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German Pages 350 [378] Year 2022
Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 1/2022
Band 1/2022
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.
Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2022, S. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-42711-5 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany
Vorwort Die Bedeutung der COVID-19-Pandemie für den Arbeitsschutz nimmt derzeit ab und konzentriert sich auf die Einrichtungen des Gesundheitswesens. Diese Entwicklung befreit die übrigen Unternehmen aber nicht davon, das weitere Infektionsgeschehen im Auge zu behalten und im Rahmen der allgemeinen Fortentwicklung des Arbeitsschutzes ggf. im Herbst wieder neue Schutzmaßnahmen festzulegen. Im Vordergrund stehen derzeit die geplanten Veränderungen im NachwG, die erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsvertragsgestaltung haben werden, die Umsetzung der neuen Regeln zum Hinweisgeberschutz und die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns und die Anpassungen zur geringfügigen Beschäftigung, die durch die parallele Anpassung zahlreicher Tarifverträge zu erheblichen Personalkostensteigerungen führen werden. Dass die Inanspruchnahme von Kurzarbeit noch bis zum 30.6.2022 erleichtert wird, ist zu begrüßen, weil damit vor allem die Auswirkungen der aktuellen Lieferengpässe abgefedert werden können. Es hätte aber festgelegt werden müssen, dass die rückwirkende Verlängerung der Steuerbefreiungen bei den Zuschüssen zum Kurzarbeitergeld keine Korrektur der Entgeltabrechnungen erforderlich macht. Auf der Ebene des Unionsrechts gibt es neue Vorschläge zur Plattformarbeit und erweiterte Pflichten in Bezug auf die Lieferketten, die ein weiterer Baustein im Rahmen von ESG sind, um Unternehmen nachhaltiger aufzustellen und dabei auch eine zivilrechtliche Haftung für die Missachtung von Sorgfaltspflichten einzuführen. Darüber hinaus gibt es eine Einigung zum Mindestlohn und zum Datentransfer zwischen der EU und den USA. Viele Entwicklungen des deutschen Arbeitsrechts werden derzeit durch Entscheidungen des EuGH und EFTA-Gerichtshofs geprägt. Beispielhaft sei hier nur auf den Schutz von Menschen mit Behinderung, den Schadensersatz bei Rechtsverletzungen im Arbeitnehmerdatenschutz, die Höchstüberlassungsdauer bei der Arbeitnehmerüberlassung, Handlungspflichten bei Massenentlassungen, die Kennzeichnung von Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne und weitere Anforderungen zum Erholungsurlaub verwiesen. Es ist wichtig, diese Vorgaben bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts immer im Auge zu behalten. Das gilt allerdings auch für die Grenzen dieser Vorgaben: So hat das BAG zu Recht klargestellt, dass die EU-Richtlinie zur Arbeitszeit keine Bedeutung für die Darlegungs- und Beweislast bei einer Klage auf Überstundenvergütung hat. Neue Arbeitsformen gewinnen übergreifend an Bedeutung. Hier sei auf die Hinweise zur Datensicherheit, zur Bereitstellung von Arbeitsmitteln bei moV
Vorwort
biler Arbeit und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsschutz und die Mitbestimmung des Betriebsrats bei alternierender Telearbeit oder bei der Einrichtung von Shared-Desk-Konzepten verwiesen. Dass der Arbeitsunfall durch das BSG inzwischen auch im Homeoffice anerkannt wird, hat der Gesetzgeber ebenfalls durch § 8 SGB VII klargestellt. Restrukturierungen stehen derzeit (noch) nicht im Vordergrund, auch wenn einzelne Branchen erheblichem Transformationsbedarf ausgesetzt sind, mit dem der Digitalisierung, den Veränderungen des Energiesektors und der Elektromobilität Rechnung getragen wird. Hier helfen Klarstellungen der Rechtsprechung zur Sozialplangestaltung, zu Freiwilligenprogrammen und besonderen Regelungen für den Umgang mit älteren Arbeitnehmern. Soweit Aufhebungsverträge zum Einsatz kommen, ist sicherzustellen, dass das Gebot fairen Verhandelns beachtet wird. Im Bereich des Kollektivarbeitsrechts gibt es eine Reihe wichtiger Klarstellungen: sie betreffen beispielsweise arbeits- und strafrechtliche Fragen zur (fehlerhaften) Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, die Ablösung arbeitsvertraglicher Regelungen durch Betriebsvereinbarung und Mitbestimmungsrechte im Bereich des Arbeitsschutzes und bei der Verlegung von Betriebsabteilungen. Ergänzend hierzu hat sich das BAG noch einmal mit der Änderung von Individualvereinbarungen im Anschluss an einen Betriebsoder Betriebsteilübergang befasst. Wie immer freue ich mich, dass Dietrich Boewer (Boe) eine Vielzahl aktueller Rechtsentwicklungen zusammengefasst und kritisch gewürdigt hat. Der gleiche Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen Dr. Saskia Pitzer (Pi), Dr. Daniela Rindone (Ri), Julia Tänzler-Motzek (Tä-Mo), Martin Michael Breuer (Br), Kai Roters (Ro) sowie Linda Kriebel Volk, Anna Maria Miklaszewska, Jeremiah Reuter, Christin Rögels, Ajna Soeprapto und Frau Silvia Gwozdz für ihre Unterstützung. Auf dieser Grundlage haben wir versucht, alle wesentlichen Rechtsentwicklungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht zusammenzufassen. Köln, im Juni 2022
VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort.......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................XVII
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................ 1
1.
Aktuelle Regelungslage zu Corona und Arbeitsschutz ........................ 1 a) Klarstellungen zu den Anforderungen eines Impf-, Genesenen- und Testnachweises ................................................... 1 b) Schrittweise Beendigung der allgemeinen (pandemiebezogenen) Vorgaben des Arbeitsschutzrechts ............ 3 c) Quarantäne, Absonderung und Entschädigung ............................. 5 d) Verlängerung der längeren Inanspruchnahme von Krankengeld .................................................................................. 6 e) Fazit ............................................................................................... 6
2.
Einführung einer (einrichtungsbezogenen) Impfpflicht ....................... 7
3.
Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit ........................................................................................... 11
4.
Gesetzliche Anhebung des Mindestlohns und Anpassungen bei geringfügiger Beschäftigung ........................................................ 13 a) b) c) d)
5.
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns .................................. 13 Ausweitung der Dokumentationspflichten.................................. 14 Kennzeichnung der geringfügigen Beschäftigung ...................... 15 Übergangsbereich ........................................................................ 16
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen .................................................... 16 VII
Inhaltsverzeichnis
a) Anwendungsbereich .................................................................... 17 b) (Schriftlicher) Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen .................................................................. 17 c) Angaben zum Arbeitsort ............................................................. 19 d) Dauer der Probezeit ..................................................................... 19 e) Klarstellungen zur Vergütung und zur Arbeitszeit gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG ..................................................... 19 f) Verfahren bei Kündigungen ........................................................ 20 g) Bezugnahme auf Kollektivvereinbarungen ................................. 21 h) Beweislastumkehr und Bußgeldvorschriften .............................. 22 i) Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse .................................. 23 j) Besonderheiten bei Leiharbeitnehmern ...................................... 23 k) Handlungspflichten bei einem Wunsch nach Abänderung der Arbeitszeit ............................................................................. 24 l) Arbeitszeit und Kosten bei Pflichtfortbildungen ........................ 25 m) Fazit ............................................................................................. 25 6.
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie ...................................................................... 25 a) b) c) d) e) f) g)
Sachlicher Geltungsbereich ......................................................... 26 Persönlicher Anwendungsbereich ............................................... 29 Widerspruch zu Regelungen des GeschGehG ............................ 30 Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung .................. 32 Kennzeichnung der externen Meldestellen ................................. 34 Verhältnis zwischen externer Meldung und Offenlegung .......... 34 Verhältnis zwischen Hinweisgeberschutz und Datenschutz ................................................................................. 36 h) Zulassung konzernbezogener Meldestellen ................................ 36 i) Verbot von Repressalien – Beweislastumkehr............................ 36 j) Schutz betroffener Personen ....................................................... 37 k) Verbot abweichender Vereinbarungen........................................ 38 l) Fazit ............................................................................................. 39 7.
Aktuelles zur Beschäftigung von ukrainischen Staatsbürgern........... 39 a) Aktuelle Erleichterungen im Bereich des Aufenthaltsund Arbeitserlaubnisrechts .......................................................... 40
VIII
Inhaltsverzeichnis
b) Fortbestehende Nutzung allgemeiner Aufenthaltstitel ................ 41 8.
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen .................................................................................. 42
9.
Geplante Veränderungen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung ........................................................... 43
10.
Änderungen im arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren ........................ 45
11.
Neue Wahlordnung zum SprAuG ...................................................... 45
12.
Gesetzentwurf zur mobilen Arbeit ..................................................... 45
13.
Gesetzliche Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeit ............ 47
14.
Vorschläge des DGB zur Modernisierung des BetrVG ..................... 49
15.
Neue Entwicklungen zum Beschäftigtendatenschutz ........................ 52
16.
Gesetzentwurf zur Änderung des AGG ............................................. 52
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ............ 53
1.
Vorschlag der EU-Kommission zu einer Richtlinie zur Plattformarbeit.................................................................................... 53 a) b) c) d) e) f) g)
Plattformarbeit als (neues) Geschäftsmodell .............................. 53 Bedeutung für die Arbeitswelt .................................................... 54 (Aktueller) unionsrechtlicher Rahmen ........................................ 54 Gegenstand und Anwendungsbereich ......................................... 55 Begriffsbestimmung „Plattformarbeit“ ....................................... 56 Arbeitnehmerstatus ..................................................................... 56 Fazit ............................................................................................. 59
2.
Richtlinie über einen Rahmen für angemessene Mindestlöhne in der EU ............................................................................................ 60
3.
Tarifverträge für Solo-Selbständige und Plattformbeschäftigte ........ 62
4.
Entwurf einer Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit ................................... 63 a) Anwendungsbereich .................................................................... 64 b) Begriffsbestimmungen ................................................................ 64 c) Ausgestaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht .............. 65
IX
Inhaltsverzeichnis
d) Eindämmung des Klimawandels ................................................. 66 e) Durchsetzung der Sorgfaltspflicht .............................................. 66 f) Fazit ............................................................................................. 67 5.
Einigung über neues EU-US-Datenschutzabkommen ....................... 68
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................... 71
1.
Diskriminierung Schwerbehinderter im Stellenbesetzungsverfahren durch Missachtung von Meldeund Einladungspflichten..................................................................... 71
2.
Schutzpflichten des Arbeitgebers bei einer Behinderung während der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG ................................ 79
3.
Wirkungsweise und Folgen der elektronischen AUBescheinigung für die Arbeitsvertragsgestaltung .............................. 85 a) Änderung der Nachweispflicht ab dem 1.1.2023 für Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse ............................. 85 b) Optionale Übergangsphase vom 1.1.2022 bis zum 31.12.2022 ................................................................................... 87 c) Störfall im elektronischen System des Vertragsarztes ................ 89 d) Grundsätze für den Datenaustausch ............................................ 89 e) Privat krankenversicherte Arbeitnehmer und Krankschreibung im Ausland ...................................................... 90 f) Handlungsoptionen für die betriebliche Praxis ........................... 90 g) Mitbestimmung des Betriebsrats ................................................. 91 h) Mögliche regelungsbedürftige Aspekte ...................................... 92
4.
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei Nichtbeachtung von Corona-Schutzregeln ........................................ 92
5.
Aktuelles zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ............................................................. 94 a) Das bEM als verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess ........... 94 b) Arbeitnehmerseitiger Anspruch auf Durchführung des bEM ............................................................................................. 95 c) Auswirkungen von Fehlern beim bEM auf das Kündigungsschutzverfahren ........................................................ 96 d) Verpflichtung zur wiederholten Durchführung des bEM ........... 98
X
Inhaltsverzeichnis
e) Fazit ........................................................................................... 101 6.
Mobile Arbeit: Auswirkungen der Gestellung von Betriebsmitteln für den Arbeitsschutz.............................................. 102
7.
Datenschutzrechtliche Regelungen bei HomeofficeTätigkeiten........................................................................................ 105
8.
Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Betriebsschließung während eines Lockdowns ............................................................... 106
9.
Aktuelles im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes .................... 113 a) Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO ........................ 113 b) Anspruch auf Auskunft und Erteilung einer Datenkopie gemäß Art. 15 DSGVO ............................................................. 116
10.
Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer ................................................................. 121 a) Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG ..................................... 122 b) Vorübergehender Einsatz trotz Beschäftigung auf Dauerarbeitsplatz....................................................................... 123 c) Gesetzliche und/oder tarifvertragliche Festlegung einer Höchstüberlassungsdauer .......................................................... 124 d) Unzulässigkeit des gesetzlichen Stichtags zur Berechnung der Höchstüberlassungsdauer ............................... 125 e) Auswirkungen auf den Vorlagebeschluss zum Equal-Pay ....... 127 f) Instanzgerichtliche Zweifel an der Anwendbarkeit von Tarifverträgen zur Höchstüberlassungsdauer............................ 128
11.
Beweislastverteilung bei der Abgabe von Erklärungen durch E-Mail .............................................................................................. 130
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub ......................................... 133
1.
Teilnahme an externer Fortbildung als Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne ................................................................... 133
2.
Reisezeit als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne? .......... 136 a) Bisherige Sichtweise ................................................................. 136 b) Abweichende Sichtweise des EFTA-Gerichtshofs ................... 137 c) Verbindlichkeit der Wertung des EFTA-Gerichtshofs ............. 139
3.
Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess ...................... 140 XI
Inhaltsverzeichnis
4.
Mindestlohn für die Zeit eines Vorpraktikums ................................ 143
5.
Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter bei Überstunden- bzw. Mehrarbeitszuschlägen ..................................................................... 144
6.
Ermessensgerechte Festlegung einer erfolgsabhängigen Vergütung ......................................................................................... 149
7.
Darlegungs- und Beweislast bei Indizien für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers ......................................... 153
8.
Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null........................................ 158
9.
Berücksichtigung der Mehrarbeitsvergütung bei Inanspruchnahme von Urlaub .......................................................... 166
10.
Unionsrechtliche Ausweitung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung?............................................................................ 169
11.
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub bei langzeiterkrankten und schwerbehinderten Arbeitnehmern sowie bei Altersteilzeit im Blockmodell ..................................................................................... 172 a) Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern ............................................ 174 b) Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers und Zusatzurlaub schwerbehinderter Menschen .............................. 177 c) Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Altersteilzeit im Blockmodell ................................................... 180
12.
Generalanwalt: Keine Verjährung von aufgelaufenen Urlaubsansprüchen ........................................................................... 183
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ............................................ 189
1.
Neue Rechtsprechung zur Massenentlassung .................................. 189 a) Entbehrlichkeit der Soll-Angaben ............................................. 189 b) Weitergabe der Betriebsratsinformation nach § 17 Abs. 3 S.1 KSchG ................................................................................ 190
2.
Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit ..................... 192
3.
Abmahnung bzw. Kündigung wegen Social-MediaVeröffentlichungen .......................................................................... 198
XII
Inhaltsverzeichnis
a) Ausgangssituation ..................................................................... 198 b) Kündigung einer Reinigungskraft wegen Facebook-Likes....... 199 c) Kündigung einer Polizeiärztin wegen einer Meinungsäußerung durch Kleinanzeige.................................... 200 d) Außerordentliche Kündigung wegen ausländerfeindlicher Facebook-Veröffentlichung ...................................................... 203 e) Fazit ........................................................................................... 205 4.
Außerordentliche Kündigung in Compliance-Sachverhalten: Beginn der Zwei-Wochen-Frist ....................................................... 205
5.
Aufhebungsverträge: Rechtsfolgen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns ............................................................... 210 a) b) c) d)
Ausgangssituation ..................................................................... 210 Aufhebungsvertrag und AGB-Kontrolle ................................... 210 Das Gebot fairen Verhandelns .................................................. 211 Fazit ........................................................................................... 217
6.
Unterlassener Zwischenverdienst während des Annahmeverzugs nach Weiterbeschäftigungsurteil ......................... 217
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................................................ 225
1.
Betriebliche Altersversorgung: Zulässigkeit der Vereinbarung einer Mindestehedauer ..................................................................... 225
2.
Abweichende Vereinbarung zum Arbeitgeberzuschuss Entgeltumwandlung ......................................................................... 228
3.
Wegfall der Anpassungsprüfungspflicht bei Einbeziehung einer Pensionskasse .......................................................................... 231
4.
Kennzeichnung des ruhegeldfähigen Einkommens ......................... 233
G.
Tarifrecht ....................................................................................... 237
1.
Bestimmtheit einer gewerkschaftlichen Klage auf Durchführung eines Haustarifvertrags ............................................. 237
2.
TV T-Zug: Anspruch auf Ersatzfreistellung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ........................................... 240
XIII
Inhaltsverzeichnis
3.
Geltendmachung von Zinsansprüchen bei tarifvertraglicher Ausschlussfrist ................................................................................. 243
4.
Gewährung von Urlaub im Zusammenhang mit tarifvertraglicher Altersfreizeit ........................................................ 246
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 249
1.
Betriebsvereinbarungsoffenheit einzelvertraglicher Regelungen ....................................................................................... 249
2.
Betriebsratswahl: Anfechtbarkeit wegen unzulässiger Ausweitung der Briefwahl ............................................................... 252
3.
Strafrechtliche Relevanz fehlerhafter Vergütung von Betriebsratsmitgliedern .................................................................... 254
4.
Dienstwagen zur Privatnutzung für (freigestellte) Betriebsratsmitglieder ...................................................................... 258
5.
Betriebsratsschulung: Kostenübernahme auch bei Überlassung eines „Starter-Sets“? ................................................... 262
6.
Einigungsstelle: Beschlussfassungen mittels Video- und Telefonkonferenz ............................................................................. 268
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Beschäftigung über den Ablauf der Altersgrenze hinaus ........................................................ 270
8.
Beendigung alternierender Telearbeit als mitbestimmungspflichtige Versetzung ............................................ 274
9.
Neues zur Mitbestimmung des Betriebsrats beim Arbeits- und Gesundheitsschutz ............................................................................ 278
10.
Mitbestimmungspflichtige Versetzung durch Verlagerung einer betrieblichen Einheit? ............................................................. 284
11.
Wechsel in ein Shared-Service-Konzept als mitbestimmungspflichtige Versetzung ............................................ 287
12.
SE-Umwandlung: Gewährleistung eines gesonderten Wahlverfahrens für gewerkschaftliche Arbeitnehmervertreter ....... 289
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 293
1.
Zulässigkeit und Grenzen der Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie bei Betriebsänderungen ................................ 293
XIV
Inhaltsverzeichnis
a) Ausgangssituation ..................................................................... 293 b) Denkbare Formen einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie ................................................................ 294 c) Spannungsverhältnis zwischen Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie und Sozialplanabfindung ...................... 296 d) Auswirkungen auf die Verhandlungsstrategie des Arbeitgebers .............................................................................. 300 e) Fazit ........................................................................................... 303 2.
Wegfall einer Sozialplanabfindung bei betriebsbedingter Kündigung nach Widerspruch gegen Betriebsübergang .................. 303
3.
Betriebsübergang: Vorrang einer Einzelabrede gegenüber einer fortgeltenden Betriebsvereinbarung ........................................ 305
4.
Grenzen der Einbeziehung älterer Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft ......................................................................... 308
5.
Mannheimer Modell: Unwirksame Finanzierung von Wertguthabenkonten ........................................................................ 310
J.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................ 313
1.
Arbeitsunfall im Homeoffice: Erweiterung der gesetzlichen Unfallversicherung ........................................................................... 313
2.
Viertes Corona-Steuerhilfegesetz .................................................... 314 a) Steuerbefreiung der Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld ........................................................................ 315 b) Corona-Bonus für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen................................................................... 315 c) Verlängerung der Homeoffice-Pauschale ................................. 316
3.
BMAS-Merkblatt zur Sozialversicherung bei grenzüberschreitendem mobilem Arbeiten ...................................... 317
Stichwortverzeichnis .................................................................................. 319
XV
.
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. F. a. G. AA AAB ABl. EG ABl. EU abl. Abs. ABV abw. abzgl. AcP AE AEntG
AEUV AFBG
AFG AFKG AG AGB AGBG AGG
anderer Auffassung am Ende alte(r) Fassung auf Gegenseitigkeit Auswärtiges Amt Allgemeine Arbeitsbedingungen für die ver.diBeschäftigten Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend Absatz/Absätze Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen abweichend abzüglich Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Entscheidungen (Zeitschrift) Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz) Arbeitsförderungsgesetz Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz) Amtsgericht bzw. Aktiengesellschaft bzw. Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz XVII
Abkürzungsverzeichnis
AGH AiB AktG AktuellAR allg. Alt. AltEinkG
AltvVerbG
AltZertG
AMP AMS amtl. ANBA ÄndG AnKSchG
Anl. Anm. AO AP APS ArbG ArbGG AR-Blattei ArbMedVV ArbNErfG
XVIII
Anwaltsgerichtshof Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz B. Gaul bzw. Bearbeiter, Aktuelles Arbeitsrecht allgemein Alternative(n) Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz) Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz) Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Änderungsgesetz Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten (Angestelltenkündigungsschutzgesetz) Anlage(n) Anmerkung(en) Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindungsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis
ArbPlSchG
ArbR ArbRB ArbR-HB ArbSchG
ArbStättV ArbZG ARdGgw. ArGV
ARP ARST Art. ARUG ASAV
ASiG
ASRG 1995 AsylG AsylVfG AT ATG
Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift) Arbeits-Rechtsberater (Zeitschrift) Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Arbeitsrecht der Gegenwart Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung) Arbeitsschutz in Recht und Praxis (Zeitschrift) Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Verordnung über Ausnahmeregelungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis an neueinreisende ausländische Arbeitnehmer (Anwerbestoppausnahmeverordnung) Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz 1995) Asylgesetz Gesetz über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz) außertariflich(e) Altersteilzeitgesetz
XIX
Abkürzungsverzeichnis
ATV
AU AuA AufenthG
AufenthG/EWG
AufenthV Aufl. AÜG
AuR AURL
ausf. AVE AVmEG
AVmG
AVR AVR-DD
XX
Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung) Arbeitsunfähigkeit Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsverordnung Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht (Zeitschrift) Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie) ausführlich Allgemeinverbindlicherklärung Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensergänzungsgesetz)
Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz) Arbeitsvertragsrichtlinien in den Einrichtungen des Deutschen Caritas Verbandes Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen der Diakonie Deutschland
Abkürzungsverzeichnis
AWbG
AWStG
Az. BA BaFin BAG BAnz AT BÄO BAP BAT BAT-O BAT-VKA
BAuA BAV BAVAZ BayObLG BayVGH BB BBG BBiG Bd. BDA BDSG BeamtVG
Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz) Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz) Aktenzeichen Bundesagentur für Arbeit bzw. Blutalkohol (Zeitschrift) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Amtlicher Teil Bundesärzteordnung Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Bundesangestelltentarifvertrag für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Betriebliche Altersversorgung Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Bayerisches Oberstes Landgericht Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Beitragsbemessungsgrenze Berufsbildungsgesetz Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesdatenschutzgesetz Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz) XXI
Abkürzungsverzeichnis
BeckOK BEEG BEG
Beil. bEM BerASichG BErzGG BeschCG BeschFG BeschSchG
BeschSiG
BeschV
BetrAV BetrAVG BetrSichV
BetrVG BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ
XXII
Beck‘scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz) Beilage betriebliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) Beschäftigungsförderungsgesetz Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) Gesetz zur Beschäftigungssicherung infolge der COVID-19-Pandemie (Beschäftigungssicherungsgesetz) Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung) Betriebliche Altersversorgung (Zeitschrift) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung) Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung)
Abkürzungsverzeichnis
BIBB BildschArbV
BilMoG BilRUG BImSchG
BKAmt BKK BMAS BMBF BMDV BMEL BMF BMFSFJ BMG BMI BMJ BMT-G BMUV BMVg BMWK BMWSB BMZ BNichtrSchG
Bundesinstitut für Berufsbildung Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeitsverordnung) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnlichen Vorgängen (Bundesimmissionsschutzgesetz) Bundeskanzleramt Betriebskrankenkasse Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Innern und für Heimat Bundesministerium der Justiz Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz zur Einführung eines Rauchverbots in Einrichtungen des Bundes und in öffentlichen
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
BPersVG BPflV BPM BQFG
BQG br BRAO BR-Drucks. Brexit-StBG
Brexit-ÜG
BRG BRKG BRSG
BRTV-Bau BSeuchG
BSG BSGE BSHG BSSichG
BStBl. XXIV
Verkehrsmitteln (Bundesnichtraucherschutzgesetz) Bundespersonalvertretungsgesetz Bundespflegegeldverordnung Bundesverband der Personalmanager Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz) Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Gesetz über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Übergangsgesetz) Betriebsrätegesetz Bundesreisekostengesetz Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundesseuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz) Bundessteuerblatt
Abkürzungsverzeichnis
BT-Drucks. BTHG
BUrlG BuW BV
BVD BvE BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVV BZgA bzgl. bzw. ca. C-ASR C-ASS C-ASV CCZ CEO CGM CGZP ChemG ChGlFöG
Bundestagsdrucksache Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) Betriebsvereinbarung bzw. besloten vennootschap, niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung Bodenverkehrsdienste Beamter vom Einsatzdienst Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Amtliche Sammlung) Versicherungsverein des Bankgewerbes a. G. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bezüglich beziehungsweise circa SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) Corporate Compliance Zeitschrift Chief Executive Officer Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen
XXV
Abkürzungsverzeichnis
Corona-StHG
CoronaVMeldeV COVID-19 COVID-19-ArbZV
COVInsAG
CR CSR d. h. DA DAG DAS DAV DB DBGrG
DCGK DD DDZ ders. DGB DGUV dies. diff. DKW DQR DrittelbG
XXVI
Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) Coronavirus-Meldepflichtverordnung Coronavirus disease 2019 Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie (COVID-19-Arbeitszeitverordnung) Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz) Computer und Recht (Zeitschrift) Corporate Social Responsibility das heißt Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutscher AnwaltSpiegel (Online-Magazin) Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz) Deutscher Corporate Governance Kodex Due Diligence Däubler/Deinert/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung dieselbe(n) differenzierend Däubler/Klebe/Wedde, BetrVG Deutscher Qualifikationsrahmen Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis
DRV DSAG DSAnpUG-EU DSGVO DStR DStRE DTAG DTTS DuD DVKA DWWS e. V. EAO EAS eAU EBRG EBRRL EDSA EFG EFTA EFZG
EG EGAktG EGBGB EGGmbHG
EGMR
Deutsche Rentenversicherung Datenschutzauditgesetz Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Telekom AG Deutsche Telekom Technischer Service Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Deutsche Verbindungsstelle für Krankenversicherungen – Ausland Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, EU-DSGVO und BDSG eingetragener Verein Erreichbarkeitsanordnung Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (Loseblattsammlung) elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) Europäische Betriebsräte Richtlinie Europäischer Datenschutzausschuss Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Agreement Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Einführungsgesetz zum GmbH-Gesetz) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
EGV ELENAVG EMRK EntgTranspG
ErfK ESC ESG EStB EStG etc. ETS-TV EU EuArbRK EuGH EUV EuZA EUZBLG
EuZW evtl. EVÜ
EWG EWiR EWR EzA f. FA FEG ff. XXVIII
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz) Europäische Menschenrechtskonvention Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz) Erfurter Kommentar Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Environment, Social, Governance Ertrag-Steuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz et cetera Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag Europäische Union Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar Europäisches Arbeitsrecht Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell(e) Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Europäisches Schuldvertragsübereinkommen) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht der/die/das Folgende Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Folgenden
Abkürzungsverzeichnis
FG Fitting FKS FMStG
Fn. FördElRV FPflZG FR FreizügG/EU FS FüPoG II
GA-AÜG GbR GBV GdB GefStoffV gem. GenDG GenTSV
GeschGehG
Finanzgericht Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG Finanzkontrolle Schwarzarbeit Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) Fußnote(n) Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten Gesetz über die Familienpflegezeit (Familienpflegezeitgesetz) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz EU) Festschrift Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionen-Gesetz) Geschäftsanweisung zum Arbeinehmerüberlassungsgesetz Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung Grad der Behinderung Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung) gemäß Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Gendiagnostikgesetz) Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen (Gentechnik-Sicherheitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
XXIX
Abkürzungsverzeichnis
GeschGehRL
GewO GG ggf. GK-BetrVG GKG GKV GLF GmbH GmbHG GmbHR GMBl. GMG
GmS-OBG GNBZ GRC GrO GRUR GS GSA Fleisch GSG GVBl. XXX
Richtlinie über den Schutz vertraulichen Knowhows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen) Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Wiese/Kreutz/Oetker u. a., Gemeinschaftskommentar BetrVG Gerichtskostengesetz Verbund Gesetzlicher Krankenkassen Gaul/Ludwig/Forst, Europäisches Mitbestimmungsrecht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz) GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gemeinsames Ministerialblatt Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft Gerätesicherheitsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt
Abkürzungsverzeichnis
GWB h. L. h. M. HAG Halbs. HBfDI Hess u. a. HGB HinSchG HinSchRL
HK-KSchR HK-MuSchG/BEEG HMB HR HSE HTV HWK HwO HZvNG
i. d. F. i. E. i. H. a. i. H. v. i. S. d. i. S. v.
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) herrschende Lehre herrschende Meinung Heimarbeitsgesetz Halbsatz/Halbsätze Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Hess/Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG Handelsgesetzbuch Gesetz zum Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz) Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeber-/Whistleblowerrichtlinie) Gallner/Mestwerdt/Nägele, Handkommentar Kündigungsschutzrecht Rancke, Handkommentar MuSchG und BEEG Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag Human Resources Health, Safety, Environment Haustarifvertrag Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz) in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf in Höhe von im Sinne des im Sinne von XXXI
Abkürzungsverzeichnis
i. V. m. IAO IfSG
iGZ IHK ILO InKDG InsO InstitutsVergV
IntG IntGVO InvG IPR IT IT-ArbR IT-ArGV
IT-AV
ITRB JArbSchG JStG JuMoG JURA jurisPK-IntR jurisPR-ArbR XXXII
in Verbindung mit Internationale Arbeitsorganisation Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. Industrie- und Handelskammer International Labour Organization Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung) Integrationsgesetz Verordnung zum Integrationsgesetz (Integrationsgesetzverordnung) Investmentgesetz Internationales Privatrecht Informationstechnik/-technologie Kramer, IT-Arbeitsrecht Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie IT-Rechtsberater (Zeitschrift) Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Jahressteuergesetz Gesetz zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Heckmann, juris Praxis-Kommentar Internetrecht juris Praxis-Report Arbeitsrecht
Abkürzungsverzeichnis
JuS JVGG K&R Kap. KAPOVAZ KassKomm KAVO KBV KDVO KG KGaA KHZG KI KMU KO KR krit. KSchG KugBeV
KugV KugverlV
KugZuV
KündFG
KWG
Juristische Schulung (Zeitschrift) Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht (Loseblattsammlung) Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung Konzernbetriebsvereinbarung bzw. Kassenärztliche Bundesvereinigung Kirchliche Dienstvertragsordnung Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz) Künstliche Intelligenz Kleines oder mittleres Unternehmen Konkursordnung Bader/Fischermeier/Gallner u. a., Gemeinschaftskommentar KSchG kritisch Kündigungsschutzgesetz Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld (Kurzarbeitergeldbezugsdauerverordnung) Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung) Verordnung über die Bezugsdauer und Verlängerung der Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverlängerungsverordnung) Verordnung zur Verlängerung der Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld (Kurzarbeitergeldzugangsverordnung) Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz) Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) XXXIII
Abkürzungsverzeichnis
LadSchlG LAG LAGE LasthandhabV
LFZG LG LHT Lit. lit. LK LKB LkSG
LPartG LPartÜAG LPK-SGB IX Ls. LSG LSSW LStDV LStR LuftVG m. E. m. w. N. m. W. v. MAG
XXXIV
Gesetz über den Ladenschluss (Ladenschlussgesetz) Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung) Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Landgericht Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar Literatur littera (Buchstabe) Löwisch/Kaiser, BetrVG Linck/Krause/Bayreuther, KSchG Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Dau/Düwell/Joussen, SGB IX Lehr- und Praxiskommentar Leitsatz/Leitsätze Landessozialgericht Löwisch/Spinner/Schlünder/Wertheimer, KSchG Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Lohnsteuer-Richtlinien Luftverkehrsgesetz meines Erachtens mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom Gesetz zur mobilen Arbeit (Mobile-Arbeit-Gesetz)
Abkürzungsverzeichnis
MBO-Ä MDR MERL
MgFSG
MgVG
MiLoDokV
MiLoG MiLoV MindArbBedG
Mio. MitbEG
MitbG MMR MNB
(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte Monatsschrift für Deutsches Recht Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Verordnung zu den Dokumentationspflichten nach §§ 16, 17 des Mindestlohngesetzes und §§ 18, 19 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in Bezug auf bestimmte Arbeitnehmergruppen (Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung) Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns (Mindestlohnanpassungsverordnung) Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz) Million(en) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung Mund-Nase-Bedeckung
XXXV
Abkürzungsverzeichnis
MontanMitbestErgG
MontanMitbestG
MTV MüKo MüKoAktG MünchArbR MünchGesR MuSchArbV MuSchG
MwSt. n. F. n. v. NachwG
NGG NJW NJW-RR NK-GA Nr. Nrn. NStZ NZA NZA-RR NZG XXXVI
Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-Mitbestimmungsgesetz) Manteltarifvertrag Münchener Kommentar BGB Münchener Kommentar AktG Münchener Handbuch Arbeitsrecht Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (Mutterschutzarbeitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz) Mehrwertsteuer neue(r) Fassung (noch) nicht veröffentlicht Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Neue Juristische Wochenzeitschrift NJW Rechtsprechungs-Report Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht Nomos Kommentar Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
Abkürzungsverzeichnis
NZS o. g. öAT OECD OGH OLG OT OVG OWiG P&R p. a. PatG PBefG PC PersVG PFARL PflBG PflegeArbbV
PflegeVG
PflegeZG PfWG
PreisKlG
PSA
Neue Zeitschrift für Sozialrecht oben genannt(e) Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Organisation for Economic Co-operation and Development Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht ohne Tarifbindung Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz) Park & Ride pro anno Patentgesetz Personenbeförderungsgesetz Personal Computer Personalvertretungsgesetz Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz) Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung) Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz) Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz) Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden (Preisklauselgesetz) Persönliche Schutzausrüstung
XXXVII
Abkürzungsverzeichnis
PSABV
PStG PSV PublG
RÄ RabattG RAG RAGE RdA RdE RDV RG RGO RisikoBegrG
RIW RL RL-V Rs. RsprEinhG
RTV-Bau RVG
RVLeistVerbG
RVO XXXVIII
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit (PSA-Benutzungsverordnung) Personenstandsgesetz Pensionssicherungsverein Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz) Rheinisches Ärzteblatt (Zeitschrift) Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) Reichsarbeitsgericht Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift) Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Reichsgericht Ruhegeldordnung Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie(n) Richtlinienvorschlag Rechtssache(n) Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Rechtsprechungseinheitsgesetz) Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) Reichsversicherungsordnung
Abkürzungsverzeichnis
Rz. RzK s. o. S. SA SAE SanInsFoG
SARS-CoV-2 SBV SCE SCEBG
SchulG SchwarzArbG
SchwbG
SE SEAG
SEBG
SeemG SEVO SG SGB I
Randzahl(en)/Randziffer(n) Rechtsprechung zum Kündigungsrecht (Loseblattsammlung) siehe oben Seite bzw. Satz/Sätze Société Anonyme, schweizerische Aktiengesellschaft Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 Schwerbehindertenvertretung Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteiligungsgesetz) Schulgesetz Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) Societas Europaea, Europäische Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) Seemannsgesetz Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgericht Sozialgesetzbuch, I. Buch – Allgemeiner Teil
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis
SGB II SGB III SGB IV SGB V SGB VI SGB VII SGB VIII SGB IX SGB X SGB XI SGB XII SGb SigG SMG sog. SozplKonkG SozR SPA SPE SPI SprAuG SpTrUG
XL
Sozialgesetzbuch, II. Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialgesetzbuch, III. Buch – Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch, IV. Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Sozialgesetzbuch, V. Buch – Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgesetzbuch, VI. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung Sozialgesetzbuch, VII. Buch – Gesetzliche Unfallversicherung Sozialgesetzbuch, VIII. Buch – Kinder- und Jugendhilfe Sozialgesetzbuch, IX. Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Sozialgesetzbuch, X. Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz Sozialgesetzbuch, XI. Buch – Soziale Pflegeversicherung Sozialgesetzbuch, XII. Buch – Sozialhilfe Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht (Entscheidungssammlung) Schnellinformation für Personalmanagement und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Societas Privata Europaea, Europäische Privatgesellschaft Sozialpolitische Informationen (Zeitschrift) Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen
Abkürzungsverzeichnis
SPV SR st. Rspr. StaRUG
Std. StGB StPO StVG StVO SvEV
TAStG TestV
TGV TKG TOP TransPuG
TSG
TS-TV TV LeiZ TV T-Zug TV
Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Soziales Recht (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz) Stunde(n) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung) Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Testverordnung) Trennungsgeldverordnung Telekommunikationsgesetz Technisch, Organisatorisch, Persönlich Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) Gesetz über die Änderung von Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz) Transfer- und Sozialtarifvertrag Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld Tarifvertrag
XLI
Abkürzungsverzeichnis
TV-EUmw/VKA
TVG TV-L TVöD TVöD-F TVöD-K TVöD-VKA
TzBfG u. a. Uabs. UkraineAufentÜV
UmwG UN-BRK
UNO UrhG UStG usw. ÜT UVV v. VAG
XLII
Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Flughäfen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Krankenhäuser Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz) und andere Unterabsatz/Unterabsätze Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung) Umwandlungsgesetz Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) United Nations Organization Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter übertariflich(e) Unfallverhütungsvorschriften vom Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis
Var. VBL VermbG VermG VerSanG VersAusglG VG VGH vgl. VglO VKA VO Vorbem. VorstAG VorstOG
VSSR VTFF VTV VVG VwGO VwVfG WHSS
WiB WissZeitVG
Variante(n) Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Vermögensbildungsgesetz) Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz) Gesetz über den Versorgungsausgleich (Versorgungsausgleichsgesetz) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Verordnung(en) bzw. Versorgungsordnung Vorbemerkung(en) Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz) Vierteljahresschrift für Sozialrecht Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e. V. Vergütungstarifvertrag Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz)
XLIII
Abkürzungsverzeichnis
WKS WM WMVO WO-BetrVG
WO-SprAuG
WpHG WPK WPrax WpÜG WRV z. B. z. T. ZAB ZAR ZAT ZAU ZD ZDG ZESAR ZEuP ZFA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZMGR XLIV
Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Werkstätten-Mitwirkungsverordnung Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz) Erste Verordnung zur Durchführung des Sprecherausschussgesetzes (Wahlordnung zum Sprecherausschussgesetz) Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG Wirtschaftsrecht und Praxis (Zeitschrift) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zum Teil Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Arbeitsrecht und Tarifpolitik in kirchlichen Unternehmen Zeitschrift für Arbeitsrecht im Unternehmen Zeitschrift für Datenschutz Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer(n) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Medizinrecht
Abkürzungsverzeichnis
ZPO ZRP ZSEG
ZTR zust. ZustRG
ZVertriebsR zzgl.
Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz) Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) Zeitschrift für Vertriebsrecht zuzüglich
XLV
.
A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.
Aktuelle Regelungslage zu Corona und Arbeitsschutz
Noch im Herbst hatten wir über umfangreiche Maßnahmen des Gesetzgebers zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie berichtet1. Im Mittelpunkt standen dabei die Einführung der 3G-Regel am Arbeitsplatz, die Pflicht zum Angebot einer Arbeit im Homeoffice, weitere Anpassungen der C-ASV2 durch das Gesetz zur Änderung des IfSG und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.20223 und die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht durch das Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vom 10.12.20214. Damit verbunden ging es immer wieder um die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Impf-, Genesenen- oder Teststatus von Arbeitnehmern zu erfragen und bei seinem betrieblichen Hygienekonzept zu berücksichtigen5. Inzwischen sind die wesentlichen Einschränkungen zu den arbeitsschutzrechtlichen Besonderheiten der COVID-19-Pandemie ausgelaufen. Nachfolgend soll nur noch kurz auf wesentliche Zwischenschritte, die damit verbundenen Folgen und die heute noch fortbestehenden Vorgaben hingewiesen werden.
a)
Klarstellungen zu den Anforderungen eines Impf-, Genesenen- und Testnachweises
Im Anschluss an die Feststellungen des BVerfG in seiner Entscheidung vom 10.2.20226, mit der im Rahmen eines Eilverfahrens die einrichtungsbezogene Impfpflicht zunächst einmal bestätigt wurde, hat der Gesetzgeber auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit vom 16.3.20227 durch das Gesetz zur Änderung des IfSG und anderer Vorschrif1 2 3 4 5 6 7
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 339 ff.; Fuhlrott/Schäffer, NZA 2022, 1679. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 354 ff. BGBl. I 2022, 4906. BGBl. I 2022, 5162. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 347 ff. BVerfG v. 10.2.2022 – 1 BvR 2649/21, NJW 2022, 1308. BT-Drucks. 20/1070.
1
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ten mit Wirkung zum 19.3.2022 durch § 22 a IfSG (endlich) selbst eine detaillierte Festlegung der Anforderungen an einen Impf-, Genesenen- und Testnachweis bei COVID-19 und der Anforderungen an in diesem Zusammenhang erstellte Zertifikate vorgenommen. Damit trägt er den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung, die durch den Umstand begründet worden waren, dass die Anforderungen an den Impf-, Genesenen- und Teststatus bis dahin vor allem durch Vorgaben des RKI begründet worden waren. Da der jeweilige Status unmittelbar zur Begründung bzw. zum Wegfall grundrechtlich geschützter Rechte und Pflichten führt, also einen erheblichen Eingriff in die individuelle Rechtsposition der Betroffenen zur Folge hatte, war dies nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Folgerichtig war es geboten, die Voraussetzungen durch den Gesetzgeber selbst festzulegen. Dies galt auch und insbesondere in Bezug auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer eine Impfung bzw. die Erkrankung im Zusammenhang mit COVID-19 (noch) einen Impf- oder Genesenenstatus rechtfertigt. In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber auch klargestellt, dass ein Testnachweis hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus, losgelöst von der erforderlichen Qualität der Diagnostika, an einen Test geknüpft ist, der maximal 24 Stunden zurückliegt und 1. vor Ort unter Aufsicht desjenigen stattgefunden hat, der der jeweiligen Schutzmaßnahme unterworfen ist, 2. im Rahmen einer betrieblichen Testung im Sinne des Arbeitsschutzes durch Personal erfolgt ist, das die dafür erforderliche Ausbildung oder Kenntnisse und Erfahrungen besitzt, oder 3. von einem Leistungserbringer nach § 6 Abs. 1 TestV vorgenommen oder vor Ort überwacht worden ist.
Die letztgenannte Regelung schließt es aus, dass entsprechende Testnachweise durch eine Selbstauskunft der getesteten Personen bzw. eine bloße Videoüberwachung des Arbeitnehmers, der den Test selbst an einem anderen Ort durchführt, erlangt wird. Die Testung muss durch den Leistungserbringer selbst durchgeführt oder am gleichen Ort – also in Anwesenheit der getesteten Personen – überwacht werden8.
8
2
Vgl. BT-Drucks. 20/958 S. 17.
Aktuelle Regelungslage zu Corona und Arbeitsschutz
b)
Schrittweise Beendigung der allgemeinen (pandemiebezogenen) Vorgaben des Arbeitsschutzrechts
Mit dem Gesetz zur Änderung des IfSG und anderer Vorschriften vom 18.3.2022, das am 19.3.2022 in seinen wesentlichen Teilen in Kraft getreten ist9, hat der Gesetzgeber einen großen Teil der arbeitsschutzrechtlichen Handlungsvorgaben, die erst am 24.11.2021 in Kraft getreten worden waren, aufgehoben und eine schrittweise Beendigung der verbleibenden Regelungen eingeleitet. Grundsätzlich kann damit eine Verpflichtung zum Tragen einer Atemschutzmaske (FFP-2 oder vergleichbar) oder einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) nur noch in Arztpraxen sowie in Einrichtungen und Unternehmen nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1 bis 5, 11, 12 IfSG sowie § 36 Abs. 1 Nrn. 2, 7 IfSG eingeführt werden, soweit die Verpflichtung zur Abwendung einer Gefahr für Personen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf von COVID-19 haben, erforderlich ist. Darüber hinaus kann in den Einrichtungen und Unternehmen nach §§ 23 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1, 11, 36 Abs. 1 Nrn. 2, 4, 7 IfSG sowie Schulen, Kindertageseinrichtungen und weiteren Einrichtungen (z. B. Justizvollzugsanstalten, Heime der Jugendhilfe und für Senioren) eine Verpflichtung zur Testung auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus eingeführt werden. Einzelheiten hierzu bestimmt jeweils § 28 a Abs. 7 IfSG. Die auf dieser Grundlage erforderlichen Rechtsverordnungen, die in den Bundesländern bestehen, müssen allerdings spätestens mit Ablauf des 23.9.2022 außer Kraft treten. Für die Verkehrsmittel des Luftverkehrs und des öffentlichen Personenfernverkehrs wird das Tragen einer Atemschutzmaske (FFP-2 oder vergleichbar) oder einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) durch § 28 b Abs. 5 IfSG festgeschrieben. Ergänzende Vorgaben zum ÖPNV können auf Ebene der Länder getroffen werden. In fast allen Bundesländern ist von dieser Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht worden. Ungeachtet dessen ist es geboten, die jeweils geltenden Coronaschutzverordnungen fortlaufend auf ihre Aktualität und daraus folgende Veränderungen zu prüfen. Auch die C-ASV ist mit Wirkung vom 20.3.2022 zunächst einmal bis zum 25.5.2022 verlängert worden. Damit verbunden war die Verpflichtung, bei 9
BGBl. I 2022, 466; vgl. dazu Gröne, ZAU 2022, 231.
3
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
der Umsetzung der Anforderungen dieser Verordnung die C-ASR zu berücksichtigen. Im Wesentlichen handelte es sich dabei allerdings nur noch um besondere Vorgaben zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, bei der auch die Frage von Testangeboten, Maßnahmen zur Kontaktreduzierung und Arbeit im Homeoffice zu berücksichtigen war. Ergänzend hierzu hatte der Gesetzgeber festgeschrieben, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten ermöglichen müssen, sich während der Arbeitszeit gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Mit Ablauf des 25.5.2022 sind die C-ASV und die C-ASR indes ausgelaufen. Ihre konkreten Regelungen sind damit derzeit nicht mehr zu berücksichtigen. Da der Arbeitgeber allerdings weiterhin verpflichtet bleibt, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit seiner Beschäftigten zu ergreifen (§§ 618 BGB, 3 ff. ArbSchG), wird man auch nach Beendigung der C-ASV bzw. der C-ASR die weiterhin bestehenden Gefahren durch das Coronavirus zu berücksichtigen haben, auch wenn die damit verbundenen Gefahren geringer und etwaige Schutzmaßnahmen daher umso stärker auf ihre Erforderlichkeit überprüft werden müssen. Außerordentlich hilfreich sind dabei die Handlungsempfehlungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die eine Hilfestellung liefern sollen, wann Maßnahmen des Infektionsschutzes auch nach Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Rahmen der jeweils spezifischen Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz berücksichtigt werden sollen und welche Maßnahmen sich aus den Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre als nützlich erwiesen haben. Ob die aktuelle Rechtslage es rechtfertigt, auf betrieblicher Ebene ein 2Gbzw. 3G-Konzept einzuführen und über den 19.3.2022 bzw. 25.5.2022 hinaus fortzuführen, dürfte allerdings aus verschiedenen Gründen zweifelhaft sein. Zum einen dürfte es kaum zu rechtfertigen sein, die damit verbundene Erhebung und weitere Verarbeitung gesundheitsbezogener Daten auch unter Berücksichtigung arbeitsschutzrechtlicher Anforderungen (noch) als erforderlich und angemessen zu qualifizieren. Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber entsprechende Handlungspflichten nur noch im Bereich ausgewählter Gesundheitseinrichtungen für erforderlich hält. Die allgemeine Regelung, die im Rahmen der Einführung des gesetzlichen 3G-Konzepts in § 28 b IfSG eingeführt worden war, ist am 19.3.2022 ausgelaufen. Damit dürften die datenschutzrechtlichen Anforderungen einer Verarbeitung der besonders geschützten personenbezogenen Daten aus §§ 22, 26 Abs. 3 BDSG i. V. m. Art. 9 DSGVO nicht erfüllt sein. Zum anderen muss sich der Arbeitgeber mit dem Vorwurf befassen, dass in einem solchen Konzept – jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt – eine mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung, 4
Aktuelle Regelungslage zu Corona und Arbeitsschutz
Religion, Weltanschauung und/oder Geschlecht liegen kann, die nicht (mehr) als verhältnismäßige Maßnahme zur Verfolgung eines legitimen Zwecks gerechtfertigt werden kann. Vor diesem Hintergrund sind Feststellungen des ArbG Berlin vom 3.2.202210 und des ArbG Köln vom 23.3.202211, die jeweils ein 2G-Konzept unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zu einem früheren Zeitpunkt der Pandemie für gerechtfertigt gehalten haben, wohl nicht mehr auf die aktuelle Situation zu übertragen. Wenn sich die Infektionslage wieder ändert, kann die Bewertung aber eine andere sein. Ungeachtet dessen erscheint es aber richtig, die Verwendung eines gefälschten Impf-, Genesenen- oder Testnachweises jedenfalls dann als einen wichtigen Grund für die außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu qualifizieren, wenn das 2G- bzw. 3G-Konzept auf der Grundlage einer unternehmerischen Entscheidung bzw. einer Handlungspflicht des Gesetzgebers rechtsverbindlich eingeführt wurde. Auch unter Berücksichtigung der Interessen des hiervon betroffenen Arbeitnehmers ist es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, mit einem solchen Arbeitnehmer noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Denn darin liegt eine sehr schwere Pflichtverletzung, die geeignet ist, Gefahren für andere Arbeitnehmer, Kunden und Dritte auszulösen und zugleich den Ruf des Arbeitgebers zu schädigen, falls dieser auch gegenüber Dritten für die Einhaltung des 2G- bzw. 3G-Konzepts verantwortlich ist12.
c)
Quarantäne, Absonderung und Entschädigung
Die Regelungen zur Isolierung und Quarantäne bei SARS-CoV-2-Infektion und -Exposition sind in diesem Frühjahr weiter gelockert worden. Auch wenn die landesrechtliche Umsetzung zum Teil verschieden ist, müssen nachweislich positiv getestete Personen grundsätzlich nur noch fünf Tage in Quarantäne gehen. Im Anschluss daran besteht nur noch eine Empfehlung, bis zu einem negativen Selbst- oder Schnelltestergebnis in Isolation zu bleiben. Besonderheiten gelten allerdings für Beschäftigte in Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie in Alten- und Pflegeeinrichtungen.
10 ArbG Berlin v. 3.2.2022 – 17 Ca 11178/21, NZA-RR 2022, 238. 11 ArbG Köln v. 23.3.2022 – 18 Ca 6830/21 n. v. 12 Vgl. ArbG Köln v. 23.3.2022 – 18 Ca 6830/21 n. v.; ArbG Düsseldorf v. 18.2.2022 – 11 Ca 5399/21, NZA-RR 2022, 241; ArbG Lübeck v. 13.04.2022 – 5 Ca 189/22 n. v. (außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist); Weigert, ARP 2022, 102.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Die Regelungen zur Entschädigung nach § 56 Abs. 1 a IfSG, die insbesondere den Arbeits- bzw. Verdienstausfall wegen der erforderlichen Betreuung von Kindern bzw. der Schließung einer Kindertagesstätte oder Schule gelten, wurden bis zum 23.9.2022 verlängert13. Ergänzend hierzu hat die Gesundheitsministerkonferenz beschlossen, dass die Länder spätestens ab dem 15.4.2022 keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG mehr für Personen gewähren, die keine Auffrischungsimpfung zur Grundimmunisierung (sog. „Booster“) vorweisen können, obwohl für sie eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung nach § 20 Abs. 3 IfSG vorliegt.
d)
Verlängerung der längeren Inanspruchnahme von Krankengeld
Die Möglichkeit, nach § 45 Abs. 2 a SGB IV Krankengeld für das Jahr 2022 für jedes Kind längstens für 30 Arbeitstage (insgesamt nicht mehr als 65 Arbeitstage) und für alleinerziehende Versicherte für jedes Kind längstens für 60 Arbeitstage (insgesamt nicht mehr als 130 Arbeitstage) in Anspruch nehmen zu können, ist bis zum 23.9.2022 verlängert worden14.
e)
Fazit
Insgesamt hat sich damit die Regelungsdichte der besonderen Handlungsvorgaben im Bereich des Arbeitsschutzes als Folge der COVID-19Pandemie ganz erheblich verringert. Sie betreffen – losgelöst von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht15 – im Wesentlichen nur noch Einrichtungen des Gesundheitswesens. Ungeachtet dessen bleibt es den Unternehmen empfohlen, das weitere Infektionsgeschehen im Auge zu behalten und im Rahmen der weiterhin erforderlichen Gefährdungsbeurteilungen jeweils aktuell einzubeziehen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Herbst, der erneut mit einem Anstieg der Infektionszahlen und damit auch einem erhöhten Handlungsbedarf verbunden sein dürfte. (Ga)
13 BGBl. I 2022, 473. 14 BGBl. I 2022, 473. 15 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 7 ff.
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Einführung einer (einrichtungsbezogenen) Impfpflicht
2.
Einführung einer (einrichtungsbezogenen) Impfpflicht
Am 7.4.2020 sind alle Initiativen, die aus der Mitte des Bundestags heraus im Zusammenhang mit der Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht eingebracht worden waren, abgelehnt worden. Konkret ging es dabei um Regelungen zu einer Impfpflicht aller Volljährigen16, einer Impfpflicht ab 50 Jahren17 sowie einer Impfpflicht ab 60 Jahren18, einen Antrag auf Ablehnung einer gesetzlichen Impfpflicht19, einen Antrag zu Maßnahmen zur Anhebung einer Impfbereitschaft20 sowie einen Antrag, durch den ein Impfvorsorgegesetz eingeführt werden sollte21. Damit gibt es nur noch die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die der Gesetzgeber bereits mit dem Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vom 10.12.202122 durch § 20 a IfSG eingeführt und durch das Gesetz zur Änderung des IfSG und anderer Vorschriften vom 18.3.202223 noch einmal klargestellt hatte24. Nachdem das BVerfG bereits im Rahmen eines Eilverfahrens das Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung am 16.3.2022 bestätigt hatte, ist die Verfassungsbeschwerde gegen die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht durch Beschluss des BVerfG vom 27.4.202225 auch im Hauptsachverfahren zurückgewiesen worden. Aus Sicht des BVerfG greift § 20 a IfSG zwar in die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützte körperliche Unversehrtheit ein. Der Eingriff – so das BVerfG – sei aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, um vulnerable Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Dabei werde die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG gar nicht verletzt. Denn Art. 12
BT-Drucks. 20/899. BT-Drucks. 20/954. BT-Drucks. 20/1353. BT-Drucks. 20/516. BT-Drucks. 20/680. BT-Drucks. 20/978. BGBl. I 2021, 5162. BGBl. I 2022, 466. Eingehend hierzu vgl. Aligbe, ARP 2022, 2; Bonitz/Schleiff, NZA 2022, 233; Graf, NZS 2022, 175; Peisker/Bleckmann, BB 2022, 635; Ratzesberger/Hupka, AiB 3/2022, 25; Schmidt/Schneider, NZA 2022, 121; Steinigen, ZTR 2022, 131; Stöbe, AuR 2022, 159; Thönißen/Born, DB 2022, 1131; Weigert, NZA 2022, 166. 25 BVerfG v. 27.4.2022 – 1 BvR 2649/21, NJW 2022, 1308. 16 17 18 19 20 21 22 23 24
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Abs. 1 GG könne keinen weitergehenden Schutz als das höchstpersönliche Rechtsgüter schützende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewähren. Hiervon ausgehend muss bis zum 31.12.2022 die in § 20 a IfSG getroffene Maßnahme zur Verhütung und Bekämpfung einer Infektion durch das Coronavirus beachtet werden. Am 1.1.2023 treten § 20 a IfSG und die dazugehörigen Bußgeldregelungen außer Kraft. Problematisch allerdings bleibt, dass die in § 20 a IfSG getroffenen Regelungen hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Gesetzes, die bei einem fehlenden Nachweis eintreten, unklar sind. Die Problematik beginnt bereits damit, dass die Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises bzw. eines ärztlichen Zeugnisses darüber, dass aufgrund einer medizinischen Kontraindikation keine Impfung gegen das Coronavirus erfolgen kann, die Personen trifft, die in den in § 20 a Abs. 1 S. 1 IfSG genannten Einrichtungen oder Unternehmen „tätig sind“ (§ 20 a Abs. 2 IfSG) bzw. „ab dem 16.3.2022 tätig werden sollen“ (§ 20 a Abs. 3 IfSG). Denn bei dieser Begriffsbestimmung bleibt völlig unklar, welche Formen einer Tätigkeit erfasst wird und von welcher Dauer diese Tätigkeit sein muss, um in den Anwendungsbereich von § 20 a IfSG zu fallen. Mit der Bezeichnung einer „tätigen“ Person werden nicht nur Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer erfasst. Vielmehr werden auch solche Personen einbezogen, die auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags ihre Tätigkeit in einer der in § 20 a Abs. 1 S. 1 IfSG genannten Einrichtung oder einem der genannten Unternehmen verrichten. Beispielhaft sei hier nur auf Postboten, Handelsvertreter, Friseure oder Handwerker verwiesen. Bei diesem Personenkreis wäre – folgt man dem Wortlaut – ein entsprechender Nachweis auch dann erforderlich, wenn sie ihre Tätigkeit nur für wenige Minuten in der Einrichtung bzw. dem Unternehmen verrichten. Ausgehend davon, dass eine solche Ausweitung der einrichtungs- bzw. unternehmensbezogenen Nachweispflicht im Zweifel auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Regelung nicht mehr verhältnismäßig wäre, wird man eine Einschränkung vornehmen und ein kurzzeitiges Betreten auch ohne einen entsprechenden Nachweis ausgrenzen müssen. Leider hat der Gesetzgeber, der insoweit von „wenigen Minuten“ spricht26, diese Schranke aber im Wortlaut selbst nicht erkennbar gemacht. Problematisch ist darüber hinaus, dass nicht klar definiert wird, wann eine Person „in“ einer der Einrichtungen bzw. einem der Unternehmen tätig ist. 26 So BT-Drucks. 20/188 S. 38.
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Einführung einer (einrichtungsbezogenen) Impfpflicht
Richtigerweise wird man insoweit eine ortsbezogene Kennzeichnung vornehmen müssen. Damit fallen nur solche Personen in den Anwendungsbereich, die in räumlicher Nähe, also innerhalb des gleichen Gebäudes wie die vulnerable Personengruppe, deren Schutz durch § 20 a IfSG in Rede steht, tätig werden. Arbeitnehmer, die im Homeoffice oder in einem Verwaltungsgebäude tätig sind, aber keinen räumlichen Bezug zur Pflege oder Versorgung vulnerabler Personen haben, werden daher auf der Grundlage einer teleologischen Reduktion des Gesetzes ebenfalls nicht erfasst27. Problematisch ist schlussendlich auch, dass die in § 20 a Abs. 3 IfSG getroffene Regelung, die Personen erfasst, die „ab dem 16.3.2022“ in einer der Einrichtungen bzw. einem der Unternehmen tätig werden, dem Wortlaut nach auch solche Personen erfasst, die in § 20 a Abs. 2 IfSG genannt werden. Denn dort wird nur von Personen gesprochen, die in einer der Einrichtungen bzw. einem der Unternehmen tätig sind. Folgt man den Überlegungen des Gesetzgebers, ist diese Überschneidung aber nicht beabsichtigt. Vielmehr sollen die in § 20 a Abs. 2 IfSG getroffenen Regelungen für Personen gelten, die bereits vor dem 16.3.2022 in einer solchen Einrichtung bzw. einem solchen Unternehmen tätig waren (Alt-Tätige). Sie sollen dann auch nicht mehr von § 20 a Abs. 3 IfSG erfasst werden, wenn sie im Anschluss an den 15.3.2022 weiterhin in einer der Einrichtungen bzw. einem der Unternehmen tätig werden. Da § 20 a Abs. 2 IfSG keine bestimmte Tätigkeitsdauer verlangt und auch Tätigkeiten in „vorvergangenen Zeiten“ erfasst, werden damit aber auch solche Personen als „Alt-Tätige“ behandelt, die bereits vor vielen Jahren einmal sehr kurz in einer der Einrichtungen bzw. einem der Unternehmen als Arbeitnehmer, Leiharbeitnehmer bzw. anderweitig tätige Personen eingesetzt waren. Umgekehrt bedeutet dies: Als „Neu-Tätige“ nach § 20 a Abs. 3 IfSG werden dem Wortlaut nach nur solche Personen behandelt, die niemals vor dem 16.3.2022 in einer der Einrichtungen bzw. einem der Unternehmen tätig waren. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob dem Gesetzgeber diese Problematik seiner Regelungen bewusst war. Sie hat allerdings große Bedeutung für die praktische Anwendung, weil die Rechtsfolgen eines fehlenden Nachweises in Bezug auf Alt- bzw. Neu-Tätige in § 20 a IfSG unterschiedlich bestimmt werden: Hat ein Alt-Tätiger den erforderlichen Nachweis – auch auf Nachfrage – nicht erbracht, hat dies nämlich nicht unmittelbar ein Beschäfti-
27 Ebenso Weigert, NZA 2022, 166.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gungsverbot zur Folge28. Vielmehr ist der Träger der Einrichtung bzw. des Unternehmens lediglich verpflichtet, unverzüglich das Gesundheitsamt darüber zu benachrichtigen. Erst wenn das Gesundheitsamt auf der Grundlage eigener Recherchen und entsprechender Anforderungen keinen Nachweis erhält, kann ein Beschäftigungsverbot festgelegt werden. Erst dann ist auch der weitere Einsatz in der Einrichtung bzw. dem Unternehmen ausgeschlossen29. Wird die betroffene Person als Folge des fehlenden Nachweises schon vor einer entsprechenden Untersagung durch das Gesundheitsamt nicht beschäftigt, droht nicht nur der Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf eine Beschäftigung in der Einrichtung bzw. dem Unternehmen30. Vielmehr bleibt der Arbeitgeber auch zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 615 S. 2 BGB)31. Entgegen dieser für Alt-Tätige in § 20 a Abs. 5 IfSG getroffenen Regelung dürfen Neu-Tätige gemäß § 20 a Abs. 4 IfSG auch ohne eine Entscheidung des Gesundheitsamts nicht beschäftigt werden, wenn kein Impf- oder Genesenennachweis bzw. ein Nachweis über eine Kontraindikation vorgelegt wird. Eine Kündigung von Personen, die den nach § 20 a Abs. 2 IfSG erforderlichen Nachweis nicht vorlegen, dürfte bereits mit Blick auf die Befristung der gesetzlichen Nachweispflicht ausgeschlossen sein. Denn als Folge dieser Befristung ist eine Beschäftigung dieses Personenkreises jedenfalls ab dem 1.1.2023 wieder möglich. Dabei dürfte den Arbeitgeberinteressen auch dadurch Rechnung getragen werden, dass jedenfalls im Anschluss an ein Beschäftigungsverbot des Gesundheitsamts keine Entgeltfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers mehr bestehen. Den Arbeitnehmerinteressen ist aber zugleich dadurch Rechnung zu tragen, dass gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG geprüft werden muss, ob zur Vermeidung einer personenbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses anderweitige Möglichkeiten einer Beschäftigung im Unternehmen bestehen, für die der Nachweis nach § 20 a IfSG nicht erforderlich ist. Insgesamt gesehen dürfte § 20 a IfSG zwar durch den Gedanken des Gesetzgebers getragen sein, vulnerable Personengruppen durch eine besondere 28 Ebenso Christ/Jeck, DStR 2022, 944; Fuhlrott/Fischer, NJW 2021, 657, 660; Prütting/Stubenrauch, AuR 2022, 3, 11. 29 So Aligbe, ARP 2022, 2, 4 f.; Grundel/Höllwarth, ZAT 2022, 16, 21. 30 Vgl. zur Weiterbeschäftigung: abl. ArbG Siegen v. 12.4.2022 – 5 Ga 1/22 und 2/22 n. v.; zust. ArbG Lübeck v. 13.4.2022 – 5 Ca 189/22 n. v. 31 A. A. Müller, ArbR 2022, 55.
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Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit
Nachweispflicht – faktisch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht – zu schützen. Handwerklich ist die gesetzliche Neuregelung aber völlig missglückt. Daran ändert auch der Versuch des BMG nichts, durch einen Q&A zur Impfprävention im Bereich einrichtungsbezogener Tätigkeiten Antworten zu den vielen Fragen zum Gesetz zu geben. Verbindlichkeit haben diese Hinweise des BMG nicht. Schlussendlich dürfte § 20 a IfSG zum Ausdruck bringen, dass der Gesetzgeber zwar einerseits ein Zeichen setzen wollte, in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen grundsätzlich nur geimpfte oder genesene Personen einzusetzen. Andererseits war ihm offenbar bewusst, dass ein Beschäftigungsverbot auch für Alt-Tätige den Pflegnotstand weiter verschärfen würde. Insofern hat er es offenbar hingenommen, dass Alt-Tätige auch ohne eine Impfung über den 15.3.2022 hinaus in diesen Einrichtungen bzw. Unternehmen eingesetzt werden konnten, solange das Gesundheitsamt selbst dagegen nicht vorgegangen ist. Auf diese Weise trägt § 20 a IfSG dem Gedanken Rechnung, dem Gesundheitsamt die unangenehme Aufgabe zuzuweisen, Beschäftigungsverbote auszusprechen. (Ga)
3.
Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit
Obwohl die Regelungen zur erleichterten Inanspruchnahme von Kurzarbeit an sich bereits zum 31.12.2021 bzw. 31.3.2022 auslaufen sollten, haben Bundesregierung und Bundestag beschlossen, einen wesentlichen Teil dieser Regelungen erst einmal bis zum 30.6.2022 fortzuführen. Damit soll den fortbestehenden Belastungen als Folge der COVID-19-Pandemie und der weltweiten Lieferengpässe Rechnung getragen werden. Eine weitere Verlängerung bis zum 30.9.2022 ist mit der Verordnung zur Verlängerung der Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld aber schon auf den Weg gebracht. Damit wird auch den Konsequenzen des Angriffskriegs auf die Ukraine Rechnung getragen. Zunächst einmal wurde die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld durch § 421 c Abs. 3 SGB III für Arbeitnehmer, deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum Ablauf des 30.6.2021 entstanden ist, abweichend von § 104 Abs. 1 S. 1 SGB III auf bis zu 28 Monate, längstens bis zum 30.6.2022, verlängert. Eine weitere Verlängerung bis zum 30.9.2022 durch die KugZuV ist bereits in Vorbereitung. Grundlage dafür ist § 421 Abs. 5 SGB III. Auch in der Zeit bis zum 30.6.2022 genügt es für den Bezug von Kurzarbeitergeld, dass die Zahl der Beschäftigten, die im Betrieb von einem Entgelt-
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ausfall betroffen sein müssen, abweichend von § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB III nur 10 % der Beschäftigten beträgt. Außerdem wird weiterhin auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden verzichtet (§ 421 Abs. 4 SGB III). Auch das dürfte bis zum 30.9.2022 verlängert werden. Die für Leiharbeitnehmer geltenden Sonderregelungen wurden ebenfalls bis zum 30.6.2022 verlängert. Zu erwarten ist, dass eine weitere Verlängerung bis zum 30.9.2022 erfolgt. Wichtig allerdings ist, dass es seit dem 31.3.2022 keine automatische Erstattung der durch den Arbeitgeber während der Kurzarbeit zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge mehr gibt. Die entsprechende Erleichterung durch § 3 KugverlV ist ausgelaufen. Eine solche Erstattung, begrenzt auf 50 % der Sozialversicherungsbeiträge, kommt nur noch in Betracht, wenn die Beschäftigten in eine berufliche Weiterbildung nach § 106 a SGB III gebracht werden. Wir hatten darüber bereits im vergangenen Jahr berichtet32. Nach § 421 c Abs. 2 SGB III wird bis zum 30.6.2022 weiterhin ein höheres Kurzarbeitergeld gezahlt. Bei Arbeitnehmern, die beim Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz erfüllen würden, sind dies ab dem vierten Bezugsmonat 77 % und ab dem siebten Bezugsmonat 87 %, für die übrigen Arbeitnehmer ab dem vierten Bezugsmonat 70 % und ab dem siebten Bezugsmonat 80 % der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum, wenn die Differenz zwischen Soll- und Ist-Entgelt im jeweiligen Bezugsmonat mindestens 50 % beträgt. Für die Berechnung der Bezugsmonate sind Monate mit Kurzarbeit ab März 2020 zu berücksichtigen. Einnahmen, die während der Kurzarbeit aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielt werden, die in dieser Zeit aufgenommen wurde, werden weiterhin nicht auf das Ist-Entgelt angerechnet. Beide Begünstigungen erlauben Arbeitnehmern, eine etwaige Entgeltlücke zu schließen. Unabhängig davon ist durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz (4. Corona-StHG) rückwirkend auch die Steuerfreiheit etwaiger Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld für die Zeit vom 1.1.2022 bis zum 30.6.2022 fortgeführt worden. Das kann allerdings Korrekturen der Entgeltabrechnungen erforderlich machen33. Zu hoffen ist deshalb, dass eine weitere Verlängerung bis zum 30.9.2022 so rechtzeitig erfolgt, dass diese Korrekturen nicht mehr erforderlich sind. (Ga)
32 B. Gaul, AktuellAR 2021, 358 ff. 33 B. Gaul, AktuellAR 2022, 314 ff.
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Anhebung des Mindestlohns und Anpassungen bei geringfügiger Beschäftigung
4.
Gesetzliche Anhebung des Mindestlohns und Anpassungen bei geringfügiger Beschäftigung
Auf der Grundlage des unveränderten Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung34 haben Bundestag und Bundesrat eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns beschlossen und ergänzende Veränderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vorgenommen. Diese Änderungen entfalten ihre Wirksamkeit ab dem 1.10.2022. Darauf müssen sich nicht nur Unternehmen, sondern auch die Tarifvertragsparteien einstellen.
a)
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns
Mit Wirkung zum 1.10.2022 wird der gesetzliche Mindestlohn auf 12 € je Zeitstunde angehoben. Dabei soll es dann für 15 Monate bleiben. Denn die Mindestlohnkommission kann eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns erst wieder zum 1.1.2024 beschließen. Dies stellt § 9 Abs. 1 MiLoG klar. Die Kritik an der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, mit der ein Eingriff in die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) geltend gemacht wurde, hat sich damit nicht durchgesetzt. Verfassungsrechtlich dürfte dies auch richtig sein. Denn es dürfte dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum entsprechen, den Mindestlohn auch außerhalb einer Beschlussfassung durch die Mindestlohnkommission anzuheben, wenn dies mit Blick auf gestiegene Lebenshaltungskosten und das Gebot einer sozialen Absicherung der Beschäftigten angemessen erscheint. Der bislang im MiLoG vorgesehene Zeitplan begründet insoweit keinen Vertrauensschutz, der einem hiervon abweichenden Handeln des Gesetzgebers entgegensteht. Ungeachtet dessen wird dies nicht nur zu einer Anpassung solcher Tarifverträge führen, deren Entgeltgruppen derzeit noch eine Vergütung unter 12 €/Stunde vorsehen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Gewerkschaften verlangen werden, dass Anhebungen über die 12 € hinaus erfolgen, um den Mitgliedern gegenüber zu zeigen, dass man nicht nur die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns nachgezeichnet hat. Das kann zu ganz erheblichen Entgeltsteigerungen führen, die dann auch bei den übrigen Entgeltgruppen
34 BT-Drucks. 20/1916; BR-Drucks. 82/22.
13
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
zu vergleichbaren Anhebungen führen dürfte, um den Abstand der Entgeltgruppen auch nach dem 1.10.2022 zu wahren. Bemerkenswert bei der Diskussion ist allerdings, dass das durchschnittliche monatliche Bruttogehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in Deutschland im Jahre 2021 bei etwa 4.100 € gelegen hat. Legt man der Vollzeitbeschäftigung – was selten der Fall ist – eine 40-Stunden-Woche zugrunde, entspricht dies einem Bruttostundenlohn i. H. v. 23,65 €. Damit liegt der gesetzliche Mindestlohn bei etwa 51 % des durchschnittlichen Bruttogehalts, was – wie an anderer Stelle ausgeführt35 – in etwa dem Mindestlohn entspricht, der in der Mindestlohnrichtlinie als Ziel genannt werden soll. Die Richtlinie nennt als angemessenen Mindestlohn 60 % des Medianlohns bzw. 50 % des Durchschnittslohns36.
b)
Ausweitung der Dokumentationspflichten
Im Ergebnis bewirkt die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auch eine Ausweitung der aus §§ 16, 17 MiLoG resultierenden Melde- und Dokumentationspflichten. Betroffen hiervon sind Arbeitgeber, die Arbeitnehmer im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung oder in den in § 2 a SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigen (z. B. Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Speditions-, Transport- und damit verbundenes Logistikgewerbe, Gebäudereinigung, Fleischwirtschaft, Wach- und Sicherheitsgewerbe). In diesen Bereichen ist der Arbeitgeber verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertags aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren. Entsprechendes gilt für Entleiher, die einen Leiharbeitnehmer in einem der in § 2 a SchwarzArbG genannten Wirtschaftszweige einsetzen. Mit der MiLoDokV wird diese Melde- bzw. Dokumentationspflicht aus §§ 16, 17 MiLoG zwar weiterhin eingeschränkt. Als Folge der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns setzt die Befreiung von den Melde- und Dokumentationspflichten aber ab dem 1.10.2022 voraus, dass das verstetigte regelmäßige Bruttomonatsentgelt der hiervon betroffenen Arbeitnehmer
35 B. Gaul, AktuellAR 2022, 60 ff. 36 Vgl. Ammann v. 7.6.2022, https://www.euractiv.de/section/finanzen-undwirtschaft/news/eu-mindestlohn-richtlinie-rueckt-in-reichweite/.
14
Anhebung des Mindestlohns und Anpassungen bei geringfügiger Beschäftigung
4.176 € (bislang: 2.958 €) überschreitet. Alternativ entfällt die Melde- bzw. Dokumentationspflicht bei Arbeitnehmern, deren verstetigtes regelmäßiges Bruttomonatsentgelt 2.784 € (bislang: 2.000 €) überschreitet, wenn der Arbeitgeber dieses Monatsentgelt für die letzten vollen zwölf Monate nachweislich gezahlt hat; Zeiten ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt bleiben bei der Berechnung des Zeitraums von zwölf Monaten unberücksichtigt. Insbesondere bei kleineren Arbeitgebern, die keine technische Form der Arbeitszeiterfassung besitzen, hat die Anhebung der Entgeltgrenzen für eine Befreiung von der Melde- bzw. Dokumentationspflicht aus §§ 16, 17 MiLoG eine erhebliche Belastung zur Folge. Denn der Arbeitgeber wird jetzt für einen deutlich größeren Personenkreis verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit in der vorstehend geschilderten Weise zu erfassen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer durch die Zusammenrechnung mehrerer Beschäftigungsverhältnisse – ausgehend von einer Vollzeitbeschäftigung – insgesamt mehr als 2.784 € bzw. 4.176 € als Bruttovergütung verdient. Denn im Unterschied zum Sozialversicherungsrecht ist die Vergütung verschiedener Arbeitsverhältnisse im Bereich des MiLoG nicht zusammenzurechnen. Das Gesetz stellt auf das individuelle Arbeitsverhältnis ab, innerhalb dessen der jeweilige Arbeitgeber unter Berücksichtigung der in diesem Arbeitsverhältnis vereinbarten Vergütung die Melde- und Dokumentationspflichten aus §§ 16, 17 MiLoG zu erfüllen hat37. Es gibt damit kein „arbeitgeberübergreifendes Gesamtentgelt“, auf dessen Grundlage mithilfe der MiLoDokV eine Befreiung von den Pflichten aus §§ 16, 17 MiLoG erreicht werden kann.
c)
Kennzeichnung der geringfügigen Beschäftigung
Mit Wirkung zum 1.10.2022 wird die geringfügige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 SGB IV nicht mehr danach bestimmt, dass das monatliche Arbeitsentgelt 450 € nicht übersteigt. Vielmehr wird dieser Festbetrag durch die „Geringfügigkeitsgrenze“ ersetzt. Als Geringfügigkeitsgrenze definiert § 8 Abs. 1 a SGB IV das monatliche Arbeitsentgelt, das bei einer Arbeitszeit von zehn Wochenstunden zum Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG i. V. m. der auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 S. 1 MiLoG jeweils erlassenen Verordnung erzielt wird. Dabei wird die Geringfügigkeitsgrenze berechnet, indem der Mindestlohn mit 130 vervielfacht, durch drei geteilt und auf volle Euro aufgerundet wird. Ausgehend von einem Mindestlohn i. H. v.
37 Vgl. Riechert/Nimmerjahn, MiLoG § 17 Rz. 26, 32.
15
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
12 € hat dies jedenfalls ab dem 1.10.2022 eine Geringfügigkeitsgrenze i. H. v. 520 € zur Folge. Wichtig ist, dass mit § 8 Abs. 1 b SGB IV auch eine gesetzliche Regelung für die Rechtsfolgen eines unvorhersehbaren Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze geschaffen wird. Dies ersetzt die bislang in den Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen (Geringfügigkeitsrichtlinien), zuletzt vom 26.7.2021, getroffenen Feststellungen. Nach § 8 Abs. 1 b SGB IV steht ein unvorhersehbares Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze dem Fortbestand einer geringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV nicht entgegen, wenn die Geringfügigkeitsgrenze innerhalb des für den jeweiligen Entgeltabrechnungszeitraum zu bildenden Zeitjahres in nicht mehr als zwei Kalendermonaten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird. Dabei dürfte das Zeitjahr weiterhin einem Zeitraum von zwölf Monaten entsprechen, der mit dem Kalendermonat endet, für den aktuell die Beurteilung des Versicherungsstatus wegen nicht vorhersehbaren Überschreitens erfolgen soll.
d)
Übergangsbereich
Der Übergangsbereich, in der die arbeitgeberseitige Beitragspflicht von etwa 28 % schrittweise auf die grundsätzlich maßgebliche Beitragspflicht i. H. v. knapp 20 % abgesenkt wird, besteht ab dem 1.10.2022 zwischen 520 € und 1.600 € (bislang: 450 € bis 1.300 €). Der Gesetzgeber hat § 20 SGB IV entsprechend angepasst. Übergangsregelungen hierzu finden sich in § 134 SGB IV. Ergänzend hierzu trifft § 7 Abs. 2 SGB IV eine Übergangsregelung für die Versicherungspflicht im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, falls Personen, die am 30.9.2022 in einer mehr als geringfügigen Beschäftigung versicherungspflichtig waren, in der Zeit ab dem 1.10.2022 die Merkmale einer geringfügigen Beschäftigung erfüllen. (Ga)
5.
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
Im April hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1152/EU über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU im Bereich des Zivilrechts vorgelegt38. Entspre38 BR-Drucks. 154/22.
16
Umsetzung der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
chend der Zielsetzung der Richtlinie soll damit eine Modernisierung der Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (Nachweisrichtlinie) bewirkt werden, was zu einer umfangreichen Anpassung des NachwG führt. Außerdem werden Regelungen getroffen, die sich mit der Durchsetzung vertraglicher Rechte und Pflichten befassen. Auch wenn die Diskussion über diesen Entwurf noch nicht abgeschlossen ist und Änderungen wünschenswert sind, sollen die wesentlichen Aspekte des Entwurfs, der zum 1.8.2022 in Kraft treten soll, nachfolgend schon einmal zusammengefasst werden39.
a)
Anwendungsbereich
Die Richtlinie ließe zwar zu, dass Arbeitsverhältnisse aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden, bei denen Arbeitnehmer innerhalb eines Referenzzeitraums von vier aufeinanderfolgenden Wochen im Durchschnitt nicht mehr als drei Stunden pro Woche tätig sind. Der Gesetzgeber verzichtet allerdings auf eine solche Differenzierung. Als Folge einer Kürzung der aktuellen Regelungen in § 1 NachwG werden zukünftig alle Arbeitsverhältnisse von den folgenden Regelungen erfasst.
b)
(Schriftlicher) Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen
Gemäß Art. 3 Richtlinie 2009/1152/EU soll der Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer die gemäß der Richtlinie erforderlichen Informationen schriftlich zur Verfügung stellen. Sofern die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält, wäre es nach Maßgabe der Richtlinie aber zulässig, die Informationen in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und zu übermitteln. Bedauerlicherweise verzichtet die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf auf die entsprechende Modernisierung des NachwG. Vielmehr ist weiterhin vorgesehen, in § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG festzulegen, dass der Arbeitgeber die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen hat. In entsprechender Weise wird an dem Schriftformerfordernis in § 3 NachwG festgehalten. Beide Anforderungen müssen im Laufe des 39 Eingehend auch Schubert, AuR 2022, 115.
17
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Gesetzgebungsverfahrens dringend geändert und einer modernen Kommunikationsform durch E-Mail zugänglich gemacht werden. Völlig unpraktikabel sind auch die Fristen, innerhalb derer ein solcher Nachweis erbracht werden soll. So sieht der Gesetzentwurf vor, dass dem Arbeitnehmer die Niederschrift mit den Angaben zu den Vertragsparteien, der Arbeitszeit und dem Urlaub spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung, die Niederschrift mit den Angaben insbesondere zum Beginn des Arbeitsverhältnisses, zum Arbeitsort, zur Tätigkeit und zum Entgelt spätestens am siebten Kalendertag nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses und die Niederschrift mit den übrigen Angaben spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen ist. Es ist schlicht praxisfern anzunehmen, dass eine solche Aufteilung des Nachweises der wesentlichen Arbeitsbedingungen erfolgt, ausgehend davon, dass diese Bedingungen in einem einzigen Arbeitsvertrag sowie ergänzenden Vereinbarungen, auf die verwiesen wird, enthalten sind. Will man diese Zersplitterung des Zeitpunkts vermeiden, an dem die gesetzliche Nachweispflicht in der betrieblichen Praxis erfüllt wird, müsste zukünftig gewährleistet werden, dass der Arbeitsvertrag mit allen erforderlichen Nachweisen spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer übergeben wird. Diese Nachweisvorgabe kann auch bei Arbeitsverhältnissen zum Tragen kommen, die bereits vor dem 1.8.2022 bestanden haben. So soll in § 5 S. 1 NachwG bestimmt werden, dass dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung beim Arbeitgeber die Niederschrift mit den Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 bis 10 NachwG auszuhändigen ist. Die Niederschrift mit den übrigen Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG ist spätestens einen Monat nach Zugang der Aufforderung auszuhändigen. Diese Vorgaben in Bezug auf einen schriftlichen Nachweis einer Änderung des Arbeitsvertrags kommen nicht nur bei einvernehmlichen Änderungen, sondern auch bei einer Änderungskündigung zum Tragen. Hier sollte der schriftliche Nachweis allerdings gegenüber dem Arbeitnehmer erst dann erfolgen, wenn das Angebot zur Änderung des Arbeitsvertrags – ggf. mit dem Vorbehalt einer sozialen Rechtfertigung – angenommen wurde. Im Gegensatz zur heutigen Rechtslage, nach der der Nachweis erst einen Monat nach der Änderung erfolgen muss, soll allerdings nach dem aktuellen Entwurf durch § 3 S. 1 NachwG bestimmt werden, dass der Nachweis bereits an dem Tag erfolgen muss, an dem die Änderung wirksam wird.
18
Umsetzung der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
c)
Angaben zum Arbeitsort
In den schriftlichen Nachweis gehört bereits heute ein Hinweis auf den Arbeitsort oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll, ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann. Die gesetzliche Neuregelung sieht vor, dass im Nachweis zukünftig auch erfasst werden soll, wenn der Arbeitnehmer das Recht hat, seinen Arbeitsort frei zu wählen.
d)
Dauer der Probezeit
Im schriftlichen Nachweis ist die Dauer einer etwaigen Probezeit anzugeben. Das dürfte bereits heute üblich sein. Zukünftig ist aber zu berücksichtigen, dass Art. 8 Richtlinie 2019/1152/EU zu ergänzenden Regelungen verpflichtet, die eine Höchstdauer der Probezeit bewirken sollen. Nach diesen Vorgaben darf eine Probezeit generell nicht länger als sechs Monate dauern. Hiervon ist in Deutschland an sich bereits mit Blick auf § 622 Abs. 3 BGB auszugehen, so dass insoweit kein Handlungsbedarf besteht. Wenn eine Probezeit aber im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses vereinbart werden soll, muss diese allerdings im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen. Diese Vorgabe, die ihren Ursprung in der Richtlinie findet, soll in § 15 Abs. 3 TzBfG umgesetzt werden. Da der Gesetzgeber diese Regelung in § 15 Abs. 3 TzBfG nicht weiter konkretisiert, bleibt abzuwarten, welche Dauer einer Probezeit die Arbeitsgerichte im Hinblick darauf bei einem befristeten Arbeitsverhältnis für angemessen halten. Wichtig allerdings dürfte sein, dass der Begriff der Probezeit in § 15 Abs. 3 TzBfG bei seiner weiteren Anwendung nicht mit dem der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gleichgesetzt wird, also den Arbeitgeber nicht verpflichtet, schon vor Ablauf der sechs Monate eine Kündigung nur mit sozialer Rechtfertigung auszusprechen. Vielmehr wird man die Probezeit i. S. d. § 15 Abs. 3 TzBfG als einen Zeitraum verstehen müssen, innerhalb dessen auf der Grundlage von § 622 Abs. 3 BGB bzw. eines Tarifvertrags eine kürzere Kündigungsfrist vereinbart werden kann.
e)
Klarstellungen zur Vergütung und zur Arbeitszeit gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG
In den Nachweis sind auch Angaben zur Zusammensetzung und zur Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, der Prämien und Sonderzahlungen sowie der anderen
19
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Bestandteile des Arbeitsentgelts, jeweils getrennt, aufzunehmen und um Angaben zur Fälligkeit und Art der Auszahlung zu ergänzen. Diese Vorgabe zu entsprechenden Angaben zur Überstundenvergütung betrifft insbesondere AT-Verträge, bei denen häufig eine pauschale Abgeltung etwaiger Überstunden bzw. Mehrarbeit vereinbart wird. Solche Abgeltungsklauseln verstoßen damit nicht nur gegen § 307 Abs. 1 BGB und sind unwirksam. Mit ihrer weiteren Verwendung wird auch gegen § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG verstoßen, weil damit keine getrennte Angabe der Vergütung von Überstunden erfolgt. Soweit gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 NachwG darüber hinaus Angaben zur vereinbarten Arbeitszeit, zu den vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit zum Schichtsystem, zum Schichtrhythmus und zu den Voraussetzungen für Schichtänderungen aufgenommen werden müssen, dürfte in der betrieblichen Praxis in der Regel ein Verweis auf die insoweit maßgeblichen Betriebsvereinbarungen erfolgen. Ein solcher Verweis wird in § 2 Abs. 4 NachwG ausdrücklich zugelassen. Eine wichtige Neuregelung in Bezug auf die Arbeit auf Abruf begründet § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 NachwG. Danach sind bei Arbeit auf Abruf in den Nachweis auch die Vereinbarung, nach der der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat, die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, der Zeitrahmen, bestimmt durch Referenztage und Referenzstunden, der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, und die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat, aufzunehmen. Die materiell-rechtliche Verpflichtung, diese Schranken zu beachten, wird durch eine Neufassung von § 12 Abs. 3 TzBfG geschaffen.
f)
Verfahren bei Kündigungen
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG ist in den Nachweis auch das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren. Angesichts der Komplexität des deutschen Arbeitsrechts dürfte diese Verpflichtung kaum vollständig zu erfüllen sein, wenn man vermeiden will, dass bei Abschluss des Arbeitsvertrags Lehrbücher über das Kündigungsrecht überlassen werden. Wichtig daher ist, dass es genügt, wenn – anstelle einer Beschreibung des Verfahrens – im Nachweis das Schriftformerfordernis der Kündigung, die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Fristen zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage genannt werden. Denkbar ist, dass dies im Hinblick auf die Anforderungen aus § 17 TzBfG für den Fall der Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags ergänzt wird. 20
Umsetzung der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
Von erheblicher Bedeutung ist, dass die Anwendbarkeit von § 7 KSchG damit nicht eingeschränkt wird. Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist, gilt die Kündigung daher ohne Rücksicht auf das Fehlen eines entsprechenden Hinweises im schriftlichen Nachweis der Arbeitsbedingungen als wirksam. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Rechtsprechung in diesem Fall einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers annehmen würde, wenn er darlegen kann, dass er bei rechtzeitiger Klage einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durchgesetzt hätte. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu fehlenden Hinweisen auf die für ein Arbeitsverhältnis geltenden Ausschlussfristen. Hier nimmt das BAG nämlich an, dass der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch hat, falls er als Folge des pflichtwidrig unterlassenen Hinweises auf die für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Ausschlussfristen daran gehindert ist, einen Anspruch durchzusetzen. Das BAG unterstellt dabei, dass bei pflichtgemäßer Vorgehensweise des Arbeitgebers eine rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs erfolgt wäre40.
g)
Bezugnahme auf Kollektivvereinbarungen
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG ist der Arbeitgeber verpflichtet, in den schriftlichen Nachweis einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen, aufzunehmen. Gemäß § 2 Abs. 4 TzBfG können die Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nrn. 6 bis 8 sowie 10 bis 14 NachwG durch einen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kollektivvereinbarungen ersetzt werden. Dies entspricht der bisherigen Gestaltungsmöglichkeit. Außerordentlich problematisch ist aber der Umstand, dass nach dem aktuellen Entwurf eine Bezugnahme auf „ähnliche Regelungen“ zur Erfüllung der Nachweiserfordernisse, wie dies derzeit noch in § 2 Abs. 3 NachwG vorgesehen ist, nicht mehr zulässig sein soll. Denn die Möglichkeit, auf „ähnliche Regelungen“ zu verweisen, ist im neuen Entwurf nicht mehr vorgesehen. Damit wäre es nicht mehr möglich, im Arbeitsvertrag auf Gesamtzusagen und/oder betriebliche Übungen zu verweisen, die Arbeitsbedingungen zum Gegenstand haben, die in § 2 Abs. 1 S. 2 Nrn. 6 bis 8 und 10 bis 14 NachwG genannt wer-
40 Vgl. BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18, NZA 2020, 379.
21
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
den. Erhebliche Bedeutung hat dies für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung, in dem Regelungen vielfach noch durch Gesamtzusage getroffen werden. Hier wäre es nicht ausreichend, auf die entsprechende Versorgungszusage zu verweisen. Vielmehr müssten maßgeblichen Regelungen müssten als Bestandteil des Arbeitsentgelts in den schriftlichen Nachweis gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG aufgenommen werden. Entsprechende Probleme bestehen bei einer Umsetzung dieses Regelungsvorschlags bei leitenden Angestellten sowie in Betrieben ohne Betriebsrat, weil in diesen Fällen gar keine Betriebsvereinbarungen geschaffen werden können. Der Gesetzgeber muss dies korrigieren. Dabei sollten neben „ähnlichen Regelungen“ auch Vereinbarungen mit dem Sprecherausschuss genannt werden. Denn auch diese Form der Kollektivvereinbarung wäre nach dem derzeitigen Entwurf durch § 2 Abs. 4 NachwG nicht (mehr) erfasst.
h)
Beweislastumkehr und Bußgeldvorschriften
Unter Berücksichtigung der in Art. 15 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2019/1152/EU getroffenen Regelung wird man bei einer Missachtung der geänderten Nachweiserfordernisse zunächst einmal damit rechnen müssen, dass die Arbeitsgerichte im Zweifel davon ausgehen, dass die Arbeitsvertragsparteien die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung vereinbart haben. Dies kann bei einer beabsichtigten Versetzung der Befugnis des Arbeitgebers entgegenstehen, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit und/oder einen anderen Arbeitsort zuzuweisen, falls der entsprechende Umfang des Direktionsrechts nicht bereits im schriftlichen Nachweis enthalten war. Im Rahmen der Sozialauswahl kann dies zu der Annahme führen, dass – umgekehrt – eine solche Veränderung im Rahmen des Direktionsrechts zulässig wäre, selbst wenn der Arbeitsvertrag selbst dies nicht erkennen lässt, was eine Erweiterung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer zur Folge haben kann. Der Gesetzgeber selbst will die Einhaltung der geänderten Nachweiserfordernisse durch das Ordnungswidrigkeiten durchsetzen. So soll – entgegen der bisherigen Rechtslage – die Missachtung der Regelungen des NachwG nach § 4 NachwG als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, bei der Geldbußen bis zu 2.000 € festgelegt werden. Ordnungswidrig handelt nach dem Entwurf, wer eine der in § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG genannten Vertragsbedingungen entgegen § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt. In gleicher Weise soll eine Ordnungswidrigkeit dann vorliegen, wenn entgegen § 2 Abs. 2, 3 NachwG eine dort genannte Niederschrift nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ausgehändigt oder entgegen § 3
22
Umsetzung der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
S. 1 NachwG eine Nichtmitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig bewirkt wird. Diese Bußgeldvorschrift überzeugt nicht, zumal viele Regelungen im Gesetz unbestimmt sind (z. B. Probezeitdauer, Kündigungsverfahren). Daran eine Ordnungswidrigkeit zu knüpfen, missachtet das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot. Die Regelung sollte gestrichen werden. Andernfalls drohen den Unternehmen, denen ein Verstoß vorgeworfen wird, negative Entscheidungen der Behörden in Bezug auf die für Genehmigungen erforderliche Einschätzung der Zuverlässigkeit des Arbeitgebers (z. B. Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis) oder ihre Ausgrenzung in Vergabeverfahren.
i)
Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse
Soweit der Arbeitnehmer grenzüberschreitend eingesetzt wird, sind weitergehende Erfordernisse aus § 2 Abs. 2, 3 NachwG zu erfüllen. Wichtig ist, dass die entsprechenden Nachweise in Form einer Niederschrift bereits vor der Abreise ins Ausland ausgehändigt werden müssen.
j)
Besonderheiten bei Leiharbeitnehmern
In Bezug auf das Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher wird in § 11 Abs. 2 S. 4 AÜG festgelegt, dass dem Arbeitnehmer auch die Firma und Anschrift des Entleihers, dem er überlassen wird, in Textform mitgeteilt wird. Außerdem wird der Entleiher gemäß § 13 a Abs. 2 AÜG verpflichtet, einem Leiharbeitnehmer, der ihm seit mindestens sechs Monaten überlassen ist und der ihm in Textform den Wunsch nach dem Abschluss eines Vertrags angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitzuteilen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Leiharbeitnehmer dem Entleiher diesen Wunsch in den letzten zwölf Monaten bereits einmal angezeigt hat. Natürlich gelten für Leiharbeitnehmer unabhängig von den Vorgaben in § 11 AÜG auch die allgemeinen Regelungen zum Nachweis wesentlicher Arbeitsbedingungen aus § 2 NachwG. Wenn deshalb die mit Leiharbeitnehmern bestehenden Arbeitsverträge angepasst werden sollen, ist allerdings darauf zu achten, dass weiterhin die Voraussetzungen einer Abweichung vom Grundsatz des Equal-Treatment bzw. Equal-Pay gemäß § 8 Abs. 2 bis 4 AÜG erfüllt werden. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des BAG in
23
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
den Urteilen vom 16.10.201941 und vom 16.12.202042 genügt es dabei allerdings nicht, dass auf die jeweiligen Tarifverträge, aufgrund derer eine vom Equal-Treatment-Grundsatz abweichende Regelung getroffen werden soll, in ihrer Gesamtheit verwiesen wird. Vielmehr ist sicherzustellen, dass die hiervon abweichenden Regelungen im Arbeitsvertrag in jedem Fall eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung treffen. Bestehen daran Zweifel, sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass die im Arbeitsvertrag zu der jeweils in Rede stehenden Sachfrage getroffenen Regelungen nur dann Vorrang vor dem Tarifvertrag haben, wenn sie in allen denkbaren Anwendungsfällen für den Arbeitnehmer günstiger sind. Ein solcher Vorrang des Arbeitsvertrags liegt nicht vor, wenn – was häufig passiert – im Arbeitsvertrag im Wege einer Bezugnahmeklausel auf die „im Übrigen“ geltenden Tarifverträge verwiesen wird. Denn bei einer solchen Formulierung ist zunächst einmal von einem Vorrang der im Arbeitsvertrag enthaltenen Bestimmung gegenüber dem Tarifvertrag auszugehen, was einen Wegfall der Befugnis zur Abweichung vom Equal-Treatment-Gebot zur Folge hat, wenn nur irgendeine Regelung des Arbeitsvertrags nicht in allen denkbaren Anwendungsformen für den Leiharbeitnehmer günstiger als der Tarifvertrag ist.
k)
Handlungspflichten bei einem Wunsch nach Abänderung der Arbeitszeit
In § 7 Abs. 2 TzBfG soll die Verpflichtung aufgenommen werden, dass der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer nicht nur den Wunsch nach einer Veränderung von Dauer oder Lage oder von Dauer und Lage seiner vertraglichen Arbeitszeit erörtert. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer auch über entsprechende Arbeitsplätze informieren, die im Betrieb oder Unternehmen besetzt werden sollen. Losgelöst davon hat der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden und der ihm in Textform den Wunsch nach Veränderung von Dauer oder Lage oder von Dauer und Lage seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, gemäß § 7 Abs. 3 TzBfG innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitzuteilen. Diese Verpflichtung besteht – entsprechend § 13 a Abs. 2 AÜG – dann nicht, wenn der Arbeitgeber in den letzten zwölf Monaten vor Zugang der Anzeige bereits einmal einen in Textform
41 BAG v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18, NZA 2020, 260 Rz. 16 ff. 42 BAG v. 16.12.2020 – 5 AZR 131/19, NZA 2021, 720 Rz. 13 f.
24
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
geäußerten Wunsch nach § 7 Abs. 2 S. 1 TzBfG in Textform begründet beantwortet hat. In diesem Fall genügt es, wenn eine mündliche Erörterung nach § 7 Abs. 2 TzBfG erfolgt.
l)
Arbeitszeit und Kosten bei Pflichtfortbildungen
Gemäß § 111 GewO dürfen dem Arbeitnehmer die Kosten einer für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlichen Ausbildung nicht auferlegt werden, wenn der Arbeitgeber zu entsprechenden Angeboten durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes, durch Tarifvertrag, Betriebs- oder Dienstvereinbarung verpflichtet ist. Solche Fortbildungen sollen während der regelmäßigen Arbeitszeit durchgeführt werden. Falls dies nicht erfolgen kann, gelten die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit durchgeführten Fortbildungen als Arbeitszeit.
m)
Fazit
Viele Bestandteile der gesetzlichen Neuregelung sind inhaltlich bereits durch die Richtlinie 2019/1152/EU vorgegeben. Insofern besteht kein Gestaltungsspielraum des deutschen Gesetzgebers. Dennoch wäre wichtig, dass im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens noch Nachbesserungen erfolgen. Dazu gehört, dass hinsichtlich der Form des Nachweises auch die elektronische Form erlaubt wird, wie dies in Zeiten der Digitalisierung dem üblichen Umgang im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens bzw. dem anschließenden Arbeitsverhältnis entspricht und durch die Richtlinie zugelassen wird. Außerdem ist dafür Sorge zu tragen, dass „ähnliche Regelungen“ in § 2 Abs. 4 NachwG aufgenommen werden, um insbesondere Vereinbarungen mit dem Sprecherausschuss, Gesamtzusagen und Regelungen durch betriebliche Übung zu erfassen. Darüber hinaus sollte die Bußgeldvorschrift gestrichen werden. Sie ist unangemessen, wenn man sich vor Augen führt, wie schnell es auch bei einem sehr sorgfältig arbeitenden Arbeitgeber möglich ist, dass die neuen Vorgaben des NachwG in Bezug auf eine einzelne Arbeitsbedingung nicht oder nicht vollständig erfüllt werden. (Ga)
6.
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
Nachdem die Umsetzung der Richtlinie 2019/1937/EU zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeber-/Whistleblowerrichtlinie – HinSchRL), in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist, nimmt die Bundesregierung jetzt einen neuen Anlauf und hat am 24.3.2022 den Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz 25
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (HinSchG-E), vorgelegt43. Im Mittelpunkt steht dabei das HinSchG. Gerade weil die Umsetzungsfrist (17.12.2021) bereits abgelaufen ist, wird man davon ausgehen können, dass eine kurzfristige Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens erfolgen wird. Dies ist zu begrüßen, weil damit in einem wichtigen Bereich der Compliance Rechtsklarheit geschaffen und die Diskussion beendet wird, ob und inwieweit die Regelungen der HinSchRL nach Ablauf der Umsetzungsfrist bereits unmittelbar oder im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung Anwendung finden44. Wichtig erscheint allerdings, im weiteren Gesetzgebungsverfahren dringend Klarstellungen in Bezug auf den Geltungsbereich und das Verhältnis zu anderen (gesetzlichen) Regelungen vorzunehmen, die ebenfalls einen Schutz von Hinweisgebern (z. B. ArbSchG, GeschGehG, DSGVO) verfolgen. Wesentliche Überschneidungen werden im aktuellen Entwurf nicht behandelt, haben Widersprüche zur Folge und führen zur Rechtsunsicherheit bei Hinweisgebern, Unternehmen und Betroffenen. Darüber hinaus empfiehlt es sich, das Verhältnis von internen und externen Meldekanälen sowie dem Schutz von Hinweisgebern (einschließlich Beweislastumkehr) oder den von Meldungen Betroffenen vorzunehmen.
a)
Sachlicher Geltungsbereich
Zunächst einmal belässt es der Entwurf nicht dabei, Meldungen über Verstöße gegen das Unionsrecht zu erfassen, wie sie in Art. 2 Abs. 1 HinSchRL genannt werden. Vielmehr werden auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 2 HinSchRL Hinweisgeber und betroffene Personen auch im Zusammenhang mit Verstößen gegen nationales Recht geschützt, das keinen Bezug zum EURecht hat. Das erscheint aus Gründen der Rechtssicherheit auch geboten, weil es insbesondere der hinweisgebenden Person nicht zugemutet werden kann, vor der Meldung eines Verstoßes eine rechtshistorische Klärung des Ursprungs einer gesetzlichen Regelung vorzunehmen. Darüber hinaus kommt in der entsprechenden Erweiterung zum Ausdruck, dass die unternehmerische Verpflichtung zur Regelkonformität und die daraus resultierende Pflicht der Geschäftsleitung, für eine Einhaltung der das Unternehmen verpflichtenden Rechtsvorschriften Sorge zu tragen, nicht auf Regeln be43 Eingehend vgl. auch Dohrmann, RdA 2021, 326; Engels, ARP 2022, 20; Lüneborg, DB 2022, 375; Thüsing, DB 2022, 1066; ders., ZAU 2022, 277. 44 Vgl. hierzu Merget, DB 2022, 246.
