfspersonen für klassische Sekretariatsdienste sowie von qualifizierten Fachkräften für Recherchearbeit, aber auch für die weisungsgebundene Erstellung von Beschlussentwürfen ist jedoch zulässig.237 Darüber hinaus sehen institutionelle Schiedsordnungen nicht selten eine gewisse Mitwirkung des „Sekretariats“ bei der endgültigen Abfassung des Schiedsspruchs vor.238 18.104 Wird ein Schiedsrichter abgelehnt, kann er (ohne Anerkennung des Ablehnungsgrundes) zurücktreten (§ 1038 II ZPO) und behält einen der bisherigen Tätigkeit entsprechenden Anspruch auf Teilvergütung.239 Ansonsten darf er nur aus wichtigem Grund kündigen; auch dann behält er einen Anspruch auf Teilvergütung. Kündigt er ohne einen solchen Grund, entfällt sein Vergütungsanspruch, wenn seine bisherige Tätigkeit (wie in der Regel) für die Parteien nutzlos war. 18.105 Bei etwaigen Pflichtverletzungen haftet der Schiedsrichter den Parteien nach dem Vertragsstatut.240 In der Praxis finden sich hier Haftungsbeschränkungen in unterschiedlichem Umfang. Regelmäßig haftet ein Schiedsrichter nur wie ein staatlicher Richter.
234 K.P. Berger, International Economic Arbitration, 1993, S. 232; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 47 f. 235 K.P. Berger, S. 233; K.H. Schwab/G. Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 48 Rz. 3; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 48 (No 27). Für Anknüpfung an das Recht der Schiedsvereinbarung R. Schütze, IZPR, Rz. 521. 236 Vgl. G. Horvath, The Duty of the Tribunal to Render an Enforceable Award, JIntArb 18 (2) (2001), 135. 237 Vgl. J. Stürner, Hilfspersonen im Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2013, 322. 238 Vgl. I. Dinkela, Reining in the secretary, SchiedsVZ 2019, 70. 239 Vgl. R. Schütze, FS Wegen, 2015, S. 751, 752. 240 Vgl. J. Gal, Die Haftung des Schiedsrichters in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 2008; M. Maisner, Liability and independence of the arbitrator, CYArb 2 (2012), 149; K. Pörnbacher/I. Knief, Liability of arbitrators – judicial immunity vs. contractual liability, CYArb 2 (2012), 211; K.-A. Gerstenmaier, Die Haftung des Schiedsrichters, insb. für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, FS Wegen, 2015, S. 643.
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IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.108 § 18
5. Sitz des Schiedsgerichts Die Parteien legen in ihrer Vereinbarung autonom fest, wo das Schiedsgericht seinen Sitz haben soll (§ 1043 I 1 ZPO). Mit dieser Vereinbarung wird mittelbar festgelegt,
18.106
– welches Recht mangels Vereinbarung auf die Schiedsvereinbarung, – aber auch in der Sache selbst anzuwenden ist, – welches Gericht während des Verfahrens um Hilfe angerufen werden kann, – welche Nationalität der spätere Schiedsspruch hat, d.h. in welchem Staat er angefochten, aufgehoben oder für nichtig erklärt werden und – in welchen Ländern sich der Beklagte nur gegen seine Vollstreckung wehren kann.241 Haben die Parteien den Sitz auch nicht mittelbar durch den Auftrag an eine Schiedsorganisation bestimmt, so wird der Sitz vom Schiedsgericht nach billigem Ermessen festgelegt (§ 1043 I 2, 3 ZPO). Haben die Parteien nur den Sitzstaat, aber keinen Ort festgelegt, ist von einem Sitz in der Landeshauptstadt auszugehen.242 Durch Änderung des Schiedsvertrags können die Parteien den Sitz des Schiedsgerichts nachträglich verlegen; das Schiedsgericht selbst ist dazu nicht befugt.243
18.107
In Sonderfällen ist die Wahl des Schiedsortes jedoch gesetzlich eingeschränkt. Nach Art. 34 I MÜ bzw. Art. 32 Satz 2 WA sind Schiedsklauseln in Luftbeförderungsverträgen zwar zulässig, doch muss das Verfahren in einem der in Art. 33 MÜ bzw. in Art. 28 I WA bezeichneten Gerichtsstände (s. Rz. 3.414, 3.417) stattfinden. 6. Verfahren vor dem Schiedsgericht Die Parteien können das Schiedsverfahrensrecht frei bestimmen (§ 1042 III ZPO);244 in der Vereinbarung eines institutionellen Schiedsgerichts liegt in der Regel auch das Einverständnis mit der Schiedsordnung der Institution. Haben die Parteien eines ad hoc-Schiedsgerichts nichts Konkretes vereinbart, bestimmt das Schiedsgericht selbst (von Fall zu Fall) sein Verfahren nach billigem Ermessen (§ 1042 IV ZPO). Alle Rechtsordnungen verlangen lediglich, dass die Parteien prozessual gleichbehandelt und ihnen rechtliches Gehör gewährt wird (§ 1042 I ZPO). Verstöße führen zur Aufhebung bzw. Nichtanerkennung des Schiedsspruchs (s. Rz. 18.257, 18.266).
241 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 2.23 ff.; L. Mistelis, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 363; R. Schütze, Hemmung der Verjährung durch Schieds- oder Schlichtungsverfahren, RIW 2018, 481. 242 P. Schlosser in Gottwald, S. 163, 201. 243 Vgl. P. Lalive, On the transfer of seat in international arbitration, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, 515. 244 Vgl. K. Lionnet, S. 137 ff.; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 54 ff.
1069
18.108
§ 18 Rz. 18.109 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.109 Das Verfahren ist i.d.R. nicht öffentlich, so dass die Beteiligten darüber ein gewisses Maß an Vertraulichkeit zu wahren haben.245 Eine strikte Verschwiegenheitspflicht gegenüber Dritten muss aber besonders vereinbart werden.246 Das Ausmaß der Vertraulichkeit richtet sich nach h.M. nach der lex fori des Schiedsgerichts,247 nach anderen nach dem Recht am Kanzleisitz des jeweiligen Parteivertreters.248 Zu beachten ist der in den jeweiligen Staaten geltende Datenschutz, z.B. nach der DS-GVO.249 18.110 Die Verfahrenssprache kann frei vereinbart werden. 18.111 Im Schiedsverfahren können sich die Parteien durch Bevollmächtigte ihrer Wahl vertreten lassen. Die nationalen Zulassungsvoraussetzungen für Anwälte vor staatlichen Gerichten gelten nicht für Schiedsgerichte. Nach § 1040 II ZPO dürfen Rechtsanwälte nicht als Bevollmächtigte ausgeschlossen werden. Nach nahezu allgemeiner Ansicht dürfen ausländische Rechtsanwälte in Deutschland uneingeschränkt vor Schiedsgerichten auftreten.250 18.112 Ein verbindlicher Code of ethics für Anwälte in internationalen Schiedsverfahren besteht nicht. Doch hat die International Bar Association am 25.5.2013 „Guidelines on Party Representation in International Arbitration“ erlassen, die Vorschläge für standesgemäßes Verhalten („best practice“) in einigen wichtigen Fällen unterbreiten.251 18.113 Das bestimmte Verfahrensrecht entscheidet darüber, in welcher Form die Schiedsklage zu erheben ist. Nach § 1044 ZPO beginnt das Schiedsverfahren über eine bestimmte Streitigkeit an dem Tag, an dem der Beklagte den Antrag, die Streitigkeit einem Schiedsgericht vorzulegen, empfangen hat. Dieser Antrag muss lediglich die Bezeichnung der Parteien, die Angabe des Streitgegenstandes und einen Hinweis auf 245 Vgl. J. Risse/M. Oehm, ZVglRWiss 114 (2015), 407; J. Geiben, Privatsphäre, passim; R. Oldenstam/J. von Pachelbel SchiedsVZ 2006, 31; Misra/Jordans JIntArb 23 (2006) (1), 39; J. Soneureanu, Confidentiality in International Commercial arbitration, 2011; M. Hwang/ N. Thio, A proposed Model Procedural Order on Confidentiality in International Arbitration, JIntArb 29 (2012), 137; Ch. Leisinger, Vertraulichkeit in internationalen Schiedsverfahren, 2012; J. Sawang, Geheimhaltung und rechtliches Gehör im Schiedsverfahren nach deutschem Recht, 2010. 246 H. Prütting, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 629, 632 ff.; P. Nacimiento, Abschied von der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren?, BB 2001, Beilage 6, S. 7; H. Bagner, Confidentiality – A Fundamental Principle?, JIntArb 18 (2) (2001), 245; W. Kühn/U. Gantenberg, FS Schlosser, S. 461. 247 Vgl. H. Kronke, FS Elsing, 2015, 293, 297. 248 So R. Magnus, Der Schutz der Vertraulichkeit bei grenzüberschreitender Anwaltstätigkeit, RabelsZ 77 (2013), 111, 119 ff. 249 Salger/Trittmann/S. Müller, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 4; G. Fritz/D. Prantl/N. Leinwather/M. Hofer, SchiedsVZ 2019, 301. 250 A.A. M. Kilian, FS Prütting, 2018, S. 855 (keine Erlaubnis nach § 3 RDG). 251 Vgl. J.-Ch. Honlet, The IBA Guidelines on Party Representation in International Arbitration, JIntArb 30 (2013), 701; K. Faulhaber/I. Johnson, The IBA Giudelines on Party Representation in International Arbitration, FS Elsing, 2015, S. 97; L. Sagun, Professional conduct of cousel in international arbitration, 2018; Salger/Trittmann/Wilske, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 29.
1070
IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.118 § 18
die Schiedsvereinbarung enthalten. Zustellungs- und Übersetzungserfordernisse bestehen grds nicht. Doch können die Parteien anderes vereinbaren. Nach vielen Schiedsordnungen muss der Kläger etwa gleichzeitig einen Schiedsrichter ernennen oder zur Bestätigung vorschlagen.252 Nach Art. 23 ICC-Rules hat das Schiedsgericht nach Übermittlung der Akten durch das Sekretariat eine Art detaillierten Arbeitsplan, ein sog. Terms of Reference aufzustellen, in dem der Gegenstand des Verfahrens, soweit möglich auch die zu entscheidenden Fragen, festgehalten werden.253 Dieses Dokument ist von den Parteien und den Schiedsrichtern zu unterschreiben und innerhalb von 30 Tagen nach Übermittlung der Akten dem „Court“ vorzulegen. Verweigert eine Partei die Unterschrift muss der „Court“ die Terms of Reference billigen. Erst danach geht das Schiedsverfahren weiter. Neue Klagen, die nicht von den Terms of Reference erfasst sind, können im laufenden Verfahren nur noch mit Zustimmung des Schiedsgerichts erhoben werden (Art. 23 (4) ICC-Rules).
18.114
Der Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens, auch vor einem ausländischen Schiedsgericht hemmt die Verjährung des Anspruchs (§ 204 I Nr. 11 BGB).254 Müssen zuerst Schiedsrichter bestellt werden, wird die Verjährung dadurch gehemmt, dass der Schiedskläger das dazu seinerseits Erforderliche getan hat.
18.115
Auch die Klage vor dem staatlichen Gericht hemmt die Verjährung, selbst wenn die Parteien eigentlich die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbart haben.255 Die Anhängigkeit eines Schiedsverfahrens sollte dieselben Sperrwirkungen gegenüber einem weiteren Schiedsverfahren haben wie bei parallelen Verfahren vor staatlichen Gerichten.256
18.116
Eine Streitverkündung mit Interventionswirkung (§§ 74, 68 ZPO) vor dem staatlichen Gericht ist vom Schiedsgericht in einem nachfolgenden Schiedsverfahren grds zu beachten.257 Das Schiedsgericht kann Dritte zum Verfahren beiladen und eine Streitverkündung im Schiedsverfahren mit Zustimmung der Parteien zulassen. Wirkungen gegen den Dritten haben solche Akte aber nur, wenn der Dritte Partei der Schiedsvereinbarung ist258 (s. Rz. 18.75 ff., 18.81 ff.). Eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage gegen einen nicht durch Schiedsvereinbarung gebundenen Dritten (analog Art. 8 Nr. 2 EuGVO n.F.) ist nicht möglich.
18.117
Nach der Vereinbarung der Parteien (bzw. der vereinbarten Schiedsordnung), hilfsweise nach dem Recht am Schiedsort richtet es sich, ob und in welcher Weise das
18.118
252 P. Schlosser, Neues deutsches Recht, in Gottwald, Reform des EuGVÜ, 2000, S. 163, 172. 253 Poudret/Besson, Rz. 575; Muster in G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, S. 286 ff. 254 Vgl. O. Sandrock, Liber amicorum Böckstiegel, S. 671; G. Hauck, „Schiedshängigkeit“ und Verjährungsunterbrechung nach § 220 BGB, 1996; M. Wilke, RIW 2007, 189; R. Schütze, RIW 2018, 481. 255 Vgl. W. von Bernuth/N. Hoffmann, SchiedsVZ 2006, 127. 256 H.-P. Mansel, FS Kühne, 2009, S. 809. 257 A. Bartels, BB 2001, Beiheft 7, S. 20 ff. 258 Vgl. P. Schlosser, FS Geimer, 2002, S. 947; K. Wach, FS Elsing, 2015, S. 611.
1071
§ 18 Rz. 18.118 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Schiedsgericht eine mündliche oder schriftliche Verhandlung abhalten muss. Danach richtet es sich auch, in welcher Weise ein Protokoll über eine mündliche Verhandlung erstellt werden muss.259 Eine mündliche Verhandlung muss nicht an dem vereinbarten Schiedsort stattfinden, sondern kann an jedem praktisch geeigneten Ort (nach Abstimmung mit den Parteien) abgehalten werden.260
18.119 Nach den vereinbarten Verfahrensregeln richtet sich auch, welche Folgen die Säumnis einer Partei (keine schriftliche Äußerung; Nichterscheinen in mündlicher Verhandlung) hat. Im Allgemeinen kann die säumige Partei das Verfahren nicht blockieren. Das Schiedsgericht kann vielmehr einseitig weiter verhandeln und auf der dadurch ermittelten Grundlage einen Versäumnis-Schiedsspruch erlassen.261 18.120 Eine Widerklage vor dem Schiedsgericht setzt voraus, dass hinsichtlich der Widerklageforderung ebenfalls eine entsprechende Schiedsvereinbarung vorliegt, andernfalls ist der Schiedsspruch aufhebbar (§ 1059 II lit. c ZPO) bzw. wird nicht anerkannt (§ 1061 I ZPO i.V.m. Art. V Abs. 1 lit. c UNÜ). Eine rügelose Einlassung genügt.262 Eine Widerklage gegen einen Dritten kann im Schiedsverfahren nur erhoben werden, wenn dieser an die Schiedsvereinbarung gebunden ist (s. Rz. 18.75 ff., 18.81 ff.) oder alle Beteiligten damit nachträglich einverstanden sind. Das Einverständnis der bisherigen Parteien kann sich auch mittelbar aus der Wahl einer Schiedsordnung ergeben, die eine Widerklage gegen Dritte zulässt.263 18.121 Eine Aufrechnung mit einer Gegenforderung, für die keine Schiedsvereinbarung besteht, ist ähnlich zu behandeln. Eine Schiedsvereinbarung hat kein Verbot einer Aufrechnung zum Inhalt. Wird im Schiedsverfahren aber mit einer Gegenforderung aufgerechnet, die vor den staatlichen Gerichten eingeklagt ist oder einzuklagen wäre, soll der Schiedsbeklagte prozessual gehindert sein, das Erlöschen der Forderung aufgrund einer streitigen Gegenforderung vorzutragen. Erst nachträglich soll er den Aufrechnungseinwand mittels Vollstreckungsabwehrklage geltend machen können.264 18.122 Etwas anderes gilt aber, wenn die lex arbitri eine sachliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts über die Aufrechnungsforderung begründet, auch wenn für diese keine Schiedsvereinbarung besteht, wie dies nach Art. 377 I schweiz. ZPO der Fall ist.265 259 Vgl. J. Stürner, Das Protokoll im Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2018, 299. Zum einsatz eines court reporter s. Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 11 Rz. 41 ff. 260 Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 11 Rz. 31 ff. 261 Vgl. J. Butchers/Ph. Kimbrough, ArbInt 22 (2006), 233; W. Kühn, Defaulting parties and default awards in international arbitration, FS Wegen, 2015, S. 691; N. Kessler, Säumnis und Verspätung im Schiedsverfahren, FS Elsing, 2015, S. 235. 262 Vgl. Ch. Koller, S. 239 ff. 263 Vgl. J. Kleinschmidt, SchiedsVZ 2006, 142; Ch. Koller, S. 259 ff. 264 Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 Rz. 31; vgl. Münch in MünchKomm/ZPO, § 1046 ZPO Rz. 36; Ch. Zimmerli, Die Verrechnung im Zivilprozess und in der Schiedsgerichtsbarkeit, 2003. Zur Aufrechnung nach Art. 19 ICC-SchO s. U. Haas, FS Kaissis, 2012, S. 949. 265 Vgl. T. Göksu, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 385, 391.
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IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.126 § 18
Die Berufung vor dem Schiedsgericht auf ein Zurückbehaltungsrecht, das auf einer streitigen Forderung beruht, die vor einem staatlichen Gericht einzuklagen wäre, soll ebenfalls grundsätzlich zulässig sein.266
18.123
7. Kostenvorschuss, Sicherheitsleistung Schrifttum: S. Elsing, Zur Anordnung einer Kostensicherheit in internationalen Schiedsverfahren, FS Schütze, 2015, S. 69; F. v. Schlabrendorff, The Arbitral Tribunal’s Authority to Order Security for Underlying Claims: Some Observations on How (Not) to Exercise It, FS Elsing, 2015, 493.
Die meisten Schiedsordnungen sehen vor, dass das Schiedsgericht die voraussichtlichen Gesamtkosten des Verfahrens per Kostenvorschuss zu gleichen Teilen von beiden Schiedsparteien einfordern kann.267 Diese Befugnis besteht auch ohne ausdrückliche Regelung (analog § 110 ZPO).268 Werden die Vorschüsse nicht fristgerecht bezahlt, kann das Schiedsgericht seine Tätigkeit unterbrechen bzw. (vorläufig) einstellen. Kann das Schiedsverfahren wegen Mittellosigkeit einer Partei nicht durchgeführt werden, so entfällt nach deutschem Recht die Bindung an die Schiedsvereinbarung.269
18.124
Dagegen kann der Schiedsbeklagte ohne besondere Vereinbarung keine Sicherheitsleistung (entspr § 110 ZPO) für seine eigenen Prozesskosten verlangen.270 Manche wollen ihm dieses Recht immerhin bei nachträglicher Verschlechterung der finanziellen Lage des Schiedsklägers zubilligen.
18.125
Andere wollen dem Schiedsgericht über § 1041 I ZPO die Befugnis geben, Sicherheitsleistung „soweit erforderlich“, d.h. auch für die Hauptsache als sichernde Maßnahme anzuordnen.271 8. Tatsachenfeststellung – Beweisverfahren Schrifttum: St. Angoura, Written witness statements in international commercial arbitration, Int.A.L.R. 2017, 106; K.-H. Böckstiegel, Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001; R. Bradshaw, How to obtain evidence from third parties: a comparative view, JIntArb 36 (2019), 629; M. Burianski/M. Reindl, Truth or dare? The conflict between E-discovery in internatonal arbitration and German data protection rules, SchiedsVZ 2010, 187; W. Eberl, Beweis im Schiedsverfahren, 2014; S. Elsing, Internationale Schiedsgerichte als Mittler zwischen den prozessualen Rechtskulturen, BB 2002, IDR-Beil, S. 19; A. Fabbi, La prova nell’arbitrato internazionale, 2014; T. Giovannini/A. Mourre, Written evidence and Discovery in In266 Vgl. W. Junge, S. 186 ff. 267 Vgl. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 91 f. Zur Anforderung getrennter Vorschüsse bei Klage und Widerklage s. M. Mack, SchiedsVZ 2006, 36. 268 K. Haase, BB 1995, 1252; P. Karrer/M. Desax, Liber amicorum Böckstiegel, S. 339, 343 ff.; K .H. Schwab/G. Walter, 7. Aufl. 2005, Kap. 12 Rz. 16. 269 BGHZ 145, 116 = NJW 2000, 3720; krit. R. Schütze, FS Schlosser, S. 867. 270 A.A. R. Schütze in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes, 2005, S. 169, 190; K. Haase, BB 1995, 1252; anders auch für Österreich: N. Schoibl, FS Jelinek, 2002, 263. 271 O. Sandrock, JIntArb 14 (1) (1997), 17, 30, 36; O. Sandrock, FS Gaul, 1997, S. 607, 624, 644. Eher ablehnend F. v. Schlabrendorff, FS Elsing, 2015, S. 493.
1073
18.126
§ 18 Rz. 18.126 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit ternational Arbitration, 2009; O. Glossner/H. Raeschke-Kessler, The preamble of the IBA Rules of evidence, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 503; S. Greenberg/F. Lautenschlager, Adverse inferences in international arbitral practice, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 179; ICC, Written evidence and discovery in international arbitration, 2009; St. Knoblach, Sachverhaltsermittlung in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, 2003; C. Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007; R. Kreindler, Praktiken und Verfahren im Hinblick auf die Beweisführung in internationalen Schiedsverfahren, ZVglRWiss 114 (2015), 431; R. Kreindler, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und die Beweisführung: Herausforderungen und zukünftige Ansätze, FS Elsing, 2015, S. 277; A. Meier, The production of electronically stored information in international commercial arbitration, SchiedsVZ 2008, 179; N. O’Malley, Rules of evidence in international arbitration, 2011; S. Patti, Burden of Proof in International Arbitration, CYArb 2017, 101; W. Peter, Party-appointed expert witnesses v. tribunal-appointed experts: Is there a best practice in international arbitration?, FS Wegen, 2015, S. 719; R. Pietrowski, Evidence in International Arbitration, ArbInt 22 (2006), 373; C. Proske, Expert wirtness conferncing in Schiedsverfahren, 2019; H. RaeschkeKessler, The production of documents in international arbitration, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 641; A. Reeg, The preparation of witnesses in international arbitration – The need for an active role of the tribunal, FS Wegen, 2015, S. 733; A. Rombach/H. Shalbanava, The Prague Rules: A new era of procedure in arbitration or much ado about nothing?, SchiedsVZ 2019, 53; M. Roth, False testimony at international arbitration hearings, JIntArb 11 (1) (1994), 5; K. Sachs/T. Niedermaier, Die Durchsetzung von Document Production Orders in internationalen Schiedsverfahren, ZVglRWiss 114 (2015), 449; H.-C. Salger/R. Trittmann, Internationale Schiedsverfahren (§ 10 Verfahren bis zur mündlichen Verhandlung, V-XII; § 13 Die Beweisaufnahme), 2019, S. 275 u. 349; E. Samaras/Ch. Strasser, Managing Party-Appointed Experts in International Arbitration, SchiedsVZ 2013, 314; F. Schäffler, Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit der Anwendung angloamerikanischer Beweisverfahren in Schiedsverfahren, 2003; P. Schlosser, Der Privatvertrag mit Zeugen und Forumexperten, RIW 2005, 81; R. Schütze, Die Ermessensgrenzen des Schiedsgerichts bei der Bestimmung der Beweisregeln, SchiedsVZ 2006, 1; R. Schütze, Die Bestimmung des schiedsrichterlichen Verfahrens, insb. bei Anwendung dem deutschen Prozessrecht unbekannter Beweisformen, SchiedsVZ 2018, 101; F.-J. Semler, Die sekundäre Darlegungs- und Beweislast – Ein Instrument zur Steigerung der Effizienz auch von internationalen Schiedsverfahren, 2015, S. 535; P. Shaughnessy, Dealing with Privileges in International Commercial Arbitration, Scandinavian Studies in Law 51 (2007), 451; R. Thümmel, Zu Wert und Unwert von Written Witness Statements, FS Elsing, 2015, S. 551; J. Tief, Discovery und Informationspflichten der Parteien in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2000; V. Triebel/J. Zons, Discovery of Documents in internationalen Schiedsverfahren – Theorie und Praxis, IDR 2002, 26; V. Triebel/J. Zons, Die Befragung von Zeugen vor dem Hearing in internationalen Schiedsverfahren, IDR 2004, 5; R. Trittmann, Einschränkung der Ermittlung des Sachverhalts und der Beweiswürdigung des Schiedsrichters durch Parteivereinbarung gem. § 1042 Abs. 3 ZPO?, FS Elsing, 2015, S. 571; R. Trittmann, Das Zusammenspiel von Prozessrecht und materiellem Recht im internationalen Schiedsverfahren, in 100 Jahre Rehtswissenschaft in Frankfurt, 2014, S. 605; R. Trittmann, The interplay between procedural and substantive law in international arbitration, SchiedsVZ 2016, 7; I. Varga, Die Anknüpfung von „legal professional privileges“ in internationalen Schiedsverfahren, Liber amicorum Rauscher, 2005, S. 169; I. Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006; J. Waincymer, Procedure and evidence in international arbitration, 2012; G. Wegen, Witness Conferencing Revisited, FS Schütze, 2015, S. 691; St. Wilske/T. Fox, Corruption in international arbitration and problems with standard of proof, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 489; E. Wyraz, The Differences in the Use of Expert Witness Evidence between International Arbitration and Litigation, CArb 2017, 171; V. Wong, Beweisaufnahme im Schiedsverfahren: Unterstützung durch staatliche Gerichte, FS Torggler, 2013, S. 1385.
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IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.127 § 18
Das Beweisverfahren in internationalen Schiedsverfahren richtet sich nach der von den Parteien vereinbarten Verfahrensordnung. Zwingende Regeln am Sitz des Schiedsgerichts sind zu beachten (vgl. § 1042 III ZPO). Soweit keine Vorgaben bestehen, kann das Schiedsgericht zumeist selbst Beweisregeln nach eigenem Ermessen bestimmen (vgl. § 1042 IV ZPO). Ein Missbrauch kann aber einen Aufhebungsgrund für den Schiedsspruch (§ 1059 II Nr. 1 d ZPO) bilden.272 In internationalen Fällen ist dann entscheidend, ob das Beweisverfahren von den Schiedsrichtern oder von den Parteien dominiert wird.273 Die IBA-Rules über die Beweisaufnahme in internationalen Schiedsverfahren v. 1.6.1999 versuchen, zwischen diesen Polen zu vermitteln und einen internationalen Verfahrensstandard festzuschreiben.274 Zum 29.5.2010 hat die IBA eine revidierte Fassung dieser Beweisregeln verabschiedet.275 Die neuen Prague Rules (on the Efficient Conduct of evidence in international arbitration) v. 14.12.2018 versuchen, die Leitung der Beweisaufnahme stärker auf das Schiedsgericht zu verlagern.276 Auch die UNCITRAL Notes on Organizing Arbitral Proceedings (vom März 2012) enthalten unter Nr. 48 bis 73 Empfehlungen für das Vorgehen bei Beweisaufnahmen in internationalen Fällen. Schon aus praktischen Gründen wird sich ein Schiedsgericht (abweichend vom deutschen Recht) oft mit schriftlichen Zeugenaussagen begnügen.277 Nach Art. 4 (4) IBA Rules kann das Schiedsgericht jeder Partei aufgeben, eine schriftliche Aussage jedes Zeugen vorzulegen, auf dessen Zeugnis sie sich stützt.278 Werden Zeugen real angehört, werden sie von den Parteien befragt, aber unter der Kontrolle des Schiedsgerichts, das jederzeit eigene Fragen stellen kann.279 Zeugnisverweigerungsrechte sollten nicht nach der lex fori des Schiedsgerichts, sondern bereits gewährt werden, wenn dies den berechtigten Erwartungen der Parteien entspricht. Abzustellen ist analog Art. 4 III Rom I-VO darauf, mit welcher Rechtsordnung der Zeuge bzw. die Beweisfrage die engste Verbindung hat.280 272 R. Schütze, SchiedsVZ 2006, 1, 5. 273 Vgl. K.-H. Böckstiegel (Hrsg), Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 68 ff. 274 Vgl. H. Raeschke-Kessler, in Böckstiegel, Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001, S. 41; H. Raeschke-Kessler in Gottwald, Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht, 1999, S. 211; H. Raeschke-Kessler, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 641. 275 Vgl. J. Risse/H. Haller, Die „IBA-Regeln“ zur Beweisaufnahme in der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, in Eberl, Beweis im Schiedsverfahren, 2014, § 5, S. 115; R. Trittmann, 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, 2014, S. 605, 616 ff.; K. Pörnbacher/A. Loos/S. Baur, BB 2011, 711, 713. Zur vollständigen Kommentierung s. T. Zuberbühler/D. Hofmann/Ch. Oetker/Th. Rohner, IBA Rules of Evidence, 2012. Beispiel für eine praktische Handhabung bei G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 6.73 ff. 276 Vgl. A. Rombach/H. Shalbanava, SchiedsVZ 2019, 53; K.P. Berger, Common Law v Civil Law in international arbitration, J.Int.Arb. 36 (2019), 295. 277 Vgl. St. Angoura, Int.A.L.R. 2017, 106; Salger/Trittmann/Wittinghofer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 13 Rz. 31 ff. 278 Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 22.66. 279 M. Bühler in Böckstiegel (Hrsg), Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, 2001, S. 94, 98; V. Triebel/J. Zons, IDR 2004, 5. 280 Vgl. R. Mosk/T. Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345, 367 ff.; I. Varga, Liber amicorum Rauscher, S. 169.
1075
18.127
§ 18 Rz. 18.128 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.128 Ob ein Sachverständiger von der Partei oder vom Schiedsgericht zu bestellen ist, richtet sich nach der vereinbarten Verfahrensordnung. International ist eher die Bestellung durch eine Partei der Regelfall.281 Nach Art. 26 UNCITRAL Model Law und Art. 6 IBA Rules kann das Schiedsgericht einen oder mehrere Sachverständige ernennen.282 18.129 Ggf. kann gem. 28 UC § 1782 auch ein discovery-Verfahren nach US-Recht zugunsten eines Schiedsverfahrens beantragt werden.283 9. Vergleichsbemühungen
18.130 Ob ein Schiedsgericht selbst Vergleichsvorschläge machen darf, hängt wiederum von der vereinbarten Verfahrensordnung bzw. den konkludenten Erwartungen der Parteien ab. Grob gesprochen sind Vergleichsvorschläge im common law Rechtskreis unzulässig, während es im Civil Law Rechtskreis durchaus üblich ist, vor einer Beweisaufnahme Erfolgaussichten bzw. Risiken mit den Parteien zu erörtern und Vergleichsvorschläge zu unterbreiten.284 10. Beschlussfassung, Abfassung eines Schiedsspruchs Schrifttum: M. Escher, Die Dissenting Opinion im deutschen Handelsschiedsverfahren – Fear of the Unknown, SchiedsVZ 2018, 219; R. Schütze, Dissenting opinions im Schiedsverfahren, FS Nakamura, 1996, S. 525; H. Schumacher, Die Alleinentscheidung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts, FS Torggler, 2013, S. 1129; St. Wilske, Abweichende Meinung zur dissenting opinion in internationalen Schiedsverfahren, FS Schütze, 2015, S. 729.
18.131 Das Recht am Sitz des Schiedsgerichts, ergänzt durch die vereinbarte Verfahrensordnung, legen fest, welche Anforderungen an die Beschlussfassung, Abfassung und Begründung eines Schiedsspruchs zu stellen sind.285 Nach deutschem Recht ist ein Einheitsschiedspruch zu verfassen (§ 1054 ZPO); ein überstimmter Schiedsrichter darf ohne besondere Ermächtigung den Parteien kein dissenting opinion bekanntgeben.286 Nach Schweizer Recht darf dem Schiedsspruch ein dissenting opinion beigefügt werden, wenn das Schiedsgericht dem mit Mehrheit zustimmt.287 18.132 Ein Schiedsrichterkollegium kann meist, auch nach deutschem Recht mit Stimmenmehrheit entscheiden (§ 1052 I ZPO). Verweigert ein Schiedsrichter, der mit seiner Ansicht zu unterliegen droht, die (weitere) Mitwirkung an der Abstimmung und die Unterzeichnung des Schiedsspruches, so kann ohne ihn entschieden werden (§ 1052 281 Salger/Trittmann/Wittinghofer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 13 Rz. 57 ff.; Salger/Trittmann/Sachs/Schwalb/Peiffer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 19 Rz. 44 ff. 282 Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 22.86 ff. 283 Salger/Trittmann/Kreindler/Nettlau, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 14. 284 Eingehend Salger/Trittmann/Reeg, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 18. 285 Vgl. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 72 ff. 286 Vgl. H.P. Westermann, FS Kerameus, 2009, S. 1571; R. Schütze FS Nakamura, 1996, S. 526; a.A. St. Wilske, FS Schütze, 2015, S. 729. 287 G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 7.163.
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IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.135 § 18
II ZPO). Der Grund hierfür ist in dem Schiedsspruch anzugeben. Diese pragmatische Lösung entspricht dem UNCITRAL Model Law (vgl. Art. 29 Satz 1; 31 I 2 UNCITRAL-ML).288 Vorrangig ist freilich die Regelung der vereinbarten Schiedsordnung zu beachten. Können sich die verbleibenden Schiedsrichter nicht einigen, sehen etwa Art. 32 ICC-SchO und Art. 14 DIS-SchO vor, dass der Vorsitzende allein entscheidet.289 Nach Art. 34 ICC-SchO darf das Schiedsgericht einen Schiedsspruch erst erlassen, nachdem er durch das Sekretariat des ICC-Gerichtshofs geprüft und frei gegeben wurde.290
18.133
11. Kosten des Schiedsverfahrens Schrifttum: Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 26; R. Schütze, Streitwertfestsetzung durch das Schiedsgericht und andere Probleme des Schiedsrichterhonorars, FS Torggler, 2013, S. 1105.
Inwieweit Parteikosten, insb. die Kosten der anwaltlichen Parteivertreter überhaupt zu erstatten sind, richtet sich nach der Schiedsvereinbarung, hilfsweise nach der lex fori des Schiedsgerichts. Nach deutschem Recht kann das Schiedsgericht in dem Schiedsspruch auch die Kostentragungspflicht zwischen den Parteien festlegen (§ 1057 I ZPO).291 Im Zweifel wird sich das Schiedsgericht an den §§ 91 ff. orientieren, kann aber davon abweichen.292 In welchem Umfang Anwaltskosten zu erstatten sind, richtet sich ebenfalls nach der Parteivereinbarung. Im Zweifel sind nach § 1057 I 1 ZPO die notwendigen Kosten, nach anderen Rechtsordnungen die „angemessenen Kosten“ zu erstatten. Ob deutsche Anwälte danach nur nach dem RVG oder auch nach einer Stundenhonorarvereinbarung abrechnen können, ist zwar streitig.293 In der Praxis wird nach vereinbarten Stundensätzen abgerechnet.294 Ein ausländischer Anwalt kann im Zweifel entsprechend dem Recht an seinem Kanzleisitz abrechnen. Ob dies auch für ein Erfolgshonorar gilt, ist eine andere Frage.295 Nach § 1057 II 1 ZPO muss das Schiedsgericht bereits im Schiedsspruch entscheiden, in welcher konkreten Höhe eine Partei der anderen Kosten zu erstatten hat. Wird dies vergessen oder können die Kosten erst später ermittelt werden, kann darüber ein gesonderter (Nachtrags-)Schiedsspruch ergehen (§ 1057 II 2 ZPO).
18.134
Das Schiedsgericht kann zwar die Kosten zwischen den Parteien verteilen (z.B. Art. 33.2 DIS Rules), nicht aber zu eigenen Gunsten einen Titel für die Gebühren
18.135
288 Ebenso Art. 31 I, 32 IV Swiss Rules; Art. 26 I, 27 III Vienna Rules; Art. 39.4 DIS Rules; Art. 33 I, 34 IV UNCITRAL Rules. 289 Salger/Trittmann/Hanefeld/Nedden, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 20 Rz. 31. 290 Salger/Trittmann/Hanefeld/Nedden, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 20 Rz. 53 ff. 291 Vgl. Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 26 Rz. 5 ff.; J. Gotanda, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 141. 292 Geimer in Zöller, ZPO, § 1057 Rz. 2; Musielak/Voit/Voit, § 1057 Rz. 3. 293 Vgl. S. Longrée/C. Wegener, JR 2018, 357. 294 Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 26 Rz. 29. 295 Vgl. Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 26 Rz. 31.
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§ 18 Rz. 18.135 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
und Auslagen der Schiedsrichter schaffen. Soweit diese durch Vorschüsse nicht gedeckt sind, müssen sie daher notfalls selbständig eingeklagt werden.
18.136 Das Schiedsgericht kann aber den Streitwert festsetzen und dadurch mittelbar über die Vergütung der Schiedsrichter befinden,296 und zwar auch dann, wenn die maßgebliche Schiedsordnung den Schiedsrichtern ein Ermessen bei der Wertfestsetzung einräumt.297 12. Rechtskraft, Registrierung des Schiedsspruchs Schrifttum: Ch. Dorda, Res judicata und Schiedsverfahren, FS Torggler, 2013, S. 169; K. Hober, Res Judicata and Lis Pendens in International Arbitration, RdC 366 (2013), 99; T. Lühmann, Die Rechtskraft des Schiedsspruchs im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2014; E. Wyraz, Res Judicata: Differences between international arbitration and litigation, CYArb 5 (2015), 2.
18.137 Nach deutschem Recht hat der Schiedsspruch mit seinem Erlass die Wirkungen eines rechtskräftigen Gerichtsurteils (§ 1055 ZPO).298 Dies gilt auch für den Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut.299 Einer Niederlegung oder Registrierung bei Gericht bedarf es nicht. Der Schiedsspruch muss den Parteien lediglich bekannt gegeben werden.300 18.138 Die Rechtsordnungen sind hierzu aber nicht einheitlich. Soweit erforderlich bestimmt das Schiedsverfahrensstatut, ob der Schiedsspruch zu seiner Wirksamkeit einer Niederlassung oder sonstigen Registrierung bei Gericht bedarf.301 18.139 Problematisch ist, nach welcher Rechtsordnung sich die Wirkungen der materiellen Rechtskraft eines Schiedsspruchs bestimmen. Da die Anknüpfung an nationale Regeln nicht immer zweckmäßig ist, hat die ILA 2006 „recommendations on res judicata and arbitration“ unterbreitet.302 18.140 Rechtskraftwirkung hat der Schiedsspruch grundsätzlich inter partes. Dritte sind an ihn nur gebunden, soweit sie Rechtsnachfolger der Schiedsparteien sind; dass sie lediglich an der zugrundliegenden Schiedsvereinbarung beteiligt waren, genügt nicht.303 Zulässig ist es freilich, dass sich Dritte (etwa Subunternehmer, Architekten 296 BGHZ 193, 38 = SchiedsVZ 2012, 154; R. Wolff, SchiedsVZ 2006, 131; R. Schütze, FS Torggler, 2013, S. 1105; vgl. Salger/Trittmann/Risse, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 26 Rz. 39 ff. 297 OLG München, SchiedsVZ 2012, 287. 298 Vgl. Salger/Trittmann/Hanefeld/Nedden, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 20 Rz. 90 ff.; G. Wagner, Die Bindung des Schiedsgerichts, in Böckstiegel, Die Beteiligung Dritter an Schiedsverfahren, 2005, S. 7. 299 T. Frische, S. 254 ff.; P. Gottwald, in Konsensuale Streitbeilegung, Symposium für Schlosser, 2001, S. 31, 39; F. Spohnheimer, FS Kaissis, 2012, S. 933, 938. 300 Vgl. H. van Houtte, FS Schlosser, 2005, S. 997. 301 Vgl. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 95; D. Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2006. 302 Vgl. Ch. Söderlund, JIntArb 2005, 301; Ch. Dorda, FS Torggler, 2013, S. 169, 180. 303 Vgl. M. Pika, ZZP 131 (2018), 225, 239, 258 f.; P. Gottwald, FS Geimer, 2017, S. 131.
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IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.143 § 18
etc) vertraglich einem zwischen anderen Parteien ergangenen Schiedsspruch unterwerfen.304 Inwieweit ein Folgeschiedsgericht die Rechtskraft des Schiedsspruchs zu beachten hat, richtet sich nach der lex fori des Folgeschiedsgerichts. In Deutschland hat das Folgeschiedsgericht die Rechtskraft des Schiedsspruchs zu beachten, sofern ihn die Parteien nicht einvernehmlich aufgehoben haben.
18.141
13. Schiedsgerichts- und Schlichtungsordnungen Schrifttum: N. Conrad/J. Black-Branch/P. Münch, International Commercial Arbitration, 2013; O. Glossner/J. Bredow, ICC, LCIA und DIS-Schiedsgerichtsordnung Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 219; P. Gola/C. Götz Staehelin/K. Graf, Institutional Arbitration, 2009; J. Greenblatt/P. Griffin, Towards the Harmonization of International Arbitration Rules, ArbInt 17 (2001), 101; B. Horn, Arbitration Law Handbook, 2007; J. Kerr, Comparison of Asian International Arbitration Rules, 2003; H. Kronke/W. Melis/H. Kuhn, Handbuch internationales Wirtschaftsrecht, Teil P Streitbeilegung Kap. 2, 2. Aufl. 2017, S. 2012; L. Mistelis/L. Shore, Arbitration Rules – International Institutions, 3rd ed. 2011; L. Mistelis/L. Shore, Arbitration Rules – National Institutions, 2nd ed. 2010; H. Raeschke-Kessler, Zur Neutralität der Schiedsgerichtsinstitution am Beispiel der DIS, FS Schütze, 2015, S. 457; R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018; R. Schütze, Institutional Arbitration, 2nd ed. 2020; Th. Thalhofer Handbuch IT-Litigation (B III Schiedsinstitutionen), 2012, S. 345; G. Wegen, Materials on International Arbitration, 2007. (1) ICC Paris: Schiedsgerichtsordnung v. 1.1.2012 (i.d.F. v. 1.3.2017) A. Baier in Kronke/Melis/Kuhn, 2. Aufl. 2017, S. 2162; M. Buhler/Th. Webster, Handbook of ICC Arbitration, 2012; C. Calvo Goller, The 2012 ICC Rules of Arbitration, JIntArb 29 (2012), 323; DIS, Die neue ICC-Schiedsgerichtsordnung, 2013; J. Grierson/A. van Hooft, Introduction to the ICC Rules of Arbitration, 2012; S. Lemaire/A. Raynouard, § 4 ICC, in Conrad/Münch/ Black-Branch, 2013, S. 123; J. Nedden/A. Herzberg, ICC-SchO – DIS-SchO, 2014; K. Pörnbacher/S. Baur, Die Reform der Schiedsgerichtsordnung der ICC, BB 2011, 2627; A. Reiners/J. Pekuté/C. Kern in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 2, S. 21; A. Sessler/N. Voser, Die revidierte ICC-Schiedsgerichtsordnung – Schwerpunkte, SchiedsVZ 2012, 120; B. H. Steindl, Party autonomy under the 2012 ICC Arbitration Rules, CYArb 2 (2012), 231; Th. Thalhofer/A. Meier, Handbuch IT-Litigation, 2012, B III Rz. 1. ICC Mediation Rules v. 1.1.2014 H. Verbist, The 2014 ICC Mediation Rules, FS Elsing, 2015, S. 591; K. Vorpeil, Die neuen ICC Mediation Rules, RIW 2014, 37. M. Bühler, Grundsätze und Praxis des Kostenrechts im ICC-Schiedsverfahren, ZVglRWiss 87 (1988), 431; M. Bühler/Jarvin, The Arbitration Rules of the ICC, in Weigand, Practitioner’s Handbook, 2nd ed. 2009, p 1133; M. Bühler/Th. Webster, Handbook of ICC Arbitration, 2005; W. Craig/W. Park/J. Paulsson, International Chamber of Commerce Arbitration, 3rd ed. 2000; Y. Derains/E. Schwartz, A Guide to the New ICC Rules of Arbitration, 2nd ed. 2005; W. Habscheid, Die sog. Schiedsgerichtsbarkeit der Internationalen Handelskammer, RIW 1998, 421; P. Heitzmann in Gola/Götz Staehelin/Graf, Institutional Arbitration, 2009, S. 117; Ch. Koch, Die neue Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer, RIW 1999, 105; R. Kreindler, Aktuelle (Streit-)Fragen bei der Anwendung der ICC-Schiedsgerichtsordnung, RIW 2002, 249; D. Kühner, ICC Arbitration in Germany, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, 304 M. Pika, ZZP 131 (2018), 225, 255 f.
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18.142
18.143
§ 18 Rz. 18.143 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.144
18.145 18.146
18.147
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Arbitration in Germany, 2007, Part IV, S. 837; M. Mack, Getrennte Kostenvorschüsse für Klage und Widerklage im ICC-Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2006, 36; A. Nerz, Vor- und Nachteile eines Schiedsverfahrens nach der Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer, RIW 36 (1990), 350; A. Reiners/Jahnel, in Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, S. 21; H. Verbist/E. Schäfer/Ch. Imhoos, ICC Arbitration in Practice, 2. Aufl. 2016. (2) LCIA: new Arbitration Rules (effective from 1 October 2014; im Internet abrufbar); M. Scherer/L. Richman/R. Gerbay, Arbitrating under the 2014 LCIA Rules, 2015; R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 6, S. 475; D. Speller in Kronke/Melis/ Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2311; S. Wade/Ph. Clifford/J. Clanchy, A commentary on the LCIA arbitration rules 2014, 2015. Erläuterungen zur Fassung von 1998: N. Beale, in Gola/Götz Staehelin/Graf, 2009, S. 141; J. Black-Branch, in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 9 England & Wales), 2013, S. 407; J. Lew/L. Mistelis/J. Davies, LCIA Rules, in Weigand, Practitioner’s Handbook, 2nd ed. 2009, p 1615; S. Konradl/R. Hunter in Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, S. 475; D. Speller, Englisches Schiedsverfahrensgesetz von 1996 und der Londoner Internationale Schiedsgerichtshof (LCIA), in Kronke/Melis/ Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Teil P IX Rz. 1366–1466; Th. Thalhofer/A. Meier, IT-Litigation, 2012, B III Rz. 70 ff.; P. Turner/R. Mohtashami, A guide to the LCIA Arbitration Rules, 2008; S. Wade/St. York, A Commentary on the LCIA Rules, 2012. (3) Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC): HKIAC AA Rules 2008; L. Barrington/N. Conrad, in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 11 Hong Kong), 2013, S. 499. (4) Singapore International Arbitration Centre (SIAC): R.-A. Hirth in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 9, S. 713; Th. Klötzel in Conrad/Münch/ Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 14 Singapore), 2013, S. 677; Q.Loh, The limits of International Arbitration and Introduction to the Concept of the Singapore International Commercial Centre, FS Schütze, 2015, S. 343; A. Reeg, The New Arb-Med-Arb Protocol of the Singapore International Arbitration Centre, IWRZ 2016, 15. (5) WIPO Arbitration Centre, Genf: WIPO mediation, arbitration, expedited arbitration and expert determination rules and clauses, 2016; I. Frost, Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des geistigen Eigentums, 2001, S. 213 ff.; A. García/ S. Theurich in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 5 WIPO arbitration Rules and WIPO Expedited Arbitration Rules), 2013, S. 175; A. Jungk, Das Schiedsgericht für Domainstreitigkeiten bei der WIPO in Genf, BB 2001, Beilage 6, S. 4; D. Kaboth, Das Schlichtungs- und Schiedsgerichtsverfahren der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), 2000; E. Schäfer, Die Schlichtungs- und Schiedsordnungen der WIPO, DB 1996, Beilage 5, S. 10; E. Schäfer, Arbitration of Intellectual Property Law Disputes in Germany, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, 2007, Part IV, S. 953; Thalhofer/Meier, IT-Litigation, B III Rz. 50 ff.; J. Ch. Wichard, Streitbeilegung im Rahmen der WIPO, in Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2244; T. Zuberbühler in Gola/Götz Staehelin/Graf, 2009, S. 293. (6) Bauverträge: Ch. Benedict, Construction Arbitration in Germany, in Böckstiegel/Kröll/ Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, Part IV, S. 899; C. Chatterjce, Settlement of Disputes Procedure and Arbitration under FIDIC, JIntArb 2000 (3), 103–114; A. Roquette, Am Ende des Regenbogens – Die neuen FIDIC Dispute Adjudication/Avoidance Boards, SchiedsVZ 2018, 233; Royé, Die Schiedsgerichtsbarkeit bei internationalen Bau- und Anlagenverträgen in Europa, 2001.
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IV. Das Schiedsverfahrensrecht | Rz. 18.152 § 18 FIDIC-Verträge sehen ein Schlichtungsverfahren vor und bei dessen Scheitern ein Schiedsgerichtsverfahren nach ICC-Regeln. (7) Uniform Domain Name Disputes: (a) ICANN-Verfahren v. 1.1.2000, vgl. B. Davis, The new new thing, JIntArb 2000 (3), 115; M. S. Donahey, The Uniform Domain Name Dispute Resolution Process, JIntArb 2002 (1), 33; A. Kaissis, Die Internet-Schiedsgerichtsbarkeit, in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes, 2006, S. 221; J. Puhr, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet, 2005, S. 105; T. Strömer, Das ICANN-Schiedsverfahren, 2002. (b) Vgl. M. Stotter, Streitschlichtung bei UK-Domains, MMR 2002, 11; J. Wichard BB 2002, IDR-Beilage, S. 13 (WIPO). ICANN-Verfahren können institutionell auch von der WIPO (Rz. 18.147) betreut werden.305 (8) DIS-Schiedsordnung (v. 1.3.2018) in Deutsch und Englisch abgedruckt in Beilage zu SchiedsVZ 2018 Heft 1 (m. Kommentar von F. Mazza u. J. Menz); M. Besch/M. Kreuzeder, Die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung, RIW 2018, 256; E. Decker, Das neue beschleunigte Verfahren der DIS, SchiedsVZ 2019, 75; S. Elsing/A. Shchavelev, Die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung 2018, IPRax 2018, 461; R. Schardt, Neue Regelungen der DIS-Schiedsgerichtsordnung zur Steigerung der Verfahrenseffizienz, SchiedsVZ 2019, 28; U. Theune in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 3, S. 243. DIS-ERGes 2018, vgl. R. Wolff, SchiedsVZ 2018, 246. Zur DIS-Schlichtungsordnung 2001: J. Bredow in Conrad/Münch-Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 10 Germany), 2013, S. 455; J. Bredow, Die Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2293; J. Bredow/I. Mulder ua, Commentary on the Arbitration Rules of the German Institution of Arbitration (DIS Rules), in K.-H. Böckstiegel/St. Kröll/P. Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, Part III, S. 655; J. Nedden/A. Herzberg, ICC-SchO – DIS-SchO, 2014; U. Theune in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, S. 147. (9) Schweizerische Schiedsordnung (Swiss Rules – Internationale Schiedsordnung der Schweizerischen Handelskammern v. 1.6.2012; im Internet abrufbar); M. Arroyo, Arbitration in Switzerland, Chap. 3 The Swiss Rules, 2014, S. 325; Ehle/Jahnel/Werner, Revision der Swiss Rules, SchiedsVZ 2013, 141; K. Graf/S. De Vito Bieri in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 16 Switzerland), 2013, S. 753; Ph. Habegger/A. Masser, Die revidierte Schweizerische Schiedsgerichtsordnung (Swiss Rules), IPRax 2012, 459; G. v. Segesser/J. Menz, in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 5, S. 419; T. Zuberbühler/Ch. Müller/Ph. Habegger, Swiss Rules of International Arbitration, 2. Aufl. 2013. Ch. Brunner, The Swiss Rules of International Arbitration, SchiedsVZ 2010, 243; B. Ehle/W. Jahnel, Revision der Swiss Rules – erhöhte Effizienz und Flexibilität, SchiedsVZ 2012, 169; A. Jolles/L. Bühlmann, in Mitteilungen zum Deutsch-Schweizerischen Rechtsverkehr 2/2004, S. 1; L. Michaela Pair, Consolidation in International Commercial Arbitration: ICC and Swiss Rules, 2012; Ch. Oetiker/S. Burkhalter in P. Gola/C. Götz Staehelin/K. Graf, Institutional Arbitration, 2012, S. 233; Th. Thalhofer/A. Meier, IT-Litigation, 2012, B III Rz. 73 ff. (10) Court of Arbitration for Sport (CAS): Statutes of the Bodies Working for the Settlement of Sports-Related Disputes (Stand 1.1.2012). M. Arroyo, Arbitration in Switzerland. Ch. 5 Sports Arbitration under the CAS Rules, 2014, S. 883; I. Blackshaw, Sport, Mediation and Arbitration, 2009; F. Blandfort, Rechtsstaatliche Bindungen der internationalen Sport305 G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 1.137.
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§ 18 Rz. 18.152 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
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schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2019, 120; P. Hamernik, The Non-state Adjudication of Disputes by the Court of Arbitration for Sport ..., CYIL 5 (2014), 137; B. Hess, The private – public divide in international dispute resolution, Rec.d.Cours 388 (2016), 49, 199 ff.; M. Holmes/St. Free, International Sports Arbitration, 2012; R. Lungstras, Das Berufungsverfahren vor dem Court of Arbitration of Sport (CAS) im Lichte der Verfahrensgarantien gem. Art. 6 EMRK, 2019; A. Rigozzi, L’arbitrage international en matière de sport, 2005; S. Stebler in Gola/Götz Staehelin/Graf, Institutional Arbitration, 2009, S. 253. In Genf hat auch das Basketball Arbitral Tribunal seinen Sitz.306 (11) Dubai International Arbitration Centre (DIAC): DIAC Arbitration Rules 2007; S. Kratzsch in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 14, S. 1307; V. Liborio Garrido de Sousa in Conrad/Münch/Black-Branch, International Arbitration (§ 8 Dubai), 2013, S. 345. (12) Wiener Regeln (VIAC): Schieds- und Schlichtungsordnung des Internationalen Schiedsgerichts der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft Wien v. 1.7.2013; A. Baier, Schiedsund Schlichtungsordnung des Internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreich, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2215; A. Baier/W.Hahnkamper, Die neuen Wiener Regeln, SchiedsVZ 2013, 141; R. Fiebinger/Ch. Hauser, Mehrparteienschiedsverfahren nach den neuen Wiener Regeln, FS Elsing, 2015, S. 111; M. Heider, Die Ablehnung von Schiedsrichtern in Verfahren vor dem Internationalen Schiedsgericht der Wirtschaftskammer Österreich – VIAC, FS Schütze, 2015, S. 181; Ch. Liebscher in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 4, S. 361; Ch. Stippl in Gola/Götz Staehelin/Graf, Institutional Arbitration, 2009, S. 273; G. Zeiler, Fragen der Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit gemäß den Wiener Regeln 2013, FS Torggler, 2013, S. 1403. Zu früheren Fassungen: F. Schwarz/Ch. Konrad, The Vienna Rules: A Commentary on International Arbitration in Austria, 2009; Ch. Stippl/M. Sedrati-Müller in Conrad/Münch/BlackBranch, International Commercial Arbitration (§ 6 Austria), 2013, S. 231; Thalhofer/Meier, IT-Litigation, B III Rz. 82 ff. (13) American Arbitration Association – International Centre for Dispute Resolution (ICDR): International Arbitration Rules v. 1.5.2014; Mediation Rules of 1.5.2014. R. Thümmel in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 11, S. 881. Erläuterung früherer Fassungen: G. Born, International Commercial Arbitration in the United States, 1994; Th. Carbonneau/J. Jaeggi, AAA – Handbook on International Arbitration & ADR, 2nd ed. 2010; G. M. Gusy/J. Hosking/F. Schwarz, ICDR International Arbitration Rules, in Weigand, Practitioner’s Handbook, 2nd ed. 2009, p 1535; Hanessian/J. Kaplan, ICDR Awards and Commentaries, 2012; St. Reed Traband in Gola/Götz Staehelin/Graf, Institutional Arbitration, 2009, S. 27; Th. Thalhofer/A. Meier, IT-Litigation, 2012, B III Rz. 85 ff. (14) Schiedsordnung des Internationalen Handelsschiedsgerichts (MKAS) bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation v. 1.3.2006: Hofmann/Kulkov in Gola/Götz Staehelin/Graf, S. 191; A. Komarov/M. Barth, Die neue Schiedsordnung des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation (MKAS), SchiedsVZ 2007, 89; D. Kurotschin ROW 1996, 33; H. Schmitt/M. Ahmad, RIW 1996, 809; A. Trunk in Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. VII, S. 549. (15) China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC): Arbitration Rules 2012; E. Brödermann/B. Etgen in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 8, S. 627; S. Lu, The new CIETAC Arbitration Rules of 2012, JIntArb 306 S. Kaufmann-Kohler/Rigozzi, Rz. 1.130 ff.
1082
V. Das in der Sache anzuwendende Recht | Rz. 18.163 § 18 29 (2012), 299; S. Stricker-Kellerer/P. Yuen in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 7 China), 2013, S. 307; Th. Thalhofer/A. Meier, IT-Litigation, 2012, B III Rz. 108 ff.; J. Yu/A. Neelmeier, CIETAC Arbitration Rules 2012 – Another More Forward, SchiedsVZ 2012, 134. (16) Stockholmer Regeln des Schiedsgerichtsinstituts der Stockholmer Handelskammer v. 1.1.2010 (SCC Rules, Arbitration Rules and Rules for Expedited Arbitrations); SCC Mediation Rules v. 1.1.2014: A. Foerster in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 13, S. 1173; M. Öhrström in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 15 Sweden), 2013, S. 713; Pavlica in Gola/Götz Staehelin/Graf, S. 217; Th. Thalhofer/A. Meier, IT-Litigation, 2012, B III Rz. 77 ff. (17) Kuala Lumpur Regional Centre for Arbitration (KLRCA): KLRCA Rules v. 2.7.2012; Th. Klötzel in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 13 Malaysia), 2013, S. 643; R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 10, S. 813. (18) Indian Council of Arbitration (ICA): ICA Rules of Arbitration as of 8.5.2012; H. Kämpf/T. Kautz in Conrad/Münch/Black-Branch, International Commercial Arbitration (§ 12 India), 2013, S. 553. (19) UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung v. 25.6.2010: P. Binder, Analytical Commentary to the UNCITRAL Arbitration Rules, 2013; D. Caron/L. Caplan, The UNCITRAL Arbitration Rules, 2012; N. Conrad/Ö. Cilingir/B. Baumann, § 3 Uncitral Rules, in Conrad/Münch/BlackBranch, International Commercial Arbitration, 2013, S. 35; Croft/Kee, Update of the UNCITRAL Arbitration Rules Revision, EuJLReform 11 (2009); Melis, UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2097 u. 2130;/S. Nappert, Commentary on the UNCITRAL Arbitration Rules 2010, 2012; P. M. Patocchi/T. Niedermaier in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 12, S. 963; J. Paulsson/G. Petrochilos, The revised UNCITRAL Arbitration Rules, 2012; K. Pörnbacher/A. Loos/S. Baur, Aktuelle Neuerungen im internationalen Schiedsrecht, BB 2011, 711; S. Nappert, Commentary on the UNCITRAL Arbitration Rules 2010, 2012; V. Vigoriti, La riforma delle Rules of Arbitration dell’UNCITRAL, Revista de Processo 36 (193) 2011, 153; Th. Webster, Handbook of UNCITRAL Arbitration, 2010. UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung v. Dezember 1976. In Deutsch und Englisch abgedruckt in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Bd. 4, S. 753.1–34; D. Caron/M. Pellonpää/L. Caplan, The UNCITRAL Arbitration Rules, 2006; J. van Hof, Commentary on the UNCITRAL arbitration Rules, 1991; K. Lionnet, Die UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung aus der Sicht der Parteien, BB 1993, Beilage 17. (20) UNCITRAL-Schlichtungsordnung v. 19.11.2002: UNCITRAL, Draft Guide to Enactment and Use of the UNCITRAL Model Law on International Conciliation (27.5.2002) (AICN.9/514); D. Cimmino, Das UNCITRAL-Modellgesetz über internationale ADR-Verfahren in Wirtschaftsstreitigkeiten, 2008; F. Friedrich, UNCITRAL Model Law on International Commercial Conciliation, SchiedsVZ 2004, 297.
18.158
18.159
18.160 18.161
18.162
V. Das in der Sache anzuwendende Recht 1. Schrifttum T. Ansay, The content of applicable law in arbitration cases, FS Heldrich, 2005, S. 487; J. Basedow, Vertragsstatut und Arbitrage nach neuem IPR, JPS 1 (1987), 3; A. Belohlávek, Law applicable to the merits of international arbitration and current developments in European private international law, Czech Yearbook of International Law 2010, 25; A. J. van den Berg, Planning
1083
18.163
§ 18 Rz. 18.163 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit efficient arbitration proceedings – The law applicable in international arbitration, 1996; K. P. Berger, Allgemeine Rechtsgrundsätze in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, FS v. Hoffmann, 2011, S. 914; G. Bermann, Mandatory rules of law in international arbitration, in Ferrari/Kröll, Conflict of Laws in International Arbitration, 2011, S. 325; G. Bermann, Arbitration and Private International Law, RdC 381 (2015), 41; G. Bermann/L. Mistelis, Mandatory rules in international arbitration, 2011; G. Blanke/P. Landolt, EU and US Antitrust Law, 2010; M. Blessing, Choice of Substantive Law in International Arbitration, JIntArb 14 (2) (1997), 39; K.-H. Böckstiegel, Die Anerkennung der Parteiautonomie in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, FS Schütze, 1999, S. 141; K. Boele-Woelki, Party autonomy in litigation and arbitration in the view of the Hague Principles on choice of law in international commercial arbitration, RdC 379 (2015), 35; Th. de Boer, Choice of law in arbitration proceedings, Rec.d.cours 375 (2014), 53, 79; M. Bonell, A ‚global‘ arbitration decided on the basis of the UNIDROIT principles, ArbInt. 17 (2001), 249 = 75 Jahre MPI für Privatrecht, 2001, S. 771; J. Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationalen Schiedsverfahren, 2005; B. Centner, Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren, 2019; P. Chrocziel/B. Kasolowsky/R. Whitener/W. Prinz zu Waldeck und Pyrmont, International Arbitration of Intellectual Property Disputes, 2017; O. Chukwumerije, Choice of Law in International Commercial Arbitration, 1994; C. Cordero-Moss, Limitations on party autonomy in internatonal commercial arbitration, RdC 372 (2014), 129; D. Czernich, Die Rom I-Verordnung als Grundlage für die Anwendung von Eingriffsnormen durch Schiedsgerichte, RIW 2016, 701; F. Dasser, Anwendung nichtstaatlichen materiellen Rechts in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, in R. Wilhelmi/M. Stürner, Post-M&A-Schiedsverfahren, 2018, S. 157; Th. Eilmansberger, Die Bedeutung der Art. 81 und 82 EG für Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2006, 5; F. Ferrari/St. Kröll, Conflict of Laws in international arbitration, 2011; E. Gaillard, Arbitrage Commercial international, Sentence arbitrale, Droit applicable au fond du litige, Juris Classeur, Droit International 11, Fasc. 586–9-1, 1996; E. Gaillard, Transnational Law: A Legal System or a Method of Decision Making?, ArbInt 2001, 59; S. Gößling, Europäisches Kollisionsrecht und internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 2019; B. Goldman, Les conflits des lois dans l’arbitrage international de droit privé, RdC 109 (1963-II), 1347; H. Grigera Naón, Choice-ofLaw Problems in International Commercial Arbitration, RdC 289 (2001), 9; H. Grigera Naón, International Commercial Arbitration – The Law Applicable to the Substance of the Dispute, Essays in Honor of F. Juenger, 2001, S. 65; A. Grimm, Applicability of the Rom I and II Regulations to International Arbitration, SchiedsVZ 2012, 189; W. Habscheid, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Privatautonomie, FS Walder, 1994, S. 323; B. Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2005; R. Hausmann, Anwendbares Recht vor deutschen und italienischen Schiedsgerichten – Bindung an die Rom I – Verordnung oder Sonderkollisionsrecht, FS v. Hoffmann, 2011, S. 971; J. v. Hein, Bindung an Recht und Gesetz in der Schiedsgerichtsbarkeit..., in R. Wilhelmi/M. Stürner, Post-M&ASchiedsverfahren, 2018, S. 121; N. Horn, Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2008, 209; A. Junker, Deutsche Schiedsgerichte und internationales Privatrecht (§ 1051 ZPO), FS Sandrock, 2000, S. 443; J. Kleinheisterkamp, Eingriffsnormen und Schiedsgerichtsbarkeit, RabelsZ 73 (2009), 818; A. Komarov, Die Anwendung materiellen Rechts in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, FS Boguslavskij, 2004, S. 313; A. Komninos, The application of EU competition law by international arbitration tribunals, in Basedow/Franq/Idot, International Antitrust Litigation, 2012, S. 198; A. Komninos/L. Radicati di Brozolo, International Commercial Arbitration and EU Competition Law, 2012; J. Kondring, § 1051 Abs. 1 ZPO und die Abwahl einfach zwingenden Rechts bei Binnensachverhalten, ZIP 2017, 706; N. N. Kulpa, Das anwendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtverfahren, 2005; M. Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht in internationalen Schiedsverfahren, 2003; M.-R. McGuire, Grenzen der Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahrensrecht? Über das Verhältnis zwischen der Rom I-VO und § 1051 ZPO, SchiedsVZ 2011, 257; P. Mankowski, Rom I-VO und Schiedsverfahren, RIW 2011, 30;
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V. Das in der Sache anzuwendende Recht | Rz. 18.164 § 18 P. Mankowski, Schiedsgerichte und die Verordnungen des europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, FS v. Hoffmann, 2011, S. 1012; P. Mankowski, § 1051 ZPO und die europäischen IPR-Verordnungen, FS Schütze, 2015, S. 369; P. Mankowski, Schiedsgerichte und die Rom I-VO, RIW 2018, 1; D. Martiny, Die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch das Schiedsgericht, FS Schütze, 1999, S. 529; P. Mayer, L’autonomie de l’arbitrage international, Rec.d.Cours 217 (1989-V), 319; P. Mayer, Reflections on the International Arbitrator’s Duty to Apply the Law, ArbInt 17 (2001), 235; N. Natov, The autonomy of arbitrators in determining the law applicable to the merits of a case, CYArb 2 (2012), 171; S.-U. O, Die Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 2004; P. Ostendorf, Wirksame Wahl ausländischen Rechts auch bei fehlendem Auslandsbezug im Fall einer Schiedsvereinbarung und ausländischem Schiedsort?, SchiedsVZ 2010, 234; A. S. Papeil, Conflict of overriding mandatory rules in arbitration, in Ferrari/Kröll, Conflict of laws in international arbitration, 2011, S. 341; G. Para-Aranguren, Choice of Law Applicable to the Dispute in Recent Legislation on International Commercial Arbitration, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 557; M. Piers/J. Erauw, Application of the UNIDROIT principles of international commercial contracts in arbitration, JPIL 8 (2012), 441; M. Pilich, Law applicable to the merits of the dispute submitted to arbitration in the absence of the choice of law by the parties, CYArb 2 (2012), 191; K. Pörnbacher/S. Baur, Rechtswahl und ihre Grenzen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, FS Schütze, 2015, S. 431; O. Remien, Europäisches Kartellrecht (Artt 81f EG-Vertrag) als Eingriffsnorm oder ordre public in neueren internationalen Schiedsrechtsfällen, FS Kropholler, 2008, S. 869; O. Sandrock, Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach § 1051 Abs. 2 der deutschen ZPO, FS Sturm, 1999, S. 1645; O. Sandrock, Compound Interest in International Arbitration, Études en L’honneur de Poudret, 1999, S. 519; H. Schack, Sonderkollisionsrecht für private Schiedsgerichte?, FS Schütze, 2015, S. 511; J. Schiffer, Normen ausländischen öffentlichen Rechts in internationalen Handelsschiedsverfahren, 1990; K. Schmidt, Kartellrecht im Schiedsverfahren – Neuorientierung durch VO 1/2003 und 7. GWB-Novelle?, BB 2006, 1397; R. Schütze, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Schiedsverfahren und die Feststellung seines Inhalts, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 715; Ch. Séraglini, Lois de police et justice arbitrale internationale, 2001; N. Shelkoplyas, The Application of EC Law in Arbitration Proceedings, 2003; L. Silberman/F. Ferrari, Getting to the law applicable to the merits in international arbitration and the consequences of getting it wrong, in Ferrari/Kröll, Conflict of Laws in international arbitration, 2011, S. 257; D. Thalhammer, Die Rolle der Schiedsgerichte bei der Durchsetzung von EG-Kartellrecht unter dem Regime der VO 1/2003, wbl 2005, 62; R. Trittmann, Das Zusammenspiel von Prozessrecht und materiellem Recht im internationalen Schiedsverfahren, in 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, 2014, S. 605; J. Tyrolt, Sportschiedsgerichtsbarkeit und zwingendes staatliches Recht, in Vieweg, Spektrum des Sportrechts, 2003, S. 75; Ch. Ungeheuer, Die Beachtung von Eingriffsnormen in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1996; G. Wagner, Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahren, FS Schumann, 2001, S. 535; G. Wegen, Die objektive Anknüpfung von Verträgen in deutschen internationalen Schiedsverfahren nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung, FS Kühne, 2009, S. 933; P. Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht im Spannungsverhältnis zwischen Integration und Exklusion, 2005.
2. Rechtswahl der Parteien Nach dem Prinzip der Parteiautonomie wählen die Parteien das in der Hauptsache anwendbare Recht frei (§ 1051 I ZPO; Art. 187 Schweizer IPRG; Art. VII [1] Satz 2 EuÜ).307 Im internationalen Schuldrecht ist die kollisionsrechtliche Parteiautonomie 307 Vgl. P. Mankowski, RIW 2011, 30.
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18.164
§ 18 Rz. 18.164 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
in den meisten Ländern anerkannt. Die Rechtswahl der Parteien erstreckt sich aber nicht auf das eigene Personalstatut (s. Art. 1 II lit. a, f, g Rom I-VO). Ob der Vorstand eine Gesellschaft wirksam verpflichtet hat, richtet sich daher nach dem Gesellschaftsstatut, nicht nach dem gewählten Recht.308 Die Parteien müssen sich nicht auf die Anwendung eines staatlichen Rechts verständigen, sondern können auch die Anwendung sonstiger „Regeln“, z.B. der sog. lex mercatoria,309 der allgemeinen principles of equity oder der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts310 vereinbaren.311 Dies wird durch Erwägungsgrund (13) der Rom I-VO bestätigt. Allerdings wird die Ansicht vertreten, § 1051 I ZPO gewähre keine absolute Rechtswahlfreiheit, vielmehr müssten die Parteien zwingendes Kollisionsrecht beachten.312 Aber diese Ansicht überzeugt nicht. Soweit das Schiedsgericht das gewählte Recht anwendet, besteht in keinem Fall ein Aufhebungsgrund bzw. ein Grund, die Anerkennung zu versagen (vgl. § 1059 II ZPO; § 1061 I ZPO i.V.m. Art. V UNÜ).
18.165 Schließen die Parteien eines internationalen Gütertransports zur See eine Schiedsvereinbarung, die den Hamburg Rules unterliegt, so ist das Schiedsgericht nach deren Art. 22 verpflichtet, die Regeln dieses Übereinkommens anzuwenden.313 18.166 Im Einzelfall kann das Schiedsgericht aber an zwingendes Recht gebunden sein. So gestattet Art. 33 CMR die Anrufung eines Schiedsgerichts wegen Streitigkeiten aus internationalen Beförderungsverträgen nur, wenn das Schiedsgericht die CMR zwingend anzuwenden hat. Ist dies nicht der Fall, ist die Schiedsvereinbarung nach Art. 41 CMR nichtig.314 Auch EU-Kartellrecht (Art. 101f AEUV) hat das Schiedsgericht zwingend zu beachten.315
308 Vgl. ICC Award No. 13954, YCA 35 (2010), 218, 228. 309 Vgl. U. Stein, Lex mercatoria – Realität und Theorie, 1995; H.J. Mertens, FS Odersky, 1996, S. 857; ferner K.P. Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, 1996; A. Giardina, La lex mercatoria, Hommage à Rigaux, 1993, 223; G. Teubner, FS Zöllner, Bd 1, 1999, S. 565; H.-P. Schroeder/B. Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000), 410, 425; krit. D. v. Breitenstein, FS Sandrock, 2000, S. 111; zur geringen praktischen Verbreitung s. K.P. Berger ua, ZVglRWiss 101 (2002), 12; G. Cuniberti, La Lex Mercatoria au XXIe siècle, Clunet 143 (2016), 765. 310 Salger/Trittmann/Pfeiffer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 15 Rz. 35 ff.; M. Piers/ J. Erauw JPIL 8 (2012), 441, 449 ff.; vgl. UNIDROIT Principles of International Commercial Law 2010; zu früheren Fassungen s. M. Bonell, ArbInt 17 (2001), 249; M. Bonell, The UNIDROIT Principles and Transnational Law, Uniform Law Review 2000, 199. 311 Vgl. A. Hellgardt, Das Verbot der kollisionsrechtlichen Wahl nichtstaatlichen Rechts, RabelsZ 82 (2018), 654, 663 f. 312 OLG Düsseldorf, IPRax 1997, 115, 117 (dazu K. Thorn, S. 98, 104 f.); G. Wagner, FS Schumann, 2001, S. 535, 552 ff.; O. Sandrock, FS H. Stoll, 2001, S. 661, 677. 313 Vgl. M. Aboul-Enein JIntArb 14 (2) (1997) 87, 92. 314 OLG Hamm, BB 2001, Beilage 6, S. 22. 315 EuGHE 1999, I-3055 (Eco Swiss) = EuZW 1999, 565; vgl. D. Thalhammer, wbl 2005, 62; Th. Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5; K. Schmidt, BB 2006, 1397, 1399; A. Philip, The Eco Swiss Judgment and International Arbitration, Essays in honor of A. v. Mehren,
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V. Das in der Sache anzuwendende Recht | Rz. 18.168 § 18
Zu beachten sind auch zwingende Grundvorstellungen, z.B. Nichtigkeit eines Anspruchs wegen Sittenwidrigkeit des Geschäfts infolge von Bestechung.316 Die Rechtswahl der Parteien kann explizit erfolgen; sie kann sich auch konkludent aus den Umständen des Falles ergeben und schließlich nachträglich vor dem Schiedsgericht erklärt werden.
18.167
3. Rechtswahl des Schiedsgerichts Liegt keine Parteivereinbarung vor, wählt das Schiedsgericht das anwendbare Recht danach, mit welchem Recht der Gegenstand des Verfahrens die engsten Verbindungen aufweist (so § 1051 II d ZPO). Während die Parteien das anwendbare Sachrecht direkt bestimmen können, verlangen Art. VII (1) Satz 2 EuÜ und manche Rechtsordnungen, auch Art. 187 I Schweiz. IPRG317 und Art. 28 (2) UNCITRAL Model Law, dass das Schiedsgericht ein anwendbares Kollisionsrecht festlegt. § 1051 II ZPO gestattet auch dem Schiedsgericht eine direkte Wahl des Sachstatuts (sog. voie directe).318 Unterschiede ergeben sich freilich insb, wenn die Rechtswahl rein „objektiv“ kollisionsrechtlich getroffen wird.319 Wenn das Schiedsgericht die materiellen Folgen der Wahl eines Kollisionsrechts bedenkt, sollte dieser Unterschied freilich keine zu große Bedeutung haben. Für ein ausländisches Schiedsgericht ist § 1051 ZPO unmittelbar ohne Bedeutung; eine fehlerhafte Rechtswahl kann allenfalls als Kompetenzüberschreitung oder als ordre public-Verstoß bei der Anerkennung sanktioniert werden.320 Bei der Wahl des in der Sache anwendbaren Rechts ist ein (internationales) Schiedsgericht nicht an die inzwischen geltenden IPR-Verordnungen der EU gebunden.321 4. Lex mercatoria Schrifttum: K.P. Berger, The Translex Principles, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 33; D. v. Breitenstein, Rechtsordnung und „Lex Mercatoria“ – Zur vergeblichen Suche nach einem „anationalen“ Recht für die internationale Arbitrage, FS Sandrock, 2000, S. 111; Th. Carbonneau, Lex mercatoria and arbitration, 1990; A. Connerty, Lex Mercatoria: Reflections from an English Lawyer, ArbInt 30 (2014), 701; H.-P. Schroeder, Die lex mercatoria arbitralis, 2007; O. Toth, The Lex Mercatoria in Theory and Practice, 2017.
316 317 318 319 320 321
2002, 527; A. Komninos in Basedow/Franq/Idot, S. 194 ff. Auch Art. 101 III AEUV kann von Schiedsgerichten angewendet werden (A. Komninos, a.a.O., S. 197). Vgl. P. Schlosser, Der Korruptionsbeweis im Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2019, 60. Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 7.38 ff. Vgl. D. Martiny, FS Schütze, 1999, S. 529, 538 ff.; a.A. O. Sandrock, FS Sturm, 2000, S. 1645, 1652 ff.; O. Sandrock, FS H. Stoll, 2001, S. 661, 681; Salger/Trittmann/Pfeiffer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 15 Rz. 53. Hierfür A. Lowenfeld, International Litigation, 1993, S. 388. Vgl. A. Junker, FS Sandrock, 2000, S. 443, 449. K. Pörnbacher/S. Baur, FS Schütze, 2015, S. 431, 439 f.; Martiny in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2018, Vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 102 ff. (aber Orientierung an Rom I-VO); a.A. P. Mankowski, FS Schütze, 2015, S. 369, 383.
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18.168
§ 18 Rz. 18.169 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.169 Da das Handelsrecht vieler Staaten große Gemeinsamkeiten aufweist, ist die Vorstellung von einer einheitlichen, gleichsam transnationalen lex mercatoria entstanden. Tatsächlich geht die Autonomie des internationalen Handels und der Schiedsgerichte aber nicht so weit. Transnationale Prinzipien gelten nur, soweit sie durch nationales Recht oder Völkerrecht gestützt werden.322 Nach deutschem Recht können die Parteien die Anwendung anationalen Rechts vereinbaren. Das Schiedsgericht selbst kann aber (ohne Parteivereinbarung) eine Entscheidung nur nach einem staatlichen Recht treffen und nach § 1051 II ZPO kein anationales Recht wählen.323 Anationale Regeln wie die UNIDROIT Principles können insoweit nur zur Auslegung, etwa des CISG, oder von Handelsbräuchen herangezogen werden. Ebenso verhält es sich nach englischem Recht.324 18.170 In anderen Staaten, etwa in Frankreich oder der Schweiz,325 ist dagegen anerkannt, dass das Schiedsgericht in der Sache auch anationale oder übernationale Rechtsregeln, die sog. lex mercatoria bzw. die UNIDROIT Principles,326 anwenden kann. IPR-Regeln sind dann nur Anregungen für eine angemessene Rechtsfindung.327 Dabei ist die zu verwendende Terminologie jedoch kaum definiert. In der Vertragspraxis verwenden die Parteien (leider) sehr unterschiedliche Formulierungen, um ihren Willen auszudrücken, der Vertrag solle transnationalen Regeln unterliegen; z.B.: allgemeine Prinzipien des internationalen Handels, allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze, Rechtsgrundsätze, die mehreren Rechtsordnungen inhärent sind, etc. Sehr umstritten ist dabei der Inhalt der einzelnen Klauseln. Zur Abgrenzung wurde in der Rechtsprechung der Begriff des „droit anational“ verwandt. Um sicherzugehen, sollte in der Vertragspraxis der in der Literatur vorherrschende Begriff der lex mercatoria verwendet werden. Dieser umfasst sowohl die transnationalen Regeln als auch die Gebräuche des internationalen Handels.328 In den meisten anderen Staaten müssen die Parteien eine solche Vereinbarung eindeutig treffen; ansonsten müssen die Schiedsrichter nationales Recht anwenden. Weichen sie davon ab, so überschreiten sie ihren Schiedsauftrag.329
18.171 Auch bei Streitigkeiten aus internationalen Investitionsschutzverträgen hat das Schiedsgericht die Rechtswahl der Parteien in den Grenzen des ordre public zu beachten. Dies gilt auch bei einer Wahl des Völkerrechts oder seiner allgemeinen
322 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 11. Aufl. 2017, § 3 Rz. 38 ff. 323 H.-P. Schroeder/B. Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000), 410, 429; Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 8. 324 Vgl. A. Connerty, ArbInt 30 (2014), 701. 325 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 7.53 ff. 326 Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 18.63 ff. 327 M. Piers/J. Erauw, JPIL 8 (2012), 441, 459 ff.; krit. Münch in MünchKomm/ZPO, § 1051 ZPO Rz. 58 ff. Das Ausland ist aber nicht an § 1051 II ZPO gebunden. 328 E. Gaillard, Juris Classeur, Droit international 11, Fasc. 586–9-1, Nr. 27, 28. 329 P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 87; a.A. für lex mercatoria: B. v. Hoffmann, Anwendung der „lex mercatoria“ durch internationale Schiedsgerichte, FS Kegel, 1987, S. 215.
1088
V. Das in der Sache anzuwendende Recht | Rz. 18.175 § 18
Rechtsgrundsätze als Vertragsstatut.330 Zu beachten sind auch sonstige als Entscheidungsmaßstab vorgegebene Rechtsregeln oder -prinzipien.331 Fehlt eine Rechtswahl, ist das nationale Recht des Konzessionsgebers anzuwenden.332 5. Tronc commun Die Grenzziehung ist in der Praxis freilich nicht einfach. Soweit die Heimatrechtsordnungen der Parteien und das Recht am Sitz des Schiedsgerichts in den entscheidenden Fragen übereinstimmen, kann das Schiedsgericht unstreitig die Rechtswahl offen lassen und auf der Grundlage der gemeinsamen Rechtsgrundsätze („tronc commun“) entscheiden. Je nach Fallgestaltung kann tatsächlich „Treu und Glauben“ bzw. „good faith“ im internationalen Handel die einzige den beteiligten Rechtsordnungen gemeinsame Rechtsgrundlage sein. Möglicherweise ist zwischen den Parteien nicht die mögliche vertragliche Rechtsfolge, sondern nur der wirkliche Sachverhalt streitig. Auch in diesem Fall ist eine nähere Festlegung der angewandten Rechtsordnung überflüssig.333
18.172
Kann ein Fall nach der anwendbaren Rechtsordnung mangels feststellbarer Regeln nicht oder nicht zweifelsfrei gelöst werden, weil gesetzliche Regeln oder richterliche Entscheidungen zu dem betreffenden Geschäftstyp etc bisher nicht vorliegen, so kann das Schiedsgericht wie ein staatliches Gericht in rechtsfortbildender Weise entscheiden und dazu ggf. auf vorbildhafte Regeln eines anderen nationalen Rechts zurückgreifen.
18.173
6. Handelsbräuche In allen Fällen hat das Schiedsgericht etwa bestehende Handelsbräuche und -übungen zu berücksichtigen (§ 1051 IV ZPO; Art. 21 II ICC Rules; Art. 33 III Swiss Rules; Art. 24.3 DIS Rules; Art. 28 [4] UNCITRAL-ML). Zu den Handelsbräuchen gehören die Incoterms 2020.334
18.174
Mit Hilfe all dieser Möglichkeiten dürfte ein Schiedsfall in aller Regel in Anwendung „nationalen Rechts“ sachgerecht zu entscheiden sein. Haben die Parteien freilich eine „sachwidrige“ Rechtswahl getroffen und einigen sie sich nicht vergleichsweise, ist das Schiedsgericht nicht befugt, diese Rechtswahl unter Berufung auf anationale Rechtsgrundsätze zu korrigieren.
18.175
330 C. McLachlan/L. Shore/M. Weiniger, International Investment Arbitration, 2008; H. Theodorou, Investitionsschutzverträge vor Schiedsgerichten, 2001, S. 362 ff., 359 ff.; vgl. auch B. Cremades, Arbitration in Investment Treaties, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 149; Ch. Dugan/D. Wallace, Jr./N. Rubens, Investor-State Arbitration, 2006. 331 H. Theodorou, S. 374 ff. 332 H. Theodorou, S. 382 ff. 333 Vgl. A. Lowenfeld, International Litigation, S. 338 f.; B. Ancel, The tronc commun doctrine, J.Int.Arb. 7 (3) (1990), 65; P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, S. 76. 334 Vgl. Ch. Oertel, Incoterms 2020, RIW 2019, 701; B. Piltz, Incoterms 2020, IHR 2019, 177; zu den Incoterms 2010: J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 18.60 ff.
1089
§ 18 Rz. 18.176 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
7. Eingriffsnormen
18.176 Ein allgemeines, nicht auf Schiedsgerichte beschränktes Problem der Rechtsanwendung in internationalen Fällen ist, inwieweit neben der primär anwendbaren Rechtsordnung zwingende Eingriffsnormen einer anderen Rechtsordnung zu beachten sind, wie dies etwa Art. 9 Rom I-VO vorsieht. Grds wird eine solche Berücksichtigung als sachgerecht angesehen.335 Schiedsgerichte dürfen und müssen zwingende Normen des ordre public des Sitzstaates auch neben der von den Parteien gewählten Rechtsordnung anwenden.336 Andernfalls riskieren sie, dass der Schiedsspruch aufgehoben wird (vgl. Art. V (2) (b) UNÜ). Sofern zwischen zwei Rechtsordnungen mit zwingenden Eingriffsnormen Widersprüche bestehen, sollte darauf abgestellt werden, mit welcher von ihnen der Fall eine engere Beziehung hat.337 Das Problem wird auch als Frage der exterritorialen Anwendung nationalen Rechts auf Sachverhalte mit Auslandsberührung diskutiert.338 Dem eigenen Recht sollen auch Auslandssachverhalte unterstellt werden, die sich auf das eigene Land auswirken, so z.B. § 130 II GWB.339 18.177 Selbst wenn die anwendbare Rechtsordnung die Mit-Anwendung solcher Eingriffsnormen nicht zulassen sollte, läge in einer gleichwohl erfolgten Anwendung lediglich ein nicht angreifbarer Rechtsanwendungsfehler des Schiedsgerichts, nicht aber die Überschreitung seines Schiedsauftrags. 8. Ermittlung des anwendbaren Rechts 18.178 Schrifttum: C. P. Alberti, Iura novit curia in international commercial arbitration, Liber ami-
corum Bergsten, 2011, S. 3; B. Centner, Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren, 2019; F. Heidinger/J. Hof, Pleading and Proving Foreign Law – From a European Perspective, SchiedsVZ 2008, 174; J. Lew, Proof of Applicable Law in International Commercial Arbitration, FS Sandrock, 2000, S. 581; T. Lörcher/K. Bauerschmidt, Gilt der Grundsatz iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren?, FS Elsing, 2015, S. 317.
Wie bei staatlichen Gerichten (s. § 11) besteht auch für das Schiedsgericht ggf. die Schwierigkeit, das anzuwendende (ausländische) Recht tatsächlich festzustellen. Sofern eine anwendbare Verfahrensordnung eine Beweisführung durch die Parteien vorsieht, gilt der Grundsatz iura novit curia nicht. Im Zweifel ist das Schiedsgericht aber befugt, den Inhalt ausländischen Rechts in jeder Weise festzustellen und auch die Parteien zur Mithilfe zu verpflichten.340 335 Vgl. U. Drobnig, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und wirtschaftsrechtliche Eingriffsnormen, FS Kegel, 1987, S. 95 ff.; A. Schnyder, RabelsZ 59 (1995), 293; Ch. Ungeheuer, Die Beachtung von Eingriffsnormen, 1996; J. Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationalen Schiedsverfahren, 2005; in der Schweiz G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 7.96 ff. 336 Vgl. K. Pörnbacher/S. Baur, FS Schütze, 2015, S. 431, 440 ff. 337 A. S. Papeil in Ferrari/Kröll, S. 341 ff. 338 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 11. Aufl. 2017, § 3 Rz. 58 ff. 339 M. Herdegen, (Fn. 338) § 3 Rz. 61 ff. 340 Vgl. J. Lew, FS Sandrock, S. 581, 599; F. Heidinger/J. Hof, SchiedsVZ 2008, 174; C. P. Alberti, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 3; T. Lörcher/K. Bauerschmidt, FS Elsing, 2015, 317.
