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German Pages 362 Year 2015
Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 1/2015
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Band 1/2015
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.
Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2015, S. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0948-2369 ISBN 978-3-504-42693-4 ©2015 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: VUA Schaus, Büttelborn Printed in Germany
Vorwort Das Frühjahr 2015 ist geprägt durch erste Erfahrungen mit dem Mindestlohngesetz und den Verordnungen zu den Melde- und Aufzeichnungspflichten, die einen Teil des administrativen Aufwands beseitigen sollen. Hinzu kommen wichtige Veränderungen im Bereich von Elterngeld und Elternzeit sowie der Pflege von Angehörigen nach Maßgabe des PflegeZG und des FPfZG, die zum 1.1.2015 wirksam geworden sind bzw. zum 1.7.2015 werden. Wichtige Handlungspflichten lösen auch die gesetzlichen Neuregelungen zur Geschlechterquote für die börsennotierte Aktiengesellschaft im Anwendungsbereich der paritätischen Mitbestimmung und die Frauenquote in den übrigen Unternehmen, die der Mitbestimmung unterfallen, aus. Sie müssen bis zum 30.9.2015 (Frauenquote) bzw. ab dem 1.1.2016 (Geschlechterquote) umgesetzt werden. Das Gesetz zur Tarifeinheit dürfte in Kürze verabschiedet werden, obgleich die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht beseitigt sind. Es ist schade, dass die Bundesregierung nicht den Mut hat, dringend notwendige Schranken für das Arbeitskampfrecht festzulegen. Offenbar bedarf es erst der Erkenntnis, dass das jetzt vorgelegte Gesetz die vor allem durch den Arbeitskampf der Sparten- und Berufsgruppengewerkschaften ausgelösten Probleme nicht beseitigen wird. Welche Veränderungen auf den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung zukommen, lässt sich nur erahnen. Der angekündigte Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Auch wenn der EuGH mit seinem Urteil vom 17.3.2015 bedauerlicherweise keine Klarstellung zum Anwendungsbereich der EU-Richtlinie und den Schranken gesetzlicher Regelungen vorgenommen hat, dürfte der Weg indes frei sein, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Änderungen umzusetzen. Wichtig ist, dass dabei notwendige Klarstellungen insbesondere in Bezug auf den Arbeitsentgeltbegriff beim Equal Pay und etwaige Sanktionen bei einem Verstoß erfolgen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Gerichte erneut über die Rechtsfolgen streiten. Das zeigt eine aktuelle Entscheidung des LAG Baden-Württemberg zum Scheinwerkvertrag. Im Bereich des Individualarbeitsrechts gibt es wichtige Klarstellungen zur Befristung, insbesondere in Vertretungsfällen und bei älteren Arbeitnehmern nach Überschreiten der Regelaltersgrenze. Ergänzend hierzu war über die Grenzen der Videoüberwachung von Arbeitnehmern, die Berechnung des Urlaubsanspruchs bei einem Wechsel von Vollzeit- in Teilzeitbeschäftigung und den Urlaubsanspruch nach Arbeitgeberwechsel zu berichten.
V
Vorwort
Das Kündigungsrecht zeigt sich in allen Facetten. Wichtig sind vor allem die Feststellungen des BAG zur Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements für die Kündigung wegen Kurzerkrankungen, das Abmahnungserfordernis bei verhaltensbedingten Kündigungen, wichtige Klarstellungen zur Gewichtung der Sozialauswahl und zur betriebsbedingten Kündigung bei Outsourcing-Maßnahmen. Aus prozessualer Sicht wird man sich in der Praxis auf die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung im Kündigungsschutzprozess ohne vereinbarte Prozessbeschäftigung und die Schranken bei der Vereinbarung eines Klageverzichts einstellen müssen. Bedeutsam ist darüber hinaus die Rechtsprechungsänderung in Bezug auf die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts bei der Kündigung eines Geschäftsführers. Im Tarifrecht hat das BAG die Befugnis einer Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern (hier: Abfindung/Transfergesellschaft bei Betriebsänderung) trotz abweichender Vorgaben des Großen Senats zur Koalitionsfreiheit bestätigt. Die Gründe des Urteils liegen aber noch nicht vor. Im Betriebsverfassungsrecht hat sich die Rechtsprechung mit der Wirksamkeit von Beschlussfassungen des Betriebsrats sowie Beteiligungsrechten des Betriebsrats beim Einsatz von Leiharbeitnehmern, dem Begriff der Einstellung bei dem Einsatz von Arbeitnehmern in Matrix-Strukturen, beim Betrieb einer Facebook-Seite, im Bereich des Arbeitsschutzes und bei der Einstellung unter Einbeziehung eines Recruitment Centers befasst. Im Zusammenhang mit Betriebsänderungen haben BAG und EuGH Klarstellungen zum Umgang mit rentennahen Jahrgängen vorgenommen sowie Regelungen zur Turboprämie und Prämien zur Betriebsabwicklung gebilligt. Daneben hat die Rechtsprechung den Anwendungsbereich von § 613 a BGB bei der Übernahme einzelner Dienstleistungen klargestellt und sich ergänzend insbesondere mit den Rechtsfolgen für Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung befasst. Hier gibt es eine divergierende Rechtsprechung, die die Praxis bei Übertragungsvorgängen beachten muss. Dietrich Boewer (Boe) danke ich sehr für seine Analyse der aktuellen Rechtsentwicklung und ihrer Bedeutung für die Praxis. Sie zeigt zielsicher auf, wo Gestaltungsmöglichkeiten und -risiken bestehen. Ebenso sei Herrn Daniel Dominik, Frau Sandra Kiepels und – in ganz besonderer Weise – Frau Linda Kriebel Volk (Kr) und Frau Doris Hensch gedankt, die es durch ihren unermüdlichen Einsatz erst möglich gemacht haben, dass dieser umfassende Überblick der aktuellen Entwicklung im Arbeitsrecht wieder einmal pünktlich erscheinen konnte. Köln, im Frühjahr 2015
VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort .......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................XVII
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................ 1
1.
Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst .............................................................................. 1 a) Geschlechterquote im Aufsichtsrat bei „voller“ Mitbestimmung börsennotierter Gesellschaften ........................... 1 b) Frauenquote für Aufsichtsrat, Vorstand/Geschäftsführung und obere Führungsebenen ........................................................... 3 c) Handelsrechtliche Publikationspflichten....................................... 6 d) Fazit ............................................................................................... 6
2.
Gesetz zur Flexibilisierung der Elternzeit und zur Einführung von Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus....................................... 7 a) Elterngeld, Elterngeld Plus und Partnerschaftsbonus ................... 7 b) Flexibilisierung der Elternzeit ....................................................... 8 c) Flexibilisierung der Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit ..................................................................................... 10 d) Kündigungsschutz nach § 18 BEEG ........................................... 11
3.
Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ................................................................................................... 11
4.
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln – Betriebssicherheitsverordnung ........................................................... 13
5.
Verordnungen zur erleichterten Umsetzung des MiLoG ................... 14
VII
Inhaltsverzeichnis
6.
Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit ................................................. 15 a) b) c) d) e) f)
Auflösung einer Tarifkollision .................................................... 16 Kennzeichnung der Mehrheitsgewerkschaft ............................... 18 Bedeutung des Betriebsbegriffs .................................................. 18 Verbleibende Rechte der Minderheitsgewerkschaft.................... 20 Umgang mit Altvereinbarungen .................................................. 21 Arbeitsgerichtliches Verfahren zur Feststellung des im Betrieb anwendbaren Tarifvertrags ............................................. 21 g) Fehlen arbeitskampfrechtlicher Vorgaben ................................... 22 h) Fazit ............................................................................................. 23
7.
Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ......................................................................................... 24
8.
Gesetzliche Entwicklungen im Bereich Arbeitnehmerüberlassung und (Schein-)Werkvertrag ....................... 24
9.
Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte .................................. 28 a) b) c) d) e) f) g) h) i)
Ausgangssituation ....................................................................... 28 Aufgabe der Doppelberufstheorie ............................................... 29 Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ........................................... 30 Haftpflichtversicherung............................................................... 31 Berechtigung zur Ausübung anderer Tätigkeiten........................ 32 Rechtstellung gegenüber dem Arbeitgeber ................................. 32 Wegfall strafprozessualer Privilegien ......................................... 33 Sozialversicherungsrechtliche Übergangsregelung .................... 33 Fazit ............................................................................................. 34
10.
Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld ............. 34
11.
Gesetzentwürfe zur Änderung der betrieblichen Altersversorgung ................................................................................ 35 a) Einführung einer tarifvertraglichen Beitragszusage ohne arbeitgeberseitige Ausfallhaftung ............................................... 35 b) Absenkung der Unverfallbarkeitsfristen und Verschärfung der Anpassungspflichten ....................................... 37
12.
Gesetz zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit ................................. 39
13.
Gesetzesinitiative zur sachgrundlosen Befristung?............................ 40
VIII
Inhaltsverzeichnis
14.
Neue Entwicklungen im Unternehmensstrafrecht ............................. 41
15.
Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption ................................ 41
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ............ 43
1.
Überprüfung der EU-Arbeitszeitrichtlinie ......................................... 43
2.
Unionsrechtliche Schranken eines Mindestlohns für Werkverträge ...................................................................................... 43
3.
Aktueller Stand der Diskussion zur DatenschutzGrundverordnung ............................................................................... 45
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................... 47
1.
Bedeutung der Form der Mitteilung einer Behinderung im Bewerbungsverfahren ........................................................................ 47
2.
Statistik als Indiz einer Benachteiligung von Bewerbern .................. 52
3.
Neue Rechtsprechung zur Befristung ................................................ 56 a) Befristung eines Arbeitsvertrags wegen Projektarbeit ................ 56 b) Befristung eines Arbeitsvertrags nach Überschreiten der Altersgrenze ................................................................................ 60 c) Befristung aufgrund gerichtlichen Vergleichs ............................. 62 d) Befristeter Arbeitsvertrag wegen des Sachgrundes der gedanklichen Vertretung.............................................................. 66
4.
Geltung einer Gesamtzusage für Neueinstellungen ........................... 68
5.
Keine Klarstellung durch den EuGH zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung .................................................................. 71 a) Ausgangssituation ....................................................................... 71 b) Klarstellungen durch die Schlussanträge des Generalanwalts ............................................................................ 72 c) Fehlende Klarstellung durch den EuGH ..................................... 74 d) Fazit ............................................................................................. 75
6.
Neue Risiken für den Scheinwerkvertrag .......................................... 75
7.
Verwirkung eines Schmerzensgeldanspruchs wegen Mobbings............................................................................................ 78
IX
Inhaltsverzeichnis
8.
Zulässigkeit und prozessuale Verwertbarkeit einer heimlichen Videoüberwachung von Mitarbeitern ................................................. 81
9.