26
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
grenzt sind, die einen unionsrechtlichen Ursprung haben. Daran anknüpfend verlangt die Einrichtung eines nachhaltigen Compliance-Systems Maßnahmen, die es der hinweisgebenden Person ermöglichen, unter Ausschluss von Maßregelungen Rechtsverletzungen zu melden und damit Risiken etwaiger Rechtsverstöße zu minimieren. Dieser Vorgabe trägt der Entwurf im Ausgangspunkt Rechnung. Die daraus resultierende Kennzeichnung des sachlichen Geltungsbereichs erfasst aber gleichwohl nicht alle Rechtsverletzungen, was hinweisgebende Personen, Beschäftigungsgeber und Betroffene weiterhin vor die Frage stellt, wie Hinweise außerhalb des Geltungsbereichs des HinSchG-E zu behandeln sind. Aus arbeitsrechtlicher Sicht bleibt hier nur das Maßregelungsverbot aus § 612 a BGB, was unzureichend erscheint und deshalb schon vor Inkrafttreten der HinSchRL zu Vorschlägen einer Ergänzung und Erweiterung von § 612 a BGB geführt hatte45. So erfolgt zwar in § 2 Abs. 1 Nr. 3 HinSchG-E eine ausdrückliche Erweiterung auf namentlich genannte Regelungsbereiche, ohne damit lediglich Verstöße gegen Rechtsakte zu erfassen, die ihren Ursprung im Unionsrecht haben. Die hier in Rede stehenden Begriffsbestimmungen sind aber nicht nur unbestimmt, z. B.: • mit Vorgaben zum Umweltschutz (lit. h), • zum Schutz personenbezogener Daten im Anwendungsbereich der DSGVO (lit. p) oder • zur Rechnungslegung (lit. t).
Sie enthalten auch Überschneidungen, z. B.: • zum Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (lit. o) und • zum Schutz personenbezogener Daten (lit. p).
Stärker noch wird die fehlende Bestimmtheit deutlich in § 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E. Danach werden auch Verstöße einbezogen, die bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift „dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient“. Zu begrüßen ist, dass damit nicht jede Rechtsverletzung, sondern als Ergänzung zu Nr. 1 (strafbewehrte Vorschriften) nur bußgeldbewehrte Vorschriften (Nr. 2) erfasst werden. Damit bezieht der letztgenannte Teil aber 45 Vgl. BT-Drucks. 18/3039.
27
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nicht alle Vorschriften zum Schutz von Beschäftigten und ihren Vertretungen mit ein, sondern nur solche, die bußgeldbewehrt sind. Die Einbeziehung entsprechender Meldungen wird damit von der staatlichen Sanktion abhängig gemacht, was von den hinweisgebenden Personen und den Beschäftigungsgebern eine juristische Subsumtion verlangt, die die Gefahr von Rechtsunsicherheit und im Ergebnis auch einen Verzicht auf Meldungen begründen kann. Eine nur schwer zu beantwortende Frage dürfte dabei sein, wann eine bußgeldbewehrte Vorschrift dem Schutz von Beschäftigten und ihren Vertretungen „dient“. Fallen darunter auch die Regelungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), soweit dort menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken im Kreise von unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern erfasst werden, die für die Beschäftigten des Beschäftigungsgebers selbst erst einmal keine (unmittelbare) Bedeutung haben? Wie ist es mit den gesetzlichen Regelungen des Sozialversicherungsrechts? Darüber hinaus wird eine Reihe von Handlungsvorgaben zum Schutz von Beschäftigten und ihren Vertretern nicht erfasst, weil sie nicht bußgeldbewehrt sind. Ihre Einbeziehung setzte voraus, dass Rechtsmissbrauch angenommen werden kann. Beispielhaft betroffen hiervon sind zahlreiche Vorschriften des Arbeitsschutzes, des Schutzes besonderer Personengruppen (z. B. SGB IX) oder des Schutzes vor Diskriminierungen (z. B. AGG). Soweit in § 2 Abs. 1 Nr. 7 HinSchG-E auch rechtsmissbräuchliches Verhalten erfasst wird, war dies zwar im Grundsatz in Art. 5 Nr. 1 lit. ii HinSchRL angelegt. Da das Steuerrecht aber nationales Recht ist, stellt der Anwendungsbereich in § 2 Abs. 1 Nr. 7 HinSchG-E eine Ausweitung gegenüber der Richtlinie dar. Gleichzeitig wird der Gesetzentwurf Art. 5 Nr. 1 lit. ii HinSchRL nicht gerecht, weil dieser als Verstoß Handlungen und Unterlassungen erfasst, die dem Ziel oder dem Zweck sämtlicher Rechtsakte zuwiderlaufen, die in Art. 2 HinSchRL genannt werden. Der Entwurf setzt EU-Recht insoweit also nicht vollständig um. Außerdem ist er unbestimmt, weil er offenlässt, unter welchen Voraussetzungen ein Handeln im objektiven Widerspruch zu dem Zweck einer gesetzlichen Regelung bereits erfasst wird. Meint dies schon die Ausschöpfung eines denkbaren Auslegungsspielraums, den subjektiven oder den objektiven bzw. institutionellen Rechtsmissbrauch? Abschließend bleibt festzuhalten: Die Regelungen zum sachlichen Anwendungsbereich müssen geschärft, Überschneidungen beseitigt oder dadurch vereinfacht werden, dass ein größerer Kreis nationaler Rechtsvorschriften einbezogen wird, der eine einzelfallbezogene Rechtsprüfung vor der Meldung eines Verstoßes oder der Verarbeitung solcher Meldungen vereinfacht oder entbehrlich macht. Darüber hinaus muss der Rechtsmissbrauch in uni28
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
onsrechtskonformer Weise erfasst werden, wobei – wie nachfolgend aufzuzeigen ist – dabei auch die Überschneidungen zum GeschGehG bzw. zur Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (GeschGehRL) beachtet werden müssen.
b)
Persönlicher Anwendungsbereich
Kennzeichnung der Hinweisgeber: Der persönliche Geltungsbereich ist unklar und enthält Lücken gegenüber der Regelung in Art. 4 HinSchRL. Überlegenswert erscheint, den Wortlaut hier stärker an der Richtlinie auszurichten, ggf. den Wortlaut zu übernehmen, und allenfalls spezifische Klarstellungen vorzunehmen. So erfasst der Entwurf in § 3 Abs. 8 HinSchG-E neben Arbeitnehmern (einschließlich Leiharbeitnehmern) auch Organmitglieder und SoloSelbständige/Freelancer, die ein Unternehmen beschäftigt, aber wohl keine sonstigen „Vertragspartner“, die den Vertrag als juristische Person geschlossen haben, da nach § 1 Abs. 1 HinSchG-E nur „natürliche Personen“ im Zusammenhang mit „ihrer beruflichen Tätigkeit“ erfasst/geschützt werden (vgl. auch § 3 Abs. 8 HinSchG-E); aber es werden wiederum die Arbeitnehmer der „Vertragspartner“ erfasst (vgl. auch § 16 Abs. 1 HinSchG-E). Nicht erfasst werden auch Praktikanten, wenn sie nicht als „zur Berufsausbildung Beschäftigte“ qualifiziert werden können; Art. 4 HinSchRL ist hier weitergehender. Unklar ist auch die Einbeziehung ausgeschiedener Arbeitnehmer. Nach der Begründung sollen auch Aufsichtsratsmitglieder und Mitglieder von Arbeitnehmervertretungen erfasst sein, überdies Anteilseigner, d. h. Gesellschafter und ggf. Aktionäre. Da der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ für Aufsichtsratsmitglieder und Anteilseigner nur in Einzelfällen passen dürfte, sollte diesbezüglich eine Klarstellung in §§ 1, 3 Abs. 5 HinSchG-E erfolgen. Bei Arbeitnehmervertretern ist die Annahme einer Beschäftigung zum Teil selbstverständlich (Beispiel: Betriebsratsmitglieder), weil die Anstellung als Arbeitnehmer zum Teil Voraussetzung für die Wahlberechtigung ist, zum Teil aber keine Notwendigkeit (Beispiel: Gewerkschaftsvertreter als Aufsichtsratsmitglied). Kennzeichnung der Beschäftigungsgeber: Bei den Schwellenwerten für die betroffenen Beschäftigungsgeber sollte klargestellt werden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Ausland tätige Beschäftigte erfasst werden. Außerdem sollte klargestellt werden, ob Leiharbeitnehmer nur beim 29
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Verleiher oder auch beim Entleiher berücksichtigt werden. Der Wortlaut spricht derzeit für eine Berücksichtigung bei Verleiher und Entleiher. Bemerkenswert ist allerdings, dass die HinSchRL nur juristische Personen erfasst, §§ 3 Abs. 9, 12 HinSchG-E aber auch natürliche Personen, die Beschäftigungsgeber sind. Damit werden unabhängig von den Schwellenwerten gemäß § 3 Abs. 9 HinSchG-E als „Beschäftigungsgeber“ auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Privathaushalte erfasst, wenn dort Beschäftigte (z. B. Teilzeitbeschäftigte Reinigungskraft) oder SoloSelbständige (z. B. Nachhilfe, Babysitter) eingesetzt werden. Hier besteht zwar keine Pflicht zur Errichtung einer internen Meldestelle, weil der Schwellenwert in § 12 Abs. 2 HinSchG-E (50 Beschäftigte) im Zweifel nicht überschritten wird. Sonstige Regelungen einschließlich des Verbots von Repressalien nebst Beweislastumkehr finden aber auch in diesen Fallgestaltungen Anwendung, wenn in KMU bzw. Privathaushalten eine vermeintliche Straftat (z. B. Belästigung, Steuerhinterziehung) angezeigt und die hinweisgebende Person dann von dem KMU bzw. der Familie entlassen wird.
c)
Widerspruch zu Regelungen des GeschGehG
Geschäftsgeheimnisse können z. B. dann betroffen sein, wenn eine Meldung Verstöße zum Erwerb, Schutz oder Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses zum Gegenstand hat (Beispiel: Kartellabsprachen). Hier ist zum Schutz der hinweisgebenden Personen, aber auch zur Gewährleistung von Rechtssicherheit der betroffenen Beschäftigungsgeber, eine Harmonisierung und/oder Abgrenzung der unterschiedlichen Regelungen im GeschGehG und HinSchG-E erforderlich. Trotz offenkundiger Überschneidungen finden die Regelungen des GeschGehG und der GeschGehRL im Gesetzentwurf bislang noch keine ausreichende Berücksichtigung. Bisher wird in § 6 Abs. 1 HinSchG-E lediglich klargestellt, dass die Weitergabe eines Geschäftsgeheimnisses an eine zuständige Meldestelle oder dessen Offenlegung erlaubt ist, sofern die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder die Offenlegung des konkreten Inhalts dieser Informationen notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken, und die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Nrn. 2, 3 HinSchG-E erfüllt sind. Im Mittelpunkt steht insoweit die Konkurrenz zwischen den Regelungen des HinSchG-E und § 5 Nr. 2 GeschGehG. Danach fällt die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses bereits dann nicht unter die Verbote des § 4 GeschGehG, wenn dies zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens erfolgt und die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das 30
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse genügt also die objektive Eignung zum Schutz öffentlicher Interessen, um einen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen auszuschließen. Nach § 33 HinSchG-E wird der Hinweisgeber nach dem HinSchG-E aber nur geschützt, wenn (1) die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen und (2) die Informationen zugleich auch Verstöße im Anwendungsbereich der Richtlinie betreffen oder die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass das der Fall sei.
Das (objektive) öffentliche Interesse spielt bei vorrangig subjektiv bestimmter Rechtfertigung keine Rolle. Das gleiche gilt für § 35 Abs. 2 HinSchG-E, der – wiederum ohne Bezug zu § 5 Nr. 2 GeschGehG – darauf abstellt, ob der Hinweisgeber einen hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe der Informationen erforderlich war, um einen Verstoß aufzudecken. Hier geht es also nicht um die Annahme einer Richtigkeit der gemeldeten Informationen, sondern um die Erforderlichkeit der Meldung zur Offenlegung eines Verstoßes. Darüber hinaus erfasst § 5 Nr. 2 GeschGehG auch „sonstiges Fehlverhalten“, wodurch auch Aktivitäten miteinbezogen werden, die ein unethisches Verhalten darstellen, aber nicht notwendigerweise gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Als Beispiel hierzu werden Auslandsaktivitäten eines Unternehmens genannt, die in den betreffenden Ländern nicht rechtswidrig sind, aber dennoch von der Allgemeinheit als Fehlverhalten angesehen werden, wie z. B. Kinderarbeit oder gesundheits- bzw. umweltschädliche Produktionsbedingungen. Auch die systematische und unredliche Umgehung von Steuertatbeständen wird in der öffentlichen Diskussion häufig als unethisches Verhalten angesehen46. Dieses an „Redlichkeit“ und Ethik ausgerichtete Verständnis von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasst zwar auch Rechtsmissbrauch, weicht jedoch von den Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs ab, wie sie auch im Steuerrecht bei der Kennzeichnung von Umgehungstatbeständen über die Grundsätze zum Rechtsmissbrauch entwickelt wurden. Letztgenannte Maß46 BT-Drucks. 19/4724 S. 29.
31
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
stäbe sind aber nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 HinSchG-E für den Geltungsbereich des HinSchG maßgeblich.
d)
Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung
§ 7 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E bestimmt ein Wahlrecht des Hinweisgebers, ob die Meldung gegenüber einer internen oder externen Meldestelle erfolgt. Der Gesetzgeber verzichtet damit leider auf die Möglichkeit, sich auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 HinSchRL dafür einzusetzen, dass die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet. Diese Möglichkeit einer Bevorzugung wird auch durch § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E nicht geschaffen. Danach bleibt es der hinweisgebenden Person unbenommen, sich an eine externe Meldestelle zu wenden, wenn einem intern gemeldeten Verstoß nicht abgeholfen wird. Denn daraus folgt kein Vorrang des internen Meldeverfahrens, sondern nur die Möglichkeit, nach einer internen Meldung auch eine externe Meldung vorzunehmen. Das ist bedauerlich und berücksichtigt jedenfalls die Interessen der Beschäftigungsgeber nicht ausreichend. Denn aus der einem jeden Schuldverhältnis immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität (§ 241 Abs. 2 BGB) folgt die Verpflichtung, grundsätzlich – wenn nicht der Erfolg bereits infrage gestellt ist und/oder Repressalien drohen – eine Abhilfe bei Verstößen erst einmal intern zu versuchen. Dies gilt insbesondere dort, wo externe Meldungen in rechtsmissbräuchlicher Weise nur das Ziel verfolgen, die eigene Rechtsposition der hinweisgebenden Person in einer Auseinandersetzung mit dem Beschäftigungsgeber zu stärken, ohne dass ernstzunehmende Zweifel an der Bereitschaft des Beschäftigungsgebers bestanden hätten, den Verstoß zu beseitigen. Denn das Ziel einer Meldung spielt nach §§ 33 HinSchGE keine Rolle. Paradox wird der fehlende Vorrang einer internen Meldung insbesondere dort, wo gar keine internen Meldekanäle errichtet werden müssen. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob dort weiterhin – ggf. auf der Grundlage von § 241 Abs. 2 BGB – von dem Vorrang einer internen Meldung auszugehen ist oder ob dort – entsprechend § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E – ein Wahlrecht besteht.
32
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
Der Verzicht auf einen Anreiz zu interner Meldung gefährdet auch die Rechtspositionen von hinweisgebenden Personen, die trotz der Möglichkeit einer internen Meldung unmittelbar eine externe Meldestelle ansprechen. Dies macht auch die Entscheidung des EGMR vom 16.2.202147 deutlich. Mit dieser Entscheidung hat der EGMR die Kündigung eines Arztes bestätigt, der gegenüber einer externen Meldestelle vermeintlich verbotene Sterbehilfe angezeigt hatte. Wie sich allerdings im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung herausstellte, war dieser Vorwurf, der sich gegen den leitenden Arzt richtete, unbegründet. Das hätte bei einer sorgfältigen Vorbereitung der Anzeige, die schon für den Hinweisgeber selbst durch eine Einsichtnahme in die Patientenakte auch möglich gewesen wäre, vermieden werden können. Da die unmittelbare Anzeige gegenüber einer externen Meldestelle erheblich in die Rechtsposition des leitenden Arztes eingegriffen und ebenso einen schweren Verdacht gegen das Klinikum in den Raum gestellt hatte, hielt der EGMR die Anzeige auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Meinungsäußerung für unverhältnismäßig. Wäre die entsprechende Meldung unmittelbar erst einmal intern erfolgt, wäre im Zweifel kein Kündigungsgrund gegeben, auch wenn sich der Vorwurf nachträglich als unzutreffend herausgestellt hätte. Diesem grundsätzlichen Vorrang interner Meldewege entspricht auch § 17 Abs. 2 ArbSchG, der durch den vorliegenden Gesetzentwurf aber bislang nicht geändert werden soll. Danach können sich Beschäftigte, wenn sie aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht abhilft, an die zuständige Behörde wenden, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen. Dieser Widerspruch wird mit dem Gesetzentwurf aber nicht beseitigt. Im Gegenteil: In § 17 Abs. 2 ArbSchG soll eingefügt werden, dass die Regelungen des HinSchG unberührt bleiben. Damit hat der Hinweisgebende im Anwendungsbereich des HinSchG – abweichend von § 17 Abs. 2 ArbSchG – bei straf- und bußgeldbewehrten Verstößen oder rechtsmissbräuchlichem Handeln im Bereich des Arbeitsschutzes ein Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung, muss sich aber an die Meldestellen nach §§ 19 f. HinSchG-E wenden. Wenn der Verstoß gegen das Arbeitsschutzrecht nicht in den sachlichen Geltungsbereich des HinSchG fällt, muss wieder der Vorrang der internen Meldung beachtet werden. 47 EGMR v. 16.2.2021 – 23922/19, NZA 2021, 851 – Gawlik.
33
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Hilfreich wäre, wenn der Gesetzgeber – wie im Unionsrecht vorgesehen – selbst Anreize schaffen würde, vorrangig eine interne Meldung vorzunehmen. Falls dies nicht geschieht, sollte in § 7 HinSchG-E jedenfalls gestattet werden, dass Beschäftigungsgeber und Dienststellen, die zur Einrichtung interner Meldestellen verpflichtet sind, Anreize dafür schaffen können, dass sich hinweisgebende Personen vor einer Meldung an eine externe Meldestelle zunächst an die jeweilige interne Meldestelle wenden. Selbst wenn damit die Möglichkeit einer externen Meldung nicht beschränkt oder erschwert wird, fördert dies die Bereitschaft zur Meldung und begrenzt zugleich das Risiko des Beschäftigungsgebers, durch eine Falschmeldung Schäden zu erleiden.
e)
Kennzeichnung der externen Meldestellen
Bemerkenswert ist, dass das HinSchG-E nach § 1 HinSchG-E nur auf hinweisgebende Personen anwendbar ist, die die im Gesetz genannten Meldestellen nutzen oder in den Grenzen des Gesetzes eine Offenlegung vornehmen. Für den Bund soll insoweit eine Stelle für externe Meldungen beim BMJ eingerichtet werden (§ 19 HinSchG-E); darüber hinaus gibt es ergänzende Stellen (§§ 21 ff. HinSchG-E). Bei den Ländern soll es weitere Meldestellen geben (§ 20 HinSchG-E). Welche Rechtsfolgen gelten, wenn andere – externe – Stellen angesprochen und Regelverletzungen gemeldet werden, bleibt ebenso unklar wie bei internen Meldungen, die außerhalb der internen Meldekanäle oder wegen des berechtigten oder unberechtigten Fehlens interner Meldekanäle bei anderen Stellen erfolgen. Beispielhaft sei nur eine Meldung genannt, die über den Betriebsrat erfolgt. Die Beschränkung auf bestimmte Meldestellen ist sinnvoll, auch um eine Abgrenzung zur Offenlegung vorzunehmen. Unklar ist aber, ob ein Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße gegenüber der Öffentlichkeit (§§ 3 Abs. 5, 32 HinSchG-E) schon dann vorliegt, wenn die Meldung gegenüber Behörden im Bereich der Strafverfolgung, namentlich Staatsanwaltschaft und Polizei, erfolgt. Das lässt der Entwurf nicht erkennen, weil beide Stellen zwar einerseits keine externen Meldestellen sind, andererseits aber auch nicht mit der Öffentlichkeit gleichgesetzt werden dürfen. Hier ist eine Klarstellung notwendig.
f)
Verhältnis zwischen externer Meldung und Offenlegung
§ 32 HinSchG-E konkretisiert und erweitert die Möglichkeiten einer Offenlegung gegenüber dem heutigen Recht. Dabei ist die Offenlegung unrichtiger Informationen über Verstöße zwar verboten. Gleichwohl greift der Schutz der hinweisgebenden Person nach § 33 HinSchG-E bereits dann, 34
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
wenn die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen. Die damit verbundene Gefahr einer falschen Beschuldigung der von einer Offenlegung betroffenen Person muss zum Anlass genommen werden, die Voraussetzungen einer Offenlegung in § 32 HinSchG-E hinsichtlich der „Befürchtung von Repressalien durch eine externe Meldung“ klarzustellen und zugleich einzuschränken. Dabei ist klarzustellen, wann eine solche Befürchtung durch die Einbeziehung staatlicher Stellen gegeben ist. Bedenklich sind darüber hinaus weitere Rechtfertigungsgründe in § 32 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c HinSchG-E. Zum einen soll die Offenlegung zulässig sein, wenn externe Meldestellen (also die staatlichen Stellen) die für ihr Handeln in §§ 28, 29 HinSchG-E vorgesehenen Fristen nicht eingehalten und/oder die erforderliche Rückmeldung über Folgemaßnahmen nicht vorgenommen haben. Das ist durch Art. 15 HinSchRL nicht geboten und bewirkt bei falschen Informationen eine Schädigung der hiervon im Außenverhältnis betroffenen Beschäftigungsgeber, ohne dass Schadensersatz- oder Staatshaftungsansprüche gegeben sind. Dies ist umso kritischer, als die externe Meldestelle anonyme Meldungen nicht bearbeiten muss, aber auch insoweit in § 32 HinSchG-E keine Ausnahme vorgesehen ist. Verstärkt wird das Problem ebenfalls dadurch, dass der deutsche Entwurf nicht die Priorität der internen Meldung enthält. Bei fehlender Aktivität der internen Stelle ist das Unternehmen „selbst verantwortlich“, hier mag eine Offenlegung nachvollziehbar sein. Die damit verbundene Schädigung aber bereits beim Versagen der staatlichen Stellen zu gestatten, ist unangemessen. Problematisch – allerdings bereits in Art. 15 Abs. 1 lit. b ii HinSchRL angelegt – ist zum anderen der Umstand, dass eine Rechtfertigung für die Offenlegung auch dann gegeben sein soll, wenn ein hinreichender Grund für die Annahme bestanden hat, dass zwischen der externen Meldestelle und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten. Wann sollen solche Absprachen getroffen werden können? Warum sollen solche Absprachen legitimieren, Schadensersatzansprüche des betroffenen Beschäftigungsgebers auszuschließen? Auch wenn die grundsätzliche Regelung der Richtlinie zu übernehmen ist, erscheint es geboten, Grund und Inhalt solcher Absprachen weiter zu konkretisieren.
35
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
g)
Verhältnis zwischen Hinweisgeberschutz und Datenschutz
Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit dem Hinweisgeberschutz dürfte insbesondere § 26 Abs. 1 BDSG sein. Bei unternehmensübergreifenden Gestaltungen kommen darüber hinaus die Regelungen einer Konzernbetriebsvereinbarung und die Mechanismen der Auftragsverarbeitung in Betracht. Klärungsbedürftig ist das Verhältnis zwischen Hinweisgeber- und Datenschutzrecht. Hintergrund ist Art. 14 Abs. 1, 3 DSGVO. Danach muss eine von der Datenverarbeitung betroffene Person innerhalb eines Monats über die Quelle informiert werden, von der die Daten stammen. Verpflichtet dies losgelöst von den Regelungen des HinSchG-E eine Preisgabe der Identität des Hinweisgebers an den Beschuldigten, dessen Handeln Gegenstand der Meldung geworden ist? Außerdem ist klarzustellen, ob Meldungen oder Offenlegungen der hinweisgebenden Person, die Bestandteil der verantwortlichen Stelle ist, den Arbeitgeber zu Schadensersatz oder Bußgeld verpflichten können.
h)
Zulassung konzernbezogener Meldestellen
Wichtig ist, dass der Gesetzgeber – abweichend von der bisherigen Sichtweise der EU-Kommission – in § 14 HinSchG-E berechtigterweise erlauben will, dass innerhalb eines Konzerns eine übergreifende Meldestelle eingerichtet wird. Diese fungiert dann gegenüber den einzelnen Konzerngesellschaften als Dritter, wobei sicherzustellen ist, dass die notwendige Unabhängigkeit von der Konzernobergesellschaft bzw. der Gesellschaft gegeben ist, innerhalb welcher die Meldestelle als Dienstleistung erbracht wird. Die Meldestelle wird insoweit im Auftrag und in der Verantwortung der einzelnen Konzerngesellschaft tätig.
i)
Verbot von Repressalien – Beweislastumkehr
Das Benachteiligungsverbot und die Regelungen zur Beweislastumkehr in § 36 HinSchG-E sind im Grundsatz ebenso notwendig wie die Regelungen zum Schadensersatz in § 37 HinSchG-E. Dabei werden als Repressalien alle arbeitsrechtlichen Reaktionen erfasst, insbesondere Abmahnung, Kündigung, Versetzung, Wegnahme und Umverteilung von Aufgaben, soweit damit ein Nachteil des Beschäftigten verbunden ist (vgl. Art. 19 HinSchRL). Auch die Kündigung von Verträgen mit Solo-Selbständigen fällt darunter, über § 34 Abs. 2 HinSchG-E auch alle sonstigen Verträge mit juristischen Personen, denen der Hinweisgeber zugeordnet ist. Dies ist arbeitsrechtlich guter „Whistleblower“-Standard und zunächst nicht zu beanstanden. 36
Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
Aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit erscheint aber geboten, die Vermutung einer Repressalie klarstellend einzuschränken. Dabei sollte sichergestellt werden, dass es nicht genügt, wenn die Benachteiligung in zeitlicher Hinsicht „nach“ einer Meldung oder Offenlegung erfolgt. Hier fehlt eine zeitliche Begrenzung (Frist) oder inhaltliche Verknüpfung (sachlicher Zusammenhang) durch weitere (hinreichende) Umstände, die analog § 22 AGG jedenfalls die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Benachteiligung begründen. Damit würde Art. 21 Abs. 5 HinSchRL konkretisiert, der nur Benachteiligungen „infolge“ der Meldung/Offenlegung erfasst. Andernfalls müssen Beschäftigungsgeber befürchten, dass die Vermutung einer Benachteiligung nach einer Meldung für das gesamte Beschäftigungsverhältnis bis zum Erreichen der Altersgrenze besteht. Damit stehen schon dann Schadensersatzansprüche im Raum, wenn durch Personalmaßnahmen etwa 10 oder 15 Jahre danach (z. B. Bewertung persönlicher Ziele im Rahmen einer variablen Vergütung, Ablehnung einer Beförderung) Nachteile entstehen. Ebenfalls problematisch ist, dass §§ 33, 36 Abs. 1 HinSchG-E auch Mittäter der gemeldeten Taten, Teilnehmer daran oder jedenfalls organisatorisch (durch Unterlassen) verantwortliche Führungskräfte vor Repressalien schützen will, die den gemeldeten Verstoß kannten und „weggesehen“ haben und anschließend melden oder den Hinweisgeber bei der Meldung „unterstützen“. Im Gesetz sollte klargestellt werden, dass es für den Arbeitgeber/das Unternehmen möglich ist, gegen diese Personen wegen ihrer Tatbeiträge und eigenen Verstöße (arbeits-)rechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
j)
Schutz betroffener Personen
Ein Schutz der von Meldungen bzw. Offenlegungen betroffenen Personen erfolgt grundsätzlich nur dadurch, dass an verschiedenen Stellen (vgl. §§ 32 Abs. 2, 33 Abs. 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 Nr. 1, 38 HinSchG-E) „Falschmeldungen“ untersagt bzw. nicht geschützt werden. Unklar bleibt aber nach dem Wortlaut, ob dies auch für „leicht“ oder „mittel“ fahrlässige Falschmeldungen gilt oder nur ab der Schwelle der „groben Fahrlässigkeit“, wie nach § 38 HinSchG-E (Schadensersatz); in §§ 32, 33, 34 HinSchG-E ist die Formulierung unklar („hinreichender Grund zu der Annahme“). Damit überlässt der Entwurf die Schaffung von größerer Klarheit/Rechtsicherheit offenbar den (Arbeits- und Verwaltungs-)Gerichten. In § 38 HinSchG-E wird festgelegt, dass die hinweisgebende Person zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. Die darin liegende Haftungseinschränkung dürfte zwar gemäß Art. 23 Abs. 2 HinSchRL zulässig sein, zumal dort Sanktionen nur bei „wis37
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
sentlicher“ Falschmeldung vorgesehen sind, was im Zweifel sogar dolus directus 2. Grades verlangt, also „mehr“ als grobe Fahrlässigkeit. Insoweit liegt eine Verschärfung gegenüber der HinSchRL vor, die angesichts des durch den deutschen Entwurf insgesamt stark erweiterten Anwendungsbereichs und der Berechtigung zur sofortigen externen oder gar öffentlichen Meldung gerechtfertigt ist. Darin liegt aber kein ausreichender Schutz der betroffenen Person, wenn sich die Meldung als falsch erweist. Wenn der Gesetzgeber aus politischen Gründen die Einschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit wünscht, sollte jedenfalls der Begriff der groben Fahrlässigkeit geklärt werden. Dabei könnte festgelegt werden, dass von einer grob fahrlässigen Meldung bzw. Offenlegung unrichtiger Informationen auszugehen ist, wenn die hinweisgebende Person keinen hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass die gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E). Das vermeidet Unsicherheit über das Vorliegen hinreichender Gründe und möglicher Schadensersatzansprüche. Darüber hinaus erscheint es geboten sicherzustellen, dass auch innerhalb des Beschäftigungsverhältnisses die Unschuldsvermutung sowie Verteidigungsrechte, einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in die Personalakte, gewahrt werden können. Diese Befugnisse müssen auch im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses durch entsprechende Auskunftsansprüche gewährleistet werden, selbst wenn diese an den Vorbehalt des Art. 15 Abs. 4 DSGVO geknüpft werden müssen. Ergänzend hierzu ist in Bezug auf die externen Meldeverfahren sicherzustellen, dass die Identität betroffener Personen während der Dauer einer durch die Meldung oder Offenlegung ausgelösten Untersuchung unter Berücksichtigung von Art. 12, 17, 18 HinSchRL geschützt bleibt.
k)
Verbot abweichender Vereinbarungen
Nach § 39 HinSchG-E sind Vereinbarungen, die die Rechte hinweisgebender Personen oder der nach § 34 HinSchG-E zu geschützten Personen einschränken, unwirksam. Dieser Vorgabe ist zuzustimmen, allerdings sollte nicht nur klargestellt werden, dass die Vereinbarungen nur insoweit unwirksam sind. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen in Arbeitsverträgen, Richtlinien über die Einführung eines Hinweisgebersystems oder Betriebsvereinbarungen die Frage zur Folge hat, ob sich daraus die Unwirksamkeit der Gesamtvereinbarung oder nur eine teilweise Unwirksamkeit ergibt. Losgelöst davon ist klarzustellen, dass auch die Rechte der von einer Meldung betroffenen Personen nicht eingeschränkt werden dürfen. 38
Aktuelles zur Beschäftigung von ukrainischen Staatsbürgern
l)
Fazit
Der Gesetzentwurf bedarf einer Überarbeitung, um eine Vielzahl von Unklarheiten und Zweifeln zu beseitigen. Sie betreffen auch solche Unternehmen, die gar keine internen Meldekanäle errichten müssen oder entgegen der gesetzlichen Vorgabe errichtet haben. Hier ist zu klären, ob Hinweisgeber auch dann geschützt sind, wenn sie gleichwohl an einer selbst gewählten Stelle die interne Meldung vornehmen oder – gerade weil diese Stelle nicht besteht – unmittelbar eine externe Meldung veranlassen. Losgelöst davon sollten im weiteren Gesetzgebungsverfahren auch Lücken geschlossen werden, die derzeit noch erkennbar werden. Hierzu gehört auch der Umstand, dass der Entwurf bedauerlicherweise auf eine Regelung zu der Frage verzichtet, ob Beschäftigte zu einer Meldung verpflichtet sind oder verpflichtet werden können, wenn schwerwiegende Rechtsverletzungen in Rede stehen. Das ist bemerkenswert, geht die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur doch davon aus, dass auch aus der Pflicht zur Rücksichtnahme bzw. Loyalität (§ 241 Abs. 2 BGB) außerhalb strafrechtlicher Handlungspflichten sowie außerhalb spezialgesetzlicher Regelungen (z. B. § 16 Abs. 1 ArbSchG) keine Anzeigepflicht folgt. Entsprechende Handlungspflichten müssen daher individual- oder kollektivvertraglich begründet werden. Hier hätte der Gesetzgeber eine eigene Entscheidung treffen und die Beschäftigten auch vor unverhältnismäßigen Anzeigepflichten schützen können. Dabei sollte klargestellt werden, welche objektiven Verdachtsmomente eine Pflicht zur Meldung/Offenlegung in Bezug auf welche Schwere des Verstoßes rechtfertigen. Im Entwurf ungelöst bleibt auch das Problem für ComplianceOrganisationen, dass Arbeitnehmer etwas beim Betriebsrat melden, dort um Anonymität bitten und der Betriebsrat dann zwar „weitermeldet“, aber eine Ermittlung und „Folgemaßnahmen“ wegen der Anonymität unmöglich oder stark erschwert werden. Hier ist zu klären, ob der Betriebsrat mangels gesetzlicher Befugnisse nach dem BetrVG eine solche Vertraulichkeit zusagen darf oder ob er zur vollständigen Weitergabe verpflichtet ist. (Ga)
7.
Aktuelles zur Beschäftigung von ukrainischen Staatsbürgern
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind mittlerweile mehr als 800.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Indem der Rat der EU Anfang März sehr schnell die Schutzgewährungsrichtlinie 2001/55/EG aktiviert hat, hat er zumindest die aufenthaltsrechtliche Situati39
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
on der Geflüchteten in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU verbessert und vor allem deutlich vereinfacht.
a)
Aktuelle Erleichterungen im Bereich des Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisrechts
Ukrainische Staatsangehörige können auch dann, wenn sie keinen biometrischen Pass besitzen, mindestens bis zum 31.8.2022 ohne Visum nach Deutschland einreisen und sich für 90 Tage, mindestens jedoch bis zum 31.8.2022, in Deutschland aufhalten (§ 3 UkraineAufenthÜV)48. Eine Beschäftigung ist während des visumfreien Aufenthalts allerdings nicht zulässig. § 404 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 SGB III belegt Arbeitgeber bereits für die fahrlässige Beschäftigung eines Ausländers, dessen Aufenthaltstitel die Beschäftigung nicht erlaubt, mit einem Bußgeld. Arbeitgeber sollten daher in jedem Fall ihrer Pflicht aus § 4 a Abs. 5 AufenthG nachkommen, den Aufenthaltstitel zu prüfen und für die Dauer der Beschäftigung eine Kopie des Aufenthaltstitels aufzubewahren. Eine „Bescheinigung über den rechtmäßigen Aufenthalt“, wie sie die Ausländerbehörden teilweise in den Ankunftszentren ausgestellt haben, ist im Übrigen kein Aufenthaltstitel und erlaubt keine Beschäftigung. Ein besonderer Aufenthaltstitel speziell für die aus der Ukraine Geflüchteten wurde am 4.3.2022 beschlossen. Der Beschluss beruht auf einer gerade für solche Situationen geschaffenen Richtlinie, der sog. Schutzgewährungsrichtlinie 2001/55/EG49. Diese Richtlinie ist in Deutschland in § 24 AufenthG umgesetzt, der mit dem Inkrafttreten des Ratsbeschlusses50 – ebenfalls am 4.3.2022 – aktiviert wurde. Das BMI konkretisiert in seinem Rundschreiben vom 14.3.2022 zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine i. S. d. Art. 5 Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes51 für Deutschland den Kreis der Anspruchsberechtigten. Danach steht der Titel zum einen allen ukrainischen Staatsangehörigen zu, die vor dem 24.2.2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten, kurz vor dem 24.2.2022 in die EU eingereist sind oder sich bereits mit einem Aufenthaltstitel in 48 49 50 51
40
BAnz AT 8.3.2022 V1. ABl. EU 2001, L 212, 12. ABl. EU 2022, L 71, 1. ABl. EU 2022, L 71, 1.
Aktuelles zur Beschäftigung von ukrainischen Staatsbürgern
Deutschland aufhalten. Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich vor dem 24.2.2022 legal in der Ukraine aufgehalten haben und dort über eine gültige unbefristete oder befristete Aufenthaltserlaubnis verfügen, erhalten hingegen nur dann einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG, wenn sie entweder in der Ukraine internationalen Schutzstatus (z. B. Flüchtlingsschutz) haben oder nachweisen können, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Zudem erstreckt sich der Schutz auf bestimmte Familienangehörige dieser Personengruppen. Umfasst sind als Angehörige auch unverheiratete und gleichgeschlechtliche Partner. Anders als der Wortlaut des § 24 Abs. 6 AufenthG vermuten lässt, umfasst der Aufenthaltstitel ohne Weiteres auch eine Arbeitserlaubnis und wird daher regelmäßig mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit gestattet“ versehen. Erwerbstätigkeit bedeutet in diesem Fall zum einen selbständige Tätigkeit, etwa als Freelancer, und zum anderen jede Art der Beschäftigung; auf eine besondere Qualifikation kommt es nicht an. Auch die Tätigkeit für ein Zeitarbeitsunternehmen im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ist ohne Weiteres möglich. Letzteres ist deshalb eine Besonderheit, weil dieser Bereich Drittstaatsangehörigen ansonsten mit wenigen Ausnahmen verschlossen bleibt. Der Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erlaubt eine jederzeitige Aus- und Wiedereinreise aus der Ukraine sowie Aufenthalte von bis zu 90 Tagen im Zeitraum von 180 Tagen in anderen Staaten des Schengen-Raums. Es handelt sich jedoch nach wie vor um einen nationalen Aufenthaltstitel, der insbesondere die Erwerbstätigkeit nur in Deutschland erlaubt. Der Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG wird regelmäßig bis zum 4.3.2024 erteilt und kann dann voraussichtlich noch um ein Jahr verlängert werden.
b)
Fortbestehende Nutzung allgemeiner Aufenthaltstitel
Neben § 24 AufenthG stehen Geflüchteten aus der Ukraine als Grundlage für den Aufenthalt auch die regulären Aufenthaltstitel zur Verfügung. Diese sind jedoch in jedem Fall an höhere Voraussetzungen geknüpft und bringen zumindest mittelfristig, d. h. hinsichtlich ihres Umfangs, keine zusätzlichen Vorteile mit sich. Anders sieht es langfristig aus: Der Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG bietet keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt oder eine Niederlassungserlaubnis. Ist dies angestrebt, sollte rechtzeitig der Wechsel des Aufenthaltstitels vorbereitet werden. Ein solcher Wechsel kommt insbesondere dann in Betracht, wenn es sich bei dem ukrainischen Staatsangehö-
41
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
rigen um eine Fachkraft mit akademischem Abschluss oder einer Berufsausbildung handelt. Aufwendig ist dabei oft vor allem das Verfahren zur Feststellung der Gleichwertigkeit der ausländischen Qualifikation52, das bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) durchgeführt werden muss, wenn der entsprechend Abschluss nicht bereits vorgelistet53 ist. Speziell für die Ukraine erklärt die ZAB auf einem Informationsblatt54, welche Abschlüsse überhaupt bewertet werden können. Bei anderen Abschlüssen kommt als Alternative eine berufliche Anerkennung in Betracht, die in Deutschland, falls erforderlich, durch berufspraktische Erfahrungen ergänzt werden kann. Wichtigste Grundlage für einen Aufenthaltstitel bleibt für die Mehrheit der aus der Ukraine geflüchteten Menschen die Sonderregelung des § 24 AufenthG. Eine langfristige Bleibeperspektive ist hingegen nur über Aufenthaltstitel für Fachkräfte und ihre Familienangehörigen zu erlangen. Entsprechende Anträge sollten aufgrund des mitunter aufwendigen Verfahrens rechtzeitig vorbereitet werden. (Tä-Mo)
8.
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen
Im April 2022 hat das BMAS den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2019/2121/EU (Umwandlungsrichtlinie) zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen vorgelegt. Die Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie in innerstaatliches Recht muss bis zum 31.1.2023 erfolgen. Wir hatten über die Richtlinie bereits in der Vergangenheit berichtet55. Aus arbeitsrechtlicher Sicht stehen im Mittelpunkt des Entwurfs die Regelungen zur Sicherung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die von solchen Umwandlungen betroffen sind. Dabei geht es im Wesentlichen darum, auf den zur Gründung einer SE entwickelten Grundsätzen aufbauend eine Ver52 Vgl. https://www.kmk.org/zab/zeugnisbewertung.html. 53 Vgl. https://anabin.kmk.org/anabin.html. 54 Vgl. https://www.kmk.org/fileadmin/pdf/ZAB/Zeugnisbewertungen/Einzureichende_ Dokumente/Ukraine_Zeugnisbewertung_Dokumente.pdf. 55 B. Gaul, AktuellAR 2020, 71 ff.
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Geplante Veränderungen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung
handlungslösung in Kraft zu setzen, die erst bei einem Scheitern der Verhandlungen durch eine gesetzliche Auffangregelung zur Sicherung erworbener Mitbestimmungsrechte („Vorher-Nachher-Prinzip”) ergänzt wird. Bemerkenswert daran ist, dass Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene nicht erst dann zu führen sind, wenn an der Umwandlung Rechtsträger beteiligt sind, bei denen die für diese Unternehmensmitbestimmung erforderlichen Schwellenwerte bereits überschritten wurden und eine entsprechende Arbeitnehmerbeteiligung besteht. Vielmehr genügt für eine Verhandlungspflicht, dass im Unternehmen bzw. Konzern mindestens 4/5 der im Recht des Mitgliedstaats der von der Umwandlung betroffenen Gesellschaft festgelegten Schwellenwerte für eine solche Mitbestimmung der Arbeitnehmer erreicht werden. Scheitern die Verhandlungen, bewirkt dies aber nicht, dass als Folge dieser Umwandlung auch unterhalb der Schwellenwerte eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat erfolgen muss. Vielmehr bleibt es dann bei einer Übernahme des bisherigen Status, in dem keine Unternehmensmitbestimmung vorgesehen ist. Der Gesetzentwurf ist nicht nur mit Änderungen des MgVG und Folgeänderungen in anderen Rechtsvorschriften (z. B. SCEBG, AktG) verbunden. Die wesentlichen Regelungen werden in einem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG) festgelegt. Dabei soll sich am Recht der SE und der grenzüberschreitenden Verschmelzung orientiert werden. Durch den weitgehenden Verzicht auf Verweisungen soll gleichzeitig die Rechtsanwendung erleichtert werden. Das Gesetzgebungsverfahren ist bislang noch nicht eingeleitet worden. Wir werden darüber berichten. (Ga)
9.
Geplante Veränderungen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung
Nach den Feststellungen im Koalitionsvertrag56 sollen die bestehenden Regelungen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung nicht nur bewahrt, sondern zugleich missbräuchliche Umgehungen des geltenden Mitbestimmungsrechts verhindert werden. Darüber hinaus will sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird. Dazu gehört nach den Feststellungen im Koalitionsvertrag auch
56 Koalitionsvertrag S. 71 f.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
die Absicht, Regelungen zu schaffen, die einer vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften entgegenstehen (Einfriereffekt). Ergänzend hierzu soll die Konzernzurechnung aus dem MitbG auf das DrittelbG übertragen werden, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt. Hiervon ausgehend wird man nicht nur damit rechnen müssen, dass die Zurechnungsregelungen aus § 5 Abs. 1 MitbG in die Drittelbeteiligung übernommen werden und an die Stelle von § 2 Abs. 2 DrittelbG treten. Denkbar ist auch, dass die Fiktion einer Steuerung, wie sie mit § 5 Abs. 3 MitbG für den Fall einer mittelbaren Steuerung durch eine Gesellschaft erfolgt, die eigentlich nicht als Konzernobergesellschaft qualifiziert werden kann, weil die Konzernobergesellschaft selbst nicht in den gesetzlichen Geltungsbereich fällt, auf das DrittelbG übertragen wird. Dass weitergehend auch die Besonderheiten, die § 4 MitbG in Bezug auf die KG bestimmt, auch für Unternehmen oder Konzerne übernommen werden, die nur die Schwelle von 500 Arbeitnehmern überschreiten, ist jedenfalls im Koalitionsvertrag selbst nicht ausdrücklich vorgesehen. Ausgeschlossen erscheint dies aber nicht. Eine Absenkung des Schwellenwerts für die paritätische Mitbestimmung (2.000 Arbeitnehmer), wie sie die Gewerkschaften derzeit wohl fordern, ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart worden. Es bleibt daher zu hoffen, dass von dieser Überlegung Abstand genommen wird. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Ausgewogenheit, wie sie derzeit zwischen Drittelbeteiligung einerseits und paritätischer Mitbestimmung andererseits besteht, verloren geht. Ob es dem Gesetzgeber gelingt, weitergehende Veränderungen auch in Bezug auf das Recht der SE vorzunehmen, erscheint allerdings zweifelhaft. Denn hier geht es nicht nur darum, nationales Recht anzupassen. Vielmehr müsste auch die zugrunde liegende Richtlinie 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der SE hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer geändert werden. Die dafür erforderliche Mehrheit der übrigen Mitgliedstaaten dürfte nicht erreicht werden. Hiervon ausgehend bleibt die SE ein Modell, mit dem jedenfalls das bestehende Mitbestimmungsstatut festgeschrieben werden kann. Da insoweit aber grundsätzlich das Statut maßgeblich ist, das jedenfalls bis zum Abschluss der Verhandlungen über die Beteiligungsvereinbarung hätte zur Anwendung kommen müssen (Vorher-Nachher-Prinzip), wird man rechtzeitig mit einer entsprechenden Umwandlung beginnen müssen, wenn damit die fehlende Mitbestimmung eines Unternehmens bzw. die (bloße) Anwendung der Drittelbeteiligung perpetuiert werden soll. (Ga)
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Änderungen im arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren
10. Änderungen im arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren Mit der Dritten Verordnung zur Änderung von Vordrucken für das arbeitsgerichtliche Mahnverfahren, die am 26.5.202257 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber eine Fortentwicklung der Vordrucke für das arbeitsgerichtliche Mahnverfahren entsprechend den heutigen Möglichkeiten und Erfordernissen des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vorgenommen. Damit hält die Digitalisierung auch in diesem Bereich Einzug in das arbeitsgerichtliche Mahnverfahren. Die Umsetzung erfolgt sodann auf Länderebene und entspricht den für die Gerichtsvollzieher- und Zwangsvollstreckungsformulare geltenden Regelungen. (Ga)
11.
Neue Wahlordnung zum SprAuG
Rechtzeitig zur Durchführung der Neuwahlen zum Sprecherausschuss im Frühjahr 2022 hat der Gesetzgeber die Wahlordnung zum SprAuG (WOSprAuG) angepasst. Veränderungen, die bereits im Zusammenhang mit der neuen Wahlordnung zum BetrVG vorgenommen wurden, über die wir berichtet hatten58, wurden damit nachgezeichnet. Mit der Neuregelung ist dem Wahlvorstand die Möglichkeit eingeräumt worden, Sitzungen per Video- und Telefonkonferenz durchzuführen. Wählerlisten konnten noch am Tag der Wahl bis zum Abschluss der Stimmenabgabe korrigiert werden. Soweit bekannt war, dass Beschäftigte aufgrund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses im Zeitpunkt der Wahl oder aufgrund anderer Umstände längere Zeit nicht im Betrieb anwesend sind und somit von der Wahl keine Kenntnis erlangen können, durfte der Wahlvorstand ohne gesondertes Verlangen die Wahlunterlagen zusenden. Diese Neuregelung hat auch und insbesondere als Folge der zunehmenden Arbeit im Homeoffice schon bei den Betriebsratswahlen große Bedeutung erlangt. Die Neuregelung ist am 28.1.2022 in Kraft getreten59. (Ga)
12. Gesetzentwurf zur mobilen Arbeit Im Koalitionsvertrag hatten die Parteien der Bundesregierung noch angekündigt, eine gesetzliche Regelung zur mobilen Arbeit vorzulegen. Dabei 57 BGBl. I 2022, 823. 58 B. Gaul, AktuellAR 2021, 13 ff. 59 BGBl. I 2022, 69.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
sollten Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten einen Erörterungsanspruch erhalten, wenn der Wunsch nach mobiler Arbeit bzw. Homeoffice geäußert wird. Arbeitgeber sollten dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Damit war allerdings keine mit § 8 TzBfG vergleichbare Rechtfertigung gemeint. Vielmehr sollte es ausreichend sein, dass eine Ablehnung „nicht sachfremd oder willkürlich” vorgenommen wird60. Obwohl das BMAS bereits am 14.1.2021 – also noch in der vergangenen Legislaturperiode – den Entwurf eines Gesetzes zur mobilen Arbeit (MobileArbeit-Gesetz – MAG) vorgelegt hatte, der nicht zur Umsetzung kam61, liegt bislang kein erneuter Gesetzentwurf vor. Offenbar gibt es nicht nur Diskussion über die Frage, ob nicht doch strengere Anforderungen an die Gründe des Arbeitgebers gestellt werden sollen, auf deren Grundlage der Wunsch nach mobiler Arbeit bzw. Homeoffice abgelehnt werden kann. Außerdem besteht anscheinend Streit über die Frage, in welchem Umfang der Arbeitgeber für die Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit auch im Zusammenhang mit mobiler Arbeit bzw. Homeoffice verantwortlich sein soll62. Wir hatten hierzu bereits früher Stellung bezogen63. In dem Gesetzentwurf zum MAG hatte das BMAS 2021 noch eine klare Entscheidung vermieden. Dort hatte es lediglich festschreiben wollen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Beginn der mobilen Arbeit in Textform darüber informieren müsse, wie seine Sicherheit und Gesundheit gewährleistet werde. Im Übrigen sollten die Regelungen des Arbeitsschutzes aber unberührt bleiben, was den Streit über die Frage, ob und ggf. in welcher Weise der Arbeitsschutz auch außerhalb der ArbStättV im Homeoffice bzw. bei mobiler Arbeit zur Anwendung kommt, auf die Ebene der Arbeitsgerichte verlagert hätte. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit wäre bei einer gesetzlichen Neuregelung nicht akzeptabel. Vielmehr erscheint es auch mit Blick auf die allgemeine Bedeutung von mobiler Arbeit geboten, unabhängig von etwaigen Regelungen zu einem Rechtsanspruch auf mobile Arbeit im ArbSchG, in § 618 BGB und/oder den Regelungen der ArbStättV klarzustellen, welche arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen den Arbeitgeber im Zusammen-
60 61 62 63
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Koalitionsvertrag S. 69. B. Gaul, AktuellAR 2021, 37 ff. Vgl. hierzu auch Dix, ARP 2022, 74; Häfeli, ARP 2022, 24. B. Gaul, AktuellAR 2020, 365 ff., 2021, 37; B. Gaul/Rindone, ZAU 2022, 228.
Gesetzliche Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeit
hang mit diesen Arbeitsformen auch außerhalb des Betriebs treffen können. (Ga)
13. Gesetzliche Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeit Noch immer gibt es keinen Gesetzentwurf, der unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH im Urteil vom 14.5.201964 eine Verpflichtung des Arbeitgebers begründet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Wir hatten über die daraus resultierenden Folgen im Anschluss an die EuGH-Entscheidung bereits mehrfach berichtet65. Damit verbunden dürfte dann auch eine Änderung von § 16 Abs. 2 ArbZG sein. Soweit das BMAS in einem Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung von Januar 2022 noch Dokumentationspflichten für den Bereich der geringfügigen Beschäftigung (§ 17 Abs. 1 MiLoG) und der Arbeitnehmerüberlassung (§ 17 c Abs. 1 AÜG) vorgesehen hatte, sind diese Überlegungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegeben worden. Dies ist zu begrüßen, sah der Entwurf doch vor, dass der Arbeitgeber bzw. Entleiher verpflichtet sein sollte, den Beginn der täglichen Arbeitszeit jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt elektronisch aufzubewahren. Diese Vorgabe aber war völlig unangemessen und hätte insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen in unverhältnismäßiger Weise belastet. Dies gilt umso mehr, als der EuGH in seinem Urteil vom 14.5.201966 unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen vom 31.1.201967 ausdrücklich klargestellt hat, dass es dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleibt, die konkreten Modalitäten festzulegen, die eine einfache Kontrolle der Einhaltung der Regeln über die Arbeitszeiten 64 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683. – CCOO. 65 B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff., 113 ff., 417, 2020, 131 ff., 465 ff., 2021, 36 ff., 139 ff. 66 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 63 – CCOO. 67 Generalanwalt EuGH v. 31.1.2019 – C-55/18 n. v. (Rz. 86 f.).
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gestatten. Damit verbunden war der Hinweis, dass die derzeitige Technologie verschiedene Systeme zur Erfassung der Arbeitszeit ermögliche (Aufzeichnungen in Papierform, Computerprogramme, elektronische Zutrittsausweise), wobei diese Systeme auch nach den Besonderheiten und Erfordernissen der einzelnen Unternehmen unterschiedlich sein könnten. Im Hinblick darauf war es nicht überzeugend, im Bereich der geringfügigen Beschäftigung bzw. der Arbeitnehmerüberlassung eine Form der Arbeitszeiterfassung festzuschreiben, die der Gesetzgeber in der GSA Fleisch festgelegt hatte, weil er dort besondere Missbrauchsgefahren gesehen hatte. Wir hatten bei früherer Gelegenheit über diese Neuregelungen als Folge des Arbeitsschutzkontrollgesetzes berichtet68. Die Gefahren, die der Gesetzgeber im Bereich der Fleischwirtschaft gesehen hatte, sind bei geringfügiger Beschäftigung und/oder Arbeitnehmerüberlassung nicht gegeben. Damit ist es geboten, die unionsrechtlichen Vorgaben in einer Weise umzusetzen, die mit geringeren Belastungen der Unternehmen verbunden ist, aber Arbeitnehmern, Arbeitnehmervertretern und Behörden gleichwohl eine einfache Möglichkeit bietet, eine Einhaltung der Schranken des Arbeitszeitrechts nachzuvollziehen. Ob die Vorgaben des EuGH – wofür wohl die besseren Gründe sprechen – über Art. 31 Abs. 2 GRC bzw. eine unionsrechtskonforme Auslegung von §§ 241 Abs. 2, 618 BGB, 3 ff. ArbSchG bereits heute auch innerhalb einer privatrechtlich organisierten Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind oder ob arbeitgeberseitig eine Umsetzung durch den Gesetzgeber abgewartet werden kann69, ist weiter offen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Feststellungen des BAG im Urteil vom 4.5.202270, auf das wir an anderer Stelle hingewiesen hatten71. Denn in diesem Urteil hat das BAG – in Übereinstimmung mit dem LAG Niedersachsen – lediglich klargestellt, dass die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG, auf die sich die vorstehend genannte EuGHEntscheidung bezieht, im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Vergütung von Überstunden keine Bedeutung hat. Daran anknüpfend kann aus einer Missachtung arbeitsschutzrechtlicher Vorgaben auch nicht auf eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer Klage auf Überstundenvergütung geschlossen werden. Feststellungen zu der
68 69 70 71
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B. Gaul, AktuellAR 2021, 29 ff. Zum Meinungsstand vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 480 ff., 2021, 29 ff. BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21 n. v. Boewer, AktuellAR 2022, 141 ff.
Vorschläge des DGB zur Modernisierung des BetrVG
Frage, ob die Feststellungen des EuGH im Bereich des Arbeitsschutzrechts unmittelbar zu beachten sind, hat das BAG nicht treffen müssen. (Ga)
14. Vorschläge des DGB zur Modernisierung des BetrVG Im Frühjahr 2022 hat der DGB einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zu einer Diskussion über eine Modernisierung des BetrVG führen soll72. An einigen Stellen des Entwurfs ist tatsächlich eine Modernisierung der Betriebsverfassung beabsichtigt, mit der neuen Organisationsformen der Unternehmen und den Folgen der Digitalisierung Rechnung getragen werden soll. Beispielhaft sei auf das elektronische Zugangsrecht der Gewerkschaften (§ 2 BetrVG), die Einbeziehung der Matrix-Organisation in die Gestaltungsmöglichkeiten durch Tarifvertrag (§ 3 BetrVG), die Einbeziehung internationaler Formen der Zusammenarbeit (§ 40 Abs. 1 BetrVG) oder die Möglichkeit der Abwicklung von Informationsverpflichtungen durch die Einräumung eines Zugangs des Betriebsrats zu elektronisch abgespeicherten Dateien (§ 80 Abs. 2 BetrVG) verwiesen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die hierzu entwickelten Vorschläge ohne Weiteres überzeugen können. Ein großer Teil der vorgeschlagenen Änderungen erscheint indes unpraktikabel, in sich widersprüchlich und ist durch den Gedanken getragen, dass nur ein umfassendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Bezug auf alle denkbaren Fallgestaltungen eines Arbeitsverhältnisses einer modernen Form der Zusammenarbeit der Betriebsparteien entspricht. Hiervon ausgehend können viele Vorschläge, die der Entwurf enthält, in dieser Form nicht überzeugen. Sie erhöhen die Komplexität des BetrVG in einer Weise, die arbeitgeberseitig in der täglichen Zusammenarbeit nicht mehr berücksichtigt werden kann. Die Veränderungen führen auch zu einem Stillstand der betrieblichen Tätigkeit, wenn die in diesem Zusammenhang erforderliche Zustimmung durch den Betriebsrat nicht erteilt wird. Denn fast immer ist als Konfliktlösungsmittel die Einigungsstelle vorgesehen, was – losgelöst von den damit verbundenen Kosten – bereits aus zeitlichen Gründen nicht funktioniert. Lediglich beispielhaft sei verwiesen auf Beteiligungsrechte und Vermutungsregeln im Zusammenhang mit streitigen Veränderungen der Betriebsstruktur (§§ 1 Abs. 4, 17 Abs. 5, 21 a BetrVG), den allgemeinen Unterlas72 AuR 2022, Sonderausgabe April.
49
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
sungsanspruch bei Maßnahmen, die ein Recht des Betriebsrats, sei es auch mittelbar, beeinträchtigen können (§ 74 Abs. 2 BetrVG), die Einbeziehung des Betriebsrats bei allen Personal- und Vorstellungsgesprächen (§§ 82 Abs. 3, 99 Abs. 1 BetrVG) sowie die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte in § 87 BetrVG auf • Maßnahmen zum Schutz der Würde und der Persönlichkeitsrechte Einzelner, • Maßnahmen des betrieblichen Datenschutzes, • Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgleichheit, • Maßnahmen, die geeignet sind, dem Umwelt- und Klimaschutz zu dienen, • Gestaltung der Kommunikations- und Beteiligungsprozesse des Arbeitgebers mit den Arbeitnehmern, insbesondere im Hinblick auf Befragungen der Beschäftigten und allgemeine Regeln für Personalgespräche, • Planung, Gestaltung und Änderung der Arbeitsplätze, der Arbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation, einschließlich der Arbeitsverfahren und der Arbeitsabläufe.
§ 90 BetrVG soll im Hinblick darauf aufgehoben werden. Losgelöst davon ist eine ganz erhebliche Ausweitung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Maßnahmen der Beschäftigungssicherung (§ 92 a BetrVG) sowie bei Kündigungen (§ 102 BetrVG) und Betriebsänderungen (§§ 111 f. BetrVG) vorgesehen. Im Ergebnis wird damit die Freiheit des Arbeitgebers aufgehoben, in wirtschaftlichen Angelegenheiten eine unternehmerische Entscheidung im Zweifel auch ohne Zustimmung des Betriebsrats durchsetzen zu können. So ist im Entwurf des DGB auch vorgesehen, dass eine fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Interessenausgleich durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden soll. Die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber die Betriebsänderung bei einem Scheitern der Verhandlungen über den Interessenausgleich auch gegen den Willen des Betriebsrats durchsetzen kann, soll damit entfallen. Erstaunlich ist, dass die aktuellen Regelungen zur Vergütung der Betriebsräte im Entwurf im Wesentlichen unverändert bleiben. Es ist lediglich vorgesehen, dass bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und der allgemeinen Zuwendungen auch die bei Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen wie auch die auf Dauer wahrgenommenen Aufgaben zu berücksichtigen sind (§ 37 Abs. 4 BetrVG). Der darin liegende 50
Vorschläge des DGB zur Modernisierung des BetrVG
Widerspruch, dass gleichzeitig weiterhin auf die Entwicklung des Arbeitsentgelts vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung abgestellt werden soll, wird indes im Gesetzentwurf nicht aufgehoben. Nicht überraschend ist, dass weitere Veränderungen vorgesehen sind, mit denen die Möglichkeit erleichtert werden soll, Betriebsräte zu errichten. Damit verbunden ist auch eine Verschärfung des Kündigungsschutzes der dabei beteiligten Arbeitnehmer73. Darüber hinaus sieht der Entwurf vor, dass Gesamt- und Konzernbetriebsrat ihre Zuständigkeit auch auf die nachgeordneten Ebenen delegieren können. Das ist derzeit nicht möglich. Die vorgeschlagene Neuregelung überzeugt indes nicht. Sie steht im Widerspruch zu der These, dass die Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats nur gegeben ist, wenn eine Angelegenheit ihrer Natur nach ausschließlich durch einen betriebs- oder unternehmensübergreifenden Arbeitnehmervertreter geregelt werden kann. Dies schließt begriffslogisch eine Delegation auf betriebs- bzw. unternehmensbezogene Arbeitnehmervertreter aus, weil diese im Rahmen ihrer Zuständigkeit die sich aus der Natur der regelungsbedürftigen Angelegenheit ergebenden Fragen mit Verbindlichkeit für die Arbeitsvertragsparteien gar nicht regeln können. Vor diesem Hintergrund überzeugt es ebenso wenig, wenn der Entwurf vorsieht, dass die örtlichen bzw. unternehmensbezogenen Arbeitnehmervertreter dann originär zuständig sein sollen, wenn der Gesamtbetriebsrat von seinem Mitbestimmungsrecht keinen Gebrauch macht bzw. ein Konzernbetriebsrat nicht gebildet wurde (§§ 50, 58 BetrVG). Losgelöst davon, dass viele Vorschläge in dem vorgelegten Gesetzentwurf unausgewogen und nur schwer praktikabel erscheinen, ist zu begrüßen, dass der DGB damit noch einmal die Diskussion über eine Modernisierung der Betriebsverfassung eingeleitet hat. Diese Modernisierung hätte eigentlich bereits in den vergangenen Jahren erfolgen sollen, sollte aber – wenn sie jetzt nachgeholt wird – auf die wesentlichen Aspekte einer Digitalisierung der Zusammenarbeit der Betriebsparteien, Beteiligungsrechte bei neuen Arbeitsformen und Besonderheiten unternehmensübergreifender Organisationsformen beschränkt werden. (Ga)
73 Vgl. nur §§ 17 Abs. 1 a, 20 BetrVG.
51
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
15. Neue Entwicklungen zum Beschäftigtendatenschutz Im Koalitionsvertrag hatten die Parteien der Bundesregierung vereinbart, dass geprüft werden soll, ob der Arbeitnehmerdatenschutz zum Gegenstand eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes gemacht werden soll. Vor diesem Hintergrund hatte das BMAS einen interdisziplinären Beitrat zum Beschäftigtendatenschutz einberufen, der am 17.1.2022 seine Thesen und Empfehlungen zur Fortentwicklung des Beschäftigtendatenschutzes übergeben hat. Darin wird eine umfassende Überarbeitung und Konkretisierung des Beschäftigtendatenschutzrechts einschließlich einer Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats für erforderlich gehalten. Es steht zu erwarten, dass das BMAS diese Anregungen aufgreifen und einen Entwurf zu einem Beschäftigtendatenschutz vorlegen wird. Wie diese Regelungen aussehen könnten, zeigt der Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes, den der DGB im Frühjahr 2022 vorgelegt hat. (Ga)
16. Gesetzentwurf zur Änderung des AGG Im April 2022 haben SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AGG in den Bundestag eingebracht74. Mit dem Gesetzentwurf soll eine umfassende Neuregelung in Bezug auf die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erfolgen. Dafür wird ein Unabhängiger Bundesbeauftragter für Antidiskriminierung geschaffen, dem die Leitung übertragen wird. Gleichzeitig sind umfangreiche Regelungen zu seinen Aufgaben und zur Gewährleistung seiner Unabhängigkeit vorgesehen. (Ga)
74 BT-Drucks. 20/1332.
52
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
1.
Vorschlag der EU-Kommission zu einer Richtlinie zur Plattformarbeit
a)
Plattformarbeit als (neues) Geschäftsmodell
Im Rahmen der Digitalisierung der Arbeitswelt wird die Plattformarbeit zunehmend an Bedeutung gewinnen. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Crowdworking1 bringt sie bringt neue Geschäftsmodelle und somit auch neue Einkommensmöglichkeiten hervor und ergänzt den „New WorkProzess“ um eine weitere, innovative Form der Arbeitsorganisation. Im Kern lässt sich Plattformarbeit dadurch beschreiben, dass im Rahmen digitaler Plattformen natürliche und juristische Personen mit potenziellen Arbeitskräften zusammengebracht und mittels ebendieser digitaler Plattformen Arbeitsaufträge verteilt werden. Dem Spektrum an Arbeiten, die über digitale Plattformen verteilt werden, sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Die Arbeit kann direkt vor Ort oder unabhängig hiervon „remote“ erbracht werden. Kleinteilige, einfache Arbeiten werden im Zusammenhang mit dem Crowdworking auch als „Mikrotasks“, komplexe und vielschichtige Tätigkeiten als „Makrotasks“ bezeichnet. Das Crowdworking ist eine Form der Arbeitsteilung (ermöglicht durch den Einsatz digitaler Medien), bei der eine Arbeitsaufgabe in viele kleine zu erledigende Arbeitsschritte aufgeteilt und durch unterschiedliche Crowdworker erledigt wird. Im Rahmen des internen Crowdworking setzt das die Arbeit abrufende Unternehmen ausschließlich eigene Mitarbeiter ein, die über eine unternehmenseigene digitale Plattform zusammenarbeiten. Diese Form des Crowdworking ist für die folgenden Ausführungen nicht relevant. Vielmehr geht es um das externe Crowdworking, bei dem Arbeitsaufträge über eine externe digitale Plattform an externe Dritte vergeben werden. In dieser Konstellation, in der mindestens drei verschiedene Parteien (Plattformbetreiber, Plattformnutzer, Plattformauftraggeber) beteiligt sind, lassen sich – wenn man die Rechtsstellung des Plattformnutzers im Auge hat – im Wesentlichen zwei verschiedene Vertragsbeziehungen differenzieren: In der ersten Variante wird die Plattform durch einen Dritten betrieben, der „über Eck“ auf technische Weise eine vertragliche Beziehung zwischen Plattform-
1
Hierzu vgl. Heckelmann, NZA 2022, 73; Riesenhuber, ZFA 2021, 5.
53
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
auftraggeber und Plattformbeschäftigten vermittelt. Über den Vertragsabschluss und den Inhalt der Vertragsbeziehung entscheiden grundsätzlich die Vertragspartner selbst. Der Plattformbetreiber hat darauf keinen Einfluss; er könnte aber den Zugang zur Plattform steuern (z. B. Begrenzung auf Mitglieder oder auf Personen mit einer bestimmten Ausbildung). In der zweiten Variante betreibt der Plattformauftraggeber die Plattform selbst und steuert damit „in eigener Regie“ den Vertragsabschluss, den Inhalt des Vertrags und ggf. auch die Modalitäten der Vertragsabwicklung. Die Plattform ist also ein technisches Betriebsmittel des Plattformauftraggebers, der – wenn ein Arbeitsverhältnis in Rede steht – auch Arbeitgeber des Plattformbeschäftigten ist.
b)
Bedeutung für die Arbeitswelt
In einer zunehmend digital werdenden Arbeitswelt stellt die Plattformarbeit einen wichtigen und notwendigen Bestandteil dar, der bereits jetzt schon die deutsche Gerichtsbarkeit beschäftigt2. Ihre Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt wird auch weiter zunehmen. Denn die Plattformarbeit bietet Chancen auf beiden Seiten: Für den Plattformnutzer ist es eine Möglichkeit, ohne großen Aufwand und ortsunabhängig an lukrative Aufträge zu gelangen und sich hierdurch einen niedrigschwelligen Einstieg in neue Einkommensfelder zu erschließen. Für die Unternehmen als Auftraggeber kann die Inanspruchnahme von Plattformarbeit dazu genutzt werden, interne Kapazitäten zu schonen bzw. anderweitig zu nutzen und Aufträge flexibel zu vergeben. Allerdings darf die Plattformarbeit nicht dazu führen, dass die bloße Reduktion bzw. der Verzicht auf interne Ressourcen bei gleichbleibender Handhabung und Organisation der Tätigkeiten zu einer unregulierten Nutzung externer Kapazität führt. Hierzu gehört auch die Frage, ob die heutigen Regelungen in § 611 a BGB und die dahingehende Rechtsprechung genügen, auch unter Berücksichtigung der technischen Besonderheiten das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit Plattformarbeit3 bzw. unter Berücksichtigung der im Sozialversicherungsrecht entwickelten Kriterien das Vorliegen einer unselbständigen Beschäftigung festzustellen.
c)
(Aktueller) unionsrechtlicher Rahmen
Es bedarf daher verbindlicher Spielregeln und Vorgaben, die die EUKommission mit dem Entwurf einer Richtlinie zur Verbesserung der Ar-
2 3
54
Vgl. BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552. Vgl. BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552.
Vorschlag der EU-Kommission zu einer Richtlinie zur Plattformarbeit
beitsbedingungen in der Plattformarbeit vom 9.12.2021 (PFARL-V) auf den Weg bringen will4. Auf diese Weise soll es gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten möglich sein, einheitliche Regelungen zum Schutz der hiervon betroffenen Beschäftigten unabhängig davon zu erreichen, ob eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit vorliegt. Gerade weil Beschäftigung im Rahmen von Plattformarbeit häufig ohne den unmittelbaren (Vertragsanbahnungs-)Kontakt der Beteiligten erfolgt und dabei auf der Grundlage von Algorithmen vergeben und in der Ausführung gesteuert wird, besteht andernfalls die Gefahr, dass arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Mindeststandards, die bei transparenter Kennzeichnung solcher Beschäftigungsformen Geltung beanspruchen, nicht zur Anwendung kommen oder nur schwer durchsetzbar sind. Um dies zu vermeiden, sollen möglichst einheitliche Kriterien für die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Beschäftigung geschaffen werden. Am 19.5.2022 wurde in der Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über den Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments zum Richtlinienvorschlag debattiert, der Änderungsvorschläge im Hinblick auf den derzeitigen Richtlinienentwurf vorsieht5. In einem nächsten Schritt soll im Ausschuss über den Entwurf abgestimmt werden. Die nachfolgenden Ausführungen berücksichtigen die bereits eingebrachten Änderungsvorschläge, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese nicht bzw. nicht in dieser Form verabschiedet werden.
d)
Gegenstand und Anwendungsbereich
Die in Art. 1 PFARL-V normierten Regelungsziele, wonach die Arbeitsbedingungen von Personen, die Plattformarbeit leisten, bzw. von allen anderen Arbeitnehmern, die automatisierten oder teilautomatisierten Überwachungsund Entscheidungssystemen unterliegen, verbessert werden sollen, sind zu begrüßen. Die Bestrebungen,
4 5
•
für eine korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatus zu sorgen,
•
Transparenz, Fairness, Sicherheit und Rechenschaftspflicht beim algorithmischen Management von Plattformarbeit zu fördern sowie
•
Transparenz der Plattformarbeit, auch in grenzüberschreitenden Situationen, zu verbessern,
Vgl. COM(2021) 762 final. Hierzu auch Söller, ZESAR 2022, 212; Thüsing, BB 2022 Heft 5 S. I. 2021/0414(COD).
55
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
sind wichtig, um die aktuellen Schwächen dieser Arbeitsform hervorzuheben.
e)
Begriffsbestimmung „Plattformarbeit“
Grundsätzlich erleichtert die Kennzeichnung der relevanten Rechtsbegriffe in Art. 2 PFARL-V das Verständnis der Richtlinie und fördert eine einheitliche Anwendung in den Mitgliedstaaten. Das ist sehr zu begrüßen. Ungeachtet dessen erscheint der Begriff der Plattformarbeit als zu eng gefasst. Derzeit versteht der Entwurf unter dem Begriff der Plattformarbeit nur die Arbeit, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert oder ermöglicht und in der Union von einer Person auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses zwischen der digitalen Arbeitsplattform und der Person ausgeführt wird, unabhängig davon, ob ein Vertragsverhältnis zwischen der Person und dem Empfänger der Dienstleistung besteht. Außer Acht gelassen sind dabei jedoch solche Konstellationen, in denen die Plattform durch einen Dritten lediglich betrieben wird, damit Plattformnutzer und Plattformauftraggeber ein Vertragsverhältnis begründen, aufgrund dessen eine Dienstleistung erbracht wird. In diesem Fall stellt die Plattform nur ein digitales Medium zur Verfügung, innerhalb dessen Plattformauftraggeber und Plattformnutzer zusammenkommen. Prägend für die Frage, ob der Plattformnutzer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder einer selbständigen Tätigkeit eingesetzt wird, ist dann aber nicht die Beziehung zwischen der Plattform selbst und dem Plattformnutzer, sondern das Vertragsverhältnis zwischen Plattformauftraggeber und Plattformnutzer und dessen tatsächliche Umsetzung. Der Bundesrat stellt in seinen Empfehlungen vom 28.2.2022 im Übrigen fest, dass die Begriffsbestimmung „digitale Arbeitsplattform“ sehr weit gefasst sei und bemängelt, dass das Kriterium des algorithmischen Managements nicht herangezogen worden sei. Dies würde dazu führen, dass nahezu jedes Unternehmen, das zur Erfüllung von Dienstleistungen eigene Beschäftigte, Subunternehmer oder freie Mitarbeiter heranziehe und die Dienstleistungen zumindest teilweise auf elektronischem Wege bereitstelle, als digitale Arbeitsplattform eingeordnet werden müsse6.
f)
Arbeitnehmerstatus
Statusermittlung: Das Ziel des Richtlinienentwurfs, durch seine Vorgaben in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass anhand geeigneter und wirksamer Verfahren zur Bestimmung des Beschäftigungsstatus festgestellt werden 6
56
BR-Drucks. 846/1/21 S. 3.
Vorschlag der EU-Kommission zu einer Richtlinie zur Plattformarbeit
kann, ob ein Arbeitsverhältnis besteht (Art. 3 Abs. 1 PFARL-V), ist vom Ansatz her richtig. Dass dabei „in erster Linie“ auf Umstände abgestellt wird, die sich auf die tatsächliche Arbeitsleistung beziehen, und zugleich die Besonderheit der Einsatzsteuerung durch Algorithmen berücksichtigt wird, ist mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH auch konsequent. Das BAG hatte mit seinem Urteil vom 1.12.20207 aber bereits deutlich gemacht, dass es auch auf der Grundlage der „hergebrachten“ Grundsätze zu § 611 a BGB möglich ist, unter Einbeziehung der Besonderheiten der technischen Steuerung des Plattformbeschäftigten nachvollziehbare Kriterien für die Kennzeichnung eines Arbeitsverhältnisses zu finden. Richtig dabei ist, den Umständen einer tatsächlichen Umsetzung des Vertragsverhältnisses Vorrang einzuräumen, wenn ihre Bewertung zu einer anderen Kennzeichnung führt als die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien erwarten lässt. Das entspricht insbesondere der zu §§ 611, 611 a BGB in Deutschland entwickelten Rechtsprechung, die für die Einordnung eines Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis auf die Umsetzung und gerade nicht auf eine willkürliche Vertragsbezeichnung abstellt. So hat das BAG in Anlehnung an § 611 a BGB jüngst erneut festgehalten, dass sich der jeweilige Vertragstyp aus dem wirklichen Geschäftsinhalt ergibt8. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt sei den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, sei letztere maßgeblich, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben. Kriterien im Rahmen der gesetzlichen Vermutung: Die im Entwurf bislang vorgesehenen Regelungen, auf deren Grundlage eine gesetzliche Vermutung geschaffen werden soll, um anzunehmen, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen der digitalen Arbeitsplattform und einer Person, die Plattformarbeit leistet, besteht, überzeugten hingegen nicht (vgl. den bisherigen Art. 4 Abs. 2 PFARL-V). Denn Art. 4 Abs. 1 PFARL-V setzte zunächst für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung voraus, dass zwischen der digitalen Plattform und der Person, die über diese Plattform Plattformarbeit leistet, ein Kontrollverhältnis besteht. Erst das Vorliegen eines solchen Kontrollver7 8
Vgl. BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552 Rz. 36. Vgl. BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, 141.
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
hältnisses sollte zum Anlass genommen werden, ausgehend von einem nachfolgend festgelegten Katalog von Kriterien das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Arbeitsverhältnisses anzunehmen. Dabei blieb jedoch unberücksichtigt, dass es Konstellationen geben kann, in denen • zwischen der digitalen Plattform und dem Plattformnutzer kein Kontrollverhältnis besteht, gleichwohl das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gegeben sein kann (nämlich in Bezug auf den Plattformauftraggeber), oder • in denen zwar ein Kontrollverhältnis zwischen der digitalen Plattform und dem Plattformnutzer besteht, gleichwohl von dem Vorliegen eines „echten“ Arbeitsverhältnisses nicht ausgegangen werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser Unschärfe erscheint es daher konsequent, dass der Änderungsantrag 76 des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten nunmehr die ersatzlose Streichung des Vorliegens eines Kontrollverhältnisses vorsieht und schlicht regelt, dass das Vertragsverhältnis zwischen einer digitalen Arbeitsplattform und einer Person, die Plattformarbeit über diese Plattform leistet, rechtlich als Arbeitsverhältnis angesehen wird (gesetzliche Vermutung)9. Dies führt jedoch auch zu der Konsequenz, dass der bislang im Richtlinienentwurf aufgenommene Kriterienkatalog zur Bewertung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Kontrollverhältnisses nach dem Änderungsvorschlag des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten ersatzlos gestrichen werden soll. Demnach soll nicht die Richtlinie selbst die Kriterien enthalten, sondern vielmehr die Behörden und zuständigen Institutionen, die die gesetzliche Vermutung anwenden, sollen von Sachverhaltselementen geleitet werden, mit deren Hilfe beurteilt werden kann, ob die digitale Arbeitsplattform die Arbeitsleistung überwacht oder auf irgendeine Weise Kontrolle über sie ausübt. Ob dieser Anpassungsvorschlag hingegen dem mit dem Richtlinienentwurf verfolgten Ziel, der Arbeitswelt einheitliche „Spielregeln“ und Entscheidungsgrundsätze im Rahmen der Bewertung des Arbeitnehmerstatus bei Plattformarbeit an die Hand zu geben, dienlich ist, erscheint fraglich. Denn wenn Behörden und Institutionen (welche?) von „Sachverhaltselementen“ geleitet werden sollen, die sich zwar an der Rechtsprechung der Union und
9
58
Vgl. Fuhlrott, ArbR 2022, 191.
Vorschlag der EU-Kommission zu einer Richtlinie zur Plattformarbeit
der Mitgliedstaaten sowie an der Empfehlung 198 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) von 2006 orientieren sollen, sich allerdings auch „ständig weiterentwickeln“ können (vgl. Änderungsantrag 32 des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten), dürfte dies am Ende zu den unterschiedlichsten Prüfergebnissen, jedoch nicht zu einer einheitlichen Bewertung führen. Auch wenn sich die Behörden und Institutionen im Rahmen ihrer Beurteilung im Wesentlichen von den bislang in dem Richtlinienentwurf selbst enthaltenen Kriterien leiten lassen sollen, sind diese nicht uneingeschränkt geeignet, ein Kontrollverhältnis und anknüpfend hieran das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zutreffend zu umschreiben. Denn Umstände wie z. B. • die Einflussnahme auf die Höhe der Vergütung oder • das Erscheinungsbild des Plattformnutzers sowie
• die Überwachung von Arbeitsleistung bzw. Arbeitsergebnis können auch im Zusammenhang mit einer selbständigen Tätigkeit relevant sein. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Änderungsantrag 32 des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten auch Elemente benennt, die für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit sprechen. Denn hierdurch kann bei den zuständigen Stellen ein differenzierendes Bewusstsein und zugleich eine Anleitung für die Handhabung schwieriger Abgrenzungen im Einzelfall geschaffen werden.
g)
Fazit
Die Plattformarbeit wird im Rahmen der digitalen Transformation weiter an Bedeutung gewinnen. Umso wichtiger ist es, die Weichen von Beginn an richtig zu stellen, um Schutzaspekten und der unkomplizierten Nutzung von innovativen Einkommensmöglichkeiten gleichermaßen gerecht zu werden. Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission stellt hierbei entscheidende Rahmenvorgaben auf, die den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, die wesentlichen Bedürfnisse und Bedarfe in diesem Bereich pragmatisch abzubilden. Wichtig ist, dass dabei aber eine deutliche Nachjustierung erfolgt, die mit Blick auf den Arbeitnehmerbegriff nur solche Kriterien berücksichtigt, die – entsprechend der Rechtsprechung zu § 611 a BGB – eine tatsächliche Eingliederung des Plattformbeschäftigten und die daraus resultierende Weisungsgebundenheit beachtet. Dabei können und müssen die Besonderheiten einer technischen Steuerung, wie sie die Plattform bewirkt, natürlich einbezogen werden. (Ga/Ri)
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
2.
Richtlinie über einen Rahmen für angemessene Mindestlöhne in der EU
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir über den Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU berichtet10. Die EUKommission hatte diesen Vorschlag am 28.10.2020 vorgelegt11. Dieser Vorschlag war bislang erheblicher Kritik aus den einzelnen Mitgliedstaaten ausgesetzt. Denn mit dem Vorschlag soll nicht nur eine Förderung des Abschlusses von Tarifverträgen eingeführt werden, wenn ein bestimmter Schwellenwert der Arbeitsverhältnisse mit tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen unterschritten wird. Darin ist eine Einschränkung der negativen Koalitionsfreiheit zu sehen. Dessen ungeachtet wird berechtigterweise in Frage gestellt, ob die EU unter Berücksichtigung ihrer Rechtssetzungsbefugnisse und des Subsidiaritätsgrundsatzes überhaupt legitimiert ist, Regelungen zu treffen, die unmittelbar oder mittelbar die Mindesthöhe der Arbeitsvergütung in den einzelnen Mitgliedstaaten bestimmen. Dies aber ist mit der Richtlinie vorgesehen. Denn sie soll die Mitgliedstaaten verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen, die sicherzustellen, dass die gesetzlichen Mindestlöhne anhand von Kriterien festgelegt und aktualisiert werden, die die Angemessenheit dieser Löhne fördern. Trotz dieser Kritik haben sich das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten am 7.6.2022 politisch geeinigt. Diese Einigung soll Grundlage für eine Finalisierung und Verabschiedung der Richtlinie über einen Rahmen für angemessene Mindestlöhne in der EU sein12. Nach der Einigung sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet sein, ein Verfahren einzuführen, dass die Festlegung angemessener Mindestlöhne zum Ziel hat. Dabei sollen Kriterien bestimmt werden, die bei der Bewertung der Angemessenheit zur Anwendung kommen. Genannt werden in diesem Zusammenhang unter anderem die Lebenshaltungskosten, der Level und die Entwicklung der Bruttolöhne und die nationale Produktivitätsentwicklung. Ergänzend sollen hierzu in der Richtlinie Referenzwerte genannt werden, die als Indiz für die Angemessenheit berücksichtigt werden. Unter Berücksichtigung von Vorschlägen des Rats der EU13 und des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Europäischen Parlament, die am 28.10.2021 vorgelegt wur-
10 11 12 13
60
B. Gaul, AktuellAR 2020, 401 ff., 2021, 57 ff. COM(2020) 682 final. Vgl. Europäische Kommission v. 7.6.2022. 2020/0310(COD) – 14366/21.
Richtlinie über einen Rahmen für angemessene Mindestlöhne in der EU
den14, hat man sich offenbar darauf verständigt, in den Erwägungsgründen der Richtlinie als ein mögliches Indiz einen Bruttomindestlohn i. H. v. 60 % des Bruttomedianlohns oder 50 % des Bruttodurchschnittslohns aufzuführen. Ebenso könne als Richtwert bestimmt werden, dass der Nettomindestlohn 50 % oder 60 % des Nettodurchschnittslohns betrage. Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde15, dürfte diese Schwelle mit der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 € bereits erreicht sein. Wirtschaftlich dürfte die Richtlinie damit jedenfalls zunächst einmal keine Bedeutung haben. Das gilt auch für die verfahrensrechtlichen Vorschriften, die gewährleisten sollen, dass in den Mitgliedstaaten gesetzliche Verfahren installiert werden, durch die unter Einbeziehung der Sozialpartner eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Mindestentgelte erfolgt. Denn das MiLoG dürfte diesen Anforderungen bereits entsprechen. Ergänzend hierzu sollen die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie verpflichtet werden, Tarifvertragsverhandlungen zu fördern. Diese Vorgabe dürfte in Deutschland keine weitere Umsetzung notwendig machen, wenn man sich nur die Regelungen in Art. 9 Abs. 3 GG sowie des TVG und des AEntG vor Augen führt. Problematisch erscheint aber, dass mit der Einigung am 7.6.2022 offenbar an dem Grundkonzept festgehalten wurde, durch die die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, eine „tarifvertragliche Abdeckung“ auf nationaler Ebene zu fördern. Der entsprechende Schwellenwert, der in der bisherigen Diskussion bei 70 % der Arbeitnehmer bestimmt, für die Tarifverträge „gelten“, ist jetzt offenbar auf 80 % angehoben worden. Wenn dieser Schwellenwert unterschritten wird, soll ein „Action Plan“ in Kraft gesetzt werden, mit dem Maßnahmen zur Anhebung der „tariflichen Abdeckung“ gefördert werden. Die letztgenannte Maßnahme erscheint nicht nur insoweit schwierig, als dass damit in die negative Koalitionsfreiheit eingegriffen wird. Unklar ist auch, wie die „tarifvertragliche Abdeckung“ bestimmt wird. Denn in den bisherigen Entwürfen blieb unklar, ob hierfür allein auf die Anzahl der Arbeitsverhältnisse abgestellt wird, die – wenn eine Tarifbindung gegeben wäre – in den räumlichen, sachlichen und persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallen würden. Dann dürfte der Schwellenwert einfacher zu erreichen sein als bei einer Regelung, die darauf abstellen würde, ob der Tarifvertrag kraft Gesetzes, Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder kraft Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien für das Arbeitsverhältnis Geltung be14 COM(2020)0682 – C9-0337/2020 – 2020/0310(COD). 15 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 14.
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
ansprucht. Letztgenannte Regelungsweise einer Richtlinie dürfte mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht zu vereinbaren sein, das nicht nur in Art. 9 Abs. 3 GG, sondern auch durch Art. 12, 28 GRC abgesichert ist. Denn das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten und Tarifverträge abzuschließen, beinhaltet umgekehrt auch das Recht, von dieser Handlungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen. Wir werden darüber berichten, wenn der überarbeitete Richtlinienentwurf vorliegt. (Ga)
3.
Tarifverträge für Solo-Selbständige und Plattformbeschäftigte
Nach Art. 101 AEUV sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Bereits bei früherer Gelegenheit hatte der EuGH klargestellt, dass Tarifverträge, mit denen Arbeitsbedingungen auf unternehmensübergreifender Ebene geregelt werden, nicht von dieser Vorgabe zur Gewährleistung des freien Wettbewerbs erfasst werden16. Nach den Vorgaben des EuGH im Urteil vom 4.12.201417 erfasst Art. 101 AEUV auch nicht Tarifverträge, die zur Regelung von Arbeitsbedingungen für „Scheinselbständige“ geschaffen werden. Das überrascht aus deutscher Sicht nicht. Denn Scheinselbständige sind unselbständig Beschäftigte, die bereits nach allgemeinen Grundsätzen in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts fallen, so dass ihre Arbeitsbedingungen auch durch Tarifvertrag geregelt werden können. Am 9.12.2021 hat die Kommission den Entwurf einer Mitteilung – Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen – genehmigt. Der Entwurf der Mitteilung wurde am 18.3.2022 veröffentlicht18. Der Entwurf ist jetzt Gegenstand einer öffentlichen Konsultation.
16 EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, NZA 2015, 55 Rz. 23 – FNV Kunsten Informatie en Media. 17 EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, NZA 2015, 55 – FNV Kunsten Informatie en Media. 18 ABl. EU 2022, C 123, 1.
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Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
Mit dem Entwurf will die EU-Kommission Tarifverträge zulassen, die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen und Plattformbeschäftigten regeln. Auch wenn insoweit einzelfallbezogene Bewertungen erfolgen sollen, soll es im Ergebnis um Solo-Selbständige gehen, die in ihrer wirtschaftlichen Situation mit Arbeitnehmern vergleichbar sind. Die Kommission nennt dabei • wirtschaftlich abhängige Solo-Selbständige, • Solo-Selbständige, die „Seite an Seite“ mit Arbeitnehmern arbeiten sowie • Solo-Selbständige, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten.
Für diese Personengruppen soll es zulässig sein, ohne Verstoß gegen Art. 101 AEUV Tarifverträge abzuschließen und damit unternehmensübergreifend Arbeitsbedingungen festzulegen, selbst wenn damit ein Regulativ für den Wettbewerb der hiervon betroffenen Unternehmen geschaffen wird. Eine Stellungnahme der Bundesregierung hierzu liegt derzeit nicht vor. Der DGB hat sich mit dem Entwurf am 18.2.2022 befasst und begrüßt es, dass hier auf unionsrechtlicher Ebene die Tarifautonomie auch auf diesen Bereich der selbständig Tätigen ausgeweitet wird. (Ga)
4.
Entwurf einer Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
Im Herbst hatten wir über die arbeitsrechtlichen Handlungspflichten als Folge des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG) berichtet, das auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales19 verabschiedet worden war und am 1.1.202320 in Kraft treten wird21. Mit dem Vorschlag einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie 2019/1937/EU hat die Europäische Kommission am 23.2.2022 einen weiteren Schritt eingeleitet, der für eine größere Zahl von Unternehmen weitergehende Handlungspflichten begründen und für den Fall einer Missachtung auch eine zivilrechtliche Haftung zur Folge haben soll22. Er ergänzt die Mitteilung der Europäischen
19 20 21 22
BT-Drucks. 19/30505. BGBl. I 2021, 2959. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 369 ff.; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238. Eingehend auch Ruttloff/Rothenburg/Hahn, DB 2002, 1116.
63
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Kommission mit dem Titel „Menschenwürdige Arbeit weltweit für einen gerechten Übergang und eine nachhaltige Erholung“, die ebenfalls am 23.2.202223 vorgelegt wurde. Gleichzeitig wird die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10.3.2021 umgesetzt, das Empfehlungen zur Sorgfalts- und Rechenschaftspflicht von Unternehmen vorgelegt hatte.24 Auf einige Aspekte soll wie folgt hingewiesen werden.
a)
Anwendungsbereich
Während das LkSG – unabhängig von der jeweiligen Rechtsform – Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern (ab dem 1.1.2024: 1.000 Arbeitnehmer) erfasst, soll die Richtlinie Handlungspflichten für Unternehmen begründen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurden und im letzten Geschäftsjahr im Durchschnitt mehr als 500 Beschäftigte hatten und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. € erzielt haben. Wenn diese Schwellenwerte nicht erreicht werden, soll das Unternehmen gleichwohl in den Schwellenwert einbezogen werden, wenn es im letzten Geschäftsjahr im Durchschnitt mehr als 250 Beschäftigte hatte und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. € erzielte, sofern mindestens 50 % dieses Nettoumsatzes in bestimmten Sektoren erwirtschaftet wurden. Dabei werden beispielsweise die Herstellung von Textilien, der Großhandel mit Textilien, Bekleidung und Schuhen, der Großhandel mit Lebensmitteln und Getränken, die Gewinnung mineralischer Ressourcen oder die Herstellung von Grundmetallerzeugnissen genannt. Außerdem soll die Richtlinie für Unternehmen gelten, die nach den Rechtsvorschriften eines Drittlandes gegründet wurden, sofern das Unternehmen im Geschäftsjahr vor dem letzten Geschäftsjahr in der EU einen Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. € erzielte oder bei abgesenkten Umsätzen mindestens 50 % des weltweiten Nettoumsatzes in den vorstehend genannten Sektoren erwirtschaftet hat.
b)
Begriffsbestimmungen
In Art. 3 der Richtlinie sollen – wie dies bei unionsrechtlichen Vorschriften üblich ist – die in der Richtlinie verwendeten Begriffe definiert werden. Dazu gehören nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt oder die Menschenrechte, die durch eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der in Art. 4 ff. der Richtlinie geregelten Sorgfaltspflichten verhindert werden sollen. Viel-
23 COM(2022) 66 final. 24 P9_TA(2021)0073.
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Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
mehr werden auch die relevanten Geschäftsbeziehungen, der Begriff einer Wertschöpfungskette, Interessenträger sowie Mitglieder der Unternehmensleitung gekennzeichnet, damit die Adressaten und Betroffenen der weitergehenden Handlungspflichten bestimmt werden können. Außerdem wird definiert, wann eine Maßnahme als geeignet qualifiziert werden kann, die Ziele der Sorgfaltspflicht zu erreichen.
c)
Ausgestaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht
Vergleichbar mit den Regelungen im LkSG enthält Art. 4 des Richtlinienentwurfs eine ausführliche Kennzeichnung der den Unternehmen in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt zugeordneten Sorgfaltspflicht und beschreibt zugleich, durch welche Maßnahmen diese Pflicht erfüllt wird. Namentlich werden dabei folgende Maßnahmen genannt: • Einbeziehung der Sorgfaltspflicht in die Unternehmenspolitik, • Ermittlung tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen, • Vermeidung und Abschwächung potenzieller negativer Auswirkungen, • Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen und Minimierung ihres Ausmaßes, • Einrichtung und Aufrechterhaltung eines Beschwerdeverfahrens, • Überwachung der Wirksamkeit ihrer Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht, • Öffentliche Kommunikation über die Sorgfaltspflicht.
Ausdrücklich sieht Art. 4 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags dabei vor, das sicherzustellen ist, dass Unternehmen zum Zwecke der Sorgfaltspflicht berechtigt sind, Ressourcen und Informationen innerhalb ihrer jeweiligen Unternehmensgruppen sowie mit anderen juristischen Personen im Einklang mit dem geltenden Wettbewerbsrecht auszutauschen. Bemerkenswert in Bezug auf die Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens in Art. 9 Abs. 4 des Richtlinienvorschlags ist, dass Beschwerdeführer berechtigt werden sollen, angemessene Folgemaßnahmen zu der Beschwerde von dem Unternehmen zu fordern, bei dem sie eine Beschwerde eingereicht haben, und verlangen können, Vertreter des Unternehmens auf geeigneter Ebene zu treffen, um potenzielle oder tatsächliche schwerwiegende negative Auswirkungen, die Gegenstand der Beschwerde sind, zu erörtern. Diese Befugnis ist im LkSG nicht vorgesehen.
65
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
d)
Eindämmung des Klimawandels
In Bezug auf Unternehmen, die den Schwellenwert von 500 Beschäftigten und 150 Mio. € weltweiten Nettoumsatz erreichen, sollen durch Art. 15 des Richtlinienvorschlags weitreichende Regelungen zur Eindämmung des Klimawandels geschaffen werden. Danach sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass diese Unternehmen einen Plan festlegen, mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind. In diesem Plan soll insbesondere auf der Grundlage von Informationen, die dem Unternehmen vernünftigerweise zur Verfügung stehen, ermittelt werden, inwieweit der Klimawandel ein Risiko für die Unternehmenstätigkeit darstellt bzw. sich darauf auswirkt. Ergänzend hierzu sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein Unternehmen Emissionsreduktionsziele in seinen Plan aufnimmt, wenn der Klimawandel als ein Hauptrisiko oder eine Hauptauswirkung der Unternehmenstätigkeit ermittelt wurde bzw. hätte ermittelt werden sollen. Weitergehend sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Unternehmen der Erfüllung der vorstehend genannten Verpflichtungen bei der Festlegung variabler Vergütungen gebührend Rechnung tragen, wenn die variable Vergütung an den Beitrag eines Mitglieds der Unternehmensleitung zur Strategie und zu den langfristigen Interessen sowie zur Nachhaltigkeit des Unternehmens geknüpft ist.
e)
Durchsetzung der Sorgfaltspflicht
Das LkSG sieht nur behördliche Durchsetzungsmechanismen vor. Eine zivilrechtliche Haftung wird bei Verletzungen der Pflichten aus dem Gesetz gemäß § 3 Abs. 3 LkSG ausdrücklich nicht begründet. Insbesondere stellen die Regelungen des LkSG kein deliktisches Verbotsgesetz dar. Dies betrifft nicht nur die zivilrechtliche Haftung des Unternehmens, sondern schließt wohl auch die persönliche Organhaftung der Geschäftsleiter für Schäden des Unternehmens aus, die auf einem Verstoß gegen die Vorschriften des LkSG beruht25. Entgegen der Konzeption des LkSG sieht Art. 22 des Richtlinienvorschlags auch eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen für Schäden vor, wenn sie die Verpflichtungen zur Vermeidung potenzieller negativer Auswirkun25 Leuering/Rubner; NJW-Spezial 2021, 399, 400; Strohn, ZHR 185 (2021), 629, 630; a. A. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 239.
66
Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
gen und zur Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen nicht erfüllt haben und als Ergebnis dieses Versäumnisses negative Auswirkungen eingetreten sind, die ermittelt, vermieden, abgeschwächt, behoben oder durch angemessene Maßnahmen hätten minimiert werden müssen und zu Schäden geführt haben. Ausnahmen soll es nur dort geben, wo Tätigkeiten eines indirekten Partners in Rede stehen. Diese Haftung soll das Unternehmen treffen. Eine Haftung der Mitglieder der Unternehmensleitung im Außenverhältnis ist im Richtlinienvorschlag nicht vorgesehen. Nach Art. 25 des Richtlinienvorschlags müssen die Mitgliedstaaten indes sicherstellen, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung bei Ausübung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen für Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen, ggf. auch die Folgen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt. Hiervon ausgehend können allerdings Schadensersatzansprüche des Unternehmens gegenüber der Unternehmensleitung bestehen, wenn diese ihre gesetzlichen bzw. vertraglichen Pflichten im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit nicht erfüllen. Unabhängig davon enthalten das LkSG und der aktuelle Richtlinienvorschlag Regelungen zur behördlichen Kontrolle und Durchsetzung der gesetzlichen Bestimmungen über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Dazu gehört auch die Möglichkeit, konkrete Maßnahmen anzuordnen und finanzielle Sanktionen festzulegen. Dabei bestimmt Art. 20 des Richtlinienvorschlags nicht nur, dass die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Bei der Entscheidung über die Verhängung von Sanktionen und bei der Festlegung ihrer Art und ihrer angemessenen Höhe ist ggf. auch den Bemühungen des Unternehmens zur Erfüllung der von einer Aufsichtsbehörde gegen das Unternehmen angeordneten Abhilfemaßnahme, etwaig getätigten Investitionen und weiteren Aspekten im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Beseitigung negativer Auswirkungen in den Wertschöpfungsketten des Unternehmens gebührend Rechnung zu tragen. Falls finanzielle Sanktionen verhängt werden, müssen sich diese nach dem Umsatz des Unternehmens richten.
f)
Fazit
Es ist zu erwarten, dass im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens auf europäischer Ebene noch Veränderungen in Bezug auf den Richtlinienvorschlag erfolgen. Ungeachtet dessen zeigt sich an diesem Richtlinienvorschlag, dass die Verpflichtungen der Unternehmen zu einem nachhaltigen Wirken zukünftig immer stärker an Bedeutung gewinnen werden. Insofern 67
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
ist es wichtig, diesen Anforderungen schon heute durch eine entsprechende Arbeitsorganisation, die Zuordnung und Übertragung von Verantwortung und die tatsächliche Erfüllung der Sorgfaltspflichten im Rahmen der eigenen Geschäftstätigkeit sowie der Geschäftstätigkeit von Geschäftspartnern/Zulieferern Rechnung zu tragen. Dazu gehört es auch, das Thema ESG in der Kultur des Unternehmens und dem Verhalten seiner Mitarbeiter auf allen Ebenen zu verankern. (Ga)
5.
Einigung über neues EU-US-Datenschutzabkommen
Mit seinem Urteil vom 16.7.202026 hatte der EuGH das EU-US-DataPrivacy-Shield für unionsrechtswidrig erklärt. In seiner Begründung hatte er vor allem darauf verwiesen, dass nicht ausreichend sichergestellt sei, dass personenbezogene Daten, die aus der EU in die USA transferiert werden, vor einer weiteren Verarbeitung durch US-Behörden geschützt seien. Auch wenn das EU-US-Datenschutzschild dahingehende Einschränkungen vorsah, war zweifelhaft, ob die hiervon Betroffenen den Schutz personenbezogener Daten auch tatsächlich durchsetzen können. Hiervon ausgehend war es erforderlich, einen etwaigen Datentransfer in die USA auf Standardvertragsklauseln oder eine Einwilligung der Betroffenen zu stützen. Wir hatten darüber berichtet27. Wie am 25.3.2022 bekannt wurde, haben sich die EU-Kommission und die USA inzwischen auf ein neues EU-US-Datenschutzabkommen geeinigt. Das neue Abkommen soll die Bedenken des EuGH aufgreifen und einen hinreichenden Datenschutzstandard auch bei einer Weiterleitung personenbezogener Daten in die USA sicherstellen. Insbesondere dürfen – so die Pressemitteilung – US-Behörden auf übermittelte Daten nur noch zugreifen, wenn dies für die nationale Sicherheit notwendig und verhältnismäßig ist. Ergänzend hierzu soll ein zweistufiger Rechtschutzmechanismus eingeführt werden, durch welchen Beschwerden untersucht und bindende Abhilfemaßnahmen beschlossen werden können. Vorgesehen ist nun, dass die US-Regierung das Abkommen in nationales Recht umsetzt. Sobald dies geschehen ist, beabsichtigt die EU-Kommission, einen Angemessenheitsbeschluss gemäß Art. 45 Abs. 3 DSGVO zu treffen. Auf dessen Grundlage wäre es möglich, unter Berücksichtigung der Vorgaben des neuen EU-US-Datenschutzabkommens auch ohne die Verwendung
26 EuGH v. 16.7.2020 – C-311/18, NZA 2020, 2613 – Schrems II. 27 B. Gaul, AktuellAR 2020, 446 ff., 2021, 390 f.
68
Einigung über neues EU-US-Datenschutzabkommen
von Standardvertragsklauseln oder das Vorliegen einer Einwilligung personenbezogene Daten in die USA zu transferieren. (Ga)
69
.
C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.
Diskriminierung Schwerbehinderter im Stellenbesetzungsverfahren durch Missachtung von Melde- und Einladungspflichten
Der öffentliche Dienst sieht sich im Zusammenhang mit der Besetzung von Arbeitsplätzen häufig mit dem Problem einer Entschädigungspflicht nach § 15 Abs. 2 AGG konfrontiert, weil aus unterschiedlichen Gründen schwerbehinderte oder gleichgestellte Bewerber nach § 165 S. 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sind1. Das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG betrifft lediglich die in § 1 AGG aufgeführten Gründe, wozu auch die Behinderung des Beschäftigten gehört. Dabei erstreckt sich der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots gemäß § 2 Nr. 1 AGG auch auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbständiger Erwerbstätigkeit. Unabhängig davon, ob es um eine unmittelbare Diskriminierung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG oder um eine mittelbare Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes i. S. v. § 3 Abs. 2 AGG geht, muss stets zwischen der Benachteiligung und dem in § 1 AGG genannten Grund ein Kausalzusammenhang bestehen. Hierfür reicht – jedenfalls für eine unmittelbare Benachteiligung – eine bloße Mitursächlichkeit aus2. Insofern erleichtert § 22 AGG bezüglich des Kausalitätszusammenhangs die Darlegungs- und Beweislast der benachteiligten Person, indem der Rechtsschutz des AGG bereits dann ausgelöst wird, wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Gelingt dieser Indizienbeweis, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat3. In Anbetracht dieser vom AGG vorgegebenen und von der Rechtsprechung des BAG ausgefüllten Grundsätze kommt es stets entscheidungserheblich darauf an, welche Indizien nach § 22 AGG einen ausreichenden Anlass für eine Benachteiligung i. S. v. § 1 AGG abgeben können. In diesem Zusam-
1
2 3
Vgl. nur BAG v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20, NZA 2021, 631 Rz. 27; BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18, NZA 2020, 851 Rz. 37; BAG v. 16.5.2019 – 8 AZR 315/18, NZA 2019, 1419 Rz. 22. BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 18. Vgl. BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 19; BAG v. 23.11.2017 – 8 AZR 372/16, NZA-RR 2018, 287 Rz. 20.