1090
VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht | Rz. 18.180 § 18
Das Schiedsgericht hat die lex causae grds auch vor Erlass einstweiliger Maßnahmen zu ermitteln. Nur wenn dies im Einzelfall nicht rechtzeitig möglich ist, darf das Schiedsgericht die lex loci arbitri oder allgemeine Grundsätze des internationalen Handelsrechts anwenden.341 9. Billigkeitsentscheidungen Schrifttum: A. Bělohlávek, Application of law in arbitration ‚ex aequo et bono‘ and amiable compositeur, Czech Yearbook of Arbitration, 2013, 25; G. Schulze, Billigkeitsentscheidungen im internationalen Schiedsrecht auf der Grundlage von § 1051 Abs. 3 ZPO, FS Kaissis, 2012, S. 875; C. Stauder, Die Billigkeitsentscheidung in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2014, 287.
Die Parteien können das Schiedsgericht von der Pflicht zur Rechtsanwendung entbinden und ausdrücklich ermächtigen, einen Billigkeitsschiedsspruch zu erlassen (§ 1051 III ZPO).342 Auch dann hat das Schiedsgericht aber die Bestimmungen des Vertrags und bestehende Handelsbräuche zu beachten (§ 1051 IV ZPO; ebenso Art. 28 IV UNCITRAL-ML; Art. 21 III ICC Rules; Art. 33 III Swiss Rules; Art. 24.4 DIS Rules 2018).
18.179
VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht 1. Schrifttum A. Ahrendt, Der Zuständigkeitsstreit im Schiedsverfahren, 1996; G. Bermann, The „Gateway“ Problem in international commercial arbitration, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 55; S. Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren, 2020; R. Cafari Panico, Jurisdiction and applicable law in the case of so-called pathological arbitration clauses, in Ferrari/Kröll, Conflict of laws in international arbitration, 2011, S. 81; F. Dasser, Schiedsgerichte und staatliche Gerichte...., FS G. D. Karth, 2013, S. 109; J. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und die Reform der EuGVVO, 2015; N. Erk, Parallel proceedings in international arbitration, 2014; Y. Farah/S. Hourani, Recasting West Tankers in the deep water: how Gazprom and recast Brussels I reconcile Brussel I with international arbitration, JPIL 14 (2018), 96; Ph. Fölsing, US-Richter als Helfer in internationalen Schiedsverfahren, RIW 2013, 340; E. Gaillard, L’effet négatif de la compétence-compétence, Études en l’honneur Poudret, 1999, S. 387; E. Gaillard/Y. Banifatemi, The use of anti-suit injunctions in international arbitration, 2004; R. Geimer, Prozessschiedsspruch wegen (vermeintlicher) Unzuständigkeit des Schiedsgerichts, FS Elsing, 2015, S. 147; J. Gorskie, US Courts and the AntiArbitration Injunction, ArbInt 28 (2012), 295; J. Graves/Y. Davydan, Competence-competence and separability – American style, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 157; G. Hammer, Überprüfung von Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte in Deutschland, 2018; R. Harbst, Die Rolle der staatlichen Gerichte im Schiedsverfahren, 2002; D. Hascher, Le juge d’appui, in Cadiet/Clay/Jeuland, Médiation et arbitrage, 2005, 243; M. Ilmer, Der Arglisteinwand an der Schnittstelle von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit, 2007; P. Karrer, Parallel proceedings – A thing to be a voided?, FS Horn, 2006, S. 977; Ch. Kersting, Die Beendi-
341 Ch. Boog, The laws governing interim measures, in Ferrari/Kröll, Conflict of Laws in International Arbitration, 2011, S. 409, 431. 342 G. Schulze, FS Kaissis, 2012, S. 875, 877.
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18.180
§ 18 Rz. 18.180 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit gung einer Schiedsvereinbarung durch Anrufung staatlicher Gerichte, SchiedsVZ 2013, 297; O. Knöfel, Judicial assistance in the taking of evidence abroad in aid of arbitration: a German perspective, 5 JPIL (2009), 281; Ch. Koller, Aufrechnung und Widerklage im Schiedsverfahren, 2009; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, Comparative International Commercial Arbitration (Ch. 15), 2003, 355; J. Münch, Die Kompetenz-Kompetenz im Schiedsgerichtsverfahren, ZZPInt 19 (2014), 387; A. S. Rau, The allocation of power between arbitral tribunals and state courts, RdC 390 (2017), 9; A. Saathoff, Möglichkeiten und Verfahren gerichtlicher Hilfe bei der Beweisaufnahme zugunsten fremdnationaler Handelsschiedsgerichtsverfahren, 1987; P. Schlosser, Anti-suit injunctions zur Unterstützung im internationalen Schiedsverfahren, RIW 2006, 486; P. Schlosser, „Offensichtlichkeit“ als justizieller Kontrollbegriff – insbesondere im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, GS Koussoulis, 2012, S. 495; N. Schoibl, Europäische Rechtshilfe bei der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen durch ordentliche Gerichte für Schiedsgerichte, FS Rechberger, 2005, S. 513; E. Schwartz/R. Johnson, Court-assisted Discovery in Aid of International Commercial Arbitrations, JIntArb 15 (3) (1998), 53; H. Seriki, Anti-suit injunctions and arbitration, JIntArb 23 (2006) (1), 25; B. Steinbrück, US-amerikanische Beweishilfe für ausländische private Schiedsverfahren, IPRax 2008, 448; B. Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2008; B. Steinbrück, Orders compelling performance of arbitration agreements – lessons to be learnt from US-law, SchiedsVZ 2010, 177; D. Synatschke, Die Unzuständigkeitserklärung des Schiedsgerichts, 2006; A. R. Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, 2018; V. Wächter, Die Schiedseinrede bei Auslandsberührung, 2020; M. Wirth/U. Hoffmann-Nowotny, Rechtshilfe deutscher Gerichte zugunsten ausländischer Schiedsgerichte bei der Beweisaufnahme, SchiedsVZ 2005, 66.
2. Schiedseinrede
18.181 Wird ein gerichtliches Verfahren entgegen einer wirksamen Schiedsabrede eingeleitet, so wird die Klage auf Einrede des Beklagten (§ 1032 I ZPO; Art. II [3] UNÜ) als unzulässig abgewiesen. Die Einrede ist nach deutschem Prozessrecht rechtzeitig zu erheben,343 auch wenn die Schiedsvereinbarung ausländischem Recht untersteht.344 Die Schiedseinrede greift auch gegenüber (Vor-)Verfahren im Urkunden- und Wechselprozess,345 nicht jedoch gegenüber Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Schiedsvereinbarung wird unwirksam, wenn sich die Gegenpartei auf Klage vor dem staatlichen Gericht sachlich auf das Verfahren einlässt, ohne die Schiedseinrede zu erheben. Soweit andere Staaten Schiedsvereinbarungen anerkennen, ist die Rechtslage vergleichbar.346 Parallele Verfahren vor dem staatlichen Gericht und dem Schiedsgericht werden nicht zugelassen.347 Die rechtskräftige Klagabweisung im
343 Vgl. BGHZ 147, 394 = NJW 2001, 2176; Weigand/Haas, Art. II UNÜ Rz. 112. 344 OLG Düsseldorf, RIW 1996, 776, 777. Zur Rechtslage im Ausland s. M. Cobb, Domestic Court’s Obligation to Refer Parties to Arbitration, ArbInt 17 (2001), 313. 345 BGHZ 165, 376 = NJW 2006, 779 = SchiedsVZ 2006, 646; BGH, SchiedsVZ 2007, 215, 216; OLG Celle, SchiedsVZ 2006, 52, 54; a.A. OLG Düsseldorf, DB 1996, Beilage 15, S. 23; vgl. Ch. Annen/F. Schmidt, SchiedsVZ 2007, 304. 346 Vgl. Tribunal Supremo de Justicia Venezuela, Constitutional Chamber, YCA 36 (2011), 496. 347 Zur Rechtslage in Alberta/Kanada s. Burowski v Heinrich Fiedler, Court of Queen’s Bench. Alberta [1996] ILPr 373.
1092
VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht | Rz. 18.185 § 18
Staat A wegen wirksamer Schiedsvereinbarung ist auch in anderen Staaten zu beachten.348 Die Schiedseinrede ist nach § 1032 I ZPO, aber auch nach den meisten anderen Rechtsordnungen unbegründet, wenn die Schiedsvereinbarung nichtig, unwirksam oder undurchführbar ist (vgl. Art. II (3) UNÜ). Insoweit steht dem staatlichen Gericht eine indirekte Kompetenzentscheidung zu.349 Undurchführbar ist eine Schiedsvereinbarung etwa bei Mittellosigkeit des Klägers; einer Kündigung des Schiedsvertrags bedarf es dann nach Ansicht des BGH nicht.350
18.182
Erklärt sich ein (ausländisches) Schiedsgericht auf Klage für unzuständig, ist der Kläger (trotz möglicherweise bestehenden Schiedsvertrags) nicht gehindert, seinen Anspruch vor dem staatlichen Gericht geltend zu machen.351
18.183
Bis zur Bildung des Schiedsgerichts kann vor dem staatlichen Gericht die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens beantragt werden (§ 1032 II ZPO).352 Die gerichtliche Feststellung wird meist respektiert werden. Aber auch nach Feststellung der Unzulässigkeit kann rechtlich dennoch ein Schiedsverfahren eingeleitet und nach Ermessen des Schiedsgerichts fortgesetzt werden sowie darin ein Schiedsspruch ergehen (§ 1032 III ZPO).353 Parallele Verfahren vor dem staatlichen Gericht und dem Schiedsgericht lassen sich also nicht vollständig vermeiden.354
18.184
Der Schiedseinrede kann die Arglisteinrede entgegengesetzt werden, wenn der Gegner die notwendigen Kostenvorschüsse nicht leisten kann oder will.355 Gleiches gilt, wenn sich der Beklagte zuvor beim Versuch einer Einleitung des Schiedsverfahrens selbst darauf berufen hat, dass die Streitigkeit nicht von der Schiedsabrede erfasst sei.356
18.185
Umgekehrt kann die Berufung auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung arglistig und unzulässig sein, wenn sich der Beklagte zuvor vor dem staatlichen Gericht selbst auf die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung berufen hat.357 348 C. Kessedjian, JIntArb 18 (1) (2001), 1, 2 f. 349 Vgl. Poudret/Besson, Rz. 488 ff., J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 14.90 ff. 350 BGHZ 145, 116 = NJW 2000, 3720, 3721 = BB 2001 Beilage 6, S. 17 (krit. dazu J. Risse, S. 11). 351 OLG Düsseldorf, RIW 1996, 239. 352 Vgl. F. Spohnheimer, Die Vorabentscheidung über die (Un-)Zulässigkeit des schiedsgerichtlichen Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO durch staatliche Gerichte, FS G. Käfer, 2009, S. 357. 353 F. Spohnheimer, FS G. Käfer, 2009, S. 357, 372ff. 354 Vgl. S. Breder, Die Verzahnung…, 2020. Zur Rechtslage in Alberta (Kanada) s. Burowski v Heinrich Fiedler, Court of Queen’s Bench Alberta [1996] ILPr 373. 355 BGH, NJW 1988, 1215; OLG Hamm, RIW 1995, 681, 682; OLG Hamburg, RIW 1996, 510, 511. 356 OLG Frankfurt, RIW 1999, 461, 463 = IPRax 1999, 247, 251 (dazu W. Hau, S. 232, 233). 357 Schiedsgericht der IHK Kassel, SchiedsVZ 2006, 167; Schiedsgericht der Bundeskammer Wien RIW 1995, 590.
1093
§ 18 Rz. 18.186 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.186 Unterlässt es der Beklagte rechtzeitig die Schiedseinrede zu erheben, so lässt er sich auf das staatliche Gerichtsverfahren rügelos ein. Das statliche Gericht wird zuständig; die Schiedsvereinbarung verliert ihre Wirkung.358 Verneint das staatliche Gericht die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und erlässt es ein Sachurteil, ist dieses im Rahmen von EuGVO bzw. LugÜ anzuerkennen (s. Rz. 12.97); ansonsten entscheidet das Anerkennungsgericht selbständig über die Zuständigkeit des Erstgerichts.359 3. Kompetenz-Kompetenz
18.187 Über Wirksamkeit und Umfang der Schiedsabrede entscheidet nach dem Muster in Art. 16 UNCITRAL-ML in fast allen Staaten (Ausnahme: USA) vorläufig primär das angerufene Schiedsgericht; es befindet also insoweit über seine eigene Kompetenz.360 18.188 a) Selbständigkeit der Schiedsvereinbarung. Da die Schiedsvereinbarung als unabhängiger, selbständiger Vertrag angesehen wird, steht dem Schiedsgericht nach allgemeiner Ansicht auch die Befugnis zu, über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Hauptvertrags zu entscheiden. Art. V (3) EuÜ lautet: „Vorbehaltlich einer dem staatlichen Gericht nach seinem Recht zustehenden späteren Überprüfung kann das Schiedsgericht, dessen Zuständigkeit bestritten wird, das Verfahren fortsetzen; es ist befugt, über seine eigene Zuständigkeit und über das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung oder des Vertrages, in dem diese Vereinbarung enthalten ist, zu entscheiden.“ Gleiches ist in Art. 186 schweiz. IPRG vorgesehen.361
18.189 Verneint das Schiedsgericht seine Kompetenz, weist es die Schiedsklage ab. Der Kläger kann seine Ansprüche vor dem staatlichen Gericht verfolgen; der Beklagte kann wegen der Rechtskraftwirkung des Schiedsspruchs (§ 1055 ZPO) keine Schiedseinrede mehr erheben. Jede Partei könnte nach § 1059 ZPO Aufhebung des zuständigkeitsverneinenden Prozessschiedsspruchs beantragen, allerdings nur gestützt auf die dort genannten Aufhebungsgründe.362 Die fehlerhafte Verneinung der eigenen Kompetenz ist aber von keinem der dort aufgezählten Aufhebungsgründe erfasst.363 18.190 Bejaht das Schiedsgericht nur inzident seine Kompetenz, kann der Beklagte diese „Entscheidung“ zunächst nicht vor einem staatlichen Gericht anfechten. Erst gegen den Schiedsspruch kann Aufhebungsklage erhoben werden, weil eine wirksame Schiedsvereinbarung tatsächlich nicht vorlag (§ 1059 I Nr. 1 a ZPO). Die endgültige 358 Vgl. ICC Award No 19127, YCA 42 (2017), 251, 275 f. 359 C. Kessedjian, JIntArb 18 (1) (2001), 1, 4; vgl. auch S. Dutson, Breach of an arbitration exclusive jurisdiction clause, ArbInt 2000, 89. 360 Vgl. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 66 ff.; R. Cafari Panico, S. 81, 85 ff.; Poudret/Besson, Rz. 457 ff.; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 14.13 ff.; P. Binder, Intern. Commercial Arbitration, 3rd ed. 2010, para 4-001et seq. 361 Vgl. G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 5.06 ff.; ICC Award No 19127, YCA 42 (2017), 251, 262. 362 BGHZ 151, 79 = NJW 2002, 3031 = IDR 2002, 40 (O. Sandrock). 363 Krit R. Geimer, FS Elsing, 2015, 147, 148.
1094
VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht | Rz. 18.193 § 18
Kompetenz-Kompetenz liegt daher beim staatlichen Gericht am Sitz des Schiedsgerichts.364 Auch gegen die Vollstreckbarerklärungeines ausländischen Schiedsspruchs kann in jedem Vollstreckungsstaat eingewandt werden, dass eine wirksame Schiedsvereinbarung fehlt, weil der Schiedsspruch dann i.d.R. unwirksam ist (§ 1061 I ZPO; Art. V [1] [a] UNÜ). b) Zwischenentscheid. Der BGH hatte freilich den Schiedsgerichten vor der ZPOReform eine weitgehende endgültige Kompetenz-Kompetenz zuerkannt. Eine entsprechende Vereinbarung hat er als zweite Schiedsabrede über die Wirksamkeit der ersten ausgelegt, so dass nur noch die Wirksamkeit der zweiten Abrede und damit i.d.R. nichts nachgeprüft werden kann.365
18.191
§ 1040 III 2 ZPO ist dieser Ansicht nach dem Vorbild von Art. 16 (3) UNCITRALModellgesetz366 zu Recht nicht gefolgt. Die Vorschrift bestimmt, dass das Schiedsgericht über eine Rüge seiner Unzuständigkeit durch den Schiedsbeklagten durch Zwischenentscheid befindet, wenn es seine Zuständigkeit bejahen will.367 Gegen diesen kann jede Partei innerhalb eines Monats nach schriftlicher Mitteilung eine Entscheidung des OLG beantragen (§§ 1040 III 2, 1062 I Nr. 2 ZPO). Die Wirksamkeit der Schiedsabrede kann auf diese Weise stets vom staatlichen Gericht überprüft werden.368 Diese Entscheidung erwächst in Rechtskraft und ist in Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines dennoch erlassenen Schiedsspruchs zu beachten.369 Setzt das Schiedsgericht das Verfahren fort und erlässt einen Schiedsspruch in der Hauptsache, so bleibt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Zwischenentscheid bestehen.370 Wird die Kompetenz des Schiedsgerichts endgültig verneint, ist der Schiedsspruch auf Antrag nach § 1059 aufzuheben (s. Rz. 18.224, 18.249, 18.254). Wird die Kompetenz bzw. Schiedsfähigkeit dagegen bejaht, so ist dies für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung bindend.371
18.192
Das US-amerikanische Recht weist dagegen die Kompetenz-Entscheidung ausschließlich dem staatlichen Gericht zu. Ist die Schiedsvereinbarung vor dem Schiedsgericht streitig, so muss es sein Verfahren aussetzen und der Beklagte kann das staatliche Gericht anrufen.
18.193
364 Poudret/Besson, Rz. 478 ff. 365 BGHZ 68, 356 = NJW 1977, 1397; BGH, RIW 1991, 673; BGH, JZ 1989, 201; OLG Düsseldorf, DZWir 1997, 123 (dazu U. Kornblum, S. 126). 366 Vgl. V. Pavić, (In)Appropriate Compromise, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 387. 367 OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 341. Ebenso Art. 186 III Schweiz, IPRG. 368 S OLG Frankfurt, IPRax 2013, 83, 85 (Rz. 45 ff.) (dazu Ch. Tietje, S. 64); vgl. BGHZ 162, 9, 13 f = NJW 2005, 1125; K.H. Schwab/G. Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 6 Rz. 9, Kap. 16 Rz. 10 ff; G. Hammer, S. 100 ff. 369 BGH SchiedsVZ 2016, 339, 340 (Rz. 12); OLG München v. 27.2.2020 – 34 Sch 15/17. 370 BGH, MDR 2016, 1163 (Rz. 9) = SchiedsVZ 2017, 103 (A. Gebert) = IPRax 2017, 614 (dazu A.-R. Börner, S. 568); a.A. BGH, SchiedsVZ 2013, 333 u. SchiedsVZ 2014, 200. 371 OLG München v. 27.2.2020 – 34 Sch 15/17.
1095
§ 18 Rz. 18.194 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.194 Das englische Recht gestattet dem Gericht, auf Antrag bereits während des laufenden Schiedsverfahrens die Schiedsvereinbarung für ungültig zu erklären.372 Vorzuziehen ist die mittlere Lösung, die Art. 16 (3) UNCITRAL ML vorsieht. 18.195 Umgekehrt kann das Schiedsgericht seine Tätigkeit nicht einfach verweigern, indem es die Schiedsvereinbarung als unwirksam ansieht. Die französischen Gerichte kontrollieren auf Antrag einer Seite, ob die Vereinbarung nicht doch wirksam ist und halten das Schiedsgericht an, einen übernommenen Schiedsauftrag auszuführen.373 4. Anti-suit Injunction Schrifttum: N. Andrews, Injunctions in Support of Civil Proceedings and Arbitration, in Stürner/Kawano, Comparative Studies on Enforcement and Povisional Measures, 2011, S. 319; R. Daujotas, The Arbitral Tribunal’s Anti-suit Injunctions in European Union Law, CYArb 8 (2018), 57; A. Dutta/Ch. Heinze, Enforcement of arbitration agreements: Anti-suit injunctions in Europe, YearbookPIL 9 (2007), 415; A. Dutta/Ch. Heinze, Anti-suit injunctions zum Schutz von Schiedsvereinbarungen, RIW 2007, 411; G. Fischer, Anti-suit injunctions to restrain foreign proceddings in breach of an arbitration agreement, Bond Law Rev. 22 (2010), 1; E. Gaillard, Anti-suit Injunction in International Arbitration, 2003; W. Hau, Anti-suit Injunctions in Judicial and Arbitral Procedures, in Schmidt-Kessel, German National Reports on the 20th International Congress of Comparative Law, 2018, S. 269, 280; Ch. Kersting/S. Kleine, Der Schutz von Schiedsverfahren gegen Italian Torpedoes, FS Elsing, 2015, S. 217; I. Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008.
18.196 Bis zur Bildung eines Schiedsgerichts kann in Deutschland nach § 1032 II ZPO bei Gericht Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Schiedsverfahrens gestellt werden. Nach Bildung des Schiedsgerichts muss dessen Unzuständigkeit im Schiedsverfahren nach § 1040 II ZPO gerügt werden.374 Trotz Rüge kann das Schiedsgericht sein Verfahren fortsetzen und einen Schiedsspruch in der Sache erlassen (§ 1040 III 3 ZPO). Hieraus folgt, dass ein deutsches Gericht dem Schiedsgericht nicht durch einstweilige Verfügung verbieten kann, sein Verfahren fortzusetzen.375 18.197 Ob im Ausland die Möglichkeit zum Erlass einer solchen anti-suit injunction376 gegen ein Schiedsgericht besteht, richtet sich nach dem Recht am Sitz des Schiedsgerichts. In den common law Staaten kann eine Partei den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragen, durch die einer Partei die Fortsetzung eines Schiedsverfahrens verboten wird. Voraussetzung ist allerdings, dass der Antragsteller eindeutig darlegen kann, dass es an einer Schiedsvereinbarung fehlt.377 Häufiger genutzt wird in den common law Staaten die umgekehrte Möglichkeit, bei Bestehen einer Schieds372 J. Hill, International commercial disputes, § 16.2 (S. 463); vgl. R. Merkin, Arbitration Act 1996, 5th ed. 2016. 373 Cour d’appel de Paris, Rev.arb. 1995, 107 note S. Jarvin. 374 Schwab/Walter, Kap. 7 Rz. 17. 375 Schwab/Walter, Kap. 7 Rz. 19; vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 283. 376 Vgl. E. Gaillard, 2003; H. Seriki, JIntArb 23 (1) (2006), 25; G. Fischer, Bond Law Rev 22 (2010), 1; J. Gorskie, ArbInt 28 (2012), 295. 377 J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 15.25 ff.
1096
VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht | Rz. 18.200 § 18
vereinbarung ein Anspruch auf Unterlassung einer Klage vor einem staatlichen Gericht bzw. auf Fortsetzung des begonnenen Verfahrens mittels anti-suit injunction durchzusetzen.378 Innerhalb der EU ist der Erlass einer anti-suit injunction zugunsten eines Schiedsgerichts allerdings unzulässig.379 Auch im Rahmen des UNÜ ist der Erlass zweifelhaft, weil nach Art. II (3) UNÜ das mit einer Klage angerufene Gericht darüber zu entscheiden hat, ob die Schiedsvereinbarung wirksam ist oder nicht, und dessen Entscheidung nicht durch die Unterlassungsverfügung eines anderen Gerichts vorweggenommen werden darf. Englische Gerichte gewähren aber im Verhältnis zu Drittstaaten weiterhin eine anti-suit injunction, sei es, um die Einleitung oder Fortsetzung eines Gerichtsverfahrens zugunsten eines Schiedsverfahrens, sei es, um die Einleitung oder Fortsetzung eines Schiedsverfahrens zugunsten des staatlichen Gerichtsverfahrens zu verbieten.380
18.198
Der teilweise beschrittene Ausweg der Vereinbarung einer Schadenersatzpflicht bei einer vereinbarungswidrigen Klage vor dem staatlichen Gericht hindert diese Klage nicht und bringt Schwierigkeiten beim Schadensnachweis mit sich.381
18.199
Umgekehrt hindert die Brüssel Ia-VO ein Schiedsgericht nicht, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, mit der den Parteien das Betreiben eines Verfahrens vor einem staatlichen Gericht untersagt wird; die Brüssel Ia-VO steht auch einer Anerkennung nicht entgegen.382 Zur Vollstreckung bedarf eine solche anti-suit injunction freilich der Anerkennung nach dem UNÜ bzw. dem nationalen Prozessrecht. Die Anerkennung einer solchen Vefügung scheitert aber meist am nationalen ordre public.383
18.200
5. Aufrechnung vor dem Schiedsgericht Schrifttum: K.P. Berger, Die Aufrechnung im internationalen Schiedsverfahren, RIW 1998, 426; Ch. Fountoulakis, Set-off Defences in International Commercial Arbitration, 2011; U. Haas, Aufrechnung im Schiedsverfahren und Art. 19 ICC-SchO, FS v. Hoffmann, 2011, S. 949; M. Kawano, Aufrechnung und Schiedsgerichtsbarkeit, ZZPInt 4 (1999), 393; Ch. Koller, Auf-
378 The Angelic Grace, [1995] 1 Lloyd’s Rep 87 (CA); P. Schlosser, RIW 2006, 486, 491 f.; J. Zekoll/M. Collins/G. Rutherglen, Transnational civil Litigation, Ch. 9 D Antisuit injunctions in aid of arbitration, 2013, 723 ff.; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 15.28 ff. 379 EuGHE 2009, I-663 (Allianz SpA v West Tankers) = NJW 2009, 1655 (M. Lehmann, S. 1645) = IPRax 2009, 33 (M. Illmer, S. 312); dazu J. Grierson, JIntArb 26 (2009), 891; I. Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008. 380 Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC v AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP, Trinity Term [2013] UKSC 35; vgl. N. Andrews, S. 329, 333 f.; G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 5.70. 381 Vgl. S. Manner/O.L. Mosimann, Damages and fixed sums for breach of arbitration agreement, FS Schwenzer, 2011, S. 1197. 382 EuGH – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom, RIW 2015, 427; vgl. R. Daujotas, CYArb 8 (2018), 57. 383 Court of Appeal of Lithuania, YCA 38 (2013), 417; für Deutschland Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 34.
1097
§ 18 Rz. 18.201 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit rechnung und Widerklage im Schiedsverfahren, Wien 2009; R. Schütze, Die Geltendmachung von Gegenforderungen im Schiedsverfahren, FS Kargados, 2004, S. 1009.
18.201 Die Aufrechnung ist unabhängig von ihrer Konstruktion ein Verteidigungsmittel, keine Widerklage. Materiell-rechtlich ist die Aufrechnung zulässig, wenn das Recht der Hauptforderung (gegen die aufgerechnet werden soll) sie zulässt.384 Davon zu unterscheiden ist die prozessuale Zulässigkeit nach der lex loci arbitri. Mit einer konnexen Gegenforderung, die derselben Schiedsvereinbarung unterliegt, kann ohne weiteres (auch bei Streit über die Gegenforderung) aufgerechnet werden.385 Das gleiche gilt, wenn die vereinbarte Schiedsordnung vorsieht, dass das Schiedsgericht über eine zur Aufrechnung gestellte Forderung auch dann entscheiden kann, wenn diese einer abweichenden Schieds- oder Gerichtsstandsvereinbarung unterliegt.386 Die Schiedspraxis lässt die Aufrechnung auch mit Forderungen aus „closely related contracts“ zu.387 Aufgerechnet werden kann auch mit anderen Gegenforderungen, für die keine andere (ausschließliche) gerichtliche oder schiedsgerichtliche Zuständigkeit besteht.
18.202 Unterliegt die Aufrechnungsforderung dagegen einer abweichenden Gerichtsstandsoder Schiedsvereinbarung, ist die Zulässigkeit der Aufrechnung streitig. Nach einer Ansicht ist wie bei streitigen rechtswegfremden Gegenforderungen zu verfahren. Das Schiedsgericht erlässt entweder einen Vorbehaltsschiedsspruch388 oder das Schiedsverfahren ist auszusetzen, damit über die streitige Forderung vor dem zuständigen Gericht oder Schiedsgericht389 entschieden werden kann. Das Ergebnis ist dann vom Schiedsgericht bei seinem Spruch zu beachten. Die pragmatischere Ansicht behandelt die Aufrechnung als materielle Einwendung, für deren Beachtung es keiner besonderen Zuständigkeit bedarf (so ausdrücklich Art. 377 Schweiz. ZPO).390 Die dritte Ansicht stellt die Aufrechnung in diesen Fällen einer Widerklage gleich. Danach ist die Aufrechnung grds unzulässig, es sei denn, die Aufrechnungsforderung sei unstreitig, der Kläger bestreite die Zulässigkeit der Aufrechnung nicht oder beide Parteien ergänzen ihre Schiedsvereinbarung entsprechend.391 6. Ersatzbestellung von Schiedsrichtern
18.203 Soweit kein anderes Verfahren vereinbart ist, kann jede Partei vom Gericht die Bestellung eines Schiedsrichters anstelle der Gegenpartei verlangen, wenn diese mit der Bestellung in Verzug kommt oder sie ganz ablehnt (§ 1039 I ZPO). Eine Ersatzbestel384 385 386 387 388 389 390 391
BGHZ 38, 254, 256 = NJW 1963, 243 f = MDR 1963, 125 f. Ch. Koller, S. 103 ff. Ch. Koller, S. 114 ff. Vgl. K.P. Berger, RIW 1998, 426, 427 f (in engl. Sprache: ArbInt 1999, 53); H. Jauch, Aufrechnung und Verrechnung in der Schiedsgerichtsbarkeit, 2001. Hierfür R. Schütze, FS Kargados, 2004, S. 1009, 1013. Vgl. P. Binder, Intern. Commercial Arbitration, 3rd ed. 2010, para 11-012 f. Vgl. K.P. Berger, RIW 1998, 426, 429; Poudret/Besson, Rz. 323 ff.; G. Kaufmann-Kohler/ A. Rigozzi, Rz. 3.149. K.P. Berger, RIW 1998, 426, 430.
1098
VI. Verhältnis staatliches Gericht – internationales Schiedsgericht | Rz. 18.208 § 18
lung scheidet dagegen in Deutschland aus, wenn ein bestellter Schiedsrichter zurücktritt oder abgelehnt wird.392 Angerufen werden kann das Gericht am Sitz des Schiedsgerichts (so ausdrücklich § 1062 I ZPO; Art. 179 II 1 schweiz. IPRG).393 Dem Antrag ist stattzugeben, es sei denn, es bestehe offensichtlich keine Schiedsvereinbarung (vgl. Art. 179 III schweiz. IPRG). 7. Abberufung von Schiedsrichtern Wird ein Schiedsrichter wegen Befangenheit abgelehnt (§ 1036 ZPO) oder wird die Beendigung seines Amtes wegen Unfähigkeit oder Unmöglichkeit vereinbart (§ 1038 ZPO), entscheidet das Gericht über die Berechtigung des Antrags (§ 1062 I Nr. 1 ZPO), sofern der Schiedsrichter sein Amt nicht freiwillig niederlegt.
18.204
Das Schiedsgericht kann trotz des Ablehnungsantrags weiter verhandeln; ein etwa erlassener Schiedsspruch ist dann aber „auflösend bedingt“, d.h. unterliegt der Aufhebung, wenn der Antrag für begründet erklärt wird. Nach englischem Recht kann das Gericht das Schiedsverfahren durch injunction einstellen oder einen Schiedsrichter abberufen, an dessen Unabhängigkeit Zweifel bestehen, der sich „misconduct“ während des Verfahrens schuldig gemacht hat oder seine Pflichten nicht erfüllt (Arbitration Act 1996, sec. 24).
18.205
8. Verfahrensverzögerungen Bei Verfahrensverzögerungen durch Schiedsrichter oder Schiedsparteien darf das staatliche Gericht nicht direkt eingreifen. Wird ein Schiedsrichter nicht tätig, kann nach § 1038 I ZPO notfalls bei Gericht die Feststellung über die Beendigung des Amtes beantragt werden. Auf die Säumnis des Schiedsklägers kann das Schiedsgericht mit Klagabweisung, auf die Säumnis des Schiedsbeklagten mit einseitiger streitiger Entscheidung reagieren (§ 1048 ZPO). Ähnlich kann ein englisches Schiedsgericht gem. sec. 41 Arbitration Act 1996 entscheiden.
18.206
9. Hilfestellung bei der Beweisaufnahme Schrifttum: O. Knöfel, Judicial Assistance in the Taking of Evidence Abroad in Aid of Arbitration: A German Perspective, JPIL 5 (2009), 281; J. Kraayvanger/J. Wendler, US-Beweishilfe in Schiedsverfahren – ein Anschlag auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit?, SchiedsVZ 2008, 161; P. Martinez-Fraga, Anwendung und Vermeidung der Discovery nach 28 U.S.C. § 1782 im internationalen Handelsschiedsverfahren, SchiedsVZ 2010, 85; M. W. Oehm, Das Rechtshilfeverfahren in Beweissachen nach 28 U.S.C. § 1782 in der internationalen Handelsund Investitionsschutzschiedsgerichtsbarkeit, 2016; L. Wyss, Vorsorgliche Maßnahmen und Beweisaufnahme – die Rolle des staatlichen Richters bei internationalen Schiedsverfahren aus Schweizer Sicht, SchiedsVZ 2011, 194.
18.207
Nach § 1050 ZPO kann das Schiedsgericht selbst oder eine Partei mit Zustimmung des Schiedsgerichts die Unterstützung des staatlichen Gerichts bei der Beweisaufnah-
18.208
392 KG, SchiedsVZ 2008, 200. 393 Vgl. BayObLG, SchiedsVZ 2004, 316.
1099
§ 18 Rz. 18.208 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
me beantragen.394 Zuständig ist nach § 1062 IV ZPO das AG, in dessen Bezirk die Beweisaufnahme stattfinden soll. Das Gericht erledigt den Antrag nach seinem eigenen Verfahrensrecht; die Schiedsrichter dürfen aber an der Beweisaufnahme teilnehmen und Fragen stellen. Das Antragsrecht nach § 1050 ZPO ist nicht auf Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland beschränkt; nach § 1025 II ZPO besteht vielmehr eine internationale Zuständigkeit für die Hilfestellung auch, wenn der Ort des Schiedsverfahrens im Ausland liegt oder noch nicht bestimmt ist.395
18.209 In den USA können Schiedsgerichte oder Parteien beim Bundesgericht beantragen, dass die Gegenpartei Unterlagen nach Discovery-Regeln vorlegt.396 Nach 28 USC § 1782 besteht diese Möglichkeit auch zugunsten ausländischer Schiedsgerichte.397 10. Entscheidung über rechtliche Vorfragen
18.210 Nach den meisten Rechtsordnungen ist das Schiedsgericht bei seiner Rechtsanwendung frei und nicht an Vorgaben eines staatlichen Gerichts gebunden. Sec. 45 English Arbitration Act 1996 sieht dagegen die Möglichkeit vor, dass das Schiedsgericht auf Antrag der Parteien dem staatlichen Gericht die Beurteilung einer rechtlichen Vorfrage vorlegt. Dieses nimmt den Antrag aber nur an, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass die Entscheidung der Rechtsfrage zu einer erheblichen Kosteneinsparung führt und der Antrag unverzüglich gestellt wurde. Auch eine Schiedspartei kann einen entsprechenden Antrag nach Sec. 69 Arbitration Act 1996 stellen, wenn die Gegenpartei zustimmt oder das staatliche Gericht den Antrag selbst zulässt.
VII. Einstweiliger Rechtsschutz 1. Schrifttum
18.211 M. Appel, Interim measures in international commercial arbitration, 2007; St. Bandel, Einst-
weiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren, 2000; A. Bösch, Provisional remedies in international commercial arbitration, 1994; A. Bösch, Einstweiliger Rechtsschutz in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1988; Ch. Boog, The laws governing interim measures in international arbitration, in Ferrari/Kröll, Conflict of laws in international arbitration, 2011, S. 409; Ch. Brower/W. M. Tupman, Court-ordered provisional measures under the New York Convention, AmJIntL 80 (1986), 24; L. Ebb, Flight of Assets from the Jurisdiction: Pre and Post-Award Conservatory Relief in International Commercial Arbitration, JIntArb. 7 (1990), 1; R. Hall/T. Cameron, Interim Measures in Connection with International Arbitration: A Comparison of Pre-Arbitration Relief Obtained Through U.S. Courts and emergency Arbitration, FS Wegen, 2015, S. 653; D. Hascher, L’exécution provisoire en arbitrage international, 394 Zu Art. 27 ML s. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 70 f. 395 Münch in MünchKomm/ZPO, § 1050 ZPO Rz. 14; vgl. M. Wirth/U. Hoffmann-Nowotny, SchiedsVZ 2005, 66; O. Knöfel, JPIL 5 (2009), 281, 295 ff. 396 Vgl. E. Schwartz/R. Johnson, J.Int.Arb. 15 (3) (1998), 53. 397 Vgl. B. Steinbrück, IPRax 2008, 448; J. Kraayvanger/J. Wendler, SchiedsVZ 2008, 161; P. Martinez-Fraga, SchiedsVZ 2010, 85.
1100
VII. Einstweiliger Rechtsschutz | Rz. 18.212 § 18 Études en l’honneur de Poudret, 1999, S. 403; K. Hempel, Einstweiliger Rechtsschutz durch Schiedsgerichte – Cui bono?, FS R. Welser, Wien 2004, S. 269;F. Knoepfler, Les measures provisoires et l’arbitrage, in Cadiet/Clay/Jeuland, Médiation et arbitrage, 2005, 269; B. Kohl, Vorläufiger Rechtsschutz in internationalen Handelsschiedsverfahren, 1990; T. Kojovic, Court Enforcement of Arbitral Decisions on Provisional Relief, JIntArb 18 (2001), (5), 511; M. Krimpenfort, Vorläufige und sichernde Maßnahmen im schiedsrichterlichen Verfahren, 2001; St. Kröll, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für einstweiligen Rechtsschutz bei ausländischem Schiedsort, IHR 2005, 142; D. Leipold, Interim protection before Arbitral Tribunals under German Law, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 92; P. Mayer, Imperium de l’arbitre et mesures provisoires, Études en l’honneur de Poudret, 1999, S. 437; L. Newman/M. Burrows, The Practice of International Litigation, 2nd ed. 1998, II-9 (Provisional remedies in aid of international arbitration) – V-4 (International Arbitration, Provisional Remedies); A. Reiners, Les mesures provisoires et conservatoires et l’Arbitrage international, JDI 125 (1998), 853; G. Wagner, Provisional Measures in Arbitration Procedure, in Stürner/Kawano, International contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 99; L. Westphal/D. Busse, Vorläufige Maßnahmen durch ein bei Großprojekten vereinbartes ständiges Schiedsgericht, SchiedsVZ 2006, 21; A. Yeşilirmak, Provisional measures in international commercial arbitration, 2005; J. Zekoll/Ph. Giessen, Das ex parte-Eilverfahren und das Exequaturverfahren für schiedsrichterliche Eilmaßnahmen im UNCITRAL Model Law, SchiedsVZ 2010, 137. Zum Emergency-Arbitrator: K.-A. Gerstenmaier, Die Vollziehbarkeit von Entscheidungen des Eilschiedsrichters, FS Elsing, 2015, S. 153; A. Ghaffari/E. Walters, The Emergency Arbitrator – The Dawn of a New Age?, ArbInt 30 (2014), 153; P. Giessen, Der Pre-Arbitral-Referee und der Emergency Arbitrator in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2012; P. Hauser, Eilrechtsschutz nach der neuen ICC-Schiedsordnung: der „Emergency Arbitrator“, RIW 2013, 364; J. Horn, Der Emergency Arbitrator und die ZPO, 2019; E. Loquin, L’arbitre d’urgence, un objet huridique non identifié, IJPL 2 (2012), 261.
2. Einstweiliger Rechtsschutz vor dem staatlichen Gericht Die Schiedsvereinbarung schließt nach § 1033 ZPO nicht aus, vor dem staatlichen Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen.398 Dazu gehört auch die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens, solange das Schiedsgericht nicht konstituiert ist.399 Aus dem gleichen Grund bleibt eine Rechtsverfolgung im Wechselprozess regelmäßig zulässig.400 Auch nach Art. 9 UNCITRAL Model Law kann trotz einer Schiedsvereinbarung einstweiliger Rechtsschutz vor dem staatlichen Gericht begehrt werden. Dies entspricht der Rechtslage in den meisten Staaten.401 Die Zuständigkeit des Gerichts richtet sich nach dem für die Vollstreckbarkeitserklärung des Schiedsspruches geltenden Zuständigkeitsregeln.402 Nach in Deutschland h.M. können die Parteien den einstweiligen Rechtsschutz vor dem staatlichen Ge-
398 Vgl. St. Bandel, S. 267 ff. 399 OLG Koblenz, BB 2001, Beilage 6, S. 22; a.A. OLG Düsseldorf, SchiedsVZ 2008, 258 (ablehnend P. Schlosser). 400 BGH, JZ 1994, 370 mit Anm. R. Schütze; krit. St. Smid, DZWir 1996, 234. 401 Vgl. J. Lew/L.Mistelis/St. Kröll, para. 23.101 ff. 402 OLG Hamburg, RIW 1996, 857.
1101
18.212
§ 18 Rz. 18.212 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
richt nicht ausschließen.403 Auch die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsorts schließt die inländische Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz nicht aus.404 Freilich wird zunehmend die Ansicht vertreten, durch besondere Vereinbarung könne dies doch geschehen, wenn bei einem institutionalisierten Schiedsgericht ein Spruchkörper bereitstehe, der effektiven Eilrechtsschutz gewährleiste.405
18.213 Nach der van Uden-Entscheidung des EuGH ist der einstweilige Rechtsschutz des staatlichen Gerichts in diesen Fällen territorial begrenzt (s. Rz. 17.18, 18.21), so dass eine freezing order (Mareva injunction) mit grenzüberschreitender Wirkung jedenfalls gegenüber Parteien mit europäischem Wohnsitz/Sitz nicht mehr erlassen werden kann.406 3. Einstweiliger Rechtsschutz durch das Schiedsgericht
18.214 Umgekehrt kann das Schiedsgericht auf Antrag einer Partei vorläufige oder sichernde Maßnahmen anordnen, die es im Hinblick auf den Streitgegenstand für erforderlich hält, sofern die Parteien das Schiedsgericht dazu ermächtigt haben. Dies kann sich aus dem auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Recht oder aus der vereinbarten Schiesordnung ergeben.Manche Ordnungen verlangen eine ausdrückliche Ermächtigung, andere unterstellen eine Befugnis des Schiedsgerichts, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart,407 die entsprechende Kompetenz des Schiedsgerichts also ganz oder teilweise ausgeschlossen haben. Das Schiedsgericht kann auch eine angemessene Sicherheitsleistung verlangen (§ 1041 I ZPO). Das deutsche Recht ist insoweit an das UNCITRAL-Modellgesetz angepasst worden.408 18.215 Die Schiedsordnungen der institutionellen Schiedsgerichte bieten meist ausdrücklich einstweiligen Rechtsschutz an. Art. 37 der AAA/ICDR Rules sieht seit 2009 einen durch den Administrator bestellten Emergency Arbitator vor.409 Seit 2012 bietet auch die ICC Paris ausdrücklich einstweiligen Rechtsschutz durch einen Eilschiedsrichter (Art. 29 ICC Rules 2012 i.d.F. von 2017) und eine besondere Eilschiedsrichterverfahrensordnung (Anhang V zu den ICC Rules 2012) an.410 Dieser Eilrechts-
403 Musielak/Voit/Voit, § 1033 ZPO Rz. 3; a.A. Münch in MünchKomm/ZPO, § 1033 ZPO Rz. 1, 9, 17 f (nach der Konstitution des Schiedsgerichts). 404 R. Schütze, IPRax 2006, 442; a.A. OLG Nürnberg, IPRax 2006, 468. 405 R. Schütze, DB 1998, 1650; St. Bandel, S. 309 ff., 337 f.; vgl. P. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 61 ff. 406 Vgl. C. Kessedjian, JIntArb 18 (1) (2001), 1, 7. 407 Vgl. St. Bandel, S. 11 ff., 16 ff., 81 ff.; Poudret/Besson, Rz. 606 ff.; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 23.8 ff.; zum Schweizer Recht G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, Rz. 6.89 ff.; zum UNCITRAL-ML s. P. Binder, Intern. Commercial Arbitration, 3rd ed. 2010, para 4A-001 et seq. 408 Zur Rechtslage in USA, England und Frankreich s. Ch. Brower/M. Tupman, AmJIntL 80 (1986), 24. 409 Vgl. P. Giessen, a.a.O. 410 Vgl. P. Hauser, RIW 2013, 364; Salger/Trittmann/Schäfer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 5 Rz. 26 ff.; krit. E. Loquin, IJPL 2012, 261.
1102
VII. Einstweiliger Rechtsschutz | Rz. 18.218 § 18
schutz gilt grds als vereinbart, sofern er nicht in der Schiedsvereinbarung ausgeschlossen wurde (Art. 29 [6] [b] ICC Rules). Die DIS-Regeln (§ 20), die Wiener Regeln (Art. 22) und die Swiss Rules (Art. 26)411 sehen einstweiligen Rechtsschutz nur durch das bereits endgültig bestellte Schiedsgericht vor. Wie ein staatliches Gericht hat das Schiedsgericht beim Erlass einstweiliger Maßnahmen die in der Hauptsache anwendbare lex causae zu beachten. Dazu gehören auch eventuelle Eingriffsnormen von Drittstaaten. Beachtet werden sollte auch das Recht des Vollstreckungsstaats. Nur wenn das anwendbare Recht nicht rechtzeitig hinreichend sicher ermittelt werden kann, sind die lex loci arbitri oder allgemeine Grundsätze des internationalen Handelsrechts anzuwenden.412 Das staatliche Gericht kann die Vollziehung solcher einstweiligen Maßnahmen zulassen, sofern nicht bei ihm einstweiliger Rechtsschutz beantragt worden ist (§ 1041 II ZPO).413 Die Vollziehungsanordnung kann aufgehoben oder geändert werden (§ 1041 III ZPO). Auch das Schweizer Recht (Art. 183 (2) IPRG) und das englische Recht (Sec. 42 (1) Arbitration Act) sehen ausdrücklich vor, dass das staatliche Gericht die Vollziehung der Maßnahmen des Schiedsgerichts anordnen kann.414
18.216
Soweit keine ausdrücklichen Regeln bestehen, ist streitig, ob einstweilige Maßnahmen wie endgültige Schiedssprüche anerkannt und vollstreckt werden können. Soweit es sich tatsächlich um vorläufige Maßnahmen handelt, wird die Frage ganz überwiegend verneint.415 Einstweilige Maßnahmen ergehen nicht durch endgültigen Schiedsspruch i.S.d. UNÜ. Sie müssen daher im Ausland weder nach dem UNÜ noch nach sonstigen Übereinkommen anerkannt und vollstreckt werden.416 Die deutschen Gerichte können aber analog § 1041 II, III, IV ZPO auch die Vollziehung einstweiliger Maßnahmen ausländischer Schiedsgerichte in Deutschland zulassen.417 Dies gilt auch für Beschlüsse eines Emergency arbitrators.418
18.217
Nach § 1041 IV ZPO ist die begünstigte Partei verpflichtet, dem Gegner einen Vollstreckungsschaden zu ersetzen, der aus der Vollziehung einer ungerechtfertigten einstweiligen Anordnung des Schiedsgerichts entsteht.419 Der Anspruch kann im anhängigen Schiedsverfahren geltend gemacht werden.
18.218
411 412 413 414 415 416 417 418
G. Kaufmann-Kohler/A. Rigozzi, R 6.114 ff. Vgl. Ch. Boog, The laws governing interim measures, S. 409, 430 f. St. Bandel, S. 197 ff. Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 23.85 f. Vgl. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 23.88 ff. St. Bandel, S. 340 ff. P. Schlosser in Gottwald, S. 163, 201; St. Bandel, S. 361 ff. K.-A. Gerstenmaier, FS Elsing, 2015, 153, 160 f.; a.A. J. Horn, Der Emergency Arbitator, 2019. 419 St. Bandel, S. 231 ff.
1103
§ 18 Rz. 18.219 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
VIII. Vollstreckbarerklärung und Aufhebung inländischer Schiedssprüche sowie Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche 1. Schrifttum
18.219 C. Alfons, Recognition and Enforcement of Annulled Foreign Arbitral Awards, 2010; M. Alvarez de Pfeifle, Der Ordre Public-Vorbehalt als Versagungsgrund der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung internationaler Schiedssprüche, 2009; I. Amro, Recognition and enforcement of foreign arbitral awards in theory and practice, 2014; H. Arfazadeh, Ordre public et arbitrage international à l’épreuve de la mondalisation, 2005; R. Arnold/M. Meindl, The EU Charter of fundamental rights and public policy in international arbitration law, CYArb 1 (2011), 87; E.-M. Bajons, Enforcing annulled arbitral awards, Croat.Arb.Yearb. 7 (2000), 55; H. Baum, Die Anwendung des „falschen“ Rechts durch ein Schiedsgericht, FS A. Schnyder, 2018, S. 19; A. Bělohlávek/N. Rozehnalova, Arbitral awards and remedies, Czech Yearbool of Arbitration, Vol. VIII, 2018; A. Bělohlávek/N. Rozehnalova, Recognition and Enforcement of Arbitral Awards, Czech Yearbook of Arbitration, Vol. IX, 2019; M.-L. von Bernuth, Die Doppelkontrolle von Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte, 1995; F. Bien, Kartellrechtliche ordre public-Kontrolle von Schiedssprüchen, ZZP 132 (2019), 93; R. D. Bishop, Enforcement of Arbitral Awards against Sovereigns, 2009; G. Borges, Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen nach neuem Recht, ZZP 111 (1998), 487; Ch. Borris/ L. Schmidt, Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen und materielle Einwendungen des Schiedsbeklagten, SchiedsVZ 2004, 273; G. Broggini, Le contrôle des sentences arbitrales internationales par le juge du siège et par le juge de l’exécution, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 95; L. Chedly, L’exècution des sentences internationaler annulées dans leur pays d’origine: cohérenees en droit eompare’ et intohérence du droit Tunesien, J. D. I. 136 (2009), 1139; H. Dolinar, Vollstreckung aus einem ausländischen, einen Schiedsspruch bestätigenden Exequatururteil, FS Schütze, 1999, S. 187; M. Dunmore, Enforcement of arbitral awards: The role of courts at the seat, CYArb 5 (2015), 69; Ch. Duve/Ph. Wimalasena, „Echte“ Transnationalisierung des Exequaturverfahrens für Schiedssprüche durch Schaffung eines Internationalen Vollstreckungsgerichts?, FS Elsing, 2015, S. 73; W. Eberl, As night follows day, SchiedsVZ 2003, 109; B. Ebert, Schiedsverfahren gewonnen? Was, wenn es schnell gehen muss? Das Verfahren der Anordnung der vorläufigen Sicherungsvollstreckung nach § 1063 Abs. 3 S. 1 Var. 1 ZPO, SchiedsVZ 2020, 55; F. Edler, Die Aufhebung von Schiedssprüchen und der Erlass einstweiliger Maßnahmen in Deutschland und Schweden, 2008; I. Fadlallah, L’ordre public dans les sentences arbitrales, RdC 249 (1994-V), 367; T. Feldmann, Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung aus Schiedssprüchen, 2014; E. Gaillard, L’exécution des sentences annulées dans leur pays d’origine, JDI 125 (1998), 645; E. Gaillard, Arbitrage Commercial International, Sentence arbitrale, Contrôle étatique, Juris Classeur, Droit International 11, Fasc. 586–10, 586–11 (1992); Ch. Gamauf, Aktuelle Probleme des ordre public im Schiedsverfahren, insb. im Hinblick auf Eingriffsnormen, ZfRV 2000, 41; H.-F. Gaul, Der betrügerisch erwirkte Schiedsspruch, FS Leipold, 2009, S. 881; R. Geimer, Der ordre public in der privaten Schiedsgerichtsbarkeit, FS Yessiou-Faltsi, 2007, S. 167; R. Geimer/G. Hammer, Die Überprüfung schiedsrichterlicher Beweiserhebung durch die staatlichen Gerichte in Deutschland, in Eberl, Beweis im Schiedsverfahren, 2014, § 10, S. 231; K.-A. Gerstenmaier, Die (Un-)Bestimmtheit des Antrags im Schiedsverfahren: Konsequenzen für den Schiedsspruch und seine Vollstreckung, FS Schütze, 2015, S. 123; J. Gessner, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in den USA und in Deutschland, 2001; A. Giardina, The international recognition and enforcement of arbitral awards nullified in the country of origin, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 205; P. Gottwald, Die sachliche Kontrolle internationaler Schiedssprüche, FS Nagel, 1987, S. 54; U. Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler
1104
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1105
§ 18 Rz. 18.219 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit RabelsZ 59 (1995), 293; H.-P. Schroeder/B. Oppermann, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nach lex mercatoria in Deutschland, England und Frankreich, ZVglRWiss 99 (2000), 410; R. Schütze, Der Abschied von der Präklusionsrechtsprechung bei der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche, RIW 2011, 417; R. Schütze, Die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung im deutschen und internationalen Zivilprozessrecht, GS Koussoulis, 2012, S. 513; G. Schulze, Präklusion von Grundrechtsverstößen bei Anerkennung ausländischer Schiedssprüche, FS Schütze, 2015, S. 527; A. Sessler/T. Schreiber, Ausgewählte Fragen der Sicherungsvollstreckung gem. § 1063 Abs. 3 ZPO, SchiedsVZ 2006, 119; D. Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007; D. Solomon, Recognition and enforcement of foreign arbitral awards, in German National Report on the 19th International Congress of Comparative Law, 2014, S. 55; H. Sonnauer, Die Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, 1992; F. Sponheimer, Materiell-rechtliche Einwendungen bei der Vollstreckung auf Grundlage eines Schiedsspruchs, FS Simotta, 2012, S. 559; Ch. Steger, Die Präklusion von Versagungsgründen bei der Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, 2015; B. Steinbrück, Die Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedssprüche nach ihrer Aufhebung im Ursprungsstaat, IHR 2008, 152; M. Stürner, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen englischer Schiedssprüche in Deutschland, FS Schütze, 2015, S. 579; A. Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, 2018; Th. Webster, Evolving principles in enforcing awards subject to annulment proceedings, JIntArb 23 (3) (2006), 2001; Th. Webster, Review of substantive reasoning of international arbitral awards by national courts, ArbInt 22 (2006), 431; F. Weinacht, Die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach ihrer Annullierung im Herkunftsstaat, ZVglRWiss 98 (1999), 139; A. Weitbrecht/H. Fabis, Gemeinschaftsrechtliche Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle von Schiedsgerichtsentscheidungen, EWS 1997, 1; M. Weller, Aufstieg und Fall des Doppelexequaturs in der deutschen Rechtsprechung, FS v. Hoffmann, 2011, S. 1087; N. Ch. Wighardt, Rückverweisung des Schiedsspruchs an das Schiedsgericht, 2013; Ch. Wolf, Zwischen Schiedsverfahrensfreiheit und notwendiger staatlicher Kontrolle, RabelsZ 1993, 643; R. Wolff, New York Convention, 2. Aufl. 2018; R. Wunderer, Der deutsche „ordre public d´Arbitrage International“, 1993. International Law Association, Recommendation on the Application of Public Policy as a Ground for Refusing Recognition or Enforcement of International Arbitral Awards (von April 2003).
2. Inländische – ausländische Schiedssprüche
18.220 Das deutsche Recht unterscheidet ebenso wie die Rechte vieler anderer Staaten zwischen inländischen und ausländischen Schiedssprüchen (§§ 1060, 1061 ZPO). Nach früherem deutschem Recht entschied das Verfahrensrecht, welches das Schiedsgericht in seinem Verfahren angewendet hat, darüber, ob der Schiedsspruch als inländischer oder als ausländischer zu beurteilen ist (Verfahrenstheorie).420 Führten also Schiedsrichter in Deutschland ein Schiedsgerichtsverfahren nach ausländischem Verfahrensrecht durch, so handelte es sich nach deutschem Recht um einen ausländischen Schiedsspruch; ebenso führte ein im Ausland nach deutschem Verfahrensrecht durchgeführtes Schiedsverfahren zu einem inländischen Schiedsspruch.
420 So BGHZ 96, 40 = NJW 1986, 1436; K.H. Schwab/G. Walter, 7. Aufl. 2005, Kap. 30 Rz. 4 ff.; krit. F. A. Mann, FS Oppenhoff, S. 215 ff.; a.A. R. Wunderer, Der deutsche „ordre public d’arbitrage international“, 1993, S. 28 ff.
1106
VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.226 § 18
Dieser Ansicht stand international ganz überwiegend die Sitztheorie vom ausländischen Schiedsspruch gegenüber.421 Da die Parteien den „Sitz“ frei vereinbaren könnten und das Schiedsgericht auch an anderen Orten verhandeln kann (so § 1043 II ZPO; Art. 20 II UNCITRAL Model Law), hatte der Streit um die Theorien seine Schärfe verloren.
18.221
Da sich Verfahrens- und Sitztheorie somit im praktischen Ergebnis nicht wesentlich unterschieden, ist das Schiedsverfahrensgesetz 1996 (§§ 1025 I, 1043 ZPO) auf die Sitztheorie (bzw. das Territorialitätsprinzip) übergegangen.422
18.222
Da die Parteien bestimmen können, an welchem Ort ein Schiedsgerichtsverfahren durchgeführt werden soll, bestimmen sie letztlich über den Charakter des Schiedsspruchs als inländisch oder ausländisch.
18.223
3. Vollstreckbarerklärung und Aufhebung inländischer Schiedssprüche Inländische Schiedssprüche können auf Antrag nach § 1059 ZPO aufgehoben werden. Die Aufhebungsgründe des § 1059 II ZPO entsprechen praktisch den Anerkennungsversagungsgründen des Art. V UNÜ423 (s. Rz. 18.245 ff.). Auch das Aufhebungsverfahren vor dem OLG (§§ 1062 I Nr. 4, 1063 ff. ZPO) unterscheidet sich nicht von dem Verfahren bei der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche. Da die Nationalität der Parteien für die Einordnung des Schiedsspruchs als inländisch oder ausländisch irrelevant ist, kommt ein Aufhebungsantrag auch in „internationalen“ Fällen in Betracht.
18.224
Sofern kein Aufhebungsgrund vorliegt, kann der inländische Schiedsspruch nach §§ 1060, 1062 I Nr. 4 ZPO vom OLG für vollstreckbar erklärt werden. Dies gilt auch für einen Schiedsspruch, der unter einer befristeten auflösenden Bedingung steht, wenn die Frist abgelaufen ist.424 Die Fälligkeit des Anspruchs ist keine Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung.425
18.225
Nach der Neuregelung kann der Antragsgegner Aufhebungsgründe, nicht aber nachträglich entstandene materielle Einwendungen vorbringen. Diese sind vielmehr mittels besonderer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) geltend zu machen.426 Un-
18.226
421 So für Österreich H. W. Fasching, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 1972, S. 178; F. Matscher, JBl 1975, 412, 469; § 5 schwedisches Lag (1929:147) om utländska skiljeavtal och skiljedomar; I. Szászy, International Civil Procedure, S. 612; E. Abdallah RdC 138 (1973-I), 503, 540 für die Mitgliedstaaten der arabischen Liga. 422 Vgl. BGH, RIW 2001, 538, 539. 423 Vgl. R. Hausmann, FS H. Stoll, 2001, S. 593, 595 ff.; Salger/Trittmann/Poseck, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 22 Rz. 22 ff.; OLG Köln, SchiedsVZ 2012, 161, 164 ff. 424 BGHZ 171, 245, 250 = SchiedsVZ 2007, 160 = ZZP 120 (2007), 367 (R. Wolff). 425 OLG Naumburg, SchiedsVZ 2010, 177, 278. 426 BayObLGZ 2000, 124 = NJW-RR 2001, 1363; OLG Stuttgart, MDR 2001, 595; Ch. Borris/L. Schmidt SchiedsVZ 2004, 273; F. Spohnheimer, FS Simotta, 2012, S. 559; St. Kröll, FS Schütze, 2015, S. 305; a.A. BGH, SchiedsVZ 2010, 330; K.H. Schwab/G. Walter, Kap. 27 Rz. 12 f.; Münch in MünchKomm/ZPO, § 1060 ZPO Rz. 35 (können, nicht müssen).
1107
§ 18 Rz. 18.226 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
streitig sind solche Einwendungen auf jeden Fall ausgeschlossen, wenn für ihre Geltendmachung wiederum ein Schiedsverfahren vorgesehen ist.427 Hat das Schiedsgericht eine Aufrechnung nicht berücksichtigt, so ist der Aufrechnungseinwand im Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu berücksichtigen. Unterliegt die (streitige) Aufrechnungsforderung selbst einer Schiedsabrede, kann das Gericht aber nicht über die Aufrechnung entscheiden.428
18.227 Das Gericht kann einen Schiedsspruch lediglich aufheben, nicht aber dem Schiedsgericht konkrete Sachanweisungen erteilen oder in der Sache selbst entscheiden.429 In geeigneten Fällen kann das staatliche Gericht die Sache aber auf Antrag neben der Aufhebung an das Schiedsgericht zurückverweisen (§ 1059 IV ZPO).430 Unabhängig von der Zurückverweisung lebt die Schiedsvereinbarung im Zweifel mit der Aufhebung des Schiedsspruchs wieder auf (§ 1059 V ZPO). 4. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland
18.228 Ausländische Schiedssprüche können im Inland nicht aufgehoben werden; ihnen kann nur die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung verweigert werden. Das deutsche Schiedsverfahrensrecht verweist in § 1061 I 1 ZPO für die Anerkennungsvoraussetzungen bzw. -versagungsgründe einheitlich auf das New Yorker UNÜ 1958431 (s. Rz. 18.245 ff.). Den bisherigen Vertragsstaatenvorbehalt (gem. Art. I [3] UNÜ) hat Deutschland zurückgenommen,432 so dass nunmehr jeder im Ausland ergangene Schiedsspruch in Deutschland nach dem UNÜ anerkannt werden kann.433 „Rechtskräftig“ muss er nicht sein.434 Ausländische Schiedssprüche mit vereinbartem Inhalt (agreed awards) fallen uneingeschränkt unter § 1061 ZPO.435 Die Anerkennung hat wie bei staatlichen Gerichtsentscheidungen eine Wirkungserstreckung zur Folge.436 18.229 Nach § 1061 I 2 ZPO bleiben Vorschriften anderer Staatsverträge unberührt. Anerkennungsfreundlichere Regeln mulitlateraler oder bilateraler Anerkennungsverträge über Schiedssprüche (und Schiedsvergleiche)437 und damit auch die Meistbegüns-
427 428 429 430 431 432 433 434 435
OLG München, SchiedsVZ 2006, 165, 166. Schweizer BG, SchiedsVZ 2008, 202. BGH, SchiedsVZ 2010, 275. Vgl. BGH, SchiedsVZ 2020, 46; N. Wighardt, SchiedsVZ 2010, 252. BGH, RIW 2001, 538, 539. BGBl. 1999 II, 7; vgl. BGH, RIW 2001, 458. BGH, SchiedsVZ 2006, 161, 163. BayObLG, RIW 2003, 385. G. Lörcher BB 2000, Beilage 12, S. 2 = ArbInt 17 (2001), 275; P. Gottwald, Symposium für Schlosser, 2001, S. 31, 35, 41; P. Mankowski ZZP 114 (2001), 37, 39 f.; R. Schütze, FS W. Lorenz, 2001, S. 275, 276; T. Frische, S. 297 ff. 436 S. M. Stürner, FS Schütze, 2015, S. 579. 437 BGH, SchiedsVZ 2006, 161, 163.
1108
VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.233 § 18
tigungsklausel des Art. VII Abs. 1 UNÜ438 bleiben also weiterhin anwendbar. EuGVO/LugÜ erfassen Schiedssprüche jedoch nicht.439 Die Vollstreckbarerklärung dient primär dazu, die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch zu ermöglichen. Das Verfahren ist ein besonderes Erkenntnisverfahren, so dass ggf. die Immunität des ausländischen Staates als einer der Schiedsparteien zu beachten ist.440 Deshalb ist in diesem Verfahren ggf. die Identität der beteiligten Parteien aufzuklären.441 Die deutsche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ist außerdem so bestimmt zu fassen, dass sie innerstaatlichen Bestimmtheitserfordernissen genügt. Wie bei einem Urteil ist daher auch ein ausländischer Schiedsspruch (ggf. nach Beweisaufnahme zum ausländischen Recht) zu konkretisieren.442
18.230
Zusätzlich soll die Vollstreckbarerklärung auch die Bestandskraft des Schiedsspruchs gegen die Geltendmachung von Aufhebungsgründen sichern. Deshalb kommt es für die Vollstreckbarerklärung insoweit nicht darauf an, ob der Schiedsspruch einen vollstreckbaren Inhalt hat.443
18.231
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sind im Verfahren der Vollstreckbarerklärung aber nicht nur Aufhebungs- bzw. Anerkennungsversagungsgründe, sondern auch sachliche Einwendungen gegen den im Schiedsspruch festgestellten Anspruch zu berücksichtigen, sofern sie in Analogie zu § 767 II ZPO erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entstanden sind. Der Schiedsbeklagte kann sich also in diesem Verfahren nur dann auf eine Aufrechnung berufen, wenn seine Gegenforderung erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entstanden ist. Gleiches muss gelten, wenn es das Schiedsgericht abgelehnt hatte, sich mit einem Aufrechnungeinwand auseinanderzusetzen oder dies sicher zu erwarten war.444 Obwohl erstinstanzlich das OLG entscheidet, kann der Beklagte solche Einwendungen vorbringen und ist nicht darauf beschränkt, selbständige Vollstreckungsgegenklage nach Vollstreckbarerklärung zu erheben.445 Ist die eingewandte Gegenforderung aber streitig und unterliegt einer Schiedsabrede, so darf das OLG nicht darüber entscheiden, sondern muss sein Verfahren bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts über die Gegenforderung aussetzen.446
18.232
Ist die Vollstreckbarerklärung abzulehnen, stellt das Gericht in seiner Entscheidung fest, dass der Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist (§ 1061 II ZPO).
18.233
438 BGHZ 187, 126 (Tz. 6) = SchiedsVZ 2010, 332 = RIW 2011, 82; krit. D. Quinke, SchiedsVZ 2011, 169. 439 D. Hascher, ArbInt 12 (1996), 233; s. Rz. 3.29. 440 BGH, RIW 2017, 128 (Rz. 14). 441 OLG München, SchiedsVZ 2013, 62, 63. 442 BGH, WM 2012, 179 (Rz. 6) = SchiedsVZ 2012, 41. 443 BGH, WM 2006, 1121 (Rz. 9 ff.) = SchiedsVZ 2006, 278. 444 BGH, WM 2010, 2236 (Rz. 8) = SchiedsVZ 2010, 330. 445 BGH, WM 2010, 2236 (Rz. 9) = SchiedsVZ 2010, 330. 446 BGH, WM 2010, 2236 (Rz. 12) = SchiedsVZ 2010, 330 (S. Spetzler); dazu auch F. Weyer, IBR 2010, 725.
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§ 18 Rz. 18.234 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.234 Wird ein für vollstreckbar erklärter ausländischer Schiedsspruch im Ausland aufgehoben, kann beantragt werden, die deutsche Vollstreckbarerklärung ebenfalls aufzuheben (§ 1061 III ZPO). 5. Verfahren der Vollstreckbarerklärung
18.235 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung richtet sich für Schiedssprüche jeder Art einheitlich nach § 1063 ZPO. Danach gilt ein Beschlussverfahren mit fakultativer mündlicher Verhandlung. Diese ist anzuordnen, wenn Aufhebungsgründe i.S.d. § 1059 II ZPO geltend gemacht werden, also bei ausländischen Schiedssprüchen Anerkennungsversagungsgründe vorgebracht werden oder ausdrücklich eine mündliche Verhandlung beantragt wird. Auch in dem Verfahren der Vollstreckbarerklärung ist dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren. Ein Schiedsspruch darf daher nicht für vollstreckbar erklärt werden, ohne dass der Antrag auf Vollstreckbarkerklärung dem Gegner zugestellt wurde.447 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung ist ein Erkenntnisverfahren; richtet es sich gegen einen ausländischen Staat, gelten die Grundsätze über die Staatsimmunität im Erkenntnisverfahren448 (s. Rz. 2.5 ff., 2.38 ff.).
18.236 Ist im Ausland bereits ein Aufhebungsverfahren anhängig, kann das Gericht das Verfahren der Vollstreckbarerklärung bis zu dessen Abschluss aussetzen oder anordnen, dass die Gegenpartei Sicherheit leisten muss (Art. VI UNÜ).449 18.237 Das Gericht kann gem. § 1063 III ZPO im einseitigen Verfahren eine Sicherungsvollstreckung anordnen.450 Diese Anordnung muss dem Gegner vor Beginn der Vollstreckung zugestellt werden.451 Der Gegner kann diese durch Sicherheitsleistung abwenden. Der Anlass für die Sicherheitsleistung entfällt nicht, wenn der BGH den Anordnungsbeschluss aufhebt und das Verfahren an das OLG zurückverweist.452 Eine auf die Anordnung der Sicherungsvollstreckung gestützte Pfändung kann allerdings nur das Gericht erster Instanz vornehmen; § 930 I 3 ZPO ist nicht analog anwendbar.453 18.238 Ist der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung säumig, kann der Antrag nicht anag § 330 ZPO abgelehnt werden, vielmehr ist trotz der Säumnis sachlich über den Antrag zu entscheiden.454 18.239 Entgegen der früheren BGH-Rechtsprechung kann nicht alternativ dazu ein ausländisches Exequatururteil, das einen Schiedsspruch bestätigt und für vollstreckbar er447 BGH, Beschl. v. 12.3.2020 – I ZB 64/19 (Rz. 35 ff.), MDR 2020, 750 448 BGH, SchiedsVZ 2013, 110 (Rz. 10) = RIW 2013, 307. 449 Vgl. G. Ghikas, A principal approach to adjourning the decision to enforce, ArbInt 22 (2006), 53. 450 Vgl. B. Ebert, SchiedsVZ 2020, 55; A. Herzberg/K. Eller, SchiedsVZ 2018, 336; A. Sessler/ T. Schreiber, SchiedsVZ 2006, 119. 451 KG, SchiedsVZ 2018, 370, 371; LG Düsseldorf, SchiedsVZ 2018, 370. 452 BGH, RIW 2013, 634. 453 KG, SchiedsVZ 2018, 369. 454 BGH, SchiedsVZ 2006, 161, 162.
1110
VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.244 § 18
klärt, im Inland anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden455 (s. Rz. 12.18, 12.165). Ein Schiedsspruch über die zu erstattenden Kosten kann unabhängig von der zugrunde liegenden Kostengrundentscheidung für vollstreckbar erklärt werden.456
18.240
6. Zuständigkeit Zuständig für die Vollstreckbarerklärung ist das OLG (§ 1062 I Nr. 4 ZPO). Fehlt ein deutscher Schiedsort, ist das OLG zuständig, in dessen Bezirk der Antragsgegner Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, sich Vermögen des Antragsgegners oder der mit Schiedsklage in Anspruch genommene oder betroffene Gegenstand befindet, hilfsweise das KG in Berlin (§ 1062 II ZPO).
18.241
Soweit ein Staatsvertrag nichts anderes bestimmt, ist mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung (oder nachträglich)457 der inländische oder ausländische Schiedsspruch im Original oder in beglaubigter Abschrift458 vorzulegen. Einer deutschen Übersetzung bedarf es in Deutschland nicht.459 Auch aus Art. IV (2) UNÜ folgt nicht zwingend das Erfordernis der Vorlage einer Übersetzung, wenn das Gericht der Sprache des Schiedsspruches mächtig ist.460 Die Beglaubigung kann vom prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt der Partei vorgenommen werden (§ 1064 I ZPO). Sind Existenz und Inhalt des Schiedsspruchs unstreitig, kommt es auch nach Art. IV (1) (a) UNÜ auf den Nachweis der Authentizität nicht an.461 Bei einer Divergenz der Parteibezeichnung zwischen Schiedsvereinbarung und Schiedsspruch sind Parteiidentität bzw. Universalsukzession in der Form des Art. IV UNÜ nachzuweisen.462
18.242
Der Beschluss über die Vollstreckbarerklärung ist für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 1064 II ZPO); aus dem Schiedsspruch kann also vollstreckt werden, obgleich die Vollstreckbarerklärung der Rechtsbeschwerde nach § 1065 ZPO unterliegt. Zur Sicherung gegen eine Aufhebung kann auch ein nicht vollstreckungsfähiger Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt werden.463
18.243
Umstritten ist die Gerichtszuständigkeit für die Vollstreckbarerklärung in Frankreich. Teilweise wird vertreten, nur das TGI de Paris (Tribunal de grande instance in Paris) könne angerufen werden. Andere Autoren wollen den Sitz des Vollstreckungs-
18.244
455 So zu Recht BGH, NJW 2009, 2826; dazu St. Kröll, SchiedsVZ 2010, 213; R. Geimer, IPRax 2010, 346; bereits H. Dolinar, FS Schütze, 1999, S. 187. 456 OLG München, SchiedsVZ 2012, 156, 158. 457 Weigand/Haas, Art. IV UNÜ Rz. 6; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. IV UNÜ Rz. 3 f. 458 Vgl. OGH, IPRax 2000, 429 (dazu U. Haas, S. 432, 433). 459 BGH, SchiedsVZ 2003, 298 (St. Kröll); Adolphsen in MünchKomm/ZPO, Anh. 1 § 1061 UNÜ Art. IV Rz. 16. 460 Schweiz. BG EWiR Art. IV UNÜ 1/12, 739 (Vogl). 461 BGH, IPRax 2001, 458 (dazu C. Krapfl, S. 443) = NJW 2000, 3650, 3651; BGH, RIW 2001, 538, 539; Weigand/Haas, Art. IV Rz. 15. 462 OGH, IPRax 2000, 429, 431 (dazu U. Haas, S. 432, 435). 463 BGH, SchiedsVZ 2006, 278 (R. Wolff/G. Falk).
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§ 18 Rz. 18.244 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
gegners für die Bestimmung des zuständigen Gerichts heranziehen. Wieder andere wollen die allgemeinen Regeln der Art. 14 und 15 des Code Civil anwenden. Letztere Ansicht dürfte in der französischen Rechtsprechung den Vorzug erhalten haben.464 7. Versagungsgründe
18.245 Nach § 1061 I 1 ZPO richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche generell nach dem UNÜ 1958. Soweit dieses im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten nicht anwendbar ist, gelten seine Regeln insoweit als nationales Recht (s. Rz. 18.228). Die Versagungsgründe bestimmen sich somit allgemein nach Art. V UNÜ. 18.246 Zweifelhaft ist, ob der Schiedsbeklagte mit Einwendungen präkludiert ist, wenn er mögliche Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe zur Geltendmachung während des Schiedsverfahrens oder durch Anrufung der Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts nicht wahrgenommen hat.465 Um ein effektives Schiedsverfahren zu gewährleisten, hat der BGH lange Zeit eine Rüge von Mängeln des Schiedsverfahrens im Rahmen des Verfahrens zur Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs nur zugelassen, wenn es der betroffenen Partei nicht möglich oder nicht zumutbar war, den Mangel im Schiedsverfahren oder durch Anrufung der Gerichte des Erststaats im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens geltend zu machen.466 Diese sog. Präklusionsrechtsprechung hat er nunmehr – jedenfalls für die Rüge der fehlenden Schiedsvereinbarung, 467 aber auch der fehlenden Schiedsfähigkeit468 – ausdrücklich aufgegeben. Art. V I lit. a UNÜ sehe keine derartige Einschränkung vor. 18.247 Ausnahmsweise sind Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung nicht zu berücksichtigen, wenn die Berufung auf die Einwendung auf einem widersprüchlichen Verhalten des Antragsgegners beruht. Hierfür reicht es aber nicht aus, dass der Antragsgegner bewusst davon abgesehen hat, die Aufhebung des Schiedsspruchs im Ursprungsstaat zu betreiben.469 18.248 Nach Art. V (1) UNÜ sind die Versagungsgründe nur auf Rüge der betroffenen Partei zu beachten; lediglich der ordre public des Anerkennungsstaats und die fehlende objektive Schiedsfähigkeit, die damit eng zusammenhängt, werden nach Art. V (2) UNÜ von Amts wegen geprüft. Unabhängig davon kann der Antragsgegner im Verfahren der Vollstreckbarerklärung ein Anerkenntnis abgeben.470 464 E. Gaillard, Juris Classeur, Droit International, Fasc. 586–10, No 13. 465 Gegen Präklusion OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 708 (v. Werder). 466 BGHZ 52, 184, 188 f.; BGH, RIW 2001, 458, 460 (noch zu §§ 1044, 1045 ZPO a.F.); OLG Karlsruhe, SchiedsVZ 2006, 282 (W. Gruber); vgl. H. Linke, FS Schlosser, S. 503 (zur Aufrechnung). 467 BGHZ 188, 1 = NJW 2011, 1290 = ZIP 2011, 302 = JR 2012, 115 (S. Elsing); dazu Ch. Zarth, EWiR § 1061 ZPO 1/11, 199; R. Schütze, RIW 2011, 417; eingehend Ch. Steger, S. 135 ff.; a.A. H. Merkt, FS Stürner, 2013, S. 1301; für den ordre public Verstoß OLG Karlsruhe, SchiedsVZ 2012, 101. 468 BGH, SchiedsVZ 2018, 37, 40 (Rz. 31); OLG München v. 27.2.2020 – 34 Sch 15/17. 469 BGH, RIW 2008, 474, 475 (Rz. 15 ff.). 470 OLG Frankfurt, BB 2001, Beilage 7, S. 23.
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VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.252 § 18
a) Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung und subjektive Schiedsunfähigkeit. Nach Art. V (1) (a) UNÜ ist die Anerkennung auf Rüge zu versagen, wenn die Parteien keine gültige Schiedsvereinbarung nach Art. II UNÜ geschlossen haben471 (s. Rz. 18.14, 18.30 ff.), wenn eine Partei nach ihrem Personalstatut nicht schiedsfähig war (s. Rz. 18.62 ff.) oder wenn die Schiedsvereinbarung nach dem maßgeblichen Recht ungültig ist. Maßgeblich ist primär das von den Parteien vereinbarte Recht, hilfsweise das Recht des Landes, in dem der Schiedsspruch ergangen ist.472 Bei der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung ist das Gericht in keiner Weise an Feststellungen des Schiedsgerichts zu seiner Zuständigkeit gebunden.473
18.249
Ist eine Schiedsvereinbarung mit einem Verbraucher missbräuchlich, so ist der Schiedsspruch auch dann nicht anzuerkennen, wenn sich der Verbraucher im Schiedsverfahren nicht auf die Unwirksamkeit berufen hat.474
18.250
Die Rechtswahl der Parteien bedarf keiner Form, sondern kann auch konkludent erfolgen. Das hilfsweise anwendbare Recht des Schiedsortes (lit. a) ist mit dem Recht des Landes, in dem das Schiedsverfahren stattfand (lit. d), identisch. Die Prüfung des Schiedsspruchs nach Art. 33 ICC-Rules (2017) durch den „Schiedsgerichtshof“ führt nicht dazu, dass jeder nach ICC-Regeln erlassene Schiedsspruch in Paris ergangen wäre.475
18.251
Aus der Reihung der Unwirksamkeitsgründe ergibt sich, dass das Schiedsvertragsstatut nicht Fragen der subjektiven Schiedsfähigkeit regelt. b) Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw. des Gebots eines fairen Verfahrens. Nach Art. V (1) (b) UNÜ kann die unterlegene Partei rügen, dass sie von der Bestellung der Schiedsrichter oder dem Schiedsverfahren nicht ausreichend informiert war oder sonst ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte.476 Soweit eine derartige Verletzung des rechtlichen Gehörs zugleich gegen den ordre public verstößt, ist der Mangel nach Art. V (2) (b) UNÜ auch von Amts wegen zu beachten. Ob ein Mangel vorliegt, ist in autonomer Auslegung des Art. V (1) (b) UNÜ unter Berücksichtigung des Schiedsverfahrensrechts gem. Art. V (1) (d) UNÜ zu bestimmen.477
471 Vgl. OLG Bremen, MDR 2009, 465; OLG Frankfurt, IPRax 2008, 517 (dazu P. Schlosser, S. 497); Weigand/Haas, Art. V Rz. 15; Salger/Trittmann/Poseck, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 23 Rz. 25; P. Schlosser, IPRax 2008, 497. 472 Vgl. Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 77 f.; Adolphsen in MünchKomm/ ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 UNÜ Art. V Rz. 20 ff.; Weigand/Haas, Art. V Rz. 16 ff.; J. Lew/ L. Mistelis/St. Kröll, para. 26.75. 473 Supreme Court of the United Kingdom EWiR Art. 5 UNÜ 1/11, 29 (Vogl). 474 EuGHE 2006, I-10421 = NJW 2007, 135 = SchiedsVZ 2007, 46 (G. Wagner). 475 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 Rz. 78. 476 Vgl. A. Reiners, ZfRV 2003, 52. 477 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 26 ff.; Weigand/ Haas, Art. V UNÜ Rz. 28 f.
1113
18.252
§ 18 Rz. 18.253 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.253 Ein Verfahrensverstoß bzw. dessen Kausalität wird nur bejaht, wenn die betroffene Partei sonst keine Gelegenheit hatte, ihre Rechte zu wahren.478 Bejaht wurde ein Mangel etwa bei der fehlenden Gelegenheit zur Äußerung vor einer Verlängerung der Entscheidungsfrist für die Schiedsrichter nach Art. 30 II ICC Rules (2012)479 oder wenn vergessen wurde, der Partei einen Schriftsatz zuzuleiten.480 18.254 c) Kompetenzüberschreitungen des Schiedsgerichts sind Versagungsgrund nach Art. V (1) (c) UNÜ. Eine solche Kompetenzüberschreitung liegt vor, wenn das Schiedsgericht über einen Streitgegenstand urteilt, der nicht von der Schiedsvereinbarung oder einer nachfolgenden Vereinbarung erfasst ist. Ob die Parteien den Streitgegenstand nur global festlegen müssen oder ob das Schiedsgericht an gestellte Anträge fest gebunden ist oder von sich aus auf Veränderungen des Sachverhalts reagieren kann, richtet sich nach dem anwendbaren Verfahrensrecht.481 Hält sich der Schiedsspruch innerhalb der Grenzen des Schiedsverfahrensrechts (z.B. durch Zubilligung von Zinsen ohne Antrag), liegt kein Schiedsspruch „ultra petita“ vor.482 18.255 Die Grenzen der Schiedsabrede überschreitet das Schiedsgericht aber auch, wenn es nach Billigkeit entscheidet, ohne dazu nach dem anwendbaren Verfahrensrecht ermächtigt zu sein.483 Eine Entscheidung nach der lex mercatoria ist nach französischer und österreichischer Ansicht stets zulässig, solange sie nicht ausdrücklich untersagt ist484 (s. Rz. 18.169). Ob eine Entscheidung nach der lex mercatoria eine Rechtsentscheidung ist, ist nach dem anwendbaren Schiedsverfahrensrecht zu entscheiden. Ist dies das deutsche Recht, so liegt nach h.M. eine Kompetenzüberschreitung vor, wenn die Parteien das Schiedsgericht nicht ausdrücklich ermächtigt haben, nach der lex mercatoria bzw. nach Billigkeit zu entscheiden.485 18.256 Eine Überschreitung der Kompetenz liegt auch vor, wenn das Schiedsgericht willkürlich ein anderes als das von den Parteien gewählte materielle Recht anwendet, wenn es nach Festlegung des Verfahrensgegenstandes hiervon abweicht oder eine nach materiellem Recht unzulässige Rechtsfolge anordnet.486
478 Vgl. Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 82; Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 37, 38. 479 BGHZ 104, 178 = NJW 1988, 3090. 480 OLG Hamburg, RIW 1975, 432. 481 Vgl. Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 115. 482 Vgl. W. Eberl, SchiedsVZ 2003, 109. 483 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 39; Weigand/ Haas, Art. V UNÜ Rz. 48. 484 Cour d’Appel de Paris, Clunet 109 (1982), 931; OGH Österreich RIW 1983, 868, 870; vgl. B. Goldman, FS Lalive, 1993, S. 241; zum deutschen Recht ebenso H. P. Schroeder/B. Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000), 410, 436 ff. 485 V. Triebel/E. Petzold, RIW 1988, 245, 250; P. Gottwald, FS Nagel, S. 54, 64 f.; W. Lorenz, FS Neumayer, 1985, S. 407, 428; Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 52. 486 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 119; Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 50, 109.
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VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.260 § 18
d) Fehler bei Bildung des Schiedsgerichts oder im Schiedsverfahren sind Versagungsgrund nach Art. V (1) (d) UNÜ.487 Maßgeblich und zu beachten ist primär das von den Parteien vereinbarte Verfahrensrecht, auch die Verfahrensordnung eines institutionellen Schiedsgerichts. Inwieweit die Parteien bei ihrer Vereinbarung von zwingenden Normen des vereinbarten staatlichen Schiedsverfahrensrechts abweichen können, ist streitig. Immerhin muss der ordre public des Anerkennungsstaats gewahrt bleiben. Bei Verstoß gegen zwingende Regeln des Sitzstaats kann der Schiedsspruch dort aufgehoben werden, muss aber bis zur Aufhebung in anderen Staaten anerkannt werden.488 In jedem Fall darf die Anerkennung nur versagt werden, wenn ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt.489 Ein Schiedsspruch, der entgegen der Verfahrensordnung nur von zwei Schiedsrichtern eines dreiköpfigen Kollegiums gefällt wurde, kann nicht anerkannt werden.490 Einwände gegen die Besetzung des Schiedsgerichts können nur erhoben werden, wenn zuvor vor dem Schiedsgericht ein Ablehnungsverfahren nach § 1037 ZPO durchgeführt wurde.491
18.257
Nach der in Deutschland h.M. ist ein völlig anationaler Schiedsspruch nicht anzuerkennen,492 sofern es ihn überhaupt geben kann.
18.258
e) Fehlen oder Wegfall der Verbindlichkeit des Schiedsspruchs ist Versagungsgrund nach Art. V (1) (e) UNÜ. Ob der Schiedsspruch verbindlich geworden ist, ist nach dem auf ihn anwendbaren Verfahrensrecht, nicht autonom zu bestimmen.493 Bei Schiedssprüchen institutioneller Schiedsgerichte ist die Verfahrensordnung des Schiedsgerichts heranzuziehen. Sieht das anwendbare Recht auch die Verbindlichkeit von Zwischenschiedssprüchen vor, ist auch diese anzuerkennen.