Fortbestehende Berechtigung einer Veröffentlichung von Fotos oder Videoaufnahmen eines Arbeitnehmers im Internet / Intranet nach Vertragsende ............................................................... 85
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub ............................................ 89
1.
Befugnis des Arbeitgebers zur Änderung der Arbeitszeitlage nach Geltendmachung eines Anspruchs auf Teilzeitbeschäftigung ......................................................................... 89
2.
Einführung von Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung ................... 92
3.
Befristung einer Verringerung der Arbeitszeit ................................... 93
4.
Kein Vergütungsanspruch bei wirksam angeordneter und in Anspruch genommener Arbeitspause................................................. 97
5.
Gleichbehandlungsanspruch bei Entgelterhöhung trotz verschiedener Arbeitsvertragsmuster ............................................... 100
6.
Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn .................................... 104 a) b) c) d) e) f) g) h) i) j) k) l)
Persönlicher Geltungsbereich ................................................... 104 Ausnahmen für leitende Angestellte und AT-Angestellte?........ 106 Bezugspunkt für den Mindestlohn: Arbeitsstunde .................... 107 Zusammensetzung des Mindestlohns – Anrechnung verschiedener Vergütungsbestandteile ...................................... 108 Mindestlohn bei Entgeltfortzahlungsansprüchen ...................... 116 Fälligkeit des Mindestlohns/Arbeitszeitflexibilisierung ........... 117 Unabdingbarkeit des Mindestlohns ........................................... 119 Haftung des Auftraggebers ........................................................ 120 Aufzeichnungspflichten des Arbeitgebers ................................ 121 Bereithaltungspflicht von Unterlagen zum Nachweis der Einhaltung des Mindestlohns .................................................... 124 Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge ................... 125 Übergangsregelungen ................................................................ 125
m) Kontrolle von Verstößen gegen das MiLoG ............................. 126 7.
X
Anspruch auf Vergütung / Annahmeverzug im Wiedereingliederungsverhältnis ....................................................... 127
Inhaltsverzeichnis
8.
Entgeltfortzahlung bei langjähriger Alkoholabhängigkeit ............... 131
9.
Anspruch auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen ................. 134
10.
Urlaubsberechnung bei Wechsel von Vollzeit- in Teilzeitbeschäftigung ....................................................................... 136
11.
Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung ................................ 138
12.
Urlaubsanspruch nach Arbeitgeberwechsel ..................................... 141
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................... 147
1.
Massenentlassung: Vorabentscheidungsersuchen wegen der Berücksichtigung befristeter Arbeitsverträge................................... 147
2.
Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Kündigung ........................................................................................ 149
3.
Konsequenzen des fehlenden betrieblichen Eingliederungsmanagements für die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ............................................................. 152 a) Sachverhalt der Entscheidung des BAG ................................... 152 b) Allgemeine Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung wegen Kurzerkrankungen ...................................... 153 c) BEM als Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung ............ 155 d) Allgemeine Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen bEM ........................................................................................... 156 e) Betriebsärztliche Untersuchung als bEM-Ersatz?..................... 158 f) Konsequenzen des fehlenden bEM für die prozessuale Darlegungs- und Beweislast...................................................... 158 g) Fazit ........................................................................................... 161
4.
Neues zur außerordentlichen Verdachtskündigung .......................... 161
5.
Konkurrenztätigkeit nach außerordentlicher Kündigung ................. 166
6.
Abmahnungserfordernis vor Kündigung trotz sexueller Belästigung ....................................................................................... 168
7.
Betriebsbedingte Kündigung wegen Aufgabenverlagerung auf die Geschäftsführung ....................................................................... 173
8.
Betriebsbedingte Kündigung bei Outsourcing-Maßnahme ............. 176
XI
Inhaltsverzeichnis
9.
Gewichtung der Kriterien einer Sozialauswahl ............................... 179
10.
Sozialauswahl in Altersgruppen gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG .............................................................................................. 183
11.
Subjektive Determination der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG ................................................................................... 187
12.
Unwirksamkeit eines kompensationslosen Klageverzichts in Aufhebungsvertrag oder Ausgleichsquittung ................................... 189
13.
Weiterbeschäftigung im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens ohne vereinbarte Prozessbeschäftigung ....................................................................... 194
14.
Vergütung wegen Annahmeverzugs nach Unwirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung .......................... 199
15.
Rechtsweg bei der Abberufung und Kündigung eines Geschäftsführers ............................................................................... 204
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................................................211
1.
Darlegungs- und Beweislast bei der Leistungsbeurteilung im Zeugnis ............................................................................................. 211
2.
Wirksamkeit eines Abwerbeverbots bei Beendigung einer Kooperation im Vertrieb ................................................................... 214
3.
Keine Beendigung von Vorruhestandsleistungen durch Wohnsitzwechsel ins Ausland .......................................................... 217
4.
Kein Berechnungsdurchgriff bei der Anpassung von Betriebsrenten aufgrund konzerninterner Verrechnungspreisabrede ................................................................. 221
G.
Tarifrecht........................................................................................ 225
1.
Fragerecht des Arbeitgebers nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gewerkschaft ................................................................ 225
2.
Anrechnung übertariflicher Zulage bei Anhebung des Tarifentgelts ...................................................................................... 229
XII
Inhaltsverzeichnis
3.
Höchstdauer einer Kündigungsfrist zur Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ............................................ 232
4.
Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifsozialplan .................................................................................. 233
5.
Günstigkeitsvergleich bei arbeitsvertraglicher Abweichung vom Tarifvertrag ............................................................................... 240
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 243
1.
Betriebsratsbeschluss: Beweiswert einer Sitzungsniederschrift ...... 243
2.
Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschluss wegen Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung? .................................... 247
3.
Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ohne vorangehenden Betriebsratsbeschluss .............................................. 251
4.
Befragung sachkundiger Arbeitnehmer durch den Betriebsrat ........ 252
5.
Anspruch des freigestellten Betriebsratsmitglieds auf behinderungsgerechte Beschäftigung? ............................................. 255
6.
Einstellungen: Informationspflicht nach § 99 BetrVG bei Einbindung eines Recruitment Centers ............................................ 256
7.
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung .................................... 260
8.
Zugang von Betriebsratsmitgliedern des Verleiherbetriebs zum Entleiherbetrieb ........................................................................ 261 a) Zutrittsrecht als Bestandteil des Informationsanspruchs aus § 80 Abs. 2 BetrVG............................................................. 262 b) Zutrittsrecht zur Vermeidung einer Benachteiligung ................ 264
9.
Mitbestimmungspflichtige Einstellung bei unternehmensübergreifender Matrixstruktur ................................... 265
10.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite ................................................................................. 267 a) b) c) d)
Ausgangssituation ..................................................................... 267 Sachverhalt des LAG Düsseldorf .............................................. 268 Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ............. 270 Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ......................... 273
XIII
Inhaltsverzeichnis
e) Unterlassungsanspruch wegen Missachtung des Datenschutzrechts ..................................................................... 273 f) Anspruch auf Unterlassung aus § 75 BetrVG ........................... 274 g) Fazit ........................................................................................... 275 11.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Gesundheitsschutz ............................................................................ 275
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 279
1.
Sozialplan: Ausschluss und Minderung von Abfindungsansprüchen bei rentennahen Jahrgängen ....................... 279 a) Ausgangssituation ..................................................................... 279 b) Abfindungsausschluss bei Altersrente nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ............................................................ 279 c) Abfindungsausschluss bei Altersrente nach Arbeitslosengeld ........................................................................ 283
2.
Betriebsänderung: Zulässigkeit einer „Turboprämie“ bei Aufhebungsvertrag oder Klageverzicht ........................................... 285
3.
Betriebsänderung: Treueprämie zur Gewährleistung der Betriebsabwicklung .......................................................................... 290
4.
Der Betriebsteil als Objekt einer Übertragung gemäß § 613 a BGB ..................................................................................... 293
5.
Betriebsübergang: Bedeutung einer fehlenden Übernahme wesentlicher Betriebsmittel .............................................................. 296
6.
Betriebsübergang: Eintritt des Erwerbers in arbeitgeberseitige Ausgleichs- und Erstattungsansprüche ............................................ 299
7.
Betriebsübergang: Übernahme der Betriebsratskosten durch Erwerber ........................................................................................... 300
8.
Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang ........................................................................................... 302 a) Ausgangssituation der arbeitsrechtlichen Bewertung ............... 302 b) Änderung einer kollektivrechtlich fortgeltenden Betriebsvereinbarung ................................................................ 303 c) Verwirkung des Widerspruchsrechts nach fehlerhafter Unterrichtung ............................................................................ 307
XIV
Inhaltsverzeichnis
d) Rechtsfolgen für die gesetzliche Unverfallbarkeit .................... 312 e) Fazit ........................................................................................... 313 9.
Kein Übergang von Betriebsnormen gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB .......................................................................................... 313
J.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................ 315
1.
Grenzwert der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei Altersteilzeit ..................................................................................... 315
2.
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei unterlassener Pauschalbesteuerung? ...................................................................... 316
Stichwortverzeichnis................................................................................... 319
XV
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. abl. ABlEG Abs. abw. AcP AGBG ADG ÄndG AEntG AEUV AFG AGBG AiB AFKG AktG AktuellAR AltEinkG AltersvorsorgeVerbesserungsgesetz AltZertG AVmG allg. AMP AMS amtl. Anl. Anm. AO AP ArbG ArbGG
anderer Auffassung alte Fassung ablehnend Amtsblatt der EG Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Geschäftsbedingungengesetz Antidiskriminierungsgesetz Änderungsgesetz Arbeitnehmerentsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz 1969 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) 1976 Arbeitsrecht im Betrieb Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz Aktiengesetz Gaul bzw. Gaul/Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht Alterseinkünftegesetz Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz Altersvermögensgesetz allgemein Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Anlage Anmerkung Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz 1979
XVII