71
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
menhang hat der zuständige 8. Senat des BAG4 in ständiger Rechtsprechung bei schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Bewerbern einem objektiven Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- oder Förderpflichten zu Gunsten dieses Personenkreises enthalten, indizielle Bedeutung i. S. v. § 22 AGG beigemessen. Diese Bewertung stützt das BAG auf die Erwägung, dass derartige Pflichtverletzungen des Arbeitgebers den Anschein erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein. Derartige Verfahrens- und Fördervorschriften befinden sich in den §§ 164, 165 SGB IX, wonach etwa die Arbeitgeber verpflichtet sind zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden können (§ 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Bei dieser Prüfung haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 SGB IX zu beteiligen und den Betriebsrat (Personalrat) anzuhören (§ 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX). Bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ist die Schwerbehindertenvertretung nur dann nicht zu beteiligen, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ablehnt (§ 164 Abs. 1 S. 10 SGB IX). Zum Schutz vor Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren hat der Gesetzgeber weitere Erörterungs- und Anhörungspflichten der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats in § 164 Abs. 1 S. 7 bis 9 i. V. m. § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX konkretisiert5. Besondere Pflichten werden für öffentliche Arbeitgeber in § 165 SGB IX vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Danach haben die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 156 SGB IX) zu melden (§ 165 S. 1 SGB IX). Haben sich schwerbehinderte Menschen um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit vorgeschlagen worden, müssen sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, soweit ihnen nicht die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 165 S. 3, 4 SGB IX). Allerdings ist der Arbeitgeber bei einem objektiven Verstoß gegen Vorschriften, die zu Gunsten schwerbehinderter oder ihnen gleichgestellter Menschen Verfahrens- oder Förderpflichten enthalten, nur dann der Vermutung einer Diskriminierung wegen der Behinderung nach § 22 AGG ausgesetzt, wenn der Bewerber den potenziellen Arbeitgeber über seine Schwerbehinderung 4 5
72
BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 21. Vgl. dazu LAG Düsseldorf v. 12.11.2021 – 7 Sa 483/21 n. v. (Rz. 52 ff.).
Diskriminierung Schwerbehinderter im Stellenbesetzungsverfahren
oder Gleichstellung rechtzeitig und ordnungsgemäß in der Bewerbung, jedenfalls bis zum Ablauf einer gesetzten Bewerbungsfrist, im Bewerbungsschreiben oder an gut erkennbarer Stelle im Lebenslauf oder Vorlage des Schwerbehindertenausweises in Kenntnis gesetzt hat (§ 130 BGB)6. Diese Pflicht zur Rücksichtnahme resultiert aus § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, um dem potenziellen Arbeitgeber die Durchführung eines geordneten, fehlerfreien Stellenbesetzungsverfahrens zu erlauben. War dem potenziellen Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers oder seine Gleichstellung nicht bekannt oder musste er diese nicht kennen, entfällt die Indizwirkung i. S. v. § 22 AGG und damit der Kausalzusammenhang einer Benachteiligung wegen einer Behinderung i. S. v. § 1 AGG. Verletzt der potenzielle Arbeitgeber die im Bewerbungsverfahren zu Gunsten schwerbehinderter oder ihnen gleichgestellter Menschen (§ 151 SGB IX) bestehenden Vorschriften und kann er den Verstoß gegen § 1 AGG nicht beweiskräftig widerlegen, setzt er sich einem Entschädigungsanspruch des benachteiligten Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG aus, der verschuldensunabhängig ist und demnach auch keine Benachteiligungsabsicht voraussetzt7. Die Vermutung der Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung ist Gegenstand von zwei Entscheidungen des 8. Senats des BAG vom 25.11.20218 und vom 1.7.20219. In beiden Fällen haben die für eine Stelle im öffentlichen Dienst abgelehnten schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Bewerber wegen ihrer Benachteiligung einen Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG im Klagewege verfolgt, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden waren. In der Entscheidung vom 25.11.2021 veröffentlichte der beklagte Landkreis über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit ein Stellenangebot zur Besetzung der Stelle „Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)“. Der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger bewarb sich im November 2017 unter Angabe seiner Schwerbehinderung ohne Erfolg auf die ausgeschriebene Stelle. Zu einem Vorstellungsgespräch wurde er nicht eingeladen. Mit Schreiben vom 11.4.2018 wurde ihm mitgeteilt, dass sich der beklagte Landkreis für einen anderen Bewerber entschieden habe. Daraufhin wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 14.4.2018 unter dem Betreff „Beschwerde nach § 13 AGG und Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 6 7 8 9
BAG v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20, NZA 2021, 631 Rz. 33, 36. BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 371/20, NZA 2022, 341 Rz. 27 f. BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2022, 638. BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
AGG“ an den beklagten Landkreis. Mit seiner Klage verfolgte der Kläger gegenüber dem beklagten Landkreis einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, mindestens jedoch 4.5757,67 € nebst Zinsen, weil der Beklagte keine Meldung an die Bundesagentur und keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorgenommen habe. Die Vorinstanzen haben die Klage wegen offensichtlicher Ungeeignetheit des Klägers in Relation zur Ausschreibung abgewiesen. Die Revision des Klägers war erfolgreich. Das BAG hat den beklagten Landkreis zur Zahlung einer Entschädigung von 6.864 € (1,5 Gehälter) nebst Zinsen verurteilt. Ohne der in den Vorinstanzen gestellten und bejahten Frage nachzugehen, ob der Kläger für die Besetzung der Position als Amtsleiter offensichtlich ungeeignet war, hat der 8. Senat des BAG für die nicht widerlegte Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung die Formalie ausreichen lassen, dass der beklagte Landkreis den zu besetzenden freien Arbeitsplatz nicht wie in § 165 S. 1 SGB IX vorgesehen der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet, sondern das Stellenangebot über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht hat. Eine ordnungsgemäße Meldung i. S. v. § 165 S. 1 SGB IX setzt dagegen – wie das BAG hervorhebt – die Erteilung eines Vermittlungsauftrags an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX bei der Agentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen zur Durchführung der der Agentur für Arbeit zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gesetzlich übertragenen Aufgaben unter Angabe der Daten voraus, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag erforderlich sind. Es handelte sich dabei um ein gesetzlich vorgesehenes Instrument zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen am Arbeitsleben, das gleichzeitig „Vorkehrung“ i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG sei. Dem BAG reicht allein der Umstand der unterlassenen Meldung an die zuständige Agentur für Arbeit für die begründete Vermutung aus, dass der Kläger im Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt worden ist. Angesichts dessen kam es nach Auffassung des BAG nicht mehr darauf an, ob noch weitere Verstöße gegen die zu Gunsten schwerbehinderter Menschen getroffenen Verfahrenspflichten oder Förderpflichten vorlagen. So hat das BAG offengelassen, ob eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers auch deshalb anzunehmen war, weil der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung und den Personalrat nicht den Anforderungen des § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX entsprechend unterrichtet habe. In diesem Zusammenhang weist das BAG darauf hin, dass die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen 74
Diskriminierung Schwerbehinderter im Stellenbesetzungsverfahren
über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit oder eines Integrationsfachdienstes und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang, d. h. umgehend bzw. sofort unter gezieltem Hinweis auf die Schwerbehinderung oder Gleichstellung zu unterrichten sind, sobald der Arbeitgeber anhand der Bewerbungsunterlagen erkennt bzw. erkennen muss, dass es sich um einen schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerber handelt. Eine sog. Sammelunterrichtung genügt diesen Voraussetzungen nach Auffassung des BAG nicht. Dabei hat sich – wie das BAG ausführt – der Arbeitgeber grundsätzlich das Verhalten der von ihm eingesetzten Personen objektiv zurechnen zu lassen. Das BAG hat des Weiteren dahinstehen lassen, ob die unterbliebene Beantwortung der Beschwerde des Klägers nach § 13 AGG ein Indiz nach § 22 AGG für die Benachteiligung des Klägers wegen der Schwerbehinderung sein kann. Der auch vom LAG aufgenommene Einwand des Beklagten, dem Kläger habe offensichtlich die fachliche Eignung für die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle gefehlt, weshalb eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht habe erfolgen müssen, ändert nichts an dem Verstoß gegen die ordnungsgemäße Meldung nach § 165 S. 1 SGB IX. Dieser Gesichtspunkt konnte nach Auffassung des BAG den Beklagten nur von der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch befreien. Was die Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG im Fall einer Nichteinstellung anbelangt, knüpft das BAG10 für ihre Bemessung an das Bruttomonatsentgelt an, das der erfolglose Bewerber erzielt bzw. ungefähr erzielt hätte, wenn er die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte. Dies schlussfolgert das BAG aus der in § 15 Abs. 2 AGG getroffenen Bestimmung, wonach die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Streiten die Parteien über die Höhe des auf der ausgeschriebenen Stelle zu erwartenden Bruttomonatsentgelts, kann vom Gericht auf das ungefähr erzielbare Entgelt zurückgegriffen werden. Hierbei hat das BAG11 – ohne Besonderheiten – 1,5 auf der Stelle erzielbare Bruttomonatsverdienste für angemessen erachtet. Die besondere Bedeutung dieser Entscheidung des BAG liegt vor allem darin, dass der potenzielle Arbeitgeber – und dies gilt auch außerhalb der be-
10 BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2022, 638 Rz. 44; BAG v. 28.5.2020 – 8 AZR 170/19, NZA 2020, 1392 Rz. 24 ff. 11 BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2022, 638 Rz. 45.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sonderen Pflichten öffentlicher Arbeitgeber – im Falle der Ablehnung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerbers bei einer Verletzung von Vorschriften, die Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ausgesetzt ist. Bereits durch diese Pflichtverletzung bekundet der potenzielle Arbeitgeber sein Desinteresse an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, das deren Bewerbungschancen negativ beeinträchtigt. Dieses Desinteresse vermag der potenzielle Arbeitgeber nicht mehr dadurch zu widerlegen, dass sich – wie im entschiedenen Streitfall – der Bewerber für die Besetzung der ausgeschriebenen Position als zweifelsfrei ungeeignet erweist. Für den öffentlichen Arbeitgeber macht der Gesetzgeber allerdings dann eine Ausnahme, wenn dieser seiner Meldepflicht nach § 165 S. 1 SGB IX ordnungsgemäß nachgekommen ist und es nur noch darum geht, ob eine Einladung des Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch erfolgen muss. Diese Einladung darf dann nach § 165 S. 4 SGB IX unterbleiben, wenn die fachliche Eignung des schwerbehinderten (gleichgestellten) Bewerbers offensichtlich fehlt, d. h. unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht12. Diesen Vergleich zwischen dem Anforderungsprofil und dem fachlichen Leistungsprofil muss der schwerbehinderte Bewerber dem öffentlichen Arbeitgeber durch entsprechende Angaben in der Bewerbung oder durch beigefügte Bewerbungsunterlagen ermöglichen13. In der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 1.7.2021 ging es um die Frage, welche Anstrengungen der öffentliche Arbeitgeber (§ 154 Abs. 2 SGB IX) unternehmen muss, damit ein Einladungsschreiben zum Vorstellungsgespräch nach § 165 S. 3 SGB IX dem schwerbehinderten Bewerber nach § 130 BGB zugeht, um Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. § 22 AGG (Kausalitätsvermutung) zu vermeiden. Im Januar 2018 schrieb die Beklagte die Stelle einer Kämmerin/eines Kämmerers aus. Der für diese Position nicht ungeeignete Kläger bewarb sich unter Hinweis darauf, dass seine Gleichstellung mit Schwerbehinderten keinen Einfluss auf seine Arbeitsleistung bei dieser Stelle habe. In seiner Bewerbung teilte der Kläger keine Wohnanschrift mit, sondern gab eine Postfachadresse an. Die Vorstellungsgespräche bei der Beklagten fanden am 21.2.2018 statt. Mit Schreiben vom 14.3.2018 übersandte die Beklagte die Bewerbungsunterlagen des Klägers an die angegebene Postfachanschrift und teilte ihm mit, sich für eine andere Person entschieden zu haben. Nach vergeblicher Aufforde-
12 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 375/15, NZA 2017, 43 Rz. 36 f. 13 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 375/15, NZA 2017, 43 Rz. 38.
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Diskriminierung Schwerbehinderter im Stellenbesetzungsverfahren
rung am 2.5.2018 hat der Kläger die Beklagte klageweise wegen der Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen. Der Kläger hat behauptet, die Einladung nicht erhalten zu haben. Die Beklagte hat sich damit verteidigt, die vom Bürgermeister unterschriebene Einladung zu dem Vorstellungsgespräch durch die Sekretärin zur Post gegeben zu haben. Diese habe am 21.2.2018 vergeblich versucht, den Kläger telefonisch zu erreichen. Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Auch in dieser Fallkonstellation geht es um einen möglichen Verstoß des Arbeitgebers gegen eine Verfahrensvorschrift, nämlich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, die darauf angelegt ist, dem Schwerbehinderten die Möglichkeit zu eröffnen, sich dem öffentlichen Arbeitgeber gegenüber zu präsentieren und damit die Chance zu einer Einstellung zu erhöhen. Es ist dabei eine bare Selbstverständlichkeit, dass der zur Einladung Verpflichtete alles Erforderliche zu unternehmen hat, damit die Einladung dem schwerbehinderten Bewerber auch zugeht. Unterlaufen dem öffentlichen Arbeitgeber dabei Fehler oder Nachlässigkeiten, die den Zugang der Einladung verhindern, kann dies ein ausreichendes objektives Indiz nach § 22 AGG für eine Benachteiligung des schwerbehinderten Bewerbers begründen. Das BAG hat erstmalig in der Entscheidung vom 1.7.202114 wesentliche Grundsätze entwickelt, die für die ordnungsgemäße Zustellung einer Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 165 S. 3 SGB IX zu beachten sind. Danach müssen verkörperte Einladungen eines öffentlichen Arbeitgebers zu einem Vorstellungsgespräch dem schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Bewerber in entsprechender Anwendung von § 130 BGB zugehen15. Die Einladung muss daher in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Bewerbers gelangen, so dass unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen16. Insofern gilt eine generalisierende Betrachtung, die nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abstellt. Der Empfänger hat die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Bei Hausbrief-
14 BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770. 15 BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 29. 16 BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 29; BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18, NZA 2020, 851 Rz. 18 (Zugang der Bewerbung beim Arbeitgeber); BAG v. 22.8.2019 – 2 AZR 111/19, NZA 2019, 1490 Rz. 12 (Zugang bei Kündigungen).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
kästen kann im Allgemeinen eine Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten erwartet werden. Dabei sieht § 165 S. 3 SGB IX für eine Einladung zum Vorstellungsgespräch weder eine bestimmte Form noch eine bestimmte Art der Übermittlung – etwa Einschreiben mit Rückschein – vor17. Voraussetzung für die Zustellung einer Einladung zum Vorstellungsgespräch ist jedoch, dass der öffentliche Arbeitgeber alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang des Einladungsschreibens beim Bewerber zu bewirken18. Davon ist das BAG im Streitfall ausgegangen, weil nach den Angaben der Beklagten das am 6.2.2018 vom Bürgermeister unterzeichnete Einladungsschreiben mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch am 21.2.2018 unter der angegebenen Postfachanschrift am gleichen Tage von der Sekretärin des Bürgermeisters zur Post gegeben worden ist und damit aus Sicht des BAG der mangelnde Zugang beim Kläger nicht auf Umstände zurückzuführen war, die in der Risikosphäre des Arbeitgebers lagen. Da die Beklagte im Sinne der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast19 im Einzelnen dargelegt hatte, wie bei der postalischen Übermittlung des Einladungsschreibens an den Kläger verfahren wurde und welche Personen damit befasst waren, wäre es nach § 22 AGG Sache des Klägers gewesen, diesem Vorbringen der Beklagten nicht nur entgegenzutreten, sondern sein gegenteiliges Vorbringen unter Beweis zu stellen, um die Kausalitätsvermutung nachzuweisen, die Beklagte sei an der Einstellung schwerbehinderter oder gleichgestellter Bewerber nicht interessiert gewesen. Von einem entsprechenden Beweisantritt hat der Kläger jedoch abgesehen. Schließlich stellt das BAG klar, dass für sich betrachtet kein Indiz i. S. v. § 22 AGG für eine behinderungsbedingte Benachteiligung eines Bewerbers vorliegt, wenn der Arbeitgeber unterlässt, einen zum Vorstellungsgespräch nicht erschienenen schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerber telefonisch zu kontaktieren20. Die vorstehenden Entscheidungen des BAG unterstreichen nochmals im Hinblick auf die Anwendung des AGG die besondere Bedeutung von Verfahrens- und Fördervorschriften, die darauf angelegt sind, die Chancengleichheit für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte Bewerber mit an17 BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 45. 18 Unrichtig LAG Thüringen v. 28.4.2021 – 4 Sa 9/20 n. v. (Rz. 31), das bei fehlerhaft verwendeter Postfachnummer des Einladungsschreibens, das den Bewerber nicht erreicht hat, die Kausalitätsvermutung verneint. 19 Vgl. dazu BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rz. 27. 20 BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 46.
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Schutzpflichten des Arbeitgebers bei einer Behinderung während der Wartezeit
deren Bewerbern herzustellen und damit einer Benachteiligung wegen einer Behinderung vorzubeugen. Da bereits die Verletzung von Verfahrensvorschriften die Indizwirkung i. S. v. § 22 AGG auslöst, wird damit gleichzeitig eine Entschädigungspflicht des potenziellen Arbeitgebers nach § 15 Abs. 2 AGG begründet, der er nicht ausweichen kann. (Boe)
2.
Schutzpflichten des Arbeitgebers bei einer Behinderung während der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG
Ob und inwieweit bei einem behinderten Arbeitnehmer bereits während der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG besondere Schutzpflichten des Arbeitgebers bestehen, deren Verletzung als Diskriminierungsakt vor Eintritt des Kündigungsschutzes zu einer unwirksamen Kündigung gemäß § 134 BGB i. V. m. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG führt, war bereits Gegenstand einer Entscheidung des 6. Senats des BAG vom 19.12.201321. Die Entscheidung betraf einen an HIV symptomlos erkrankten Arbeitnehmer, dem gegenüber der Arbeitgeber nach Kenntniserlangung dieser Erkrankung deswegen bereits im zweiten Monat der Beschäftigung ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger machte klageweise die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend, weil eine symptomlose HIV-Infektion zu einer Behinderung führe und ihn damit die ausgesprochene Kündigung diskriminiere, weshalb der Arbeitgeber als Sanktion auch eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG schulde. Zunächst hat das BAG festgestellt, dass der Begriff der Behinderung i. S. d. § 1 AGG im Lichte der Richtlinie 2000/78/EG unter Beachtung von Art. 1 Uabs. 2 UN-BRK22 unionskonform auszulegen ist. Eine Behinderung ist danach anzunehmen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Barrieren (Kontextfaktoren) – den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können23. Sodann hat das BAG den HIV-infizierten Kläger, der einen GdB von
21 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372. 22 Vgl. Die Genehmigung der UN-BRK durch den Rat im Namen der europäischen Gemeinschaft: ABl. EU 2009, L 23, 35 sowie EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553 Rz. 28 ff., 38, 39, 53 bis 56 – Ring. 23 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 61 ff. zur Gegenüberstellung mit dem Begriff der Behinderung aus § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Soweit dieser nationale Behindertenbegriff im Hinblick auf das AGG hinter dem unionsrechtlichen Begriff zurückbleibt, ist bei Anwendung des AGG letzterer maßgebend.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
10 % aufwies, diesem Behinderungsbegriff zugeordnet24. Da der Arbeitgeber die Kündigung auf diese Behinderung gestützt hat, war nach Ansicht des BAG anschließend zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung damit begründet, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen i. S. d. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG i. V. m. Art. 27 Abs. 1 S. 2 lit. i, Art. 2 Uabs. 4 UN-BRK, die den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belasten25, nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Nach der Rechtsprechung des EuGH26 ist der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ weit zu verstehen und umfasst nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2000/78/EG nicht abschließend ist27. Da der innerstaatliche Gesetzgeber für den Personenkreis der Behinderten, der nicht vom SGB IX erfasst wird, die nach Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG geregelte Pflicht zur Ergreifung von Vorkehrungen nicht in nationales Recht umgesetzt hat, verortet das BAG eine derartige Pflichtigkeit in einer unionskonformen Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB28. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob Art. 21 GRC, der auch Diskriminierungen wegen einer Behinderung verbietet, i. V. m. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG unmittelbar anwendbar ist (Art. 51 GRC)29. Als Ergebnis dieser Entscheidung des BAG ist festzuhalten, dass die Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers, auf den das KSchG noch oder überhaupt keine Anwendung findet, wegen darauf zurückzuführender fehlender Einsatzmöglichkeiten nur dann nicht gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. §§ 1, 3 AGG verstößt und rechtsunwirksam ist (§ 134 BGB), wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, mit einem verhältnismäßigen Aufwand den bestehenden Arbeitsplatz behindertengerecht so anzupassen, dass der behinderte Arbeitnehmer auf diesem mit seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vertragsgemäß eingesetzt werden kann. 24 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 70 ff. Es kommt auf die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen bzw. vollen und wirksamen gleichberechtigten Teilhabe am Berufsleben an, die das BAG im Streitfall in der Stigmatisierung und den interpersonellen Beziehungen von HIV-Infizierten, d. h. ihrer Ausgrenzung, sieht. 25 Das AGG verlangt nicht, dass die Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum Zuschussgeschäft wird: EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553 Rz. 59 ff. – Ring; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 90. 26 EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553 Rz. 53 bis 56 – Ring. 27 Vgl. auch BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 52. 28 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 53. 29 Dazu EuGH v. 10.2.2022 – C-485/20, NZA 2022, 335 – HR Rail.
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Schutzpflichten des Arbeitgebers bei einer Behinderung während der Wartezeit
Dafür trägt der Arbeitgeber die Beweislast. Von der Beantwortung dieser Frage hängt zugleich ab, ob den Arbeitgeber nach § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigungspflicht trifft, die neben der verbotswidrigen Kündigung auch daraus hergeleitet werden könnte, dass dem behinderten Arbeitnehmer angemessene Vorkehrungen versagt worden sind. In einer Vorabentscheidung vom 10.2.202230 ist der EuGH erneut der Frage nachgegangen, welche Bedeutung Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG beizumessen ist, wenn ein Arbeitnehmer mit Behinderung während der Probezeit deswegen entlassen wird, weil er die wesentlichen Funktionen seines Arbeitsplatzes nicht mehr erfüllen kann. Der Kläger wurde von der Beklagten, einer belgischen Eisenbahngesellschaft, als Facharbeiter für die Instandhaltung von Schienenwegen eingestellt. Während der Probezeit wurde ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt, weshalb er wegen der elektromagnetischen Felder der Gleisanlagen an den Schienenwegen nicht mehr eingesetzt werden konnte. Aus diesem Grunde wurde eine Behinderung des Klägers anerkannt. Nach Feststellung der mangelnden medizinischen Eignung für die bisherige Tätigkeit wurde der Kläger kurzfristig als Lagerist eingesetzt und am 26.9.2018 zum 30.9.2018 entlassen. Die Unwirksamkeit dieser Entlassung war Gegenstand einer Klage beim Staatsrat Belgien, des vorlegenden Gerichts, das vom EuGH wissen wollte, ob der Begriff „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen“ in Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG auch Versetzungen einschließt. In einem ersten Schritt hat der EuGH geprüft, ob der Kläger während der Probezeit in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fiel. Dabei knüpft der EuGH zunächst an Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG an, wonach die Richtlinie für öffentliche und private Bereiche gleichermaßen gilt und damit die Beklagte als öffentlich-rechtliche AG einbezogen war. Der persönliche Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 1 lit. a, b Richtlinie 2000/78/EG erfasst aus der Sicht des EuGH auch einen Arbeitnehmer, der bei einem Arbeitgeber eine Probezeit absolviert, wenn diese Zeit unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis für einen Arbeitgeber nach dessen Weisung absolviert wird und damit der Arbeitnehmerbegriff i. S. v. Art. 45 AEUV erfüllt ist31. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger ebenso vor wie der Umstand, dass bei ihm eine Behinderung i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG bestand.
30 EuGH v. 10.2.2022 – C-485/20, NZA 2022, 335 – HR Rail. 31 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 861 Rz. 50 – Balkaya.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
In einem zweiten Schritt hat sich der EuGH mit der bislang noch nicht entschiedenen Frage32 beschäftigt, welche Tragweite der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG im Hinblick auf die Versetzung einer Person mit Behinderung an einen anderen Arbeitsplatz innerhalb des Betriebs oder Unternehmens hat, die wegen des Eintritts (oder Vorliegens) einer Behinderung für den Einsatz auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz endgültig ungeeignet geworden ist. Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind nach Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG angemessene Vorkehrungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Ausund Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird. Dabei ist Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG – wie der EuGH ausführt – im Lichte des Erwägungsgrundes 20 zu interpretieren, der auf geeignete Maßnahmen Bezug nimmt, und darunter wirksame und praktikable Maßnahmen versteht, um den Arbeitsplatz behindertengerecht einzurichten, z. B. durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen. Da in diesem Erwägungsgrund nur der Arbeitsplatz genannt ist, könnte daraus geschlossen werden, dass sich die angemessenen Vorkehrungen nur auf diesen beschränken und nicht auf die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes erstrecken können. Demgegenüber geht der EuGH davon aus, dass der Erwägungsgrund 20 der Richtlinie keine abschließende Aufzählung geeigneter Maßnahmen enthält und die „erforderlichen Maßnahmen“ nach Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG im Lichte von Art. 2 Uabs. 4 UN-BRK33 weit auszulegen sind. Diese Aussage unterstützt der EuGH mit dem Hinweis auf das in Art. 21 GRC niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot und die Re32 In der Entscheidung des EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553 – Ring ging es um die Verkürzung der Arbeitszeit am bisherigen Arbeitsplatz. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 82 ist im HIV-Fall offenbar davon ausgegangen, dass Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG als Maßnahme auch die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz einschließt. 33 „Notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen“.
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Schutzpflichten des Arbeitgebers bei einer Behinderung während der Wartezeit
gelung in Art. 26 GRC, wonach die Union den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung sowie ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkennt und achtet. Daraus schlussfolgert der EuGH, dass es im Rahmen „angemessener Vorkehrungen“ i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG eine geeignete Maßnahme darstellen kann, einen Arbeitnehmer, der wegen des Entstehens einer Behinderung für seinen Arbeitsplatz endgültig ungeeignet geworden ist, an einem anderen Arbeitsplatz einzusetzen. Ob diese Möglichkeiten gegeben waren und, wenn ja, eine möglicherweise unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers darstellten, gehört in die Zuständigkeit des über den Streitfall entscheidenden nationalen Vorlagegerichts. Dabei wird Beachtung finden, dass der Kläger von der Beklagten bereits als Lagerarbeiter eingesetzt worden war und diese Tätigkeit mit seiner Behinderung offenbar problemlos wahrnehmen konnte. Diese Entscheidung des EuGH hat vor allem für die Anwendung von § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i. V. m. § 134 BGB für ordentliche Kündigungen gegenüber „einfach“ behinderten Arbeitnehmern im Sinne des Unionsrechts, auf die das KSchG noch keine Anwendung findet (§ 1 KSchG) oder überhaupt nicht anwendbar ist (§ 23 KSchG), und die sich nicht auf § 164 Abs. 4 SGB IX berufen können, eine weiterführende Bedeutung. Dabei kann das Unterlassen angemessener Vorkehrungen i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG i. V. m. Art. 2 Uabs. 4 UN-BRK (§ 241 Abs. 2 BGB), soweit sie den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belasten, neben der Kündigung eine weitere Diskriminierung des Behinderten mit der Rechtsfolge einer Entschädigungspflicht aus § 15 Abs. 2 AGG bedeuten. Der 8. Senat des BAG34 hat in diesem Zusammenhang das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX nicht als eine angemessene Vorkehrung i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG sowie von Art. 27 Abs. 1 S. 2 lit. i i. V. m. Art. 2 Uabs. 3, 4 UN-BRK angesehen und den Arbeitgeber unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH35 nicht für verpflichtet gehalten, bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer innerhalb der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG ein derartiges Verfahren durchführen zu müssen. Die mit einem GdB von 50 % schwerbehinderte Klägerin hatte den Arbeitgeber nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung während der Probezeit auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen, weil dieser dadurch gegen das Benachteiligungsverbot des AGG verstoßen 34 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 402/14, NZA 2016, 1131 Rz. 21. 35 EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553 Rz. 49, 55 – Ring.
83
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
habe, dass er von einem Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX vor Ausspruch der Kündigung abgesehen hat. Da es sich bei den Vorkehrungen i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG um Maßnahmen handele, mit denen den Bedürfnissen behinderter Menschen bei der Arbeit Rechnung getragen und der Arbeitsplatz dieser Menschen entsprechend ausgestaltet werden solle und sich deren Angemessenheit danach richte, was im konkreten Fall geeignet und erforderlich sei, könne das Präventionsverfahren selbst nicht zu einer derartigen Maßnahme gehören, weil es eine solche nicht beschreibe. Als Verfahrensvorschrift diene das Präventionsverfahren vielmehr nur der Ermittlung der Schwierigkeiten im Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis und ihrer Kausalität sowie der Klärung, ob und ggf. welche Maßnahmen eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen36. Ungeachtet dessen hat das BAG37 grundsätzlich eine Verpflichtung des Arbeitgebers verneint, während der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX einleiten und durchführen zu müssen, weil dieses als präventives Verfahren darauf angelegt sei, einem nach § 1 Abs. 2 KSchG vorgesehenen Kündigungsgrund zuvorzukommen. Dies spielt in der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, bei der es auf einen Kündigungsgrund i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG nicht ankommt, keine Rolle. Im Anschluss daran hat der 9. Senat des BAG38 das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ebenfalls nicht als angemessene Vorkehrung i. S. v. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG oder von Art. 27 Abs. 1 S. 2 lit. i i. V. m. Art. 2 Uabs. 3, 4 UN-BRK eingestuft, sondern lediglich als eine Verfahrensregelung zur Klärung von Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, qualifiziert. Dieser rechtlich regulierte verlaufs- und ergebnisoffene „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll, werde unionsrechtlich nicht vorgeschrieben, so dass es entsprechend dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung sei, die Verfahrensmodalitäten auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten39. Dabei geht der 9. Senat des BAG davon aus, dass § 167 Abs. 2 SGB IX eine äquivalente und hinreichend effektive Umsetzung der Vorga-
36 37 38 39
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BT-Drucks. 14/3372 S. 16. BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 402/14, NZA 2016, 1131 Rz. 27. BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 20. BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 22.
Folgen der elektronischen AU-Bescheinigung für die Arbeitsvertragsgestaltung
ben von Art. 5 S. 1 Richtlinie 2000/78/EG und Art. 27 Abs. 1 S. 2 lit. i UNBRK gewährleistet40. (Boe)
3.
Wirkungsweise und Folgen der elektronischen AUBescheinigung für die Arbeitsvertragsgestaltung
Demnächst soll der eine Arbeitsunfähigkeit dokumentierende „gelbe Schein“, den der Arbeitnehmer als ein Original mit zwei Durchschlägen von dem krankschreibenden Arzt erhalten hat, digitalisiert werden41. Bislang wird das für die Krankenkasse bestimmte Original vom Arbeitnehmer an die Krankenkasse übersandt. Einen Durchschlag (Ausfertigung zur Vorlage beim Arbeitgeber) muss der Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG im Fall die Arbeitsunfähigkeit, die länger als drei Kalendertage andauert, dem Arbeitgeber spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorlegen, wenn der Arbeitgeber nicht von der rechtlichen Möglichkeit nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG Gebrauch macht, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher – etwa ab dem ersten Tag – zu verlangen. Einen Durchschlag (Ausfertigung für Versicherte) behält der Arbeitnehmer und einen weiteren Durchschlag (Ausfertigung zum Verbleib beim Arzt) behält der behandelnde Arzt. Das Original und die Ausfertigungen sind vom Arzt eigenhändig zu unterschreiben. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 S. 4 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen.
a)
Änderung der Nachweispflicht ab dem 1.1.2023 für Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse
Auf der Grundlage von Art. 9, 11 Nr. 3 BEG III vom 22.11.201942, die gemäß Art. 16 Abs. 4 i. d. F. von Art. 12 b des Gesetzes Digitale Rentenübersicht43 zunächst am 1.1.2022 und sodann am 1.7.2022 in Kraft treten sollten, nun aber durch Art. 4 b des Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen44 erst am 1.1.2023 in Kraft gesetzt werden, kommt es für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind, zu einer grundsätzlichen Änderung der Nachweispflicht ihrer Ar40 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 22 ff. 41 Hierzu auch BT-Drucks. 20/736; BDA v. 22.2.2022 und 11.1.2022; Kleinebrink, ARP 2022, 130; Otto/Millgramm, ArbRB 2022, 87. 42 BGBl. I 2019, 1746. 43 BGBl. I 2021, 154. 44 BGBl. I 2022, 482, in Kraft seit dem 26.3.2022 (Art. 5 Abs. 1).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
beitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber. In einem neuen Abs. 1 a des § 5 EFZG wird für diese Arbeitnehmer vorgesehen, dass sie zu den in § 5 Abs. 1 S. 2 bis 4 EFZG genannten Zeitpunkten zwar das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 S. 2 oder 4 EFZG aushändigen lassen müssen, die Pflicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegenüber dem Arbeitgeber jedoch entfällt. Dies gilt gemäß § 5 Abs. 1 a S. 2 EFZG nicht für geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten und in Fällen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Nicht geändert wird dabei die in § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG vorgesehene Pflicht für alle Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird in der ab dem 1.1.2023 geltenden Neuregelung des § 109 Abs. 1 SGB IV45 dadurch ersetzt, dass die Krankenkasse nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten gemäß § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen hat, die insbesondere die folgenden Daten enthält: 1. den Namen des Beschäftigten, 2. den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, 3. das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, 4. die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung, 5. die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht46.
Die zuletzt unter Nr. 5 genannte Angabe soll den Arbeitgeber frühzeitig in die Lage versetzen, ggf. bestehende Erstattungsansprüche gegen Dritte zu prüfen47. Stellt die Krankenkasse auf Grundlage der Angaben zur Diagnose in den Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V und auf Grundlage von weiteren ihr vorliegenden Daten fest, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten für einen Arbeitgeber ausläuft, so übermittelt sie dem betroffenen Arbeitgeber gemäß § 109 Abs. 2 SGB IV eine Meldung mit den Angaben über die für 45 BGBl. I 2020, 1248. 46 BT-Drucks. 19/19037 S. 9, 10, 46. 47 BT-Drucks. 19/19037 S. 46.
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Folgen der elektronischen AU-Bescheinigung für die Arbeitsvertragsgestaltung
ihn relevanten Vorerkrankungszeiten, was jedoch nach S. 2 nicht für geringfügig Beschäftigte gilt. Gleiches gilt gemäß § 109 Abs. 3 a SGB IV nach Eingang der voraussichtlichen Dauer und des Endes von stationären Krankenhausaufenthalten (§ 301 Abs. 1 S. 1 SGB V) mit der Maßgabe, dass die Meldung abweichend von § 109 Abs. 1 S. 1 SGB IV nur die Daten nach § 109 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IV und den Beginn, die voraussichtliche Dauer und das Ende des stationären Krankenhausaufenthaltes zu enthalten hat. Nach § 109 Abs. 3 b SGB IV gelten die Abs. 1 bis 3 entsprechend bei Eingang von Arbeitsunfähigkeitsdaten, die auf Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (§ 201 Abs. 2 SGB VII) beruhen. Nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 SGB V sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten aufzuzeichnen und den Krankenkassen zu übermitteln. Dabei hat nach S. 10 dieser Vorschrift die Übermittlung nach S. 1 Nr. 1 unter Angabe der verschlüsselten Diagnosen (§ 295 Abs. 1 S. 2 SGB V) sowie unter Nutzung des sicheren Übermittlungsverfahrens nach § 311 Abs. 6 SGB V48 über die Telematikinfrastruktur unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu erfolgen.
b)
Optionale Übergangsphase vom 1.1.2022 bis zum 31.12.2022
Für die Dauer der Übergangsphase bis zur Anwendung der §§ 5 Abs. 1 a EFZG, 109 SGB IV am 1.1.2023 hat der Gesetzgeber in § 125 SGB IV vom 1.1.2022 bis zum 31.12.202249 dem verpflichtenden Verfahren eine optionale Phase vorgeschaltet, in der bereits praktische Erfahrungen seitens der verschiedenen beteiligten Stellen unter Einbeziehung der Arbeitgeber für das elektronische Verfahren zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsmeldung gesammelt werden können. An diesem Pilotverfahren dürfen nur Arbeitgeber, abrechnende Stellen und Krankenkassen teilnehmen, die die zugelassenen technischen und formalen Voraussetzungen für das Verfahren voll erfüllen50. Unter dieser Prämisse haben die Krankenkassen ab dem 1.1.2022 für Arbeitgeber, die optional von dem elektronischen Abrufverfahren der Ar48 Die Gesellschaft für Telematik legt in Abstimmung mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und mit der oder dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sichere Verfahren zur Übermittlung medizinischer Daten über die Telematikinfrastruktur fest. 49 Art. 4 c des Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandnemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen. 50 BT-Drucks. 19/19037 S. 47.
87
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
beitsunfähigkeitsdaten (eAU-Verfahren) durch systemgeprüfte Programme Gebrauch machen51, die Daten nach § 109 Abs. 1 SGB IV zum Abruf vorzuhalten. Dies setzt freilich voraus, dass die Vertragsärzte ihrer in § 295 Abs. 1 SGB V vorgesehenen Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkassen bereits technisch nachkommen können52. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es bei der bisherigen Papierlösung53. Der Arzt händigt dem Patienten neben den Ausfertigungen für den Patienten und den Arbeitgeber einen weiteren unterschriebenen Ausdruck aus, den dieser an seine Krankenkasse schickt. Für den Arbeitgeber besteht jedoch für die Dauer der Übergangsphase das in § 5 Abs. 1 EFZG verbriefte Recht, die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen zu können. Verfügt der Arbeitgeber bereits über die zugelassenen technischen Voraussetzungen für einen Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung bei der Krankenkasse, ist weitere Voraussetzung für den Abruf, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit bei dem Arbeitgeber beschäftigt ist, der entsprechenden Krankenkasse angehört und dem Arbeitgeber die abzurufende Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG mitgeteilt hat und eine vertragsärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach § 5 Abs. 1 a EFZG bei der Krankenkasse vorliegt. Letzteres hängt davon ab, ob diese Feststellung des Vertragsarztes erst am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen hat, so dass die Abfrage des Arbeitgebers bei der Krankenkasse frühestens am fünften Tag der Arbeitsunfähigkeit Erfolg verspricht, oder auf Verlangen des Arbeitgebers eine frühere Feststellung des Arztes erfolgen muss, die zunächst an die Krankenkasse elektronisch zu übermitteln ist. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Feststellung des Arztes angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, spätestens am auf das bisher festgestellte Ende der Arbeitsunfähigkeit folgenden Werktag eine weitere ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit treffen zu lassen, die erst nach Übermittlung an die Krankenkasse vom Arbeitgeber abgerufen werden kann.
51 Sofern Arbeitgeber Meldungen über Arbeitsunfähigkeitszeiten von den Krankenkassen anfordern, ist hierfür von ihnen der Datenaustausch eAU verpflichtend einzusetzen. Die Anforderungen durch die Arbeitgeber bei den Krankenkassen dürfen nur durch eine gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung aus systemgeprüften Programmen abgegeben werden. 52 Vgl. dazu BT-Drucks. 19/13959 S. 41. 53 Nach einer bundesweiten Befragung von über 5300 Praxen vom 13.1.2022 bis zum 20.1.2022 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (abrufbar unter kbv.de) versenden nur etwa 13 % der Praxen eine eAU.
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Folgen der elektronischen AU-Bescheinigung für die Arbeitsvertragsgestaltung
c)
Störfall im elektronischen System des Vertragsarztes
Kann der behandelnde Vertragsarzt wegen eines Störfalls in seinem elektronischen System die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht an die Krankenkasse weiterleiten, hat er eine schriftliche und eigenhändig unterschriebene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 S. 2, 4 EFZG mit den für den Arbeitgeber bestimmten Daten auszustellen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Damit bleibt dem Arbeitnehmer die Papierbescheinigung als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert erhalten, um insbesondere bei derartigen Störfällen das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG außerprozessual und prozessual nachzuweisen. Den Arbeitnehmer trifft zudem die Obliegenheit, sich unabhängig von einem Störfall ab dem 1.1.2023 nach § 5 Abs. 1 a S. 2 EFZG eine schriftliche Bestätigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit aushändigen zu lassen, die gegenüber dem Arbeitgeber den Nachweis über Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit enthält.
d)
Grundsätze für den Datenaustausch
Nach den vom GKV-Spitzenverband (Spitzenverband Bund der Krankenkassen) aufgestellten und genehmigten Grundsätzen für die Meldungen der Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen des Datenaustausches (eAU – § 109 Abs. 1 i. V. m. § 125 Abs. 5 SGB IV) haben Arbeitgeber die Anforderung der Arbeitsunfähigkeitsmeldung bei der Krankenkasse zu nutzen, bei der neben den Identifizierungsmerkmalen des Arbeitnehmers im Feld „AU_ab_AG“ der Tag des Beginns der durch den Arbeitnehmer gemeldeten Arbeitsunfähigkeit und bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit der erste Tag nach dem Ende der bisher vorliegenden bescheinigten Arbeitsunfähigkeit anzugeben ist. Unter Verwendung der „Rückmeldung_eAU_KK“ für die Rückmeldung der Arbeitsunfähigkeitszeiten durch die Krankenkassen meldet die Krankenkasse dem Arbeitgeber unverändert die Informationen, die sie im Datenaustausch nach § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V vom Vertragsarzt erhalten hat und gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 SGB IV zum Abruf zur Verfügung zu stellen sind. Zuständig ist nur die Krankenkasse, bei der für den Abfragezeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit eine Mitgliedschaft des Arbeitnehmers besteht.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
e)
Privat krankenversicherte Arbeitnehmer und Krankschreibung im Ausland
Wie bereits zuvor dargelegt worden ist, gilt diese Umstellung auf eine eAU nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer, nicht aber für Arbeitnehmer, die eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben oder wenn die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt erfolgt (§ 5 Abs. 1 a S. 3 Nrn. 1, 2 EFZG). Für Arbeitnehmer, die privat krankenversichert sind, bleibt es auch nach dem 1.1.2023 bei der bisherigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform. Das eAU-Verfahren gilt auch nicht für Krankschreibungen, die im Ausland erfolgen. Insoweit verbleibt es bei der Regelung des § 5 Abs. 2 EFZG und – soweit anwendbar – bei der Verordnung 987/2009/EG.
f)
Handlungsoptionen für die betriebliche Praxis
Abgesehen davon, dass die betriebliche Praxis rechtzeitig vor dem 1.1.2023 für die informationstechnische Umsetzung der Datenübertragung im Meldedialog mit den Krankenkassen sorgen muss, die auch datenschutzrechtlich, insbesondere bei der Beauftragung eines Dritten, beanstandungsfrei zu vollziehen ist, bedarf es der Prüfung, ob der Arbeitgeber auf vertraglicher Ebene auf die eAU reagieren sollte und inwieweit derartige Vertragsgestaltungen der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen können. Damit hängt auch die Frage zusammen, ob als Gestaltungsmittel eine Betriebsvereinbarung in Betracht kommt. Im Zusammenhang mit der eAU kann sich wie bisher die Ausübung des dem Arbeitgeber nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG zustehenden Rechts ergeben, von dem Arbeitnehmer die Feststellung des Bestehens einer Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer schon vom ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen sowie die näheren Modalitäten der unverzüglichen Krankmeldung, insbesondere die anzusprechende Person oder Abteilung, festzulegen. Dabei bedarf das Verlangen nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG weder einer Begründung noch eines sachlichen Grundes oder etwa eines besonderen Verdachtsmoments – etwa i. S. v. § 275 Abs. 1 Nr. 3 b SGB V –, weil diese Vorschrift keinerlei einschränkende Voraussetzungen benennt54. Des Weiteren sind Regelungen denkbar, die einem Ausfall der Technik oder einem Kassenwechsel des Arbeitnehmers Rechnung tragen sollen. Allerdings sind dabei die Unabdingbarkeitsgrenzen aus § 12 EFZG zu beachten, wonach von den Vorschriften des EFZG nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers ab54 BAG v. 14.11.2012 – 5 AZR 886/11, NZA 2013, 414 Rz. 11, 14.
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Folgen der elektronischen AU-Bescheinigung für die Arbeitsvertragsgestaltung
gewichen werden darf. Davon wäre ab 1.1.2023 etwa auszugehen, wenn der Arbeitgeber von den in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten Arbeitnehmern ohne das Vorliegen eines Störfalls verlangen würde, stets eine ärztliche Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 S. 2 oder 4 EFZG vorlegen zu müssen, um möglicherweise den Namen des krankschreibenden Arztes, der bei der eAU-Abfrage nicht bekannt gegeben wird, zu erfahren.
g)
Mitbestimmung des Betriebsrats
Neben § 12 EFZG kann sich eine weitere Einschränkung der Handlungsbefugnis des Arbeitgebers für Nachweispflichten bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG als Teil des Ordnungsverhaltens55 der Arbeitnehmer ergeben, weil es dabei nicht um die Konkretisierung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers geht56. Dies gilt immer dann, wenn der Arbeitgeber nicht im Einzelfall abweichend von § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG, sondern generell (Regelungsfrage) von allen oder einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern die frühere ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit beansprucht57. Der im elektronischen Verfahren unter Angabe der Versicherungsnummer des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers und des Datums des Beginns der Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber ab dem 1.1.2023 vorzunehmende Abruf der eAU unterliegt wegen des Gesetzesvorbehalts aus § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG keiner Mitbestimmung des Betriebsrats, insbesondere keiner Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BetrVG, zumal dem Arbeitgeber kein Gestaltungsspielraum für den Abruf und die damit einhergehende Verwertung als Zeiten der Arbeitsunfähigkeit verbleibt (§ 109 Abs. 4 SGB IV). Insofern spielt es keine Rolle, dass nach der Rechtsprechung des BAG58 auch Feststellungen über krankheitsbedingte Fehlzeiten Aussagen über ein Verhalten der Arbeitnehmer sein können und damit der technische Weg des Abrufs der eAU eine Verhaltenskontrolle des Arbeitnehmers erlaubt. Für den Zeitraum der Pilotphase (§ 125 SGB IV) bis zum 31.12.2022 kann dies anders zu beurteilen sein, weil der Arbeitgeber bis dahin die freie Wahl hat, ob er das Abrufverfahren nutzt.
55 An der Ausgestaltung des Regelungsspielraums zum „Ob“ und zum „Wie“ der Nachweispflicht hat der Betriebsrat mitzubestimmen: BAG v. 23.8.2016 – 1 ABR 43/14, NZA 2016, 1483 Rz. 16. 56 BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 235/18 n. v. (Rz. 27); BAG v. 22.8.2017 – 1 ABR 52/14, NZA 2018, 50 Rz. 24. 57 Vgl. BAG v. 23.8.2016 – 1 ABR 43/14, NZA 2016, 1483 Rz. 16. 58 BAG v. 11.3.1986 – 1 ABR 12/84, BB 1986, 1292 Rz. 26.
91
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
h)
Mögliche regelungsbedürftige Aspekte
Regelungsbedürftig erscheinen Aspekte, die für die Personaleinsatzplanung, aber auch für die Entgeltabrechnung von Bedeutung sind. Ein Abruf der eAU setzt zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit gesetzlich krankenversichert ist und der Abruf bei der Krankenkasse zu erfolgen hat, bei der die Versicherung zum anzufragenden Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit besteht. Da jeder Arbeitnehmer die für ihn günstigste Krankenkasse wählen kann, muss der Arbeitgeber sichergehen, dass ihm jedweder Wechsel der Krankenkasse vom Arbeitnehmer unverzüglich mitgeteilt wird. Erfolgt die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht durch einen Arzt, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, könnte sich ein besonderer Hinweis auf die Nachweispflicht nach § 5 Abs. 1 S. 2, 4 EFZG als nützlich erweisen, die mit der Pflicht verbunden wird, sich vom Vertragsarzt eine entsprechende ärztliche Bescheinigung aushändigen zu lassen. Daran ist ebenfalls zu denken, wenn aus technischen Gründen die eAU-Abfrage nicht stattfinden kann (sog. Störfälle), weil etwa die Technologie des Vertragsarztes versagt. Als regelungsbedürftig kann sich erweisen, wem gegenüber im Betrieb die Krankmeldung zu erfolgen hat. Da sich bezüglich der gesetzlichen Pflicht des Arbeitnehmers zur Anzeige und voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit sowie deren Verlängerung nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ab dem 1.1.2023 nichts ändert, besteht insoweit wegen der Umstellung auf die eAU bei bereits bestehenden betrieblichen Regelungen kein weiterer Handlungsbedarf. Soweit jedoch der Arbeitgeber generell gegenüber gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern von der Möglichkeit einer früheren vom Gesetz abweichenden Nachweispflicht durch entsprechende vertragsärztliche Feststellung Gebrauch machen will, bedarf ein entsprechendes Verlangen der Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Insofern kann es für den Arbeitgeber durchaus attraktiver sein, die vorzeitige Nachweispflicht mitbestimmungsfrei auf konkrete Einzelfälle zu beschränken. (Boe)
4.
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei Nichtbeachtung von Corona-Schutzregeln
Die Entscheidung des LAG München vom 14.2.202259 macht deutlich, dass eine Nichtbeachtung der dem Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsschutzes obliegenden Verpflichtungen zum Schutz von Arbeitnehmern vor einer
59 LAG München v. 14.2.2022 – 4 Sa 457/21 n. v.
92
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei Nichtbeachtung von Corona-Schutzregeln
Corona-Erkrankung auch unmittelbare Schadensersatzverpflichtungen zur Folge haben kann, die nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung aufgefangen werden. In dem zugrunde liegenden Fall fuhr der Geschäftsführer der Beklagten, der zuvor aus seinem Urlaub in Italien mit Erkältungssymptomen zurückgekommen war, am 18.8.2020 und 20.8.2020 mit der Klägerin – beide ohne Mund-Nasen-Schutz – in einem PKW zu Eigentümerversammlungen, wobei die Fahrten zweimal eine halbe bzw. zweimal mehr als eine viertel Stunde dauerten. Nachdem die Ehefrau des Geschäftsführers bereits am 20.8.2020 positiv auf das Coronavirus getestet wurde, erhielt auch der Geschäftsführer selbst am 24.8.2020 im Anschluss an einen Corona-Test die Mitteilung, dass er positiv sei. Daraufhin ordnete das Gesundheitsamt gegenüber der Klägerin, die als erste Kontaktperson eingestuft wurde, am 25.8.2020 eine Quarantäne bis zum 3.9.2020 an. Als Folge dieser Quarantäne konnte die für den 29.8.2020 geplante kirchliche Trauung mit anschließender Hochzeitsfeier der Klägerin, zu der 99 Gäste eingeladen worden waren, nicht stattfinden. Die Klägerin machte daher im Wege einer Schadensersatzklage geltend, dass ihr für die Anmietung der Räumlichkeiten, den Caterer, eine Band mit Sängerin und weitere Ausgaben insgesamt 5.113,04 € zu zahlen seien. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz hat das LAG München einen Zahlungsanspruch der Klägerin i. H. v. 4.915,84 € bestätigt. Die Beklagte habe die ihr nach § 241 Abs. 2 BGB obliegende Führsorgepflicht gegenüber der Klägerin als ihre Arbeitnehmerin durch ihren Geschäftsführer verletzt, indem dieser trotz Erkältungssymptomen seit seiner Rückkehr aus Italien am 18.8.2020 und 20.8.2020 mit der Klägerin zusammen längere Zeit in einem Auto gefahren sei. Damit habe die Beklagte gegen die C-ASR in ihrer damaligen Fassung verstoßen, nach der die Arbeitsumgebung so zu gestalten war, dass Sicherheitsabstände von 1,5 Metern eingehalten werden konnten und Personen, die Krankheitssymptome hatten, zu Hause bleiben mussten. Dieser Bewertung ist im Ergebnis zuzustimmen. Unabhängig davon, ob man die C-ASR tatsächlich als rechtsverbindliche Vorgabe verstehen will, was wohl zum damaligen Zeitpunkt nicht der Fall war, weil die entsprechende Gestaltungsmöglichkeit in §§ 18 Abs. 3, 24 a ArbSchG erst zum 1.1.2021 geschaffen wurde, dürfte sich diese Verpflichtung jedenfalls aus §§ 618 BGB, 3 ff. ArbSchG ergeben haben. Die C-ASV, mit der entsprechende Maßnahmen zur Kontaktreduktion im Betrieb als konkrete Handlungspflicht im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie eingeführt worden waren, war erst im Januar 2021 in Kraft getreten.
93
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Berechtigterweise ist das LAG München auch davon ausgegangen, dass die Pflichtverletzung ursächlich für den eingetretenen Schaden gewesen ist. Denn die Quarantäneanordnung wäre nicht gegen die Klägerin erlassen worden, wenn der Geschäftsführer der Beklagten nicht ins Büro gekommen oder wenigstens den notwendigen Abstand zur Klägerin durch getrennte Autofahrten gewahrt hätte. Da insoweit auch vom Verschulden auszugehen war und Mitverschulden der Klägerin zu Recht abgelehnt worden ist, musste die Beklagte den eingetretenen Schaden ersetzen. Insbesondere konnte – so das LAG München – von der Klägerin nicht erwartet werden, dass sie selbst von ihrem Geschäftsführer verlangte, ein zweites Auto zu nutzen. (Ga)
5.
Aktuelles zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements
a)
Das bEM als verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess
In seinem Urteil vom 7.9.202160 hat das BAG noch einmal darauf hingewiesen, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) i. S. d. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“ sei, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle. Ziel des bEM sei es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen sei, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestünden, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, und so eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden61. § 167 Abs. 2 SGB IX schreibe daher weder konkrete Maßnahmen noch einen bestimmten Verfahrensablauf vor. Aus dem Gesetz ließen sich lediglich gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehöre es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und – mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Personen – zusammen mit Ihnen ernsthaft eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung zu versuchen. Dabei entspreche ein bEM-Verfahren den gesetzlichen Anforderungen nur, wenn es keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten ausschließe und in ihm die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert würden62.
60 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 9. 61 Ebenso BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rz. 30. 62 Ebenso bereits BAG v. 20.5.2020 – 7 AZR 100/19, NZA 2020, 1194 Rz. 32; BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389 Rz. 30.
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Aktuelles zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements
b)
Arbeitnehmerseitiger Anspruch auf Durchführung des bEM
Gemäß § 167 Abs. 2 S. 7 SGB IX kann zwar die zuständige Interessenvertretung i. S. d. § 176 SGB IX (insbesondere Betriebs- und Personalrat), bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, die Durchführung des bEM verlangen. Das BAG lehnt allerdings einen Individualanspruch des von einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit betroffenen Arbeitnehmers auf Einleitung und Durchführung eines bEM ab63. Dies folge bereits aus der Systematik des Gesetzes, mit dem ein solcher Anspruch nur den Arbeitnehmervertretern zuerkannt worden sei. Ein individualrechtlicher Anspruch, wie er beispielsweise durch § 164 Abs. 4 SGB IX geschaffen worden sei, sei in § 167 Abs. 2 SGB IX nicht zum Ausdruck gebracht worden. Nach den Feststellungen des BAG liegt darin auch kein Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78/EG bzw. die UN-BRK, nach denen die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, angemessene Vorkehrungen zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu treffen. Denn das bEM stelle – so das BAG – keine angemessene Vorkehrung dar, sondern sei lediglich eine Verfahrensregelung zur Klärung von Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden könne. Da weder die Richtlinie 2000/78/EG noch die UN-BRK ein bestimmtes Verfahren zur Ermittlung angemessener Vorkehrungen verlange, bleibe es den Mitgliedstaaten überlassen, Regelungen zu schaffen, die einen Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisteten64. Hier werde der erforderliche Schutz nicht nur dadurch geschaffen, dass § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX dem Arbeitgeber die Initiativlast zur Durchführung des bEM zuweise. Eine äquivalente und hinreichend effektive Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben werde im Übrigen dadurch gewährleistet, dass sich der Arbeitgeber, wenn das bEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt werde, zur Abwehr eines Beschäftigungsverlangens des Arbeitnehmers oder zur Begründung einer Kündigung nicht darauf beschränken dürfe vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitnehmer und es gäbe keine Arbeitsplätze, die dieser mit seinem Leistungsvermögen ausfüllen könne, oder es sei mit einer Verringerung von Fehlzeiten nicht zu rechnen. Vielmehr habe der Arbeitgeber nach
63 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 12 ff. 64 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 20 f.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
den hierzu durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen von sich aus denkbare und vom Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen zu würdigen. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst seine (Weiter-)Beschäftigung oder Hilfen zur Verringerung von Fehlzeiten vorstelle. Damit ist die fehlende Durchführung des bEM nur dann unschädlich, wenn es überhaupt keine positiven Ergebnisse hätte beseitigen können 65. Dazu müsse – so das BAG – der Arbeitgeber umfassend und konkret vortragen, warum ein bEM in keinem Fall hätte dazu beitragen können, das Arbeitsverhältnis bzw. die Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten66. Abschließend lehnt es das BAG außerdem ab, aus dem Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) oder einer Konkretisierung der Schutzpflicht des Arbeitgebers aus § 618 BGB einen individualrechtlichen Durchführungsanspruch in Bezug auf das bEM abzuleiten. Die Gerichte müssten die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren, nur den in § 167 Abs. 2 S. 7 SGB IX genannten Arbeitnehmervertretern, nicht aber den betroffenen Arbeitnehmern selbst, einen Anspruch auf Einleitung und Durchführung des bEM einzuräumen67.
c)
Auswirkungen von Fehlern beim bEM auf das Kündigungsschutzverfahren
In seinem Urteil vom 18.11.202168 hat das BAG die vorstehend bereits geschilderten Grundsätze zu den Auswirkungen einer fehlenden oder fehlerhaften Umsetzung der aus § 167 Abs. 2 SGB IX folgenden Verpflichtungen in Bezug auf die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens noch einmal bestätigt. Damit gelten für den Arbeitgeber, der die Vorgaben zum bEM nicht erfüllt, strengere Anforderungen in Bezug auf seine Verpflichtung, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die krankheitsbedingte Kündigung durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Ausgangspunkt hierfür ist die Annahme, dass eine personenbedingte Kündigung unverhältnismäßig ist, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Ver65 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253. 66 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 24; BAG v. 26.2.2020 – 7 AZR 121/19, NZA 2020, 795 Rz. 30; BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, NZA 2018, 1056 Rz. 51. 67 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, NZA 2022, 257 Rz. 28. 68 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253.
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Aktuelles zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements
tragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung – so das BAG – ist deshalb nicht durch eine Krankheit i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen könnten insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus könne sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern69. Von diesen Grundsätzen ausgehend kann sich der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, im Kündigungsschutzprozess zwar grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. Dabei können auch geringwertigere Arbeitsplätze oder Arbeitsplätze einbezogen werden, die erst nach zumutbaren Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten übernommen werden können. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer, substantiiert zu Arbeitsplätzen vorzutragen, auf denen er – abweichend von der Behauptung des Arbeitgebers – über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus – ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen – weiterbeschäftigt werden könnte. Wenn der Arbeitgeber jedoch gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei er – so das BAG – darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht hätte dazu beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Insofern sei die Durchführung eines bEM zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiere aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mithilfe des bEM könnten mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden70. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass diese Umkehr der Darlegungsund Beweislast nicht nur dann zum Tragen kommt, wenn gar kein bEM durchgeführt wurde. Vielmehr kann auch die fehlerhafte Durchführung des 69 Ebenso bereits BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rz. 24. 70 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253 Rz. 13; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rz. 38.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
bEM Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess haben. Auch darauf hat das BAG im Urteil vom 18.11.202171 noch einmal hingewiesen. Wenn der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen habe, ein bEM anzubieten, ihm aber im Zusammenhang mit dem Angebot zu seiner Durchführung oder der Durchführung selbst Fehler unterlaufen seien, müsse mit Blick auf den Umfang seiner Darlegungslast geprüft werden, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können. Das könne insbesondere dann der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer gerade aufgrund der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch den Arbeitgeber einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt habe, was der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall bedürfe. Beispielhaft sei insoweit auf das Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 20.10.202172 hingewiesen, das einen relevanten Verfahrensfehler des Arbeitgebers in dem Umstand gesehen hat, dass die dem Arbeitnehmer mit der Einladung zum bEM übermittelnde Einwilligung in die weitere Verarbeitung gesundheitsbezogener Daten eine Weiterleitung auch an Personen vorsah, die nicht am bEM beteiligt waren, obgleich diese Personen gar nicht alle Daten aus dem bEM benötigten, um die gesetzlichen Pflichten im Zusammenhang mit der weiteren Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zu erfüllen. Diese Sichtweise des BAG hat erhebliche Bedeutung. Denn sie bewirkt, dass der Umstand, dass der Arbeitnehmer die Durchführung des bEM abgelehnt hat, allein noch nicht bewirkt, dass es bei der normalen Darlegungs- und Beweislast bleibt. Vielmehr ist der Arbeitgeber gehalten, darzulegen und zu beweisen, dass dieser Ablehnung durch den Arbeitnehmer eine ordnungsgemäße Einladung durch den Arbeitgeber vorangegangen ist. Nur bei einer ordnungsgemäßen Einladung bewirkt die Ablehnung, dass davon ausgegangen werden darf, dass durch das bEM keine milderen Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können73.
d)
Verpflichtung zur wiederholten Durchführung des bEM
Gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX muss der Arbeitgeber das bEM durchführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Mit dem vorstehend be-
71 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253 Rz. 16. 72 LAG Baden-Württemberg v. 20.10.2021 – 4 Sa 70/20, NZA-RR 2022, 70. 73 So BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253 Rz. 16.
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Aktuelles zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements
reits genannten Urteil vom 18.11.202174 hat das BAG klargestellt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich ein neuerliches bEM durchführen müsse, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen sei. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber am 5.3.2019 ein bEM durchgeführt, weil der Kläger zuvor innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt war. Als der Kläger im Anschluss an das bEM aber erneut weitere 79 Tage arbeitsunfähig erkrankt war, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, ohne erneut ein bEM durchzuführen. Für das Kündigungsschutzverfahren musste daher geklärt werden, ob darin eine Missachtung der aus § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX liegenden Verpflichtung zu sehen war. Denn in diesem Fall resultierte daraus die Notwendigkeit, arbeitgeberseitig ohne einen entsprechenden Hinweis des Arbeitnehmers darzulegen und ggf. zu beweisen, dass keine Möglichkeit bestanden hätte, den Arbeitnehmer (leidensgerecht) auf einem anderen (freien) Arbeitsplatz im Unternehmen weiterzubeschäftigen. Das BAG begründet sein Ergebnis nicht nur mit dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, sondern vor allem mit dem Sinn und Zweck des bEM. Diesem widerspreche es, in das Gesetz ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von einem Jahr eines bereits durchgeführten bEM hineinzulesen. Voraussetzung für die Verpflichtung des Arbeitgebers, ein neues bEM durchzuführen, sei aber, dass das vorangehende bEM-Verfahren zu dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer erneut für die Dauer von mehr als sechs Wochen erkrankt ist, bereits abgeschlossen gewesen sei. Nach den Feststellungen des BAG ist ein bEM jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt wurde oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Dies gelte entsprechend, wenn allein der Arbeitnehmer seine Zustimmung für die weitere Durchführung nicht erteilt. Denn diese Zustimmung ist nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX Voraussetzung für den Klärungsprozess. Der Arbeitgeber könne – so das BAG – den Suchprozess grundsätzlich nicht einseitig beenden. Gebe es aus seiner Sicht keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, sei der Klärungsprozess deshalb erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn auch vom Arbeitnehmer und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielfüh-
74 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253 Rz. 17 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
rende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt würden. Falls Zweifel bestehen, sei ihnen hierzu Gelegenheit binnen einer bestimmten Frist zu geben75. Die Notwendigkeit zur Durchführung eines erneuten bEM besteht nach Auffassung des BAG auch dann, wenn der Arbeitnehmer früheren Verfahren nicht zugestimmt hat. Denn die in der Vergangenheit ablehnende Haltung des Arbeitnehmers könne sich allein durch die zusätzlich aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten geändert haben76. Hat der Arbeitgeber entgegen § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX kein erneutes bEM durchgeführt, kann er eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses zunächst einmal dadurch verhindern, dass er darlegt und ggf. beweist, dass auch ein neuerliches bEM schon deshalb kein positives Ergebnis erbracht hätte, weil bereits das vorherige keines ergeben habe und keine relevanten Veränderungen gegenüber dem für den Suchprozesses des vorherigen bEM maßgeblichen Stand der Dinge eingetreten seien. Im Übrigen aber kann eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nur dadurch verhindert werden, dass der Arbeitgeber zur Überzeugung des Gerichts darlegen kann, dass die Durchführung eines (weiteren) bEM keine positiven Ergebnisse hätte ergeben können. Der Arbeitgeber trägt aber die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Nutzlosigkeit eines weiteren bEM. Dazu muss er – so das BAG – umfassend und konkret vortragen, weshalb weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Darüber hinaus müsse er dartun, dass künftige Fehlzeiten auch nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger im relevanten Umfang hätten vermieden werden können. Für diese Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers ist es – so das BAG – nicht erforderlich, das sich der Arbeitnehmer im Verfahren auf eine bestimmte Umgestaltungsmaßnahme, Beschäftigungsalternative oder Hilfe bzw. Leistung des Rehabilitationsträgers beruft. Da der Arbeitgeber die primäre Darlegungslast für die Nutzlosigkeit eines bEM trage, müsse vielmehr er von sich aus zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten oder zur Nutzlosigkeit anderer, ihm zumutbarer Maßnahmen vortragen. Diese Verpflichtung gilt nach den Feststellungen des BAG allerding nur im Rahmen des dem Arbeitgeber Möglichen und des nach den Umständen des Streitfalls Veranlassten. Damit habe der Arbeitgeber von sich aus alle ver75 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253 Rz. 29 f. 76 BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA 2022, 253 Rz. 32.
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Aktuelles zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements
nünftigerweise in Betracht kommenden – und vom Arbeitnehmer ggf. bereits außergerichtlich genannten – Alternativen zu würdigen und, soweit ihm aufgrund seines Kenntnisstands möglich, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an die dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz oder eine Maßnahme des Rehabilitationsträgers in Betracht komme. Dabei sei eine Abstufung seiner Darlegungslast vorzunehmen, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt seien. Welche Auswirkungen diese Umkehr der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess hat, wird man einzelfallbezogen feststellen müssen. Geht es um Zeiten einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit, dürfte durchaus die Möglichkeit gegeben sein, unter Bezug auf die Art der Erkrankung darzulegen und ggf. zu beweisen, dass auch bei einem erneuten bEM keine Möglichkeiten geschaffen worden wären, eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen. Soweit Kurzerkrankungen in Rede stehen, die auf vielfältige Ursachen zurückgeführt werden können, dürfte es für den Arbeitgeber aber im Ergebnis ausgeschlossen sein, im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses den notwendigen Sachvortrag zu leisten. Dies gilt umso mehr, als hierzu auch gehört, dass zur Überzeugung des Arbeitsgerichts dargelegt und ggf. bewiesen werden kann, dass auch Konzepte zur privaten Gesundheitsprävention, wie sie in § 26 SGB IX genannt werden, künftige Arbeitsunfähigkeit nicht hätten verhindern können. Dies ist nahezu ausgeschlossen, wenn man sich die Abstraktheit dieser Initiativen vor Augen führt. Sie sind auf die „Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen“, das „Training lebenspraktischer Fähigkeiten“ oder die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ ausgerichtet.
e)
Fazit
Die vorstehend genannten Entscheidungen machen noch einmal deutlich, dass in der betrieblichen Praxis mit großer Sorgfalt an einer (möglichst) ordnungsgemäßen Einladung und Durchführung des bEM gearbeitet werden muss. Einerseits dient dies dem Ziel, krankheitsbedingte Fehlzeiten zu senken. Andererseits aber soll damit auch gewährleistet werden, dass krankheitsbedingte Kündigungen ohne die vorstehende Umkehr der Darlegungsund Beweislast im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung durchgesetzt werden können. Soweit im Vorfeld solcher Kündigungen im Rahmen des bEM Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeit vereinbart wurden, die durch den Arbeitnehmer indes nicht durchgeführt worden sind, darf dies durch den 101
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Arbeitgeber allerdings nicht einfach hingenommen werden. Vielmehr obliegt es ihm, den Arbeitnehmer noch einmal konkret zur Durchführung dieser Maßnahmen aufzufordern und dies mit dem Hinweis zu verbinden, dass die fehlende Ausschöpfung dieser Möglichkeit zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeit die personenbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben kann77. Faktisch entspricht dies einer Abmahnung, wie sie eigentlich nur bei verhaltensbedingter Kündigung geboten ist. (Ga)
6.
Mobile Arbeit: Auswirkungen der Gestellung von Betriebsmitteln für den Arbeitsschutz
Mit überzeugender Begründung hatte das BAG in seinem Urteil vom 10.11.202178 klargestellt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer die für die Ausübung seiner Tätigkeit essenziellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen79. Betroffen von der jetzt streitgegenständlichen Entscheidung war ein Fahrradlieferant (Rider), der Speisen und Getränke auslieferte und die Aufträge über eine Smartphone-App erhielt. In Übereinstimmung mit dem Klageantrag bestätigte der 5. Senat des BAG insoweit, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon zu stellen. Zwar könnten von diesem Grundsatz vertragliche Abweichungen vereinbart werden. Geschehe dies in AGB des Arbeitgebers, seien diese aber nur dann wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung zugesagt werde. Wir hatten über die Entscheidung berichtet80. Zwar kann auch im Arbeitsverhältnis in entsprechender Anwendung des § 670 BGB ein Anspruch auf Aufwendungsersatz bestehen81. Dieser Anspruch allein stellt aber keine Kompensation dar, um die grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers auszuschließen, die für eine Verrichtung der arbeitsvertraglichen Tätigkeit erforderlichen Betriebsmittel zu stellen. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Im Ergebnis kann sie auch auf die aktuelle Diskussion über eine mögliche Verpflichtung des
77 Vgl. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rz. 32. 78 BAG v. 10.11.2021 – 5 AZR 334/21, NZA 2022, 401. 79 Ebenso bereits BAG v. 12.4.2011 – 9 AZR 14/10, NZA 2012, 97 Rz. 27; BAG v. 16.10.2007 – 9 AZR 170/07, NJW 2008, 1612 Rz. 23; eingehend auch Lentz, ArbRB 2022, 93. 80 B. Gaul, AktuellAR 2021, 410 f. 81 So bereits BAG v. 5.4.2011 – 9 AZR 14/10, NZA 2012, 97 Rz. 25.
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Mobile Arbeit: Auswirkungen der Gestellung von Betriebsmitteln für den Arbeitsschutz
Arbeitgebers übertragen werden, Arbeitsplätze im Homeoffice auszustatten. Damit müssen den Arbeitnehmern zwar eigentlich diejenigen Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Erbringung der arbeitsvertraglichen Pflichten erforderlich sind. Ohne abweichende Vereinbarung ist damit aber ein Arbeitsplatz in Räumlichkeiten gemeint, die durch den Arbeitgeber gestellt werden. Darauf hat das BAG auch im Urteil vom 10.11.202182 hingewiesen. Hiervon ausgehend besteht keine Verpflichtung des Unternehmens, seine Beschäftigten gleichzeitig so auszustatten, dass auch im Homeoffice oder unterwegs gearbeitet werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das mobile Arbeiten auf Wunsch des Beschäftigten und gerade nicht aufgrund arbeitgeberseitiger Anordnung erfolgt. Ohne abweichende Vereinbarung müssen damit auch die Kosten, die Beschäftigten für die Einrichtung und den Unterhalt ihres Homeoffice-Arbeitsplatzes entstehen, nicht erstattet werden, wie das BAG schon in seinem Urteil vom 12.4.201183 deutlich gemacht hat. In der Betriebspraxis dürfte dies aber nicht automatisch zur Folge haben, dass Rückfragen der Arbeitnehmer nach einer weiteren Ausstattung abgelehnt werden. Denn wenn Unternehmen moderne Arbeitsformen einführen, wenn sie Räumlichkeiten einsparen und zugleich flexible Beschäftigungsbedingungen auf dem Bewerbermarkt offerieren wollen, muss auch diese Arbeitsform attraktiv gestaltet werden. Das gilt nicht nur für die Ausstattung mit Betriebsmitteln. Vielmehr wird man sich als Arbeitgeber auch mit der Frage befassen müssen, ob und ggf. wie im Zusammenhang mit mobiler Arbeit die arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen erfüllt werden können. Denn diese bestehen – anders als vielfach angenommen – nicht nur bei Telearbeitsplätzen. Hier besteht nach § 3 ArbStättV die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung, zur Unterweisung der Beschäftigten und zur Anwendung der besonderen Vorgaben zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen in Nr. 6 des Anhangs zu § 3 Abs. 1 ArbStättV. Auf das Homeoffice finden diese spezialgesetzlichen Regelungen nach § 2 Abs. 7 ArbStättV nur dann Anwendung, wenn es sich um einen fest eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz handelt, für den der Arbeitgeber eine mit dem Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat. Auch außerhalb der Telearbeit müssen durch den Arbeitgeber aber die Grundsätze des Arbeitsschutzes aus §§ 3 ff. ArbSchG, 618 BGB eingehalten werden, selbst wenn die mobile Arbeit nicht mit der Überlassung von Betriebsmitteln und/oder der Einrichtung eines festen Ar82 BAG v. 10.11.2021 – 5 AZR 334/21, NZA 2022, 401. 83 BAG v. 12.4.2011 – 9 AZR 14/10, NZA 2012, 97.
103
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
beitsplatzes verbunden ist. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass diese Regelungen – in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 89/391/EWG über Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer – keine Bereichsausnahme für die mobile Arbeit enthalten. Insofern spielt es keine Rolle, ob die Tätigkeit im Betrieb oder außerhalb des Betriebs verrichtet wird, sofern entsprechend §§ 611 a Abs. 1 BGB, 1 BetrVG von einer Eingliederung der Beschäftigten in die betrieblichen Organisationsstrukturen auszugehen ist. Die daraus folgenden Pflichten des Beschäftigten sind so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird (§ 4 ArbSchG). Natürlich bedeutet die Anerkennung arbeitsschutzrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit mobiler Arbeit nicht, dass die im Betrieb üblichen Praktiken bei ortsunabhängiger Tätigkeit ohne Einschränkung zur Anwendung kommen. Es muss „die Natur der Dienstleistung“ (§ 618 BGB) bzw. „die Art der Tätigkeit“ (§ 3 ArbSchG) bei den Maßnahmen beachtet werden. Schließlich gibt es außerhalb der Telearbeit gerade keinen festen Arbeitsplatz. Vielmehr ist der Beschäftigte berechtigt, innerhalb der Wohnung (Homeoffice) bzw. außerhalb des Wohnraums (mobile Arbeit) auf wechselnden Arbeitsplätzen tätig zu werden. Hinzu kommt, dass Art. 13 GG auch im Bereich des Arbeitsschutzes verbietet, ohne Zustimmung des Beschäftigten und der weiteren Bewohner private Räumlichkeiten zu betreten. Auf der Grundlage der vorstehenden Überlegungen müssen sich die insoweit verantwortlichen Unternehmensvertreter daher auch bei mobiler Arbeit mit den grundsätzlichen Handlungspflichten des Arbeitsschutzes und ihrer Anpassung an die Besonderheiten der mobilen Arbeit befassen. Das gilt ohne Rücksicht auf das Vorliegen von Telearbeit. Hierzu gehören insbesondere: • Durchführung und Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung (§§ 5 f. ArbSchG, 10, 14 MuSchG), • Festlegung und Durchsetzung von Schutzmaßnahmen (§§ 3 ArbSchG, 10 ff. MuSchG) sowie • Unterweisung der Beschäftigten (§§ 12 ArbSchG, 14 MuSchG).
Eine Anpassung an die Erfordernisse der mobilen Arbeit kann unter Berücksichtigung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 7, 14 BetrVG beispielsweise dadurch erfolgen, dass die Gefährdungsbeurteilung durch eine Befragung der Beschäftigten vorgenommen wird, soweit das Be-
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Datenschutzrechtliche Regelungen bei Homeoffice-Tätigkeiten
treten der Wohnräume nicht gestattet oder wegen wechselnder Arbeitsplätze wenig sinnvoll erscheint. Grundlage kann eine Checkliste sein, die mit der Bitte um Selbstausfüllung überlassen wird. Erkenntnisse, die sich daraus in Bezug auf physische und psychische Gefährdungen ergeben, können dann für eine Unterweisung genutzt werden, mit der das Unternehmen auf die Einhaltung von Schutzmaßnahmen verweist. Im Mittelpunkt dürften dabei die Schranken des Arbeitszeitrechts, die Ergonomie der Bildschirmarbeitsplätze und die Ausgestaltung der Arbeit stehen (z. B. Arbeitsunterbrechungen durch andere Tätigkeiten, wechselnde Arbeitshaltungen, reflexionsvermeidende Aufstellung von Bildschirmgeräten)84. Die Beschäftigten sind verpflichtet, an der Gefährdungsbeurteilung und der Umsetzung daraus resultierender Schutzmaßnahmen mitzuwirken (§ 16 ArbSchG). Dass das Unternehmen bei mobiler Arbeit in der Regel nicht selbst überprüfen kann, ob seine Hinweise zur gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeit beachtet werden, ist mit Blick auf § 15 ArbSchG grundsätzlich hinzunehmen. Danach sind die Beschäftigten verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Unternehmens für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu sorgen. Etwas anderes gilt indes dann, wenn erkennbar wird, dass arbeitsschutzrechtliche Vorgaben im Rahmen mobiler Tätigkeit missachtet werden. Hier muss das Unternehmen durch ergänzende Maßnahmen auf die Einhaltung hinwirken und – falls auch dies keinen Erfolg hat – die mobile Arbeit verbieten. Dies entspricht der zum Teil geübten Praxis, nach der mobile Arbeit arbeitgeberseitig nur gestattet wird, wenn die Beschäftigten nachweisen, dass ergonomische Grunderfordernisse für ein gesundes Arbeiten auch ohne eine weitere Ausstattung des Arbeitsplatzes durch das Unternehmen gegeben sind. (Ga/Ri)
7.
Datenschutzrechtliche Regelungen bei HomeofficeTätigkeiten
Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Homeoffice bzw. mobile Arbeitsformen hat nicht nur zur Folge, dass personenbezogene Daten auch außerhalb des Betriebsgeländes verarbeitet werden. Schon deshalb sind besondere Schutzmaßnahmen geboten. Erforderlich ist auch, dass die IT-Infrastruktur, die im Rahmen mobiler Arbeitsformen genutzt wird, ebenfalls vor einem Eingriff durch Dritte geschützt wird. Dabei geht es nicht nur um personenbezogene Daten, sondern auch um die Geschäftsgeheimnisse, die vor ent84 Vgl. beispielsweise die Feststellungen der Berufsgenossenschaften (z. B. BG ETEM) oder des Instituts für Arbeit und Gesundheit der DGUV.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sprechenden Zugriffen zu schützen sind. Nicht ohne Grund hat das Thema der Cybersicherheit als Folge der zunehmenden Digitalisierung der Arbeit auch und vor allem im Zusammenhang mit dem Homeoffice eine besondere Bedeutung erlangt. Wichtig ist, diese Gesichtspunkte auch bei der praktischen Ausgestaltung von mobiler Arbeit zu berücksichtigen. Als hilfreich haben sich dabei datenschutzrechtliche Regelungen erwiesen, die das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht im Hinblick auf Homeoffice-Tätigkeiten bereits am 18.5.2020 veröffentlicht hat. Auch wenn diese Regelungen Besonderheiten des Einzelfalls nicht berücksichtigen können und deshalb unternehmensbzw. tätigkeitsspezifisch zu modifizieren sind, handelt es sich bei der entsprechenden Zusammenstellung um eine sehr nutzbringende Checkliste, auf deren Grundlage bestehende Regelungen zum Datenschutz im Homeoffice überprüft und ggf. angepasst werden sollten. Die jeweils aktuelle Version kann im Internet heruntergeladen werden85. (Ga)
8.
Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Betriebsschließung während eines Lockdowns
Die Rechtsfolgen des Annahme- oder Gläubigerverzugs des Arbeitgebers, dessen Voraussetzungen sich aus den §§ 293 ff. BGB ergeben, sind für Arbeitsverhältnisse in § 615 BGB geregelt. Danach behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug gerät. § 615 S. 1 BGB regelt als Schutzvorschrift zu Gunsten des Arbeitnehmers die Vergütungsgefahr, wenn die Erbringung seiner Arbeitsleistung allein an der mangelnden Mitwirkung des Arbeitgebers scheitert. Liegt ein Fall des Unvermögens des Arbeitnehmers i. S. d. § 297 BGB vor, regelt § 326 BGB, ob der Vergütungsanspruch entfällt (Abs. 1) oder aufrechterhalten bleibt (Abs. 2 S. 1). Indem der Gesetzgeber den Arbeitnehmer nach § 615 BGB von der Nachleistung der nicht erbrachten Dienste befreit, wird die Leistungserbringung des Arbeitnehmers unmöglich, sobald die Leistungszeit ungenutzt verstrichen ist (§ 275 BGB). Da der Annahmeverzug des Arbeitgebers unabhängig von seinem Verschulden eintritt86, weicht § 615 S. 1 BGB von § 326 Abs. 1 BGB ab und durchbricht den Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ zu Guns85 www.lda.bayern.de/best_practise_homeoffice. 86 BGH v. 22.7.2010 – VII ZR 117/08, NJW-RR 2011, 21 Rz. 10; ErfK/Preis, BGB § 615 Rz. 56.
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Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Betriebsschließung während eines Lockdowns
ten des Arbeitnehmers, soweit den Arbeitgeber daran kein Verschulden trifft (§ 326 Abs. 2 BGB). Unabhängig davon, dass § 615 S. 1 BGB nicht danach differenziert, ob der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung des leistungsbereiten Arbeitnehmers nicht annehmen will (Annahmeunwilligkeit) oder bei innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen unverschuldeten Störungen nicht annehmen kann (Annahmeunmöglichkeit), er mithin auch die Substratsgefahr trägt, ist die frühere Rechtsprechung des BAG87 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des RG88 und des RAG89 davon ausgegangen, dass die Frage der Lohnfortzahlung im Falle einer weder durch den Arbeitnehmer noch durch den Arbeitgeber verschuldeten Unmöglichkeit der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung sich jedenfalls „nicht ausschließlich und nicht in erster Linie“ nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 326, 615 BGB (früher § 323 BGB) richtet90. Zur Ausfüllung einer angeblichen Regelungslücke müsse der Arbeitgeber, dem die wirtschaftliche Initiative und das Entscheidungsrecht in Fragen der Betriebsführung zusteht, ebenfalls das Betriebsrisiko der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus im Betrieb liegenden Gründen und damit die Lohnfortzahlung tragen, auch wenn diese Gründe nicht betriebstechnische Störungsursachen haben oder auf einem Versagen der sachlichen oder persönlichen Mittel des Betriebes beruhen, sondern von außen auf das Unternehmen einwirken. Eine Opfergrenze für den Arbeitgeber hat das BAG91 in der Vergangenheit darin gesehen, dass die Zahlung der vollen Löhne zu einer Gefährdung der Existenz des Betriebs führt. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.200192 hat der Gesetzgeber zum 1.1.2002 in § 615 S. 3 BGB eine ausdrückliche Vergütungsregelung für Fälle getroffen, bei denen den Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trifft. Danach ist vorgesehen, dass die S. 1, 2 des § 615 BGB entsprechend in den Fällen gelten, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Die Einfügung des S. 3 in § 615 BGB geht auf die
87 Vgl. nur BAG v. 30.5.1963 – 5 AZR 282/62, DB 1963, 836 Rz. 8 (Behördliches Verbot von öffentlichen Lustbarkeiten wegen eines Brandunglücks in der Stadt Nürnberg mit 22 Toten). 88 RG v. 6.2.1923 – III 93/22 n. v. 89 RAG v. 27.3.1935 – RAG 235/34 n. v. (Landestrauer anlässlich des Todes von Hindenburg und ein damit verbundenes Auftrittsverbot von Musikern). 90 BAG v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21, NZA 2022, 182 Rz. 18. 91 BAG v. 23.6.1994 – 6 AZR 853/93, NZA 1995, 468 Rz. 13. BAG v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21, NZA 2022, 182 Rz. 24 lässt offen, ob an dieser Opfergrenze festzuhalten ist. 92 BGBl. I 2001, 3138.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf zurück93, der sich die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung angeschlossen hat94. In der Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf95 heißt es dazu: Es sollte deshalb sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts weiterhin zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet ist, wenn er das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Die Rechtsprechung sollte diesen Grundsatz wie bisher konkretisieren und den Besonderheiten der denkbaren Fallgestaltungen Rechnung tragen.
Mit dieser in § 615 S. 3 BGB vorgegebenen gesetzlich angeordneten Analogie96, mit der – abweichend von §§ 275, 326 Abs. 1 BGB – bei einem Umstand, der dem Betriebsrisiko unterfällt, § 615 S. 1, 2 BGB entsprechend Anwendung findet, erfolgt zunächst eine Rechtsgrundverweisung mit der Maßgabe, dass die Voraussetzungen der §§ 294 ff. BGB vorliegen müssen und darüber hinaus der Arbeitnehmer leistungsfähig und leistungswillig (§ 297 BGB) sein muss97. Des Weiteren bleibt es bei der Anwendung von § 326 Abs. 2 BGB, wenn der Arbeitgeber das Betriebsrisiko und damit die Annahmeunmöglichkeit zu vertreten hat (§§ 276, 278 BGB). Wie der Wortlaut des § 615 S. 3 BGB verdeutlicht, hat der Gesetzgeber davon abgesehen, zu regeln, wann den Arbeitgeber das Betriebsrisiko trifft. Damit ist es wie zuvor der Rechtsprechung überlassen, die Voraussetzungen des für § 615 S. 3 BGB relevanten Betriebsrisikos zu bestimmen. Mit dem Betriebsrisiko werden Leistungsstörungen umschrieben, bei denen die Arbeitsleistung des arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmers aus im Betrieb liegenden Gründen, die weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu vertreten sind, unterbleibt98. Davon zu unterscheiden ist das Wirtschaftsrisiko, bei dem die Arbeitsleistung technisch möglich, aber für den Arbeitgeber – etwa wegen Auftrags- oder Absatzmangels – wirtschaftlich nutzlos ist99. Unabhängig davon, dass der Arbeitgeber in diesem Fall keinerlei Verwendungswert der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers hat, gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug und hat nach § 615 S. 1 i. V. m. § 611 a BT-Drucks. 14/6857 S. 11. BT-Drucks. 14/6857 S. 48. BT-Drucks. 14/6857 S. 48. BAG v. 28.9.2016 – 5 AZR 224/16, NZA 2017, 124 Rz. 21. Vgl. nur ArbR-HB/Linck, § 101 Rz. 6. BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 146/14, NZA 2016, 293 Rz. 22 (Das Risiko des Arbeitgebers, seinen Betrieb betreiben zu können). 99 BAG v. 7.12.2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423 Rz. 43. 93 94 95 96 97 98
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Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Betriebsschließung während eines Lockdowns
Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung zu zahlen, weil allein der Gläubiger das Risiko der Nutzlosigkeit der an sich noch erbringbaren Leistung, die er weiterhin verlangen könnte, trägt. Auch das zu Betriebsstörungen führende Arbeitskampfrisiko100 ist von § 615 S. 3 BGB abzugrenzen, wenn Streiks und Aussperrungen zu Störungen und Arbeitsausfällen auch bei solchen Unternehmen führen, die nicht unmittelbar vom Arbeitskampf betroffen sind, aber mit solchen kampfbetroffenen Unternehmen eng zusammenarbeiten. Die Fernwirkungen eines Arbeitskampfes können die Fortsetzung eines Drittbetriebs ganz oder teilweise unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar machen und damit das Verhandlungsgleichgewicht der Tarifvertragsparteien wesentlich beeinflussen, wenn die für den mittelbar betroffenen Betrieb zuständigen Verbände mit den unmittelbar kampfführenden Verbänden identisch oder doch organisatorisch eng verbunden sind. Haben etwa die Fernwirkungen eines Streiks diese beeinflussende Wirkung, bedeutet das für die betroffenen Arbeitnehmer, dass sie für die Dauer der Störung keine Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche besitzen101. Ob die im Rahmen eines allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos ist, hat der 5. Senat des BAG am 13.10.2021102 entscheiden müssen. Die Beklagte betrieb einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhielt in Bremen eine Filiale. Dort war die Klägerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von 432 € im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23.3.2020 geschlossen. Deshalb konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung. Ohne die staatlich verfügte Schließung des Ladenlokals der Beklagten hätte die Klägerin in diesem Monat gearbeitet und 432 € (netto) verdient. Mit ihrer Klage hat sie die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 i. H. v. 432 € (netto) unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt. Sie hat gemeint, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Die Vorinstanzen haben der Klage entsprochen. Das BAG hat die Klage abgewiesen.
100 BAG v. 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, DB 1981, 321 Rz. 50 ff. 101 BAG v. 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, DB 1981, 321 Rz. 50 ff. 102 BAG v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21, NZA 2022, 182.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Zunächst ist das BAG davon ausgegangen, dass sich ein Anspruch der Klägerin auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Monat April 2020 nur aus § 615 S. 3 i. V. m. §§ 615 S. 1, 611 a Abs. 2 BGB ergeben kann. Danach bleibt für den arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmer im Falle der Annahmeunmöglichkeit der Vergütungsanspruch aufrechterhalten, wenn der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. In Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des BAG103 leitet der 5. Senat aus dieser Risikozuweisung die Einstandspflicht des Arbeitgebers auf Zahlung der Vergütung an den Arbeitnehmer ab, wenn die Arbeitsleistung aus Gründen unmöglich wird, die in seinem Einflussbereich liegen, wie etwa der Ausfall von Maschinen, Betriebsstoffen oder anderer für den Betriebsablauf notwendiger Betriebsmittel. Dies soll gleichermaßen bei von außen auf das Unternehmen einwirkenden Umstände gelten, die sich als höhere Gewalt darstellen, wie z. B. die Überschwemmung eines Fabrikgebäudes aufgrund einer Naturkatastrophe 104, die Zerstörung der Betriebseinrichtungen durch Brand 105, den Ausfall einer Ölheizung im Betrieb wegen eines plötzlichen Kälteeinbruchs 106 oder den Stromausfall infolge einer Störung im Elektrizitätswerk 107. Dasselbe gilt nach Ansicht des BAG108, wenn der Arbeitgeber aufgrund äußerer Einflüsse Entscheidungen trifft, die zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führen, etwa wenn ein Zement- und Baustoffhandel aufgrund der Witterung seinen Betrieb vorübergehend einschränkt oder stilllegt, oder wenn er den Betrieb für eine vorgeschriebene Inventur kurzzeitig schließt. Unter Hinweis auf die in der Literatur 109 umstrittene Frage, ob der Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB auch das Betriebsrisiko einer behördlich angeordneten Betriebsschließung im Rahmen der Bekämpfung einer Pandemie zu tragen hat, will das BAG eine Differenzierung danach vornehmen, ob der Arbeitgeber durch seine autonome Entscheidung die Pandemie zum Anlass nimmt, den Betrieb vorübergehend zu schließen, weil etwa ein Teil der Belegschaft in Quarantäne ist, der Absatz zurück-
BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 146/14, NZA 2016, 293 Rz. 22. BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 146/14, NZA 2016, 293 Rz. 22. BAG v. 28.9.1972 – 2 AZR 506/71, NJW 1973, 342 (Brand in Strumpffabrik). BAG v. 9.3.1983 – 4 AZR 301/80, DB 1983, 1496 Rz. 28. BAG v. 30.1.1991 – 4 AZR 338/90, NZA 1991, 519 Rz. 17 (Kurzschluss in der betriebseigenen Trafostation einer Schuhfabrik). 108 BAG v. 9.7.2008 – 5 AZR 810/07, NZA 2008, 1407 Rz. 24. 109 Vgl. dazu nur Bonanni, ArbRB 2020, 110, 115 f.; Fischinger/Hengstberger, NZA 2020, 559; Kleinebrink, DB 2020, 1457, 1459; Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1116; Wolf, FS Preis S. 1531, 1533 f. 103 104 105 106 107
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Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Betriebsschließung während eines Lockdowns
bleibt oder die Kunden ausbleiben und dadurch die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung eintritt. Bei derartiger Sachlage trifft den Arbeitgeber das Betriebsrisiko, sofern nicht bereits das von ihm stets zu tragende Wirtschaftsrisiko vorliegt. Muss jedoch der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund einer behördlichen Anordnung zur Bekämpfung der Pandemie vorübergehend schließen, liegt die Ursache der Betriebsstörung in einer hoheitlichen Maßnahme 110, für die der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, wenn die behördlich verfügte Betriebsschließung betriebsübergreifend und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen erfasst, weil sich bei derartigem Befund gerade nicht ein in einem bestimmten Betrieb aufgrund seiner konkreten Produktions- und Arbeitsbedingungen – dem Arbeitssubstrat – innewohnendes Risiko verwirklicht. Dieser Bewertung des Pandemierisikos steht nach Auffassung des BAG111 nicht entgegen, dass der Staat für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte die finanziellen Folgen seiner Maßnahmen durch den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld abgemildert hat, den der Arbeitgeber aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen (§ 280 Abs. 1 BGB) möglicherweise nutzen muss. Da während der Dauer der Kurzarbeit kein Annahmeverzug des Arbeitgebers eintreten kann, der eine Entgeltfortzahlungspflicht nach § 615 S. 1, 3 i. V. m. § 611 a Abs. 2 BGB auslösen kann, haben aus der Sicht des BAG derartige nachgelagerte Ersatzansprüche keinen Einfluss auf die Einordnung eines Risikos als Betriebsrisiko. Als belanglos für die Zuordnung des Entgeltrisikos bei einem Arbeitsausfall aufgrund behördlich angeordneter Betriebsschließung erachtet das BAG aus den vorstehenden Gründen auch die Möglichkeit, dieses Risiko versichern zu müssen 112, weil damit nicht die Frage beantwortet wird, ob überhaupt ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 615 S. 1, 3 i. V. m. § 611 a Abs. 2 BGB entsteht. Die Zuordnung des Betriebsrisikos wird schließlich nach Ansicht des BAG auch nicht dadurch beeinflusst, ob es durch Abbau von Überstunden, Gleitzeitguthaben oder die Gewährung von Urlaub abgemildert
110 Ebenso ErfK/Preis, BGB § 615 Rz. 132 ff. 111 BAG v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21, NZA 2022, 182 Rz. 35; a. A. Fischinger/Hengstberger, NZA 2020, 559, 562, die das Gegenteil daraus ableiten. 112 Zur Betriebsschließungsversicherung bei Schließung in Folge der Corona-Pandemie: OLG Karlsruhe v. 5.10.2021 – 12 U 107/21 n. v. (Rz. 65 ff.).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
werden kann, oder durch ordentliche Kündigung 113 für den Arbeitgeber begrenzbar ist, weil auch derartige Maßnahmen keine Aussagekraft darüber haben, wer das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen hat. Zudem erweist sich das Instrument der betriebsbedingten Kündigung bei einer nur kurzfristigen Betriebsschließung nach dem ultima-ratio-Prinzip als kaum erfolgversprechend. Soweit Kleinstunternehmen 114, d. h. Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 2 Mio. €, nach Art. 240 § 1 Abs. 2, 4 Nr. 2 EGBGB 115 kein Zahlungsmoratorium bei arbeitsrechtlichen Ansprüchen erhalten haben, so dass Ansprüche auf Vergütung wegen geleisteter Arbeit oder aus Gründen des Annahmeverzugs von den Arbeitnehmern nicht gestundet werden müssen, kann daraus nach Ansicht des BAG keine Schlussfolgerung dafür gezogen werden, ob bei einer behördlich verfügten Betriebsschließung ein Anspruch aus § 615 S. 3 BGB entsteht. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das BAG eine Vergütungspflicht der Beklagten im Streitfall verneint, weil die weitgehende Schließung aller Verkaufsstellen des Einzelhandels im Bundesland Bremen zum Schutz der Gesamtbevölkerung aufgrund einer Allgemeinverfügung erfolgt ist, die sich nicht speziell gegen die Beklagte und nicht gegen ein gerade in deren Betrieb angelegtes besonderes Gesundheitsrisiko richtete. Die überzeugend begründete Entscheidung des BAG ist für die betriebliche Praxis von Bedeutung, weil zum einen nicht auszuschließen ist, dass sich derartige pandemiebedingte Betriebsschließungen aufgrund behördlicher Anordnungen wiederholen, und zum anderen wichtige Klarstellungen zum Anwendungsbereich der Betriebsrisikolehre geschaffen worden sind. (Boe)
113 Dazu Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1143. 114 Vgl. die Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen: ABl. EU 2003, L 124, 36. 115 Eingeführt durch Art. 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. I 2020, 569) und in Kraft getreten am 1.4.2020 (Art. 6).
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Aktuelles im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
9.
Aktuelles im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
Bereits im vergangenen Jahr hatten wir eingehend auf die aktuellen Entwicklungen im Arbeitnehmerdatenschutz hingewiesen116. Dabei ging es um die Voraussetzungen von Schadensersatzansprüchen auf der Grundlage von Art. 82 DSGVO117. Darüber hinaus hatten wir uns mit Einzelheiten des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO befasst118. Mit Blick auf weitere Entscheidungen des BAG sei hierzu noch einmal wie folgt ausgeführt.
a)
Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO
Eine Erhebung, Speicherung und Nutzung von Daten ohne Erlaubnis oder gesetzliche Grundlage kann zu Haftungs- und Schadensersatzansprüchen der davon betroffenen Person nach Art. 82 DSGVO führen. Wie das BAG in seinem Vorlagebeschluss vom 26.8.2021119 deutlich gemacht hat, werden dabei materieller und immaterieller Schaden erfasst. Dabei genügt es aus Sicht des 8. Senats allerdings, dass eine Verletzung der DSGVO und der diese konkretisierenden Vorschriften des nationalen Rechts geltend gemacht wird. Es sei nicht erforderlich, dass die verletzte Person einen (weiteren) von ihr erlittenen immateriellen Schaden darlegt. Insbesondere müsse sie keine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zumindest einigem Gewicht darlegen. Damit können alle Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO auslösen. Soweit in der aktuellen Rechtsprechung zum Teil darauf verwiesen wurde, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht für die betroffene Person „spürbar“ sein müsse, Bagatellverstöße also auszugrenzen seien120, dürfte dies mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar sein. Das gleiche gilt, wenn verlangt wird, dass „benennbare und tatsächliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ dargelegt werden121 oder ein bloßes „Gefühl des Unbehagens“ nicht als aus-
116 B. Gaul, AktuellAR 2021, 111 ff. 117 Für die Diskussion über eine (verschuldensunabhängige) unternehmerische Haftung für Bußgelder aus Art. 83 DSGVO vgl. auch LG Bonn v. 11.11.2020 – 29 OWi 1/20 n. v. 118 Eingehend auch Lempke/Fischels, NZA 2022, 513. 119 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A), NZA 2021, 1713. 120 So OLG Dresden v. 11.12.2019 – 4 U 1680/19, NJW-RR 2020, 426; LG Landshut v. 6.11.2020 – 51 O 513/20 n. v.; LG Köln v. 7.10.2020 – 28 O 71/20 n. v.; AG Hannover v. 9.3.2020 – 531 C 10952/19 n. v.; AG Bochum v. 11.3.2019 – 65 C 485/18 n. v.; AG Diez v. 7.11.2018 – 8 C 130/18 n. v. 121 So LG Hamburg v. 4.9.2020 – 324 S 9/19 n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
reichend verstanden wird122. Für die letztgenannte Auffassung streitet zwar, dass der Schaden in Art. 82 DSGVO nicht per se vermutet wird. Gegen die Ausgrenzung von Bagatellschäden spricht aber bereits, dass diese Einschränkung im Wortlaut von Art. 82 DSGVO nicht angelegt ist. Hiervon ausgehend ist von einem relevanten Schaden immer dann auszugehen, wenn ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften gegeben ist. Denn damit sind ein Kontrollverlust bei der betroffenen Person und daraus folgend auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden. Auch vermeintliche Bagatellverstöße können also zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs ausreichen123. Auf eine „gewisse Erheblichkeit“124 kommt es nicht an. Von dieser Sichtweise geht auch das BAG in seinem Vorlagebeschluss vom 26.8.2021125 aus, wobei das Gewicht der Rechtsverletzung in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall gegeben war, so dass dieser Aspekt die Vorlage nicht erforderlich gemacht hatte. Ungeachtet dessen wäre eine solche Vorlage notwendig, wenn die Wesentlichkeit eines Schadens in Rede stünde, nachdem schon das BVerfG in seinem Beschluss vom 14.1.2021126 auf die Klärungsbedürftigkeit hingewiesen und deshalb einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des AG Goslar vom 27.9.2019127 stattgegeben hatte. Bei der Höhe des Schadensersatzes berücksichtigen die Gerichte alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Schwere und Dauer des Verstoßes, die Art der betroffenen Daten (vor allem bei besonderen personenbezogenen Daten), das Gewicht des eingetretenen Schadens, den Grad des Verschuldens oder Maßnahmen zur Minderung des der Person entstandenen Schadens128. Hiervon geht auch das BAG in seinem Vorlagebeschluss vom 26.8.2021129 aus. Da Art. 82 DSGVO oder vorangehende Rechtsprechung des EuGH diese Frage aber nicht beantwortet, will das BAG im Rahmen der Vorabentscheidung wissen, ob diese Berücksichtigung des Grads des Ver122 So AG Frankfurt v. 10.7.2020 – 385 C 155/19 (70) n. v. 123 Vgl. LAG Hamm v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20 n. v. (Rz. 64 f.); LG Lüneburg v. 14.7.2020 – 9 O 145/19, ZIP 2021, 1208; unklar LG Darmstadt v. 26.5.2020 – 13 O 244/19 n. v., das von einem Überschreiten der „Bagatellgrenze“ spricht. 124 So aber Wybitul, NJW 2019, 3265, 3268. 125 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A), NZA 2021, 1713 Rz. 33 f. 126 BVerfG v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005 Rz. 17 ff. 127 AG Goslar v. 27.9.2019 – 28 C 7/19 n. v. 128 Vgl. AG Pforzheim v. 25.3.2020 – 13 C 160/19 n. v.; Wybitul/Haß/Albrecht, NJW 2018, 113, 115. 129 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A), NZA 2021, 1713 Rz. 38 ff.