18.259
Die Möglichkeit einer Aufhebungsklage nimmt dem Schiedsspruch noch nicht seine Verbindlichkeit; aber auch insoweit entscheidet das ausländische Verfahrensrecht.494 Für Frankreich meint Sandrock, dass ein Schiedsspruch, der noch mit „recours en annulation“ (Art. 1504 I, 1506 V, 1502 CPC) angefochten werden kann oder bereits angefochten worden ist, noch nicht anerkannt und vollstreckt werden kann.495
18.260
487 Vgl. T. Varady, Can proceedings „not in accordance with the agreement of the parties“ be condoned?, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 467. 488 Vgl. Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 Rz. 122. 489 Schwab/Walter, 7. Aufl. 2005, Kap. 24 Rz. 21, Kap. 57 Rz. 13. 490 BGH, SchiedsVZ 2008, 195 = RIW 2008, 643. 491 OLG Dresden, BB 2001, Beil 6, S. 18; vgl. Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 74. 492 Schwab/Walter, 7. Aufl. 2005, Kap. 30 Rz. 8, Kap. 41 Rz. 21; Adolphsen in MünchKomm/ ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 50; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 8; vgl. Th. Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997. 493 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 126 ff.; Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 78; a.A. J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, para. 26.101; vgl. BayObLG, SchiedsVZ 2003, 142; H. Plaßmeier, SchiedsVZ 2004, 234. 494 Der Eintritt der Verbindlichkeit kann im Rechtsbeschwerdeverfahren beachtet werden, BGH, RIW 2001, 538, 539 f. 495 Vgl. O. Sandrock, FS Trinkner, 1995, S. 669, 671 ff.; P. Oberhammer, FS Kerameus, 2009, S. 969.
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§ 18 Rz. 18.261 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.261 Ist der Schiedsspruch von der zuständigen Behörde496 aufgehoben worden, ist ihm nach Art. V (1) (e) UNÜ ebenfalls grds die Anerkennung zu versagen.497 Auf den Grund der Aufhebung kommt es nicht an.498 18.262 Allerdings ist der Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ zu beachten. Danach kann sich jede Partei auf das günstigere innerstaatliche Recht oder auf Verträge des Landes, in dem er geltend gemacht wird, berufen. Dies kann dazu führen, dass auch aufgehobene Schiedssprüche noch anerkannt und vollstreckt werden (s. Rz. 18.280, 18.297 f.). Soweit gleichzeitig das Europäische Übereinkommen anwendbar ist, ist die Aufhebung daher nur beachtlich, wenn sie auf einem der in Art. IX (1) EuÜ genannten Gründe beruht (Art. IX [2] EuÜ). Unbeachtlich ist danach die Aufhebung wegen eines ordre public-Verstoßes. Die Theorie der Delokalisierung rechtfertigt dieses Ergebnis damit, dass die internationale Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber konkreten Rechtsordnungen autonom ist, so dass die Aufhebung des Schiedsspruchs im Sitzstaat auch keine Wirkung außerhalb haben könne.499 18.263 f) Das Fehlen von objektiver Schiedsfähigkeit des Streitgegenstandes (s. Rz. 18.40 ff.) ist nach Art. V (2) (a) UNÜ von Amts wegen zu beachten. Fehlt die Schiedsfähigkeit nach dem Recht des Anerkennungsstaats, ist die Anerkennung zu versagen. Das Statut der Schiedsvereinbarung ist nicht mit heranzuziehen.500 Nach deutschem Recht sind alle vermögensrechtlichen Ansprüche schiedsfähig (§ 1030 V 1 ZPO). Schiedsunfähigkeit nach dem auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Recht ist dagegen nach Art. V (1) (a) UNÜ nur auf Rüge zu prüfen.501 18.264 g) Ordre public des Anerkennungsstaats. Bei einem offensichtlichen Verstoß des Schiedsspruchs gegen den jeweiligen inländischen ordre public502 ist die Anerkennung ebenfalls von Amts wegen zu versagen, Art. V (2) (b) UNÜ. Bezieht sich der Verstoß nur auf einen abtrennbaren Teil, kommt auch eine Teilanerkennung in Betracht.503 Nicht entscheidend ist, ob zwingendes Recht nicht oder falsch angewendet wurde, sondern ob das Ergebnis der Entscheidung noch tragbar ist oder nicht. § 1044 II Nr. 2 ZPO a.F. stellte darauf ab, ob die Anerkennung mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insb. mit den Grundrechten offensichtlich un496 Vgl. Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 61; Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 82 ff. 497 Vgl. OLG München, SchiedsVZ 2012, 339. 498 Vgl. Termorio v Electranta, 487 F.3d 928 (2007) (Nichtanerkennung nach Aufhebung, weil kolumbianisches Recht Vereinbarung von ICC-Rules nicht ausdrücklich zuließ); C. Alfons, S. 102 ff. Für Überprüfung des Aufhebungsgrundes (Ausschaltung politisch motivierter oder willkürlicher Aufhebungen) dagegen Salger/Trittmann/Poseck, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 23 Rz. 29. 499 Vgl. A. Kaissis, FS Prütting, 2018, S. 843. 500 Vgl. Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 43; Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 100 ff. 501 Vgl. G. Maurer, The public policy exception under the New York Convention, rev. ed. 2013. 502 Vgl. BGH, ZIP 2014, 595. 503 Vgl. OGH Österreich, IPRax 2006, 496 (dazu A. Spickhoff, S. 522).
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VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.265 § 18
vereinbar ist.504 Die Aufhebung dieser Regel hat insoweit sachlich nichts geändert. Vielmehr ist wie in anderen Ländern zwischen einem ordre public intern (Beachtung jeglicher zwingender Rechtsnorm) und einem ordre public international zu unterscheiden.505 Der Verstoß kann materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art sein. Selbst offensichtliche Rechtsanwendungsfehler sind grds nicht als ordre public-Verstoß zu werten.506 Für materielle Rechtsverstöße gelten die allgemeinen zu Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO bzw. Art. 6 EGBGB entwickelten Grundsätze. Die Anerkennung eines Schiedsspruchs, der zur Zahlung von Schmiergeldern im internationalen Handel verurteilt, verstößt gegen den (französischen) ordre public.507 Die Aufhebung eines Schiedsspruchs durch französische Gerichte ist jedoch sehr selten. Eine Studie, die alle diesbezüglichen Urteile der Cour d’appel de Paris zwischen 1981 und 1990 erfasst, zeigt, dass das Gericht 46mal wegen Verstoßes gegen den ordre public angerufen wurde, ein Verstoß jedoch nur in zwei Fällen anerkannt wurde.508 Ein Schiedsspruch, der zu punitive damages verurteilt, verstößt gegen den ordre public, soweit der zuerkannte Betrag nicht mehr als Schadensausgleich (plus Kostenersatz) verstanden werden kann.509 Auch Schiedssprüche, die RICO-Schadenersatzansprüche zuerkennen, verstoßen im gleichen Umfang gegen den deutschen ordre public510 (s. Rz. 12.193). Der österreichische OGH hat einen Schiedsspruch aufgehoben, weil er zwingendes österreichisches Steuerrecht nicht beachtet hat, was wohl zu weit geht.511 Der österreichische OGH hat auch einen Schiedsspruch nicht anerkannt, der entgegen zwingendem EU-Recht einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters verneint hat.512 Dagegen hat der EuGH zu Recht entschieden, dass ein Schiedsspruch bei Verstoß gegen zwingendes EG-Kartellrecht (Art. 101, 102 AEUV; früher Art. 81 EGV) aufzuheben bzw. nicht anzuerkennen ist.513 Nicht gegen den
504 Für Berücksichtigung der EMRK und der EU-Grundrechte Charta bei der Auslegung des ordre public Arnold/Meindl, CYArb 1 (2011), 87, 100 ff. 505 Vgl. Weigand/Haas, Art. V UNÜ Rz. 105 f.; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 69. 506 So in USA: Brandeis Intsel v Calabrian Chemicals, 656 F.Supp. 160 (SDNY 1987); Note, Manifest disregard of the law in international commercial arbitration, Col.J.Transn.L. 28 (1990), 449. 507 Cour d’appel de Paris, Rev.arb. 1994, 359. 508 E. Gaillard, Droit International 11, Juris Classeur Fasc. 586–10, Nr. 88. 509 Vgl. K. Stein, EuZW 1994, 18; K. Beucher/J. Sandage, US Punitive Damages Award in German Courts, Vanderbilt JTransn.L. 1991, 967. 510 W. Kühn, FS Glossner, 1994, S. 193. 511 Österr. OGH, RIW 1999, 789 (mit Anm I. Seidl-Hohenveldern); krit. Ch. Gamauf, ZfRV 2000, 41, 45. 512 Österr. OGH, IPRax 2018, 532 (Rz. 41 ff.) (dazu K. Thorn/M. Nickel, S. 541). 513 EuGHE 1999, I-3055 (Eco Swiss China Time v Benetton International) = EuZW 1999, 565 (N. Spiegel) = NJW 1999, 3549; vgl. Th. Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5; K. Hilbig, Das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot im internationalen Handelsschiedsverfahren, 2007; A. Komninos, in Basedow/Franq/Idot, International Antitrust Litigation, 2012, S. 213 ff.
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18.265
§ 18 Rz. 18.265 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
ordre public verstößt ein Schiedsspruch, der auf die lex mercatoria gestützt ist.514 Bei einem Schiedsspruch gegen einen Verbraucher ist von Amts wegen zu prüfen, ob die zugrunde liegende Schiedsklausel nach Art. 6 I der Richtlinie 93/13/EWG v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen unverbindlich und damit unwirksam ist.515 Ein ausländischer Schiedsspruch gegen eine nicht börsenterminfähige Person ist anzuerkennen, wenn diese konkret nicht aufklärungsbedürftig war.516 Ein Schiedsspruch, der zur Zahlung einer nach Insolvenzrecht anfechtbaren Forderung verurteilt, verstößt nicht gegen den ordre public,517 wohl aber ein (inländischer) Schiedsspruch, der eine Insolvenzforderung feststellt, die nicht zuvor zur Tabelle angemeldet worden war.518
18.266 An verfahrensrechtlichen Verstößen fallen hierunter nach der deutschen Rspr. Fälle des Fehlens eines wirksamen Schiedsvertrags, die Wahl einer ungehörigen Rechtsordnung, Verletzungen des rechtlichen Gehörs, Fälle der Abhängigkeit des Schiedsrichters519 und der Erlass eines Schiedsspruchs ohne Begründung, sofern dies nicht nach dem vereinbarten Verfahrensrecht zulässig ist. Die Mitwirkung eines Beraters bei der Beratung und Abfassung des Schiedsspruchs hindert danach nicht dessen Anerkennung und Vollstreckung.520 18.267 Ein Verstoß kann sich aber aus Verstößen gegen Grundanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren ergeben, z.B. aus Verstößen gegen die Unabhängigkeit des Schiedsgerichts, die Wirksamkeit des Rechtsschutzes, das Gebot rechtlichen Gehörs, die Gleichheit der Parteien oder sonstige Anforderungen an ein faires Verfahren.521 Kein Verstoß gegen Nr. 2 liegt vor, wenn es sich um einen Schiedsspruch der Handelskammer eines osteuropäischen Staats handelt.522 Ebenso ist es, wenn die deutsche Partei keinen Deutschen als Schiedsrichter bestellen konnte.523 Kleinere Mängel reichen nicht aus. Das folgt bereits aus dem Wort „offensichtlich“. Bei einem innerdeutschen Fall wurde es als ordre public-Verstoß gewertet, dass ein Schiedsspruch eine Insolvenzforderung feststellt, die nicht zuvor in gleicher Weise nach
514 H. P. Schroeder/B. Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000), 410, 434 f. 515 EuGHE 2006, I-10421 (Mostaza Claro v Centro Móvil Milenium) = IPRax 2008, 515 (dazu P. Schlosser, S. 497); EuGHE 2009, I-9579 (Asturcom Telecommunicaciones) = SchiedsVZ 2010, 110; dazu K. Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74. 516 BGH, WM 1998, 1176, 1177; a.A. wohl R. Schütze in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 24 VIII Rz. 105. 517 BayObLG, SchiedsVZ 2004, 319. 518 BGHZ 179, 304 = NJW 2009, 1747 = ZZP 123 (2010), 85 (D. Leipold). 519 Vgl. BGH, IPRax 2001, 580 (dazu O. Sandrock, S. 550). 520 BGHZ 110, 104 = RIW 1990, 493 = IPRax 1991, 245 (dazu P. Schlosser, S. 218); BGHZ 98, 70, 73 = NJW 1986, 3027. 521 F. Baur, FS Guldener 1973, S. 1; L. Marx, Der verfahrensrechtliche ordre public, 1994, S. 84 ff.; R. Wunderer, Der deutsche „ordre public d’arbitrage international“, 1993, S. 68 ff., 167 ff., 259 ff. 522 BGHZ 52, 184 = RIW/AWD 1969, 328 = WM 1969, 945. 523 BGHZ 55, 162 = RIW/AWD 1971, 235 (D. Pfaff) = WM 1971, 387; OLG Hamm, RIW 1994, 1052, 1053.
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VIII. Anerkennung, Aufhebung, Vollstreckbarerklärung | Rz. 18.272 § 18
Grund und Höhe zur Insolvenztabelle angemeldet wurde.524 Auch in der Verkennung der Grenzen der Rechtskraft wurde ein ordre public-Verstoß gesehen.525 Verfahrensmängel werden aber nur dann als ordre public-Verstoß gewertet, wenn die betroffene Partei den Mangel weder im schiedsgerichtlichen Verfahren noch durch Rechtsbehelf an das staatliche Gericht des Erststaats in zumutbarer Weise rügen konnte. Ein ordre public-Verstoß liegt also nur vor, wenn Abhilfe nach Sachlage nicht möglich war oder ohne Erfolg versucht worden ist.526
18.268
Ebenso wie bei inländischen Schiedssprüchen (s. Rz. 18.226) kann die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs durch Berufung auf nachträglich entstandene materielle Einwendungen nicht abgewehrt werden.527 Insoweit ist Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) zu erheben. Ob eine Einwendung zulässig oder präkludiert ist, ist anhand der lex fori (in Deutschland nach § 767 II ZPO) zu entscheiden.528 Die h.M. lässt solche Einwendungen dagegen im Interesse der Verfahrenskonzentration bereits im Verfahren der Vollstreckbarerkkärung zu, gestattet aber auch die spätere Vollstreckungsabwerklage.529
18.269
Umgekehrt kann der Grundsatz von Treu und Glauben dazu führen, dass Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung unbeachtlich sind, wenn ihnen der Gegeneinwand unzulässiger Rechtsausübung entgegensteht.530
18.270
8. Ausländische Schiedsvergleiche Ausländische Schiedsvergleiche können grds nicht (mehr) für vollstreckbar erklärt werden. Das deutsche Recht sieht den Schiedsvergleich nicht mehr als Titel vor, sondern ist zum Schiedsspruch mit vereinbartem Inhalt in § 1053 ZPO übergegangen.531 Ein Verfahren für die Vollstreckbarerklärung von Schiedsvergleichen ist nicht mehr vorgesehen. Grds kann daher ein ausländischer Schiedsvergleich nicht für vollstreckbar erklärt werden; die begünstigte Partei kann nur im Inland auf Leistung aus dem Vergleich klagen.532
18.271
Eine Ausnahme gilt nur insoweit, als bilaterale Verträge Schiedsvergleiche Schiedssprüchen gleichstellen. In diesem Fall sind sie in Deutschland wie Schiedssprüche zu
18.272
524 BGH, ZZP 123 (2010), 85 (D. Leipold). 525 BGH, SchiedsVZ 2019, 150 (M. Pika). 526 BGH, RIW 2001, 458 = IPRax 2001, 580 (dazu O. Sandrock, S. 550) = EWiR Art. 5 UNÜ 1/01 (St. Kröll). 527 St. Kröll, FS Schütze, 2015, S. 305, 311 ff.; a.A. Geimer in Zöller, ZPO, § 1060 ZPO Rz. 9 f. 528 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 14. 529 BGH, NJW-RR 2011, 213; BGH, NJW-RR 2014, 953; Hk-ZPO/Saenger § 1060 Rz. 8; Münch in MünchKomm/ZPO, § 1060 Rz. 33 ff.; Musielak/Voit/Voit, § 1060 Rz. 12 f.; Seiler in Thomas/Putzo, § 1060 Rz. 3. 530 BGH, RIW 2008, 474 = SchiedsVZ 2008, 196 = IPRax 2009, 167. 531 Vgl. P. Gottwald, Symposium für Schlosser, 2001, S. 31; P. Mankowski, ZZP 114 (2001), 37. 532 Schwab/Walter, 7. Aufl. 2005, Kap. 30 Rz. 41.
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§ 18 Rz. 18.272 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
vollstrecken. Diese Gleichstellung findet sich in Art. 9 III deutsch-schweizerisches Abkommen, Art. 8 III deutsch-italienisches Abkommen, Art. 13 II deutsch-belgisches Abkommen, Art. 12 deutsch-österreichischer Vertrag, Art. 14 deutsch-griechischer Vertrag und Art. 52 II deutsch-tunesischer Vertrag. Folgeänderungen der deutschen Ausführungsgesetze zu diesen Verträgen ändern sämtlich nichts an der Möglichkeit der Vollstreckbarerklärung der Schiedsvergleiche. 9. Doppelexequatur des Schiedsspruch-Exequatururteils
18.273 Der BGH hat 1984 entschieden, dass ein ausländisches Exequatururteil, das einen Schiedsspruch bestätigt, im Inland für vollstreckbar erklärt werden kann.533 Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, der ausländische Schiedsspruch sei einem Urteil nicht voll gleichzustellen und gehe zudem nach US-amerikanischer merger-Doktrin in dem Exequatururteil voll auf.534 Gleichzeitig hat er freilich entschieden, dass diese (angebliche) merger-Wirkung die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs selbst nicht ausschließe.535 Beides passt nicht recht zusammen. Zudem besteht auch keine Notwendigkeit, dem Gläubiger auf diese Weise zwei Titel zur Verfügung zu stellen.536 Diese Rechtsprechung hat der BGH inzwischen zu Recht aufgegeben.537 Auch international ist es h.M., dass nur ein Schiedsspruch, nicht aber eine Entscheidung über einen Schiedsspruch anerkannt werden kann, und zwar unabhägig davon, ob es sich um eine bloße Exequaturentscheidung handelt oder eine Entscheidung, die den Schiedsspruch nach der lex fori in sich aufgenommen hat.538
IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht 1. New Yorker UN-Übereinkommen v. 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen
18.274 Schrifttum: J. Adolphsen in MünchKomm/ZPO, Bd. 3, Anh 1 zu § 1061 ZPO, 5. Aufl. 2017,
S. 706; A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention of 1958, 1981; A. J. van den Berg, Consolidated Commentary New York Convention, YBCA 16 (1991), 463; A. J. van den Berg, Hypothetical Draft Convention on the International Enforcement of Arbitration Agreements and Awards in 50 years of the New York Convention, 2009, 649; F. Boor, Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als „rechtliches Nullum“?, 2016;,J. Bredow, in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Bd II, Nr. 714 (Stand 1991); U. Haas in Weigand, Practitioner’s Handbook on International Commercial Arbitration (Part 533 BGH, NJW 1984, 2765 = IPRax 1985, 157 (dazu P. Schlosser, S. 151) = RIW 1984, 557 (R. Schütze, S. 734). 534 Ablehn H. Dolinar, FS Schütze, 1999, S. 187. 535 BGH, NJW 1984, 2763 = IPRax 1985, 158 (dazu P. Schlosser, S. 151) = RIW 1984, 644 (E. Mezger). 536 Krit. R. Schütze, ZVglRWiss 104 (2005), 427, 440 f. 537 BGH, NJW 2009, 2826 = SchiedsVZ 2009, 285; dazu R. Geimer, IPRax 2010, 346; St. Kröll, SchiedsVZ 2010, 213. 538 Vgl. T. Einhorn, The recognition and enforcement of foreign judgments on international commercial arbitration awards, Yearbook of Private Intern. Law 12 (2010), 43.
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IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht | Rz. 18.275 § 18 3), 2. Aufl. 2009; U. Haas, Schiedsgerichte in Erbsachen und das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, SchiedsVZ 2011, 289; B. Heß, Sportschiedsgerichte im Lichte der New Yorker Konvention, ZZPInt 3 (1998), 457; A. Kaissis, Zum Theorienstreit über die Anerkennung und Vollstreckung am Schiedsort aufgehobener Schiedssprüche, FS Prütting, 2018, S. 843; P. Kindler, „Cherry Picking“ and Good Faith in German arbitration Law: Two Recent Decisions on the Most-Favoured treatment Clause, FS Kaissis, 2012, S. 481; H. Kronke/P. Nacimiento/D. Otto/N.Ch. Port, Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, A Global Commentary on the New York Convention, 2010; M. Majer, Die Praxis der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach dem New Yorker Abkommen vom 10.6.1958 in der Republik Singapur, 2013; A. Maurer, The public policy exception under the New York Convention, rev. ed. 2013; L. Mistelis/L. Shore/M. Sasson, International Arbitration Treaties, 3rd ed. 2010; D. Otto, Die Auslegung von Art. IV Abs. 1 des New Yorker Schiedsgerichtsübereinkommens im Lichte der Rechtsprechung des OGH, FS Simotta, 2012, S. 417; D. Solomon, Recognition and enforcement of foreign arbitral awards, in Schmidt-Kessel, German national reports on the 19th International Congress of Comparative Law, 2014, S. 55; S. Wei, Rethinking the New York Convention, 2013; R. Wolff, The New York Convention on the recognition and enforcement of foreign arbitral awards, 2nd ed. 2019.
Das UN-Übereinkommen (UNÜ) ist die wichtigste Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Es vereinheitlicht die Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Es ist inzwischen von 159 Staaten ratifiziert worden und hat damit fast weltweite Bedeutung. Es gilt im Verhältnis von Deutschland zu Ägypten, Afghanistan (seit 30.11.2004), Albanien (25.9.2001), Algerien, Angola (6.3.2017), Antigua und Barbuda, Argentinien, Armenien (29.12.1997), Aserbaidschan (29.5.2000), Australien, Bahamas (20.3.2007), Bahrain, Bangladesch, Barbados, Belgien, Belize, Benin, Bhutan (24.12.2014), Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Botsuana, Brasilien (5.9.2002), British Vergin Islands (24.2.2014), Brunei Darussalam, Bulgarien, Burkina Faso, Burundi (23.6.2014), Cayman Islands (24.2.1981), Chile, China (einschl Macau), Comores (28.4.2015), Cook Islands (12.4.2009), Costa Rica, Dänemark, Dominica, Dominikanische Republik (11.4.2002), Dschibuti, Ecuador, der Elfenbeinküste, El Salvador (26.2.1998), Estland, Fiji (27.9.2010), Finnland, Frankreich, Gabun (15.12.2006), Georgien, Ghana, Griechenland, Guatemala, Guayana (25.9.2014), Guinea, Haiti, Honduras (3.10.2000), Hongkong, Indien, Indonesien, Iran (13.1.2002), Irland, Island (24.1.2002), Israel, Italien, Jamaica (10.7.2002), Japan, Jersey (28.5.2002), Jordanien, Kambodscha, Kamerun, Kanada, Kap Verde (22.3.2018), Kasachstan (18.2.1996), Katar (30.12.2002), Kenia, Kirgisistan (18.3.1997), Kolumbien, Kongo (Dem. Rep.) (5.11.2015), Korea (Republik), Kroatien, Kuba, Kuwait, Laos (15.9.1998), Lesotho, Lettland, Libanon (9.11.1998), Liberia (16.9.2005), Liechtenstein (7.7.2011), Litauen, Luxemburg, Madagaskar, Malaysia, Mali, Malta (22.6.2000), Marokko, den Marshall nseln (21.12.2006), Mauretanien (30.4.1997), Mauritius (17.9.1996), Mazedonien, Mexiko, Moldau (17.12.1998), Monaco, der Mongolei, Montenegro (23.10.2006), Mosambik (seit 11.6.1998), Myanmar (16.4.2013), Nepal (4.3.1998), Neuseeland, Nicaragua (24.9.2003), den Niederlanden, Niger, Nigeria, Norwegen, Österreich, Oman (26.5.1999), Pakistan (14.7.2005), Panama, Paraguay (5.10.1997), Peru, den Philippinen, Polen, Portugal (einschl. Macau), Ruanda (31.10.2008), Rumänien, Russland, Sambia (14.3.2002), San Marino, Saõ Tomé and Principe (20.11.2012), St. Vincent 1121
18.275
§ 18 Rz. 18.275 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
und den Grenadinen (12.9.2000), Saudi Arabien, Schweden, der Schweiz, Senegal, Serbien, Simbabwe, Singapur, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, Sudan (26.3.2018), Südafrika, Surinam, Syrien, Tansania, Thailand, Trinidad und Tobago, Tadschikistan (14.8.2012), Tschechische Republik, Türkei, Tunesien, Uganda, der Ukraine, Ungarn, Uruguay, den USA, Usbekistan, dem Vatikan, Venezuela, den Vereinigten Arabischen Emiraten (21.8.2006), dem Vereinigten Königreich, Vietnam, Weißrussland, der Zentralafrikanischen Republik und Zypern.
18.276 Nach Art. I (1) Satz 1 ist das UN-Übereinkommen auf die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen539 anzuwenden, die in Rechtstreitigkeiten zwischen natürlichen oder juristischen Personen in dem Hoheitsgebiet eines anderen Staats als desjenigen ergangen sind, in dem die Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird. Wie bei dem Genfer Abkommen wird auf das Territorium als entscheidendes Kriterium abgestellt.540 Satz 2 desselben Absatzes wendet sich an die Vertreter, die von dem ausländischen Verfahrensrecht ausgehen, um den Schiedsspruch als ausländischen zu qualifizieren. Das UN-Übereinkommen ist nämlich auch auf solche Schiedssprüche anzuwenden, die in dem Anerkennungsstaat nicht als inländische anzusehen sind. Da Deutschland inzwischen ganz zur Sitztheorie übergegangen ist, sind alle hier erlassenen Schiedssprüche unabhängig vom angewandten Verfahrensrecht als inländisch anzusehen.541 Art. I (1) Satz 2 ist in Deutschland daher nunmehr ohne Bedeutung. 18.277 Zweifelhaft ist, ob es anationale Schiedssprüche (sog. floating awards) gibt und ob das UNÜ auf sie anwendbar ist. Solange der Sitz des Schiedsgerichts bestimmbar ist, ist der Schiedsspruch aber der Rechtsordnung des Sitzstaats zuzuordnen, unabhängig davon, ob die Parteien sich auf diese Rechtsordnung verständigt haben, und unabhängig davon, ob die Rechtsordnung des Sitzstaats eine Aufhebung „internationaler“ Schiedssprüche vorsieht.542 18.278 Nach Art. I (3) UNÜ kann jeder Vertragsstaat auf der Grundlage der Gegenseitigkeit erklären, dass er das Übereinkommen nur auf solche Schiedssprüche anwenden werde, die in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats ergangen sind. Von dieser Möglichkeit hatte Deutschland zunächst Gebrauch gemacht, den Vorbehalt aber im Anschluss an den SchiedsVfG 1997 zurückgenommen.543 18.279 Überdies kann jeder Vertragsstaat den Vorbehalt machen, dass er nur solche Schiedssprüche anerkennen werde, die auf Streitigkeiten beruhen, welche nach seinem innerstaatlichen Recht als Handelssachen angesehen werden. 18.280 Art. VII UNÜ sieht für das Verhältnis des UNÜ zu anderen die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen betreffenden Verträgen das Meistbegünstigungsprinzip vor. Nach Abs. 1 bleibt die Gültigkeit mehrseitiger oder zweiseitiger 539 Zu den Anforderungen s. Weigand/Haas, Art. I Rz. 46 ff. 540 Weigand/Haas, Art. I Rz. 3 ff.; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. I UNÜ Rz. 9. 541 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 1 Art. I UNÜ Rz. 11. 542 Vgl. Weigand/Haas, Art. I UNÜ Rz. 26 ff. 543 BGBl. 1999 II, 7.
1122
IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht | Rz. 18.283 § 18
Verträge unberührt und wird keiner beteiligten Partei das Recht genommen, sich auf einen Schiedsspruch nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der Verträge des Landes, in dem er geltend gemacht wird, zu berufen.544 Dabei wird ausdrücklich abgestellt auf Verträge, die die Vertragsstaaten vor dem Inkrafttreten des UN-Übereinkommens geschlossen haben. Dieser Meistbegünstigungsgrundsatz wirkt sich im Anwendungsbereich von Art. II UNÜ,545 aber auch von Art. IX EuÜ aus (s. Rz. 18.297 f.). Ein ausländischer Schiedsspruch kann daher auch dann für vollstreckbar erklärt werden, wenn die Schiedsvereinbarung zwar nicht Art. II UNÜ, wohl aber § 1031 ZPO genügt.546 In Deutschland sind die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung günstiger. Deshalb bedarf es hier keiner Vorlage der Schiedsvereinbarung und keiner Übersetzung des Schiedsspruchs.547 Art. VII UNÜ bietet die Grundlage dafür, im Heimatstaat aufgehobene Schiedssprüche dennoch nach nationalem Recht anzuerkennen und zu vollstrecken (s. Rz. 262, 280). In Frankreich ist die Aufhebung eines ausländischen oder internationalen Schiedsspruchs nach Art. 1514, 1520 No 5 CPC n.F. grds irrelevant.548 Die Anerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs verstößt nicht gegen den ordre public.549 In den USA wird ein im Heimatstaat aufgehobener Schiedsspruch dagegen meist nicht mehr anerkannt und vollstreckt.550
18.281
2. Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 21.4.1961 Schrifttum: D. Hascher, European Convention on International Commercial Arbitration of 1961, YCA 36 (2011), 504; R. Kaiser, Das europäische Übereinkommen über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1967; F- E. Klein, Das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, ZZP 76 (1963), 342; E. Mezger, Das Europäische Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, RabelsZ 1965, 231 ff.; H. Moller, Der Vorrang des Übereinkommens über Schiedsgerichtsbarkeit vor dem Europäischen Übereinkommen über Handelsschiedsgerichtsbarkeit, EWS 1996, 297; Adolphsen in MünchKomm/ZPO, Bd. 3, 5. Aufl. 2017, § 1061 Anh. 2, S. 758.
18.282
Das Europäische Übereinkommen (EuÜ) gilt im Verhältnis von Deutschland zu folgenden Staaten: Albanien (seit 25.9.2001), Aserbaidschan (17.4.2005), Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Burkina Faso, Dänemark, Frankreich, Italien, (ehem)
18.283
544 BGH, IPRax 2006, 266 (dazu R. Geimer, S. 233); OLG Hamm, RIW 1994, 1052, 1053; Reithmann/Martiny/Hausmann, Intern. Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 8.294 ff. 545 BGH, IPRax 2006, 266 (dazu R. Geimer, S. 233). 546 BGHZ 187, 126 = SchiedsVZ 2010, 332; P. Kindler, FS Kaissis, 2012, S. 481, 482 ff. 547 BGH, SchiedsVZ 2003, 281 (St. Kröll); dazu auch M.-O. Heidkamp, IHR 2004, 17. 548 Cour de Cass., Rev.arb. 1994, 327 (Hilmarton) = YCA 1994, 105; Cour de Cass., Rev.arb. 1997, 395 (Chromalloy); C. Alfons, S. 83 ff.; E.-M. Bajons, Croat.Arb.Yearb. 7 (2000), 55; krit. O. Sandrock, FS H. Stoll, 2001, S. 661, 684 ff. 549 Cour de Cass., Rev.arb. 1994, 327; vgl. E. Gaillard, JDI 125 (1998), 645. 550 Termorio S.A. v Electranta S. P., 487 F. 3d 928 (2007); vgl. F. Weinacht, ZVglRWiss 98 (1999), 139, 151 ff.; A. Giardina, Liber amicorum Böckstiegel, S. 205; R. Mosk/R. Nelson, JIntArb 18 (4) (2001), 463.
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§ 18 Rz. 18.283 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Jugoslawien, Kasachstan (18.2.1996), Kroatien, Kuba, Lettland (18.6.2003), Luxemburg, Mazedonien, Moldau (3.6.1998), Montenegro, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik, der Türkei, der Ukraine, Ungarn und Weißrussland.
18.284 Im Gegensatz zu dem Genfer Abkommen und dem UN-Übereinkommen geht das EuÜ von dem Schiedsvertrag aus. Damit soll die Anerkennung und Vollstreckung aller Schiedssprüche, die auf einem solchen Schiedsvertrag beruhen, innerhalb der Vertragsstaaten gewährleistet werden.551 Trotz seiner Bezeichnung ist das Übereinkommen nicht auf die europäischen Staaten begrenzt, sondern für alle Staaten offen.552 Sein Hauptanliegen geht dahin, die Mitwirkung staatlicher Gerichte oder Behörden zu beschränken. Damit sollte es vornehmlich auf die Bedürfnisse des OstWest-Handels zugeschnitten werden.553 Art. II EuÜ betont deswegen, dass juristische Personen, die nach dem für sie maßgebenden Recht juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, Schiedsvereinbarungen schließen können. 18.285 Schiedsvereinbarungen, auf die das EuÜ anzuwenden ist, setzen zweierlei voraus: Sie müssen von natürlichen oder juristischen Personen geschlossen werden, die bei Abschluss der Vereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Die Schiedsvereinbarung muss sich auf die Regelung von bereits entstandenen oder künftig entstehenden Streitigkeiten aus internationalen Handelsgeschäften beziehen. Der Begriff ist nicht festgelegt worden. Ein internationales Handelsgeschäft liegt grds vor, wenn Leistungen über Staatsgrenzen hinweg erbracht werden sollen. Das EuÜ findet aber auch Anwendung, wenn zwischen Parteien verschiedener Vertragsstaaten ein Handelsgeschäft über eine in einem Drittland zu erbringende Leistung abgeschlossen wird.
18.286 Bei dem internationalen Handelsgeschäft wird nicht auf die Kaufmannseigenschaft der handelnden Personen abgestellt, denn an die Personen werden keine anderen Voraussetzungen geknüpft, als dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten haben müssen. Ein internationales Handelsgeschäft kann vorliegen, wenn die Ware die Staatsgrenze überschreitet, wenn der Verkäufer an einem Ort im Ausland erfüllen muss, wenn der Käufer in fremder Währung zahlen muss, wenn die Parteien sich einem ausländischen materiellen Recht unterwerfen.554 Der Begriff des „internationalen Handelsgeschäfts“ ist weit auszulegen, sofern 551 552 553 554
P. Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rz. 76. E. Mezger, RabelsZ 1965, 231, 289. E. Mezger, RabelsZ 1965, 231, 234; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 163 ff. E. Mezger, RabelsZ 1965, 231, 240, spricht von einem Rechtsverhältnis, das mit verschiedenen Ländern verknüpft ist, und erwähnt dabei die Verbringung von Waren, Anlagemitteln, Kapitalgütern oder Dienstleistungen von einem Land in das andere; P. Schlosser, Rz. 78, erwähnt darüber hinaus u.a. Lizenzverträge, gemeinsame wissenschaftliche oder technologische Forschungs- und Entwicklungsverträge, Verlagsverträge, Verträge über künstlerische Leistungen – wie internationale Tourneen, Rundfunk- und Fernsehübertragungen, Verträge über Film- und Schallplattenproduktion, Handelsvertreter- und Kommissionsverträge.
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IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht | Rz. 18.291 § 18
die vertragsschließenden Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Es versteht sich von selbst, dass dieser Begriff nicht iS einer nationalen Gesetzgebung zu verstehen ist.555 Hinsichtlich der Form der Schiedsvereinbarung überschreitet Art. I (2) (a) EuÜ die Grenzen des UNÜ ganz erheblich. Die Schiedsabrede oder Klausel kann von den Parteien unterzeichnet sein. Es genügt, wenn sie in Briefen, Telegrammen oder Fernschreiben, die gewechselt worden sind, enthalten ist. Hierbei handelt es sich um ein Problem des Beweisrechts. Im Verhältnis zu den Staaten, die in ihrem Recht für Schiedsvereinbarungen nicht die Schriftform fordern, genügt jede Vereinbarung, die in den nach diesen Rechtsordnungen zulässigen Formen geschlossen ist. Im Gegensatz zum UNÜ lässt also das EuÜ mündlich nach § 1027 II ZPO geschlossene Schiedsvereinbarungen zu. Es ist zweifelhaft, ob dies ein echter Fortschritt ist, denn eine mündliche Schiedsvereinbarung bringt ein erhebliches Beweisrisiko mit sich.
18.287
Nach Art. III EuÜ können auch Ausländer zu Schiedsrichtern bestellt werden. Die Regelung ist heute praktisch ohne Bedeutung, da entgegenstehendes einzelstaatliches Recht nicht mehr besteht. Art. III EuÜ hindert aber nicht, dass die Verfahrensordnungen institutioneller Schiedsgerichte abweichende Regelungen enthalten.556
18.288
Nach Art. IV EuÜ haben die Parteien die Wahl zwischen einem ständigen und einem ad-hoc Schiedsgericht. Im ersten Fall wird das Verfahren nach der Schiedsgerichtsordnung des ständigen Schiedsgerichts bestimmt. Für den zweiten Fall sieht Art. IV ein umständliches Verfahren vor, bei dem die Mitwirkung der staatlichen Gerichte bei der Bildung des Schiedsgerichts, der Festlegung des Ortes, an dem das Schiedsgericht tagen soll, und bei der Bestimmung der Verfahrensregeln ausgeschaltet und den Präsidenten der Handelskammern bzw. einem besonderen Komitee übertragen werden. Immerhin ist beachtenswert, dass den Präsidenten der Handelskammern der Vertragsstaaten ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird. Es kann aber bezweifelt werden, ob damit der nationalstaatliche Einfluss ausgeräumt worden ist.
18.289
Die Zusammensetzung der Komitees und das Verfahren zu deren Bildung ergeben sich aus der Anlage zu dem EuÜ. Selbstverständlich bleibt es den Parteien überlassen, alle Fragen hinsichtlich der Bildung des Schiedsgerichts, des Tagungsortes, des anzuwendenden Verfahrensrechts selbst zu regeln. Die Lösung des EuÜ für ad hocSchiedsgerichte ist harter Kritik ausgesetzt.557
18.290
Nach Art. V EuÜ müssen Einreden gegen die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts grds bereits mit der Einlassung zur Hauptsache vorgebracht werden. Im späteren Verfahren vor dem Schiedsgericht kann die Unzuständigkeit grds nicht mehr gerügt
18.291
555 So zu Recht Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 167; B. v. Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1970, 49. 556 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 177. 557 E. Mezger, RabelsZ 1965, 231, 254, klagt über den viel zu langen Art. IV; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 178, hält das System der Hilfestellungen für sehr kompliziert.
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§ 18 Rz. 18.291 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
werden. Auch in einem späteren Verfahren vor dem staatlichen Gericht kann die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nicht mehr erhoben werden. Das staatliche Gericht kann jedoch die Entscheidung des Schiedsgerichts, in der die Einrede der Verspätung verworfen worden ist, überprüfen.
18.292 Art. V (3) EuÜ gibt dem Schiedsgericht die Kompetenz-Kompetenz, d.h. über das Bestehen oder die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung zu entscheiden. Diese ist dem Schiedsgericht jedoch – wie im deutschen Recht – nur vorbehaltlich einer Überprüfung durch das staatliche Gericht erteilt. Insoweit handelt es sich nicht um eine echte Kompetenz-Kompetenz.558 18.293 Art. VI EuÜ regelt die Fälle, in denen vor einem staatlichen Gericht die Einrede der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts erhoben wird, und in denen das Gericht eines Vertragsstaats über das Bestehen oder die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung zu entscheiden hat. Die Schiedsfähigkeit der Parteien hat es nach dem Recht, das für sie persönlich maßgebend ist, zu beurteilen. Sonstige Fragen werden beurteilt: a) nach dem Recht, dem die Parteien die Schiedsvereinbarung unterstellt haben; b) falls die Parteien darüber nichts bestimmt haben, nach dem Recht des Staats, in dem der Schiedsspruch ergehen soll; c) falls die Parteien darüber nichts bestimmt haben, welchem Recht die Schiedsvereinbarung unterstellt wird, und falls im Zeitpunkt, in dem das staatliche Gericht mit der Frage befasst wird, nicht vorausgesehen werden kann, in welchem Staat der Schiedsspruch ergehen wird, nach dem Recht, welches das angerufene Gericht nach seinen Kollisionsnormen anzuwenden hat. Das angerufene Gericht kann einer Schiedsvereinbarung die Anerkennung versagen, wenn die Streitigkeit nach seinem Recht nicht schiedsfähig ist.
18.294 Nach Art. VII EuÜ steht es den Parteien frei, das materielle Recht zu bestimmen, welches das Schiedsgericht anwenden soll. Haben die Parteien nichts vereinbart, so hat das Schiedsgericht das Recht anzuwenden, auf das die Kollisionsnormen hinweisen, von denen auszugehen das Schiedsgericht jeweils für richtig erachtet. Die Bestimmungen des Vertrags und die Handelsbräuche müssen dabei berücksichtigt werden. 18.295 Das Schiedsgericht kann nach Billigkeit entscheiden, wenn dies dem Willen der Parteien entspricht und wenn das für das schiedsrichterliche Verfahren maßgebende Recht es gestattet (Art. VII [2]). International ist streitig, ob ein Schiedsspruch ohne besondere Ermächtigung primär unter Berufung auf internationale Handelsbräuche gefällt werden kann. In Frankreich und England wird eine solche Anwendung der „lex mercatoria“ losgelöst von jeder sonstigen nationalen Rechtsordnung akzeptiert.559 In Deutschland ist man da558 Vgl. BGH, NJW-RR 1988, 1526 = JZ 1989, 201 m. Anm. W. Bosch. 559 Vgl. Deutsche Schachtbau v Rakoil, [1987] 2 AllER 760 (H.L.); A. Kappus, IPRax 1990, 133.
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IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht | Rz. 18.299 § 18
gegen überwiegend der Ansicht, dass die lex mercatoria keine eigenständige Rechtsquelle bildet und ein Schiedsspruch, der Handelsbräuche nicht nur „berücksichtigt“, sondern isoliert auf sie abstellt, auf einem Verfahrensfehler beruht, wenn die Parteien das Schiedsgericht dazu nicht besonders ermächtigt haben.560 Art. VII EuÜ stellt eine Vermutung dafür auf, dass die Parteien die Begründung des Schiedsspruchs verlangen, es sei denn, sie verzichten ausdrücklich auf eine Begründung oder sie haben sich einem schiedsrichterlichen Verfahren unterworfen, wonach es nicht üblich ist, Schiedssprüche zu begründen.561 Hierdurch soll offenbar auf die englische Übung Rücksicht genommen werden. Wenn danach Schiedssprüche nicht begründet werden, so mag dies u.a. darauf beruhen, dass die Schiedsrichter nach englischem Recht in besonderem Maße durch die staatlichen Gerichte überwacht werden.562 Insbesondere können die Schiedsrichter über Rechtsfragen, auch über die der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, die Entscheidung des staatlichen Gerichts einholen.
18.296
Da nach der Grundkonzeption des EuÜ alle Schiedssprüche unter den Vertragsstaaten anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden sollen, ist die Anerkennung und Vollstreckung indirekt geregelt. Sie ergibt sich unter Berücksichtigung der vorstehend erörterten Artikel, insb. aus Art. IX. Wird ein unter dieses Übereinkommen fallender Schiedsspruch im Ursprungsland aufgehoben, so bildet dies in einem anderen Vertragsstaat nur dann einen Grund, die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, wenn die Aufhebung in dem Staat, in dem oder nach dessen Recht der Schiedsspruch ergangen ist, ausgesprochen worden ist, und wenn sie auf einem von im Einzelnen aufgeführten Gründen beruht: dabei werden unter a) bis d) dieselben Gründe aufgeführt, die in Art. V (1) UNÜ unter a) bis d) genannt sind (s. Rz. 18.245 ff.). Dabei hat lediglich unter d) auf die Ausschaltung der nationalen Gesetzgebung Rücksicht genommen werden müssen. Eine Aufhebung aus Gründen des nationalen ordre public des Ursprungslandes ist danach irrelevant.563
18.297
In Art. IX (2) EuÜ wird auf das UNÜ Bezug genommen. Für Staaten, die sowohl Vertragsstaaten des UNÜ als auch des EuÜ sind, hat Art. IX (1) EuÜ die Wirkung, die Anwendung des Art. V (1) (e) UNÜ auf die Aufhebungsgründe zu beschränken, die in Abs. 1 dieses Artikels aufgezählt sind. Es ist danach möglich, dass Schiedssprüche, die in ihrem Ursprungsland aus anderen als in Art. IX (1) (a) bis (d) EuÜ aufgeführten Gründen aufgehoben worden sind, in einem anderen Vertragsstaat anerkannt und vollstreckt werden können.564
18.298
Haben sowohl der Ursprungsstaat als auch der Anerkennungsstaat das UNÜ und das EuÜ ratifiziert, so kann wegen der Versagungsgründe für die Anerkennung auf
18.299
560 W. Lorenz, FS Neumayer, 1985, S. 407, 428; vgl. Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 2 Art. VII EuÜ Rz. 13 f.; s. Rz. 18.192 f. 561 E. Mezger, RabelsZ 1965, 231, 282, hat diese Bestimmung scharf kritisiert. 562 F.-E. Klein, Considérations sur l’arbitrage en droit internationale privé, 134. 563 Vgl. OGH, IPRax 2000, 314 (dazu A. Reiners, S. 323). 564 E. Mezger, RabelsZ 1965, 231, 296; P. Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rz. 665 spricht insoweit von hinkenden Schiedssprüchen.
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§ 18 Rz. 18.299 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Art. V UNÜ zurückgegriffen werden. Ein solcher Rückgriff ist nicht möglich, wenn beide Staaten lediglich Vertragsstaaten des EuÜ sind, denn dann müsste der Schiedsspruch in seinem Ursprungsland zunächst aufgehoben sein. Ist dies nicht der Fall, so ist zu prüfen, ob aus den übrigen Artikeln des EuÜ ein Versagungsgrund hergeleitet werden kann. Ist das auch nicht der Fall, so könnte die Anerkennung und Vollstreckung aus dem Schiedsspruch dennoch versagt werden, wenn dieser gegen die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaats verstieße.565
18.300 Das Verhältnis des EuÜ zu anderen mehr- oder zweiseitigen Verträgen regelt Art. X (7) EuÜ. Danach lassen die Bestimmungen dieses Übereinkommens die Gültigkeit mehrseitiger oder zweiseitiger Verträge, welche die Vertragsstaaten auf dem Gebiete der Schiedsgerichtsbarkeit geschlossen haben oder noch schließen werden, unberührt.566 Im Gegensatz zum UNÜ erfasst das EuÜ auch zukünftige Verträge. Schlosser567 erklärt diese Ausnahme damit, dass dieses Übereinkommen nur einen ganz beschränkten Teilausschnitt aus dem Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit regelt. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, denn das EuÜ hat eine möglichst weite Basis für die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen unter den Vertragsstaaten schaffen wollen. Es ist Schlosser aber darin zuzustimmen, dass das EuÜ die Vertragsstaaten nicht daran hindern will, mit dritten Staaten oder in anderen multinationalen Vereinbarungen eine umfassendere Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu schaffen. 18.301 Das Pariser Zusatzabkommen zu dem EuÜ v. 17.12.1962568 wurde abgeschlossen, weil sich das EuÜ in mancher Hinsicht als zu schwerfällig für westlich orientierte Staaten erwies.569 Danach sind die Abs. 2 bis 7 des Art. IV des EuÜ durch folgende Vorschrift ersetzt worden: „Enthält die Schiedsvereinbarung keine Angaben über die Gesamtheit oder einen Teil der in Art. IV (1) bezeichneten Maßnahmen, so werden die bei der Bildung oder der Tätigkeit des Schiedsgerichts etwa entstehenden Schwierigkeiten auf Antrag einer Partei durch das zuständige staatliche Gericht behoben.“ Dieses Abkommen gilt für Deutschland im Verhältnis zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg und Österreich. 3. Genfer Protokoll und Genfer Abkommen
18.302 Nach Art. VII (2) UNÜ treten das Genfer Protokoll und das Genfer Abkommen zwischen den Vertragsstaaten des UNÜ außer Kraft. Beide Abkommen haben nur noch einen marginalen Anwendungsbereich. Das Genfer Protokoll v. 24.9.1923 gilt noch im Verhältnis zu Irak und Mauritius. 565 So zu Recht F.-E. Klein, ZZP 76 (1963), 342; über das Zusammenwirken des UNÜ und des EuÜ im Einzelnen vgl. P. Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rz. 97. 566 Vgl. H. Moller, EWS 1996, 297. 567 Recht der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Rz. 97. 568 BGBl. 1964 II, 449. 569 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 206.
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IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht | Rz. 18.305 § 18
Das Genfer Abkommen v. 26.9.1927 gilt nur noch im Verhältnis zu Anguilla. Da Deutschland den Gegenseitigkeitsvorbehalt für das UNÜ aufgegeben hat (§ 1061 I ZPO), ist das UNÜ auch gegenüber Schiedssprüchen aus diesen Staaten anzuwenden. 4. Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) In Art. 28 ff. COTIF (i.d.F. v. 3.6.1999)570 sind Schiedsgerichte zur Beilegung von Streitigkeiten vorgesehen. Nach Art. 32 § 2 sind Schiedssprüche gegenüber Beförderungsunternehmen und Kunden in jedem Vertragsstaat vollstreckbar, sobald die in dem Staat, in welchem die Vollstreckung erfolgen soll, vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt sind. Eine sachliche Nachprüfung des Schiedsspruches ist unzulässig.
18.303
5. Bilaterale Verträge a) Deutsch-schweizerisches Abkommen v. 2.11.1929 Maßgebend ist Art. 9. Dieser nimmt seinerseits Bezug auf das Genfer Abkommen. Da die Schweiz dem UNÜ beigetreten ist, ist das Genfer Abkommen außer Kraft getreten. Dennoch behält das deutsch-schweizerische Abkommen seine Wirksamkeit, weil das Genfer Abkommen und das UNÜ auf Schiedsvergleiche nicht anzuwenden sind. Nach Art. 9 III des deutsch-schweizerischen Abkommens werden die vor einem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiche in derselben Weise wie Schiedssprüche vollstreckt.571 Hierbei ist noch eine Besonderheit zu beachten. Hinsichtlich des Schiedsspruchs stellt das Genfer Abkommen lediglich darauf ab, ob dieser auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats ergangen ist. Aus dem Wortlaut von Art. 9 III ergibt sich, dass es bei dieser territorialen Beziehung hinsichtlich der Schiedsvergleiche geblieben ist. Es kommt also lediglich darauf an, dass der Schiedsvergleich vor dem Schiedsgericht auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaats abgeschlossen worden ist.572
18.304
b) Deutsch-italienisches Abkommen v. 9.3.1936 Art. 8 dieses Abkommens enthält dieselbe Vorschrift für Schiedssprüche und Schiedsvergleiche wie das deutsch-schweizerische Abkommen. Die Problematik ist dieselbe. Da auch Italien Mitgliedstaat des UNÜ ist, gilt insoweit dasselbe wie zu Rz. 18.304. Daran ändert nichts, dass Italien auch noch Vertragsstaat des EuÜ ist, denn auch dieses bezieht sich nicht auf Schiedsvergleiche. Von Art. 8 des deutschitalienischen Abkommens sind also nur die ersten beiden Absätze hinfällig geworden.573
570 571 572 573
BGBl. 2002 II, 2149. Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 221. Vgl. insoweit Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rz. 814. Vgl. P. Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rz. 85 und 814.
1129
18.305
§ 18 Rz. 18.306 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
c) Deutsch-belgisches Abkommen v. 30.6.1958
18.306 Dieses Abkommen ist in Rz. 15.144 f. behandelt. Nach Art. 13 werden Schiedssprüche, die in dem Hoheitsgebiet des einen Staats ergangen sind, in dem Hoheitsgebiet des anderen Staats anerkannt und vollstreckt, wenn sie in dem Ursprungsland vollstreckbar sind, wenn ihre Anerkennung nicht der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaats zuwiderläuft und wenn die vorgelegte Ausfertigung des Schiedsspruchs die für die Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Es wird weder nach einem gültigen Schiedsvertrag noch nach einem ordnungsgemäßen Schiedsgerichtsverfahren gefragt.574 18.307 Nach Art. 16 berührt dieses Abkommen nicht andere Übereinkommen oder Abkommen, die für beide Staaten gelten oder gelten werden. Infolge der Meistbegünstigungsklausel des UNÜ behält das deutsch-belgische Abkommen für Schiedssprüche seine Gültigkeit. Im Allgemeinen ist das deutsch-belgische Abkommen besonders anerkennungsfreundlich. Das EuÜ könnte dann angewendet werden, wenn der Schiedsspruch in seinem Ursprungsland noch nicht für vollstreckbar erklärt worden ist. 18.308 Auf Schiedsvergleiche (Art. 13 II) bleibt das deutsch-belgische Übereinkommen anwendbar, weil diese weder im UNÜ noch im EuÜ geregelt sind. d) Deutsch-niederländischer Vertrag v. 30.8.1962
18.309 Art. 17 des Vertrages sieht vor, dass sich die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nach den Verträgen, die zwischen beiden Staaten jeweils in Kraft sind, bestimmen. Die Schiedsvergleiche sind nicht genannt. Daraus folgt, dass aus deutschen Schiedsvergleichen in den Niederlanden nicht vollstreckt werden kann. (Vgl. den gemeinsamen Bericht der Unterhändler zum deutsch-niederländischen Vertrag zu Art. 17. Als Begründung wird angegeben, dass dem niederländischen Recht ein Schiedsvergleich unbekannt ist.) Im Verhältnis der beiden Vertragsstaaten gilt das UNÜ. Wegen der darin enthaltenen Meistbegünstigungsklausel kann auf die möglicherweise günstigere nationale Verfahrensordnung zurückgegriffen werden. e) Deutsch-österreichischer Vertrag v. 6.6.1959
18.310 Nach Art. 12 bestimmen sich die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nach dem Übereinkommen, das zwischen beiden Staaten jeweils in Kraft ist. Die vor einem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiche werden den Schiedssprüchen gleichgestellt. Zwischen beiden Staaten gelten das UNÜ und das EuÜ. Im Übrigen gilt das zu Rz. 13.304 Ausgeführte. f) Deutsch-griechischer Vertrag v. 4.11.1961
18.311 Der Vertrag ist unter Rz. 15.148 f. behandelt worden. Nach Art. 14 erfolgt die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nach dem Übereinkommen oder 574 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 224.
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IX. Anerkennung und Vollstreckung nach Vertragsrecht | Rz. 18.315 § 18
Abkommen, das zwischen den beiden Vertragsstaaten jeweils in Kraft ist. Vor einem Schiedsgericht abgeschlossene Vergleiche werden den Schiedssprüchen gleichgestellt. Zwischen beiden Vertragsstaaten gilt das UNÜ. Im Übrigen gilt das zu Rz. 15.304 Ausgeführte. g) Deutsch-tunesischer Vertrag v. 19.7.1966 Dieser Vertrag ist in Rz. 15.187 ff. behandelt worden. Nach Art. 47 ist eine Schiedsvereinbarung – unter der eine schriftliche Schiedsabrede oder Klausel verstanden wird, sofern diese von den Parteien unterzeichnet oder in Briefen, Telegrammen oder Fernschreiben, welche die Parteien gewechselt haben, oder die in einer Niederschrift des Schiedsgerichts enthalten ist – nur unter folgenden Voraussetzungen anzuerkennen:
18.312
1. wenn das Rechtsverhältnis, aus dem die Streitigkeit entsteht, nach dem Recht des Anerkennungsstaats als Handelssache anzusehen ist; 2. wenn die eine Partei bei Abschluss der Vereinbarung ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in dem einen Staat, die andere in dem anderen Staat hatte; 3. wenn die Streitigkeit nach dem Recht des Anerkennungsstaats schiedsfähig ist. Nach Art. 51 werden Schiedssprüche, die aufgrund einer nach Art. 47 anzuerkennenden Schiedsvereinbarung ergangen sind, in jedem der beiden Staaten anerkannt und vollstreckt. Die in Art. 52 genannten Versagungsgründe beziehen sich auf den Verstoß des Schiedsspruchs gegen die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaats; darauf, dass die Streitigkeit nach dem Recht des Anerkennungsstaats nicht schiedsfähig ist; wenn der Schiedsspruch durch betrügerische Machenschaften erwirkt worden ist; wenn der unterlegenen Partei das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist. Liegt keine gültige Schiedsvereinbarung vor, so kann eine Partei, die sich auf das Schiedsverfahren eingelassen hat, die den Mangel kannte und ihn nicht gerügt hat, sich nicht mehr darauf berufen. Das Gleiche gilt, wenn im Ursprungsland des Schiedsspruchs eine Aufhebungsklage abgewiesen worden ist.
18.313
Schiedsvergleiche, die vor einem Schiedsgericht geschlossen worden sind, stehen Schiedssprüchen gleich (Art. 52 II).
18.314
h) Deutsch-amerikanisches Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsabkommen v. 29.10.1954 Nach Art. VI (2) dieses Abkommens575 darf Schiedsverträgen nicht lediglich deshalb die Anerkennung versagt werden, weil sich der für die Durchführung des Schiedsverfahrens bestimmte Ort außerhalb des Gebiets des anderen Vertragsstaats befindet oder weil ein oder mehrere Schiedsrichter nicht seine Staatsangehörigen sind. In dem Verfahren zur Vollstreckbarerklärung, das vor den zuständigen Gerichten eines Vertragsteils anhängig gemacht wird, soll ein ordnungsmäßig aufgrund solcher Ver575 BGBl. 1956 II, 488.
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18.315
§ 18 Rz. 18.315 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
träge ergangener und nach den Gesetzen des Ortes, an dem er gefällt wurde, endgültiger und vollstreckbarer Schiedsspruch als bindend angesehen werden.
18.316 Das Gericht muss ihn nach Art. VI (2) Satz 3 für vollstreckbar erklären, außer wenn die Anerkennung des Schiedsspruchs gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen würde. US-amerikanische Schiedssprüche dürfen also nur einer ordre public-Kontrolle unterzogen werden.576 Der für vollstreckbar erklärte Schiedsspruch steht hinsichtlich der Wirkungen und der Vollstreckung einem inländischen Schiedsspruch gleich (Satz 4). Es besteht Einverständnis, dass ein außerhalb der USA ergangener Schiedsspruch vor den Gerichten eines Staats der USA nur im gleichen Maße Anerkennung genießt wie Schiedssprüche, die in einem anderen Staat der USA erlassen worden sind (Satz 5). Das Exequatur im Ursprungsland ersetzt wie bei dem deutsch-belgischen Abkommen alle weiteren Voraussetzungen. 18.317 Da für beide Vertragsstaaten das UNÜ gilt, steht den Parteien die Meistbegünstigungsklausel des Art. VII offen. Sie können die für sie günstigste Möglichkeit für die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs wählen. i) Deutsch-sowjetisches Handels- und Schifffahrtsabkommen v. 25.4.1958
18.318 Nach Art. 8 dieses Abkommens577 konnten natürliche Personen, juristische Personen und Handelsgesellschaften der Bundesrepublik Deutschland und natürliche und juristische Personen der UdSSR (jetzt Russlands) vereinbaren, dass die aus Verträgen in Handelssachen entstehenden Streitigkeiten der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unterworfen werden. Das Abkommen gilt inzwischen nicht mehr, und zwar weder im Verhältnis zur Russischen Föderation noch im Verhältnis zu anderen Nachfolgestaaten der UdSSR.578
X. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit 1. Weltbank-Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten v. 18.3.1965
18.319 Schrifttum: J. Antony, Umbrella clauses since SGS v. Pakistan and SGS v Philippines, ArbInt
29 (2013), 607; E. Baldwin/M. Kantor/M. Nolan, Limits to enforcement of ICSID awards, JIntArb 23 (2006) (1), 1; J. Berger, Die Bundesrepublik Deutschland – Internationaler Investitionsschutz und das Vattenfall-Verfahren, EuZW 2020, 229; K.-H. Böckstiegel, Aktuelle Probleme der Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit aus der Sicht eines Schiedsrichters, SchiedsVZ 2012, 113; E. de Brabandere, Investment Treaty Arbitration as Public International Law, 2014; L. Bräuninger, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und Diskrimierungsverbote, 2015; A. Broches, Selected Essays. World Bank, ICSID, and other subjects, 1995, S. 161 ff.; H. Bubrowski,
576 Adolphsen in MünchKomm/ZPO, § 1061 ZPO Anh. 6, Dt.-amerik. Vertr. Art. VI Rz. 2; R. Schütze, ZVglRWiss 104 (2005), 427, 440. 577 BGBl. 1959 II, 222. 578 Durch diese Entwicklung ist BGHZ 166, 278 = SchiedsVZ 2006, 161, 163 (Weißrussland) = NJW 2007, 772 überholt.
1132
X. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit | Rz. 18.319 § 18 Das Verhältnis zwischen internationalen Investitionsschiedsverfahren und nationalen Gerichtsverfahren, 2013; M. Bungenberg/A. Reinisch, Von bilateralen Schieds- und Investitionsgerichten zum multilateralen Investitionsgerichtshof, 2018; Buß, Zwischen Immunität und Rechtsschutz. Das Inspection Panel innerhalb der Weltbankgruppe, RIW 1998, 352; G. Cordera Moss, Commercial arbitration and investment arbitration: fertile soil for false friends?, Essays in honour of Ch. Scheuer, 2009, S. 782; H.-G. Dederer, Deutschlands Haltung zum internationalen Investitionsschutz, RIW 2019, 397; K. Diel, Interessengerechter – Effizienter – Verlässlicher: Konkurrierende Formen der Internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, DAJV – Newsletter 2011, 20; A. Dimolitsa, The intervention of amici curiae in investor-state arbitration, FS Kerameus, 2009, S. 277; Ph. Donath, Proliferation und Legitimation der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, 2016; D. Engel, Das Investor-Staat-Streitbeilegungssystem auf dem unionsrechtlichen Prüfstand, SchiedsVZ 2017, 291; A. Escher, Weltbank-Schiedszentrum: Zuständigkeit für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, RIW 2001, 20; A. Escher/P. Nacimiento/Ch. Weissenborn, Investment Arbitration and the Participation of State Parties in Germany, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, Part IV, S. 1013; C. Esplugues, Foreign investment and investment arbitration in Asia, 2019; R. Folsom, Principles of international litigation and arbitration (Chap. 4 Foreign investment arbitrations), 2016; M. Füracker, Relevance and Structure of Bilateral Investment Treaties, SchiedsVZ 2006, 236; I. Gätzschmann, Der vorläufige Rechtsschutz im Schiedsverfahren nach der ICSID-Konvention, 2015; E. Gaillard/Y. Banifatemi, Annulment of ICSID Awards, 2004; E. Gaillard/Y. Banifatemi, Jurisdiction in Investment Treaty Arbitration, 2012; Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, (Lfg 21), S. 720.1; F. Grisel, L’octroi d’intérêts composés par les tribunaux arbitraux d’investissement, JDI 2011, 545; J. Gundel, Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit und Unionsrecht nach dem Achmea-Urteil des EuGH, EWS 2018, 124; Ch. v. Hammerstein/P. Roegele, Der Fair and Equitable Treatment- Standard im Investitionsschutzrecht, SchiedsVZ 2015, 275; G. Hanessian, ICDR Awards and Commentaries, 2012; R. Happ in R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 15, S. 1357; B. Hess, The private – public divide in international dispute resolution, Rec.d.Cours 388 (201), 49, 193 ff.; A. Hoffmann, Gewerbliche Prozessfinanzierung in internationalen Investitionsschiedsverfahren, 2018; H. van Houtte/M. Brunetti, Investment Arbitration – Ten Areas of Caution for Commercial Arbitrators, ArbInt 29 (2013), 553; M. Ismail, International Investment Arbitration – Lessons from developments in the MENA region, 2013; Th. Kendra, State Counterclaim in Investment arbitration, ArbInt 20 (2013), 575; K. Kerameus, Anti-Suit Injunctions in ICSID Arbitration, in Gaillard, Anti-Suit Injunctions in International Arbitration, 2003, 131; C. Kern, Schiedsgericht und Generalklausel, 2017; M. Ismail, International Investment Arbitration, 2013; R. Knieper, Contradictions between the ICSID Convention and the ICSID Arbitration Rules with Respect to the Suspension of Enforcement in Annulment Proceedings, FS Simotta, 2012, S. 325; R. Knieper, Enforceability of Arbitral Awards in the Context of Investor-State Disputes, SchiedsVZ 2013, 307; R. Knieper, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit: warum reparieren was nicht kaputt ist?, SchiedsVZ 2020, 60; R. Kreindler, Die Internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und die Korruption: Eine alte Herausforderung mit neuen Antworten, SchiedsVZ 2010, 2; I. Laird u.a., Investment Treaty Arbitration and International Law, Vol. 1–8, 2007–2015; T. Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, 2001; T. Lörcher, ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2005, 11; L. Markert, Streitschlichtungsklauseln in Investitionsschutzabkommen, 2010; C. McLachlan/L. Shore/M. Weiniger, International Investment Arbitration: Substantive Principles, 2008; J. Lew/L. Mistelis/St. Kröll, Comparative International Commercial Arbitration (Chap. 28), 2003, 761; R. Pagel, Die Aufhebung von Schiedssprüchen in der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, 1999; A. Parra, The Convention and Centre for Settlement of Investment Disputes, RdC 374 (2014), 313; W. Peter, Arbitration and Renegotiation of International Investment Agreements, 1995; J. Pirrung, Die Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbank-Übereinkommen für Investitionsstreitigkeiten, 1972; H. Raesch-
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§ 18 Rz. 18.319 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit ke-Kessler, Der Einfluss des Völkervertragsrechts auf Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung aus Schiedssprüchen auf der Grundlage von Investitionsschutzabkommen, FS Schlick, 2015, S. 57; Redfern/Hunter, On International Arbitration, 6th ed. 2015, Chap. 8, S. 441; L. Reed/J. Paulsson/N. Blackaby, Guide to ICSID Arbitration, 2004; A. Reinisch, The future of investment arbitration, Essays in honour of ch. Scheuer, 2009, S. 894; K. Sachs/S. Häusler, Import of Umbrella Clauses by Way of Invoking Most-Favored-Nations-Treatment Clauses in International Investment Treaty Law, FS Schütze, 2014, S. 499; G. Scherf/N. Kondrashov, Investment Protection and Arbitration in the CIS Region, SchiedsVZ 2020, 8; Schöbener/Markert, Das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), ZVglRWiss 105 (2006), 65; Ch. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2005, Teil O Rz. 852–999; Ch. Schreuer, The ICSID Convention, 2nd ed. 2014; I. Schwenzer/P. Hachem, Moral damages in international investment arbitration, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 411; M. Secomb, A uniform, threestep approach to interest rates in international arbitration, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 431; A. Steinbach, Investor-Staat-Schiedsverfahren und Verfassungsrecht, RabelsZ 80 (2016), 1; G. Verhoosel, The use of investor – state arbitration under bilateral investment treaties to seek relief for breaches of WTO law, JIEL 6 (2) (2003), 493; G. Verveniotis, Arbitral Settlement of Investment Disputes, RHDI 50 (1997), 153; R. E. Vinuesa, Jurisdictional Objections to ICSID Arbitration under Bilateral Investment Treaties, FS Ress, 2005, S. 331; M. Waibel/A. Kaushal/ K.-H. Chung/C. Balchin, The backlash against investment arbitration, 2010; Th. Webster, Handbook on Investment Arbitration, 2012; J. Weeramantry, Treaty interpretation in investment arbitration, 2012; R. Winkler, Der große kleine Unterschied zwischen dem Investitionsschutz durch Schiedsgerichtsbarkeit im TTIP-Freihandelsabkommen einerseits und zivilrechtlichen Schiedsverfahren von Unternehmen andererseits, FS Schütze, 2015, S. 739. Zur Rechtslage in EU-Mitgliedstaaten: P. Behrens, Die Zukunft des EU-internen Investitionsschutzes nach dem EuGH-Urteil in der Rs. Achmea, RIW 2018, 701; J. Gundel, Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit und Unionsrecht nach dem Achmea-Urteil des EuGH, EWS 2018, 124; N. Lavranos/T. Singla, Achmea: Groundbreaking or Overrated?, SchiedsVZ 2018, 348; R. Miller, Autonomie des Unionsrechts vs. Schiedsgerichtsbarkeit, EuZW 2018, 357; M. Ludwigs/O. Remien, Investitionsschutz, Schiedsgerichtsbarkeit und Rechtsstaat in der EU, 2018; Ch. Ohler, Die Vereinbarkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren mit deutschem und europäischem Verfassungsrecht, JZ 2015, 337; P. Stöbener de Mora, Das Achmea-Urteil zum Intra-EU-Investitionsschutz, EuZW 2018, 363; St. Wernicke, Autonomie und Häresie – Investitionsschiedsgerichte in der Rechtsunion, NJW 2018, 1644; G. Žwij, Investitionsstreitigkeit zwischen Deutschland und Polen aus europäischer Perspektive, ZEuP 2019, 535. – Agreement for the Termination of Bilateral Investment Treaties between the Member States of the European Union, abgedruckt in SchiedsVZ 2020, 85. Zum CETA-Übereinkommen mit Kanada: F. Diethelm, ISDS-Regeln im CETA zwischen der EU und Kanada: Aspekte der Weiterentwicklung gegenüber früheren ISDS-Regelungen, SchiedsVZ 2019, 309; J. Gundel, Das CETAGutachten des EuGH: Neue Grenzen des Unionsrechts für die Unterwerfung unter „fremde Richter“?, EWS 2010, 181; O. Sandrock, Unter dem CETA-Übereinkommen sind „private“ Schiedsgerichte zulässig, RIW 2017, 245.
18.320 Das Washingtoner Übereinkommen von 1965579 (ICSID-Ü) hat eine sichere (völkerrechtliche) Grundlage dafür geschaffen, dass Streitigkeiten zwischen einem Staat und einem privaten Investor durch private Schiedsgerichte gelöst werden können. Der 579 BGBl. 1969 II, 369; 4 I.L.M. 532 (1965).
1134
X. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit | Rz. 18.321 § 18
Investor ist nicht mehr auf den diplomatischen Schutz seines eigenen Staats angewiesen, sondern kann gegen den ausländischen Staat direkt ein privates Schiedsverfahren einleiten.580 Das Übereinkommen hat inzwischen 154 Vertragsstaaten. Vertragsstaaten waren Ende 2018 Ägypthen, Afganistan, Albanien, Algerien, Argentinien, Armenien, Asebaidschan, die Bahamas, Bahrain, Bangladesh, Barbados, Belgien, Benin, Bosnien und Herzegowina, Botsuana, Brunei Darussalam, Bulgarien, Burkinan Faso, Burundi, Chile, China, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Elfenbeinküste, El Salvador, Estland, Fiji, Finnland, Frankreich, Gabun, Gambia, Georgien, Ghana, Grenada, Griechenland, Guatemala, Guinea, Guyana, Haiti, Honduras, Irak (17.12.2015), Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Jemen, Jordanien, Kambodia, Kamerun, Kanada (1.12.2013), Kap Verde, Kasachstan, Katar, Kenia, Kolumbien, Komoren, Kongo (Demokr. Rep.), Kongo (Rep.), Korea, Kosovo, Kroatien, Kuwait, Lesotho, Lettland, Libanon, Liberia, Litauen, Luxemburg, Madagaskar, Malawi, Malaysia, Mali, Malta, Marokko, Mauretanien, Mazedonien, Mexiko (27.7.2018), Mikronesien, Moldau, Mongolei, Mozambique, Nepal, Neuseeland, Nicaragua, Niederlande, Niger, Nigeria, Norwegen, Österreich, Oman, Pakistan, Panama, Papua Neuguinea, Paraguay, Peru, Philippinen, Portugal, Ruanda, Rumänien, Sambia, Samoa, Saudi Arabien, Schweden, Schweiz, Sengal, Serbien, Seychellen, Sierra Leone, Simbabwe, Singapur, Slowakei, Slowenien, Solomonen, Somalia, Spanien, Sri Lanka, St. Kitts & Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Südsudan, Sudan, Swasiland, Syrien, Tansania, Timor-Leste, Togo, Tonga, Trinidad und Tobago, Tschad, Tschechische Republik, Türkei, Tunesien, Turkmenistan, Uganda, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland, Weißrussland, Zentralafrikanische Republik und Zypern. (Venezuela war von 1993 bis 2012 Vertragsstaat). Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Es besteht eine Unzahl bilateraler Investionsschutzabkommen. Schiedsklauseln in solchen Abkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten sind nach dem Achmea-Urteil des EuGH v. 6.3.2018581 unzulässig, weil nur EU-Gerichte die volle Wirksamkeit des EU-Rechts gewährleisten. Zu befürchten ist, dass durch diese Entscheidung auch laufenden Schiedsverfahren die Grundlage entzogen worden ist.582 Welche Folgen sich hieraus für laufende Schiedsverfahren, aber auch für den künftigen Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten ergeben, ist derzeit noch unklar.583 Vielfach wird angenommen, dass nur Investor-Staat-Schiedsverfahren betroffen seien, die auf bilateralen Verträgen zwischen EU-Mitgliedstaaten beruhen, sicher ist dies aber nicht.584
580 Redfern/Hunter, Rz. 8.09; vgl. OLG Frankfurt, IPRax 2013, 83. 581 EuGH – C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158 – Achmea = RIW 2018, 200 (M. Müller); krit. J. Gundel, EWS 2018, 24; St. Wernicke, NJW 2018, 1644; J. Bischoff, IPRax 2018, 588. Schlussentscheidung des BGH, SchiedsVZ 2019, 46. 582 So J. Gundel, EWS 2018, 124, 131. 583 Vgl. R. Miller, EuZW 2018, 357; P. Stöbener de Mora, EuZW 2018, 363. 584 Vgl. N. Lavranos/T. Singla, SchiedsVZ 2018, 348.
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18.321
§ 18 Rz. 18.322 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
18.322 Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Schiedsgerichts nach dem ICSIDÜbereinkommen ist, dass zwischen dem investierenden Staat und dem Heimatstaat des Investors ein bilateraler Investitionsschutzvertrag (BIT) geschlossen wurde.585 Der Investor muss zu den nach diesem Vertrag geschützten Investoren gehören586 und die Investition muss nach dem Vertrag geschützt sein.587 18.323 Aus dem BIT erwirbt der Investor das Recht, gegen den investierenden Staat ein Schiedsverfahren einzuleiten, ohne dass sein eigener Vertrag mit dem Staat oder seiner Untereinheit eine Schiedsklausel enthalten müsste.588 Um ein Schiedsverfahren einzuleiten, muss der Investor nach Art. 25 ICSID-Ü zwar darlegen, dass sich der Rechtsstreit direkt aus der Investition ergibt und eine schriftliche Schiedsvereinbarung mit dem Vertragsstaat oder einer seiner Untergliederungen oder Organe besteht (Art. 25 I ICSID-Ü). Aus dem BIT ergibt sich aber vielfach, dass das Schiedsangebot in dem BIT zusammen mit seiner schriftlichen Inanspruchnahme durch den Investor zum Abschluss einer schriftlichen Schiedsvereinbarung i.S.v. Art. II UNÜ führt.589 Inzwischen hat der EuGH entschieden, dass die Art. 16, 267 u. 344 AEUV innerhalb der EU der Zulässigkeit eines solchen Schiedsverfahrens entgegenstehen. Nach Ansicht des EuGH beeinträchtigt die in einem BIT zwischen EU-Mitgliedstaaten vorgesehene Vereinbarung eines Schiedsgerichts die Autonomie des Unionsrechts.590 In dem geplanten TTIP ist deshalb keine Streitschlichtung durch ein Schiedsgericht, sondern eine durch ein institutionelles Internationales Handelsgericht vorgesehen.591
18.324 Da die Kompetenz zum Abschluss von BIT in der EU nun bei der Union und nicht mehr bei den einzelnen Mitgliedstaaten liegt, soll durch VO festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen die EU oder ein einzelner Mitgliedstaat bei einer InvestorStaat-Streitigkeit in Anspruch genommen werden kann.592 18.325 Das Schiedsgericht soll den Streit nach dem vereinbarten Recht entscheiden. Fehlt eine solche Vereinbarung, hat es das Recht des Investitionsstaats (einschließlich dessen IPR) sowie die einschlägigen Regeln des Völkerrechts anzuwenden (Art. 42 ICSID-Ü).593 Die BIT regeln weitere Einzelheiten. Regelmäßig ist vorgesehen, dass
585 Redfern/Hunter, Rz. 8.14 f. 586 Redfern/Hunter, Rz. 8.17 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 11. Aufl. 2017, § 23 Rz. 10. 587 Redfern/Hunter, Rz. 8.28 ff.; M. Herdegen (Fn. 585) § 23 Rz. 11 ff. 588 Vgl. Art. 10 des Deutschen Mustervertrags über die Förderung ... von Kapitalanlagen 2009, IPRax 2011, 206, 211. 589 Ecuador v Chevron, US Court of Appeals, 2d Cir. (17.3.2011), p 13; vgl. OLG Frankfurt, IPRax 2013, 83, 87 (Rz. 74). 590 EuGH – C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158 – Achmea, JZ 2018, 511 (Ch. Ohler); dazu auch P. Nacimiento/S. Bauer, BB 2018, 1347; a.A. noch OLG Frankfurt, IPRax 2013, 83, 87 (Rz. 76 ff.) (dazu Ch. Tietje, S. 64). 591 O. Sandrock, Das Internationale Handelsgericht im TTIP, RIW 2015, 625. 592 KOM (2012) 335 endg. 593 Vgl. Redfern/Hunter, Rz. 8.62 ff.; T. Lörcher, Neue Verfahren, S. 383 ff.
1136
X. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit | Rz. 18.331 § 18
eine Enteignung nur gegen schnelle, angemessene und effektive Entschädigung zulässig ist.594 Kap IV ICSID-Ü regelt in den Art. 36–55 das Schiedsverfahren im Einzelnen.595 Nach Art. 44 ICSID-Ü ist das Schiedsverfahren grds nach den ICSID Arbitration Rules (i.d.F. v. 10.4.2006)596 durchzuführen. Das Verfahren ist nicht öffentlich.
18.326
Hieran hat sich Kritik entzündet. Diese hat dazu geführt, dass die Generalversammlung der UN am 10.12.2014 (mit Resolution 69/116) die „United Nations Conventionon Transparency in Treaty-based Investor-State Arbitration“ verabschiedet hat. Danach sollen die UNCITRAL Rules on Transparency vom 16.12.2013 (gemäß Resolution 68/109) bei allen Investor-State Schiedsverfahren gelten. Bei deren Vereinbarung ist eine weitreichende Information der Öffentlichkeit über ein Investitionsschiedsverfahren gewährleistet.597
18.327
Nach Art. 53 ICSID-Ü ist der Schiedsspruch für die Partei bindend und unterliegt keiner Berufung und auch keinem anderen Rechtsmittel als denen, die in dem Übereinkommen vorgesehen sind.
18.328
Vorgesehen ist eine Revision des Schiedsspruchs, wenn eine entscheidungserhebliche Tatsache entdeckt wird, die dem Schiedsgericht nicht bekannt war (Art. 51 ICSIDÜ) sowie die Nichtigerklärung des Schiedsspruchs wegen schwerer prozessualer Fehler (Art. 52 ICSID-Ü).
18.329
Nach Art. 54 ICSID-Ü erkennt jeder Vertragsstaat jeden im Rahmen dieses Übereinkommens erlassenen Schiedsspruch als bindend an und sorgt für die Vollstreckung der darin auferlegten finanziellen Verpflichtungen in seinem Hoheitsgebiet, als handele es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines seiner innerstaatlichen Gerichte.598 Das bedeutet, dass auch keine ordre public-Kontrolle stattfindet. Bei der Vollstreckung gegen den Investitionsstaat ist aber dessen Vollstreckungsimmunität zu beachten (Art. 55 ISCD-Ü).599
18.330
Auf die Vollstreckung des Schiedsspruchs sind die Rechtsvorschriften für die Vollstreckung von Schiedssprüchen anzuwenden, die in dem Staat gelten, in dessen Ho-
18.331
594 Redfern/Hunter, Rz. 8.79 ff. 595 Dafür bestehen besondere Arbitration Rules, s. Geimer/Schütze, IRV, (Lfg. 18), S. 721.1; zur Frage der wirksamen Schiedsvereinbarung s. Lanco International v The Argentine Republic, 40 ILM 453 (2001). 596 Vgl. R. Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2018, Kap. 15, S. 1357. 597 Vgl. Ch. Wolf/N. Eslami, Die neuen UNCITRAl Rules on Transparency in Treaty-based Arbitration (UNCITRAL-TR), FS Schütze, 2015, S. 747; N. Horn, Die UNCITRALTransparenzregeln und die Zukunft der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, FS B. Kübler, 2015, S. 301. 598 Vgl. St. Alexandrov, Enforcement of ICSID awards: Articles 53 and 54 of the ICSID convention, in Essays in honour of Ch. Scheuer, 2009, S. 322. 599 Vgl. T. Lörcher, Neue Verfahren, S. 506 ff.; A. Bjorklund, State immunity and the enforcement of investor-state arbitral awards, in Essays in honour of Ch. Schreuer, 2009, S. 302.
1137
§ 18 Rz. 18.331 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
heitsgebiet die Vollstreckung begehrt wird (für Deutschland s. Art. 2 Zustimmungsgesetz v. 25.2.1969, BGBl. 1969 II, 369; s. Rz. 18.228 ff.). 2. Übereinkommen zur Errichtung der Multilateralen Investitions-GarantieAgentur (MIGA) v. 11.10.1985
18.332 Zweck der MIGA ist es, Garantien gegen nichtkommerzielle Risiken von Direktinvestitionen in Entwicklungsländern anzubieten. Der Versicherungsschutz der MIGA eröffnet im Streitfall automatisch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Investor und Gastland (Art. 57 MIGA-Ü mit Annex II).600 Auch für Garantie- bzw. Rückversicherungsverträge wird ein Schiedsgericht vereinbart (Art. 58 MIGA-Ü).601 Hierfür bestehen besondere MIGA Rules of Arbitration.602 3. Energiecharta-Vertrag v. 17.12.1994
18.333 Dieser Vertrag sieht neben dem Rechtsweg zu den nationalen Zivil- oder VG (Art. 26 II lit. a) eine Streitbeilegung durch Schiedsgerichte vor, enthält aber dazu kein eigenes System der Streitbeilegung, sondern gibt den Parteien die Wahl zwischen einem Verfahren nach dem ICSID (s. Rz. 18.320 ff.), einem Ad hoc-Schiedsgericht nach UNCITRAL-Regeln (s. Rz. 18.161) oder einem Schiedsverfahren nach den Regeln der Stockholmer Handelskammer (s. Rz. 158) (Art. 26 II lit. c, IV lit. a-c).603 4. CETA-Abkommen v. 21.9.2017
18.334 Nachdem die Lösung des ICSID-Übereinkommens politisch kritisiert worden war, sieht das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada in Abschnitt F Art. 8.18 ff. vor, dass ein Investor ggf. ein Gericht anrufen kann, das aus 15 Mitgliedern (5 aus der EU, 5 aus Kanada und 5 aus Drittstaaten) besteht (Art. 8.27). Auch ein Berufungsgericht ist vorgesehen (Art. 8.28). Die Vertragsparteien verpflichten sich, ein Urteil binnen 90 Tagen zu erfüllen. Geschieht dies nicht, kann der Investor das Urteil nach der jeweiligen lex fori des Vollstreckungsstaates vollstrecken (Art. 8.41 (4)). Dabei gilt ein Urteil grds. als Schiedsspruch i.S. v. Art. 1 NYUNÜ (Art. 8.41 (5)). Wurde das Verfahren nach ICSID-Regeln durchgeführt, gilt das Urteil als Schiedsspruch nach dem ICSID-Übereinkommen (Art. 8.41 (6)).
XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland 18.335 Soweit staatliche Gerichte in Schiedsverfahren eingreifen, diese kontrollieren, Hilfsfunktionen zugunsten des Schiedsgerichts ausüben oder Schiedssprüche für vollstreckbar erklären, befolgen sie ihr jeweiliges staatliches Prozessrecht. Vor allem 600 601 602 603
BGBl. 1987 II, S. 454. Vgl. Geimer/Schütze, IRV (Lfg. 14, 1991) S. 724.3 f. Abgedruckt in Geimer/Schütze, IRV, S. 725.1. Vgl. Säcker/Gundel, Energierecht, Bd. 1/1, 3. Aufl. 2014, Einl. D Rz. 336 ff.; J. Gundel, EWS 2018, 124, 127.
1138
XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland | Rz. 18.336 § 18
Kenntnisse über das Schiedsrecht am Sitz der Gegenpartei sind daher von erheblicher Bedeutung.
18.335a
Die nachfolgende Übersicht soll insoweit einen ersten Einstieg ermöglichen: Afrikanische Staaten: A. Asouzu, ArbInt 1999, 1; A. Asouzu, International Commercial Arbitration and African States, 2001; F. Niggemann, Die Schiedsgerichsbarkeit im OHADA-Wirtschaftsraum nach der Reform von 2017, SchiedsVZ 2020, 22. Ägypthen: Salger/Trittmann/Ule, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 983–1042. Arabische Staaten: A. H. El Abdah, Arbitration with the Arab Countries, 3. Aufl. 2011; Krüger, RPS 2/01 (Beiheft z. BB), S. 2; N. Najjar, L’arbitrage dans les pays Arabes face aux exigences du commerce international, 2004; Saleh, Commercial Arbitration in the Arab Middle East, 2. Aufl. 2005; A. Shahoud Almousa, Grundzüge der Schiedsgerichtsbarkeit in den arabischen Staaten, 2019. Asien: M. Moser, Arbitration in Asia, 2nd ed. 2011; Ph. McConnaughay/Th. Ginsburg/S. Ali, International Arbitration in Asia, 2012; M. Moser/J. Choong, Asia Arbitration Handbook, 2011; M. Polkinghorne/D. Fitz Gerald, Arbitration in Southeast Asia, JIntArb 18 (1) (2001), 101; Harisankar S, International Commercial Arbitration in Asia and the Choice of Law Determination, JIntArb 30 (2013), 621; Simpson/ Thatcher and Bartlett, Comparison of Asian International Arbitration Rules, 2003. Australien: International Arbitration Amendment Act 2010; Australian Uniform commercial Arbitration Act 2010; C. Croft, The development of Australia as an Arbitral Seat, in van den Berg, Arbitration – The next fifty years, 2012, S. 227. Belarus: I. Funk/I. Pererva, The Arbitral Award of the International Arbitration Court, Established in the Republic of Belarus, CYArb 8 (2018), 415. Belgien: Judicial Code, 6th part (amended 24.6.2013); N. Bassiri/M. Draye, Arbitration in Belgium, 2016; L. Demeyere/H. Verbist, Das neue belgische Schiedsverfahrensgesetz von 2013, SchiedsVZ 2013, 310. Ph. de Bournonville, Droit judiciaire: L’arbitrage, 2000; H. van Houtte/M. Looyens, Law and Practice of International Arbitration, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 161–210; J. Linsmeau, L’arbitrage volontaire en droit privé belge, 1991; H. Verbist, Die Aufhebungsklage gegen Schiedssprüche in internationalen Schiedsverfahren in Belgien, FS Sandrock, 2000, S. 993; M. Storme/Demeulenaere, International Commercial Arbitration in Belgium, 1989. Brasilien: Gesetz Nr. 9.307 v. 23.9.1996 betreffend das Schiedsverfahren, IPRax 1998, 399; vgl. N. Blackaby, Arbitration and Brazil, ArbInt 2001, 129; R. Camargo Veirano/ T. A. Backsmann, Schiedsgerichtsbarkeit in Brasilien – Einige Neuigkeiten und ausgewählte Themen für ausländische Investoren, FS Wegen, 2015, S. 773; M. Ferreira dos Santos, Arbitration in Brazil, JIntArb 2004, 493; J. Lee/E. Goncalves/C. Valenca Filho, Arbitration of Brazil: Law and Practice, 2012; S. Lopes, Arbitration Procedures in Brazil, in S. Rodriguez/O. Prell, International Judicial Assistance in Civil Matters, 1999, S. 27; D. de Norouha Goyos Jr./V. de Moraes Dantas, Ratification of Foreign 1139
18.336
§ 18 Rz. 18.336 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Judgments and Arbitration Awards in Brazil, ebda, S. 39; J. Samtleben, Das neue brasilianische Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit, RIW 1998, 33; J. Samtleben, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Deutschland und Brasilien, ZZPInt 16 (2011), 425; v. Schlabrendorff/Rützel, Das neue brasilianische Schiedsverfahrensgesetz, IPRax 1998, 376; P. Sester/R. Benevenuto, Schiedsgerichtsbarkeit im brasilianischen Handels- und Gesellschaftsrecht, RIW 2010, 680; P. Sester/J. Fichtner/M. Levy, Handeslschiedsgerichtsbarkeit in Brasilien, RIW 2017, 701.