Abkürzungsverzeichnis
AR-Blattei ArBMedVV ArbNErfG ArbPlSchG ArbRB ArbSchG
ARSt ArbStättVO ArbZG ARdGgw. ArGV Art. ASAV ASiG ATG AuA AU-Bescheinigung Aufenthalt/EWG AufenthG Aufl. AÜG AuR AVmG AWbG
XVIII
Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindergesetz) 1957 Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) 1957 Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Arbeitsrecht in Stichworten Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeitsgenehmigungsverordnung Artikel Anwerbestoppausnahmeverordnung Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsgesetz Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) 1972 Arbeit und Recht Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BA BAG BAVAZ BAT BAT-O BB BBG BBiG Bd. BDA Beil. BEEG BEM BerASichG BErzGG Beschäftigungschancengesetz BeschFG BeschSchG BetrAVG BetrSichVO BetrVG BetrVG 1952 BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BildschArbV BilMoG BImSchG BKK Bl. BMF
Bundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsgericht Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Betriebs-Berater Beitragsbemessungsgrenze Berufsbildungsgesetz 1969 Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Beilage Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Berufliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz 2004 Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) 1985 Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz) 2001 Beschäftigtenschutzgesetz Betriebsrentengesetz Betriebssicherheitsverordnung Betriebsverfassungsgesetz 1972 Betriebsverfassungsgesetz 1952 Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Bildschirmarbeitsverordnung Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundes-Immissionsschutzgesetz Betriebskrankenkasse Blatt Bundesministerium für Finanzen XIX
Abkürzungsverzeichnis
BMT-G BMWA BPersVG br BR-Drucks. BRTV-Bau BSDG BSeuchG BSG BSGE BSHG BSSichG BStBl. BT-Drucks. BUrlG BuW BNichtrSchG BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. ca. CGM CGZP ChemG ChGlFöG
DA DAG DB XX
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundespersonalvertretungsgesetz 1974 Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesratsdrucksache Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (BundesSeuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Breitragssatzsicherungsgesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) 1963 Betrieb und Wirtschaft Bundesnichtraucherschutzgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise circa Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) 1994 Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten Gewerkschaft Der Betrieb
Abkürzungsverzeichnis
DBGrG DCGK ders. DGB d. h. DKK DLW DNotZ DOK DP DrittelbG DSAG DStR DStRE EAS EBRG EBR-Richtlinie EFG EFTA EFZG EG EGBGB ELENA-VerfahrensG EstB EGV EGMR EMRK ErfK ESC EStG etc. EU EuGH
Gesetz über die Gründung der Deutschen Bahn-AG Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Däubler/Kittner/Klebe Dörner/Luczak/Wildschütz Deutsche Notarzeitschrift Zeitschrift für "Ortskrankenkassen" Das Personalbüro Drittelbeteiligungsgesetz Datenschutzauditgesetz Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerrechtentscheidung Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) 1996 Europäische Betriebsräte Richtlinie Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Agreement Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) 1994 Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises Einkommenssteuerberater Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft 1997 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof XXI
Abkürzungsverzeichnis
EUZBLG
EWG EWiR EzA
Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 1980 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
FPfZG f. ff. FG Fitting FMStG Fn. FR FS
Familienpflegezeitgesetz folgend fortfolgende Finanzgericht Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau (Dt. Steuerblatt) Festschrift
GA-AÜG
Geschäftsanweisung zum AÜG von der Bundesagentur für Arbeit (Stand 12/2011) Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe gemeinsam(e) Gendiagnostikgesetz Gentechniksicherheitsverordnung Gewerbeordnung 1869 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union
EuZW EUV e. V. evtl. EVÜ
GefStoffV gem. GenDG GenTSV GewO GG ggf. GK GK-KR GmbHR GmS-OBG GNBZ GRC XXII
Abkürzungsverzeichnis
GRUR GS GSG GWB
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gerätesicherheitsgesetz 1992 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HAG HaKo-KSchR Halbs. h. M. HGB HinGebSchG SWG
Heimarbeitergesetz Handkommentar- Kündigungsschutzrecht Halbsatz herrschende Meinung Handelsgesetzbuch 1897 Hinweisgeberschutzgesetz Hess/Schlochauer/Worzolla/Glock
i. d. F. i. E. i. H. a. INF InKDG
in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf Die Information über Steuer und Wirtschaft Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung 1994 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten Investmentgesetz im Sinne des Verordnung über Arbeitsgenehmigungen Verordnung über Aufenthaltsgenehmigungen IT-Rechtsberater in Verbindung mit
InsO Institutsvergütungsverordnung InvG i. S. d. IT-ArGV IT-AV ITRB i. V. m. JArbSchG JuMoG KDZ Kap. KAPOVAZ KassArbR
Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) 1976 Justizmodernisierungsgesetz Kittner/Däubler/Zwanziger (Hrsg.) Kündigungsschutzrecht Kommentar 8. Aufl., 2011 Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
KassKomm KG KO KPK KR K&R krit. KSchG KuG LadschlG LAG LAGE LasthandhabV LFZG Lit. LPartG LPartÜAG LS LStDV m. MDR m. E. MERL MgVG m. w. N. MindArbBedG MinLohnG MitbestG MitbestErgG XXIV
Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Kammergericht Konkursordnung Kölner Praxiskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften Kommunikation und Recht kritisch Kündigungsschutzgesetz 1969 Kurzarbeitergeld Ladenschlussgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Lastenhandhabungsverordnung Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) 1969 Literatur Lebenspartnergesetz Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Leitsatz Lohnsteuer-Durchführungsverordnung mit Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Massenentlassungsrichtlinie Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mit weiteren Nachweisen Mindestarbeitsbedingungsgesetz Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) 1976 Mitbestimmungsergänzungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
MontanMitbestG Montan-MitbestErgG MTV MünchArbR MüKo MuSchG NachwG