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Aktuelles im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
schuldens bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden Schadens zulässig sei. Insbesondere sei dabei fraglich, ob ein nicht vorliegendes oder geringes Verschulden auf Seiten des Verantwortlichen (bzw. des Auftraggebers) zu dessen Gunsten berücksichtigt werden dürfe. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme des 8. Senats, dass es für eine Haftung nach Art. 82 DSGVO nicht auf das Verschulden des Verantwortlichen ankomme, der Schadensersatzanspruch dem Grunde nach also verschuldensunabhängig ausgestaltet sei. Darüber hinaus wird zu berücksichtigen sein, dass die betroffenen Personen nach Erwägungsgrund 146 DSGVO einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten sollen. Daraus wird teilweise die Auffassung abgeleitet, dass der Anspruch eine abschreckende Höhe haben müsse130. Für ein solches Verständnis spricht zunächst einmal, dass (auch) der Schadensersatzanspruch die Durchsetzung der Regelungen der DSGVO in den einzelnen Mitgliedstaaten bewirken, also der Wirksamkeit der unionsrechtlichen Handlungsvorgabe dienen soll (effet utile). Dagegen spricht aber, dass die „abschreckende“ Wirkung lediglich in Art. 83 DSGVO, also bei der Festsetzung von Geldbußen, genannt wird. Hätte der Verordnungsgeber diese Wirkungsweise auch dem Anspruch auf Schadensersatz zuerkennen wollen, hätte es nahe gelegen, dies auch in Art. 82 DSGVO zu erwähnen. Das hätte der Vorgehensweise in Art. 17 Richtlinie 2000/78/EG, Art. 15 Richtlinie 2000/43/EG oder Art. 18, 25 Richtlinie 2006/54/EG entsprochen, die die abschreckende Wirkung von Schadensersatz ausdrücklich als eine denkbare – allerdings nicht zwingende131 – Sanktion zur Durchsetzung der Wirksamkeit einer der Richtlinien zur Gleichbehandlung benennen. Nachdem das BAG dem EuGH mit seinem Beschluss vom 26.8.2021132 jetzt die Frage vorgelegt hat, ob Art. 82 DSGVO spezial- bzw. generalpräventiven Charakter habe und dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu Lasten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters zu berücksichtigen sei, sollte bald eine Klarstellung erfolgen.
130 LG Lüneburg v. 14.7.2020 – 9 O 145/19, ZIP 2021, 1208; AG Hildesheim v. 5.10.2020 – 43 C 145/19 n. v.; ArbG Dresden v. 26.8.2020 – 13 Ca 1046/20, AE 2021, 30 Rz. 17; AG Pforzheim v. 20.3.2020 – 13 C 160/19 n. v.; ähnlich Paal, MMR 2020, 14, 15; krit. OLG Dresden v. 20.8.2020 – 4 U 784/20, NJW-RR 2020, 1370; LG Karlsruhe v. 2.8.2019 – 8 O 26/19 n. v. 131 Vgl. EuGH v. 17.12.2015 – C-407/14, NZA 2016, 471 Rz. 34 ff. – Arjona Camacho. 132 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A), NZA 2021, 1713 Rz. 35 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Unabhängig davon, dass bei einer entsprechenden Festlegung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sei, will das BAG allerdings weiterhin wissen, ob bei der Höhe des Schadensersatzanspruchs die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz zu berücksichtigen seien. Dabei geht das BAG zwar davon aus, dass Art. 82 DSGVO keine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten der EU enthalte und daher in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erfahren müsse. Gleichwohl könnten – so das BAG – womöglich in der Praxis unterschiedliche Entschädigungsbeträge in den Mitgliedstaaten in vergleichbaren Fällen bei der Höhe eines immateriellen Schadensersatzes im Widerspruch zum Grundsatz der Äquivalenz stehen.
b)
Anspruch auf Auskunft und Erteilung einer Datenkopie gemäß Art. 15 DSGVO
In seinem Urteil vom 16.12.2021133 hat das BAG seine Ausführungen zur Konkretisierung des Auskunftsverlangens nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO, die bereits mit Urteil vom 27.4.2021134 erfolgt waren, um Hinweise zur Antragstellung bei einer Klage auf Erteilung einer Datenkopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO ergänzt135. Erforderlichkeit einer Konkretisierung des Auskunftsverlangens: Im Mittelpunkt der aktuellen Entscheidungen zu Art. 15 DSGVO steht derzeit die Frage, welche personenbezogenen Daten von dem Anspruch auf Auskunft und Erteilung einer Kopie nach Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO erfasst sind. Ausgangspunkt ist dabei, dass der Begriff der personenbezogenen Daten alle Informationen erfasst, die sich auf eine identifizierbare natürliche Person beziehen (Art. 4 Nr. 1 DSGVO)136. Angesichts der klaren Begrenzung, wie sie im unterschiedlichen Wortlaut der beiden Absätze erkennbar wird, erscheint es allerdings geboten, im Rahmen von Art. 15 Abs. 3 DSGVO nur die personenbezogenen Daten zu berücksichtigen, nicht aber die weitergehenden Informationen, wie sie in Art. 15 Abs. 1 lit. a bis h DSGVO genannt werden137.
133 134 135 136 137
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BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362. BAG v. 27.4.2021 – 2 AZR 342/20, NZA 2021, 2379. Hierzu auch Flöter/Krüger, BB 2022, 1141; Lembke/Fischels, NZA 2022, 513. OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 303). Abw. OLG Stuttgart v. 17.6.2021 – 7 U 325/20 n. v. (Rz. 80), das auch die Angaben nach lit. a bis h einbezieht.
Aktuelles im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
Dabei hat das BAG im Urteil vom 16.12.2021138 offengelassen, ob es genügt, wenn bei einem Auskunftsverlangen nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO die gesetzlichen Begriffe verwendet werden. Dafür spricht, dass zu diesem Zeitpunkt gerade keine Kenntnis über die Daten besteht, die durch die verantwortliche Stelle verarbeitet werden. Insofern kann auch eine Auskunft über „alle“ Daten verlangt werden. Ausgehend davon, dass die Begehren im Wege einer Stufenklage verknüpft werden, erfolgt eine Konkretisierung erst im Zusammenhang mit dem Antrag für die Überlassung einer Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO, weil zu diesem Zeitpunkt bereits weitergehende Kenntnisse über die Daten bestehen, die durch die verantwortliche Stelle verarbeitet werden. Insofern kann bei dem nachfolgenden Antrag auch erwartet werden, dass eine weitergehende Eingrenzung durch den Kläger erfolgt. Würde hier der Wortlaut der gesetzlichen Regelung nur wiederholt oder nur auf eine bestimmte Datenart verwiesen (z. B. „E-Mails des Klägers“), wäre die für die Zulässigkeit der Klage und die nachfolgende Zwangsvollstreckung erforderliche und auch mögliche Bestimmtheit nicht gegeben139. Wie die vorstehend genannte Entscheidung des BAG deutlich macht, kann es sogar schaden, den Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO auf bestimmte Daten zu begrenzen, wenn der damit verbundenen Bezeichnung nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit entnommen werden kann, welche Daten gemeint sind. Für das BAG ist dies dann der Fall und insoweit auch unzulässig, wenn Auskunft über „Leistungs- und Verhaltensdaten“ verlangt wird. Denn hier könne die erforderliche Bestimmtheit auch nicht durch einen Rückgriff auf die Rechtsprechung des BAG zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bewirkt werden. Die Vorschrift fasse Daten auf, die von einer technischen Einrichtung erfasst würden, die dazu bestimmt seien, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Selbst wenn man sich die Annahme zu eigen machen wollte, dass es bei „Verhalten“ und „Leistung“, die im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht voneinander abzugrenzen seien, um ein vom Willen des Arbeitnehmers getragenes oder gesteuertes Tun oder Unterlassen handele, würde dies den Anspruchsinhalt bei einer Klage auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht verdeutlichen. Solche Daten seien typischerweise Inhalt der Personalakte. Welche Daten dann zusätzlich erfasst werden sollten, sei nicht ersichtlich, zumal es auch um Einschätzungen oder Meinungsäußerungen anderer Mitarbeiter über den
138 BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rz. 27. 139 BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rz. 29; BAG v. 27.4.2021 – 2 AZR 342/20, NZA 2021, 1053 Rz. 20.
117
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Kläger oder um Informationen gehen könne, die sich möglicherweise vom „Leistungs- oder Verhaltensbegriff“ entfernten, wie es bei einem E-MailWechsel häufig der Fall sei140. Kennzeichnung der einzubeziehenden Daten: Die Auskunfts- und Überlassungspflicht ist nicht auf sensible oder private Daten beschränkt. Vielmehr werden alle Daten i. S. d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO erfasst141. Wenn diese Konkretisierung erfolgt ist, werden daher folgende Daten einbezogen: • Identifikationsmerkmale (z. B. Name, Anschrift, Geburtsname)142, • Äußere Merkmale (z. B. Geschlecht, Augenfarbe, Größe und Gewicht)143, • Innere Zustände (z. B. Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile)144, • Sachliche Informationen (z. B. Vermögens- und Eigentumsverhältnisse, etwaige Prämien- oder Beitragskonten145, Dauer und Ursache einer Arbeitsunfähigkeit146, Urlaubszeiten oder sonstige Fehlzeiten147, Unterhaltspflichten, Kommunikations- und Vertragsbeziehungen, eine Behinderung und alle sonstigen Beziehungen dieser Person zu Dritten und ihrer Umwelt, Daten über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers148)149, • Informationen mit einer subjektiven und/oder objektiven Einschätzung zu dieser Person, was der Fall ist, wenn sie nach Inhalt, Zweck oder Auswirkungen mit der betroffenen Person verknüpft sind (z. B. Ergebnisse eines Assessment-Centers, Stellungnahme zu Bewerbung, Einschätzungen zu der Gesundheit der betroffenen Person)150,
140 BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rz. 23 f. 141 BGH v. 15.6.2021 – VI ZR 576/19, DB 2021, 1803 Rz. 22. 142 OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 304); LAG Hamm v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20 n. v. (Rz. 64 f). 143 OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v (Rz. 304). 144 OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 304). 145 BGH v. 15.6.2021 – VI ZR 576/19, DB 2021, 1803 Rz. 21. 146 LAG Hamm v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20 n. v. (Rz. 64 f.). 147 LAG Hamm v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20 n. v. (Rz. 64 f.). 148 LAG Hamm v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20 n. v. (Rz. 64 f.). 149 OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 304). 150 BGH v. 15.6.2021 – VI ZR 576/19, DB 2021, 1803 Rz. 22, 27; OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 304).
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Aktuelles im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
• Gesprächsnotizen zu Äußerungen der Person151, wozu auch Kündigungen, Widersprüche, Widerrufe, etc. oder Erklärungen zum eigenen Gesundheitszustand gehören152.
Ob auch personenbezogene Metadaten, die bei der Verarbeitung von Daten entstehen, erfasst werden153, ist derzeit noch offen. In seiner Vorlage an den EuGH vom 9.8.2021154 hat das BVwG Republik Österreich insoweit um eine Vorabentscheidung ersucht. Ebenfalls offen ist nach dem vorstehend genannten Urteil des BAG vom 27.4.2021, ob bei E-Mails, die jedenfalls mit dem Namen des Arbeitnehmers als Absender oder Empfänger und dem Zeitpunkt ihres Versands personenbezogene Daten enthalten, ein Anspruch darauf besteht, eine vollständige Kopie zu erhalten, oder ob der Arbeitgeber sich darauf beschränken darf, im Rahmen von Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO mitzuteilen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine E-Mail durch bzw. an den Arbeitnehmer verschickt wurde, wenn die E-Mail selbst keine weiteren personenbezogenen Daten enthält155. Das BAG verweist hier auf den Umstand, dass – so der EuGH in seinem Urteil vom 20.12.2022156 – personenbezogene Daten i. S. d. Art. 2 lit. a Richtlinie 95/46/EG an sich nur Informationen „über“ die in Rede stehende Person enthielten157. Das sei nicht notwendig der Fall bei E-Mails, die personenbezogene Daten „der“ betroffenen Person enthielten. Relevant würde dies beispielsweise in einer E-Mail, mit der der Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer oder eine Führungskraft über eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in Kenntnis gesetzt würde. Hier wäre auch das Datum der Arbeitsunfähigkeit von Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO erfasst. Etwas Anderes würde allerdings dann gelten, wenn durch den Arbeitnehmer eine E-Mail an einen Lieferanten geschickt würde, mit dem nur eine Anlieferung bestätigt wird. Hier enthält die E-Mail über den Umstand, dass der Kläger die E-Mail zu einem bestimmten Zeitpunkt verschickt hat, hinaus keine weitergehenden personenbezogenen Daten, die nach Art. 15 DSGVO relevant sind.
151 BGH v. 15.6.2021 – VI ZR 576/19, DB 2021, 1803 Rz. 21, 27; OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 305). 152 OLG Stuttgart v. 17.6.2021 – 7 U 325/20 n. v. (Rz. 56 ff., 59). 153 So Ehmann/Selmayr/Ehmann, DSGVO Art. 15 Rz. 34. 154 BVwG Republik Österreich v. 9.8.2021 – W211 2222613-2/12 n. v. 155 Vgl. BAG v. 27.4.2021 – 2 AZR 342/20, NZA 2021, 1053 Rz. 28. 156 EuGH v. 20.12.2017 – C-434/16, NJW 2018, 767 Rz. 34 – Nowak. 157 BAG v. 27.4.2021 – 2 AZR 342/20, NZA 2021, 1053 Rz. 26.
119
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Umgekehrt schließt die Rechtsprechung allerdings folgende Daten aus der Auskunftspflicht aus: • Daten, die zwar früher verarbeitet wurden, die zum Zeitpunkt des Auskunftsverlangens nicht mehr verfügbar sind158 oder • Interne Bewertungen oder eine rechtliche Analyse des Verantwortlichen zu Ansprüchen der betroffenen Person159.
Dass es für den Arbeitgeber angesichts des Umfangs der im Unternehmen verarbeiteten Daten einen erheblichen Aufwand bedeutet, diese Daten zu isolieren und für eine Auskunft bzw. die Herausgabe einer Kopie nach Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO aufzubereiten, steht dem Anspruch nicht entgegen. Es sei – so das OLG Köln – Sache der verantwortlichen Stelle, die sich der elektronischen Datenverarbeitung bediene, diese im Einklang mit der Rechtsordnung zu organisieren und insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass dem Datenschutz und den sich daraus ergebenden Rechten Dritter Rechnung getragen werde160. Kennzeichnung einer Kopie: In seinem Urteil vom 16.12.2021161 geht das BAG davon aus, dass davon jedenfalls ein Papierausdruck oder eine elektronische Datenkopie erfasst werden. In seiner Vorlage an den EuGH vom 9.8.2021162 will das BVwG Republik Österreich aber ergänzend hierzu wissen, ob der Begriff der Kopie i. S. d. Art. 15 Abs. 3 DSGVO dahingehend auszulegen sei, dass damit eine Fotokopie bzw. ein Faksimile oder eine elektronische Kopie eines (elektronischen) Datums gemeint sei, oder ob darunter auch eine Abschrift oder ein Duplikat bzw. Transkript falle. Das entspricht dem Streit über die Frage, ob es genügt, das verarbeitete Datum zu übermitteln, oder ob es erforderlich ist, das Datum innerhalb des verwendeten Kontextes in Form einer konkreten Abbildung dem Anspruchsteller zur Verfügung zu stellen163. Ausgehend davon, dass diese Begriffe auch im Rechtsverkehr vielfach synonym gebraucht werden, erscheint es schwierig, eine Erscheinungsform der Vervielfältigung aus dem Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 3 DSGVO auszuschließen. Gleichzeitig dürfte es genügen, auch die isolierte Übermittlung des verarbeiteten Datums ausreichen zu lassen. 158 LG Heidelberg v. 21.2.2020 – 4 O 6/19 n. v. (Rz. 34). 159 EuGH v. 17.7.2014 – C-141/12 und C-372/12 n. v. (Rz. 39 ff.) – Y. S.; BGH v. 15.6.2021 – VI ZR 576/19, DB 2021, 1803 Rz. 28. 160 OLG Köln v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18 n. v. (Rz. 308). 161 BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rz. 32. 162 BVwG Republik Österreich v. 9.8.2021 – W211 2222613-2/12 n. v. 163 So Engeler/Quiel, NJW 2019, 2201, 2202.
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Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer
Wichtiger ist daher die Frage, ob Art. 15 Abs. 3 DSGVO einen allgemeinen Rechtsanspruch der betroffenen Person auf Ausfolgung einer Kopie – auch – gesamter Dokumente begründe, in denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, bzw. auf Ausfolgung einer Kopie eines Datenbankauszugs bei Verarbeitung personenbezogener Daten oder ob damit – nur – ein Rechtsanspruch für die betroffene Person auf originalgetreue Reproduktion der nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu beauskunftenden personenbezogenen Daten begründet werde. Letztgenannte Sichtweise würde dem Arbeitgeber erlauben, auf eine Übermittlung einer Kopie ganzer Schriftstücke, E-Mails und sonstiger Datensätze zu verzichten und sich ohne weiteren Zusammenhang auf die Übermittlung der personenbezogenen Daten der jeweils betroffenen Person zu beschränken, die sich in dem Dokument befinden. Das Bundesverwaltungsgericht will deshalb zudem wissen, ob es, wenn der EuGH der letztgenannten Auffassung folgen würde, im Einzelfall dennoch erforderlich sein kann, auch Textpassagen oder ganze Dokumente der betroffenen Person zur Verfügung zu stellen. Beispielhaft wird hier auf Diagnosen, Untersuchungsergebnisse oder Befunde verwiesen, was im arbeitsrechtlichen Kontext auf Feststellungen im Rahmen des bEM-Verfahrens oder eine Beurteilung im Rahmen eines Assessment-Centers übertragen werden kann. (Ga)
10. Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer Mit seinem Urteil vom 17.3.2022164 hat der EuGH – im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 9.9.2021165 – wichtige Klarstellungen zur unionsrechtlichen Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen zur Höchstüberlassungsdauer getroffen. Lässt man einmal unberücksichtigt, dass es unzulässig war, durch die Festlegung des 1.4.2017 als Stichtag Sachverhalte aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes unberücksichtigt zu lassen, ist die aktuelle Systematik der deutschen Regelungen zur Höchstüberlassungsdauer in § 1 AÜG danach mit der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar. Bedauerlicherweise hat dies aber nur zum Teil die erforderliche Rechtssicherheit in Deutschland zur Folge. Denn es wird durch einen Teil der arbeitsgerichtlichen Instanzgerichte die These vertreten, dass die in § 1 Abs. 1 b AÜG vorgesehene Möglichkeit, durch Tarifvertrag der Einsatzbranche eine Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer zuzulassen, keinerlei Auswirkungen oder jedenfalls Auswirkungen nur für Gewerkschaftsmitglieder habe, weil das Arbeitsverhältnis zwischen 164 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 – Daimler. 165 Generalanwalt EuGH v. 9.9.2021 – C-232/20 n. v. – Daimler.
121
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Leiharbeitnehmer und Verleiher von solchen Tarifverträgen, die nur für die Einsatzbranche geschaffen worden seien, nicht betroffen werde. Im Einzelnen:
a)
Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG
Ausgangspunkt einer Diskussion über die Zulässigkeit und Wirkungsweise gesetzlicher und/oder tarifvertraglicher Regelungen zu einer Höchstüberlassungsdauer im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung müssen die Regelungen der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit166 sein. Danach gilt diese Richtlinie für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und dem entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten (Art. 1 Abs. 1). Daran anknüpfend definiert Art. 3 Abs. 1 lit. b Leiharbeitsunternehmen als eine natürliche oder juristische Person, die nach einzelstaatlichem Recht mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließt oder Beschäftigungsverhältnisse eingeht, um sie entleihenden Unternehmen zu überlassen, damit sie dort unter deren Aufsicht und Leitung vorübergehend arbeiten. Leiharbeitnehmer sind Personen, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden, um dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten (Art. 3 Abs. 1 lit. c). Ein entleihendes Unternehmen ist danach eine natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag und unter deren Aufsicht und Leitung ein Leiharbeitnehmer vorübergehend arbeitet (Art. 3 Abs. 1 lit. d). Überlassung wird in Art. 3 Abs. 1 lit. e als Zeitraum gekennzeichnet, während dessen der Leiharbeitnehmer dem entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, um dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten. Nach Art. 4 Abs. 1 sind Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten. Ergänzend dazu bestimmt Art. 5 Abs. 5 nicht nur, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten ergreifen müssen, um eine missbräuchliche Anwendung von Art. 5, der den 166 ABl. EU 2008, L 327, 9.
122
Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer
Grundsatz der Gleichbehandlung regelt, zu verhindern. Art. 5 Abs. 5 bestimmt auch, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Wie der EuGH bereits in seinem Urteil vom 14.10.2020167 deutlich gemacht hat, verpflichtet Art. 5 Abs. 5 die Mitgliedstaaten deshalb, aufeinanderfolgende Überlassungen zu verhindern, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie insgesamt umgangen werden sollen168. Dies folge schlussendlich aus dem Umstand, dass die Richtlinie an verschiedenen Stellen zum Ausdruck bringe, dass Leiharbeitnehmer nur vorübergehend bei einem anderen Unternehmen eingesetzt würden. Mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 erkennt der EuGH aber zugleich an, dass die Richtlinie nicht verlange, auf nationaler Ebene Beschränkungen für aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher vorzusehen oder die Rechtmäßigkeit einer befristeten Überlassung von der Angabe und/oder dem Vorliegen bestimmter Gründe abhängig zu machen.
b)
Vorübergehender Einsatz trotz Beschäftigung auf Dauerarbeitsplatz
Entgegen der im Vorabentscheidungsersuchen des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.5.2020169 erkennbaren Auffassung hält es der EuGH nicht für erforderlich, aus dem Merkmal einer vorübergehenden Überlassung auch auf die Notwendigkeit zu schließen, den Einsatz von Leiharbeitnehmern ebenfalls auf vorübergehende Arbeitsplätze zu beschränken. Vielmehr sei es mit der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar, dass Leiharbeitnehmer durch den Entleiher auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden170. In seiner Begründung hatte schon der Generalanwalt darauf verwiesen, dass das englische Wort „temporarily“ (vorübergehend) in Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG „lasting for only a limited period of time“ (nur für eine beschränkte Dauer), „not permanent“ (nicht dauerhaft) bedeute, sich jedoch nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeitnehmers beziehe, nicht aber auf den Arbeitsplatz, auf dem er eingesetzt werde. Dem schließt sich der EuGH an und begründet dies nicht nur mit dem Wortlaut 167 EuGH v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 Rz. 46 ff. – JH. 168 Ebenso EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 – Daimler. 169 LAG Berlin-Brandenburg v. 13.5.2020 – 15 Sa 1991/19, NZA-RR 2020, 398 Rz. 33 f. 170 Ebenso Klengel, AuR 2020, 456, 462.
123
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
der Richtlinie. Hinzu komme, dass die Richtlinie keine Regelungen zu der Frage treffe, welche Art der Arbeit oder der Stelle für einen Einsatz von Leiharbeitnehmern bestimmt werden könne. Für die Zulässigkeit eines Einsatzes auf Dauerarbeitsplätzen spreche außerdem der Umstand, dass die Richtlinie 2008/104/EG auch darauf abziele, den Zugang von Leiharbeitnehmern zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen zu fördern, was die Auslegung stütze, dass es um Arbeitsplätze gehe, die dauerhaft vorhanden sind und durch den Leiharbeitnehmer nach seiner Übernahme durch den Entleiher auch dauerhaft besetzt werden könnten171. Hiervon ausgehend können dauerhaft vorhandene Arbeitsplätze wie auch nicht vertretungsweise besetzte Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt werden. Gleichzeitig folgt daraus, dass die Höchstüberlassungsdauer arbeitnehmer-, nicht arbeitsplatzbezogen zu kennzeichnen ist.
c)
Gesetzliche und/oder tarifvertragliche Festlegung einer Höchstüberlassungsdauer
Seit dem 1.4.2017 enthalten die gesetzlichen Regelungen nicht mehr nur die abstrakte Feststellung, dass Leiharbeitnehmer vorübergehend einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen werden. Vielmehr bestimmt § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG, dass die Überlassung von Arbeitnehmern nur vorübergehend bis zur Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1 b AÜG zulässig ist. § 1 Abs. 1 b AÜG bestimmt wiederum, dass der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate demselben Entleiher überlassen darf; spiegelbildlich darf der Entleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. Abweichende Regelungen können nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG durch Tarifvertrag, Betriebs- oder Dienstvereinbarung, die Geltung für den Betrieb des Entleihers beanspruchen, vereinbart werden. Schon in seinem Urteil vom 14.10.2020172 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass Art. 5 Abs. 5 S. 1 i. V. m. Art. 1, 2 Richtlinie 2008/104/EG die Mitgliedstaaten verpflichtet, nicht nur Maßnahmen zu ergreifen, um einen Missbrauch im Zusammenhang mit der Kettenüberlassung von Leiharbeitnehmern zu verhindern. Die Mitgliedstaaten seien auch verpflichtet, Maß-
171 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 Rz. 28 ff., 37 – Daimler. 172 EuGH v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 Rz. 60 bis 63 – JH.
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Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer
nahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter von Leiharbeit zu wahren. Diese Sichtweise bestätigt der EuGH in seinem Urteil vom 17.3.2022173. Danach seien die Mitgliedstaaten aus Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2008/104/EG heraus nicht verpflichtet, die Zahl der aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Arbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen zu begrenzen oder den Einsatz von befristeter Arbeitnehmerüberlassung von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe abhängig zu machen. Vielmehr sei einzelfallbezogen festzustellen, ob Umstände vorlägen, nach denen die Annahme gerechtfertigt sei, dass die Beschäftigungsdauer bei einem Unternehmen länger sei, als was vernünftigerweise noch als vorübergehend betrachtet werden könne. Die Frage, ob ein missbräuchlicher Einsatz von Arbeitnehmern im Rahmen der Leiharbeit vorliege, werde dabei aber nur zum Teil durch die Dauer der Überlassung beeinflusst. Zu berücksichtigen sei auch, ob eine objektive Erklärung gegeben sei, wie es zu einer Verlängerung aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge gekommen sei. Darüber hinaus sei festzustellen, ob es sich um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis handele, auf das aufeinanderfolgende Leiharbeitsverträge unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2008/104/EG künstlich angewandt worden seien. Dass eine Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Regelungen auch durch Tarifvertragsparteien vereinbart würde, die für den Einsatzbetrieb zuständig seien, hält der EuGH ausdrücklich für zulässig. Auch diese Tarifverträge müssten sich allerdings an den allgemeinen Grundsätzen zur Vermeidung eines Missbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung messen lassen. Hiervon ausgehend bestehen aus Sicht des EuGH Zweifel, ob eine Höchstüberlassung, wie sie im Streitfall in Rede stand, mit den Vorgaben der Richtlinie zur Missbrauchskontrolle vereinbar sei. Dies zu entscheiden sei aber Aufgabe der nationalen Gerichte, die sich jetzt erneut mit der Sache befassen müssen.
d)
Unzulässigkeit des gesetzlichen Stichtags zur Berechnung der Höchstüberlassungsdauer
Bei der entsprechenden Bewertung werden die deutschen Arbeitsgerichte allerdings berücksichtigen müssen, dass es der EuGH – wie schon der Generalanwalt – für unvereinbar mit der Richtlinie 2008/104/EG hält, wenn 173 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 Rz. 35 – Daimler.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
durch gesetzliche Regelungen festgelegt wird, dass eine Überlassung, die vor einem bestimmten Stichtag liege, bei der Frage keine Berücksichtigung finde, ob ein missbräuchlicher Einsatz von Leiharbeit vorliege. Genau eine solche Regelung hat der Gesetzgeber aber in § 19 Abs. 2 AÜG getroffen. Danach werden Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 bei der Berechnung der Höchstüberlassungsdauer nach § 1 Abs. 1 b AÜG und der Berechnung der Überlassungszeit nach § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG nicht berücksichtigt. Nach Auffassung des EuGH steht eine solche Regelung im Widerspruch zu Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2008/104/EG. Für den Leiharbeitnehmer ergeben sich daraus allerdings keine Ansprüche gegenüber dem Entleiher. Denn der EuGH geht davon aus, dass das Unionsrecht innerhalb einer Rechtsbeziehung von Privatpersonen durch eine unionsrechtskonforme Auslegung und Anwendung nationalen Rechts durchgesetzt werden müsse. Dieser Grundsatz unterliege aber bestimmten Schranken. So finde die Verpflichtung des nationalen Gerichts, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, ihre Schranke in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen174. Außerdem dürfte die unionsrechtliche Vorgabe, Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, wenn diese Bestimmungen nicht entsprechend den Anforderungen des Unionsrechts ausgelegt werden können, nicht zu einer zusätzlichen Verpflichtung von Privatpersonen führen. Dies gelte auch dann, wenn eine Übergangsregelung in Rede stünde, mit der Zeiten, die vor einem Stichtag liegen, von einer Berücksichtigung bei der Berechnung der Höchstüberlassungsdauer ausgenommen werden175. Hiervon ausgehend kann zwar angenommen werden, dass die Übergangsregelung in § 19 Abs. 2 AÜG unzulässig ist. Die Regelung ist aber weiter anzuwenden. Damit bleibt dem von einer rechtsmissbräuchlichen Dauer der Arbeitnehmerüberlassung betroffenen Leiharbeitnehmer nur die Möglichkeit, Deutschland auf Staatshaftung in Anspruch zu nehmen mit der Begründung, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen in §§ 1 Abs. 1 b, 8 Abs. 4 AÜG nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, um eine miss-
174 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 Rz. 77 – Daimler; EuGH v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 Rz. 66 – JH; EuGH v. 13.12.2018 – C385/17, NZA 2019, 47 Rz. 51 – Hein. 175 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 Rz. 77 ff., 81 f. – Daimler.
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Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer
bräuchliche Anwendung der Regelung zur Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern176.
e)
Auswirkungen auf den Vorlagebeschluss zum Equal-Pay
Bereits mit Beschluss vom 16.12.2020177 hatte das BAG dem EuGH mehrere Fragen zu den Voraussetzungen einer tarifvertraglichen Abweichung vom Equal-Pay-Gebot vorgelegt. Wir hatten darüber berichtet178. Im Wesentlichen geht es dabei um die Frage, ob die Tarifvertragsparteien unter den in § 8 Abs. 4 AÜG genannten Voraussetzungen berechtigt sind, vorübergehend abweichende Regelungen zu treffen, oder ob Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG verlangt, dass durch den Gesetzgeber und/oder die Rechtsprechung im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung weitergehende Voraussetzungen bestimmt werden. Eine Entscheidung des EuGH liegt bislang nicht vor. Überträgt man aber die Sichtweise des EuGH zu den Folgen einer Unvereinbarkeit von § 19 Abs. 2 AÜG mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG auch auf die Diskussion zu § 8 Abs. 4 AÜG, bewirkt die Unwirksamkeit der Übergangsregelung aber keinen Anspruch auf den Differenzlohn. Vielmehr wären die entsprechenden Regelungen in §§ 8 Abs. 4, 19 Abs. 2 AÜG anzuwenden bis der Gesetzgeber auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG eine entsprechende Anpassung vorgenommen hätte. Den hiervon betroffenen Leiharbeitnehmern bliebe nur die Möglichkeit, Deutschland auf Staatshaftung in Anspruch zu nehmen mit der Begründung, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen in §§ 8 Abs. 4, 19 Abs. 2 AÜG nicht die erforderlichen Maßnahmen zur Durchsetzung des Equal-Pay-Gebots ergriffen habe. Unter Einbeziehung der Zeit bis zum 31.3.2017 könnte aber bis zum Wirksamwerden der Änderungen an den bestehenden Tarifverträgen festgehalten werden, was nicht nur arbeits-, sondern vor allem auch sozialversicherungsrechtlichen Nachzahlungsansprüchen entgegenstünde. Das Drama der sozialversicherungsrechtlichen Nachzahlungsansprüche, das mit der Unwirksamkeit der CGZP-Tarifverträge verbunden war, bliebe den Unternehmen der Zeitarbeitsbranche bei dieser Sichtweise erspart.
176 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 Rz. 35 – Daimler. 177 BAG v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A), NZA 2021, 800. 178 B. Gaul, AktuellAR 2021, 99 ff.
127
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
f)
Instanzgerichtliche Zweifel an der Anwendbarkeit von Tarifverträgen zur Höchstüberlassungsdauer
Obwohl als Folge der EuGH-Entscheidung vom 17.3.2022179 davon ausgegangen werden kann, dass es mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar ist, dass die Tarifvertragsparteien eine Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer vereinbaren, wird in Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg, des LAG Niedersachsen und des ArbG Iserlohn die Ansicht vertreten, dass entsprechende Tarifverträge zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer (Beispiel: TV LeiZ) nicht oder nur für Gewerkschaftsmitglieder nutzbar gemacht werden können, so dass die gesetzgeberische Konzeption einer tarifvertraglichen Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer durch Tarifverträge der Einsatzbranche damit weitgehend wertlos ist. Ausgangspunkt dieser Sichtweise ist das Urteil des LAG BadenWürttemberg vom 2.12.2020180. Darin deutet die 4. Kammer nicht nur Zweifel im Hinblick auf die Vereinbarkeit von § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG mit dem GG an181. Weitergehend lehnt es die 4. Kammer des LAG BadenWürttemberg – entgegen der wohl ganz überwiegend vertretenen Auffassung182 – ab, entsprechende Tarifverträge als Betriebsnormen zu bezeichnen, die – als Ergebnis der in § 1 Abs. 1 b AÜG erkennbaren Zielsetzung des Gesetzgebers – als Reflex auch die im Einsatzbetrieb tätigen Leiharbeitnehmer erfassten. Dafür fehle – so die 4. Kammer – eine demokratisch legitimierte Regelungsmacht der für den Einsatzbetrieb zuständigen Tarifvertragsparteien. Vielmehr handele es sich um eine Inhaltsnorm, die für das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer mangels gesetzlicher Tarifbindung nicht zur Anwendung kommen konnte. Dieser Auffassung haben sich jetzt auch das LAG Niedersachsen im Urteil vom 21.4.2022183 und das ArbG Iserlohn mit Urteil vom 22.12.2021184 angeschlossen. In dem beim LAG Niedersachsen anhängigen Fall hatte dies zur Folge, dass die Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer Wirksamkeit nur gegenüber den gewerkschaftlich organisierten Leiharbeitnehmern entfaltete. 179 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 – Daimler. 180 LAG Baden-Württemberg v. 2.12.2020 – 4 Sa 16/20, NZA-RR 2021, 188 Rz. 70 ff., 81 ff. 181 Ebenso Ulber, RdA 2018, 50, 52. 182 Vgl. Schüren/Hamann/Hamann, AÜG § 1 Rz. 355; Thüsing/Waas, AÜG § 1 Rz. 163; Ulrici, AÜG § 1 Rz. 99. 183 LAG Niedersachsen v. 21.4.2022 – 5 Sa 97/21 u. a. n. v. 184 ArbG Iserlohn v. 22.12.2021 – 1 Ca 751/21 n. v.
128
Klarstellungen des EuGH und Zweifel der LAG zur Höchstüberlassungsdauer
Bei den übrigen Leiharbeitnehmern war sie unwirksam, was bewirkte, dass – insoweit abweichend von den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 17.3.2022185 – ein Arbeitsverhältnis zwischen den Klägern und der Volkswagen AG auf der Grundlage von §§ 9, 10 AÜG angenommen wurde, das einer späteren sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG, die zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer vereinbart worden war, als ein „bereits zuvor“ bestehendes Arbeitsverhältnis entgegenstand. Die vorstehende Sichtweise der arbeitsgerichtlichen Instanzgerichte überzeugt nicht. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit der 21. Kammer des LAG Baden-Württemberg davon auszugehen, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Tarifverträgen zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer um Betriebsnormen handelt, die auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 b ÄUG eine Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer in Bezug auf Leiharbeitnehmer gestatten, die in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Dass es sich nicht um Inhaltsnormen handelt, folgt bereits daraus, dass eine Übernahme der Regelungen solcher Tarifverträge durch Bezugnahmeklauseln ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber erlaubt eine Übernahme der Regelungen eines solchen Tarifvertrags nur durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung. Dass Verleiher und Leiharbeitnehmer an dem Zustandekommen entsprechender Tarifverträge der Einsatzbranche nicht beteiligt sind, steht ihrer Wirksamkeit ebenfalls nicht entgegen. Art. 9 Abs. 3 GG erlaubt dem Gesetzgeber, den Tarifvertragsparteien das Recht zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen auch für solche Arbeitsverhältnisse zuzugestehen, die selbst nicht Mitglied einer der Tarifvertragsparteien sind. Das zeigen bereits die Regelungen zur Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 Abs. 4 TVG) und die Regelungen des AEntG, die eine Verbindlichkeit von Tarifverträgen auch für solche Arbeitsverhältnisse auslösen, die keiner gewillkürten bzw. durch Mitgliedschaft begründeten Tarifbindung unterworfen sind. Folgerichtig war der Gesetzgeber auch in der Lage, mit § 1 Abs. 1 b AÜG eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die unabhängig und/oder als Ergänzung zu § 3 Abs. 2 TVG den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche erlaubt, für Leiharbeitsverhältnisse, die in den Geltungsbereich ihrer Tarifverträge fallen, eine vom Gesetz abweichende Höchstüberlassungsdauer zu vereinbaren. Abzuwarten bleibt, wie das BAG diesen Streit der Instanzgerichte auflösen wird. Revision gegen die Urteile des LAG Baden-Württemberg ist eingelegt186. (Ga)
185 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 – Daimler. 186 Az.: 4 AZR 26/21 (früher 9 AZR 26/21) und 4 AZR 82/21 (früher 9 AZR 83/21).
129
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
11.
Beweislastverteilung bei der Abgabe von Erklärungen durch E-Mail
Die Entscheidung des LAG Köln vom 11.1.2022187 zeigt noch einmal sehr deutlich, welche Probleme in der betrieblichen Praxis entstehen können, wenn Erklärungen innerhalb des Arbeitsverhältnisses durch E-Mail erfolgen und der Zugang dieser Nachricht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer umstritten ist. In dem der Entscheidung des LAG Köln zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob der Arbeitgeber – eine Fluggesellschaft – dem Kläger – einem Piloten – innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung seiner fliegerischen Grundschulung zum Flugzeugführer die Übernahme in ein Cockpit-Arbeitsverhältnis angeboten hatte. Die entsprechende Frist endete am 26.10.2018. Da die Beklagte dem Kläger eine solche Übernahme auf dem Postweg erst am 27.10.2018 angeboten hatte, musste geklärt werden, ob dem Kläger eine E-Mail, mit der die Beklagte ein solches Angebot ausgesprochen haben wollte, noch am 25.10.2018 zugegangen war. Der Kläger behauptete, die E-Mail erst am 28.10.2018 erhalten zu haben. Grundsätzlich wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, erst zu dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung auszugehen, wenn die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gerät, dass dieser nach allgemeinen Umständen von ihr Kenntnis erlangen kann188. Es ist umstritten, welche Auswirkungen dieser Grundsatz auf die Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf den Zugang einer E-Mail besitzt. So wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass dem Absender einer E-Mail der Beweis des ersten Anscheins zur Seite stehe, dass die von ihm versandte EMail beim Empfänger eingegangen sei, wenn nicht eine Rücksendung als unzustellbar erfolgt ist. Dies gelte – so das AG Frankfurt189 – auch dann, wenn die Nachricht möglicherweise in einen Spamfilter gelangt sei. In Übereinstimmung mit der wohl herrschenden Meinung schließt sich das LAG Köln dieser Auffassung in seinem Urteil vom 11.1.2022190 nicht an. Vielmehr geht es davon aus, dass den Absender einer E-Mail die volle Darlegungs- und Beweislast dafür treffe, dass die E-Mail dem Empfänger zuge187 LAG Köln v. 11.1.2022 – 4 Sa 315/21 n. v. (Rz. 55 ff.). 188 BAG v. 13.6.2019 – 6 AZR 459/18, NZA 2019, 1639 Rz. 34; LAG Köln v. 11.1.2022 – 4 Sa 315/21 n. v. (Rz. 55). 189 AG Frankfurt v. 23.10.2008 – 30 C 730/08-25 n. v. 190 LAG Köln v. 11.1.2022 – 4 Sa 315/21 n. v. (Rz. 58 f.).
130
Beweislastverteilung bei der Abgabe von Erklärungen durch E-Mail
gangen ist. Die bloße Absendung einer E-Mail begründe insofern auch keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger191. Dies gelte selbst dann, wenn der Absender ein Sendeprotokoll vorlege192. Insofern bestehe auch keine Gewissheit, dass die Nachricht nach dem Versenden der E-Mail auf dem Server des Empfängers eingehe. Wie auch bei einfacher Post sei es technisch möglich, dass die Nachricht nicht ankomme. Das Risiko könne nicht dem Empfänger aufgebürdet werden. Der Versender wähle die Art der Übermittlung der Willenserklärung und damit das Risiko, dass die Nachricht nicht ankomme. Ausdrücklich verweist das LAG Köln allerdings auf die Möglichkeit, in der Optionsverwaltung des E-Mail-Programms festzulegen, dass eine Lesebestätigung durch den Empfänger erfolgt. Hiervon ausgehend dürfte von einem Nachweis des Zugangs einer E-Mail nicht nur dann auszugehen sein, wenn der Empfänger eine ausdrückliche Bestätigung schickt, die in eigenen Worten bestätigt, dass er die E-Mail erhalten hat193. Dies entspricht der Bewertung außerhalb elektronischer Kommunikationsmittel194. Vielmehr wird man jedenfalls von dem Anschein eines Zugangs der E-Mail auch dann ausgehen können, wenn durch Vorlage eines Ausdrucks aus dem Postausgangssystem des Absenders die Bestätigung des Abrufs der E-Mail von dem Mailserver auf das E-Mail-Konto des Empfängers dargelegt wird. Lese- und Empfangsbestätigungen, auch wenn sie automatisch und/oder systemseitig erzeugt werden, wird man daher die Qualität eines Anscheinsbeweises zuerkennen müssen195. Auch diesen Nachweis konnte die Beklagte in dem der Entscheidung des LAG Köln vom 11.1.2022196 zugrunde liegenden Fall aber nicht führen. Im Gegenteil: Die Beklagte hatte lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass die E-Mail nicht zugegangen sei. Dies aber war, ausgehend davon, dass die Beklagte für den Zugang darlegungs- und beweisbelastet war, nicht zulässig. Auf die Frage, ob in der E-Mail ihrem Wortlaut nach überhaupt das Angebot einer Übernahme in ein Cockpit-Arbeitsverhältnis zu sehen war, konnte daher unentschieden bleiben. 191 Ebenso LAG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2018 – 2 Sa 403/18 n. v. (Rz. 39); Erman/Arnold, BGB § 130 Rz. 33. 192 Ebenso MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 47. 193 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2018 – 2 Sa 403/18, NZA-RR 2019, 118 Rz. 24; Mankowski, NJW 2004, 1901, 1905 f. 194 Willems, MMR 2013, 551. 195 AG Hamburg v. 27.4.2018 – 12 C 214/17 n. v. (Rz. 16 f.); MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 47; Mankowski, NJW 2004, 1901. 196 LAG Köln v. 11.1.2022 – 4 Sa 315/21 n. v. (Rz. 60 ff.)
131
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
In der betrieblichen Praxis ist den Beteiligten daher zunächst einmal zu empfehlen, den Versand einer E-Mail nicht nur mit der ausdrücklichen Bitte an den Empfänger zu versehen, den Eingang zu bestätigen. Höchstvorsorglich sollte auch im E-Mail-System der Versand einer Lesebestätigung eingestellt werden197. Grundsätzlich wird man einen solchen Anscheinsbeweis auch dann annehmen können, wenn der Absender eine „Out-of-Office-E-Mail“ des Empfängers erhält. Insofern wird man davon ausgehen müssen, dass die „Out-ofOffice-E-Mail“ nur versendet wird, wenn die Absender-E-Mail auf dem Empfangsserver eingegangen ist. Es obliegt dann dem Empfänger, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass er Kenntnis von der eingegangenen E-Mail erlangt. Dies entspricht den Obliegenheiten, die den Empfänger auch während des Urlaubs oder einer Krankheit in Bezug auf Postsendungen treffen, die in den Briefkasten eingeworfen werden 198. Allerdings dürfte die Frage, ob der Zugang am gleichen Tag oder – ausgehend davon, dass es sich um einen Werktag handelt – am Folgetag erfolgt, nicht nur von der Uhrzeit des Versands der „Out-of-Office-E-Mail“ abhängen. Vielmehr wird man auch Unterschiede zwischen gewerblich genutzten E-MailAccounts und privaten Accounts machen müssen. Schließlich wird man jedenfalls bei einer privaten E-Mail-Adresse keine mehrfache Abfrage während des Kalendertags unterstellen dürfen199. Rechtsprechung, die abschließende Klarheit zu diesen Fragen vermitteln würde, liegt indes nicht vor. Falls der rechtzeitige Zugang einer Willenserklärung in Rede steht, sollte daher auf das klassische Mittel einer Zustellung – ggf. eine verkörperte Willenserklärung durch einen Boten – zurückgegriffen werden. (Ga)
197 Vgl. BGH v. 17.7.2013 – I ZR 64/13, NJW 2014, 556 Rz. 11; LAG BerlinBrandenburg v. 27.11.2012 – 15 Ta 2066/12 n. v. (Rz. 9). 198 Vgl. OLG München v. 15.3.2012 – Verg 2/12 n. v. (Rz. 52 ff.); Dreher/Hoffmann, GWB § 134 Rz. 84; Werthenbruch, JuS 2020, 481, 485. 199 Vgl. MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 19.
132
D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.
Teilnahme an externer Fortbildung als Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne
Aufgrund der Vorlage eines rumänischen Berufungsgerichts hat der EuGH in einer Vorabentscheidung vom 28.10.20211 der Frage nachgehen müssen, ob eine verpflichtende berufliche Fortbildung auf Veranlassung des Arbeitgebers als Arbeitszeit i. S. v. Art. 2 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC zu qualifizieren ist. Nach dem Sachverhalt der Vorabentscheidung war der Kläger bei der Verwaltung der Gemeinde D. beim Freiwilligen Dienst für Notfälle angestellt und Leiter der Abteilung Prävention (Feuerwehr). In dieser Eigenschaft musste der Kläger nach rumänischem Recht über eine förmlich bescheinigte spezifische berufliche Qualifikation und Fähigkeit verfügen, die durch eine Inspektion des zuständigen Kreises erteilt wird. In einer Verordnung ist festgelegt, dass ein Arbeitnehmer während einer vom Arbeitgeber finanzierten beruflichen Fortbildung das für sein normales Arbeitspensum festgelegte Arbeitsentgelt erhält. Bei wöchentlich 40 Stunden beträgt die tägliche Arbeitszeit 8 Stunden. Der Kläger wurde von seinem Arbeitgeber zum Erhalt der beruflichen Qualifikation angewiesen, 160 Stunden berufliche Fortbildung zu absolvieren. Diese Fortbildung wurde in den Monaten März und April 2017 aufgrund eines von der Verwaltung der Gemeinde D. mit einem Unternehmen für berufliche Fortbildung geschlossenen Vertrags absolviert. Die Fortbildung fand montags bis freitags von 15 bis 20 Uhr, samstags von 13 bis 18 Uhr und sonntags von 13 bis 19 Uhr in den Räumlichkeiten dieses Unternehmens statt. Von den vom Kläger absolvierten Fortbildungsstunden lagen letztlich 124 außerhalb seiner normalen Arbeitszeit. Der Kläger erhob beim Tribunalul Vaslui (Landgericht Vaslui, Rumänien) gegen die Verwaltung der Gemeinde D. Klage unter anderem auf Verurteilung dieser Verwaltung zur Bezahlung der genannten 124 Stunden als Überstunden. Nach Abweisung der Klage in der ersten Instanz hat das Berufungsgericht dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass die Zeit, in der ein Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber vorgeschriebene berufliche Fortbildung absolviert, die außerhalb seines gewöhnlichen Arbeitsorts stattfindet und während der er nicht seinen
1
EuGH v. 28.10.2021 – C-909/19, NZA 2021, 1623 – Unitatea Administrativ Teritorială D.
133
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
gewöhnlichen Aufgaben nachgeht, Arbeitszeit im Sinne dieser Vorschrift darstellt. In seiner Antwort weist der EuGH zunächst darauf hin, dass es in dem Vorlagefall um die Bezahlung von möglichen Überstunden ging, und sich die Richtlinie 2003/88/EG mit Ausnahme des in Art. 7 Abs. 1 geregelten Sonderfalls des bezahlten Urlaubs nicht auf die Vergütung der Arbeitnehmer bezieht, sondern ausschließlich bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung regelt, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Soweit es um die vorgelegte Frage geht, unterstreicht der EuGH, dass die verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG über Höchstarbeitszeit und Mindestruhezeiten das in Art. 31 Abs. 2 GRC verankerte Grundrecht konkretisieren und nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmerrechte restriktiv ausgelegt werden dürfen. Unter Rückgriff auf den Begriff der Arbeitszeit in Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 2003/88/EG, die als jede Zeitspanne definiert wird, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt, und den Begriff der Ruhezeit in Art. 2 Nr. 2 Richtlinie 2003/88/EG als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit, weist der EuGH darauf hin, dass die Begriffe Arbeitszeit und Ruhezeit einander ausschließen. Diese Feststellung verbindet der EuGH mit der bereits in früheren Entscheidungen2 getroffenen Aussage, dass die unionsrechtlichen Begriffe der Arbeitszeit und der Ruhezeit autonomer Auslegung unterliegen, um eine einheitliche Anwendung in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Unter Bezugnahme auf den Wortlaut des Begriffs der Arbeitszeit i. S. d. Richtlinie 2003/88/EG hält es der EuGH für entscheidend, dass der Arbeitnehmer persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend sein und ihm zur Verfügung stehen muss, um ggf. sofort seine Leistungen erbringen zu können3. Dabei erachtet es der EuGH als unerheblich, wo sich der Arbeitsplatz befindet, an dem der Arbeitnehmer nach Weisung seines Arbeitgebers seine Tätigkeit wahrzunehmen hat, auch wenn es nicht der Ort ist, an dem er seine berufliche Tätigkeit gewöhnlich ausübt. In diesem Kontext betrachtet der EuGH die Zeiten der beruflichen Fortbildung einer vom Arbeitgeber bei und mit einem Dritten vereinbarten Qualifi-
2 3
EuGH v. 9.3.2021 – C-344/19, NZA 2021, 485 – Radiotelevizija Slovenija (Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort). So bereits EuGH v. 9.3.2021 – C-344/19, NZA 2021, 485 Rz. 33 – Radiotelevizija Slovenija.
134
Teilnahme an externer Fortbildung als Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne
zierung, die ein Arbeitnehmer auf Anweisung des Arbeitgebers absolviert, um die von ihm wahrgenommenen Aufgaben ausüben zu können, als Zeiten, in denen der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber i. S. v. Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 2003/88/EG zur Verfügung steht und damit als Arbeitszeit. Für unerheblich hält der EuGH dabei den Umstand, dass die Zeiten der beruflichen Fortbildung im Streitfall ganz oder teilweise außerhalb der normalen Arbeitszeit gelegen haben. Ebenso wenig ist für den EuGH für die Einstufung als Arbeitszeit entscheidend, dass die berufliche Fortbildung in den Räumlichkeiten eines Dritten stattgefunden hat und sich die Zeiten der beruflichen Fortbildung von den gewöhnlichen Aufgaben des Arbeitnehmers unterscheiden. Der EuGH hat daher auf die Vorlagefrage geantwortet: Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 2003/88/EG ist dahin auszulegen, dass die Zeit, in der ein Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber vorgeschriebene berufliche Fortbildung absolviert, die außerhalb seines gewöhnlichen Arbeitsorts in den Räumlichkeiten des Fortbildungsdienstleisters stattfindet und während der er nicht seinen gewöhnlichen Aufgaben nachgeht, „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
Diese Entscheidung des EuGH ist vollständig auf die deutsche Rechtspraxis zu übertragen, soweit die begriffliche Kennzeichnung der Arbeitszeit sowie die Schutzfunktion des ArbZG in Rede stehen. Diese rechtliche Einordnung schließt allerdings nicht aus, unter Berücksichtigung des Mindestlohns für vom Arbeitgeber angeordnete Ausbildungszeiten, die zu einer Überschreitung der normalen Arbeitszeit führen, eine gesonderte Vergütungsregelung vorzunehmen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der bis zum 1.8.2022 in nationales Recht umzusetzenden Richtlinie 2019/1152/EU über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union in Art. 13 vorgesehen ist, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass den Arbeitnehmern Fortbildung kostenlos angeboten wird, diese als Arbeitszeit angesehen wird und möglichst während der Arbeitszeit stattfindet, wenn der Arbeitgeber aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw. Tarifverträgen verpflichtet ist, den Arbeitnehmern Fortbildung im Hinblick auf die Arbeit anzubieten, die sie ausüben4. Ohne eine derartige Angebotspflicht des Arbeitgebers gilt Art. 13 Richtlinie 2019/1152/EU nicht für die Berufsausbildung oder Fortbildung, die erforderlich ist, um eine Berufsqualifikation zu erlangen, aufrechtzuerhalten oder zu erneuern (Erwägungsgrund 37). (Boe) 4
Vgl. dazu Art. 6 zu § 111 GewO des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1152/EU über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts (BT-Drucks. 20/1636 S. 12 f.).
135
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
2.
Reisezeit als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne?
a)
Bisherige Sichtweise
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns immer wieder mit der Frage befasst, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Reisezeit als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne zu behandeln ist. Dafür ist insbesondere die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) maßgeblich. Ob und inwieweit Reisezeit vergütet wird, bestimmt sich nach §§ 611 a, 612 BGB und ergänzend hierzu getroffenen Vereinbarungen. Die Arbeitszeitrichtlinie trifft keine Regelungen zur Vergütung der Arbeitszeit5. Auch unter Berücksichtigung dieser Vorgaben war die ganz überwiegende Rechtsprechung und Literatur in Deutschland daher davon ausgegangen, dass Reisezeit als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne nur qualifiziert werden kann, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit arbeitsvertragliche Hauptleistungspflichten erfüllt (z. B. Außendienst), wenn die mit der Reise verbundenen Anstrengungen in Bezug auf die Belastung des Arbeitnehmers der Hauptleistung im Wesentlichen nahekommen oder wenn der Arbeitnehmer nach Aufforderung des Arbeitgebers selbst ein Kfz steuert6. Einerseits liege damit eine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne vor, wenn ein Arbeitnehmer während der Zug- oder Flugreise arbeite. Andererseits sei keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne gegeben, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit schlafen, lesen, Filme sehen oder anderer Freizeitbeschäftigungen nachgehen könne7. Dass sich der Arbeitnehmer während einer solchen Dienstreise außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten müsse, genüge nicht, um von Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne auszugehen8. Für diese Sichtweise spricht nicht nur der Umstand, dass mit der arbeitgeberseitigen Veranlassung der Dienstreise zwar das Reiseziel und – mittelbar – auch der Aufenthaltsort während der Wegstrecke vorgegeben ist. Der wesentliche Grund für eine Ausgrenzung solcher Dienstreisen aus dem Begriff der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne liegt allerdings darin, 5 6
7 8
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 351 ff., 2020, 145 ff. Vgl. BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, NZA 2007, 155 Rz. 16; Bayreuther, NZA 2021, 745, 747; Loritz, NZA 1997, 1188, 1192; Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht § 7 Rz. 7.138. BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, NZA 2007, 155. A. A. Hahn/Pfeiffer/Schubert, ArbZG § 2 Rz. 16; Buschmann, FS Hanau S. 197.
136
Reisezeit als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne?
dass der Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht mit einer Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber rechnen muss. Dies unterscheidet solche Zeiten auch von dem Bereitschaftsdienst. Wie der EuGH in seinen letzten Entscheidungen zur Rufbereitschaft deutlich gemacht hat, liegt nicht notwendig Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne vor, wenn der Arbeitnehmer als Folge seiner Verpflichtung, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort seine Arbeit aufzunehmen, gezwungen ist, sich innerhalb einer bestimmten Entfernung von diesem Ort aufzuhalten. Vielmehr könne die Zeit der Rufbereitschaft nur dann in vollem Umfang Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 Arbeitszeitrichtlinie sein, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls ergebe, dass die dem Arbeitnehmer in dieser Zeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art seien, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen würden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtige. Maßgeblich seien insoweit insbesondere die Zeitspanne, innerhalb derer die Arbeit aufgenommen werden müsse, die Anzahl der durchschnittlich notwendigen Arbeitseinsätze und deren Dauer. Dass der Arbeitnehmer während der Zeit, die er sich in der Umgebung des Arbeitsorts aufhalte, kaum Freizeitaktivitäten habe, spiele keine Rolle9.
b)
Abweichende Sichtweise des EFTA-Gerichtshofs
In seinem Urteil vom 15.7.202110 bringt der EFTA-Gerichtshof allerdings eine hiervon abweichende Sichtweise zum Ausdruck, die – wenn sie auch durch den EuGH übernommen würde – zu einer umfassenden Einbeziehung von Reisezeiten in den Begriff der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne führen würde. Problematisch an einer Übernahme der durch den EFTA-Gerichtshof entwickelten Grundsätze ist allerdings, dass in dem zugrunde liegenden Fall gar keine arbeitsschutzrechtliche Frage in Rede steht. Vielmehr soll mit der Kennzeichnung der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne ein Vergütungsanspruch für die Dienstreise begründet werden, obwohl die Arbeitszeitrichtlinie für die Frage der Vergütung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eigentlich keine Rolle spielt11.
Vgl. EuGH v. 9.3.2021 – C-344/19, NZA 2021, 485 Rz. 123 – Radiotelevizija Slovenija; EuGH v. 9.3.2021 – C-580/19, NZA 2021, 489 Rz. 45, 52 f. – Stadt Offenbach am Main. 10 EFTA-Gerichtshof v. 15.7.2021 – E-11/20 n. v. – Sverrisson. 11 Vgl. EuGH v. 28.10.2021 – C-909/19, NZA 2021, 1623 Rz. 32 – Unitatea Administrativ Teritorială D.; BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21 n. v. 9
137
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
In dem zugrunde liegenden Fall ging es um die Klage eines isländischen Flugzeugmechanikers, dessen eigentlicher Arbeitsplatz zwar in Reykjavík lag. Auf Veranlassung des Arbeitgebers wurde er aber im Februar und November 2018 in Israel und Saudi-Arabien eingesetzt, um dort an der Registrierung bzw. Überprüfung von Flugzeugen teilzunehmen. Auf der Grundlage der für das Arbeitsverhältnis geltenden Kollektivvereinbarung wurde die sog. „daytime“ (8 bis 17 Uhr von Montag bis Freitag) als Arbeitszeit angerechnet. Dafür wurde eine Vergütung bezahlt. Die darüber hinausgehende Reisezeit wurde mit einer Pauschale erfasst, die allerdings nur einen Teil der durch den Kläger aufgewendeten Zeit einbezog. Der Kläger begehrte die vollständige Einbeziehung seiner Reisezeit. Für die Hinreise nach Tel Aviv sollten deshalb 15,5 Stunden als Arbeitszeit anerkannt werden, von denen bislang nur 8 Stunden als daytime berücksichtigt worden waren. Bei der Rückreise, die vollständig außerhalb der daytime erfolgt war, sollten 13 Stunden anerkannt werden. Bei der Hinreise nach Saudi-Arabien sollten insgesamt 22,42 Stunden Reisezeit als Arbeitszeit berücksichtigt werden, nachdem bislang erst 8 Stunden (daytime) anerkannt worden waren. Auf der Rückreise ging es darum, weitere 9,75 Stunden, die der Kläger außerhalb der daytime unterwegs war, in die Arbeitszeit einzubeziehen und daran anknüpfend eine Vergütung auszuzahlen. Zu Recht hat der EFTA-Gerichtshof zunächst einmal deutlich gemacht, dass der Umstand, dass die Reisen an Orte außerhalb des EFTA-Gebiets bzw. der EU erfolgten, keine Rolle spielte. Denn für das Arbeitsverhältnis fand für die Dauer solcher Entsendungstatbestände nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts weiterhin das isländische Arbeitsrecht Anwendung. Damit war auch die Arbeitszeitrichtlinie weiterhin maßgeblich12. Problematisch ist aber, dass der EFTA-Gerichtshof in seinen darüber hinausgehenden Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Reisezeit in ihrer Gesamtheit unabhängig von dem Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme des Klägers als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 Arbeitszeitrichtlinie qualifiziert werden müsse. Zwar habe für den Kläger während der Reise ein gewisses Level der Flexibilität und auch die Freiheit bestanden, das Transportmittel und den Transportweg festzulegen. Entscheidend für eine Einbeziehung dieser Reisezeit in den Begriff der Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 Arbeitszeitrichtlinie sei aber, dass die Reisezeit schlussendlich notwendig bleibe und der Kläger in dieser Zeit weiterhin den Weisungen des Arbeitgebers unterworfen sei. Denn dieser habe das Recht, die Reise zu beenden, zu
12 EFTA-Gerichtshof v. 15.7.2021 – E-11/20 n. v. (Rz. 62 ff.) – Sverrisson.
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Reisezeit als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne?
ändern oder weitere Aufgaben zuzuweisen. Der Arbeitnehmer sei deshalb während der Reisezeit nicht in der Lage, seine Zeit frei und unter Berücksichtigung der eigenen Interessen zu nutzen13. Ausdrücklich überträgt der EFTA-Gerichtshof dies auch auf Flugreisen. Denn der Arbeitnehmer sei auch in dieser Zeit unfähig, über seine Zeit zu verfügen und seine Interessen in einer uneingeschränkten Weise zu verfolgen. Vielmehr bleibe es dabei, dass er die Reise auf der Grundlage der Weisungen des Arbeitgebers zu führen habe. Auch wenn bei einer solchen Flugreise Zeitspannen der beruflichen Untätigkeit und/oder der fehlenden Erreichbarkeit gegeben seien, folge dies aus der Vorgabe des Arbeitgebers, dieses Transportmittel zu nutzen. Unabhängig davon, ob die Reisezeit in die normale Arbeitszeit des Arbeitnehmers falle, müsse sie deshalb als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 Arbeitszeitrichtlinie behandelt werden14.
c)
Verbindlichkeit der Wertung des EFTA-Gerichtshofs
Auch wenn sich die Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs auf die Arbeitszeitrichtlinie bezieht, die auch für die Auslegung und Anwendung von § 2 ArbZG maßgeblich ist, wird man zunächst einmal abwarten müssen, ob auch der EuGH zu dieser Einschätzung in Bezug auf den Begriff der Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 Arbeitszeitrichtlinie kommt. Daran bestehen erhebliche Zweifel. Denn der EFTA-Gerichtshof schlussfolgert bereits aus dem Umstand, dass die Dienstreise durch den Arbeitgeber veranlasst worden ist, eine fortbestehende Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber während der gesamten Dienstreise zur Verfügung zu stehen. Dieser Rückschluss ist keineswegs zwingend und müsste erst einmal im Einzelfall festgestellt werden. Wäre dies der Fall und läge eine entsprechende Verfügbarkeit vor, wie sie beispielsweise durch die Erwartung des Arbeitgebers in Bezug auf eine uneingeschränkte telefonische Erreichbarkeit des Arbeitnehmers während der Dienstreise begründet werden könnte, erscheint es zwar gut vertretbar, daraus auch auf die Möglichkeit des Vorliegens von Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne zu schließen. Denn dann kann sich aus den Gesamtumständen, insbesondere also der Häufigkeit entsprechender Anrufe und der Dauer der damit verbundenen Inanspruchnahme, durchaus eine erhebliche Beeinträchtigung des Arbeitnehmers und seiner Freiheit ergeben, diese Zeit nach eigenen Vorstellungen und ohne berufliche Inanspruchnahme zu gestalten. Wenn der Arbeitgeber allerdings umgekehrt sicherstellt, dass der Arbeitnehmer während der Dienstreise vor einer berufli13 EFTA-Gerichtshof v. 15.7.2021 – E-11/20 n. v. (Rz. 51) – Sverrisson. 14 EFTA-Gerichtshof v. 15.7.2021 – E-11/20 n. v. (Rz. 52 ff., 57) – Sverrisson.
139
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
chen Inanspruchnahme geschützt wird, ist eine Verfügbarkeit zu Lasten des Arbeitnehmers, von der der EFTA-Gerichtshof ausgegangen ist, nicht gegeben. Das Einzige, das dann für die Dauer der Reise bleibt, ist die Verpflichtung, sich außerhalb des familiären und sozialen Umfelds in Richtung auf einen durch den Arbeitgeber bestimmten Ort fortzubewegen. Darin mag zwar auch eine Einschränkung liegen, die aber – wie bei der Rufbereitschaft – zum allgemeinen Lebensrisiko eines Arbeitnehmers gerechnet werden kann, der im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit arbeitsrechtliche Pflichten an verschiedenen Orten zu erfüllen hat15. Losgelöst davon wird man im Auge behalten müssen, dass die durch den EFTA-Gerichtshof vorgenommene Kennzeichnung der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne faktisch eine Unerfüllbarkeit der Verpflichtungen der Arbeitszeitrichtlinie zur Folge hat. Denn die vollständige Einbeziehung von Reisezeiten in den Begriff der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne bewirkt nicht nur, dass etwaige Dienstreisen nicht mehr an Sonnund Feiertagen durchgeführt werden können. Darin läge ein Verstoß gegen Art. 5 Arbeitszeitrichtlinie und das daraus in §§ 9 ff. ArbZG entwickelte Verbot einer Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Soweit längere Flüge – insbesondere nach Asien oder Amerika – in Rede stehen, wäre außerdem von einem zwingenden Verstoß gegen die Verpflichtung zu Ruhepausen (Art. 4 Arbeitszeitrichtlinie) bzw. die tägliche Arbeitszeit in § 3 ArbZG auszugehen. Schließlich ist der Arbeitnehmer nicht in der Lage, die Flugreise zu unterbrechen bzw. abzubrechen, um die notwendigen Ruhepausen einzuhalten bzw. die tägliche Höchstarbeitszeit nicht zu überschreiten. Schon in ihrer Gesamtsystematik bringt die Arbeitszeitrichtlinie damit zum Ausdruck, dass Reisezeiten, in denen keine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers erfolgt, nicht als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne zu bewerten sind. Ob auf gesetzlicher bzw. individual- oder kollektivvertraglicher Ebene Dienstreisen mit einem Vergütungsanspruch verbunden werden, stellt eine davon losgelöst zu bewertende Frage dar. Hier besteht auch nach deutschem Recht Gestaltungsspielraum, der allenfalls durch §§ 3 MiLoG, 138 BGB sowie verbindliche Vorgaben eines Tarifvertrags begrenzt wird. (Ga)
3.
Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess
In der Entscheidung vom 10.4.201316 hat der 5. Senat des BAG zusammenfassend die Voraussetzungen definiert, unter denen ein Arbeitnehmer einen
15 Vgl. Bayreuther, NZA 2021, 745, 748. 16 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, NZA 2013, 1100.
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Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess
Anspruch auf Überstundenvergütung gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen kann. Danach setzt der Anspruch auf Überstundenvergütung voraus, dass der Arbeitnehmer, der diesen Anspruch auf eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, eine tarifliche Verpflichtung oder auf § 612 Abs. 1 BGB stützt, zunächst darlegen und nachweisen muss, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang geleistet hat. Zur Vortragslast des Arbeitnehmers gehört dabei, dass er schriftsätzlich darlegt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Damit genügt der Arbeitnehmer der ersten Stufe seiner Darlegungslast, ohne in dieser Phase bereits konkrete Tätigkeitsangaben für jede einzelne Überstunde machen zu müssen. Diesen Sachvortrag hat der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert zu bestreiten und dabei vorzutragen, welche Arbeiten dem Arbeitnehmer zugewiesen worden sind und inwieweit der Arbeitnehmer an welchen Tagen von wann bis wann diesen Weisungen nicht nachgekommen ist. In einer weiteren zweiten Stufe hat der Arbeitnehmer substantiiert darzutun, dass die Überstunden durch den Arbeitgeber veranlasst worden oder ihm zuzurechnen sind. Diese Veranlassung kann in einer ausdrücklichen oder konkludenten Anordnung von Überstunden, aber auch darin liegen, dass die Überstunden vom Arbeitgeber gebilligt17, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind18. Auch für diese arbeitgeberseitige Veranlassung oder Zurechnung trägt der Arbeitnehmer als Anspruchsteller für die Vergütung von Überstunden deshalb die Darlegungs- und Beweislast19, weil sich der Arbeitgeber die Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen muss, was andernfalls zur Konsequenz hätte, dass der Arbeitnehmer durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch bestimmen könnte20. Die Frage, ob ein davon abweichendes Ergebnis der Darlegungs- und Beweislast für die Erbringung von Überstunden unter unionsrechtlichen Aspekten im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 14.5.201921 geboten ist, wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber nach Art. 3, 5 Richtlinie 2003/88/EG zu verpflichten haben, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer ge17 Vgl. zur Billigung von Überstunden durch Abzeichnung elektronischer Arbeitszeitnachweise BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, NZA 2019, 1361. 18 BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 347/11, NZA 2012, 939 Rz. 31. 19 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, NZA 2013, 1100 Rz. 15; BAG v. 18.4.2012 – 5 AZR 248/11, NZA 2012, 998 Rz. 15. 20 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, NZA 2013, 1100 Rz. 13. 21 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 62 – CCOO.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
leistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, ist Gegenstand der Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 4.5.202222 geworden. Der Fall betraf einen Kläger, der als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betrieb, beschäftigt war. Der Kläger erfasste seine Arbeitszeit mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zu Gunsten des Klägers. Für diese Stunden hat der Kläger von der Beklagten mit seiner Klage eine Überstundenvergütung i. H. v. 5.222,67 € (brutto) verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei ihm nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können, welchen Vortrag die Beklagte bestritten hat. Das ArbG Emden23 hat der Klage unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 14.5.201924 entsprochen und angenommen, dass durch diese Entscheidung die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess dahingehend modifiziert werde, dass die arbeitgeberseitige positive Kenntnis von Überstunden als deren Veranlassung dann nicht erforderlich sei, wenn es dem Arbeitgeber möglich gewesen wäre, sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung zu verschaffen. Es reiche deshalb für eine schlüssige Begründung der Überstundenvergütungsklage aus, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet. Demgegenüber hat das LAG Niedersachsen25 im Berufungsverfahren die Zahlungsklage abgewiesen und an der bisherigen Rechtsprechung des BAG zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess festgehalten, weil dem EuGH gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV die Kompetenz fehle, zu Fragen der Arbeitsvergütung Stellung zu nehmen. Im Ergebnis hat das LAG die Zahlungsklage daran scheitern lassen, dass der Kläger in der zweiten Stufe keinen Vortrag dafür geleistet habe, dass etwaige Überstunden von der Beklagten angeordnet, gebilligt, geduldet oder betrieblich notwendig waren.
22 23 24 25
BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21 n. v. ArbG Emden v. 9.11.2020 – 2 Ca 399/18 n. v. EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO. LAG Niedersachsen v. 6.5.2021 – 5 Sa 1292/20, BB 2021, 1977 mit abl. Anm. von Temming.
142
Mindestlohn für die Zeit eines Vorpraktikums
Der 5. Senat des BAG hat mit Urteil vom 4.5.202226 die Revision des Klägers zurückgewiesen und in Übereinstimmung mit der Bewertung des LAG Niedersachsen keine Veranlassung gesehen, vor dem Hintergrund der vorgenannten Entscheidung des EuGH seine Rechtsprechung zur Darlegungsund Beweislast im Überstundenvergütungsprozess zu ändern. Ohne in der Pressemitteilung zu thematisieren, ob ohne eine Umsetzung der Entscheidung des EuGH über die Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems durch den nationalen Gesetzgeber eine entsprechende Verpflichtung für den privaten Arbeitgeber über eine horizontale Wirkung der Richtlinie 2003/88/EG begründbar oder eine unionskonforme Auslegung von § 16 Abs. 2 ArbZG möglich ist27, geht das BAG davon aus, dass die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 GRC Aspekte der Arbeitszeitgestaltung regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Deshalb habe die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit keinerlei Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Da der Kläger nicht hinreichend konkret dargelegt habe, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen, habe das LAG die Überstundenvergütungsklage zu Recht abgewiesen, weil sich der Kläger auf eine bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten beschränkt habe. Die betriebliche Praxis wird diese Klarstellung des BAG begrüßen, wenn auch offengeblieben ist, ob die Richtlinie 2003/88/EG bezüglich der vom EuGH geforderten Arbeitszeitnachweise horizontale Wirkung entfaltet, eine unionskonforme Auslegung von § 16 Abs. 2 ArbZG erlaubt oder der Arbeitnehmer auf den Weg des staatshaftungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG zu verweisen ist. (Boe)
4.
Mindestlohn für die Zeit eines Vorpraktikums
Gemäß § 22 Abs. 1 MiLoG finden die gesetzlichen Regelungen zum Mindestlohn, die ihrem Wortlaut nach auf Arbeitnehmer abstellen, grundsätzlich auch auf Praktikanten i. S. d. § 26 BBiG Anwendung, es sei denn, dass einer der dort genannten Ausnahmetatbestände gegeben ist. In diesen Ausnahme26 BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21 n. v. 27 Verneinend Gallner, FA 2019, 229; Thüsing/Flink/Jänsch, ZFA 2019, 426, 483; bejahend Schrader, NZA 2019, 1035, 1036; Ulber, NZA 2019, 677, 680; abl. auch LAG Hessen v. 22.10.2021 – 10 Sa 104/21 n. v. (Rz. 59 ff.).
143
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
fällen kann die Beschäftigung der Praktikanten auch ohne Zahlung des Mindestlohns durchgeführt werden. In seinem Urteil vom 19.1.202228 hat das BAG unter Bezugnahme auf die gesetzlichen Ausnahmetatbestände klargestellt, dass von der Pflicht zur Zahlung einer Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG auch ein Vorpraktikum ausgenommen ist, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist. Soweit in § 22 Abs. 1 S. 3 MiLoG auf § 26 BBiG abgestellt werde, habe dies für die Kennzeichnung der Ausnahmetatbestände keine Bedeutung. Vielmehr sei bei der Einordnung von Praktikanten i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 3 MiLoG auf die Empfehlung des Rats der Europäischen Union vom 10.3.201429 abzustellen. Hiervon ausgehend hat das BAG ein sechsmonatiges Praktikum im Krankenpflegedienst, das die Klägerin als Zugangsvoraussetzung für ein Medizinstudium an der Universität Witten/Herdecke absolviert hatte, in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG einbezogen und die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Zwar habe es sich bei der Tätigkeit der Klägerin tatsächlich um ein Praktikum gehandelt, für das maßgeblich sei, dass keine systematisch geregelte umfassende fachliche Ausbildung angestrebt werde. Da das Praktikum allerdings in der Zulassungsordnung der Universität Witten/Herdecke als Bedingung für einen Studienplatz im Bereich der Medizin festgelegt worden war, habe es sich insoweit um ein Praktikum gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG gehandelt das verpflichtend aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung geleistet worden sei30. Dem ist zuzustimmen. (Ga)
5.
Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter bei Überstunden- bzw. Mehrarbeitszuschlägen
Bereits im Herbst hatten wir über die Entscheidung des BAG vom 15.10.202131 berichtet, in der sich der 6. Senat noch einmal intensiv mit den unterschiedlichen Regelungen zur Vergütung von Überstunden bzw. Mehrarbeit in § 7 TVöD-K befasst hat32. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die
28 BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 217/21, NZA 2022, 556 Rz. 20. 29 BT-Drucks. 18/2010 S. 24; BAG v. 19.1.2021 – 5 AZR 217/21, NZA 2022, 556 Rz. 15; BAG v. 18.11.2020 – 5 AZR 103/20, NZA 2021, 562 Rz. 20. 30 BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 217/21, NZA 2022, 556 Rz. 18 f., 23. 31 BAG v. 15.10.2021 – 6 AZR 253/19, NZA 2022, 115 32 Boewer, AktuellAR 2021, 163 ff.
144
Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter bei Überstunden- bzw. Mehrarbeitszuschlägen
teilzeitbeschäftigte Klägerin geltend gemacht, dass die im Tarifvertrag enthaltene Differenzierung der Vergütung eine unzulässige Benachteiligung wegen der Teilzeit bzw. des Geschlechts darstelle. Das BAG hatte diese Ungleichbehandlung allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass die Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise die Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten als nicht vergleichbar angesehen und dem durch unterschiedliche Regelungssysteme für Mehrarbeit und Überstunden Rechnung getragen hätten. Damit befänden sich die Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten nicht mehr in einer vergleichbaren Situation, was aber Voraussetzung sei, um von einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, 3 Abs. 1, 2 AGG oder § 4 TzBfG auszugehen33. In zwei weiteren Entscheidungen vom 28.10.202134 hat sich jetzt allerdings auch der 8. Senat des BAG noch einmal mit der Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten bei Regelungen zu Zuschlägen für Überstunden bzw. Mehrarbeit befasst. In den beiden Entscheidungen ging es um Bestimmungen in einem Manteltarifvertrag, den der Beklagte als ein bundesweit tätiger ambulanter Dialyseanbieter mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen hatte. Auszugsweise enthielt der MTV folgende Regelungen: § 10 Arbeitszeit 1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt ausschließlich der Pausen im Durchschnitt 38,5 Stunden. (…) Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt für einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer 7 Stunden 42 Minuten. (…) 7. Überstunden sind auf Anordnung geleistete Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit nach Nr. 1 S. 1, 3 hinausgehend dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleistet werden. Zuschlagspflichtig gemäß § 13 Nr. 1 sind Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat der Arbeitsleistung nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. (…) § 13 Überstundenvergütung, Zuschläge und Ausgleich für Dienste zu ungünstigen Zeiten
33 BAG v. 15.10.2021 – 6 AZR 253/19, NZA 2022, 115 Rz. 37 ff. 34 BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A), NZA 2022, 702; BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 371/20, NZA 2022, 341.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
1. Die Abgeltung von Überstunden gemäß § 10 Nr. 7 MTV beträgt je Überstunde 1/167 des monatlichen Tarifgehalts. Überstundenzuschläge für Überstunden gemäß § 10 Nr. 7 S. 2 betragen 30 %.
In beiden Verfahren machten die jeweiligen Klägerinnen geltend, dass ihnen für Zeiten, in denen sie außerhalb der individuell vereinbarten Arbeitszeit für die Beklagte tätig geworden waren, Überstundenzuschläge in Form einer Zahlung bzw. entsprechenden Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto zustehen sollten. Dass im Tarifvertrag geregelt sei, dass entsprechende Zuschläge erst bei einem Überschreiten der kalendermonatlichen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers geleistet würden, stelle nicht nur eine Benachteiligung wegen der Teilzeitbeschäftigung dar. Vielmehr handele es sich dabei auch um eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, weil hiervon ganz überwiegend weibliche Arbeitnehmer betroffen seien. Deshalb sei die Beklagte auch verpflichtet, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen. In der einen Entscheidung vom 28.10.202135 hat das BAG zwar dem Grunde nach einen Anspruch auf Entschädigung für möglich gehalten. Die entsprechende Haftung aus § 15 Abs. 2 AGG sei auch nicht davon abhängig, dass dem Arbeitgeber Verschulden vorgeworfen werden könne. Verschulden des Arbeitgebers könne, wenn ein höherer Grad von Verschulden erkennbar werde, allenfalls Veranlassung dafür sein, die Entschädigung höher festzusetzen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte sich die Klägerin allerdings mit dem Arbeitgeber im Rahmen eines Aufhebungsvertrags darauf verständigt, dass „sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrunde, gleich ob bekannt oder unbekannt, [mit vollständiger Erfüllung des Aufhebungsvertrags] abgegolten und erledigt seien“. Zu Recht hat das BAG darauf hingewiesen, dass von dieser Ausgleichsklausel auch ein etwaiger Anspruch auf Entschädigung erfasst war, was einer klagestattgebenden Entscheidung entgegenstand36. In der weiteren Entscheidung vom 28.10.202137 konnte die Klage indes nicht mit dieser (einfachen) Begründung abgewiesen werden. Hier blieb die Frage entscheidend, ob mit den im MTV enthaltenen Regelungen wirksam eine Zuschlagspflicht für Überstunden auf Zeiten begrenzt werden konnte, mit denen im Kalendermonat die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers überschritten wurde. Aus Sicht des 8. Senats konnte eine Ant35 BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20, NZA 2022, 341 Rz. 25 ff. 36 BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 371/20, NZA 2022, 341 Rz. 33 ff., 41 f. 37 BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A), NZA 2020, 702.
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Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter bei Überstunden- bzw. Mehrarbeitszuschlägen
wort darauf aber nicht ohne Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV gegeben werden. Vor diesem Hintergrund hat das BAG den EuGH zunächst einmal gebeten zu entscheiden, ob Art. 157 AEUV, Art. 2 Abs. 1 lit. b, Art. 4 S. 1 Richtlinie 2006/54/EG so auszulegen seien, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen sei, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet würden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten enthalte. Aus Sicht des 8. Senats des BAG spreche eigentlich viel für die Annahme, dass die streitgegenständliche Regelung gar nicht zu einer Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten führe. Denn auch bei einer Anwendung der Bestimmung des MTV erhielten die Teilzeit- und die Vollzeitbeschäftigten pro Arbeitsstunde – und auch für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden – das gleiche Entgelt. Sie erhielten nämlich das gleiche Entgelt sowohl dann, wenn die tarifvertraglich festgesetzte Regelarbeitszeit nicht überschritten werde, als auch dann, wenn über diese Regelarbeitszeit hinaus Stunden geleistet würden, da die Überstundenzuschläge im letztgenannten Fall beiden Arbeitnehmergruppen zugutekämen38. Vor dem Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens des 10. Senats des BAG vom 11.11.202039 sieht sich der 8. Senat des BAG allerdings nicht in der Lage, mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu beurteilen, ob die streitgegenständliche Regelung nicht doch eine Ungleichbehandlung von Vollzeitund Teilzeitbeschäftigten i. S. d. Art. 157 AEUV, Art. 2 Abs. 1 lit. b, Art. 4 S. 1 Richtlinie 2006/54/EG zur Folge hat. So könne der 8. Senat des BAG nicht ausschließen, dass eine bloße Orientierung am dem pro Arbeitsstunde erhaltenen Entgelt zu einer (unzulässigen) Ungleichbehandlung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen führe. Dabei verweist der 8. Senat auf den Umstand, dass die Richtlinie 2006/54/EG eine Gleichbehandlung nicht nur in Bezug auf das Arbeitsentgelt, sondern die Arbeitsbedingungen insgesamt herstellen solle. Hiervon ausgehend könnte – so das BAG – für die Antwort auf die Frage, ob die Regelungen des MTV eine Ungleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten bewirkten, von Bedeutung sein, dass nicht nur Vollzeitbeschäftigte, sondern auch Teilzeitbeschäftigte – ausgehend von ihrer individuell vertraglich vereinbarten Arbeitszeit – mit Überstunden mehr Arbeit leisteten als sie nach ihrem Arbeitsvertrag schuldeten
38 BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A), NZA 2022, 702 Rz. 24. 39 BAG v. 11.11.2020 – 10 AZR 185/20 (A), NZA 2022, 702.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
und dass dieser Umstand als nachteilige Auswirkung auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen sei40. Sollte der EuGH die vorstehend aufgeworfene Frage bejahen, soll weitergehend geklärt werden, ob es für die Feststellung, dass die Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betreffe, im Rahmen von Art. 157 AEUV bzw. Art. 2, 4 Richtlinie 2006/54/EG nicht ausreiche, dass unter den Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer seien, sondern das hinzu kommen müsse, dass unter Vollzeitbeschäftigten erheblich mehr Männer seien bzw. ein signifikant höherer Anteil von Männern bestehe. Hintergrund dieser Frage war der Umstand, dass in dem der Klage zugrunde liegenden Fall zwar 85 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen waren. Auch bei den Vollzeitbeschäftigten, die insgesamt 47 % der Belegschaft ausmachten, lag der Frauenanteil aber bei 68 %. Damit waren erheblich mehr Frauen sowohl in der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten als auch in der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten vertreten. Der 8. Senat des BAG sah sich daher nicht in der Lage, mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu beurteilen, ob in einer solchen Situation eine Ungleichbehandlung „erheblich mehr Frauen als Männer“ betraf. Dies soll jetzt der EuGH klarstellen. Dabei soll er weiterhin die Frage beantworten, ob bereits der Umstand, dass weibliche Arbeitnehmer innerhalb der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten überwiegend betroffen waren, als eine Diskriminierung wegen des Geschlechts qualifiziert werden kann. Sollte sich aus den Antworten des EuGH ergeben, dass in dem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Fall eine Ungleichbehandlung beim Entgelt erheblich mehr Frauen als Männer betrifft, hat das BAG weitere Fragen gestellt: 3. Sind Art. 157 AEUV, Art. 2 Abs. 1 lit. b, Art. 4 S. 1 Richtlinie 2006/54/EG dahin auszulegen, dass es ein rechtmäßiges Ziel sein kann, wenn Tarifvertragsparteien mit einer Regelung – wie der hier in Frage zu 1. aufgeführten – zwar auf der einen Seite das Ziel verfolgen, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten und eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer über das vereinbarte Maß hinaus mit einem Überstundenzuschlag zu honorieren, auf der anderen Seite allerdings auch das Ziel verfolgen, eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern und deshalb regeln, dass Zuschläge nur für Überstunden geschuldet sind, die über die kalen-
40 BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A), NZA 2020, 702 Rz. 26.
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Ermessensgerechte Festlegung einer erfolgsabhängigen Vergütung
dermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden? 4. Ist § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG so auszulegen, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält?
Sollte der EuGH annehmen, dass in der streitgegenständlichen Regelung auch eine Ungleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten zu sehen ist, soll darüber hinaus geklärt werden, ob die Gründe, die das BAG im Zusammenhang mit einer möglichen Rechtfertigung der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung nennt, eine Differenzierung wegen Vollzeitund Teilzeitbeschäftigung zulassen. Wir werden darüber berichten. (Ga)
6.
Ermessensgerechte Festlegung einer erfolgsabhängigen Vergütung
Trotz der Diskussion über den zunehmenden Wechsel zur Festvergütung, die mit entgeltunabhängigen Zielvereinbarungen verknüpft wird, bleibt die variable Vergütung ein beliebtes Steuerungselement in der betrieblichen Praxis. Auf der Grundlage der Entscheidung des BAG vom 17.12.202041 hatten wir uns zuletzt mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen durch den Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden kann, falls die im Zusammenhang mit einer variablen Vergütung erforderlichen Ziele durch den Arbeitgeber nicht gesetzt bzw. zum Inhalt einer Zielvereinbarung gemacht werden42. Wenn die damit zusammenhängenden Pflichten durch den Arbeitgeber rechtzeitig erfüllt und damit auch Ziele für den jeweils in Rede stehenden Bezugszeitraum bestimmt werden, schließt dies einen Streit der Arbeitsvertragsparteien indes nicht aus. Vielmehr kann insbesondere dort, wo quantitative und/oder qualitative Ziele an eine vorangehende Einschätzung des Arbeitgebers geknüpft sind, Streit über die Frage entstehen, ob diese Einschätzung und die daraus folgende Bewertung der Zielerreichung gerechtfertigt
41 BAG v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20, NZA 2021, 1034. 42 B. Gaul, AkutellAR 2021, 489 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
ist. Schließlich hängt davon ab, ob und ggf. in welcher Höhe der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die variable Vergütung hat. In den beiden Entscheidungen vom 8.9.202143 und vom 13.10.202144, denen jeweils entsprechende Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Höhe einer variablen Vergütung zugrunde lagen, hat das BAG zunächst einmal bestätigt, dass die Stufenklage im Zweifel das prozessual gebotene Mittel ist, um als Arbeitnehmer einen daraus folgenden Zahlungsanspruch durchzusetzen. Bei einer Stufenklage werde – so das BAG – ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch unbekannter und deshalb nicht i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmbarer Leistungsanspruch mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen auf Auskunft und ggf. Richtigkeitsversicherung verbunden. Dabei sei die Stufenklage nicht auf die in § 254 ZPO genannten Gegenstände beschränkt. Sie könne auch dann erhoben werden, wenn eine andere Form der geordneten Auskunft über Tatsachen begehrt werde, die für den Kläger einen gesetzlichen oder vertraglichen Anspruch begründeten45. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Stufenklage dem Kläger alle Informationen verschafft, die für die Bezifferung des in einer weiteren Stufe verfolgten Leistungsanspruchs notwendig sind. Es genüge für die Zulässigkeit einer Stufenklage, dass ein Teil der für die Bezifferung benötigten Informationen durch eine Auskunftsklage erlangt werden könne46. Nach den Feststellungen des BAG ist die Stufenklage auch dann ein prozessual geeignetes Mittel, wenn Leistungsansprüche in Rede stehen, die durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen bestimmt werden. Insbesondere kann der Arbeitnehmer insoweit nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verwiesen werden. Vielmehr erlaubt das Instrument der Stufenklage, vom Arbeitgeber zunächst einmal Auskunft über die für die Bestimmung maßgeblichen Kriterien zu verlangen. Auf diese Weise wird der Arbeitnehmer nicht nur in die Lage versetzt, die anspruchsbegründenden Tatsachen seines Leistungsantrags darzulegen. Unter Berücksichtigung der Auskunft kann er auch die von ihm für angemessen gehaltene Größenordnung der geltend gemachten Forderung nennen, bei deren Unterschreitung er sich als nicht befriedigt ansehen würde. Dieser Betrag ist dann auch für die Bestim-
43 BAG v. 8.9.2021 – 10 AZR 11/19, NZA 2022, 261. 44 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268; vgl. dazu Forschner, ZAU 2022, 288. 45 BAG v. 8.9.2021 – 10 AZR 11/19, NZA 2022, 261 Rz. 25. 46 BAG v. 8.9.2021 – 10 AZR 11/19, NZA 2022, 261 Rz. 28; BAG v. 28.8.2019 – 5 AZR 425/18, NZA 2019, 1645 Rz. 29.
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Ermessensgerechte Festlegung einer erfolgsabhängigen Vergütung
mung maßgeblich, nach der sich die Möglichkeiten der Einlegung eines Rechtsmittels richten47. Erhebliche Bedeutung für die Ausgestaltung von Vereinbarungen über variable Vergütung und die Anforderungen, die arbeitgeberseitig bei der Auseinandersetzung über die Höhe aller etwaigen Zahlungen zu beachten sind, besitzen die weitergehenden Feststellungen des BAG im Urteil vom 13.10.202148. Zunächst einmal macht der 10. Senat des BAG deutlich, dass beide Faktoren bei der Leistungsbestimmung zu berücksichtigen sind, wenn eine variable Vergütung sowohl von der Leistung des Arbeitnehmers als auch von wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Zielen abhängig ist. In einem solchen Fall entspreche die Leistungsbestimmung regelmäßig nur dann billigem Ermessen, wenn vereinbarte und erreichte persönliche Ziele ihren angemessenen Ausdruck in der variablen Vergütung fänden, die durch den Arbeitgeber festgelegt wurde. Habe der Arbeitnehmer die Ziele erreicht, sei es deshalb nur in Ausnahmefällen zulässig, einen Bonus auf „Null“ festzusetzen49. Ein auf „Null“ festgesetzter Leistungsbonus bei einem negativen Ergebnis der maßgeblichen Einheit im Rahmen „normaler“ Schwankungsbreite widerspreche deshalb in der Regel auch billigem Ermessen i. S. d. § 315 Abs. 1 BGB. Etwas Anderes könne nur dann gelten, wenn es besonders gewichtige, außergewöhnliche Umstände gebe, die es ausnahmsweise rechtfertigten, den Leistungsbonus auf „Null“ festzusetzen50. Beispielhaft hat das BAG insoweit auf den Fall verwiesen, dass der Fortbestand eines durch desaströse Verluste geschwächten Unternehmens – wie in der Bankenkrise 2008/2009 – unter anderem mit massiven staatlichen Finanzhilfen gewährleistet worden sei, die allein dem öffentlichen Interesse an der Abwehr schwerer Gefahren für die Volkswirtschaft gedient hätten51. Im Übrigen verweist das BAG darauf, dass der Arbeitgeber, wenn es um die Frage gehe, ob er billiges Ermessen gewahrt habe, darlegungs- und beweisbelastet dafür sei, dass die Beurteilung als Teil der Leistungsbestimmung richtig sei. Hier gelte ein abgestuftes System der Darlegungslast. Maßgeblich seien zunächst die Beurteilungen in der Zielvereinbarung. Erst wenn der
47 BAG v. 8.9.2021 – 10 AZR 11/19, NZA 2022, 261 Rz. 29 ff., 34 f., 38. 48 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268 Rz. 113, 117, 121 f. 49 Ebenso auch BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595 Rz. 62; BAG v. 15.5.2013 – 10 AZR 679/12 n. v. (Rz. 21). 50 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268 Rz. 113; BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595 Rz. 43. 51 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268 Rz. 117.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitnehmer bestimmte Bewertungen bestreite, sei der Arbeitgeber verpflichtet, diese unter Vortrag von Tatsachen substantiiert zu begründen. Bestreite der Arbeitnehmer solchen Vortrag substantiiert auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen, habe der Arbeitgeber zu beweisen, dass die Beurteilung richtig sei. Ausdrücklich verweist das BAG in diesem Zusammenhang darauf, dass die Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten steigen würden, wenn die Beurteilung des Arbeitgebers einer vom Arbeitnehmer abgegebenen Selbsteinschätzung entspreche. Darüber hinaus käme dem Umstand Bedeutung zu, dass dem Beurteiler notwendigerweise ein Beurteilungsspielraum zustehe. Deshalb sei bei der Beurteilung der Zielerreichung innerhalb von Zielvereinbarungen zu unterscheiden. Gehe es darum, ob sog. „harte“ (quantitative) Ziele erreicht worden seien (z. B. Umsatz- oder Kundenzahlen, Durchführung bestimmter Veranstaltungen), sei konkreter Vortrag möglich und erforderlich. Gehe es dagegen darum, ob sog. „weiche“ (qualitative) Ziele erreicht seien (z. B. Führungsverhalten), müsse der Arbeitgeber seine Wertungen auf entsprechendes Bestreiten (nur) soweit wie möglich konkretisieren und plausibel machen. Würden solche Wertungen allerdings auf bestimmte Einzelvorkommnisse oder Bewertungen anderer Arbeitnehmer gestützt, seien diese konkret zu benennen. Reine Werturteile verlangten zwar keinen näheren Vortrag, reichten aber für sich genommen nicht aus, um eine negative Bewertung zu stützen52. Gehe es darum, von welchem konkreten Prozentsatz in der Bandbreite des vom Arbeitnehmer erreichten Ergebnisses er ausgegangen sei bzw. welche sonstigen Ermessenserwägungen er angestellt habe, sei der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet53. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber den insoweit erforderlichen Sachvortrag im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung nicht geleistet. Zwar hatte er sich darauf berufen, dass die Leistungen des Klägers mit „successful performance“ bewertet worden seien. Der Arbeitgeber hatte jedoch nicht mitgeteilt, wie er im Einzelnen zu diesem Ergebnis gekommen war. Dies galt insbesondere mit Blick auf einen konkreten Prozentsatz, der bei einer solchen Bewertung nach der insoweit maßgeblichen Betriebsvereinbarung innerhalb einer bestimmten Bandbreite von 90 % bis 110 % zu liegen hatte.
52 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268 Rz. 121; BAG v. 14.11.2012 – 10 AZR 783/11, NZA 2013, 1150 Rz. 52. 53 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268 Rz. 121; BAG v. 24.10.2018 – 10 AZR 285/16, NZA 2019, 387 Rz. 58.
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Darlegungs- und Beweislast bei Indizien für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers
Hiervon ausgehend durfte das LAG Baden-Württemberg nicht annehmen, dass der Arbeitgeber eine billigem Ermessen entsprechende Leistungsbestimmung vorgenommen hatte. Denn die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung der Schranken einer solchen Leistungsbestimmung obliege dem Bestimmungsberechtigten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle sei dabei der Zeitpunkt, zu dem die Ermessensentscheidung zu treffen sei54. Die Entscheidungen des BAG machen noch einmal deutlich, dass auch solche Zielvereinbarungen, bei denen die Zielerreichung und/oder die Festsetzung der mit einer Zielerreichung verbundenen Zahlung in das billige Ermessen des Arbeitgebers gestellt werden, einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind. Der Arbeitgeber muss – ggf. unter Einbeziehung vergleichbarer Entscheidungen der Vergangenheit – darlegen und ggf. beweisen, dass alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt wurden und der Entscheidungsspielraum, der sich daraus ergibt, nicht überschritten wurde. Gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Grenzen billigen Ermessens nicht eingehalten wurden, kann das Gericht selbst die Leistungsbestimmung vornehmen (§ 315 Abs. 3 BGB). (Ga)
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Darlegungs- und Beweislast bei Indizien für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers
Mit der Kündigungsschutzklage will der Arbeitnehmer regelmäßig nicht nur den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses erreichen, sondern zugleich die Grundlage dafür legen, Ansprüche auf Fortzahlung der Vergütung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach § 615 S. 1 BGB vorzubereiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer während der Dauer der prozessualen Auseinandersetzung um die Berechtigung der Kündigung bei ordentlicher Kündigung nicht mehr über den Kündigungstermin und bei außerordentlicher Kündigung mit sofortiger Wirkung nicht mehr vom Arbeitgeber beschäftigt worden ist. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die vertragsgemäß geschuldete Arbeitsleistung nach § 294 BGB tatsächlich anbieten. Streiten die Parteien über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, genügt gemäß § 295 BGB ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber mit der Berufung auf das Ende des Arbeitsverhältnisses erklärt, er werde keine weitere Arbeitsleistung mehr 54 BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, NZA 2022, 268 Rz. 96 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
annehmen55. Dieses wörtliche Angebot kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses protestiert und/oder eine Bestandsschutzklage einreicht. Lediglich für den Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung geht die Rechtsprechung des BAG56 von der Anwendbarkeit des § 296 BGB aus, wonach ein Arbeitsangebot des Arbeitnehmers entbehrlich ist. Mit der dafür erforderlichen Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutzklage oder Befristungskontrollklage) macht der Arbeitnehmer zugleich die von deren Ausgang abhängigen Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug nach § 615 S. 1 BGB außergerichtlich und im Falle einer zweistufigen vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfrist „gerichtlich“ rechtzeitig geltend57. Die Beendigung des Annahmeverzugs kann der Arbeitgeber nur dadurch bewirken, dass er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers als Erfüllung des mit ihm abgeschlossenen Arbeitsvertrags annimmt. Dies ist nicht der Fall, wenn er dem Arbeitnehmer für die Dauer der prozessualen Auseinandersetzung um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zweckbefristet einen neuen Vertrag mit gleichen Bedingungen oder eine durch die rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsvertrags anbietet58. Unabhängig von dem Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer nach § 297 BGB außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken59. Die objektive Leistungsfähigkeit ist eine von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss, auch wenn der Arbeitgeber ausdrücklich auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verzichtet60. Dies bedeutet regelmäßig nur, dass der Arbeitgeber auf das Angebot der Arbeitsleistung verzichtet, der Arbeitnehmer jedoch im Übrigen die gesetzlichen, tarifvertraglichen oder arbeitsvertragli-
55 BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 28. 56 Vgl. BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 554/11, NZA 2013, 849 Rz. 18; BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858 Rz. 14. 57 BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 13. 58 BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 30; näher zur auflösend bedingten Vertragsfortsetzung BAG v. 20.5.2021 – 2 AZR 457/20, NZA 2021, 1092. 59 BAG v. 21.7.2021 – 5 AZR 543/20, NZA 2021, 1710 Rz. 9; BAG v. 27.5.2015 – 5 AZR 88/14, NZA 2015, 1053 Rz. 19. 60 BAG v. 21.7.2021 – 5 AZR 543/20, NZA 2021, 1710 Rz. 9; BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076 Rz. 26.