18.337 Chile: Ley sobre Arbitraje Comercial Internacional No 19.971 v. 30.9.2004. Volksrepublik China: T. Beuchert/D. Laumann/E. Towfigh, Schiedsgerichtsbarkeit in der Volksrepublik China, RIW 2002, 902; Y. Bu, Die Vollstreckung von Schiedssprüchen in China, ZZPInt 22 (2017), 315; J. Glatter, RIW, Beil 2 zu Heft 6/1996, S. 11; R. Guillaumond, L’arbitrage en Chine, 2001; D. Hantke, China ist anders: Neue ICC-Schiedsklausel, SchiedsVZ 2007, 36; R. Peerenboom, Seek Truth from Facts: An Empirical Study of Enforcement of Arbitral Awards in the PRC, AmJCompL 49 (2001), 249; Salger/Trittmann/Respondek/Witte, Internationale Schiedsverfahren, 2019 (§ 24 Rz. 1044–1112); J. Tao, Arbitration Law and Practice in China, 3rd ed. 2012; J. Trappe, Änderung der Regeln über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit der VR China, RIW 1998, 871; W. Wang, Distinct features of arbitration in China, JIntArb 23 (2006) (1), 49; J. Yu/A. Neelmeier, CIETAC Arbitration Rules 2012 – Another move forward, SchiedsVZ 2012, 134; B. Zhao, Vollstreckung von Schiedssprüchen in der VR China, RIW 2010, 198; B. Zhao/B. Buxbaum, Enforcement of Foreign Judgments and Arbitral Awards in China, in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 45; C. Zhou, Neue Entwicklungen im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit und der Schiedskommissionen in der VR China, RIW 2008, 686.
18.338 Dänemark: K. Hertz, Danish Arbitration Act 2005, 2005; E. Smith, Some aspects about regulation of arbitration in Denmark, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 59. 18.339 England: N. Andrews, The framework of English Arbitration, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 83; N. Andrews, On Civil Procedure, Vol. II Arbitration and Mediation, 2013; Andrews/Landbrecht, Schiedsverfahren und Mediation in England, 2015; Haas, Die Reform des englischen Schiedsverfahrensrechts, ZZPInt 1997, 409; R. Harbst, Die Rolle der staatlichen Gerichte im Schiedsverfahren nach dem englischen Arbitration Act 1996, 2002; M. Kerr, The English Arbitration Act 1996 and the Model Law, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 377; Landau, The English Arbitration Act 1996: An Approach to Harmonisation, in Gottwald, Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht, 2000, S. 297; J. Lew/H. Bor/G. Fullelove, Arbitration in England, 2012; R. Merkin, Arbitration Law, 2006 (update); Maxwell, International Arbitration in England, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 315; Mustill/Boyd, Commercial Arbitration, 3rd ed. 2013; Salger/Trittmann/Wittinghofer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 286–396; J. Schämann, Schiedsgerichte unter staatlicher Kontrolle: das englische Recht und das UNCITRAL-Modellgesetz, 2001; D. Sutton/J. Gill/M. Gearing, Russell on Arbitration, 23rd ed. 2007; Triebel/Plaßmeier, Das neue englische Schiedsgerichtsgesetz, BB 1997, Beilage 13, S. 2. 1140
XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland | Rz. 18.343 § 18
Frankreich: Neues Schiedsrecht v. 14.1.2011, Décret No 2011-48 du 13 janvier 2011 portant réforme de l’arbitrage (in deutscher Übersetzung in SchiedsVZ 2011, 215).
18.340
G. Carducci, The Arbitration Reform in France: Domestic and International Arbitration Law, ArbInt 28 (2012), 125; J.-L. Devolvé/G. Pointon/J. Rouche, French Arbitration Law and Practice, 2nd ed. 2009; P. Fouchard, International Arbitration en France, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 365–403; J.-F. Poudret/Ph. Fouchard, L’originalité du droit français de l’arbitrage, RIDC 56 (2004), 133; B. W. Janke/F.-X. Licari, Enforcing Punitive Damage Awards in France after Fountaine Pajot, AmJCompL 60 (2012), 775; D. Kühner, Das neue französische Schiedsrecht, SchiedsVZ 2011, 125; Salger/Trittmann/Kühner, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 397–498; Th. Vogl, Das neue französische Schiedsrecht, RIW 2011, 359. French International Arbitration Law Reports (ed. by Th. Clay and Ph. Pinsolle), 1963–2007, 2008, 2009. Griechenland: Gesetz Nr. 2735/1999; A. Kaissis/A. Mavromatis, Advantages of Arbitration in Greece and Balkan Countries, 1999; K. Kerameus, The new Greek Law on International Commercial Arbitration, RHDI 52 (1999), 583; St. Koussoulis, Issues of International Arbitration and the new Greek Law on International Commercial Arbitration, 1999; St. Koussoulis, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Griechenland, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 405–420; St. Koussoulis, The arbitration in Greek law, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 135.
18.341
GUS-Staaten: I. Alexandrow, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland und in den GUS-Staaten, 2003. Hong Kong: D. Bateson, Enforcement of Hong Kong Arbitration Awards Post 1997, ICLQ 1996, 585; K. Fan, The new arbitration Ordinance in Hong Kong, JIntArb 29 (2012), 715; R. Morgan, International Arbitration in Hong Kong, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 421–505; M. Moser/T. Cheng, Arbitration in Hong Kong, 2nd ed. 2009; Salger/Trittmann/Respondek/Witte, Internationale Schiedsverfahren, 2019 (§ 24 Rz. 1113–1192).
18.342
Indien: A. Gupta/H. Sethi, International Arbitration and its Indian perspective, 2011; A. Maurer, Enforcing Foreign Arbitral Awards in India, FS Schütze, 2015, S. 393; A. Maurer, Arbitration agreements with Indian parties should be replaced by new ones, FS Wegen, 2015, S. 709; P. Singh/D. Krishan, The Indian 1996 Arbitration Act, JIntArb 18 (1) (2001), 41; D. Rautray, Master Guide to Arbitration in India, 2008; D. Sharma/Ch. Pfaff, Das indische Schiedsrecht: Überblick und Reformansätze, RIW 2011, 817.
18.343
Indonesien: J. Schaefer, La Nouvelle Loi Indonésienne sur l’Arbitrage, Rev.arb. 2001, 625. Irak: K. Bälz, Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Schiedssprüchen im Irak, SchiedsVZ 2011, 27. 1141
§ 18 Rz. 18.343 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Iran: H. Gharavi, ArbInt 1999, 85; J. Seifi, The new International Commercial Arbitration Act of Iran, JIntArb 1998 (2), 5. Irland: C. Koch, The New Irish Arbitration Act of 1998, Bull ASA 1999, 51; P. Pinsolle/P. Griffin, Quelques observations sur la loi irlandaise sur l’arbitrage international de 1998, Rev.arb 2000, 615; D. Simms, Das Recht der Schiedsgerichtsbarkeit in Irland, 2002. Israel: S. Ottolenghi, Arbitration, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 171. Italien: M. Benedetteli/L. Radicati di Bronzolo, International Arbitration in Italy, 2012; A. Briguglio, L’arbitrage International en Italie, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 507–551; A. Briguglio/G. Ruffini, Aspectos particulares de arbitraje en Italie, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 179; Carpi, Il procedimento nell’arbitrato riformato, Studi in onore di Mandriole, T. II, 1995, S. 873; Carpi, Arbitrato, Commento al titolo VIII del libro IV de Codice di procedura civile, 2002; A. Grieco, Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards in Italy, in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 105; K. von Hase/H.-G. Krolovitsch, Justizkrise und Schiedsverfahren in Italien, RIW 2009, 836; V. Sangiovanni, Anerkennung und Vollstreckung inländischer Schiedssprüche in Italien, ZZPInt 8 (2003), 287.
18.344 Japan: JCAA Rules of 1.2.2014; vgl. F. Burkei, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit in Japan, 2008; Kondo/Goto/Uchibori ua, Arbitration Law in Japan, 2004; K. Matsuura, A Comparative Survey of International Commercial Arbitration in Japan, China and Korea, FS Lüke, 1997, S. 467; Y. Nishitani, Substantive Law in International Arbitration in Japan, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 137; Salger/Trittmann/M. Müller, Internationale Schiedsverfahren, 2019 (§ 24 Rz. 813–1389); H. Takahashi, Die Wirksamkeit von Schiedsklauseln in den AGB für Bauleistungen in Japan, FS M. Rehbinder, 2002, S. 759; R. Thirgood, A Critique of Foreign Arbitration in Japan, JIntArb. 18 (2) (2001), 177; Y. Ueno, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Japan, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 553–637; M. Wolf, Counterintuitive approaches to consumer and labour contract arbitration clauses in the United States and Japan, Ritsumeikan Law Review 37 (Int. Ed.), 2019, 1. Jordanien: H. Haddad, Enforcement of Foreign Judgments and Awards in Jordan, in Rodriguez/Prell, International Judicial Assistance, 1999, S. 113.
18.345 Kanada: Commercial Arbitration Act 1985; K. McEwan, Commercial Arbitration in Canada, 2005; C. Branson, The Enforcement of International Commercial Arbitration Agreements in Canada, ArbInt 2000, 19; Th. Nöcker, Das Recht der Schiedsgerichtsbarkeit in Kanada, 1988; R. Oraeki Chibueze, The Adoption and Application of the Model Law in Canada, JIntArb 18 (2) (2001), 191; C. Thomson/A. Finn, International Commercial Arbitration: A Canadian perspective, ArbInt 18 (2002), 205.
1142
XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland | Rz. 18.347 § 18
Kasachstan: Ch. Mindach, Der Weg Kasachstans zur internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, IPRax 2006, 317; Gesetz über das internationale Handelsschiedsgericht v. 28.12.2004, IPRax 2006, 322. Kolumbien: S. Strong, International Arbitration and the Republic of Colombia, Duke J. Comp. & Intern. L. 22 (2011), 47. Korea: J. Kim, International arbitration in Korea, 2017; K-Y. Kim/S. Cho, Arbitration Law of Korea: practice and procedure, 2012; M. Chang, The New Korean Arbitration Law and Enforcement of Arbitral Awards, Int.Arb.L.Rev. 2000 (6), 196. Kroatien: S. Kresimir, Das kroatische Recht der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2005; H. Sikiric, Schiedsgerichtsbarkeit in Kroatien, 2001; K. Sajko, Internationale rechtliche Aspekte der kroatischen Schiedsgerichtsbarkeit, in Aufbruch nach Europa, 75 Jahre MPI für Privatrecht, 2001, S. 725; A. Uzelac, Current developments in the field of Arbitration in Croatia, JIntArb 19 (1) (2002), 73. Lateinamerikanische Staaten: Accord des Mercosur sur l’arbitrage commercial international, Buenos Aires, 23.7.1998, Rev. arb. 2004, 743; The (Panama) Inter-American Convention on International Arbitration of January 30, 1975 (Text in: 14 ILM 336 (1975);
18.346
Cremades, Enforcement of Arbitration Agreements in Latin America, 1999 J. Jackson Jr., JIntArb 8 (3) (1991), 91; J. Kleinheisterkamp, International Commercial Arbitration in Latin America. Regulation and Practice in Mercosur, 2005; M. Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, 2013; J. B. Lee, L’arbitrage commercial international dans le Mercosur, Rev. arb. 2004, 565; F. Mantilla Serrano, Le traitement legislative de l’arbitrage en Amérique Latine, Rev. arb. 2005, 561; Salger/Trittmann/Cruschmann, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 820–941G. Santiago Tawil, Arbitration in Latin America, IDR 2004, 15; A. Zapata de Arbeláez/S. Barona Vilar/C. Esplugues Mota, El arbitraje interno e internacional en Latinoamérica, 2010. Libanon: A. El-Abdah, The Libanese Arbitration Act, JIntArb 1996 (3), 39; A. El-Abdah, Amendment of the Lebanese Arbitration Law, DIAC Journal 1 (2004), 49. Liechtenstein: Batlinger Gasser, Litigation and Arbitration in Liechtenstein, 2nd ed. 2013; D. Czernich, Das neue Schiedsverfahrensrecht in Liechtenstein, RIW 2012, 751; D. Czernich, Die Bestimmung des auf die Schiedsvereinbarung anzuwendenden Rechts in Liechtenstein, ZVglRWiss 111 (2012), 428. Malaysia: Salger/Trittmann/Respondek/Witte, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 1193–1257. Marokko: M. Bedjaoui/D. El-Karkouri, L’arbitrage commercial international en droit marocain, JDI 128 (2001), 71; M. El Mernissi, Arbitration Marocco, JIntArb 19 (2) (2002), 179–183; Salger/Trittmann/Steiner, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 942–982.
1143
18.347
§ 18 Rz. 18.347 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Mexiko: G. Uribarri Carpintero, La relación entre arbitraje y otras formas de justicia, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 249. Myanmar: J. Finch/S.S.Ph. Myint, Arbitration in Myanmar, JIntArb 14 (4) (1997), 89–102.
18.348 Niederlande: A. van den Berg/R. van Delden/H.J. Snijders, Netherlands Arbitration Law, 1993; F. de Ly, International Arbitration – The Netherlands, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 667–727; Salger/Trittmann/Schäfer, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 1390–1451; H.J. Snijders, Nederlands Arbitragerecht, 4. Aufl. 2011. Nigeria: A. Asouzu, The adoption of the UNCITRAL Model Law in Nigeria, JBl. 1989, 185; D. Udeme Ufot, The enforcement of foreign arbitral awards in Nigeria, FS Wegen, 2015, S. 759. Oman: A. H. El-Ahdab, The new Omani Arbitration Act in Civil and Commercial Matters, JIntArb 14 (4) (1997), 59–87.
18.349 Österreich: §§ 577 ff. öZPO (i.d.F. v. 1.1.2014); vgl. A. Baier, Schiedsgerichtsbarkeit in Österreich, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2336; A. Burgstaller, Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Österreich, ZfRV 2000, 83; Kloiber/Rechberger/Oberhammer/Haller, Das neue Schiedsrecht, 2006; N. Levanova/G. Saria, Schiedsgerichtsbarkeit bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, Grundfragen nach russischem und österreichischem Recht, ZfRV 2012, 25; Ch. Liebscher, Reform of Austrian Arbitration Law, JIntArb 18 (2) (2001), 211; P. Oberhammer, Der Weg zum neuen österreichischen Schiedsverfahrensrecht, SchiedsVZ 2006, 57; J. Power, The Austrian Arbitration Act, 2006; W. Rechberger, Schlichtungsverfahren in Japan und Österreich, FS Ishikawa, 2001, S. 409; W. Rechberger, Das neue österreichische Schiedsrecht, ZZP 119 (2006), 261; W. Rechberger, Neue Entwicklungen im österreichischen Schiedsrecht, FS Schütze, 2015, S. 477; A. Reiners, Das neue österreichische Schiedsrecht, Praxiskommentar, 2006; St. Riegler, Arbitration law of Austria, 2007; Salger/Trittmann/Fiebinger, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 111–285; A. v. Saucken, Die Reform des österreichischen Schiedsverfahrensrechts auf der Basis des UNCITRAL-Modellgesetzes über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 2004. Osteuropa: S. Heger, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Osteuropa, RIW 1999, 481; Recht und Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Staaten Zentralund Osteuropas, 1998; Salger/Trittmann/Pörnbacher, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 499–707.
18.350 Pakistan: I. Ullah, Interim Measures in Arbitration under the Pakistani Legal Regime, ArbInt 29 (2013), 653 Polen: Hantke, Neues Schiedsrecht in Polen, SchiedsVZ 2006, 98; B. Pankowska-Lier, Schiedsgerichtsbarkeit in Polen, 1998; Pankowska-Lier/Adamska, Neue Entwicklungen im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit in Polen, RIW 2002, 837; T. Szurski, Introducing the UNCITRAL Model Law to Poland, JIntArb 18 (2) (2001), 227; M. Tomas1144
XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland | Rz. 18.352 § 18
zewski, Efficiency of Legal Protection before Arbitral Tribunals, in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes, 2006, S. 203; Wisniewski, Arbitration in Corporate Matters of Joint-Venture Limited Liability Companies in Poland, in Dregger ua, Rechtsfragen der Transformation in Polen, 1995, 230. Portugal: J. Lebre Freitas, Apuntes sobre el arbitraje en Portugal, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 287. Rumänien: G. & C. Florescu, Latest developments in commercial arbitration in Romania, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 97; C. Zamfirescu, Arbitration in Romania, in Kaissis/Movromatis, Advantages of Arbitration in Greece and Balkan Countries, 1999, S. 85.
18.351
Russland: A. Kostin, International commercial arbitration – with special focus on Russia, RdC 394 (2017), 9; M. Mekat/A. Yadykin, Die Reform des russischen Schiedsverfahrensrechts, SchiedsVZ 2015, 269; A. Remin, MKAS Moskau – das neue Recht der russischen Schiedsgerichtsbarkeit, 2018. B. Karabelnikov, Enforcement of Foreign Arbitral Awards in Russia, IDR 2004, 22; R. Khodykin, Arbitration Law of Russia: Practice and Procedure, 2013; A. Komarov, Some reflections on recent developments in the practice of International Commercial Arbitration in Russia, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 391; A. Komarov, Das neue Reglament des Internationalen Schiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation (MKAS), Kieler Ostrechts-Notizen 9 (2006), 11; N. Levanova/G. Saría, Schiedsgerichtsbarkeit bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten – Grundfragen nach russischem und österreichischem Recht, ZfRV 2012, 25; D. Lentz, Die internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation, 2000; P. Märkl, Schiedsgerichtsbarkeit in Russland, 1998; D. Marenkov, Zur Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen in Russland, SchiedsVZ 2011, 136; J. Steinbach, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in der Russischen Föderation, 2003; D. Tapola, Enforcement of Foreign Arbitral Awards (in Russia), ArbInt 22 (2006), 151; A. Verschinin, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit in Russland, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 759–777. Saudi-Arabien: S. Al-Ammeri & A. Timothy Martin, Arbitration in the Kingdom of Saudi Arabia, ArbInt 30 (2014), 387; K. Alnowaiser, The new arbitration law and its impact on investment in Saudi Arabia, JIntArb 29 (2012), 723. Schottland: F. Davidson, The Arbitration (Scotland) Act 2010, JBL 2011, 43. Schweden: R. Ek, Das neue schwedische Schiedsverfahrensrecht, RIW 2000, 31; L. Ervo, Substantive Law and the newest procedural trends in Scandinavia, in Stürner/ Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 147; L. Heuman, Arbitration Law in Sweden: Practice and Procedure, 2003; S. Jarvin/J. Trappe, Schwedisches und deutsches Schiedsverfahrensrecht im Vergleich, Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 319; B. Lindell, International Arbitration – Sweden, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 779–816; F. Madsen, Commercial Arbitration in Sweden, 2004; A. Nilsson/Ph. Bauder, Das neue schwedische Schiedsverfah1145
18.352
§ 18 Rz. 18.352 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
rensgesetz, SchiedsVZ 2019, 130; J. v. Pachelbel-Gehag, Das reformierte deutsche und schwedische Schiedsverfahrensrecht, Diss. Köln 2001; Ch. Söderlund, Internationales Schiedsverfahren in Schweden, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2369; R. Stolle, Das Recht der nationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Schweden und Deutschland, 2004. Schweiz: M. Arroyo, Arbitration in Switzerland, 2014; B. Berger, The new Swiss domestic arbitration law, SchiedsVZ 2011, 301; B. Berger/F. Kellerhals, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 3rd ed. 2015; St. Berti, International Arbitration in Switzerland, 2000; A. Bucher/P.Y. Tschanz, International Arbitration in Switzerland, 1998; Z. Conrad, Die Revision des 12. Kapitels IPRG – eine Formfrage, FS Kren Kostkiewciz, 2018, S. 309; D. Girsberger/N. Voser, International Arbitration, 3rd ed. 2016; P. Karrer, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 2354; G. Kaufmann-Kohler/A.Rigozzi, International Arbitration in Switzerland, 2015; F. Koepfler/P. Schweizer, Arbitrage international – Jurisprudence suisse, 2003; Salger/ Trittmann/Voser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 2019, § 24 Rz. 1–110; G. Walter, Die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 817–848; G. Walter/J. Brönnimann/W. Bosch, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 1991. Singapur: D. Howell, International Arbitration in Singapore, JIntArb 19 (1) (2002), 39; Th. Klötzel, Zur Fortentwicklung des internationalen Schiedsrechts von Singapur, SchiedsVZ 2012, 317; M. Majer, Die Praxis der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach dem New Yorker Abkommen v. 10.6.1958 in der Republik Singapur, 2013; R. Merkin/J. Hjalmarsson, Singapore arbitration legislation, 2016; Salger/Trittmann/Respondek/Witte, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 1258–1325; J. Savage, SIAC and international arbitration in Singapur, 2012. Slowakei: J. Gyárfáš/M. Števček, Zákon o rozhodcovskom konaní, Komentár, 2016. Slowenien: L. Ude/D. Wedam-Lukic, Schiedsgerichtsbarkeit in der Republik Slowenien, 1998; A. Lunder, Anerkennung ausländischer Schiedsurteile nach slowenischem Recht, WiRO 1998, 71. Spanien: B. Cremades, Arbitration in Spain, 1991; J. Fröhlingsdorf, Neue Entwicklungen im spanischen Schiedsverfahrensrecht, BB 2001, Beilage 6, S. 2; M. Gómez Jene/ A. Sabater Martin, Spanien: Auswirkungen des neuen Zivilprozessrechts auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, RIW 2001, 37; Th. Krasselt-Priemer, Neuregelung des spanischen Schiedsverfahrensrechts, IPRax 2005, 164; F. Mantilla-Serrano, The New Spanish Arbitration Act, JIntArb 21 (4) (2004), 367. Syrien: A. Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1994, S. 252 ff.; J. El-Hakim, International Arbitration in Syria, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1997, 849–873.
18.353 Taiwan: W.-M. Liao, Die Schiedsgerichtsbarkeit in Taiwan, 2003.
1146
XI. Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland | Rz. 18.354 § 18
Thailand: Thai Arbitration Act 2002; vgl. Respondek/Manphan/Jarupaiboon, Enforcement of Foreign Arbitral Awards and Foreign Judgments in Thailand, Singapore Law Gazette Nov. 2015, 30. Tschechische Republik: Czech Arbitration Act No. 216/1994. A. Bělohlávek, Arbitration law of Czech Republic: Practice and Procedure, 2013; A. Bělohlávek, Arbitration, Ordre Public and Criminal Law, 2009; P. u. P. Dobiáš, Die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten über Immobilien in der Tschechischen Republik, eastlex 2010, 226; A. Macková, El arbitraje en la República Checa, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 291; Raban, Schiedsgerichtsverfahren in Tschechien, WiRO 2000, 92; M. Roth, Schiedsgerichtsbarkeit in der Tschechischen Republik, RIW 1996, 653; A. Verny, Schiedsgerichtsbarkeit in der Tschechischen Republik, 1998. Tunesien: M. Ammar, L’arbitrage en Tunisie depuis l’edicition du Code de l’arbitrage, Rev.arb. 2000, 247; K. Ben Salah, An Overview of the Tunesian Arbitration Regulations, JIntArb 2000 (3), 141–150. Türkei: Gesetz über internationale Schiedsgerichtsbarkeit Nr. 4686 v. 21.6.2001; Z. Akinci, Arbitration Law of Turkey, 2011; W. Buchwitz, Türkei: Neue Möglichkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit, RIW 2012, 754; O. Ergönen, Das türkische Schiedsrecht und die Rolle der türkischen Gerichte in der internen und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2019; T. Kalpsüz, Die Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in der Türkei, FS M. Rehbinder, 2002, S. 681; E. Özsunay, Turkish International Arbitration Act 2001, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 335; Ch. Rumpf, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Türkei, RIW 2002, 843; Ch. Rumpf, Schiedsverfahren mit staatlicher Beteiligung – Beispiel Türkei, SchiedsVZ 2008, 165; G. N. Uzar, Rechtsmittel gegen Schiedssprüche nach dem neuen deutschen und türkischen Schiedsverfahrensrecht, 2006; A. Yesilirmak, The Turkish International Arbitration Law of 2001, JIntArb 19 (2) (2002), 171–177.
18.354
Ukraine: V. Sourjikova-Giebner, Schiedsgerichtsbarkeit in der Ukraine, 1998. Ungarn: H. Engelhardt, Neue Regelungen für die Schiedsgerichtsbarkeit in Ungarn, RIW 2017, 709; E. Horvath, The Practical Application of the Hungarian Arbitration Act, JIntArb 18 (2001) (3), 371; M. Kengyel, Arbitration and State Courts in Hungarian Law, in Stürner/Kawano, International Contract Litigation, Arbitration ..., 2011, S. 76; J. Nemeth, Berührungspunkte schiedsrichterlichen Verfahrens mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Ungarn, FS Ishikawa, 2001, S. 371; R. Pikó, Schiedsgerichtsbarkeit in Ungarn, 1998; Z. Wopera, The Arbitration in the Hungarian Law, in Storme/Gomez Lara, XII Congreso Mundial de Derecho Procesal, Vol. II, 2005, 155. USA: Ch. Adams/V. Liborio, L’exequatur des sentences arbitrales étrangères aux États-Unis, JDI 131 (2004), 1165; K. H. Böckstiegel (Hrsg), Schiedsgerichtsbarkeit im deutsch-amerikanischen Wirtschaftsverkehr, 1985; G. Born, International Commercial Arbitration, 2nd ed. 2014; C. Born/P. Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, Chap. 13, 5th ed. 2011 (6th ed. 2018); Th. Carbonneau, International Arbitration – The United States, in Gottwald, Internationale Schiedsgerichts1147
§ 18 Rz. 18.354 | Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
barkeit, 1997, 875–900; J. Fellas, Transatlantic Commercial Litigation and Arbitration, 2004; J. Gessner, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in den USA und in Deutschland, 2001; L. Kimmelmann/D. MacGrath, Judicial review of Commercial Arbitration Awards in the United States, 2007; M. Kronenburg, Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in den USA, 2001; P. Lurie, Recent Revisions to the Uniform Arbitration Act in the United States, JIntArb 18 (2) (2001), 223; P. Murray, The role of American courts in international arbitration, in Stürner/Kawano, International contract litigation, Arbitration ..., 2011, S. 69; P. Murray, Substantive Law in International Arbitration, edba, S. 128; L. Shore, Internatonal arbitration in the United States, 2018; R. Weintraub, International Litigation and Arbitration, 3rd ed. 2001 (Chap. 11), S. 513. Speziell für New York: J. Carter/J. Fellas, International Commercial Arbitration in New York, 2013; Salger/Trittmann/Kreindler/Nettlau, Internationale Schiedsverfahren, 2019, § 24 Rz. 708–819. A. Loh//H. Peters, Das neue Schiedsverfahren im DBA-USA, RIW 2008, 294.
18.355 Venezuela: I. Dalvano Mogillón Rojas, El Arbitraje Comercial Venezolano, 2004. Vereinigte Arabische Emirate: A. Hoffmann, The new arbitration law of the United Arab Emirates, SchiedsVZ 2019, 126; E. Tamimi, The Enforcement of Foreign Arbitration Awards in the UAE, ArbInt 1999, 393. Vietnam: P. Nicholson/N. Thi Minh, Commercial Disputes and Arbitration in Vietnam, JIntArb 2000 (5), 1–18; Q. Tran, Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards in Vietnam, JIntArb 2005, 487.
18.356 Zypern: N. Papaefstathiou, Advantages of Arbitration in Cyprus, in Kaissis/Mavromatis, Advantages of Arbitration in Greece and Balkan Countries, 1999, S. 75.
1148
§ 19 Internationale Zwangsvollstreckung I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätze der internationalen Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . 3. Inlandsvollstreckung gegen Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vollstreckung von Fremdwährungsverbindlichkeiten . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung . . . . 1. Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels im Inland . . . . . 2. Europäische Vollstreckungstitel . 3. Vollstreckungsimmunität . . . . . . . 4. Inlandswirkung der Vollstreckung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung . . . . . . . . V. Die einzelnen Vollstreckungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Sachpfändung und Herausgabevollstreckung . . . . . . . a) Sachpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herausgabevollstreckung . . . . . . . 2. Immobiliarvollstreckung gegen ausländische Schuldner . . . . . . . . 3. Internationale Forderungspfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19.1 19.1 19.2 19.10 19.15 19.16 19.16 19.18 19.26 19.39 19.42 19.46 19.49 19.49 19.50 19.53 19.59 19.62
a) Belegenheit der Forderung im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.63 b) Pfändung einer im Ausland zahlbaren Forderung bei der inländischen Niederlassung einer Bank? 19.81 c) Grenzüberschreitende Kontopfändung in der EU . . . . . . . . . . . . . . . 19.83 d) Freezing Injunction . . . . . . . . . . . . 19.84 e) Unpfändbarkeit der Forderung . . 19.86 f) Pfändung sonstiger Rechte . . . . . 19.89 4. Sachaufklärung und Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.91 5. Internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung . . . . . 19.100 a) Verpflichtung zur Abgabe einer Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . 19.100 b) Vollstreckung vertretbarer Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.103 c) Vollstreckung unvertretbarer Handlungen oder Unterlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.107 d) Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 19.113 e) Unterlassungsvollstreckung . . . . . 19.116 f) Schadenersatz wegen Nichterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.119 6. Grenzüberschreitende Gläubigeranfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.120 VI. Zwangsvollstreckung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.125
I. Einführung 1. Schrifttum M. Andenas/B. Hess/P. Oberhammer, Enforcement agency practice in Europe, 2005; St. Arnold, Zur Trennung des öffentlichen vom privaten Recht – Vollstreckung von Ordnungsgeldern im europäischen Justizraum, ZEuP 2012, 315; B. Assink/M. Dekkers/N. Pepels/F. Fernhout, Civil arrest as a means of enforcement of civil judgments: Dickensian or indispensable?, in van Rhee/Uzelac, Enforcement and Enforecability, 2010, S. 299; I. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung in Europa, 2008; B. Bachmann, Fremdwährungsschulden in der Zwangs-
1149
19.1
§ 19 Rz. 19.1 | Internationale Zwangsvollstreckung vollstreckung, 1994; F. Becker, Zwangsvollstreckung in ein für diplomatische Zwecke genutztes Grundstück?, JuS 2004, 470; D. Bishop, Enforcement of Arbitral Awards against Sovereigns, 2009; A.-K. Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009, S. 91; A. Bleckmann, Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat, NJW 1978, 1092; M. Bsaisou, Vollstreckungsimmunität von Zentralbanken, 2020; P. Busl, Ausländische Staatsunternehmen im deutschen Vollstreckungsverfahren, 1992; D. Campbell, International Execution against Judgments Debton, 3 Vol. (Loseblatt); F. Cranshaw, Anerkennung und Vollstreckung auf internationaler und europäischer Ebene, in Bundesministerium der Justiz, Zwangsvollstreckung und Zwangsversteigerung aktuell, 2018, S. 191; G. Cuniberti, Le principe de territoriablité des voies d’execution, JDI 135 (2008), 963; G. Dahlhoff, Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen exterritoriale Schuldner in Deutschland, BB 1997, 321; T. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung zwischen Territorialitätsprinzip, Gläubigerinteressen und Schuldnerschutz, in Hess, Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Vollstreckungsrecht, 2014, S. 109; T. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung, 2016; J. Gärtner, Probleme der Auslandsvollstreckung von Nichtgeldleistungsentscheidungen im Bereich der EG, 1991; R. Geimer, Über die Vollstreckungsgewalt der Staaten in Zivil- und Handelssachen, FS Kerameus, Bd. 1, 2009, S. 379; U. Göranson, Actio pauliana outside bankruptcy and the Brussels Convention, Essays in honour of Voskuil, 1992, 89; P. Gottwald, Die internationale Zwangsvollstreckung, IPRax 1991, 285; P. Gottwald, Prozessuale Zweifelsfragen der geplanten EU-Verordnung in Unterhaltssachen, FS Lindacher, 2007, S. 13; H. Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S. 724; U. P. Gruber, Das neue internationale Familienrechtsverfahrensgesetz, FamRZ 2005, 1603; M. Heese, Sachaufklärung mittels exterritorialer Handlungsvollstreckung, ZZP 124 (2011), 73; B. Heß, Auslandssachverhalte im Offenbarungsverfahren, Rpfleger 1996, 89; B. Heß, Study on the making more efficient the enforcement of judicial decisions within the European Union (No JAI/A3/2002/02) (Fassung v. 18.2.2004); B. Heß, Die Europäische Kontenpfändung aus der Perspektive eines Europäischen Vollstreckungsrechts, FS Kropholler, 2008, S. 795; B. Heß, Different enforcement structures, in van Rhee/Uzelac, Enforcement and enforceability, 2010, S. 41; G.-S. Hök, Grenzüberschreitende Forderungs- und Kontopfändung, MDR 2005, 306; G.-S. Hök, Saisie de compte et de créance transfrontalière, Rev.crit. 2006, 301; A. Hornung, Die Zustellung an den Schuldner (im Ausland) bei Forderungspfändung, DGVZ 2004, 85; H. van Houtte, Die Vollstreckungsimmunität der Bankguthaben einer Botschaft, IPRax 1986, 50; H. Huber, Verarrestierung von Wertpapieren, welche durch inländische Banken im Ausland verwahrt werden, SchwJZ 1969, 149; U. Jacobsson/J. Jacob, Trends in the Enforcement of Non-Money Judgments and Orders, 1988; G. Jahr, Internationales Zwangsvollstreckungsrecht in LdR Zivilverfahrensrecht, 1989; H.-G. Jauch, Inländische Immobiliarvollstreckung gegen ausländische Schuldner, ZfIR 1999, 330; P. Kaye, Methods of Execution of Orders and Judgments in Europe, 1996; P. Kaye, Situs of Debts and Jurisdiction to Make Orders of Garnishee, JBl 1989, 449; M. Kengyel/V. Harsági, Grenzüberschreitende Vollstreckung in der Europäischen Union, 2011; W. Kennett, The Enforcement of Judgments in Europe, 2000, S. 249 ff.; W. Kennett, Enforcement: General Report in Storme, Procedural laws in Europe, 2003, 81; K. Kerameus, Geldvollstreckungsarten in rechtsvergleichender Betrachtung, FS Zeuner 1994, S. 389; K. Kerameus, Rechtsvergleichende Bemerkungen zur Urteilsvollstreckung, FS G. Lüke, 1997, S. 337; K. Kerameus, Enforcement in the international context, RdC 264 (1997), 181; K. Kerameus, Garnishment in a comparative perspective, GS Lüderitz, 2000, S. 385; K. Kerameus, Distribution Proceedings and Relationships among Creditors, Liber amicorum Siehr, 2000, S. 311; K. Kerameus, Development of Enforcement Proceedings in a Comparative Perspective, FS Schumann, 2001, S. 259; K. Kerameus, Enforcement of non-money judgments and orders in a comparative perspective, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 107; K. Kerameus, Actual problems of Enforcement Law in the European Union, FS Schlosser, 2005, S. 355; Kleiner, Bankdepot – auswärtsliegende Titel und deren Pfändung bzw. Verarrestierung, Schweiz.JZ 1968, 211; H. Koch, Neuere Probleme der in-
1150
I. Einführung | Rz. 19.1 § 19 ternationalen Zwangsvollstreckung in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 171; H. Kotrschal/N. Stalberg, Die grenzüberschreitende Vollstreckung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen in Geldforderungen ausländischer Drittschuldner, BKR 2009, 38; J. Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, 1998; St. Kröll, Neuere Entwicklungen im französischen Recht der Vollstreckung in das Vermögen ausländischer Staaten, IPRax 2002, 439; H. Krumscheid, Pfändung aus ausländischen Titeln als Sicherungsmaßnahme vor Zustellung des Exequaturbeschlusses, RIW 2003, 389; A. Kunze/D. Otto, Internationale Zwangsvollstreckung – Zuständigkeit, rechtliche Grenzen und Gegenmaßnahmen, IPRax 2010, 557; J. Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004; St. Leible/R. Freitag, Forderungsbeitreibung in der EU, 2008; G. de Leval, Une harmonisation des procedures d’execution dans l’union europeenne est-elle concevable? in I. Andolina, Transnational Aspects of Procedural Law 1998, S. 729; W. Lindacher, Internationale Unterlassungsvollstreckung, FS Gaul, 1997, S. 399; M. Mack, Internationale Zuständigkeit englischer Gerichte bei grenzüberschreitenden Forderungspfändungen, IPRax 2005, 553; H.-P. Mansel, Substitution im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht, FS W. Lorenz, 1991, S. 689; G. Marquordt, Das Recht der internationalen Forderungspfändung, 1975; K. I. Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991; L. Newman, Attachment of Assets, 1999; Ch. Paulus, Restschuldbefreiung in der Zwangsvollstreckung, DGVZ 2010, 98; J. Prévault, Zwangsvollstreckung in den Staaten der Europäischen Union, FS Deutsch, 1999, S. 987; Th. Rauscher, Immobiliarvollstreckung bei ausländischem Güterstand, Rpfleger 1988, 90; O. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992; C. H. van Rhee/A. Uzelac, Enforcement and Enforceability, Tradition and Reform, 2010; E. Riedel, Grenzüberschreitende Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 2012; T. Riedinger, Staatenimmunität gegenüber Zwangsgewalt, RabelsZ 45 (1981), 448; H. Schack, Internationale Zwangsvollstreckung in Geldforderungen, Rpfleger 1980, 175; H. Schack, Zur Anerkennung ausländischer Forderungspfändungen, IPRax 1997, 318; D. Schefold in Bankrechts-Handbuch, Bd II, 5. Aufl. 2017 (§ 115 Rz. 375 ff.); E. Schilken, Die Angleichung der Zwangsvollstreckung in der EG, InVo 1996, 255; H. Schima, Zur Zwangsvollstreckung in Forderungen im internationalen Rechtsverkehr, FS Dölle, Bd. 2, 1963, S. 341; P. Schlosser, Der Überraschungseffekt der Zwangsvollstreckung – national und international, RIW 2002, 809; Ch. Schreiber, Die Haftung des Vollstreckungsgläubigers im internationalen Zivilrechtsverkehr, 2008; L. Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007; J. Stamm, Zwangsvollstreckung, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 1047; Ch. Strasser, Internationale Zwangsvollstreckung, RpflegerStud. 2012, H. 1, S. 29; R. Stürner, Das grenzüberschreitende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union, FS Henckel, 1995, S. 863; R. Stürner, Das französische und englische Zwangsvollstreckungsrecht, FS Nakamura, 1996, S. 599; A. Stutz, Die internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung unter dem EuGVÜ, 1992; G. Taormina, Les apports de la jurisprudence en matière d’immunité internationale d’exécution forcée, Études à Normand, 2003, S. 439; G. Tarzia, Aussichten für eine Harmonisierung des Zwangsvollstreckungsrechts in der Europäischen Union, ZEuP 1996, 231; S. Tauchmann, Die Immunität internationaler Organisationen gegenüber Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, 2005; B. Treibmann, Die Vollstreckung von Handlungen und Unterlassungen im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1994; M. Vollkommer, § 893 Abs. 2 ZPO im internationalen Rechtsstreit, IPRax 1997, 323; G. Walter, Immunität in der Zwangsvollstreckung im deutschen und schweizerischen Recht, FS Waseda Universität, 1988, 771; M. Wefelscheid, Vollstreckungsimmunität fremder Staaten, 2013; H. Weißmann, Handbuch der internationalen Zwangsvollstreckung, 1992; M. Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 2006, 364; M. Weller, Vollstreckungsimmunität: Beweislast, Beweismaß, Beweismittel, Gegenbeweis und Beweiswürdigung, RIW 2010, 599; R. Welter, Zwangsvollstreckung und Arrest in Forderungen – insbesondere Kontenpfändung in Fällen mit Auslandsberührung, 1988; M. Wenckstern, Die Immunität internationaler Organisationen (§ 3 Die Immunität in der Zwangsvollstreckung) in Handbuch des
1151
§ 19 Rz. 19.1 | Internationale Zwangsvollstreckung Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. II/1, 1994, S. 258 ff.; D. Wiedemann, Vollstreckbarkeit, 2017; J. Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015; P. Yessiou-Faltsi, Die Folgen des Europäischen Vollstreckungstitels für das Vollstreckungsrecht in Europa in Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, 2004, S. 232. – Grünbuch zur Vermögenstransparenz v. 7.3.2008, KOM (2008) 128 endg.
2. Grundsätze der internationalen Zwangsvollstreckung
19.2 Eine grenzüberschreitende Zwangsvollstreckung gibt es (derzeit noch) nicht. Weder vollstreckt ein ausländischer Staat unmittelbar auf Ersuchen eines deutschen Gerichts einen deutschen Titel, noch vollstreckt ein deutsches Vollstreckungsorgan einen ausländischen Titel. Erst recht gibt es grds. keine Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen in einem Staat, die ein anderer Staat ausführt. 19.3 Innerhalb der EU ist allerdings seit 18.1.2017 eine grenzüberschreitende vorläufige Kontopfändung nach der VO (EU) Nr. 655/20141 möglich (s. Rz. 17.27 ff.). Eine grenzüberschreitende Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen ist im Deutsch-Österreichischen Vertrag vom 31.5.1988 über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen2 vorgesehen. Darüber hinaus findet sie nur im vertragslosen Zustand mit Vollstreckungshilfe durch das Bundesamt für Justiz unter Beteiligung der diplomatischen Vertretungen der BRD statt.3 19.4 Die internationale Zwangsvollstreckung wird generell von folgenden Grundsätzen beherrscht: Territorialitätsgrundsatz. Jeder Staat kann grundsätzlich Zwangsmaßnahmen nur innerhalb seines eigenen Staatsgebiets anordnen und durchsetzen.4 Die Zwangsvollstreckung ist also auf das im Inland belegene Vermögen beschränkt.5 Bei realen Gegenständen ist dies problemlos, bei unkörperlichen Vermögensgegenständen (Forderungen und sonstigen Rechten) kann eine territoriale Zuordnung aber nur rechtlich erfolgen, was zu unterschiedlichen Lösungen führen kann.6 Bei international operierenden Schuldnern findet außerdem eine internationale Koordination nicht statt. Eine grenzüberschreitende Anerkennung von Pfändungsakten findet nicht statt.7 Eine Ausnahme bildet die Anerkennung des Vollstreckungsverbots für Insolvenzgläubiger als Folge der Anerkennung der Insolvenzeröffnung (Art. 7 II lit. f EuInsVO 2015). 1 ABl. EU 2014 Nr. L 189/59. 2 BGBl. 1990, II 358. 3 P.-A. Brand, Die internationale Anerkennung und Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, IPRax 2020, 210. 4 R. Geimer, IZPR, Rz. 3200; Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 213; A.-K. Bitter, S. 164 ff.; C. Cuniberti, Le principe de territorialité des voies d’exécution, JDI 135 (2008), 963. 5 Vgl. BGH, JZ 2011, 858, 859 m. Anm. H. Roth; BayObLG, ZEV 2019, 635, 639 (Rz. 38); J. Wolber, S. 147 ff. 6 Vgl. T. Domej, S. 231 ff., 256 ff. 7 T. Domej, S. 446 ff.
1152
I. Einführung | Rz. 19.8 § 19
Lex fori-Prinzip: Aufgrund seiner Hoheitsgewalt legt jeder Staat selbst fest, unter welchen Voraussetzungen, in welchen Formen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen und welche vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe (§§ 731, 767, 771, 805 ZPO) zur Verfügung stehen.8 Die Wirkungen der ausländischen Entscheidung erstrecken sich nicht auf die im Heimatstaat möglichen Vollstreckungswirkungen und -formen.9 Die ausländische Entscheidung wird vielmehr wie eine inländische vollstreckt. Das Vollstreckungsmittel des Vollstreckungsstaats (z.B. Offenbarungsversicherung, persönliche Haft des Schuldners) steht auch zur Verfügung, wenn der Urteilsstaat diese Art der Vollstreckung nicht kennt.10 Umgekehrt: im Inland stehen nur dessen Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung, nicht weitergehende des Ursprungsstaates. Ist etwa ein Titel auf Vornahme einer vertretbaren Handlung zu vollstrecken, kommt in Deutschland nur eine Ersatzvornahme in Betracht (§ 887 ZPO), auch wenn im Ursprungsstaat direkte Zwangsmittel zulässig wären.11
19.5
Die Ersatzpflicht nach §§ 717, 945 ZPO tritt auch ein, wenn ein nicht rechtskräftiger ausländischer Titel im Inland vollstreckt und dann im Ursprungsstaat aufgehoben wird. Die jeweilige lex fori legt fest, ob und in welcher Weise der Gläubiger pfändbares Vermögen des Schuldners ermitteln kann (s. Rz. 19.89 ff.).12 Die lex fori legt auch fest, welche Gegenstände pfändbar bzw. unpfändbar sind13 und wie die Unpfändbarkeit geltend zu machen ist. Gleichbehandlung von Inlands- und Auslandsgläubigern bzw. Inlands- und Auslandsschuldnern, Art. 3 I GG. Ausländer haben also den gleichen Vollstreckungsanspruch gegen den Staat wie Inländer.14
19.6
Soweit nicht ein Europäischer Vollstreckungstitel vorliegt, werden ausländische Titel erst nach Vollstreckbarerklärung im Inland auf der Grundlage der inländischen Vollstreckungsklausel vollstreckt.
19.7
Nach deutschem und europäischem Recht wird jede anerkennungsfähige Entscheidung auch vollstreckt. Dagegen ist die Vollstreckung nach (autonomem) common law auf Urteile auf Leistung einer bestimmten Geldsumme beschränkt.15 Sind die formalen Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt, hat der Gläubiger einen Vollstreckungsanspruch gegen den Staat. Dieser darf ihn nicht ins Ausland verweisen, weil dort die Vollstreckung einfacher oder schneller zu bewirken sei.16 Auch ein 8 K. Kerameus, RdC 264 (1997), 181, 376 ff.; J. Wolber, S. 159 ff.; vgl. BGH, MDR 2013, 491 (Rz. 17). 9 B. Treibmann, S. 143; R. Geimer, IZPR, Rz. 3239. 10 K. Kerameus, FS G. Lüke, S. 337, 340; K. Kerameus, RdC 264 (1997), 181, 386. 11 D. Wiedemann, S. 259 f. 12 Zu Unterschieden in Europa s. J. Prévault, FS Deutsch, 1999, S. 987, 991. 13 Vgl. J. Prévault, FS Deutsch, 1999, S. 987, 989, 992; J. Wolber, S. 160 ff. 14 R. Geimer, IZPR, Rz. 3236. 15 Airbus Industrie GIE v Patel, English High Court (Q.B.), ILPr 1996, 465. 16 R. Geimer, IZPR, Rz. 3242.
1153
19.8
§ 19 Rz. 19.8 | Internationale Zwangsvollstreckung
sonstiger Inlandsbezug, wie ein Wohnsitz des Schuldners, ist nicht erforderlich.17 Der Gläubiger kann in legitimer Weise sog. enforcement shopping betreiben, also in dem Staat vollstrecken, in dem dies für ihn am einfachsten, kostengünstigsten usw möglich ist.18
19.9 Die materiell-rechtlichen Folgen einer Inlands- oder Auslandsvollstreckung (Erfüllung; Einrede der Sicherheit) richten sich nach dem anwendbaren materiellen Recht. 3. Inlandsvollstreckung gegen Ausländer
19.10 Nach dem lex fori-Prinzip erfolgt die Zwangsvollstreckung gegen Ausländer im Inland nach den gleichen Grundsätzen wie gegen Inländer. 19.11 Allerdings leben ausländische Eheleute nach Art. 15, 14 EGBGB ggf. in einem Güterstand nach ausländischem Heimatrecht. Da das deutsche Zwangsvollstreckungsrecht nur auf Güterstände des BGB abstellt, ist nach den Grundsätzen der Substitution (s. Rz. 1.51) zu entscheiden, welche Regeln bei der Vollstreckung gegen Vermögen von Ehegatten, das fremdem Güterrecht untersteht, anzuwenden ist.19 19.12 Die Besitzvermutung nach § 739 ZPO i.V.m. § 1362 BGB gilt in Deutschland auch für ausländische Eheleute und eingetragene Lebenspartner, da sie unabhängig vom Güterstand anwendbar ist.20 19.13 Besteht ein Güterstand, der gemeinschaftliches Eigentum mit u.U. gemeinsamer Verwaltung vorsieht, ist im Wege der Anpassung bzw. Substitution analog den §§ 740, 741 ZPO zu entscheiden, ob es eines Leistungstitels gegen einen oder beide Ehegatten oder eines Leistungstitels gegen den einen und eines Duldungstitels gegen den anderen bedarf.21 19.14 Der ausländische Güterstand entscheidet auch, ob an einem Grundstück Miteigentum der Ehegatten zu Bruchteilen besteht, in das selbständig vollstreckt werden kann, oder ob das Grundstück nur insgesamt verwertet werden kann (vgl. §§ 860, 864 II ZPO). Ob das eine oder andere vorliegt, ist im Wege funktionaler Äquivalenz zu entscheiden. Nach h.M. ist etwa die italienische Errungenschaftsgemeinschaft einer deutschen Gütergemeinschaft gleichzustellen, so dass in das Gesamtgut nur auf Grund eines Titels gegen beide Ehegatten vollstreckt werden kann.22
17 18 19 20
W. Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23, 37. Vgl. W. Hau, FS Schilken, 2015, S. 705. H.-P. Mansel, FS W. Lorenz, S. 689, 707. Münzberg in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2002, § 739 ZPO Rz. 12; Heßler in MünchKomm/ ZPO, § 739 ZPO Rz. 22 f. 21 BGH, NJW-RR 1998, 1377 = WM 1998, 1591 (Gütergemeinschaft niederländischen Rechts) (dazu Anm Th. Rauscher, WuB VI E. § 740 ZPO 1.98); AG Menden, FamRZ 2006, 1471 (Gütergemeinschaft italienischen Rechts); H.-P. Mansel, FS W. Lorenz, S. 689, 709 ff.; Th. Rauscher, Rpfleger 1988, 89. 22 OLG Düsseldorf, FamRZ 2010, 1593.
1154
II. Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung | Rz. 19.17 § 19
4. Vollstreckung von Fremdwährungsverbindlichkeiten Zahlungsansprüche in ausländischer Währung sind ebenso zu vollstrecken wie solche, die auf inländische Währung lauten.23 Auch ein Valutagläubiger kann daher direkt in körperliche Sachen und Forderungen pfänden. Der Erlös fällt stets in inländischer Währung an und ist dann entsprechend dem Wechselkurs zur Zeit der Zahlung auf die Forderung zu verrechnen.24 Eine unmittelbare Befriedigung in ausländischer Währung findet nur statt, wenn der Gerichtsvollzieher im Einzelfall ausländische Zahlungsmittel pfändet und gem. § 815 ZPO direkt an den Gläubiger abliefert. Soll wegen einer Fremdwährungsforderung eine Zwangshypothek in ein inländisches Grundbuch eingetragen werden, so kann die Forderung der Währung eines EU- bzw. EWR-Staats eingetragen werden, soweit dies durch Rechtsverordnung zugelassen worden ist (§ 28 GBO).25 Bei anderen Währungen ist eine Höchstbetragshypothek mit einem Höchstbetrag in Euro einzutragen.26 Bei einer Zwangsverwaltung ist § 158a ZVG zu beachten: Wiederkehrende Leistungen werden danach stets in inländischer Währung erbracht.
19.15
II. Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung 1. Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels im Inland Vor Beginn einer Inlandsvollstreckung ist der ausländische Titel im Inland grds. für vollstreckbar zu erklären. Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Titel im Inland anzuerkennen ist. Vgl. § 723 II 2 ZPO; Art. 33, 45 I EuGVO a.F./LugÜ; Art. 23, 26 EuUntVO; Art. 5 HUVÜ 1973; Art. 2 HUVÜ 1958; Art. 21, 31 II Brüssel IIa-VO; Art. 7 ff. Sorgerechtsübereinkommen 1980; Art. 39, 43 EuErbVO. Nach Art. 42 EuGüVO/EuPartVO sowie Art. 43 EuErbVO muss ein Titel im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sein, um im Inland für vollstreckbar erklärt zu werden.
19.16
ZPO, EuGVO a.F. bzw. LugÜ und Brüssel IIa-VO regeln die Anerkennung als Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung; die Unterhaltsübereinkommen und das Sorgerechtsübereinkommen sehen die Anerkennungsvoraussetzungen als unmittelbare Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung vor. In jedem Fall wird die Anerkennungsfähigkeit im Verfahren der Vollstreckbarerklärung inzident geprüft. Eine selbständige Anerkennung ist zulässig (nach § 256 ZPO bzw. Art. 33 II EuGVO a.F./ LugÜ und Art. 21 III Brüssel IIa-VO, aber keine Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung).
19.17
23 Vgl. H. Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S. 724 ff.; D. Schefold, § 115 Rz. 375 ff. 24 D. Schefold, § 115 Rz. 383, 396. 25 H. Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 436 ff., 442 ff. 26 D. Schefold, § 115 Rz. 384.
1155
§ 19 Rz. 19.18 | Internationale Zwangsvollstreckung
2. Europäische Vollstreckungstitel Schrifttum: J. Haubold, Europäische Titelfreizügigkeit und Einwände des Schuldners in der Zwangsvollstreckung, FS Schütze, 2014, S. 163.
19.18 a) Nach der Neufassung der EuGVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 ed. 12.12.2012) sind alle Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaats in Zivil- und Handelssachen in Verfahren, die ab dem 10.1.2015 eingeleitet werden, oder auf sonstige Titel, die ab diesem Datum dort errichtet werden, kraft Gesetzes Europäische Vollstreckungstitel (Art. 39, 58 I Unterabs. 2, 59, 66 I EuGVO n.F.) (s. Rz. 14.7 ff.). Der Schuldner kann aber beantragen, dass die Vollstreckung wegen Vorliegens eines Anerkennungsversagungsgrundes versagt wird (Art. 45, 46 ff. EuGVO n.F.). 19.19 b) Die Vollstreckbarerklärung entfällt für Europäische Vollstreckungstitel oder gleichgestellte Titel. Nach der VO (EG) Nr. 805/2004 ed. 21.4.200427 können Titel über unbestrittene Forderungen im Ursprungsstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden (Art. 6 EuVTVO). Ist dies geschehen, ist der Titel anzuerkennen und ohne Vollstreckbarerklärung in den anderen EU-Mitgliedstaaten (außer Dänemark) zu vollstrecken (Art. 5 EuVTVO) (s. Rz. 14.29 ff.). 19.20 c) Auch der Europäische Zahlungsbefehl28 ist, sobald er im Ursprungsstaat vollstreckbar ist, ohne weitere Vollstreckbarerklärung auch in den anderen Mitgliedstaaten zu vollstrecken (Art. 19 EuMVVO) (s. Rz. 14.79). 19.21 d) Gleiches gilt für Urteile, die im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen nach der VO (EG) Nr. 861/2007 ergangen sind. Nach Art. 20 I EuGFVO werden diese Urteile ohne Vollstreckbarerklärung in den anderen EU-Mitgliedstaaten vollstreckt. Vorzulegen ist lediglich eine Ausfertigung des Urteils und der Bestätigung nach Art. 20 II EuGFVO sowie ggf. eine Übersetzung dieser Dokumente in eine Amtssprache des Vollstreckungsstaats (Art. 21 II EuGFVO) (s. Rz. 14.93). 19.22 e) Europäische Vollstreckungstitel sind auch Unterhaltstitel aus EU-Mitgliedstaaten, die an das Haager Protokoll gebunden sind, gem. Art. 17 EuUntVO (VO (EG) Nr. 4/2009), wenn sie ab dem 18.6.2011errichtet wurden (Art. 75 I, 76 III EuUntVO); s. Rz. 14.99. 19.23 f) Europäische Vollstreckungstitel sind auch Gewaltschutzanordnungen nach Art. 4 EuSchutzMVO (s. § 14 Rz. 118 f.). 19.24 g) Schließlich werden Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaats (ohne Dänemark) über das Umgangsrecht und über die Rückgabe eines (entführten) Kindes nach Art. 41, 42 Brüssel IIa-VO (EuEheVO) in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt, wenn das Gericht des Ursprungsstaats darüber eine „Bescheinigung über das Umgangsrecht“ bzw. eine „Bescheinigung über die Rückgabe des Kindes“ ausgestellt hat (s. Rz. 14.122). Nach der Neufassung in der Brüssel IIb-VO (Nr. 2019/1111) sollen ab 2022 alle Entscheidungen eines EU27 ABl. EG Nr L 143/15. 28 VO (EG) Nr. 1896/2006 v. 12.12.2006 (ABl. EU Nr L 399/1).
1156
II. Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung | Rz. 19.30 § 19
Mitgliedstaates zur elterlichen Verantwortung nicht nur automatisch anerkannt, sondern auch ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckt werden können (Art. 34 I Brüssel IIb-VO); s. Rz. 14.126. h) Einwendungen gegen den Titel muss der Schuldner in all diesen Fällen in Deutschland selbständig mit Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) zzgl. Antrag auf einstweiliger Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 769 ZPO) verfolgen.29
19.25
3. Vollstreckungsimmunität Die Vollstreckung darf in keinem Fall die Immunität eines ausländischen Staats oder einer internationalen Organisation, insb. die Wahrnehmung der diplomatischen oder konsularischen Aufgaben beeinträchtigen. Aus dem Immunitätsverzicht für das Erkenntnisverfahren oder dem Abschluss einer Schiedsvereinbarung folgt nicht, dass der ausländische Staat einen Verzicht auf seine Vollstreckungsimmunität erklärt hätte.30 Das Fehlen von Vollstreckungsimmunität folgt auch nicht aus dem Abschluss eines Prozessvergleichs, der Verpflichtung in vollstreckbarer Urkunde oder aus einer gerichtlichen Entscheidung, die „vollstreckbar“ ist.31
19.26
Das Verfahren zur Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Gerichtsentscheidung oder eines ausländischen Schiedsspruchs ist ein Erkenntnisverfahren eigener Art; es gelten folglich die Grundsätze über die Immunität im Erkenntnisverfahren und nicht die Regeln über Vollstreckungsimmunität.32
19.27
Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission und eines Konsulats ist zu beachten, vgl. Art. 22, 24, 27, 30 WÜD und Art. 31, 33, 35 WÜK.33 Aus einem allgemeinen Immunitätsverzicht in Bedingungen einer Staatsanleihe folgt kein Verzicht auf die Vollstreckungsimmunität diplomatisch geschützter Botschaftsgrundstücke oder Botschaftskonten.34
19.28
Im Rahmen des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität von 1972 (s. Rz. 2.21 f.) ist eine Vollstreckung gegen den ausländischen Staat (in Deutschland auch gegen die Länder) stets unzulässig. Der Staat ist aber nach Art. 20 des Übereinkommens verpflichtet, eine rechtskräftige Entscheidung zu erfüllen, sofern nicht eines der üblichen Anerkennungshindernisse vorliegt. Nach Art. 21 kann er auf Feststellung seiner Erfüllungspflicht verklagt werden.35
19.29
Die Zwangsvollstreckung aus einer gerichtlichen Entscheidung gegen einen ausländischen Staat ist (außerhalb des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmu-
19.30
29 30 31 32 33 34
Vgl. J. Haubold, FS Schütze, 2014, S. 163. BGH, WM 2006, 41 = SchiedsVZ 2006, 44, 46 f. (H. Raeschke-Kessler). A.A. M. Weller Rpfleger 2006, 364, 366. Vgl. BGH, RIW 2017, 128 (Rz. 14); BGH, MDR 2013, 873 = SchiedsVZ 2013, 110. Vgl. G. Walter, FS Waseda Universität, 771. Vgl. BVerfGE 117, 141, 153 f. = RIW 2007, 206 = NJW 2007, 2605; KG, NJOZ 2004, 3382. 35 Vgl. H. Kronke, IPRax 1991, 141, 145 f.; R. Geimer, Anerkennung, 1995, S. 160 f.
1157
§ 19 Rz. 19.30 | Internationale Zwangsvollstreckung
nität) ist nur in Gegenstände zulässig, die im Gerichtsstaat belegen sind und nicht hoheitlichen Zwecken dienen (vgl. Art. 19 UN-Übereinkommen über Staatenimmunität ed. 2.12.2004).36 Hoheitlichen Zwecken dient das Konto mit Währungsreserven einer ausländischen Zentralbank bei der Deutschen Bundesbank. Dieses Guthaben ist unabhängig davon immun, ob das Konto von dem ausländischen Staat oder einer selbständigen Zentralbank gehalten wird.37 Das allgemeine Bankkonto der Botschaft eines ausländischen Staates, das zur Deckung der Kosten der Botschaft bestimmt ist, unterliegt nicht der Zwangsvollstreckung im Gerichtsstaat.38 Eine Vollstreckung in öffentlich-rechtliche Gebührenansprüche aus der Einräumung von Überflugrechten,39 Ansprüche auf Rückerstattung von Umsatzsteuer,40 in ausländische Steueroder Zollforderungen41 oder in Auszahlungsbeträge aus Anleihen ist daher unzulässig, wenn diese Beträge hoheitlichen Zwecken (wie Währungssicherung oder Haushaltssanierung) dienen.42 Selbst eine Mietzinsforderung aus der Vermietung eines Ladenlokals im Russischen Haus in Berlin soll vollstreckungsimmun sein.43 Hat der ausländische Staat dagegen eine Immobilie auf ein rechtlich selbständiges Staatsunternehmen übertragen, so kann in dieses Grundstück vollstreckt werden.44 Auch eine Pfändung in zweckgebundene Förderungsmittel der EU-Kommission ist unzulässig.45 Mit dieser Linie ist es nicht vereinbar, dass untere griechische Gerichte die Versteigerung des Grundstücks des Goethe-Instituts in Athen zur Befriedigung eines Titels über SS-Opfer-Entschädigung zunächst zugelassen hatten.46
19.31 Streitig ist, ob sich ein ausländischer Staat auch als Drittschuldner auf die Vollstreckungsimmunität berufen kann.47 Gewiss richtet sich die Zwangsvollstreckung als solche nicht gegen den Drittschuldner. Soll der ausländische Staat aber letztlich aus Vermögen leisten, das bei einer Vollstreckung gegen ihn selbst immun wäre, so muss ebenfalls Vollstreckungsimmunität bestehen, weil dem Staat sonst immune Gegenstände entzogen werden könnten. 19.32 Wird vor der Einfuhr ausländischen Kulturguts zu Ausstellungszwecken eine „rechtsverbindliche Rückgabezusage“ erteilt, so sind bis zur Rückgabe an den Verlei36 Vgl. BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485 (dazu A. Bleckmann, S. 1092) = RIW 1978, 122 (I. Seidl-Hohenveldern); BGH, WM 2005, 2274 = SchiedsVZ 2006, 44; BGH, WM 2008, 2302. 37 BGH, RIW 2013, 629 = MDR 2013, 1122. 38 BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485. 39 BGH, RIW 2006, 60 = SchiedsVZ 2006, 47 (H. Raeschke-Kessler) = NJW-RR 2006, 198. 40 KG, IPRax 2006, 164 (dazu B. Fassbender, S. 129); vgl. M. Weller, Rpfleger 2006, 364, 369. 41 Offengelassen von BGH, RIW 2011, 157 (m. Anm. Ph. Bollacher/S. Evke de Groot). 42 LG Frankfurt/M., RIW 2001, 308. 43 BGH, RIW 2010, 72; krit. M. Weller, RIW 2010, 599; billigend BVerfG, NJW 2012, 293, 295. 44 BGH, WM 2008, 2302. 45 EuGH v. 29.5.2001 – C-1/00 SA – Cotecna, EuGHE 2001, I-4219, NJW 2001, 3109. 46 Vgl. B. Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 zum Fall Villa Vigoni). 47 Ablehn. A.-K. Bitter, S. 209 ff.
1158
II. Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung | Rz. 19.37 § 19
her Pfändungen oder Beschlagnahmen unzulässig (§ 20 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung i.d.F. v. 8.7.1999 (BGBl. 1999 I, 1754), die Ausstellungsstücke also vollstreckungsimmun. Im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung genießt der ausländische Staat keine Vollstreckungsimmunität. Zulässig ist daher die Zwangsversteigerung von Grundstücken, die im Eigentum eines staatlichen Wirtschaftsunternehmens stehen.48 Ebenso zulässig ist die Pfändung in Zentralbankkonten, die ein Staatsunternehmen eines ausländischen Staats im Inland unterhält, wenn das Guthaben aus nichthoheitlicher Tätigkeit des Unternehmens entstanden ist, und zwar auch dann, wenn das Guthaben staatsintern zur Verwendung im Staatshaushalt bestimmt ist.49 Ausländische Staatsbanken selbst genießen als Wirtschaftsunternehmen in Deutschland grds. keine Vollstreckungsimmunität. Art. 92 Nr. 11 Schweizer. SchKG ordnet freilich an, dass Vermögenswerte einer ausländischen Zentralbank, die hoheitlichen Zwecken dienen, unpfändbar sind.50
19.33
Nach Eintritt der Staatsinsolvenz kann der ausländische Staat eine Vollstreckung ggf. unter Berufung auf völkerrechtlichen Notstand abwehren.51
19.34
Die französische Cour de Kassation hat aus der Vereinbarung einer ICC-Schiedsklausel, in der sich der Staat verpflichtet, den Schiedsspruch zu erfüllen, abgeleitet, dass der betreffende Staat insoweit auf Vollstreckungsimmunität verzichtet.52
19.35
Nach Ansicht des OLG Köln soll die diplomatische Vollstreckungsimmunität einer Eintragung einer nur sichernden Arresthypothek nicht entgegenstehen.53 Aber diese Ansicht ist mit Art. 22 III WÜB nicht vereinbar. Handelsschiffe unterliegen der Vollstreckung in Zivilsachen durch einen Küstenstaat nur wegen Verbindlichkeiten, die für das Schiff selbst oder wegen seiner Durchfahrt im Küstenstaat entstanden sind (Art. 28 II SeerechtsÜ).54 Kriegsschiffe und Staatsschiffe, die nicht dem Handel dienen, sind dagegen grds. immun (Art. 32 SeerechtsÜ).
19.36
Gegen ein Mitglied einer NATO-Truppe oder eines zivilen Gefolges darf nach Art. VIII NATO-Truppenstatut nicht wegen eines Anspruchs aus einer dienstlichen Angelegenheit vollstreckt werden. Wegen außerdienstlicher Ansprüche ist eine Vollstreckung dagegen zulässig.55
19.37
48 49 50 51 52
BGH, WM 2008, 2302. Vgl. BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = IPRax 1984, 196 (dazu T. Stein, S. 179). Vgl. G. Walter/T. Domej, IZPR der Schweiz, S. 84. LG Frankfurt, JZ 2003, 1010 (A. Reinisch). Cour de Cass (6.7.2000) JDI 2000, 1054 (Creighton v Etat du Quatar); krit. St. Kröll, IPRax 2002, 439, 443. 53 OLG Köln, IPRax 2006, 170 (krit. dazu B. Fassbender, S. 133). 54 BGBl. 1994 II, 1811. 55 K. Stöber/K. Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl. 2020, Rz. A. 49 ff.; J. Wiener, Vollstreckungen nach dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, DGVZ 2013, 105.
1159
§ 19 Rz. 19.38 | Internationale Zwangsvollstreckung
19.38 Das Vollstreckungsorgan hat die Vollstreckungsimmunität selbständig zu prüfen; an die Auffassung des Gerichts im Erkenntnisverfahren ist es nicht gebunden.56 4. Inlandswirkung der Vollstreckung im Ausland
19.39 Ausländische Vollstreckungsakte sind keine nach § 328 ZPO anzuerkennende Entscheidungen; ein etwa erforderlicher Vollzug im Inland findet daher nicht statt. Eine im Ausland ausgebrachte Lohnpfändung soll nach h.M. keine Wirkung gegenüber dem inländischen Lohnanspruch eines in Deutschland ansässigen Arbeitnehmers57 haben (s. aber Rz. 19.89 ff.). 19.40 Dagegen sind die schuld- und sachenrechtlichen Wirkungen wirksamer Hoheitsakte des Vollstreckungsstaats auch in anderen Staaten anzuerkennen (s. Rz. 19.51, 19.89), sofern sie nicht dem ordre public des Anerkennungsstaats widersprechen.58 Insoweit verhält es sich wie bei der Anerkennung von Enteignungen. 19.41 Wird eine Forderung im Ausland erst gepfändet, nachdem der Drittschuldner auf Klage des Schuldners zur Leistung verurteilt wurde, muss der Drittschuldner die drohende Verpflichtung zur doppelten Zahlung mit Hilfe der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) abwehren.59
III. Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung 19.42 Für Rechtsbehelfe und Klagen gegen ein Vollstreckungsverfahren sind ausschließlich die Gerichte des Staats zuständig, in dem das Verfahren anhängig ist. Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ)ordnen dies ausdrücklich an. Im deutschen Recht gehören hierher Erinnerung (§ 766 ZPO), Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) und Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO). Gläubigeranfechtung60 und Abänderungsklage (§§ 323 ff. ZPO) (bzw. Abänderungsantrag nach §§ 238 ff. FamFG) gehören nicht hierher. Auch Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung (§ 717 ZPO) fällt nicht unter Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ).61 19.43 Das auf Vollstreckungsabwehrklage im Ursprungsstaat ergehende Urteil hat keine unmittelbare Auswirkung auf die Vollstreckbarkeit des Titels im Inland; die inländische Vollstreckungsabwehrklage ist parallel zulässig, kann aber analog § 148 ZPO bis zur Entscheidung im Ursprungsstaat ausgesetzt werden (s. Rz. 15.65). 56 G. Walter, FS Waseda Universität, S. 771, 785. 57 BAG, ZIP 1996, 2031 = IPRax 1997, 335 (krit. dazu H. Schack, S. 318) = NZA 1997, 334. 58 Vgl. R. Geimer, Anerkennung, 1995, S. 103; M. Schimrick, S. 135 ff., 182; T. Domej, S. 490 ff. 59 M. Schimrick, S. 183 f.; A. Kunze/D. Otto, IPRax 2010, 557. 60 EuGHE 1990, I-27 (Reichert v Dresdner Bank) = IPRax 1991, 45 (dazu P. Schlosser, S. 29); EuGHE 1992, I-2149 (Reichert v Dresdner Bank) = IPRax 1993, 26 (dazu P. Schlosser, S. 17). 61 Vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 50.
1160
IV. Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung | Rz. 19.48 § 19
Wird in einem Erststaat des EuGVO- bzw. LugÜ-Systems Vollstreckungsabwehrklage erhoben, ist eine zweite Vollstreckungsabwehrklage in Deutschland gegen den für vollstreckbar erklärten Titel nach Art. 27 EuGVO/LugÜ bzw. Art. 29 EuGVO n.F. unzulässig. Wird dem Titel die Vollstreckbarkeit im Erststaat genommen, so kommt bisher lediglich eine Aufhebung der inländischen Vollstreckbarerklärung nach § 27 AVAG in Betracht.62 (Wie die Aufhebung des Titels bzw. der Wegfall seiner Vollstreckbarkeit im Rahmen der neu gefassten EuGVO geltend zu machen ist, muss noch festgelegt werden.)
19.44
Eine Restschuldbefreiung im Ausland kann der Schuldner gegenüber der Inlandsvollstreckung mittels Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) geltend machen.63
19.45
IV. Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung Schrifttum: A. Raffelsieper, Die Rückabwicklung der vorläufigen Vollstreckung im nationalen und europäischen Zivilprozessrecht, 2018; Ch. Schreiber, Die Haftung des Vollstreckungsgläubigers im internationalen Zivilrechtsverkehr, 2008.
Art und Umfang der Haftung wegen ungerechtfertigter Vollstreckung richten sich kollisionsrechtlich nach der jeweiligen lex fori.64 Bei einer Vollstreckung in Deutschland haftet der Gläubiger demnach gem. § 717 II, III ZPO.
19.46
Sowohl der Schadenersatzanspruch als auch der Erstattungsanspruch sind deliktisch zu qualifizieren (vgl. Art. 4 I Rom II-VO) und können daher im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F., Art. 5 Nr. 3 EuGVO a.F./LugÜ bzw. § 32 ZPO) geltend gemacht werden.65 Die Klage kann danach dort erhoben werden, wo die Partei ungerechtfertigt an die Gegenpartei geleistet hat.66 Ist vollstreckt worden, liegt der Gerichtsstand im Vollstreckungsstaat. Hat der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet, so kommt auch eine Zuständigkeit im Wohnsitzstaat des Schuldners in Betracht.67
19.47
Außerdem kann der Anspruch auch im allgemeinen Beklagtengerichtsstand nach Art. 4 EuGVO n.F., Art. 2 LugÜ bzw. §§ 12, 13, 17 ZPO geltend gemacht werden.68 Bei einer ungerechtfertigten Vollstreckung aus einem europäischen Vollstreckungstitel ändert sich nichts an diesen Zuständigkeiten. Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ)ist dagegen nicht anwendbar, weil die Schadenersatzklage nicht auf Abwehr der Zwangsvollstreckung als solche gerichtet ist.69
19.48
62 Vgl. A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 512 ff. 63 BGH, NJW 2008, 3640 = DGVZ 2009, 39; krit. Ch. Paulus, DGVZ 2010, 98. 64 R. Geimer, IZPR, Rz. 3287; a.A. Ch. Schreiber, S. 71 ff., 90 ff. (für deliktsrechtliche Qualifikation). 65 BGHZ 189, 320 = ZZP 124 (2011), 377, 378 (Rz. 10) (Ch. Schreiber); Ch. Schreiber, S. 54 ff., 68 f. 66 BGHZ 189, 320 = ZZP 124 (2011), 377, 382 (Rz. 21). 67 Ch. Schreiber, S. 62 ff. 68 Ch. Schreiber, S. 55, 67 f. 69 Ch. Schreiber; S. 52 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 50.
1161
§ 19 Rz. 19.49 | Internationale Zwangsvollstreckung
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten 1. Internationale Sachpfändung und Herausgabevollstreckung
19.49 Schrifttum: K. Fohrer/P. Mattil, Der „grenzüberschreitende“ dingliche Arrest im Anwen-
dungsbereich des EuGVÜ, WM 2002, 840; H. Huber, Verarrestierung von Wertpapieren, welche durch inländische Banken im Ausland verwahrt werden, SchwJZ 65 (1969), 149; A. Kunze/D. Otto, Internationale Zwangsvollstreckungszuständigkeit, rechtliche Grenzen und Gegenmaßnahmen, IPRax 2010, 557.
a) Sachpfändung
19.50 International zuständig ist nur der Staat, in dem die bewegliche oder unbewegliche Sache belegen ist. Nur dort können die Sachen weggenommen (§ 808 ZPO), Grundstücke verwertet werden. 19.51 Das Recht des Vollstreckungsstaats bestimmt zugleich die Vollstreckungsgrenzen (in Deutschland: §§ 811 f ZPO; § 865 ZPO; § 765a ZPO).70 19.52 Verbringt der Schuldner eine bereits gepfändete Sache unzulässig ins Ausland, bleibt das Pfändungspfandrecht grds. bestehen. b) Herausgabevollstreckung
19.53 Ist eine Sache für den Auslandsgläubiger im Inland wegzunehmen oder eine Wohnung im Inland zu räumen, wird dies zunächst problemlos durch den inländischen Gerichtsvollzieher durchgeführt (§§ 883, 885 ZPO). Die bewegliche Sache hat der Gerichtsvollzieher dann dem Gläubiger bzw. dessen Vertreter zu übergeben oder an die ausländische Adresse des Gläubigers auftragsgemäß zu versenden. 19.54 Befindet sich die herauszugebende bewegliche Sache oder ein herauszugebendes Kind im Vollstreckungsstaat, so kann die Herausgabevollstreckung dort problemlos betrieben werden. 19.55 Umgekehrt wird etwa eine ausländische Entscheidung, die die Herausgabe eines Kindes an den anderen Elternteil anordnet, nach §§ 108, 110, 88 ff. FamFG im Inland vollstreckt, soweit nicht § 44 IntFamRVG eingreift (s. Rz. 19.69).71 19.56 Zweifelhaft ist dagegen, ob bei Belegenheit der Sache im Ausland eine Inlandsvollstreckung durchgeführt werden kann, indem die Herausgabe als unvertretbare Handlung durch Anordnung von Zwangsgeld oder Zwangshaft nach § 888 ZPO vollstreckt wird.72 19.57 Im Inland vollstreckbare Titel zur Herausgabe von Personen oder zur Regelung des Umgangs, die unter das HKÜ, das KSÜ oder das SorgeRÜ fallen, werden nach § 44 70 Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 215. 71 Vgl. BGHZ 88, 113 = NJW 1983, 2775. 72 Dafür H. Schack, IZVR, Rz. 1073.
1162
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.62 § 19
IntFamRVG durch Verhängung von Ordnungsgeld, hilfsweise Ordnungshaft vollstreckt. Soweit diese Regel nicht greift, werden diese Titel mit denselben Mitteln nach § 89 FamFG vollstreckt. Ein solches Umfunktionieren ist im Inland unzulässig73 und sollte es daher auch im Verhältnis zum Ausland sein, zumal dadurch Schutzvorschriften der konkreten Herausgabevollstreckung unterlaufen werden könnten, insb. bei der Herausgabevollstreckung in Wohnraum.
19.58
2. Immobiliarvollstreckung gegen ausländische Schuldner Eine Hypothek über eine Forderung in ausländischer Währung ist nur im Rahmen des § 28 GBO zulässig. Die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung eines Grundstücks, dessen Eigentümer seinen Wohnsitz im Ausland hat, folgt grds. den allgemeinen Regeln des ZVG.
19.59
Hat der Gläubiger über ein Grundpfandrecht eine vollstreckbare Urkunde (§§ 794 I Nr. 5, 800 ZPO), so kann die Einleitung der Zwangsversteigerung gleichwohl schwierig sein, weil dieser Titel dem Schuldner nach § 750 ZPO ins Ausland zuzustellen ist.
19.60
Gegebenenfalls kann es sich daher empfehlen, in der Grundschuldurkunde einen Zustellungsverzicht zu vereinbaren oder den Schuldner zu verpflichten, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.74
19.61
Zur Immobiliarvollstreckung bei ausländischem Güterstand s. Rz. 19.11, 19.14. 3. Internationale Forderungspfändung Schrifttum: Th. Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweizerischem Recht, 2007; T. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung am Beispiel der Forderungspfändung, 2016; H. Kotrschal/N. Stalberg, Die grenzüberschreitende Vollstreckung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen in Geldforderungen ausländischer Drittschuldner, insbesondere in ausländische Bankguthaben, BKR 2009, 38; D. Mühlhausen, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen deutscher Gerichte in Bankguthaben von Inländern bei Auslandsfilialen, WM 1986, 957; M. Schimrick, Die unmittelbare grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012; L. Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007; J. Wolber, Die Pfändbarkeit eines Gesellschaftsanteils an einer britischen LLP im Inland, EuZW 2019, 863. Kontenpfändungsverordnung (EU) Nr. 655/2014 v. 15.5.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 189/59. Ausführungsregeln finden sich in §§ 946–953 ZPO (s. § 17 Rz. 27 ff.).
73 Ebenso Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz. 57.12, 57.14. 74 H.-G. Jauch, Inländische Immobiliarvollstreckung gegen ausländische Schuldner, ZfIR 1999, 330, 332.
1163
19.62
§ 19 Rz. 19.63 | Internationale Zwangsvollstreckung
a) Belegenheit der Forderung im Inland
19.63 Nach dem Territorialitätsgrundsatz kann nur eine im Inland belegene Forderung gepfändet werden. Die Belegenheit einer Forderung ist freilich nur fiktiv durch rechtliche Anordnung festzulegen. Während manche Staaten an den Sitz des Gläubigers oder an den Erfüllungsort der Forderung anknüpfen (s. Rz. 19.86)75 ordnet § 23 Satz 2 ZPO an, dass Forderungen am Wohnsitz des Forderungsschuldners76 oder am Ort einer Realsicherheit belegen sind und dort unabhängig von ihrem Erfüllungsort gepfändet werden können. Die Pflicht eines Inländers, im Ausland Steuer- oder Zollforderungen zu bezahlen, soll gleichwohl nur in dem betreffenden ausländischen Staat belegen sein.77 Generell sind öffentlich-rechtliche Forderungen eines ausländischen Staates nur in diesem Staat belegen.78 19.64 Ansonsten besteht die (internationale) Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts nach § 828 II ZPO: (1) am allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners im Inland, (2) am Ort von Inlandsvermögen des Schuldners. Hieraus folgt:
19.65 Haben Schuldner und Drittschuldner Wohnsitz/Sitz im Inland, so kann der Auslandsgläubiger problemlos pfänden. 19.66 Problemlos ist auch der Fall, dass der Schuldner Wohnsitz/Sitz im Ausland hat, der Drittschuldner aber Wohnsitz/Sitz im Inland. Denn dann bedarf es zur Vollstreckung keiner Vornahme von hoheitlichen Handlungen im Ausland.79 Für den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zuständig ist das Vollstreckungsgericht am Sitz des Drittschuldners.80 Die Inlandszustellung an den Drittschuldner ist problemlos. Nach § 829 II 3 ZPO kann die Auslandszustellung an den Schuldner durch eine Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 184 I 2 ZPO) ersetzt werden.81 19.67 Eine Vorpfändung kann dem Auslandsschuldner generell durch Aufgabe zur Post zugestellt werden (§ 845 I 4 ZPO). 19.68 Werden Bankguthaben des Schuldners bei einer Bank mit Sitz im Inland gepfändet, soll sich die Beschlagnahmewirkung auf das Inland beschränken und nicht Konten bei einer Zweigniederlassung im Ausland erfassen.82 Gepfändet werden können auch Gut75 Vgl. A.-K. Bitter, S. 188 f. 76 BGH, MDR 2013, 491 (Rz. 18); ebenso in England: P. Kaye, Situs of debts and jurisdiction to make orders of garnishee, JBL 1989, 449 f. 77 BGH, JZ 2011, 858, 859 (abl. H. Roth) = RIW 2011, 157 (Ph. Bollacher/S. Evke de Groot). 78 H. Schack, IZVR Rz. 577; vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 995; A.-K. Bitter, S. 113 ff. 79 M. Schimrick, S. 95. 80 OLG Saarbrücken, IPRax 2001, 456 (krit. E. Jestaedt, S. 438: Verstoß gegen Art. 3 II EuGVÜ). 81 Vgl. A. Hornung, DGVZ 2004, 85, 87. 82 Vgl. Kuwait Oil Tanker Corp v Quabazad, [2003] I.L.Pr. 45 (H.L.); OLG Frankfurt, WM 2011, 963 (Rz. 40); G. Zondler, Schweizer Arrest auf Vermögenswerte im Ausland?, AJP/ PJA 2005, 573; a.A. Cour de Cass., Ch. civ., 2, 14.2.2008, Bulletin 2008 II Nr. 36.
1164
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.72 § 19
haben bei einer inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Bank (s. Rz. 19.95). Die Pfändung bei einer Zweigniederlassung erfasst aber nicht Konten an der Hauptniederlassung in einem anderen Staat, zumindest wenn die Gefahr besteht, dass der Drittschuldner durch eine Zahlung darauf nicht von seiner Schuld befreit wird.83 Auf das Forderungsstatut selbst kommt es nicht an. Ist eine inländische Dienststelle oder Zahlstelle eines ausländischen Staats (im Rahmen des NATO-Truppenstatuts) Drittschuldner, so ist der Erlass eines Zahlungsverbotes ausgeschlossen. Wird der Lohn durch Vermittlung einer deutschen Behörde bezahlt und wird diese von einem deutschen Vollstreckungsorgan ersucht, nicht an den Schuldner, sondern an den Pfändungsgläubiger zu zahlen, so darf die deutsche Behörde dem (gem. §§ 835, 836 ZPO) Folge leisten (Art. 35 lit. a ZANTS). Wird der Lohn dagegen nicht durch Vermittlung einer deutschen Behörde bezahlt, so wird der gepfändete Lohn von den Behörden der Truppe oder des zivilen Gefolges bei der zuständigen Stelle hinterlegt (Art. 35 lit. b ZANTS).
19.69
Allerdings gibt es Staaten, die die Forderungsbelegenheit anders festlegen, etwa nach dem Wohnsitz des Schuldners (so früher die Schweiz; anders jetzt Art. 167 III Schweiz. IPRG 1987 für Forderungen des Gemeinschuldners).
19.70
Auch die Forderungspfändung erfolgt vielfach abweichend vom deutschen Recht.84 Während in Deutschland die Forderung mit Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner bewirkt ist (§ 829 III ZPO), wird ein Arrest in Forderungen in der Schweiz alternativ am Betreibungsort oder am Ort der Belegenheit der Forderung bewirkt (Art. 272 Satz 1 SchKG). Betreibungsort ist der Wohnsitz des Schuldners. Die Pfändungsurkunde ist dem Schuldner zuzustellen (Art. 114 SchKG); die formlose Mitteilung an den Drittschuldner ist für die Pfändung nicht konstitutiv.85
19.71
Wird die Forderung in solchen Fällen doppelt gepfändet, so ist grds. vom Prioritätsprinzip auszugehen.86 Gegenüber der nachrangigen Pfändung hat der Drittschuldner ein Leistungsverweigerungsrecht.87 Hat er bereits auf die erste Pfändung hin geleistet, ist er frei geworden.88
19.72
Zulässig muss es auch sein, dass der Drittschuldner in solchen Fällen die Forderung für die beteiligten Pfändungsgläubiger nach § 372 BGB hinterlegt.89 83 Société Eram Shipping Co. Ltd. v Hong Kong and Shanghai Banking Corp. Ltd., [2003] UKHL 30; A. Zuckerman, On Civil Procedure, 2nd ed. 2006, No 22.112; krit. G. Cuniberti, JDI 123 (2008), 963, 981 f. 84 Vgl. A.-K. Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009, S. 98 ff. 85 Vgl. T. Domej, S. 36 ff., 38, 44. 86 Vgl. M. Schimrick, S. 124, 191 ff. 87 Vgl. RGZ 36, 355; krit. S. Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz, 1994, S. 106 ff. 88 Vgl. M. Schimrick, S. 129 (Erlöschen nach Maßgabe der lex causae, Art. 12 I lit. b Rom IVO). 89 BGH, IPRax 1985, 154; krit. S. Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz, 1994, S. 112.