Montan-Mitbestimmungsgesetz Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz Manteltarifvertrag Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) 1968
n. F. NJW Nr. Nrn. NZS n. v. NZA NZA-RR NZG
Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) neue Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Sozialrecht (noch) nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
OLG
Oberlandesgericht
PatG PersR PersVG NW
Patentgesetz 1980 Personalrat Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Pflegeversicherungsgesetz Pflegezeitgesetz Pflege-Weiterentwicklungsgesetz Preisklauselgesetz Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung von Ausrüstungen bei der Arbeit
PflegeVG PflegeZG PfWG PreisKlG PSABV PSDG PSH-BV PSV PW
Verordnung über die Benutzung persönlicher Schutzausrüstung Pensionssicherungsverein Preis/Willemsen
XXV
Abkürzungsverzeichnis
RabattG RAG RAGE
Rabattgesetz Reichsarbeitsgericht Entscheidungssammlung des Reichsarbeitsgerichts RdA Recht der Arbeit RDV Recht der Datenverarbeitung Risikobegrenzungsgesetz Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie(n) Rz. Randzahl/Randziffer Rs. Rechtssache RsprEinhG Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes 1968 RV-LeistungsverGesetz über Leistungsverbesserungen besserungsgesetz in der gesetzlichen Rentenversicherung RVO Reichsversicherungsordnung 1911 RzK Rechtsprechung zum Kündigungsrecht s. S. Sachgeb. SAE SchwarzArbG SchwbG SE SEAG SEBG SeemG SGB I SGB III SGB IV SGB V
XXVI
siehe Seite bzw. Satz Sachgebiet Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft – Schwerbehindertengesetz (1986) Europäische Gesellschaft SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz Seemannsgesetz 1957 Sozialgesetzbuch, I. Buch - Allgemeiner Teil 1975 Sozialgesetzbuch, III. Buch - Arbeitsförderung 1997 Sozialgesetzbuch, IV. Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung 1976 Sozialgesetzbuch, V. Buch - Gesetzliche Krankenversicherung 1988
Abkürzungsverzeichnis
SGB VI SGB VII SGB IX SGB X SGB XI SGb SigG s. o. sog. SozplKonkG SozR SPE spi SprAuG SpTrUG StGB st. Rspr. Tarifautonomie stärkungsgesetz TKG TransPuG TVG TVöD TzBfG u. a. u. ä.
Sozialgesetzbuch, VI. Buch - Gesetzliche Rentenversicherung 1989 Sozialgesetzbuch, VII. Buch - Gesetzliche Unfallversicherung 1996 Sozialgesetzbuch, IX. Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2001 Sozialgesetzbuch, X. Buch - Verwaltungsverfahren 1980/82 Sozialgesetzbuch, XI. Buch - Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit 1994 Die Sozialgerichtsbarkeit Signaturgesetz siehe oben sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht, Entscheidungssammlung Societas Privata Europaea (=Statut der Europäischen Privatgesellschaft) sozialpolitische Informationen Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) 1988 Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Strafgesetzbuch 1871 ständige Rechtsprechung Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie Telekommunikationsgesetz Transparenz- und Publizitätsgesetz Tarifvertragsgesetz 1969 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge 2001 unter anderem und ähnlich
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
ÜbernG UmlFinG UmwG UrhG usw. UVV v. VAG VermbG VermG VersAusglG vgl. VglO Vorbem. VorstAG VorstOG VVG VwGO VwVfG WahlO WhistleblowerSchutzgesetz WHSS WiB wib WissZeitG WM WpHG WPrax WpÜG
XXVIII
Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen 2002 Umlagefinanzierungsgesetz Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (Umwandlungsgesetz) 1994 Urheberrechtsgesetz 1965 und so weiter Unfallverhütungsvorschriften vom Versicherungsaufsichtsgesetz Vermögensbildungsgesetz Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Versorgungsausgleichsgesetz vergleiche Vergleichsordnung 1935 Vorbemerkung(en) Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Gesetz über den Versicherungsvertrag 1908 (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz 1976 Wahlordnung Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Wirtschaftliche Beratung Woche im Bundestag Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft Wertpapiermitteilungen Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsrecht und Praxis Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
Abkürzungsverzeichnis
WWKK
Wlotzke, Wissmann, Koberski, Kleinsorge: Mitbestimmungsrecht
z. B. ZDG
zum Beispiel Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung 1877 Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz
ZESAR ZEuP ZfA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZPO ZSEG z. T. ZTR zust. ZustRG
XXIX
A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.
Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst
Im Herbst hatten wir über die wesentlichen Bestandteile des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst 1 berichtet 2. Auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 3 ist es mit Änderungen gegenüber der im Herbst erörterten Fassung verabschiedet worden und am 1.5.2015 4 in Kraft getreten 5. Nachfolgend sollen die für die Privatwirtschaft wichtigen Aspekte noch einmal zusammengefasst werden. Wegen der Veränderungen im Bundesgleichstellungsgesetz mit Wirkung für die Bundesgerichte, die unmittelbare und mittelbare Bundesverwaltung sowie Unternehmen in bundeseigener Verwaltung sei auf die früheren Ausführungen verwiesen 6.
a)
Geschlechterquote im Aufsichtsrat bei „voller“ Mitbestimmung börsennotierter Gesellschaften
Nach § 96 Abs. 2 S. 1 AktG muss sich bei börsennotierten Gesellschaften, für die das MitbestG, das Montan-MitbestG oder das MitbestErgG gilt, der Aufsichtsrat zu mindestens 30 % aus Frauen und 30 % aus Männern zusammensetzen. Für die Arbeitnehmervertreter werden entsprechende Vorgaben im MitbestG, dem Montan-MitbestG und dem MitbestErgG getroffen. Beispielhaft sei insoweit nur auf § 7 Abs. 3 MitbestG verwiesen. Entgegen der ursprünglichen Konzeption ist der Mindestanteil auf Seiten der Aktionäre und der Arbeitnehmer nicht gesondert zu erfüllen. Vielmehr schreibt § 96 Abs. 2 S. 2 AktG vor, dass der Mindestanteil grundsätzlich vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen ist. Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter werden also übergreifend betrachtet. Dieser Betrachtungsweise kann jede der beiden Seiten auf der Grundlage eines mit Mehrheit gefassten 1 2 3 4 5 6
Vgl. BT-Drucks. 18/3784, 18/4053. B. Gaul, AktuellAR 2014, 300 ff. BT-Drucks. 18/4227. BGBl. I 2015, 642 ff. Eingehend Teichmann/Rüb, BB 2015, 898 ff.; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291 ff.; Röder/Arnold, NZA 2015, 279 ff.; Herb, DB 2015, 964 ff. B. Gaul, AktuellAR 2014, 300 ff.