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Darlegungs- und Beweislast bei Indizien für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers
chen Voraussetzungen eines Entgeltanspruchs ohne Arbeitsleistung erfüllen, etwa objektiv leistungsfähig sein muss. § 297 BGB ist gleichermaßen anwendbar, wenn der Arbeitnehmer leistungsunwillig ist. Die in § 297 BGB nicht ausdrücklich genannte Voraussetzung der Leistungswilligkeit ergibt sich daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst unmöglich macht, die Arbeitsleistung zu bewirken61. Ist der Arbeitnehmer außerstande, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, wofür gesundheitliche (etwa Krankheit), rechtliche (etwa Beschäftigungsverbote)62 oder tatsächliche Umstände (etwa Alkoholisierung) oder Leistungsunwilligkeit ursächlich sein können, wird diese unmöglich, sobald die Leistungszeit ungenutzt verstrichen ist (§ 275 BGB), mit der Rechtsfolge, dass sich das Schicksal von Leistung und Gegenleistung ausschließlich nach § 326 BGB richtet. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 297 BGB trägt der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des BAG die Darlegungs- und Beweislast, weil es sich insoweit um eine Einwendung handelt63, die er gegenüber dem Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug erhebt. Das Problem der Leistungsunfähigkeit i. S. v. § 297 BGB war unter dem Gesichtspunkt der Darlegungs- und Beweislast Gegenstand der Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 21.7.202164. Der mit einem GdB von 50 % schwerbehinderte Kläger war bei dem beklagten Land als Arbeitnehmer auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt und erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 des TV-L. Nach einer bezahlten Freistellung von August 2010 bis Anfang 2015 wurde er anschließend bis zum 30.6.2016 befristet in der Finanzschule beschäftigt. In dieser Beschäftigungszeit war der Kläger bis Anfang Juli 2015 an 86 Tagen und ab dem 9.12.2015 durchgehend bis zum 5.8.2016 arbeitsunfähig krank. Nach einem Personalgespräch am 1.8.2016 wies das beklagte Land dem Kläger trotz Fortzahlung seiner Bezüge bis einschließlich November 2016 keine weitere Tätigkeit zu. Danach stellte das beklagte Land die Vergütungszahlung an den Kläger ein. Dieser erhob am 27.2.2017 eine Zahlungsklage i. H. v. 27.325,50 € (brutto) abzgl. 5.233,88 € des erhaltenen Arbeitslosengeldes für den Zeitraum De61 BAG v. 19.5.2004 – 5 AZR 434/03, ZTR 2004, 604 Rz. 21. 62 So etwa während einer nach § 4 ArbZG zu gewährenden Ruhepause: BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 886/12, NZA 2015, 494 Rz. 14. 63 Nur BAG v. 21.7.2021 – 5 AZR 543/20, NZA 2021, 1710 Rz. 11; BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076 Rz. 27; BAG v. 19.5.2004 – 5 AZR 434/03, ZTR 2004, 604 Rz. 21. 64 BAG v. 21.7.2021 – 5 AZR 543/20, NZA 2021, 1710.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
zember 2016 bis Mai 2017 wegen Annahmeverzugs und berief sich darauf, bereits seit dem 6.8.2016 arbeitsfähig zu sein. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg sei von einer Arbeitsfähigkeit ab dem 1.8.2016 ausgegangen. Wegen seiner psychischen Erkrankung habe er seit Juli 2016 erfolgreich eine medikamentöse Kombinationstherapie begonnen. Der Kläger hat außerdem die ihn behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden. Demgegenüber hat sich das beklagte Land damit verteidigt, dass der Kläger während des Annahmeverzugszeitraums krankheitsbedingt leistungsunfähig gewesen sei. Während das ArbG die Klage abgewiesen hat, ist sie vor dem LAG erfolgreich gewesen, weil das beklagte Land seiner primären Darlegungslast für eine Leistungsunfähigkeit des Klägers nicht genügt habe. Das BAG hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Zunächst scheiterte nach Ansicht des BAG der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch aus Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB) nicht an der anspruchsbegründenden Voraussetzung seines Arbeitsangebots, weil das beklagte Land den Kläger einseitig von der Arbeitsleistung freigestellt und damit auf ein entsprechendes Arbeitsangebot verzichtet hatte65. Anschließend erörtert das BAG die Frage, ob das beklagte Land aus Gründen der Leistungsunfähigkeit des Klägers i. S. v. § 297 BGB einer Verpflichtung zur Zahlung nach § 615 S. 1 BGB enthoben war, wobei die Einwendung aus § 297 BGB nicht durch die Freistellung des Klägers entfallen ist, weil diese nur ein entsprechendes Arbeitsangebot des Klägers entbehrlich macht. Damit hing der Ausgang des Verfahrens entscheidungserheblich davon ab, ob das beklagte Land als Gläubiger der Arbeitsleistung die Leistungsunfähigkeit während des Annahmeverzugszeitraums zunächst einmal ausreichend dargelegt hat. Insoweit entlastet das BAG den Arbeitgeber insofern, als dieser im Sinne einer primären Darlegungslast nur Indizien vortragen muss, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers während des Annahmeverzugs geschlossen werden kann. Ausreichend dafür sind hinreichende Anhaltspunkte, die eine entsprechende Schlussfolgerung als wahrscheinlich erscheinen lassen, ohne dass der Arbeitgeber diese Anhaltspunkte zunächst beweisen muss. Dabei will das BAG keine zu hohen Anforderungen stellen, zumal der Arbeitgeber regelmäßig nicht über eine nähere Kenntnis des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers verfügt. Indizwirkung haben danach insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum sowie vom Arbeitgeber in den Prozess ein-
65 BAG v. 23.2.2021 – 5 AZR 314/20, NZA 2021, 778 Rz. 12.
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Darlegungs- und Beweislast bei Indizien für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers
geführte privatgutachterliche Stellungnahmen eines Betriebs- oder Vertrauensarztes66. Genügt der Arbeitgeber dieser Vortragslast, hält das BAG den Arbeitnehmer zur Vermeidung der Fiktion eines Geständnisses nach § 138 Abs. 3 ZPO für verpflichtet, die Indizwirkung der vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen zu erschüttern und darzulegen, warum aus dem Vortrag des Arbeitgebers nicht auf ein Leistungsunvermögen geschlossen werden kann (§ 138 Abs. 2 ZPO), die zugrunde liegenden Erkrankungen keine Aussagekraft für den Annahmeverzugszeitraum haben, oder konkrete Umstände für eine Ausheilung oder Milderung von Krankheiten sprechen, indem er etwa die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Der Arbeitgeber ist dann für die Leistungsunfähigkeit beweispflichtig. Er kann sich auf das Zeugnis der den Arbeitnehmer behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten berufen67. Trägt der Arbeitnehmer dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei auch während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden68. Das BAG bezieht die nach § 297 BGB zum Ausschluss des Annahmeverzugs führende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers auf die nach § 294 BGB zu bewirkende Arbeitsleistung, soweit diese arbeitsvertraglich konkret bestimmt ist. Bei einer nur rahmenmäßig vom Arbeitnehmer zu erbringenden Tätigkeit hat der Arbeitgeber – wie das BAG ausführt – nach § 106 S. 1 GewO den Inhalt der zu leistenden Tätigkeit zu bestimmen69. Fehlt es an einer entsprechenden Konkretisierung – wie im vorliegenden Streitfall – legt das BAG der Beurteilung der Leistungsunfähigkeit die nach der für den Arbeitnehmer maßgebenden Entgeltgruppe zuweisbaren Tätigkeiten zugrunde. In Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das BAG auf der Grundlage der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vom 12.7.2016, wonach der Kläger unter anderem an Tagesübermüdung, konzentrativen Defiziten, Anpassungsstörungen, mittelgradigen depressiven Episoden litt, im Zusammenhang mit der durchgehenden Krankschreibung vom 9.12.2015 bis zum 5.8.2016 eine ausreichende Indizwirkung dafür gesehen, dass der Klä-
66 BAG v. 21.7.2021 – 5 AZR 543/20, NZA 2021, 1710 Rz. 12; BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02 n. v. (Rz. 24). 67 BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02 n. v. (Rz. 24). 68 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858 Rz. 19: Ausreichendes Indiz ist die Koinzidenz zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem behaupteten Ende der Arbeitsunfähigkeit nach mehrmonatiger Erkrankung. 69 Vgl. dazu nur BAG v. 14.10.2020 – 5 AZR 649/19, NZA 2021, 406 Rz. 10 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
ger aus gesundheitlichen Gründen die tariflichen Anforderungen an eine Tätigkeit in der für ihn maßgebenden Entgeltgruppe weiterhin nicht erfüllen konnte. Dabei hat das BAG zusätzlich aus einer im Mai 2017 vorgenommenen vertrauensärztlichen Untersuchung den gleichen Schluss gezogen, ohne entscheidend darauf abzustellen. Da das beklagte Land für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum hinlängliche Indizien vorgetragen hat, kam es darauf an, ob der Kläger seinerseits diese Indizwirkung ausreichend erschüttert hat. Davon ist das BAG ausgegangen, weil der Kläger die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden und sich auf die Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg berufen hat, der von einer Arbeitsfähigkeit des Klägers ab dem 1.8.2016 ausgegangen ist. Als weiteren Anhaltspunkt für eine Erschütterung der Indizwirkung hat das BAG eine nervenärztliche Stellungnahme angesehen, wonach durch eine im Juli 2016 begonnene medikamentöse Kombinationstherapie im Streitzeitraum eine Leistungsfähigkeit des Klägers eingetreten sein konnte. Damit war die Frage der Leistungsunfähigkeit des Klägers während des Annahmeverzugszeitraums beweisbedürftig, weshalb der Rechtsstreit vom BAG an das LAG zurückverwiesen worden ist, wobei das BAG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Rechtsstreit an eine andere Kammer des LAG zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 2 ZPO). Der betrieblichen Praxis vermittelt die Entscheidung des BAG in Anknüpfung an seine frühere Rechtsprechung70 die für die Anwendung von § 297 BGB maßgebenden Grundsätze im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers, der sich auf die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers zur Abwendung von Ansprüchen aus § 615 S. 1 BGB berufen will. (Boe)
8.
Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null
Auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC hat der EuGH in mehreren Entscheidungen71 geklärt, dass ein 70 BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02 n. v. 71 EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 Rz. 26 – Hein; EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 27 ff. – Dicu (Elternurlaub); EuGH v. 8.11.2012 – C229/11 und C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 32 ff. – Heimann und Toltschin (Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann bei in einem Sozialplan vereinbarter Kurzarbeit entsprechend gekürzt werden).
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Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null
Arbeitnehmer den bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen nur für die Zeiträume erwerben kann, in denen er tatsächlich gearbeitet hat, so dass für Zeiten, in denen er nicht gearbeitet hat, kein auf dieser Vorschrift beruhender Urlaubsanspruch entsteht. Die Grundlage dafür bildet die Erwägung des EuGH, dass der Zweck des in Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG jedem Arbeitnehmer gewährleisteten bezahlten Mindesturlaubs darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Der EuGH72 hat außerdem entschieden, dass durch eine Veränderung, insbesondere Verringerung der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung, der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden darf. Daraus folgt für die Entstehung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, dass die Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer nach verschiedenen Arbeitsrhythmen arbeitet, voneinander zu unterscheiden sind, wobei die Zahl der entstandenen Einheiten an jährlicher Ruhezeit im Vergleich zur Zahl der geleisteten Arbeitseinheiten für jeden Zeitraum getrennt zu berechnen ist. Dies steht im Einklang mit dem in § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geregelten pro-rata-temporis-Grundsatz73. Dieser Zweck ist von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken zu unterscheiden. Deshalb wird der Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG nur für die Zeiträume erwerben kann, in denen er tatsächlich gearbeitet hat, in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, des Mutterschaftsurlaubs74 oder für den Zeitraum zwischen der Entlassung und der Wiederaufnahme der Beschäftigung75 durchbrochen. In diesen Fällen werden die Arbeitnehmer hinsichtlich des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub solchen gleichgestellt, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben76.
EuGH v. 11.11.2015 – C-219/14, NZA 2015, 1501 Rz. 34 bis 36 – Greenfield. BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2000, 789 Rz. 34. EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 28, 29, 34 – Dicu. EuGH v. 25.6.2020 – C-762/18 und C-37/19, NZA 2020, 1001 – Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria. 76 EuGH v. 25.6.2020 – C-762/18 und C-37/19, NZA 2020, 1001 Rz. 60 – Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria; EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 29 – Dicu. 72 73 74 75
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Es ist jedoch Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie den Arbeitnehmern einen über die in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG garantierte Mindestdauer von vier Wochen hinausgehenden Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zuerkennen und ggf. die Bedingungen für die Gewährung und das Erlöschen solcher zusätzlicher Urlaubstage festlegen, ohne dass sie insoweit an die Schutzregeln gebunden sind, die der EuGH in Bezug auf die Mindestdauer des bezahlten Jahresurlaubs herausgearbeitet hat77. Diese Rechtsprechung des EuGH hat der für das Urlaubsrecht zuständige 9. Senat des BAG in unionskonformer Auslegung von § 3 BUrlG übernommen und etwa auf den Urlaubsanspruch während der Freistellungsphase einer Altersteilzeit im Blockmodell78 und auf Zeiten des unbezahlten Sonderurlaubs79 übertragen. Danach muss der gesetzliche Urlaubsanspruch für den Zeitraum der Altersteilzeit nach § 3 Abs. 1 BUrlG in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht80 jahresbezogen ermittelt und nach Zeitabschnitten berechnet werden, wenn sich der Wechsel von der Arbeits- zur Freistellungsphase im Verlauf eines Kalenderjahres vollzieht. Den Arbeitsvertragsparteien bleibt es dabei freigestellt, ob und wie sie einen übergesetzlichen Urlaub gestalten wollen. Da § 3 Abs. 1 BUrlG von einer an sechs Tagen der Kalenderwoche bestehenden Arbeitspflicht und unter dieser Voraussetzung von einem gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen im Kalenderjahr ausgeht, muss im Interesse einer gleichwertigen Urlaubsdauer für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitspflicht auf weniger oder mehr Wochentage verteilt ist, der Urlaubsanspruch in der Weise umgerechnet werden, dass die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Zahl der Arbeitstage im Jahr bei einer Sechs-Tage-Woche geteilt und mit der Zahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage im Jahr multipliziert werden: 24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht / 312 Werktage81. Das BAG82 legt dabei für die Sechs-Tage-Woche 312 und für die Fünf-TageWoche 260 mögliche Arbeitstage im Jahr zugrunde, weil sich bei sechs EuGH v. 19.11.2019 – C-609/17 und C-610/17, NZA 2019, 1631 Rz. 36 – TSN, AKT. BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2020, 789 Rz. 21 f., 45. BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2020, 789 Rz. 35. Dazu gehören auch Tage vorübergehender Verhinderung nach § 616 BGB, krankheitsbedingte Fehltage oder Suspendierungen nach §§ 2, 3 PflegeZG: BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 32. 81 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 30 ff. Dabei geht das BAG für die Sechs-Tage-Woche von 312 und für die Fünf-Tage-Woche von 260 möglichen Arbeitstagen im Jahr aus. 82 BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2020, 789 Rz. 30. 77 78 79 80
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Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null
Werktagen in 52 Wochen eine Zahl von 312 Werktagen und bei fünf Arbeitstagen eine Zahl von 260 ergibt. Diese Formel des BAG vernachlässigt bewusst, dass das Kalenderjahr nicht nur 364 Tage – ausgehend von 52 Wochen zu je sieben Tagen – hat, sondern nach § 191 BGB mit 365 Tagen zu rechnen ist. Das BAG lässt den 365. Tag außer Betracht, weil die Berechnungsvorschrift in § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG auf 13 Wochen für ein Vierteljahr abstellt. Die Umrechnung erfolgt, indem die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr bei einer Sechs-TageWoche geteilt und mit der Anzahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage im Jahr multipliziert werden. Die danach maßgebliche Umrechnungsformel für den gesamten Jahresurlaubsanspruch eines Arbeitnehmers in der Sechs-Tage-Woche lautet: Anzahl der Werktage Urlaub x Tage mit Arbeitspflicht (312) 312 Werktage Die danach maßgebliche Umrechnungsformel für den gesamten Jahresurlaubsanspruch eines Arbeitnehmers in der Fünf-Tage-Woche lautet: Anzahl der Urlaubstage x Tage mit Arbeitspflicht (260) 260 Arbeitstage Mit der Urlaubsberechnung bei Kurzarbeit hat sich der 9. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 30.11.202183 befassen müssen. In dem entschiedenen Fall ging es um eine Arbeitnehmerin, die bei der Beklagten an drei Tagen wöchentlich als Verkaufshilfe bei einer Sechs-Tage-Woche mit Backtätigkeiten beschäftigt war. Bei einer Sechs-Tage-Woche hätte ihr nach dem Arbeitsvertrag ein jährlicher Erholungsurlaub von 28 Werktagen zugestanden. Dies entsprach bei einer vereinbarten Drei-Tage-Woche einem Urlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen (28 / 6 x 3 = 13,99). Aufgrund Arbeitsausfalls durch die Corona-Pandemie führte die Beklagte Kurzarbeit ein. Dazu trafen die Parteien Kurzarbeitsvereinbarungen, auf deren Grundlage die Klägerin unter anderem in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete. Aus Anlass der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle nahm die Beklagte eine Neuberechnung des Urlaubs vor. Sie bezifferte den Jahresurlaub der Klägerin für das Jahr 2020 auf 11,5 Arbeitstage. Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat den Standpunkt eingenommen, kurzarbeitsbedingt ausgefallene Arbeitstage müssten urlaubsrechtlich wie Arbeitstage gewertet werden. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt gewesen, den 83 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 234/21 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Urlaub zu kürzen. Für das Jahr 2020 stünden ihr weitere 2,5 Urlaubstage zu. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin war erfolglos. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH84 und seiner eigenen Rechtsprechung85 verneint der 9. Senat des BAG für Zeiträume, in denen Arbeitnehmer aufgrund konjunktureller Kurzarbeit Null keine Arbeitspflicht haben, eine Entstehung von gesetzlichen Urlaubsansprüchen. Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage könnten nicht als Zeiten mit Arbeitspflicht angesehen werden. Insofern entsteht für diese Zeiträume kein jährlicher Urlaubsanspruch und verkürzt diesen anteilig. Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung bildet dabei für das BAG § 3 Abs. 1 BUrlG, wonach sich die Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen 24 Werktage Urlaub anhand einer Sechs-Tage-Kalenderwoche mit Arbeitspflicht bestimmt, wobei sich aus Gründen einer gleichwertigen Urlaubsdauer der Urlaubsanspruch vermindert oder erhöht, wenn die Arbeitspflicht auf weniger oder mehr Tage in der Kalenderwoche verteilt ist. Bei dieser Berechnung des Urlaubsanspruchs sieht sich das BAG durch § 208 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 SGB IX bestätigt. Dies schlösse allerdings nicht aus, dass durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen – etwa §§ 24 S. 1 MuSchG, 17 BEEG, 4 ArbPlSchG, 4 Abs. 4 PflegeZG – eine andere Berechnung geboten sein kann. Für den Streitfall kam es entscheidend darauf an, ob die Umrechnung des nach § 3 Abs. 1 BUrlG in Werktagen bemessenen gesetzlichen Urlaubsanspruchs in Arbeitstage – wie bei einer nur an einzelnen Tagen in der Woche bestehenden Arbeitspflicht – auch dann zu erfolgen hat, wenn die Arbeitspflicht infolge einer wirksam eingeführten Kurzarbeit an ganzen Arbeitstagen entfällt. Dies wird vom BAG unter Rückgriff auf den Zweck des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub nach Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG bejaht, der darauf angelegt ist, dass sich der Arbeitnehmer von der Ausübung der nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben erholt und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit verfügt. Dieser Zweck beruhe auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet habe86. Fielen ganze Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit aus, verringere sich die durch die Erbringung der Ar-
84 EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11 und C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 32 ff. – Heimann und Toltschin. 85 BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2020, 789 Rz. 35. 86 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 27 f. – Dicu; BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 495/17, NZA 2019, 1136 Rz. 20.
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Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null
beitsleistung bedingte Belastung des Arbeitnehmers. In diesem Fall stehe es im Einklang mit dem Urlaubszweck, den Urlaubsumfang bei der Umrechnung von Werktagen in Arbeitstage an die herabgesetzte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers anzupassen. Das BAG behandelt dabei die wegen Kurzarbeit ausfallenden ganzen Tage wie Tage, an denen ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer nicht arbeiten muss. Diese Gleichstellung wird nach Ansicht des BAG nicht durch die in einer einzel- oder kollektivrechtlichen Kurzarbeitsvereinbarung regelbare Möglichkeit aufgehoben, den Arbeitnehmer unter Einhaltung einer festgelegten Ankündigungsfrist wieder zur Rückkehr zur ursprünglich geschuldeten Arbeitszeit aufzufordern, weil dadurch die freie Gestaltung der aufgrund von struktureller oder konjunktureller Kurzarbeit ausfallenden Arbeitstage nicht beeinträchtigt werde. Da mit der wirksamen Einführung von Kurzarbeit das grundsätzlich vom Arbeitgeber zu tragende Risiko des Arbeitsausfalls umverteilt wird, weil ihm das Entgeltrisiko abgenommen wird, lehnt das BAG jedwede Gleichsetzung der aufgrund von Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitstage mit Tagen mit Arbeitspflicht ab, so dass es keine Rolle spielt, ob der Arbeitgeber an sich zur Zahlung von Annahmeverzugsvergütung (§ 615 S. 1 BGB) verpflichtet gewesen wäre oder das Wirtschafts- bzw. Betriebsrisiko (§ 615 S. 3 BGB) zu tragen gehabt hätte. Nach Ansicht des BAG führt die unterjährige Urlaubsberechnung auch nicht zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, deren Urlaub im Zeitpunkt der Neuberechnung noch nicht erfüllt ist, gegenüber Arbeitnehmern, die ihren Urlaub bereits genommen haben und damit wegen der fehlenden Kenntnis der Veränderung des Arbeitszeitregimes rückblickend in den Genuss einer Zuvielgewährung von Urlaub gelangen. Diese Ungleichbehandlung sei sachbezogen angelegt und löse das Spannungsverhältnis von sofortiger Fälligkeit und kalenderjahresbezogener Berechnung des Urlaubsanspruchs auf. Bezüglich der vorstehenden Ergebnisse sieht sich das BAG in Übereinstimmung mit den vom EuGH87 zu Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC entwickelten Grundsätzen. Danach sei nicht zu verlangen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unter Einbeziehung der vollständig aufgrund von Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitstage zu berechnen und diese damit einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung gleichzustellen.
87 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 28 – Dicu; EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11 und C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 32 ff. – Heimann und Toltschin.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Davon ausgehend berechnet das BAG die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus, um bei dieser Berechnungsweise für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht / 312 Werktage). Diese für den gesetzlichen Urlaub maßgebende Berechnungsweise überträgt das BAG gleichermaßen auf den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Parteien – wie im Streitfall – für die Berechnung des Mehrurlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben88. Unter Berücksichtigung der dargestellten Berechnungsmethode ermittelt das BAG89 den der Klägerin zustehenden Urlaub wie folgt: In Relation zu einem Urlaub von 28 Werktagen eines in der Sechs-Tage-Woche vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers standen der Klägerin bei drei Arbeitstagen in der Woche und 156 Arbeitstagen im Jahr 14 Arbeitstage Urlaub zu (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht / 312 Werktage = 14 Arbeitstage). Allein unter Berücksichtigung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig wegen der Kurzarbeit Null ausgefallen war, konnte der Urlaub der Klägerin auf 10,5 Arbeitstage gekürzt werden, weil nur noch 117 Tage mit Arbeitspflicht (156 Arbeitstage abzgl. 39 Arbeitstage = 117 Arbeitstage) verblieben waren (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht / 312 Werktage = 10,5 Arbeitstage), wobei nach § 5 Abs. 2 BUrlG Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, auf volle Urlaubstage aufzurunden sind. Mit der Erfüllung von 11,5 Urlaubstagen hat daher die Beklagte der Klägerin mehr Urlaub erteilt, als ihr rechtlich zustand. Bei dieser Umrechnung hat das BAG die weiteren Tage ohne Arbeitspflicht in den Monaten November und Dezember 2020 außer Acht gelassen, weil es darauf für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr ankam. In einer weiteren Entscheidung vom 30.11.202190 hat der 9. Senat des BAG erkannt, dass diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn die Kurzarbeit wirksam aufgrund einer Betriebsvereinbarung eingeführt worden ist. Die Parteien stritten darüber, ob sich der Umfang des Urlaubsanspruchs des Klägers für das Kalenderjahr 2020 durch Tage mit völligem Arbeitsausfall infolge Kurzarbeit Null auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung verringert hat. Der Jahresurlaubsanspruch des Klägers, der Mitarbeiter in der Dreherei der Beklagten war, belief sich bei einer Fünf-Tage-Arbeitswoche auf 30 Arbeitstage. Die Beklagte erfüllte davon für das Kalenderjahr 2020 88 BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2020, 789 Rz. 38. 89 So bereits BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 30. 90 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 234/21 n. v.
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Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null
wegen der Kurzarbeit nur insgesamt 23 Arbeitstage Urlaub. Aufgrund einer entsprechenden Betriebsvereinbarung erbrachte der Kläger im Kalenderjahr 2020 an insgesamt 75 vollen Arbeitstagen wegen Kurzarbeit Null keine Arbeitsleistung. Der Kläger hat um die arbeitsgerichtliche Feststellung nachgesucht, für das Kalenderjahr 2020 noch weitere sieben Tage Erholungsurlaub beanspruchen zu können91. ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Aufgrund von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann durch eine Betriebsvereinbarung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) Kurzarbeit eingeführt werden92. Die Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit muss allerdings rechtswirksam sein, was voraussetzt, dass sie die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten so deutlich regelt, dass diese für die Arbeitnehmer zuverlässig zu erkennen sind. Erforderlich sind mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer93. Wird durch die Anordnung von Kurzarbeit Null die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers wirksam eingeschränkt, ist für diese Zeiträume kein Urlaubsanspruch entstanden und damit eine anteilige Kürzung eines ohne diese Zeiten mit fehlender Arbeitspflicht zugesagten Urlaubs vorzunehmen. Dies entspricht für den gesetzlichen Urlaubsanspruch auch einer richtlinienkonformen Auslegung des § 3 Abs. 1 BUrlG94 und gilt gleichermaßen für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsanspruchs während der Kurzarbeit keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben95, wofür deutliche Anhaltspunkte vorliegen müssen. Da im Streitfall die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung zur Einführung der Kurzarbeit den an sie zu stellenden Mindestvoraussetzungen (Beginn und Dauer der Kurzarbeit, Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die betroffenen Arbeitnehmer) entsprochen hat, darüber hinaus 75 Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit für den Kläger vollständig ausgefallen waren, hat das BAG
91 LAG Baden-Württemberg v. 3.5.2021 – 9 Sa 1/21, NZA-RR 2021, 585. 92 BAG v. 18.11.2015 – 5 AZR 491/14, NZA 2016, 565 Rz. 15; BAG v. 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, NZA 2009, 689 Rz. 28. 93 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 234/21 n. v. (Rz. 48); BAG v. 18.11.2015 – 5 AZR 491/14, NZA 2016, 565 Rz. 15. 94 EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11 und C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 28, 32 ff. – Heimann und Toltschin. 95 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 234/21 n. v. (Rz. 44). Zu Tarifverträgen: BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 113/19, NZA 2021, 279 Rz. 12.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
folgende Berechnung für den verbliebenen Urlaubsanspruch bezogen auf die Fünf-Tage-Woche bei jährlich 30 Tagen Urlaub vorgenommen: 30 Arbeitstage Urlaub x 185 Tage mit Arbeitspflicht (260 abzgl. 75) 260 Arbeitstage Damit ergab sich zu Gunsten des Klägers ein Anspruch auf 21,35 Urlaubstage, der von der Beklagten mit 23 gewährten Urlaubstagen erfüllt worden ist (Boe)
9.
Berücksichtigung der Mehrarbeitsvergütung bei Inanspruchnahme von Urlaub
In einer Vorabentscheidung vom 13.1.202296 hat der EuGH auf Vorlage des 10. Senats des BAG vom 17.6.202097 die Frage entscheiden müssen, ob Art. 31 Abs. 2 GRC und Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegenstehen, die für die Berechnung, ob und für wie viele Stunden einem Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge zustehen, nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt und nicht auch die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Mindestjahresurlaub in Anspruch nimmt98. Bei der Fallkonstellation ging es um einen Arbeitnehmer, der bei der Beklagten als Leiharbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt war, und auf den der MTV Zeitarbeit angewendet wurde. Auf der Grundlage dieses Tarifvertrags liegt Mehrarbeit vor, die mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 % vergütet wird, wenn in einem Monat mit 23 Arbeitstagen 184 tatsächlich geleistete Arbeitsstunden überschritten werden. Im August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Kläger an den ersten 13 Arbeitstagen 121,75 Stunden und nahm für die verbleibenden zehn Tage bezahlten Jahresurlaub, der 84,7 Arbeitsstunden entsprach. Damit überschritt die Gesamtstundenzahl von 206,45 Stunden mit 22,45 Stunden die Schwelle der 184 Stunden. Da der Kläger während des Urlaubs nicht gearbeitet hat, weigerte sich die Beklagte, dem Kläger für diese 22,45 Stunden einen Mehrarbeitszuschlag zu gewähren. Hätte der Kläger anstelle seines Urlaubs gearbeitet, wären ihm die Mehrarbeitszuschläge für 22,45 Stunden gezahlt worden. Diese Zuschläge i. H. v. 72,32 € (brutto) nebst Zinsen waren Gegenstand der Klage.
96 EuGH v. 13.1.2022 – C-514/20, NZA 2022, 205 – Koch Personaldienstleistungen; vgl. dazu Groffy/Averesch, ZAU 2022, 287. 97 BAG v. 17.6.2020 – 10 AZR 210/19 (A), NZA 2020, 1551. 98 Vgl. hierzu auch Klocke, ZESAR 2022, 195.
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Berücksichtigung der Mehrarbeitsvergütung bei Inanspruchnahme von Urlaub
Während das ArbG und das LAG die Zahlungsklage des Klägers abgewiesen haben, sah das BAG einen denkbaren Verstoß gegen das Unionsrecht (Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG) darin, dass eine derartige Regelung der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge einen unzulässigen finanziellen Anreiz für den Arbeitnehmer begründen könnte, seinen Mindesturlaub nicht in Anspruch zu nehmen99. Insofern berief sich das BAG auf die Rechtsprechung des EuGH100, wonach keine Anreize geschaffen werden dürfen, auf den Mindesturlaub zu verzichten. Das Vorabentscheidungsersuchen des BAG hat der EuGH wie folgt beantwortet: Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG ist im Lichte von Art. 31 Abs. 2 GRC dahin auszulegen, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen bezahlten Jahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden.
In der Begründung wiederholt der EuGH die bereits zu Art. 31 Abs. 2 GRC und Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG entwickelten Grundsätze, wonach die Mitgliedstaaten nicht bereits die Entstehung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen dürfen und der doppelte Zweck des Jahresurlaubsanspruchs darin besteht, sich von der Ausübung der geleisteten Arbeit zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Daraus schlussfolgert der EuGH des Weiteren, dass jeder Anreiz, auf den Erholungsurlaub zu verzichten, mit den vorbeschriebenen Zielen nicht zu vereinbaren ist. Aus diesem Grund ist nach Ansicht des EuGH auch der Erhalt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts während des bezahlten Jahresurlaubs vonnöten101. Insofern hat der EuGH auch darauf hingewiesen, dass ein Arbeitnehmer möglicherweise von der Ausübung seines Rechts auf Jahresurlaub absieht, wenn dieser Nachteil mit zeit-
99 BAG v. 17.6.2020 – 10 AZR 210/19 (A), NZA 2020, 1551 Rz. 30. 100 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 42 – Max-Planck-Gesellschaft; EuGH v. 6.11.2018 – C-619/16, NZA 2018, 1612 Rz. 49 – Kreuziger. 101 EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 Rz. 47 – Hein (Berücksichtigung von Überstunden(-zuschlägen) bei der Berechnung des Urlaubsentgelts: gewöhnliches Arbeitsentgelt).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
licher Verzögerung eintritt, nämlich in der auf den Jahresurlaub folgenden Zeit102. Sodann stellt der EuGH fest, dass unter den vom Vorlagegericht geschilderten Umständen das Entgelt des Klägers für August 2017 aufgrund der Ausübung seines Urlaubsanspruchs niedriger war als das Entgelt, das er bekommen hätte, wenn er in diesem Monat keinen Urlaub genommen hätte. Da diese Situation auch einträte, wenn der Kläger seinen Urlaub am Monatsanfang nehmen würde, weil im Anschluss an seinen Urlaub geleistete Überstunden durch die zuvor genommenen Urlaubstage neutralisiert werden könnten, würde auch hier mit zeitlicher Verzögerung ein finanzieller Nachteil eintreten. Daraus schlussfolgert der EuGH, dass dieser Anrechnungsmechanismus den Arbeitnehmer davon abhalten könnte, in dem Monat, in dem er Überstunden erbracht hat, von seinem Recht auf bezahlten Jahresurlaub Gebrauch zu machen, so dass die dafür maßgebende tarifvertragliche Regelung gegen Art. 31 Abs. 2 GRC i. V. m. Art. 7 Richtlinie 2003/78/EG verstößt. Da zahlreiche Tarifverträge die Bezahlung eines Mehrarbeitszuschlags (Überstundenzuschlags) als Belastungsausgleich für die Überschreitung der tatsächlich über die Vollarbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitszeiten vorsehen, hat diese Entscheidung des EuGH für die Praxis eine erhebliche Bedeutung, wenn unter Berücksichtigung der für den erteilten Urlaub zugrunde gelegten Stunden der Arbeitsfreistellung unter Beachtung der tatsächlich im Monat geleisteten Arbeitsstunden die Vollarbeitszeit überschritten wird. Die Besonderheit liegt gerade darin, dass es hierbei nicht um die Bezahlung des Urlaubsentgelts, sondern um die Bezahlung von Mehrarbeits- oder Überstundenzuschlägen während einer Bezugsperiode (hier ein Monat) geht, die durch die Wahrnehmung des dem Arbeitnehmer zustehenden Mindesturlaubs wegfallen, weil der Tarifvertrag insoweit an die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung anknüpft, die während des Urlaubs gerade entfällt. Die Entscheidung des EuGH wird allerdings nur in den Fällen relevant, bei denen sich aus der Zusammenrechnung der auf die Abrechnungsperiode (etwa Monat) bezogenen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und der während des Urlaubs von der Arbeitsleistung befreiten Stunden Mehrarbeits- oder Überstunden mit Zuschlägen ergeben. (Boe)
102 EuGH v. 22.5.2014 – C-539/12, NZA 2014, 593 Rz. 21 – Lock (Berücksichtigung von Provisionen beim Urlaubsentgelt, weil der Arbeitnehmer keine Provisionen während des Urlaubs generieren kann).
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Unionsrechtliche Ausweitung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung?
10. Unionsrechtliche Ausweitung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung? Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der gesetzliche Mindesturlaub abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Von seiner Rechtsnatur her ist der Urlaubsabgeltungsanspruch unter unionsrechtlicher Bewertung (Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG) ein reiner Geldanspruch103. In dieser Eigenschaft entsteht er kraft Gesetzes und unterliegt der Verjährung nach § 195 BGB sowie der Anwendung tariflicher Ausschlussfristen104. Dies steht mit unionsrechtlichen Grundsätzen im Einklang105. Der Arbeitnehmer muss tatsächlich nur die Möglichkeit haben, den ihm mit der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Anspruch auszuüben, wobei die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert werden darf (Grundsatz der Effektivität)106. Mit diesem Vorbehalt ist es den Mitgliedstaaten unbenommen, mehr oder weniger lange Fristen für seine Geltendmachung vorzusehen107. Auch wenn eine Arbeitsunfähigkeit über den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses hinaus fortbesteht, entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG stets mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird gemäß § 271 BGB sofort fällig108, so dass eine tarifliche Ausschlussfrist am Tag danach zu laufen beginnt. Ebenso wenig haben ein vom Arbeitnehmer eingeleitetes Kündigungsschutzverfahren und dessen Beendigung durch gerichtlichen Vergleich Einfluss auf die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs und dessen Fälligkeit109. Der für den Lauf der Ausschlussfrist maßgebliche rechtliche Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien tritt durch die Kündigung des Arbeitgebers 103 BAG v. 19.6.2012 – 9 AZR 652/10, NZA 2012, 1087 Rz. 15 unter vollständiger Aufgabe der Surrogationstheorie. 104 BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 16. 105 EuGH v. 8.7.2010 – C-246/09, NZA 2010, 869 Rz. 36 – Bulicke; BAG v. 13.12.2011 – 9 AZR 399/10, NZA 2012, 514 Rz. 22, 26 (Frist für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen wegen Altersdiskriminierung). 106 BAG v. 13.12.2011 – 9 AZR 399/10, NZA 2012, 514 Rz. 27 bei einer tariflichen Ausschlussfrist von zwei Monaten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Vgl. auch BAG v. 18.9.2012 – 9 AZR 1/11, NZA 2013, 216 Rz. 29 bei einer tariflichen Ausschlussfrist von sechs Wochen. 107 EuGH v. 8.7.2010 – C-246/09, NZA 2010, 869 Rz. 36 – Bulicke. 108 Vgl. BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 18; BAG v. 11.10.2010 – 9 AZN 418/10, NZA 2011, 117 Rz. 20. 109 BAG v. 17.10.2017 – 9 AZR 80/17, NZA 2018, 57 Rz. 30.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
mit Ablauf der Kündigungsfrist ein, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien im Laufe des Rechtsstreits auf diesen Beendigungszeitpunkt einigen. Soweit dies nicht einen tarifvertraglichen Urlaubsanspruch betrifft (§ 4 Abs. 4 S. 3 TVG), führen auch vertragliche Ausschlussfristen, sofern sie nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB verstoßen110, zum Verlust des gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruchs111. Der Urlaubsabgeltungsanspruch setzt nach § 7 Abs. 4 BUrlG lediglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus, wobei gleichgültig ist, ob diese auf eine Kündigung, eine Befristung, einen Aufhebungsvertrag oder gar auf den Tod des Arbeitnehmers112 zurückzuführen ist. Auch Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/78/EG stellt für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung des nicht gewährten Naturalurlaubs keine andere Voraussetzung auf als diejenige, dass zum einen das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten bezahlten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte113. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spielt daher für den in Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG vorgesehenen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung keine Rolle114. Soweit allerdings der übergesetzliche Urlaub in Rede steht, bleibt es den Tarifvertragsparteien oder Arbeitsvertragsparteien, wenn sie keinen Gleichlauf mit dem gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch wünschen, vorbehalten, Sonderregelungen zu schaffen115. Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs Österreichs hat der EuGH in einem Urteil vom 25.11.2021116 geklärt, ob Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC dahingehend aus-
110 BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680 Rz. 51 f. 111 BAG v. 9.3.2021 – 9 AZR 323/20, NZA 2021, 1257 Rz. 10; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 29; BAG v. 16.12.2014 – 9 AZR 295/13, NZA 2015, 827 Rz. 28. 112 EuGH v. 6.11.2018 – C-569/16 und C-570/16, NZA 2018, 1467 Rz. 44 ff. – Bauer; EuGH v. 12.6.2014 – C-118/13, NZA 2014, 651 Rz. 24 ff. – Bollacke. So jetzt auch unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung BAG v. 22.1.2019 – 9 AZR 45/16, NZA 2019, 829. 113 Vgl. in diesem Sinne EuGH v. 6.11.2018 – C-569/16 und C-570/16, NZA 2018, 1467 Rz. 44 – Bauer; EuGH v. 12.6.2014 – C-118/13, NZA 2014, 651 Rz. 23 – Bollacke. 114 EuGH v. 6.11.2018 – C-569/16 und C-570/16, NZA 2018, 1467 Rz. 44 – Bauer; EuGH v. 20.7.2016 – C-341/15, NZA 2016, 1067 Rz. 31 – Maschek (Eintritt in den Ruhestand). 115 BAG v. 12.10.2021 – 9 AZR 577/20 (B) n. v. (Rz. 27). 116 EuGH v. 25.11.2021 – C-233/20, NZA 2022, 105 – job-medium.
170
Unionsrechtliche Ausweitung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung?
zulegen ist, dass eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr auch dann gewährt werden muss, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet hat. Der Kläger war vom 15.6.2018 bis zum 9.10.2018, dem Tag, an dem er das Arbeitsverhältnis durch unberechtigte fristlose Kündigung beendete, bei der Beklagten beschäftigt. In dieser Zeit hat er einen Urlaubsanspruch von 7,33 Arbeitstagen erworben, von denen er vier Tage erhalten hatte. Die Beklagte weigerte sich unter Hinweis auf das österreichische Urlaubsrecht (§ 10 Abs. 2 BUrlG), wonach eine Urlaubsersatzleistung ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig das Arbeitsverhältnis beendet, die noch ausstehenden 3,33 Urlaubstage abzugelten. Auf die entsprechende Zahlungsklage des Klägers wollte das vorlegende Gericht als Revisionsgericht wissen, ob diese gesetzliche Urlaubsregelung mit Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG im Einklang steht. Der EuGH hat darauf geantwortet, dass Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr entfällt, wenn der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet.
Zur Begründung weist der EuGH zunächst darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf. Daraus schlussfolgert der EuGH, dass die Mitgliedstaaten nicht bereits die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen dürfen. Unter Hinweis darauf, dass sich jeder Arbeitnehmer durch den nach Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG eingeräumten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit verfügen soll, schließt der EuGH in diesen Zweck zugleich einen Anspruch auf Bezahlung des Urlaubs und damit die finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub ein117. Da der Arbeitnehmer durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehindert wird, bezahlten Jahresurlaub in natura zu nehmen, soll ihm nach Auffassung des EuGH wegen dieser Unmöglichkeit nicht jeder Genuss dieses Anspruchs – selbst in finanzieller Form – verwehrt 117 EuGH v. 25.6.2020 – C-762/18 und C-37/19, NZA 2020, 1001 Rz. 83 – Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria.
171
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
werden. Dabei verweist der EuGH auf seine ständige Rechtsprechung, wonach Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG für das Entstehen des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung aufstellt als die, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte118. Da der Kläger im Streitfall während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat und einen entsprechenden Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erworben hat, von dem nur ein Teil gewährt worden war, durfte ihm daher nach Ansicht des EuGH die finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub nicht deshalb verweigert werden, weil er das Arbeitsverhältnis grundlos vorzeitig mit sofortiger Wirkung beendet hat. Mit dieser Klarstellung des EuGH ist auch für § 7 Abs. 4 BUrlG unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten für den Erwerb des gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruchs ausschließlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgebend, ohne Rücksicht darauf, auf welchen Anlass die Beendigung zurückgeht. Unberührt bleibt davon jedoch die individualrechtliche oder kollektivrechtliche Möglichkeit, den Verlust übergesetzlicher Urlaubsabgeltungsansprüche mit einer unberechtigten fristlosen Kündigung des Arbeitnehmers zu verbinden. (Boe)
11.
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub bei langzeiterkrankten und schwerbehinderten Arbeitnehmern sowie bei Altersteilzeit im Blockmodell
Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss der gesetzliche Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Aufgrund der Vorgaben aus Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m.
118 Nur EuGH v. 25.6.2020 – C-762/18 und C-37/19, NZA 2020, 1001 Rz. 84 – Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria; EuGH v. 6.11.2018 – C-569/16 und C570/16, NZA 2018, 1467 Rz. 44 – Bauer.
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Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub
Art. 31 Abs. 2 GRC ist nach der Rechtsprechung des EuGH119 § 7 Abs. 3 BUrlG unionskonform davon abweichend dahingehend zu interpretieren, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums aus krankheitsbedingten Gründen daran gehindert ist, seinen Urlaub nehmen zu können. Der Urlaubsanspruch aus dem Vorjahr geht nicht mit dem 31. März des Folgejahres unter, sondern tritt zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und ist damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG bis zum 31. März des dann folgenden Kalenderjahres befristet. Setzt sich allerdings die Arbeitsunfähigkeit ohne Unterbrechung fort, erlischt der Urlaubsanspruch 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, für den er entstanden ist120. Der Verlust des Urlaubsanspruchs bei einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres entspricht nach Auffassung des EuGH121 den nach Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG zu beachtenden schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, weil das Interesse des Arbeitgebers überwiegt, vor dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen zur Vermeidung organisatorischer Schwierigkeiten bewahrt zu werden, obwohl es dem Arbeitnehmer nicht möglich war, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen. Dabei geht die Rechtsprechung des BAG122 davon aus, dass ein erkrankter Arbeitnehmer, der bereits von der Arbeitspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB befreit ist, durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht ein weiteres Mal befreit werden kann und damit der Urlaubsanspruch nach § 362 BGB in dieser Zeit nicht erfüllbar ist. Daher ist es dem Arbeitgeber unmöglich, dem Arbeitnehmer während der Dauer einer Erkrankung Urlaub durch Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zum Untergang des Urlaubsanspruchs gewähren zu können. Diese Bewertung findet auch die Zustimmung des EuGH123, wonach Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG einzel119 EuGH v. 25.6.2020 – C-762/18 und C-37/19, NZA 2020, 1001 Rz. 71 ff. – Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria; EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 Rz. 28, 38, 44 – KHS. 120 BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 669/12, ZTR 2014, 549 Rz. 14. 121 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 Rz. 43 – KHS; vgl. auch BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 3/21 (A), NZA 2022, 107 Rz. 24; BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 214/19, NZA 2021, 217 Rz. 16. 122 Nur BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 669/12, ZTR 2014, 549 Rz. 16. 123 EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11 und C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 25 – Heimann und Toltschin; EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 Rz. 32 – Schultz-Hoff.
173
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
staatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer nicht berechtigt ist, während der Zeit seiner Erkrankung bezahlten Urlaub zu nehmen. Die Unvereinbarkeit von Urlaub und Krankheit hat auch in § 9 BUrlG ihren Niederschlag gefunden, wenn auch nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt und die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werden, so dass er die durch Krankheit verlorenen Urlaubstage nachholen kann. Wie das BAG124 zu Recht hervorgehoben hat, würde nämlich der Arbeitnehmer ohne die Regelung des § 9 BUrlG seinen Urlaubsanspruch ersatzlos verlieren, wenn er während eines bereits bewilligten Urlaubs arbeitsunfähig erkrankt.
a)
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern
In einer Entscheidung vom 7.9.2021125 hat der 9. Senat des BAG unter Berücksichtigung dieser Grundsätze entscheiden müssen, wie sich im Falle einer Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wird, seinen Urlaub zu nehmen, auf den Erhalt oder Verlust des gesetzlichen Urlaubsanspruchs auswirken. Der Kläger war bei der Beklagten als Monteur beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.11.2019 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen zum 31.12.2019. Vom 18.11.2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2019 war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Der Kläger hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 30 Arbeitstage Erholungsurlaub. Die Beklagte gewährte ihm im Jahr 2015 an 21 Arbeitstagen Urlaub und in den Jahren 2016 und 2017 keinen Urlaub. Sie hat den Kläger weder aufgefordert, den Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Die Beklagte erteilte dem Kläger zunächst Lohnabrechnungen, in denen die Resturlaubsansprüche aus dem laufenden Kalenderjahr und den Vorjahren ausgewiesen und fortlaufend saldiert wurden. In der Abrechnung Januar 2019 waren insgesamt 113 Urlaubstage angegeben. Beginnend mit dem Monat Februar 2019 beschränkte die Beklagte die Angaben auf den nicht genommenen Urlaub aus dem laufenden Kalenderjahr und dem Vorjahr bzw. den letzten beiden Vorjahren, worauf der Kläger verlangte, die Urlaubskürzungen zurückzunehmen und den Urlaub aus den Vorjahren anzuerkennen.
124 BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 669/12, ZTR 2014, 549 Rz. 23. 125 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 3/21 (A), NZA 2022, 107.
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Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten die Abgeltung von 9 Urlaubstagen aus 2015 mit 2.198,99 € (brutto), 30 Urlaubstagen aus 2016 mit 6.395,21 € (brutto) und 30 Urlaubstagen aus 2017 mit 6.397,40 € (brutto) beansprucht und geltend gemacht, die Beklagte habe ihrer Hinweisobliegenheit nicht genügt und durch die Abrechnung die Urlaubsansprüche anerkannt. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung zurückgewiesen. Das BAG hat die Revision des Klägers bezüglich der Abgeltungen für die Jahre 2016 und 2017 zurückgewiesen und hinsichtlich der Abgeltung für 2015 den Rechtsstreit in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH auf die Vorlage vom 7.7.2020126 ausgesetzt. Diese Vorlage betrifft die Frage, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können127. Wie aus der Entscheidung des BAG hervorgeht, hat es lediglich über die Urlaubsabgeltungsansprüche der Jahre 2016 und 2017 entschieden, jedoch den für das Jahr 2015 geltend gemachten Urlaubsabgeltungsanspruch als eigenständigen Streitgegenstand ausgesetzt, weil bis zur Entscheidung des EuGH unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten ungeklärt ist, ob in einer Jahresperiode erworbene Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers, der aufgrund erst während der Jahresperiode eingetretener und fortdauernder Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit seinen Urlaub nicht mehr nehmen kann, auch dann nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten untergehen können, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten hinsichtlich der Inanspruchnahme des Urlaubs missachtet hat. Soweit im Streitfall die Kalenderjahre 2016 und 2017 in Rede stehen, für die der Kläger eine Urlaubsabgeltung beansprucht, war er jeweils das ganze Jahr über arbeitsunfähig erkrankt, so dass der gesetzliche Urlaubsanspruch nach der Entscheidung des EuGH vom 22.11.2011128 jeweils am 31.3.2018 126 BAG v. 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541. 127 Vgl. Generalanwalt EuGH v. 17.3.2022 – C-518/20 und C-727/20 n. v. – Fraport AG und St. Vincenz-Krankenhaus GmbH, der vorschlägt, Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC dahin auszulegen, dass der in einem Bezugszeitraum erworbene Urlaubsanspruch, in dem eine fortbestehende Krankheit oder Erwerbsminderung eingetreten ist, nicht erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch zuvor wahrzunehmen. 128 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 – KHS.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
und am 31.3.2019 erloschen war und deshalb bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2019 nicht abgegolten werden musste. Das BAG hat jedoch bezüglich dieser Befristung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs geprüft, ob und inwieweit die unterlassene Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, initiativ zur Wahrnehmung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers beizutragen, den Verlust des Urlaubsanspruchs auch bei einer Langzeiterkrankung, die den Übertragungszeitraum von 15 Monaten erreicht und überschreitet, beeinflusst. Zunächst weist das BAG129 darauf hin, dass die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers auch dann bestehen, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist, auch wenn das Ende der Erkrankung nicht abgesehen werden kann. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer dann auffordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er im laufenden Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum genommen werden kann. Allerdings will das BAG130 die Befristung des Urlaubsanspruchs – ggf. nach 15 Monaten – bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig machen, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig war und damit von vornherein keinerlei Möglichkeit bestand, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Ob der Arbeitgeber bei derartigem Befund seine Mitwirkungsobliegenheiten zur Urlaubsgewährung erfüllt oder nicht erfüllt, ist völlig gleichgültig, weil der Arbeitnehmer in jedem Fall seinen gesamten gesetzlichen Urlaubsanspruch verliert und damit der Zweck der Hinweisobliegenheit vollständig leerläuft. Mit dieser Bewertung sieht sich das BAG in Übereinstimmung mit dem EuGH131, der dem Arbeitgeber die Initiative auferlegt hat, mittels entsprechender Aufforderung und Hinweise den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Urlaub zu realisieren. Da die Beklagte den Kläger ungeachtet von Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 bis zu seinem Ausscheiden am 31.12.2019 wegen seiner fortdauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, die ihn bereits nach § 275 Abs. 1 BGB von der Arbeitspflicht sus-
129 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 3/21 (A), NZA 2022, 107 Rz. 27. 130 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 3/21 (A), NZA 2022, 107 Rz. 28. 131 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 43 – Max-Planck-Gesellschaft.
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Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub
pendierte, rechtlich zulässig nicht mehr von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung vor dem 31.3.2018 und dem 31.3.2019 entbinden konnte, verfielen nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist die Urlaube aus den Jahren 2016 und 2017 ersatzlos. Dies galt gleichermaßen für den vertraglichen Mehrurlaub, weil die Arbeitsvertragsparteien insofern keine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelung getroffen hatten. Das BAG hat sich sodann der Prüfung zugewandt, ob möglicherweise die dem Kläger erteilten Lohnabrechnungen, die im Januar 2019 unter Einschluss der Jahre 2016 und 2017 noch insgesamt 113 Urlaubstage auswiesen, nach §§ 133, 157 BGB einen Verpflichtungstatbestand oder Zurechnungsgrund für die Urlaubsabgeltungsansprüche der Kalenderjahre 2016 und 2017 als deklaratorisches oder konstitutives Schuldanerkenntnis abgeben konnten. Unter Rückgriff auf § 108 Abs. 1 S. 1 GewO, wonach der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei der Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen hat, will das BAG132 der Lohnabrechnung keine rechtsgestaltende Willenserklärung, sondern lediglich in Gestalt einer Information über die erfolgte Zahlung eine Wissenserklärung beimessen, die an der bestehenden Rechtslage nichts ändern soll. Das gilt – so das BAG – auch dann, wenn der Arbeitgeber mit der Lohnabrechnung über die Pflichtangaben des § 108 Abs. 1 S. 2, 3 GewO hinausgeht und wie im Streitfall eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen ausweist133. Für die betriebliche Praxis ist diese klare Aussage des BAG zu begrüßen, weil damit bezüglich des Erhalts von gesetzlichen Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankungen eindeutige Ergebnisse vorliegen. Weiterhin abzuwarten bleibt, wie der EuGH reagieren wird und ob er insoweit dem Vorschlag des Generalanwalts folgt134.
b)
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers und Zusatzurlaub schwerbehinderter Menschen
Die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten (Mitwirkungsobliegenheiten) des Arbeitgebers im Hinblick auf die Befristung des Zusatzurlaubsanspruchs schwerbehinderter Menschen nach § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX n. F. hat den 9. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 132 BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 3/21 (A), NZA 2022, 107 Rz. 39; BAG v. 5.7.2017 – 4 AZR 867/16, NZA 2018, 47 Rz. 29. 133 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 881/16, NZA 2019, 1046 Rz. 16: Der bloßen Mitteilung durch den Arbeitgeber kommt aber in der Regel nicht die Bedeutung zu, den Urlaub auch gewähren zu wollen, wenn er ihn nicht schuldet. 134 Siehe Fn. 126.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
30.11.2021135 beschäftigt. Nach § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX n. F. (davor § 125 Abs. 1 S. 1 SGB IX a. F.) haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr; verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen auf mehr oder weniger als fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. In dem zu entscheidenden Fall verlangte der mit einem GdB von 50 % anerkannte Kläger von der Beklagten die Abgeltung von Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus den Jahren 2016 bis 2018. Zwischen den Parteien bestand seit dem 22.8.2016 ein Arbeitsverhältnis. Die Beklagte hat den Kläger weder aufgefordert, Urlaub zu nehmen, noch hat sie ihn darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3.1.2019 zum 15.2.2019. Mit Schreiben vom 23.1.2019 beantragte er erfolglos, ihm zwölf Arbeitstage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, davon zwei Urlaubstage aus 2016 und jeweils fünf Urlaubstage aus 2017 und 2018, zu gewähren. Dem Urlaubsantrag fügte der Kläger eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises bei. Die Parteien stritten darüber, ob der Kläger die Beklagte bei seiner Einstellung über das Vorliegen seiner Schwerbehinderung informiert hat. Die Beklagte berief sich darauf, erst durch das Schreiben vom Januar 2019 von der Schwerbehinderung des Klägers erfahren zu haben. Der Kläger hat von der Beklagten klageweise die Zahlung einer Urlaubsabgeltung für den nicht gewährten Zusatzurlaub von 1.113,65 € (brutto) nebst Zinsen beansprucht. Während die Klage vor dem ArbG erfolgreich war, hat das LAG nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, weil dem Kläger nicht der Nachweis gelungen sei, die Beklagte von seiner Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt zu haben. Das BAG hat den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Zunächst geht das BAG davon aus, dass der Kläger gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 SGB IX a. F. und seit dem 1.1.2018 nach § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX n. F. einen Anspruch auf von der Beklagten nicht erfüllten Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen im Umfang von zwei Arbeitstagen für das Jahr 2016 (§ 5 Abs. 1 a BUrlG) und von jeweils fünf Arbeitstagen für die Jahre 2017 und 2018 unabhängig davon erworben hat, ob die Beklagte die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers kannte. Soweit diese Zusatzurlaubsansprüche bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestanden, mussten sie gegenüber dem Kläger nach § 7 Abs. 4 BUrlG abgegolten
135 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 143/21 n. v.
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Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub
werden. Der weitere Bestand der abzugeltenden Zusatzurlaubsansprüche hing jedoch nach Ansicht des BAG davon ab, ob diese gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG bereits mit dem Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen waren. Nach dieser Vorschrift muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG). Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG). In diesem Zusammenhang weist das BAG darauf hin, dass die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG bei einer mit Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung136 grundsätzlich voraussetzt, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dem Arbeitnehmer tatsächlich ermöglicht, seinen bezahlten Jahresurlaub zu realisieren, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt137. Sieht der Arbeitgeber von dieser in seiner Initiative liegenden Mitwirkungsobliegenheit ab, tritt der am Jahresende nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht, mit der Maßgabe, dass für den hinzugetretenen Urlaub wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BUrlG gelten. Diese für die Befristung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs maßgebenden Grundsätze der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers überträgt das BAG nach dem Prinzip der urlaubsrechtlichen Akzessorietät138 auch auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, unabhängig davon, dass dieser den gesetzlichen Urlaub von vier Wochen übersteigende Zusatzurlaub mangels Gewährleistung durch Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG vom Gesetzgeber frei geregelt werden könnte. Das BAG entlastet den Arbeitgeber jedoch von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten für den Zusatzurlaub, wenn ihm diese dadurch unmöglich waren, dass er keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und diese nicht offenkundig ist. Dann verbleibt es bei der Rechtsfolge aus § 7 Abs. 3 BUrlG, wonach der Anspruch auf Zusatzurlaub auch dann mit Ablauf des Urlaubsjahres oder ei-
136 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 43 – Max-Planck-Gesellschaft. 137 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 39 ff. 138 BAG v. 10.3.2020 – 9 AZR 109/19, NZA 2020, 1255 Rz. 11; BAG v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810 Rz. 66 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
nes zulässigen Übertragungszeitraums verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht genügt hat. Nicht erforderlich ist nach Ansicht des BAG, dass der Arbeitgeber vorsorglich auf etwaigen Zusatzurlaub hinzuweisen und den Arbeitnehmer aufzufordern habe, diesen ggf. in Anspruch zu nehmen, weil er erwarten kann, dass ihm der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderung mitteilt, wenn er den Zusatzurlaub in Anspruch nehmen möchte. Verteidigt sich der Arbeitgeber – wie im Streitfall – damit, dass ihm die Mitwirkungsobliegenheit hinsichtlich der Verwirklichung des Zusatzurlaubs mangels Kenntnis der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers unmöglich war, trägt er nach Ansicht des BAG hierfür die Darlegungs- und Beweislast, weil die darauf beruhende Befristung des Zusatzurlaubs und damit sein Erlöschen trotz Nichterfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten verbunden ist. Dabei lässt das BAG zu Gunsten des Arbeitgebers nach den Grundsätzen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast zunächst genügen, dass sich der Arbeitgeber auf die fehlende Kenntnis der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers als negative Tatsache beruft. Im Sinne einer sekundären Darlegungslast hat dann der Arbeitnehmer im Falle der vom Arbeitgeber behaupteten Unkenntnis der Schwerbehinderung unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel substantiiert vorzutragen, auf welche Weise er den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat oder aufgrund welcher Umstände auf die entsprechende Kenntnis des Arbeitgebers geschlossen werden kann, um die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO zu verhindern. Gelingt dem Arbeitnehmer ein entsprechender Vortrag, sind die vom Arbeitgeber aufgrund der ihn treffenden objektiven Beweislast angebotenen Beweise für seinen anderslautenden Vortrag der Unkenntnis von der Schwerbehinderung zu erheben. Da das LAG die im Revisionsverfahren amtswegig139 zu berücksichtigende Darlegungs- und Beweislast verkannt hat, ist der Rechtsstreit vom BAG zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
c)
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Altersteilzeit im Blockmodell
Der 9. Senat des BAG hat mit einer Vorlage vom 12.10.2021140 ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV gerichtet, 139 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 143/21 n. v. (Rz. 35); BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, NZA 2021, 225 Rz. 70. 140 BAG v. 12.10.2021 – 9 AZR 577/20 (A) n. v.
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Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub
das der Klärung dienen soll, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeits- in die Freistellungsphase seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses wechselt, ohne seinen aus demselben Kalenderjahr stammenden Urlaub vollständig genommen zu haben. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob Unionsrecht einem Verfall des Urlaubsanspruchs entgegensteht, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten gegenüber einem Arbeitnehmer zwar nicht erfüllt hat, diesem aber antragsgemäß den noch bestehenden Urlaub gewährt hat und dessen vollständige Erfüllung allein deshalb nicht eintreten konnte, weil der Arbeitnehmer nach der Urlaubsbewilligung arbeitsunfähig erkrankt ist. Der zu entscheidende Rechtsstreit betraf einen Kläger, der mit Beklagten am 5.12.2012 vereinbart hatte, das Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen. Die Parteien vereinbarten eine Arbeitsphase vom 1.2.2013 bis zum 31.5.2016 und eine Freistellungsphase vom 1.6.2016 bis zum 30.9.2019. Auf einen entsprechenden Antrag des Klägers hin, gewährte ihm die Beklagte für den Zeitraum vom 4.5.2016 bis zum 25.5.2016 den vollständigen Urlaub aus dem Jahr 2016. Im Zeitraum vom 11.5.2016 bis zum 31.5.2016 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten gegenüber dem Kläger hatte die Beklagte nicht erfüllt. Mit der Klage begehrte der Kläger die Abgeltung von 2 ⅔ Arbeitstagen gesetzlichen Mindesturlaubs. Die Beklagte hat sich damit verteidigt, der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2016 sei mit Ablauf des 31.3.2017 erloschen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das BAG hat den EuGH um die Beantwortung folgender Fragen ersucht: 1. Stehen Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegen, der zufolge der in der Arbeitsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erworbene, bisher nicht erfüllte Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Freistellungsphase mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt? Sollte der EuGH die Frage verneinen: 2. Stehen Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegen, der zufolge der bisher nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, der im Verlauf des Urlaubsjah-
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
res aus der Arbeits- in die Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses eintritt, mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt, wenn der Arbeitgeber – ohne zuvor seine Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs erfüllt zu haben – dem Arbeitnehmer den gesamten Jahresurlaub antragsgemäß für einen Zeitraum unmittelbar vor Beginn der Freistellungsphase bewilligt hat, die Erfüllung des Urlaubsanspruchs aber – zumindest teilweise – nicht eintreten konnte, weil der Arbeitnehmer nach der Urlaubsbewilligung arbeitsunfähig erkrankte?
Zur Erläuterung der ersten Vorlagefrage weist das BAG darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BAG141 einem Arbeitnehmer für die Freistellungsphase der Altersteilzeit mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub zusteht. Da der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bereits entbunden ist, kann der Arbeitgeber aus Rechtsgründen den Arbeitnehmer im Wege der Urlaubsgewährung in dieser Zeit auch nicht von der Arbeitspflicht befreien. Insofern stellt sich die Frage, ob der aus der Arbeitsphase stammende Urlaub, der in der Freistellungsphase nicht mehr erfüllt werden kann, nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 BUrlG am Ende des Urlaubsjahres bzw. Übertragungszeitraums erlischt oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden muss. Hat der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme und Gewährung von Urlaub in der Arbeitsphase erfüllt, neigt das BAG dazu, einen Verfall des Urlaubs nach Ablauf des Urlaubsjahres, in dem die Arbeitsphase endet und der Urlaub hätte erfüllt werden können, anzunehmen, weil der Arbeitnehmer dem Verfall dadurch vorbeugen kann, dass er seinen Urlaub vor dem Eintritt der Freistellungsphase in Anspruch nimmt. Das BAG sieht in diesem Zusammenhang auch einen Wertungswiderspruch darin, dass andernfalls Altersteilzeitarbeitnehmer, deren Altersteilzeitarbeitsvertrag eine Freistellungsphase vorsieht, die nach mehr als 15 Monaten nach dem Ende des Kalenderjahres endet, in dem sich der Wechsel von der Arbeits- in die Freistellungsphase vollzieht, gegenüber Arbeitnehmern privilegiert wären, die wegen einer dauerhaften Erkrankung ihre Urlaubsansprüche am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres verlören. Sollte der EuGH die erste Frage verneinen, bedarf es nach Ansicht des BAG einer bislang nicht vorliegenden unionsrechtlichen Antwort zu einem Verfall des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG, wenn der Arbeitgeber – ohne zuvor sei141 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 26.
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Generalanwalt: Keine Verjährung von aufgelaufenen Urlaubsansprüchen
ne Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs erfüllt zu haben – dem Arbeitnehmer den gesamten Jahresurlaub antragsgemäß für einen Zeitraum unmittelbar vor Beginn der Freistellungsphase bewilligt hat, die Erfüllung des Urlaubsanspruchs allerdings teilweise daran scheitert, dass der Arbeitnehmer nach der Urlaubsbewilligung bis zum Beginn der Freistellungsphase arbeitsunfähig erkrankt. Insofern könnte es an einem kausalen Zusammenhang zwischen der Mitwirkungsverletzung des Arbeitgebers und einem Verfall des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG fehlen, weil mit Erreichen der Freistellungsphase allein die Freistellung des Arbeitnehmers den Untergang des Urlaubsanspruchs auslöst. Andererseits könnte das Erfüllungshindernis der Freistellung dem Risiko des Arbeitgebers zuzurechnen sein, weil der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit seinen Urlaub möglicherweise zu einer anderen (früheren) Zeit geplant hätte, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig auf die Möglichkeit hingewiesen hätte, dass eine Urlaubnahme in der Freistellungsphase nicht möglich ist und der Urlaub am Ende des Kalenderjahres verfällt. (Boe)
12. Generalanwalt: Keine Verjährung von aufgelaufenen Urlaubsansprüchen Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub, der nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 4 BUrlG jeweils am 1. Januar eines Kalenderjahres für das Kalenderjahr als Urlaubsjahr entsteht, muss nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG grundsätzlich in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden, andernfalls erlischt er nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG. Diese Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 S. 1 bis 3 BUrlG war Grund dafür, dass sich die Frage der Verjährung von aufgelaufenen Urlaubsansprüchen in der Praxis nicht gestellt hat. Nachdem der EuGH142 zu Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG sowie zu Art. 31 Abs. 2 GRC entschieden hatte, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 2, 4 BUrlG) erlischt, wenn der 142 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat, ist der 9. Senat des BAG in einer Grundsatzentscheidung vom 19.2.2019143 in unionskonformer Interpretation von § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG davon ausgegangen, dass grundsätzliche Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers ist, konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber müsse den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Kommt der Arbeitgeber dieser Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, tritt nach der Rechtsprechung des BAG144 der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht, mit der Maßgabe, dass für ihn, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BUrlG gelten. Am 29.9.2020 hat der 9. Senat des BAG145 nach Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH mit der Frage gerichtet, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB gestattet, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Der zu entscheidende Fall betraf eine Klägerin, die als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin bei dem Beklagten vom 1.11.1996 bis zum 31.7.2017 beschäftigt war. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. In den Jahren 2012 bis 2017 nahm die Klägerin ihren gesetzlichen Mindesturlaub nicht vollständig in Anspruch. Der Beklagte hat die Klägerin weder aufgefordert, weiteren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne. Mit der am 6.2.2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Der Beklagte hat sich darauf berufen, der Urlaub, dessen Abgeltung die Klägerin beanspruche, sei verfallen. Außerdem hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. 143 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 21 ff. 144 Nur BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 19; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 44. 145 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413.
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Generalanwalt: Keine Verjährung von aufgelaufenen Urlaubsansprüchen
Das ArbG hat den Beklagten – unter Abweisung der Klage im Übrigen – rechtskräftig zur Abgeltung restlichen Urlaubs aus dem Jahr 2017 verurteilt. Das LAG hat den Beklagten auf die Berufung der Klägerin verurteilt, ihr 76 Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2016 mit 17.376,64 € (brutto) abzugelten. Dabei vertrat das LAG die Auffassung, dass der Urlaubsanspruch der Klägerin unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG habe verfallen noch nach den allgemeinen Verjährungsbestimmungen der §§ 194 ff. BGB verjähren können. Das BAG146 ist im Hinblick auf die Verjährbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und eines gleichlaufenden vertraglichen Mehrurlaubsanspruchs davon ausgegangen, dass der EuGH bisher nicht eindeutig entschieden habe, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG sowie Art. 31 Abs. 2 GRC es zulassen, durch Verjährungsfristen die Möglichkeit der Durchsetzung des bezahlten Jahresurlaubs zeitlich zu begrenzen. Im Fall der Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften könnte auch dem Urlaubsabgeltungsanspruch die Verjährung des aus Freistellung von der Arbeitspflicht und Bezahlung zusammengesetzten Urlaubsanspruchs entgegengesetzt werden, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch als finanzieller Aspekt des originären Urlaubsanspruchs nur mit der Möglichkeit der Verjährung behaftet bestehen geblieben sei. Im zu entscheidenden Fall wären bei Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften die Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahre 2013 mit dem Ablauf des Jahres 2016 und die Urlaubsansprüche aus dem Jahre 2014 mit dem Ablauf des Jahres 2017 verjährt, weil diese erst am 6.2.2018 die auf die Jahre 2013 und 2014 bezogenen Urlaubsabgeltungsansprüche klageweise geltend gemacht hat, deren Durchsetzbarkeit bei Berücksichtigung der Verjährungseinrede des Beklagten scheitern würde (§ 214 Abs. 1 BGB). In diesem Zusammenhang weist das BAG147 darauf hin, dass die Anspruchsverjährung vor allem Ausdruck des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels ist, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit als wesentliche Bestandteile des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips herzustellen. Mit Rücksicht darauf und im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sieht sich das BAG bei der Anwendung von Verjährungsvorschriften auf den Urlaubsanspruch nach Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC in Übereinstimmung mit dem Äquivalenzgrundsatz (keine ungünstigere Behandlung gleichartiger Sachverhalte innerstaatlicher Art) und dem Effektivitätsgrundsatz (die Ausübung von 146 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 41 ff. 147 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 48.
185
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Unionsrecht darf nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden). Mit der Regelverjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) schaffe der Gesetzgeber grundsätzlich einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers als Schuldner des Urlaubsanspruchs und denen des Arbeitnehmers als Gläubiger des Urlaubsanspruchs, weil der Arbeitnehmer, dem der Urlaubsanspruch aus seinem Arbeitsvertrag, aus dem Gesetz oder aus Tarifverträgen regelmäßig bekannt ist, innerhalb eines ausreichend langen Zeitrahmens seinen Urlaubsanspruch abschließend prüfen und erforderlichenfalls einklagen könne (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Für das BAG148 stellt sich andererseits unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes auch die Frage, ob Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC vorschreiben, im Hinblick auf den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) nicht nur die Kenntnis der Entstehung und des Umfangs des Urlaubsanspruchs, sondern auch die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers zu fordern. Klärungsbedürftig sei auch in diesem Zusammenhang, ob der mangels Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers nicht verfallene Urlaubsanspruch im Hinblick auf den Beginn der möglicherweise geltenden Verjährungsfristen so zu behandeln sei, als wäre er wie der Urlaub aus dem folgenden oder einem späteren Urlaubsjahr entstanden, zu dem er in unionskonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG hinzutrete149. Zwischenzeitlich liegen die Schlussanträge des Generalanwalts vom 5.5.2022150 bezüglich des Vorabentscheidungsersuchens des BAG vor. Er schlägt vor, die Vorlagefrage des BAG wie folgt zu beantworten: Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der für einen Bezugszeitraum erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sowie der damit korrelierende Anspruch auf finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt, deren Lauf, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf die Urlaubnahme durch den Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist, mit dem Schluss dieses Bezugszeitraums beginnt.
148 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 57. 149 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 58. 150 Generalanwalt EuGH v. 5.5.2022 – C-120/21 n. v. (Rz. 63) – LB.
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Generalanwalt: Keine Verjährung von aufgelaufenen Urlaubsansprüchen
Der Generalanwalt hebt zur Begründung seines Vorschlags unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH hervor, dass es sich bei der Anwendung der Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wie bei § 7 Abs. 3 BUrlG um Modalitäten für die Wahrnehmung dieses Anspruchs handele und diese daher den Grenzen unterworfen seien, die von den Mitgliedstaaten eingehalten werden müssten, um den Wesensgehalt dieses Anspruchs nicht anzutasten151. In diesem Zusammenhang ist der Generalanwalt in Übereinstimmung mit der Kommission und im Gegensatz zur deutschen Regierung der Ansicht, dass der nach § 199 Abs. 1 BGB regelmäßige Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitnehmer seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub erworben hat, mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar sei, wenn der Arbeitgeber nicht zuvor seinen Hinweisobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer angemessen und vollständig nachgekommen sei, was bei mehrfacher Übertragung von Urlaubsansprüchen umso notwendiger sei. Daher müsse für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist auf den Ablauf des Jahres abgestellt werden, in dem der Arbeitgeber seine Hinweisobliegenheiten erfüllt habe, weil der Arbeitnehmer erst zu diesem Zeitpunkt von den den Anspruch begründenden Umständen i. S. v. § 199 Abs. 1 BGB „Kenntnis“ erlange. Dazu gehöre nach der Rechtsprechung des EuGH, dass der Arbeitgeber in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub und angesichts des Erfordernisses, die praktische Wirksamkeit von Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG zu gewährleisten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen habe, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen werde. Nach Ansicht des Generalanwalts sind letztlich die Grundsätze, die der EuGH in seinen Urteilen vom 6.11.2018152 für das Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entwickelt hat, auf die Verjährung dieses Anspruchs zu übertragen. So verstanden könne das deutsche Recht unionskonform ausgelegt werden153. Für die Erfüllung dieser Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten trage der Arbeitgeber die Beweislast154. Könne der Arbeitgeber den Beweis nicht 151 Generalanwalt EuGH v. 5.5.2022 – C-120/21 n. v. (Rz. 38) – LB. 152 EuGH v. 6.11.2018 – C-619/16, NZA 2018, 1612 – Kreuziger; EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft. 153 Generalanwalt EuGH v. 5.5.2022 – C-120/21 n. v. (Rz. 49) – LB. 154 EuGH v. 6.11.2018 – C-619/16, NZA 2018, 1612 Rz. 51 ff. – Kreuziger.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
führen, verstießen das Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen Art. 7 Abs. 1, 2 Richtlinie 2003/88/EG. Die Argumentation des Generalanwalts erscheint überzeugend, im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz für den Erhalt und die Durchsetzung erworbener Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub sowie für die damit korrelierende Urlaubsabgeltung sowohl das Erlöschen des Urlaubsanspruchs (§ 7 Abs. 3 BUrlG) als auch die Verjährung des Urlaubsanspruchs (§§ 194 ff. BGB) an die gleichen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten des Arbeitgebers zu knüpfen. Ungeachtet dessen wird der betrieblichen Praxis eindringlich vor Augen geführt, welche besondere Bedeutung den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Erfüllung gesetzlicher Urlaubsansprüche beizumessen ist. (Boe)
188
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Neue Rechtsprechung zur Massenentlassung
Wir haben uns zuletzt immer wieder mit den Voraussetzungen einer Massenentlassung befasst1. Dabei ging es vor allem die unionsrechtskonforme Kennzeichnung des Betriebsbegriffs nach § 17 KSchG, der für die Kennzeichnung einer Massenentlassung, die Information des Betriebsrats, die Angaben im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige sowie die Zuständigkeit der Agenturen für Arbeit maßgeblich ist2. Nachfolgend soll auf zwei weitere Entscheidungen des BAG zu § 17 KSchG hingewiesen werden.
a)
Entbehrlichkeit der Soll-Angaben
In der Entscheidung vom 13.2.20223 hat sich das BAG mit der Frage befasst, welche Rechtsfolgen das Fehlen der Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG hat. In Übereinstimmung mit der fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit und den Feststellungen des LAG Düsseldorf im Urteil vom 15.12.20214 hat das BAG dabei klargestellt, dass das Fehlen der SollAngaben keine Konsequenzen in Bezug auf die Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige hat. Die gegenteilige Entscheidung des LAG Hessen, das in seinem Urteil vom 25.6.20215 auf der Grundlage einer richtlinienkonformen Auslegung von § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG noch die gegenteilige Sichtweise vertreten hatte, ist damit aufgehoben worden. Das BAG verweist in zur Begründung dieser Bewertung auf den erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der mit § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG „eindeutig“ zum Ausdruck gebracht habe, dass ein Verstoß nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige führe. Eine solche sei auch nicht geboten. Durch die Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, dass die Soll-Angaben in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG gemäß Art. 3 Abs. 1 Uabs. 4 MERL nicht in der Massenentlassungsanzeige enthalten sein müssten. Damit genügt es, dass die MussAngaben des § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG aufgenommen werden.
1. B. Gaul, AktuellAR 2020, 179 ff., 519 ff., 2021, 189 ff., 499 ff. 2 Vgl. nur BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303; BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006 Rz. 33. 3 BAG 19.5.2022 – 2 AZR 467/21 n. v. 4 LAG Düsseldorf v. 15.12.2021 – 12 Sa 349/21 n. v. (Rz. 274 ff.). 5 LAG Hessen v. 25.6.2021 – 14 Sa 25/20, BB 2022, 61.
189
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Für die betriebliche Praxis besteht damit nur relative Sicherheit. Nicht ausgeschlossen ist, dass ein Instanzgericht eine abweichende Bewertung vornimmt und die Sache dem EuGH vorlegt. Dieses Risiko kann nur dadurch vermieden werden, dass vorsorglich auch die Soll-Angaben in die Massenentlassungsanzeige aufgenommen werden.
b)
Weitergabe der Betriebsratsinformation nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG
In seinem Beschluss vom 27.2.20226 hat das BAG die Frage behandelt, welche Konsequenzen eine Missachtung der Unterrichtungspflicht aus § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hat. Gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hat der Arbeitgeber der zuständigen Agentur für Arbeit – gleichzeitig – eine Abschrift der Information zuzuleiten, die gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG an den Betriebsrat gegangen ist. Diese Abschrift muss zumindest die in § 17 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 5 KSchG vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Massenentlassungsanzeige, deren Inhalt hiervon abweichen kann, ist erst im Anschluss an das Konsultationsverfahren einzureichen. Entgegen der Auffassung des LAG Niedersachsen im Urteil vom 24.2.20217, über das wir berichtet hatten8, hat das BAG eine abschließende Entscheidung über diese Frage abgelehnt und die Sache dem EuGH vorgelegt. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Insolvenzverwalter den Kläger nach Abschluss von Interessensausgleichs- und Sozialplanverhandlungen und im Anschluss an eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige betriebsbedingt mit Wirkung zum 30.4.2020 gekündigt. Der Insolvenzverwalter hatte es aber im Zusammenhang mit dem Konsultationsverfahren versäumt, die Abschrift der Mitteilung, die er gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG dem Betriebsrat übermittelt hat, auch der Agentur für Arbeit gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG zuzuleiten. In seinem Beschluss vom 27.1.20229 bestätigt das BAG zunächst einmal, dass die fehlende/fehlerhafte Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG, die fehlende/fehlerhafte Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, 3 S. 2 KSchG ebenso wie das Fehlen einer Stellungnahme des Betriebsrats bzw. einer diese Stellungnahme ersetzenden Glaubhaftmachung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 3 S. 2, 3 KSchG zur Un-
6 7 8 9
BAG v. 27.2.2022 – 6 AZR 155/21 (A), NZA 2022, 491. LAG Niedersachsen v. 24.2.2021 – 17 Sa 890/20, ZIP 2021, 592 Rz. 46 ff. B. Gaul, AktuellAR 2021, 169 ff. BAG v. 27.1.2022 – 6 AZR 155/21 (A), NZA 2022, 492 Rz. 20 ff.
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Neue Rechtsprechung zur Massenentlassung
wirksamkeit der im Rahmen der Massenentlassung ausgesprochenen Kündigungen führen. Darin liege die Nichtbeachtung eines Verbotsgesetzes, die nach § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Kündigung führe. Unabhängig davon hat der 6. Senat des BAG allerdings Zweifel, ob diese Bewertung auch auf § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG übertragen werde könne10. Dabei weist das BAG darauf hin, dass weder die MERL noch das nationale Recht eine ausdrückliche Sanktion für Fehler im Massenentlassungsverfahren vorsähen. Es obliege daher den Mitgliedstaaten, eine Sanktion festzulegen. Sie hätten dabei aber darauf zu achten, dass die Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen geahndet würden, die denjenigen entsprächen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gälten. Die Sanktion müsse insoweit wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, also den Äquivalenzgrundsatz ebenso wie den Effektivitätsgrundsatz beachten. Wegen des mit den entsprechenden Pflichten bezweckten Arbeitnehmerschutzes könnten daher auch Verstöße des Arbeitgebers zur Nichtigkeit einer Kündigung gemäß § 134 BGB führten. Dabei müsse das Verbot nicht unmittelbar im Gesetzeswortlaut Ausdruck gefunden haben. Es könne sich auch aus Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift ergeben11. Die daraus resultierende Frage, welcher Zweck mit der sich aus § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG ergebenden Pflicht verfolgt wird, der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, kann das BAG indes nicht beantworten. Denn dies erfordere – so das BAG – die Kenntnis, welchen Schutzzweck Art. 2 Abs. 3 Uabs. 2 MERL habe. Dies könne allein der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens entscheiden. In seinen weitergehenden Ausführungen hat der 6. Senat des BAG zwar deutlich gemacht, dass auch diese Weiterleitung der Informationen an die Agentur für Arbeit den Arbeitnehmer im Falle von Massenentlassungen schützen könnte. Hiervon sei dann auszugehen, wenn der Regelung die Überlegung zugrunde läge, dass die zuständige Behörde so frühzeitig wie möglich Kenntnis von einer beabsichtigten Entlassung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern erhalten solle, um daran anknüpfend möglichst effektiv ihre Pflichten im Zusammenhang mit der Arbeitsvermittlung zu erfüllen. Das spräche dafür, eine Missachtung von § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG mit der Sanktion einer Unwirksamkeit der Kündigung zu verbinden.
10 BAG v. 27.1.2022 – 6 AZR 155/21 (A), NZA 2022, 493 Rz. 21 f., 24 ff. 11 BAG v. 27.1.2022 – 6 AZR 155/21 (A), NZA 2022, 492 Rz. 19 f.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Überzeugend weist das BAG indes auch darauf hin, dass gewichtige Gründe gegen die Annahme sprächen, Art. 2 Abs. 3 Uabs. 2 MERL solle einen Individualschutz gewähren. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass die Zuleitung der Mitteilung an den Betriebsrat, die zu Beginn des Konsultationsverfahrens erfolge, auf die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung noch gar keinen Einfluss haben könne. Im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats stehe nämlich noch nicht fest, ob und wie viele Arbeitnehmer wann auf dem Arbeitsmarkt gelangten und welche Arbeitnehmer betroffen sein würden. Darüber sei gerade im Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat (noch) zu beraten. Diese Beratung solle dem Betriebsrat ermöglichen, konstruktive Vorschläge unterbreiten zu können, um die Massenentlassung zu verhindern oder jedenfalls zu beschränken bzw. die Folgen einer Massenentlassung durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern und eröffne ihm Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers. In dem durch die MERL vorgesehenen Zeitpunkt einer Erfüllung der Pflicht aus Art. 2 Abs. 3 Uabs. 2 MERL sei damit ein Individualschutz noch gar nicht möglich. Daran anknüpfend nimmt das BAG an, dass ein Tätigwerden der zuständigen Behörde nach den Vorgaben der MERL erst mit der Massenentlassungsanzeige beginne. Dies spreche dafür, dass die zeitlich vorher liegende Übermittlungspflicht aus Art. 2 Abs. 3 Uabs. 2 MERL keinen individualschützenden Charakter haben könne. Vielmehr spreche Einiges für die Annahme, dass sie eine nur verfahrensordnende Funktion habe. Auch unter Berücksichtigung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes würde dies nicht verlangen, dass im nationalen Recht die gleiche Rechtsfolge wie ein Verstoß gegen die Anzeige- oder Konsultationspflicht und damit auch eine Nichtigkeit der Kündigung angenommen würde. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH diese Sichtweise des BAG teilt, die insbesondere mit Blick auf den Zweck des Konsultationsverfahrens überzeugt. Bis zu einer klarstellenden Entscheidung des EuGH sollte die betriebliche Praxis allerdings darauf achten, dass die Informationen, die dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG zugeleitet werden, gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG auch an die Arbeitsverwaltung weitergeleitet werden. Dies vermeidet bereits eine Diskussion über eine mögliche Unwirksamkeit der Kündigungen als Folge einer Nichtbeachtung dieser Übermittlungspflicht. (Ga)
2.
Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
Ob das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen Grund für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) abgeben kann, hat das LAG 192
Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
Nürnberg in einer Entscheidung vom 27.7.202112 beschäftigt. In dem Fall ging es um einen Beklagten, der eine Allgemeinarztpraxis mit vier Mitarbeiterinnen, darunter der Klägerin, betrieb. Der Beklagte hatte in der Zeit vom 3.4.2020 (Freitag) bis zum 13.4.2020 (Ostermontag) eine Praxisschließung geplant und allen Mitarbeiterinnen für die Zeit vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 Urlaub erteilt. Nachdem am 18.3.2020 eine Mitarbeiterin positiv auf das Coronavirus getestet worden war, sprach das örtliche Gesundheitsamt bis einschließlich 2.4.2020 für alle Mitarbeiterinnen des Beklagten und den Beklagten selbst eine Quarantäneanordnung aus, so dass die Arztpraxis geschlossen werden musste. Am 27.3.2020 wandte sich der Beklagte an alle Mitarbeiterinnen mit dem Vorschlag, den Urlaub zu verschieben. Am 1.4.2020 teilten die vier Mitarbeiterinnen dem Beklagten mit, an dem geplanten Urlaub festhalten zu wollen. Der Beklagte beharrte jedoch auf der Praxisöffnung. Die Klägerin sowie zwei weitere Mitarbeiterinnen wurden vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben und legten entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Die Krankschreibung der Klägerin beruhte auf einer telefonischen Anamnese der behandelnden Ärztin wegen Kopfschmerzen und Erschöpfung. Am 14.4.2020 (Osterdienstag) erschien die Klägerin wieder in der Arztpraxis des Beklagten. Dieser übergab der Klägerin ein Schreiben vom 8.4.2020, das die außerordentliche fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.6.2020 enthielt. Die Klägerin hat sich durch eine am 22.4.2020 erhobene Klage gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung gewandt und den Beklagten unter anderem auf Zahlung der Vergütung vom 14.4.2020 bis zum 30.6.2020 sowie auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung in Anspruch genommen. Das ArbG Würzburg hat der Klage insgesamt entsprochen. Das LAG Nürnberg hat die Berufung des Beklagten bezüglich der fristlosen Kündigung zum 14.4.2020 sowie im Hinblick auf die Vergütung für die Zeit vom 15.4.2020 bis zum 30.6.2020 zurückgewiesen, jedoch den Urlaubsabgeltungsanspruch um die Zeit vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 gekürzt. Dabei ist das LAG Nürnberg bezüglich der fristlosen Kündigung des Beklagten davon ausgegangen, dass das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit „an sich“ einen berechtigten Anlass für eine fristlose Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB abgeben kann13, im vorliegenden Fall der für den wichtigen Grund beweisbelastete Beklagte jedoch nicht habe nachweisen können, dass die Klägerin nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und die sie ar12 LAG Nürnberg v. 27.7.2021 – 7 Sa 359/20, DB 2021, 2979. 13 BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rz. 16; BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 Rz. 32.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
beitsunfähig krankschreibende Ärztin über ihren Gesundheitszustand getäuscht habe. Der Beklagte habe zwar den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin angesichts der mit der Krankschreibung verbundenen tatsächlichen Umstände erschüttert. Die Klägerin habe jedoch diese Erschütterung des Beweiswerts widerlegt, indem sie den Beklagten bereits am 27.3.2020 auf ihre Immunsuppression hingewiesen sowie am 3.4.2020 per Kurznachricht mitgeteilt habe, am Vortag sowie am 3.4.2020 an Clusterkopfschmerzen zu leiden. Sie habe außerdem geltend gemacht, wegen einer schweren Knochenmarkserkrankung an häufigen Kopfschmerzen und verminderter Leistungsfähigkeit zu leiden und dafür die krankschreibende Hausärztin unter Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht als Zeugin benannt. Ungeachtet dessen, dass die Aussage der als Zeugin vernommenen Hausärztin das LAG nicht habe von der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin überzeugen können, habe der Beklagte nicht nachweisen können, dass die Klägerin der Ärztin eine Erkrankung nur vorgespiegelt habe, um in den Genuss einer Krankschreibung zu kommen, was zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung führe. Folgerichtig hat das LAG nach dieser Feststellung den Beklagten auch verurteilt, unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzugs die Vergütung für die Zeit vom 15.4.2020 bis zum 30.6.2020 zahlen zu müssen. Dagegen hat das LAG die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin im Hinblick auf die Krankschreibung in der Zeit vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 von dem Beklagten eine Urlaubsabgeltung beansprucht hat. Nach dieser Vorschrift werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Urlaub nicht angerechnet, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt. Zutreffend geht das LAG davon aus, dass der Beklagte der Klägerin in wirksamer Weise für die Zeit vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 Urlaub erteilt hat, den er nicht widerrufen konnte14. Angesichts dessen konnte die Erfüllung des Urlaubsanspruchs für diese Zeit (§ 362 Abs. 1 BGB) auf der Grundlage von § 9 BUrlG nur scheitern, wenn die Klägerin für diesen Zeitraum ihre Arbeitsunfähigkeit durch ein ärztliches Zeugnis nachwies. Insofern war die Klägerin nach Ansicht des LAG den Nachweis ihrer Erkrankung jedoch schuldig geblieben, weil nach der Beweisaufnahme durch Vernehmung der behandelnden Ärztin die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts feststand.
14 Vgl. dazu BAG v. 19.1.2010 – 9 AZR 246/09, NZA-RR 2010, 473 Rz. 28.
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Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
Soweit das LAG Nürnberg den Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin für den wegen angeblicher Erkrankung in der Zeit vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 nicht erfüllbaren Urlaubsanspruch durch Freistellung von der Arbeit verneint hat, bewegt sich die Entscheidung auf der Linie der Rechtsprechung des BAG15 zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§§ 3, 5 Abs. 1 EFZG). Nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung hat der Arbeitnehmer durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren Dauer zu beweisen, um nach § 3 Abs. 1 EFZG Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen zu können. Damit ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das mit hohem Beweiswert gesetzlich vorgesehene Beweismittel für die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, ohne zugleich eine gesetzliche Vermutung i. S. v. § 292 ZPO zu begründen16. Gleichwohl kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers aufkommen lassen, mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer einen substantiierten Vortrag zur Widerlegung des erschütterten (fehlenden) Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung leisten muss, indem er substantiiert vorträgt, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben17. Beruft er sich dabei auf das Zeugnis des behandelnden Arztes, muss er diesen von der Schweigepflicht entbinden, um eine Beweisaufnahme durch dessen Vernehmung zu ermöglichen. In Anwendung dieser Spruchpraxis des BAG hat das LAG Nürnberg überzeugend angenommen, dass schon wegen der Koinzidenz für den gleichen Zeitraum von unwirksam widerrufener Urlaubserteilung und Krankschreibung der Klägerin der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert war, unabhängig davon, dass drei Mitarbeiterinnen des Beklagten gemeinsam für den gleichen Zeitraum krankgeschrieben worden waren und auf diesem Weg dem Widerruf des Urlaubs begegnen wollten. Dabei sind – wie das BAG überzeugend hervorhebt – an den Vortrag des Arbeitgebers zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine zu hohen Anforderungen zu stellen, weil dem Arbeitgeber regelmäßig die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegenden Ursachen für seine Erkrankung unbekannt sind. Keineswegs müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die 15 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21, NZA 2022, 39. 16 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21, NZA 2022, 39 Rz. 13; eingehend auch Fuhlrott/Mai, NZA 2022, 97. 17 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21, NZA 2022, 39 Rz. 15.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
eine Krankenkasse zur Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 b SGB V zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit veranlassen kann. Davon geht § 275 Abs. 1 a SGB V insbesondere in Fällen aus, in denen • Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind, oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt (a), • oder die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist (b).
Bisher nicht entschieden, aber zu bejahen, ist für den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ob der Vertragsarzt die in der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AURL) festgelegten Regeln für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit von Versicherten des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V)18 eingehalten hat. Dies gilt nicht nur für die Definition der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch nach § 4 AURL für das Verfahren zu ihrer Feststellung. In diesem Zusammenhang lässt § 8 AURL im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bis zum 31.5.2022 bei Versicherten mit Erkrankungen der oberen Atemwege eine Krankschreibung von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese zu. Da die Klägerin ihre konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen näher beschrieben hat, die geeignet sein konnten, die Annahme des Beklagten, die Klägerin habe ihre Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht, zu widerlegen und ihre behandelnde Ärztin unter Entbindung von der Schweigepflicht als Zeugin die beweisbedürftige Arbeitsunfähigkeit aus der Sicht des LAG nicht ausreichend bestätigen konnte, war der Urlaubsanspruch in der Zeit vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 in natura erfüllt worden und damit nicht mehr abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Nicht zu folgen ist dem LAG Nürnberg jedoch, soweit es der Kündigungsschutzklage und der Zahlungsklage aus § 615 S. 1 i. V. m. § 611 a Abs. 2 BGB entsprochen hat19. Das LAG begründet die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung damit, dass der Beklagte nicht den Nachweis eines Erschleichens der erteilten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe führen können, weil die Vernehmung der Ärztin den Vortrag des Beklagten nicht bestätigt 18 Vgl. AURL i. d. F. vom 19.11.2021 (BAnz AT 18.1.2022 B 3), in Kraft getreten am 19.1.2022. 19 A. A. aber Buziek, DB 2022, 128, die das Urteil als salomonisch bezeichnet.
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Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
habe, dass die Klägerin der Ärztin eine Erkrankung nur vorgespiegelt hätte20. Im gleichen Atemzug führt das LAG aus, dass aufgrund der Aussage der behandelnden Ärztin als Zeugin nicht zur Überzeugung des Gerichts feststünde, dass die Klägerin vom 3.4.2020 bis zum 9.4.2020 erkrankt war21. Zunächst verkennt das LAG Nürnberg, dass für die Beurteilung der fristlosen Kündigung des Beklagten völlig gleichgültig ist, ob die Klägerin ihre Ärztin belogen hat. Der Kündigungsgrund kann nur in Relation zum Beklagten darin gesehen werden, dass die Klägerin diesen über ihre Arbeitsunfähigkeit mittels ihrer Ärztin täuschen wollte. Möglicherweise hat das LAG Nürnberg mit seiner Begründung nur zum Ausdruck bringen wollen, dass der Beklagte den zwingenden Nachweis, die Klägerin sei nicht arbeitsunfähig krank gewesen, nicht habe erbringen können. Das überspannt die Darlegungs- und Beweislast des Beklagten, weil ein derartiger Beweis nicht möglich ist22. Der Arbeitgeber müsste den Nachweis führen, der Arbeitnehmer habe sich bei der Schilderung von Krankheitssymptomen gegenüber seinem Arzt „pudelwohl“ gefühlt und jede rein theoretische Möglichkeit einer fehlenden Erkrankung ausschließen. Ist es dem Arbeitgeber – wie im vorliegenden Fall – gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, was zugleich bedeutet, dass die Krankheit nur vorgetäuscht ist, dann muss der Arbeitgeber nicht mehr zwingend nachweisen, dass keine Krankheit vorgelegen hat. Vielmehr hat der Arbeitnehmer unter Entbindung der behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht den gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechenden Vortrag des Arbeitgebers durch weitere Substantiierung der gesundheitlichen Einschränkungen und sonstiger Umstände – etwa Einnahme von Medikamenten – zu entkräften. Das war der Klägerin aufgrund der Beweisaufnahme jedoch nicht gelungen, so dass sie das Vortäuschen einer Erkrankung gegenüber dem Beklagten nicht aus der Welt schaffen konnte. Unter diesem Gesichtspunkt sprach sehr viel dafür, die fristlose Kündigung des Beklagten für berechtigt zu halten, ohne zuvor nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit als milderes Mittel eine Abmahnung zu verlangen (§ 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB), zumal sich die Klägerin die Aufrechterhaltung ihres Urlaubs durch vorgetäuschte Krankheit erschleichen wollte. Insofern käme es auch nicht darauf an, ob der Leistungsbereich oder der Vertrauensbereich23 betroffen ist24.
20 21 22 23 24
LAG Nürnberg v. 27.7.2021 – 7 Sa 359/20, DB 2021, 2979 Rz. 106. LAG Nürnberg v. 27.7.2021 – 7 Sa 359/20, DB 2021, 2979 Rz. 112. Vgl. dazu BAG v. 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63 Rz. 34, 39. BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 845/08, NZA 2010, 1348 Rz. 29. BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027 Rz. 18: Wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Das LAG Nürnberg hat in diesem Zusammenhang die Frage einer Verdachtskündigung nicht erörtert. Das ist nicht zu beanstanden, weil eine Verdachtskündigung schon an der fehlenden Anhörung der Klägerin hätte scheitern müssen25. (Boe)
3.
Abmahnung bzw. Kündigung wegen Social-MediaVeröffentlichungen
a)
Ausgangssituation
Natürlich hat die zunehmende Bedeutung von Social-Media auch Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Problematisch sind dabei nicht solche Verlautbarungen, die durch den Arbeitnehmer in Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten oder auf Anregung des Arbeitgebers erfolgen. Probleme bereiten vor allem solche Veröffentlichungen, die während der Freizeit und damit zunächst einmal ohne unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis vorgenommen werden. Wie Entscheidungen des LAG Sachsen, des LAG Baden-Württemberg und des EGMR deutlich machen, kann auch bei solchen Erklärungen eines Arbeitnehmers – vermeintlich außerhalb des Arbeitsverhältnisses – ein arbeitsrechtlicher Bezug hergestellt und damit auch eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten bewirkt werden. Am Beispiel der diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte soll daher nachfolgend aufgezeigt werden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen entsprechende Veröffentlichungen als Pflichtverletzung zu charakterisieren sind und Anlass für den Ausspruch einer Abmahnung bzw. Kündigung bilden können26. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst einmal die Frage, wie bei einem Handeln in der Freizeit des Arbeitnehmers überhaupt ein Bezug zum Arbeitsverhältnis hergestellt werden kann. Soweit dieser Bezug gegeben ist, ist die Frage zu beantworten, ob das Handeln des Arbeitnehmers einen Grund für die personen- oder verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses bietet. Steht eine verhaltensbedingte Kündigung im Raum, ist im Rahmen der in allen Fallgestaltungen erforderlichen Interessenabwägung vor allem die Frage zu klären, ob nicht auch durch eine Abmahnung die erneute Stö-
so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. 25 Nur BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 611/17, NZA 2018, 1405 Rz. 31 ff. 26 Eingehend vgl. auch Fuhlrott/Oltmanns, NZA 2016, 785; Howald, ArbR 2013, 195; Richter, ArbR 2021, 619.
198
Abmahnung bzw. Kündigung wegen Social-Media-Veröffentlichungen
rung des Vertragsverhältnisses in der Zukunft vermieden werden könnte. Denn dann müsste dieses Mittel anstelle einer Kündigung ergriffen werden.
b)
Kündigung einer Reinigungskraft wegen Facebook-Likes
In seinem Urteil vom 15.6.202127 musste sich der EGMR mit der Kündigung einer Reinigungskraft befassen, die in der staatlichen Bildungsdirektion von Seyhan des Bildungsministeriums in Adana (Türkei) beschäftigt war. Anlass für die Kündigung war, dass sie Nachrichten bei Facebook geliked hatte, die Lehrer der Vergewaltigung bezichtigt, Staatsmänner beschuldigt und sich auf politische Parteien bezogen hatten. In den Facebook-Erklärungen, zu denen sie Likes abgegeben hatte, wurde angeprangert, dass in der Türkei Journalisten verhaftet, Kurden massakriert und Anwälte getötet würden, sowie zu Demonstrationen aufgerufen und behauptet, Lehrer und Imame vergewaltigten ihre Schüler. In einer der Erklärungen wurde ein Anführer einer religiösen Gruppe kritisiert und beschimpft, der zuvor behauptet hatte, „wenn es keine Frauen gäbe, kämen die Männer leichter in das Paradies“. Nachdem die Klage gegen die Kündigung ebenso wie eine Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg geblieben waren, hatte die Arbeitnehmerin beim EGMR Beschwerde eingelegt. Dieser stellte mit Urteil vom 15.6.2021 einstimmig fest, dass Art. 10 EMRK durch die Entscheidungen der türkischen Gerichte verletzt sei und die Türkei an die Arbeitnehmerin 2.000 € als Ersatz für den Nichtvermögensschaden zu zahlen habe. In den Gründen seiner Entscheidung hat der EGMR deutlich gemacht, dass zwar gegenseitiges Vertrauen in einer Arbeitsbeziehung erforderlich sei. Einerseits bedeute dies aber nicht, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber zu uneingeschränkter Loyalität verpflichtet wäre oder zu einer Zurückhaltung, die zur Unterwerfung unter dessen Interessen führte. Andererseits könne das Arbeitsverhältnis zur Folge haben, dass Art oder Form der freien Meinungsäußerung, die vielleicht im anderen Zusammenhang berechtigt sein kann, innerhalb des Arbeitsverhältnisses beschränkt würden. Dies gelte auch für Likes in Social Media, die eine übliche und beliebte Form der Ausübung der Freiheit der Meinungsäußerung im Netz darstellten. Nach den Feststellungen des EGMR hatten die türkischen Gerichte bei ihren Entscheidungen allerdings zu Lasten der Klägerin nicht alle Tatsachen und Gesichtspunkte berücksichtigt, die für die Bewertung der Meinungsäußerung eines Arbeitnehmers im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis von Bedeutung seien. So müsse berücksichtigt werden, dass Art. 10 Abs. 2 EMRK 27 EGMR v. 15.6.2021 – 35786/19, NZA 2022, 33 – Melike.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
kaum Raum lasse für Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit in der politischen Diskussion und der Diskussion über Angelegenheiten allgemeinen Interesses. Dies könne selbst dann gelten, wenn eine gewisse Feindseligkeit in den Erklärungen gegeben sei oder diese Äußerungen möglicherweise grob seien. Hinzu komme, dass die Pflicht zur Loyalität, Zurückhaltung und Diskretion gegenüber dem Arbeitgeber bei Arbeitnehmern, die – anders als Beamte – innerhalb einer Privatrechtsbeziehung beschäftigt würden, nicht dasselbe Gewicht habe wie bei Beamten28. Außerdem hätten die türkischen Gerichte in keiner Weise geprüft, welche Wirkung die umstrittenen Handlungen der Beschwerdeführerin überhaupt haben konnten. Hierbei wäre zu beachten gewesen, dass die Beschwerdeführerin nicht diejenige gewesen war, welche die umstrittenen Mitteilungen verfasst und im Netz veröffentlicht hatte. Ihre Handlung bestand nur darin, dass sie auf das Feld „like“ unter den Mitteilungen geklickt hatte. Dass diese Likes eine besondere Wirkung in der Öffentlichkeit entfalten hatten, war weder geprüft noch festgestellt worden. Vielmehr war aus den Feststellungen der Gerichte erkennbar, dass einige Mitteilungen nur zehn Likes und einige Kommentare erhalten hatten. Aus Sicht des EGMR sei daher nicht anzunehmen, dass die Beschwerdeführerin mit ihren Verlautbarungen nennenswerten Einfluss auf die Diskussion ausgeübt habe. Auch dies hätte aber durch die Gerichte berücksichtigt werden müssen29. Vor diesen Überlegungen ausgehend ist der EGMR zu dem Ergebnis gelangt, dass die türkischen Gerichte keine stichhaltigen und ausreichenden Gründe zur Rechtfertigung der Kündigung angeführt hätten. Sie hätten damit keine Regeln angewendet, die mit den sich aus Art. 10 EMRK ergebenden Grundsätzen übereinstimmten. Außerdem hätten sie sich nicht auf eine angemessene Beurteilung der relevanten Tatsachen gestützt, was zur Folge hatte, dass mit den Entscheidungen Art. 10 EMRK verletzt wurde.
c)
Kündigung einer Polizeiärztin wegen einer Meinungsäußerung durch Kleinanzeige
Mit seinem Urteil vom 2.2.202230 hat das LAG Baden-Württemberg unter Berücksichtigung vergleichbarer Überlegungen die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung einer Polizeiärztin bestätigt. Von der Kündigung betroffen war eine Polizeiärztin, die im polizeiärztlichen Dienst (PÄD) Beamtinnen und Beamte des Polizeivollzugsdienstes in allen Stationen ihrer Lauf28 EGMR v. 15.6.2021 – 35786/19, NZA 2022, 33 Rz. 47 f. – Melike. 29 EGMR v. 15.6.2021 – 35786/19, NZA 2022, 33 Rz. 49, 51 ff. – Melike. 30 LAG Baden-Württemberg v. 2.2.2022 – 10 Sa 66/21, NZA-RR 2022, 262 Rz. 34 ff.