1165
§ 19 Rz. 19.73 | Internationale Zwangsvollstreckung
19.73 International zweifelhaft ist, ob der Drittschuldner sich trotz vorrangiger Pfändung auf eine zeitlich nachfolgende zwangsweise Tilgung seiner Forderung im Ausland berufen kann, die er nicht verhindern kann. Das Reichsgericht90 hat die Frage verneint. Dagegen hob das englische House of Lords sogar einen vorrangigen garnishee order (third party debt order) auf, nachdem der Drittschuldner, die Shell International, nachwies, dass der Schuldner, die National RAK-Oil, gegen ihn in Ras Al Khaimah unabwendbar vollstrecken werde.91 19.74 Hat der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, der Drittschuldner Wohnsitz/Sitz dagegen im Ausland, so ist streitig, ob eine Forderungspfändung im Inland zulässig ist. Art. 24 Nr. 5 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 5 EuGVO a.F./LugÜ) steht dem nicht entgegen, da die Vorschrift auf die eigentliche Zwangsvollstreckung nicht anwendbar ist. 19.75 Nach § 828 II, 1. Fall ZPO kann ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ergehen, weil der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Zu Recht wird argumentiert, die Zwangsvollstreckung richte sich gegen den Schuldner. Daher liege in der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegenüber dem Drittschuldner keine hoheitliche Maßnahme; dem Drittschuldner werde lediglich mitgeteilt, dass er aufgrund der Pfändung nicht mehr befreiend an den Schuldner leisten könne.92 19.76 In dem Erlass und der Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ins Ausland liegt kein völkerrechtswidriger Akt.93 Freilich ist die Ansicht, der Drittschuldner werde lediglich von bereits eingetretenen Rechtswirkungen zu seinem Schutz benachrichtigt, mit § 829 III ZPO nicht vereinbar.94 Denn erst die Zustellung an ihn hat nach deutschem Recht pfandrechtsbegründende Wirkung. Es ist deshalb Sache des Auslandes, ob es bei der Perfektion eines deutschen Hoheitsaktes mitwirkt oder nicht.95 Häufig verweigert das Ausland diese Mitwirkung. Tatsächlich sieht Art. 13 I HZÜ 1965 ebenso wie Art. 4 HZPÜ 1954 vor, dass der ersuchte Staat die Zustellung ablehnen darf, wenn er sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte zu gefährden.96 Nach einer Änderung der §§ 28, 59 ZRHO ed. 23.3.1999 (jetzt §§ 29, 84 ZRHO 2018) lassen die Landesjustizverwaltungen die Auslandszustellung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen an ausländische Drittschuldner aber zu. Es hängt dann von der Kooperationsbereitschaft des Empfängerstaats ab, ob die Forderungspfändung mit der Zustellung an den ausländischen Drittschuldner wirksam 90 RGZ 77, 250. 91 Deutsche Schachtbau- und Tiefbaugesellschaft v Shell International, ILM 27 (1988), 1032. 92 H. Schack, IZVR, Rz. 1086; R. Geimer, IZPR, Rz. 408, 408b und Rz. 612; Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 214. 93 M. Schimrick, S. 65 ff., 92 f.; A.-K. Bitter, S. 180 ff. 94 T. Domej (S. 177 ff.) meint, aufgrund der Mitwirkungspflichten des Drittschuldners liege auch ihm gegenüber ein Hoheitsakt vor. 95 Vgl. H. Schima, FS Dölle, S. 341, 348 f.; K. Stöber/K. Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl. 2020, Rz. A. 44; G.-S. Hök, Saisie de compte et de créance transfrontalière, Rev. crit. 2006, 301; T. Domej, S. 51 ff. 96 Vgl. T. Domej, S. 191 ff.
1166
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.80 § 19
wird. Im Verhältnis zu Österreich ist diese Bereitschaft jedenfalls gegeben.97 Die Schweiz verweigert dagegen die Zustellung deutscher Forderungspfändungen an Schweizer Drittschuldner.98 In England hält man den Erlass einer garnishee order (third party debt order) in Bezug auf eine „foreign debt“ zwar für zulässig, sieht aber vom Erlass ab, wenn der Drittschuldner sonst in die Gefahr gerät, doppelt zahlen zu müssen.99
19.77
Ein Ausweichen auf eine öffentliche Zustellung an den Drittschuldner nach § 185 Nr. 3 ZPO, eine fiktive Inlandszustellung durch Aufgabe zur Post (§ 184 I 2 ZPO) oder eine formlose Briefzusendung sind unzulässig.100
19.78
Dagegen meint Schack,101 an die Stelle der vom Ausland verweigerten Mitwirkung für die förmliche Zustellung könne eine öffentliche Zustellung gem. § 185 Nr. 3 ZPO treten.
19.79
Eine Zustellung durch Übersendung durch die Post ist nach Art. 10 (a) HZÜ 1965 zulässig, sofern der Empfangsstaat dem nicht, wie Deutschland, widersprochen hat. Die Inlandspfändung einer Forderung gegen einen ausländischen Drittschuldner ist danach in folgenden Fällen möglich: (1) Der Drittschuldner hat seinen (Wohn-)Sitz im Inland oder hält sich hier auf, so dass eine Inlandszustellung an ihn nach § 177 ZPO zulässig ist. (2) Das Unternehmen des Drittschuldners unterhält im Inland eine unselbständige Zweigniederlassung, und die Forderung hat Bezug zu dieser Niederlassung.102 Dass eine Pfändung im Ausland gegenüber der Hauptniederlassung in diesen Fällen keine Inlandswirkung haben soll,103 ist aber kaum begründbar. (3) Es wird eine dinglich gesicherte Forderung gepfändet, bei der die dingliche Sicherung im Inland belegen ist. Nach h.M. bedarf es hier, etwa bei der Pfändung einer Hypothekenforderung, grds. überhaupt keiner Zustellung an den Drittschuldner.104 (4) Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird innerhalb der EU unmittelbar durch die Post per Einschreiben mit Rückschein zugestellt (Art. 14 EuZVO; § 183 I Nr. 1 ZPO).
97 Vgl. P. Gottwald, IPRax 1999, 395, 396.; s. aber T. Domej, S. 105 ff. 98 T. Domej, S. 40 ff. 99 Kuwait Oil Tanker Co. v Qabazard, English High Court [2001] ILPr 719; strenger das H. L. [2003] ILPr 45; vgl. Mack, IPRax 2005, 553, 557. 100 So wohl auch H. Linke/W. Hau, Rz. 14.49. 101 H. Schack, IZVR, Rz. 1087. Für fiktive Inlandszustellung im Rahmen des HZÜ auch T. Domej, S. 198 ff. 102 Vgl. T. Domej, S. 31 ff. 103 So aber BAG, ZIP 1996, 2031, 2033 f. = IPRax 1997, 335 (dazu ablehnend H. Schack, S. 318, 321) = NZA 1997, 334. 104 Vgl. K. Stöber/K. Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl. 2020, Rz. F. 19.
1167
19.80
§ 19 Rz. 19.80 | Internationale Zwangsvollstreckung
(5) Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird auf Ersuchen des Vollstreckungsgerichts durch die Behörden des ersuchten Staats oder die deutsche diplomatische oder konsularische Vertretung zugestellt (§ 183 I Nr. 2 ZPO). (6) Hat der Drittschuldner lediglich sonstiges vollstreckungsfähiges Vermögen im Inland, scheidet de lege lata der Erlass eines deutschen Pfändungsbeschlusses aus.105 (7) Leistet der Drittschuldner auf die Pfändung und Überweisung hin nicht, so muss der Gläubiger gegen ihn auf Leistung klagen. Die internationale Zuständigkeit für diese Klage richtet sich nach allgemeinen Regeln.106 Die Prozessführungsbefugnis des Gläubigers im Prozess am ausländischen Sitz des Drittschuldners besteht freilich nur, wenn dessen Heimatstaat die Forderungspfändung anerkennt. Wird der Drittschuldner im Einziehungsprozess (vgl. § 836 ZPO) verurteilt, so ist diese Entscheidung ohne jede Einschränkung in den anderen EU-Mitgliedstaaten bzw. Vertragsstaaten nach Art. 36 EuGVO n.F. (Art. 33 ff. EuGVO a.F./LugÜ) anzuerkennen. Eine Entscheidung eines EU-Mitgliedstaates ist gem. Art. 39 ff. EuGVO n.F. ohne weiteres vollstreckbar; eine Altentscheidung und eine Entscheidung aus einem EFTA-Staat ist Art. 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ für vollstreckbar zu erklären.107 b) Pfändung einer im Ausland zahlbaren Forderung bei der inländischen Niederlassung einer Bank?
19.81 Da die juristische Person und ihre inländische Zweigniederlassung eine Einheit bilden, kann die Forderung danach sowohl im Inland wie im Ausland gepfändet werden. Vorrang hat die zeitliche frühere Pfändung mit den Wirkungen der jeweiligen lex fori.108 19.82 In der Praxis wird aber im Auslandsgeschäft meist ein ausschließlicher Gerichtsstand am Zahlungsort vereinbart. Zwischen Kaufleuten ist eine solche Gerichtsstandsvereinbarung nach deutschem autonomem Recht gültig (§ 38 I ZPO); im Rahmen von Art. 25 EuGVO n.F. bzw. Art. 23 EuGVO a.F./LugÜ ist sie stets zu beachten. Eine solche Vereinbarung hindert zunächst die Pfändung als solche nicht. Der Pfändungsgläubiger kann aber nach Pfändung und Überweisung nur die Rechte des Schuldners geltend machen (§ 836 ZPO). Er kann den Drittschuldner daher (vorbehaltlich einer rügelosen Einlassung) nicht im Inland, sondern nur am vereinbarten Gerichtsstand im Ausland auf Leistung verklagen. Eine gesetzliche Prozessstandschaft aufgrund eines inländischen Überweisungsbeschlusses wird im Ausland aber als Akt der Zwangsvollstreckung i.d.R. nicht anerkannt.109 Diese Möglichkeit ist daher praktisch meist verschlossen.
105 106 107 108 109
H. Schack, IPRax 1997, 318, 321. H. Linke/W. Hau, Rz. 14.51. Vgl. M. Schimrick, S. 185 ff. OLG Hamburg, NiemZ 1902, 271; H. Schack, IPRax 1997, 318, 321. H. Schack, IZVR, Rz. 1090.
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V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.87 § 19
c) Grenzüberschreitende Kontopfändung in der EU Ein Beschluss zur grenzüberschreitenden Kontopfändung führt nur zu einer vorläufigen Kontopfändung (Art. 1 I 1 EuBvKpfVO). Das Verfahren wird daher in Rz. 17.27 ff. dargestellt.
19.83
d) Freezing Injunction Die Schwierigkeiten, die sich bei der Forderungspfändung ergeben, wenn eine Zwangswirkung im Ausland eintreten soll, vermeidet das englische Recht, indem es ein lediglich gegen den Schuldner persönlich wirkendes Einziehungsverbot auch für seine Auslandsforderungen erlässt (Worldwide Freezing Injunction) (s. Rz. 19.95 u. Rz. 17.113).110
19.84
Im Fall Duvalier wurde die Anordnung sogar erlassen, obgleich der Hauptprozess der Regierung von Haiti gegen Duvalier auf Rückerstattung veruntreuten Vermögens in Frankreich anhängig war. Verbunden wird das Verfügungsverbot regelmäßig mit dem Gebot, jede Verschiebung von Vermögenswerten über Ländergrenzen zu unterlassen und zugleich Auskunft über Natur, Belegenheit und Wert des Vermögens zu geben.111
19.85
e) Unpfändbarkeit der Forderung Soweit eine Forderungspfändung danach möglich ist, ist konkret zu beachten, inwieweit die Forderung unpfändbar ist.
19.86
Die Unpfändbarkeit kann sich bereits aus den Regeln über die Vollstreckungsimmunität des ausländischen Staats ergeben (s. Rz. 19.26 ff.).112 Bei der Inlandspfändung gilt der Sozialschutz nach den §§ 850 ff. ZPO unabhängig vom Forderungsstatut; eine Kumulation empfiehlt sich schon aus praktischen Gründen nicht. Diese Anknüpfung kann allerdings zu ungerechten Ergebnissen führen, wenn der Schuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat hat. Deshalb ist bereits de lege lata (im Hinblick auf Art. 6 EMRK u Art. 47, 51 GR-Charta) für die Pfändungsfreigrenzen auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners abzustellen.113 Eine Forderung ist aber auch unpfändbar, soweit sie nicht abtretbar ist (§ 851 ZPO). Die Nichtabtretbarkeit kann sich aus dem Forderungsstatut ergeben. Sie ist auch vom Vollstreckungsstaat zu beachten.114
110 111 112 113
Republic of Haiti v Duvalier (1989) 2 WLR 261; Derby v Weldon (1989) 2 WLR 413. P. Schlosser, FS Lorenz, 1991, S. 497, 503. BGH, RIW 2006, 60. Vgl. BGH, NZI 2017, 816; J. Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 237 ff., 259. 114 H. Schack, IZVR, Rz. 1065.
1169
19.87
§ 19 Rz. 19.88 | Internationale Zwangsvollstreckung
19.88 Derartige Fragen spielen eine noch größere Rolle bei der Pfändung sonstiger Vermögenswerte (§ 857 ZPO). Über ihre Pfändbarkeit entscheidet das Sachstatut. f) Pfändung sonstiger Rechte
19.89 Für die Pfändung sonstiger Rechte gelten die Regeln über die Forderungspfändung entsprechend (§ 857 I ZPO). Soweit bei ihnen ein Drittschuldner fehlt, wird die Pfändung mit Zustellung an den Schuldner (§ 857 II ZPO) wirksam. Gesellschaftsanteile an einer BGB-Gesellschaft oder einer Personengesellschaft sind pfändbar (§ 859 ZPO) und am Sitz der Gesellschaft belegen. Drittschuldner sind in beiden Fällen die anderen Mitgesellschafter, doch genügt nach der Rechtsprechung die Zustellung an den Geschäftsführer der Gesellschaft, bei mehreren Geschäftsführern an einen.115 Der Gesellschaftsanteil an einer GmbH ist ebenfalls am Sitz der Gesellschaft belegen; nach h.M. wird die GmbH selbst als Drittschuldnerin behandelt.116 Sieht der pfändende Staat den GmbH-Anteil jedoch als drittschuldnerloses Recht an, so ist der Anteil auch ohne Zustellung an die GmbH gepfändet.117 Der Anteil an einer Limited Liability Partnership englischen Rechts kann im Inland gepfändet werden, wenn ein hinreichender Inlandsbezug besteht. Der BGH hat diesen Inlandsbezug bejaht, wenn alle Beteiligten im Inland ihren Wohnsitz oder zumindest eine Zweigniederlassung haben.118 Ein Miterbenanteil gilt als am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers belegen, auch wenn die Erbmasse im Wesentlichen aus einem Grundstück besteht.119 Eine Pfändung im Ausland ist im Inland analog § 328 ZPO anzuerkennen, wenn der Vollstreckungsstaat international (spiegelbildlich) zuständig war und kein Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt. Wirksamkeit erlangt die Pfändung in Deutschland aber erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Drittschuldners von der Pfändung.120
19.90 Aktien und andere Wertpapiere sind dagegen wie bewegliche Sachen zu pfänden, vgl. §§ 808 II, 821 ff. ZPO. 4. Sachaufklärung und Vermögensauskunft Schrifttum: Grünbuch vom 7.3.2008 zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vermögenstransparenz des Schuldners, KOM (2008) 128 endgültig.
19.91 a) Europäische Unterhaltssachen. Art. 51 II lit. c EuUntVO sieht vor, dass die Zentralen Behörden der EU-Mitgliedstaaten alle angemessenen Maßnahmen treffen, um 115 Stein/Jonas/Würdinger, § 859 Rz. 3; Herget in Zöller, ZPO, § 859 Rz. 3, 7 . 116 OLG Oldenburg, IPRax 1997, 338, 339 (dazu H. Schack, S. 318); Herget in Zöller, ZPO, § 859 Rz. 13. 117 Vgl. H. Schack, IPRax 1997, 318, 322. 118 BGH, RIW 2019, 450, 451 (Rz. 24) = MDR 2019, 1115 (N. Vossler) = IPRax 2020, 148 (dazu J. Rapp, S. 131); vgl. J. Wolber, EuZW 2019, 863. 119 BayObLG, ZEV 2019, 635, 637 (Rz. 21 ff.) (D. Leipold) = FamRZ 2020, 41; a.A. (gewöhnl. Aufenthalt des Miterben, gegen den vollstreckt wird) W. Eule, ZEV 2010, 508, 509. 120 OLG Oldenburg, IPRax 1997, 338, 340.
1170
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.94 § 19
die Erlangung einschlägiger Informationen über das Einkommen und das Vermögen der verpflichteten oder der berechtigten Person einschließlich der Belegenheit von Vermögensgegenständen zu erleichtern. Allerdings beschränkt Art. 61 II EuUntVO die Information auf Daten, über die die Behörden des Vollstreckungsstaates bereits verfügen. Nach Art. 61 II 4 EuUntVO kann die ersuchte Zentrale Behörde für die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung alle Angaben nach Art. 61 II 1 EuUntVO anfordern, d h Informationen (a) zur Anschrift der Beteiligten, (b) zum Einkommen des Verpflichteten sowie (c) zum Arbeitgeber und zur Bankverbindung des Verpflichteten.121 Angaben zum Vermögen können nur verlangt werden, wenn die Angaben zu b und c nicht ausreichen, um eine Vollstreckung zu ermöglichen. Diese Informationen sind an die jeweiligen Vollstreckungsbehörden weiterzuleiten (Art. 62 I EuUntVO); diese dürfen sie nur zur Erleichterung der Durchsetzung der Unterhaltsforderung verwenden (Art. 62 II EuUntVO). Dem Gläubiger selbst darf aber nur mitgeteilt werden, ob eine Anschrift, Einkommen oder Vermögen im ersuchten Mitgliedstaat bestehen (Art. 62 II Unterabs. 2 EuUntVO). b) HUÜ 2007. Auch nach Art. 6 II lit. c HUÜ 2007 ist es Aufgabe der Zentralen Behörden der Vertragsstaaten, einschlägige Informationen über das Einkommen und falls erforderlich das Vermögen der verpflichteten oder der berechtigten Personen einschließlich der Belegenheit von Vermögensgegenständen zu erlangen.
19.92
§ 7 I AUG sieht ergänzend vor, dass die Zentrale Behörde zunächst den Schuldner auffordern muss, Auskunft über Einkommen und Vermögen zu erteilen. Nur wenn er die Auskunft verweigert oder eine vollständige Befriedigung aus den angegebenen Vermögensgegenständen nicht zu erwarten ist, dürfen Auskünfte von Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung, dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, beim Bundeszentralamt für Steuern und beim Kraftfahrt-Bundesamt eingeholt werden.122
19.93
c) Vorläufige Kontenpfändung. Nach Art. 14 EuBvKpfVO kann ein Titelgläubiger, der vermutet, dass der Schuldner ein Bankkonto in einem bestimmten EU-Staat unterhält, die Auskunftsbehörde des Vollstreckungsstaates ersuchen, Informationen einzuholen, um die Identifizierung des oder der Konten des Schuldners zu ermöglichen. Alle Banken müssen der Auskunftsbehörde offenlegen, ob der Schuldner bei ihnen ein Konto unterhält (Art. 14 V lit. a EuBvKpfVO). Weiter kann die Auskunftsbehörde auf alle einschlägigen Informationen zu greifen, die bei Behörden gespeichert sind (Art. 14 V lit. b EuBvKpfVO). Der Schuldner kann durch Gerichtsbeschluss zur Angabe seiner Kontoverbindungen verpflichtet werden, wenn ihm gleichzeitig die Verfügung über Gelder auf diesen Konten bis zur Höhe der beabsichtigten vorläufigen Pfändung untersagt wird (Art. 14 V lit. c EuBvKpfVO). Zulässig sind auch andere Methoden der Informationsbeschaffung, wenn der Aufwand nicht unverhältnismäßig ist (Art. 14 V lit. d EuBvKpfVO). Die eingeholten Informationen sind sodann dem ersuchenden Gericht zu übermitteln (Art. 14 VI EuBvKpfVO).
19.94
121 Rauscher/Andrae, (2015), Vorbem. zu Art. 61 ff. EG-UntVO Rz. 9 ff. 122 M. Andrae, § 10 Rz. 332.
1171
§ 19 Rz. 19.95 | Internationale Zwangsvollstreckung
19.95 d) Vermögensauskunft in Deutschland. Hier besteht die Pflicht zur Vermögensauskunft nach § 802c ZPO bereits vor einem erfolglosen Pfändungsversuch123, eine objektbezogene Offenbarungsversicherung nur bei erfolgloser Herausgabevollstreckung nach § 883 II ZPO. Hat der Schuldner Vermögen im Ausland oder hat er die herauszugebende Sache ins Ausland geschafft, muss er auch das Auslandsvermögen124 und den Verbringungsort im Ausland angeben. 19.96 Schuldner der Vermögensauskunft kann auch eine Person mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland sein. Die internationale Zuständigkeit für die Abnahme folgt dann einer analogen Anwendung der §§ 899, 21 ZPO.125 Offenbarungspflichtig ist bei juristischen Personen der gesetzliche Vertreter, nicht ein inländischer Generalbevollmächtigter. Auch die Ladung zur Abgabe der Auskunft muss dem gesetzlichen Vertreter zugestellt werden. 19.97 e) Freezing order. Größere Bedeutung haben freezing orders (früher Mareva injunction), die die englischen Gerichte schon vorab nach Einleitung eines Hauptsacheverfahrens erlassen (s. Rz. 17.113 f.). Durch einstweilige Anordnung wird hier verfügt, dass der mutmaßliche Schuldner sein in England befindliches oder gar sein weltweites Vermögen schon vor Verurteilung zur Leistung zu offenbaren und der Verfügungsbefugnis eines Zwangsverwalters (receiver) bis zur Entscheidung über die Leistungsklage zu unterstellen habe.126 19.98 Völkerrechtlich ist gegen solche Anordnungen nichts einzuwenden.127 19.99 Immer noch streitig ist die Frage, ob solche Anordnungen über Art. 39 ff. EuGVO n.F. (Art. 32, 38 ff. EuGVO a.F./LugÜ) auch im Inland zu vollstrecken und die Befugnisse des receiver im Inland anzuerkennen sind. Zwar geht eine solche Vollstreckung über den üblichen Inlandsrechtsschutz hinaus, doch es bestehen dagegen keine Bedenken. Deshalb sind auch solche englischen Anordnungen anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären.128 5. Internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung Schrifttum: H.-J. Ahrens, Die grenzüberschreitende Vollstreckung von Unterlassungs- und Beseitigungstiteln, FS Schütze, 2014, S. 1; F. Eichel, Gerichtsgewalt und internationale Zuständigkeit für die Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO bei ausländischem Leistungsort, IPRax 2013, 146; J. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung – Die inländische Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungsentscheidungen mit ausländischem Leistungsort, 2010; R. Hall, Die Vollstreckung von deutschen Ordnungsgeldbeschlüssen in einem anderen
123 Vgl. M. Würdinger, JZ 2011, 177; Wagner in MünchKomm/ZPO, § 802c Rz. 2. 124 B. Heß, Rpfleger 1996, 89, 91; P. Schlosser, RdC 284 (2000), 155. 125 LG Zwickau, IPRax 1996, 193 (dazu Th. Rauscher, S. 179); B. Heß, Rpfleger 1996, 89 f.; Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh Rz. 214. 126 Vgl. Republic of Haiti v Duvalier (1989) 2 WLR 261; Derby & Co. Ltd. v Weldon (1989) 2 WLR 412. 127 Vgl. P. Schlosser, FS W. Lorenz, 1991, S. 497, 503 f. 128 OLG Karlsruhe, ZZPInt. 1996, 91 m. Anm. A. Zuckerman/J. Grunert.
1172
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.103 § 19 EU-Mitgliedstaat, FS Bornkamm, 2014, S. 1045; M. Heese, Sachaufklärung mittels exterritorialer Handlungsvollstreckung, ZZP 124 (2011), 73.
a) Verpflichtung zur Abgabe einer Willenserklärung Soweit die Willenserklärung mit Eintritt der Rechtskraft (wie nach deutschem Recht gem. § 894 ZPO) als abgegeben gilt, handelt es sich dennoch um eine vereinfachte Vollstreckungswirkung. Die Vollstreckungsfiktion tritt in einem anderen Staat also nicht mit der bloßen ipso iure-Anerkennung ein, vielmehr muss die ausländische Entscheidung zuvor für vollstreckbar erklärt werden.129 Streitig ist, ob die Erklärung im Inland rückwirkend auf den Tag der im Ausland eingetretenen Rechtskraft130 oder erst mit Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung131 als abgegeben gilt.
19.100
Kennt das Recht des Urteilsstaats keine § 894 ZPO entsprechende Regel, sondern hält es den Schuldner durch Zwangsmaßnahmen zur Abgabe der Erklärung an, so wird das Urteil im Inland doch nicht nach den Regeln über die Handlungsvollstreckung (§ 888 ZPO) vollstreckt, vielmehr gilt die Erklärung mit der rechtskräftigen Vollstreckbarerklärung im Inland als abgegeben.132
19.101
Ist eine Willenserklärung nach einem deutschen Titel vor einer ausländischen Behörde abzugeben und erkennt diese die fiktive Abgabe nach § 894 ZPO nicht an, so sollte man freilich den Ausweg über die Handlungsvollstreckung nach § 888 ZPO zulassen, bevor man den Gläubiger auf Schadenersatzansprüche nach Maßgabe des anwendbaren Rechts verweist (vgl. § 893 ZPO).133
19.102
b) Vollstreckung vertretbarer Handlungen In nationalen Fällen kann der Gläubiger in Deutschland vom Prozessgericht ermächtigt werden, die Handlung auf Kosten des Schuldners vorzunehmen, und zugleich kann der Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten verurteilt werden, § 887 ZPO. Dies gilt auch, wenn die vertretbare Handlung selbst im Ausland vorzunehmen und damit das Betreten eines Grundstücks des Schuldners im Ausland verbunden ist. Gegen eine Verurteilung zu den Kosten der Ersatzvornahme bestehen auch in diesen internationalen Fällen keine Bedenken.134 Diese Kostenentscheidung kann nach allgemeinen Regeln im In- oder Ausland vollstreckt werden.
129 So P. Gottwald, IPRax 1991, 285, 290; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz. 55.50; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Lakkis, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 2010, § 12 Rz. 7; a.A. R. Geimer, FS Georgiades, 2005, S. 489, 496. 130 Dafür Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz. 55.50. 131 So B. Treibmann, S. 127. 132 Vgl. Geimer in Zöller, ZPO, § 722 Rz. 9 b. 133 So H. Schack, IZVR, Rz. 1082; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz. 55.50. 134 BGH, RIW 2010, 328, 329 (Rz. 13 ff.) = ZZP 124 (2011), 123; dazu M. Heese, ZZP 125 (2011), 73 u. F. Eichel, IPRax 2013, 146.
1173
19.103
§ 19 Rz. 19.104 | Internationale Zwangsvollstreckung
19.104 Auch zur Duldung der Ersatzvornahme im Ausland kann der Schuldner im Inland verurteilt werden. Diese Duldung selbst ist eine unvertretbare Handlung bzw. Unterlassung und kann im Inland durch Beugezwang nach § 890 ZPO indirekt erzwungen werden, sofern die Handlung oder Unterlassung im Ausland nicht unzulässig ist.135 19.105 Lediglich die reale Duldung unter Zwangsanwendung im Ausland (durch Gewaltanwendung oder Ordnungshaft) kann nur von den Vollstreckungsorganen am Ort erzwungen werden. Das deutsche Gericht kann daher den Gläubiger nicht ermächtigen, einen Wirtschaftsprüfer zu beauftragen, um in Rom beim Schuldner Auszüge aus dessen Büchern zu fertigen.136 19.106 Ist ein ausländischer Titel auf Vornahme einer vertretbaren Handlung im Inland zu vollstrecken, so steht auch dann nur die Verurteilung zur Ersatzvornahme zur Verfügung (§ 887 ZPO), wenn im Ursprungsstaat eine direkte Vollstreckung durch Anordnung von Zwangsgeld oder Zwangshaft möglich ist.137 c) Vollstreckung unvertretbarer Handlungen oder Unterlassungen
19.107 Unstreitig kann der in den §§ 888, 890 ZPO vorgesehene Beugezwang zur Vornahme oder Unterlassung einer Handlung gegenüber einem ausländischen Beklagten auch im Inland angeordnet und vollstreckt werden. Hierin liegt kein Übergriff in die ausländische Hoheitsgewalt.138 In europäischen Fällen hat der Gläubiger die Wahl, ob er das Zwangsmittel im Ursprungsstaat festsetzen lässt und dies über Art. 55 EuGVO n.F. (Art. 49 EuGVO a.F./LugÜ) im Vollstreckungsstaat vollstreckt oder ob er den Nichtgeldleistungstitel vollstreckt und zu diesem Zweck im Vollstreckungsstaat das dort vorgesehene Zwangsmittel beantragt.139 Die Festsetzung des Zwangsgeldes im Ausland verstößt nicht gegen die Souveränität des späteren Vollstreckungsstaates.140 19.108 Auch bei der Vollstreckung ausländischer Titel ist § 888 III ZPO zu beachten, wonach eine Verurteilung zur Leistung von Diensten nicht vollstreckt werden kann.141 19.109 Zweifelhaft ist dagegen, ob das bei Zuwiderhandlung angedrohte und festgesetzte Zwangsgeld auch durch Vollstreckung in Auslandsvermögen beigetrieben werden kann. Da die Zwangsgeldanordnung Vollstreckungsmaßnahme ist, scheidet nach allgemeinen Regeln ihre Durchsetzung im Ausland aus. 135 OLG Stuttgart, ZZP 97 (1984), 487; B. Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 367; R. Geimer, IZPR, Rz. 3226 f, 3229; A.-K. Bitter, S. 166 ff.; a.A. OLG Düsseldorf, NJOZ 2004, 3377, 3379 (keine Anwendung von § 888 ZPO auf vertretbare Handlungen). 136 Geimer/Schütze/Safferling, IRV, Art. 16 EuGVÜ Rz. 27. 137 D. Wiedemann, Vollstreckbarkeit, S. 255 ff., 264. 138 OLG Hamburg, IPRspr. 2005, Nr. 177, S. 486; OLG Düsseldorf, NJOZ 2004, 3377, 3379 f.; OLG Köln, RIW 2003, 71; Soergel/Kronke, BGB, Art. 38 EGBGB Anh. Rz. 216. 139 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 55 Brüssel Ia-VO Rz. 8; A.-K. Bitter, S. 123 ff., 148 ff. 140 A.-K. Bitter, S. 174 ff. 141 Vgl. D. Wiedemann, Vollstreckbarkeit, 2017, S. 228, 275.
1174
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.112 § 19
Inwieweit hiervon Art. 55 EuGVO n.F. (Art. 49 EuGVO a.F./LugÜ) eine Ausnahme bildet, war streitig. Vorbild der Regelung ist Art. 7 des deutsch-niederländischen Vertrags von 1962. Dieser sieht ausdrücklich vor, dass deutsche Gerichte für eine entsprechende niederländische Entscheidung eine Vollstreckungsklausel erteilen, freilich erst, wenn die tatsächlich verwirkte Zwangssumme festgesetzt worden ist. Bei der Schaffung von Art. 43 EuGVÜ/LugÜ 1988 mag man an diese Regelung und die astreinte des französischen Rechts142 gedacht haben. Die Bestimmung spricht aber allgemein von „Zwangsgeld“ ohne Beschränkung auf das dem Gläubiger Zufließende.
19.110
Nach einer Ansicht soll die Bestimmung auf das deutsche Zwangsgeld nicht anzuwenden sein, weil es öffentlich-rechtlicher Art ist, dem Justizfiskus zufließt und dieser nicht im Ausland vollstrecken dürfe.143
19.111
Eine weitere Ansicht wollte den deutschen Titel im Ausland durch eine französische Astreinte-Anordnung ergänzen.144 Die Gegenansicht hält sich an den Wortlaut der Bestimmung und verweist darauf, dass andernfalls eine Gleichbehandlung der internationalen Handlungsvollstreckung in der EU nicht gewährleistet ist.145 Dieser Ansicht hat sich der BGH angeschlossen und ausdrücklich festgestellt, dass die Justizbeitreibungsordnung einer Vollstreckung des Ordnungsgeldes gem. § 890 ZPO im Ausland nicht entgegenstehe.146 Mit Urteil v. 18.10.2011 hat auch der EuGH bestätigt, dass ein deutscher Zwangsgeldbeschluss eine Entscheidung einer Zivil- und Handelssache i.S.d. Art. 2 lit. a EuGVO n.F. ist.147 In der FS Prütting tritt Schack dafür ein, dass der Gläubiger das Ordnungsgeld im Ausland als in gewillkürter Vollstreckungsstandschaft für die Staatskasse vollstrecken kann.148 d) Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung Schrifttum: U. P. Gruber, Das neue Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz, FamRZ 2005, 1603, 1609; K. Schulte-Bunert, Die Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung nach der VO (EG) 2201/2003 in Verbindung mit dem IntFamRVG, FamRZ 2007, 1608; A. Schulz, Das Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz, FamRZ 2011, 1273, 1278. 142 Vgl. E. du Rusquec, Astreintes, Juris Cl. Procédure Civile, Fasc. 2140 (1993); K. Kerameus, Essays in honor of A. v. Mehren, 2002, S. 107. 143 So B. Treibmann, S. 156 ff.; A. Bruns, ZZP 118 (2005), 3, 15. 144 Vgl. K. Kerameus, RdC 264 (1997), 181, 394 ff. 145 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 55 Brüssel Ia-VO Rz. 4; Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 49 EuGVO Rz. 2; Kropholler/v. Hein, Art. 49 EuGVO Rz. 1 (aE); W. Lindacher, FS Gaul, 1997, S. 399, 407. 146 BGHZ 185, 124 (Tz. 11 ff.) = NJW 2010, 1883 = IPRax 2012, 72 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 62). 147 EuGH – C-406/09, ECLI:EU:C:2011:668 – Realchemie = ZIP 2012, 344; dazu P. Mankowski, EWiR 2012, 85; St. Arnold, ZEuP 2012, 315; H. Schack, IZVR Rz. 1081; Wieczorek/Schütze/Haubold, Art. 55 Brüssel Ia-VO Rz. 6,7; vgl. R. Hall, FS Bornkamm, 2014, S. 1045. 148 H. Schack, FS Prütting, 2018, S. 773, 782 ff.
1175
19.112
§ 19 Rz. 19.113 | Internationale Zwangsvollstreckung
19.113 Eine inländische Umgangsentscheidung kann auch dann nach den §§ 88 ff. FamFG vollstreckt werden, wenn sich der Schuldner mit dem Kind im Ausland aufhält, aber das Kind Deutscher ist, sofern keine vorrangigen Übereinkommen eingreifen.149. 19.114 Entscheidungen aus EU-Staaten sind im Rahmen der Art. 28 ff., 41 f Brüssel IIa-VO im Inland unmittelbar vollstreckbar, und zwar gem. Art. 47 I Brüssel IIa-VO nach nationalem Recht, d.h. über §§ 1 Nr. 1, 10, 14 Nr. 2 IntFamRVG nach den §§ 86 f, 88 ff. FamFG, ergänzt durch § 44 IntFamRVG.150 Zu verhängen ist grundsätzlich Ordnungsgeld, nur hilfsweise Ordnungshaft (§ 89 I FamFG). Unmittelbarer Zwang darf nach § 90 FamFG nur angeordnet werden, wenn die Festsetzung von Ordnungsmitteln erfolglos geblieben ist, keinen Erfolg verspricht oder eine alsbaldige Vollstreckung unbedingt geboten ist. Nach § 87 II FamFG darf die Zustellung nur beginnen, wenn der Titel bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Diese Zustellung erfolgt entweder durch das erkennende Gericht oder den Vollstreckungsgläubiger. Da Titel auf Herausgabe oder Rückgabe eines Kindes von Amts wegen zu vollstrecken sind, genügt aber eine Zustellung durch das Vollstreckungsgericht.151 19.115 Nach der Neufassung der Brüssel IIa-VO durch die VO 2019/1111 (Brüssel IIb-VO) können ab 2022 alle Entscheidungen eines EU-Mitgliedstaates über die elterliche Verantwortung, die im Erlassstaat vollstreckbar sind, in den anderen Mitgliedstaaten unmittelbar vollstreckt werden (Art. 34 Brüssel IIb-VO). Vorzulegen sind nur eine Ausfertigung der Entscheidung und eine Bescheinigung des Erlassstaates über die Vollstreckbarkeit (Art. 35 Brüssel IIb-VO). Ordnungsgeld kann danach auch festgesetzt und vollstreckt werden, wenn die Handlung oder Unterlassung wegen Zeitablaufs nicht mehr durchgesetzt werden kann. e) Unterlassungsvollstreckung
19.116 Sieht man Ordnungsgeld und Ordnungshaft trotz ihres Namens nicht als Beugemittel, sondern als echte Strafen an, die nur bei Verschulden verhängt werden dürfen,152 so könnte das Zwangsgeld zwar im Fall des § 888 ZPO, nicht aber im Fall des § 890 ZPO im EU-Ausland beigetrieben werden. Eine solche Unterscheidung ist aber nicht sinnvoll. Von der dogmatischen Einordnung der Ordnungsmittel des § 890 ZPO sollte auch keine konkrete Lösung von Einzelfragen abhängen.153 Der Ordnungsmittelbeschluss ist daher als Zivil- und Handelssache i.S.d. EuGVO bzw. der EuVTVO anzusehen.154 149 BGH, FamRZ 2020, 272 (Ch. Gomille) = IPrax 2020, 145 (dazu H. Roth, S. 128) = FamRB 2020, 98 (M. Streicher); BGH, FamRZ 2015, 2147 (M. Giers) = IPRax 2019, 255 (dazu K. Siehr, S. 226). 150 OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1939 (K. Schweppe). 151 OLG Hamm, FamRZ 2018, 1938, 1941. 152 So wohl H. Schack, IZVR, Rz. 1083. 153 So auch Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 2010, § 73 III (S. 993); Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz. 55.47. 154 Vgl. BGHZ 185, 124 (Rz. 11 ff.) = NJW 2010, 1883 = IPRax 2012, 72 (dazu D.-Ch. Bittmann, S. 62).
1176
V. Die einzelnen Vollstreckungsarten | Rz. 19.122 § 19
Der deutsche Unterlassungstitel sollte daher im Ausland nach den dortigen Regeln, ein bereits festgesetztes deutsches Ordnungsgeld wie eine Geldforderung in Zivilsachen vollstreckt werden.155 Soweit die Durchsetzung auf das Inland beschränkt ist, bestehen keine Bedenken gegen die Festsetzung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft.156
19.117
Hat ein Gemeinschaftsmarkengericht zur Durchsetzung des Verbots von Verletzungshand-lungen ein Zwangsgeld verhängt, so hat dieses Verbot EU-weite Wirkung und ist in jedem EU-Mitgliedstaat nach nationalem Recht zu vollstrecken. Kennt ein EU-Mitgliedstaat kein Zwangsgeld, so muss dieser Staat eine gleichwertige Maßnahme veranlassen, die die Befolgung des Verbots gewährleistet.157
19.118
f) Schadenersatz wegen Nichterfüllung Bleibt die Handlungs- bzw. Unterlassungsvollstreckung erfolglos, kann dem Gläubiger ein Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung zustehen. Nach § 893 II ZPO ist dieser vor dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen. Nach § 802 ZPO handelt es sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand, doch gilt dies nur im nationalen Rahmen. Auf § 893 II ZPO kann daher zwar eine internationale Entscheidungszuständigkeit gestützt werden,158 doch hat diese keinen ausschließlichen Charakter.159
19.119
6. Grenzüberschreitende Gläubigeranfechtung Die internationale Zuständigkeit für die Gläubigeranfechtungsklage richtet sich nach allgemeinen Regeln, auch soweit es sich um die Rückgewähr eines anfechtbar übertragenen Grundstückes handelt; weder Art. 24 Nr. 1 EuGVO n.F. (Art. 22 Nr. 1 EuGVO a.F./LugÜ) noch § 24 ZPO greifen insoweit ein.160
19.120
Nach welcher Rechtsordnung Voraussetzungen und Wirkungen der Gläubigeranfechtung zu beurteilen sind, ist streitig.
19.121
Der BGH hat auf die Rechtsordnung abgestellt, der der zu befriedigende Anspruch untersteht.161 Diese Anknüpfung führt zu unterschiedlichen Lösungen, je nachdem, welchem Recht der nicht befriedigte Anspruch untersteht. Aus der Sicht des Leistungsempfän155 So auch BGH, RIW 2010, 328 = ZZP 124 (2011), 123 (Rz. 18). 156 BGH, RIW 2010, 328 = ZZP 124 (2011), 123, 125; dazu M. Heese, ZZP 124 (2011), 73, 75 ff. 157 EuGH – C-235/09, ECLI:EU:C:2011:238 – DHL Express France SAS v Chronopost SA = IPRax 2012, 531 (dazu M. Grünberger, S. 500). 158 BGH, NJW 1997, 2245. 159 G. Vollkommer, IPRax 1997, 323, 325; Geimer in Zöller, ZPO, IZPR, Rz. 40; R. Geimer, IZPR, Rz. 877, 1283; a.A. BGH, NJW 1997, 2245. 160 Vgl. OLG Düsseldorf, IPRax 2000, 534, 536 (dazu S. Kubis, S. 501). 161 BGHZ 78, 318 = NJW 1981, 522 = IPRax 1981, 130 (dazu B. Großfeld, S. 116); vgl. auch LG Berlin, IPRax 1995, 323 (dazu G. Hohloch, S. 307).
1177
19.122
§ 19 Rz. 19.122 | Internationale Zwangsvollstreckung
gers sollte dagegen ein einheitlicher Maßstab gelten. Deshalb ist auf das Sachstatut abzustellen, nach dem die anzufechtende Rechtshandlung vorgenommen wurde.162
19.123 Denkbar ist auch die Anknüpfung an das Recht des Staats, in dem die Vollstreckungschancen vereitelt wurden. Geboten ist einerseits ein Gleichlauf mit der Insolvenzanfechtung. Andererseits ist möglicherweise eine Zerlegung in Teilfragen geboten. Ob wegen einer unbefriedigten Forderung Gläubigeranfechtung zulässig ist, sollte danach dem Forderungsstatut entnommen werden, die Anfechtungsgründe und Fristen dagegen dem Recht des Verfügungsstaats.163 19.124 Gesetzlich geregelt ist das internationale Anfechtungsrecht durch das EGInsO, dessen Regelung zum 1.1.1999 in Kraft getreten ist. § 19 AnfG164 lautet danach: „Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung ist für die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung das Recht maßgebend, dem die Wirkungen der Rechtshandlung unterliegen.“
VI. Zwangsvollstreckung im Ausland 19.125
– Dänemark: G. Rump Christensen, Is the system of civil enforcement up-to-date? Trends of development and review in Denmark, RHDI 50 (1997), 521. – England: N. Andrews/R. Turner, The system of enforcement of civil judgments in England in van Rhee/Uzelac, Enforcement and enforceability, 2010, S. 127; Baur/ Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006, Rz. 59.34 ff.; J. Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, 2. Aufl. 2005; A. Grothaus, Die englische Zwangsvollstreckung und der Schutz der Familie, 1999; B. Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998; W. Kennett, The Enforcement Review: A Progress Report, C.J.Q. 20 (2001), 36. – Finnland: R. Konlu, Enforcement in Finland, RHDI 50 (1997), 537. – Frankreich: Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006, Rz. 59.1 ff.; C. Burkardt, Der Schutz der Familie in der französischen Zwangsvollstreckung, 1996; M. Chardon, Enforcement in France, in van Rhee/Uzelac, Enforcement and Enforceability, 2010, S. 147. – Griechenland: G. Frangou, Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Griechenland, 2016.
162 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard Zwangsvollstreckungsrecht, § 35 Rz. 159; J. SchmidtRäntsch, Die Anknüpfung der Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens, 1984. 163 H. Schack, IZVR, Rz. 1101 ff. 164 Vgl. M. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Aufl. 2016.
1178
VI. Zwangsvollstreckung im Ausland | Rz. 19.125 § 19
– Italien: Baur/Stürner/Bruns, Rz. 59.57 ff.; E. Silvestri, The devil is in the detail: Remarks on Italian enforcement procedures, in van Rhee/Uzelac, Enforcement and Enforceability, 2010, S. 207. – Österreich: Baur/Stürner/Bruns, Rz. 59.142 ff.; W. Buchegger/K. Markowetz, Exekutionsrecht, 2014; W. Rechberger/P. Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009; M. Roth, Exekutions- und Insolvenzrecht, 10. Aufl. 2016. – Polen: J. Schlichte, Die Grundlage der Zwangsvollstreckung im polnischen Recht, 2005. – Russland: V. Yarkov V. Abolonin, Enforcement in Russia, in van Rhee/Uzelac, Enforcement and Enforceability, 2010, S. 217. – Schweden: U. Jacobsson, Enforcement proceedings in Sweden, RHDI 50 (1997), 483. – Schweiz: Baur/Stürner/Bruns, Rz. 59.126 ff.; D. Hunkeler, SchKG, 2. Aufl. 2014; J. Kren Kostkiewicz, SchKG, 19. Aufl. 2016. – Spanien: Baur/Stürner/Bruns, Rz. 59.70 ff. – USA: Baur/Stürner/Bruns, Rz. 59.103 ff.; N. Koritz, Zwangsvollstreckung deutscher Forderungen und Urteile in den USA – eine immer noch (fast) unendliche Geschichte, FPR 2013, 391; N. Pajic, Avenues for Enforcement and execution of judgements in the United States in van Rhee/Uzelac, Enforcement and enforceability, 2010, S. 237.
1179
§ 20 Internationales Insolvenzrecht I. Allgemeine Grundfragen . . . . . . 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Recht . . . . . . . . . . . b) Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . c) UNCITRAL Model Law . . . . . . . d) Sonstige Regelwerke . . . . . . . . . . . 3. Universalitätsprinzip . . . . . . . . . a) Universalitätsgrundsatz . . . . . . . . b) Beschränkte Universalität . . . . . . c) Territorialitätsgrundsatz . . . . . . . 4. Lex fori concursus . . . . . . . . . . . . 5. Konzerninsolvenzen . . . . . . . . . . 6. Anerkennung ausländischer Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Automatische Anerkennung . . . . b) Formelle Anerkennung . . . . . . . . 7. Vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland . . . . . . . . . . . 1. Internationale Zuständigkeit . . a) Internationale Zuständigkeit für Hauptinsolvenzverfahren . . . . . . b) Für Sekundär- und Partikularverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nach europäischem Recht . . (2) Nach deutschem Recht . . . . . c) Internationale Zuständigkeit für Annexverfahren . . . . . . . . . . . . . . 2. Eröffnungsverfahren und Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . a) Insolvenzfähigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Antragsbefugnis und Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . d) Öffentliche Bekanntmachungen . e) Beschlagnahme des Vermögens . f) Befugnisse der Insolvenzverwalter g) Prozessunterbrechung . . . . . . . . . h) Prozessführung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1180
20.1 20.1 20.2 20.2 20.12 20.13 20.14 20.17 20.17 20.19 20.20 20.22 20.25 20.29 20.29 20.32 20.36 20.37 20.37 20.39 20.55 20.56 20.66 20.70 20.79 20.79 20.80 20.81 20.84 20.88 20.90 20.95 20.98
3. Abwicklung grenzüberschreitender Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 20.100 a) Forderungsanmeldung . . . . . . . . . 20.101 b) Verwertung ausländischen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.104 c) Zusammenarbeit zwischen Insolvenzverwaltern . . . . . . . . . . . . . . . 20.112 d) Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.115 e) Insolvenzplan/Sanierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.118 f) Verfahrensbeendigung . . . . . . . . . 20.120 g) Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . 20.121 III. Insolvenzkollisionsrecht . . . . . . 20.125 1. Allgemeines Schrifttum . . . . . . . 20.125 2. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.126 3. Verträge in der Insolvenz . . . . . 20.128 4. Dingliche Rechte und Sicherungsrechte in der Insolvenz . . 20.129 5. Aufrechnung in der Insolvenz . 20.135 6. Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . 20.139 7. Insolvenzarbeitsrecht . . . . . . . . . 20.142 8. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . 20.146 9. Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . 20.147 10. Insolvenzverschleppungshaftung, Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.149 IV. Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . 20.151 1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.151 2. Europäisches Insolvenzrecht . . 20.152 a) Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . 20.152 b) Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.153 c) Beendigung des Verfahrens . . . . 20.163 d) Insolvenzplan und Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.164 e) Anerkennung von Annexentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.168 3. Anerkennung nach autonomem deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . 20.169 a) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.169
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 20.1 § 20 b) Anerkennungsvoraussetzungen . 20.170 c) Folgen der Anerkennung . . . . . . . 20.171 d) Vollstreckung ausländischer Insolvenzentscheidungen . . . . . . . . . . . 20.174 4. Auslandswirkung des deutschen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . 20.175 V. Sonderbereiche . . . . . . . . . . . . . . . 20.176
1. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bankeninsolvenz . . . . . . . . . . . . . 3. Versicherungsinsolvenz . . . . . . . VI. Ausländisches Insolvenzrecht . .
20.176 20.177 20.183 20.184
I. Allgemeine Grundfragen 1. Schrifttum O. Benning, Internationale Prinzipien für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren, 2013; R. Bork, Principles of Cross-Border Insolvency Law, 2017; R. Bork, Prinzipien des Internationalen Insolvenzrechts, FS Prütting, 2018, S. 613; R. Bork, Die Europäische Insolvenzverordnung und das UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency in Hess, Europäisches Insolvenzrecht ..., 2019, S. 1; S. Clavora/Th. Garber, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt, 2011; S. Franken, Cross-Border Insolvency Law: A Comparative Institutional Analysis, Oxford Journal of Legal Studies 34 (2014), 97; R. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (14. Teil), 7. Aufl. 2015, S. 1303; P. Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 1997; P. Gottwald, Insolvenzrechtliche Annexverfahren im Verhältnis Deutschland – Schweiz, FS I. Meier, 2015, S. 249; Gottwald/Kolmann/Keller, Insolvenzrechts-Handbuch (§§ 128–134), 6. Aufl. 2020; B. Heß, Europäisches Zivilprozessrecht (§ 9), 2010, S. 493; B. Hess/G. Koutsoukou, Internationales Insolvenzrecht, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht (Teil O), 2. Aufl. 2017, 1949; J. Holzer, Grundzüge des internationalen Insolvenzrechts, in Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gierl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht (Kap. 12), 7. Aufl. 2015; P. Kindler/J. Nachmann, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, 5. Aufl. 2020; P. Leonhardt/St. Smid/M. Zeuner, Internationales Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2012; A. Markus, Ohne Hilfskonkurs – ein Paradigmenwechsel im internationalen Insolvenzrecht der Schweiz, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 221; W. McBryde/A. Flessner/S. Kortmann, Principles of European Insolvency Law, 2003; G. McCormack/A. Keay/S. Brown, European Insolvency Law, 2017; I. Merovach, The Future of Cross-Border Insolvency: Overcoming Biases and Closing Gaps, 2018; P. Oberhammer, Internationales Insolvenzrecht: Status quound Perspektiven in Gottwald/Hess, Procedural Justice, 2014, S. 1; P. Omar, International Insolvency Law: Themes and Perspectives, 2008; P. Omar, International Insolvency Law: Reforms and Challenges, 2013; Ch. Paulus, Globale Grundsätze für die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Insolvenzen und globale Richtlinien für die gerichtliche Kommunikation, RIW 2014, 194; H. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (§§ 23–27), 7. Aufl. 2017, S. 416; D. Trautmann/J. Westbrook/E. Gaillard, Four models for international bankruptcy, AmJCompL 41 (1993), 573; H. Vallender, Mediation in nationalen und grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, FS Prütting, 2018, S. 897; B. Wessels, International Insolvency Law, 3rd ed. 2012; B. Wessels/B. Markell/J. Kilborn, International Cooperation in Bankruptcy and Insolvency Matters, 2009; J. Westbrook/Ch. Booth/Ch. Paulus/H. Rajak, A global view of business insolvency systems, 2010; L. Westphal/U. Götker/J. Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 2008; Ph. Wood, Principles of International Insolvency, 3rd ed. 2015.
1181
20.1
§ 20 Rz. 20.2 | Internationales Insolvenzrecht
2. Rechtsgrundlagen a) Europäisches Recht
20.2 Zur EuInsVO 2015: R. Bork/K. van Zwieten, Commentary on the European Insolvency Regu-
20.3
lation, 2016; E. Braun, Insolvenzordnung (InsO), 7. Aufl. 2017, S. 1641; M. Brinkmann, Von unwiderleglichen widerleglichen Vermutungen im Internationalen Insolvenzrecht, FS Prütting, 2018, S. 627; M. Brinkmann, European Insolvency Regulation, 2019; D. F. Fritz, Die Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung: Erleichterung der Restrukturierung in grenzüberschreitenden Fällen?, DB 2015, 1882 u. 1945; F. Garcimartín, The EU Insolvency Regulation Recast: Scope, Jurisdiction and Applicable Law, ZEuP 2015, 694; G. Moss/I. Fletcher/St. Isaacs, Commentary on Council Regulation on Insolvency Proceedings, 3rd ed. 2017; B. Hess/G. Koutsoukou, Internationales Insolvenzrecht in Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, 2. Aufl. 2017, S. 1949; B. Hess/P. Oberhammer/St. Bariatti/Ch. Koller/B. Laukemann/M. Requejo Isidro/F. Villata, The Implementation of the New Insolvency Regulation: Improving Cooperation and Mutual Trust, 2017; A. Konecny, EuInsVO 2015 und der Schuldner in Eigenverwaltung, FS Prütting, 2018, S. 685; P. Mankowski/M. Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 2016; P. Mayr/A. Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts (17. Kap.), 2017, S. 973; G. Moss/I. Fletcher, The EU Regulation on Insolvency Proceedings, 3rd ed. 2017; G. Moss/B. Wessels, EU Banking and Insurance Insolvency, 2nd ed. 2017; MünchKomm/InsO, Bd 4: EuInsVO 2015, Art. 102a-102c EGInsO, 4. Aufl. 2020; B. Nunner-Krautgasser/Th. Garber/C. Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt, 2017; J. Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Ch. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017; A. Schmidt, EuInsVO 2019; Ch. Thole, Die Reform der Europäischen Insolvenzverordnung, ZEuP 2014, 39; H. Vallender, EuInsVO, 2. Aufl. 2020; K. Wimmer/A. Bornemann/M. Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, 2016; Wimmer/ Wenner/Schuster, EuInsVO 2017, in FK-InsO, 9. Aufl. 2018, S. 3447. Zum deutschen Durchführungsgesetz: St. Madaus, As simple as it can be? – Anregungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (BT-Drucks. 18/10823), NZI 2017, 203. Zur EuInsVO 2000: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2016; I. v. Boehmer, (Deutsches) Internationales Insolvenzrecht im Umbruch, Diss. Göttingen 2006; H.-Ch. Duursma-Kepplinger/D. Duursma/E. Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, 2002; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, S. 1192; P. Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht – ein noch junges Rechtsgebiet, in Roth, Europäisierung des Rechts, 2010, S. 53; Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Undritz, EuInsVO, 3. Aufl. 2009, S. 2089; Hass/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung, 2005; J. Haubold, Europäische Insolvenzverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 32, 2. Aufl. 2010, S. 1845; B. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 493; U. Huber, Inländische Insolvenzverfahren über Auslandsgesellschaften nach der Europäischen Insolvenzverordnung, FS W. Gerhardt, 2004, S. 397; Jauch/Vallender/Dahl, European Insolvency Law, 2012; G. Kayser/Ch. Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl. 2016; P. Mankowski, Europäisches Internationales Insolvenzrecht, Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, Kap. 47, S. 1467; P. Mankowski, Internationale Nachlassinsolvenzverfahren, ZIP 2011, 1501; P. Mankowski, Der ordre public im europäischen und im deutschen Internationalen Insolvenzrecht, KTS 2011, 185; I. Merorach, European Insolvency Law in a Global Context, JBL 7 (2011), 660; G. Moss/I. Fletcher/St. Isaacs, On the EU Regulation on Insolvency Proceedings, 3rd ed. 2016; Kindler in MünchKomm/BGB, Bd. 11, 6. Aufl. 2015, IntInsR, S. 711; Münchener Kommentar zur InsO/Reinhart u. Thole, Bd. 4, 3. Aufl. 2016, S. 1–336; P. Oberhammer, Von der EuInsVO zum europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 27; K. Pannen, Europäische Insolvenzverordnung, 2007; C. Pinterich/R. Pröbsting, Europäisches Insolvenzrecht, 2011; Rauscher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, Bd II, 4. Aufl. 2015, S. 1061; Ph. Reuss, „Forum shopping“ in der Insolvenz, 2011; St. Smid,
1182
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 20.7 § 20 Europäisches Internationales Insolvenzrecht, Wien 2002; M. Virgos/F. Garcimartín, The European Insolvency Regulation: Law and Practice, 2004; J. Thieme, Rom I und Insolvenzverträge, FS v Hoffmann, 2011, S. 483; Ch. Thole, Vertragsgestaltung im Schatten des Insolvenzrechts – Prolegomena zu einer Systematik der insolvenzbezogenen Verträge, KTS 2010, 383; Ch. Thole, Die Anerkennung von (außerinsolvenzlichen) Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren im Europäischen Verfahrensrecht, FS Simotta, 2012, S. 613; Ch. Thole, Insolvenzverfahren, in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2014, S. 873; H. Vallender/S.-H. Undritz/G. Stephan, Praxis des Insolvenzrechts (Kap. 15 Internationales Insolvenzrecht), 2012, S. 912.
Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sind heute im zunehmenden Maße grenzüberschreitender Natur. Bricht ein international tätiges Unternehmen zusammen, ist eine wirtschaftlich sinnvolle Abwicklung oder Sanierung nur möglich, wenn die beteiligten Staaten nach aufeinander abgestimmten Regeln vorgehen. Das gilt weltweit, ganz besonders aber in der EU als einem echten Binnenmarkt. Ohne eine Koordinierung der Abwicklung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen ist der Binnenmarkt noch nicht vollendet. Ein erster Entwurf eines Europäischen Konkursübereinkommens von 1980 ging von einem europäischen Einheitsverfahren aus. Den Unterschieden im materiellen Recht sollte durch die Bildung rechnerischer Untermassen Rechnung getragen werden. Obwohl die Unternehmen ja selbst auch mit einem von Staat zu Staat verschiedenen Rechnungswesen (territorial begrenzten Buchführungen, also ständigen Untermassen) arbeiten, erschien dieses Modell als zu schwierig.1 Vor allem wurde befürchtet, dass der Schutz nationaler Gläubiger dabei zu kurz kommen würde.
20.4
Das Istanbuler Europäische Übereinkommen über bestimmte internationale Aspekte des Konkurses v. 5.6.19902 enthielt bereits die heutige Kompromisslösung der sog. beschränkten Universalität.3 Ein Insolvenzverfahren sollte generell universale Wirkung haben, auf Antrag sollte aber aus Gründen der Praktikabilität oder des Schutzes nationaler (bevorrechtigter) Gläubiger ein (national begrenztes) Sekundärverfahren eröffnet werden können.
20.5
Erst nachdem die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit dem Vertrag von Amsterdam v. 2.10.1997 Gemeinschaftsaufgabe geworden war, konnte die Europäische Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 29.5.20004 (EuInsVO a.F.) verabschiedet werden. Am 20.5.2015 ist mit der Verordnung (EU) Nr. 2015/848 eine Neufassung der EuInsVO erlassen worden,5 die seit dem 26.6.2017 gilt.
20.6
Die EuInsVO gilt in allen EU-Mitgliedstaaten (außer Dänemark). Nach Art. 67 Abs. 3 lit. c des Austrittsabkommens v. 24.1.20206 zwischen der EU und Großbritannien
20.7
1 Vgl. H. Schack, IZVR, Rz. 1148 („hoffnungslos kompliziert“). 2 Abgedruckt bei K. Wimmer, FK-InsO, 7. Aufl. 2013, Anh. 5 nach § 358 (nicht in neueren Auflagen). 3 Vgl. I. Metzger, Die Umsetzung des Istanbuler Konkursübereinkommens, 1994; St. Kolmann, Kooperationsmodelle im internationalen Insolvenzrecht, 2001, S. 63 ff. 4 ABl. EG 2000 Nr. L 160/1. 5 ABl. EU 2015 Nr. L 141/19. 6 ABl. EU 2020 Nr. L 29/7.
1183
§ 20 Rz. 20.7 | Internationales Insolvenzrecht
gilt die EuInsVO auch im Verhältnis zu Großbritannien für alle Insolvenzverfahren, die bis zum Ende der Übergangsphase, die bis 31.12.2020 dauert, eröffnet werden. Nach h.M. gilt sie nur für die Beziehungen innerhalb der EU, nicht dagegen für den Auslandsbezug zu einem Drittstaat.7
20.8 Auf der Grundlage dieser Verordnungen besteht in der EU seit 31.5.2002 ein einheitliches Recht für die grenzüberschreitende Abwicklung von Insolvenzverfahren. Insolvenzverfahren in diesem Sinne sind nur die in Anhang A zu Art. 2 Nr. 4 EuInsVO 2015 aufgeführten Verfahren. Wird in einem EU-Mitgliedstaat ein anderes Liquidations- oder Sanierungsverfahren eröffnet, findet nicht die EuInsVO, sondern das autonome internationale (Insolvenz-)Recht Anwendung.8 20.9 Außergerichtliche Vergleichsverträge (zur Sanierung eines Unternehmens) im Vorfeld der Insolvenz werden von der EuInsVO nicht erfasst; als Schuldverträge fallen sie unter die Rom I-VO.9 Gemäß der Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/1023 v. 20.6.2019 müssen die EU-Mitgliedstaaten ein präventives Entschuldungsverfahren noch vor Eintritt der Insolvenz einführen (s. Rz. 20.36). Wie dies in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten aussehen wird, ist derzeit noch offen. 20.10 Der deutsche Gesetzgeber hat zur EuInsVO Durchführungsregeln in Art. 102 EGInsO erlassen.10 20.11 Die EuInsVO 2015 gilt nach Art. 1 II nicht für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, die Finanzdienstleistungen erbringen, sowie von Versicherungsunternehmen. Insoweit gelten besondere Richtlinien und Verordnungen. Für alle diese Unternehmen gibt es nur eine einheitliche Abwicklung im Sitzstaat; Sekundärverfahren sind ausgeschlossen. Auch eine 100%ige Tochter eines Kreditinstituts mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat ist nur in dem eigenen Sitzstaat abzuwickeln.11 b) Deutsches Recht
20.12 Schrifttum: F. Cranshaw/Ch. Paulus/N. Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht,
Bd. 2, 3. Aufl. 2016, S. 2556; O. Liersch, Deutsches Internationales Insolvenzrecht, NZI 2003, 302; D. Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts, 2004; Ch. Paulus, Deutsches Internationales Insolvenzrecht (§§ 335 ff. InsO und Art. 102 EGInsO), in Kölner Schrift zum Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2009, Kap. 46, S. 1430; St. Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht, 2004. 7 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 1 EuInsVO Rz. 25 ff.; a.A. Rauscher/Mäsch, (2015) Art. 1 EG-InsVO Rz. 15 f. (wenn ein Unternehmen mit Satzungssitz in einem Drittstaat den realen Sitz in einem EU-Mitgliedstaat hat). 8 LAG Düsseldorf, NZI 2011, 874 (P. Mankowski); vgl. P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 9. 9 J. Thieme, FS v. Hoffmann, 2011, S. 483; Ch. Thole, FS Simotta, 2012, S. 613, 617. 10 Vgl. F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2016, § 335 InsO Rz. 13 ff.; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 104 ff. 11 Vgl. J. Kroh, Aufrechnung im Rahmen der Insolvenzverfahren zweier Kreditinstitute mit Sitz in verschiedenen EWR-Staaten, ZEuP 2014, 426.
1184
I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 20.13 § 20
Die §§ 335 ff. InsO finden nur dann Anwendung, wenn das Insolvenzverfahren neben Deutschland nur Drittstaaten, also Staaten außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO, betrifft.12 Das autonome deutsche Recht ist inhaltlich weitgehend parallel zur EuInsVO ausgestaltet, doch ist die Zusammenarbeit mit Drittstaaten förmlicher geordnet,13 insb bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Insolvenzentscheidungen (s. § 353 InsO). c) UNCITRAL Model Law Schrifttum: O. Benning, Internationale Prinzipien für grenzüberschreitende Insolvenzen, 2013; R. Bork, The European Insolvency Regulation and the UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency, IInsolRev 26 (2017), 246; I. Fletcher, Insolvency in private international law, 2nd ed. 2007; L. Ch. Ho, Cross-Border Insolvency: A commentary on the UNCITRAL Model Law, 4th ed. 2017; S. C. Mohan, Cross-border Insolvency Problems: Is the UNCITRAL Model Law the Answer? IInsRev 21 (2012), 199; K. Wimmer, Die UNCITRALModellbestimmungen über grenzüberschreitende Insolvenzen, ZIP 1997, 2220.
Das UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency14 wurde am 15.12.1997 von der UN-Vollversammlung verabschiedet und allen Mitgliedstaaten zur Übernahme empfohlen. Eine Reihe wichtiger deutscher Handelspartner hat dies seither getan, etwa Argentinien, Australien, Japan, Kanada, Korea, Mexiko, Neuseeland, Südafrika und die USA15, so dass eine Kenntnis dieses Model Law in internationalen Fällen häufig unerlässlich ist.16 Auch England hat das Model Law im Verhältnis zu Drittstaaten übernommen. Ergänzt wurde das Model Law am 2.12.2004 durch den Legislative Guide on Insolvency Law17 und am 16.12.2009 um den UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation.18 . Schließlich hat das UNCITRAL Sekretariat am 13.9.2012 eine „Note“ über „Interpretation and application of selected concepts of the UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency relating to centre of main interests (COMI)“ vorgelegt.19 Zur Regelung von Konzerninsolvenzen wurde der Legislative Guide von 2004 am 6.12.2010 durch einen „Part three adressing the treatment of enterprise groups in insolvency“20 sowie ergänzt. Inzwischen liegt ein endgültiger Entwurf eines Model Law on Enterprise Group Insolvency vor.21
12 Beck/Depré/Kammel, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 38 Rz. 23; Reinhart in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. Vor §§ 335 ff. InsO Rz. 3. 13 F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, § 335 Rz. 29, 32, 35. 14 Text in ZIP 1997, 2224. 15 S. J. Howell, International Insolvency Law, 42 Int. Lawyer 113 (2008). 16 Vgl. Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 133 Rz. 7 ff.; FA-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 66a ff. 17 Resolution 59/40; vgl. FA-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 79 ff. 18 Resolution 64/112 (A/RES/64/112). 19 A/CN.9/WG.V/WP.107. 20 Resolution 65/24 (A/RES/65/24); vgl. FAK-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 82 ff. 21 Report of the working group V (insolvency law), A/CN.9/972; Draft guide to enactment, A/CN.9WG.V/WP.165; vgl. J. Holzer, NZI 2019, 777.
1185
20.13
§ 20 Rz. 20.13 | Internationales Insolvenzrecht
Ergänzt wird das Regelwerk durch das UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Jugdements vom 2.7.2018. d) Sonstige Regelwerke
20.14 Der deutsch-österreichische Konkursvertrag v. 25.5.1979 ist ab dem 31.5.2002 vollständig durch die EuInsVO ersetzt worden. Gleiches gilt für den deutsch-niederländischen Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen v. 30.8.1962 (s. Rz. 15.175). 20.15 Bayern und Württemberg haben im 19. Jahrhundert mit Schweizer Kantonen Konkursverträge abgeschlossen. Ob diese Verträge noch fortgelten oder nicht, ist umstritten.22 Inhaltlich haben sie jedenfalls keine größere Bedeutung. 20.16 Für international tätige Unternehmen sind auch die Verträge von Montevideo von 1940 zwischen einigen südamerikanischen Staaten, das Nordische Konkursübereinkommen zwischen den skandinavischen Staaten, das NAFTA-Übereinkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko und der afrikanische Uniform Act Organizing Collective Proceedings for Wiping Off Debts (OHADA) von Relevanz. 3. Universalitätsprinzip a) Universalitätsgrundsatz
20.17 Da sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen Vermögen nicht nur in einem Staat, sondern oft in vielen Staaten verstreut besitzen, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Ansicht durchgesetzt, dass das Vermögen als wirtschaftliche Einheit grds. auch in einem Verfahren durch einen Verwalter effizient abgewickelt werden sollte. Dieses Verfahren sollte weltweite Wirkung haben, Gläubiger aus allen Staaten sollten daran gleichberechtigt teilnehmen können und gleichberechtigt befriedigt werden.23 Die EuInsVO, das deutsche Recht, das UNCITRAL-Modellgesetz, aber auch die meisten anderen modernen Insolvenzrechte folgen inzwischen im Ansatz dem Universalitätsprinzip.
20.18 Der einzelne Gesetzgeber kann die universelle Wirkung aber nur anstreben. Tatsächlich tritt sie nur ein, soweit das Ausland diese Wirkung akzeptiert, das Verfahren anerkennt und insb dem im Ausland bestellten Verwalter volle Handlungsbefugnis im Inland einräumt. b) Beschränkte Universalität
20.19 Nachteil eines strikten Universalitätsprinzips ist, dass kleinere und mittlere Gläubiger ihre Forderungen ggf. in einem weit entfernten Ausland in fremder Sprache an22 Dafür Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 133 Rz. 23 ff.; dagegen Reinhart in MünchKomm/InsO, Vor §§ 335 ff. InsO Rz. 73. 23 R. Geimer, IZPR, Rz. 3382 f.; B. Heß, IZPR, § 9 Rz. 2; H. Schack, IZVR, Rz. 1144.
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I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 20.22 § 20
melden, feststellen lassen und mit unverhältnismäßigen Kosten an dem ausländischen Verfahren teilnehmen müssen.24 Zu ihrem Schutz wird die Universalität deshalb meist eingeschränkt und die Möglichkeit national begrenzter Sekundär- oder Partikularverfahren zugelassen (s. Art. 3 II, 34 ff. EuInsVO 2015; §§ 354 ff. InsO). Da es aber darum geht, ein einheitliches Unternehmen sinnvoll abzuwickeln oder zu sanieren, sollten diese Verfahren nicht isoliert voneinander betrieben werden, sondern in aufeinander abgestimmter, koordinierter Weise ablaufen (s. Rz. 20.54 ff., 20.106 f.).25 Vielfach werden Sekundärverfahren allerdings nicht aus rein praktischen Gründen eröffnet, sondern um Vorzugsrechte für nationale Gläubiger durchzusetzen.26 Dem Schutz der nationalen Gläubiger stehen freilich erhöhte Kosten (für Gerichte und mehrere Verwalter) und die Schwierigkeiten eines wirtschaftlich effizienten einheitlichen, zumindest eines koordinierten Vorgehens (s. Art. 41 ff. EuInsVO 2015; § 357 f InsO) gegenüber,27 nicht zuletzt weil die nationalen Verfahren teilweise unterschiedliche Ziele verfolgen.28 Zwischen diesen Vor- und Nachteilen ist im Einzelfall abzuwägen. Ggf. kann ein Sekundärverfahren auch durch Zusicherung an die ausländischen Gläubiger vermieden werden (s. Rz. 20.60). c) Territorialitätsgrundsatz Eine Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen nach dem Territorialitätsprinzip, bei dem jedes in einem Staat belegene Vermögen unabhängig von seiner grenzüberschreitenden Nutzung selbständig, unabhängig und unkoordiniert verwertet wird, kann den Anforderungen an eine wirtschaftlich sinnvolle, effiziente Insolvenzabwicklung dagegen kaum gerecht werden und verhindert praktisch jede Sanierung eines international tätigen Unternehmens.
20.20
Das Schweizer Recht verlangte bisher für die Abwicklung des in der Schweiz belegenen Vermögens des Schuldners die Eröffnung eines Hilfskonkurses.29 Nach Art. 174a revIPRG 2018 bedarf es nach wie vor einer formellen Anerkennung eines Auslandskonkurses, doch kann jetzt auf ein Schweizer Hilfsverfahren verzichtet werden.30
20.21
4. Lex fori concursus Die gleichen Gründe, die eine Universalität des Verfahrens nahelegen, gebieten praktisch auch eine einheitliche Durchführung des Insolvenzverfahrens prinzipiell nach der jeweiligen lex fori concursus. Jeder nationale Amtsträger (sei es Richter, Rechtspfleger, Insolvenzverwalter), aber auch die Parteien und ihre Vertreter sind nur mit
24 F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, § 335 InsO Rz. 3; R. Geimer, IZPR, Rz. 3394 f.; H. Schack, IZVR, Rz. 1147. 25 FA-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 20 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, Vor Art. 1 EuInsVO Rz. 14. 26 Krit R. Geimer, IZPR, Rz. 3384. 27 Vgl. R. Geimer, IZPR, Rz. 3393; B. Hess, IZPR § 9 Rz. 3. 28 B. Hess, EuZPR § 9 Rz. 4. 29 Krit. P. Gottwald, FS I. Meier, 2015, S. 249. 30 A. Markus, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 221.
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20.22
§ 20 Rz. 20.22 | Internationales Insolvenzrecht
dem eigenen nationalen Verfahrensrecht vertraut; eine Abwicklung nach von Fall zu Fall unterschiedlichen Verfahrensordnungen wäre praktisch nicht möglich.31 Das Prinzip der lex fori concursus liegt der EuInsVO (Art. 7), aber auch dem autonomem deutschen Recht (§ 335 InsO) zugrunde.
20.23 Da Voraussetzungen und Folgen eines Insolvenzverfahrens zwingendes (öffentliches) Recht sind, scheidet eine direkte Parteidisposition über die anwendbare lex fori concursus aus.32 Durch Wohnsitz-/Sitzverlegung im Vorfeld der Insolvenz kann aber ggf. die Anwendung eines günstigeren Insolvenzrechts erreicht werden (sog forum shopping). 20.24 Das lex fori-Prinzip findet seine Grenzen aber darin, dass die nationalen materiellen Rechte (Kreditsicherheiten, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht usf) nicht vereinheitlicht sind und ein danach erworbenes Recht geschützt werden muss und nicht durch die (zufällige) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen Staat zerstört werden darf. Soweit das Insolvenzrecht auch in materielle Rechte eingreift, sehen deshalb alle Insolvenzrechte erhebliche Ausnahmen vom lex fori-Prinzip vor (s. Art. 8– 17 EuInsVO; §§ 349–352 InsO). 5. Konzerninsolvenzen
20.25 Schrifttum: M. Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, 2012; St. Deyda, Der
Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht, 2008; H. Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen, ZHR 169 (2005), 528; Th. Himmer, Das europäische Konzerninsolvenzrecht nach der reformierten EuInsVO, 2019; H. Hirte, Sechs Thesen zur Kodifikation der Konzerninsolvenz in der EuInsVO, ZInsO 2011, 1788; J. Holzer, Die Empfehlungen der UNCITRAL zum nationalen und internationalen Konzerninsolvenzrecht, ZIP 2011, 1894; International Insolvency Institute, Guidelines for Cooperation of Multinational Enterprise Group Insolvencies, Paris, June 2012; Ch. Koller, Koordination von Konzerninsolvenzen – Das Instrumentarium der EuInsVO 2015 und seine Grenzen, in Hess, Europäisches Insolvenzrecht ..., 2019, S. 23; I. Merovach, INSOL Europe’s proposals on groups of companies (in cross-border insolvency): a critical appraisal, IIRev 21 (2012), 183; K. Pannen, Aspekte der europäischen Konzerninsolvenz, FS Haarmeyer, 2013, S. 205; J. Rotstegge, Konzerninsolvenz, 2007; K. Schmidt, Konzerninsolvenzrecht, KTS 2010, 1; K. Siemon/F. Frind, Der Konzern in der Insolvenz – Zur Überwindung des Dominoeffekts in der (internationalen) Konzerninsolvenz, NZI 2013, 1; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, Part Three: Treatment of enterprise groups in insolvency, 2010; U. Wolf, Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen, 2012. – UNCITRAL Model Law on Enterprise Group Insolvency – Enterprise group insolvency: draft guide to enactment, 20.3.2019, A/CN.9/WG.V/WP.165.
20.26 Unternehmen, die in anderen Staaten langfristig und in erheblichem Umfang tätig werden wollen, gründen dort zumeist selbständige Tochtergesellschaften. Mutterund Tochtergesellschaft sind zwar rechtlich selbständig, häufig besteht aber eine enge wirtschaftliche Verflechtung (bei Produktion, Vertrieb oder Finanzierung), so dass die Insolvenz eines Konzernunternehmens häufig auf die anderen durchschlägt. 31 J. Holzer in FA-InsO, Kap. 12 Rz. 5; R. Geimer, IZPR, Rz. 322. 32 F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, § 335 InsO Rz. 1.
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I. Allgemeine Grundfragen | Rz. 20.30 § 20
Daher stellt sich die Frage, wie eine Verfahrenskoordination, die der bisherigen wirtschaftlichen Verflechtung Rechnung trägt, sichergestellt werden kann.
Obwohl Konzerngestaltungen in der Praxis allgemein üblich sind, kannten bis vor kurzem weder EuInsVO33 noch das autonome deutsche Recht34 Regeln über das Vorgehen bei Konzerninsolvenzen. Da es eine einheitliche Abwicklung bzw. Sanierung aller Konzernunternehmen erleichtert, wurde in der Praxis vielfach versucht, alle Verfahren bei einem Insolvenzgericht zu konzentrieren und einen Verwalter für alle Konzernunternehmen zu bestellen. Im Eurofood-Fall35 hat der EuGH aber entschieden, dass der wirtschaftliche Mittelpunkt und damit die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts (Art. 3 I EuInsVO) für jedes Konzernunternehmen selbständig zu ermitteln ist. Dies erschwerte ein einheitliches Vorgehen und legte eine gesetzliche Regelung nahe.36
20.27
Diese ist mit der EuInsVO 2015 in den Art. 56 ff. EuInsVO, im deutschen Recht durch das Gesetz zur Erleichterung von Konzerninsolvenzen v. 13.4.2017 in den §§ 3a ff, 269a ff InsO erfolgt. Beide Regelungen sehen vor, dass über jedes Konzernunternehmen ein eigenes Insolvenzverfahren stattfindet. Die Verfahren sollen aber koordiniert ablaufen. Wenn möglich können die Verfahren auch vor einem Insolvenzgericht und durch ein und denselben Insolvenzverwalter durchgeführt werden.37
20.28
6. Anerkennung ausländischer Verfahren a) Automatische Anerkennung Damit ein Insolvenzverfahren tatsächlich die beabsichtigte universelle Wirkung haben kann, muss es in den anderen Staaten, in denen sich Vermögen des Schuldners befindet, anerkannt werden. Vor allem müssen die anderen Staaten die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis des vorläufigen und endgültigen (ausländischen) Insolvenzverwalters anerkennen. Innerhalb der EU (Art. 21 I EuInsVO), aber auch nach autonomem deutschen Recht (§ 343 I InsO) ist dies der Fall.
20.29
Automatische Anerkennung bedeutet wie bei Gerichtsentscheidungen in Zivil- und Handelssachen unmittelbare Wirkungserstreckung38 (s. Rz. 12.17, 12.130 ff.). Innerhalb der EU ist diese Wirkungserstreckung vorgesehen (Art. 20 I EuInsVO). Ein in einem Mitgliedstaat bestellter Verwalter darf seine Befugnisse nach dem Recht des Eröffnungsstaats auch in allen anderen Mitgliedstaaten ausüben, solange dort kein Sekundärverfahren eröffnet wurde (Art. 20 I EuInsVO).39 Seine Rechtsstellung muss
20.30
33 Vgl. Ch. Paulus, EuInsVO, Einl. Rz. 43 ff., Art. 3 Rz. 30 ff. 34 S aber Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 3.1.2013, Beilage 1 zu ZIP 2013 Heft 2. 35 EuGH – C-341/04, EuGHE 2006, I-3813 (Eurofood) = NZI 2006, 360; dazu P. Mankowski, BB 2006, 1753; St. Smid, DZWiR 2006, 325. 36 Vgl. J. Holzer, ZIP 2011, 1894. 37 Dafür bereits M. de Cristofaro, Forum shopping and insolvency of groups of companies in the European Insolvency Regulation, in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency ..., 2011, 39 ff., 58 ff. 38 Rauscher/Mäsch, (2015), Art. 17 EG-InsVO Rz. 1. 39 Rauscher/Mäsch, (2015), Art. 18 EG-InsVO Rz. 3 f.
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§ 20 Rz. 20.30 | Internationales Insolvenzrecht
der Verwalter lediglich durch die Vorlage einer beglaubigten Abschrift der Entscheidung, durch die er bestellt wurde, oder durch eine sonstige gerichtliche Bescheinigung nachweisen (Art. 22 EuInsVO). Zu den anzuerkennenden Wirkungen gehört auch ein Vollstreckungsverbot für Insolvenzgläubiger, das kraft Gesetzes mit der Insolvenzeröffnung verbunden ist (vgl. § 89 InsO).
20.31 Das autonome deutsche Recht folgt dieser Lösung auch im Verhältnis zu Drittstaaten (§§ 343, 347 I InsO).40 b) Formelle Anerkennung
20.32 Da die Wirkungen einer Verfahrenseröffnung und die Befugnisse eines Insolvenzverwalters von Staat zu Staat im Einzelnen divergieren, kann es insoweit zu Unsicherheiten kommen. Um diese zu vermeiden, gehen das UNCITRAL-Modellgesetz (ML) und die Staaten, die es übernommen haben, einen anderen Weg. Sie möchten einen einheitlichen Standard für eine grenzüberschreitende Kooperation bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren schaffen.41 20.33 Der ausländische Verwalter erhält Zugang zu Gericht (Art. 9 ff. ML) und kann und muss die Anerkennung seines Verfahrens beantragen (Art. 15 I ML). Dazu muss er nur beglaubigte Abschriften der Beschlüsse über die Verfahrenseröffnung und seine Bestellung, ggf. in Übersetzung (Art. 15 II, IV ML), vorlegen. Über die Anerkennung ist so rasch wie möglich zu entscheiden (Art. 17 III ML). 20.34 Schon nach Antragstellung kann der ausländische Verwalter die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner, den Schutz des im Anerkennungsstaat belegenen Schuldnervermögens, Schutz gegen Verfügungen über das Schuldnervermögen sowie die Zurverfügungstellung aller zur Verwaltung des Schuldnervermögens notwendigen Informationen verlangen (Art. 19 ML). 20.35 Nach der formellen Anerkennung darf der ausländische Verwalter einheitliche, standardisierte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse ausüben (Art. 20 I ML): (1) Maßnahmen der Einzelvollstreckung gegen den Schuldner werden eingestellt, (2) die Verfügungsbefugnis des Schuldners über sein Vermögen wird suspendiert; er kann sein Vermögen nicht mehr in ein anderes Land transferieren.42 7. Vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren
20.36 Schrifttum: U. Haas, Die Einpassung des neuen EU-Restrukturierungsrahmens in das deut-
sche (Insolvenz- und Gesellschafts-)Recht, ZZPInt 23 (2018), 101; R. Rodriguez, Das Schweizer Sanierungsrecht im Lichte des EU-Richtlinienvorschlags über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 811; D. Skauradszun, Die Restrukturierungsrichtlinie und das „verschwitzte“ internationale Zivilprozessrecht, ZIP 2019, 1501.
40 F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, § 335 InsO Rz. 34. 41 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 133 Rz. 8. 42 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 132 Rz. 14 f.; FA-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 72.
1190
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.37 § 20
In mehreren EU-Mitgliedstaaten gibt es bereits unterschiedliche Verfahren zur Sanierung von Unternehmen noch vor Eintritt der Insolvenz. Um im Binnenmarkt eine gewisse Gleichheit zu erreichen, hat die EU am 20.6.2019 die sog. Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/1023 erlassen.43 Diese sieht vor, dass die EU-Mitgliedstaaten bis zum 17.6.2021 generell ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einführen müssen, das den Vorgaben der Richtlinie entspricht. Die Richtlinie sieht in Art. 4 I vor, dass die EU-Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass Schuldner „bei einer wahrscheinlichen Insolvenz Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen haben, der es ihnen ermöglicht, sich zu restrukturieren, um eine Insolvenz abzuwenden und ihre Bestandfähigkeit sicherzustellen..., wodurch Arbeitsplätze geschützt werden und die Geschäftstätigkeit weitergeführt wird.“ Wie die nationalen Gesetzgeber die Richtlinie konkret umsetzen werden, ist derzeit noch nicht absehbar.
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland Schrifttum: P. Schulz, Die Bestimmung des COMI nach Art. 3 EuInsVO a.F. bei Immobilien-SPV, NZI 2017, 142.
1. Internationale Zuständigkeit Die EuInsVO erfasst jedes endgültige oder vorläufige „Gesamtverfahren“, das eine Insolvenz des Schuldners voraussetzt, und entweder (1) zu einem vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag und zur Bestellung eines Insolvenzverwalters oder (2) zu einer Kontrolle oder Aufsicht des Gerichts über das Schuldnervermögen oder zumindest (3) zur vorübergehenden Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen zur Erleichterung von Sanierungsverhandlungen führt (Art. 1 I EuInsVO). Einbezogen sind jetzt also eindeutig auch vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren, die den Insolvenzeintritt oder die Einstellung der Geschäftstätigkeit vermeiden sollen (Art. 1 I Unterabs. 2 EuInsVO).44 Die erfassten Verfahren sind in Anhang A zur EuInsVO aufgelistet (Art. 1 I Unterabs. 3 EuInsVO). Danach fällt jedes in Deutschland zu eröffnende Insolvenzverfahren mit internationalem Bezug (zu einem EU-Mitgliedstaat einschl. von Drittstaaten)45 in den Anwendungsbereich der EuInsVO, nach Art. 2 Nr. 3 EuInsVO 2015 auch Verfahren mit Eigenverwaltung.46 Dies gilt auch für Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 315 ff. InsO), da nach Art. 7 II lit. a EuInsVO n.F. die lex fori concursus darüber entscheidet, bei welchen Schuldnern ein Insolvenzverfahren zulässig ist.47
43 ABl. EU 2019 Nr. L 172/18. 44 Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.32. 45 P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 11; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 1 EuInsVO Rz. 13, 14; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 16; a.A. bei reinem Drittstaatbezug Pannen/Pannen, Art. 1 Rz. 120 f. 46 Braun/Tashiro, Art. 2 Nr. 6 ff. 47 AG Düsseldorf, ZInsO 2012, 1278.
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20.37
§ 20 Rz. 20.38 | Internationales Insolvenzrecht
20.38 Vorinsolvenzverfahren zur Schuldenanpassung sind derzeit nicht erfasst. Doch folgt aus Art. 1 I Unterabs. 2 EuInsVO (und Erwägungsgründe 10, 17), dass die Insolvenz des Schuldners nicht notwendig Voraussetzung für die Anwendbarkeit der EuInsVO ist.48 Aufgrund der Restrukturierungsrichtlinie muss Deutschland in Kürze ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einführen. a) Internationale Zuständigkeit für Hauptinsolvenzverfahren
20.39 Schrifttum: A. Albrecht, Problemstellungen bei der Insolvenz ausländischer Unternehmens-
formen in Deutschland, FS Haarmeyer, 2013, S. 1; M. d’Avoine, Internationale Zuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichts bei offenkundiger „Rückkehroption“ des ehemals selbständig wirtschaftlich tätigen Schuldners, NZI 2011, 310; Th. Bachner, The Battle over Jurisdiction in European Insolvency Law, ECFR 3/2006, 310; N. Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht, 2005; G. Cesare Giorgini, Le centre des intérêts principaux du débiteur insolvable en droit comparé, RIDC 2012, 867; M. de Cristofaro, Forum shopping and Insolvency of Groups of Companies in the European Insolvency Regulation, in Stürner/ Kawano, Cross Border Insolvency, Intellectual Property Litigation, Arbitration and Ordre Public, 2011, 39; St. Deyda, Der Fall NIKI Luftfahrt – Bruchlandung des neuen europäischen internationalen Insolvenzrechts?, ZInsO 2018, 221; H. Eidenmüller, Rechtsmissbrauch im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 137; U.P. Gruber, Die europäische Insolvenzzuständigkeit und der Einwand des Rechtsmissbrauchs, FS Schilken, 2015, S. 679; P. Huber, Probleme der Internationalen Zuständigkeit und des forum shopping aus deutscher Sicht, in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, S. 1; M. Lauterfeld, „Centros“ and the EC Regulation on Insolvency Proceedings, European Business Law Review 2001, 79; M. Lupoi, A (Not so Simple Matter of Jurisdiction: the Relationship between Regulations (EU) No 1346/2000 and No 44/2001, in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, Intellectual Property Litigation, Arbitration and Ordre Public, 2011, 63; P. Mankowski, Gläubigerstrategien zur Fixierung des schuldnerischen Centre of Main Interests (COMI), ZIP 2010, 1376; I. Mevorach, Jurisdiction in Insolvency: A study of European Courts’ Decisions, 6 JPIL (2010), 327; Ph. Reuß, „Forum shopping“ in der Insolvenz: Missbräuchliche Dimension der Wahrnehmung unionsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, 2011; St. Smid, Verfahren bei Zweifeln an der Internationalen Zuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichts, FS Simotta, 2012, S. 545; A. Stadler, International Jurisdiction under the Regulation 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings, in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, Intellectual Property Litigation, Arbitration and Ordre Public, 2011, 13; J. Thole, Lehren aus dem Fall NIKI, ZIP 2018, 401; H. Vallender, Instrumente zur Verhinderung von rechtsmissbräuchlichem Forum Shopping natürlicher Personen, FS Graf-Schlicker, 2018, S. 407; J. Westbrook, Bankruptcy Tourism, IJPL 3 (2013), 131; F. L. Westpfahl, Die Praxis der grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz, FS K. H. Görg, 2010, S. 569; Ch. v. Wilcken, Forum Shopping?, EuLF 2-2011, 71; U. Wolf, Der europäische Gerichtstand bei Konzerninsolvenzen, 2012; J.-H. Wyen, Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht, 2013.