1
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Beschlusses gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden widersprechen. Dies muss vor der Wahl nach Maßgabe von § 124 AktG bekannt gegeben werden. Bei den Wahlen der Anteilseignervertreter muss der Vorstand den Vorschlag eines Aktionärs zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern jeweils auch mit den Hinweisen versehen, ob die Geschlechterquote erfüllt wird, ob der Gesamterfüllung widersprochen wurde und wie viele der Sitze im Aufsichtsrat jeweils von Frauen und Männern erfüllt sein müssen, um das Mindestquorum des § 96 Abs. 2 AktG zu erfüllen (§ 127 AktG). Bei einem Widerspruch gegen die Gesamterfüllung ist der Mindestanteil für diese Wahl von der Seite der Anteilseigner und der Seite der Arbeitnehmervertreter getrennt zu erfüllen. Für die nächste Wahl gilt dann allerdings wieder eine Gesamtbetrachtung, falls nicht erneut durch eine der beiden Seiten widersprochen wird. Verringert sich bei einer (erstmaligen) Gesamterfüllung der höhere Frauenanteil einer Seite nachträglich und widerspricht sie nun der Gesamterfüllung, wird dadurch die Besetzung auf der anderen Seite aber nicht unwirksam. Die bestehenden Mandate der Aufsichtsratsmitglieder bleiben hiervon unberührt (§ 96 Abs. 2 S. 5 AktG). Wenn eine getrennte Bewertung von Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite erfolgt, hat dies für die Arbeitnehmerseite eine Differenzierung zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer und den Vertretern der Gewerkschaft zur Folge. Einzelheiten folgen aus § 18 a MitbestG. Danach müssen in einem Aufsichtsrat mit 12 oder 16 Mitgliedern unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer mindestens eine Frau und mindestens ein Mann und unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Gewerkschaft jeweils eine Frau und ein Mann vertreten sein. Im zwölfköpfigen Aufsichtsrat bewirkt die getrennte Bewertung damit keine Veränderung der Zahl der Personen eines Geschlechts (4). Im sechszehnköpfigen Aufsichtsrat müssen bei getrennter Betrachtungsweise hingegen nur vier Personen jeden Geschlechts vertreten sein, wohingegen bei einer Gesamtbetrachtung mindestens fünf Personen jeden Geschlechts vertreten sein müssen. Das folgt aus dem Prinzip der Auf- und Abrundung. In einem Aufsichtsrat mit 20 Mitgliedern müssen bei einer getrennten Betrachtungsweise unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer mindestens zwei Frauen und mindestens zwei Männer und unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Gewerkschaft jeweils eine Frau und ein Mann vertreten sein. Das folgt aus der Vorgabe, dass in allen Fällen nach mathematischen Grundsätzen auf volle Personenzahl auf- oder abzurunden ist (§ 96 Abs. 2 S. 4 AktG). Wenn die Geschlechterquote bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nicht beachtet wird, führt dies zum „leeren Stuhl“. Denn eine Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung und eine Entsendung 2
Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern
in den Aufsichtsrat unter Verstoß gegen den Mindestanteil des jeweiligen Geschlechts ist nach § 96 Abs. 2 S. 6 AktG nichtig. In vergleichbarer Weise bestimmt § 18 a Abs. 2 MitbestG, das die Wahl desjenigen Bewerbers unwirksam ist, mit dessen Eintritt in den Aufsichtsrat ein Überschreiten der Geschlechterquote des jeweils anderen Geschlechts bewirkt würde. In entsprechender Weise wird das Nachrücken eines Ersatzmitglieds ausgeschlossen, wenn dadurch der Anteil von Frauen und Männern unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer nicht mehr der Geschlechterquote entspricht (§ 17 Abs. 3 MitbestG). In allen Fällen ist der „leere Stuhl“ durch eine gerichtliche Ersatzbestellung nach § 104 AktG oder durch Nachwahl zu füllen, die § 96 Abs. 2 S. 1 bis 5 AktG beachten muss (§ 104 Abs. 5 AktG). Die Geschlechterquote, die mit ergänzenden Regelungen auch im MontanMitbestG und MitbestErgG verknüpft ist, soll bei Wahlen zur Anwendung kommen, die nicht bis zum 31.12.2015 abgeschlossen sind. Eine Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer gilt insoweit als abgeschlossen, wenn die Bekanntmachung der Mitglieder des Aufsichtsrats nach § 19 Abs. 1 MitbestG durch das zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugte Organ erfolgt ist. Auf die spätere Bekanntmachung im Bundesanzeiger soll es nicht ankommen (vgl. nur § 40 MitbestG). Bestehende Mandate werden davon nicht berührt. Sie können bis zu ihrem regulären Ende wahrgenommen werden. Ggf. ist die Neubesetzung nach Maßgabe der Quote sukzessive vorzunehmen (§ 25 Abs. 2, 3 AktGEG).