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Abmahnung bzw. Kündigung wegen Social-Media-Veröffentlichungen
bahn betreute und für die arbeits- und betriebsmedizinische Behandlung von Beschäftigten der Polizei zuständig war. Dazu gehörten auch Auswahl- und Einstellungsuntersuchungen. Bereits im Frühjahr 2020 rief die Klägerin zu insgesamt drei öffentlichen Kundgebungen auf, in denen sie deutliche Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie äußerte. Am 15.11.2020 veröffentlichte sie sodann in einer Sonntagszeitung unter „Verschiedenes“ eine Kleinanzeige, die wie folgt lautete: Infektionsschutzgesetz = Ermächtigungsgesetz Zwangsimpfung Wegnehmen der Kinder Schutzlos in der eigenen Wohnung Geschlossene Grenzen Arbeitsverbot Gefängnis Wir, die Bürger von Deutschland, sollen alle unsere Rechte verlieren. Wir müssen Widerstand leisten. 18.11.20, 14-17 Uhr Bundestag Berlin Es geht wirklich um ALLES! [Name der Klägerin]
Hintergrund der Kleinanzeige war, dass am 18.11.2020 vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite beschlossen wurde, mit dem ein nicht abschließender Beispielskatalog für notwendige Schutzmaßnahmen eingeführt wurde. Nachdem die Klägerin am 24.11.2020 freigestellt worden war, kam es am 3.12.2020 zu einem Personalgespräch, in dem sie über die Hintergründe und Motive der Kleinanzeige befragt wurde. Dabei hatte die Klägerin erklärt, dass sie mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ keinen Vergleich zum „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ aus dem Jahr 1933 gezogen habe. Vielmehr habe sie ihn in der korrekten Bedeutung verwendet, dass die gesetzgebende Gewalt die ausführende Gewalt ermächtige, Regelungen zu erlassen. Denn mit dem Gesetz seien Befugnisse des Parlaments auf das BMG oder die Bundesregierung in Form von Ermächtigungen übertragen worden. Dies habe sie kritisch gesehen und „plakative Ausdrücke“ verwenden wollen, um die Grundrechtseinschränkungen zu beschreiben. 201
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Das beklagte Land sah in diesen Erläuterungen der Klägerin keine ausreichende Rechtfertigung für die in der Kleinanzeige liegende Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.2.2021 zum 31.3.2021. Aus Sicht des LAG Baden-Württemberg war diese Kündigung durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und daher sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). Denn mit ihrer Kleinanzeige habe die Klägerin in erheblicher Weise die ihr aus § 241 Abs. 2 BGB obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers verletzt. Diese Verpflichtung sei auch durch § 3 Abs. 1 S. 2 TVL, der kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung kam, konkretisiert worden. Danach waren die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des GG zu bekennen. Dies gelte – so das LAG Baden-Württemberg – gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Auch außerhalb ihrer Arbeitszeit seien Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des öffentlichen Dienstes verpflichtet, sich ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal zu verhalten und auf dessen berechtigte Integritätsinteressen in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. Zu Gunsten der Klägerin sei zwar zu berücksichtigen, dass das Maß der abzuverlangenden Loyalität durch die Stellung und den Aufgabenkreis, der der konkreten Person laut Arbeitsvertrag übertragen sei (Funktionstheorie), bestimmt werden müsse. Auch sei zu beachten, dass die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) zu Gunsten der Arbeitnehmer auch im öffentlichen Dienst geschützt werde. Allerdings habe hier eine Interessenabwägung durchgeführt werden müssen, bei der die Meinungsfreiheit auf der einen Seite gegen die Interessen des beklagten Landes auf der anderen Seite abgewogen werden müsse. Auf dieser Grundlage könne zwar zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass sie – obwohl sie durchaus auch hoheitliche Aufgaben wahrnehme – „nur“ einer „einfachen“ politischen Treuepflicht unterworfen sei. Das streitgegenständliche Verhalten der Klägerin stelle aber einen Verstoß gegen diese Treuepflicht dar, der für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ausreiche. Denn die Klägerin habe nach dem Verständnis des Gerichts den Begriff des „Ermächtigungsgesetzes“ gerade nicht nur in einem formaljuristischen Sinne als „Ermächtigungsgrundlage“ genutzt. Vielmehr habe sie durch die Gleichsetzung des IfSG mit dem Ermächtigungsgesetz eine Verbindung zu staatlicher Allmacht hergestellt, die unmittelbar mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verbunden sei. Denn die Klägerin habe der Gleichsetzung beider Gesetze in ihrer Anzeige die Begriffe „Zwangsimpfung, Wegnehmen der Kinder, Schutzlos in der eigenen Wohnung, Ge202
Abmahnung bzw. Kündigung wegen Social-Media-Veröffentlichungen
schlossene Grenzen, Arbeitsverbot, Gefängnis“ folgen lassen. All dies seien Begriffe, die mit staatlichem Handeln gleichgesetzt würden. „Zwang“, „Schutzlos“ und „Wegnehmen“ beinhalteten überdies nicht nur irgendein staatliches Handeln, sondern ein solches, das die Rechte seiner Bürger breche und allein das Machtmonopol des Staates ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz durchsetze. Auch die Worte „Geschlossene Grenzen“, „Gefängnis“ und „Arbeitsverbot“ verlören jede neutrale Aussagekraft. Damit habe die Klägerin die gesetzgebenden Organe und damit einen Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einer Weise verdächtig gemacht, die mit der einfachen Treuepflicht des §§ 241 Abs. 2 BGB, 3 Abs. 1 S. 2 TVL nicht in Einklang zu bringen sei. Da die Pflichtverletzung auch schuldhaft erfolgt sei, insbesondere nicht „ad hoc“ formuliert wurde, komme auch eine Abmahnung als milderes Mittel zur Vermeidung einer künftigen Störung des Vertragsverhältnisses nicht in Betracht. Das Verächtlichmachen der gesetzgebenden Organe liege derart schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich sei. Denn die Klägerin habe die Gesetzgebung als ein Unrechtsorgan dargestellt, gegen das Widerstand zu leisten sei. Mit Recht und Ordnung, wofür auch die Polizei stehe, habe dies nichts mehr zu tun. Auch unter Berücksichtigung ihres Alters (54 Jahre) überwiege daher das Interesse des beklagten Landes, das Arbeitsverhältnis, das nur etwas mehr als ein Jahr bestanden hatte, zu beenden.
d)
Außerordentliche Kündigung wegen ausländerfeindlicher Facebook-Veröffentlichung
Bereits in seinem Urteil vom 27.2.201831 hatte das LAG Sachsen die außerordentliche Kündigung eines Straßenbahnfahrers bestätigt, der auf seiner privaten Facebook-Seite ausländerfeindliche Bilder publiziert hatte. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis wurde dadurch hergestellt, dass die Veröffentlichung neben einem Bild von sich in Dienstkleidung erfolgt war und auf dem Account zugleich auf die Beklagte als seinen Arbeitgeber verwiesen wurde. So hatte der Kläger unter seinem Namen nebst seinem Bild in Straßenbahndienstkleidung das Bild einer meckernden Ziege mit einer Sprechblase mit den Worten „Ahmed, ich bin schwanger“ veröffentlicht. Darüber hinaus hatte er die Berichterstattung über eine Gegendemonstration zu einem Aufmarsch der Partei „Der III. Weg“ mit einem sich übergebenden Emoji und einem vereinfachten Wahlzettel, auf dem sich als Alternative ein sog. Stinkefinger und die sog. Merkelraute befanden, kommentiert. Die örtliche Tagespresse nahm dies zum Anlass, unter der Überschrift „Straßenbahnfahrer 31 LAG Sachsen v. 27.2.2018 – 1 Sa 515/17, NZA-RR 2018, 244 Rz. 25 ff.
203
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
ein Rassist?“ über die Veröffentlichungen des Klägers zu berichten. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes hatten die Partei „Der III. Weg“ als rechtsextremistische und gewaltorientierte Partei engeschätzt. Obwohl der Kläger seinen Facebook-Account nach Einleitung der Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG noch am 22.12.2016 gelöscht hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 29.12.2016 außerordentlich (fristlos), hilfsweise zum 30.6.2017. Nach Auffassung des LAG Sachsen war bereits die außerordentliche (fristlose) Kündigung wirksam. Das vom Kläger im Internet gepostete Foto stelle – so das LAG Sachsen – eine menschenverachtende Schmähung und Geringschätzung einer ganzen ausländischen Bevölkerungsgruppe, nämlich der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, dar. Mit Ahmed, einem ursprünglich arabischen und heute vielfach in der Türkei benutzten Namen, werde insbesondere der türkische Mann angesprochen als ein Mensch, der Sodomie betreibe, d. h. Geschlechtsverkehr mit Tieren, hier einer Ziege, vollziehe. Die Ziege stehe platzhalterisch für die türkische Frau, die für tierischen Nachwuchs sorge. Damit würden die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verächtlich gemacht, auf eine tierische Ebene reduziert und eine zu achtende Menschenqualität in Frage gestellt. Da eine solche Publikation auch nicht als ein satirischer Beitrag qualifiziert werden könne, wenn es im Zusammenhang mit Veröffentlichungen einer rechtsextremistischen Partei bewirkt werde, liege darin auch eine schwere Verletzung der allgemeinen Pflicht zur Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Der hierfür erforderliche Bezug zum Arbeitsverhältnis liege bereits darin, dass der Kläger sich auf der Internet-Plattform öffentlich neben dem Ziegenbild in seiner Uniform als Straßenbahnschaffner und unter seinem Namen habe abbilden lassen. Damit sei für jeden Betrachter klar geworden, dass der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten sei und seine menschenverachtende Haltung in Bezug zur Beklagten dargestellt habe. Den Bezug dieser Schmähkritik gegenüber türkischen Ausländern habe die Beklagte nicht hinnehmen müssen. Dadurch seien ihre Interessen erheblich beeinträchtigt worden. Aus Sicht des LAG Sachsen hatte die Pflichtverletzung durch den Kläger ein so erhebliches Gewicht, dass auch eine Abmahnung nicht geboten war. Auch unter Berücksichtigung des Alters des Klägers und einer 24-jährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses liege daher ein wichtiger Grund vor, der nach § 626 Abs. 1 BGB die außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige.
204
Außerordentliche Kündigung in Compliance-Sachverhalten
e)
Fazit
Auch wenn es sich bei den vorstehenden Entscheidungen jeweils um einzelfallbezogene Bewertungen handelt, wird doch übergreifend erkennbar, dass auch durch eine Meinungsäußerung im vermeintlichen Privatbereich Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt werden können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Bezug zum Arbeitsverhältnis bzw. den arbeitgeberseitigen Interessen hergestellt werden kann. In der Regel dürfte dabei eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Rede stehen, bei der jeweils individuell die Notwendigkeit einer Abmahnung geprüft werden muss. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass durch entsprechende Verlautbarungen eines Arbeitnehmers auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Meinungsäußerung eine personenbedingte Kündigung gerechtfertigt ist. Beispielhaft sei nur auf die fehlende Zuverlässigkeit eines Arbeitnehmers verwiesen, die durch sein außervertragliches Verhalten in Frage gestellt wird, aber für eine weitere Beschäftigung im Arbeitsverhältnis erforderlich ist32. In ähnlicher Weise kann die personenbedingte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in Rede stehen, wenn Meinungsäußerungen erkennbar machen, dass religiöse oder karitative Zielsetzungen eines Tendenzträgers durch eine Person, die unmittelbar in einer Tendenzfunktion mit Sendungsauftrag beschäftigt wird, in Frage gestellt werden. Fehlt allerdings ein Bezug zum Arbeitsverhältnis, muss ein Arbeitgeber hinnehmen, dass außerhalb des Arbeitsverhältnisses im privaten Umfeld Meinungen vertreten werden, die insbesondere auf der politischen Ebene nicht mit den Auffassungen des Arbeitgebers und/oder einer gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung vereinbar sind. (Ga)
4.
Außerordentliche Kündigung in ComplianceSachverhalten: Beginn der Zwei-Wochen-Frist
Grundsätzlich kann die außerordentliche (fristlose) Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 Abs. 2 BGB). Dabei genügt es allerdings nicht, dass lediglich Anhaltspunkte für einen Sachverhalt bestehen, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnten. Vielmehr setzt der Fristbeginn voraus, dass der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlä32 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 23.10.2014 – 21 Sa 800/14, NZA-RR 2015, 241 Rz. 46.
205
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das konkrete Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Ist diese Kenntnis nicht gegeben, kann der Kündigungsberechtigte nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen beginnt. Wie das BAG in seinem Urteil vom 27.2.202033 deutlich gemacht hat, besteht keine Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer belastende Tatsachen zu ermitteln, um daran anknüpfend eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Ungeachtet dessen wird der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB gehemmt, solange der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen und Beweismittel verschaffen soll, um eine Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu treffen. Wie das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 3.11.202134 deutlich gemacht hat, sind die Voraussetzungen für einen Beginn der Kündigungserklärungsfrist allerdings jeweils individuell festzustellen. Dies gilt auch im Zusammenhang mit Compliance-Untersuchungen, die gegen eine Mehrzahl von Arbeitnehmern als potenziell Beschuldigte geführt werden. Insofern kann es zwar für die Feststellung kündigungsrelevanter Tatsachen in Bezug auf einen bestimmten Arbeitnehmer erforderlich sein, eine Reihe von Gesprächen auch mit anderen Arbeitnehmern zu führen, zu denen auch weitere Beschuldigte gehören. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB beginnt dann aber individuell in Bezug auf jeden einzelnen Arbeitnehmer zu dem Zeitpunkt, zu dem eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der in Bezug auf den einzelnen Arbeitnehmer maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel erreicht sind, aus denen auch der Grund für die außerordentliche Kündigung geschlossen wird. Wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, zunächst den gesamten Sachverhalt aufzuklären, um dann gleichzeitig über etwaige Maßnahmen gegenüber allen Beschuldigten zu entscheiden, kann dies also in Bezug auf einzelne Arbeitnehmer mit einem Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB verbunden sein. Gerade wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person handelt, sind bei der Frage, wessen Kenntnis für den Fristbeginn maßgeblich ist, mehrere Personen zu berücksichtigen. Darauf hatte das BAG noch einmal in
33 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 30 f.; vgl. dazu Giese/Dachner, NZA 2022, 538. 34 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 140).
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Außerordentliche Kündigung in Compliance-Sachverhalten
seinem Urteil vom 27.2.202035, auf das wir bei früherer Gelegenheit bereits hingewiesen hatten36, deutlich gemacht. Denn hier ist nicht nur die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Wenn für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt sind, genüge schon die Kenntnis eines der Gesamtvertreter. Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehörten zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen habe. Nach diesen Grundsätzen ist die Kenntnis anderer Personen für die ZweiWochen-Frist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gälte – so das BAG – selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden seien. Nur ausnahmsweise müsse sich der Arbeitgeber die Kenntnis auch anderer Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssten diese Personen aber (1) eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie (2) tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht ein Kündigungsberechtigter ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen könne. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, sei (3) ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt habe, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruhe. Diese Voraussetzungen – nämlich die „ähnlich selbständige Stellung“ und der schuldhafte Organisationsmangel in Bezug auf die Kenntniserlangung – müssten kumulativ vorliegen und bei einer Zurechnung durch das Arbeitsgericht positiv festgestellt werden37. In seinem Urteil vom 3.11.202138 hat das LAG Baden-Württemberg diese Grundsätze übernommen und ist schlussendlich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zwei-Wochen-Frist als Folge der Dauer von Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einem Compliance-Sachverhalt abgelaufen war. Die außerordentliche Kündigung, die der Arbeitgeber nach Abschluss dieser Ermittlungen ausgesprochen hatte, war deshalb unwirksam. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte, die im Bereich der Luftund Raumfahrt mehrfach als Auftragnehmerin für die Bundeswehr bzw. das 35 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 32. 36 B. Gaul, AktuellAR 2020, 531 ff. 37 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 32; BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07 n. v. (Rz. 22). 38 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 143).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
BMVg tätig geworden war, den als Key-Account-Manager beschäftigten Kläger mit der Begründung gekündigt, dass er Dokumente und Informationen der Bundeswehr, die der Geheimhaltung unterlegen hätten und zu deren Besitz er nicht berechtigt gewesen sei, wiederholt erhalten und mit Kollegen ausgetauscht habe. Darüber hinaus sei er über derartiges pflichtwidriges Verhalten seiner nachgeordneten Mitarbeiter informiert worden und dagegen nicht vorgegangen. Die diesem Vorwurf zugrunde liegenden Tatsachen hatte der Arbeitgeber durch Ermittlungen einer Anwaltskanzlei erlangt, die unter der Leitung des Leiters Recht und Compliance in der Zeit vom Juli 2018 bis zum September 2019 durchgeführt wurden. Aus Sicht des LAG Baden-Württemberg handelt es sich bei dem Leiter Recht und Compliance um eine Person, die zwar nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war. Der für das Personal zuständige Geschäftsführer als Kündigungsberechtigter hätte aber die Pflicht gehabt, sich regelmäßig über den Stand der Ermittlungen berichten zu lassen, um zeitnah entscheiden zu können, ob und gegenüber wem er arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen wolle und aus wettbewerbsrechtlicher Sicht unter dem Stichwort „Selbstreinigung“ (§ 125 GWB) zu ergreifen habe. Der Leiter Recht und Compliance, der durch die beauftragte Kanzlei regelmäßig über den Fortgang und die Ergebnisse der Untersuchungen in Kenntnis gesetzt wurde, wäre auch eine Person gewesen, deren Wissen er sich hätte zu Nutze machen können und müssen. Dies gelte selbst dann, wenn vor dem Ausspruch einer wirksamen Verdachtskündigung die Anhörung des betroffenen Arbeitsnehmers zu erfolgen habe und diese Entscheidung durch den Geschäftsführer getroffen worden sei. Denn schlussendlich habe sich die Geschäftsführung bei ihrer Entscheidung auf die Erkenntnisse der ComplianceAbteilung und der beauftragen Kanzlei verlassen, ohne selbst in eine Prüfung einzutreten bzw. eintreten zu können. Unter diesen Voraussetzungen hätte die Geschäftsführung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch regelmäßige Kontrolle und Auftragserteilung sicherstellen müssen, dass die Ermittelnden Informationen nicht zu spät weiterleiten. Dies aber war im konkreten Fall nicht erfolgt39. Insoweit weist das LAG Baden-Württemberg auch zu Recht darauf hin, dass die Einrichtung einer Compliance-Abteilung nicht dazu führen dürfe, dass ein Arbeitgeber im Interesse effektiver Bekämpfung von Rechtsverstößen ein Verfahren etabliere, dass den Kündigungsberechtigten für eine gewisse Zeit „blind, taub und stumm“ mache und in Kauf nehme, dass Reaktionen gegenüber betroffenen Arbeitnehmern ver39 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 146 ff., 155).
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Außerordentliche Kündigung in Compliance-Sachverhalten
zögert würden. Dabei könne dahinstehen, ob das Verfahren nur mit eigenen Beschäftigten durchgeführt werde oder aber – wie vorliegend – unter Beteiligung externer Ermittler. Werde die Kenntniserlangung des Kündigungsberechtigten durch eine fehlerhafte Organisation des Betriebs verzögert, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre, gehe diese Verzögerung zu Lasten des Arbeitgebers. Insofern müsse der Satz, selbst grob fahrlässige Unkenntnis sei der Kenntnis nicht gleichzustellen 40, mit Vorsicht behandelt werden: Grob fahrlässige (oder auch nur fahrlässige!) Unkenntnis von Organisationsverschulden könne zur Wissenszurechnung führen41. Es ist außerordentlich wichtig für die betriebliche Praxis, diese Grundsätze bei der Ermittlung der einer außerordentlichen Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen zu berücksichtigen. Dies kann vor allem dadurch geschehen, dass solche Ermittlungen nicht durch Personen geführt werden, die alleine oder gemeinsam mit anderen zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt wären. Sie können auch dadurch Beachtung finden, dass sich der Kündigungsberechtigte ausdrücklich vorbehält, nach Abschluss dieser Ermittlungen ggf. weitere Nachforschungen – insbesondere eine Anhörung des Betroffenen – durchzuführen, um daran anknüpfend eine eigene Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu treffen. Denn mit dieser Vorgabe wird vermieden, dass die Entscheidung des Kündigungsberechtigten über den Ausspruch der Kündigung ohne Weiteres auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses getroffen wird. Sollten allerdings auch insoweit Bedenken bestehen, wird man die Entscheidung treffen müssen, vorsorglich möglichst frühzeitig eine Kündigung auszusprechen. Denn auch eine bereits ausgesprochene Kündigung kann, wie das BAG im Urteil vom 12.1.202142 zur sog. „Blanko-Kündigung“ deutlich gemacht hat, im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung ebenfalls auf Gründe gestützt werden, die durch den Arbeitgeber erst im Rahmen von Ermittlungen festgestellt werden, die nach Ausspruch der Kündigung geführt werden. Voraussetzung ist lediglich, dass das Fehlverhalten bereits vor Ausspruch der Kündigung stattgefunden hat und dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bekannt war. War dies der Fall, kann der entsprechende Sachverhalt nicht nur – aus Gründen der äußersten Vorsorge – zum Anlass einer weiteren (vorsorglichen) Kündigung
40 So BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 31. 41 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 151); Schimmelpfenning, CCZ 2008, 161, 163. 42 BAG v. 12.1.2021 – 2 AZN 724/20, NZA 2021, 710.
209
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
des Arbeitsverhältnisses genommen werden. Nach Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG kann der Sachverhalt auch zur Rechtfertigung der bereits ausgesprochenen Kündigung im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung nachgeschoben werden. (Ga)
5.
Aufhebungsverträge: Rechtsfolgen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
a)
Ausgangssituation
In vielen Fällen wird die Beendigung von Arbeitsverhältnissen nicht durch Kündigung vorgenommen, sondern ist die Rechtsfolge eines zwischen den Parteien abgeschlossenen Aufhebungsvertrags. Hier haben beide Parteien ein hohes Interesse daran, möglichst frühzeitig Einvernehmen über die Regelungen eines Aufhebungsvertrags zu erreichen. Dabei geht es darum, alle offenen Fragen in einer möglichst wirksamen Weise zu regeln, damit ergänzende Auseinandersetzungen vermieden werden.
b)
Aufhebungsvertrag und AGB-Kontrolle
Ausgehend davon, dass Aufhebungsverträge durch den Arbeitgeber häufig als Vertragsmuster für eine Vielzahl von Fällen vorbereitet werden, handelt es sich bei den darin enthaltenen Klauseln in der Regel um AGB, die durch den Arbeitgeber der anderen Vertragspartei – also dem Arbeitnehmer – bei Abschluss des Vertrags gestellt werden (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB). Konsequenz dieser Einordnung ist, dass eine Vielzahl der Regelungen eines Aufhebungsvertrags auf der Grundlage von §§ 305 b, 305 c BGB einer umfassenden Einbeziehungskontrolle sowie einer umfassenden Inhaltskontrolle nach den §§ 307, 308 f. BGB unterliegen. Als AGB gilt allerdings nicht nur der klassische „Musteraufhebungsvertrag“, der sich gewiss in jeder Personalabteilung in Form einer „Standardvorlage“ finden lassen dürfte. Besondere Bedeutung hat der Umstand, dass Arbeitnehmer als Verbraucher i. S. v. § 13 BGB anzusehen sind43. Denn damit können auch individuelle Regelungen im Rahmen eines Aufhebungsvertrags als AGB zu behandeln sein. Insoweit ist nicht nur zu vermuten, dass die Einbringung der AGB durch den Arbeitgeber erfolgt (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Vielmehr finden auf die Klauseln auch die Schranken aus §§ 305 c Abs. 2, 306 ff. BGB Anwendung, wenn der Arbeitgeber den Kerngehalt der Klausel nicht ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verwendungsgegner 43 Vgl. BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111.
210
Aufhebungsverträge: Rechtsfolgen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
keine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen einräumt. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber sich nicht ernsthaft zu Änderungen bereit erklärt hat oder dem Arbeitnehmer seine Einflussmöglichkeiten nicht bewusst sind44. Verstoßen Klauseln eines Aufhebungsvertrags gegen die §§ 305 ff. BGB, kann dies für Arbeitgeber empfindliche Folgen haben. Denn der Verstoß hat zur Folge, dass die Klausel insgesamt unwirksam ist. Eine geltungserhaltende Reduktion des Regelungsinhalts auf ein noch mit dem AGB-Recht zu vereinbarendes Maß findet grundsätzlich nicht statt45. Eine teilweise Aufrechterhaltung einer Klausel ist nur dann zulässig, wenn die Klausel durch bloße Streichungen sprachlich teilbar und der nach einer solchen Teilung noch verbliebene Teil der Klausel verständlich und wirksam ist46. Voraussetzung ist allerdings, dass die Unwirksamkeit durch den Arbeitnehmer geltend gemacht wird. Denn wenn es um einen Verstoß gegen die Grundsätze des AGB-Rechts geht, dann wirkt dieses wie eine „Einbahnstraße“. Nur der Arbeitnehmer kann sich auf die Unwirksamkeit berufen47. Erfolgt dies nicht, ist die Klausel trotz der darin liegenden Missachtung der Schranken der AGB-Kontrolle für den Arbeitgeber verbindlich. Dies gilt selbst dann, wenn eine salvatorische Klausel vereinbart wird. Denn auch diese Klausel kann das Verbot einer geltungserhaltenden Reduktion nicht beseitigen48. Denkbar ist allein, dass die Anwendung allgemeiner Grundsätze eine ergänzende Vertragsauslegung zur Folge hat, die konkrete Handlungspflichten bewirkt49.
c)
Das Gebot fairen Verhandelns
Wie die aktuelle Entscheidung des BAG vom 24.2.202250 deutlich macht, kann die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags allerdings auch durch die (äußeren) Umstände, unter denen der Abschluss eines Aufhebungsvertrags erfolgt, in Frage gestellt werden. Prinzipiell geht es dabei um die allgemeinen Grundsätzen und Schranken der Vertragsfreiheit, insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Anfechtung Vgl. BAG v. 19.8.2015 – 5 AZR 500/14 n. v. (Rz. 17). Vgl. BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07, NZA 2008, 1173 Rz. 47. Vgl. BAG v. 6.5.2009 – 10 AZR 443/08, NZA 2009, 783 Rz. 11. Vgl. BGH v. 25.2.2016 – VII ZR 49/15, NJW 2016, 1572 Rz. 42. Abweichend hiervon führen Verstöße gegen sonstige (gesetzliche) Verbote zur „automatischen“ Unwirksamkeit, vgl. BAG v. 26.11.2020 – 8 AZR 58/20, NZA 2021, 702 Rz. 68 ff. 48 Vgl. BAG v. 28.5.2013 – 3 AZR 103/12, NZA 2013, 1419 Rz. 20; BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111. 49 Vgl. BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 378/16, NZA 2018, 100 Rz. 23. 50 Vgl. BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. 44 45 46 47
211
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) oder das Verbot sittenwidriger Rechtsgeschäfte (§ 138 BGB). Dabei gibt es allerdings weder eine Pflicht zum sofortigen Abschluss eines Aufhebungsvertrags51, noch stehen fehlende Sprachkenntnisse52 oder ein geringer Bildungsstand der anderen Vertragspartei der Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags per se entgegen. Auch muss an sich keine Bedenkzeit eingeräumt werden53. Auch der Umstand, dass der Abschluss des Aufhebungsvertrags in der Wohnung des Arbeitnehmers erfolgt, reicht allein noch nicht zur Nichtigkeit des Aufhebungsvertrags nach § 138 BGB oder zur Begründung eines Rücktritts- oder Widerrufsrechts nach §§ 312, 355 ff. BGB aus54. Selbst eine Erkrankung des Arbeitnehmers steht Gesprächen über eine etwaige Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder dem wirksamen Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht automatisch entgegen55. Allerdings kann die auf den Abschluss des Aufhebungsvertrags gerichtete Erklärung des Arbeitnehmers nicht nur wegen Erklärungsirrtums angefochten werden. Das verlangt nach § 119 Abs. 1 BGB, dass der Arbeitnehmer bei Abgabe der Willenserklärung eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, weil er sich im Irrtum über den objektiven Sinn seiner Erklärung befindet56. Denkbar ist auch, dass die Anfechtung gemäß § 123 BGB wegen einer Drohung des Arbeitgebers mit einer Kündigung, die ein „verständiger Arbeitgeber“ nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, erfolgt57. In beiden Fällen besteht das Arbeitsverhältnis fort; der Aufhebungsvertrag ist rückwirkend (ex tunc) nichtig. Die wechselseitigen Leistungen sind rückabzuwickeln. In Abweichung dieser allgemeinen Grundsätze und Schranken hatte der 6. Senat des BAG in seinem Urteil vom 7.2.201958 allerdings die These entwickelt, nach der die Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags auch auf der Grundlage von §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB als Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution wegen einer Missachtung des bei Vertragsverhandlungen zu beachtenden Gebots fairen Verhandelns geltend gemacht werden könne. Diesen Anspruch hat das BAG in seinem Urteil
51 52 53 54 55 56 57 58
Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 7.3.2019 – 5 Sa 301/18 n. v. (Rz. 37). Vgl. BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12, NZA 2014, 1076 Rz. 39 ff. BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 34. Vgl. BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 13 ff. Vgl. BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 46. Vgl. BAG v. 5.4.1990 – 2 AZR 337/89 n. v. Vgl. BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 Rz. 48. Vgl. BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688.
212
Aufhebungsverträge: Rechtsfolgen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
vom 24.2.202259 noch einmal bestätigt. Auf tatbestandlicher Seite setze ein solcher Schadensersatzanspruch voraus, dass durch eine der Parteien eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung der anderen Partei über den Abschluss des Aufhebungsvertrags erheblich erschwere oder unmöglich mache. Dies sei einzelfallbezogen festzustellen. Im Ergebnis schütze das Gebot fairen Verhandelns daher nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss. Das unterscheide das Gebot auch von der Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 BGB. § 138 BGB verdränge daher nicht einen Anspruch wegen Verletzung des Gebots fairen Verhandelns und sei auch nicht vorrangig zu prüfen. Beide Regelungen stünden selbständig nebeneinander. Von diesen Grundsätzen ausgehend lehnt das BAG zwar ab, von einer unzulässigen Einschränkung der Entscheidungsfreiheit bereits dann auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer keine Bedenkzeit oder ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt werde. Es bestehe auch keine Verpflichtung, die Absicht, einen Aufhebungsvertrag abschließen zu wollen, im Vorfeld anzukündigen. Eine Verhandlungssituation sei allerdings dann als ungerecht zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder sogar unmöglich mache. Dies könne – so das BAG – durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenkten oder sogar den Fluchtinstinkt weckten, geschehen. Hier verweist das BAG noch einmal auf den Fall, dass ein Arbeitnehmer unter einem anderen Vorwand in das Zimmer des Vorgesetzten gebeten werde, um ihn dort mehrere Stunden in einer kreuzverhörähnlichen Situation und von Außenkontakten isolierten Situation so lange festzuhalten, bis er den Aufhebungsvertrag unterzeichne60. Abweichend von den Feststellungen des LAG Mecklenburg-Vorpommern im Urteil vom 19.5.202061 genüge indes vom Arbeitgeber an dem Verhalten des Arbeitnehmers geübte Kritik und eine daraufhin eintretende Betroffenheit des Arbeitnehmers für sich genommen noch nicht, um von einer rechtlich zu missbilligenden Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers auszugehen62. Denkbar sei allerdings die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Auch hier kommt es aber auf den Einzelfall an. Darüber hinaus sei der Ar-
59 60 61 62
BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 21 ff.). BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 26). LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 19.5.2020 – 5 Sa 173/19 n. v. (Rz. 34 f.). BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 26).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
beitgeber nicht gehalten, ohne Vorliegen objektiver Anhaltspunkte von sich aus besondere Vorkehrungen im Hinblick auf die freie Entscheidungsfähigkeit des Arbeitnehmers zu treffen und diesen beispielsweise nach einer etwaigen Medikamenteneinnahme zu befragen. Dies gelte auch dann, wenn die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag während einer längeren Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erfolgten63. Nach den Feststellungen des BAG kann die Nutzung eines Überraschungsmoments die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Der bloße Umstand, dass dem Arbeitnehmer kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt wurde, genügt indes nicht. Auch sei es nicht erforderlich, im Vorfeld der Verhandlungen anzukündigen, dass ein Aufhebungsvertrag unterbreitet würde64. Dabei verweist das BAG zu Recht auch auf § 147 Abs. 1 S. 1 BGB und stellt klar, dass der Arbeitgeber seine Pflichten aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB nicht bereits dadurch verletze, dass er sein Aufhebungsvertragsangebot nur zur sofortigen Annahme unterbreite und der Arbeitnehmer über die Annahme daher sofort entscheiden müsse65. Ein solches Angebot, nur „jetzt und heute“, bleibt also zulässig. Dies gilt selbst dann, wenn damit die Bitte um Einholung von Rechtsrat abgelehnt und das Angebot nur zur sofortigen Annahme unterbreitet wird. Diesem Druck könne sich der Arbeitnehmer durch ein schlichtes „Nein“ entziehen66. Es ist zu begrüßen, dass sich das BAG in dem jetzt vorliegenden Urteil intensiv mit einer Vielzahl von denkbaren Fallgestaltungen auseinandergesetzt und der betrieblichen Praxis damit sehr geholfen hat. Sie muss die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abgrenzen. Schließlich soll das Gebot fairen Verhandelns den zulässigen Druck, mit dem der Arbeitgeber auf legitime Weise versucht, seine Verhandlungsziele zu erreichen, nicht verbieten. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer bei einer objektivierten Betrachtungsweise davon ausgehen müsse, dass ihm nur noch eine Option – nämlich die der Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag – verbleibe, um sich der Verhandlungssituation zu entziehen, sei seine Entscheidungsfreiheit unfair beeinträchtigt. Führe der Arbeitgeber eine solche Situation herbei
63 BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 26); LAG Hessen v. 11.6.2021 – 10 Sa 1221/20 n. v. (Rz. 26). 64 BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 26). 65 BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 27). 66 BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 29).
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Aufhebungsverträge: Rechtsfolgen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
oder nutze er sie aus, verletze er die Entscheidungsfreiheit zurechenbar und schuldhaft (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 276 BGB)67. Wenn die Voraussetzungen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns erfüllt sind, kann der davon betroffene Arbeitnehmer geltend machen, im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) so gestellt zu werden, als habe er den Aufhebungsvertrag nie geschlossen68. Dieser Weg über die Naturalrestitution birgt allerdings vielfältige Probleme auch auf der Rechtsfolgenseite. So stellt sich die Frage, ob der vom BAG ersonnene Weg des Schadensersatzanspruchs – analog den Anfechtungsregeln nach den §§ 119 ff. BGB – mit dessen Geltendmachung zu einer Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags führt oder ob ein Anspruch auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags besteht, der zu einer Wiedereinstellung führt. Der Weg der Unwirksamkeit hätte zur Folge, dass auch dann keine Vertragsbeendigung eintreten würde, wenn der Arbeitnehmer ungeachtet der unfairen Vorgehensweise des Arbeitgebers an dem Aufhebungsvertrag festhalten würde. Bei der Annahme eines Anspruchs auf Wiedereinstellung wäre zu klären, welchen Inhalt der Arbeitsvertrag hat, der – unter Übernahme des bis dahin erworbenen Besitzstands – durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer neu abgeschlossen und im Klageweg durch Fiktion der Annahme des Arbeitgebers durchgesetzt werden müsste. Ebenfalls offen ist, ob der Vertrag bis zu seiner Geltendmachung wirksam oder schwebend unwirksam ist. Gleiches gilt für die Frage, ob und inwieweit Ausschluss- und Verjährungsfristen Anwendung finden sollen. In dem hier in Rede stehenden Fall sind diese Probleme allerdings nicht zum Tragen gekommen. Denn das BAG hat in seinem Urteil vom 14.2.202269 die vorangehende Entscheidung des LAG Hamm, über die wir im Herbst berichtet hatten70, bestätigt und einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns abgelehnt. Dabei hat der 6. Senat deutlich gemacht, dass ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht bereits dann gegeben ist, wenn der Arbeitgeber einen Rechtsanwalt zu den Vertragsverhandlungen hinzuziehe, einen Aufhebungsvertrag vorlege, der nur sofort abgeschlossen werden könne, und dies mit der – im Streitfall nicht widerrechtlichen – Drohung verbinde, er werde wegen einer schweren Pflichtverletzung des Arbeitnehmers eine fristlose Kündigung aussprechen und Strafanzeige erstatten. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden
67 68 69 70
BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 28 f.). Vgl. BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 39. Vgl. BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. (Rz. 30 ff.). B. Gaul, AktuellAR 2021, 535 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Fall war der Klägerin im Rahmen des Gesprächs vorgeworfen worden, die ihren vermeintlichen Vertriebserfolgen und der daraus resultierenden Vergütung zugrunde liegenden Zahlen in den Systemen der Beklagten manipuliert zu haben. Dass der Arbeitgeber in dem Gespräch, zu dem die Klägerin eingeladen worden war, ohne sich darauf vorbereiten zu können, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung ankündigte, stelle angesichts eines solchen Sachverhalts auch keine widerrechtliche Drohung dar. Dies gelte selbst dann, wenn dem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit eröffnet worden sei, einen Rechtsbeistand zu diesem Gespräch hinzuzuziehen. Gerade weil die Willensentschließungsfreiheit grundsätzlich bereits durch § 123 Abs. 1 BGB geschützt werde, könne die Anerkennung eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns nur in Extremfällen erfolgen. Dies sei insbesondere mit Blick auf den Umstand anzunehmen, dass die Bedingungen, unter denen das Gespräch über den Aufhebungsvertrag geführt wurden, weder durch unsachliche noch durch aggressive oder beleidigende Äußerungen geprägt gewesen seien. Auch der Gesundheitszustand der Klägerin sei, als sie den Vertrag unterzeichnete, nach den Feststellungen des LAG Hamm nicht beeinträchtigt gewesen. Außerdem habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Klägerin vor dem Gespräch einem besonderen Arbeitsdruck ausgesetzt oder von den Strapazen eines langen Arbeitstags erschöpft war; das Gespräch fand zur Mittagszeit statt. Auch diese Sichtweise hat das BAG in seiner Entscheidung bestätigt. Für die betriebliche Praxis bestätigen die aktuellen Klarstellungen des BAG, dass ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns nur in Ausnahmesituationen denkbar ist. Eine harte und konsequente Verhandlungsführung ist nicht automatisch unfair. Damit wird man einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns ohne große Probleme vermeiden können. Dafür sollte bei der Auswahl von Ort, Zeitpunkt und etwaigen Teilnehmern das Entstehen einer möglichen Überrumpelungssituation vermieden werden. Gleichzeitig sollten die Verhandlungen so geführt werden, dass keine Situation gegeben ist, die von Druck, Überrumpelung und Enge geprägt ist und zugleich existenzielle Fluchtbedürfnisse weckt. Diese Vorkehrungen verbieten nicht, in solchen Gesprächen weiterhin an eine Drohung mit einer (außerordentlichen) Kündigung oder Strafanzeige zu denken, wenn objektive Anhaltspunkte für die Annahme gegeben sind, dass eine entsprechende Kündigung erklärt bzw. Strafanzeige gestellt werden kann. Das Gleiche gilt für den Umstand, die Möglichkeit der Einholung von Rechtsrat selbst dann abzulehnen, wenn der Arbeitgeber durch einen
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Unterlassener Zwischenverdienst während des Annahmeverzugs
Rechtsanwalt oder einen Syndikusrechtsanwalt begleitet wird71. Darin liegt kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhaltens, selbst wenn es schon personalpolitisch in der Regel empfehlenswert sein dürfte, hiervon abweichend eine Bedenkzeit einzuräumen und eine Frist für eine Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags innerhalb von 24 Stunden festzulegen.
d)
Fazit
Im Hinblick auf eine möglichst konfliktfreie Beendigung von Arbeitsverhältnissen sind Aufhebungsverträge das bessere – häufig nicht einmal teurere – Mittel zur Vertragsbeendigung. Sie sind geeignet, für beide Parteien eine win-win-Situation zu schaffen. Gleichwohl können – und müssen – Aufhebungsverträge gut vorbereitet werden. Wichtig ist insbesondere, neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die wechselseitigen Rechte und Pflichten während seiner verbleibenden Abwicklung klarzustellen. Dabei verlangen die AGB-Kontrolle und gesetzliche Veränderungen (z. B. GeschGehG, HinSchG) auch beim Aufhebungsvertrag eine kontinuierliche Anpassung in Bezug auf Inhalt und Verfahren. Zudem sind steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Folgen zu beachten, wobei Arbeitgeber diesbezüglich nur im Ausnahmefall Aufklärungspflichten treffen dürften. In der Regel rechtfertigt das Ergebnis allerdings die damit verbundenen Mühen. (Ga/Br)
6.
Unterlassener Zwischenverdienst während des Annahmeverzugs nach Weiterbeschäftigungsurteil
Sind die anspruchsbegründenden Voraussetzungen von § 615 S. 1 BGB erfüllt, so dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzugs die vereinbarte Vergütung zu zahlen hat (§ 611 a Abs. 2 BGB), ohne dass dieser zur Nachleistung der Arbeit verpflichtet ist72, muss sich der Arbeitnehmer jedoch nach § 615 S. 2 BGB – nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nach § 11 Nrn. 1, 2 KSchG73 – den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Damit wird der Erfüllungsanspruch auf Zahlung der vertraglich vereinbarten Vergütung (§ 611 a Abs. 2 BGB) auf-
71 Vgl. BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21 n. v. 72 BAG v. 21.10.2015 – 5 AZR 843/14, NZA 2016, 688 Rz. 37. 73 BAG v. 2.10.2018 – 5 AZR 376/17, NZA 2018, 1544 Rz. 28: Diese Vorschrift enthält für den Annahmeverzug nach einer Kündigung im Geltungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG eine Spezialregelung zu § 615 S. 2 BGB.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
rechterhalten, aber automatisch durch den anderweitigen Verdienst oder den böswillig unterlassenen Verdienst gekürzt74, wodurch bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs eingeschränkt und keine Aufrechnungslage begründet wird75. § 615 S. 2 BGB regelt nicht Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, sondern die nach anderen Maßstäben zu beurteilende Obliegenheit, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen76. Der Arbeitgeber trägt für die Einwendungen nach § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 Nrn. 1, 2 KSchG die Darlegungs- und Beweislast77. Böswillig i. S. v. § 615 S. 2 BGB und § 11 Nr. 2 KSchG unterlässt der Arbeitnehmer anderweitigen Erwerb78, wenn er unter Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich und vorwerfbar79 untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert80. Dabei setzt Böswilligkeit aber nicht voraus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zu schädigen beabsichtigt81. Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann ihren Grund insbesondere in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder in den sonstigen Arbeitsbedingungen finden82. Was dem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist, kann man ihm nicht vorwerfen oder von ihm verlangen. Auch die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber, der sich im Verzug befindet, kann böswillig unterlassen werden83. Dies gilt ungeachtet dessen, dass die anderweitige Beschäftigung, die der Arbeitgeber anbietet, stets vertragswidrig ist. Würde nämlich der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wie-
74 BAG v. 23.2.2021 – 5 AZR 213/20, NZA 2021, 938 Rz. 12; BAG v. 2.10.2018 – 5 AZR 376/17, NZA 2018, 1544 Rz. 29. 75 BAG v. 19.5.2021 – 5 AZR 420/20, NZA 2021, 1324 Rz. 14; BAG v. 23.2.2021 – 5 AZR 213/20, NZA 2021, 938 Rz. 12. 76 BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rz. 20. 77 BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rz. 27 (Auskunftsanspruch des Arbeitgebers über Vermittlungsvorschläge der staatlichen Arbeitsvermittlungsstellen). 78 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 23.2.2021 – 5 AZR 213/20, NZA 2021, 938 Rz. 14; BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 19; BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rz. 17. 79 BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 17. 80 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 113 Rz. 13. 81 BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 17. 82 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 113 Rz. 13. 83 BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 17.
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Unterlassener Zwischenverdienst während des Annahmeverzugs
der die vertraglich geschuldete Arbeit anbieten, führte dieses Angebot zur sofortigen Beendigung des Annahmeverzugs. Um insbesondere während der prozessualen Auseinandersetzung über die Berechtigung einer ausgesprochenen Kündigung das wirtschaftliche Risiko, eine Vergütung ohne Gegenleistung aus Annahmeverzug an den Arbeitnehmer zahlen zu müssen, zu relativieren oder auszuschließen, kann der Arbeitgeber die Initiative ergreifen und dem Arbeitnehmer zweckbefristet durch das Prozessende oder unter der auflösenden Bedingung der Abweisung der Kündigungsschutzklage eine Weiterbeschäftigung auf der Grundlage einer vertraglichen Regelung (Prozessarbeitsverhältnis) anbieten. Andererseits kann auch der gekündigte Arbeitnehmer seit der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.2.198584 außerhalb der Regelung des § 102 Abs. 5 BetrVG (§ 79 Abs. 2 BPersVG) einen im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses geltend machen, wenn entweder eine offensichtlich unwirksame Kündigung des Arbeitgebers vorliegt oder im Kündigungsschutzprozess erster Instanz ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes arbeitsgerichtliches Urteil ergeht. Der allgemeine arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch kann dabei in Verbindung mit einer Kündigungsschutzklage als unechter Eventualantrag klageweise durchgesetzt werden85. Das durch Zwangsvollstreckung erzwingbare Beschäftigungsverhältnis entfällt jedoch, sobald das die Weiterbeschäftigungspflicht aussprechende Urteil aufgehoben wird86. Vollzieht der Arbeitgeber die Prozessbeschäftigung, zu der er verurteilt worden ist, geschieht dies nicht auf der Grundlage eines Vertrags, vielmehr aufgrund einer aus dem Urteil des Arbeitsgerichts resultierenden Rechtspflicht. Der vorläufige Titel über die Prozessbeschäftigung ist dabei zugleich mit der Obliegenheit für den Arbeitnehmer verbunden, sich seiner zu bedienen, um nicht dem Einwand der Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG bei einem auf § 615 S. 1 BGB gestützten Vergütungsanspruch ausgesetzt zu sein87.
84 85 86 87
BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702. BAG v. 27.5.2015 – 5 AZR 88/14, NZA 2015, 1053 Rz. 44, 46. BAG v. 8.4.2014 – 9 AZR 856/11 n. v. (Rz. 39). BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 247/19, NZA 2020, 1169 Rz. 50; BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 251/10, NZA-RR 2012, 342 Rz. 19 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
In der Entscheidung vom 8.9.202188 war der 5. Senat des BAG – soweit ersichtlich erstmalig – mit der Frage befasst, ob von der Böswilligkeit unterlassenen Zwischenverdienstes auszugehen ist (§ 11 Nr. 2 KSchG), wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf der Grundlage eines vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsurteils seine Arbeitsleistung anbietet, der Arbeitgeber aber nur bereit ist, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers auf der Grundlage eines neuen dem Arbeitnehmer angebotenen Arbeitsvertrags entgegenzunehmen. Dem Kläger war von der Beklagten am 15.2.2019 betriebsbedingt zum 30.9.2019 gekündigt worden. Im August 2019 entsprach das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage des Klägers und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Bedingungen als Qualitätsmanager weiterzubeschäftigen. Nach Einlegung der Berufung bot die Beklagte dem Kläger Ende September 2019 ab dem 1.10.2019 ein auf die Dauer des Kündigungsschutzprozesses befristetes Prozessarbeitsverhältnis mit 80 % seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeiten und der bisherigen Vergütung an. Der Kläger hatte seinerseits mit E-Mail vom 26.9.2019 die Beklagte aufgefordert, ihn dem arbeitsgerichtlichen Urteil nachkommend zu beschäftigen. Entsprechend der Aufforderung der Beklagten erschien der Kläger am 1.10.2019 zur Arbeitsaufnahme im Betrieb. Die Beklagte verlangte vor der Arbeitsaufnahme die Unterzeichnung der Vereinbarung über das Prozessarbeitsverhältnis, was der Kläger jedoch ablehnte und deshalb nicht beschäftigt wurde. Die Beklagte nahm die Berufung Ende Dezember 2019 zurück und beschäftigte den Kläger wieder ab Januar 2020. Mit der im November 2019 anhängig gemachten Klage hat der Kläger für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2019 wegen Annahmeverzugs 20.000,01 € (brutto) abzgl. 8.228,70 € (netto) nebst Zinsen von der Beklagten beansprucht, die sich auf böswillig unterlassenen Verdienst im Umfang der dem Kläger zustehenden Vergütung wegen Nichtannahme ihres Vertragsangebots berief. Die Zahlungsklage war vor dem LAG und dem BAG erfolgreich. Zunächst stellt das BAG fest, dass dem Kläger für den streitigen Zeitraum Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 S. 1 i. V. m. § 611 a Abs. 2 BGB wegen der unwirksamen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne erneutes Vertragsangebot (§§ 293 ff. BGB)89 zugestanden hat. Entscheidungserheblich kam es deshalb für das BAG darauf an, ob sich der Kläger nach § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst anrechnen lassen musste, was vorausgesetzt hätte, dass er böswillig unterlassen hat, eine
88 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 113. 89 BAG v. 21.10.2015 – 5 AZR 843/14, NZA 2016, 688 Rz. 19.
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Unterlassener Zwischenverdienst während des Annahmeverzugs
ihm angebotene zumutbare Arbeit bei der Beklagten anzunehmen. Im Ergebnis ging es daher darum, ob es dem Kläger zumutbar gewesen war, die von der Beklagten auf der Grundlage eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses angebotene Beschäftigung aufnehmen zu müssen. Dabei kann sich die Unzumutbarkeit, wie das BAG ausführt, aus in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen ergeben90. Im Streitfall hat der Kläger vorsätzlich die ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) eigentlich von der Art her zumutbare anderweitige und vorübergehende auf einer vertraglichen Vereinbarung beruhende Arbeit bei der Beklagten ausgeschlagen und damit grundsätzlich die für die Anrechnung anderweitigen Verdienstes maßgebenden Kriterien i. S. v. § 11 Nr. 2 KSchG erfüllt. Da jedoch der Kläger ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil erstritten hat, kam als Alternative zu seinen Gunsten die rein tatsächliche Beschäftigung auf der Grundlage des titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs in Betracht91, die er dem Beklagten per E-Mail am 26.9.2019 und am 1.10.2019 tatsächlich im Betrieb angeboten hat. Für diesen Fall hält das BAG92 – ungeachtet einer anderen möglicherweise berechtigten Interessenlage des Arbeitgebers – den Arbeitnehmer nicht für verpflichtet, ein anderes (zweckbefristetes oder auflösend bedingtes) vertragliches Angebot des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses annehmen zu müssen. Das BAG begründet dieses Ergebnis damit, dass die den Arbeitnehmer aus § 11 Nr. 2 KSchG (§ 615 S. 2 BGB) treffende Obliegenheit zur Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers, einen Zwischenverdienst zu erzielen, dort seine Grenze findet, wo er einen vorläufig vollstreckbaren Titel (§ 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und damit einen den Arbeitgeber bindenden Rechtsanspruch hat, wenn er auf diesem – wie hier – beharrt. Im Ergebnis traf den Kläger keine Obliegenheit, trotz des erstrittenen vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsurteils während der prozessualen Auseinandersetzung um die Berechtigung der Kündigung neben dem gekündigten Arbeitsverhältnis ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis einzugehen. Die Entscheidung des BAG stellt eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes im Falle des Annahme-
90 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 118 Rz. 13; BAG v. 19.5.2021 – 5 AZR 420/20, NZA 2021, 1324 Rz. 15. 91 BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 247/19, NZA 2020, 1169 Rz. 23 ff. 92 BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 118 Rz. 18.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
verzugs des Arbeitgebers nach §§ 615 S. 2 BGB, 11 Nr. 2 KSchG dar. In früheren Entscheidungen93, die sich mit der Prozessbeschäftigung auseinandergesetzt haben, hat jeweils der Kläger nach einem erstrittenen vorläufigen Titel auf Weiterbeschäftigung die Zwangsvollstreckung aus dem Titel angedroht und war sodann – zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung – vom Arbeitgeber aufgefordert worden, die Arbeit wieder aufzunehmen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger ohne eine Androhung der Zwangsvollstreckung aus dem Titel seine Arbeitskraft auf der Grundlage des Weiterbeschäftigungsurteils als Prozessbeschäftigung angeboten, die der Beklagte abgelehnt hat. Damit hat es das BAG bewenden lassen, ohne weitergehende Aktivitäten (Obliegenheiten) des Klägers zur Durchsetzung seines titulierten tatsächlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs zu verlangen und die Vertragsangebote der Beklagten zum Abschluss eines Prozessarbeitsverhältnisses als unzumutbar ablehnen zu können. Da der Arbeitnehmer aufgrund der aus § 11 Nr. 2 KSchG (§ 615 S. 2 BGB) abzuleitenden Obliegenheit nicht untätig bleiben darf, wenn sich ihm eine realistische und an sich zumutbare Arbeitsmöglichkeit bietet94, stellt sich die Frage, ob er zur Durchsetzung des vorläufigen Beschäftigungstitels zumindest die Vollstreckung ankündigen, ggf. sogar betreiben muss, um den verurteilten Arbeitgeber zu einer tatsächlichen Beschäftigung zu bewegen oder wie das BAG wohl meint, ihm derartige Maßnahmen nicht mehr zumutbar sind. Für den zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verurteilten Arbeitgeber wird zwar durch die Entscheidung des BAG nicht die Möglichkeit verschlossen, dem Arbeitnehmer ein vom Weiterbeschäftigungstitel abweichendes Vertragsangebot bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unterbreiten, was dieser akzeptieren kann. Lehnt jedoch der Arbeitnehmer ein entsprechendes Vertragsangebot ab und bietet er eine weitere Tätigkeit auf der Grundlage des Weiterbeschäftigungstitels an, kann der Arbeitgeber im Falle der Nichtbeschäftigung nicht mit Erfolg dem Zahlungsanspruch aus Annahmeverzug die Einwendung böswillig unterlassenen Erwerbs bezüglich der anderweitig angebotenen Tätigkeit entgegensetzen. Bietet hingegen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung die ausgeurteilte Weiterbeschäftigung an und fordert ihn zur Arbeitsaufnahme auf, ist es dem Arbeitnehmer regelmäßig nicht unzumutbar, die Beschäftigung wieder aufzunehmen, andernfalls endet man-
93 BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 247/19, NZA 2020, 1169 Rz. 3; BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 251/10, DB 2012, 238 Rz. 4. 94 BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 27.
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Unterlassener Zwischenverdienst während des Annahmeverzugs
gels subjektiver Leistungsbereitschaft der Annahmeverzug als solcher nach § 297 BGB. (Boe)
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F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
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Betriebliche Altersversorgung: Zulässigkeit der Vereinbarung einer Mindestehedauer
Die Zulässigkeit von im Pensionsvertrag geregelten Einschränkungen der Hinterbliebenenversorgung war bereits wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung des Ruhegeldsenats des BAG1. In der Entscheidung vom 2.12.20212 hat der 3. Senat des BAG der Frage nachgehen müssen, ob eine in Gestalt einer AGB maßgebende Versorgungsordnung eine zugesagte Hinterbliebenenversorgung ausschließen darf, wenn die Ehe bis zum Versterben des Versorgungsberechtigten nicht mindestens zwölf Monate gedauert hat, wobei allerdings die Hinterbliebene die Möglichkeit hat, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Versorgungsberechtigte erst aufgrund eines nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder eingetretener Krankheit gestorben ist. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der am 1.5.2018 verstorbene Ehemann der Klägerin war vom 1.1.1972 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 30.11.2006 bei der Beklagten beschäftigt. Seine Ehe mit der Klägerin wurde am 5.1.2018 geschlossen (Ehedauer bis zum Tod knapp vier Monate). Nach dem Pensionsvertrag vom 15.12.1992 mit der Beklagten werden Altersrente (§ 2), Berufsunfähigkeitsrente (§ 3), Witwen-/Witwerrente (§ 4), Kinder- und Waisenrente (§ 5) gewährt. § 4 sieht unter Nr. 2 c einen Ausschluss der Witwen-/Witwerrente vor, wenn der Mitarbeiter die Ehe in den letzten zwölf Monaten vor seinem Tode geschlossen hat, es sei denn, er ist an den Folgen eines nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder an einer Krankheit gestorben, die erst nach der Eheschließung eingetreten ist.
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Etwa BAG v. 19.2.2019 – 3 AZR 150/18, NZA 2019, 918 Rz. 20 (Unzulässige Einschränkung einer Hinterbliebenenversorgung durch eine zehnjährige Mindestehedauerklausel als willkürliche Zeitspanne in AGB); BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 22 (Begriffliche Kennzeichnung der „jetzigen“ Ehefrau in einer Versorgungsordnung); BAG v. 28.7.2005 – 3 AZR 457/04, NZA-RR 2006, 591 Rz. 34 (Eine Spätehenklausel, nach der die Ehe mindestens zehn Jahre bestanden haben muss, wenn sie nach Vollendung des 50. Lebensjahres des verstorbenen Ehegatten geschlossen wurde). BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 254/21, NZA 2022, 481 .
225
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Die Beklagte verweigerte die Zahlung einer Witwenrente i. H. v. 479,50 € (brutto). Die Klägerin verlangte mit ihrer Klage Rückstände von 5.754,02 € (brutto) nebst Zinsen sowie bis zum Lebensende die Zahlung einer monatlichen Hinterbliebenenrente i. H. v. 479,50 € (brutto). Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das BAG hat die Wirksamkeit der Ausschlussklausel im Pensionsvertrag von 1992, die auf die Klägerin zutraf, weil sie zum Zeitpunkt des Versterbens ihres versorgungsberechtigten Ehemannes mit ihm erst knapp vier Monate verheiratet war und die Todesursache nicht Folge eines erlittenen Unfalls oder einer Erkrankung nach der Eheschließung gewesen ist, am Recht der AGB nach §§ 305 ff. BGB i. V. m. Art. 229 § 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB3 gemessen. Dieser Prüfungsansatz setzte zunächst voraus, dass die als AGB zu qualifizierende Versorgungsordnung der Beklagten insoweit nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB kontrollfähig war, weil die Ausschlussklausel eine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung beinhaltet. Dies wird vom BAG uneingeschränkt bejaht, weil vertragliche Regelungen der betrieblichen Altersversorgung in AGB, die von den im BetrAVG angelegten typischen Formen der Risikoabdeckung – hier Hinterbliebenenversorgung (§ 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG) – abweichen, uneingeschränkt kontrollfähig sind4. Wie das BAG5 bereits bei früherer Gelegenheit ausgeführt hat, entspricht es der im Gesetz angelegten Vertragstypik, eine bestimmte Kategorie von Personen eines abgrenzbaren Näheverhältnisses zum Versorgungsberechtigten abzusichern. Schränkt der Arbeitgeber den danach betroffenen Personenkreis wie im vorliegenden Fall zu Lasten des Arbeitnehmers in einer Versorgungszusage ein, unterliegt diese Einschränkung der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Dementsprechend hat das BAG die in der Versorgungszusage vorgenommene Begrenzung der Hinterbliebenenversorgung auf ihre Angemessenheit i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB überprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie rechtlich nicht zu beanstanden ist. Nach § 307 Abs. 2 Nrn. 1, 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Diese vom Gesetzgeber selbst aufgeführten Aspekte einer unangemessenen Benachteiligung hat
3 4 5
BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 137/19 n. v. (Rz. 76). Vgl. BAG v. 19.2.2019 – 3 AZR 150/18, NZA 2019, 918 Rz. 22 ff. BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 32.
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Betriebliche Altersversorgung: Zulässigkeit der Vereinbarung einer Mindestehedauer
das BAG für die hier streitige Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung verneint. Die in der Versorgungsordnung vorgesehene Mindestdauer der Ehe von zwölf Monaten berühre nicht den Kernbereich der zugesagten Hinterbliebenenversorgung, zumal der Arbeitgeber eine derartige Leistung nicht versprechen müsse. Gewähre er eine Hinterbliebenenversorgung, sei diese auch nicht an die Regeln der gesetzlichen Sozialversicherung, insbesondere an § 46 Abs. 2 a SGB VI, gebunden, wonach eine Witwenrente zwar ausgeschlossen werde, wenn der Tod des unmittelbar Versorgungsberechtigten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung einträte, jedoch der Beweis geführt werden könne, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Gleichermaßen verneint das BAG eine Vertragszweckgefährdung (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) der Hinterbliebenenversorgung durch die zwölfmonatige Mindestdauer der Ehe, weil damit der Zweck der Versorgung eines nahen Angehörigen nicht gefährdet, sondern allenfalls reduziert wird. Eine unangemessene Benachteiligung ergibt sich im Hinblick auf die Mindestehedauerklausel auch nicht unter Berücksichtigung der im Rahmen von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB durchzuführenden umfassenden Abwägung der betroffenen Interessen des Versorgungsberechtigten (verstorbener Ehemann) und des Versorgungsschuldners. Unangemessen ist jede Benachteiligung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Bei der für diese Feststellung erforderlichen Abwägung der Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner gelangt das BAG zu dem Ergebnis, dass das rechtlich geschützte Interesse des Arbeitnehmers bei der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung, den Ehepartner ohne Mindestehedauer finanziell zu versorgen, durch die Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf Ehen, die im Zeitpunkt des Todes des (ehemaligen) Arbeitnehmers mindestens zwölf Monate bestanden haben, begründet und billigenswert zu Gunsten des Arbeitgebers verdrängt wird. Der Arbeitgeber habe grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, sein mit der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung einhergehendes finanzielles Risiko zu beschränken, was sich etwa in der Verhinderung sog. Versorgungsehen ausdrücken könne. Dies unterstellt der Gesetzgeber in § 46 Abs. 2 a SGB VI, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat6. Dabei 6
Eingefügt durch Art. 1 Nr. 6 b AVmEG (BGBl. I 2001, 403). Vgl. dazu BT-Drucks. 14/4595 S. 44: „Mit dem neuen Abs. 2 a wird der Anspruch auf eine Witwenrente bei
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
kommt es bei der hier zu beurteilenden Mindestehedauer nach Ansicht des BAG7 nicht auf die Verhinderung eines etwaigen subjektiven Missbrauchs durch die nicht mindestens ein Jahr andauernde Ehe mit dem Verstorbenen an, wie dies sozialversicherungsrechtlich in § 46 Abs. 2 a SGB VI geregelt sei, sondern auf die Vermeidung eines wirtschaftlichen Risikos durch eine objektive Versorgungsehe. Anders formuliert darf der Arbeitgeber ein wirtschaftliches Versorgungsrisiko für einen Hinterbliebenen ausschließen, wenn dieses Risiko bereits zum Zeitpunkt des Eheschlusses einer Ehe, die nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, eingetreten war. Das BAG schränkt diese Risikoabsicherung des Arbeitgebers bei objektiven Versorgungsehen – in Anlehnung an die Widerlegung der Vermutung in § 46 Abs. 2 a SGB VI als Leitbild8 – allerdings dahingehend ein, dass der Arbeitgeber in der Versorgungsregelung zur Wahrung der Angemessenheit für den Hinterbliebenen die Möglichkeit des Nachweises vorsehen muss, dass sich trotz des Todes des Versorgungsberechtigten innerhalb der Zwölfmonatsfrist das Versorgungsrisiko zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht konkretisiert hatte. Da die hier zu beurteilende Versorgungsregelung eine entsprechende Widerlegungsmöglichkeit vorsieht, dass der Berechtigte aufgrund eines erst nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder einer danach aufgetretenen Erkrankung verstorben ist, erfüllt sie nach Ansicht des BAG die Voraussetzungen für einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Interessen. Die betriebliche Praxis wird sich auf diese Entscheidung einzustellen haben, wenn in einer vertraglichen Versorgungsordnung das Versorgungsrisiko einer objektiven Versorgungsehe ausgeschlossen werden soll. Soweit in Versorgungsordnungen davon abweichende Regeln bestehen, die keine Widerlegungsmöglichkeit beinhalten, bedürfen sie einer entsprechenden Anpassung. (Boe)
2.
Abweichende Vereinbarung zum Arbeitgeberzuschuss Entgeltumwandlung
Gemäß § 1 a Abs. 1 BetrAVG kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, dass von seinen künftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der jeweili-
7 8
einer Versorgungsehe ausgeschlossen, wenn Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung ist. Dabei wird unterstellt, dass dies regelmäßig der Fall ist, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstirbt“. BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 254/21, NZA 2022, 481 Rz. 31 f. Vgl. auch § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BeamtVG.
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Abweichende Vereinbarung zum Arbeitgeberzuschuss Entgeltumwandlung
gen Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der Allgemeinen Rentenversicherung durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden. Die Durchführung dieses Anspruchs ist durch individualoder kollektivrechtliche Vereinbarung zu regeln. Dabei ist der Arbeitnehmer verpflichtet, jährlich einen Betrag i. H. v. mindestens 1/160 der Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV für seine betriebliche Altersversorgung zu verwenden. Mit Wirkung zum 1.1.2019 hat der Gesetzgeber ergänzend hierzu in § 1 a Abs. 1 a BetrAVG festgelegt, dass der Arbeitgeber 15 % des umgewandelten Entgelts zusätzlich als Arbeitgeberzuschuss an den Pensionsfonds, die Pensionskasse oder die Direktversicherung weiterleiten muss, soweit er durch die Entgeltumwandlung Sozialversicherungsbeiträge einspart. Diese Regelung war allerdings mit einer Übergangsregelung verbunden. Sie galt nach § 26 BetrAVG für individual- und kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die vor dem 1.1.2019 geschlossen worden sind, erst ab dem 1.1.2022. In zwei Revisionsverfahren vom 8.3.20229 musste sich das BAG jetzt mit der Frage befassen, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer auf der Grundlage dieser Übergangsregelung eine abweichende Vereinbarung über den Arbeitgeberzuschuss durch Tarifvertrag geschlossen werden konnte. Beide Arbeitnehmer wandelten auf der Grundlage des Tarifvertrags zur Altersversorgung, der zwischen dem Landesverband Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e. V. und der IG Metall abgeschlossen wurde, Entgelt zu einem Pensionsfonds um. Der Tarifvertrag eröffnete dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, Entgelt bis zur steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Höchstgrenze umzuwandeln. In diesem Fall gewährte ihnen der Arbeitgeber nach Maßgabe des Tarifvertrags zusätzlich einen Altersvorsorgegrundbetrag i. H. d. 25-fachen Facharbeiterecklohns pro Kalenderjahr. Dieser Arbeitgeberbeitrag betrug in seiner Gesamtheit weniger als 15 % des umgewandelten Entgelts. Die beiden Kläger machten daher geltend, dass der Arbeitgeber aus § 1 a Abs. 1 a BetrAVG verpflichtet sei, die Differenz als einen weiteren Arbeitgeberzuschuss einzuzahlen. Aus ihrer Sicht war die im Tarifvertrag vorgesehene Regelung unwirksam. In dem einen Fall kam der Tarifvertrag, der bereits 2008 abgeschlossen worden war, aufgrund beiderseitiger Tarifbindung bereits vor dem 1.1.2019 zur Anwendung. In dem anderen Fall wurde die Grundlage für eine Anwendbarkeit dieses Tarifvertrags durch einen Haustarifvertrag gesetzt, 9
BAG v. 8.3.2022 – 3 AZR 361/21, NZA 2022, 724; BAG v. 8.3.2022 – 3 AZR 362/21, NZA 2022, 727.
229
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
der erst 2019 abgeschlossen wurde und auf den Tarifvertrag zur Altersversorgung aus dem Jahr 2008 verwies. Auf der Grundlage dieser Sachverhalte musste sich das BAG in seinen beiden Entscheidungen nicht nur mit der Frage befassen, ob eine Anwendbarkeit von § 1 a Abs. 1 a BetrAVG durch die Übergangsregelung in § 26 BetrAVG ausgeschlossen war. Es war auch zu entscheiden, ob sich der Arbeitgeber bei der Anwendung der abweichenden Regelungen des Tarifvertrags auf die Tariföffnungsklausel in § 19 BetrAVG berufen konnte. Danach ist es möglich, von § 1 a BetrAVG in Tarifverträgen abzuweichen. In den Entscheidungen hat das BAG klargestellt, dass jedenfalls in solchen Sachverhalten, in denen der Tarifvertrag erst nach dem 31.12.2018 abgeschlossen wurde, seine Regelungen zum Arbeitgeberzuschuss die gesetzlichen Vorgaben in § 1 a Abs. 1 a BetrAVG verdrängen. Der Kläger, bei dem der Tarifvertrag zur Altersversorgung aus dem Jahr 2008 auf der Grundlage des Anerkenntnistarifvertrags Geltung beanspruchte, der erst im Jahre 2019 abgeschlossen wurde, hatte damit keinen Erfolg mit seinem Begehren, eine Anwendbarkeit von § 1 a Abs. 1 a BetrAVG durchzusetzen. In seinem Fall konnte zeitlich unbegrenzt durch Tarifvertrag eine abweichende Regelung getroffen werden. Anders war die Situation in Bezug auf den Arbeitnehmer, für den der Tarifvertrag zur Altersversorgung aus dem Jahr 2008 kraft unmittelbarer Tarifbindung bereits vor dem 1.1.2019 galt. Hier war § 26 BetrAVG einschlägig. Denn in dem für sein Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag war eine kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung zu sehen, die bereits vor dem 1.1.2019 geschlossen worden war. Solche Vereinbarungen haben die gesetzlichen Vorgaben zum Arbeitgeberzuschuss in § 1 a Abs. 1 a BetrAVG jedenfalls bis zum 31.12.2021 verdrängt. Ob es das BAG für möglich hält, auf der Grundlage des Alt-Tarifvertrags auch über den 31.12.2021 hinaus eine von § 1 a Abs. 1 a BetrAVG abweichende Regelung zu treffen, hat es ausdrücklich offengelassen. Voraussetzung hierfür wäre, dass von der Tariföffnungsklausel in § 19 BetrAVG auch durch Kollektivvereinbarungen Gebrauch gemacht werden konnte, die vor dem Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes abgeschlossen worden sind. Für die betriebliche Praxis hat dies ganz erhebliche Bedeutung, weil es zahlreiche Tarifverträge aus dieser Zeit gibt, die noch heute abweichende Regelungen zum Arbeitgeberzuschuss treffen. Ein sicherer Rückgriff auf die abweichende Regelung des Tarifvertrags ist im Anschluss an die
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Wegfall der Anpassungsprüfungspflicht bei Einbeziehung einer Pensionskasse
Entscheidungen des BAG vom 8.3.202210 nur möglich, wenn dieser Tarifvertrag im Anschluss an den 31.12.2018 geändert worden ist. Denn eine solche Änderung ist nach den allgemeinen Grundsätzen als Neuabschluss anzusehen, der unmittelbar zur Anwendbarkeit von § 19 BetrAVG führt. In den übrigen Fällen muss abgewartet werden, wie das BAG diese Frage in einer späteren Entscheidung bewertet. In der Literatur werden hierzu bedauerlicherweise keine klaren Bewertungen vorgenommen. Vielmehr findet sich im Wesentlichen nur die Wiederholung der Feststellung des Gesetzgebers, nach der Regelungen in solchen Alt-Tarifverträgen, die gegenüber dem neuen gesetzlich verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss für Beschäftigte ungünstiger sind, gültig bleiben11. Dabei bleibt unklar, ob diese Aussage die Gültigkeit in der Zeit bis zum 31.12.2021 oder auch die anschließende Zeit meint. (Ga)
3.
Wegfall der Anpassungsprüfungspflicht bei Einbeziehung einer Pensionskasse
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen (§ 16 Abs. 1 BetrAVG). Diese Verpflichtung gilt nach § 16 Abs. 2 BetrAVG als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg des Verbraucherpreisindexes für Deutschland oder der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum. Gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG entfällt diese Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anpassungsprüfung und -entscheidung nach § 16 Abs. 1, 2 BetrAVG, wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Pensionskasse i. S. d. § 1 b Abs. 3 BetrAVG durchgeführt wird und nach den Regelungen der Pensionskasse sichergestellt ist, dass nach Rentenbeginn sämtliche auf der Rentenbestand entfallenden Überschüsse zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden. Mit seinem Urteil vom 3.5.202212 hat das BAG deutlich gemacht, dass diese Regelung mit Unionsrecht vereinbar sei. Dabei stelle die durch § 30 c Abs. 1 a BetrAVG angeordnete Geltung der am 31.12.2015 in Kraft getrete10 BAG v. 8.3.2022 – 3 AZR 361/21, NZA 2022, 724; BAG v. 8.3.2022 – 3 AZR 362/21, NZA 2022, 727. 11 Vgl. BT-Drucks. 18/12612 S. 28. 12 BAG v. 3.5.2022 – 3 AZR 408/21 n. v.
231
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
nen Änderung auch für Anpassungszeiträume, die vor dem 1.1.2016 lägen, keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar. Die früher im Gesetz enthaltene Voraussetzung, nach der zur Berechnung der garantierten Leistung der nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 lit. a VAG festgesetzte Höchstzinssatz zur Berechnung der Deckungsrückstellung nicht überschritten werden durfte, spielt damit keine Rolle mehr. In dem zugrunde liegenden Fall bezog die Klägerin seit dem 1.10.2011 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die Beklagte führte diese über den Versicherungsverein des Bankgewerbes a. G. (BVV) durch. Bei dem BVV handelt es sich um eine regulierte Pensionskasse unter der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Seit dem Rentenbeginn wurde die Betriebsrente der Klägerin nicht mehr erhöht, so dass sie jetzt geltend machte, dass zum 1.10.2014 eine Anpassung der Betriebsrente und die Zahlung höherer Rentenleistungen hätte erfolgen müssen. Zur Begründung machte sie geltend, dass § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG auf den streitgegenständlichen Anpassungsstichtag im Jahre 2014 nicht anwendbar sei. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat das BAG eine Anpassungsverpflichtung der Beklagten abgelehnt. Die bei der Pensionskasse für den Tarif DA geltenden Regelungen erfüllten die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG in der seit dem 31.12.2015 geltenden Fassung. Darin liege auch kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot aus Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2014/50/EU (Mobilitätsrichtlinie). Denn das Verbot solle verhindern, dass die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zur Absenkung des bestehenden Schutzes genutzt werde. Vorliegend habe der Gesetzgeber jedoch „lediglich“ zeitgleich mit und bei Gelegenheit der Umsetzung eine außerhalb des Regelungsbereichs der Richtlinie bestehende Rechtsprechung des Senats korrigiert. Dabei sei § 30 c Abs. 1 a BetrAVG auch nicht wegen unzulässiger Rückwirkung verfassungswidrig. Die Betriebsrentner der Beklagten hätten bereits ursprünglich davon ausgehen müssen, dass eine Anpassungsprüfungspflicht nicht unverändert bestehen bleiben würde. Die vom Gesetzgeber gewählte Stichtagsregelung orientiere sich insoweit am Sachverhalt und sei vertretbar. Für Pensionskassen bringt diese Entscheidung des BAG Rechtssicherheit. Denn damit braucht keine Anpassungsprüfung mehr zu erfolgen, wenn in den Regelungen der Pensionskasse sichergestellt ist, dass ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschüsse zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden. (Ga)
232
Kennzeichnung des ruhegeldfähigen Einkommens
4.
Kennzeichnung des ruhegeldfähigen Einkommens
Die Höhe der betrieblichen Altersversorgung kann auf unterschiedliche Weise bestimmt werden. Sie kann beispielsweise an bestimmten Festbeträgen ausgerichtet sein, die durch den Arbeitgeber – abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit – versprochen werden. Ebenso ist es denkbar, dass sich die Höhe der Betriebsrente an Erträgen ausrichtet, die durch den Arbeitgeber und/oder einen Versorgungsträger aus Beiträgen erwirtschaftet werden, die während der Dauer des Arbeitsverhältnisses entrichtet werden. Vielfach orientiert sich die Höhe der betrieblichen Altersversorgung allerdings auch an den Bezügen, die der Arbeitnehmer zuletzt innerhalb eines bestimmten Bezugszeitraums vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten hat. Bei der letztgenannten Form einer Festlegung der Höhe von Versorgungsbezügen spielt die Frage eine besondere Rolle, wie das ruhegeldfähige Einkommen – also der Bezugspunkt für die Festlegung der Betriebsrente – bestimmt wird. Denn an die insoweit maßgeblichen Vergütungsbestandteile knüpft dann die Zusage des Arbeitgebers an, im Versorgungsfall einen bestimmten Prozentsatz dieses ruhegeldfähigen Einkommens zu bezahlen. Da es sich bei Leistungen der betrieblichen Altersversorgung – sofern tarifvertragliche Vorgaben fehlen – schlussendlich um eine freiwillige Sozialleistung handelt, besteht bei der Festlegung des ruhegeldfähigen Einkommens ein weiter Gestaltungsspielraum. Wie die Entscheidung des BAG vom 25.1.202213 deutlich macht, wird man allerdings sicherstellen müssen, dass die entsprechenden Regelungen einer Versorgungszusage hinreichend genau und bestimmt sind. Dies war in dem der vorstehend genannten Entscheidung zugrunde liegenden Fall nicht uneingeschränkt gegeben. Die diesbezügliche Regelung lautete wie folgt: 1. Als ruhegeldfähiges Einkommen gilt der Durchschnitt des vertraglich oder tarifvertraglich vereinbarten monatlichen Bruttogehaltes oder Bruttoentgeltes, das der Mitarbeiter vom Unternehmen in den letzten 36 Monaten vor Eintritt des Versorgungsfalles bzw. vor seinem vorzeitigen Ausscheiden bezogen hat. Zum ruhegeldfähigen Einkommen zählen Provisionen, Prämien, Überstunden- und Akkordvergütungen, Treuegelder sowie Leistungs-, persönliche und tarifvertraglich festgelegte Zulagen und Zuschläge.
13 BAG v. 25.1.2022 – 3 AZR 406/21 n. v. (Rz. 356 ff.).
233
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
2. Nicht zum ruhegeldfähigen Einkommen gehören z. B. Jahressonderzahlungen oder 13. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Kinderurlaubsgeld, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, Vergütungen für Verbesserungsvorschläge und Erfindungen sowie Spesen, Aufwandsentschädigungen und sonstige Vergütungen. 3. Monate, in denen wegen mangelnder gesundheitlicher Leistungsfähigkeit oder aus anderen Gründen, die der Mitarbeiter nicht zu vertreten hat, keine oder keine vollen Bezüge gezahlt werden, bleiben im Rahmen der Durchschnittsberechnung unberücksichtigt.
An diese Kennzeichnung des ruhegeldfähigen Einkommens anknüpfend enthielt die Versorgungszusage die weitergehende Regelung, nach der für den Teil des ruhegeldfähigen Einkommens, der den Durschnitt der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (BBG) der letzten 36 Monaten vor Eintritt des Versorgungsfalls nicht übersteigt, für jedes anrechnungsfähige Dienstjahr 0,4 %, höchstens jedoch 12 % dieses Teils des ruhegeldfähigen Einkommens nach 30 Jahren gezahlt werden. Für den Teil des ruhegeldfähigen Einkommens, der den Durchschnitt der BGG der letzten 36 Monaten bei Eintritt des Versorgungsfalls übersteigt, sollte der Arbeitnehmer für jedes anrechnungsfähige Dienstjahr 1,3 %, höchstens jedoch 39 % dieses Teils des ruhegeldfähigen Einkommens nach 30 anrechnungsfähigen Dienstjahren erhalten. Zwischen den Parteien war umstritten, ob eine variable Zulage, die Tarifmitarbeitern und außertariflichen Angestellten gleichermaßen gewährt wurde, als Bestandteil des ruhegeldfähigen Einkommens zu behandeln war. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das BAG eine Einbeziehung der variablen Zulage in das ruhegeldfähige Einkommen abgelehnt. Grundlage seiner Entscheidung war eine Auslegung der Versorgungsordnung, die – weil es sich um eine Betriebsvereinbarung handelte – nach den für Gesetze und für Tarifverträge geltenden Grundsätzen zu erfolgen hatte. Dabei ging das BAG davon aus, dass durch den Verweis auf das „monatliche Bruttogehalt oder Bruttoentgelt“ und die hierzu aufgenommenen Beispiele erkennbar werde, dass es für die Ruhegeldfähigkeit auf das Arbeitsentgelt ankomme, das monatlich bzw. monatsbezogen – wenn auch nicht stets in gleicher Höhe – gezahlt und abgerechnet werde. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, sei aber aus der Systematik der Versorgungszusage erkennbar. Schlussendlich kann, weil das Auslegungsergebnis nicht ohne Weiteres auf andere Versorgungsordnungen übertragbar ist, die weitere Begründung einer Einbeziehung der variablen Zulage unberücksichtigt bleiben. Die Entscheidung macht allerdings deutlich, dass es bei der Gestaltung einer Versor234
Kennzeichnung des ruhegeldfähigen Einkommens
gungszusage nicht nur sinnvoll ist, beispielhaft Entgeltbestandteile aufzuführen, die bei der Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens einbezogen bzw. ausgegrenzt werden sollen. Solche Zusammenstellungen beinhalten immer das Risiko, dass einzelne Zahlungen übersehen bzw. – weil sie zum Zeitpunkt der Versorgungszusage noch gar nicht in Rede stehen – noch nicht berücksichtigt werden können. Hilfreich ist es daher, im Rahmen der Versorgungszusage auch eine Kennzeichnung vorzunehmen, die eine Unterscheidung von Entgeltbestandteilen nach Maßgabe ihres Bezugszeitraums zulässt (z. B. Monat). Ergänzend hierzu sollte – abstrakt-generell – klargestellt werden, dass Leistungen – unabhängig von ihrer Zweckbestimmung – dann bei der Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens keine Berücksichtigung finden, wenn sie für hiervon abweichende Bezugszeiträume und/oder einmalig gewährt werden. Weiterhin sollte klargestellt werden, dass Zahlungen, die als Aufwendungsersatz gekennzeichnet werden können, ohnehin keine Berücksichtigung finden. Hilfreich für die betriebliche Praxis sind allerdings auch die weitergehenden Feststellungen des BAG zu § 75 Abs. 1 BetrVG. Darin stellt der 3. Senat des BAG klar, dass die Ausgestaltung der variablen Zulage als jährliche, damit nicht ruhegeldfähige Leistung nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG verstößt. Denn die darin liegende Differenzierung berücksichtige die Möglichkeit der Betriebsparteien, aus sachlichem Grund Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmergruppen vorzunehmen. Maßgeblich dabei sei vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Gleichzeitig müsse aber – so das BAG – der Gestaltungs- und Ermessensspielraum der Betriebsparteien berücksichtigt werden14. Dieser Gestaltungsspielraum sei hier nicht überschritten. Dies gelte auch insoweit, als innerhalb der Regelungen zur variablen Zulage zwischen tariflichen und außertariflichen Arbeitnehmern unterschieden worden war. Denn die Betriebsparteien seien – so das BAG – berechtigt, sachliche Unterschiede zwischen gewerblichen, tariflichen und außertariflichen Mitarbeitern zu berücksichtigen, selbst wenn sie grundsätzlich eine einheitliche Behandlung anstrebten. So hätten sie in der hier streitgegenständlichen Regelung bewusst aufgrund der Unterschiede dieser Arbeitnehmergruppen differenziert und dabei insbesondere auch die Herkunft der mit den Regelungen zur variablen Zulage abgelösten Entgelte beachtet. Bei den tariflichen Arbeitnehmern wurde eine Leistung abgelöst, die ruhegeldfähig war, während bei den
14 BAG v. 25.1.2022 – 3 AZR 406/21 n. v. (Rz. 57).
235
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
außertariflichen Mitarbeitern eine Jahressonderzahlung abgelöst wurde, die schon zu dieser Zeit nicht ruhegeldfähig gewesen ist. Schon dieser Differenzierungsgrund wäre eigentlich ausreichend gewesen, um die streitgegenständlichen Unterscheide zu rechtfertigen. Unabhängig davon hat das BAG allerdings auch auf die Berechtigung der Betriebsparteien verwiesen, bei entsprechenden Zusagen zu berücksichtigen, dass außertarifliche Arbeitnehmer üblicherweise eher in der Lage sind als tariflich Vergütete, aus ihren höheren Einnahmen Eigenvorsorge zu betreiben. Dass in Einzelfällen der Tarifmitarbeiter in der höchsten Einkommensstufe mehr verdiene als der außertarifliche Arbeitnehmer im unteren AT-Bereich und insoweit ggf. eher Eigenvorsorge treffen könne, sei unschädlich. Denn typischerweise beziehe der außertariflich Beschäftigte ein höheres Entgelt, was die Betriebsparteien bei ihrer Regelung in Form einer Typisierung und Pauschalierung auch beachten dürfen. Hiervon ausgehend wurde die Klage abgewiesen, die auch mit dem Gesichtspunkt begründet worden war, dass der Kläger als außertariflich vergüteter Arbeitnehmer durch die Ausgrenzung der variablen Zulage sachwidrig benachteiligt worden sei. (Ga)
236
G. Tarifrecht 1.
Bestimmtheit einer gewerkschaftlichen Klage auf Durchführung eines Haustarifvertrags
In seinem Urteil vom 19.3.20031 hatte der 4. Senat des BAG noch deutlich gemacht, dass der Klageantrag, mit dem eine Gewerkschaft gegenüber einem Arbeitgeber dessen Verurteilung – unter Androhung eines Ordnungsgelds für den Fall der Zuwiderhandlung – erstrebe, die Anwendung näher bezeichneter, untertariflicher Arbeitsbedingungen in Bezug auf ihre Mitglieder zu unterlassen, zu seiner hinreichenden Bestimmtheit i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO einer namentlichen Benennung der Arbeitnehmer, die Mitglied der Gewerkschaft seien, bedürfe. Fehle diese Konkretisierung im Klageantrag, müsse die Klage bereits wegen fehlender Zulässigkeit abgewiesen werden. In seinem Urteil vom 13.10.20212 scheint der 4. Senat des BAG jedenfalls in Bezug auf den Anspruch auf Durchführung eines Haustarifvertrags von dieser strikten Sichtweise abzuweichen. Denn nach den dort getroffenen Feststellungen ist auch ein Antrag der Gewerkschaft, der auf die Durchführung bestimmter Vorschriften eines Haustarifvertrags gerichtet ist, hinreichend bestimmt i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, soweit mit ihm als „Minus“ eine Durchführung allein gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern verlangt werde. Dabei sei jedenfalls im Erkenntnisverfahren eine namentliche Aufführung der Gewerkschaftsmitglieder im Klageantrag noch nicht erforderlich. Grundsätzlich müsse die Klageschrift nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zwar einen bestimmten Antrag enthalten. Ein Urteil, dessen Vollstreckung noch von einer vom Gläubiger zu beweisenden, zukünftigen Tatsache – wie vorliegend der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft – abhänge, sei daher regelmäßig unzulässig. Allerdings zeige unter anderem § 726 ZPO, dass es offene Urteile geben und gleichwohl dem Bestimmtheitserfordernis genügt werden könne. Hänge die Durchsetzbarkeit des geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruchs von dem Eintritt anspruchsbegründeter Tatsachen ab, könne dem dafür beweisbelasteten Gläubiger nachgelassen werden, diese
1 2
BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 271/02, NZA 2003, 1221 Rz. 25 ff. BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 21 ff.
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Tarifrecht
erst im Klauselerteilungsverfahren – also im Rahmen der Zwangsvollstreckung – nachzuweisen3. Diesen Anforderungen genüge ein Antrag der Gewerkschaft, mit dem die Durchführung eines Haustarifvertrags durch den Arbeitgeber als Vertragspartner verlangt werde. Voraussetzung sei freilich, dass der Anspruch auf die Mitglieder der Gewerkschaft begrenzt werde, die in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fielen. Bei Personen, im Rahmen deren Arbeitsverhältnisses der Tarifvertrag nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung komme, könne eine solche Durchführung materiell-rechtlich nicht verlangt werden. Denn es stehe dem Arbeitgeber frei, mit dieser Personengruppe eine vom Tarifvertrag abweichende Regelung zu treffen. Dies sei damit zu begründen, dass die unmittelbare und zwingende Wirkung des Tarifvertrags im Rahmen dieser Arbeitsverhältnisse ebenso wenig zum Tragen komme wie das Günstigkeitsprinzip aus § 4 Abs. 3 TVG4. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Gewerkschaft in ihrer Klage konkret die Anwendbarkeit bestimmter Vorschriften eines Vergütungstarifvertrags in Bezug auf arbeitnehmerähnliche Mitarbeiter verlangt, die Mitglied der Gewerkschaft waren und durch die Beklagte beschäftigt wurden. Aus Sicht des BAG war der kollektiv-rechtliche Anspruch, über dessen Bindungswirkung die Parteien stritten, damit konkret genug bezeichnet. Da kein Streit zwischen den Parteien über den Inhalt dieser Tarifnorm bestand, sei es auch nicht erforderlich, im Vorfeld der hier in Rede stehenden Klage ein Verfahren nach § 9 TVG durchzuführen. Im Übrigen sei ein solches Verfahren auch dann nicht erforderlich, wenn eine bestimmte Auslegung zwingend geboten und eindeutig sei5. Ein weitergehendes Erfordernis der namentlichen Benennung der aktuell betroffenen Gewerkschaftsmitglieder lehnt das BAG ab. Es würde – so das BAG – die Möglichkeit, den Durchführungsanspruch als Gewerkschaft gerichtlich durchzusetzen, in einer Weise erschweren, die einen effektiven Rechtsschutz verhinderte. Zum einen unterliege der Mitgliederbestand einer Gewerkschaft durch die Möglichkeit von Ein- oder Austritten während des gesamten Verfahrens Schwankungen, die weder allein durch die Gewerkschaft beeinflussbar noch für diese vorhersehbar seien. Wäre die Gewerk-
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BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 22. BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 53 ff., 62 ff. BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 57; BAG v. 29.4.1992 – 4 AZR 432/91, NZA 1992, 846 Rz. 30.
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Bestimmtheit einer gewerkschaftlichen Klage auf Durchführung eines Haustarifvertrags
schaft als Klägerin gehalten, den Antrag entsprechend anzupassen, würde dies ständige Klageänderungen oder Klageerweiterungen notwendig machen. Änderungen, die im Anschluss an die letztmögliche Tatsachenverhandlung eintreten, könnten darüber hinausgehend gar nicht berücksichtigt werden. Zum anderen spreche der Schutz der kollektiven Koalitionsbetätigungsfreiheit der Gewerkschaft (Art. 9 Abs. 3 GG) dafür, dass die Gewerkschaft einen Rechtsstreit über die Durchführung eines Tarifvertrags solange wie möglich ohne Nennung ihrer Mitglieder führen dürfe. Andernfalls müsste sie bereits zu Beginn eines Rechtsstreits gegenüber dem Arbeitgeber ihre Mitgliederstärke und zugleich auch die individuelle Zusammensetzung offenlegen. Für die rechtskräftige Klärung, ob und ggf. in welchem Umfang der kollektiv-rechtliche Durchführungsanspruch „an sich“ bestehe, sei die namentliche Nennung der Mitglieder jedoch nicht erforderlich. Das BAG gesteht in diesem Zusammenhang zu, dass der Arbeitgeber im Anschluss an eine klagestattgebende Entscheidung nicht ohne Weiteres erkennen könne, gegenüber welchen Arbeitnehmern entsprechende Verpflichtungen zu erfüllen seien. Er könne aber, wolle er seiner Durchführungspflicht der Verurteilung entsprechend nachkommen, die bei ihm beschäftigten Personen auffordern, eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft mitzuteilen. Hinsichtlich der ihm danach bekannten Personen könne er dann seine Verpflichtung erfüllen6. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen könnten durch die Gewerkschaft – so das BAG – dann aber erst nach namentlicher Benennung der Gewerkschaftsmitglieder eingeleitet werden. Dabei dürfte ein Nachweis durch öffentliche Urkunde (§§ 415, 418 ZPO) gemäß § 726 Abs. 1 ZPO nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Öffentliche Urkunden über die Mitgliedschaft existierten im Regelfall nicht. Ein Notar könnte allein Tatsachen (wie z. B. die Vorlage eines Überweisungsträgers, eines Mitgliedsausweises) bestätigen, die aber lediglich als mittelbare Beweismittel dienten, die Mitgliedschaft als solche aber nicht beweisen könnten. Wenn der Notar demgegenüber aus dem ihm vorgelegten Tatsachen auch Schlussfolgerungen ziehen solle (z. B. auf die Gewerkschaftsmitgliedschaft), handele es sich um eine gutachterliche Stellungnahme („Notarbestätigung“), für die die Wahrheitsvermutung der §§ 415, 418 ZPO nicht in Betracht komme7.
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BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 34. BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 36; OLG Frankfurt v. 29.8.1995 – 20 W 351/95, NJW-RR 1996, 529 Rz. 16.
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Tarifrecht
Anzunehmen ist, dass dass die Gewerkschaft die Mitgliedschaft von Arbeitnehmern (erst) durch Urkunds- oder Zeugenbeweis sowie ggf. durch Vorlage einer „Notarbestätigung“ als mittelbarem Beweis im Rahmen einer Klauselerteilungsklage nach § 731 ZPO nachweisen wird. Der hiervon betroffene Arbeitgeber ist ausreichend dadurch geschützt, dass ihm dort Gelegenheit eingeräumt wird, etwaige Einwände gegen die Klauselerteilung vorzubringen8. (Ga)
2.
TV T-Zug: Anspruch auf Ersatzfreistellung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Am 14.2.2018 haben die Tarifvertragsparteien in der Metall- und Elektroindustrie NRW den am 1.1.2019 in Kraft getretenen Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld (TV T-Zug) abgeschlossen. Danach haben Beschäftigte und Auszubildende, die jeweils am 31. Juli eines Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört haben, je Kalenderjahr einen Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld (T-Zug). Das T-Zug (A) beträgt 27,5 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts/der regelmäßigen Ausbildungsvergütung. Nach § 25 des Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie NRW vom 8.11.2018 (MTV) können bestimmte Gruppen von Beschäftigten, die in bestimmten Schichtmodellen beschäftigt werden oder näher bezeichnete Angehörige pflegen oder ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Kind bis zum achten Lebensjahr betreuen, verlangen, statt des tariflichen Zusatzgelds nach dem TV T-Zug eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen. Der Freistellungsanspruch beträgt acht Tage für Beschäftigte, bei denen sich die Arbeitszeit regelmäßig auf fünf Tage pro Woche verteilt (§ 25.3 MTV). Die anspruchsberechtigten Beschäftigten können den Freistellungsanspruch bis zum 31. Oktober eines Jahres für das Folgejahr geltend machen (§ 25.2 Abs. 1 MTV). Außerdem sieht § 25.3 Abs. 3 MTV Folgendes vor: Kann der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr genommen werden, geht der Freistellungsanspruch unter. Im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage besteht der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld nach § 2 Nr. 2 a TV T-Zug.
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BAG v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20, NZA 2022, 416 Rz. 37.
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TV T-Zug: Anspruch auf Ersatzfreistellung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
In der Entscheidung des 10. Senats des BAG vom 23.2.20229 ging es um die Frage, ob der tarifliche Anspruch auf bezahlte arbeitsfreie Tage anstelle des tariflichen Zusatzgeldes auch dann erfüllt wird, wenn der Arbeitnehmer am Freistellungstag arbeitsunfähig erkrankt ist. Die Parteien waren an den MTV und den TV T-Zug gebunden. Der Kläger hatte von der im MTV für bestimmte Arbeitnehmergruppen eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, statt des Zusatzgeldes nach dem TV T-Zug bezahlte arbeitsfreie Tage zu erhalten und für das Jahr 2019 den Anspruch auf Freistellungstage gewählt. An zwei der festgelegten freien Tage war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte lehnte eine Nachgewährung dieser Freistellungstage ab. Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt verlangt festzustellen, dass ihm für das Jahr 2019 noch eine bezahlte Freistellung im Umfang von zwei Arbeitstagen zusteht. Er hat gemeint, dieser Anspruch sei durch die bloße Festlegung von freien Tagen nicht erfüllt worden. Vielmehr müsse die freie Zeit tatsächlich nutzbar sein. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit stehe dem entgegen. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Anspruch sei bereits dadurch erfüllt, dass sie die freien Tage festgelegt und den Kläger von der Verpflichtung entbunden habe, die Arbeitsleistung zu erbringen. Das LAG Hamm10 hat festgestellt, dass dem Kläger für das Kalenderjahr 2019 noch zwei Freistellungstage nach dem MTV zustehen und dies damit begründet, dass der Freistellungsanspruch für 2019 mit dem Ablauf des Jahres 2019 untergegangen sei, der Arbeitgeber diesen Untergang zu vertreten habe und unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes (§§ 280, 283 BGB) als Naturalrestitution (§ 249 BGB) weiterhin eine bezahlte Ersatzfreistellung schulde. Die vom LAG zugelassene Revision ist vom BAG zurückgewiesen worden. Dabei teilt das BAG zunächst die Auffassung des LAG, dass der Anspruch auf Freistellung nach dem MTV an Tagen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber nicht erfüllt werden kann. Im Gegensatz zur Auffassung des LAG Hamm geht nach Ansicht des BAG jedoch der Erfüllungsanspruch der zusätzlichen freien Tage nur dann am Jahresende unter, wenn der Arbeitnehmer durchgängig bis zu diesem Zeitpunkt durch Krankheit an der Wahrnehmung der freien Tage gehindert ist. Nur für diesen Fall will das BAG den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld wieder aufleben lassen. Ist dagegen der Arbeitnehmer – wie im Streitfall – durchaus in der Lage, zu einem späteren Zeitpunkt die noch ausstehenden freien Tage bis zum Ablauf 9 BAG v. 23.2.2022 – 10 AZR 99/21 n. v. 10 LAG Hamm v. 25.11.2020 – 6 Sa 695/20 n. v.
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Tarifrecht
des Kalenderjahres in Anspruch nehmen zu können, besteht nach Meinung des BAG der originäre Erfüllungsanspruch auf Freistellung zu Gunsten des Arbeitnehmers fort und ist nicht auf das Kalenderjahr befristet. Zunächst wird allerdings davon auszugehen sein, dass der Arbeitgeber durch die mit dem Arbeitnehmer abgestimmte Freistellungserklärung auf der Grundlage des MTV seine Verpflichtung erfüllt. Mehr kann der Arbeitgeber auch nicht veranlassen, um dem Anspruch aus dem MTV auf bezahlte Freistellung nachzukommen. Wie jedoch § 9 BUrlG belegt, kann der Gesetzgeber – und damit auch ein Tarifvertrag – nachträglich der erfolgten Freistellung die Erfüllungswirkung nehmen, wenn der mit der Freistellung verbundene Zweck, d. h. der Erfüllungserfolg, bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses – hier Krankheit – aus seiner Sicht nicht eintreten kann. Ohne die Regelung in § 9 BUrlG würde der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch ersatzlos verlieren, wenn er während eines bereits bewilligten Urlaubs arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeitgeber würde von der Leistungspflicht frei, weil er mit der Festlegung des Urlaubszeitraums als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan hätte11. Völlig gleichgültig ist dabei, ob sich der Arbeitnehmer ansonsten während seines Urlaubs erholen konnte oder durch sonstige Ereignisse – etwa Tod oder schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen – daran gehindert war. Dient etwa die in einem Tarifvertrag vorgesehene Freistellung des Arbeitnehmers einem Arbeitszeitausgleich, um dadurch eine Kompensation der Differenz zwischen der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit und einem Zeitguthaben durch bedarfsbedingte höhere Arbeitszeitleistung zu schaffen, wird diese Zweckbestimmung unabhängig davon erfüllt, ob der Arbeitnehmer während der Dauer der Freistellung erkrankt12. Eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entfällt, weil die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Da die in § 25.3 MTV vorgesehene Freistellung statt der Zahlung eines Zusatzgeldes ausschließlich für den Fall personenbedingter Gründe, womit vor allem eine Erkrankung angesprochen wird, den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld ausschließlich dann wiederaufleben lässt, wenn sich die Erkrankung dauerhaft bis zum Ende des Kalenderjahres fortsetzt, d. h. im laufenden Kalenderjahr eine bezahlte Freistellung nicht mehr in Betracht kommt, wäre es widersprüchlich, bei einem Zusammentreffen von Freistellung und 11 BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 669/12, ZTR 2014, 549 Rz. 23. 12 Vgl. etwa BAG v. 11.9.2003 – 6 AZR 374/02, NZA 2004, 738 Rz. 31 ff.
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Geltendmachung von Zinsansprüchen bei tarifvertraglicher Ausschlussfrist
Krankheit in sonstigen Fällen die Erfüllung des Freistellungsanspruchs zu bejahen13. Die im MTV geregelte Zweckbestimmung der Freistellung hat dagegen nur anspruchsbegründende Wirkung. Ob der Arbeitnehmer die Freistellungstage tatsächlich zu einem dieser Zwecke nutzt, ist rechtlich unerheblich und bleibt ihm überlassen. Soweit der 10. Senat des BAG zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Freistellungsanspruch, soweit er nicht ausnahmsweise nach § 25.3 MTV aus personenbedingten Gründen im Kalenderjahr untergegangen ist, in allen anderen Fällen über das Kalenderjahr hinaus fortbesteht, schließt er sich der Auffassung des 4. Senats des BAG14 an, der die Gewährung von Freistellungstagen, deren Anspruch aus einem früheren Kalenderjahr stammt, im fortbestehenden Arbeitsverhältnis regelmäßig auch ohne Weiteres für noch möglich gehalten hat, weil weder ein Fall der objektiven noch subjektiven Unmöglichkeit i. S. v. § 275 BGB vorliege. (Boe)
3.
Geltendmachung von Zinsansprüchen bei tarifvertraglicher Ausschlussfrist
Der Zweck einer tariflichen Ausschlussfrist besteht vor allem darin, dass sich aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit der Anspruchsgegner auf die nach Auffassung des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden kann15. Unter Berücksichtigung dieser Zweckbestimmung ist der 5. Senat des BAG mit Urteil vom 24.6.202116 davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Zahlungsansprüche einschließlich der Verzugszinsen (§§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) wahrt, ohne diese ausdrücklich bezeichnen oder beziffern zu müssen. Die Nebenforderung der Verzugszinsen ist unmittelbar von der Hauptforderung der
13 A. A. jedoch LAG Nürnberg v. 3.3.2021 – 2 Sa 343/20 n. v. (Rz. 61 ff.), anhängig beim BAG unter dem Az.: 10 AZR 204/21. Im Ergebnis wie hier: LAG Düsseldorf v. 23.7.2021 – 10 Sa 694/20 n. v. (Rz. 38 ff.), das allein auf den mit der Freistellung verbundenen Zweck abstellt, auf den es bei der zu beurteilenden Frage aber nicht ankommt. 14 BAG v. 11.11.2020 – 4 AZR 210/20, NZA 2022, 68 Rz. 46. 15 BAG v. 28.2.2018 – 4 AZR 816/16, ZTR 2018, 386 Rz. 50 16 BAG v. 24.6.2021 – 5 AZR 385/20, NZA 2021, 1488 Rz. 32.
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Tarifrecht
Vergütung wegen Annahmeverzugs abhängig17 und für den Schuldner kraft gesetzlicher Festlegung ihrer Höhe in § 288 Abs. 1 S. 2 BGB anhand der Hauptforderung berechenbar18. Wegen dieser Verbundenheit von Haupt- und Nebenforderung kann sich der Arbeitgeber bei einer Bestandsschutzklage darauf einrichten, welche wirtschaftliche Verpflichtung auf ihn zukommen kann, wenn er den Bestandsschutzprozess verliert. Dieser Rechtsprechung hat sich nunmehr der 4. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 17.11.202119 angeschlossen, in der es darum ging, ob aufgrund verspäteter Zahlung von Annahmeverzugsvergütung durch deren Geltendmachung eine tarifliche Ausschlussfrist auch für Ansprüche auf Zahlung von Verzugszinsen gewahrt wird. Der Klägerin, die bei der Beklagten im Museum für Islamische Kunst als Leiterin der Textilrestaurierung beschäftigt war, standen gegen die Beklagte nach der Überleitung vom BAT in den TVöD-Bund in der Zeit von Januar 2014 bis August 2018 Vergütungsdifferenzen zwischen der Entgeltgruppe 10 und der Entgeltgruppe 12 TVöD-Bund zu. Mit Schreiben vom 26.5.2015 hatte die Klägerin „die Höhergruppierung nach § 26 Abs. 1 TVÜ-Bund“ beantragt. Am 12.10.2016 erteilte die Beklagte der Klägerin die schriftliche Auskunft, ihre Tätigkeit sei seit dem 1.1.2014 nach der Entgeltgruppe 12 TVöD-Bund zu bewerten und fragte nach, ob die Klägerin an ihrem Höhergruppierungsantrag festhalte. Mit Antwortschreiben vom 27.10.2016 teilte die Klägerin der Beklagten mit, „dass ich meinen Antrag auf Höhergruppierung gemäß § 26 Abs. 1 TVÜ-Bund vom 26.5.2015 aufrechterhalte.“ Nachdem die Beklagte der Klägerin im August 2018 die Differenzzahlung ab 1.1.2014 angekündigt hatte, verlangte die Klägerin für den Zeitraum von Januar 2014 bis August 2018 die Verzinsung der Differenzzahlung. Ende September 2018 zahlte die Beklagte an die Klägerin für diesen Zeitraum 13.429,86 € (brutto), aber nur 45,53 € Zinsen von März bis August 2018 unter Hinweis auf die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TVöD, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von dem Beschäftigten oder vom Arbeitgeber in Textform geltend gemacht werden, wobei für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später 17 BGH v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733 Rz. 36. 18 BAG v. 24.6.2021 – 5 AZR 385/20, NZA 2021, 1488 Rz. 34. Dies ist anders zu bewerten, wenn der Arbeitnehmer einen durch die Nachzahlung in einem Veranlagungszeitraum verursachten Steuerprogressionsschaden gegen den Arbeitgeber geltend macht: BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 488/01, NZA 2003, 268 Rz. 51 f. 19 BAG v. 17.11.2021 – 4 AZR 77/21, ZTR 2022, 162.