20.40 Nach Art. 3 I EuInsVO n.F. besteht eine internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptverfahrens (wie nach § 3 InsO) bei den Gerichten des Staats, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (COMI). Da es nur ein Hauptverfahren geben kann, hat jeder Schuldner nur einen derartigen Mittelpunkt. Werden in mehreren Staaten Insolvenzanträge gestellt und bejahen die Gerichte in Zweifelsfällen ihre Zuständigkeit, verweist die EuInsVO in 48 Th. Garber in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, S. 21, 49, 58.
1192
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.43 § 20
Erwägungsgrund 65 Satz 5, 6 zur Lösung des positiven Kompetenzkonflikts ausdrücklich auf das Prioritätsprinzip.49 Konsequenterweise ist nach Art. 102c § 2 I EGInsO ein bei einem deutschen Gericht gestellter Insolvenzantrag unzulässig, sobald ein Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaates ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hat.50 Die internationale Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts darf nicht nachgeprüft werden (s. Rz. 20.152). Hat umgekehrt ein Gericht eines EU-Mitgliedstaates die Eröffnung eines Hauptverfahrens mangels internationaler Zuständigkeit abgelehnt, so ist auch dies anzuerkennen. Ein deutsches Gericht darf deshalb nach Art. 102c § 2 II EGInsO die Eröffnung eines Hauptverfahrens nicht mit der Begründung ablehnen, dass die Gerichte des anderen EU-Mitgliedstaates zuständig seien. Zulässig ist aber eine Antragsablehnung mit der Begründung, der Interessenmittelpunkt liege in einem dritten Staat.51
20.41
Wie dieser Mittelpunkt bei juristischen Personen und Gesellschaften zu verstehen ist, ist im Detail nach wie vor zweifelhaft.52 Die englischen Gerichte haben anfangs eine „mind of management theory“ vertreten, also darauf abgestellt, wo die strategische Willensbildung eines Unternehmens erfolgte. Dies führte bei Konzernunternehmen dazu, dass am Sitz der Muttergesellschaft ein Insolvenzverfahren nicht nur über diese, sondern zugleich über alle Tochtergesellschaften eröffnet werden konnte.53
20.42
Diese Auslegung hat der EuGH in dem Eurofood-Urteil v. 2.5.200654 zurückgewiesen. Auszugehen sei mit dem Wortlaut von Art. 3 I Unterabs. 2 EuInsVO n.F. im Zweifel vom satzungsmäßigen Sitz jeder Einzelgesellschaft. Diese Vermutung könne nur aufgrund objektiver, für Dritte feststellbarer Elemente widerlegt werden (s. Art. 3 I 2 EuInsVO n.F. u Erwägungsgrund 28).55 Hierfür reicht die Belegenheit von Immobilien in einem anderen Mitgliedstaat als dem des satzungsmäßigen Sitzes nicht aus, erforderlich sei vielmehr eine Gesamtbetrachtung. Befindet sich die Hauptverwaltung am satzungsmäßigen Sitz, so scheide eine anderweitige Bestimmung des „Mittelpunktes“ aus.56 Dieses Urteil ließ Raum für zahlreiche divergierende Interpretationen.
20.43
49 H. Schack, IZVR, Rz. 1161a; Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 129 Rz. 58; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rz. 27; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 58. 50 Vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, Bd 12, 7. Aufl. 2018, Art. 3 EuInsVO Rz. 43. 51 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 52. 52 Vgl. HambKomm/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rz. 2 ff., 73 ff. (breite Fallübersicht); Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 14 ff., 18 ff.; Gottwald/Kolmann/Keller, InsRHdb, § 129 Rz. 32 ff. 53 A. Stadler in Stürner/Kawano, S. 13, 18 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift Kap. 47 Rz. 53 ff.; krit. H. Schack, IZVR, Rz. 1163. 54 EuGHE 2006, I-3813 = NZI 2006, 360; dazu Th. Bachner, ECFR 2006, 310. 55 High Court of Justice London [2009] EWHC 3199 (Ch); dazu Knof, EWiR, Art. 3 EuInsVO 1/10, 563; LG Berlin, ZIP 2018, 140, 141; Braun/Tashiro/Delzant, Art. 3 Rz. 11 ff.; Mayr/Konecny Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.55 ff., 17.60 ff. 56 EuGH („Interedil“), Schlussanträge der Generalanwältin, ZIP 2011, 918; dazu J. Schmidt, EWiR, Art. 3 EuInsVO 2/11, 345.
1193
§ 20 Rz. 20.44 | Internationales Insolvenzrecht
20.44 In dem Interedil-Urteil v. 20.10.2011 hat der EuGH die Bestimmung des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ i.S.v. Art. 3 I 2 EuInsVO a.F. präzisiert.57 Auszugehen sei vom Ort der Hauptverwaltung;58 befinde sich dieser am satzungsmäßigen Sitz, so sei dieser unwiderleglich als „Mittelpunkt“ anzusehen. Fallen Hauptverwaltung und satzungsmäßiger Sitz auseinander, komme es darauf an, ob bei einer Gesamtbetrachtung aller von Dritten überprüfbaren Faktoren darauf zu schließen ist, dass die Verwaltung der Interessen der Gesellschaft, aber auch die Kontrolle des Managements nicht am Satzungssitz, sondern am Ort der Hauptverwaltung stattfindet. Verlegt eine Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz vor Stellung eines Insolvenzantrages, wird vermutet, dass sich ihr neuer „Mittelpunkt“ am neuen satzungsmäßigen Sitz befindet.59 Diese Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn der gesamte Betrieb am ursprünglichen Sitz fortgeführt wird.60 Entscheidend ist die Erkennbarkeit der Geschäftstätigkeit für Dritte. Hat eine Gesellschaft zwar ihren Satzungssitz in einem EU-Mitgliedstaat, lässt sie ihr operatives Geschäft aber weitgehend durch einen externen Dienstleister mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausführen, so befindet sich der COMI der Gesellschaft am Sitz des Dienstleisters.61 Hat eine Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb ohne Abwicklung einfach eingestellt, so bestimmt sich der „COMI“ für einen späteren Insolvenzantrag nach dem Ort, an dem der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen bei Geschäftseinstellung bestand.62 20.45 Auch eine Zwischenholding hat entsprechend der Eurofood-Entscheidung grds. ihr eigenes COMI. Tritt sie aber nach außen nur unter der Adresse ihrer einzigen Tochtergesellschaft auf, ist es berechtigt, ihren „Mittelpunkt“ am Sitz der Tochter anzusiedeln.63 20.46 Eine Vermögensvermischung allein rechtfertigt es nicht anzunehmen, dass die abhängige Gesellschaft keinen eigenen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen hat. Ein Insolvenzverfahren kann deshalb nicht allein wegen der Vermögensvermischung auf die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft erstreckt werden.64 20.47 Soll das Verfahren gegen eine Gesellschaft nicht am satzungsmäßigen Sitz eröffnet werden, muss der Antragsteller Tatsachen vortragen, die geeignet sind, die gesetzliche Vermutung des Art. 3 I Unterabs. 2 EuInsVO zu widerlegen. 57 EuGH – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 – Interedil, ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990 (P. Mankowski). 58 Ebenso FA-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 37. 59 EuGH – C-396-09, ECLI:EU:C:2011:671 – Interedil, ZIP 2011, 2153, 2157 (Rz. 56); dazu Ch. Paulus, EWiR, Art. 3 EuInsVO 3/11, 745. 60 Zum Fall Hans Brochier s. A. Ballmann, Der High Court of Justice erschwert die Flucht deutscher Unternehmen ins englische Insolvenzrecht, BB 2007, 1121. 61 High Court London, NZI 2015, 338 (P. Schulz). 62 BGH, ZIP 2012, 139 = NZI 2012, 151. 63 AG Mönchengladbach, ZInsO 2011, 1752; zust. P. Mankowski, EWiR Art. 3 EuInsVO 1/ 12, 21. 64 EuGH – C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838 – Rastelli v Hidoux = NZI 2012, 148 (P. Mankowski); dazu Ch. Paulus, EWiR 2012, 87.
1194
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.52 § 20
Wie der „COMI“ bei natürlichen Personen zu bestimmen ist, hatte die EuInsVO a.F. nicht geregelt. Manche stellten auf den Wohnsitz, andere auf den gewöhnlichen Aufenthalt,65 wieder andere auf den autonom bestimmten „Lebensmittelpunkt“ ab.66 Da auf die faktischen Umstände abzustellen ist, war richtigerweise auf den gewöhnlichen Aufenthalt67 und für selbständig Tätige ist aber auf den Ort ihrer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit abzustellen.68 Wird dieser vor Antragstellung verlegt, besteht die Zuständigkeit am neuen Aufenthaltsort.69
20.48
Die Neufassung der EuInsVO übernimmt diese Lösung ausdrücklich in Art. 3 I Unterabs. 3 Satz 1. Danach ist bei Personen, die eine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, zu vermuten, dass ihr Interessenmittelpunkt am Ort ihrer Hauptniederlassung liegt.70 Dies soll allerdings nicht gelten, wenn diese Hauptniederlassung in den letzten drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt wurde (Art. 3 I Unterabs. 3 Satz 2 EuInsVO n.F.).71
20.49
Bei reinen Privatpersonen (anderen natürlichen Personen) stellt Art. 3 I Unterabs. 4 EuInsVO auf deren gewöhnlichen Aufenthalt ab.72 Wurde dieser in den letzten sechs Monaten vor Antragstellung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ist auf den früheren gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen (s. auch Erwägungsgrund 31 n.F.).73
20.50
Art. 3 EuInsVO regelt nur die internationale Zuständigkeit; die örtliche Zuständigkeit folgt in Deutschland aus Art. 102 § 1 EGInsO.74
20.51
Da die Amtsermittlung nach § 5 InsO einen zulässigen Insolvenzantrag voraussetzt, muss der Antragsteller die entsprechenden Tatsachen darlegen und beweisen.75 Hat das Gericht Zweifel, wo sich der COMI des Schuldners befindet, kann es mit der Klärung unanfechtbar76 einen Sachverständigen beauftragen.
20.52
65 B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 19. 66 Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 43. 67 AG Köln, NZI 2009, 133; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 31 ff.; FK-InsO/ Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rz. 7; HambKomm/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rz. 19 f. 68 BGH, NZI 2007, 344 (Rz. 14 f.); Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 37; HambKomm/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rz. 18; s. aber BGH, IPRspr. 2006 Nr. 265 (S. 616) (Leitung zweier deutscher Gesellschaften, Anwaltskanzlei und Wohnsitz in Schweden). 69 EuGHE 2006, I-701 (Staubitz-Schreiber) = IPRax 2006, 149 (dazu P. Kindler, S. 114). 70 Vgl. A. Konecny in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, S. 71, 83; Braun/Tashiro/Delzant Art. 3 Rz. 20; Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.67 ff. 71 Vgl. H. Vallender, FS Graf-Schlicker, 2018, S. 407, 421; Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.73. 72 Vgl. Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.75 ff. 73 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 39 f.; Braun/Tashiro/Delzant, Art. 3 Rz. 25 ff. 74 Vgl. Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 105 f. Überblick über die örtlichen Zuständigkeiten in den anderen EU-Mitgliedstaaten bei Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 14. 75 So St. Smid, FS Simotta, 2012, S. 545, 546 ff., 557. 76 BGH, NZI 2012, 823.
1195
§ 20 Rz. 20.53 | Internationales Insolvenzrecht
20.53 Bei Stellung eines Insolvenzantrags hat das Gericht gem. Art. 4 I EuInsVO von Amts wegen zu prüfen, ob es nach Art. 3 zuständig ist. Wird ein Insolvenzverfahren ohne gerichtliche Prüfung eröffnet, kann der betreffende Mitgliedstaat die Prüfungspflicht auf den bestellten Verwalter übertragen (Art. 4 II EuInsVO). 20.54 Der Schuldner und jeder Gläubiger kann die Eröffnungsentscheidung im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit anfechten (Art. 5 I EuInsVO 2015). In Deutschland ist dafür die sofortige Beschwerde vorgesehen (Art. 102c § 4 EGInsO). Von anderen Beteiligten oder aus anderen Gründen kann die Eröffnungsentscheidung nur angefochten werden, soweit dies das jeweilige nationale Recht vorsieht. Das deutsche Recht eröffnet insoweit kein Rechtsmittel. b) Für Sekundär- und Partikularverfahren
20.55 Schrifttum: R. Dammann/F. Müller, Eröffnung eines Sekundärverfahrens in Frankreich gem.
Art. 29 lit. a EuInsVO auf Antrag eines „schwachen“ deutschen Insolvenzverwalters, NZI 2011, 752; Ch. Dawe, Der Sonderkonkurs des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, 2005; E. Degenhardt, Keine Verpflichtung zur Beantragung eines Sekundärinsolvenzverfahrens, NZI 2019, 656; U. Ehricke, Probleme der Verfahrenskoordination, in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, S. 127; A. Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, Die Abstimmung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, 2010; B. Pogacar, Rechte und Pflichten des Hauptverwalters im Sekundärverfahren, NZI 2011, 46; L. Schmidt, Die Zusicherung nach Art. 36 EuInsVO, 2019; A. Seidl/A. Paulick, Sekundärinsolvenzverfahren und Sanierungsinsolvenzplan: Das Zustimmungserfordernis des Art. 34 Abs. 2 EuInsVO, ZInsO 2010, 125; St. Smid, Anmerkungen zur Statthaftigkeit des Antrags auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens, ZInsO 2018, 766; A. Spahlinger, Sekundäre Insolvenzverfahren bei grenzüberschreitenden Insolvenzen, 1998.
(1) Nach europäischem Recht
20.56 Nach Art. 3 II EuInsVO n.F. darf ein Sekundärverfahren (mit Wirkung für das Vermögen in dem betreffenden Mitgliedstaat) nur eröffnet werden, wenn der Schuldner dort eine Niederlassung besitzt. Dies setzt nach Art. 2 Nr. 10 EuInsVO n.F. voraus, dass der Schuldner in diesem Mitgliedstaat kumulativ Personal und Vermögen zu geschäftlichen Zwecken einsetzt.77 Auf die Frage, wo sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners befindet, kommt es insoweit nicht an.78 Inländisches Vermögen (Bankkonto, Grundstück) genügt nicht. Im Anwendungsbereich der EuInsVO ist ein Rückgriff auf § 354 II InsO unzulässig.79 Eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft ist keine Niederlassung.80 Wird das Hauptverfahren nicht 77 BGH, NZI 2012, 725; Ch. Dawe, S. 145 ff.; B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 24; bloßer Immobilienbesitz und dessen Verwaltung genügt nicht (AG Deggendorf, NZI 2013, 112; a.A. LG Hildesheim, NZI 2013, 110; krit. Anm M. Köster/S. Hemmerle). 78 BGH, ZIP 2012, 782; dazu Ch. Paulus, EWiR Art. 3 EuInsVO 4/12, 315. 79 BGH, ZIP 2011, 389, 390 = NZI 2011, 120; dazu P. Mankowski, EWiR, Art. 3 EuInsVO 1/11, 185. 80 H. Schack, IZVR, Rz. 1166; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 2 EuInsVO Rz. 41; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 2 EuInsVO Rz. 27 f.
1196
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.59 § 20
im Staat des rechtlichen Gesellschaftssitzes eröffnet, so kann in dem Staat des rechtlichen Sitzes ein Sekundärverfahren durchgeführt werden.81
Als Zweitverfahren wird das Sekundärverfahren auf Antrag ohne erneute Prüfung der Insolvenz des Schuldners eröffnet (Art. 34 Satz 2 EuInsVO n.F.).82 Dies gilt auch, wenn das Hauptverfahren ein Sanierungsverfahren ist; auch hier darf das Gericht des Zweitstaats nicht prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt.83 Ist das Sanierungsverfahren aber als Insolvenzverfahren in Anh A zur EuInsVO aufgeführt, so kann unabhängig vom Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit ein Sekundärverfahren eröffnet werden.84
20.57
Den Eröffnungsantrag kann nach Art. 37 EuInsVO n.F. der Verwalter des Hauptverfahrens sowie jede Person oder Behörde stellen, die in dem Staat des beabsichtigten Sekundärverfahrens ein Antragsrecht hat.85 Antragsberechtigt ist damit auch der Schuldner selbst; er ist aber nicht verpflichtet, neben dem Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens auch den Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens zu stellen.86 Nach Ansicht des AG Charlottenburg ist ein mangels internationaler Zuständigkeit unzulässiger Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens als Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens zu behandeln.87 Dieses Antragsrecht darf aber nicht auf Gläubiger mit Wohnsitz/Sitz in dem betreffenden Staat beschränkt sein.88 Als Verwalter des Hauptverfahrens ist insoweit nicht nur der endgültige Insolvenzverwalter, sondern auch jeder „schwache“ oder „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter anzusehen.89
20.58
Wird ein Sekundärverfahren eröffnet, wird die Reichweite des Hauptverfahrens eingeschränkt. Zur Masse des Sekundärverfahrens gehört das gesamte gem. Art. 2 Nr. 9 EuInsVO n.F. in dem betreffenden Mitgliedstaat befindliche Vermögen (Art. 34 Satz 3 EuInsVO n.F.). Seine Abwicklung richtet sich ganz nach dem Recht des jeweiligen Eröffnungsstaats, Art. 35 EuInsVO n.F. Die Verwaltungsbefugnis des Sekundärverwalters bezieht sich auf diese Masse. Zusätzlich darf der Sekundärverwalter nach der Verfahrenseröffnung in einen anderen Mitgliedstaat verbrachte bewegliche Gegenstände zurückholen und auch in anderen Mitgliedstaaten Anfechtungsklage erheben (Art. 21 II EuInsVO n.F.).90
20.59
81 EuGH – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 – Burgo Group, NZI 2014, 964 (P. Mankowski). 82 P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 179; FK-InsO/Schuster/Wenner, Art. 34 EuInsVO Rz. 7 ff. 83 EuGH – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 – Bank Handlowy, NZI 2013, 106 = IPRax 2014, 530 (dazu Ch. Koller, S. 490); a.A. GA Kokott, ZIP 2012, 1133, 1139; dazu Ch. Paulus, EWiR, Art. 27 EuInsVO 1/12, 385. 84 GA Kokott, EuGH („Handlowy“) ZIP 2012, 1133, 1137 (Tz. 53 ff.). 85 Ch. Dawe, S. 150 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 180. 86 E. Degenhardt, NZI 2018, 656. 87 Krit. dazu St. Smid, ZInsO 2018, 766, 769 ff. 88 EuGH – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 – Burgo Group, ZIP 2014, 2513, 2516 (Rz. 49). 89 R. Dammann/F. Müller, NZI 2011, 752, 756. 90 P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 183 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 18 EuInsVO Rz. 14 ff.
1197
§ 20 Rz. 20.60 | Internationales Insolvenzrecht
20.60 Zweck des Sekundärverfahrens ist es, dem Verwalter des Hauptverfahrens die Abwicklung des Hauptverfahrens zu erleichtern, aber auch die Interessen nationaler Gläubiger (Vorrechte etc) zu wahren. Zulässig ist es, den Verwalter des Hauptverfahrens auch zum Verwalter des Sekundärverfahrens zu bestellen.91 20.61 Da die sachgerechte, effiziente Durchführung eines Insolvenzverfahrens mit jeder Eröffnung eines Sekundärverfahrens schwieriger wird, hat das Gericht im SekundärMitgliedstaat seit der Reform der EuInsVO ein Ermessen, die Entscheidung über die Eröffnung des Sekundärverfahrens auszusetzen oder ganz abzulehnen, wenn der Hauptverwalter den einheimischen Gläubigern zusagt, sie so zu behandeln, als wäre ein Sekundärverfahren eröffnet worden, und sich an diese Zusage hält (Art. 36 II, III EuInsVO n.F.).92 20.62 An allen Sekundärverfahren kann sich jeder in- und ausländische Gläubiger beteiligen und seine Forderung anmelden (Art. 45 I EuInsVO n.F.). 20.63 Die Verwalter von Haupt- und Sekundärverfahren haben zusammenzuarbeiten (Art. 41 II EuInsVO n.F.; s. Rz. 20.107, 20.111 ff.). Ein Verwalter eines Sekundärverfahrens hat dem Verwalter des Hauptverfahrens Gelegenheit zu geben, Vorschläge für die Verwertung und Verwendung der Masse des Sekundärverfahrens zu machen (Art. 41 II lit. c EuInsVO n.F.). 20.64 Ausnahmsweise kann vor dem Hauptverfahren ein territorial begrenztes unabhängiges Partikularverfahren eröffnet werden (Art. 3 IV EuInsVO n.F.). Ein Partikularverfahren ist nur zulässig, wenn in dem Staat, in dem der Schuldner sein COMI hat, (1) die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens objektiv unmöglich ist93 oder (2) ein Gläubiger mit Wohnsitz in dem Niederlassungsstaat oder aufgrund einer niederlassungsbezogenen Forderung die Eröffnung beantragt. Für die Unmöglichkeit genügt nicht, dass die Befugnis zur Stellung eines Insolvenzantrags eingeschränkt ist.94 In diesem Fall muss das Vorliegen eines Insolvenzgrundes geprüft werden, die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung unter Berücksichtigung des weltweit belegenen Vermögens.95 Kommt es zur Eröffnung des Hauptverfahrens, wird das Partikularverfahren zum Sekundärverfahren, Art. 3 IV 2 EuInsVO nF.
91 B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 55. 92 Vgl. F. Mohr, Zusicherungen zur Vermeidung von Sekundärinsolvenzverfahren, in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen, im europäischen Binnenmarkt, 2017, S. 219; L. Schmidt, Die Zusicherung nach Art. 36 EuInsVO, 2019; K. Schumann, Virtuelle Sekundärinsolvenzverfahren im europäischen Insolvenzrecht, 2020. 93 Vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 71; Ch. Dawe, S. 194 ff. 94 EuGH – C-112/10, ECLI:EU:C:2011:743 – Procureur-general Antwerpen v Zaza Retail = ZIP 2011, 2415; dazu J. Schmidt, EWiR Art. 3 EuInsVO 4/11, 807. 95 FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rz. 39 f.; a.A. (für Zahlungsunfähigkeit) Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 74 ff.; (auch für Überschuldung bei § 354 ZPO) Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 96.
1198
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.70 § 20
Nach Art. 20 II EuInsVO n.F. kann in einem Sekundär- bzw. Partikularverfahren eine Schuldbefreiung beschlossen werden. Diese hat aber in anderen Staaten nur gegenüber den Gläubigern Wirkung, die dem zugestimmt haben. Die Befugnisse eines Partikularinsolvenzverwalters sind auf den Eröffnungsstaat begrenzt. Im Ausland belegenes Vermögen, auch Ansprüche, unterliegen nicht seiner Amtsgewalt.96
20.65
(2) Nach deutschem Recht Abweichend vom europäischen Recht kann nach § 354 InsO ein Partikularverfahren schon bei Vorhandensein beliebigen Vermögens eröffnet werden; eine Niederlassung muss der Schuldner hier nicht besitzen. In letzterem Fall muss aber ein besonderes Interesse für eine Verfahrenseröffnung bestehen.97 Dies ist gegeben, wenn der Gläubiger im Ausland voraussichtlich schlechter gestellt wird als bei einem inländischen Verfahren (§ 354 II 1 InsO). Das Vorliegen eines Insolvenzgrundes ist besonders zu prüfen (s. Rz. 20.63).
20.66
Um die Gleichbehandlung der Gläubiger zu gewährleisten, sind die Vorschriften über die Restschuldbefreiung im Partikularverfahren (abweichend von Art. 20 II EuInsVO n.F.) nicht anwendbar (§ 355 I InsO).98 Ein Insolvenzplan kann nur bestätigt werden, wenn alle Gläubiger zustimmen (§ 355 II InsO).
20.67
Das Partikularverfahren kann als selbständiges Verfahren eröffnet werden. Wird das ausländische Hauptverfahren anerkannt, kann das Verfahren auch als Sekundärverfahren durchgeführt werden (§ 356f InsO).99 In diesem Fall hat der inländische Verwalter mit dem ausländischen Verwalter zusammenzuarbeiten (§ 357 InsO).
20.68
Sofern im inländischen Sekundärverfahren ein Überschuss erzielt wird, ist er an den ausländischen Verwalter des Hauptverfahrens herauszugeben (§ 358 InsO).
20.69
c) Internationale Zuständigkeit für Annexverfahren Schrifttum: Ch. Althammer/M. Tolani, Der klageweise Zugriff des Insolvenzverwalters auf ausländisches Vermögen – insolvenzrechtliche Annexklagen als rechtliche Schnittstellenproblematik, FS Schilken, 2015, S. 589; A. J. Baumert, Offene Praxisfragen beim internationalen Gerichtsstand bei Insolvenzanfechtungsklagen in Drittstaatenfällen, NZI 2014, 106; D. Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts, 2019; R. Freitag, Internationale Zuständigkeit für Schadenersatzklagen aus Insolvenzverschleppungshaftung, ZIP 2014, 302; P. Gottwald, Insolvenzrechtliche Annexverfahren im Verhältnis Deutschland – Schweiz, FS Isaak Meier, 2015, S. 249; R. Guski, Die internationale Zuständigkeit für Klagen mit Insolvenzbezug, ZIP 2018, 2395; U. Haas, Insolvenzrechtliche Annexverfahren und inter96 KG, NZI 2011, 729, 730 (P. Mankowski). 97 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 354 Rz. 9; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 95; Ch. Dawe, S. 156 ff. 98 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 355 Rz. 2; Reinhart in MünchKomm/InsO, § 355 Rz. 4 ff.; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 97. 99 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 356 Rz. 3; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 99 f.
1199
20.70
§ 20 Rz. 20.70 | Internationales Insolvenzrecht nationale Zuständigkeit, ZIP 2013, 2381; W. Hau, Masseanreicherung und Gläubigerschutz im Europäischen Insolvenzrecht, in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, S. 79; P. Kindler/M. Wendland, Die internationale Zuständigkeit für Einzelstreitverfahren nach der neuen Europäischen Insolvenzverordnung, RIW 2018, 245; J. Lüttringhaus/J. Weber, Aussonderungsklagen an der Schnittstelle von EuGVVO und EuInsVO, RIW 2010, 45; L. Klöhn/O. Berner, Zur internationalen Zuständigkeit für insolvenzbezogene Annexverfahren, ZIP 2007, 1418; V. Lorenz, Annexverfahren bei internationalen Insolvenzen, 2005; M. Lupoi, A (not so simple matter of) jurisdiction: the relationship between Regulations (EU) No 1346/2000 and No 44/2001, in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency ..., 2011, 63; P. Mankowski, Insolvenznahe Verfahren im Grenzbereich zwischen EuInsVO und EuGVVO, NZI 2010, 508; P. Mankowski./Ch. Willemer, Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen, RIW 2009, 669; A. Piekenbrock, Klagen und Entscheidungen über Insolvenzforderungen zwischen LugÜb, EuGVVO und EuInsVO, ZIP 2014, 2067; D. Stoecker/Ph. Zschaler, Internationale Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen, NZI 2010, 757; M. Stürner, Jurisdiction for avoidance claims of insolvent investment undertakings – procedural aspects of the Phoenix saga, FS Kaissis, 2012, S. 975; Ch. Thole, Negative Feststellungsklagen, Insolvenztorpedos und EuInsVO, ZIP 2012, 605; T. Waldmann, Annexverfahren im Europäischen Insolvenzrecht, 2015; J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht. Die internationale Zuständigkeit bei Klagen gegen Gesellschafter und Gesellschaftsorgane vor und in der Insolvenz, 2011; Ch. Willemer, Vis attractiva concursus und die Europäische Insolvenzverordnung, 2006; M. Zeuner/Th. Elsner, Die internationale Zuständigkeit der Anfechtungsklage oder die Auslegung des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO, DZWiR 2008, 1.
20.71 Die EuInsVO kennt zwar keine umfassende Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaats für alle insolvenzbezogenen Verfahren (sog vis attractiva concursus), sieht aber in Art. 32 I UAbs. 2 EuInsVO vor, dass Entscheidungen, „die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen“ wie Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung des Insolvenzverfahrens anzuerkennen sind. Der EuGH hat hieraus mit Urteil v. 12.2.2009 den Schluss gezogen, dass aus Art. 1 II EuGVO und Art. 25 EuInsVO a.F. eine internationale Zuständigkeit für Annexverfahren (konkret für Insolvenzanfechtungsklagen des Insolvenzverwalters) abgeleitet werden müsse. Mangels anderweitiger Regeln wandte der EuGH insoweit Art. 3 I EuInsVO a.F. analog an100 und betonte, dass diese Zuständigkeit ausschließlich ist.101 Dies galt auch, wenn der beklagte Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat.102 Gleiches gilt, wenn der Insolvenzverwalter die Unwirksamkeit eines Verkaufs eines in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Grundstücks geltend macht.103 Diese Annexzuständigkeit besteht dagegen nicht, wenn die Klage von der Zessionarin der vom Insolvenzverwalter abgetretenen Forderungen erhoben wird.104 100 EuGHE 2009, I-767 (Seagon v DekoMarty) = NJW 2009, 2189; dazu Ch. Thole, ZEuP 2010, 904; P. Mankowski/Willemer, RIW 2009, 669; D. Stoecker/Ph. Zschaler, NZI 2010, 757; B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 11; OLG Naumburg, ZIP 2011, 677; dazu B. Knof, EWiR, Art. 13 EuInsVO 1/11, 709. 101 EuGH – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 – Wiemer & Trachte, ZIP 2018, 2327; dazu P. Schulz, EWiR 18/2018, 561. 102 EuGH – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 – Schmid v Hertel = NJW 2014, 610 = EuZW 2014, 262 (P. Schulz) = IPRax 2014, 425 (dazu R. Arts, S. 390); BGH, NZI 2014, 672. 103 EuGH – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 – UB v VA, RIW 2020, 38. 104 EuGH – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 – F-Tex, NZI 2012, 469.
1200
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.75 § 20
Bei der Reform der EuInsVO wurde diese Rechtsprechung in einem neuem Art. 6 (Zuständigkeit für im Zusammenhang stehende Klagen) kodifiziert. Nach Art. 6 I besteht für die von Art. 32 I Unterabs. 2 erfassten Fälle eine internationale Zuständigkeit des Mitgliedsstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.105 Steht die Klage aber in engem Zusammenhang mit einer anderen Klage gegen denselben Beklagten, soll der Verwalter befugt sein, beide Klagen vor einem nach der EuGVO (VO Nr. 1215/2012 – Brüssel Ia-VO) zuständigen Gericht zu erheben (Art. 6 II).106 Der erforderliche Zusammenhang wird in Art. 6 III wortgleich mit Art. 30 III EuGVO n.F. definiert.
20.72
Hat der Anfechtungsgegner seinen satzungsmäßigen Sitz in einem Mitgliedstaat, sind die Gerichte des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, auch für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen den Anfechtungsgegner zuständig.107 Das Gericht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist auch für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner mit Wohnsitz in einem Drittstaat zuständig.108 Nach dem Ideal einer einheitlichen Zuständigkeitsordnung und dem Wortlaut von Art. 3 EuInsVO war die Frage zu bejahen. Besteht sonst keine örtliche Zuständigkeit, ist das Streitgericht am Sitz des eröffnenden Insolvenzgerichts örtlich zuständig.109
20.73
Ob diese Zuständigkeit auch für konkurrierende Anspruchsgrundlagen gilt, etwa für Ansprüche wegen Verstoß gegen Kapitalerhaltungsregeln oder wegen ungerechtfertigter Bereicherung, ist zweifelhaft. Die Frage ist dem EuGH vorgelegt worden.110 Kaum zweifelhaft ist, dass Art. 3 EuInsVO für Feststellungsklagen gegen den Insolvenzverwalter oder einen konkurrierenden Gläubiger (vgl. § 179 InsO) gilt.111 Durch Urteil v. 4.12.2014 hat der EuGH den engen insolvenzrechtlichen Zusammenhang auch für die Klage des Insolvenzverwalters gegen den Geschäftsführer auf Erstattung von Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet wurden, bejaht.112
20.74
Dagegen findet die EuGVO auf eine auf einen Eigentumsvorbehalt gestützte Aussonderungsklage Anwendung; diese fällt nicht unter die Ausnahme in Art. 1 II lit. b EuGVO.113 Überwiegend wird auch der Streit um ein Absonderungsrecht der EuG-
20.75
105 106 107 108 109 110 111 112 113
Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.109. Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.111 ff. BGH, RIW 2009, 565. EuGH – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 – Schmid v Hertel, ZIP 2014, 181 = NZI 2014, 134; dazu A. Baumert, NZI 2014, 106. BGH, RIW 2009, 565, 566 (Rz. 11 ff.). LG Essen, ZIP 2011, 875. Vgl. A. Piekenbrock, ZIP 2014, 2067, 2072. EuGH – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 – H v H.K., NZI 2015, 88 (Ch. Poertzgen) = IPRax 2015, 548 (dazu F. Wedemann, S. 505). EuGHE 2009, I-8421 (German Graphics) = NZI 2009, 741; dazu P. Mankowski, NZI 2010, 508; J. Lüttringhaus/J. Weber, RIW 2010, 45; Z. Crespi Reghizzi, Yearbook PIL 12 (2010), 587.
1201
§ 20 Rz. 20.75 | Internationales Insolvenzrecht
VO unterstellt. Weder Aussonderungs- noch Absonderungsklagen fallen unter Art. 6 EuInsVO nF114
20.76 Für eine Haftungsklage gegen den GmbH-Geschäftsführer nach § 64 GmbHG besteht ebenfalls eine Annexzuständigkeit nach Art. 6 I EuInsVO.115 Alternativ kommen freilich auch Zuständigkeiten nach Art. 7 Nr. 2, ggf. Art. 7 Nr. 1a EuGVO n.F. in Betracht.116 Freitag möchte Schadenersatzklagen wegen Insolvenzverschleppung Art. 5 Nr. 2 EuGVO n.F. zuordnen, den Deliktsort aber an Art. 3 I EuInsVO, dem COMI der insolventen Gesellschaft ausrichten.117 Sinnvollerweise sollten Haftungsansprüche, die gem. §§ 92, 93 InsO nur der Insolvenzverwalter geltend machen kann, von der Annexzuständigkeit erfasst werden.118 Gleiches gilt für Streitigkeiten darüber, ob dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht nach §§ 103 ff. InsO zusteht. 20.77 Nicht unter die Annexzuständigkeit fallen dagegen Klagen des Insolvenzverwalters auf Erfüllung von Verträgen, die der Insolvenzschuldner abgeschlossen hat.119 Hieran ändert sich nichts, wenn der Beklagte aufrechnet und der Insolvenzverwalter gegen die Aufrechnung den Einwand der Anfechtbarkeit (§ 96 I Nr. 3 InsO) erhebt.120 Nicht erfasst ist auch eine Klage des Insolvenzverwalters aus einer internen Patronatserklärung,121 20.78 Kündigungsschutzklagen stehen nicht in derart engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren, dass sie als Annexverfahren und unter die Zuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO einzuordnen wären,122 und zwar selbst dann nicht wenn die Kündigungen aufgrund einer Namensliste nach § 125 InsO erklärt wurden.123 2. Eröffnungsverfahren und Verfahrenseröffnung Schrifttum: St. Smid, Grenzüberschreitende Insolvenzverwaltung in Europa, FS Geimer, 2002, S. 1215; S. Mock, Vergütung des Insolvenzverwalters in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, FS Haarmeyer, 2013, S. 157; J. Ch. Thomas, Grenzüberschreitende Insolvenzeröffnungsverfahren, 2013.
114 B. Laukemann, IPRax 2013, 150, 152; FK-InsO/Schuster/Wenner, Art. 6 EuInsVO Rz. 13; Ch. Paulus, Art. 25 EuInsVO Rz. 23; Gottwald/Kolmann/Keller, Ins-Hb, § 129 Rz. 115 (zust. für Aussonderung); a.A. Pannen/Pannen, Art. 3 EuInsVO Rz. 114. 115 Braun/Tashiro, Art. 6 Rz. 16 ff.; vgl. EuGH – C-596/14, ECLI:EU:C:2015:806 – Kornhaas, NZI 2016, 48 = IPRax 2016, 276 (dazu S. Mock, S. 237). 116 Vgl. OLG Köln, NZI 2012, 52 (P. Mankowski). 117 R. Freitag, ZIP 2014, 302. 118 U. Haas, RabelsZ 77 (2013), 632, 635; a.A. J. Weber, S. 421 ff. 119 EuGH – C-198/18, ECLI:EU:C:2019:1001 – Ce De Group, NZI 2020, 41 (P. Mankowski) = RIW 2020, 35. 120 BGH, ZIP 2015, 2192; dazu M. Brinkmann, EWiR 23/2015, 751. 121 Österr. OGH, ZIP 2017, 829. 122 BAGE 144, 125 (Rz. 24) = BB 2013, 1339; BAGE 143, 129 = NZI 2012, 1011 = ZIP 2012, 2312 (dazu B. Knof/S. Stütze, EWiR, Art. 10 EuInsVO 1/13). 123 BAG, RIW 2013, 317, 318 f.
1202
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.82 § 20
a) Insolvenzfähigkeit Nach Art. 7 II 2 lit. a EuInsVO bestimmt die jeweilige lex fori concursus, welche Art von Schuldnern insolvenzfähig ist.124 In Deutschland richtet sich dies folglich nach § 11 InsO.125 Nationale Unterschiede bestehen in Bezug auf Nichtkaufleute und den Nachlass.126 Eine Private Limited Company englischen Rechts mit COMI in Deutschland ist hier insolvenzfähig.127 Nicht insolvenzfähig sind in Deutschland Bund, Länder und juristische Personen des öffentlichen Rechts nach Maßgabe des Landesrechts (§ 12 InsO). Ausländische Staaten sind nach Völkerrecht nicht insolvenzfähig; für ausländische Staatsunternehmen gelten dagegen die allgemeinen Regeln.
20.79
b) Antragsbefugnis und Antragspflicht Art. 7 I EuInsVO verweist insoweit auf die lex fori concursus. Nach deutschem Recht kann der Schuldner selbst, aber auch jeder inländische oder ausländische Gläubiger den Insolvenzantrag stellen (§ 13 I 2 InsO).128 Auch die Antragspflicht ergibt sich aus der jeweiligen lex fori concursus, in Deutschland aus § 15a InsO.129
20.80
c) Sicherungsmaßnahmen Ist ein Gericht zur Insolvenzeröffnung zuständig (Art. 3 EuInsVO), so ist es auch befugt, im Insolvenzeröffnungsverfahren die nach seinem eigenen Recht (Art. 7 I EuInsVO) zulässigen Sicherungsmaßnahmen anzuordnen. Solche Sicherungsmaßnahmen haben nicht nur nationale Wirkungen, sondern sind nach Art. 32 I Unterabs. 3 EuInsVO in allen anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen.130
20.81
Der in einem EU-Mitgliedstaat bestellte vorläufige Verwalter kann nach Art. 52 EuInsVO in allen anderen Mitgliedstaaten (ergänzend) Maßnahmen zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens in dem betreffenden Staat entsprechend der dortigen lex fori (in Deutschland gem. § 21 InsO) beantragen.131 Nach wohl h.M. ist dies aber nur zulässig, wenn sich in dem Zweitstaat eine Niederlassung befindet, also ein Sekundärverfahren eröffnet werden könnte.132 Vom Zweck der Regelung her sollte aber auch die Beschlagnahme eines bloßen Bankkontos in einem Zweitstaat zulässig sein.133
20.82
124 125 126 127 128 129 130 131 132 133
Braun/Tashiro, Art. 7 Rz. 14. H. Schack, IZVR, Rz. 1168; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 4 EuInsVO Rz. 15 f. Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hb, § 129 Rz. 145. Vgl. BGH, NJW 2005, 1648; OLG Nürnberg, NZG 2008, 76 (in England gelöschte Ltd). H. Schack, IZVR, Rz. 1170. Vgl. Braun/Tashiro, Art. 7 Rz. 12; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 8; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 7 EuInsVO Rz. 24 ff. Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hb, § 129 Rz. 146 ff.; Thole in MünchKomm/InsO, Art. 25 EuInsVO Rz. 9, 13. Ch. Paulus, EuInsVO, 3. Aufl. 2010, Einl Rz. 64 f, Art. 38 Rz. 1 ff. Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 38 EuInsVO Rz. 9. Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 129 Rz. 148; FK-InsO/Schuster/Wenner, Art. 52 EuInsVO Rz. 6.
1203
§ 20 Rz. 20.83 | Internationales Insolvenzrecht
20.83 Ob und inwieweit Drittstaaten deutsche Sicherungsmaßnahmen anerkennen, richtet sich nach deren lex fori concursus. Die in einem Drittstaat nach Stellung eines Insolvenzantrags erlassenen Sicherungsmaßnahmen werden in Deutschland grds. anerkannt (§ 343 II InsO).134 Wurde in einem Drittstaat ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so kann dieser nach § 344 InsO im Inland die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO beantragen, soweit diese zur Sicherung des von einem inländischen Sekundärverfahren erfassten Vermögen erforderlich erscheinen. Sinn der Regelung ist es, die im Inland wirkenden Sicherungsmaßnahmen über den im Ausland bereits angeordneten (und im Inland anzuerkennenden) Umfang hinaus zu erweitern.135 d) Öffentliche Bekanntmachungen
20.84 Bei internationalen Insolvenzverfahren ist eine angemessene Information über die Insolvenzeröffnung in einem anderen Staat von erheblicher Bedeutung. Art. 24 EuInsVO n.F. sieht insoweit die Einrichtung von Insolvenzregistern vor, in denen nach Insolvenzeröffnung in Regelverfahren über Unternehmen (Art. 24 IV EuInsVO n.F.) die in Art. 24 II EuInsVO n.F. aufgeführten Pflichtinformationen öffentlich bekannt zu machen sind.136 Diese Register sind zu vernetzen und müssen über das Europäische Justizportal abfragbar sein (Art. 26 EuInsVO n.F.). Die Abfrage der Pflichtdaten nach Art. 24 II EuInsVO n.F. muss gebührenfrei sein (Art. 27 I EuInsVO n.F.); für den Zugang zu zusätzlichen Informationen kann eine angemessene Gebühr verlangt werden (Art. 27 II EuInsVO). 20.85 Der Verwalter bzw. der Schuldner in Eigenverwaltung sind nach Art. 28 I EuInsVO n.F. verpflichtet zu beantragen, dass die Insolvenzeröffnung und die Bestellung eines Insolvenzverwalters auch in jedem anderen EU-Mitgliedstaat veröffentlicht werden, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat.137 Zusätzlich können sie Beantragen, dass die Veröffentlichung auch in anderen Mitgliedstaaten erfolgt (Art. 28 II EuInsVO n.F.). Soweit diese Informationen auch in öffentlichen Registern einzutragen sind, stellt der Verwalter bzw. der Schuldner in Eigenverwaltung die entsprechende Eintragung (im Grundbuch, Handelsregister etc) sicher (Art. 29 EuInsVO n.F.). Die Kosten für diese Veröffentlichungen sind Verfahrenskosten (Art. 30 EuInsVO n.F.). 20.86 Nach Art. 24 IV EuInsVO brauchen Informationen über natürliche Personen, die keine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, nicht öffentlich zugänglich gemacht werden, wenn bekannte Auslandsgläubiger unmittelbar informiert wurden.
134 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 343 Rz. 39; Reinhart in MünchKomm/InsO, § 343 Rz. 47. 135 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 344 Rz. 1; krit. Reinhart in MünchKomm/InsO, § 344 Rz. 1 ff. 136 Vgl. Braun/Dugué, Art. 24–27 Rz. 10 ff.; R. Bork, Principles, Rz. 3.25. 137 Vgl. Braun/Ehret, Art. 28 Rz. 4 ff.
1204
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.90 § 20
Einzelheiten regelt in Deutschland die InsoBekV v. 12.2.2002 (BGBl. 2002 I, 677), zuletzt geändert durch Gesetz v. 14.10.2019 (BGBl. 2019 I, 1466). Die ab 30.6.2021 anwendbare Neufassung von § 2 InsoBekV sieht vor, dass die Abfrage von Daten von Schuldnern, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben, spätestens zwei Wochen nach der Erstveröffentlichung nur noch unter Angabe von Familiennahmen und Wohnsitz des Schuldners sowie des Aktenzeichens des Insolvenzgerichts abgerufen werden kann.
20.87
e) Beschlagnahme des Vermögens Ein Hauptinsolvenzverfahren nach der EuInsVO hat universale Wirkung, erfasst also das ge7amte Vermögen des Schuldners (Erwägungsgrund 23 Satz 2). Eine entsprechende Beschlagnahmewirkung ist in allen EU-Staaten ohne jede Förmlichkeit anzuerkennen. Dies gilt auch für die Beschlagnahme von Grundstücken und die Eintragung eines Insolvenzvermerks im Grundstücksregister.138 In die Insolvenzmasse fällt auch ein Miteigentumsanteil des Schuldners an einem Grundstück im Ausland. (Ob der Schuldner aber wirklich Miteigentümer ist, richtet sich nach der lex rei sitae).139 Ob ein Gegenstand in die Insolvenzmasse fällt, entscheidet das Insolvenzstatut. Bei einem deutschen Insolvenzverfahren entscheidet also das deutsche Recht, ob eine ausländische Rente des Insolvenzschuldners pfändbar ist und damit zur Insolvenzmasse gehört (§ 36 InsO) oder nicht.140
20.88
Allerdings kennt Art. 31 I EuInsVO n.F. einen Schutz des guten Glaubens. Wer an den Schuldner leistet, über den in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wird frei, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war, obwohl er eigentlich an den Verwalter hätte leisten müssen. Diese Regel gilt aber nicht für Leistungen an einen Gläubiger dieses Schuldners.141 Der gute Glaube wird nach Art. 31 II EuInsVO vermutet, wenn die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung nach Art. 28 erfolgte.
20.89
f) Befugnisse der Insolvenzverwalter Nach Art. 7 II 2 lit. c EuInsVO bestimmt die lex fori concursus über die Befugnisse des Insolvenzverwalters. Gem § 148 InsO hat ein deutscher Insolvenzverwalter eines Hauptverfahrens die gesamte Insolvenzmasse (im Inland und im Ausland) in Besitz zu nehmen und zu verwalten.142 Nach Art. 21 I 1 EuInsVO darf der in einem EUMitgliedstaat bestellte Verwalter seine Befugnisse auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten ausüben, solange dort kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wurde. Er kann daher über das dort belegene Schuldnervermögen verfügen und es grds. auch aus dem Gebiet des bisherigen Lagestaats entfernen (Art. 21 I 2 EuInsVO); er muss 138 139 140 141
Vgl. A. Steinmetz/F. Lozano Giménez, NZI 2010, 973. BGH, IPRax 2018, 430 (dazu A. Piekenbrock, S. 392). BGH, IPRax 2018, 427 (dazu A. Piekenbrock, S. 392). EuGH – C-251/12 (Van Buggenhout v Bank Internationale à Luxembourg), NZI 2013, 1039 (Th. Schäfer); dazu Ch. Paulus, EWiR, Art. 24 EuInsVO 2/13. 142 R. Geimer IZPR Rz. 3433; H. Schack IZVR Rz. 1178.
1205
20.90
§ 20 Rz. 20.90 | Internationales Insolvenzrecht
aber das Recht des Lagestaats beachten (Art. 21 III EuInsVO).143 Selbstverständlich kann er in jedem EU-Mitgliedstaat auch eine Klage gegen einen Schuldner des Schuldners erheben.144
20.91 Damit die Eröffnung eines Sekundärverfahrens ggf. entbehrlich wird, hat die Neufassung der EuInsVO die schon vielfach geübte Praxis legalisiert, wonach der Verwalter den Gläubigern zusichern kann, dass ihre Verteilungs- und Vorzugsrechte im Hauptverfahren so berücksichtigt werden als wäre ein Sekundärverfahren eröffnet worden (Art. 36 EuInsVO n.F.).145 20.92 Kommt es zu Sekundärverfahren, so sind alle Verwalter verpflichtet, die in ihrem Verfahren angemeldeten Forderungen auch in allen anderen Verfahren anzumelden, soweit dies (für eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung) als zweckmäßig erscheint (Art. 45 II EuInsVO).146 20.93 Die Verwalter von Haupt- und Sekundärverfahren sind berechtigt, wie ein Gläubiger an allen anderen Insolvenzverfahren mitzuwirken und an den Gläubigerversammlungen teilzunehmen (Art. 45 III EuInsVO). Dazu gehört, dass der Verwalter angemeldete Forderungen bestreiten147 und für die von ihm angemeldeten Forderungen (entsprechend § 341 III InsO) auch das Stimmrecht ausüben (sofern der Gläubiger nicht widerspricht).148 20.94 Die Verwalter von Haupt- und Sekundärverfahren haben sich gegenseitig über zu unterrichten, was für das jeweils andere Verfahren von Bedeutung sein kann (Art. 41 II lit. a EuInsVO 2015). Darüber hinaus haben sie bei ihrer Arbeit zusammenzuarbeiten (Art. 41 I EuInsVO). Die Verwalter von Haupt- und Sekundärverfahren sollen Möglichkeiten zur Sanierung des Schuldners prüfen und Ausarbeitung und Umsetzung eines Sanierungsplans koordinieren (Art. 41 II lit. b EuInsVO 2015). Sie sollen auch bei der Verwertung des Schuldnervermögens zusammenarbeiten; Verwalter von Sekundärverfahren sollen den Verwalter des Hauptverfahrens frühzeitig Gelegenheit geben, Vorschläge zur Verwertung oder Verwendung der Masse zu unterbreiten (Art. 41 II lit. c EuInsVO). g) Prozessunterbrechung
20.95 Schrifttum: D. Buntenbroich, Unterbrechung eines Rechtsstreits bei ausländischen Insolvenzverfahren ...?, NZI 2012, 547; B. Kasolowsky/M. Steup, Insolvenz in internationalen Schiedsverfahren – lex arbitri oder lex fori concursus, IPRax 2010, 180; P. Kindler, Lex loci arbitri vs. lex fori concursus vs. lex societatis: Die Insolvenz der ausländischen Schiedspartei nach der (geplanten) Reform der EuInsVO, FS Schütze, 2015, S. 221; St. Kröll, Arbitration 143 144 145 146
Braun/Tashiro, Art. 21 Rz. 7 ff. Vgl. Audiencia Provencial Barcelona, NZI 2014, 576 (Ch. Paulus). Vgl. Braun/Delzant, Art. 36 Rz. 3 ff. Vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 32 EuInsVO Rz. 7 ff.; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 45 Rz. 6 ff. 147 Pannen/Herchen, EuInsVO, Art. 32 Rz. 44. 148 FK-InsO/Holzer, Kap. 12 Rz. 33; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 32 Rz. 18; Pannen/Herchen, EuInsVO Art. 32 Rz. 45.
1206
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.98 § 20 and insolvency, in Ferrari/Kröll, Conflict of Laws in International Arbitration, 2011, S. 211; V. Lazić, Cross-border insolvency and arbitration, Liber amicorum Bergsten, 2011, S. 337; P. Mankowski, EuInsVO und Schiedsverfahren, ZIP 2010, 2478; Th. Pfeiffer, Insolvenzeröffnung und internationale Schiedsverfahren, FS Wellensiek, 2011, S. 821.
Die Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem EU-Mitgliedstaat auf einen Rechtsstreit oder ein Schiedsverfahren über einen Gegenstand oder ein Recht, der bzw. das Teil der Insolvenzmasse ist,149 richten sich gem. Art. 7 II 2 lit. f, Art. 18 EuInsVO nach der jeweiligen lex fori des Staats, in dem der Prozess anhängig ist. In Deutschland werden danach staatliche Gerichtsverfahren, die die Insolvenzmasse betreffen, nach § 240 ZPO unterbrochen, auch wenn das Insolvenzverfahren selbst in einem anderen EU-Mitgliedstaat eröffnet worden ist und unabhängig davon, ob eine solche Wirkung im Eröffnungsstaat eintritt.150 Unterbrochen wird auch ein Kostenfestsetzungsverfahren zu einem Scheidungshauptverfahren, da der Kostenerstattungsanspruch in die Masse fällt.151 Erforderlich ist aber die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die bloße Stellung eines Insolvenzantrags genügt nicht.152
20.96
Ausländische Insolvenzverfahren in Drittstaaten haben nach § 352 InsO dieselbe Wirkung, wenn das ausländische Verfahren im Inland anzuerkennen ist (§ 343 InsO).153 Die Unterbrechungswirkung tritt unabhängig davon ein, ob der Insolvenzschuldner seine Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis im Eröffnungsstaat verliert. Soweit das Insolvenzverfahren aber im Eröffnungsstaat selbst keinerlei Einfluss auf dort anhängige Zivilverfahren hat, geht der BGH davon aus, dass das ausländische Recht keine Unterbrechungswirkung beansprucht und daher eine Verfahrensunterbrechung im Inland nicht gerechtfertigt ist. Entschieden wurde dies für ein Schweizer Nachlassverfahren nach Art. 295 I 1 SchKG.154
20.97
h) Prozessführung des Insolvenzverwalters Schrifttum: M. Dahl/J. Thomas, Die Bindungswirkung von Schiedsklauseln in Insolvenzverfahren, NZI 2012, 534; G. Flecke-Giammarco/Ch. Keller, Die Auswirkung der Wahl des Schiedsorts auf den Fortgang des Schiedsverfahrens in der Insolvenz, NZI 2012, 529; L. Schulze-Moderow, Schiedsverfahren und Insolvenz, 2017; M. Stürner, Gerichtsstandsvereinbarungen und Europäisches Insolvenzrecht, IPRax 2005, 416.
Die lex fori concursus bestimmt die Verwaltungsbefugnisse des Insolvenzverwalters (Art. 7 II lit. c EuInsVO). Als Teil dieser Verwaltungsbefugnis hat der deutsche Insolvenzverwalter auch die Prozessführungsbefugnis, nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland.155 In den EU-Mitgliedstaaten ist diese Prozessführungsbefugnis 149 Vgl. EuGH – C-250/17, ECLI:EU:C:2018:398 – Virgilio Tarragó da Silveira, NZI 2018, 613; dazu M. Müller, GPR 2018, 243. 150 OLG Frankfurt, ZInsO 2012, 1990; H. Schack, IZVR Rz. 1232; Braun/Ehret, Art. 18 Rz. 16. 151 OLG Köln, FamRZ 2012, 1669 (St. Madaus). 152 OLG München, NZI 2012, 1028. 153 Vgl. BAG, ZIP 2014, 596. 154 BGH, NZI 2012, 572 (Tz. 29 ff., 43 ff.); dazu D. Buntenbroich, NZI 2012, 547. 155 H. Schack, IZVR, Rz. 1179; R. Geimer, IZPR, Rz. 3478 f.; Gottwald/Kolmann/Keller, InsRHdb, § 130 Rz. 51, 56.
1207
20.98
§ 20 Rz. 20.98 | Internationales Insolvenzrecht
grds. anzuerkennen, so lange in dem betreffenden Staat kein Sekundärverfahren eröffnet wurde (Art. 21 I EuInsVO). Ob andere Staaten diese Befugnis anerkennen, richtet sich nach deren Recht.
20.99 Der Insolvenzverwalter hat im Prozess keine anderen Rechte als zuvor der Insolvenzschuldner. Soweit er Ansprüche des Schuldners einklagt, gelten die allgemeinen Zuständigkeitsregeln von EuGVO n.F.; der Verwalter ist an Gerichtsstandsvereinbarungen des Schuldners gebunden.156 Hat dieser vor der Insolvenz eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen, so ist der Insolvenzverwalter daran nach deutschem Recht grds. gebunden.157 3. Abwicklung grenzüberschreitender Verfahren
20.100 Schrifttum: S. Beck, Verwertungsfragen im Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenz-
verfahren nach der EU-Insolvenzverordnung, NZI 2006, 609; S. Beck, Verteilungsfragen im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2007, 1; M. Fehrenbach, Insolvenzanfechtung in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren bei Verfahrenspluralität, NZI 2015, 157; F. Fuchs, Grenzüberschreitende Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren, NZI 2018, 9; A. Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, 2010; B. Keller, Zur Verwertung im Ausland belegenen Schuldnervermögens durch deutsche Insolvenzverwalter, 2010; P. Mankowski, Neues zur grenzüberschreitenden Forderungsanmeldung unter der EuInsVO, NZI 2011, 887; H.-P. Mansel, Grenzüberschreitende Restschuldbefreiung – Anerkennung einer (automatic) discharge nach englischem Recht und ordre public, FS v Hoffmann, 2011, S. 883; St. Schmidt-Ehemann, Die Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, 2010. III/ALI Principles of Cooperation in International Insolvency Cases and Guidelines for Court-to-Court Communications in Cross-Border Cases, 2012.
a) Forderungsanmeldung
20.101 Nach Art. 45, 55 I EuInsVO n.F. bzw. § 341 I InsO kann jeder Gläubiger (auch Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger) seine Forderung nicht nur im Hauptinsolvenzverfahren, sondern auch in jedem Sekundärinsolvenzverfahren (auf einem Formblatt) anmelden.158 Damit er dieses Recht wahrnehmen kann, ist er darüber nach Art. 54 EuInsVO vom Gericht oder dem bestellten Verwalter zu unterrichten. Soweit der Gläubiger seine Forderung nicht selbst anmeldet, haben die Verwalter die bei ihnen angemeldeten Forderungen in den jeweils anderen Verfahren anzumelden, soweit dies zweckmäßig ist, um eine gleichmäßige Befriedigung aller zu erreichen (Art. 45 II EuInsVO n.F.; § 341 II InsO). Allerdings darf der einzelne Gläubiger dem entsprechend dem nationalen Recht widersprechen. Schließlich dürfen Haupt- und Sekundärverwalter wie ein Insolvenzgläubiger in allen Verfahren mitwirken, insb. an
156 H. Schack, IZVR, Rz. 1185; M. Stürner, IPRax 2005, 416, 421. 157 BGH, NZI 2008, 768; M. Dahl/J. Thomas, NZI 2012, 534; s. aber A. Kuhli, SchiedsVZ 2012, 321. 158 Ch. Dawe, S. 161 ff.; A. Geroldinger, S. 312 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 32 EuInsVO Rz. 2 ff.; Braun/Delzant, Art. 45 Rz. 5.
1208
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.104 § 20
Gläubigerversammlungen teilnehmen (Art. 45 III EuInsVO n.F.; §§ 341 III, 357 II InsO).159 Die Mehrfachanmeldung führt nicht zu mehrfacher Befriedigung, vielmehr sind in einzelnen Verfahren erhaltene Quoten bei weiteren Verteilungen anzurechnen (Art. 23 II EuInsVO; § 342 II 2 InsO) (s. Rz. 20.110).
20.102
Die Forderungsanmeldung muss grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen lex fori erfolgen, in Deutschland also schriftlich beim Insolvenzverwalter (§ 174 InsO) in deutscher Sprache. Innerhalb der EU kann sie nach Art. 55 EuInsVO n.F. mit Hilfe des gem. Art. 88 festgelegten Standardformulars erfolgen.160 Nach Art. 55 V 1 EuInsVO können Gläubiger mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat ihre Forderungen in jeder Amtssprache eines EU-Mitgliedstaates anmelden, doch kann eine Übersetzung in die Sprache des Eröffnungsstaates verlangt werden (Art. 55 V 2 EuInsVO). Wirksam ist die Anmeldung bereits vor der Vorlage dieser Übersetzung.161 Jeder Mitgliedstaat kann darüber hinaus für die Anmeldung neben seiner eigenen Amtssprache weitere Amtssprachen zulassen (Art. 55 V 3 EuInsVO), doch hat bisher kein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.162 Bei der Anmeldung muss der Zeitpunkt der Entstehung der Forderung nicht mit angegeben werden, wenn sich dieser aus den gem. Art. 55 II 2 EuInsVO eingereichten Belegen feststellen lässt.163
20.103
b) Verwertung ausländischen Vermögens Welches Vermögen von der Insolvenz erfasst wird, richtet sich generell nach der jeweiligen lex for concursus (Art. 7 II lit. b EuInsVO 2015).164 In Deutschland erfasst ein eröffnetes Hauptverfahren nach dem Universalitätsprinzip das gesamte Vermögen des Schuldners (Unpfändbares ausgenommen, §§ 35, 36 InsO).165 Ob ein Gegenstand unpfändbar ist, richtet sich gem. Art. 7 II 2 lit. b EuInsVO nach dem Recht des Eröffnungsstaats.166 Ob eine ausländische Rente pfändbar ist, richtet sich daher nur nach dem COMI bzw. dem Recht am Sitz des Schuldners.167 Aus Gründen des Schuldnerschutzes ist es nicht erforderlich, die Pfändungsschutzregeln des Staates des Sitzes des Drittschuldners mit zu berücksichtigen.168 Ob die damit verbundene 159 P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 217; Pannen/Herchen, Art. 32 EuInsVO Rz. 41 ff. 160 Vgl. Braun/Josko de Marx, Art. 55 Rz. 3 ff. 161 Braun/Josko de Marx, Art. 55 Rz. 15. 162 F. Fuchs, NZI 2018, 9, 10. 163 Vgl. EuGH – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 – Riel, NZI 2019, 861 (P. Mankowski) (zu Art. 41 EuInsVO 2000); dazu auch J. Schmidt, ZInsO 2019, 2448. 164 Ch. Berger in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, S. 115, 116 ff. 165 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 41 ff.; vgl. BGH, MDR 2013, 491 (Rz. 17). 166 Ch. Paulus, EuInsVO, 3. Aufl. 2010, Einl Rz. 70. 167 BGH, NZI 2017, 816; dazu F. Eichel, Der internationale Geltungsbereich des Pfändungsschutzes in der Insolvenz, NZI 2017, 790. 168 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 4 EuInsVO Rz. 18; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 7 EuInsVO Rz. 6; a.A. B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 51.
1209
20.104
§ 20 Rz. 20.104 | Internationales Insolvenzrecht
Beschlagnahme des Vermögens, Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre (§§ 81, 82, 88, 89 InsO) auch außerhalb der EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden, richtet sich jedoch nach dem jeweiligen ausländischen Recht.169
20.105 Der Verwalter eines EU-Hauptverfahrens darf das gesamte (in den EU-Mitgliedstaaten belegene) Vermögen des Schuldners verwerten und es zu diesem Zweck auch aus dem Lagestaat entfernen (Art. 21 I 2 EuInsVO). Bei der Art und Weise der Verwertung hat der Verwalter aber das Ortsrecht des Lagestaats zu beachten (Art. 21 III EuInsVO).170 20.106 In einem Drittstaat darf der Insolvenzverwalter Schuldnervermögen nur nach seiner Anerkennung verwerten. Wird die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters in Drittstaaten nicht anerkannt, steht ihm nach Art. 23 I EuInsVO bzw. § 342 InsO ein Herausgabeanspruch gegen jeden Gläubiger wegen ungerechtfertigt erlangter Sondervorteile zu.171 Der Verwalter kann den Gläubiger ggf. auch beauftragen, im Ausland gegen den Schuldner zu vollstrecken. Er kann dann Herausgabe des Erlangten im Inland nach § 667 BGB verlangen.172 20.107 Werden die Befugnisse des Verwalters in einem Drittstaat nicht anerkannt, so hat ihn der Schuldner dabei zu unterstützen, dass der betroffene Vermögensteil ordnungsgemäß verwertet wird. Dazu hat er dem Verwalter Auskunft zu geben (§ 97 InsO) und soweit erforderlich Vollmacht zu erteilen, damit der Verwalter im Ausland im Namen des Schuldners vorgehen kann.173 20.108 Wird ein Sekundärverfahren eröffnet, steht die Verwertungsbefugnis über die Masse des Sekundärverfahrens nur dem Sekundärverwalter zu. Eine Anfechtungsklage kann der Verwalter erheben, dessen Masse verkürzt wurde. Wird das Sekundärverfahren beendet, ohne dass der Sekundärverwalter Anfechtungsklage erhoben hätte, so steht die Klagebefugnis wieder dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zu.174 20.109 Vor einer Verwertung muss der Sekundärverwalter dem Hauptinsolvenzverwalter Gelegenheit geben, Vorschläge für die Verwertung zu machen (Art. 41 II lit. c EuInsVO).175 Dieser kann zusätzlich im Interesse der Gläubiger des Hauptverfahrens eine Aussetzung der Verwertung verlangen (Art. 46 EuInsVO).176
169 H. Schack, IZVR, Rz. 1174; Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 70 f. 170 Ch. Paulus, EuInsVO, 3. Aufl. 2010, Einl 76 f, Art. 18 Rz. 19 f.; B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 57; Pannen/Riedemann, Art. 18 EuInsVO Rz. 46 ff. 171 R. Geimer, IZPR, Rz. 3483; Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 72 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 20 EuInsVO Rz. 4 ff. 172 H. Schack, IZVR, Rz. 1182. 173 H. Schack, IZVR, Rz. 1181; Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 59. 174 BGH, NZI 2015, 183; dazu M. Fehrenbach, NZI 2015, 157. 175 A. Geroldinger, S. 289 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 203 ff. 176 FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 46 EuInsVO Rz. 2 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift Kap. 47 Rz. 218 ff.
1210
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.113 § 20
Nach Art. 3 III 2 EuInsVO a.F. war jedes Sekundärverfahren ein Liquidationsverfahren. Danach musste der Sekundärverwalter die Sekundärmasse wirtschaftlich wenig sinnvoll immer verwerten, selbst wenn eine Sanierung des Unternehmens in einem Insolvenzplan (im Hauptverfahren) ansteht. Aus Art. 2 lit. c EuInsVO a.F. ergab sich freilich, dass dies nicht so gemeint wart, da danach ein Liquidationsverfahren auch durch Vergleich beendet werden kann. Für ein deutsches Sekundärverfahren ist das Problem irrelevant, da in Deutschland nur ein ergebnisoffenes Einheitsverfahren zur Verfügung steht. Bei der Neufassung der EuGVO ist in Art. 3 III der bisherige Satz 2 entfallen, so dass auch in Sekundärverfahren .eine Sanierung angestrebt werden kann. Dies folgt auch aus Art. 41 II lit. b EuInsVO.
20.110
Damit die Gläubiger grds. gleich behandelt werden, muss ein Gläubiger eine nach Eröffnung des Verfahrens erhaltene Befriedigung an den Verwalter herausgeben (Art. 23 I EuInsVO n.F.).177 Auch die in einem Haupt- oder Sekundärverfahren erhaltene Quote muss er sich bei einer weiteren Verteilung in anderen Verfahren anrechnen lassen (Art. 23 II EuInsVO n.F.; § 342 II InsO);178 ein etwaiger Überschuss in einem Sekundärverfahren ist an den Verwalter des Hauptverfahrens abzuliefern (Art. 49 EuInsVO n.F.; § 358 InsO).179
20.111
c) Zusammenarbeit zwischen Insolvenzverwaltern Schrifttum: ALI u III, Guidelines applicable to Court-to-Court Communication in CrossBorder Cases, 2001; L. Czaja, Umsetzung der Kooperationsvorgaben durch die Europäische Insolvenzverordnung im deutschen Insolvenzverfahren, 2009, S. 75 ff.; U. Ehricke, Die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, WM 2005, 397; U. Ehricke, Probleme der Verfahrenskoordination – Eine Analyse der Kooperation von Insolvenzverwaltern und Insolvenzgerichten, in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, S. 127; H. Eidenmüller, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, ZZP 114 (2001), 3; A. Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, 2010; A. Geroldinger, Ausgewählte Fragen zur Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter unter der EuInsVO 2015, in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt, 2017, S. 207; Ch. Paulus, „Protokolle“ – ein anderer Zugang zur Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen, ZIP 1998, 977; UNCITRAL, Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation 2009; B. Wessels, European Communication and Cooperation. Guidelines for Cross-Border Insolvency, 2007. H. Vallender, Zugang ausländischer Insolvenzverwalter zur Vorauswahlliste deutscher Insolvenzgerichte nach Art. 102a EGInsO, ZIP 2011, 454.
20.112
Innerhalb der EU sind die Verwalter von Haupt- und Sekundärverfahren zur umfassenden Zusammenarbeit verpflichtet (Art. 41 EuInsVO n.F.). Sie haben sich über alle für das jeweilige Verfahren relevanten Vorgänge wie Forderungsanmeldungen, Be-
20.113
177 P. Mankowski, Kölner Schrift Kap. 47 Rz. 166; Pannen/Riedemann Art. 20 EuInsVO Rz. 5 ff. 178 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 102 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 20 EuInsVO Rz. 19 ff. 179 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 176 f.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 226; Ch. Dawe, S. 184 ff.
1211
§ 20 Rz. 20.113 | Internationales Insolvenzrecht
streiten angemeldeter Forderungen, Insolvenzanfechtungen, Sanierungspläne etc zu informieren (Art. 41 II lit. a EuInsVO).180
20.114 In der Praxis werden vielfach förmliche Kooperationsvereinbarungen, teilweise auch nur formlose Absprachen (sog protocols) getroffen.181 d) Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte 20.115 Schrifttum: P. Busch/A. Remmert/St. Rüntz/H. Vallender, Kommunikation zwischen Gerichten in grenzüberschreitenden Insolvenzen, NZI 2010, 417; L. Czaja, Umsetzung der Kooperationsvorgaben durch die europäische Insolvenzverordnung im deutschen Insolvenzverfahren, 2009, S. 237 ff.; Ch. Paulus, Globale Grundsätze für die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Insolvenzen und globale Richtlinien für die gerichtliche Kommunikation, RIW 2014, 194; A. Remmert, Kommunikation im internationalen Insolvenzrecht, FS Graf-Schlicker, 2018, S. 373.
Die EuInsVO a.F. enthielt keine Regelung über die Zusammenarbeit inländischer und ausländischer Insolvenzgerichte, etwa zur Klärung, welches Gericht nach Art. 3 EuInsVO tatsächlich zur Verfahrenseröffnung zuständig ist, welche Vermögenswerte welchem Verfahren zuzuordnen sind, ob ggf. die gleiche Person als Verwalter einzusetzen ist.182 Die EuInsVO a.F. verbot eine solche (je nach Fallgestaltung sinnvolle) Zusammenarbeit aber auch nicht.183
20.116 Art. 42 EuInsVO n.F. regelt nun ausdrücklich die Kooperation und Kommunikation zwischen dem Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens und den Gerichten der Sekundärinsolvenzverfahren.184 Art. 43 EuInsVO n.F. sieht ergänzend die Zusammenarbeit zwischen Verwaltern und Gerichten dieser verschiedenen Verfahren vor. Entsprechendes gilt bei Konzerninsolvenzen gem. Art. 57 und Art. 58 EuInsVO nF. 20.117 § 348 II InsO (i.d.F. des ESUG) sieht (inzwischen übereinstimmend mit der EuInsVO) im Anschluss an Art. 25 UNCITRAL-ML vor, dass das deutsche Insolvenzgericht mit einem ausländischen Insolvenzgericht zusammenarbeiten kann, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung des ausländischen Verfahrens gegeben sind oder wenn sie geklärt werden müssen. Das deutsche Gericht darf dabei insb Informationen weitergeben, die für das ausländische Verfahren von Bedeutung sind. Das deutsche Recht ermächtigt zur Zusammenarbeit, verpflichtet aber nicht dazu.185
180 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 129 Rz. 174 ff., § 130 Rz. 159 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 193 ff.; L. Czaja, S. 75 ff., 120 ff.; A. Geroldinger, S. 271 ff. 181 Vgl. M. Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004; Ch. Paulus, ZIP 1998, 977; B. Hess, EuZPR § 9 Rz. 61 f. 182 Krit Ch. Paulus, EuInsVO, Einl Rz. 42. 183 Vgl. A. Geroldinger, S. 394 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 211 ff.; a.A. wohl U. Ehricke in Gottwald, S. 127, 158 ff. (keine Rechtsgrundlage). 184 FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 42 EuInsVO Rz. 1 ff.; Braun/Delzant Art. 42 Rz. 1 ff. 185 Braun/Ehret, InsO, 7. Aufl. 2017, § 348 Rz. 9; FK-InsO/Wenner/Schuster, § 348 Rz. 4 f.
1212
II. Internationale Insolvenzverfahren in Deutschland | Rz. 20.120 § 20
e) Insolvenzplan/Sanierungsverfahren Abschluss und Wirkungen eines Insolvenzplans richten sich nach der lex fori concursus (Art. 7 II 2 lit. j EuInsVO n.F.).
20.118
Nach deutschem Recht richten sich die Wirkungen eines ausländischen Insolvenzplans gem. § 335 InsO ebenfalls nach der lex fori concursus.186 Als materiell-rechtliche Folgewirkung des Insolvenzverfahrens hat der BGH daher dem Schweizerischen Nachlassvertrag gem. § 343 InsO einschließlich eines möglichen Verlusts der Rechte gegenüber Mitschuldnern nach Art. 303 II schweiz. SchKG Inlandswirkung zuerkannt.187 Eingriffe in Sicherungsrechte im Ausland (ohne Zustimmung des Betroffenen) scheitern aber an Art. 8 I EuInsVO n.F. bzw. § 351 InsO.188 Von der Zuständigkeit, einen Insolvenzplan zu bestätigen, ist die Zuständigkeit zu unterscheiden, ein „Scheme of Arrangement“ für ein solventes Unternehmen189 zu bestätigen. Der englische High Court of Justice hat hier seine Zuständigkeit auch dann bejaht, wenn das Unternehmen seinen Sitz nicht in England hat, aber die Mehrzahl der betroffenen Verbindlichkeiten englischem Recht unterliegt und der Fall insoweit hinreichende Verbindung zu England aufweist.190 Die Bestätigung ist eine Entscheidung in Zivilsachen, die nach der EuGVO n.F. (Brüssel Ia-VO) anzuerkennen ist. Allerdings gilt dies nicht mehr, wenn das Verfahren zur Bestätigung nach dem Brexit nach dem Ende der Übergangszeit (31.12.2020) eingeleitet wurde.
20.119
f) Verfahrensbeendigung Voraussetzungen und Wirkungen der Beendigung eines Insolvenzverfahrens richten sich innerhalb der EU gem. Art. 7 II 2 lit. j EuInsVO nach der lex fori concursus.191 Alle insoweit ergangenen Entscheidungen des Gerichts eines EU-Mitgliedstaats sind in den anderen EU-Mitgliedstaaten ohne weiteres anzuerkennen (Art. 32 I 1 EuInsVO). Im Verhältnis zu Drittstaaten sollte dies idealiter nicht anders sein. Jedoch ist insoweit die Anerkennung der Inlandsmaßnahmen nicht gesichert, sondern muss vielfach erst besonders durchgesetzt werden.
186 187 188 189 190
Braun/Ehret § 343 InsO Rz. 18. BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 52 ff.). Vgl. Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 132 Rz. 107. Vgl. U. Schlegel, FS Graf-Schlicker, 2018, S. 381. BGHZ 188, 177 = ZIP 2011, 926; High Court of Justice (Chancery Division) London ZIP 2011, 1017 (Fall Rodenstock); dazu F. Tschentscher, EWiR Art. 1 EuInsVO 1/11, 379. 191 GA Kokott EuGH („Handlowy“), ZIP 2012, 1133; dazu Ch. Paulus, EWiR Art. 27 EuInsVO 1/12, 385; Braun/Tashiro, Art. 7 EuInsVO Rz. 45 ff.
1213
20.120
§ 20 Rz. 20.121 | Internationales Insolvenzrecht
g) Restschuldbefreiung
20.121 Schrifttum: F. Fuchs, Nationale und internationale Aspekte des Restschuldbefreiungs-Tou-
rismus, 2015; H.-P. Mansel, Grenzüberschreitende Restschuldbefreiung – Anerkennung einer (automatic) discharge nach englischem Recht und ordre public, FS v Hoffmann, 2011, S. 683; H. Vallender, Wirkung und Anerkennung einer im Ausland erteilten Restschuldbefreiung, ZInsO 2009, 616.
20.122 Zu den Wirkungen der Beendigung eines Insolvenzverfahrens, die in allen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen sind (Art. 7 II 2 lit. j EuInsVO), gehört auch die Restschuldbefreiung.192 Die Entschuldung darf nicht daran geknüpft werden, dass der Schuldner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem Verfahrensstaat hat.193 Eine Restschuldbefreiung gibt es in England (sec. 281 Insolvency Act 1986) in der Regel bereits „automatisch“ nach einem Jahr.194 Allerdings gibt es wie in Deutschland Ausnahmen, die sec. 281 Insolvency Act 1986 selbst auflistet, z.B. bei Ansprüchen aus Betrug oder sonstiger vorsätzlicher Pflichtverletzung („breach of trust“).195 Restschuldbefreiung gibt es auch in Frankreich,196 in Finnland197 und in Schweden.198 Auch die Anerkennung der Restschuldbefreiung steht unter dem Vorbehalt des Ordre public-Verstoßes.199
20.123 Soweit innerhalb des Restschuldbefreiungsverfahrens die pfändbaren Einkommensteile an einen Treuhänder abzuliefern sind (s. § 287 II InsO), richtet sich der Umfang der Pfändbarkeit gem. Art. 7 II lit. b EuInsVO nach der lex fori concursus, nicht nach dem Recht am aktuellen Arbeitsort oder am neuen Wohnsitz bzw. neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Schuldners.200 20.124 Ob die Restschuldbefreiung in einem Drittstaat Inlandswirkung hat, ist in der InsO nicht geregelt. Ist das dortige Insolvenzverfahren aber im Inland anzuerkennen, so sollte auch die Verfahrensbeendigung mit ihren Folgen umfassend anerkannt werden.
192 FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 7 EuInsVO Rz. 14; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 43; Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 130 Rz. 114; § 131 Rz. 135; H. Schack, IZVR Rz. 1210 ff. 193 EuGH – C-716/17, ECLI:EU:C:2019:598 – A, RIW 2019, 590. 194 Vgl. F. Zilkens, Die discharge in der englischen Privatinsolvenz, 2006; Ch. Renger, Wege zur Restschuldbefreiung nach dem Insolvency Act 1986, 2012. 195 Vgl. OLG Köln, ZIP 2013, 644. 196 Vgl. F. Ferrand, ZEuP 1995, 600. 197 Vgl. P. Koskelo, ZEuP 1995, 622. 198 Vgl. M. Bogdan, ZEuP 1995, 617. 199 LG Berlin, NZI 2014, 581, 582. 200 Vgl. LG Passau, NZI 2014, 1019 (P. Mankowski).
1214
III. Insolvenzkollisionsrecht | Rz. 20.128 § 20
III. Insolvenzkollisionsrecht 1. Allgemeines Schrifttum J. Bode, Die Europäische Insolvenzverordnung: Möglichkeiten und Grenzen der Wahl des Insolvenzstatuts im Rahmen der EuInsVO, 2011; I. Fletcher, Insolvency in Private International Law, 2nd ed. 2005; Ch. Grochowski, Internationales Privatrecht und Geschäftsführerhaftung bei Insolvenzen von Auslandsgesellschaften, 2012; P. v. Hall, Insolvenzverrechnung in bilateralen Clearingsystemen, 2011; W. Hau, Masseanreicherung und Gläubigerschutz im Europäischen Insolvenzrecht: Anfechtung, Eigenkapitalersatz und Durchgriffshaftung, in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, S. 79; J. Thieme, Rom I und Insolvenzverträge, FS v Hoffmann, 2011, S. 483; M.-Ph. Weller, Intertemporale Behandlung der Insolvenzverschleppungshaftung beim Insolvenzstatutenwechsel, FS Ganter, 2010, S. 439.
20.125
2. Allgemeines Hauptanliegen der EuInsVO war es, das Insolvenzkollisionsrecht in der EU weitgehend zu vereinheitlichen. Als Grundregel sieht Art. 7 EuInsVO n.F. vor, dass die lex fori concursus regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Insolvenzverfahren eröffnet, wie es durchzuführen und zu beenden ist. Art. 7 II EuInsVO zählt in einer Art Beispielskatalog auf, welche Fragen nach dieser Grundregel zu beurteilen sind.201
20.126
Art. 7 II EuInsVO erfasst aber nicht alle sonstigen IPR-Fragen. Sie sind nach den allgemeinen IPR-Regeln zu beantworten.202 Für dingliche Rechte Dritter (Art. 8 EuInsVO n.F.), für die Aufrechnung (Art. 9 EuInsVO n.F.), den Eigentumsvorbehalt (Art. 10 EuInsVO n.F.), Verträge über unbewegliche Gegenstände (Art. 11 EuInsVO n.F.), Zahlungssysteme und Finanzmärkte (Art. 12 EuInsVO n.F.), den Arbeitsvertrag (Art. 13 EuInsVO n.F.), Gemeinschaftspatente und -marken (Art. 15 EuInsVO n.F.), die Wirkung auf eintragungspflichtige Rechte (Art. 14 EuInsVO n.F.) sowie für die Insolvenzanfechtung (Art. 16 EuInsVO n.F.) und den Schutz gutgläubiger Dritterwerber (Art. 17 EuInsVO n.F.) sieht die EuInsVO n.F. aber Sonderregelungen vor.
20.127
3. Verträge in der Insolvenz Th. Pfeiffer, Die Unwirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, FS Schütze, 2015, S. 421; E. Schollmeyer, Gegenseitige Verträge im internationalen Insolvenzrecht, 1997.
Die Folgen der Insolvenzeröffnung auf schwebende gegenseitige Verträge ergeben sich aus der jeweiligen lex fori concursus, in Deutschland aus § 103 InsO,203 soweit sich nicht aus Art. 8 bis 14 EuInsVO 2015 ein anderes ergibt. Die Wirksamkeit ver-
201 Vgl. P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 74 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 4 EuInsVO Rz. 14 ff.; Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.121 ff. 202 OLG Hamm, IPRax 2012, 351 (dazu F. Limbach, S. 320); dazu auch P. Mankowski, EWiR Art. 4 EuInsVO 1/12, 51. 203 H. Schack, IZVR, Rz. 1193.
1215
20.128
§ 20 Rz. 20.128 | Internationales Insolvenzrecht
traglicher Lösungsklauseln richtet sich nach der jeweiligen lex fori concursus (Art. 7 II lit. e EuInsVO), nicht nach dem Vertragsstatut.204 4. Dingliche Rechte und Sicherungsrechte in der Insolvenz 20.129 Schrifttum: Ch. Bortz, Urheberrechtliche Lizenzen in nationaler und internationaler Insol-
venz, 2012; U. Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen Insolvenzmasse, FS W. Gerhardt, 2004, S. 319; O. Liersch, Sicherungsrechte im Internationalen Insolvenzrecht, 2001; O. Liersch, Sicherungsrechte im internationalen Insolvenzrecht, NZI 2002, 15; P. Mankowski, Verträge über unbewegliche Gegenstände im europäischen Internationalen Insolvenzrecht (Art. 8 EuInsVO), FS Görg, 2010, S. 273; P. Mankowski, Öffentliche Lasten als dingliche Rechte i.S.v. Art. 5 EuInsVO 2000 bzw. Art. 8 EuInsVO 2015, RIW 2017, 93; C. Naumann, Die Behandlung dinglicher Kreditsicherheiten und Eigentumsvorbehalte nach Art. 5 und 7 EuInsVO, 2004; A. Plappert, Dingliche Sicherungsrechte in der Insolvenz, 2008; St. Reinhart, Die Durchsetzung im Inland belegener Absonderungsrechte bei ausländischen Insolvenzverfahren, IPRax 2012, 417; N. Scherber, Europäische Grundpfandrechte in der nationalen und internationalen Insolvenz im Rechtsvergleich, 2004; J. Schmitz, Dingliche Mobiliarsicherheiten im internationalen Insolvenzrecht, 2011; I. Schneider, Registrierte Gegenstände im grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach der EuInsVO. 2019.
20.130 a) Dingliche Rechte und Sicherheiten bleiben in der Insolvenz grds. erhalten. Ob ein dingliches Recht betroffen ist, ist verordnungsautonom auszulegen.205 Art. 8 II EuInsVO listet Regelbeispiele für dingliche Rechte auf: Verwertungsrechte aufgrund eines Pfandrechts, das ausschließliche Einziehungsrecht bei Forderungen (aufgrund Pfandrecht oder Sicherungsabtretung), das Recht Herausgabe von jedermann zu verlangen und das dingliche Recht zur Fruchtziehung. Diese Liste ist nicht abschließend. Die Grundsteuer als öffentliche Last ist insoweit als dingliches Recht anzusehen, das zur Verwertung des Grundstücks berechtigt.206 20.131 Der Pachtvertrag über einen Hotelbetrieb betrifft nicht nur das Hotelgrundstück, sondern wesentlich auch die Ausstattung und das Personal; auf solche Verträge über Sachgesamtheiten ist Art. 11 EuInsVO 2015 (Art. 8 EuInsVO a.F.) nicht anwendbar.207 20.132 Nach der Sachnorm des Art. 8 I EuInsVO n.F. bzw. des § 351 I InsO werden dingliche Rechte eines Gläubigers oder eines Dritten von der Insolvenz des Schuldners nicht berührt. (Dies gilt auch, wenn das Insolvenzverfahren vor dem Beitritt des Eröffnungsstaats zur EU eröffnet wurde, wenn sich die betreffenden Gegenstände zur Zeit des Beitritts im Eröffnungsstaat befanden.)208 Nach h.M. bedeutet dies, dass dingliche Rechte, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Verfahrenseröffnung belegen sind, ohne jede Beschränkung geltend gemacht werden können und auch nicht den Einschränkungen unterliegen, die ein Insolvenzverfahren in dem La204 205 206 207 208
Th. Pfeiffer, FS Schütze, 2015, S. 421, 429; Braun/Tashiro Art. 7 EuInsVO Rz. 24. ÖOGH, IPRax 2019, 437 (Rz. 22) (dazu I. Schneider, S. 446). EuGH – C-195/15, ELI:EU:C:2016:804 – SCI Senior Home, NZI 2016, 1011. I. Schneider, IPRax 2019, 446, 448. EuGH – C-527/10, ECLI:EU:C:2012:417 – ERSTE Bank v Magyar Állam, ZIP 2012, 1815 = IPRax 2013, 175 (dazu B. Laukemann, S. 150).
1216
III. Insolvenzkollisionsrecht | Rz. 20.135 § 20
gestaat mit sich brächte.209 Sinnvoller wäre es, dem Verwalter jedenfalls die Nutzungs- und Verwertungsrechte einzuräumen, die generell am Belegenheitsort bestehen,210 ohne dass dort ein Sekundärverfahren eröffnet werden müsste. Will ein Gläubiger freilich in der Insolvenz eine Zwangsversteigerung gegen den Schuldner betreiben, so muss er zuvor seinen Titel nach §§ 750 II, 727 ZPO auf den verfügungsbefugten Insolvenzverwalter umschreiben lassen.211 Art. 8 EuInsVO ist auch auf urheberrechtliche Lizenzen anwendbar. Der Lizenznehmer kann die Lizenz also auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiter nutzen und auf ihren Bestand vertrauen.212
20.133
b) Der Eigentumsvorbehalt ist wirtschaftlich ein Sicherungsrecht; die EuInsVO regelt ihn aber besonders. Befindet sich die Vorbehaltsware nicht im Eröffnungsstaat, so bleiben die Rechte des Verkäufers von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Käufer unberührt (Art. 10 I EuInsVO n.F.).213 Es bleibt also bei dem Recht des Belegenheitsstaats. Wird gegen den Vorbehaltsverkäufer ein Insolvenzverfahren eröffnet, bleibt das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers (wie nach § 107 I InsO) insolvenzfest (Art. 10 II EuInsVO n.F.), ein Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters besteht nicht.214 Dieser Schutz soll auch dann erhalten bleiben, wenn nach dem Hauptverfahren in dem Lagestaat ein Sekundärverfahren eröffnet wird und nach dem Recht des Lagestaats keine Insolvenzfestigkeit bestünde.215 Art. 10 EuInsVO n.F. erfasst nur den einfachen Eigentumsvorbehalt; der verlängerte und der erweiterte Eigentumsvorbehalt sind über Art. 8 EuInsVO n.F. gesichert (s. Rz. 20.114).
20.134
5. Aufrechnung in der Insolvenz R. Bork, Die Aufrechnung im internationalen Insolvenzverfahrensrecht, ZIP 2002, 690; J. Garašić, Das für die Aufrechnung der Forderungen maßgebliche Recht nach der EuInsVO 2015, in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt, 2017, S. 163; N. Gruschinske, Das europäische Kollisionsrecht der Aufrechnung unter besonderer Berücksichtigung des Insolvenzfalles, 2008; N. Gruschinske, Die Aufrech-
209 Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 5 EuInsVO Rz. 17 f.; Kindler in MünchKomm/ BGB, Art. 8 EuInsVO Rz. 23; Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 131 Rz. 30 f, 42 ff.; Braun/Tashiro Art. 8 Rz. 17 f.; krit. InsO/Wenner/Schuster, Art. 5 EuInsVO Rz. 9; B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 43 f.; U. Haas, FS Gerhardt, S. 319, 329. 210 Hierfür H. Schack, IZVR, Rz. 1200. 211 BGH, IPRax 2012, 427 (dazu St. Reinhart, S. 417). 212 Ch. Bortz, S. 222 ff., 243; Gottwald/Kolmann/Keller, § 131 Rz. 33. 213 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 10 EuInsVO Rz. 8 ff.; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 10 EuInsVO Rz. 9 f.; Braun/Josko de Marx, Art. 10 Rz. 7; Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.144. 214 FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 10 EuInsVO Rz. 12; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 10 EuInsVO Rz. 12; Braun/Josko de Marx, Art. 10 EuInsVO Rz. 8. 215 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 10 EuInsVO Rz. 13 ff.; a.A. Ch. Paulus, EuInsVO, Art. 7 Rz. 11; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 7 EuInsVO 2000 Rz. 12.
1217
20.135
§ 20 Rz. 20.135 | Internationales Insolvenzrecht nung in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, EuZW 2011, 171; Ch. Jeremias, Internationale Insolvenzaufrechnung, 2005.
20.136 Die Aufrechnung wirkt in der Insolvenz wie ein Sicherungsrecht und soll daher wie dieses durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht beeinträchtigt werden (vgl. EuInsVO n.F. Erwägungsgrund 70). Nach Art. 7 II 2 lit. d EuInsVO n.F. regelt die lex fori concursus daher zwar die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung, eine nach dem Recht, das für die Forderung des Schuldners maßgeblich ist, zulässige Aufrechnung wird davon aber nach Art. 9 I EuInsVO n.F. bzw. § 338 InsO „nicht berührt“, bleibt also zulässig.216 Die Garantiefunktion der lex causae greift aber nur, wenn beide Forderungen einander zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits aufrechenbar gegenüberstanden; ansonsten bleibt es bei der Anwendbarkeit der lex fori concursus.217 Das maßgebliche Forderungsstatut bestimmt sich nach dem allgemeinen IPR, also nach Art. 17 Rom I-VO. Anwendbar sind dabei auch die insolvenzrechtlichen Regeln des Forderungsstatuts.218 Art. 9 EuInsVO n.F. gilt schon nach seinem Wortlaut auch, wenn Forderungsstatut das Recht eines Drittstaats ist.219 Ist die Aufrechnung nach der lex fori concursus zulässig, kommt es auf die lex causae nicht mehr an.220 20.137 Die lex causae schützt aber nach Art. 9 II EuInsVO n.F. nicht vor einer Insolvenzanfechtung oder einer Unwirksamkeit der Aufrechnung aus anderen Gründen nach der lex fori concursus gem. Art. 7 II 2 lit. m EuInsVO.221 20.138 Verrechnungen zwischen Mitgliedern eines Zahlungs- oder Clearingsystems oder eines Finanzmarkts (sog. netting agreements) werden durch Art. 12 EuInsVO n.F. ausschließlich dem Recht unterstellt, das für das fragliche System oder den Markt maßgeblich ist. Störungen dieser Systeme durch nationales Insolvenzrecht soll dadurch verhindert werden.222 Jedoch findet die Regel nach Art. 1 II EuInsVO keine Anwendung auf Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute, so dass ihre praktische Relevanz gering ist.
216 Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 6 EuInsVO 2000 Rz. 12; Braun/Tashiro, Art. 9 EuInsVO Rz. 13 f.; R. Bork, Principles, Rz. 6.52; krit. H. Schack, IZVR, Rz. 1203; zur Frage, ob auch das Nichtinsolvenzrecht der Aufrechnung der beiden .beteiligten Rechtsordnungen mit anzuwenden ist, s. J. Garašić in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, S. 163, 174 ff. 217 R. Bork, ZIP 2002, 690, 694; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 6 EuInsVO 2000 Rz. 11; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 9 EuInsVO Rz. 3; Pannen/Ingelmann, Art. 6 Rz. 8. 218 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 9 EuInsVO Rz. 5; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 6 EuInsVO 2000 Rz. 9. 219 Gottwald/Kolmann/Keller, § 131 Rz. 89; vgl. J. Garašić in Nunner-Krautgasser/Garber/ Jaufer, S. 163, 172. 220 Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 6 EuInsVO 2000 Rz. 7. 221 Braun/Tashiro, Art. 9 EuInsVO Rz. 15; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 6 EuInsVO 2000 Rz. 13. 222 Vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 12 EuInsVO Rz. 3.
1218
III. Insolvenzkollisionsrecht | Rz. 20.140 § 20
6. Insolvenzanfechtung R. Bork, Grenzüberschreitende Insolvenzanfechtung, FS 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, 2015, S. 263; R. Bork/J. Adolphsen, Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, 2006, Teil 8, S. 623 ff.; A. Burgstaller, Zur Anfechtung nach der Europäischen Insolvenzverordnung, FS Jelinek, 2002, S. 31; B. Göpfert, Anfechtbare Aufrechnungslagen im deutsch-amerikanischen Insolvenzrechtsverkehr, 1996; K. Huber, Das für die anfechtbare Rechtshandlung maßgebende Recht, FS W. Gerhardt, 2004, S. 319; J. Klumb, Kollisionsrecht der Insolvenzanfechtung, 2005; M. Prager/Ch. Keller, Die Einrede des Art. 13 EuInsVO, NZI 2011, 697; M. Prager/A. BanghaSzabo, Internationale Insolvenzanfechtung gemäß § 135 InsO, FS K. Wimmer, 2017, S. 506; R. Stangl, Die kollisionsrechtliche Umsetzung des Art. 13 EuInsVO, 2015; R. Stürner/Ch. Fix, Das maßgebliche Recht i.S.d. Art. 13 EuInsVO – Bestimmung und Geltungsumfang, FS Wellensiek, 2011, S. 833; A. Schall, Crossborder-Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz, ZIP 2011, 2177; Ch. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht (§ 10), 2010, S. 761 ff., 807 ff.; Ch. Thole, Die Anwendung des Art. 13 EuInsVO bei Zahlungen auf fremde Schuld, NZI 2013, 113; Ch. Thole, Die Einrede des Anfechtungsgegners gem. Art. 16 EuInsVO 2017 (Art. 13 EuInsVO 2002) zwischen lex causae und lex fori concursus, IPRax 2018, 388; S. Zeeck, Das internationale Anfechtungsrecht in der Insolvenz, 2003; S. Zeeck, Die Anknüpfung der Insolvenzanfechtung, ZInsO 2005, 281.
20.139
Die Insolvenzanfechtung richtet sich gem. Art. 7 II 2 lit. m EuInsVO grds. nach der lex fori concursus.223 Allerdings ordnen Art. 16 EuInsVO n.F. und § 339 InsO an, dass die Handlung dann nicht anfechtbar ist, wenn sie nach der lex causae in keiner Weise angreifbar ist.224 Verwiesen wird insoweit nicht nur auf die insolvenzrechtlichen Regeln des Wirkungsstatuts, sondern auch auf dessen allgemeine Regeln über Willensmängel und Sittenwidrigkeit. Die Anfechtung ist nur dann nicht möglich, wenn die Rechtshandlung nach all diesen Regeln des Wirkungsstatuts nicht angreifbar ist.225 Art. 16 EuInsVO n.F. bildet freilich eine Einrede, auf die sich der Anfechtungsgegner berufen226 und deren Voraussetzungen er beweisen muss.227 Die Art und Weise des Vorbringens und der Berücksichtigung dieser Einrede unterliegt dem Recht des Staates, in dem der Anfechtungsprozess anhängig ist. Dieses Recht darf rein innerstaatliche Sachverhalte aber nicht günstiger regeln und die Ausübung der im EU-Recht vorgesehenen Befugnisse nicht übermäßig erschweren.228 Im Ergebnis führt diese Kumulation dennoch dazu, dass sich das anfechtungsfeindlichste Recht durchsetzt.229
20.140
223 Vgl. BGH, ZIP 2018, 1299 (dazu A. Swierczok, BB 2018, 2957); BGH, ZIP 2018, 1455. 224 Vgl. EuGH – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 – Nike European Operations Netherlands (Rz. 19 ff.), RIW 2016, 49; OLG Koblenz, NZI 2011, 448, 449; OLG Stuttgart, ZIP 2012, 2162; Braun/Tashiro, Art. 16 Rz. 14. Gegen eine Anwendung auf Drittzahlungen Ch. Thole, NZI 2013, 113. 225 BGHZ 217, 300 (Rz. 43 ff.) = NZI 2018, 721; BGH, MDR 2020, 311 (Rz. 18); FK-InsO/ Wenner/Schuster, Art. 16 EuInsVO Rz. 8; H. Schack, IZVR, Rz. 1207 ff. 226 EuGH – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 – Nike European Operations Netherlands (Rz. 23 ff.), RIW 2016, 49, 51 (Ch. Paulus); Braun/Tashiro, Art. 16 EuInsVO Rz. 22; Pannen/Dammann, Art. 13 Rz. 13; HambKomm/Undritz, Art. 13 EuInsVO Rz. 8 f.; M. Prager/Ch. Keller, NZI 2011, 697, 701. 227 BGH, MDR 2020, 311 (Rz. 20). 228 EuGH – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 – Vinyls Italia SpA, IPRax 2018, 422 (dazu Ch. Thole, S. 388). 229 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 131 Rz. 99; B. Hess, EuZPR, § 9 Rz. 46; krit. S. Zeeck, ZInsO 2005, 2.
1219
§ 20 Rz. 20.141 | Internationales Insolvenzrecht
20.141 Art. 16 EuInsVO n.F. auch gilt, wenn die anfechtbare Leistung zwar vor Insolvenzeröffnung initiiert wurde, aber erst nach Insolvenzeröffnung erfolgte. Die Unangreifbarkeit wegen Verjährung richtet sich nicht nach der lex fori concursus, sondern nach der lex causae.230 7. Insolvenzarbeitsrecht
20.142 Nach Art. 13 EuInsVO n.F. sowie § 337 InsO findet auf Arbeitsverträge ausschließlich das Arbeitsvertragsstatut (gem Art. 8 Rom I-VO) Anwendung. Abzustellen ist primär auf die Rechtswahl im Arbeitsvertrag, hilfsweise auf das Recht am gewöhnlichen Arbeitsort, nochmals hilfsweise auf das Recht am Ort des gewöhnlichen Arbeitsantritts. Ist deutsches Recht Arbeitsvertragsstatut, so schließt diese Verweisung eine Geltung von § 113 und § 125 InsO ein, auch wenn das Hauptverfahren selbst in England eröffnet worden ist.231 Ein Administrator englischen Rechts kann also mit den Arbeitnehmern in Deutschland einen Interessenausgleich gem. § 125 InsO vereinbaren.232 Davon abweichend entschied das LAG Baden-Württemberg, dass sich Lohnansprüche deutscher Arbeitnehmer gegen die insolvente griechische Olympic Air wegen Annahmeverzugs gem. Art. 7 EuInsVO n.F. nach griechischem Recht richten und nicht von Art. 13 EuInsVO n.F. erfasst werden.233
20.143 Ob Lohnansprüche ein Insolvenzvorrecht genießen oder nicht, richtet sich dagegen nach dem Recht des Eröffnungsstaats (EuInsVO n.F. Erwägungsgrund 72 Satz 3). Für das allgemeine Betriebsverfassungsrecht gilt der Territorialitätsgrundsatz.234 20.144 Insolvenzgeld (nach §§ 165 ff. SGB III) erhält der in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer (entsprechend Art. 8a Richtlinie Nr. 80/987/EWG v. 20.10.1980 i.d.F. der Richtlinie 2002/74/EG v. 23.9.2002)235 auch, wenn das Insolvenzereignis im Ausland eingetreten ist.236 20.145 Nach Art. 13 Abs. 2 EuInsVO n.F. (sowie Erwägungsgrund 72 Satz 2) verbleibt eine nach dem Wirkungsstatut notwendige Zustimmung des Gerichts zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist oder eröffnet werden könnte, auch wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat tatsächlich nicht eröffnet worden ist.237 230 EuGH – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227, NZI 2015, 478 (P. Mankowski) = IPRax 2016, 260 (dazu A. Piekenbrock, S. 219); BGH, NZI 2015, 1038. 231 ArbG Frankfurt/M., ZIP 2010, 1313; Braun/Josko de Marx, Art. 13 EuInsVO Rz. 14. 232 BAG, NZI 2012, 1011, 1014 ff. 233 LAG Baden-Württemberg, EzA-SD 2012, Nr. 10. 234 F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 337 InsO Rz. 12. 235 ABl. EG Nr. L 270/10. 236 F. Cranshaw in Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 337 InsO Rz. 14; Pannen/Dammann, Art. 10 Rz. 10; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 13 EuInsVO Rz. 7; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 11 ff. 237 Braun/Josko de Marx, Art. 13 EuInsVO Rz. 19.
1220
III. Insolvenzkollisionsrecht | Rz. 20.150 § 20
8. Gesellschaftsrecht K. Pannen, Die „Scheinauslandsgesellschaft“ im Spannungsfeld zwischen dem ausländischen Gesellschaftsstatut und dem inländischen Insolvenzstatut, FS G. Fischer, 2008, S. 403.
20.146
Bei einer Scheinauslandsgesellschaft fallen Insolvenzstatut (Art. 7 EuInsVO) und Gesellschaftsstatut auseinander. Im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten bestimmt sich das Gesellschaftsstatut nach der Gründungstheorie.238 9. Gesellschafterdarlehen Die Regeln über den Nachrang von Gesellschafterdarlehen (§ 39 I Nr. 5 InsO) gehören zum deutschen Insolvenzrecht und sind nach Art. 7 EuInsVO auch auf ein im Inland durchgeführtes Insolvenzverfahren einer Gesellschaft mit Satzungssitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat anzuwenden.239
20.147
Wird über eine Kapitalgesellschaft in Deutschland ein Insolvenzverfahren eröffnet, finden die Regeln über den Eigenkapitalersatz (Nachrang der Gesellschafterdarlehen, § 39 I Nr. 5 InsO) als Insolvenzrecht (Art. 7 EuInsVO) auch dann Anwendung, wenn die Gesellschaft in einem anderen Staat der EU gegründet wurde. Die Regeln sind also insolvenzrechtlich zu qualifizieren.240
20.148
10. Insolvenzverschleppungshaftung, Existenzvernichtungshaftung Schrifttum: O. Berner/L. Klöhn, Insolvenzantragspflicht, Qualifikation und Niederlassungsfreiheit, ZIP 2007, 106; J. Kroh, Der existenzvernichtende Eingriff, 2013; L. Renner, Insolvenzverschleppungshaftung in internationalen Fällen, 2007; Th. Strauß, Insolvenzbezogene Geschäftsleiterhaftung in Europa, 2002.
20.149
Die Haftung wegen Insolvenzverschleppung ist deliktisch zu qualifizieren (Art. 4 Rom II-VO), ist also auch bei ausländischem Gesellschaftsstatut anwendbar.241 Nachdem die Rechtsprechung die Existenzvernichtungshaftung jetzt aus dem Gesellschaftsrecht gelöst hat und rein deliktsrechtlich (§ 826 BGB) einordnet, sollte sie auch international deliktsrechtlich (Art. 4 Rom II-VO) qualifiziert werden.242
238 Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR Rz. 427 ff. 239 OLG Köln, ZIP 2010, 2016; dazu S. Riedemann/Ph. Lesmann, EWiR, § 39 InsO 1/11, 19. 240 BGHZ 190, 364 = ZIP 2011, 1775 = NZI 2011, 818; dazu R. Bork, EWiR 2011, 643; Braun/Tashiro, Art. 7 EuInsVO Rz. 40; so bereits für die „Novellenregeln“ K. Pannen, FS G. Fischer, 2008, S. 403, 418; a.A. (Gesellschaftsrecht) FK-InsO/Wenner/Schuster Art. 7 EuInsVO Rz. 21. 241 K. Pannen, FS G. Fischer, 2008, S. 403, 416 f.; vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 657 ff.; a.A. O. Berner/L. Klöhn, ZIP 2007, 106, 111. 242 Vgl. HambKomm/Undritz, Art. 4 EuInsVO Rz. 22; K. Pannen, FS G. Fischer, 2008, S. 403, 423.
1221
20.150
§ 20 Rz. 20.151 | Internationales Insolvenzrecht
IV. Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren 1. Schrifttum
20.151 L. Bopp, Die Anerkennung ausländischer Restschuldbefreiung in der Schweiz..., FS A. Schny-
der, 2018, S. 35; J. Garašić, Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren (2 Bde), 2005; U. Graf, Die Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheidungen, 2003; B. Hess/B. Laukemann, Überlegungen zum ordre-public-Vorbehalt der Europäischen Insolvenzverordnung, FS Wellensiek, 2011, S. 813; H.-P. Mansel, Grenzüberschreitende Restschuldbefreiung – Anerkennung einer (automatic) discharge nach englischem Recht und ordre public, FS v Hoffmann, 2011, S. 683; J. Ambach, Reichweite und Bedeutung von Art. 25 EuInsVO, 2009; P. Mankowski, Keine Litispendenzsperre unter der EuInsVO, KTS 2009, 453; P. Mankowski, Der ordre public im europäischen und im deutschen Internationalen Insolvenzrecht, KTS 2011, 185; H.-P. Mansel, Grenzüberschreitende Restschuldbefreiung – Anerkennung einer (automatic) discharge nach englischem Recht und ordre public, FS v Hoffmann, 2011, S. 683; K. Priebe, Zur Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englisch-walisischem Recht in Deutschland, ZInsO 2016, 601; S. Sax/A. Swierczok, Die Anerkennung des englischen Scheme of Arrangement in Deutschland post Brexit, ZIP 2017, 601; D. Skauradszun, Einstweilige Maßnahmen nach Art. 36 Abs. 9 EuInsVO n.F., KTS 2016, 419.
2. Europäisches Insolvenzrecht a) Sicherungsmaßnahmen
20.152 Gerichtliche Sicherungsmaßnahmen, die in einem EU-Mitgliedstaat angeordnet werden, sind gem. Art. 32 I Unterabs. 3 EuInsVO automatisch anzuerkennen. Sie werden nach den Art. 39 ff., 47 ff. EuGVO n.F. vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. Art. 32 I Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO).243 Dies gilt auch für die Befugnisse des vorläufigen Verwalters.244 (Dass der vorläufige Verwalter nach EuInsVO Erwägungsgrund 36 Satz 5 in einem Niederlassungsstaat die dort vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen beantragen kann, steht dem nicht entgegen.)245 Eine vorläufige Insolvenzeröffnung nach § 21 II 1 Nr. 2 InsO ist keine Insolvenzeröffnung i.S.v. Art. 19 EuInsVO, sondern nur eine Sicherungsmaßnahme i.S.v. Art. 32 EuInsVO und wird als solche anerkannt.246 b) Eröffnung des Insolvenzverfahrens
20.153 Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht) ist gem. Art. 19 I EuInsVO n.F. (und Erwägungsgrund 65) in allen anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen, selbst wenn gegen den Schuldner in den betreffenden Mitgliedstaat kein Insolvenzverfahren eröffnet werden könnte. Eine Ausnahme be243 Pannen/Riedemann, Art. 25 Rz. 27 ff. 244 FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 32 EuInsVO Rz. 7; Paulus, EuInsVO, Art. 25 Rz. 10; a.A. Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 25 EuGVO Rz. 23; Pannen/Riedemann, Art. 25 Rz. 31. 245 Gottwald/Kolmann/Keller, InsR-Hdb, § 132 Rz. 86, 90. 246 Vgl. Cour d’appel Colmar Rec. Dalloz 2010, 1262; dazu P. Mankowski, EWiR Art. 16 EuInsVO 1/10, 543.
1222
IV. Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren | Rz. 20.157 § 20
steht nur bei einem ordre public-Verstoß gem. Art. 33 EuInsVO n.F. Die internationale Zuständigkeit gem. Art. 3 EuInsVO n.F. gehört dabei nicht zum ordre public. Entscheidungen in Insolvenzverfahren in einem EU-Mitgliedstaat, insb. der Eröffnungsbeschluss und seine Beschlagnahmewirkungen sind in allen anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen. Die Anerkennung erfolgt nach Art. 19, 20, 32 EuInsVO n.F. bzw. § 343 I InsO automatisch iS einer Wirkungserstreckung.247 Anzuerkennen sind auch Entscheidungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen, also insb. Entscheidungen über Anfechtungsklagen (Art. 32 I Unterabs. 2 n.F.). Als Eröffnungsentscheidung ist bereits die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen unter Bestellung eines „starken“ vorläufigen Verwalters anzusehen.248
20.154
Einziges Anerkennungshindernis ist nach Art. 33 EuInsVO n.F. ein (nur in Extremfällen zu bejahender) Verstoß gegen den nationalen ordre public.249 Ansonsten darf die Anerkennung nicht verweigert werden.250 Diese ordre public-Klausel darf nach h.M. nicht dazu verwendet werden, die internationale Zuständigkeit des Eröffnungsstaats nachzuprüfen.251 Wer geltend machen will, dass das ausländische Gericht seine Zuständigkeit nur aufgrund einer arglistigen Täuschung bejaht hat, muss dazu soweit möglich einen Rechtsbehelf im Eröffnungsstaat einlegen und kann nicht abwarten und dann im Anerkennungsstaat einen ordre public-Verstoß geltend machen.252
20.155
Insolvenzeröffnungen aus Drittstaaten werden nach § 343 I 1 InsO ebenfalls automatisch anerkannt, doch gilt dies nur, wenn der ausländische Staat nach dem Spiegelbildprinzip (s. Rz. 12.170) zur Eröffnung zuständig war (§ 343 I 2 Nr. 1 ZPO).253
20.156
Als Folge der Anerkennung darf im Inland kein inländisches Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden (Art. 102 § 3 EGInsO). Es gilt insoweit ein striktes Prioritätsprinzip. Als Zeitpunkt der Eröffnung gilt nach Art. 2 Nr. 8, 7 II lit. f EuInsVO der Zeitpunkt, an dem die Eröffnungsentscheidung wirksam wird; endgültig muss sie nicht sein. Abzustellen ist zur Zeit auf den Erlass eines Vermögensbeschlags gegen den Schuldner, so dass als Eröffnung nicht nur der formelle Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO), sondern auch die Bestellung eines vorläufigen Verwalters mit Ver-
20.157
247 FA-InsR/Holzer, Kap. 12 Rz. 38; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 16 EuInsVO Rz. 19; Pannen/Pannen/Riedemann, Art. 16 Rz. 2; H. Schack, IZVR, Rz. 1217, 1220; .P. Mankowski, Kölner Schrift Kap. 47 Rz. 147; Mayr/Konecny, Handbuch des europ. ZVR, Rz. 17.175 ff., 182 f. 248 EuGHE 2006, I-3854 (Eurofood) = NZI 2006, 360; AG Köln, NZI 2009, 133, 135. 249 Vgl. AG Nürnberg, ZIP 2007, 83; AG Göttingen, NZI 2013, 206; Braun/Dugué, Art. 33 EuInsVO Rz. 9 ff.; Pannen/Riedemann, Art. 26 Rz. 12; R. Bork, Principles, Rz. 2. 25 ff. 250 EuGHE 2010, I-417 (MG Probud Gdynia) = RIW 2010, 224, 227 = IPRax 2011, 589 (dazu M. Würdinger, S. 562). 251 BGH, NZI 2016, 93 (P. Mankowski); Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 49; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 33 EuInsVO Rz. 9. 252 BGH, NZI 2016, 93, 95 (Rz. 20 ff.) (P. Mankowski). 253 R. Geimer, IZPR, Rz. 3514; HambKomm/Undritz, § 343 Rz. 1; Kindler in MünchKomm/ BGB, § 343 InsO Rz. 6, 12 ff.
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§ 20 Rz. 20.157 | Internationales Insolvenzrecht
fügungsbefugnis (§§ 21, 22 InsO) anzusehen ist.254 Ein dennoch eröffnetes Verfahren ist zugunsten des ausländischen Verfahrens wieder einzustellen (Art. 102 § 4 I EGInsO) und bis dahin schwebend unwirksam.255 Im Inland darf auch keine Zwangsvollstreckung gegen das Vermögen des Schuldners erfolgen und kein Arrest mehr angeordnet werden.256 Sicherungsmaßnahmen sind nur noch zulässig, nachdem ein Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gestellt wurde (vgl. Art. 38 III Unterabs. 2 EuInsVO n.F.).
20.158 Art. 102 § 4 II EGInsO sieht allerdings vor, dass die vor Einstellung des inländischen Verfahrens eingetretenen Wirkungen bestehen bleiben. Diese Regelung verstößt aber gegen Art. 20 II EuInsVO. Jedenfalls bei einer bewussten Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens in Kenntnis der Eröffnung in einem EU-Mitgliedstaat kann daher Art. 102 § 4 II EGInsO keine Anwendung finden.257 20.159 Weitere Folge der Anerkennung ist der Vermögensbeschlag gegen den Schuldner.258 Dementsprechend darf der ausländische Verwalter (auch der vorläufige) als Folge der Anerkennung alle Befugnisse nach dem Recht des Eröffnungsstaats auch in den anderen EU-Staaten ausüben, solange dort nicht ein Sekundärverfahren eröffnet worden ist oder eine gegenteilige Sicherungsmaßnahme ergriffen wurde (Art. 21 I 1 EuInsVO). Er darf insb im Inland belegenes Vermögen zur ausländischen Masse ziehen (Art. 21 I 2 EuInsVO).259 Soweit er aufgrund der Eröffnungsentscheidung eine Herausgabevollstreckung gegen den Schuldners betreiben will, kann er diese Entscheidung gem. Art. 102 § 8 I EGInsO im Verfahren nach Art. 32 I Unterabs. 1 EuInsVO i.V.m. Art. 39 ff. EuGVO n.F. (s. Rz. 14.26 ff.) ohne besondere Vollstreckbarerklärung vollstrecken. 20.160 Nach Art. 25 III EuInsVO a.F. konnten im Ausland angeordnete Einschränkungen der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses, mussten aber nicht anerkannt werden.260 Die EuInsVO 2015 enthält keine entsprechende Regel mehr. 20.161 Soweit das ausländische Insolvenzverfahren danach anzuerkennen ist, dürfen im Inland keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen das Vermögen des Schuldners ange254 EuGHE 2006, I-3813 (Eurofood) = NZI 2006, 360; vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 2 EuInsVO Rz. 14 ff.; krit. (nur formeller Eröffnungsbeschluss) Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 11 ff., 14 f.; nach FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 1 EuInsVO Rz. 5, Art. 2 EuInsVO Rz. 15 u. HambKomm/Undritz, Art. 2 EuInsVO Rz. 4 genügt dagegen jede Bestellung eines vorläufigen Verwalters. 255 BGH, RIW 2008, 640, 641 = ZZP 122 (2009), 339 (D. Eckardt). 256 EuGHE 2010, I-417 (MG Probud Gdynia) = ZIP 2010, 187; für „flexible“ Lösung dagegen H. Schack, IZVR, Rz. 1230. 257 BGH, RIW 2008, 640, 642 (Tz. 26) = ZZP 122 (2009), 339, 343. 258 Pannen/Pannen/Riedemann, Art. 16 Rz. 34; H. Schack, IZVR Rz. 1227; P. Mankowski, Kölner Schrift Kap. 47 Rz. 148. 259 P. Mankowski, Kölner Schrift Kap. 47 Rz. 150 ff.; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 18 EuInsVO Rz. 7. 260 Vgl. Pannen/Riedemann, Art. 25 Rz. 49 ff.; FK-InsO/Wenner/Schuster, 6. Aufl., Art. 25 EuInsVO Rz. 9 f.
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IV. Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren | Rz. 20.165 § 20
ordnet werden, es sei denn das Recht des Eröffnungsstaats würde dies gestatten oder es liegt ein Ausnahmefall nach Art. 8–17 EuInsVO vor.261 Wird ein englisches Insolvenzverfahren über das Vermögen eines deutschen Schuldners durchgeführt, so kann ein Verfahren zur Zwangsversteigerung eines massezugehörigen Grundstücks nur beantragt werden, nachdem der Vollstreckungstitel auf den englischen Insolvenzverwalter umgeschrieben und diesem zugestellt wurde.262
20.162
c) Beendigung des Verfahrens Konsequenz der Anerkennung der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens ist nach Art. 32 I 1 EuInsVO 2015, dass auch alle zur Durchführung und Beendigung des Verfahrens ergangenen Gerichtsentscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind.263
20.163
d) Insolvenzplan und Restschuldbefreiung Gleiches gilt für einen gerichtlichen bestätigten Vergleich (Insolvenzplan). Welchen Inhalt der Insolvenzplan haben kann, bestimmt die lex fori concursus (Art. 7 II 2 lit. j). Stimmt die Gruppe der Absonderungsberechtigten (§ 222 I 2 Nr. 1 InsO) dem Plan zu, so greift der Schutz des Art. 8 EuInsVO nicht für den einzelnen Absonderungsberechtigten.264
20.164
Ergeht im Laufe des Verfahrens ein Beschluss über eine Restschuldbefreiung (discharge), ist dieser ebenfalls nach Art. 32 I EuInsVO n.F. anzuerkennen.265 Von praktischem Interesse ist diese Anerkennung, wenn die Restschuldbefreiung im Ausland schneller als in Deutschland erteilt wird, etwa in England grundsätzlich bereits ein Jahr nach Eröffnung des Privatinsolvenzverfahrens.266
20.165
Die Pflicht zur Anerkennung entfällt für das inländische Vermögen des Schuldners auch, soweit im Inland ein Sekundärinsolvenzverfahren gem. Art. 34 EuInsVO n.F. eröffnet worden ist. Sofern die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Drittstaat nach § 343 I InsO anzuerkennen ist, ist nach § 343 II InsO auch ein dort beschlossener Insolvenzplan oder eine dort gewährte Restschuldbefreiung anzuerkennen.267 261 EuGHE 2010, I-417 (MG Probud Gdynia) = ZIP 2010, 187. 262 BGHZ 188, 177 = ZIP 2011, 926; dazu U. P. Gruber, DZWiR 2011, 412; M. Wilhelm, BB 2011, 1491. 263 EuGHE 2010, I-417 (MG Probud Gdynia) = ZIP 2010, 187; dazu J. Schmidt, EWiR, Art. 25 EuInsVO 1/10, 77; Braun/Ehret, Art. 32 EuInsVO Rz. 6. 264 So wohl Ch. Paulus EuInsVO Art. 5 Rz. 18. 265 H.-P. Mansel, FS v Hoffmann, 2011, S. 683, 685; R. Bork, Principles, Rz. 2.55. 266 Vgl. C. W. Hergenröder/Ch. Alsmann, Die Privatinsolvenz auf der britischen Insel, ZVI 2007, 337; Ch. Renger, Wege zur Restschuldbefreiung nach dem Insolvency Act 1986, 2012; zu den Grenzen s. Th. Mehring, Die Durchsetzung von Ansprüchen trotz Restschuldbefreiung nach englischem oder französischem Recht, ZInsO 2012, 1247. 267 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 343 InsO Rz. 42; Kindler in MünchKomm/BGB, § 343 InsO Rz. 38.
1225
§ 20 Rz. 20.166 | Internationales Insolvenzrecht
20.166 Verlegt ein deutscher Schuldner sein Wohnsitz nur zum Schein nach England, um dort einfacher eine Restschuldbefreiung zu erlangen, so verstößt die englische Restschuldbefreiung gegen den deutschen ordre public (Art. 33 EuInsVO n.F.); die von der Restschuldbefreiung erfassten Forderungen sind daher in Deutschland durchsetzbar.268 Zu beachten ist auch Art. 24 IV EuInsVO 2015. Falls ausländische Gläubiger nicht über die Möglichkeit der Anfechtung in einem mit dem Europäischen Justizportal vernetzten Register öffentlich informiert wurden, berührt das ausländische Insolvenzverfahren nicht ihre Rechte.269 20.167 Ein gerichtlich genehmigter Vergleichsplan nach englischem Gesellschaftsrecht über das Vermögen einer Versicherung („scheme of arrangement“) fällt nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO (Art. 1 I EuInsVO n.F.), da dieses Verfahren nicht im Anhang A zur EuInsVO aufgeführt ist. Der Vergleich ist auch nicht nach § 88 Ia VAG, hilfsweise § 343 InsO anzuerkennen, da das Scheme of Arrangement-Verfahren kein Insolvenzverfahren ist.270 Anzuerkennen ist die gerichtliche Genehmigung aber als Entscheidung in einer Zivil- und Handelssache nach Art. 36 ff. EuGVO nF.271 e) Anerkennung von Annexentscheidungen
20.168 Nach Art. 32 I Unterabs. 2 EuInsVO sind auch Annexentscheidungen272 (s. Rz. 20.63 ff.) automatisch anzuerkennen; sie können nach Art. 32 I 2 EuInsVO gem. Art. 39 ff. EuGVO n.F. (s. Rz. 14.26 ff.) ohne besondere Vollstreckbarerklärung vollstreckt werden. Art. 32 II EuInsVO n.F. ist eine Regel zur Klarstellung, dass jede Entscheidung entweder von der EuGVO n.F. (Brüssel Ia) oder der EuInsVO n.F. erfasst werden soll. EuGVO n.F. und EuInsVO n.F. sollen insoweit lückenlos ineinander greifen.273 3. Anerkennung nach autonomem deutschen Recht a) Schrifttum
20.169 O. Gebler/D. Stracke, Anerkennung des US-Chapter-11-Verfahrens als Insolvenzverfahren,
NZI 2010, 859; U. Graf, Die Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheidungen, 2003; F. Podewils, Zur Anerkennung von Chapter 11 in Deutschland, ZInsO 2010, 209.
Die EuInsVO hat Vorrang vor dem autonomen deutschen internationalen Insolvenzrecht. 268 LG Köln, NZI 2011, 957 (P. Mankowski) = ZIP 2011, 2119; krit. H. Vallender, EWiR, Art. 26 EuInsVO 1/11, 775. 269 Vgl. Braun/Dugué, Art. 33 Rz. 25. 270 BGH, NZI 2012, 425, 427 (Rz. 24); Ch. Paulus, ZIP 2011, 1077, 1080. 271 Vgl. D. Schulz, ZIP 2015, 1912. 272 HambKomm/Undritz, Art. 25 EuInsVO Rz. 4 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 168; Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 25 EuInsVO Rz. 15 ff. 273 BGH, NZI 2014, 723 (Rz. 6) = IPRax 2015, 569 (dazu M. Stürner, S. 535); Braun/Ehret, Art. 32 EuInsVO Rz. 21; Pannen/Riedemann, Art. 25 EuInsVO Rz. 44 ff.; P. Mankowski, Kölner Schrift, Kap. 47 Rz. 170.
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IV. Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren | Rz. 20.172 § 20
b) Anerkennungsvoraussetzungen Insolvenzverfahren in Drittstaaten werden nach § 343 InsO ebenfalls automatisch anerkannt. Dazu müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
20.170
(1) Es muss sich funktional um ein Insolvenzverfahren handeln. (2) Dieses muss Auslandswirkung beanspruchen. (3) Das ausländische Insolvenzgericht muss international (nach deutschem Recht) zuständig sein274 und (4) das Verfahren im Ausland darf nicht gegen den deutschen ordre public verstoßen. Das Schweizer Nachlassverfahren ist ein Insolvenzverfahren i.S.d. § 343 InsO, so dass auch die gerichtliche Bestätigung eines Nachlassvertrages gem. Art. 304 II schweiz. SchKG anzuerkennen ist.275 Das US-amerikanische Recht kennt ein reines Liquidationsverfahren nach Chapter 7 sowie ein Reorganisationsverfahren nach Chapter 11. Beide sind in Deutschland als Insolvenzverfahren anzuerkennen.276 c) Folgen der Anerkennung Ein anzuerkennendes ausländisches Insolvenzverfahren ist im Inland öffentlich bekannt zu machen; auf Antrag des ausländischen Verwalters sind Verfügungsbeschränkungen im Grundbuch einzutragen (§ 346 InsO).277 Der ausländische Verwalter kann im Inland tätig werden. Dabei hat er seine Rechtsstellung durch eine beglaubigte Abschrift seiner Bestellung oder durch eine besondere Bescheinigung nachzuweisen (§ 347 InsO).
20.171
Wird ein anzuerkennendes ausländisches Insolvenzverfahren eröffnet, sind Verfügungen über inländische Grundstücke nach Maßgabe des § 349 InsO i.V.m. § 878 BGB dennoch wirksam.278 Leistungen im Inland an den Schuldner sind wirksam, solange der Leistende die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht kannte (§ 350 InsO).279
20.172
274 Vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, § 343 InsO Rz. 12 ff.; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 72; FK-InsO/Wenner/Schuster, § 343 InsO Rz. 17 ff. 275 BGH, ZIP 2014, 1997 (Rz. 52 ff.). 276 BGH, NZI 2009, 859 = ZIP 2009, 2217 („Schnellverschlusskappe“) = ZZP 123 (2010), 243 (Ch. Paulus); dazu O. Gebler/D. Stracke, NZI 2010, 13. 277 Kindler in MünchKomm/BGB, § 346 Rz. 4 ff.; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 78; ggf. unter Angleichung FK-InsO/Wenner/Schuster, § 346 InsO Rz. 5. 278 Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 82; Kindler in MünchKomm/BGB, § 349 InsO Rz. 3 ff., 6. 279 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 350 InsO Rz. 7 f.; Kindler in MünchKomm/BGB, § 350 Rz. 5 ff.; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 84.
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§ 20 Rz. 20.173 | Internationales Insolvenzrecht
20.173 Dingliche Rechte im Inland werden durch die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht berührt (§ 351 InsO), d.h. die Verfahrenseröffnung im Ausland hat keinerlei Wirkungen. Der Sicherungsgläubiger kann sie so verwerten, als gäbe es kein ausländisches Verfahren.280 d) Vollstreckung ausländischer Insolvenzentscheidungen
20.174 Ausländische Insolvenzentscheidungen aus Drittstaaten werden im Inland nur vollstreckt, nachdem sie durch Vollstreckungsurteil gem. §§ 722, 723 ZPO für vollstreckbar erklärt wurden (§ 353 InsO). Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten ist also an die Erfüllung erheblicher Förmlichkeiten geknüpft. Erfasst sind der Eröffnungsbeschluss, Entscheidungen über Pflichten des Schuldners, die Feststellung bestrittener Forderungen und die gerichtliche Bestätigung eines Insolvenzplans (Zwangsvergleichs).281 Da § 353 I InsO nicht auf § 723 II ZPO verweist, muss die anzuerkennende Entscheidung nicht rechtskräftig sein.282 Nach § 353 II InsO können auch Sicherungsmaßnahmen eine drittstaatlichen Insolvenzgerichts für vollstreckbar erklärt werden.283 4. Auslandswirkung des deutschen Insolvenzverfahrens
20.175 Schrifttum: P. Gottwald, Insolvenzrechtliche Annexverfahren im Verhältnis Deutschland –
Schweiz, FS I. Meier, 2015, S. 249; F. Lorandi, Das Internationale Insolvenzrecht der Schweiz im Umbruch, in Hess, Europäisches Insolvenzrecht ..., 2019, S. 51; H. J. Miguens/H.P. Esser, Wirkungen eines deutschen Insolvenzverfahrens bei Vermögen im Ausland – Unterschiedliche Regelungsansätze im internationalen Insolvenzrecht am Beispiel Argentiniens, NZI 2011, 277.
Ein deutsches Hauptinsolvenzverfahren beansprucht weltweite Geltung (s. Rz. 20.17). Innerhalb der EU-Staaten sichert die EuInsVO, dass dieser Anspruch automatisch anerkannt wird (Art. 19 I EuInsVO). Ob und wie sich Wirkungen eines deutschen Insolvenzverfahrens auf Drittstaaten erstrecken, richtet sich freilich nach deren Recht. Folgt der Drittstaat dem UNCITRAL-ML muss der deutsche Verwalter erst eine Anerkennung seines Verfahrens beantragen (s. Rz. 20.32 ff.). In den USA muss der deutsche Verwalter sein Verfahren nach Chapter 15 Bankruptcy Code anerkennen lassen.284
280 Thole in MünchKomm/InsO, § 351 InsO Rz. 10; Kindler in MünchKomm/BGB, § 351 InsO Rz. 8 f.; a.A. FK-InsO/Wenner/Schuster, § 351 Rz. 12; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 86 f. 281 FK-InsO/Wenner/Schuster, § 353 InsO Rz. 3; Thole in MünchKomm/InsO, § 353 InsO Rz. 3; Kindler in MünchKomm/BGB, § 353 InsO Rz. 2. 282 Thole in MünchKomm/InsO, § 353 InsO Rz. 6; Ch. Paulus, Kölner Schrift, Kap. 46 Rz. 90; FK-InsO/Wenner/Schuster § 353 Rz. 6. 283 Thole in MünchKomm/InsO, § 353 InsO Rz. 9. 284 Vgl. D. Glosband/J. Westbrook, Chap. 15 Recognition in the United States, Int.Insolv.Rev. 24 (2015), 28
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V. Sonderbereiche | Rz. 20.178 § 20
V. Sonderbereiche 1. Schrifttum R. Chattopadhyay, Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, WM 2013, 405; C. Dodt, Zum Anwendungsbereich der RL 2001/24/EG über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, WM 2019, 529; P. Gottwald, Bankeninsolvenzen im europäischen Wirtschaftsraum, FS Georgiades, Athen 2005, S. 823; P. Gottwald/M. Obermüller, Insolvenzrechts-Handbuch (§ 101 Bankinsolvenzen), 6. Aufl. 2020, S. 2147; H. Heiss/J. Gölz, Zur deutschen Umsetzung der Richtlinie 2001/17/EG ... über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, NZI 2006, 1; A. Kern, European Central Bank’s Single Supervisory Mechanism, FS I. Meier, 2015, S. 1; H. Kollhosser/E. Goos, Das neue Insolvenzrecht im Versicherungsaufsichtsrecht, FS W. Gerhardt, 2004, S. 487; G. Moss/B. Wessels/ M. Haentjens, EU Banking and Insurance Insolvency, 2nd ed. 2017; K. Pannen, Sanierung – Abwicklung – Insolvenz von Kreditinstituten, 4. Aufl. 2018; Ch. Paulus, Was kann die EuInsVO und das allgemeine Insolvenzrecht von der BRRD lernen?, in Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt, 2017, S. 271; R. Stürner, Die europäische Sanierungs- und Liquidationsrichtlinie für Banken und die deutschen Hypothekenbanken, FS Kirchhof, 2003, S. 467; K. Wimmer, Die Richtlinien 23001/17/ EG und 2001/24/EG über die Sanierung von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten, ZInsO 2002, 897.
20.176
2. Bankeninsolvenz Bankeninsolvenzen sind nach Art. 1 II lit. b EuInsVO nicht von der EuInsVO erfasst. Aufgrund der Finanzkrise von 2007 und der nachfolgenden Eurokrise hat die EU mit der Richtlinie 2014/59/EU v. 15.5.2014285 einen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierformen entwickelt, der Bankeninsolvenzen verhindern soll. Um den TLAC-Standard zu erreichen, wurde diese Richtlinie durch die Richtlinie (EU) 2017/2399 v. 12.12.2017286 und die Richtlinie (EU) 2019/879 v. 20.5.2019 geändert.287 Die Richtlinie 2014/59/EU wurde in Deutschland durch das BRRD-Umsetzungsgesetz umgesetzt. Art. 1 dieses Gesetzes ist das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG),288 das zum 1.1.2025 in Kraft trat. §§ 12 ff. SAG sehen vor, dass frühzeitig eine Sanierungsplanung zu veranlassen ist. Falls erforderlich kann die Aufsichtsbehörde die Geschäftsleitung abberufen und einen vorläufigen Verwalter bestellen (§§ 37, 38 SAG). Es sind vorsorglich Abwicklungspläne aufzustellen (§§ 40 ff. SAG).
20.177
Ist ein Kreditinstitut trotz allem in seinem Bestand gefährdet, weil es überschuldet, zahlungsunfähig oder drohende Zahlungsunfähigkeit besteht (§ 63 SAG) und kann die Gefährdung nicht anders abgewendet werden, stellt die Aufsichtsbehörde (oder die Abwicklungsbehörde) die Bestandsgefährdung fest (§ 62 II SAG). Die Abwicklungsbehörde leitet dann die erforderlichen Maßnahmen ein. Als Abwicklungsmaßnahmen sind die Beteiligung von Anteilsinhabern und Gläubigern (§§ 89 ff. SAG)
20.178
285 286 287 288
ABl. EU 2014 Nr. L 173/84. ABl. EU 2017 Nr. L 345/96. ABl. EU 2019 Nr. L 150/296. BGBl. I 2014, 2091.
1229
§ 20 Rz. 20.178 | Internationales Insolvenzrecht
mit Inanspruchnahme eines einheitlichen Ausgleichsfonds (§ 94 SAG),289 die Übertragung von Anteilen und Vermögenswerten (§§ 107 ff. SAG), aber auch die Unternehmensveräußerung (§§ 126 ff. SAG) vorgesehen. Ausführlich geregelt ist die grenzüberschreitende Gruppenabwicklung (§§ 154 ff. SAG) und die Anerkennung und Durchsetzung von Drittstaatabwicklungsverfahren (§§ 169 f SAG).
20.179 Das SAG wird ergänzt durch einen einheitlichen europäischen Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM). Dieser wurde mit der Verordnung (EU) Nr. 1204/2013 v. 15.10.2013290 eingeführt und ist heute in der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 v. 15.7.2014,291 geändert durch die Verordnung (EU) 2019/ 877 vom 20.5.2019292 geregelt. Danach wird die Aufsicht über Großbanken in der Eurozone einheitlich durch die Europäische Zentralbank ausgeübt. Abwicklungsgremium ist das Single Resolution Board (SRB) mit Sitz in Brüssel. 20.180 Für andere Banken sind weiterhin in §§ 45 ff. KWG bankaufsichtliche Maßnahmen der BAFin vorgesehen, die den Eintritt der Insolvenz verhindern sollen. Gelingt dies nicht, haben die Geschäftsleiter die (drohende) Insolvenz der BAFin anzuzeigen (§ 46b I 1 KWG). Den Insolvenzantrag kann dann nur die BAFin stellen (§ 46b I 4 KWG). 20.181 Ergänzend sieht § 46e KWG vor, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines CRR-Instituts (Bank mit Kundeneinlagen) in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums stets anzuerkennen ist. Bei der Insolvenz von Mutterunternehmen und Tochterunternehmen mit Sitz in verschiedenen EUbzw. EWR-Staaten sind beide Verfahren grundsätzlich unabhängig voneinander abzuwickeln und in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen.293 20.182 Außerdem hat der europäische Gesetzgeber die Richtlinie 1998/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen v. 19.5.1998 erlassen.294 Nach Art. 1 II lit. c, d EuInsVO gilt insoweit nicht die EuInsVO, sondern entsprechend Erwägungsgrund 19 zur EuInsVO nur das auf das betreffende System bzw. den Markt anwendbare Recht. Zusammen mit Art. 12 EuInsVO, § 340 III InsO sowie § 96 II InsO und § 1 XVI KWG soll dadurch erreicht werden, dass erteilte Zahlungsaufträge trotz Insolvenz noch ausgeführt werden und Aufrechnungen insolvenzfest sind.295
289 Dessen Stärkung bereits beschlossen ist, vgl. E. Gurlit, Die Entwicklung des Banken- u. Kapitalmarktaufsichtsrechts sei 2017, WM 2020, 57, 59. 290 ABl. EU 2013 Nr. L 287/63. 291 ABl. EU 2014 Nr. L 225/1. 292 ABl. EU 2019 Nr. L 150/226. 293 Vgl. Joint Administration of Heritable Bank plc v The Winding Up Board of Landsbanki Islands (Scotland), [2013] UKSC 13; dazu J. Kroh, ZEuP 2014, 426. 294 ABl. EG Nr. L 166/45 v. 11.6.1998; zuletzt geändert durch die Richtlinie (EU) 2019/879 v. 20.5.2019 (ABl. Nr. L 150/296). 295 Kindler in MünchKomm/BGB, Vor Art. 1 EuInsVO Rz. 26 ff.
1230
VI. Ausländisches Insolvenzrecht | Rz. 20.184 § 20
3. Versicherungsinsolvenz Auch Versicherungsinsolvenzen fallen nicht unter die EuInsVO (Art. 1 II lit. a EuInsVO). Insoweit gilt die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II),296 geändert durch die Richtlinie 2014/51/EU v. 16.4.2014.297 Umgesetzt wurde diese Richtlinie durch das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen v. 1.4.2015, das eine Neufassung des VAG enthält.298 Die dort festgelegten Anforderungen an Eigenkapital und Finanzstruktur von Versicherungen sollen Insolvenzen ausschließen. Versicherungen bleiben aber nach allgemeinen Regeln insolvenzfähig.
20.183
VI. Ausländisches Insolvenzrecht Frankreich: J. E. Degenhardt, Die Reform des französischen Insolvenzrechts durch die Gesetze für „Wachstum, Aktivität und Gleichheit der wirtschaftlichen Chancen“ und zur „Modernisierung der Justiz des 21. Jahrhunderts“, NZI 2017, 134. Indien: J. Podehl/B. Niesert, Der neue indische „Insolvency and Bankruptcy Code, 2016“, RIW 2017, 17. Rumänien: A. Rusu, Rumänisches Insolvenzrecht, 2013. Schweiz: T. Domej/M. Jakob, Entwicklungen im schweizerischen internationalen Niederlassungskonkursrecht, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 39; M. Jakob/R. Hunsperger, Zur Liberalisierung des schweizerischen internationalen Insolvenzrechts, NZI 2018, 545; Ch. Kern/N. Kranzhöfer, Das schweizerische Internationale Insolvenzrecht auf dem Weg in die Moderne?, ZZPInt 23 (2018), 161; F. Lorandi, Die Revision des internationalen Insolvenzrechts (Art. 166 ff. IPRG), FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 181; A. Markus, Ohne Hilfskonkurs – ein Paradigmenwechsel im internationalen Insolvenzrecht der Schweiz, FS Kren Kostkiewicz, 2018, S. 221; D. Staehelin, Die Revision des schweizerischen internationalen Insolvenzrechts und das UNCITRAL Model Law, FS A. Schnyder, 2018, 357. USA: J. De Carl Adler, Managing the Chapter 15 Cross-Border Insolvency Case, Federal Judicial Center, 2014. Vietnam: H. Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzrichters nach dem neuen vietnamesischen Insolvenzrecht, FS K. Schmidt, Bd. 2, 2019, S. 555.
296 ABl. EG Nr. L 335/1 v. 17.12.2009; geändert durch die Richtlinie 2012/23/EU v. 12.9.2012 (ABl. EU Nr. L 249/1 v. 14.9.2012). 297 ABl. EU 2014 Nr. L 153/1. 298 BGBl. I, 2015, 434 (zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.3.2020, BGBl. 2020 I, 529); vgl. Prölss/Dreher, VAG, 13. Aufl. 2018, Einl. Rz. 69 ff.
1231
20.184
1232
Sachregister Die fetten Ziffern verweisen auf die Paragrafen, die mageren auf die Randziffern innerhalb der Paragrafen. Abänderung – ausländischer Entscheidungen 15.251, 15.300 f., 15.330; 16.32 – von Sorgerechtsentscheidungen 13.64, 13.77
Adoptionswirkungsgesetz 4.123; 13.98 ff., 13.102 ADSp 3.426, 3.546 Ägypten 5.97; 12.216
Abänderungsantrag/-klage 4.144; 6.26; 15.300 ff., 15.330
Äthiopien 5.97; 12.216
Abgabe ins Ausland 4.199, 4.201; 6.203, 6.284
Afghanistan 5.97; 12.216
Ablehnungsgründe für Rechtshilfeersuchen – um Beweisaufnahmen 9.30 ff., 9.55 ff., 9.79 f., 9.123 ff. – um Zustellungen 8.121 ff., 8.149, 8.159, 8.167
Affidavits 10.100, 10.172; 11.72 Agenturgerichtsstand 3.119 ff., 3.526 f. Aktenübersendung 9.95, 9.97 Albanien 5.97; 12.216 Algerien 3.647; 5.97; 12.216 Alien Tort Claims Act 3.632
Abstammungsverfahren 4.113 ff.; 6.123 ff.; 10.178, 10.182, 10.187, 10.192; 12.182; 13.89 ff.
American Arbitration Association 18.94, 18.155
Abwehrgesetze 6.312 ff.
Amsterdamer Vertrag 1.59; 3.9
Act of State-Doctrin 2.32
Amtliche Auskunft 9.95
Act-clair Doktrin 1.77
Amtsgericht, Zuständigkeit für Vollstreckbarerklärung 15.110, 15.305, 15.327
Acte sous seing privé 10.145 ff. Action directe 3.162, 3.281 Action of debt 16.41 ff. Action upon the judgment 16.25, 16.36
Amicus curiae 6.84
Amtsprüfung der Anerkennungsvoraussetzungen 12.38, 12.176
Adhäsionsverfahren 3.116; 12.66
Anationaler Schiedsspruch 18.258, 18.277
Administration of Justice Act 1920 16.54
Andorra 5.97; 8.175; 9.172; 12.216
Admirality jurisdiction 3.636 Adoption, internationale – Anerkennung 13.94 ff. – Zusammenarbeit mit Ausland 7.66 – Zuständigkeit 4.116 ff. Adoptionshilfegesetz 13.102
Anerkenntnisurteil 12.9 Anerkennung ausländischer Entscheidungen – Adoptionsentscheidung 13.94 ff., 13.102 – in arabischen Staaten 16.111 ff. – Art und Weise der 12.21 ff., 12.123 ff. 1233
Stichwortverzeichnis
– automatische 12.21; 13.3 ff., 13.56, 13.80, 13.84, 13.95, 13.102, 13.116, 13.120, 13.128, 13.132, 13.137, 13.145, 13.147, 13.153, 13.159 – in Betreuungssachen 13.153 ff. – in Civil Law Staaten des europäischen Rechtsraums 16.75 ff. – in Common Law Staaten 16.38 ff. – in Ehesachen 13.3 ff., 13.26 ff. – in Ehewohnungs- u. Haushaltssachen 13.113 – einstweiliger Maßnahmen 12.10, 12.15.184 – in Erbrechtssachen 13.158 ff. – der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 20.153 ff., 20.171 ff. – in formellem Verfahren 12.22 ff.; 13.28 ff., 13.68, 13.87, 13.98 ff., 13.102, 13.155, 13.161 – der Gestaltungswirkung 12.35, 12.145 – in Gewaltschutzsachen 13.116 – in Güterrechtssachen 13.119 f. – nach Haager Anerkennungsübereinkommen 12.112 ff. – nach Haager Gerichtsstandsübereinkommen 12.102 ff. – insolvenzrechtlicher Annexentscheidungen 20.168 – internationaler Gerichte 12.166 – der Interventionswirkung 12.34, 12.146 – inzidente 12.27, 12.128 – kraft Gesetzes 12.21, 12.23, 12.123 ff. – in Lateinamerika 16.64 ff. – in Lebenspartnerschaftssachen 13.149 ff. – der materiellen Rechtskraft 12.22, 12.134 ff. – in ost- und südosteuropäischen Staaten 16.97 ff. – in Ostasien 16.120 ff. – in Sorgerechtssachen 13.56 ff., 13.83 ff. 1234
– in Unterhaltssachen 13.127 ff.; 14.99; 15.261, 15.279 – Versagungsgründe der 12.37 ff., 12.169 ff.; 13.19 ff., 13.43 ff., 13.57 ff., 13.85 f., 13.90 ff., 13.97, 13.104 ff., 13.120, 13.133, 13.141, 13.154; 15.27 ff., 15.113, 15.126, 15.155, 15.205 ff., 15.240, 15.255, 15.263, 15.275, 15.298 f., 15.314 – der Vollstreckbarkeit 12.154 f.; 14.2 ff., 14.7 ff., 14.26 f., 14.29 ff., 14.79, 14.93, 14.99 ff., 14.118, 14.121, 14.136 – Wirkung der 12.28 ff., 12.129 ff. – von Zwischenentscheidungen 12.11 Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren 20.29 ff., 20.32 ff., 20.151 ff. Anerkennung ausländischer Personenstandsurkunden 13.169 Anerkennung ausländischer Schiedssprüche 12.18, 12.165; 18.219 ff., 18.274 ff. Anerkennung deutscher Urteile im Ausland 16.2 ff. Anerkennung von Ehescheidungen 13.3 ff., 13.26 ff. Anerkennung von Sicherungsmaßnahmen 20.152 Anerkennungsfähige Entscheidungen in Zivilsachen 12.6 ff., 12.156 ff.; 14.93 Anerkennungsverfahren 12.21 ff., 12.123 ff.; 15.274 ff. – für Auslandsadoptionen 13.95, 13.98 f., 13.102 – für Ehescheidungen 13.11 ff., 13.27 ff. – selbständiges 12.22, 12.24, 12.126; 13.11 ff., 13.28 ff., 13.68, 13.98 ff., 13.102, 13.155, 13.161 Anerkennungsverträge 15.122 ff., 15.132, 15.134 ff., 15.144 ff., 15.260 ff., 15.269 ff., 15.287 ff., 15.395 f.
Stichwortverzeichnis
Anerkennungsvoraussetzungen 12.38 ff., 12.169 ff.; 13.19 ff., 13.43, 13.56 ff., 13.75, 13.85 f., 13.90 f., 13.97, 13.104 ff., 13.141 f., 13.154, 13.160; 15.111, 15.274 ff.; 20.153 f., 20.170 ff. Anerkennungswirkungen 12.25, 12.28 ff., 12.129 ff.; 20.23, 20.154, 20.171 ff. Anerkennungszuständigkeit 12.93 ff., 12.170 ff.; 13.20, 13.43 ff., 13.57, 13.85, 13.90, 13.133, 13.139, 13.154; 15.155, 15.191 ff., 15.261 f., 15.275, 15.290 f. – internationale in Ehesachen 13.20, 13.43 ff.; 15.203 – bei Mehrrechtsstaaten 12.173
Anspruchsgrundlagenkonkurrenz 3.87, 3.96, 3.596 Antigua und Barbuda 5.97 Antisuit injunction 3.277; 6.301 ff.; 8.125; 12.54; 18.196 Antrittszuständigkeit 4.30 f., 4.32 Anwalt – ausländischer 6.408 ff. – deutscher 6.401, 6.420 ff. – dienstleistender europäischer 5.60; 6.412 – niedergelassener europäischer 6.409 – Verkehrs- 6.432 – aus WHO-Staat 6.413 Anwaltskosten 6.404 ff., 6.430
Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters 3.32; 20.71 ff.
Anwaltsrecht, internationales 6.400 ff.
Angleichung 1.44 ff.; 11.20
Anwaltsvertrag 6.401 ff.
Angola 5.97
Anwaltsvergleich 14.35; 15.80
Anhörung der Parteien 9.154; 15.103
Anwesenheit als Zuständigkeitsgrund 3.605 ff.
Ankerbeklagter 3.142
Apostille 8.104; 10.135
Annexkompetenz 3.87, 3.96, 3.596; 20.30 ff.
Arab Monetary Fund 5.40
Annexverfahren – in Ehesachen 4.17 f., 4.41 ff. – bei Insolvenzverfahren 20.70 ff., 20.168
Arbeitnehmer ausländischer Botschaften 2.11, 2.22
Anordnung – einstweilige im Familienrecht 17.61, 17.68, 17.69 f., 17.71, 17.73, 17.76, 17.78, 17.81 Anpassung 1.44, 1.46, 1.53; 6.20; 11.20 Anrechnung ausländischer Insolvenzquote 20.111 Anscheinsbeweis 10.60, 10.64 Anspruch – ausländisch öffentlich-rechtlicher 2.30 f.; 6.18
Arabische Staaten 16.111 ff.; 18.335
Arbeitsstreitigkeit 1.6; 3.28 Arbeitsvertrag, internationale Zuständigkeit 3.206 ff. Argentinien 3.654; 5.97; 12.216 Armenien 5.97 Arrest 12.10 81, 12.158 – gegen ausländische Staaten 2.51 f. – internationaler 17.47 ff. – von Luftfahrzeugen 17.43 – persönlicher 17.56 – in Seeschiffe 3.129 f.; 15.91; 17.44 Arrestanspruch 17.57 ff. Arrestgerichtsstand 3.129 f., 3.638 ff. 1235
Stichwortverzeichnis
Arrestgrund 17.51 ff. Arrestpfändung 17.64 Arrestverfahren 2.51; 17.47 ff. Arrestvollziehung 17.46, 17.64 ff. Aserbaidschan 5.974 Astreinte 19.110 f. Asylberechtigter 4.31; 5.4 Asylbewerber 4.36 Attachment order 17.175 Aufenthalt – einfacher 3.605 ff., 3.608 ff.; 4.52 – gewöhnlicher 4.6 ff, 4.37, 4.48 ff.; 13.85; 15.192, 15.261, 15.275, 15.291 f.; 18.285 Aufenthaltszuständigkeit 3.42, 3.523 f., 3.605 ff.; 4.34 ff., 4.46 ff. – einseitige 4.6, 4.37 f. Auffangzuständigkeit 4.141 Aufforderung zur Rückkehr 6.104 Aufhebung – inländischer Schiedssprüche 18.219 ff. – der Vollstreckungsklausel 15.75 Aufklärungspflichten, prozessuale 10.17 ff. Aufrechnung – in der Insolvenz 20.135 ff. – vor dem Schiedsgericht 18.121, 18.201 f. – bei währungsverschiedenen Forderungen 6.99 – Zulässigkeit der Prozessaufrechnung 3.152, 3.273, 3.582, 3.593 f.; 6.23 f., 6.212 Augenschein im Ausland 9.150; 10.177 ff. Ausforschungsbeweis 10.52 Ausführungsbestätigung über Beweiserhebung 9.33 1236
Auskunftsansprüche – materielle 6.21 f.; 10.39 – prozessuale 10.17 ff. Ausländer – prozessualer Status 5.2 ff. – Sprachkenntnisse 5.176 ff. Ausländische Adoption, Anerkennung 13.95 ff., 13.102 ff. Ausländische Urkunden 9.115 f.; 10.130 ff. Ausländischer Güterstand 19.11 Ausländischer Staat – Immunität 2.5 ff. – Immunitätsverzicht 2.26 Ausländisches Recht – Ermittlung durch Schiedsgericht 18.178 – Ermittlung durch staatliches Gericht 1.19; 11.5 ff., 11.68 ff. – Folgen der Nichtermittelbarkeit 11.46 ff. – Revisibilität 11.53 ff. – als Tatsache 11.23, 11.69, 11.73 Auslandsschulden, Londoner Abkommen über 15.91 Auslandstätigkeit deutscher Rechtsanwälte 6.420 ff. Auslandsunterhaltsgesetz 5.140; 15.257, 15.279 ff. Auslandswährung, Leistung in 6.92 ff.; 15.248 Auslandszeuge 9.105 ff., 9.145 ff. Auslandszustellung 8.58 ff., 8.87 ff. – keine Kostenerstattung 8.73 Auslegung – autonome 3.16 ff., 3.28, 3.92; 4.49, 4.145; 8.98; 9.44; 12.144 – einheitliche 3.15 ff. – von Gerichtsstandsvereinbarungen 3.244, 3.266, 3.567
Stichwortverzeichnis
Aussageverbot 9.618
Belarus 4.119; 5.116, 5.119
Aussageverweigerung 9.61
Belegenheit, der Forderung 19.63
Ausschließliche internationale Zuständigkeit 3.266, 3.304 ff., 3.404, 3.510, 3.557; 4.11; 15.202
Belgien 5.98; 8.93; 9.40; 12.217; 15.144 f.; 17.135; 18.306
Ausschlussfrist 6.70 Aussetzung – des Verfahrens 6.285; 8.138 f. – des Verfahrens der Vollstreckbarerklärung 15.65 ff. – der Vollstreckung eines Europäischen Vollstreckungstitels 14.23, 14.72 f., 14.96, 14.113 – wegen Vorgreiflichkeit eines ausländischen Verfahrens 6.285 Australien 3.666; 5.97; 12.216; 16.60 Automatische Anerkennung 12.21, 12.123; 13.3 ff., 13.56, 13.80, 13.84, 13.95, 13.102, 13.116, 13.120, 13.128, 13.132, 13.137, 13.145, 13.147, 13.153, 13.159; 14.93, 14.99, 14.122; 20.152, 20.153 f., 20.163, 20.168, 20.170 Bagatellverfahren, europäisches 6.30 ff.; 14.92 ff Bahamas 5.98; 12.217 Bangladesh 5.98; 12.217 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2.101 Bankbürgschaft als Regelsicherheit 5.76 ff. Barbados 5.98; 12.217 Bedürftigkeitsbescheinigung 5.155 Beförderungsverträge, internationale Zuständigkeit 3.80, 3.186, 3.414 ff., 3.417 ff., 3.421 ff., 3.429 ff., 3.545 f. Befriedigungsverfügung 17.75 f. Beherbergungsverträge 3.317 Behördenverkehr, unmittelbarer 8.62, 8.96 f., 8.144; 9.14, 9.40
Benin 5.98; 12.217 Beratungshilfe 5.124, 5.151 Berufsgeheimnis 10.105ff Besatzungsrecht 2.50 Bescheinigung – als Europäischer Vollstreckungstitel 14.11, 14.105 ff., 14.122 ff. – über Vollstreckbarkeit im Erststaat 14.11; 15.15 f. – über Zustellung der Klage 8.72; 15.15, 15.96 – über Zustellung des Urteils 15.98 Beschlagnahme des Vermögens 20.88, 20.159 Beschlussverfahren – der Urteilsanerkennung 12.24, 12.126 f. – der Vollstreckbarerklärung 15.10 ff., 15.254 ff., 15.279 ff., 15.337 ff., 15.354, 15.362 ff., 15.370 ff., 15.379, 15.392 ff. Beschränkung der Vollstreckung eines Europäischen Vollstreckungstitels 14.23, 14.72, 14.96 Beschwerde – gegen Ablehnung der Vollstreckbarerklärung 15.71 f., 15.115, 15.374 – gegen Vollstreckbarerklärung 15.59 ff., 15.114, 15.282, 15.328, 15.343, 15.374, 15.386 Besitzvermutung 19.12 Bestätigung – als Europäischer Vollstreckungstitel 14.40 ff. – der Nichtvollstreckbarkeit eines Vollstreckungstitels 14.65 1237
Stichwortverzeichnis
Bestätigungsschreiben, kaufmännisches 3.258, 3.571 Betreuungssachen 4.191 ff., 4.200 f.; 7.73 Beweis – durch Augenschein 10.177 ff. – ausländischen Rechts 11.29 ff. – Recht auf 10.43 – durch Sachverständige 10.196 ff. – durch Urkunden 10.130 ff. – durch Zeugen 10.83 ff. Beweisanordnung, exterritoriale 9.6 f., 9.37 f., 9.144 ff.; 17.82 f. Beweisaufnahme – anwendbares Recht 9.23, 9.101 ff., 9.131, 9.137, 9.139 – für das Ausland 9.156 f. – durch Beauftragte 9.74 ff. – in besonderer Form 9.24, 9.59, 9.101 – durch commissioners 9.67, 9.74 ff. – durch diplomatische/konsularische Vertreter 9.64 ff., 9.97, 9.130 ff., 9.134 – Ersuchen um 9.14 ff., 9.162, 9.168 – exterritoriale 9.6 f., 9.37 f., 9.144 ff. – durch das Gericht im Ausland 9.34 ff., 9.140 ff.; 10.3 f. – nach der Europäischen Beweisverordnung 9.9 ff. – in europäischen Kleinstaaten 9.172 ff. – durch das ersuchte Gericht 9.22 ff., 9.59 ff., 9.101 ff. – nach dem Haager Beweisübereinkommen 9.39 ff. – nach dem Haager Zivilprozessübereinkommen 1954 9.100 ff. – Hilfestellung für Schiedsgerichte 18.207 – nach der lex fori 9.23, 9.59, 9.101 f.; 10.2 ff. – ohne Mitwirkung von Behörden des Aufnahmestaates 9.137, 9.166 – Notwendigkeit der 10.43 ff. 1238
– – – – –
Parteiöffentlichkeit der 9.26 im Wege der Rechtshilfe 7.3, 7.58 durch Sachverständige 9.148 f. für Schiedsverfahren 9.96 Teilnahme ausländischer Richter 9.28, 9.66 – Teilnahme deutscher Richter im Ausland 9.27, 9.66, 9.141 f. – in Verwaltungssachen 9.43 – Zulässigkeit der 10.43 ff. Beweisbedürftigkeit 10.48 Beweisführer 9.116; 10.175 Beweisführungslast 10.82 Beweishilfe 7.58 Beweislast 1.14; 2.25; 10.74 ff. Beweislastumkehr 10.81 Beweismaß 10.60 ff. Beweismittel 10.6, 10.83 ff. – ausländische Entscheidung als 12.240 – -beschränkung 10.6 ff., 10.45 ff., 10.84 f., 10.98 – unerlaubt erlangte 10.57 f. Beweismittelbeschaffung aus dem Ausland 9.144 ff. Beweisrecht 10.2 ff., 10.43 ff., 10.59 ff., 10.83 ff. Beweissicherung 9.41; 17.80 ff. Beweisthemenverbote 10.52 ff. Beweisverfahren 10.2 ff. – für ausländisches Recht 11.2 ff., 11.29 ff. – selbständiges 17.80 ff. Beweiswürdigung, freie 10.63 ff. Beweiszuständigkeit, internationale 9.2 ff. Bhutan 5.98 Billigkeitsentscheidung des Schiedsgerichts 18.179, 18.255, 18.295
Stichwortverzeichnis
Bindung – Dritter an Gerichtsstandsklauseln 3.278 ff. – an tatsächliche Feststellungen des Erstrichters 12.11, 12.90, 12.93, 12.99, 12.177, 12.204
CISG 3.74, 3.80, 3.258, 3.541; 10.12, 10.75
BIT 18.322
Claw-back Anspruch 6.302, 6.319; 12.241
Blocking statutes 6.312 ff. Blutprobe zur Vaterschaftsfeststellung 10.182 ff., 10.191 ff.; 12.201 Bolivien 5.98; 12.217 Borrowing statutes 6.73 Bosnien 5.98; 12.217 Botswana 5.98 Brasilien 3.655; 5.98; 8.155; 10.93, 10.119; 11.65; 12.217; 16.65; 18.3368 British Columbia 16.57 Brunei 16.128 Brüssel I-VO s. EuGVO Brüssel Ia-VO s. EuGVO n.F. Brüssel IIa-VO s. EheGVO Brüssel IIb-VO 4.70; 14.136 Bulgarien 5.98; 12.217 Bundesamt für Justiz 4.101, 4.120; 7.63, 7.66, 7.73; 15.266, 15.311, 15.319, 15.322 Burkina Faso 5.98; 12.217 Burundi 5.98; 12.217 CAS 18.94, 18.152 Chile 5.99; 12.218; 18.337 China 5.99; 12.218; 16.125; 18.94, 18.157, 18.337 CIEC-Übereinkommen in Ehesachen 13.26
CIV 3.430; 15.91 Claim form 8.45 Class Action 6.47; 8.121; 12.196; 18.79
CMNI 3.431 CMR 3.420 ff.; 5.96; 6.273; 15.91, 15.94, 15.137 ff. Collateral estoppel 12.140 COMI 20.46 ff. Comitas gentium 1.37; 7.18, 7.39 f. Commercial activities 2.24 Commissioners 7.52; 9.67, 9.74 ff. Commodity arbitration 18.20 Consent judgment 12.168 Conservatoir beslag 17.160 Construction arbitration 18.148 Contempt of court 12.50, 12.199 Convention on the Carriage of Goods by Sea (UN-) 3.429 Costa Rica 5.99; 12.218 COTIF 15.91; 18.303 Courtoisie internationale 1.37; 7.18, 7.39 Cross examination 9.56, 9.59; 10.99 Cuba 5.96; 12.198 Culpa in contrahendo 3.67, 3.94 Damages – multiple 6.318 – punitive 8.98, 8.123; 12.192 – treble 12.193
CIETAC 18.94, 18.157
Dänemark 3.10, 3.5.100; 8.54; 12.3, 12.219; 18.338; 19.125
CIM 3.430; 15.91
DDR-Rechtshilfeverträge 7.6 1239
Stichwortverzeichnis
Deed 10.149 Delibationsverfahren 12.123; 16.83 Deliktsgerichtsstand 3.91 ff., 3.549 ff., 3.631 Deni de justice 3.505, 3.519 ff., 3.597 Depositions 10.24, 10.126 Derogation 3.192, 3.194, 3.459, 3.465, 3.539 Deutsch-amerikanisches Freundschaftsabkommen 5.25; 18.315 ff.
Deutsch-niederländischer Vertrag über die Anerkennung gerichtl. Entscheidungen 6.272; 15.174 f.; 18.309 Deutsch-norwegischer Vertrag über die Anerkennung gerichtl. Entscheidungen 6.272; 15.176 ff. Deutsch-österreichischer Vertrag über die Anerkennung gerichtl. Entscheidungen 6.272; 15.180 ff.; 18.310 Deutsch-Schweizer Abkommen über die Anerkennung gerichtl. Entscheidungen 15.183 ff.; 18.304
Deutsch-belgisches Abkommen über die Anerkennung von gerichtl. Entscheidungen 6.272; 15.144 f.; 18.306 ff.
Deutsch-sowjetischer Konsularvertrag 7.54 f.
Deutsch-britisches Abkommen
Deutsch-spanischer Vertrag über die Anerkennung von gerichtl. Entscheidungen 6.272; 15.184 ff.
– über die Anerkennung von gerichtl. Entscheidungen 15.146 f. – über den Rechtsverkehr 5.93; 7.15; 8.161 ff.; 9.40, 9.73, 9.161 ff. Deutsch-griechischer Anerkennungsvertrag 6.272; 15.148 ff.; 18.311 Deutsche, nicht eingebürgerte 4.29 Deutsche Sprache 5.172 ff. Deutsche Urteile in den USA 16.8 ff. Deutsch-griechisches Rechtshilfeabkommen 7.16; 8.159 f.; 9.159 f. Deutsch-israelischer Vertrag über die Anerkennung gerichtl. Entscheidungen 15.150 ff. Deutsch-italienisches Abkommen über die Anerkennung gerichtl. Entscheidungen 6.272; 15.170 ff.; 18.305 f. Deutsch-liechtensteinische Vereinbarung 7.16 Deutsch-marokkanischer Rechtshilfeund Rechtsauskunftsvertrag 7.16; 8.172 ff.; 9.171; 11.12 f. 1240
Deutsch-sowjetisches Handels- und Schifffahrtsabkommen 18.318
Deutsch-tunesischer Vertrag über Rechtsschutz 5.139; 7.16; 8.166 ff.; 9.169 f.; 15.187 ff.; 18.312 ff. Deutsch-türkisches Abkommen über den Rechtsverkehr 7.16; 8.158; 9.158 Deutsch-türkisches Nachlassabkommen 4.217 ff., 4.240; 7.53; 13.167; 15.396 Devisenverträge, internationale 6.89 ff. Dienstleistungen, Erfüllungsort für 3.73, 3.76 ff., 3.82 f. Dingliche Sicherheiten in Insolvenz 20.130 f. Dinglicher Gerichtsstand 3.303 ff., 3.557 Dinglicher Gerichtsstand für Vertragsklagen kraft Sachzusammenhangs 3.154 Diplomaten, Immunität 2.59 ff. Direkte Zuständigkeit 3.23 Direktklage gegen Versicherung 3.162
Stichwortverzeichnis
Direktzustellung – durch Diplomaten 8.74 f., 8.111 f., 8.144 – durch Konsuln 8.74 f., 8.111, 8.144 – im Parteiauftrag 8.81 ff., 8.113 – durch die Post 8.76 ff., 8.113 ff.
Drittwiderspruchsklage 3.337; 19.42
Disclosure 6.22; 10.17 ff., 10.30 ff., 10.165 ff. – Standard 10.156 – vorprozessuale 10.29
Durchgriffszuständigkeit 3.627
Discovery 6.22; 10.17 ff. – of documents 9.79 ff.; 10.17 ff., 10.165 – Vorlageverordnung 9.91 – zugunsten des Auslands 10.29 DIS-Schiedsordnung 18.94, 18.150 Doctrine of merger 18.273 Doing business-Zuständigkeit 3.612 ff. Dokument – elektronisches 10.142 – fremdsprachige 5.180 Dolmetscher 5.176, 5.182 ff. Dolmetscherkosten 5.183 f. Dominikanische Republik 5.100; 12.219 Dopingsperre, Schadenersatz 3.110 Doppelexequatur – ausländischer Schiedssprüche 12.165; 18.273 – Unzulässigkeit 12.18, 12.156 Doppelrelevante Tatsachen 3.102, 3.508, 3.549; 12.159 Drittbeteiligung am Rechtsstreit 6.77 ff.
Droit anational 18.170 Dubai 5.100 Dulden fremder Gerichtshandlungen 7.40 f., 7.45 f.
Echtheit – von Rechtshilfeersuchen 9.55, 9.123 f. – von Urkunden 10.132 ff. Ecuador 5.101; 12.220 EFTA-Gerichtshof 1.88 EuGVÜ 3.7 ff. Ehefrau, einseitige Verstoßung 13.38 EheGVO 4.1 ff.; 13.2 ff. Ehesachen 3.31; 4.5 ff.; 13.1 ff., 13.26 ff.; 15.362; 16.110 Ehetrennungsverfahren 4.5 ff., 4.25 ff.; 6.102, 6.111 Ehewohnung, einstweilige Anordnung 17.113 f. Ehewohnungssachen 4.124 ff.; 13.113 f.; 15.378 ff. Eid der Partei als Beweismittel 9.130; 10.66, 10.68, 10.128 f. Eigentum, gemeinschaftliches 19.13 Eigentumsvorbehalt in Insolvenz 20.134 Eignungsprüfung für ausländische Rechtsanwälte 6.411 Eilschiedsrichter 18.215
Drittschuldner 19.82, 19.89
Eilverfahren vor EuGH 1.84
Drittstaat – und EuGVO 3.41, 3.51 ff., 3.81, 3.126, 3.142, 3.161, 3.174, 3.199, 3.218, 3.224, 3.233 ff., 3.237, 3.307 – Unbeachtlichkeit seines ordre public 12.198
Eilzuständigkeit 17.9 ff. Eingriff, körperlicher 10.178 ff., 10.191 f. Eingriffskondiktion 3.69, 3.96 Eingriffsnormen 12.191; 18.176f 1241
Stichwortverzeichnis
Einheitliches Europäisches Patent 3.363; 14.77 Einheitliches Patentgericht 1.85 ff.; 3.364; 14.77 Einigungsstellen, Vergleiche vor 15.80 Einlassung – fehlende als Anerkennungsversagungsgrund 12.56 ff., 12.181 ff.; 13.23, 13.59 – rügelose 3.290 ff., 3.585 ff.; 18.39 Einlassungsfrist 12.80 Einrede – der Schiedsvereinbarung 12.97; 18.181 ff. – der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts 18.291 Einschreiben mit Rückschein, Zustellung per 7.28; 8.76 ff. Einspruch gegen Zahlungsbefehl 6.58 Einstweilige Anordnung – zur elterlichen Sorge 17.96 ff. – in Familiensachen 17.91 ff. – auf Zahlung von Unterhalt 17.104 f., 17.109, Einstweilige Verfügung 12.10 12.158; 17.67 ff. Einstweiliger Rechtsschutz 17.1 ff. – Anwendung ausländischen Rechts 11.41 ff.; 17.22 – in Belgien 17.135 – in England 17.144 ff. – in Frankreich 17.136 – internationale Zuständigkeit 17.9 ff., 17.48 f. – in Italien 17.152 ff. – in Japan 17.158 – in den Niederlanden 17.159 ff. – in Österreich 17.163 f. – durch Schiedsgericht 18.214 ff. – in der Schweiz 17.165 ff. – in Spanien 17.170 f. – in USA 17.172 ff. – Vollstreckung im Ausland 17.23 ff. 1242
Einwendungen gegen Vollstreckbarerklärung 15.27 ff., 15.85, 15.89, 15.215, 15.229, 15.249; 18.226, 18.246 ff., 18.269 Eisenbahnfrachtverträge 3.430 El Salvador 5.101; 12.220 Electronic discovery 10.25 Elektronische Dokumente 10.25, 10.142 Elfenbeinküste 5.101; 12.220 Elterliche Verantwortung 4.45 ff.; 7.67 ff.; 13.56 ff.; 14.121 ff.; 19.113 f. Empfangsberechtigung 8.70 Empfangsbestätigung 9.19 Empfangsstellen 8.10, 8.62 Energiecharta-Vertrag 18.333 England 3.609, 3.619, 3.661; 5.69; 6.94, 6.279, 6.316 ff.; 8.4, 8.19, 8.45; 9.109, 9.112, 9.117; 10.5, 10.30, 10.95, 10.111, 10.149, 10.165, 10.186, 10.198; 11.69; 16.39; 17.108 ff.; 18.153, 18.281 Entmündigung im Ausland 5.52 Entscheidung, anerkennungsfähige 12.6 ff., 12.156 ff.; 13.3 ff., 13.27 ff., 13.56 ff., 13.84, 13.89, 13.114, 13.120, 13.128 f., 13.137, 13.147, 13.159 f.; 14.99 15.272 – in Betreuungssachen 13.153 ff., 13.157 – eheauflösende 13.3 ff. – in Ehesachen 13.3 ff., 13.26 – Heimatstaat- 13.31 – inländische (Vorrang der) 12.82, 12.189 – insolvenzrechtliche 12.17; 20.152, 20.153 ff., 20.163, 20.164 f., 20.168, 20.170 f. – Neben- 13.42; 15.35 – rechtskräftige 12.8, 12.156 f.; 15.154; 17.129 – seegerichtliche 15.141 ff. – in Sorgerechtssachen 15.337 ff.
Stichwortverzeichnis
– in Unterhaltssachen 13.127 ff. – vorläufig vollstreckbare 12.8, 12.157; 14.7, 14.99; 15.18, 15.188, 15.274, 15.296 – Zwischen- 12.11; 15.37 Entscheidungszuständigkeit – in Familien- und Erbsachen 4.5 ff., 4.24 ff., 4.45 ff., 4.78 ff., 4.90 f., 4.114, 4.117, 4.124, 4.127, 4.131 ff., 4.154, 4.160 ff., 4.173, 4.175, 4.177, 4.184 ff., 4.203 ff., 4.223, 4.241 – in Zivil- und Handelssachen 3.23 ff., 3.49 f., 3.519 ff., 3.605 ff. Entsende-Richtlinie 3.221
– in Deutschland 11.29 ff. – beim einstweiligen Rechtsschutz 11.42 f. Ersatzrecht 11.46 ff. Ersatzzustellungen 8.36 ff. Erscheinen, persönliches 5.10 Ersuchen – um Auslandszustellung 8.62, 8.101 ff., 8.142 ff., 8.159, 8.162 f., 8.166, 8.172 – um Beweisaufnahme 9.14 ff., 9.50 ff., 9.100 ff., 9.140, 9.162 – um Übersendung von Akten und Urkunden 9.95
Erbrechtssachen – Anerkennung von Entscheidungen 13.159 ff., 13.167 f.; 15.179, 15.182, 15.198, 15.391 ff., 15.396 – internationale Zuständigkeit 3.37; 4.203 ff., 4.223 ff.
Erwachsenenschutz-Übereinkommen 4.192 ff.; 13.153 ff.; 15.354 ff.
Erbschein – deutscher 4.241 ff. – europäisches Nachlasszeugnis 4.225 ff.; 13.164 ff.
EuGVO 3.9 ff.; 12.1 ff.; 15.5 ff.
Erfolgshonorar 6.405; 12.45, 12.203 Erfüllungsort – bei Dienstleistungen 3.76 ff., 3.82 f. – Gerichtsstand des - 3.60 ff., 3.539 ff.; 6.406 – Vereinbarung des - 3.79, 3.88 f., 3.541 ff. – bei Versendungskauf 3.80 – bei Warenkauf 3.76 ff. Erfüllungspflicht, Klage auf Feststellung gegen Staat 19.29 Erinnerung gegen Zwangsvollstreckung 3.337 Ermittlung ausländischen Rechts – in anderen Staaten 11.67 ff. – ausländischen Rechts im Versäumnisverfahren 11.40 ff.
Estland 5.101; 12.220 Estoppel 12.29 f. , 12.140; 16.43 Estoppel by record 10.56, 10.150 EuGVO n.F. 3.12, 3.28 ff.; 12.37; 14.6 ff. EuGVO/EuGVÜ – Verhältnis zu anderen Übereinkommen 15.90 ff. – Verhältnis zu Drittstaaten 3.51 ff. EuGVÜ 3.7, 3.19 f., 3.70 f., 3.112, 3.136, 3.187, 3.314; 12.89 EuInsVO 20.3 ff., 20.37 ff., 20.125 ff., 20.152 ff. Europäische Beweisverordnung 7.12; 9.8 ff. Europäische Grundrechte Charta 1.32, 1.91 Europäische Mediation 6.3 Europäische Menschenrechtskonvention 1.28, 1.32, 1.90; 10.86 Europäische Schulen 2.106 Europäische Union 1.59 f.; 5.39; 6.314; 7.11 1243
Stichwortverzeichnis
Europäische Unterhaltsverordnung 4.130 ff.; 7.13; 13.128 ff., 13.132; 14.98 ff.; 15.254 Europäische Urkundenverordnung 10.133 Europäische Vollstreckungstitel – über elterliche Verantwortung 14.136 – Europäischer Zahlungsbefehl 14.78 ff.; 19.20 – nach EuGFVO 14.92 ff.; 19.21 – nach EuGVO n.F. 14.6 ff. – nach EuInsVO 14.26; 20.168 – nach EuSchutzMVO 14.118 – nach EuVTVO 14.29 ff. – über Kindesrückgabe 14.122 ff.; 19.24 – Umgangsentscheidungen 14.122 ff.; 19.24 – in Unterhaltssachen 14.98 ff.; 19.22 Europäische Zustellungsverordnung 8.53 ff. Europäischer Gerichtshof 1.66 ff., 1.78 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 1.89 ff. Europäischer Justizraum 15.4 Europäischer Pfändungsbeschluss 17.27 ff.; 19.83 Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen 14.29 ff.; 19.19 ff. – – – – –
Berichtigung und Widerruf 14.62 Bestätigung als 14.3, 14.59 ff. Rechtsbehelf gegen 14.56 und Vollstreckungsabwehrklage 14.74 Zustellungsvoraussetzungen 14.23 ff.