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Geltendmachung von Zinsansprüchen bei tarifvertraglicher Ausschlussfrist
fällige Leistungen ausreicht. Die Klägerin hat klageweise 1.206,05 € bis Februar 2018 verlangt. Das LAG hat die Klage wegen § 37 Abs. 1 TVöD abgewiesen, weil die Ansprüche aus Verzugszinsen verfallen seien. Das BAG hat der Klage für den Zeitraum April 2016 bis Februar 2018 i. H. v. 756,79 € aus §§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 S. 1, 2 BGB entsprochen, weil für diesen Zeitraum durch den Höhergruppierungsantrag vom 27.10.2016 zugleich die tarifliche Ausschlussfrist gewahrt worden war. Zunächst geht das BAG davon aus, dass auch die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung von Verzugszinsen von der Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 S. 1 TVöD erfasst werden, weil die von der Ausschlussfrist betroffenen Ansprüche „aus dem Arbeitsverhältnis“ unabhängig von der materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage alle diejenigen sind, die aufgrund der durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehen. Die Beklagte war mit der Zahlung der monatlich am letzten Werktag des Monats (§ 24 Abs. 1 S. 2, 3 TVöD-Bund) fällig werdenden Differenzentgeltansprüche spätestens am Ersten des Folgemonats nach § 286 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB in Verzug geraten und außerstande, darlegen zu können, dass sie das Ausbleiben der Leistung nach § 276 Abs. 1 S. 1 BGB nicht zu vertreten hatte (§ 286 Abs. 4 BGB). Im Anschluss an diese Feststellung führt das BAG in Übereinstimmung mit der Entscheidung des 5. Senats des BAG20 aus, dass durch die Geltendmachung eines Vergütungsanspruchs als Hauptforderung zugleich Ansprüche auf Zahlung von Verzugszinsen, die von der Hauptforderung abhängig sind, als Nebenforderung im Sinne der Ausschlussfrist geltend gemacht werden. Grundlage für die Höhe der Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 S. 1 BGB bildet dabei die in Geld geschuldete Bruttovergütung21, weil der Schuldner nach § 284 BGB mit der gesamten Bruttovergütung in Verzug gerät, wenn er nicht leistet. Damit stellte sich die Frage, ob und wann die Klägerin ihre Hauptforderung auf Zahlung der Vergütung von der Beklagten verlangt hat. Dabei hat das BAG als wirksame Handlung zur Geltendmachung der Differenzbeträge im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz ausreichen lassen, dass die Klägerin der Beklagten in Beantwortung ihres Schreibens vom 12.10.2016 mit Schreiben vom 27.10.2016 mitgeteilt hatte, sie halte an ihrem Höhergruppierungsantrag weiterhin fest. Aus der Zusammenschau dieser beiden Schreiben sei zu entnehmen, dass die Klägerin für die Beklagte zum Ausdruck gebracht habe, mindestens eine Vergütung nach der Entgelt20 BAG v. 24.6.2021 – 5 AZR 385/20, NZA 2021, 1488 Rz. 33 ff. 21 BAG v. 7.3.2001 – GS 1/00, NZA 2001, 1195 Rz. 11 ff.
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Tarifrecht
gruppe 12 TVöD-Bund zu verlangen. Im Hinblick auf die sechsmonatige Ausschlussfrist wahrte damit das Schreiben der Klägerin vom 27.10.2016 alle Vergütungsansprüche, die ab dem 30.4.2016 fällig geworden sind (§ 188 Abs. 2 BGB). Da durch die Geltendmachung der Hauptforderung die tarifvertragliche Ausschlussfrist auch für Ansprüche auf Zahlung der Verzugszinsen als Nebenforderung gewahrt wird, weil diese von der Hauptforderung abhängig ist, hat das BAG für den Zeitraum April 2016 bis Februar 2018 die von der Klägerin geltend gemachte Zinsforderung i. H. v. 756,79 € aus §§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 S. 1, 2 BGB für gerechtfertigt gehalten. Soweit der Zeitraum davor in Rede steht, hat jedoch das BAG allein in dem schriftlichen Antrag der Klägerin vom 26.5.2015 „auf Höhergruppierung nach § 26 Abs. 1 TVÜ-Bund“ ohne Benennung einer bestimmten Entgeltgruppe eine nicht den Anforderungen aus § 37 Abs. 1 TVöD-Bund genügende Geltendmachung der Vergütungsdifferenz angesehen, so dass damit automatisch die darauf entfallenden Zinsen verfallen waren. In diesem Zusammenhang hat das BAG zusätzlich geprüft, ob es der Beklagten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sein könnte, sich hinsichtlich der Verzugszinsen auf deren Verfall zu berufen, zumal sie die Entgeltdifferenzen für die Zeit ab dem 1.1.2014 erst Ende September 2018 beglichen hat. Dies wird vom BAG unter Hinweis darauf verneint, dass die Erfüllung einer verfallenen Hauptforderung nicht die Verpflichtung nach sich zieht, einen weiteren nicht mehr bestehenden Anspruch auf Verzugszinsen ebenfalls erfüllen zu müssen. (Boe)
4.
Gewährung von Urlaub im Zusammenhang mit tarifvertraglicher Altersfreizeit
Nach den Regelungen des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie erhalten Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche. Grundsätzlich sollen Altersfreizeiten am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag gewährt werden. Wenn aus Gründen des Arbeitsablaufs eine Zusammenfassung der Altersfreizeiten zu freien Tagen erforderlich ist, können sich die Betriebsparteien hierauf einigen. Während der Altersfreizeit ist dem Arbeitnehmer im Wesentlichen das Entgelt fortzuzahlen, das er erhalten hätte, wenn er gearbeitet hätte.
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Gewährung von Urlaub im Zusammenhang mit tarifvertraglicher Altersfreizeit
In dem Urteil des BAG vom 25.1.202222 zugrunde liegenden Fall war für den Kläger der 22.5.2019 bereits zu Jahresbeginn als einer der Altersfreizeittage bestimmt worden. Zu einem späteren Zeitpunkt beantragte er für die Zeit vom 20.5.2019 bis zum 31.5.2019 Erholungsurlaub. Dabei wies er allerdings ausdrücklich darauf hin, dass er am 22.5.2019 keinen Erholungsurlaub nehmen wolle, weil dieser Tag bereits wegen der Altersfreizeit für ihn arbeitsfrei sei. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, Altersfreizeittage könnten nicht vom Erholungsurlaub umschlossen sein. Sie gewährte dem Kläger daraufhin Erholungsurlaub, bezog dabei allerdings auch den 22.5.2019 ein. Der Kläger hielt dies für falsch und verlangte, dass ihm für den 22.5.2019 ein weiterer Urlaubstag auf dem Urlaubskonto gutgeschrieben werden müsse. Mit überzeugender Begründung hat das BAG dieses Begehren bestätigt. In seiner Begründung hat es darauf verwiesen, dass der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 BUrlG bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen habe, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienten, entgegenstünden. Dies schließe zwar nicht generell aus, dass der Urlaub durch den Arbeitgeber auch außerhalb des durch den Arbeitnehmer geäußerten Wunschs bestimmt werden könne. Die damit verbundene Freistellungserklärung des Arbeitgebers könne nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs aber nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum überhaupt eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestehe23. Hiervon ausgehend war es ausgeschlossen, dem Kläger für den 22.5.2019 wirksam Urlaub zu gewähren. Denn an diesem Tag war er bereits wegen der zuvor vereinbarten Altersfreizeit von seiner Pflicht zur Arbeit entbunden. Eine Möglichkeit, ihn ein weiteres Mal zum Zwecke der Erholung von der Arbeitspflicht zu befreien, besteht nicht. Da der Tarifvertrag entgegen der Annahme des Arbeitgebers auch keine Regelung enthielt, nach der Altersfreizeittage nicht durch Erholungsurlaub umschlossen werden konnten, musste der Arbeitgeber auch nicht auf die Altersfreizeit verzichten, um an dem Antrag auf Erholungsurlaub für die verbleibenden Tage festzuhalten.
22 BAG v. 25.1.2022 – 9 AZR 230/21, NZA 2022, 643 Rz. 12 ff. 23 BAG v. 25.1.2022 – 9 AZR 230/21 NZA 2022, 643 Rz. 18 f.; BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19, NZA 2020, 1633 Rz. 17.
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Tarifrecht
Auch darauf hat das BAG auf der Grundlage einer Auslegung des streitgegenständlichen MTV hingewiesen24. Dass die entsprechende Klarstellung durch das BAG erst nach Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des 31.3.2020 erfolgte, stand dem Begehren des Klägers nicht entgegen. Denn der Kläger hatte die Gutschrift dieses Urlaubstages noch im Jahre 2019 geltend gemacht, war aber beim Arbeitgeber auf strikte Ablehnung gestoßen. Damit aber war ein Verfall ausgeschlossen25. (Ga)
24 BAG v. 25.1.2022 – 9 AZR 230/21 NZA 2022, 643 Rz. 24 ff. 25 BAG v. 25.1.2022 – 9 AZR 230/21 NZA 2022, 643 Rz. 33.
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H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Betriebsvereinbarungsoffenheit einzelvertraglicher Regelungen
In der betrieblichen Praxis besteht immer wieder das Bedürfnis, einzelvertraglich begründete Regelungen veränderten Verhältnissen anzupassen. Grundsätzlich sind entsprechende Änderungen nur durch Abschluss einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder Änderungskündigung möglich, die regelmäßig an ihrer sozialen Rechtfertigung scheitert. Vor diesem Hintergrund ist es außerordentlich wichtig zu wissen, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung einzelvertraglicher Regelungen auch durch Betriebsvereinbarung erfolgen kann. Denn damit wäre es möglich, auch ohne die Zustimmung des Arbeitnehmers Veränderungen zu bewirken, die nicht nur vorteilhaft sind. Grundsätzlich gilt im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag das Günstigkeitsprinzip: Individualrechtliche Vereinbarungen haben gegenüber Betriebsvereinbarungen Vorrang, wenn und soweit sie eine für die Arbeitnehmer günstigere Regelung enthalten1. Voraussetzung für die Annahme einer günstigeren Regelung ist aber, dass der Arbeitsvertrag selbst die Frage konstitutiv geregelt hat. Denn wenn der Arbeitsvertrag keine oder nur eine deklaratorische Feststellung trifft, also die bereits auf kollektivvertraglicher Ebene getroffene Regelung wiedergibt, kann die Betriebsvereinbarung (weiterhin) unmittelbar gegenseitige Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien begründen. Denn ohne arbeitsvertragliche Regelung ist eine Kollision ausgeschlossen. Der Günstigkeitsvergleich ist dabei als Sachgruppenvergleich vorzunehmen, für den die zu § 4 Abs. 3 TVG entwickelten Grundsätze nutzbar gemacht werden können. Entscheidend ist eine objektive Sichtweise. Hängt die Günstigkeit von Einzelfallumständen ab (ambivalente Regelung) oder ist die Günstigkeit objektiv nicht zweifelsfrei feststellbar (neutrale Regelung), bleibt es beim Vorrang der Betriebsvereinbarung. Diese Grundsätze gelten an sich auch für das Verhältnis zwischen einer Betriebsvereinbarung und betrieblichen Einheitsregelungen, die durch Arbeitsvertrag, Gesamtzusage oder betriebliche Übung geschaffen werden. 1
BAG v. 17.7.2016 – 3 AZR 134/15, NZA 2016, 1475 Rz. 60; BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rz. 55.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Bereits mit seinem Beschluss vom 16.9.19862 hat der Große Senat des BAG allerdings die Möglichkeit einer Änderung betrieblicher Einheitsregelungen angenommen, wenn das Prinzip der kollektiven Günstigkeit gewahrt sei3. Auf dieser Grundlage können Änderungen aber nur erfolgen, wenn sie insgesamt für den davon betroffenen Personenkreis günstiger sind, selbst wenn einzelne Arbeitnehmer Nachteile erfahren. Deutlich größere Bedeutung für die betriebliche Praxis hat deshalb die Annahme des BAG, dass der Arbeitgeber unabhängig von den Vorgaben der kollektiven Günstigkeit durch eine Betriebsvereinbarung in einzelvertragliche Regelungen auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer eingreifen kann, wenn dort der Vorbehalt einer kollektivrechtlichen Änderung enthalten war. Diesen Grundsatz hatte das BAG erstmals im Urteil vom 5.3.20134 aufgestellt. Dies ist bemerkenswert, weil damit durch Betriebsvereinbarung durchgängig auch ungünstigere Regelungen getroffen werden können, die an die Stelle der im Arbeitsvertrag getroffenen Regelung treten. Diese Rechtsprechung hat das BAG noch einmal mit Urteil vom 17.8.20215 bestätigt. Danach können die Arbeitsvertragsparteien ihre vertraglichen Ansprüche – zu denen auch Ansprüche aus betrieblicher Übung zählen – dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Eine solche betriebsvereinbarungsoffene Gestaltung könne – so das BAG – ausdrücklich vereinbart werden oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und sei namentlich bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich6. Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt eine ausdrückliche Vereinbarung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit nicht nur dann vor, wenn in der vertraglichen Absprache auf die jeweils geltende Betriebsvereinbarung Bezug genommen wird7. Es genügt auch, dass im Arbeitsvertrag im Zusammenhang mit der Zusage von Sonderleistungen darauf verwiesen wird, dass sie „nach den betrieblichen Regeln gezahlt werden“. Diese Formulierung bringe – so das BAG – hinreichend erkennbar zum Ausdruck, dass insoweit im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollten. Da Betriebsvereinbarungen
2 3 4 5 6 7
BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 Ls. 1. Vgl. hierzu HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 62 ff. BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rz. 60. BAG v. 17.8.2021 – 1 AZR 50/20, NZA 2022, 207 Rz. 58 f. Vgl. BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 450/17, NZA 2019, 1065 Rz. 60. So BAG v. 17.8.2021 – 1 AZR 50/20, NZA 2022, 207 Rz. 58; BAG v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, NZA 1988, 617.
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Betriebsvereinbarungsoffenheit einzelvertraglicher Regelungen
die typische Form einer „betrieblichen Regel“ seien, könne nicht zweifelhaft sein, dass die bestehende Zusage auch einer Abänderung durch eine verschlechternde Betriebsvereinbarung zugänglich sei. In dem konkreten Fall ist das BAG insofern davon ausgegangen, dass eine betriebliche Übung hinsichtlich der Gewährung von Urlaubsgeld in Anlehnung an einen Tarifvertrag durch eine spätere Betriebsvereinbarung abgeändert werden konnte. Diese Annahme einer ausdrücklichen Vereinbarung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit begegne auch im Hinblick auf das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB keinen Bedenken8. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass die Betriebsvereinbarung die einzelvertraglichen Regelungen nicht nur vorübergehend verdrängt. Vielmehr kommt es zu einer Ablösung der einzelvertraglichen Regelungen, was zur Folge hat, dass die betriebliche Übung, die Gesamtzusage oder die arbeitsvertragliche Einheitsregel auch dann nicht wieder aufleben kann, wenn die Betriebsvereinbarung zu einem späteren Zeitpunkt beendet wird9. Wenn man dieser Rechtsprechung trotz der durchaus nachvollziehbaren Bedenken in Bezug auf die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der AGBKontrolle folgt, ist es möglich, mit einer Betriebsvereinbarung nicht nur Ansprüche abzulösen, die bereits zuvor durch Betriebsvereinbarung geregelt waren. Vielmehr können Gegenstand einer ablösenden Betriebsvereinbarung gleichzeitig auch (etwaige) Ansprüche sein, deren Rechtsgrundlage auf einzelvertragliche Ebene gesetzt wurde. So hatten die Betriebsparteien in dem dem Urteil vom 17.8.202110 zugrunde liegenden Fall mit einer Betriebsvereinbarung über die Gewährung einer Prämie, deren Zahlung zu 80 % monatlich und mit dem verbleibenden Teil zweimal jährlich ausgezahlt wurde, die bis dahin durch betriebliche Übung bzw. Betriebsvereinbarung begründeten Ansprüche auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld abgelöst. Voraussetzung ist lediglich, dass die Betriebsvereinbarung auch im Übrigen den gesetzlichen Schranken aus § 77 BetrVG Rechnung trägt. Insofern ist darauf zu achten, dass die Ablösung nicht durch Regelungsgegenstände erfolgt, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, weil eine Missachtung dieses Regelungsvorbehalts der Tarifvertragsparteien nach §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung führen kann. (Ga)
8 BAG v. 17.8.2021 – 1 AZR 50/20, NZA 2022, 207 Rz. 59. 9 Vgl. BAG v. 17.8.2021 – 1 AZR 50/20, NZA 2022, 207 Rz. 66. 10 BAG v. 17.8.2021 – 1 AZR 50/20, NZA 2022, 207 Rz. 55 ff.
251
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
2.
Betriebsratswahl: Anfechtbarkeit wegen unzulässiger Ausweitung der Briefwahl
§ 24 WO-BetrVG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen einer Betriebsratswahl die schriftliche Stimmabgabe erfolgen kann. Üblicherweise steht dabei im Mittelpunkt, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, damit der Wahlvorstand initiativ (§ 24 Abs. 2 WO-BetrVG) bzw. auf Verlangen der Wahlberechtigten (§ 24 Abs. 1 WO-BetrVG) Unterlagen zur Durchführung der Briefwahl verschicken muss bzw. kann. Ergänzend hierzu bestimmt § 24 Abs. 3 WO-BetrVG, dass der Wahlvorstand die schriftliche Stimmabgabe für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, beschließen kann. In diesem Fall findet § 24 Abs. 2 WO-BetrVG entsprechende Anwendung. Wie der Beschluss des BAG vom 16.3.202211 deutlich macht, bewirkt die Nichtbeachtung der vorstehend genannten Vorrausetzungen für eine Briefwahl die Anfechtbarkeit des Wahlergebnisses gemäß § 19 BetrVG. Allerdings ist dafür die Zwei-Wochen-Frist, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses angerechnet, einzuhalten. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall ging es um die Betriebsratswahlen der Volkswagen AG am Standort Hannover-Stöcken. Das mehrere Hektar große Werksgelände ist von einem geschlossenen Werkszaun umgeben; der Zugang erfolgt durch vom Werkschutz kontrollierte Tore. Allerdings befinden sich auch außerhalb des umzäunten Geländes weitere Betriebsstätten, die dem Werk Hannover-Stöcken organisatorisch zugeordnet sind und von dem dort gewählten Betriebsrat vertreten werden. Bei der Betriebsratswahl im April 2018 hatte der Wahlvorstand diese Arbeitnehmer außerhalb des umzäunten Geländes indes nicht in die normale Wahl einbezogen. Vielmehr hatte er für die Arbeitnehmer sämtlicher außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegender Betriebsstätten die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) beschlossen, obwohl jedenfalls drei dieser Betriebsstätten unmittelbar angrenzend an das umzäunte Werksgelände liegen. Das BAG hat – in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen – bestätigt, dass die Betriebsratswahl deshalb anfechtbar und als Folge der fristgerechten Anfechtung auch unwirksam war. Der Wahlvorstand könne – so das BAG – die schriftliche Stimmabgabe nur für räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernte
11 BAG v. 16.3.2022 – 7 ABR 29/20 n. v.
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Betriebsratswahl: Anfechtbarkeit wegen unzulässiger Ausweitung der Briefwahl
Betriebsteile und Kleinstbetriebe beschließen. Diese Voraussetzung war jedenfalls bei den drei unmittelbar an das umzäunte Werksgelände angrenzenden Betriebsstätten nicht erfüllt. Da dieser Fehler das Wahlergebnis auch beeinflussen konnte, musste die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt werden. Die Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass die formalen Rahmenbedingungen einer Betriebsratswahl, wie sie durch das BetrVG und die WOBetrVG bestimmt werden, unbedingt eingehalten werden müssen. Soweit es um die Briefwahl für Betriebsteile und Kleinstbetriebe gilt, die räumlich weit entfernt sind, dürfte eine Klärung noch relativ einfach erfolgen können. Denn hier kann an die zu § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG entwickelten Kriterien angeknüpft werden. Angesichts der Zunahme von Arbeitnehmern, die im Rahmen der mobilen Arbeit tätig werden, dürfte es für den Wahlvorstand allerdings zunehmend schwieriger werden, rechtssicher zu beurteilen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen auf Verlangen bzw. initiativ eine schriftliche Stimmabgabe gemäß § 24 Abs. 1, 2 WO-BetrVG zu bewirken ist. Denn es dürfte nicht nur schwierig sein festzustellen, ob der Arbeitnehmer wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist, seine Stimme persönlich abzugeben (§ 24 Abs. 1 S. 1 WO-BetrVG). Schließlich ist bereits umstritten, ob der Wahlvorstand insoweit verpflichtet ist, jedenfalls eine kursorische Überprüfung vorzunehmen, wenn unter Verweis auf eine Verhinderung die Zusendung von Unterlagen für die Betriebsratswahl verlangt wird12. Insbesondere dürfte es zunehmend problematischer sein zu erkennen, ob ein Wahlberechtigter „nach der Eigenart seines Beschäftigungsverhältnisses” zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein wird. Denn von dieser Regelung werden nicht nur Außendienstmitarbeiter, Leiharbeitnehmer und Arbeitnehmer in Tele- bzw. Heimarbeit erfasst, bei denen diese Feststellung noch relativ einfach getroffen werden kann. Abgrenzungsschwierigkeiten dürften insbesondere dann gegeben sein, wenn Arbeitnehmer im Rahmen eines NewWork-Konzeptes berechtigt sind, nach ihrer Wahl einen oder mehrere Tage der Woche außerhalb des Betriebs (mobil) zu arbeiten. Denn hier kann zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Versand der Wahlunterlagen häufig nicht erkannt werden, ob der Arbeitnehmer an dem Tag/den Tagen der Wahl von dieser Befugnis Gebrauch macht und nicht im Betrieb anwesend ist oder ob es für ihn möglich wäre, seine Stimme im Betrieb abzugeben. (Ga) 12 Dafür LAG Düsseldorf v. 16.9.2011 – 10 TaBV 33/11 n. v.; Richardi/Forst, BetrVG WO § 24 Rz. 3; dagegen Kloße, NZA 2021, 1301; Fitting, BetrVG WO § 24 Rz. 3.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
3.
Strafrechtliche Relevanz fehlerhafter Vergütung von Betriebsratsmitgliedern
In den vergangenen Jahren haben wir uns mehrfach mit der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern befasst. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen Entgelterhöhungen auf der Grundlage der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG gerechtfertigt sind. Ergänzend hierzu hatten wir die Frage behandelt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Beförderungsmaßnahmen, die außerhalb der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer erfolgen, mit dem Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG vereinbar sind13. In der Regel handelt es sich dabei um freigestellte Betriebsratsmitglieder, bei denen eine typisierte Annahme in Bezug auf ihre Personalentwicklung wegen der fehlenden Tätigkeit schwierig ist und deshalb häufig Anlass dafür bietet, auf der Grundlage von verschiedenen Annahmen eine bestimmte Karriere und daraus folgende Entgelterhöhungen zu prognostizieren14. Die Entscheidung des LG Braunschweig vom 28.9.202115 bietet Anlass, sich über die arbeitsrechtliche Betrachtungsweise hinaus noch einmal der strafrechtlichen Seite zuzuwenden, die mit einer begünstigenden Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, insbesondere über den Tatbestand des § 266 StGB, verbunden sein kann16. Gegenstand des Verfahrens war eine Anklage wegen Untreue (§ 266 StGB). Betroffen hiervon waren zwei frühere Vorstandsmitglieder und zwei Führungskräfte unterhalb des Vorstands, die für Personal und Organisation verantwortlich waren. Ihnen wurde vorgeworfen, fünf Betriebsratsmitgliedern, zu denen auch der ehemalige Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats gehörte, in den Jahren 2011 bis 2016 Entgelte und Jahresboni in einer Gesamthöhe von 5.056.206,94 € zu viel bewilligt zu haben. Alle Angeklagten wurden von dem Vorwurf der Untreue freigesprochen. Wichtig für die Betriebspraxis ist allerdings, dass der Freispruch nicht mit der Begründung erfolgt ist, dass die Zahlungen pflichtgemäß getätigt worden sind. Vielmehr konnten die getroffenen Feststellungen aus Sicht des LG Braunschweig einen Tatvorsatz der Angeklagten hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit ihres Handelns nicht begründen. Denn nach den Feststellungen des 13 14 15 16
Pitzer, AktuellAR 2020, 241, 622, 2021, 242 ff. Eingehend auch Schrader/Klagges/Siegel/Lipski, NZA 2022, 456. LG Braunschweig v. 28.9.2021 – 16 KLs 85/19 n. v. Hierzu auch Koch/Qudlich/Thüsing, ZIP 2022, 1.
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Strafrechtliche Relevanz fehlerhafter Vergütung von Betriebsratsmitgliedern
LG Braunschweig waren die Angeklagten davon überzeugt, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln. Die darin liegende Fehlvorstellung ist als Tatbestandsirrtum gewertet worden, der einer Strafbarkeit entgegenstand. Grundlage hierfür waren mehrfache Vermerke, die über interne und externe Berater im Laufe der Jahre im Hinblick auf das intern etablierte System einer Betriebsratsvergütung erstellt wurden und jeweils zu dem Ergebnis kamen, dass die gelebte Praxis der Vergütungsanpassungen mit den Vorgaben aus §§ 37 Abs. 4, 78 S. 2 BetrVG vereinbar sei. Von erheblicher Bedeutung für die betriebliche Praxis ist allerdings, dass sich das LG Braunschweig hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Anhebung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ohne Einschränkung der Rechtsprechung des BAG angeschlossen und daran anknüpfend festgestellt hat, dass die zugrunde liegende Praxis des Arbeitgebers in den maßgeblichen Jahren ohne Ausnahme rechtswidrig war. Insoweit kann auf die Ausführungen zu den maßgeblichen Entscheidungen verwiesen werden, die wir bereits an anderer Stelle gemacht hatten17. So geht das LG Braunschweig in Bezug auf § 37 Abs. 4 BetrVG davon aus, dass nicht allein die hypothetische Entwicklung des Betriebsratsmitglieds für die Anpassung seiner Vergütung maßgeblich sei. Vielmehr müsse auf die Gehaltsentwicklung der mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Arbeitnehmer abgestellt werden. Dabei sei eine Entwicklung maßgeblich, die bei objektiv vergleichbarer Tätigkeit Arbeitnehmer mit vergleichbarer fachlicher und persönlicher Qualifikation bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen hätten. Für den Begriff der Betriebsüblichkeit sei dabei die Typizität des Arbeitgeberverhaltens, d. h. seine Gleichförmigkeit, entscheidend. Üblich sei eine Entwicklung, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht nehmen würden. Davon sei auszugehen, wenn dem Betriebsratsmitglied die höherwertige Tätigkeit nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätte übertragen werden müssen oder die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreicht habe18. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen sei, den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen.
17 Pitzer, AktuellAR 2020, 241, 622, 2021, 242 ff. 18 LG Braunschweig v. 28.9.2021 – 16 KLs 85/19 n. v. (Rz. 167 f.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Grundsätzlich ist auch eine schnellere Entwicklung der Vergütung des Betriebsratsmitglieds als diejenige der vergleichbaren Arbeitnehmer i. S. d. § 37 Abs. 4 BetrVG denkbar. In diesem Fall muss das Betriebsratsmitglied aber zur Rechtfertigung seiner Vergütung den Nachweis erbringen, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats mit einer höherwertigeren Aufgabe betraut worden wäre, die ihm einen Anspruch auf das begehrte Entgelt vermittelt hätte. Grundlage hiervon dürften im Zweifel Bewerbungen sein, die auf der Grundlage eines begünstigungsfreien Verfahrens zu einer entsprechenden Beförderung des Betriebsratsmitglieds geführt haben oder jedenfalls mit einer Entscheidung beendet wurden, dem Betriebsratsmitglied die Beförderungsstelle anzubieten, deren Übernahme das Betriebsratsmitglied dann aber mit Blick auf das Betriebsratsamt abgelehnt hat. Eine Nichtberücksichtigung dieser Bewerbung würde gegen § 78 S. 2 BetrVG verstoßen. Damit ist auch aus Sicht des LG Braunschweig als Konsequenz des unentgeltlichen Ehrenamts eine Bezahlung von Betriebsratsmitgliedern als „CoManager“ oder „auf Augenhöhe“ mit den Verhandlungspartnern auf Arbeitgeberseite nicht zulässig. Insofern stehen §§ 37, 78 BetrVG einer „tätigkeitsbezogenen“ Vergütung der Betriebsratsmitglieder entgegen. Vielmehr sei die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer, also der typische Normalverlauf, maßgeblich. Sonderkarrieren könnten dabei nicht zugrunde gelegt werden. Insbesondere könnten Kenntnisse und Fähigkeiten, die das Betriebsratsmitglied während seiner Zeit im Betriebsrat erwerbe, keine Berücksichtigung finden19. Insofern lehnt es das LG Braunschweig auch ausdrücklich ab, Leistungen des Betriebsratsmitglieds während seiner Amtszeit als Indikator für besondere Fähigkeiten zu sehen, die bereits bei der Kennzeichnung der vergleichbaren Arbeitnehmer für die Entgeltentwicklung nach § 37 Abs. 4 BetrVG maßgeblich gewesen seien und hätten berücksichtigt werden können. Ausdrücklich lehnt das LG Braunschweig damit eine Berücksichtigung auch solcher Qualifikationen ab, die zwar während der Betriebsratstätigkeit erlangt werden, aber keinen Bezug zu der ursprünglich ausgeübten Tätigkeit aufweisen und für diese verwendbar gewesen wären20. Da § 37 Abs. 4 BetrVG schlussendlich eine Erfolgskurve aus der Zeit vor dem Antritt des Be-
19 LG Braunschweig v. 28.9.2021 – 16 KLs 85/19 n. v. (Rz. 169, 171); Bittman/Mujan, BB 2012, 637, 638; Dzida/Mehrens, NZA 2013, 753, 755; Jacobs/Frieling, ZfA 2015, 241, 253. 20 So aber Bayreuther, NZA 2014, 235, 236; Byers, NZA 2014, 65, 66.
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Strafrechtliche Relevanz fehlerhafter Vergütung von Betriebsratsmitgliedern
triebsratsamt vorschreiben solle, sei es unzulässig, die erst im Rahmen der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen zu berücksichtigen. Soweit in der Literatur die im Betriebsratsamt gezeigten Leistungen und Fähigkeiten als Indiz dafür herangezogen würden, dass das Betriebsratsmitglied bereits beim Antritt seines Betriebsratsamts letztlich aus der „Karawane“ herausrage und anders als die ihm ursprünglich (fehlerhaft) zugeordneten, vergleichbaren Arbeitnehmer eine aus der Masse herausragende Karriere gemacht hätte, die eben nicht mehr betriebsüblich sei, lehnt das LG Braunschweig dies ab. Dieser Betrachtungsweise stehe die gesetzliche Konzeption entgegen. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei dieser Literaturmeinung um eine „juristische Konstruktion“, die das Ziel verfolge, als unbillig empfundene Härten der gesetzlichen Konzeption zu vermeiden. Dieser Sichtweise ist – auch wenn die Betriebsratsvergütung insgesamt reformbedürftig erscheint – auf der Grundlage der geltenden gesetzlichen Vorgaben ohne Einschränkung zuzustimmen. Allerdings wird man, was bei den entsprechenden Feststellungen des LG Braunschweig zu kurz kommt, die im Rahmen der Betriebsratstätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten jedenfalls dann berücksichtigen können, wenn eine Beförderungsentscheidung außerhalb von § 37 Abs. 4 BetrVG in Rede steht. Denn wenn sich ein Betriebsratsmitglied auf einen freien Arbeitsplatz bewirbt, ist der Arbeitgeber gehalten, diese Bewerbung ohne Begünstigung oder Benachteiligung zu berücksichtigen. Erweist sich das Betriebsratsmitglied auch unter Beachtung der außerhalb seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeiten, in seiner Freizeit und/oder im Rahmen der Betriebsratstätigkeit erworbenen Fertigkeiten als bestgeeigneter Bewerber, läge eine Benachteiligung i. S. d. § 78 S. 2 BetrVG vor, wenn das Betriebsratsmitglied nur wegen seines Mandats nicht befördert würde. Denn es ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber auch bei anderen Bewerbern, die nicht Mitglied des Betriebsrats sind, auch solche Kenntnisse und Fähigkeiten im Zusammenhang mit einer entsprechenden Bewerbung berücksichtigen würde, die außerhalb des Arbeitsverhältnisses erworben worden sind. Ob dies ein ergänzendes Abendstudium, Sprachkenntnisse oder Führungsfähigkeiten aus einem ehrenamtlichen Mandat innerhalb oder außerhalb des Betriebs sind, spielt dabei keine Rolle. Diese Fähigkeiten können und müssen berücksichtigt werden. Es ist lediglich sicherzustellen, dass ein begünstigungsfreies Bewerbungsverfahren durchgeführt wird, indem die Erfahrungen und Fertigkeiten des Betriebsratsmitglieds objektiv mit den Erfahrungen und Fertigkeiten anderer Bewerber verglichen werden. Lediglich dann, wenn die Beförderung nur noch damit erklärt werden kann, dass der Bewerber gleichzeitig Mitglied des Betriebsrats ist und damit amtsbezogene Vorteile mit sich bringt, läge eine unzulässige Begüns-
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
tigung vor21. Da solche Bewerbungen aber im Rahmen des Strafverfahrens nicht festgestellt worden waren, konnte diese Verteidigungslinie durch die Angeklagten nicht genutzt werden. Vielmehr ist das LG Braunschweig davon ausgegangen, dass die Anpassung der Vergütung bei den jeweils in Rede stehenden Betriebsratsmitgliedern (lediglich) mit Bezug auf § 37 Abs. 4 BetrVG erfolgt war, wobei als vergleichbare Personen allerdings Arbeitnehmer, Führungskräfte und/oder Vorstandsmitglieder bestimmt waren, deren Auswahl mit der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung zu § 37 Abs. 4 BetrVG nicht zu vereinbaren war. Denn diese Positionen hatte keines der Betriebsmitglieder bei seiner Wahl in den Betriebsrat inne, was aber notwendig wäre, um auf diesen Personenkreis abzustellen. Die Entscheidung des LG Braunschweig macht noch einmal deutlich, dass es bei den gesetzlichen Vorgaben zur Anhebung der Betriebsratsvergütung nicht nur darum geht, arbeitsrechtliche Schranken einzuhalten. Vielmehr müssen sich die verantwortlichen Vertreter auf Arbeitgeberseite – gleichzeitig allerdings auch die jeweils betroffenen Betriebsratsmitglieder – vor Augen führen, dass die rechtswidrige Anpassung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds jedenfalls dann auch als Untreue nach § 266 StGB bestraft wird, wenn vorsätzliches Handeln in Rede steht. Losgelöst davon werden steuerliche Nachzahlungsansprüche ausgelöst, weil die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt ist und deshalb auch nicht als Betriebsausgabe steuermindernd berücksichtigt werden kann. (Ga)
4.
Dienstwagen zur Privatnutzung für (freigestellte) Betriebsratsmitglieder
In Übereinstimmung mit dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 11.2.202022, über das wir berichtet hatten23, hat jetzt auch das LAG Sachsen mit Urteil vom 12.8.202124 noch einmal bestätigt, dass eine Abrede zwischen einem Arbeitgeber und einem als Betriebsratsmitglied tätigen Arbeitnehmer zur Überlassung eines Dienstwagens auch zur privaten Nutzung gemäß §§ 134 BGB, 78 S. 2 BetrVG wegen Verstoßes gegen das Begünstigungsverbot nichtig ist.
21 22 23 24
Vgl. Annuß, NZA 2020, 20, 21. LAG Berlin-Brandenburg v. 11.2.2020 – 7 Sa 997/19, NZA-RR 2020, 481. Pitzer, AktuellAR 2020, 620 ff. LAG Sachsen v. 2.8.2021 – 1 Sa 321/20, BB 2022, 1271.
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Dienstwagen zur Privatnutzung für (freigestellte) Betriebsratsmitglieder
Damit bestätigt das LAG Sachsen, dass die Einräumung des Rechts zur privaten Nutzung an einem Dienstwagen grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn dieser Vergütungsbestandteil bereits Gegenstand des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 BetrVG ist. Das wiederum setzt voraus, dass das betroffene Betriebsratsmitglied auch ohne die Mitgliedschaft im Betriebsrat einen Anspruch auf Überlassung eines Dienstwagens mit dem Recht zur privaten Nutzung hätte. Dieser Vergütungsbestandteil muss auch während einer Mitgliedschaft im Betriebsrat unverändert gewährt werden. Losgelöst davon kommt die Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung nur dann in Betracht, wenn die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG mit einer Beförderung auf eine Stelle zusammenhängt, mit der eine solche Vergütung verbunden ist. Denn dann kann auch das betroffene Betriebsratsmitglied eine solche Vergütung beanspruchen, auch wenn es selbst diese Beförderung nicht erfahren hat. Außerhalb von § 37 Abs. 4 BetrVG kann ein Anspruch auf einen Dienstwagen mit dem Recht zur Privatnutzung nur dann eingeräumt werden, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied auf der Grundlage einer begünstigungsfreien Auswahlentscheidung auf einen Arbeitsplatz mit entsprechender Vergütungsstruktur befördert worden ist. Diese gilt selbst dann, wenn vergleichbare Arbeitnehmer mit einer betriebsüblichen Entwicklung diese Beförderung nicht erlebt hätten. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des LAG Sachsen im Urteil vom 2.8.202125 kann die Einräumung des Rechts zur Privatnutzung an einem Dienstwagen auch nicht damit begründet werden, dass das Betriebsratsmitglied im Zusammenhang mit der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben bei einer standortübergreifenden Betriebsstruktur ohnehin in großem Umfang Fahrten zu anderen Standorten zu erledigen hat, für die ein Dienstwagen gestellt wird. In dem zugrunde liegenden Fall hatte das betroffene Betriebsratsmitglied während seiner Freistellung als Folge der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben mehrere Filialen zu betreuen und deshalb mit dem Arbeitgeber vereinbart, dass er den ihm hierzu überlassenen Dienstwagen „entsprechend der jeweilig geltenden Richtlinien im Unternehmen auch zur angemessenen privaten Nutzung“ erhalten sollte. Zu Recht hat das LAG Sachsen angenommen, dass darin eine Begünstigung nach § 87 S. 2 BetrVG lag, die zur Nichtigkeit der Vereinbarung führte. Denn schlussendlich lag in dem Recht zur Privatnutzung eine Vergütung, die das betroffene Betriebsratsmitglied ohne sein Amt nicht erhalten hätte. 25 LAG Sachsen v. 2.8.2021 – 1 Sa 321/20, BB 2022, 1271 Rz. 68 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Wie bereits bei früherer Gelegenheit ausgeführt wurde, kann sich ein Anspruch auf einen Dienstwagen mit Privatnutzung auch nicht aus § 40 BetrVG ergeben. Zwar obliegt es dem Arbeitgeber nach § 40 BetrVG, die Kosten und den Sachaufwand des Betriebsrats und seiner Mitglieder zu tragen. Hierunter fallen nicht nur alle für die Erfüllung der Betriebsratsaufgaben notwendigen Kosten, die durch Tätigkeiten entstehen, deren Wahrnehmung und Erfüllung sich innerhalb des dem Betriebsrat oder einzelnen Mitgliedern vom Gesetz zugewiesenen Aufgabenbereichs halten und die damit der Erfüllung der Amtsobliegenheiten dienen26. Vielmehr gelten diese Grundsätze auch für Fahrt- und Reisekosten27. Entscheidend für die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ist dabei aber stets, ob die Kosten im Rahmen der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben entstanden sind und das Betriebsratsmitglied den damit verbundenen Aufwand vor dem Hintergrund des in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit und des in § 37 Abs. 2 BetrVG niedergelegten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die Inanspruchnahme von Arbeitgebermitteln bei pflichtgemäßer Beurteilung der objektiven Sachlage ex ante für erforderlich und vertretbar halten durfte28. Die Erstattungsfähigkeit von Fahrt- und Reisekosten kommt dabei vor allem dann in Betracht, wenn sich das Büro des Betriebsrats und der Arbeitsplatz des Betriebsratsmitglieds nicht am selben Ort befinden. Hier sind die notwendigen Fahrten zwischen Arbeitsplatz und Betriebsratsbüro zu erstatten29. Die Kosten für Fahrten zwischen der Wohnung und dem Betrieb sind als Aufwendung für Betriebsratstätigkeiten zu ersetzen, wenn die Reisekosten ausschließlich wegen der Wahrnehmung erforderlicher Betriebsratstätigkeit und nicht auch zugleich zur Erfüllung der Arbeitspflicht des nicht freigestellten Betriebsratsmitglieds entstanden sind30. Hätte das Betriebsratsmitglied hingegen auch ohne die konkret zu erledigende Betriebsratstätigkeit in den Betrieb fahren müssen, um seiner Pflicht zu genügen, sich im Betrieb zur Arbeit bereitzuhalten, sind dies keine nach § 40 BetrVG erstattungsfähigen Aufwendungen, weil sie gerade nicht durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstanden sind31. 26 27 28 29 30 31
BAG v. 19.4.1989 – 7 ABR 87/87, NZA 1989, 936 Rz. 14. BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, NZA 2008, 546 Rz. 13. Fitting, BetrVG § 40 Rz. 9. ArbG Wiesbaden v. 14.9.2004 – 1 BV 3/04, AiB 2005, 306 Rz. 21 ff. BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, NZA 2008, 546 Rz. 13 ff. BAG v. 13.6.2007 – 7 ABR 62/06, NZA 2007, 1301 Rz. 15; BAG v. 28.8.1991 – 7 ABR 46/90, NZA 1992, 72 Rz. 16.
260
Dienstwagen zur Privatnutzung für (freigestellte) Betriebsratsmitglieder
Nach dem Vorhergesagten ist daher auch die Überlassung eines Dienstwagens an Mitglieder des Betriebsrats nach § 40 BetrVG zulässig. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Arbeitgeber nur auf diese Weise dem in § 40 BetrVG normierten Grundsatz der Kostentragung und der Pflicht zur Sachausstattung effektiv nachkommen kann, sondern auch dann, wenn es alternative Möglichkeiten der Ausstattung des Betriebsrats gibt, es aber aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll erscheint, Reisen des Betriebsrats zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben mit einem Dienstwagen zu ermöglichen. Das kann dann der Fall sein, wenn für Betriebsratsmitglieder erhöhte Reisetätigkeiten erforderlich werden und eine notwendige Flexibilität der Betriebsratsmitglieder gerade in Bezug auf die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben besteht. Zwar knüpft die Überlassung im Rahmen des Grundsatzes der Kostentragung und der Pflicht zur Sachausstattung in zeitlicher Hinsicht gerade an die Übernahme bzw. in sachlicher Hinsicht an die Ausführung eines Betriebsratsamtes an. Die Überlassung von Sachmitteln stellt aber nach der gesetzlichen Wertung dann keine untersagte Begünstigung der Betriebsratsmitglieder dar, wenn die Gewährung eine effektive Ausübung der Betriebsratstätigkeit gewährleistet. Insofern kann die Überlassung eines Dienstwagens rechtlich zulässig und in bestimmten Sachverhalten zur Gewährleistung der notwendigen örtlichen Flexibilität des Betriebsratsmitglieds auch geboten sein. Der Arbeitgeber erfüllt auf diese Weise pauschal die ihm nach § 40 Abs. 2 BetrVG obliegende Pflicht zur Sachausstattung32. Denn die dem Arbeitgeber auferlegte Pflicht, erforderliche Sachmittel für die Betriebsratstätigkeit zur Verfügung zu stellen und anfallende Kosten zu übernehmen, kann die Überlassung eines Dienstfahrzeugs erforderlich machen, wenn nur so einem durch die Betriebsratstätigkeit objektiv erforderlichen höheren Reiseaufwand nachgekommen werden kann. Zulässig ist allerdings in jedem Fall nur die Nutzung zu geschäftlichen Zwecken. Eine privat veranlasste Nutzung eines Dienstwagens kann nach § 40 BetrVG nicht gerechtfertigt werden. Es fehlt die innere Beziehung zur effektiven Wahrnehmung und Erledigung der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats. Die Pflicht zur Kostentragung und Ausstattung mit notwendigen Sachmitteln ist nach der gesetzlichen Intention aber durch die Betriebsratstätigkeit begrenzt. Die Regelung in § 40 BetrVG erfasst ausschließlich Kosten, die im Rahmen des allgemeinen Geschäftsbetriebs anfallen und zur ord-
32 Joussen, NZA 2018, 139, 141.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
nungsgemäßen und sachgerechten Durchführung der Betriebsratsarbeit erforderlich sind33. Die aktuelle Entscheidung des LAG Sachsen zeigt noch einmal, dass eine Einhaltung der gesetzlichen Schranken zur Festlegung der Betriebsratsvergütung nicht nur bei den „klassischen“ Lohn- und Gehaltszahlungen erforderlich ist. Auch bei sonstigen Geld- oder Sachleistungen muss darauf geachtet werden, nicht in Widerspruch zum gesetzlichen Verbot einer Begünstigung oder Benachteiligung zu handeln. (Ga/Pi)
5.
Betriebsratsschulung: Kostenübernahme auch bei Überlassung eines „Starter-Sets“?
In seinem Beschluss vom 17.11.202134 hat sich das BAG noch einmal eingehend mit den Voraussetzungen und Schranken einer Kostenerstattung des Betriebsrats für die bei der Schulung einzelner Mitglieder entstehenden Kosten befasst. Maßgeblich dafür ist § 40 Abs. 1 BetrVG, der bestimmt, dass der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen hat. Nach der Feststellung des BAG gehören dazu auch die Kosten, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Hiervon sei auszugehen, wenn die vermittelten Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und Betriebsrat notwendig seien, damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen und in naher Zukunft anstehenden Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen könne. Bei erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedern müsse die Schulungsbedürftigkeit allerdings nicht näher dargelegt werden, wenn Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung vermittelt würden. Denn durch die Vermittlung von Grundwissen solle das Betriebsratsmitglied erst in die Lage versetzt werden, seine sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen. Für andere Schulungsveranstaltungen müsse indes ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für die Annahme bestehen, dass die in der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden besonderen Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt würden, 33 Fitting, BetrVG § 40 Rz. 12. 34 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 15 ff.
262
Betriebsratsschulung: Kostenübernahme auch bei Überlassung eines „Starter-Sets“?
damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben könne35. Nach den weitergehenden Feststellungen des BAG steht dem Betriebsrat bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Schulungsteilnahme ein Beurteilungsspielraum zu. Dabei muss auch das Gebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) beachtet werden. Die Entscheidung über die Schulungsteilnahme dürfe der Betriebsrat daher nicht allein an seinen subjektiven Bedürfnissen ausrichten. Vielmehr werde von ihm verlangt, dass er die betrieblichen Verhältnisse und die sich ihm stellenden Aufgaben berücksichtige. Hiervon ausgehend sei der Betriebsrat verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er für angemessen halten dürfe. Er habe darauf bedacht zu sein, die durch seine Tätigkeit verursachten Kosten auf das notwendige Maß zu beschränken. Bei der diesbezüglichen Prüfung der Erforderlichkeit habe der Betriebsrat die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln stehe. Daher dürfe er die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nicht für erforderlich halten, wenn er sich vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen könne36. Ungeachtet dessen hält der 7. Senat des BAG den Betriebsrat allerdings nicht für verpflichtet, anhand einer umfassenden Marktanalyse den günstigsten Anbieter zu ermitteln und ohne Rücksicht auf andere Erwägungen auszuwählen. Dementsprechend müsse er sich nicht für die kostengünstigste Schulungsveranstaltung entscheiden, wenn er eine andere Schulung für qualitativ besser halte. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungen auch nach Ansicht des Betriebsrats im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen seien, könne eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht kommen37.
35 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 17; BAG v. 14.1.2015 – 7 ABR 95/12, NZA 2015, 632 Rz. 10. 36 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 18; BAG v. 28.9.2016 – 7 AZR 699/14, NZA 2017, 69 Rz. 16. 37 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 18; BAG v. 14.1.2015 – 7 ABR 95/12, NZA 2015, 632 Rz. 13.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
In dem der Entscheidung des BAG vom 17.11.202138 zugrunde liegenden Fall stand nicht im Streit, dass der Besuch der durch den Betriebsrat ausgewählten Schulungsveranstaltung (Grundlagenkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht) nach § 378 Abs. 6 BetrVG erforderlich war. Anhaltspunkte dafür, dass das betroffene Betriebsratsmitglied die vermittelten Kenntnisse bereits besaß oder diese bis zum Ende der Amtszeit nicht mehr einsetzen konnte, waren nicht ersichtlich. Auslöser für den Streit der Betriebsparteien über die Kosten des Seminars, für das eine Gebühr i. H. v. 699 € (inkl. 58,82 € Mittagessen) zzgl. MwSt. zu entrichten waren, war der Umstand, dass der Seminarveranstalter jedem Teilnehmer ein sog. „Starter-Set“ überließ. Dieses bestand aus einem „Tablet für die Betriebsratsarbeit“, einem Handkommentar zum BetrVG (Fitting), einer DTV-Ausgabe der Arbeitsgesetze, einem USB-Stick, einem Laserpointer, einen Taschenrechner und einer „praktischen Tasche“. Darüber hinaus konnte jeder Teilnehmer eine kostenfreie anwaltliche Erstberatung durch einen „erfahrenen Rechtsanwalt“ in Anspruch nehmen. Nach Auffassung des Arbeitgebers hatten die Beigaben des „Starter-Sets“ einen Wert von 442,90 €; die anwaltliche Erstberatung veranschlagte er auf der Grundlage des RVG mit weiteren 226 €. Nach seiner Einschätzung entfielen deshalb etwa 80 % der Seminarkosten auf nicht erforderliche Zusatzleistungen, so dass er sich weigerte, die Gesamtkosten der Schulung zu tragen. Das BAG hat diesen Einwand zurückgewiesen und den Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von den Schulungskosten in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen bestätigt. Der Arbeitgeber vermenge mit seinem Einwand in unzulässiger Weise Fragen einer etwaigen, durch die Schulungsbeigabe entstehenden Kostenbelastung mit denen der auf die Kenntnisvermittlung bezogenen Erforderlichkeit. Entscheidend sei, dass der Arbeitgeber nicht geltend gemacht habe, dass ein vergleichbares Seminar für die Erstschulung kostengünstiger in Betracht gekommen sei. Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen sei deshalb davon auszugehen, dass vergleichbare Seminare nicht wesentlich günstiger, aber gleichzeitig auch wesentlich teurer zu buchen waren. Der Seminarpreis habe daher – so das BAG – im Rahmen des „Marktüblichen“ gelegen, zumal andere Veranstalter, die auf derartige Werbeartikel verzichteten, vergleichbare Seminare nicht deutlich günstiger angeboten hatten.
38 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 20 ff.
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Betriebsratsschulung: Kostenübernahme auch bei Überlassung eines „Starter-Sets“?
Dabei lässt es das BAG ausdrücklich offen, ob die Seminarbeigaben – sollten mit ihnen gesonderte Kosten ausgelöst worden sein – der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach §§ 37 Abs. 6, 40 Abs. 1 BetrVG unterfallen würden. Denn selbst wenn einzelne oder sämtliche Seminarbeigaben für die Durchführung der Schulungsveranstaltung nicht erforderlich gewesen sein sollten, habe sich der Beschluss des Betriebsrats, das in Rede stehende Mitglied zu der Schulung zu entsenden, im Rahmen seines Beurteilungsspielraums gehalten. Eine Überschreitung dieses Spielraums käme allenfalls dann in Betracht, wenn es im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Schulungsteilnahme Anzeichen dafür gegeben hätte, die Seminarbeigaben hätten maßgeblich die Höhe des Seminarpreises beeinflusst und damit zu hohe Schulungskosten bewirkt. Davon sei aber nicht auszugehen, nachdem das LAG festgestellt hatte, dass die Schulungsveranstaltung auch bei einem Verzicht auf die Seminarbeigaben nicht zu einem günstigeren Preis hätte gebucht werden können. Da der Veranstalter die gleiche Schulung bereits 2014 ohne Überlassung eines Tablets an die Teilnehmer zum gleichen Preis angeboten hatte und die Seminargebühr im Rahmen des Marktüblichen liege, habe der Betriebsrat keinen Grund für die Annahme gehabt, die Seminarbeigaben würden Kosten verursachen oder seien gesondert in die Kostenkalkulation für das gebuchte Seminar eingeflossen und lösten deshalb eine ggf. unzumutbare Kostenbelastung aus. Anhaltspunkte hierfür müssten sich – so das BAG – dem Betriebsrat auch nicht allein aufgrund des Werts der Seminarbeigaben aufdrängen. Vielmehr habe er wegen des moderaten Seminarpreises davon ausgehen dürfen, dass etwaige beim Veranstalter angefallene Beschaffungskosten für die Seminarbeigaben die Kosten der konkreten Schulung nicht maßgeblich beeinflusst hätten39. Schon diese Annahmen, bei denen das BAG allerdings an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden war, können nicht überzeugen. Es erscheint geradezu lebensfremd anzunehmen, dass Seminarbeigaben, die insgesamt mit einem Wert von etwa 400 bis 500 € verbunden sind, keinen Einfluss auf die Kostenkalkulation des Seminarveranstalters haben. Insofern wird man auch nicht unterstellen können, dass die Hersteller der jeweiligen Seminarbeigaben und der durch den Seminarveranstalter einbezogene Rechtsanwalt diese Beigaben bzw. Beratungsleistungen als „Geschenk“ gegenüber dem Seminarveranstalter bzw. den zu schulenden Betriebsratsmitgliedern erbringen wollten. Der unentgeltlichen Beratungsleistung dürfte bereits § 49 b Abs. 1 39 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 22 ff., 26.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
S. 1 BRAO bzw. § 34 Abs. 1 S. 1, 2 RVG entgegenstehen. Hiervon ausgehend erscheint es geboten anzunehmen, dass die Kosten des Seminars ohne entsprechende Beigaben durch den Veranstalter niedriger hätten angesetzt werden müssen. Es ist mehr als erstaunlich, dass das LAG dieser Frage im Rahmen des für das Beschlussverfahren maßgeblichen Untersuchungsgrundsatzes nicht weiter nachgegangen ist. Dass solche Seminarbeigaben einen besonderen „Buchungsanreiz“ schaffen, stellt allein die Pflicht zur Kostentragung nicht in Frage. Ein solcher Kostenanreiz kann auch durch einen reizvollen Schulungsort, einen bekannten Dozenten oder eine angenehme Tagungsatmosphäre bewirkt werden, ohne dass damit zwingend die Erforderlichkeit der Schulung in Frage gestellt wird. Vorliegend bleibt die Annahme des BAG allerdings fragwürdig, nach der ein unzulässiger Buchungsanreiz schon deshalb nicht gegeben sein könne, weil durch die Seminarkosten – so der Vortrag des Betriebsrats – keine zusätzliche Kosten entstanden seien. Wichtig für die betriebliche Praxis ist allerdings der ergänzende Hinweis, nach dem die Betriebsratsmitglieder – wie alle anderen Arbeitnehmer des Unternehmens – bei der Entgegennahme solcher Seminarbeigaben an die allgemeinen Compliance-Regeln bzw. -Richtlinien gebunden sind. Untersagen diese eine Annahme solcher Beigaben, hätte sich auch das Betriebsratsmitglied an diese zu halten und ggf. schon aus diesem Grund von der Annahme der Seminarbeigaben abzusehen. Die letztgenannte Bewertung ist richtig. Allerdings bleibt bei der Diskussion dieses Aspekts die Frage offen, ob das Betriebsratsmitglied überhaupt Eigentum an diesen Seminarbeigaben erwerben kann. Denn schon die Annahme des Erwerbs dieser Beigaben in der Person des Betriebsratsmitglieds wird man als unzulässige Begünstigung i. S. d. § 78 S. 2 BetrVG qualifizieren müssen. Denn das Betriebsratsmitglied würde jedenfalls ein Tablet, einen DTV-Text, einen USB-Stick, einen Laserpointer und einen Taschenrechner allein deshalb zu seinem Privateigentum erhalten, weil es die Aufgaben eines Betriebsratsmitglieds übernommen hat. Vor diesem Hintergrund dürfte es auch im Interesse der Betriebsratsmitglieder naheliegender sein, davon auszugehen, dass der Arbeitgeber das Eigentum und damit auch die weitere Verfügungsgewalt über diese Seminarbeigaben erwirbt. In beiden Fällen wird man sich allerdings unabhängig davon Gedanken über die Frage machen müssen, wer in welcher Weise die steuerlichen Vorteile der Seminarbeigaben gegenüber dem Finanzamt berücksichtigt.
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Betriebsratsschulung: Kostenübernahme auch bei Überlassung eines „Starter-Sets“?
Abschließend hat das BAG in seinem Beschluss vom 17.11.202140 nicht nur offengelassen, ob die Überlassung der Seminarbeigaben und die Möglichkeit einer kostenlosen Rechtsberatung – sollten mit diesen Leistungen gesonderte Kosten ausgelöst worden sein – der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach §§ 37 Abs. 6, 40 Abs. 1 BetrVG unterfallen würden. Richtigerweise würde eine solche Kostentragungspflicht abgelehnt werden müssen, weil insoweit auch die Erforderlichkeit der Kosten im Hinblick auf den beabsichtigten Schulungszweck nicht gegeben ist. Ergänzend hierzu hat das BAG offengelassen, ob das Betriebsratsmitglied in diesen Fällen durch die mit der Schulungsteilnahme verbundene Zusage kostenloser Seminarbeigaben nach § 78 S. 2 BetrVG wegen seines Betriebsratsamts in unzulässiger Weise begünstigt würde. Dafür hätte dann auch geklärt werden müssen, wem diese Seminarbeigaben schlussendlich zufließen. Entscheidend für das BAG war, dass der Verstoß gegen das Begünstigungsverbot jedenfalls keine Unwirksamkeit des gesamten Schulungsvertrags zur Folge habe und deshalb auch nicht zum Wegfall des Kostenfreistellungsanspruchs führen könne. Dies erscheint zwar unter Berücksichtigung von § 139 BGB richtig, bleibt aber problematisch, weil die Anerkennung der teilweisen Wirksamkeit des Schulungsvertrags zugleich mit der Anerkennung des vollständigen Rechnungsbetrags i. H. v. 669 € verbunden war. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung sei der betrieblichen Praxis dringend empfohlen, bei den Inanspruchnahmen von Schulungsveranstaltungen Auskunft darüber zu verlangen, ob solche Seminarbeigaben gewährt werden. Alternativ könnte um eine Bestätigung gebeten werden, dass durch die teilnehmenden Betriebsratsmitglieder keine Geschenke entgegengenommen werden. Dies ist nicht nur aus dem Gesichtspunkt der Compliance erforderlich, wenn Arbeitnehmer an sich keine Geschenke entgegennehmen dürfen, die einen bestimmten Wert übersteigen. Die Informationsbeschaffung ist auch geboten, um die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Seminarbeigaben zu klären. Außerdem wird man eine Entscheidung darüber treffen müssen, bei wem diese Beigaben im Anschluss an die Schulungsveranstaltung bleiben. Schließlich würde der Verbleib beim Betriebsrat nicht nur mit der Gefahr einer unzulässigen Begünstigung verbunden sein, die für alle Beteiligten auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. Darüber hinaus ist die Kenntnis über solche Seminarbeigaben maßgeblich für die Frage, ob und inwieweit damit bereits etwaige Ansprüche auf weitere Sachmittel erfüllt werden, die der Betriebsrat außerhalb solcher Schulungs-
40 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20, NZA 2022, 564 Rz. 26, 28.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
veranstaltungen in Form von Literatur, Büroausstattung und/oder elektronischer Kommunikationsmittel auf der Grundlage von § 40 BetrVG geltend macht. (Ga)
6.
Einigungsstelle: Beschlussfassungen mittels Videound Telefonkonferenz
Bis zum Ablauf des 19.3.2022 konnten die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle sowie die Beschlussfassung auch mittels einer Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt war, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen konnten. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, diese Sonderregelung über den 19.3.2022 hinaus zu verlängern. Damit können sich die Mitglieder einer Einigungsstelle zwar darauf verständigen, weiterhin eine Teilnahme an den Beratungen im Wege einer Video- oder Telefonkonferenz zuzulassen. Wenn in der Einigungsstelle ein Beschluss getroffen werden soll, setzt dies aber nach aktueller Rechtslage eine Anwesenheit der Beteiligten voraus. Da der Gesetzgeber – wie auch in § 30 Abs. 2 BetrVG – keine technischen Vorgaben für die verwendeten Video- oder Telefonkonferenzsysteme in dem Wortlaut der Regelung aufgenommen hat, war immer wieder umstritten, welche Systeme überhaupt Verwendung finden können. Zweifel waren zum Teil in Bezug auf einzelne Video- bzw. Telefonkonferenzsysteme mit der Begründung geäußert worden, dass sie auf Servern außerhalb der EU gehostet würden und deshalb ein Zugriff Dritter nicht ausgeschlossen werden könne41. In der Gesetzesbegründung war nur von „online gestützten Anwendungen wie WebEx Meetings oder Skype“ die Rede, mit deren Hilfe einzelne Personen zugeschaltet werden könnten oder die Sitzung ausschließlich als Videooder Telefonkonferenz durchgeführt werden könne. Soweit sichergestellt werden sollte, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können, waren davon nach den Feststellungen im Rahmen der Gesetzesbegründung technische und organisatorische Maßnahmen gleichermaßen erfasst, wobei als Beispiele lediglich eine Verschlüsselung der Verbindung oder die Nutzung eines nicht öffentlichen Raumes während der Dauer der Sitzung genannt wurden42.
41 So Reinartz, NZA-RR 2021, 457, 463. 42 BT-Drucks. 19/18753 S. 28.
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Einigungsstelle: Beschlussfassungen mittels Video- und Telefonkonferenz
Mit Beschluss vom 25.6.202143 hat sich das LAG Köln mit ebendieser Frage befasst und nicht nur klargestellt, dass die Nutzung des Konferenzsystems Cisco Webex der Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs in der Zeit bis zum 19.3.2022 nicht entgegensteht. Weitergehend nimmt das LAG Köln sogar an, dass die heutigen marktgängigen Konferenzsysteme durchweg die Möglichkeit einer hinreichend sicheren und verschlüsselten Kommunikation böten44. In seiner Begründung weist das LAG Köln darauf hin, dass eine mutwillige, heimliche und damit unzulässige Aufzeichnung durch Teilnehmer technisch durch entsprechende Video- oder Telefonkonferenzsysteme nicht ausgeschlossen werde. Dies aber sei kein taugliches Kriterium, um im Einigungsstellenverfahren die Zulässigkeit einer Videokonferenz zu verneinen. Denn eine solche Aufzeichnung wäre mit Smartphones und Tablets auch bei Präsenzsitzungen nicht ausgeschlossen. Dass das Videokonferenzsystem personenbezogene Daten in ein Land außerhalb der EU übermittle, stehe seiner Nutzung für die Einigungsstelle ebenfalls nicht entgegen. Dabei könne offenbleiben, ob eine solche Übermittlung – wenn sie denn tatsächlich erfolge – datenschutzrechtlich zulässig sei. Die Nutzung des Videokonferenzsystems Cisco Webex stelle auch unter Berücksichtigung dieser Risiken jedenfalls keinen Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze dar, der zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenbeschlusses führen könnte. Denn der Gesetzgeber habe mit § 129 BetrVG Rechtssicherheit schaffen wollen. An die notwendige Sicherstellung der Nichtöffentlichkeit dürften daher keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Solange für den Geschäftsverkehr gängige Konferenzsysteme verwendet würden, die über eine Verschlüsselung nach dem Stand der Technik verfügten, wie dies bei Cisco Webex im Mai 2020 der Fall gewesen sei, seien keine zusätzlichen technischen Sicherungsmaßnahmen notwendig45. Da die Einigungsstelle darüber hinaus durch organisatorische Maßnahmen hinreichend sichergestellt habe, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen konnten, könne der Umstand, dass der Beschluss im Rahmen einer Videositzung getroffen worden sei, nicht zur Unwirksamkeit führen. Denn die Sitzungsteilnehmer hatten sich mit ihrem Namen oder den ihnen zugeordneten Zugangsdaten angemeldet, wobei das Konferenzsystem
43 LAG Köln v. 25.6.2021 – 9 TaBV 7/21 n. v. (Rz. 30 ff.). 44 Ebenso Althoff/Sommer, ArbR 2020, 250, 252; Rolfs/Wolf, ZIP 2021, 1895, 1899. 45 LAG Köln v. 25.6.2021 – 9 TaBV 7/21 n. v. (Rz. 34); ErfK/Kania, BetrVG § 129 Rz. 2.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ständig eine Liste der teilnehmenden Personen angezeigt hatte. Im Übrigen waren die Mitglieder der Einigungsstelle belehrt worden, dass sie mitzuteilen hatten, wenn eine andere Person den Raum betrete, in dem sie sich befänden. Weitergehend hatte jeder Teilnehmer zudem auf Nachfrage bestätigt, dass er sich alleine in einem geschlossenen Raum befinde. Der Entscheidung ist ohne Weiteres zuzustimmen. Wenn allein der Umstand, dass mit der Einbeziehung von Servern außerhalb der EU die Gefahr einer Kenntnisnahme durch Dritte begründet wird, die Unwirksamkeit entsprechender Beschlussfassungen auslösen würde, wäre die Nutzung solcher Video- und Telefonkonferenzsysteme in der Praxis weitestgehend ausgeschlossen. Denn schon der Nachweis, dass diese Gefahr nicht besteht, dürfte für den einzelnen Arbeitgeber oder Betriebsrat nicht zu führen sein. Da eine entsprechende Kenntnisnahme Dritter durch die Einsichtnahme in Serverdaten außerhalb der EU allerdings auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess innerhalb der Einigungsstelle keinen Einfluss haben dürfte, ist es richtig, trotz dieser Gefahr von der Wahrung des Prinzips der Nichtöffentlichkeit auszugehen. Diese Grundsätze wird man unabhängig von dem außer Kraft tretenden § 129 BetrVG insbesondere auch auf die Teilnahme und Beschlussfassung im Betriebsrat mittels Video- oder Telefonkonferenz gemäß § 30 Abs. 2 BetrVG übertragen können. Auch hier wird man damit allein aus dem Umstand, dass marktgängige Video- und Telefonkonferenzsysteme genutzt werden, nicht auf die Unwirksamkeit entsprechender Beschlussfassungen schließen können. Allerdings ist es auch hier erforderlich, durch ergänzende organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Teilnehmer solcher Sitzungen in den Räumen, aus denen heraus die Wort- oder Bildübertragung erfolgt, alleine sind. Insoweit kann an die vorstehenden Maßnahmen angeknüpft werden46. (Ga)
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Beschäftigung über den Ablauf der Altersgrenze hinaus
Nach § 41 S. 3 SGB VI, der durch Art. 1 Nr. 1 a RV-LeistVerbG vom 23.6.201447 mit Wirkung ab dem 1.7.2014 eingeführt worden ist, können die Arbeitsvertragsparteien, wenn eine Vereinbarung die Beendigung des 46 Vgl. auch Däubler/Klebe, NZA 2020, 545, 548 f.; Oberthür, ArbRB 2021, 350, 352; Schiefer/Worzalla, NZA 2021, 817, 819 f. 47 BGBl. I 2014, 787.
270
Beschäftigung über den Ablauf der Altersgrenze hinaus
Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht, durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, ggf. auch mehrfach, hinausschieben. Diese auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des 11. Ausschusses48 zurückgehende Ergänzung des § 41 SGB VI wird wie folgt begründet: Der neue S. 3 regelt allein das Hinausschieben des bereits vereinbarten Beendigungszeitpunktes über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus. Erforderlich ist hierfür eine vertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer während des laufenden Arbeitsverhältnisses. Mit dem Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus können Arbeitnehmer und Arbeitgeber beispielsweise reagieren, wenn eine Nachbesetzung der entsprechenden Stelle nicht nahtlos erfolgen kann. Auch können Arbeitnehmer laufende Projekte mit ihrer Sachkunde erfolgreich zum Abschluss bringen oder neu eingestellte, jüngere Kollegen in ihre Tätigkeit einarbeiten. Die sonstigen im jeweiligen Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen bleiben von der Neuregelung unberührt.
Diese gesetzliche Regelung ist mit Unionsrecht zu vereinbaren und stellt nach der Rechtsprechung des EuGH49 weder einen Verstoß gegen die Altersdiskriminierung (Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG) noch einen Verstoß gegen § 5 Nr. 1 der am 18.3.1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG dar, auch wenn die Regelung ohne weitere Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt ermöglicht, die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses mehrfach hinauszuschieben. Ob die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers nach § 41 S. 3 SGB VI aufgrund einer Hinausschiebensvereinbarung über eine auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifliche Altersgrenze hinaus eine nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung darstellt, war Gegenstand einer Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 22.9.202150. Die Arbeitgeberinnen als Beteiligte zu 1) und 2) betrieben einen öffentlichen Nahverkehr in München mit ca. 4.400 Beschäftigten. Der Beteiligte zu 3) war der im gemeinsamen Betrieb „Verkehr“ gebildete Betriebsrat. Nach § 19 a TV Nahverkehr endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats der Erreichung 48 BT-Drucks. 18/1489 S. 5. 49 EuGH v. 28.2.2018 – C-46/17, NZA 2018, 355 – John. 50 BAG v. 22.9.2021 – 7 ABR 22/20, NZA 2022, 290.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
der Regelaltersgrenze. Seit Inkrafttreten des § 41 S. 3 SGB VI am 1.7.2014 wurden in dem gemeinsamen Betrieb der Arbeitgeberinnen bis zehnmal jährlich Vereinbarungen nach dieser Vorschrift geschlossen, worüber der Betriebsrat lediglich informiert wurde. Der Betriebsrat war der Auffassung, es handele sich dabei um eine nach § 99 BetrVG zustimmungsbedürftige Einstellung, während die Arbeitgeberinnen davon ausgingen, in der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei keine Einstellung zu sehen, da der Arbeitnehmer bereits eingegliedert sei und die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG durch die Zustimmung zur ursprünglichen Einstellung verbraucht sei. In der Rechtsbeschwerde hatte das BAG noch über den vom LAG München51 zurückgewiesenen Feststellungsantrag der Arbeitgeberinnen zu entscheiden, dass dem Betriebsrat bei der tatsächlichen Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über die tarifliche Altersgrenze des § 19 a TV Nahverkehr hinaus, die auf der Grundlage einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI erfolgte, kein Mitbestimmungsrecht aus § 99 Abs. 1 BetrVG zusteht. Das BAG hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, weil die auf § 41 S. 3 SGB VI beruhende Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers als Einstellung i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG zu qualifizieren ist, die der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Zunächst knüpft das BAG an seine gefestigte Rechtsprechung52 zum Vorliegen einer Einstellung nach dieser Vorschrift an, die anzunehmen ist, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Davon ist das BAG in der bisherigen Rechtsprechung53 bei einer Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über das Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses hinaus ausgegangen. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei einer Einstellung, vornehmlich den Interessen der schon im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu dienen, käme es nicht darauf an, ob ein Arbeitnehmer erstmalig in den Betrieb eingegliedert werde, oder über den zunächst vorgesehenen Zeitpunkt hinaus im Betrieb verbliebe. Letzterenfalls könnten Zustimmungsverweigerungsgrün-
51 LAG München v. 29.5.2020 – 3 TaBV 127/19, ZTR 2020, 669. 52 Nur BAG v. 26.5.2021 – 7 ABR 17/20, NZA 2021, 1494 Rz. 28; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 15; BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 16. 53 BAG v. 27.10.2010 – 7 ABR 86/09, NZA 2011, 418 Rz. 22; BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 30/08, NZA 2009, 1162 Rz. 32.
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Beschäftigung über den Ablauf der Altersgrenze hinaus
de des Betriebsrats bestehen, die bei der Ersteinstellung nicht vorhersehbar gewesen wären. Diese rechtliche Bewertung überträgt das BAG auch auf die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über eine auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifliche Altersgrenze hinaus, weil das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze und dem Bezug einer Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung endet54 und der Arbeitgeber eine Besetzung des durch die Altersgrenze freiwerdenden Arbeitsplatzes aufgrund einer neuen personellen Maßnahme vornehme, was Zustimmungsverweigerungsgründe des Betriebsrats auslösen könne. Denkbar wäre insoweit, dass eine erforderliche Ausschreibung nach § 93 BetrVG unterblieben sei (§ 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG) oder etwa ein Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie (§ 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG) vorliege. Da der Anknüpfungspunkt für die Beteiligung des Betriebsrats – wie das BAG betont – die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb über das zunächst vorgesehene Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus und nicht etwa die rechtliche Grundlage der Weiterbeschäftigung ist, kann sie auch auf einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI beruhen und der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG bedürfen. Ergänzend weist das BAG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass § 41 S. 3 SGB VI das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht ausschließt, weil es sich insoweit um eine Sondervorschrift des Befristungsrechts handele, die nur auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien abstelle. Das BAG verneint auch einen Ausschluss des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI aus unionsrechtlichen Gründen, weil die Regelaltersgrenze an das Alter anknüpft und damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts eine Benachteiligung wegen des Alters i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG sein könne. Da das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht die Hinausschiebensvereinbarung, sondern ausschließlich die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über das zunächst vorgesehene Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus betrifft, fehlt es – wie das BAG überzeugend argumentiert – an einer Bezugnahme zum Alter des Arbeitnehmers. Insofern geht das BAG von einem „ac-
54 BAG v. 18.1.2017 – 7 AZR 236/15, NZA 2017, 849 Rz. 24.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
te clair“, d. h. von einer offenkundig richtigen Anwendung des Unionsrechts aus55, die eine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV ausschließt. Mit dieser Entscheidung setzt das BAG bezüglich der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers nach § 41 S. 3 SGB VI seine bisherige Rechtsprechung zur Weiterbeschäftigung nach Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags als vom Betriebsrat zustimmungsbedürftige Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG fort. Dabei spielt die Rechtsgrundlage der Weiterbeschäftigung keine Rolle, weil diese einem kollektivrechtlichen Zugriff des Betriebsrats vollständig entzogen ist. Unter individualrechtlichen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit der Fortsetzung von Arbeitsverhältnissen über die Altersgrenze hinaus ist daran zu erinnern, dass bei einer nach Erreichen des Rentenantragsalters getroffenen Vereinbarung über die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, die nicht in den Anwendungsbereich des § 41 S. 3 SGB VI fällt, ein Sachgrund für die Befristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG vorliegen muss56. (Boe)
8.
Beendigung alternierender Telearbeit als mitbestimmungspflichtige Versetzung
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir darauf hingewiesen, dass die Zuweisung eines mobilen Arbeitsplatzes ebenso wie die Beendigung der Arbeit im Homeoffice im Zweifel als mitbestimmungspflichtige Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG zu qualifizieren ist. Mit seinem Beschluss vom 20.10.202157 hatte das BAG dies bestätigt und eine mitbestimmungspflichtige Versetzung bei der Beendigung alternierender Telearbeit angenommen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber im Jahre 2007 im Anschluss an die Elternzeit mit einer Arbeitnehmerin die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes und die weitere Beschäftigung in alternierender Telearbeit vereinbart. In der Folgezeit erbrachte die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsleistung überwiegend an ihrem häuslichen Arbeitsplatz. Grundlage hierfür war eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, mit der wesentliche Vorgaben eines Tarifvertrags zur Telearbeit umgesetzt wurden. Nach der ar55 EuGH v. 15.9.2005 – C-495/03 n. v. (Rz. 33) – Intermodal Transports; BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, NJW-RR 2021, 617 Rz. 54 f.; BVerfG v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005 Rz. 10. 56 BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, 1066. 57 BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494 Rz. 18 ff.
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Beendigung alternierender Telearbeit als mitbestimmungspflichtige Versetzung
beitsvertraglichen Regelung und der wortgleich im Tarifvertrag enthaltenen Bestimmung konnte die Vereinbarung von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Außerdem bestand nach Arbeitsvertrag und Tarifvertrag das Recht, die Vereinbarung in besonders begründeten Einzelfällen fristlos zu widerrufen. Bereits im Frühjahr 2018 war die Arbeitnehmerin von ihrer zuständigen Führungskraft über die Absicht eines Widerrufs der Vereinbarung über die alternierende Telearbeit in Kenntnis gesetzt worden. Ab März 2019 wurden dann bei der Arbeitgeberin aufgrund eines Beschlusses der Geschäftsleitung sämtliche Telearbeitsplätze darauf überprüft, ob (weiterhin) Gründe für ihre Beibehaltung bestanden. Hintergrund dieser Entscheidung waren Wirtschaftlichkeitsgründe sowie die Umsetzung des zukünftigen Arbeitsmodells „Desk-Sharing“, das verschiedene Formen des mobilen Arbeitens enthalten sollte. Im Rahmen einer Beteiligung nach § 99 BetrVG bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat im April 2019 um Zustimmung zum Widerruf der Vereinbarung über die Einrichtung eines alternierenden Telearbeitsplatzes. Der Betriebsrat lehnte dies unter Bezugnahme auf § 99 Abs. 2 Nrn. 1, 4 BetrVG ab. Nach seiner Auffassung hatte die Arbeitgeberin nicht die notwendige Interessenabwägung für einen Widerruf vorgenommen. Hinzu komme, dass die Nachteile, die die Arbeitnehmerin wegen der entstehenden Wegezeiten und Fahrtkosten zu erwarten hatte, aus Sicht des Betriebsrats nicht ausreichend berücksichtigt worden waren. Das BAG hat zwar das Vorliegen einer Versetzung bestätigt, zugleich aber deutlich gemacht, dass diese Überlegungen des Betriebsrats nicht als Grund für einen Widerspruch gegen die beabsichtigte Personalmaßnahme gemäß § 99 Abs. 2 Nrn. 1, 4 BetrVG zu qualifizieren seien. Eine Versetzung lag aus Sicht des 7. Senats des BAG bereits als Folge des Umstands vor, dass die Maßnahme des Arbeitgebers mit einem dauerhaften Wechsel des regelmäßigen Arbeitsortes verbunden war. Nicht erforderlich sei, dass sich zugleich die Arbeitsaufgabe ändern oder die Arbeitnehmerin einer anderen organisatorischen Einheit des Betriebs zugeordnet werden solle. Denn bereits in der Beendigung der alternierenden Telearbeit liege ein Umstand, der das gesamte Bild der Tätigkeit aus der Sicht eines betrieblichen Betrachters verändere. Schließlich sei die Arbeitnehmerin durch die vollständige Eingliederung in die betriebliche Arbeitsstätte anders in die Aufgabenerfüllung und in den Betriebsablauf eingebunden als dies bei der
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ganz überwiegenden Erbringung der Arbeitsleistung in der heimischen Arbeitsstätte der Fall sei58. Die Ansicht des Betriebsrats, dass die angenommene Missachtung der Voraussetzungen eines Widerrufs nach der individual- und kollektivvertraglichen Regelung als Widerspruchsgrund i. S. d. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu qualifizieren sei, hat das BAG allerdings zurückgewiesen. Der Betriebsrat könne bei einer personellen Einzelmaßnahme seine Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verweigern, wenn diese gegen die dort genannten Rechtsvorschriften – und damit auch gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag – verstoßen würde. Es müsse sich bei der maßgeblichen Rechtsnorm auch nicht um ein Verbotsgesetz im technischen Sinne handeln, das unmittelbar die Unwirksamkeit der Maßnahme herbeiführe. Es müsse aber hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Zweck der betreffenden Norm darin bestehe, die personelle Maßnahme selbst zu verhindern. Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sei bei Versetzungen deshalb nur gegeben, wenn das Ziel der Norm allein dadurch erreicht werden könne, dass die Versetzung insgesamt unterbleibe59. Diese Voraussetzung war nach Auffassung des BAG vorliegend nicht erfüllt. Denn selbst wenn man zu Gunsten des Betriebsrats unterstelle, dass die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Beendigung der alternierenden Telearbeit die Vorgaben in Arbeitsvertrag und Tarifvertrag zu beachten hätte, handele es sich dabei lediglich um Voraussetzungen für die individualrechtliche Wirksamkeit der Beendigung der alternierenden Telearbeit gegenüber der Arbeitnehmerin. Weder dem Arbeitsvertrag noch dem Tarifvertrag lasse sich aber entnehmen, dass nur derjenige Arbeitnehmer im Anschluss an eine Versetzung in dem anderweitigen Tätigkeitsbereich tatsächlich eingesetzt werden dürfe, der zuvor eine den individual- oder kollektivrechtlichen Anforderungen genügende Weisung erhalten habe. Da im Übrigen nicht Aufgabe des Betriebsrats im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sei, die Einhaltung des Inhalts des Arbeitsvertrags zu überwachen60, könne auch aus einer fehlenden Berücksichtigung der Anforderungen aus § 106 S. 1 GewO nicht auf einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG geschlossen werden61.
58 BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494 Rz. 21 f. 59 Ebenso BAG v. 10.10.2012 – 7 ABR 42/11 n. v. (Rz. 65); BAG v. 17.6.2008 – 1 ABR 20/07, NZA 2008, 1139 Rz. 23. 60 BAG v. 10.8.1993 – 1 ABR 22/93, NZA 1994, 187 Rz. 43. 61 BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494 Rz. 42 ff.
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Auch die Voraussetzungen einer Zustimmungsverweigerung aus § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG waren aus Sicht des BAG nicht gegeben. Sinn und Zweck dieses Zustimmungsverweigerungsgrundes sei es, den betroffenen Arbeitnehmer vor Benachteiligungen zu schützen. Eine Versetzung, die durch den Vollzug einer unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers bedingt sei, werde aber in der Regel aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt sein. Da die unternehmerische Entscheidung im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG nicht auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, sondern als vorgegebener betrieblicher Grund hinzunehmen sei, könne die Zustimmungsverweigerung darauf nicht gestützt werden. Insbesondere könne der Betriebsrat über einen auf diese Vorschrift gestützten Widerspruch nicht erzwingen, dass die unternehmerische Entscheidung rückgängig gemacht werde62. Das BAG macht in diesem Zusammenhang allerdings deutlich, dass die im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG ansonsten berechtigte Vermutung, eine Versetzung sei aus betrieblichen Gründen erfolgt, in solchen Fällen nicht unbesehen greifen könne, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und der darauf beruhende Versetzungsentschluss praktisch deckungsgleich seien. Denn der mit dem Zustimmungsverweigerungsrecht aus § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG beabsichtigte individuelle Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers liefe weitgehend leer, wenn dem Betriebsrat in Fällen, in denen die unternehmerische Entscheidung quasi mit der Entscheidung über die Versetzung inhaltlich zusammenfalle, keine Möglichkeit mehr bliebe, den Eintritt ungerechtfertigter Nachteile zu beanstanden. Bei einer Deckungsgleichheit von Organisations- und Versetzungsentscheidung sei die Versetzung daher nur dann als gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt anzusehen, wenn der Arbeitgeber seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit verdeutliche und die Organisationsmaßnahme auf sachlich nachvollziehbaren, plausiblen Gründen beruhe. Hiervon ist das BAG im konkret zur Entscheidung stehenden Fall ausgegangen. Insofern hat es zwar anerkannt, dass durch die längeren Wegezeiten zum Arbeitsplatz für die betroffene Arbeitnehmerin individuelle Nachteile auftraten. Diese Nachteile seien aber aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung der Arbeitgeberin aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt. Denn die Beendigung der alternierenden Telearbeit war im Vollzug einer Entscheidung der Arbeitgeberin erfolgt, wirtschaftliche Ziele zu verfolgen und zugleich ein neues Arbeitsmodell – Desk-Sharing – einzuführen. Damit lä62 BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494 Rz. 48 bis 50.
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gen – so das BAG – „sachlich nachvollziehbare, plausible Gründe“ vor, die der Anerkennung einer Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG entgegenstehen. Der Entscheidung des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie macht noch einmal deutlich, dass unabhängig von § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG auch einzelfallbezogene Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen, wenn vorhandene Vereinbarungen über mobile Arbeit mit der Folge überarbeitet werden, dass sich der örtliche Schwerpunkt der Tätigkeit des hiervon betroffenen Arbeitnehmers verändert. Hier ist der Betriebsrat rechtzeitig gemäß § 99 BetrVG einzubeziehen. Allein der Umstand, dass mit der Beendigung einer Homeoffice-Vereinbarung für die hiervon betroffenen Arbeitnehmer auch wirtschaftliche oder persönliche Nachteile in Bezug auf die privaten Aufgaben verbunden sein können, rechtfertigt in der Regel aber keinen Widerspruch gegen die darin liegende Versetzung. (Ga)
9.
Neues zur Mitbestimmung des Betriebsrats beim Arbeits- und Gesundheitsschutz
Mit Blick auf die vielfältigen Veränderungen und neuen Gefahren, die die COVID-19-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren mit sich gebracht hat, hat der Arbeits- und Gesundheitsschutz einen deutlich höheren Stellenwert in der betrieblichen Praxis gewonnen. Dabei ist für Unternehmen, Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter gleichermaßen erkennbar geworden, dass nur eine sachgerechte Analyse denkbarer Gefahren den Arbeitgeber überhaupt in die Lage versetzt, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dies betrifft Arbeitsplätze im Betrieb ebenso wie Arbeitnehmer, die im Rahmen mobiler Arbeit zum Einsatz kommen. Wir hatten deshalb in den vergangenen Jahren nicht nur über die arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen als Folge der COVID-19-Pandemie63 und den Arbeitsschutz bei mobiler Arbeit64 berichtet, sondern uns intensiv auch mit der Frage befasst, welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats insbesondere aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bestehen65. Ausgangspunkt für die Einbeziehung des Betriebsrats im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist nicht nur seine durch §§ 80 Abs. 1 Nr. 9, 89 BetrVG begründete Pflicht, Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des be63 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 405 ff., 2021, 69 ff. 64 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 19 ff. 65 B. Gaul, AktuellAR 2021, 271 f.
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trieblichen Umweltschutzes zu fördern. Weitergehend begründet § 89 BetrVG die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Betriebsrat und von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen. Umgekehrt ist der Betriebsrat verpflichtet, die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratungen und Auskunft bei der Durchführung des betrieblichen Arbeits- und Umweltschutzes zu unterstützen. Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat dürfte allerdings § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG stehen. Danach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Bestimmung nicht besteht, bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften mitzubestimmen. Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Zuständiger Ansprechpartner des Betriebsrats in Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind dabei regelmäßig die örtlichen Betriebsräte. Diese können die Angelegenheit zwar an den Gesamtbetriebsrat delegieren (§ 50 Abs. 2 BetrVG). Die Voraussetzungen für eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats sind aber nur selten erfüllt. Unter Bezugnahme auf die Feststellungen des BAG im Urteil vom 8.6.200466 zur Mitbestimmung im Zusammenhang mit Gefährdungsbeurteilungen hat darauf noch einmal das LAG Nürnberg in seinem Beschluss vom 10.9.202167 hingewiesen. Nach seiner Auffassung, die das BAG durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bestätigt hat, sind die örtlichen Betriebsräte auch für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zuständig, wenn es um die Schaffung einer Organisation für den betrieblichen Arbeitsund Gesundheitsschutz geht. Dass bei der Einrichtung einer Aufbau- und Ablauforganisation zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, die mit einer Verteilung von Aufgaben auf Mitarbeiter und/oder Dritte verbunden ist, ein
66 BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 4/03, NZA 2005, 227. 67 LAG Nürnberg v. 10.9.2021 – 4 TaBV 29/19 n. v. (Rz. 60 ff.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG besteht, hatte das BAG bereits mit Urteil vom 18.3.201468 deutlich gemacht. Ergänzend hierzu hat sich das BAG in dem jetzt vorliegenden Beschluss vom 7.12.202169 noch einmal intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Bedeutung die Kennzeichnung der zwischen den Betriebsparteien im Streit stehenden Regelungsfrage für die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs hat. Weitergehend hat der 1. Senat des BAG noch einmal klargestellt, in welcher Reihenfolge innerhalb der Einigungsstelle überhaupt Entscheidungen zur Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung bzw. der Festlegung von Schutzmaßnahmen getroffen werden können. Gerade weil die Einigungsstelle selbst keine Gefährdungsbeurteilung durchführen kann, hat dies entscheidende Bedeutung für den betrieblichen Arbeitsschutz. Denn diese Kennzeichnung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG macht deutlich, dass Mitbestimmungsrechte im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen erst bestehen, wenn unter Einbeziehung des Betriebsrats die Art und Weise einer Gefährdungsbeurteilung festgelegt wurde und nach ihrer Durchführung physische und psychische Gefahren an den jeweils in Rede stehenden Arbeitsplätzen erkennbar gemacht worden sind. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall stritten sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Belastungssituation für die Ärzte der Abteilung Pädiatrie in einer Kinderklinik, die durch den Arbeitgeber in Hamburg betrieben wurde. Nachdem die Parteien im Jahre 2010 eine Betriebsvereinbarung „zur Umsetzung des ArbSchG und der Anwendung von Gefährdungsbeurteilungen nach § 8 ArbSchG einschließlich der Erfassung psychischer Belastungen an den Arbeitsplätzen in der A Klinik“ (BV Arbeitsschutz) getroffen hatten, waren unter Einbeziehung von Sachverständigen mehrere Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen worden. Auf deren Grundlage einigten sich die Beteiligten im Oktober 2011 zunächst einmal auf Maßnahmen für die Kinderklinik. Bereits im Jahre 2013 entstand allerdings Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen eines Steuerungsausschusses über die Frage, ob diese Maßnahmen noch ausreichten, um der Gesundheitsgefährdung entgegenzuwirken. Der Betriebsrat rief daher die Einigungsstelle an. Die Einigungsstelle beauftragte sodann mehrere Sachverständige mit der Erstellung arbeitswissenschaftlicher Gutachten zu den psychischen Belastun68 BAG v. 18.3.2014 – 1 ABR 73/12, NZA 2014, 855. 69 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504.
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gen des ärztlichen Personals. Ergänzend hierzu wurden Workshops durchgeführt. Nach etwa 30 Sitzungen fasste die Einigungsstelle sodann am 3.7.2018 folgenden „Teilspruch“: 1. Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, in der Allgemeinpädiatrie eine Relation zwischen Betten und Vollzeitarztstellen mit dem Wert 3,07 zu betreiben. Jedoch müssen immer mindestens 6 VK im Bereich der Ärzte vorgehalten werden. 2. Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, in der Intensiv/Neonatologie eine Relation zwischen Betten und Vollzeitarztstellen mit dem Wert 1,5 zu betreiben. Jedoch müssen immer mindestens 6 VK im Bereich der Ärzte vorgehalten werden.
Nachdem der Arbeitgeberin der Spruch zugestellt worden war, erhob sie beim ArbG Klage mit dem Ziel festzustellen, dass der Spruch unwirksam sei. Nach ihrer Auffassung gewähre § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht bei der Personalbesetzung. Auch fehle es an konkret festgestellten Gefährdungen. Entgegen der Auffassung des LAG Hamburg hat das BAG festgestellt, dass der Teilspruch der Einigungsstelle unwirksam war. Nach seiner Auffassung bestanden bereits Zweifel, ob der Regelungsauftrag der Einigungsstelle hinreichend bestimmt gewesen sei. Einigungs- oder Bestellungsgegenstand bei der Bildung einer Einigungsstelle ist – so das BAG – auch die Festlegung des von ihr zu verhandelnden Regelungsgegenstands. Dieser könne weit gefasst werden, was nicht zuletzt dem im Einigungsstellenverfahren angelegten Einigungsvorrang (vgl. § 76 Abs. 3 S. 3 BetrVG) entspreche. Stets aber müsse hinreichend klar sein, über welchen Gegenstand die Einigungsstelle überhaupt verhandeln und ggf. durch Spruch befinden solle. Das sei unerlässlich, weil mit dem Regelungsgegenstand der Zuständigkeitsrahmen der Einigungsstelle begrenzt werde, damit diese der gesetzgeberischen Konzeption genügen könne, eine regelungsbedürftige Angelegenheit im Rahmen der gestellten Anträge vollständig zu lösen. Da der Spruch der Einigungsstelle auch dann unwirksam sei, wenn diese ihrem Regelungsauftrag nicht ausreichend nachgekommen sei und keine abschließende Regelung getroffen habe, müsse sowohl für das Einigungsstellenverfahren als auch für die gerichtliche Überprüfung der Zuständigkeit der Einigungsstelle oder ihres Spruchs erkennbar sein, für welche konkreten Regelungsfragen sie errichtet worden sei. Ein nicht ausreichend bestimmter Re-
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gelungsauftrag sei nicht geeignet, der Einigungsstelle die erforderliche Spruchkompetenz zu vermitteln. Vielmehr habe ein solcher Mangel die Unwirksamkeit des gesamten Spruchs zur Folge70. Aus Sicht des BAG ließ sich weder den tatbestandlichen Feststellungen des LAG Hamburg noch dem Vortrag der Beteiligten ein eindeutiger Regelungsauftrag der Einigungsstelle entnehmen. So blieb unklar, ob die Einigungsstelle schlussendlich nur einen Streit des Steuerungsausschusses klären sollte, der auf der Grundlage der BV Arbeitsschutz gebildet worden war. Ebenso denkbar war, dass die Einigungsstelle einen Regelungsauftrag im Zusammenhang mit einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Abs. 1 ArbSchG hatte. Dann aber wäre der Spruch bereits deshalb unwirksam, weil er außerhalb des Regelungsauftrags getroffen wurde. Denn nach dem Inhalt des durch die Einigungsstelle getroffenen Spruchs wäre wohl eher davon auszugehen, dass ihr Regelungsauftrag die Festlegung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes gewesen sei, mit denen psychischen Belastungen der Ärzte in den Bereichen Allgemeinpädiatrie und Neonatologie entgegengewirkt werden sollte. Schlussendlich hat das BAG die Entscheidung allerdings offengelassen, weil der angefochtene Spruch seinem Inhalt nach bereits mangels eines entsprechenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats unwirksam war. Denn selbst wenn der Regelungsauftrag für die Einigungsstelle auf die Festlegung von Schutzmaßnahmen gerichtet gewesen sei, habe es an einer Feststellung zu konkreten Gefährdungen gefehlt, die zuvor – außerhalb des Einigungsstellenverfahrens – auf der Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung hätten getroffen werden müssen71. In der Begründung dieses Ergebnisses weist das BAG darauf hin, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erst dann gegeben sei, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv bestehe und eine betriebliche Regelung notwendig sei, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Ein daran anknüpfendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Bezug auf die Festlegung etwaiger Schutzmaßnahmen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG greife allerdings erst dann ein, wenn eine konkrete Gefährdung nach Art und Umfang feststehe oder im Rahmen einer – vom Arbeitgeber auf der Grundlage einer von den Betriebsparteien oder der Einigungsstelle zuvor getroffenen Regelung über das Verfahren zur Beurteilung der Arbeits70 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504 Rz. 20; BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 19 f. 71 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504 Rz. 26 ff.
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bedingungen durchgeführten – Gefährdungsbeurteilung i. S. d. § 5 Abs. 1 ArbSchG festgestellt worden sei. Dies gälte auch, wenn es um die Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung durch psychische Belastungen bei der Arbeit nach § 5 Abs. 1, 3 Nr. 6 ArbSchG gehe. Welche Schutzmaßnahmen geeignet und angemessen seien, lasse sich daher erst bestimmen, wenn das von der Arbeit für die Beschäftigten ausgehende Gefährdungspotential im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 ArbSchG durchzuführenden Beurteilung eruiert worden sei. Bestehe – so das BAG – zwischen den Betriebsparteien Streit darüber, ob die Arbeitnehmer durch arbeitsbedingte psychische Belastungen gefährdet seien, müssten die Betriebsparteien zunächst die Vorgaben für die nach § 5 Abs. 1 ArbSchG vom Arbeitgeber durchzuführende Beurteilung der Arbeitsbedingungen festlegen. Das dem Betriebsrat in diesem Zusammenhang zustehende Mitbestimmungsrecht umfasse dabei zunächst die Klärung, inwieweit die Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig seien und deshalb die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreiche. Zudem müssten die Betriebsparteien regeln, mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung – also ihre Schwere und das Risiko ihrer Realisierung – sowie die grundsätzliche Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen und die Dringlichkeit eines möglichen Handlungsbedarfs festgestellt werden sollten. Da die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG in regelmäßigen Abständen anlassunabhängig zu wiederholen sei, hätten die Betriebsparteien außerdem abstrakte Vorgaben zu treffen, in welchen zeitlichen Abständen die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen sei72. Ergänzend hierzu müssten die Betriebsparteien vereinbaren, auf welche Art und Weise die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden73. Erst in einem zweiten Schritt, nämlich dann, wenn die nach dem mitbestimmten und ausgestalteten Verfahren durchgeführte Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sind, muss der Arbeitgeber diese möglichst zeitnah gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG treffen. Kann der Gefährdung – so das BAG – mittels unterschiedlicher Schutzmaßnahmen begegnet werden, bestimmt dabei ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Entscheidung, welche der möglichen
72 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504 Rz. 28 f.; BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 32. 73 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504 Rz. 29; BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 31.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Maßnahmen umgesetzt werden sollen74. Darüber hinaus besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch bei Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen zu überprüfen75. Zu Recht stellt das BAG in diesem Zusammenhang klar, dass Grund und Ausmaß von Gefährdungen der Arbeitnehmer nicht durch die Einigungsstelle selbst geklärt werden können. Diese sei weder die nach § 13 Abs. 1 ArbSchG verantwortliche Person für die Erfüllung der sich aus § 5 ArbSchG ergebenden Pflichten des Arbeitgebers noch könnten Arbeitsschutzpflichten i. S. d. § 13 Abs. 2 ArbSchG an die Einigungsstelle delegiert werden. Daher sei es auch nicht ihre Aufgabe, die Beurteilung, ob Gefährdungen vorlägen, selbst vorzunehmen oder diese durch Hinzuziehung von Sachverständigen zu ermitteln. Die Einigungsstelle könne Sachverständige nur insoweit hinzuziehen, als sie sich sachkundig machen müsse, um ein angemessenes Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen i. S. d. § 5 Abs. 1 ArbSchG festlegen zu können. Ebenso kann sich die Einigungsstelle den erforderlichen Sachverstand verschaffen, um auf der Grundlage einer bereits durchgeführten Gefährdungsbeurteilung eine angemessene Entscheidung über die geeigneten, erforderlichen und angemessenen Schutzmaßnahmen zu treffen. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BAG in überzeugender Weise eine Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs angenommen. Denn es fehlte an einer aktualisierten Gefährdungsbeurteilung, auf deren Grundlage überhaupt erst eine Bewertung in Bezug auf Art und Erforderlichkeit etwaiger Schutzmaßnahmen hätte getroffen werden können. Insofern hätten die Betriebsparteien in einem ersten Schritt zunächst einmal das Verfahren einer Gefährdungsbeurteilung festlegen müssen. Über Art und Umfang etwaiger Schutzmaßnahmen, die dann auch eine Besetzungsregel enthalten können, kann erst im Anschluss daran entschieden werden. (Ga)
10. Mitbestimmungspflichtige Versetzung durch Verlagerung einer betrieblichen Einheit? Nach § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG ist von einer gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG zustimmungspflichtigen Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs auszugehen, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat 74 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504 Rz. 30; BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 29. 75 BAG v. 7.12.2021 – 1 ABR 25/20, NZA 2022, 504 Rz. 30; BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 39.
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Mitbestimmungspflichtige Versetzung durch Verlagerung einer betrieblichen Einheit?
überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Als „Arbeitsbereich“ beschreibt die Rechtsprechung dabei die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff sei – so das BAG – räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasse neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handele es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändere, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als „andere“ anzusehen sei76. Hiervon ausgehend könne sich die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit – also der Art und Weise, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen sei – folgen und mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein77. Damit kann bereits die Zuweisung eines anderen Arbeitsorts – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – auch bei ihrer Art nach gleichbleibender Tätigkeit als Versetzung nach § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG zu qualifizieren sein. Darauf hatte jetzt auch das LAG Nürnberg in seinem Beschluss vom 10.5.202178 zu Recht hingewiesen. In dem dortigen Sachverhalt waren die betroffenen Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs und innerhalb der gleichen Gemeinde einer anderen Klinik zugewiesen worden, in der sie mit gleicher Aufgabe, gleicher Verantwortung und gleichen Arbeitsabläufen als Mitarbeiter des internen Transportdienstes eingesetzt wurden. Da die andere Klinik aber etwa zwölf Kilometer entfernt lag, so dass die räumliche Veränderung auch nicht als Bagatelle qualifiziert werden konnte, und sie damit auch einer anderen Einheit des Betriebs zugeordnet wurden, lag darin die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs.
76 So BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 13; BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494 Rz. 19. 77 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 13; BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494 Rz. 19. 78 LAG Nürnberg v. 10.5.2021 – 1 TaBV 3/21, NZA-RR 2022, 28 Rz. 35 ff., 41.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Unter Bezugnahme auf seine Feststellungen im Beschluss vom 27.6.200679 hat das BAG in seiner Entscheidung vom 17.11.202180 indes noch einmal deutlich gemacht, dass auch bei einer räumlichen Veränderung des Arbeitsplatzes keine Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG gegeben ist, wenn die Veränderung im Zusammenhang mit der Verlagerung einer betrieblichen Einheit erfolgt, die die Grenzen der politischen Gemeinde nicht überschreitet und nicht mit Änderungen in Bezug auf den konkreten Arbeitsplatz der Arbeitnehmer und seiner Beziehung zur betrieblichen Umgebung verbunden ist. Dies beruhe auf der Annahme, dass in einem solchem Fall bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kein „anderer“ Dienst- oder Arbeitsort zugewiesen werde, da der Betriebssitz als typischer Dienst- oder Arbeitsort in der Regel die politische Gemeinde sei. Auch der Zweck des § 99 BetrVG gebiete in einem solchen Fall keine Mitbestimmung des Betriebsrats. Denn es gehe nicht, wie sonst bei personellen Einzelmaßnahmen, um eine vom Betriebsrat zu kontrollierende Auswahl zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Arbeitnehmern. Vielmehr seien von der Verlagerung sämtliche Arbeitnehmer der betrieblichen Einheit betroffen. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall waren 59 Arbeitnehmer, die insgesamt drei Teams bildeten, auf der Grundlage eines Interessenausgleichs an einen anderen Standort in Berlin verlagert worden, der 12,1 Kilometer entfernt war. Mit dem ÖPNV dauert es 46 Minuten, um den anderen Standort zu erreichen. Entscheidend für das BAG war allerdings, dass die betroffene Einheit vollständig und ohne Änderung der konkreten Arbeitsplätze und ihrer Beziehung zur betrieblichen Umgebung räumlich verlagert wurde. Dabei wurden die funktionalen Beziehungen, die Zuständigkeiten der Vorgesetzten und der betroffenen Arbeitnehmer nicht geändert. Hätte der Arbeitgeber im Rahmen der Maßnahme auch die Arbeitsaufgabe, die Verantwortung oder die Arbeitsabläufe angepasst, wäre im Zweifel eine abweichende Bewertung geboten gewesen. Besonderheiten könnten auch dann gegeben sein, wenn nicht der gesamte Betrieb oder ein räumlich gesonderter Betriebsteil insgesamt, sondern nur eine einzelne Betriebsabteilung aus einem Betrieb oder Betriebsteil ausgelagert würde. Denn darin kann – wie das BAG in seinem Beschluss vom 17.11.202181 deutlich macht – für die Arbeitnehmer dieser Betriebsabteilung eine Änderung des betrieblichen Umfelds liegen, die zu einer 79 BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 35/05, NZA 2006, 1289 Rz. 12 f. 80 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 14 ff. 81 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 14.
286
Wechsel in ein Shared-Service-Konzept als mitbestimmungspflichtige Versetzung
Versetzung nach § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG führen kann. Typischerweise sei dabei die Veränderung der betrieblichen Umgebung umso größer, je kleiner die verlegte Betriebsabteilung sei82. Die Sichtweise des BAG überzeugt. Sie macht noch einmal deutlich, dass bei der Anwendbarkeit von § 99 BetrVG schlussendlich individuelle Personalmaßnahmen in Rede stehen, die für das konkrete Arbeitsverhältnis Veränderungen zur Folge haben. Wenn und soweit Betriebe oder Betriebsteile betroffen sind, kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfüllt sind. Wie nachfolgend noch einmal aufgezeigt wird, ändert sich diese Einschätzung auch dann nicht, wenn die räumliche Veränderung mit einem neuen Arbeitskonzept (hier: Großraumbüro mit Shared-Desk-Konzept statt Einzelbüros) verbunden ist83. (Ga)
11.