Europäischer Zahlungsbefehl 6.51 ff.; 14.78 ff; 19.20 – Überprüfung im Ursprungsstaat 14.80 ff. 1244
– Verweigerung der Vollstreckung 14.85 ff. Europäisches Bündelpatent 3.329 Europäisches Einheitspatent 1.85; 3.331 Europäisches Gericht erster Instanz 1.67 Europäisches Justizielles Netz 1.61; 7.14, 7.76 ff.; 8.64 Europäisches Mahnverfahren 6.51 ff. Europäisches Nachlasszeugnis 4.225 ff.; 13.164 Europäisches Niederlassungsabkommen 5.95 Europäisches Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht 11.2 ff. Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht 15.350 Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit 18.282 ff. Europäisches Übereinkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe 5.163 Europäisches Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern 15.348 Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität 2.21, 2.40 Europäisches Übereinkommen zur Befreiung von Urkunden von der Legislation 10.136 Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen 6.30 ff.; 14.92 ff.; 19.21
Stichwortverzeichnis
Europäisches Zivilprozessrecht 1.56 ff.; 3.1 ff.; 4.1 ff., 4.45 ff., 4.130 ff., 4.160 ff., 4.203 ff., 4.223 ff.; 6.201 ff.; 8.53 ff.; 9.8 ff.; 10.130 ff.; 12.1 ff.; 13.1 ff., 13.56 ff., 13.116 ff., 13.119 ff., 13.127 ff., 13.149 ff., 13.159 ff.; 14.1 ff., 14.6 ff., 14.26 ff., 14.29 ff., 14.77, 14.78 ff., 14.92 ff., 14.98 ff., 14.118 f., 14.121 ff.; 15.5 ff., 15.254 ff., 15.336 ff., 15.358, 15.362, 15.369, 15.392 ff.; 17.3 ff., 17.27 ff. – Verhältnis zu Drittstaaten 3.41, 3.51 ff., 3.142, 3.174, 3.218, 3.224
Familienverfahren, internationale 6.101 ff.
Exemtion s. Immunität
Finanzierungsvertrag 3.191
Exequaturentscheidung, ausländische 12.18, 12.156; 15.34, 15.237; 18.273 Existenzvernichtungshaftung 20.149 Exorbitante Gerichtsstände 1.29; 3.491 ff., 3.533
Ferienhaus/-wohnung 3.312 ff. Feststellungsklage – zur Abwehr ausländischer Prozessführung 6.309 f. – als Rechtsschutzform 6.2 – bei Streit über Anerkennungsfähigkeit 12.22, 12.24, 12.126 Fiji 5.102; 12.221 Fiktive Inlandszustellung 8.12 ff., 8.16 f., 8.58 Finanztermingeschäft 18.72 Finnland 5.102; 12.221; 16.95; 19.125 Fishing expeditions 10.23 Fliegender Gerichtsstand 3.106
Expert-witness 10.196 ff.
Flüchtlinge 4.16, 4.29 ff., 4.143, 4.193, 4.195, 4.204; 5.4
Extraterritoriale Beweisaufnahme 9.6 f., 9.37 f., 9.144 ff.
Floating award 18.277
Extrinsic facts 10.151 Fakturengerichtsstand 3.262 Fakultatives Beschlussverfahren 15.213, 15.305 Fakultatives Kollisionsrecht 11.17 FamFG-Entscheidungen – Anerkennung 13.43 ff., 13.84 ff., 13.89ff, 13.102, 13.115, 13.123, 13.145, 13.147, 13.157 – Vollstreckung 15.254 ff., 15.337 ff., 15.354, 15.358, 15.362, 15.370 ff., 15.378, 15.381, 15.383 ff., 15.397 Familiensachen 4.1 ff., 4.45 ff., 4.113 ff., 4.124, 4.127, 4.130 ff., 4.160 ff., 4.177, 4.184 ff.; 6.101 ff.; 14.98 ff., 14.118 f., 14.121 ff.; 15.252 ff., 15.336 ff., 15.362 ff.
Forderungsanmeldung in der Insolvenz 20.101 ff. Forderungspfändung 19.62 ff. Foreign Judgment (Reciprocal Enforcement) Act 1933 16.54 Foreign Limitation Periods Act 1984 6.72 Foreign Sovereign Immunities Act, US 2.23 f. Formeller ordre public 12.49 ff., 12.194 f. Forum actoris 3.624 Forum arresti 3.532, 3.638 Forum legis 3.635 Forum non conveniens 3.24, 3.59, 3.512, 3.660; 4.55 f.; 6.278 ff. Forum shopping 1.99; 3.13, 3.59, 3.513, 3.660; 6.306; 20.23 1245
Stichwortverzeichnis
Frachtforderung 3.130, 3.545 f. Frankreich 3.48; 5.102; 6.82; 8.42, 8.93, 8.131; 9.39, 9.103, 9.106, 9.108, 9.113, 9.117; 10.7, 10.66, 10.76, 10.96, 10.98, 10.108, 10.145 ff., 10.161, 10.181 f., 10.201; 11.78; 12.221; 16.76 ff.; 17.136 ff.; 18.170, 18.244, 18.340; 19.125 Fraud 10.103; 16.46 Freezing order 12.10, 12.46; 15.36; 17.21, 17.149; 19.84 f. Freie Beweiswürdigung 10.63 ff.
– und Rechtshilfe 7.19, 7.31, 7.39 f.; 8.151 – und Sicherheit für Prozesskosten 1.54; 2.107; 5.92 ff. – und Urteilsanerkennung 1.33 ff., 1.54; 12.207 ff.; 15.2; 16.4 f., 16.13, 16.102, 16.121 – Verzicht bei nichtvermögensrechtlichen Ansprüchen 12.239 Geistliche Gerichte 13.7, 13.33 Gemeinschaftsgeschmacksmuster 3.330, 3.353 ff.
Freies Geleit 5.11
Gemeinschaftsmarken 3.330, 3.344 ff.; 6.244
Freiwillige Gerichtsbarkeit s. FamFGEntscheidungen
Gemeinschaftspatente 3.331, 3.363 f
Fremdenrecht, prozessuales 1.18; 5.2 ff. Fremdsprachige Anträge 5.172 ff.; 15.12 Fremdwährungsklagen 6.92 ff. Fremdwährungstitel – Vollstreckbarerklärung 15.56, 15.248 – Vollstreckung 19.15 Frist – für Beweisaufnahme 9.22 – für Prozesshandlungen 6.7 Gabun 5.103; 12.222 Gambia 5.103; 12.222 Garantieklage, Urteile 6.77; 12.27, 12.130 f. Gastarbeiter, Prozesskostensicherheit 5.90 ff. Gebühren – des Anwalts 6.404 ff. – der Vollstreckbarerklärung 15.32 Gefährdungshaftung 3.94, 3.113, 3.549 Gegenseitigkeit – und Prozesskostenhilfe 5.123, 5.142 1246
Genfer Abkommen 18.302 Genfer Protokoll 18.302 Georgien 5.103; 12.222 Gericht – geistliches 13.7, 13.33 – internationales 12.166 – für den öffentlichen Dienst der EU 1.68 Gerichtliche Vergleiche s. Prozessvergleich Gerichtsbarkeit – als Anerkennungsvoraussetzung 12.169 – Immunität von 1.16; 2.2 ff.; 3.507 – als Prozessvoraussetzung 3.507 Gerichtssprache 5.144, 5.154, 5.171 ff. Gerichtsstand – für Abänderungsantrag/-klage 4.144, 4.152 – für Adhäsionsklagen 3.116 – Admiralty jurisdiction in rem 3.636 – allgemeiner 3.39 ff., 3.522 ff. – für Arbeitsvertragssachen 3.206 ff. – Arrest-/Quasi in rem jurisdiction 3.638 ff. – ausschließlicher 3.266, 3.303 ff., 3.557 f.
Stichwortverzeichnis
– – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – –
für Berge- und Hilfelohn 3.129 ff. dinglicher 3.154 f., 3.306 ff. von Due Process 3.645 für Ehesachen 4.5 ff., 4.26 ff. der Erbschaft 4.203 ff., 4.217, 4.221 des Erfüllungsortes 3.60 ff., 3.539 ff. exorbitanter 3.49 ff., 3.56, 3.533 Foreseeable effect within the state 3.629 des forum arresti 3.638 ff. Forum legis 3.635 des früheren Wohnsitzes 3.642 der Gewährleistungs-/Interventionsklage 3.143 ff. des gewöhnlichen Aufenthalts 3.523; 4.6 f., 4.34 ff., 4.46 ff., 4.108, 4.114, 4.117, 4.125 f., 4.127 ff., 4.131 ff., 4.160 ff., 4.175, 4.184 ff., 4.191, 4.200, 4.203 ff., 4.217, 4.228 f. zur Haftungsbeschränkung des Schiffseigentümers 3.156 für Haustürgeschäfte 3.548 Heimat- 3.641; 4.6, 4.27, 4.117 bei Internetgeschäften 3.177 ff., 3.554 in Kindschaftssachen 4.45 ff., 4.78, 4.101, 4.108 Kläger- 3.49, 3.625, 3.644 der Niederlassung 3.119 ff., 3.526 ff., 3.620 Non-economic activity within the forum 3.628 Notzuständigkeit 3.521, 3.597; 4.143, 4.211, 4.220, 4.229 des Registrierungsortes 3.637 der rügelosen Einlassung 3.205, 3.289 ff. kraft Sachzusammenhangs 3.154 f., 3.590 ff., 3.630 bei Schiffszusammenstößen 3.433 am Sitz der juristischen Person 3.44, 3.525 in Sorgerechtssachen 4.45 ff., 4.78, 4.108 der Streitgenossenschaft 3.1331 ff., 3.591, 3.626
– für Trust-Klagen 3.127 f., 3.253 – für Umweltschäden 3.555 – der unerlaubten Handlung 3.91 ff., 3.549 ff., 3.631ff – unerwünschte 1.29; 3.49 ff., 3.533 – in Unterhaltssachen 4.130 ff., 4.154 – in Verbrauchersachen 3.171 ff. – des Vermögens 3.50, 3.530 ff.; 15.21, 15.110, 15.158, 15.225 – in Versicherungssachen 3.157 ff. – des Vertragsschlusses 3.624 – bei Wettbewerbsverstößen 3.106, 3.112, 3.553 – der Widerklage 3.149 f., 3.168, 3.202, 3.222, 3.583, 3.592 – des Wohnsitzes 3.39 ff., 3.522, 3.525, 3.642 f. Gerichtsstandsklauseln – in AGB 3.203, 3.250 f., 3.570, 3.575 – Form 3.248 ff., 3.569 f., 3.656 – statutarische 3.242, 3.252 Gerichtsstandskonzeptionen 3.605 ff. Gerichtsstandsvereinbarung 3.169, 3.203 f., 3.228 ff., 3.543, 3.558 ff., 3.646 ff. – in Arbeitssachen 3.222, 3.284 – Bindung Dritter 3.278 ff. – nach CMR 3.265, 3.425 – im elektronischen Rechtsverkehr 3.264 – nach Entstehung der Streitigkeit 3.169, 3.203, 3.284, 3.578 – in Erbrechtssachen 4.205 f. – Form 3.248 ff., 3.569 f. – im Konnossement 3.259 – Missbrauchskontrolle 3.203, 3.288, 3.575 – und rügelose Einlassung 3.302 – in Sorgerechtssachen 4.59 ff. – Unabhängigkeit vom Hauptvertrag 3.229, 3.270, 3.566 – in Unterhaltssachen 4.137 – und Unterlassungspflicht 6.304 ff. 1247
Stichwortverzeichnis
– – – –
Unzulässigkeit in Ehesachen 4.39 in Verbrauchersachen 3.203 f. in Versicherungssachen 3.169, 3.285 Wirksamkeit 3.243 ff., 3.269
Gesandtschaftsgebäude, Unverletzlichkeit des 2.73 ff. Geschäftsführerhaftung 20.76 Geschäftstätigkeit, laufende 3.612 ff. Geschmacksmustergesetz 3.353 ff., 3.538 Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Bestandsstreitigkeiten 3.320
Griechenland 5.103; 8.93; 10.8, 10.97, 10.163, 10.184, 10.206; 12.222; 15.148 f.; 18.311 Großbritannien 3.649; 5.69, 5.103; 8.116, 8.161 ff.; 9.9, 9.84, 9.109, 9.156; 12.236; 15.145f; s. England u. Vereinigtes Königreich Grundfragen des IZPR 1.1 ff. Gründungsrechtstheorie 5.23 ff. Guadalajara-Zusatzübereinkommen 3.419 Guatemala 5.103; 12.222
Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz 20.147 f.
Guayana 5.103; 12.222
Gesellschaftsbeschlüsse, Wirksamkeit 3.323 ff.
Günstigkeitsprinzip der Urteilsanerkennung 12.5, 12.122; 15.284
Gesetzlicher Vertreter 5.47, 5.50
Güterrechtssachen 3.31; 4.160 ff., 4.173; 13.119 ff.; 15.369 ff., 15.376 f.
Geständnis 10.123 ff. Gestaltungswirkung, Anerkennung 12.35, 12.145 Gewährleistungsklage 3.143 ff. Gewaltschutzsachen 4.175; 13.116; 15.358 ff.; 17.115 Gewerbliche Schutzrechte 3.104, 3.106, 3.138, 3.328 ff. Gewöhnlicher Aufenthalt 3.42, 3.523; 4.7, 4.34 ff., 4.49, 4.108, 4.114, 4.117, 4.125, 4.129, 4.132, 4.154, 4.165, 4.193, 4.204 Ghana 5.103; 12.222 Gläubigeranfechtung, grenzüberschreitende 3.32; 19.120 ff. Gleichbehandlung – von In- und Ausländern 5.5 ff.; 19.6 – im Insolvenzverfahren 20.17, 20.111 Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht 3.520; 4.241; 12.89 Gleichstellungstheorie 12.28, 12.132 1248
Guinea 5.103; 12.222
Haager Adoptionsübereinkommen 4.120; 7.66; 13.95 ff. Haager Beweisübereinkommen 9.39 ff. Haager Kinderschutzübereinkommen 4.78 ff.; 7.71 f.; 13.75 ff. Haager Minderjährigenschutz-Übereinkommen 4.80, 4.89; 13.78 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht 13.128, 13.132; 14.99; 15.253 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht 15.287 ff. Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen 4.192 ff.; 7.73; 13.153 ff.; 15.354 ff. Haager Übereinkommen über den Internationalen Zugang zur Justiz 5.94, 5.164
Stichwortverzeichnis
Haager Übereinkommen über den Zivilprozess 1954 5.92; 7.8; 8.142; 15.102 ff. Haager Übereinkommen über die Anerkennung in Zivil- u. Handelssachen 1971 15.122 Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen 13.21 Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern 15.286 ff. Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen 15.268 ff. Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern 15.260 ff.
Haager Übereinkommen über die internationale Nachlassverwaltung 4.226 Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung 4.90 ff.; 13.79 Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 3.400 ff.; 15.123 ff. Haager Übereinkommen über internationale Zuständigkeit und Anerkennung gerichtl. Entscheidungen (Entwurf 1999/2001) 1.64; 3.401, 3.411 f.; 6.281; 12.109; 15.123 f. Haager Übereinkommen v. 2.7.2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivilund Handelssachen 12.112 ff. Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legislation 10.135 Haager Zustellungsübereinkommen 1965 8.85 ff.
Haftung – der Inhaber von Kernenergieanlagen 3.434; 15.135 – der Inhaber von Reaktorschiffen 3.435; 15.136 Haftungsbeschränkung des Schiffseigners 3, 156 Haiti 5.104; 12.223 Halbe Schriftlichkeit 3.254 f. Handelsbrauch – Beachtung durch Schiedsgericht 18.174 f. – und Gerichtsstandsvereinbarung 3.257 ff. Handelsgesellschaften, Parteifähigkeit 5.19 ff. Handelskammer, Präsident der 18.289 Handelsschiff 19.36 Handelsvertreter, selbständiger 3.125 Handlungsort 3.97 ff. Handlungsvollstreckung 19.103 ff., 19.107 ff. Harmonisierung der Rechtsordnungen 1.94 Hauptverwaltung, Ort der 3.44, 3.525; 5.21; 20.40 ff. Haushaltssachen 4.124 ff.; 15.378 ff.; 17.113 Haustürgeschäfte 3.548 Hearsay evidence 10.53, 10.99 Heilung von Zustellungsmängeln 8.84, 8.141; 12.76 f., 12.187; 14.53 ff. Heimatlose 4.29 Heimatstaatentscheidungen in Ehesachen 13.31 Heimatzuständigkeit 3.641; 4.6, 4.27 ff., 4.195, 4.219 Herausgabe eines Kindes 4.71 f., 4.91 ff.; 14.122; 19.113 ff. 1249
Stichwortverzeichnis
Herausgabevollstreckung 19.53 ff. Homologisierung 16.65 Honduras 5.104; 12.223 Hongkong 5.104; 12.223; 16.126; 18.342 HZPÜ 1905 5.92; 7.7 HZPÜ 1954 5.92; 7.8; 8.142; 15.102 ff. – Zusatzübereinkommen 7.9 IBA Rules of Evidence 18.127
– – – – –
von Staatsoberhäuptern 2.33 von Staatsorganen/Behörden 2.34 von Staatsschiffen 2.53 ff.; 19.36 von Staatsunternehmen 2.36 der Vereinten Nationen und deren Bediensteten 2.89 ff. – Verstoß gegen 2.48 – Verzicht auf 2.26, 2.69 – Wirkungen der 2.38 ff., 2.82 ff. Incoterms 3.79
ICC Paris 18.94, 18.100, 18.143
Indexierung von Unterhaltstiteln 14.108; 15.247
ICSID 18.319 ff.
Indien 5.105; 12.224; 16.62; 18.343
Immaterialgüterrechte 3.104, 3.328 ff.
Indonesien 5.105; 12.224; 16.127; 18.343
Immobiliarvollstreckung gegen ausländische Schuldner 19.59 ff. Immunität – absolute 2.6 – ausländischer Staaten 2.5 ff.; 19.26 ff. – ausländischer Streitkräfte 2.107 ff. – beschränkte 2.8, 2.47 – von Diplomaten 2.59 ff. – im Erkenntnisverfahren 2.10 ff., 2.38 ff. – der EU und ihrer Organe 2.97 – der Europäischen Zentralbank 2.100 – des Europarats 2.102 ff. – funktionelle 2.4, 2.61 – internationaler Organisationen 2.86 ff. – von Konsuln 2.75 ff. – von Mitgliedern der diplomatischen Mission 2.60 ff. – von Mitgliedern der konsularischen Vertretung 2.75 ff. – der NATO 2.108 – von NATO-Truppen 2.108 ff. – persönliche 2.61 – von Regierungsmitgliedern 2.35 – sachliche 2.19 – von Sachverständigen der Internationalen Arbeitsorganisation 2.95 – im Schiedsverfahren 18.62 ff., 18.70 – von Staaten 2.5 ff. 1250
Information im Internet 7.78 Informationspflichten – prozessuale 10.17 ff. – vorprozessuale 10.31, 10.38 Initial disclosure 10.22 Inlandsbeziehung, hinreichende 3.515, 3.535; 12.190 Inlandstätigkeit ausländischer Rechtsanwälte 6.420 ff. Inlandsvertreter 5.54 ff., 5.62 Inlandsvollstreckung gegen Ausländer 19.10 ff. Inlandswirkung der Vollstreckung im Ausland 19.39 f. Insolvenzanfechtung 20.71 ff., 20.139 Insolvenzantrag 20.80 Insolvenzarbeitsrecht 20.142 f. Insolvenzfähigkeit 20.79 Insolvenzgeld 20.144 Insolvenzkollisionsrecht 20.125 ff. Insolvenzplan 14.26; 20.118, 20.164 ff. Insolvenzrechtliche Entscheidungen 3.32; 14.26 ff.; 20.152 ff., 20.168, 20.169 ff.
Stichwortverzeichnis
Insolvenztabelle, Eintragung in die 15.175; 20.92, 20.174 Insolvenzverfahren 3.32; 20.37 ff., 20.100 ff., 20.151 ff. – Beendigung 20.120, 20.163 Insolvenzverschleppungshaftung 20.149 Insolvenzverwalter 3.46; 20.30 ff., 20.33 ff., 20.90 ff., 20.112 ff., 20.159 – Pflicht zur Zusammenarbeit 20.112 f. – Prozessführungsbefugnis 20.98 f. Inter-amerikanisches Übereinkommen über die extraterritoriale Gültigkeit ausländischer Urteile 16.68 Internationale Anerkennungszuständigkeit 12.83 ff., 12.170 ff.; 13.19 f. , 13.43 ff., 13.90, 13.104 Internationale Beweisaufnahme 1.21; 9.1 ff. Internationale Entscheidungszuständigkeit 3.1 ff., 3.400 ff., 3.500 ff., 3.600 ff.; 4.1 ff., 4.45 ff., 4.78, 4.101, 4.113, 4.116 f., 4.124, 4.130 ff., 4.160 ff., 4.177, 4.184, 4.192, 4.200, 4.203 ff. – Nachprüfung auf Rechtsmittel 3.507 – Nachprüfung bei Anerkennung 12.94 ff.; 13.20, 13.43, 13.85, 13.90, 13.139
Internationale Sachpfändung 19.50 ff. Internationale Unterlassungsvollstreckung 19.107 ff., 19.116 f. Internationale Zuständigkeit für Insolvenzverfahren – Hauptverfahren 20.39 ff. – Partikularverfahren 20.56, 20.66 – Sekundärverfahren 20.55 ff., 20.66 ff. Internationale Zustellung 1.20; 8.1 ff., 8.53 ff., 8.85 ff., 8.142 ff., 8.151 ff., 8.158 ff. Internationale Zwangsvollstreckung 19.1 ff. Internationales Privatrecht – deutsches 11.17, 11.58 – Unterschiede zum IZPR 1.39 ff. Internet, unerlaubte Handlung via 3.106 ff., 3.554 Interrogatories 10.24, 10.36, 10.126 Interventionsklage 3.143 Interventionswirkung 6.79; 12.34, 12.146; 18.117 Investitionsschiedsgerichtsbarkeit 18.3196 ff. Investitionsschutzverträge 18.60, 18.171, 18.319 f., 18.332, 18.333 Involuntary agent 8.92
Internationale Forderungspfändung 19.62 ff.
Inzidentanerkennung 12.27, 12.128
Internationale Handelskammer Paris 18.94, 18.143
Irak 3.648; 5.105; 12.224; 18.343
Internationale Handlungsvollstreckung 19.103 ff. Internationale Herausgabevollstreckung 19.53 ff.
IPR-Vorbehalt 12.89; 15.160, 15.209 Iran 5.105; 12.224; 18.343 Irland 5.105; 11.73; 12.224; 16.56; 18.343 Islamische Staaten 3.647; 16.111 ff.
Internationale Organisationen 2.86 ff.
Island 5.105; 12.224; 16.96
Internationale Rechtshilfe 7.2 ff.; 8.1 ff.; 9.1 ff. – und Völkerrecht 7.27 ff.
Israel 5.105; 12.224; 15.150 ff.; 16.61; 18.343 Issue estoppel 12.23, 12.122 1251
Stichwortverzeichnis
Italien 5.105; 8.43, 8.153; 9.103, 9.113, 9.117; 10.9, 10.16, 10.67 f., 10.78, 10.94, 10.98, 10.162, 10.183, 10.202; 11.85; 12.224; 15.170 ff.; 16.83 ff.; 17.152 ff.; 18.59, 18.3435; 19.125
Kernenergieanlagen 3.434; 15.135
IZPR, Begriff 1.2 ff. – Unterschiede zum IPR 1.39 ff. Jamaika 5.106; 12.225
Kindesherausgabe 7.67; 13.54 f.; 14.122, 14.136; 15.326 ff.; 19.114 – internationale Zuständigkeit 4.45 ff., 4.68 ff., 4.82 ff., 4.91 ff.
Japan 3.618, 3.626, 3.658, 3.667; 5.106; 6.283, 6.423; 8.115; 10.37; 11.86; 12.225; 16.121 ff.; 17.158; 18.344
Kindschaftssachen 4.45 ff.; 13.45 ff.; 14.122 ff. Kirgisistan 5.107; 16.99
Jemen 5.106; 12.225
Klägergerichtsstand 3.49, 3.159, 3.196 ff.
Jordanien 5.106; 12.225; 16.114; 18.344 Jugendamtsurkunden, Anerkennung 14.35; 15.79, 15.218 Jura novit curia 11.24 Jurisdiction to adjudicate 3.504 Justizanspruch 3.505; 5.7 ff.; 12.120 Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen 7.5, 7.57 ff., 7.76 ff.
Kernpunkttheorie 6.205 ff.; 12.32 Kindesentführung 4.68 ff., 4.90 ff.; 7.68 f.
Klagbarkeit 2.50; 6.86 ff. Klage – Anforderungen 6.7 – Arten 6.2 – erneute 12.25, 12.135 – im öffentlichen Interesse 6.44 ff. Klagefrist 6.88
Justizverwaltungsakt im Rechtshilfeverfahren 7.23; 8.11
Klauselerteilungsverfahren 13.121; 15.18, 15.161, 15.255, 15.279 ff., 15.392
Kalifornien 3.612, 3.653; 5.16, 5.68; 8.34, 8.50; 10.101; 11.75
Kollektiver Rechtsschutz 6.44 f.
Kambodia 5.107
Kollisionsrecht 11.17
Kamerun 5.107; 12.226
Kollisionsrechtsordnung, zweite 1.48
Kanada 3.665; 5.107; 6.321; 10.36; 11.76; 12.226; 15.323; 16.57; 18.345
Kolumbien 5.107; 12.226; 16.70; 18.345
Kap Verde 5.107; 12.226
Kollisionsnorm, prozessuale 1.40; 5.44
Kommanditgesellschaft 5.19
Kasachstan 5.107; 12.226; 16.99; 18.345
Kompetenz-Kompetenz – des prorogierten Gerichts 3.245 ff., 3.277 – staatliches Gericht – Schiedsgericht 18.187 ff., 18.292
Kaufmännisches Bestätigungsschreiben 3.258, 3.571
Konferenzraum, Miete, Zuständigkeit 3.317
Kenia 5.107; 12.226
Kongo 5.107; 12.226
Kapitalanlegermusterverfahren 6.44 f.; 12.12 f. Kartelldelikt 3.111
1252
Stichwortverzeichnis
Konnexität – Prozessverbindung bei 6.218 ff., 6.221 ff. – als Zuständigkeitskriterium 3.136, 3.150, 3.155; s. Verbundzuständigkeit Konnossement 3.259, 3.279 Konsul – Befugnisse bei Rechtshilfe 7.50 ff. – Beweisaufnahme durch 9.69 ff., 9.136 ff. – Immunität 2.75 ff.
Kostenentscheidung, Vollstreckung – in Ehesachen 15.362 – nach HZPÜ 15.102 ff. Kostenerstattung 6.430 ff. – fehlende 12.203, 12.236 Kostenfestsetzungsbeschluss 15.35 Kostenvorschuss für Schiedsverfahren 18.124 Kreditinstitut, ausländisches 5.30 f. Kreuzverhör 9.24, 9.56, 9.59; 10.99
Konsularverträge 2.80
Kriegsschiffe 2.53 ff.; 19.36
Kontaktstellen 7.80; 8.64; 9.21
Kroatien 3.9; 5.107; 12.226; 16.107; 18.345
Kontaktverbot 17.78 Kontopfändung, grenzüberschreitende 17.27 ff. Konzentrationslast 6.208 Konzerninsolvenz 20.25 ff. Konzernunternehmen – Bindung an Schiedsklausel 18.77 – Gerichtsstand 3.121 ff., 3.123, 3.527, 3.627 – Insolvenzzuständigkeit 20.25 ff., 20.42 ff. Konzessionsschutzverträge 18.60 Kooperation – der Gerichte 7.57 ff. – der Insolvenzgerichte 20.115 ff. – der Insolvenzverwalter 20.112 ff. Korea 5.207; 12.226; 18.345
Kulturgut, Wiedererlangung 3.117 f. Kumulationstheorie 12.31, 12.132 Kuwait 5.107; 12.226 Ladung – ordnungsgemäße 12.57 ff., 12.70, 12.81, 12.184 f.; 15.160, 15.207 f., 15.263, 15.279, 15.294 f. – rechtzeitige 12.60 ff., 12.185; 13.23; 14.19; 15.160 Landesjustizverwaltung 13.27 ff. Landgericht 15.212 Lebenspartnerschaftssachen 4.184 ff.; 6.116; 15.354 ff. Legislation von Urkunden (Befreiung) 10.133 ff. Leistungen, wiederkehrende 4.145
Körperliche Untersuchung 9.117; 10.41, 10.178, 10.185
Leistungsklage statt Vollstreckungsklage 15.243
Kort geding 17.159
Leistungsverfügung – Anerkennung 17.130, 17.132 – Erlass 17.20, 17.75 ff. – Vollstreckbarerklärung 15.36, 15.235; 17.23 ff., 17.130
Kosten – des Rechtshilfeverfahrens 8.73; 9.99 – des Schiedsverfahrens 18.134f – der Vollstreckbarerklärung 15.32, 15.116, 15.306
Lesotho 5.108; 12.227 1253
Stichwortverzeichnis
Lettland 5.108; 12.227 Lex causae 3.71 f. Lex fori concursus 20.22 ff., 20.126 ff. Lex fori-Prinzip 1.42 ff.; 4.27; 5.53, 5.64, 5.67; 6.2, 6.5 ff.; 7.24; 8.146; 9.23, 9.29, 9.57, 9.59, 9.137, 9.139, 9.163; 10.2 f., 10.5 ff., 10.9, 10.63, 10.71, 10.83, 10.105, 10.153, 10.195, 10.207; 11.49; 19.5
Marken – Bestandstreitigkeiten 3.344, 3.515 – Verhältnis zur nationalen Gemeinschaftsmarke 6.244 Marokko 5.109; 12.228; 18.289 Materieller ordre public 12.39 ff., 12.191 ff.; 13.22, 13.38, 13.57, 13.92, 13.105, 13.160 Mauretanien 5.109; 12.228
Lex mercatoria 18.164, 18.169 ff.
Mauritius 5.109; 12.228
Libanon 5.108; 12.227; 18.346
Mediation 6.3; 18.11 f.
Liberia 5.108
Medidas Cautelares 17.170
Libyen 5.108; 12.227
Mehrparteienschiedsverfahren 18.80, 18.100
Liechtenstein 5.108; 6.424; 8.176; 9.173; 12.227; 16.84; 18.346
Mehrrechtsstaaten 12.173
Litauen 5.108; 12.227
Mehrstaater 4.16, 4.37
Litigation friend 5.48
Meistbegünstigung bei Anerkennung von Schiedssprüchen 18.280, 18.307, 18.317
London Court of International Arbitration 18.94, 18.144 Luftverkehrsgesetz 3.415 f. Lugano-Übereinkommen 3.4 ff., 3.8, 3.11, 3.21 f., 3.183, 3.187; 12.3 ff., 12.78, 12.89 ff.; 15.8 ff., 15.90 ff., 15.95 ff. Luxemburg 3.48; 5.108; 8.93; 12.227 Luxemburger Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ 3.19 f.
Meistbegünstigung der Beweisperson 9.62 Menschenrechtsverletzung, Klagen 2.13 ff. MERCOSUR-Staaten 3.625; 16.68 Mexiko 5.109; 10.92; 12.228; 16.67; 18.347 Miete 3.309 ff. MIGA 18.332
Madagaskar 5.109; 12.228
Militärflugzeuge 2.53
Mahnverfahren, grenzüberschreitendes 6.51 ff., 6.62 ff., 6.68, 6.96, 6.271
Minderjährigenschutzabkommen 4.49, 4.79 ff.; 6.120; 13.78
Malta 5.109; 12.228
Mitwirkung – der Parteien bei der Ermittlung ausländischen Rechts 11.32 – des Staatsanwaltes 6.83, 6.105 – der Verwaltungsbehörde 6.83, 6.105
Mareva injunction 17.21; 19.84 f., 19.97; s. freezing order
Modelle, Streit über Gültigkeit 3.328
Malawi 5.109 Malaysia 5.109; 12.228; 16.128; 18.347 Mali 5.109; 12.228
1254
MKAS 18.156
Stichwortverzeichnis
Moldau 5.109; 12.228 Monaco 5.109; 9.174; 12.228 Montenegro 12.228; 16.106 Montrealer Übereinkommen zum internationalen Luftfrachtrecht 3.414 ff.; 15.91 Morgengabe 4.44; 6.117 Muster, Streit über Gültigkeit 3.328 Musterentscheid nach KapMuG 12.12 f.
Nichtfeststellbarkeit des ausländischen Rechts 11.46 ff. Nichtigkeitsklage bei gewerblichen Schutzrechten 3.328 ff. Nichtrechtsfähige Vereine 5.17 f. Niederlande 3.631, 3.661; 5.110; 6.321; 8.93; 9.39; 10.204; 12.229; 15.174; 16.86 ff.; 17.159 ff.; 18.309, 18.348 Niederlassungszuständigkeit 3.119 ff., 3.526, 3.620 ff.; 15.193 Niger 5.110; 12.220
Musterfeststellungsurteil 12.14
Nigeria 5.110; 12.209; 18.348
Myanmar 5.109; 12.228; 18.347
Non Governmental Organisation 5.41 ff.
Nachlassabkommen, deutsch-türkisches 4.217, 4.240; 13.167; 15.396
Nord-Mazedonien 5.109; 12.228
Nachlasszeugnis, Europäisches 13.164 ff.
Notification 8.100; 12.67
NATO-Truppen 2.111 ff.; 19.37 Ne bis in idem 12.117 f. Nebenintervention 6.5, 6.79 Negative Feststellungsklage 3.113; 6.75, 6.309 ff. Nemo tenetur accusare se ipsum 9.135 Nepal 5.110; 12.229 Neuseeland 5.110; 12.229 Neutrales Forum 3.230 New York 6.93; 8.51; 11.75; 16.36 Nicaragua 5.110; 12.229 Nichtanerkennung, Folgen der 12.240 ff. Nichtanhörung – des Kindes 13.58 – des Sorgeberechtigten 13.60 Nichteinlassung des Beklagten/Antragsgegners 12.56 ff., 12.179 ff.; 13.23; 15.160
Norwegen 5.110; 12.229; 15.176 f. Notzuständigkeit 3.519, 3.521, 3.597; 4.143, 4.170, 4.211, 4.220, 4.229 Oberlandesgericht 13.29, 13.52; 15.60 ff., 15.71 f., 15.143, 15.282, 15.343 f., 15.374 f., 15.386; 18.241 Offenbarungsversicherung s. Vermögensauskunft Öffentliche Urkunde als Vollstreckungstitel 14.8, 14.34; 15.77 ff., 15.218, 15.236, 15.321 Öffentliche Zustellung 8.14, 8.52, 8.88; 12.62, 12.181; 15.207, 15.295 Öffentlich-rechtliche Ansprüche 2.30 f.; 6.18 Ölverschmutzungsschäden 3.436; 6.88; 15.134 Oman 12.230; 16.117; 18.349 Online Arbitration 18.92 Online-Dienstleistung, Erfüllungsort 3.73 Online Dispute Resolution 6.43 1255
Stichwortverzeichnis
Order Compelling Arbitration 6.303 Ordnungsgemäße Zustellung 12.57 ff., 12.70 ff., 12.181, 12.185 Ordre Public-Verstoß – und Anerkennung ausländischer Schiedssprüche 18.264 ff. – und Anerkennung ausländischer Urkunden 15.85 – und ausländische Insolvenz 20.153 – und Rechtsanwendung 11.21 f. – und Rechtshilfe 7.21; 8.121 ff., 8.149; 9.55, 9.134 f. – und Urteilsanerkennung 12.32 ff., 12.172 ff.; 13.22, 13.57, 13.91 f., 13.105, 13.133, 13.141, 13.154, 13.160; 15.113, 15.160, 15.206, 15.210, 15.241, 15.276, 15.299; 16.21, 16.58, 16.63, 16.67 ff., 16.71, 16.84, 16.100, 16.105, 16.107, 16.109, 16.113, 16.118, 16.121 ff., 16.125 Organbeschlüsse 3.320, 3.323 f. Organisation, internationale – Immunität 2.87 ff. – Parteifähigkeit 5.38 ff. – Ortsbesichtigung 10.188, 10.190 Österreich 5.111; 8.38, 8.128, 8.152; 9.40, 9.97, 9.104, 9.136. 138 f.; 10.114, 10.120; 12.230; 15.180; 17.163 f.; 18.310, 18.349; 19.125 Pacht 3.309 ff. Pakistan 5.112; 12.231; 16.118 Panama 5.112; 12.231 Paraguay 5.112; 12.231 Parallelverfahren im In- und Ausland 6.277 ff. Pariser Zusatzabkommen 18.301 Parol evidence rule 10.15 Partei kraft Amtes 3.46 Parteieid 9.113 f.; 10.66 f., 10.68, 10.121 ff. 1256
Parteierklärungen, Entgegennahme 9.95 Parteifähigkeit – von Ausländern 5.13 ff. – ausländischer Gesellschaften 5.20 ff., 5.32 ff. – ausländischer Staaten 5.37 – von Bankzweigstellen 5.30 – von Briefkastenfirmen 5.22 f. – internationaler Organisationen 5.38 ff., 5.41 ff. Parteiöffentlichkeit 9.26 Parteivernehmung 9.57, 9.113, 9.169; 10.116 ff. – Vorrang der 10.117 ff. Partikularinsolvenzverfahren 20.19, 20.64, 20.66, 20.68 Partnerschaft für Frieden 2.113 Patent 3.328 – ausländisches 3.515 – einheitliches europäisches 1.85 ff.; 3.329, 3.331, 3.363 f.; 6.262 Perpetuatio fori 4.15, 4.53, 4.83, 4.145, 4.194, 4.201; 6.268 Person – juristische 3.447, 3.525; 5.20 ff., 5.32; 8.30 – juristische des öffentlichen Rechts 2.36; 3.560; 18.284 – natürliche 5.14, 5.123; 8.24, 8.28 Personal jurisdiction 3.504, 3.608 ff., 3.629 Personenstandsbücher 13.9 f., 13.173 Persönliche Gebrauchsgegenstände 6.118; 17.113 Persönliches Erscheinen 5.10 f. Persönlichkeitsrecht 3.109 f. Peru 5.112; 12.231; 16.7 ff.
Stichwortverzeichnis
Pfändung sonstiger Rechte 19.89 f. – beweglicher Sachen 19.50 ff. – von Forderungen 19.62 ff.
Protokoll von Las Leñas 16.68
Philippinen 5.112; 12.231; 16.129
Prozessarten 6.2
Place of incorporation 3.611
Prozessaufrechnung 3.150, 3.152, 3.273; 6.25, 6.257
Polen 5.112; 8.40, 8.130; 9.103, 9.127; 10.160, 10.180, 10.205; 11.88 f.; 12.231; 16.102; 18.350; 19.125 Portugal 5.112; 12.231; 18.350 Postulationsfähigkeit 5.54 ff. Postzustellung 8.76 f., 8.113 f., 8.165 Power-Theorie der jurisdiction 3.605 Präklusionswirkung, Anerkennung 12.28, 12.138 ff. Präsident der Handelskammer, Mitwirkung bei ad hoc-Schiedsgerichten 18.289 f. Preliminary injunction 17.173 Preponderance of evidence 10.61 Pre-trial discovery 9.82 ff.; 12.194 Prioritätsprinzip 6.201; 20.157 Privatgutachten 10.203, 10.204; 11.39 Privatscheidung 6.112, 6.250; 13.35 ff., 13.39 Privileges des Zeugen 9.61 ff.; 10.109 ff., 10.171 Produkthaftung 3.94, 3.98
Provvedimento d´urgenza 17.153, 17.156
Prozessbeeendigung 6.28 Prozessfähigkeit – eines Ausländers 5.44 ff., 5.53 – juristischer Personen 5.49 – nichtrechtsfähiger Handelsgesellschaften 5.49 – nichtrechtsfähiger Vereine 5.49 Prozessführung im Ausland 1.95 ff. Prozessführungsbefugnis – gewillkürte 5.70 f. – im IZPR 5.63 ff. Prozesshandlungen, Fristen 6.7, 6.11 ff. Prozesskostenhilfe – Antrag nach HZPÜ 1954 5.158 ff. – für grenzüberschreitende Anträge in der EU 5.143 ff. – für internationale Klageverfahren 5.123 ff. – in Unterhaltssachen 5.134 ff. – und Verjährungshemmung 5.153 – für Vollstreckbarerklärung 5.139 ff.; 15.15, 15.73, 15.232, 15.316 – zur Vorbereitung von Auslandsverfahren 5.151 ff.
Prorogation 3.228 ff., 3.356, 3.512, 3.558 ff., 3.646 ff.; 4.59, 4.137, 4.208 – stillschweigende 3.294, 3.585
Prozesskostensicherheit 2.114; 5.72 ff.
Prorogationsfreiheit 3.239, 3.561 – Beschränkungen der 3.169, 3.203 f., 3.222, 3.283 ff., 3.647 ff.
Prozesskultur 1.97
Protection of Trading Interests Act 6.316 ff.; 12.242 Protective order 10.44
Prozessrecht, europäisches 1.56 ff.; 3.9 ff.; 4.11 ff., 4.45 ff., 4.131 ff., 4.160 ff., 4.203 ff.
Protokoll von Buenos Aires 16.69
Prozessrechtsvereinheitlichung 1.58 ff.
Prozesskostenvorschuss 5.167 ff.; 17.110 ff. Prozessordnung, europäische 1.58 Prozessprinzipien 6.6
1257
Stichwortverzeichnis
Prozessrechtsvergleichung 1.93 f. Prozessstandschaft – Deutschlands 2.110 ff. – des Pfändungsgläubigers 19.80 – Prozessführungsbefugnis s. dort – für Unterhaltsanträge 4.159; 6.122 Prozessunterbrechung durch Insolvenzverfahren 6.286; 20.95 ff. Prozessurteil, Anerkennung 12.7, 12.26, 12.161 Prozessvergleich, Anerkennung 12.20, 12.167; 15.15, 15.88 f., 15.236 Prozessvollmacht 5.55 f.; 6.9, 6.403 Prüfungsstellen für Rechtshilfeersuchen 7.22 f.; 8.8, 8.10 f., 8.101 ff., 8.126, 8.150 Punitive damages 12.192 Qualifikation 1.12 ff., 1.44, 1.49 f.; 2.12; 9.44; 10.72 – funktionelle 1.44 – materiellrechtsfreundliche 1.49
– gegen Vollstreckungstitel nach EuVTVO 14.56 f. – in der Zwangsvollstreckung 19.42 ff. Rechtsbeschwerde an BGH 13.54, 13.68; 15.62 ff., 15.344, 15.368, 15.375, 15.386; 18.243 Rechtshängigkeit im Ausland – Beachtung nach autonomem deutschen Recht 6.245 ff. – in Ehe- und Sorgerechtssachen 6.234 ff. – in Erbrechtssachen 6.242 f. – nach EuGVO 6.201 ff. – in Güterrechtssachen 6.231 ff. – maßgeblicher Zeitpunkt 6.216, 6.235, 6.261 ff. – materielle Wirkungen 6.269 f. – als negative Prozessvoraussetzung 6.254 ff. – nach Staatsverträgen 6.272 ff. – in Unterhaltssachen 6.229 f. – und Urteilsanerkennung 12.205 f.
Rechtliches Gehör – Pflicht zur Rechtsmitteleinlegung 12.59, 12.64, 12.188 – Verletzung bei Verfahrenseinleitung 12.56 ff., 12.179 ff.
Rechtshilfe – besondere Form 7.25 f. – internationale 1.10, 1.35; 7.2 ff., 7.6; 9.1 ff.; 10.3, 10.175 – in Strafsachen 7.3 – und Territorialitätsprinzip 7.35 ff. – Verbürgung der internationalen 7.38 ff. – vertragslose 7.18 – in Verwaltungssachen 7.3; 9.43 – als Verwaltungstätigkeit 7.22 f.; 8.11 – kraft Völkergewohnheitsrecht 7.35 ff. – Voraussetzungen 7.19 ff. – der Zentralbehörde 14.110 – s.a. Internationale Beweisaufnahme – s.a. Internationale Zustellung
Rechtsanwalt, ausländischer 6.408 ff.; 11.33
Rechtshilfeabkommen, zweiseitige 7.6 ff., 7.15 ff.; 8.158 ff.; 9.158 ff.
Rechtsbehelf – Pflicht zur Belehrung 14.51 – Pflicht zur Einlegung 12.64
Rechtshilfeersuchen – Inhalt des 9.51 – auf konsularischem Weg 7.50 ff.; 9.53
Quasi in rem-jurisdiction 3.638 Quatar 5.113; 12.226 Quebec 16.58 Rabbinatsscheidung 6.114 Reaktorschiffe 3.435; 15.136
1258
Stichwortverzeichnis
– Übermittlungswege für 9.14 ff., 9.50 ff. – auf dem unmittelbaren Behördenweg 9.14, 9.50, 9.53 Rechtshilfeordnung in Zivilsachen 7.2 f. Rechtshilfeverträge 7.6 ff.; 8.158 ff.; 9.39 ff., 9.158 ff. Rechtskraft – Anerkennung 12.22, 12.116 ff. – europäischer Begriff 12.26, 12.28 ff. – formelle 15.234 – kollisionsrechtliche Relativität 12.144 – von Vorfragen 12.29 f. – zugunsten Dritter 12.142 – zu Lasten Dritter 12.143
Registrierung ausländischer Entscheidungen im VK 15.44 Regressansprüche – des Frachtführers 3.427 – nach Unterhaltsleistung 4.147 f. – des Versicherers 3.158, 3.170 Reiseverträge 3.186, 3.317 Remise au parquet 7.42; 8.16 f., 8.93, 8.132, 8.171; 12.75 Request for admission 10.24, 10.127 Restatement Second of Conflict of Laws 16.37 Restgesellschaft 5.35 f.
Rechtskraftpräklusion 12.28 f., 12.138 ff.
Restschuldbefreiung 20.121 f., 20.164 f.
Rechtsnachfolger – Bindung an Gerichtsstandsvereinbarung 3.278 – Bindung an Schiedsvereinbarung 18.76
Revisibilität ausländischen Rechts 11.53 ff.
Rechtsöffnungsentscheid 12.10 Rechtsquellen des IZPR 1.15 ff. Rechtsschein der Niederlassung 3.123, 3.527
Restzuständigkeit 4.19 f. , 4.40, 4.63
Révision au fond (Verbot der) 12.89, 12.100 f., 12.134; 15.125, 15.241, 15.299; 16.7 Rheinschifffahrtsakte, revidierte 1.11; 15.91 Richtlinie 87/5/EG 6.420
Rechtsschutz – einstweiliger 11.42 ff.; 17.1 ff.; 18.211 ff. – einstweiliger vor ausländischen Gerichten 17.133 ff. – Formen 6.2 ff., 6.17 ff. – Verzicht auf 3.409, 3.564
Richtlinie 98/26/EG 20.182
Rechtsvereinheitlichung 1.94
Richtlinie 2014/59/EU 20.177
Rechtswahl 11.27 ff., 11.47; 18.164 ff.
Ruanda 5.114; 12.232
Regelung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Ausland 18.334 ff.
Rückgabe – eines Kindes 4.69 ff., 4.84, 4.92 ff., 4.96 ff., 4.103 ff.; 13.70; 14.122 f.; 15.339 – persönlicher Gegenstände 6.118
Regierungsmitglieder, Immunität 2.33 Registereintragung 3.327; 6.107
Richtlinie 98/27/EG 6.45 Richtlinie 2009/138/EU 20.183 Richtlinie 2004/48/EG 10.19; 17.90 Richtlinie 2013/11/EG 6.42
1259
Stichwortverzeichnis
Rügelose Einlassung – vor Schiedsgericht 18.39 – vor staatlichem Gericht 3.205, 3.289 ff., 3.585 ff. Rumänien 5.114; 12.232; 16.101; 18.351 Russland 5.114; 8.154; 11.87; 12.232; 16.98; 18.156, 18.351; 19.125 Sachen, bewegliche 3.76 – unbewegliche 3.306; 15.197 Sachpfändung 19.50 ff. Sachverständigenbeweis 9.148 f.; 10.196 ff. – über ausländisches Recht 11.34 ff., 11.71 Sachverständiger 5.176; 7.43; 10.197 ff., 10.207 ff. ; 11.37, 11.38 – ausländischer 9.149 – inländischer 9.37, 9.148 Salomonen 12.233 Sambia 5.115; 12.233 San Domingo 5.115 San Marino 5.115; 9.175; 12.233 Satzung und Gerichtsstandsklausel 3.242 Saudi-Arabien 5.115; 12.233 Schadensersatz – wegen Nichterfüllung nach erfolgloser Vollstreckung 19.119 – für ungerechtfertigte Vollstreckung 17.55; 18.218; 19.5, 19.46 ff. – für unzulässige Klage 18.159 – wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung 3.276, 3.584 Schadensregulierungsbeauftragter 3.162, 3.165; 8.60 Scheidung – durch ausländische Verwaltungsbehörde 13.33, 13.35 1260
– – – – –
einverständliche 6.109 durch Gerichtsentscheidung 6.17 Privat- 6.112, 6.250; 13.35 ff. Rabbinats- 6.112, 6.114, 6.250 Talaq- 6.113 f.
Scheidungsfolgen 6.115 Scheidungsurteil, Anerkennung – nach EheGVO 13.2 ff. – in England 16.55 – nach FamFG 13.26 ff. – in USA 16.33 – in Türkei 16.109 Scheidungsvereinbarung 6.110 Scheidungsverfahren – Beteiligung der Verwaltungsbehörde 6.83, 6.105 – Beteiligung des Staatsanwalts 6.83, 6.105 – internationale 6.102 ff. Scheidungsverschulden 13.6 Scheinauslandsgesellschaft 5.22; 20.146 Scheme of Arrangement 3.32; 12.17, 12.94; 20.167 Schiedseinrede 12.97; 18.181 ff. Schiedsfähigkeit – jur. Personen des öff. Rechts 18.284 – objektive 18.40 ff., 18.263 – subjektive 18.62 ff., 18.249, 18.293 Schiedsgericht – Ad hoc- 18.93, 18.96 – Dissenting opinion 18.131 – einstweiliger Rechtsschutz 18.211 ff. – Fehler bei Bildung 18.257 – institutionelles 18.93 ff. – Kompetenz-Kompetenz 18.187 ff. – Kompetenzüberschreitung des 18.254 – Mehrparteien- 18.80 ff., 18.100 – Rechtswahl durch 18.168 – Sitz des 18.106 f. – Verfahren des 18.108 ff.
Stichwortverzeichnis
Schiedsgerichtsbarkeit, internationale 1.24; 3.34 f.; 18.1 ff. – Rechtsnatur 18.2 ff. Schiedsgerichtsordnungen 18.142 ff. Schiedsgutachten 18.20 Schiedsklage 18.113 Schiedsklausel in Testament 18.91 Schiedsorganisationen 18.94, 18.142 ff. Schiedsrichter – Abberufung von 18.204 f. – Ausländer als 18.288 – Bestellung der 18.102 f. – Ersatzbestellung von 18.203 – Unabhängigkeit der 18.101 Schiedsrichtervertrag 18.103 Schiedsspruch – anationaler 18.258, 18.277 – Anerkennung 12.18, 12.165; 18.228 ff., 18.274 ff., 18.282 ff., 18.304, 18.305, 18.306, 18.313, 18.315 ff., 18.320 – Aufhebung 18.219 ff., 18.261, 18.297 – Begründung 18.266, 18.296 – nach Billigkeit 18.255, 18.295 – Erlass 18.131 – inländischer/ausländischer 18.220 f. – Rechtskraft 18.137 – Registrierung des 18.137 – Verbindlichkeit 18.138, 18.259 – Verstoß gegen ordre public 18.264 ff. – Zwischen- 18.259 Schiedsvereinbarung 17.18; 18.14 ff. – anwendbares Recht 18.22 ff. – und Armut der Partei 18.73 – Auslegung 18.84 ff. – Bindung Dritter 18.76 ff. – und einstweiliger Rechtsschutz 17.18; 18.211 ff. – Form 18.30 ff., 18.287 – und Insolvenz 18.74; 20.99
– bei internationalen Handelsgeschäften 18.285 – und Kaufmannseigenschaft 18.286 – Selbständigkeit der 18.21, 18.188 ff. – von Verbrauchern 18.71 – Vollmacht zum Abschluss 18.75 – Wirksamkeit 18.14 f., 18.17 ff., 18.249 Schiedsverfahren 18.92 ff. – Beweisrecht 18.126 ff., 18.207 ff. – Fehler des 18.252 ff. – Kosten 18.134 f. – Kostenvorschuss 18.124 – und rechtliches Gehör 18.88, 18.252 f. – in der Sache anwendbares Recht 18.163 ff., 18.2947 – staatliche Hilfsverfahren 18.159 ff., 18.207 ff. Verfahrensrecht 18.92 ff. Schiedsvergleich 15.144, 15.173; 18.271 f., 18.304, 18.308, 18.309, 18.311, 18.314 Schiffbarmachung der Mosel, Vertrag über 15.91 Schiffszusammenstöße, Gerichtsstand 3.433; 15.91 Schlichtungsvereinbarung, internationale 18.18 Schottland 6.92; 9.168; 10.35; 18.352 Schriftform – bei Gerichtsstandsvereinbarungen 3.249 ff., 3.578 – bei Schiedsvereinbarungen 18.30 ff. Schriftsätze in fremder Sprache 5.172 ff. Schuldausspruch im Scheidungsurteil 6.106; 13.38 Schweden 3.624; 5.115; 8.39, 8.129, 8.153; 9.103, 9.111, 9.118, 9.128; 10.69, 10.72, 10.159, 10.179, 10.200; 11.81 f.; 12.233; 16.91 ff.; 18.352; 19.125 Schweigepflicht 10.107 f. 1261
Stichwortverzeichnis
Schweiz 3.597, 3.650; 5.115, 5.141; 6.321; 9.39, 9.110; 11.66, 11.83; 12.233; 15.108, 15.183; 16.90; 17.165; 18.41, 18.99, 18.151, 18.352
Simbabwe 12.233
Schweizerische Schiedsordnung 18.93, 18.151
Sitz juristischer Personen 3.44; 5.20 ff.
Search order 12.10 17.151 Seefrachtverträge 3.429 Seegerichtliche Entscheidungen 15.141 ff.
Singapur 5.115; 12.233; 16.128; 18.352 Sitz des Schiedsgerichts 18.106 Sitzzuständigkeit 3.44 ff., 3.525 f. Slowakei 5.115; 12.233 Slowenien 5.115; 12.233; 16.108; 18.352 Somalia 5.115; 12.233
Sekundärinsolvenzverfahren 20.19, 20.55 ff., 20.66 ff., 20.108 f., 20.112 ff., 20.116 – Ermessen zur Eröffnung 20.61
Sondervermögen, öffentlich-rechtliches 3.539, 3.558
Selbständiges Beweisverfahren 17.80 ff.; 18.212
Sonstige Rechte, Pfändung 19.89 ff.
Senegal 5.115; 12.233 Sequestro giudiziario 17.153 Serbien 5.115; 12.233; 16.106 Service out of the jurisdiction 3.619 Sicherheitsleistung – beim einstweiligen Rechtsschutz 17.20 – für Prozesskosten 5.73 ff.; 6.98 – vor Schiedsgerichten 18.97 – vor Vollstreckung im Zweitstaat 14.15, 14.67, 14.72, 14.96; 15.69, 15.74 Sicherstellungsbeschlagnahme sequestro conservatio 17.153, 17.155 Sicherungsbeschlagnahme, Italien 17.154 Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts 20.81 ff., 20.152 Sicherungsrechte in der Insolvenz 20.129 ff. Sicherungsvollstreckung 15.51 f., 15.163 Sierra Leone 5.115; 12.233 1262
Sonstige Familiensachen 4.177 ff.; 15.381 f., 15.389 Sorge, elterliche 4.45 ff., 4.108 ff.; 15.337 ff.; 17.96 ff. Sorgerechtssachen – Anerkennung von Entscheidungen 13.56 ff., 13.73, 13.78 ff., 13.83 ff.; 16.34 – Rechtshängigkeit 6.234 ff. – Vollstreckbarerklärung 15.337 ff., 15.350, 15.353 – Zuständigkeit 3.26; 4.45 ff., 4.82, 4.108 ff. Sortenschutz 3.359 Soziale Sicherheit 3.33 Sozialversicherung 3.33, 3.158 Spanien 5.115; 8.44; 10.77, 10.90, 10.148, 10.164, 10.185, 10.203; 11.77; 12.233; 15.184 ff.; 17.170 f.; 18.352; 19.125 Special appearance 3.588 Special examiners 7.43; 9.74, 9.166 f. Spiegelbildprinzip 12.170 Sportschiedsgerichtsbarkeit 18.94, 18.152
Stichwortverzeichnis
Sprache – im Prozess 5.172 ff. – im Rechtshilfeverkehr 5.181 ff.; 8.27, 8.66 ff., 8.77, 8.95, 8.103, 8.105, 8.109; 9.17, 9.54 – bei Vollstreckbarerklärung 15.112 Spruchverfahren 3.325 Sri Lanka 5.115; 12.233 Staat – ausländischer 2.5 ff.; 5.37, 5.51; 8.31 – nicht anerkannter 5.37 Staatenloser 4.16, 4.29 f.; 5.4, 5.85 Staatsangehörigkeit, Zuständigkeit kraft 3.48, 3.641; 4.2, 4.12, 4.15 f., 4.22, 4.25 ff., 4.32 ff., 4.80, 4.109, 4.114, 4.117, 4.132, 4.134, 4.138, 4.141, 4.155 f., 4.170, 4.173, 4.188, 4.204, 4.211, 4.231 Staatsanwalt 6.83, 6.105; 15.115 Staatsimmunität 2.1 ff. – und Menschenrechtsverletzungen 2.13 ff. – im Schiedsverfahren 2.28; 18.62 ff., 18.70 – bei Vollstreckung 19.26 ff. Staatsoberhaupt, Immunität 2.33 Staatsschiffe 2.53 ff.; 19.36 Staatsunternehmen, Immunität 2.36 Standard disclosure 10.165 Statutarische Schiedsklausel 18.90 Stockholmer Schiedsgerichtsinstitut 18.94, 18.158
Streitkräfte, ausländische 2.109 ff. Streitverkündung, 3.275; 6.74, 6.79; 18.117 Streitverkündungswirkung, Anerkennung 12.34, 12.146; 18.117 Streudelikt 3.103 Stufenantrag/-klage 6.19 Substitution 1.51; 19.11 Subunternehmer, keine Bindung an Prorogation des Hauptunternehmers 3.278 Südafrikanische Republik 5.115; 12.233; 15.323 Sudan 5.115; 12.233 Sühneversuch 6.104; 9.95 Summary Judgement 16.26 Suriname 5.115; 12.233 Swasiland 5.115; 12.233 Swiss (Arbitration) Rules 18.151 Syrien 5.115; 12.233; 16.113; 18.352 Tadschikistan 12.234 Taiwan 5.99; 12.234; 16.125; 18.353 Talaq-Scheidung 6.113 Tansania 5.116; 12.234 Tatbestandswirkung ausländischer Entscheidungen 12.35, 12.150 Tatsache, doppelrelevante 3.102, 3.508, 3.549; 12.177 Teilanerkennung 12.152
Straßengüterverkehr (CMR) 3.420 ff.; 15.137 ff.
Teilnahme ausländischer Richter an Beweisaufnahme 9.28, 9.66
Stream-of-commerce-jurisdiction 3.615
Telekonferenz s. Videokonferenz Temporary Restraining Order 17.174
Streitgegenstand europäischer 6.205 ff.
Territorialitätsgrundsatz 7.35 f.; 9.2 ff., 9.140 ff.; 19.4, 19.63; 20.20
Streitgenossenzuständigkeit 3.133 ff., 3.591
Thailand 5.116; 12.234; 16.127 1263
Stichwortverzeichnis
Theorie der Wirkungserstreckung 12.28, 12.130 f.; 20.30, 20.154 Third Party Complaint 6.5, 6.82 Third Party Notice 6.82 Timesharing-Verträge 3.186, 3.310 Timor-Leste 12.234 Togo 5.116; 12.234 Torpedoklage 6.206 Transient Jurisdiction 3.608 ff. Transnational Rules of Civil Procedure 1.5, 1.57, 1.63 Treble damages 12.193 Trennung von Tisch und Bett 4.44; 6.111, 6.115 Trennungsunterhalt 6.118 Trinidad und Tobago 5.116; 12.234 TRIPS-Übereinkommen 10.19; 17.41 Tronc commun 18.172 Trust – Bedingungen und Gerichtsstand 3.127 ff., 3.253 – Sitz 3.45 Tschad 5.116; 12.234 Tschechische Republik 5.116; 9.39; 12.234; 16.105; 18.353 Tunesien 5.116; 12.234; 15.187 ff.; 16.115; 18.353 Türkei 4.217 f., 4.240; 5.116; 11.90; 12.234; 16.109 f.; 18.353 Übereinkommen der Arabischen Liga über die Vollstreckung von Urteilen 16.112 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) 3.265, 3.420 ff.; 5.96; 6.262; 15.91, 15.137 ff.; 18.166 1264
Übereinkommen über den EisenbahnPersonen- und Gepäckverkehr (COTIF) 3.430; 15.91; 17.45; 18.303 Übereinkommen über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen v. 8.9.1967 13.21 UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland 5.148; 15.298 ff. Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie 2.20; 3.434 Übereinkommen über Staatenimmunität, Europäisches 2.40 f. Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über den Arrest in Seeschiffe 15.91; 17.44 Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtl. Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen 3.433; 15.91 Übermittlungsstellen 8.62 Übermittlungsweg – für Beweisersuchen 9.14 ff., 9.50 ff., 9.100, 9.162, 9.169 – für Zustellungsersuchen 8.10, 8.62 ff., 8.101 ff., 8.142 f., 8.158 ff. Übernahmeersuchen 4.55, 4.86, 4.111 Übersetzungserfordernis – bei Europäischen Vollstreckungstiteln 14.13, 14.67 – bei Klagezustellung 8.66 ff., 8.105, 8.109 – bei Vollstreckbarerklärung 15.16, 15.112, 15.279 Uganda 5.117; 12.235 Ukraine 5.117; 12.235; 16.99; 18.354 Umbrella rule 3.537 Umgangsrecht 4.46 f., 4.54, 4.92, 4.103, 4.182, 4.187; 13.70 ff.; 14.122 ff.; 17.99
Stichwortverzeichnis
Umwelteinwirkungen, Gerichtsstand der 3.555 UNCITRAL Arbitration Rules 18.97, 18.161 UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency 20.13, 20.32 ff. UNCITRAL Schlichtungsordnung 18.162
Unterhaltsansprüche – des Kindes 6.122 – Rechtshilfe bei Durchsetzung 7.13, 7.59 ff.; 14.110; 15.311 ff. Unterhaltssachen – Auskunftspflicht 10.158 – Gerichtsstand 3.31; 4.130 ff.
UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea 3.429
Unterhaltstitel, Anerkennung von 13.128 ff., 13.132 ff., 13.136, 13.137 ff., 13.145 f., 13.147; 14.99; 15.190; 16.63
Unerlaubte Handlungen 3.91 ff., 3.549 ff., 3.631
Unterlagen für Vollstreckbarerklärung
Unerwünschte Gerichtsstände 1.29 ff.; 3.49 ff. Ungarn 3.9; 5.117; 12.235; 16.100; 18.354
– von Gerichtsentscheidungen 15.15 ff., 15.82 f., 15.95 ff., 15.166 f., 15.279, 15.304, 15.393 – von Schiedssprüchen 18.242 Unterlassungsklage
Uniform Foreign-Money Claims Act 6.94
– Gerichtsstand 3.86, 3.112f., 3.332 – gegen Prozessführung im Ausland 6.306 ff. – vorbeugende 3.112, 3.552
Uniform Foreign Money-Judgment Recognition Act 16.9 ff.
Unterlassungsvollstreckung 19.107 ff., 19.116 ff.
Unionsdesign 3.353 ff.
Unternehmer, Gerichtsstand in Verbrauchersachen 3.196 f.
Uniform Conflict of Laws-Limitation Act 1982 6.73
Unionsmarken 3.330, 3.349 ff. Universalitätsprinzip 20.17 ff. Unklagbarkeit 2.50; 6.86 ff. Unpfändbarkeit 19.86 f. Unterbrechung durch ausländisches Insolvenzverfahren 6.286 f.; 20.96 ff. Unterbringung von Kindern 7.70 ff. Unterhalt – im Abstammungsverfahren 4.131, 4.158 f.; 17.109 – per einstweiliger Anordnung 17.104 ff. – im Scheidungsverbund 4.22, 4.41
Untersuchung, körperliche und geistige 9.117; 10.181 ff., 10.187, 10.191 ff. UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen (UNÜ) 18.274 ff. UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland 5.140; 7.17; 15.307 ff. UN-Übereinkommen über Staatenimmunität 2.1 UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) 3.74, 3.541; 10.12, 10.75 1265
Stichwortverzeichnis
Unvereinbarkeit von Entscheidungen 12.82 ff., 12.86 ff., 12.87, 12.189; 13.24 f., 13.62 f., 13.133, 13.141, 13.160
Usbekistan 5.117
Urheberrechtsverletzung 3.106, 3.138
Vatikan 5.118; 12.236
Urkunden – ausländische 10.132 – ausländische öffentliche 10.133 ff., 10.138 – gesiegelte 10.149 – inländische 10.131 – öffentliche 10.131 f., 10.133 ff., 10.140a; 13.8; 15.218 – private 10.141, 10.144 f., 10.148 – Übersetzung fremdsprachiger 5.172 ff., 5.180; 10.154 – Vollstreckbare Urkunden s. dort – Vorlage aus Ausland 9.12, 9.88, 9.115 f., 9.151 f. Urkundenbeweis 9.115 ff., 9.151 ff.; 10.46, 10.130 ff. Urkundenprozess 6.2; 11.29 Urkundenübersendung 9.95, 9.97 Urkundenverordnung (EU) 9.153 Urkundenvorlagepflicht 9.13, 9.88, 9.115 f. Urkundenvorlageverordnung 9.90 f. Urteilsinhalt 6.14 Uruguay 5.117; 12.235 US Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) 2.23 USA 3.601, 3.610, 3.612 ff., 3.622 f., 3.629 f., 3.632, 3.635, 3.636 f., 3.638, 3.645, 3.652 ff., 3.646 f., 3.662; 5.118; 6.16, 6.27, 6.47, 6.73, 6.81 f., 6.84, 6.93, 6.259, 6.303, 6.307, 6.309, 6.320, 6.404, 6.430 f.; 8.5, 8.20 ff., 8.49, 8.118, 8.120; 10.22, 10.99, 10.126 f., 10.157, 10.188 ff., 10.197; 11.74 f. ; 12.236; 15.323; 16.8 ff.; 17.172 ff.; 18.58, 18.193, 18.354; 19.125 1266
Vaterschaftsfeststellung 6.123; 10.182, 10.191 ff.; 13.91 Venezuela 5.118; 12.236; 16.74; 18.355 Verantwortung, elterliche 4.46 f., 4.60, 4.69, 4.87, 4.187; 13.56 ff.; 14.122 ff. Verbandsklagen 3.113, 3.318; 6.44 ff. Verbindungsrichter 7.68, 7.81 Verbrauchersachen 3.171 ff.; 12.941; 14.44 Verbundverfahren 6.120, 6.124 Verbundzuständigkeit 4.22 f., 4.41 f., 4.108; 6.120f Verein, nichtrechtsfähiger 5.49 Vereinigte Arabische Emirate 5.1185; 12.236; 16.116; 18.355 Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland 3.14; 5.103; 11.69 ff.; 12.236; 15.146 f.; s.a. England u. Großbritannien Verfahren zur Trennung von Tisch und Bett 4.44; 6.111, 6.115; 13.3 Verfahrenseinleitendes Schriftstück 12.44 ff., 12.161 ff.; 13.23, 13.133; 14.19, 14.43; 15.15 Verfahrensgrundsätze, rechtsstaatliche 12.49 ff., 12.194 ff. Verfahrenshilfe 7.3 Verfahrenskostenhilfe s. Prozesskostenhilfe Verfahrensnorm, sachrechtsbezogene 1.51 Verfahrenstheorie (zur Nationalität des Schiedsspruchs) 18.220 Verfahrensübernahme 7.3 Verfahrensverzögerung durch Schiedsgericht 18.206
Stichwortverzeichnis
Verfügung, einstweilige 6.306 ff.; 12.10 81, 12.158; 15.154; 17.67 ff.
Versorgungsausgleich 3.31, 3.33; 4.127 ff.
Vergleiche als vollstreckbare Titel 12.20, 12.167; 14.24a, 14.33, 14.100, 14.141; 15.272, 15.370; 18.265, 18.266
Verstoßung der Ehefrau 6.113; 13.38
Verhältnis staatl. Gericht/Schiedsgericht 18.180 ff. Verhandlung, mündliche 5.176 ff. Verjährung, Hemmung 6.69 ff. – durch Auslandsklage 6.74, 6.270; 12.133 – durch Mahnverfahren 6.271 – durch Schiedsklage 18.115 Vermögensauskunft 3.339; 19.91ff Vermögensbeschlag 20.75, 20.136 Vermögensgerichtsstand 3.50, 3.530 ff.; 12.172 15.21, 15.58, 15.158
Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 3.68 Vertrag zugunsten Dritter 3.280 Verträge in der Insolvenz 20.128 Vertragsgerichtsstand 3.60 ff., 3.539 ff. Vertragsschluss, elektronischer 3.264 Vertraulichkeit im Schiedsverfahren 18.109 Verwaltungsbehörde, Eheaufhebungsantrag 6.83, 6.105 Verwaltungshilfe zur Durchsetzung von Unterhalt 7.59 ff.; 15.311 ff.
Vermögenschäden 3.111
Verweisung ins Ausland 4.55 ff., 4.85; 6.29, 6.284
Vermögensverwertung durch Insolvenzverwalter 20.104 ff.
Verwertung durch Insolvenzverwalter 20.104 ff.
Vermutung – gesetzliche 10.49, 10.74, 10.131 – tatsächliche 10.50, 10.64
Verwirkung der Antragsbefugnis 13.48 Verzicht auf Rechtsschutz 3.564
Versagung der Vollstreckung für Europäischen Vollstreckungstitel 14.18 ff., 14.70 f., 14.85, 14.95, 14.114
Videokonferenz 6.8; 7.58; 9.25, 9.38, 9.147
Versagungsgründe der Anerkennung – gerichtlicher Entscheidungen 12.37 ff., 12.169 ff.; 15.113, 15.155 ff., 15.205 ff., 15.275 ff. – von Schiedssprüchen 18.235, 18.245 ff., 18.299, 18.313
Völkergewohnheitsrecht 1.26, 1.30; 7.35, 7.47; 12.129
Versäumnisentscheidung 12.7; 15.18, 15.151, 15.295 Versendungskauf 3.77 ff. Versicherungsinsolvenz 20.157 f. Versicherungssachen 3.157 ff., 3.529; 12.94 Versöhnungsfrist 6.103
Vietnam 12.216; 16.130; 18.355; 20.184
Völkerrecht 1.25 ff.; 7.27 ff.; 11.59; 12.119; 18.171 – allgemeines 2.5; 5.7 Vollstreckbare Urkunden 12.20, 12.1677 15.75 ff., 15.236, 15.338, 15.370, 15.392 Vollstreckbarerklärung – Antrag 15.12 f. – aufgehobener Schiedssprüche 18.261, 18.281, 18.297 f. – Aufhebung 15.75 1267
Stichwortverzeichnis
– ausländische Schiedsvergleiche 18.271 f., 18.304, 18.305, 18.308, 18.310, 18.311, 18.314 – ausländischer Schiedssprüche 18.228 ff., 18.235 ff. – Entbehrlichkeit bei Europäischen Vollstreckungstiteln 14.7 ff., 14.26, 14.30 ff., 14.77, 14.78 ff., 14.92 ff, 14.98 ff., 14.118, 14.122 ff., 14.136 f. – von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen 15.8 ff., 15.95 ff., 15.102 ff., 15.123 ff., 15.161 ff., 15.212 ff., 15.220 ff.; 19.7, 19.16 f., 19.18 f. – in Erbrechtssachen 15.391 ff. – güterrechtlicher Entscheidungen 15.369 ff. – in Unterhaltssachen 15.254 ff., 15.258, 15.259 ff., 15.324 ff., 15.387 – insolvenzrechtlicher Entscheidungen 15.38; 20.152 ff., 20.168, 20.174 – Kosten 15.32, 15.116 f. – von Kostenentscheidungen in Ehesachen 15.362 ff. – durch Notar 15.84 – von Sorgerechtsentscheidungen 15.337 ff., 15.388 – unbestimmter Titel 15.55, 15.247 – Verfahren der 15.10 ff., 15.95 ff., 15.161 ff., 15.212 ff., 15.220 ff., 15.254 ff., 15.264 f., 15.279 ff., 15.304 f., 15.321 f., 15.333, 15.341 ff., 15.351 f., 15.363 ff., 15.371 ff., 15.376 f., 15.379, 15.382, 15.386 ff., 15.392 ff., 15.397 f.; 18.235 ff.; 20.174 – Versagungsgründe der 15.10, 15.27 ff., 15.47, 15.113, 15.168, 15.212 ff., 15.240 f., 15.255, 15.264 f. , 15.275 ff., 15.290 ff., 15.298 f., 15.366, 15.376, 15.394 Vollstreckbarkeit im Erststaat 15.15, 15.78, 15.97, 15.166, 15.279, 15.304, 15.393 – ohne Sicherheitsleistung 6.38 1268
Vollstreckung – ausländischer einstweiliger Maßnahmen im Inland 17.23 ff., 17.128 f. – ausländischer Insolvenzentscheidungen 20.159, 20.174 – ausländischer Schiedssprüche 18.228 ff. – ausländischer Urteile in Common Law Staaten 16.38 ff. – aus öffentlichen Urkunden und Prozessvergleichen 15.76 ff. – Europäischer Vollstreckungstitel 14.7 ff., 14.30 ff., 14.77, 14.79 ff., 14.93, 14.99 ff., 14.118, 14.121 ff. – von Fremdwährungsverbindlichkeiten 15.248; 19.15 – von Schiedssprüchen 18.224 ff., 18.228 ff. – unvertretbarer Handlungen 19.107 ff. – vertretbarer Handlungen 19.103 ff. Vollstreckungsabwehrklage 3.337; 14.25 ff., 14.74 ff., 14.89 ff., 14.97, 14.116; 15.249 Vollstreckungsanspruch 19.8 Vollstreckungsbescheid 15.42 Vollstreckungshilfe 2.120; 7.3; 15.109, 15.311 ff. Vollstreckungsimmunität 2.52, 2.120; 19.26 ff. Vollstreckungsklage 15.11, 15.220 ff. Vollstreckungsklausel – Aufhebung 15.75 – Erteilung 15.54, 15.58 Vollziehung – der einstweiligen Verfügung 17.72 – einstweiliger Maßnahmen des Schiedsgerichts 18.216 f. Vorabentscheidungsverfahren – vor EFTA-Gerichtshof 1.88 – vor EuGH 1.69 ff. Voraussetzungen der internationalen Zwangsvollstreckung 19.16 ff.
Stichwortverzeichnis
Vorbeugende Unterlassungsklage 3.112, 3.552 Vorfragenbindung 12.29 f., 12.140 Vorläufig vollstreckbare Entscheidungen 12.8, 12.157
Widerklage 3.149, 3.168, 3.202, 3.222, 3.272, 3.583, 3.592; 6.25; 15.199; 18.120 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 6.12; 8.134
Vorlagepflicht – materiell-rechtliche 10.175 ff. – prozessuale 10.153 ff. – von Urkunden 9.82 ff., 9.115; 10.153 ff.
Wiederversöhnung 6.104
Vorlage-Verordnung 9.90 f.
Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen 2.75
Vormundschaft 4.46, 4.81, 4.110 f. Vorpfändung 19.67 Vorprozessuale Vorlagepflichten 10.31, 10.37, 10.166
Wiener Regeln (Schiedsgerichtsordnung) 18.94, 18.154 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen 2.60
Willenserklärungen, Vollstreckung von 19.100ff WIPO 18.94, 18.147
Vorvertragliches Schuldverhältnis 3.67, 3.94
Wirkungserstreckung, Anerkennung als 12.28, 12.130 ff.; 20.30, 20.154
Vorwirkung der Rechtshängigkeit 6.76, 6.269
Witnesses statement 10.88
Vouching-in 6.81; 12.129
Wohnsitz 3.43 ff.; 15.58; 19.66, 19.74, 19.96
Wahlkonsulatsbeamte 2.79
Wohnsitzgerichtsstand 3.39 ff., 3.209, 3.522
Währungsbeschränkung 6.100 Waiver of service of process 8.22 ff. Warenzeichen 3.328 Warschauer Abkommen zum internat. Luftverkehr 3.417 ff.; 15.91 Wartefrist für Wiederverheiratung 6.108
Wohnungszuweisung 4.125; 6.119; 13.113 Wortprotokoll 9.24, 9.59 Zahlungsbefehle, schweizerische 6.67 Zaire 5.120; 12.237
Weißrussland 5.119; s.a. Belarus
Zentralafrikanische Republik 5.120; 12.237
Weltbank-Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten 18.94, 18.319 ff.
Zentralbanken 2.12, 2.31, 2.37; 19.33 Zentrale Rechtshilfebehörden 8.94 f., 8.101; 9.14, 9.35 f., 9.50 ff.
Wesenseigene Zuständigkeit 1.53; 3.517
Zeugenbeweis 6.106; 9.105 ff.; 10.7, 10.83 ff., 10.104 ff., 10.114 – Abgrenzung zur Parteivernehmung 9.112
Wesensfremde Entscheidungswirkungen 12.133
1269
Stichwortverzeichnis
– durch Auslandszeugen 9.145 ff. – durch commissioners 7.43 – gesetzlicher Ausschluss 10.7 ff., 10.84 Zeugeneigenschaft 2.119; 9.105, 9.112 Zeugenermittlung 9.95 Zeugenfähigkeit 9.105 ff.; 10.83, 10.88 Zeugenvernehmung 9.59, 9.107 Zeugnisverweigerungsrecht 2.119; 9.15, 9.30, 9.61 f., 9.108; 10.104 ff. Zinsen 6.15; 15.247 Zivil- und Handelssachen 3.28 ff.; 9.41; 12.15 ZRHO 7.2 f.; 8.150
– – – – – – – – – – –
Zugang zu Gericht 1.30 ff.; 5.7 ff.
Zugewinnausgleich, Sicherung 17.118 ff. Zusammenarbeit, internationale gerichtliche 7.5 – in der EU 1.59 ff.; 7.76 ff.; 20.115 Zusatzübereinkommen von Guadalajara 3.419 Zusatzübereinkommen zum Haager ZPÜ 7.9; 8.96
– – – –
Zusatzvereinbarungen zum HBÜ 9.40
–
Zuständigkeit – für Abstammungsverfahren 4.113 – für Adoptionssachen 4.77, 4.116ff – des Amtsgerichts für Vollstreckbarerklärung 15.254, 15.305, 15.327, 15.341, 15.356, 15.364, 15.371, 15.386 – Antritts- 4.12, 4.30 ff. – für Arbeitsverträge 3.169 ff. – Aufenthalts- 3.523 f.; 4.6 ff., 4.34 ff., 4.46 ff., 4.130, 4.165, 4.193, 4.204 – ausschließlich internationale 3.266, 3.303 ff.; 4.11 ff.; 9.131; 15.159 – ausschließliche 12.94, 12.175 – Begriff der internationalen Zuständigkeit 3.502 ff. – in Betreuungssachen 4.191 ff., 4.200 – Beweis-, internationale 9.2 ff.
–
1270
– – – – – – – – –
deutsche internationale 1.17; 3.519 ff. direkte 3.23 ff. Durchgriffs- 3.627 in Ehesachen 4.5 ff., 4.26 ff. in Ehewohnungssachen 4.124 für einstweilige Maßnahmen 4.64; 17.9 ff., 17.30, 17.48, 17.68 ff., 17.92 ff., 17.105 ff., 17.113 f., 17.123 f. für Erbscheinsverfahren 4.223 ff., 4.240 f. für Güterrechtssachen 4.166 ff., 4.173 für Haushaltssachen 4.124 indirekte 15.186, 15.277; s. Anerkennungszuständigkeit internationale 3.23 ff., 3.400 ff., 3.502 ff., 3.605 ff.; 4.5 ff., 4.26 ff., 4.45 ff., 4.68 ff., 4.114, 4.117, 4.124, 4.130 ff., 4.158 f., 4.160 ff., 4.173, 4.175, 4.177, 4.184 ff., 4.192, 4.200, 4.203, 4.217, 4.221, 4.225, 4.240 f.; 19.120 bei Kindesentführung 4.68 ff. in Kindschaftssachen 4.45 ff., 4.90 ff., 4.108 konkurrierende internationale 3.510 gegenüber Konzerngesellschaften 3.627; 20.25 ff., 20.42 ff. des Landgerichts für Vollstreckbarerklärung 15.170 in Lebenspartnerschaftssachen 4.184 ff. Notzuständigkeit 3.54, 3.519, 3.521; 4.143, 4.170, 4.211, 4.220, 4.229; s.a. Restzuständigkeit örtliche 3.200, 3.598; 4.21, 4.114, 4.119, 4.142, 4.172, 4.214 quasi in rem 3.638 ff. in rem 3.636 Restzuständigkeit 4.19 f., 4.40, 4.63 kraft Sachzusammenhangs 3.154 f., 3.590 für sonstige Familiensachen 4.177 in Sorgerechtssachen 4.45 ff., 4.78, 4.90 ff., 4.108 für Streitigkeiten über den Sortenschutz 3.359
Stichwortverzeichnis
– für Streitigkeiten über Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Unionsdesign) 3.353 – für Streitigkeiten über Gemeinschaftsmarken (Unionsmarken) 3.344 – für Streitigkeiten über Gemeinschaftspatente 3.363 – System der direkten 3.23 ff. – für Unterhaltssachen 3.31; 4.130 ff., 4.158 f. – in Verbrauchersachen 3.171 ff. – Vereinbarung durch Nichtkaufleute 3.240 – in Versicherungssachen 3.157 ff. – für Versorgungsausgleichssachen 4.127 – wesenseigene 1.53; 3.517 – in Zivil- und Handelssachen 3.28 ff., 3.519 ff. Zuständigkeitsentscheidung des Erstrichters, Bindung an 12.93 ff., 12.177 Zuständigkeitserschleichung 3.514 Zustellung im Rechtsvergleich 8.2 ff. Zustellung, internationale – Ablehnungsgründe 8.121 ff., 8.149, 8.167 – an Angehörige des Entsendestaates 7.50 – durch Aufgabe zur Post 5.58; 7.41; 8.12, 8.91 – an ausländischen Staat 2.39 ff.; 8.31 – Auslands- 8.58, 8.87 – außerhalb von Staatsverträgen 8.33, 8.151 ff. – Begriff der 8.100 – in besonderer Form 8.110, 8.146, 8.147 – bilaterale Besonderheiten 8.144, 8.158 ff. – direkte Postzustellung 8.10, 8.26, 8.76 f., 8.113 f. – durch diplomatische Vertreter 8.74 f., 8.111 ff., 8.142 – durch einfache Übergabe 8.166
– durch Einschreiben mit Rückschein 7.28 – Entscheidung über Art und Weise der 8.148 – Ersatz- 8.36 ff., 8.70; 12.71 – nach der EU-Verordnung 8.53 ff. – fiktive Inlands- 8.58; 12.62 – förmliche 8.28, 8.108, 8.146 f. – formlose 8.105 ff., 8.145 – gerichtl./außergerichtl. Schriftstücke 8.57, 8.86 – als Hoheitsakt 8.3 ff. – nach HZPÜ 1954 8.142 ff. – an jedem Ort 8.18 – auf konsularischem/diplomatischem Weg 7.50; 8.74 ff., 8.112, 8.142, 8.162, 8.166 – Mitwirkung von Behörden 8.8, 8.11, 8.144 – Mitwirkung von Prüfstellen 8.8 – nach NATO-TS 2.111 f. – nur in der Wohnung 8.18 – öffentliche 8.14, 8.52, 8.88; 12.62, 12.72, 12.181 f.; 15.295 – ordnungsmäßige 12.57, 12.179 ff. – und ordre public 8.65, 8.121 f., 8.159 – durch die Post 8.76 ff., 8.113 ff., 8.165 – auf privatem Wege 8.19, 8.81 ff., 8.113, 8.164 – im Rechtshilfeverkehr 8.62 ff., 8.101 ff., 8.143 – rechtzeitige 8.137; 12.60 f., 12.78, 12.185 – durch schriftliches Zeugnis der ersuchten Behörde 8.127 – späterer Schriftsätze 12.55 – Sprache der 8.27, 8.66 ff., 8.103, 8.109; 12.63, 12.184 – unmittelbar im Parteiauftrag 8.81 ff. – im unmittelbaren Behördenweg 8.62, 8.96 f., 8.143 f. – verfahrenseinleitender Schriftstücke 8.12; 12.57 ff., 12.179 ff. – im Verhältnis zu den europäischen Kleinstaaten 8.175 ff. – von Versäumnisurteilen 8.140 1271
Stichwortverzeichnis
– in Verwaltungssachen 8.99 – der Vollstreckungsklausel 15.58 f. – über „Zentrale Behörden“ 8.8, 8.94 ff., 8.101 Zustellungsantrag 8.32, 8.102 f. Zustellungsbescheinigung 8.72 Zustellungsbevollmächtigter 5.58 ff.; 7.41; 8.12, 8.30, 8.90; 15.13 Zustellungsersuchen, deutsche 8.7 f., 8.101 ff. Zustellungsgebühren 8.73 Zustellungsmängel, Heilung von 8.84, 8.141; 12.76 ff., 12.187 ff. Zustellungsmethoden 8.2 ff. Zustellungsort 8.70 Zustellungssystem – England 8.19 – USA 8.20 ff. Zustellungsverordnung der Europäischen Union 8.53 ff.
Zwangsarbeiter 2.17 Zwangsgeld 15.33; 19.106, 19.109 ff. Zwangsmaßnahmen zur Unterstützung konsularischer Beweisaufnahme 9.69, 9.72, 9.167 Zwangsvergleich, Anerkennung 15.175; s.a. Insolvenzplan Zwangsvollstreckung 3.336 ff.; 9.98; 19.2 ff., 19.49 ff. – gegen ausländische Staaten 2.51 f.; 19.26 ff., 19.69 – im Ausland 19.125 – Voraussetzungen der internationalen 19.16 ff. Zweigniederlassung 3.119 ff., 3.167, 3.174, 3.194 f., 3.199 – inländische 5.29 ff. Zwischenentscheid des Schiedsgerichts zur Zuständigkeit 18.191 f.
Zustellungszeitpunkt 8.71
Zwischenstaatliches Zivilprozessrecht 1.9
Zustellungszeugnis 8.72, 8.104, 8.127
Zypern 5.120; 12.237; 18.356
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