Wechsel in ein Shared-Service-Konzept als mitbestimmungspflichtige Versetzung
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns mit der Frage auseinandergesetzt84, welche Beteiligungsrechte der Betriebsrat bei der Einführung eines Shared-Service-Konzepts hat. Solche Arbeitsformen gewinnen mit der zunehmenden Wichtigkeit der mobilen Arbeit an Bedeutung. Denn Unternehmen stehen vor der Frage, ob der verbleibende Büroraum in bisherigem Umfang gehalten oder auf der Grundlage optimierter Nutzungsformen verkleinert werden soll. Im Mittelpunkt steht dabei die Einführung von SharedService-Konzepten, die es ermöglichen, dass ein einziger Arbeitsplatz durch mehrere Arbeitnehmer – wenn auch zu verschiedenen Zeiten – genutzt werden kann. Im Hinblick auf etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG ist insoweit der Beschluss des BAG vom 17.11.202185 außerordentlich hilfreich. Wir hatten über diese Entscheidung bereits an anderer Stelle berichtet86. Unter Einbeziehung seiner Feststellungen im Beschluss vom 27.6.200687 hat das BAG nämlich deutlich gemacht, dass in dem Wechsel aus Einzelbüros in ein Shared-Service-Konzept keine Versetzung i. S. d.
82 83 84 85 86 87
Ebenso BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 35/05, NZA 2006, 1289 Rz. 13. B. Gaul, AktuellAR 2022, 287 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 269 ff.; vgl. auch Schönhöft/Einfeldt, ZAU 2022, 234. BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 24. B. Gaul, AktuellAR 2022, 284 ff. BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 35/05, NZA 2006, 1289 Rz. 15.
287
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
§ 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG zu sehen ist, die Beteiligungsrechte aus § 99 BetrVG zur Folge hätte. Dies entspricht seiner Sichtweise in einer früheren Entscheidung, mit der das BAG eine mitbestimmungspflichtige Versetzung im Zusammenhang mit einer umgekehrten Veränderung abgelehnt hatte. In dem damals zugrunde liegenden Fall hatte die Verlegung eines Betriebs zur Folge, dass Mitarbeiter statt – wie bisher – in Großraumbüros mit acht bis zehn Arbeitsplätzen (nur noch) in Einzel- oder Zweierbüros untergebracht waren. Auch darin liege – so das BAG – keine Änderung des Arbeitsbereichs, die aber für die Annahme einer Versetzung erforderlich sei. In dem dem Beschluss vom 17.11.202188 zugrunde liegenden Fall wurden die Arbeitsplätze nicht nur innerhalb von Berlin um 12,1 km verlegt. Vielmehr hatte die Verlegung auch zur Folge, dass alle Mitarbeiter in zwei Großraumbüros arbeiteten, wobei sog. Desk-Sharing-Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt wurden. Am bisherigen Standort waren die Mitarbeiter etwa zur Hälfte in einem Großraumbüro, unterteilt in mehrere kleinen Büros, untergebracht. Auch diese Veränderung des Arbeitskonzepts hatte nach Auffassung des BAG keine mitbestimmungspflichtige Versetzung zur Folge. Nach seiner Bewertung war dieser Umstand nicht so beachtlich, als dass von einer Änderung des Arbeitsbereichs der einzelnen Arbeitnehmer gesprochen werden könne. Für diejenigen Arbeitnehmer, die bereits am bisherigen Standort in einem Großraumbüro ihre Tätigkeit verrichteten, hätten sich die Umstände in Bezug auf diese Arbeitsweise gar nicht geändert. Aber auch für die Beschäftigten, die zuvor in mehreren kleineren Büros arbeiteten, liege keine erhebliche Änderung ihrer Arbeitsumstände vor. Sie hätten weiterhin und wie bisher einen Arbeitsplatz in einem Büro, das nunmehr lediglich für eine größere Anzahl von Personen vorgehalten werde89. Eine Änderung des Arbeitsbereichs liege auch nicht darin, dass am neuen Standort Desk-Sharing-Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt würden. Der Umstand, dass die Arbeitnehmer vor Beginn ihrer Tätigkeit einen freien Schreibtisch wählen sowie ihre individuellen Arbeitsmittel aus dem verschließbaren Wertschrank entnehmen und an den Schreibtisch bringen müssten, treffe weder deren Aufgabe und Verantwortung noch die Art ihrer Tätigkeit und ihre Einordnung in den betrieblichen Arbeitsablauf. Insofern sei auch nicht erkennbar, dass sich dadurch die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer so verändert habe, dass sie am neuen Standort vom Standpunkt 88 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501. 89 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 24.
288
SE-Umwandlung: Gewährleistung eines gesonderten Wahlverfahrens
eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters aus nunmehr als eine „andere“ zu qualifizieren sei90. Dieser Bewertung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Damit gibt es im Grunde bei der Einführung von Desk-Sharing-Konzepten zwar Beteiligungsrechte aus §§ 90 f. BetrVG. Ergänzend hierzu hat der Betriebsrat Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, wenn – allerdings erst nach Einrichtung der Arbeitsplätze und Aufnahme der Tätigkeit – eine (aktualisierte) Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird und auf deren Grundlage Schutzmaßnahmen festgesetzt werden. Abweichend von den Überlegungen des ArbG Frankfurt im Beschluss vom 31.8.200591, auf den in diesem Zusammenhang betriebsratsseitig immer wieder verwiesen wird, stellt die Einführung von Shared-Service-Arbeitsplätzen auch keine Betriebsänderung dar. Es fehlt insoweit an grundlegenden Veränderungen der Betriebsorganisation und/oder der Betriebstechnik oder der Arbeitsverfahren, wie es für § 111 S. 3 Nrn. 4, 5 BetrVG erforderlich wäre. Insoweit können die zu § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG entwickelten Überlegungen übertragen werden, die bei der Kennzeichnung einer Versetzung deutlich geringere Veränderungen ausreichen lässt, als dies bei den „grundlegenden“ Veränderungen des § 111 S. 3 Nrn. 4, 5 BetrVG der Fall ist. Sollte das Shared-Service-Konzept – beispielsweise durch die Einführung eines elektronischen „Buchungssystems“ für den persönlichen Schreibtisch – mit der Einführung und Anwendung einer technischen Einrichtung verbunden sein, die Leistung und/oder Verhalten der Arbeitnehmer erfasst, bleibt es aber natürlich bei Beteiligungsrechten aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Darüber hinaus kann die Festlegung von Regeln über das Aufräumen und Ausgestalten von Shared-ServiceArbeitsplätzen in den Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG fallen92. (Ga)
12. SE-Umwandlung: Gewährleistung eines gesonderten Wahlverfahrens für gewerkschaftliche Arbeitnehmervertreter Gemäß § 21 Abs. 6 SEBG muss in einer Beteiligungsvereinbarung, die im Zusammenhang mit der Gründung einer SE durch Umwandlung geschlossen wird, in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumin90 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 18/20, NZA 2022, 501 Rz. 24. 91 ArbG Frankfurt v. 31.8.2005 – BV 826/05 n. v. 92 B. Gaul, AktuellAR 2021, 269 ff.
289
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
dest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll. Umstritten ist, ob daraus nicht nur die Verpflichtung folgt, bei einer Gesellschaft, die unter die paritätische Mitbestimmung fällt, in der Beteiligungsvereinbarung festzulegen, dass ein etwaiger Aufsichtsrat jeweils zur Hälfte durch Mitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt wird. Vielmehr wird diskutiert, ob die Beteiligungsvereinbarung auch das Verhältnis zwischen Unternehmensund Gewerkschaftsvertretern aus § 7 Abs. 2 MitbG, das Vorschlagsrecht für die Gewerkschaftsvertreter und die Formalitäten ihrer Wahl aus §§ 9 ff. MitbG übernehmen muss. Im Rahmen einer Vorlage, die das BAG am 18.8.202093 an den EuGH gerichtet hatte, hat der Generalanwalt mit seinen Schlussanträgen vom 28.4.202294 nunmehr eine erste Einschätzung aus unionsrechtlicher Sicht vorgelegt. Gegenstand des Verfahrens ist die im Jahre 2014 anlässlich der Umwandlung von SAP in eine SE geschlossene Beteiligungsvereinbarung. Vor der Umwandlung bestand der Aufsichtsrat von SAP aus jeweils acht Mitgliedern der Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite. Unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer befanden sich zwei Vertreter von Gewerkschaften, die in einem von den Wahlen der übrigen sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer getrennten Wahlgang gewählt wurden. Nach der Umwandlung verfügt die SAP SE gemäß Beteiligungsvereinbarung über einen aus 18 Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat, von denen neun Mitglieder Arbeitnehmervertreter sind. Dort ist vorgesehen, dass zum Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nur SAP-Arbeitnehmer oder Vertreter der im SAP-Konzern repräsentierten Gewerkschaften vorgeschlagen oder bestellt werden können. Weitergehend wird den Gewerkschaften für einen Teil der auf Deutschland entfallenden Arbeitnehmervertreter ein ausschließliches Vorschlagsrecht eingeräumt, wobei die Gewerkschaftsvertreter in einem getrennten Wahlgang gewählt werden. Mit diesen Regelungen wurde nicht nur der Anteil der Arbeitnehmervertreter, sondern auch der gesetzliche Modus einer Wahl der Gewerkschaftsvertreter fortgeschrieben. Streit entstand allerdings, als man – entsprechend einer Regelung in der Beteiligungsvereinbarung – beabsichtigte, den Aufsichtsrat auf insgesamt zwölf Mitglieder zu verkleinern. Denn mit dieser Änderung sollte nicht nur die Zahl der auf Arbeitnehmervertreter aus Deutschland entfallenden Sitze 93 BAG v. 18.8.2020 – 1 ABR 43/18 (A), NZA 2021, 287. 94 Generalanwalt EuGH v. 28.4.2022 – C-677/20, DB 2022, 1195 – IG Metall und ver.di.
290
SE-Umwandlung: Gewährleistung eines gesonderten Wahlverfahrens
reduziert werden. Vielmehr war vorgesehen, dass die im Konzern vertretenen Gewerkschaften zwar weiterhin Wahlvorschläge für einen Teil dieser Sitze machen können. Allerdings sollte die Wahl dieser Kandidaten nicht mehr in einem getrennten Wahlgang erfolgen, sondern mit den übrigen Arbeitnehmervertretern verknüpft werden. Aus Sicht der Gewerkschaften lag darin eine Einschränkung des durch §§ 7 Abs. 2, 16 Abs. 2 MitbG gewährleisteten Vorschlagsrechts der Gewerkschaften, was mit § 21 Abs. 6 SEBG nicht vereinbar sei. Diese Sichtweise wird durch den Generalanwalt unter Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2001/86/EG, in dem § 21 Abs. 6 SEBG seine unionsrechtliche Grundlage findet, geteilt. Nach seiner Auffassung sei der gesonderte Wahlgang für die Gewerkschaftsvertreter „unbestreitbar“ ein prägendes Element der Beteiligungsregelung in Deutschland und könne deshalb nicht Gegenstand von Verhandlungen sein. Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2001/86/EG sei daher dahin auszulegen, dass die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer durch Umwandlung gegründeten SE einen getrennten Wahlgang für die Wahl eines bestimmten Teils der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vorsehen muss, wenn – was in Deutschland der Fall ist – diese Besonderheit existiert und nach dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden (nationalen) Recht zwingend ist. Sollte der EuGH diese Sichtweise des Generalanwalts übernehmen, ist die entsprechende Regelung in der Beteiligungsvereinbarung unwirksam. Die Verkleinerung des Aufsichtsrats kann dann nicht zum Anlass genommen werden, das Vorschlagsrecht der Gewerkschaften und den gesonderten Wahlgang für die Vertreter der Gewerkschaften auszuschließen. Vielmehr bleibt es bei der bislang bereits bestehenden Regelung, mit der die gesetzliche Systematik aus §§ 7 Abs. 2, 16 MitbG übernommen wurde. (Ga)
291
.
I. 1.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Zulässigkeit und Grenzen der Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie bei Betriebsänderungen
Das BAG hat mit Urteil vom 7.12.20211 noch einmal bestätigt, dass die Betriebsparteien im Zusammenhang mit Betriebsänderungen berechtigt sind, in einer zusätzlich zum Sozialplan abgeschlossenen Betriebsvereinbarung die Zahlung einer Turbo- oder Klageverzichtsprämie zu vereinbaren. Zugleich hat das BAG das Verbot bekräftigt, Sozialplanleistungen von einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig zu machen. Dies stellt die Praxis vor die Herausforderung, Maßstäbe zu entwickeln, bei denen noch von einer zulässigen Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie „neben“ der Sozialplanabfindung gesprochen werden kann. Das Recht der Betriebsparteien, im Zusammenhang mit Betriebsänderungen zusätzlich zum Sozialplan die Zahlung einer Turbo- oder Klageverzichtsprämie zu vereinbaren, steht im Spannungsverhältnis zu dem Verbot, Sozialplanleistungen von einem Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage abhängig zu machen. Das kann auch dann greifen, wenn die Regelungen in verschiedenen Vereinbarungen getroffen werden. Insofern besteht die Herausforderung, Maßstäbe einer zulässigen Prämienregelung zu entwickeln.
a)
Ausgangssituation
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, so hat er ein großes Interesse an der alsbaldigen Schaffung von Rechtssicherheit im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Durchführung eines – ggf. langjährigen und kostenintensiven – Kündigungsschutzprozesses wird diesem Interesse nicht gerecht. Denn bis zur Rechtskraft der Entscheidung besteht keine Rechtssicherheit. Mag dies im Fall der Kündigung weniger einzelner Arbeitnehmer noch zu in der Regel überschaubaren Belastungen führen, ändert sich die Lage, wenn die Kündigung einer Vielzahl von – ggf. mehrerer Hundert – Arbeitnehmer im Raum steht. Dies kann bei einer Betriebsänderung – vor allem in Form einer Betriebsstilllegung oder Teilstilllegung – schnell der Fall sein, zumal insbesondere bei einem Fortbestand des (restlichen) Betriebs ein hohes Interesse aller Beteiligten besteht, dass im Betrieb eine leistungsstarke Belegschaft erhalten bleibt. Das aber steht in der Regel im Widerspruch zu den Vorgaben der Sozialauswahl, auf
1
BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281.
293
Betriebsänderung und Betriebsübergang
deren Grundlage eigentlich die von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer ausgewählt werden sollen. Wenn der Arbeitgeber – häufig in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat – in diesem Fall einerseits die Beendigung von Arbeitsverhältnissen auch außerhalb der strengen Regelungen einer Sozialauswahl zulassen will, andererseits aber gleichzeitig langjährige Prozesse über die Wirksamkeit einer Kündigung vermeiden will, ist es in der betrieblichen Praxis insbesondere bei Betriebsänderungen üblich geworden, nicht nur über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln. Vielmehr führen Arbeitgeber und Betriebsrat regelmäßig ergänzende Gespräche über die Frage, wie das Einvernehmen von Arbeitnehmern hinsichtlich der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gesondert honoriert werden kann. Entsprechende Zahlungen, die oft im Rahmen eines Freiwilligenprogramms an den Abschluss von Aufhebungsverträgen bzw. den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage geknüpft werden, helfen nicht nur, das Risiko und die Kosten von Kündigungsschutzverfahren zu vermeiden. Sie unterstützen ferner bei dem Ziel, im Rahmen einer Betriebsänderung auch solche Arbeitsverhältnisse zu beenden, bei denen eine Kündigung nicht sozial gerechtfertigt werden könnte.
b)
Denkbare Formen einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie
In der betrieblichen Praxis ist zwischen dem gesetzlich geregelten Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG und dem Anspruch auf eine Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie aus einer im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zu unterscheiden. aa)
Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG
Nach § 1 a Abs. 1 KSchG hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung, wenn (i) der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG kündigt, (ii) der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt und (iii) der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung darauf hingewiesen hat, dass in diesem Fall eine Abfindung gezahlt wird.
Die Norm belegt insofern, dass die Verknüpfung eines individuellen Abfindungsanspruchs mit der Nichtwahrnehmung des Klagerechts nach § 4 S. 1 KSchG von der Rechtsordnung gebilligt wird. Sinn und Zweck des § 1 a
294
Zulässigkeit und Grenzen der Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie
KSchG ist es, den Vertragsparteien eine „einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess“2 zu bieten. Da der Anspruch an ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers geknüpft ist, entspricht der in § 1 a KSchG vorgesehene Abfindungsanspruch einer einzelvertraglich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber für die Hinnahme einer Kündigung vereinbarten Abfindung3. bb)
Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung
Von der § 1 a KSchG zugrunde liegenden Fallgestaltung ist der Fall zu unterscheiden, dass der Arbeitgeber und der Betriebsrat im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung einen Sozialplan sowie zusätzlich eine Vereinbarung über die Zahlung einer Turbo- oder Klageverzichtprämie abschließen. Anders als bei einer nach § 1 a KSchG versprochenen Abfindung steht die Vereinbarung einer Sozialplanabfindung nicht im Belieben des Arbeitgebers. Vielmehr begründet die Betriebsänderung einen – erforderlichenfalls über die Einigungsstelle erzwingbaren – Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplans4. Ausgangspunkt des Anspruchs auf die Sozialplanabfindung ist die Annahme der Betriebsparteien, dass die Kündigung zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Denn mit dem Sozialplan sollen die wirtschaftlichen Nachteile der Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden (§ 112 Abs. 1 BetrVG). Es geht also nicht um einen Ausgleich des aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis erworbenen Besitzstands, wie er bei der Sozialauswahl berücksichtigt wird. Die Sozialplanabfindung hat eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion5. Demgegenüber wird eine individualrechtliche Abfindung regelmäßig vor allem im Hinblick auf das Risiko des Arbeitgebers vereinbart, dass sich die Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess als unwirksam erweisen könnte. Eine Sozialplanabfindung hat damit eine andere Funktion als die Abfindung nach § 1 a KSchG, so dass daraus keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit einer Prämienregelung gezogen werden können6.
2 3 4 5
6
BT-Drucks. 15/1204 S. 12. BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 22. BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 22; BAG v. 20.12.1983 – 1 AZR 442/82, NZA 1984, 53 Rz. 14. BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 23; BAG v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495 Rz. 13; Gaul/Ludwig/A. Otto, Arbeitsrecht der Umstrukturierung Rz. 25.246 ff. BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 22.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 7.12.20217 allerdings noch einmal bestätigt, dass die Betriebsparteien unabhängig von § 1 a KSchG berechtigt sind, im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit bei einer Betriebsänderung zusätzlich zu einem Sozialplan in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung Leistungen für den Fall vorzusehen, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht oder einen Aufhebungsvertrag schließt und damit eine Kündigung entbehrlich macht.
c)
Spannungsverhältnis zwischen Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie und Sozialplanabfindung
Die Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit der Vereinbarung einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung steht im Spannungsverhältnis zur Rechtsprechung des BAG zum Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Klageverzicht abhängig zu machen. aa)
Der Zweck eines Sozialplans
Durch den Sozialplan soll versucht werden, wirtschaftliche Nachteile, die Arbeitnehmer infolge der geplanten Betriebsänderung hinnehmen müssen, auszugleichen oder zu mildern (§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Sozialplanabfindungen stellen insoweit einen unmittelbaren wirtschaftlichen Ausgleich bzw. Teilausgleich wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und des Wegfalls der damit verbundenen (wirtschaftlichen) Absicherung dar. Ob dabei an die tatsächlichen Nachteilen angeknüpft wird oder ob pauschale Festbeträge vereinbart werden, spielt keine Rolle8. In jedem Fall dienen die im Sozialplan vereinbarten Leistungen nicht dazu, die individualrechtlichen Risiken des Arbeitgebers bei der Durchführung der Betriebsänderung zu reduzieren oder zu beseitigen9. bb)
Klageverzicht als unzulässige Bedingung einer Sozialplanabfindung
Durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung, in der für den Fall der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage bzw. des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages Leistungen versprochen werden, darf nicht das Verbot umgangen werden, Sozialplanabfindungen von einem entsprechenden Verzicht
7 8 9
BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281. Gaul/Ludwig/A. Otto, Arbeitsrecht der Umstrukturierung Rz. 25.246. BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 21; BAG v. 20.12.1983 – 1 AZR 442/82, NZA 1984, 53 Rz. 13.
296
Zulässigkeit und Grenzen der Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie
abhängig zu machen10. Darin läge nicht nur ein Verstoß gegen § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Die Verknüpfung der Sozialplanabfindung mit einem Verzicht der betroffenen Arbeitnehmer auf gerichtlichen Kündigungsschutz führt – so das BAG – im Ergebnis auch zu einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Denn der Arbeitnehmer, der wegen Zweifeln in Bezug auf die Wirksamkeit der Kündigung Klage erhebt, werde – wenn er verliert und das Arbeitsverhältnis endet – schlechter als der Arbeitnehmer behandelt, der keine solche Klage erhebt, obwohl er infolge der Betriebsänderung ebenfalls seinen Arbeitsplatz und die damit verbundene Absicherung seines Lebensstandards verliert. In Bezug auf diesen Nachteil, den der Sozialplan ausgleiche, gebe es daher auch keinen sachlichen Grund, der die Schlechterstellung rechtfertige. Eine Regelung, die die Zahlung der Sozialplanabfindung unter die Bedingung stellt, gegen die Kündigung keine rechtlichen Schritte zu unternehmen, ist daher unwirksam11. Es ist unzulässig, im Sozialplan Leistungen vorzusehen, die nur bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags bzw. Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage gezahlt werden. cc)
Zulässige Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie „neben“ Sozialplanabfindung
Das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, steht dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die Gewährung finanzieller Leistungen für den Fall des Klageverzichts oder des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags allerdings dann nicht entgegen, wenn die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen sind und die Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie „neben“ die Sozialplanleistung tritt. Es muss sich bei der Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie insofern um eine „echte“ zusätzliche Leistung mit eigener Zweckbestimmung handeln. Dies stellt die Praxis vor die Herausforderung, Maßstäbe zu entwickeln, bei denen noch von einer zulässigen Leistung „neben“ der Sozialplanabfindung gesprochen werden kann. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn über den Sozialplan und eine Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie als wesentlicher Bestandteil eines Freiwilligenprogramms gleichzeitig verhandelt wird, die Prämie schlussendlich aber ganz bewusst außerhalb des Sozialplans vereinbart wird.
10 BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281 Rz. 27; BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39; BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 21. 11 BAG v. 20.12.1983 – 1 AZR 442/82, NZA 1984, 53 Rz. 15.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Denn hier steht in Rede, ob darin nicht eine unzulässige Umgehung der aus §§ 75 Abs. 1, 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG folgenden Schranken zu sehen ist. Umstritten war in der Vergangenheit, wann von einer unzulässigen Umgehung der Schranken eines Sozialplans auszugehen war. So hat es das BAG im Urteil vom 31.5.200512 für angemessen gehalten, dass der Sozialplan, nach dem eine Abfindung in Höhe von mindestens einem halben Gehalt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit gezahlt werden sollte, um eine Betriebsvereinbarung ergänzt wurde, nach der ein weiteres Monatsgehalt für den Fall des Verzichts auf eine Kündigungsschutzklage gezahlt wurde. In seinem Urteil vom 9.12.201413 hat es das BAG für angemessen gehalten, wenn die im Sozialplan vorgesehene Abfindung i. H. v. 62.000 € um eine ergänzende Zahlung i. H. v. bis zu 12.000 € aufgestockt werde, falls keine Kündigungsschutzklage erhoben werde. Dies zeigt, dass im Ergebnis neben der absoluten Höhe einer Sozialplanabfindung auch das Verhältnis dieser zur Höhe der Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie maßgeblich ist. Hiervon geht auch Benecke14 zutreffend aus. Nach ihren Überlegungen müssen Turbo- bzw. Klageverzichtsprämien im Verhältnis zu den Leistungen des Sozialplans erheblich niedriger dotiert werden. Daran anknüpfend hält sie es für geboten, dass die Sozialplanleistung mindestens zweieinhalb- bis dreimal so hoch wie die Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie ist. Die mit dieser Abwägung des Verhältnisses zwischen den Sozialplanleistungen und den Leistungen, die im Rahmen eines Freiwilligenprogramms für einen Klageverzicht gezahlt werden, verbundene Ungewissheit dürfte allerdings mit dem Urteil des BAG vom 7.12.202115 beendet sein. Denn mit dieser Entscheidung hat das BAG deutlich gemacht, dass von einer unzulässigen Umgehung nur noch dann auszugehen sei, wenn der von den Betriebsparteien geschlossene Sozialplan seine Funktion, die infolge der Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer auszugleichen oder zu mildern, nicht einmal ansatzweise erfüllt. Das sei der Fall, wenn der Sozialplan selbst keine hinreichend angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsieht16. Soweit der 1. Senat des BAG in der Vergangenheit davon ausgegangen war, dass eine verbotene Umgehung des Sozialplans auch dann
12 13 14 15 16
BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438. Benecke, BB 2006, 938, 942. BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281. BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281 Rz. 27; BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 32.
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Zulässigkeit und Grenzen der Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie
vorliegen könne, wenn dem „an sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig als Turbo- oder Klageverzichtsprämien eingesetzt werden, hat er diese Ansicht jetzt ausdrücklich aufgegeben. Abweichend von der Sichtweise des LAG Nürnberg17 in der Berufungsinstanz spricht das BAG den Betriebsparteien damit zu Recht einen grundsätzlich weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum bei der Entscheidung zu, ob, in welchem Umfang und wie sie die von ihnen prognostizierten wirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen oder abmildern wollen18. Von dieser neuen Sichtweise ausgehend können der Sozialplan und eine Betriebsvereinbarung über eine Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie als Bestandteil eines Freiwilligenprogramms grundsätzlich gleichzeitig verhandelt werden. Selbst wenn die Betriebsparteien dabei auch Verhandlungen über die Frage führen, welcher Teil des Gesamtvolumens etwaiger Leistungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Betriebsänderung zahlen will, auf den Sozialplan bzw. die Betriebsvereinbarung verteilt wird, liegt darin noch keine Umgehung der Zweckbestimmung eines Sozialplans. Dies ist zu begrüßen, zumal damit eine offene Kommunikation zwischen den Betriebsparteien erfolgen kann. Gleichzeitig trägt die neue Sichtweise dem Umstand Rechnung, dass es schlussendlich den Betriebsparteien obliegt, Einvernehmen auch über das Sozialplanvolumen zu erzielen. Wenn die Betriebsparteien auch mit Blick auf die gesetzliche Vorgabe in § 112 Abs. 1 BetrVG von einer angemessenen Dotierung des Sozialplans ausgehen und es den Betriebsparteien gleichzeitig gelingt, zusätzliche Leistungen in Form einer Prämie für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags bzw. den Klageverzicht festzuschreiben, ist dies mit Recht und Billigkeit (§ 75 BetrVG) bzw. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG vereinbar. dd)
Auswirkungen einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie auf das Sozialplanvolumen
Ungeachtet dieser Klarstellung zum Gestaltungs- und Ermessensspielraum der Betriebsparteien ist dem Arbeitgeber zu raten, frühzeitig Überlegungen zur Dotierung des Sozialplans auf der einen und der Betriebsvereinbarung zur Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie auf der anderen Seite anzustellen, um bei der Vorbereitung der wirtschaftlichen Ausstattung der verschiedenen 17 LAG Nürnberg v. 14.10.2020 – 2 Sa 227/20, ZIP 2021, 1126. 18 BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281 Rz. 27.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Leistungen jeweils angemessene Dotierungen vorzusehen und bei der Formulierung der jeweiligen Regelungen sicherstellen zu können, dass keine ungewollte Verknüpfung der jeweils zugrunde liegenden Regelungen erfolgt. Denn trotz der veränderten Sichtweise des BAG könnte eine Verknüpfung der beiden Regelungen doch noch zur Folge haben, dass die Turbobzw. Klageverzichtsprämie als Bestandteil des Sozialplans gilt, was zur Folge hätte, dass die Anspruchsvoraussetzungen der Prämie mit §§ 75 Abs. 1, 112 Abs. 1 BetrVG nicht vereinbar sind. Eine entsprechende Verknüpfung könnte bereits dadurch bewirkt werden, dass die Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie in die Berechnung der Höchstgrenze einer Sozialplanabfindung einbezogen würde. Darin läge – so das BAG – ein Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz19. Denn durch diese Verknüpfung würden Arbeitnehmer, deren Sozialplanabfindung bereits ohne oder jedenfalls unter Hinzurechnung der Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie den im Sozialplan vereinbarten Höchstbetrag übersteigt, für einen Klageverzicht bzw. den Abschluss eines Aufhebungsvertrags keine oder nur noch eine geringere finanzielle Leistung als diejenigen Arbeitnehmer erhalten, deren Sozialplanabfindung niedriger ist. Diese Ungleichbehandlung wäre – gemessen am Zweck der Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie – sachlich nicht gerechtfertigt. Hiervon ausgehend sollte eine Betriebsvereinbarung über die Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie so formuliert werden, dass sie eigenständig zur Anwendung kommt. Auch wenn dabei Begriffsbestimmungen des Sozialplans übernommen werden können, steht dies einer Bezugnahme auf den Sozialplan und seine Anspruchsvoraussetzungen oder Höchstgrenzen entgegen. Unabhängig davon sollte die unterschiedliche Zweckbestimmung des Sozialplans einerseits und der Betriebsvereinbarung über die Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie andererseits in den jeweiligen Vereinbarungen – beispielsweise in einer Präambel – zum Ausdruck gebracht werden.
d)
Auswirkungen auf die Verhandlungsstrategie des Arbeitgebers
Auch wenn nach den Feststellungen des BAG in seinem Urteil vom 7.12.202120 durchaus parallele Verhandlungen zulässig sind, kann es außerhalb gesonderter Überlegungen zu einem Freiwilligenprogramm sinnvoll sein, bei einer Betriebsänderung zunächst einmal nur Verhandlungen über
19 BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281 Rz. 22. 20 BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281.
300
Zulässigkeit und Grenzen der Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie
einen Interessenausgleich und Sozialplan zu führen. Das gilt selbst dann, wenn bei der internen Vorbereitung bereits ein bestimmtes Budget für eine Betriebsvereinbarung über eine Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie bestimmt wurde. Denn das Risiko paralleler Verhandlungen liegt nicht nur darin, dass in der Verbindung der beiden Verhandlungsziele – entgegen der neuen Rechtsprechung des BAG – ein Indiz für eine Verknüpfung von Betriebsvereinbarung und Sozialplan gesehen wird, die zur Folge haben könnte, dass der Klageverzicht bzw. der Abschluss eines Aufhebungsvertrags als unzulässige Bedingung für die Gewährung der entsprechenden Zahlung verstanden wird. Weitergehend besteht das Risiko, dass der Betriebsrat bei einer solchen Verbindung verlangt, dass das Volumen, das arbeitgeberseitig für die Betriebsvereinbarung über die Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie bestimmt wurde, stattdessen für Leistungen im Rahmen des Sozialplans verwendet wird. Damit würde er versuchen, die „Aufteilung“ des Volumens zu Gunsten der Sozialplanleistungen zu verschieben. Dass damit ein völlig anderer Zweck verfolgt würde, bliebe zwar unberücksichtigt. Zur Begründung würde der Betriebsrat aber darauf verweisen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Betriebsänderung offenkundig höher ist als das Volumen, das (bislang) ausschließlich für den Sozialplan angeboten wurde. Will man diese Gefahr vermeiden, dürfte es günstiger sein, zunächst einmal eine Einigung über die Dotierung und den Inhalt des Sozialplans zu erzielen. Wenn erst im Anschluss daran gesonderte Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie geführt werden, kann das dort in Rede stehende Volumen nicht mehr in die bereits abgeschlossenen Verhandlungen über den Sozialplan eingebracht werden. Trotz dieser Risiken sollte diese Vorgehensweise aber jeweils mit Blick auf den Einzelfall überprüft und ggf. auch angepasst werden. Zum einen verlieren beide Betriebsparteien bei einer nachgeschalteten Verhandlung über eine Klageverzichtsprämie die Möglichkeit, schon während der Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan ein Freiwilligenprogramm zu starten. Das führt nicht nur zu einer späteren Umsetzung der Betriebsänderung. Vielmehr verpassen die Betriebsparteien auch die Chance, ihre Verhandlungen über den Interessenausgleich dadurch zu erleichtern, dass ein Teil der streitigen Personalmaßnahmen bereits einvernehmlich umgesetzt worden ist. Schließlich braucht der Betriebsrat in den Verhandlungen über einen Interessenausgleich nicht mehr für solche Arbeitnehmer zu streiten, die zu diesem Zeitpunkt bereits freiwillig einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zugestimmt haben. In diesem Fall dürfte es 301
Betriebsänderung und Betriebsübergang
aber geboten sein, Arbeitnehmern, die einer einvernehmlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vor Abschluss des Sozialplans zustimmen, zuzusagen, dass sie bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags über die vorzeitige Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nicht nur eine Turboprämie, sondern auch eine Abfindung erhalten, die mindestens die Höhe der Abfindung erreicht, die nach Maßgabe des noch abzuschließenden Sozialplans bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird. Dieser „Besserungsschein“ vermeidet, dass Arbeitnehmer den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vor Abschluss des Sozialplans deswegen ablehnen, weil sie Sorge haben, schlechter behandelt zu werden, als sie bei einer Entlassung im Rahmen des Sozialplans behandelt würden. Zum anderen verlieren die Betriebsparteien bei einer nachgeschalteten Verhandlung über die Betriebsvereinbarung zur Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie auch die Möglichkeit, durch die freiwillige Zusage einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie die Zustimmung des Betriebsrats zu den im Sozialplan vorgesehenen Leistungen für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen. Dies ist nicht nur deshalb ein wichtiges Signal, weil diese Zusage – anders als der Sozialplan – auch durch eine Einigungsstelle nicht erzwungen werden kann. Hinzu kommt, dass der bisherige Vorwurf, dass mit der Zusage einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie das eigentliche Volumen eines Sozialplans zweckwidrig verringert wird, mit dem Urteil des BAG vom 7.12.202121 „vom Tisch ist“. Vielmehr spiegelt die Verknüpfung der Verhandlungen schlussendlich den Gestaltungs- und Ermessensspielraum der Betriebsparteien wider, innerhalb dessen sie im Rahmen einer Betriebsänderung entscheiden können, ob, in welchem Umfang und wie sie die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer ausgleichen oder abmildern wollen. Damit entfällt aber auch der Vorwurf, dass Zugeständnisse des Arbeitgebers im Rahmen einer Betriebsvereinbarung über eine Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie als Gegenleistung für einen Verzicht des Betriebsrats auf Forderungen im Sozialplan bereits als eine Umgehung von §§ 75 Abs. 1, 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu qualifizieren sind. Einerseits kann der Arbeitgeber damit weitere Anhebungen der Sozialplanleistungen vermeiden. Das ist ein wichtiger Punkt, da die Dotierung eines Sozialplans aus der Vergangenheit immer auch ein Argument für vergleichbare Leistungen in der Zukunft ist. Andererseits kann der Betriebsrat aber, ohne dass der Sozialplan erhöht wird, gegenüber der Belegschaft geltend machen, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis als Folge der Betriebsänderung beendet wird, unter Zusammenrechnung von Sozialplanabfindung und Turbo- bzw. Klagever-
21 BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, NZA 2022, 281.
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Wegfall einer Sozialplanabfindung bei betriebsbedingter Kündigung
zichtsprämie eine höhere Leistung erhalten. Dass das nur zu Gunsten der Arbeitnehmer gilt, die einen Aufhebungsvertrag abschließen bzw. keine Kündigungsschutzklage erheben, ist dann eine Bedingung, die häufig nicht (mehr) im Vordergrund steht.
e)
Fazit
Die Flankierung eines Sozialplans mit einer kollektivrechtlich vereinbarten Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie stellt in der Praxis ein sehr geeignetes Mittel dar, einvernehmlichen Personalabbau zu fördern. Das vermeidet streitige Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit von Kündigungen und fördert die störungsfreie Umsetzung einer Betriebsänderung. In Anbetracht des von der Rechtsprechung statuierten Verbots, Sozialplanabfindungen von einem Klageverzicht abhängig zu machen, ist jedoch eine strikte Trennung von Sozialplan und Prämienregelung zu empfehlen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den Zweck der jeweils zur Verfügung gestellten Volumina als auch in Bezug auf den Abschluss sowie die Gestaltung der jeweiligen Vereinbarungen. (Ga/Ro)
2.
Wegfall einer Sozialplanabfindung bei betriebsbedingter Kündigung nach Widerspruch gegen Betriebsübergang
In der betrieblichen Praxis entsteht im Zusammenhang mit Betriebsänderungen anlässlich eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs immer wieder die Frage, ob im Rahmen eines Sozialplans auch solchen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis wegen einer fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Anschluss an einen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a BGB betriebsbedingt beendet wird, eine Abfindung gezahlt werden muss. Dagegen spricht, dass der hiervon betroffene Arbeitnehmer durch die Ablehnung des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses die wirtschaftlichen Nachteile einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bewusst in Kauf nimmt. Gerade weil durch § 613 a BGB ein Inhalts- und Bestandsschutz im Zusammenhang mit solchen Übertragungsvorgängen gewährleistet wird, entspricht es deshalb vielfach dem gemeinsamen Interesse der Betriebsparteien, das Sozialplanvolumen zu Lasten dieser Arbeitnehmer auf andere Arbeitnehmer zu verteilen, für die ohne eine solche Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung beim Erwerber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkt wurde. In dem der Entscheidung des
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
BAG vom 9.11.202122 zugrunde liegenden Fall war das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch den Arbeitgeber gekündigt worden, nachdem sie dem Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a Abs. 6 BGB widersprochen hatte. Während die Klägerin unter anderem geltend machte, dass ihr eine Abfindung i. H. v 101.999,05 € (brutto) gezahlt werden müsse, lehnte dies die Beklagte ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass Beendigungen von Arbeitsverhältnissen im Anschluss an den Widerspruch gemäß § 613 a Abs. 6 BGB nicht in den Geltungsbereich des Sozialplans fielen. Das BAG hat die Sichtweise des Arbeitgebers bestätigt. Zwar ließ sich dem Wortlaut des streitgegenständlichen Sozialplans nicht ohne Weiteres entnehmen, ob auch Arbeitnehmer vom Geltungsbereich erfasst wurden, die einem – sich auf einen bloßen Inhaberwechsel beschränkenden – Betriebsübergang widersprochen hatten und deshalb gekündigt wurden. Nach Auffassung des 1. Senat des BAG ergab sich der Ausschluss dieser Personengruppe aus dem Geltungsbereich des Sozialplans allerdings im Wege einer Auslegung. Denn der Sozialplan sollte nur solche Nachteile ausgleichen, die Arbeitnehmern entstünden, deren Arbeitsverhältnis als Folge eines „Personalabbaus“ beendet würde. Auch mit Blick auf den Zweck eines Sozialplans sei ein solcher Personalabbau nicht mit einem identitätswahrenden Betriebsübergang gleichzusetzen, mit dem zunächst einmal keine wirtschaftlichen Nachteile verknüpft seien. Daran anknüpfend hat das BAG noch einmal darauf verwiesen, dass Sozialplänen typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zukomme. Es sollten diejenigen wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden, die den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung entstünden. Wie § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG deutlich mache, bedürfe es keines Ausgleichs für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn dem Arbeitnehmer ein zumutbarer anderer Arbeitsplatz – der auch in der Möglichkeit der Weiterarbeit bei einem Betriebserwerber liegen könne23 – angeboten werde. Dass gälte auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin mit ihrem Widerspruch lediglich ihr aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG resultierendes Grundrecht ausgeübt habe, welches für abhängig Beschäftigte die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung garantiere. Denn die Betriebsparteien könnten wirtschaftliche Nach-
22 BAG v. 9.11.2021 – 1 AZR 278/20, DB 2022, 814. 23 Vgl. BAG v. 5.2.1997 – 10 AZR 553/96, NZA 1998, 158.
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Vorrang einer Einzelabrede gegenüber einer fortgeltenden Betriebsvereinbarung
teile ausgleichen, die sich aus einem solchen Widerspruch ergäben, seien hierzu aber nicht verpflichtet24. Für die betriebliche Praxis ist diese Klarstellung überaus hilfreich. Denn sie zeigt auch, dass in einem Ausschluss der nach Widerspruch gekündigten Arbeitnehmer eine sachliche Rechtfertigung liegt, die einem Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. § 75 BetrVG entgegensteht. Bei der Ausgestaltung entsprechender Sozialplanklauseln muss allerdings darauf geachtet werden, nicht nur eine betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszuschließen, die im Anschluss an einen Widerspruch gemäß § 613 a Abs. 6 BGB erfolgt. Vielmehr wird man auch eine betriebsbedingte Beendigung von Arbeitsverhältnissen ausschließen müssen, wenn Arbeitnehmer das Angebot ablehnen, entsprechend § 613 a BGB mit ihrem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Unternehmen zu wechseln. Denn mit einer solchen Klausel werden nicht nur Fallgestaltungen einbezogen, bei denen das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs zweifelhaft ist, der Erwerber aber erklärt, den mit § 613 a BGB verknüpften Inhalts- und Bestandsschutz bei Arbeitnehmern anzuwenden, die sich mit einem solchen Wechsel bereit erklären. Durch eine entsprechende Erweiterung der Ausschlussklausel eines Sozialplans wird auch der Umstand berücksichtigt, dass bei betriebsmittelarmer Tätigkeit ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang i. S. d. § 613 a BGB nur ausgelöst wird, wenn sich das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal bereit erklärt, zum potenziellen Erwerber zu wechseln. Ist dies nicht der Fall, liegt kein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vor, den einer der hiervon betroffenen Arbeitnehmer zum Anlass eines Widerspruchs nehmen kann. Das Arbeitsverhältnis besteht auch ohne Widerspruch zum übertragenen Rechtsträger fort, so dass seine betriebsbedingte Beendigung von einer Klausel nicht erfasst würde, die nur dann den Ausschluss einer Sozialplanabfindung zur Folge hat, wenn die betriebsbedingte Beendigung nach einem Widerspruch gemäß § 613 a Abs. 6 BGB bewirkt wird. (Ga)
3.
Betriebsübergang: Vorrang einer Einzelabrede gegenüber einer fortgeltenden Betriebsvereinbarung
Wenn ein Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird, besteht die Betriebsvereinbarung kollektivrechtlich 24 BAG v. 9.11.2021 – 1 AZR 278/20, DB 2022, 814 Rz. 22; BAG v. 17.4.2012 – 1 AZR 119/11, NZA 2012, 2406 Rz. 28.
305
Betriebsänderung und Betriebsübergang
fort. Das Gleiche gilt beim Übergang eines Betriebsteils, wenn dieser als eigenständiger Betrieb oder – in Form eines gemeinsamen Betriebs – als Bestandteil des bisherigen Betriebs fortgeführt wird. Ein Rückgriff auf § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB, der insoweit nur Auffangcharakter hat, kommt nicht in Betracht. Hiervon ausgehend kommt es zu der in § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB vorgesehenen Fortgeltung der Rechte und Pflichten einer zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Betriebsvereinbarung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses nur dann, wenn wegen des Wegfalls der bisherigen Betriebs- oder Betriebsteilstruktur eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarung ausgeschlossen ist. In diesen Fällen werden die Rechte und Pflichten der Betriebsvereinbarung kollektivrechtliche Bestandteile des Arbeitsverhältnisses und können für die Dauer eines Jahres nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden. In seinem Urteil vom 2.12.202125 hat das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass das Ende der Jahresfrist in § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB dieselbe Bedeutung habe wie die Nachwirkung einer kollektiven Regelung. Denn ebenso wie nachwirkende Kollektivnormen nur durch eine andere Abrede beendet werden könnten (§§ 4 Abs. 5 TVG, 77 Abs. 6 BetrVG), sehe § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB nach Ablauf der Jahresfrist lediglich die Möglichkeit einer Änderung vor, nicht aber ein automatisches Auslaufen einer Inhalt des Arbeitsverhältnisses gewordenen normativen Regelung. Wenn eine Ablösung durch eine individualrechtliche Vereinbarung im Raum stehe, müsse es sich allerdings um eine Abrede handeln, die sich auf eine bestimmte kollektive Regelung in Anbetracht des Ablaufs oder anstehenden oder erfolgten Ablaufs der Jahresfrist beziehe26. Vor Ablauf der Jahresfrist ist eine Ablösung der als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Regelungen einer Betriebsvereinbarung nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung möglich, in deren Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis fällt. Dieser Vorrang der kollektivrechtlichen Regelungen einer Betriebsvereinbarung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses hat auch Bedeutung für die Wirkungsweise einer zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffenen Einzelabrede, die eine von der Betriebsvereinbarung abweichende Regelung trifft. Bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses ist eine solche Einzelabrede gemäß § 77 Abs. 4 S. 2 BGB unwirksam, wenn sie nicht günstiger ist. 25 BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 123/21 n. v. (Rz. 48). 26 Ebenso BAG v. 1.7.2009 – 4 AZR 250/08, NZA-RR 2010, 30 Rz. 23.
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Vorrang einer Einzelabrede gegenüber einer fortgeltenden Betriebsvereinbarung
Dieser Vorrang der Betriebsvereinbarung wird durch den Umstand nicht beseitigt, dass die Betriebsvereinbarung im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als Betriebsvereinbarung gilt. Denn auch bei einer Fortgeltung der durch die Betriebsvereinbarung begründeten Rechte und Pflichten gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB kommt – so das BAG – ein Vorrang der Einzelabrede nur dann in Betracht, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist. § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB löst also die gleiche Sperrwirkung aus, wie sie bis zum Betriebsübergang durch § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG begründet wird27. In dem der Entscheidung des BAG vom 2.12.202128 zugrunde liegenden Fall ging es um eine Einzelabrede der Parteien im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, durch die eine von einer im Betrieb geltenden Versorgungsordnung abweichende Regelung getroffen wurde. Dabei war streitig, ob diese Versorgungsordnung als Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden war oder nur als Gesamtzusage galt. Wäre sie als Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden, wäre bereits auf der Grundlage von §§ 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG, 613 a Abs. 1 S. 2 BGB von der Unwirksamkeit dieser Einzelabrede auszugehen. Denn mit dieser Vereinbarung hatten die Parteien zwar einen Anspruch des Klägers auf betriebliche Altersversorgung unter Einbeziehung des Beamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a. G. (BVV) begründet. Gleichzeitig hatten die Parteien aber auch vereinbart, dass der Kläger angesichts dieser Zusage von sonstigen Regelungen des Arbeitgebers im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen wurde. Damit sollte bewirkt werden, dass Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, die zu diesem Zeitpunkt bereits zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelt wurden, unabhängig von ihrem Rechtscharakter auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung finden. Hätte es sich bei der diesbezüglich dem Rechtstreit zugrunde liegenden Versorgungsordnung um eine Gesamtzusage gehandelt, wäre eine solche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich wirksam. Denn die Vertragsfreiheit erlaubt es, auf individualrechtlicher Ebene eine von solchen Gesamtzusagen abweichende Abrede zu treffen. Dies gilt selbst dann, wenn damit Nachteile des Arbeitnehmers verbunden werden. Wie das BAG im Urteil vom 2.12.202129 deutlich gemacht hat, kann es dem Arbeitgeber allerdings im Ausnahmefall nach § 242 BGB verwehrt sein, 27 Vgl. BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 123/21 n. v. (Rz. 50); BAG v. 19.7.2016 – 3 AZR 134/15, NZA 2016, 1475 Rz. 60. 28 BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 123/21 n. v. (Rz. 50 ff.). 29 BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 123/21 n. v. (Rz. 55 ff.).
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
sich auf eine solche – eigentlich zulässige – Einzelabrede zu stützen, wenn er es – was das BAG im konkreten Einzelfall angenommen hat – nach den besonderen Umständen des Falls pflichtwidrig nach § 241 Abs. 2 BGB unterlassen habe, die individuelle Zusage betrieblicher Altersversorgung mit dem Arbeitnehmer erneut zu erörtern bzw. zu verhandeln und ihm dabei anzubieten, einen gleichwertigen Versorgungsschutz wie allen anderen Arbeitnehmern zu verschaffen. Diese Verpflichtung ist natürlich kein Regelfall. Sie entspricht einer Ausnahmesituation, kommt aber mit Blick auf die Feststellungen des BAG in Betracht, wenn die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin ein kollektives System der betrieblichen Altersversorgung eingeführt, gestaltet und für nahezu alle Arbeiten über Jahrzehnte hinweg angewandt und gelebt habe, ohne dem Kläger die von ihr versperrte Chance zur Einbeziehung in das System wieder zu öffnen. Dieser Sichtweise ist zuzustimmen. Ob der Vorrang einer Betriebsvereinbarung aus § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG gegenüber einer Einzelvereinbarung dauerhaft oder nur für den Zeitraum des Bestands dieser Betriebsvereinbarung wirkt, hat das BAG indes ausdrücklich offengelassen30. Für eine dauerhafte Unwirksamkeit spreche die Heranziehung des § 134 BGB, dagegen die Anwendung des Günstigkeitsvergleichs und der zeitlich begrenzte besondere Schutz von Ansprüchen aufgrund von Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 BetrVG. Darauf komme es bei der Wertung nach § 242 BGB, die von der Rechtsqualität der Versorgungsordnung als Gesamtzusage ausgegangen war, aber nicht abschließend an. Allerdings berücksichtigt das BAG, dass die Abrede jedenfalls für die Dauer einer Betriebsvereinbarung, in deren Rechtsform die Versorgungsordnung zunächst eingeführt worden war, vorhersehbar auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet war. (Ga)
4.
Grenzen der Einbeziehung älterer Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft
Im Mittelpunkt der Ausgleichsleistungen im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung steht häufig die Frage, wie älteren Arbeitnehmern ein wirtschaftlicher Ausgleich für die Zeit zwischen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Zeitpunkt einer (vorgezogenen) Inanspruchnahme gesetzlicher Altersrente gewährt werden kann. Betroffen von diesen Überlegungen sind nicht nur Regelungen in einem Sozialplan, die den Besonderheiten älterer Arbeitnehmer Rechnung tragen müssen. Vielmehr geht es auch um ergänzende Leistungen, wie sie mit dem „Mannheimer Modell“, auf 30 BAG v. 2.12.2021 – 3 AZR 123/21 n. v. (Rz. 62).
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Grenzen der Einbeziehung älterer Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft
dessen steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Problematik wir an anderer Stelle hingewiesen hatten31, oder der Einbeziehung einer Transfergesellschaft geschaffen werden. Bei der Einbeziehung älterer Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft haben die Betriebsparteien nicht nur im Auge, dass dieser Personenkreis in der Regel bis zu 24 Monate Arbeitslosengeld beziehen kann. Da diese Zeitraum häufig nicht genügt und/oder als Folge einer Sperrzeit gekürzt wird (§ 148 SGB III), wird vielfach versucht, auch ältere Arbeitnehmer in Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III) bzw. eine Transfergesellschaft mit Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) einzubeziehen. Denn damit kann nicht nur für weitere 12 Monate eine Grundabsicherung geschaffen werden, die jedenfalls nur zum Teil durch den Arbeitgeber finanziert werden muss. Mit der Einbeziehung in die Transfergesellschaft können auch die Nachteile einer Sperrzeit vermieden werden, so dass die ungekürzte Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs nutzbar gemacht werden kann. Wichtig ist, dass die betriebliche Praxis bei der Ausgestaltung solcher Modelle nicht nur die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen im Auge hat. Vielmehr müssen auch die fachlichen Weisungen berücksichtigt werden, die die Bundesagentur für Arbeit mit Wirkung zum 26.4.2022 neu gefasst hat. Dabei hat die Bundesagentur für Arbeit in Nr. 110.16 eine sehr kritische Sichtweise zur Einbeziehung älterer Arbeitnehmer zum Ausdruck gebracht, die sowohl bei Transfermaßnahmen nach § 110 SGB III als auch bei Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III zum Tragen kommt. Denn die örtlichen Agenturen werden aufgefordert, im Rahmen ihrer Beratung, die in §§ 110 f. SGB III als Fördervoraussetzung festgelegt ist, darauf zu achten, dass etwaige Transferleistungen, die in einem Interessenausgleich oder Sozialplan anlässlich einer Betriebsänderung vorgesehen sind, nicht ausschließlich oder überwiegend zur Überbrückung bis zum Renteneintritt genutzt werden. Denn solcher Art gestaltete Vereinbarungen könnten nicht gefördert werden, da diese Maßnahmen nicht der Eingliederung von Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt dienten, was aber nach §§ 110 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 111 Abs. 3 Nrn. 2, 3 SGB III Ziel entsprechender Transfermaßnahmen sei. Hiervon ausgehend hält die Bundesagentur für Arbeit eine Förderung für ausgeschlossen, wenn ein entsprechend gestaltetes Modell die persönliche Sicherheit bis zum Rentenbeginn in den Vordergrund stellt. Denn hier diene die Regelung der Betriebsparteien nicht einer Eingliederung der Arbeitneh-
31 B. Gaul, AktuellAR 2021, 294 ff., 2022, 310 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
mer in den Arbeitsmarkt, sondern stelle eine Frühverwendung in den Vordergrund. Bei diesen Modellen stehe neben der Vermittlung in Arbeit auch die Absicherung der Arbeitnehmer über Arbeitslosigkeit und die anschließende Beschäftigung bis zum Rentenbeginn im Fokus. Ob es sich tatsächlich um einen integrationsfördernden Interessenausgleich bzw. Sozialplan handele, bei dem insbesondere die Verbesserung der Eingliederungsaussichten der betroffenen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt und die integrativen Maßnahmen im Vordergrund stünden, sei im konkreten Einzelfall zu bewerten. Anhaltspunkte für die Prüfung könnten sein: • Die Verbesserung der Eingliederungsaussichten der betroffenen Arbeitnehmer und die integrativen Maßnahmen stehen nicht im Vordergrund. • Wie unterscheiden sich die Regelungen für die rentennahen Beschäftigten von solchen für jüngere? • Wie sind die Budgets aufgeteilt und sind Weiterbildungsmaßnahmen in der Transfergesellschaft auch für rentennahe Beschäftigte geplant? • Ist angesichts des Alters der Betroffenen und ihrer finanziellen Absicherung durch den Sozialplan die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von Anfang an nicht beabsichtigt und ein Interesse an einem Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt besteht grundsätzlich nicht.
Wird festgestellt, dass ein Interessenausgleich oder Sozialplan nicht integrationsfördernd ist, kann die Ablehnung nach den fachlichen Weisungen auf § 110 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III gestützt werden. Entsprechendes wird man auf das Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III übertragen müssen und deshalb bei der Ausgestaltung auch solcher Regelungen der Betriebsparteien zukünftig zu berücksichtigen haben. (Ga)
5.
Mannheimer Modell: Unwirksame Finanzierung von Wertguthabenkonten
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns intensiv mit der Frage befasst, ob die unter dem Begriff des „Mannheimer Modells“ verbreitete Idee, älteren Arbeitnehmern anstelle von Abfindungen anlässlich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen Einzahlungen auf ein Wertguthabenkonto zuzusagen, steuerbefreit und sozialversicherungsrechtlich privilegiert abgewickelt
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Mannheimer Modell: Unwirksame Finanzierung von Wertguthabenkonten
werden kann32. Ziel solcher Vereinbarungen ist es, den hiervon betroffenen Arbeitnehmern durch zeitratierliche Zahlungen aus dem Wertguthaben nicht nur eine wirtschaftliche Grundlage für die Zeit bis zum Bezug der gesetzlichen Altersrente zu verschaffen. Vielmehr dient das Wertguthaben auch dem Ziel, während der Dauer solcher Zahlungen weiterhin in die gesetzlichen Zweige der Sozialversicherung eingebunden zu sein, was insbesondere den weiteren Aufbau von Rentenansprüchen zur Folge haben soll. In Übereinstimmung mit den insoweit maßgeblichen Feststellungen des BSG in seinem Urteil vom 21.2.199033 handelt es sich bei einer Zahlung, die älteren Arbeitnehmern wegen der arbeitgeberseitig veranlassten Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses anlässlich einer Betriebsänderung zugesagt wird, zwar ihrem Wortlaut nach ganz bewusst nicht um eine Abfindung. Ungeachtet dessen verfolgen die Betriebsparteien mit dieser Zahlung aber den Zweck, etwaige Nachteile wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen bzw. zu mildern. Auch wenn im Zusammenhang mit solchen Zahlungen zum Teil Gegenteiliges vertreten wird, handelt es sich damit auch nicht um Arbeitsentgelt, das – nachträglich – für Dienste des Arbeitnehmers während des bestehenden Arbeitsverhältnisses gewährt wird34. Von dieser Zweckbestimmung ausgehend kann mit einer solchen Zahlung aber kein Wertguthaben nach § 7 b Abs. 1 Nr. 3 SGB IV aufgebaut werden. Denn ein solcher Aufbau ist nur durch die Zuführung von Arbeitsentgelt i. S. d. § 14 Abs. 1 SGB IV möglich, das bei einer Abfindung nicht gegeben ist. An diese Sichtweise anknüpfend hat das FG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 17.6.202135 auch eine Anwendung der BFH-Rechtsprechung abgelehnt, nach der die Zuführungen von künftig fällig werdendem Arbeitslohn zu sog. Wertguthabenkonten (Zeitwertkonten), die aufgrund einer zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarung erfolgen, an sich noch keine Auszahlung bewirkt wird und deshalb auch noch kein gegenwärtig zufließender Arbeitslohn gegeben ist. Vielmehr sei davon auszugehen, dass solche Zahlungen, die aus Anlass der Beendigung von Arbeitsverhältnissen einvernehmlich auf die bestehenden Langzeitkonten (Wertguthabenkonten) der von einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer zugeführt wurden, den Arbeitneh-
32 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2021, 294 ff. 33 BSG v. 21.2.1990 – XII RK 20/88, NZA 1990, 75 Rz. 13. 34 Zutreffend Schönhöft/Röpke, BB 2022, 793; a. A. Däubler/Growe/Söhngen, BB 2021, 2036. 35 FG Berlin-Brandenburg v. 17.6.2021 – 4 K 4206/18 n. v.
311
Betriebsänderung und Betriebsübergang
mern bereits mit der Zuführung gemäß § 11 Abs. 1 S. 4 EStG als Arbeitslohn zugeflossen seien. Hiervon ausgehend könne die Fälligkeit der Arbeitslöhne durch die Zuführung dieser Zahlungen auf die Langzeitkonten also nicht hinausgeschoben und damit auch ein Zufluss bei den Arbeitnehmern nicht verhindert werden36. Dass eine Übertragung von Wertguthabenkonten auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) nach § 7 f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IV an sich gemäß § 3 Nr. 53 EStG steuerbefreit sei, könne an der Lohnsteuerpflicht der Abfindungen nichts ändern. Zum einen seien – so das FG BerlinBrandenburg – die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarungen unwirksam, weil eine Verwendung der Abfindungen für Freistellungen von Arbeitsleistung in beim Arbeitgeber bestehenden Beschäftigungsverhältnissen gar nicht habe erreicht werden können und es den Vereinbarungen von vornherein an einer Geschäftsgrundlage gefehlt habe. Zum anderen habe es sich bei diesen (echten) Abfindungen nicht um Arbeitsentgelt i. S. d. § 14 Abs. 1 SGB IV gehandelt, das nach § 7 b Abs. 1 Nr. 3 SGB IV in Wertguthaben eingebracht werden könne. Der Bewertung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie zeigt, dass das Mannheimer Modell ohne eine entsprechende Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht funktioniert. (Ga)
36 Vgl. BFH v. 22.2.2018 – XI R 17/16 n. v.
312
J.
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht
1.
Arbeitsunfall im Homeoffice: Erweiterung der gesetzlichen Unfallversicherung
Mit seinem Urteil vom 8.12.20211 hat das BSG seine Rechtsprechungsänderung fortgesetzt und – bezogen auf die frühere Rechtslage – noch einmal bestätigt, dass auch ein Unfall im Homeoffice in den Anwendungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung fallen kann. In dem konkreten Fall befand sich der Kläger auf dem Weg zur Arbeitsaufnahme von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene Büro. Üblicherweise begann er dort unmittelbar an zu arbeiten, ohne vorher zu frühstücken. Beim Beschreiten der die Räume verbindenden Wendeltreppe rutschte er aus und brach sich einen Brustwirbel. Während die beklagte Berufsgenossenschaft Leistungen aus Anlass des Unfalls in Gänze ablehnte, haben die Sozialgerichte eine hiervon abweichende Bewertung vorgenommen und einen Arbeitsunfall bestätigt. Das Beschreiten der Treppe ins Homeoffice habe nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz allein der erstmaligen Arbeitsaufnahme gedient und sei deshalb als Verrichtung im Interesse des Arbeitgebers als Betriebsweg versichert. Insofern sei die „objektive Handlungstendenz“, nach der sich die Zuordnung eines Unfalls im Homeoffice bestimme, auf die Vorbereitung der beruflichen Tätigkeit gerichtet. Der Entscheidung des BSG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie liegt auf einer Linie mit der neuen Rechtsprechung, die – abweichend von den Grundsätzen der Vergangenheit – schon auf der Grundlage der früheren Regelung in § 8 SGB IV einen Arbeitsunfall in der Wohnung des Arbeitnehmers anerkannt hat, wenn die zugrunde liegende Tätigkeit mit der beruflichen Arbeit verknüpft war2. Mit der Änderung von § 8 Abs. 1 SGB VII, die bereits mit Wirkung zum 18.6.20213 in Kraft getreten ist, ist die entsprechende Zuordnung heute allerdings deutlich einfacher möglich. Denn seitdem wird durch § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII klargestellt, dass Versicherungsschutz im gleichen Umfang 1 2 3
BSG v. 8.12.2021 – B 2 U 4/21 R n. v. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 282, 630 ff. BGBl. I 2021, 1762.
313
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht
wie bei Ausübung der Tätigkeit in der Unternehmensstätte besteht, wenn die versicherte Tätigkeit im Haushalt des Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt wird. Dies betrifft eine Vielzahl denkbarer Umstände, unter denen auch im Zusammenhang mit der Arbeit im Homeoffice Unfälle eintreten. So sind nicht nur die Arbeiten versichert, bei denen sich der Arbeitnehmer außerhalb der eigentlich versicherten Tätigkeit auf sog. Betriebswegen befindet, in dem Drucker, Telefone oder Computer aufgesucht werden. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung gewährleistet § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII auch, dass während der Arbeit im Homeoffice der Weg zur Nahrungsaufnahme – also der Weg in die Küche – versichert ist, wenn dies der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit dient. Denn auch bei einer Arbeit in der Unternehmensstätte sind Beschäftigte auf dem Weg zur Nahrungsaufnahme, ob diese in der Kantine oder in einem Restaurant außerhalb der Betriebsstätte erfolgt, versichert4. Insofern ist davon auszugehen, dass auch der Weg zwischen dem Ort der eigentlichen Tätigkeit und einem anderen Ort, an dem innerhalb der eigenen Wohnung Nahrungsmittel für eine Mahlzeit besorgt oder das Essen eingenommen werden soll, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, unfallversicherungsrechtlich geschützt ist5. Lediglich die Nahrungsaufnahme als solche, falls dabei ein Unfall passiert, ist (auch) bei der Arbeit im Homeoffice nicht versichert. (Ga)
2.
Viertes Corona-Steuerhilfegesetz
Auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 18.5.20226 hat der Bundestag das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes CoronaSteuerhilfegesetz – 4. Corona-StHG) verabschiedet. Es ist in Teilen bereits in Kraft getreten und enthält Maßnahmen, die auch aus arbeitsrechtlicher Sicht bedeutsam sind.
4 5 6
Vgl. ErfK/Rolfs, SGB VII § 8 Rz. 10. Vgl. ErfK/Rolfs, SGB VII § 8 Rz. 10; Geigel, Haftpflichtprozess Rz. 62. BT-Drucks. 20/1906.
314
Viertes Corona-Steuerhilfegesetz
a)
Steuerbefreiung der Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld
Wie bereits an anderer Stelle berichtet7, ist die Steuerbefreiung der Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld und Saison-Kurzarbeitergeld in § 3 Nr. 28 a EStG zunächst einmal bis zum 30.6.2022 verlängert worden. Problematisch daran ist, dass die Steuerfreiheit bereits ab dem 1.1.2022 gilt. Soweit – wovon auszugehen ist – arbeitgeberseitig bereits Lohnsteuer für die entsprechenden Zahlungen abgeführt wurde, weil die Steuerbefreiung bereits zum 31.12.2021 ausgelaufen war, müssen die Abrechnungen durch den Arbeitgeber daher korrigiert werden. Dass an sich keine fehlerhafte Abrechnung vorgenommen wurde, sondern die Korrektur erst durch rückwirkende Gesetzesänderung erforderlich geworden ist, spielt nach § 41 c Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 EStG grundsätzlich keine Rolle. Nur wenn dem Arbeitgeber die Korrektur wirtschaftlich nicht unzumutbar ist, kann der Arbeitnehmer auf die Veranlagung zur Einkommensteuer verwiesen werden. Der entsprechende Antrag ist ohnehin erforderlich, weil die Gewährung des Kurzarbeitergeldes eine Anpassung des Progressionsvorbehalts erforderlich macht.
b)
Corona-Bonus für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen
Gemäß § 3 Nr. 11 b EStG können zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 18.11.2021 bis zum 31.12.2022 zur Anerkennung besonderer Leistungen während der Corona-Krise Geldoder Sachleistungen bis zu einem Betrag i. H. v. 4.500 € gewährt werden. Damit ist der ursprünglich geplante Betrag i. H. v. 3.000 € noch einmal angehoben worden. Auf diese Weise soll es möglich sein, Leistungen nach dem Pflegebonusgesetz und zusätzliche Leistungen aufgrund des Tarifvertrags der Länder über eine einmalige Corona-Sonderzahlung vom 29.11.2021 in voller Höhe steuerfrei auszuzahlen. Darüber hinaus ist darauf verzichtet worden, dass die Leistungen aufgrund einer bundes- oder landesrechtlichen Regelung gewährt werden. Vielmehr sollen auch solche Leistungen von der Steuervergünstigung erfasst werden, die ohne eine gesetzliche Regelung auf der Grundlage individual- oder kollektivrechtlicher Bestimmungen gewährt werden. Wichtig ist nur, dass damit nicht ein bereits bestehender Anspruch der Arbeitnehmer erfasst wird. Denn in diesem Fall wäre dieser wie normales Arbeitsentgelt zu besteuern.
7
B. Gaul, AktuellAR 2022, 11 f.
315
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht
Eine weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass es sich um einen Arbeitnehmer handelt, der in einer Einrichtung i. S. d. § 23 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1 bis 4, 8, 11, 12 IfSG oder § 36 Abs. 1 Nrn. 2, 7 IfSG tätig ist. Weitergehend gilt die Steuerbefreiung entsprechend für Personen, die in den vorstehend genannten Einrichtungen im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung oder im Rahmen eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags eingesetzt werden. Problematisch an dieser Ausweitung ist allerdings, dass im Gesetz nicht klargestellt wird, für welche Dauer Leiharbeitnehmer bzw. Arbeitnehmer im Rahmen eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags in der Zeit vom 18.11.2021 bis zum 31.12.2022 in einer der vorstehend genannten Einrichtungen beschäftigt sein müssen, damit der jeweilige Arbeitgeber von der Steuerbegünstigung in § 3 Nr. 11 b EStG Gebrauch machen kann. Arbeitnehmer, die Leistungen i. S. d. § 3 Nr. 11 b EStG erhalten, können nicht zugleich einen steuerbegünstigten Corona-Bonus gemäß § 3 Nr. 11 a EStG erhalten. Dies stellt § 3 Nr. 11 b EStG ausdrücklich klar.
c)
Verlängerung der Homeoffice-Pauschale
Durch Änderung von § 52 Abs. 6 S. 15 EStG ist die Homeoffice-Pauschale um ein Jahr bis zum 31.12.2022 verlängert worden. In entsprechender Anwendung von § 4 Abs. 5 Nr. 6 b S. 4 EStG können Arbeitnehmer damit auch ohne ein häusliches Arbeitszimmer für jeden Kalendertag, an dem die betriebliche oder berufliche Tätigkeit ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausgeübt und keine außerhalb der häuslichen Wohnung belegene Betätigungsstätte aufgesucht wird, einen Betrag i. H. v. 5 €, höchstens 600 € im Kalenderjahr, als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob und in welchem Umfang dem Steuerpflichtigen durch die häusliche Tätigkeit überhaupt ein Mehraufwand entstanden ist. Wichtig allerdings ist, dass die Homeoffice-Pauschale in die Werbungskostenpauschale, die 2022 auf 1.200 € angehoben wurde, eingerechnet wird. Für den Arbeitnehmer kommt die Homeoffice-Pauschale damit nur zum Tragen, wenn er bereits anderweitige Aufwendungen für die häusliche Arbeit nachweisen kann, mit der ohne Einbeziehung der HomeofficePauschale der Betrag i. H. v. 1.200 € erreicht wird. Insofern lohnt es sich, die Nachweise für berufliche Anschaffungen (z. B. Schreibtisch, Bürostuhl, Drucker) aufzubewahren. Denkbar ist sogar, dass frühere Aufwendungen durch eine „Umwidmung“ nutzbar gemacht werden. Die Möglichkeit, Telefon- und Internetkosten pauschal mit 20 % der entstandenen Kosten, maximal 20 €/Monat, anzusetzen, bleibt hiervon indes unberührt. (Ga)
316
BMAS-Merkblatt zur Sozialversicherung bei grenzüberschreitendem mobilem Arbeiten
3.
BMAS-Merkblatt zur Sozialversicherung bei grenzüberschreitendem mobilem Arbeiten
Unter Berücksichtigung der Verordnungen 883/2004/EG und 987/2009/EG hat das BMAS im April 2022 mit Blick auf die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen ein Merkblatt zum anwendbaren Recht beim grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten veröffentlicht. Gerade weil es unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eine Vielzahl arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Fragen gibt8, sollten die Leitsätze und Beispiele dieses Merkblatts in der betrieblichen Praxis nach Möglichkeit berücksichtigt werden. (Ga)
8
Vgl. Bonanni/Rindone, AktuellAR 2021, 404 ff.
317
.
Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen
Abfindung, Kündigung 294 f. Abgeltung Erholungsurlaub - Ausschlussfrist 169 - Bedingungen 169 ff. - Verjährung 169 Abmahnung - Kündigung 198 ff. - Leistungsbereich 197 - Vertrauensbereich 197 AGB-Kontrolle - Aufhebungsvertrag 210 f. - Betriebsvereinbarungsoffenheit 250 f. - Versorgungszusage 226 Agentur für Arbeit, Massenentlassung 189 ff. AGG - Änderung 52 - Antidiskriminierungsstelle 52 Ältere Arbeitnehmer - Betriebsänderung 308 ff. - Mannheimer Modell 310 ff. - Transfergesellschaft 308 ff. Altersfreizeit - Erholungsurlaub 246 ff. - Tarifvertrag 246 ff. Altersgrenze, Arbeitsvertrag 270 ff. Altersteilzeit - Blockmodell 181 ff. - Erholungsurlaub 181 ff. Anfechtung, Aufhebungsvertrag 212 Annahmeverzug - Beendigung 154, 221 - Begründung 154 - Beschäftigungsangebot 221
Annahmeverzug - Kündigung 217 ff. - Leistungsunfähigkeit 154 f. - Weiterbeschäftigung 217 ff. - Zwischenverdienst 217 ff. Antidiskriminierungsstelle 52 Arbeitgeberzuschuss, Entgeltumwandlung 228 ff. Arbeitnehmer - Leistungsunfähigkeit 153 ff. - Leistungsunwilligkeit 155 - Loyalitätspflicht 199 f. - Plattformarbeit 56 ff. Arbeitnehmerdatenschutz - Auskunftsverlangen 116 ff. - Datenkopie 116 - DSGVO 113 ff. - E-Mail 119 - EU-US-Datenschutzabkommen 68 f. - Generalprävention 115 - Gleichbehandlung 115 - HinSchG 27, 36 - Homeoffice 105 f. - Koalitionsvertrag 52 - Kopie 120 - mobile Arbeit 105 f. - relevante Daten 118 f. - Sanktion 115 - Schaden 114 - Schadensersatz 113 ff. - Wesentlichkeit 114 Arbeitnehmerüberlassung - Arbeitszeiterfassung 14 f., 47 f. - Betriebsnorm 128 ff. - Dauerarbeitsplatz 123 f. 319
Stichwortverzeichnis
Arbeitnehmerüberlassung - Dokumentationspflicht 14 f. - Equal-Pay 127 - EU-Richtlinie 121 - Höchstüberlassungsdauer 121 ff., 124 f., 128 ff. - Inhaltsnorm 128 ff. - Stichtag 125 f. - Tarifvertrag 124 f., 127 - vorübergehende 122 ff. Arbeitsentgelt - erfolgsabhängiges → Variable Vergütung - NachwG 19 Arbeitserlaubnis, ukrainische Staatsbürger 40 f. Arbeitsgericht, Mahnverfahren 45 Arbeitsort, NachwG 19 Arbeitsschutz - Betriebsrat 279 f. - C-ASR 4 - C-ASV 3 f. - Corona 1 ff. - Gesamtbetriebsrat 279 f. - Homeoffice 46 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 278 ff. - mobile Arbeit 46 f., 102 ff. - Schadensersatzpflicht 92 ff. Arbeitsunfähigkeit → Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie 196 Arbeitsvertrag - Altersgrenze 270 ff. - Arbeitszeitänderung 24 f. - Betriebsübergang 305 ff. - Betriebsvereinbarungsoffenheit 249 ff. - Beweislastumkehr 22 f. - Bezugnahmeklausel 21 f. - Bußgeld 22 f. 320
Arbeitsvertrag - elektronische AU-Bescheinigung 85 ff. - NachwG 16 ff. - Plattformarbeit 54 - Vermutung 57 ff. Arbeitszeit - Arbeitsschutz 133 ff. - Außendienst 136 ff. - Bahnreise 136 ff. - Beanspruchungstheorie 136 f. - EFTA-Gerichtshof 137 ff. - Erörterungspflicht 24 - Flugreise 136 ff. - Fortbildung 133 ff. - NachwG 19 f. - Reisezeit 136 ff. - Schulung 133 ff. - Überstunden 141 ff. - Weiterbildung 133 Arbeitszeiterfassung - Arbeitnehmerüberlassung 14 f., 47 f. - EuGH-Urteil 47 f. - geringfügige Beschäftigung 14 f., 47 f. - Gesetz 47 ff. - GSA Fleisch 48 - Leiharbeit 14 f., 47 f. - Referentenentwurf 47 f. - Überstundenvergütung 48 f. Arbeitszimmer, Werbungskosten 316 AT-Angestellte - Betriebsrente 236 - NachwG 20 - Überstunden 20 AU-Bescheinigung - Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie 196 - Beweiswert 192 ff.
Stichwortverzeichnis
AU-Bescheinigung - elektronische → Elektronische AU-Bescheinigung - medizinischer Dienst 195 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 91 - Täuschung 192 ff. Aufenthaltserlaubnis, ukrainische Staatsbürger 40 f. Aufenthaltstitel, ukrainische Staatsbürger 41 f. Aufhebungsvertrag - AGB-Kontrolle 210 f. - Anfechtung 212 - Drohung 212, 216 - Drucksituation 213 - faires Verhandeln 211 ff. - Krankheit 213 f. - Kreuzverhör 213 - Medikamente 214 - Naturalrestitution 215 - Rechtsanwalt 216 f. - Rechtsrat 214 - Rücktrittsrecht 214 f. - Schadensersatz 211 ff. - Sittenwidrigkeit 212 - Strafanzeige 216 - Täuschung 212 - Überrumpelung 214 - Widerrufsrecht 214 f. - Wiedereinstellung 215 Aufsichtsrat, HinSchG 29 Auskunft, DSGVO 116 f. Ausländerfeindlichkeit, Kündigung 203 ff. Auslandseinsatz, NachwG 23 Auslegung, Versorgungszusage 234 f. Ausschlussfrist - Tarifvertrag 243 ff. - Zinsanspruch 243 ff. Außendienst, Arbeitszeit 136 ff.
Außerordentliche Kündigung - Blanko-Kündigung 209 f. - Compliance 205 ff. - Frist 205 ff. - Kündigungsberechtigter 206 f. - Nachforschungen 205 ff. - Schmähkritik 204 - Social Media 198 ff. - Zwei-Wochen-Frist 205 ff.
Bahnreise, Arbeitszeit 136 ff. BBG, Betriebsrente 234 Begünstigungsverbot, Betriebsratsvergütung 254 ff. Behinderte Menschen - Bewerbungsverfahren 71 ff. - Einladungspflichten 71 ff. - Erholungsurlaub 178 ff. - Meldepflichten 71 ff. - Schutzpflichten 79 ff. - Stellenbesetzung 71 ff. - Wartezeit 79 ff. - Zusatzurlaub 178 ff. Behinderung, Diskriminierung 71 ff. bEM → Betriebliches Eingliederungsmanagement Beschäftigtendatenschutz → Arbeitnehmerdatenschutz Betrieb, Verlagerung 284 ff. Betriebliche Altersversorgung - AGB-Kontrolle 226 - Anpassungsprüfung 231 ff. - Arbeitgeberzuschuss 228 ff. - AT-Bereich 236 - Auslegung 234 f. - BBG 234 - Betriebsvereinbarung 233 ff. - Ehedauer 225 ff. - Entgeltumwandlung 228 ff. - Gleichbehandlung 235 f. 321
Stichwortverzeichnis
Betriebliche Altersversorgung - Hinterbliebene 225 ff. - Mindestehedauer 225 ff. - Mobilitätsrichtlinie 232 - Pensionskasse 231 ff. - ruhegeldfähiges Einkommen 233 ff. - Tarifvertrag 228 ff. - Übergangsregelung 230 f. - Witwen-/Witwerrente 225 ff. - Zweck 235 Betriebliche Übung, Betriebsvereinbarungsoffenheit 249 ff. Betriebliches Eingliederungsmanagement - Anspruch 95 f. - behinderte Menschen 95 f. - Beweislast 96 ff. - Darlegungslast 96 ff. - Diskriminierung 95 f. - Durchführungspflicht 95 f. - Häufigkeit 98 ff. - Inhalt 94 - krankheitsbedingte Kündigung 96 ff. - Kündigung 96 ff. - Kurzerkrankungen 101 - Präventionsmaßnahmen 101 - UN-BRK 95 - wiederholte Durchführung 98 ff. - Zielsetzung 94 Betriebsänderung - ältere Arbeitnehmer 308 ff. - Klageverzichtsprämie 93 ff. - Mannheimer Modell 310 ff. - Shared-Service-Konzept 289 - Sozialplan 293 ff. Betriebsmittel, mobile Arbeit 102 ff.
322
Betriebsrat - Arbeitsschutz 279 f. - Dienstwagen 258 ff. - Fahrtkosten 260 - Massenentlassung 189 ff. - Meldestelle 39 - Reisekosten 260 - Sachausstattung 261, 266 f. - Schulung 262 ff. - Starter-Set 263 - Telefonkonferenz 270 - Videokonferenz 270 Betriebsratsmitglied - Begünstigung 262 ff., 266 - Compliance 266 - Dienstwagen 258 ff. - Vergütung → Betriebsratsvergütung Betriebsratsschulung - Kostenerstattung 262 ff. - Starter-Set 263 Betriebsratsvergütung - Anpassung 255 ff. - Beförderung 257 - Betriebsausgabe 258 - Bewerbung 256 - DGB-Entwurf 50 f. - Dienstwagen 258 ff. - Entgeltfortzahlung 259 - Erfahrungen 50, 256 f. - Fahrtkosten 260 - Qualifikationen 50 - Reisekosten 260 - Strafbarkeit 254 ff. - Untreue 254 - vergleichbare Arbeitnehmer 257 f. Betriebsratswahl - Briefwahl 253 f. - Kündigungsschutz 51
Stichwortverzeichnis
Betriebsrente → Betriebliche Altersversorgung Betriebsrisiko, Lockdown 106 ff. Betriebsschließung, Entgeltfortzahlung 106 ff. Betriebsteil, Verlagerung 284 ff. Betriebsübergang - Arbeitsvertrag 305 ff. - Betriebsvereinbarung 305 ff. - Einzelabrede 305 ff. - grenzüberschreitende Umwandlung 42 ff. - Günstigkeitsprinzip 306 f. - Sozialplan 303 ff. - Sperrwirkung 307 - Widerspruch 303 ff. Betriebsvereinbarung - Änderung Arbeitsvertrag 249 - Betriebsänderung 293 ff. - Betriebsrente 233 ff. - Betriebsübergang 305 ff. - Betriebsvereinbarungsoffenheit 249 ff. - Günstigkeitsprinzip 249 - HinSchG 38 - Klageverzichtsprämie 293 ff. - kollektive Günstigkeit 250 - Kurzarbeit 165 - Meldepflicht 39 - Sperrwirkung 307 - Whistleblowing 25 ff., 38 BetrVG - Entwurf DGB 49 ff. - Matrix 49 - Zugangsrecht Gewerkschaft 49 Beweiswert, AU-Bescheinigung 192 ff. Bewerber, Diskriminierung 71 ff. Bezugnahmeklausel - Arbeitsvertrag 21 f. - NachwG 21 f.
Blanko-Kündigung 209 f. Blockmodell, Altersteilzeit 181 ff. Bonus → Variable Vergütung Briefwahl, Betriebsratswahl 253 f. Bußgeld - Arbeitsvertrag 22 f. - NachwG 22 f.
C-ASR 4 C-ASV 3 f. Compliance - außerordentliche Kündigung 205 ff. - Betriebsratsmitglied 266 - HinSchG 25 ff. - Kündigung 205 ff. - Untersuchungen 205 ff. - Whistleblowerrichtlinie 25 ff. - Zwei-Wochen-Frist 205 ff. Corona-Bonus 315 COVID-19-Pandemie - 2G-Konzept 4 f. - 3G-Konzept 4 f. - Arbeitsschutz 1 ff., 3 ff. - Arbeitszimmer 316 - Corona-Bonus 315 - Diskriminierung 4 f. - Entschädigung 5 f. - epidemische Lage 1 - Fälschung Impfausweis 5 - Gefährdungsbeurteilung 4 ff., 6 - Genesenenstatus 1 f. - Homeoffice-Pflicht 1 - Homeoffice-Pauschale 316 - Impfausweis 5 - Impfpflicht 7 ff. - Impfstatus 1 f. - Krankengeld 6 - Kündigung 5, 200 ff. - Maskenpflicht 3 - Pflegebonus 315 323
Stichwortverzeichnis
COVID-19-Pandemie - Quarantäne 5 - Schadensersatz 92 ff. - Steuerhilfegesetz 314 ff. - Testnachweis 1 f. Crowdworking 53 ff. Cybersicherheit, mobile Arbeit 105 f.
Datenkopie - Arbeitnehmerdatenschutz 116 - DSGVO 116 ff. Desk-Sharing - Betriebsänderung 289 - Versetzung 277 f. DGB, BetrVG-Entwurf 49 ff. Dienstwagen, Betriebsratsmitglied 258 ff. Diskriminierung - Behinderung 71 ff. - Bewerber 71 ff. - Einladungspflichten 71 ff. - Geschlecht 145 ff., 148 f. - Meldepflichten 71 ff. - Wartezeit 79 ff. DrittelbG, Änderung 43 f. DSGVO - Auskunftsverlangen 116 f. - Datenkopie 116 ff. - Drittstaaten 68 f.
Eingliederungsmanagement → Betriebliches Eingliederungsmanagement Einigungsstelle - DGB-Entwurf 49 - Gegenstand 281 - Regelungsauftrag 281 - Sachverständige 283 f. - Spruchkompetenz 281 f. - Telefonkonferenz 268 ff. 324
Einigungsstelle - Videokonferenz 268 ff. Einkommen, ruhegeldfähiges 233 ff. Einstellung, Mitbestimmung Betriebsrat 270 ff. Elektronische AU-Bescheinigung - Arbeitsvertrag 85 ff. - Datenaustausch 89 - Entgeltabrechnung 92 - Entgeltfortzahlung 86 f. - Inhalt 86 - Mitbestimmung Betriebsrat 91 - Nachweispflicht 85 ff. - privat Versicherte 90 - Störfälle 89 - Übergangsphase 87 f. - Verfahren 87 f. E-Mail - Arbeitnehmerdatenschutz 119 - Zugang 130 ff. Entgeltfortzahlung - Betriebsschließung 106 ff. - Lockdown 106 ff. Entgeltumwandlung - Arbeitgeberzuschuss 228 ff. - Tarifvertrag 228 ff. - Übergangsregelung 230 f. Equal-Pay - Arbeitnehmerüberlassung 23 f., 127 - NachwG 23 f. Erfolgsabhängige Vergütung → Variable Vergütung Erholungsurlaub - Abgeltung 169 ff. - Altersfreizeit 246 ff. - Altersteilzeit 181 ff. - Ausschlussfrist 169 - Berechnung 161
Stichwortverzeichnis
Erholungsurlaub - EU-Richtlinie 159, 166 ff., 169 ff., 184 - Formel 161 - Fünf-Tage-Woche 161 - GRC 173, 186 - Krankheit 174 ff. - Kurzarbeit 159 ff. - Kürzung 159 ff. - Langzeiterkrankte 174 ff. - Mehrarbeit 166 ff. - Mitwirkungsobliegenheit 172 ff., 188 - Schwerbehinderung 178 ff. - Sechs-Tage-Woche 161 - Tarifvertrag 170 f. - Teilzeitbeschäftigte 161 - Überstunden 166 ff. - Umrechnungsformel 161 - Verjährung 169, 183 ff. - Vertragsbeendigung 166 ff., 169 ff. - Zusatzurlaub 178 ff. - Zweck 167, 171 Ermessen - Bonus 149 ff. - variable Vergütung 149 ff. EU-Richtlinie - Arbeitnehmerüberlassung 121 ff. - Arbeitszeit 133 ff., 136 ff., 159 - behinderte Menschen 79 ff. - Effektivität 169 - Hinweisgeberschutz 25 ff. - Höchstüberlassungsdauer 121 ff. - Klimawandel 66 - Lieferkette 63 ff. - Massenentlassung 189 ff. - Mindestlöhne 60 ff. - Mobilitätsrichtlinie 232 - Nachhaltigkeit 63 ff. - Plattformarbeit 53 ff.
EU-Richtlinie - Sorgfaltspflichten 63 ff. - transparente Arbeitsbedingungen 16 ff. - Whistleblowerrichtlinie 25 ff. EU-US-Datenschutzabkommen 68 f.
Facebook, Kündigung 199 f., 203 ff. Faires Verhandeln 211 ff. Falschmeldungen 37 f. Firmentarifvertrag → Tarifvertrag Flugreise, Arbeitszeit 136 ff. Fortbildung - Arbeitszeit 25 - DGB-Entwurf 50 - Kosten 25 Freier Mitarbeiter, HinSchG 29
Gebot fairen Verhandelns 211 ff. Gefährdungsbeurteilung - COVID-19 4 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 280 ff., 282 ff. Genesenenstatus, Kennzeichnung 1 f. Geringfügige Beschäftigung - Arbeitszeiterfassung 14 f., 47 f. - Dokumentationspflicht 14 f. - Geringfügigkeitsgrenze 15 f. - Kennzeichnung 15 f. - Kurzarbeit 12 - Übergangsbereich 16 Geringfügigkeitsgrenze 15 f. Geringfügigkeitsrichtlinien 16 Gesamtbetriebsrat - Arbeitsschutz 279 f. - Zuständigkeit 51 Gesamtzusage, Betriebsvereinbarungsoffenheit 249 ff. 325
Stichwortverzeichnis
GeschGehG, HinSchG 30 f. Geschlecht, Diskriminierung 145 ff., 148 f. Gesetzliche Unfallversicherung → Unfallversicherung Gesundheitseinrichtung, Impfpflicht 7 ff., 315 Gesundheitsschutz → Arbeitsschutz Gewerkschaft - SE-Umwandlung 289 ff. - Zugangsrecht 49 - Zwangsvollstreckung 239 f. Gewerkschaftsmitglied, Notarbestätigung 239 f. Günstigkeit, kollektive 250 Günstigkeitsprinzip - Betriebsübergang 306 f. - Betriebsvereinbarung 249
Haftung, Lieferkette 66 ff.
Haustarifvertrag → Tarifvertrag Hinausschiebensvereinbarung, Mitbestimmung Betriebsrat 271 ff. HinSchG - Anzeigepflicht 39 - Arbeitnehmerdatenschutz 27 - Aufsichtsrat 29 - Beschäftigungsgeber 29 f. - Betriebsrat 39 - Betriebsvereinbarung 38 - Beweislastumkehr 36 f. - Datenschutz 36 - externe Meldestelle 34 - externe Meldung 32 ff. - Falschmeldungen 37 f. - freier Mitarbeiter 29 - Geltungsbereich 26, 29 ff. - GeschGehG 26, 30 ff. - Hinweisgeber 29 - interne Meldung 32 ff. - Konzern 36 326
HinSchG - Leiharbeitnehmer 29 - Lieferkettensorgfaltspflichten 28 - Meldepflicht 39 - Offenlegung 34 f. - Rechtsmissbrauch 28 - Referentenentwurf 25 ff. - Repressalien 36 f. - Rücksichtnahmepflicht 32 f., 39 - Schadensersatz 37 - Sozialversicherungsrecht 28 - Wahlrecht 32 ff. Höchstüberlassungsdauer - Arbeitnehmerüberlassung 121 ff., 124 ff. - Leiharbeit 128 ff. - Tarifvertrag 128 ff. Homeoffice → Mobile Arbeit Homeoffice-Pauschale 316
Impfausweis, Fälschung 5 Impfpflicht - allgemeine 7 - einrichtungsbezogene 7 ff. Impfstatus, Kennzeichnung 1 f. Interessenausgleich - Betriebsverlagerung 286 - DGB-Entwurf 50
Kartellrecht, Solo-Selbständige 62 f. Klagefrist, Kündigung 20 f. Klageverzichtprämie - Betriebsvereinbarung 293 ff. - Gleichbehandlungsgrundsatz 299 f. - Kündigung 293 ff. - Sozialplanvolumen 299 f. Koalitionsvertrag - Arbeitnehmerdatenschutz 52
Stichwortverzeichnis
Koalitionsvertrag - Unternehmensmitbestimmung 43 f. Konzern, HinSchG 36 Konzernbetriebsrat, Zuständigkeit 51 Kopie, Arbeitnehmerdatenschutz 120 Krankengeld, Dauer 6 Krankenhaus → Gesundheitseinrichtung Krankenversicherung, elektronische AU-Bescheinigung 90 Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit - AU-Bescheinigung 192, 195 f. - Aufhebungsvertrag 213 f. - Erholungsurlaub 174 ff. - Ersatzfreistellung 240 ff. - Kündigung 96 ff., 192 - Leistungsunfähigkeit 153 ff., 157 f. - TV T-Zug 240 ff. - Vortäuschen 192 ff. - Zusatzgeld 240 ff. Krankheitsbedingte Kündigung 96 ff., 192 KuG → Kurzarbeit Kündigung - Abfindung 294 f. - Abmahnung 197, 198 ff. - Annahmeverzug 217 ff. Kündigung - AU-Bescheinigung 192 ff. - ausländerfeindliches Verhalten 203 ff. - behinderte Menschen 79 ff. - bEM 96 ff. - Betriebsrat 189 ff. - Blanko-Kündigung 209 f. - COVID-19 200 ff.
Kündigung - Facebook 203 ff. - Facebook-Like 199 f. - gefälschter Impfausweis 5 - Impfausweis 5 - Impfpflicht 10 - Klagefrist 20 f. - Klageverzicht 293 ff. - Kleinanzeige 200 ff. - Krankheit 192 ff. - krankheitsbedingte 96 ff., 192 - Loyalitätspflicht 199 f. - Massenentlassung 189 ff. - Meinungsäußerung 199 f., 200 ff. - Meinungsfreiheit 202 - Rücksichtnahmepflicht 202 - Schmähkritik 204 - Social Media 198 ff. - Soll-Angaben 189 - Treuepflicht 202 - Verhältnismäßigkeit 197 - vorgetäuschte Krankheit 192 ff. Kündigungsberechtigter 206 f. Kündigungsschutzprozess - Annahmeverzug 217 ff. - Prozessarbeitsverhältnis 222 Kurzarbeit - Änderungen 11 f. - Arbeitszeitsalden 12 - Betriebsvereinbarung 165 - Bezugsdauer 11 - Entgeltausfall 11 - Erhöhung 12 - Erholungsurlaub 159 ff. - geringfügige Beschäftigung 12 - Kurzarbeit Null 159 ff. - Leiharbeitnehmer 12 - Sozialversicherungsbeiträge 12 - Steuerbefreiung 12, 315 - Zuschüsse 12 327
Stichwortverzeichnis
Kurzarbeitergeld → Kurzarbeit
Leiharbeitnehmer - Bezugnahme auf Tarifvertrag 23 f. - Equal-Treatment 23 f. - Equal-Pay 23 f., 127 - HinSchG 29 - Höchstüberlassungsdauer 121 ff. - Kurzarbeit 12 - NachwG 23 - Übernahmewunsch 23 Leistungsunfähigkeit - Annahmeverzug 154 f. - Arbeitnehmer 153 ff. - Darlegungslast 153 ff. - Einwendung 155 - Kennzeichnung 155 - Krankheit 153 ff., 157 f. Lieferkette - EU-Richtlinie 63 ff. - Haftung 66 ff. - Schadensersatz 66 f. - Sorgfaltspflichten 63 ff. Lockdown - Betriebsrisikolehre 106 ff. - Entgeltfortzahlung 106 ff.
Mahnverfahren, Arbeitsgericht 45 Mannheimer Modell - ältere Arbeitnehmer 310 ff. - Besteuerung 311 f. - Betriebsänderung 310 ff. - Sozialplanabfindung 310 ff. - Wertguthaben 311 f. Maskenpflicht - COVID-19 3 - ÖPNV 3 Massenentlassung - Agentur für Arbeit 189 ff. - Anzeige 189 328
Massenentlassung - Betriebsratsinformation 189 ff. - EU-Richtlinie 189 ff. - Individualschutz 191 f. - Soll-Angaben 189 Massenentlassungsanzeige 189 Mehrarbeit - Diskriminierung 145 ff. - Erholungsurlaub 166 ff. - Tarifvertrag 168 f. - Teilzeitbeschäftigte 145 ff. - Zuschläge 145 ff., 166 ff. Meinungsäußerung, Kündigung 199 f., 200 ff., 202 Mindestehedauer - AGB-Kontrolle 226 f. - Betriebsrente 225 ff. Mindestlohn - angemessener 60 f. - Anhebung 13 f. - Dokumentationspflicht 14 f. - EU-Richtlinie 60 ff. - gesetzlicher 13 f. - Tarifvertrag 13 f., 60 ff. - Vorpraktikum 144 Mitbestimmung Betriebsrat - Altersgrenze 270 ff. - Arbeitsschutz 278 ff. - AU-Bescheinigung 91 - DGB-Entwurf 50 - Einstellung 270 ff. - elektronische AU-Bescheinigung 91 - Gefährdungsbeurteilung 279 f., 282 ff. - Hinausschiebensvereinbarung 271 - Hinweisgeberschutz 25 ff., 38 - mobile Arbeit 274 ff. - Schutzmaßnahmen 283 f.
Stichwortverzeichnis
Mitbestimmung Betriebsrat - Shared-Service-Konzept 287 ff. - Telearbeit 274 ff. - Unfallverhütung 279 - Versetzung 284 ff. - Vertragsverlängerung 270 ff. - Zuständigkeit 279 f. - Whistleblowing 25 ff., 38 MitbG, Änderung 43 f. Mitwirkungsobliegenheit, Erholungsurlaub 172 ff., 188 Mobile Arbeit - Anspruch 46 - Arbeitsschutz 46 f., 102 ff. - Arbeitszimmer 316 - ArbStättV 46 - Ausland 317 - Betriebsmittel 102 ff. - Checkliste 106 - Cybersicherheit 105 f. - Datenschutz 105 f. - Datensicherheit 105 f. - Gefährdungsbeurteilung 104 - Gesetzentwurf 45 ff. - grenzüberschreitende 317 - Homeoffice-Pauschale 316 - Internetkosten 316 - Mitbestimmung Betriebsrat 274 ff. - Schutzmaßnahmen 104 - Sozialversicherung 317 - Telefonkosten 316 - Unfallversicherung 313 f. - Unterweisung 104 - Versetzung 274 ff. Mobilitätsrichtlinie 232
NachwG - Altersversorgung 21 f. - Anwendungsbereich 17 - Arbeitsentgelt 19 f.
NachwG - Arbeitsort 19 - Arbeitsvertrag 16 ff. - Arbeitszeit 19 f. - AT-Vertrag 20 - Auslandseinsatz 23 - betriebliche Übung 21 f. - Beweislastumkehr 22 f. - Bezugnahmeklausel 21 f. - Bußgeld 22 f. - E-Mail 18 - Fristen 18 - Gesamtzusage 21 f. - Gesetzentwurf 16 ff. - Klagefrist 20 f. - Kündigungsverfahren 20 - Leiharbeitnehmer 23 - Probezeit 19 - Schadensersatz 21 - Schriftform 17 f. - Überstunden 19 f. - Versorgungszusage 21 f. ÖPNV, Maskenpflicht 3
Pensionskasse - Anpassung Betriebsrente 231 ff. - Betriebsrente 231 ff. - Mobilitätsrichtlinie 232 Pflegebonus 315 Pflegeeinrichtung → Gesundheitseinrichtung Plattformarbeit - Arbeitsvertrag 54, 56 ff. - Kennzeichnung 53 f., 56 - Richtlinienentwurf 53 ff. - Tarifvertrag 62 ff. - Unionsrecht 53 ff. - Vermutung 57 ff. Probezeit - Dauer 19 329
Stichwortverzeichnis
Probezeit - NachwG 19 Prozessarbeitsverhältnis 222
Quarantäne 5, 92 ff. Regelungsauftrag, Einigungsstelle 281 Reisezeit, Arbeitszeit 136 ff. Repressalien, HinSchG 36 f. Rücksichtnahmepflicht, Kündigung 202
Sachverständige, Einigungsstelle 283 f. Schadensersatz - Arbeitnehmerdatenschutz 113 ff. - Arbeitsvertragsgestaltung 21 - Corona-Schutzregeln 92 ff. - Quarantäne 92 ff. - variable Vergütung 149 Schulung → Fortbildung Schwerbehinderte → Behinderte Menschen SE - Einfriereffekt 44 - Gesetzesänderung 44 - Gewerkschaftsvertreter 290 f. - Unternehmensmitbestimmung 289 ff. - Vorher-Nachher-Prinzip 44, 290 f. Shared-Service-Konzept - Betriebsänderung 289 - Mitbestimmung Betriebsrat 287 ff. - Versetzung 287 ff. Sittenwidrigkeit, Aufhebungsvertrag 212 Social Media - Abmahnung 198 ff. 330
Social Media - Kündigung 198 ff. Soll-Angaben, Massenentlassung 189 Solo-Selbständige, Tarifvertrag 62 ff. Sorgfaltspflichten, Lieferkette 63 ff. Sozialplan - Betriebsänderung 293 ff. - Klageverzichtsprämie 294 ff. - Turboprämie 294 ff. - Verhandlungsstrategie 300 ff. - Zweck 295 f. Sozialplanabfindung - Klageverzicht 296 f. - Mannheimer Modell 310 ff. - Widerspruch Betriebsübergang 303 ff. Sozialplanvolumen, Klageverzicht 299 f. Sozialversicherung - Kurzarbeit 12 - Übergangsbereich 16 Spaltung→ Betriebsübergang Sperrwirkung, Betriebsvereinbarung 307 SprAuG, Wahlordnung 45 Steuerbefreiung, Kurzarbeit 315 Steuerhilfegesetz, Corona 314 ff. Strafbarkeit, Betriebsratsvergütung 254 ff. Stufenklage, variable Vergütung 150 f.
Tarifvertrag -
Altersfreizeit 246 ff. Arbeitnehmerüberlassung 124 f. Ausschlussfrist 243 ff. Betriebsrente 228 ff. Durchführung 237 ff.
Stichwortverzeichnis
Tarifvertrag - Durchsetzung 237 ff. - Entgeltumwandlung 228 ff. - Equal-Pay 23 f., 127 - Erholungsurlaub 170 f. - Höchstüberlassungsdauer 125, 128 ff. - Inhalt 238 - Kartellrecht 62 f. - Klage 237 ff. - Leiharbeitnehmer 23 f. - Mehrarbeit 145 ff., 168 f. - Mindestlohn 13 f., 60 ff. - Notarbestätigung 239 f. - Plattformbeschäftigte 62 f. - Solo-Selbständige 62 f. - Überstunden 145 ff. - Zusatzgeld 240 ff. - Zwangsvollstreckung 239 f. Teilzeitbeschäftigte - Mehrarbeit 145 ff. - Überstunden 145 ff. Telearbeit - alternierende 274 ff. - Versetzung 274 ff. Telefonkonferenz - Betriebsrat 270 - Einigungsstelle 268 ff. Testnachweis, Kennzeichnung 1 f. Transfergesellschaft - ältere Arbeitnehmer 308 ff. - fachliche Weisung 309 Treuepflicht, Kündigung 202 Turboprämie 294 ff. TV T-Zug, Ersatzfreistellung 240 ff.
Überstunden - AT-Vertrag 20 - Darlegungslast 141 ff. - Diskriminierung 145 ff. - Erholungsurlaub 166 ff. - EU-Richtlinie 141 ff. - NachwG 19 f. - Prozess 141 ff. - Teilzeitbeschäftigte 145 ff. - TVöD-K 145 - Vollzeitbeschäftigte 145 - Zuschläge 145 ff., 166 ff. Überstundenvergütung, Klage 48 f. Ukrainische Staatsbürger - Arbeitserlaubnis 40 f. - Aufenthaltsrecht 40 f. - Aufenthaltstitel 41 f. - Beschäftigung 39 ff. Umwandlung → Betriebsübergang Unfallversicherung - Betriebsweg 314 - Homeoffice 313 f. - mobile Arbeit 313 f. - objektive Handlungstendenz 313 - Privathaushalt 313 f. Unternehmensmitbestimmung - DrittelbG 44 - grenzüberschreitende Umwandlung 42 ff. - Koalitionsvertrag 43 - MitbG 44 - Schwellenwerte 44 - SE-Umwandlung 44, 289 ff. - Spaltung 42 ff. - Verschmelzung 42 ff. - Vorher-Nachher-Prinzip 44, 290
Übergangsbereich, Sozialversiche-
Variable Vergütung
rung 16 Überstunden - Arbeitszeit 141 ff.
- Darlegungslast 152 - Ermessen 149 ff.
331
Stichwortverzeichnis
Variable Vergütung - Leistungsbestimmung 151 ff., 153 - persönliche Ziele 151 f. - qualitative Ziele 152 - quantitative Ziele 152 - Schadensersatz 149 - Stufenklage 150 f. - Werturteil 152 - Zielvereinbarung 151 f. Vergütung, erfolgsabhängige → Variable Vergütung Verhandeln, faires 211 ff. Verjährung, Erholungsurlaub 183 ff. Verlagerung - Betrieb 284 ff. - Betriebsteil 284 ff. Verschmelzung → Betriebsübergang Versetzung - Begriff 284 f. - Benachteiligung 277 - Betriebsverlagerung 284 ff. - Desk-Sharing 277 f. - Gesetzesverstoß 276 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 284 ff. - mobile Arbeit 274 ff. - Shared-Service-Konzept 287 ff. - Telearbeit 274 ff. - Zustimmungsverweigerung 276 f. Versorgungszusage → Betriebliche Altersversorgung Videokonferenz - Betriebsrat 270 - Einigungsstelle 268 ff. Vorher-Nachher-Prinzip, SE 44, 290 f. Vorpraktikum, Mindestlohn 144
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Wahlordnung, SprAuG 45 Wartezeit, behinderte Menschen 79 ff. Weiterbeschäftigung, Annahmeverzug 217 ff. Weiterbildung → Fortbildung Wertguthaben, Mannheimer Modell 311 f. Whistleblower → Hinweisgeber Widerspruch Betriebsübergang, Sozialplanabfindung 303 ff. Witwen-/Witwerrente 225 ff.
Zinsanspruch, Ausschlussfrist 243 ff. Zugang, E-Mail 130 ff. Zwei-Wochen-Frist - außerordentliche Kündigung 205 ff. - Blanko-Kündigung 209 f. Zwischenverdienst, Annahmeverzug 217 ff.