b)
Frauenquote für Aufsichtsrat, Vorstand/Geschäftsführung und obere Führungsebenen
Als Folge weiterer Änderungen im AktG, im GmbHG und im Genossenschaftsgesetz (GenG) ist die Verpflichtung geschaffen worden, für den Aufsichtsrat, den Vorstand bzw. die Geschäftsführung und die beiden oberen Führungsebenen einer Gesellschaft, die börsennotiert ist oder unter eine gesetzliche Regelung zur Unternehmensmitbestimmung fällt, eine Frauenquote festzusetzen. Den Aufsichtsrat trifft dabei die Pflicht, für die Erhöhung des Frauenanteils im Aufsichtsrat und im Vorstand Zielgrößen festlegen. Entsprechende Vorgaben müssen für die Geschäftsführung der GmbH festgesetzt werden, sofern die Gesellschaft unter ein Mitbestimmungsstatut fällt (vgl. nur §§ 111 Abs. 5 AktG, 52 Abs. 4 GmbHG). Die Frauenquote für den Aufsichtsrat entfällt allerdings dann, wenn dort die Regelungen zur Geschlechterquote zur Anwendung kommen (§ 111 Abs. 5 S. 5 AktG).
3
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Mit der Festsetzung der Zielgrößen sind Fristen festzulegen, innerhalb derer diese Größen erreicht werden sollen. Die Fristen dürfen nicht länger als fünf Jahre sein. Die ersten Zielgrößen nach Inkrafttreten des Gesetzes müssen allerdings bis zum 30.9.2015 bestimmt werden und dürfen sich nur auf den Zeitraum bis zum 30.6.2017 beziehen (vgl. nur §§ 25 Abs. 1 AktGEG, 5 EGGmbHG). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass erste Ergebnisse dieser Neuregelung noch vor der nächsten Bundestagswahl erkennbar werden. Eine inhaltliche Vorgabe für die Kennzeichnung einer Zielgröße sieht das Gesetz nicht vor. Insofern kann die Zielgröße als Zahl oder als Prozentsatz bestimmt werden. Ob dabei an umgerechneten Vollzeitbeschäftigten (FTE) oder an Köpfen angeknüpft wird, lässt das Gesetz offen. Hier besteht ein Spielraum für die Gesellschaften. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 %, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten (vgl. §§ 111 Abs. 5 S. 2 AktG, 36 S. 2, 52 Abs. 2 S. 3 GmbHG). Bei einem erreichten Frauenanteil von 30 % oder mehr dürfen die Zielgrößen 30 % nicht mehr unterschreiten. Überwiegend wird diese Regelung so verstanden, dass damit schon die erste Schranke den tatsächlich erreichten Frauenanteil nicht unterschreiten darf, sofern diese nicht größer als 30 % ist. Zwingend erscheint dies dem Wortlaut nach allerdings nicht; vertretbar wäre auch die Annahme, dass nur die erneute Festsetzung einer Zielgröße nicht mehr hinter den Wert zurückfallen darf, der bereits erreicht wurde, sofern die Größe ohnehin den Wert von 30 % nicht übersteigt. Im Übrigen aber ist eine Korrektur von Zielgrößen, die entgegen der ersten Erwartung nicht erreicht werden, damit grundsätzlich zulässig, auch wenn dies unternehmenspolitisch möglicherweise nicht wünschenswert ist. Ergänzend hierzu legen der Vorstand bzw. die Geschäftsführer einer Gesellschaft, die der Mitbestimmung unterliegt, für die Erhöhung des Frauenanteils in den beiden Führungsebenen unterhalb von Vorstand bzw. Geschäftsführung entsprechende Zielgrößen fest (§§ 76 Abs. 4 AktG, 36 GmbHG). Folgt man den weitgehend unklaren Ausführungen in der Gesetzesbegründung, sind unter einer Hierarchieebene insoweit organische Einheiten zu sehen, die zueinander gleichberechtigt, aber einer gemeinsamen Führung untergeordnet sind. Im Zweifel soll die Ebene erfasst werden, die an den Vorstand berichtet. Darüber hinaus ist die Ebene einzubeziehen, die an eine Ebene berichtet, die wiederum dem Vorstand berichtet. Voraussetzung ist, dass die jeweilige Ebene selbst die Aufgabe hat, Mitarbeiter zu führen.
4
Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern
Die Umsetzung dieser Vorgabe dürfte in der betrieblichen Praxis angesichts dieser unklaren Vorgabe zur Kennzeichnung einer Führungsebene eine Herausforderung sein. Dies gilt insbesondere deshalb, weil keine Gewichtung des Werts einer Stelle bzw. der mit einer Stelle verbundenen Führung vorgesehen ist. Insofern könnten Bereichsleiter mit einer Verantwortung für mehrere hundert Mitarbeiter ebenso erfasst werden, wie ein Arbeitnehmer, der nur gegenüber einem einzigen weiteren Arbeitnehmer weisungsbefugt ist. Geboten erscheint, mit dem Verweis auf die fehlende „Gleichberechtigung“ der Personen auch dann keine Einbeziehung vorzunehmen, wenn von beiden Stellen aus unmittelbar einem Mitglied des Vorstands bzw. der Geschäftsführung berichtet wird. Dies ist insbesondere bei vorstandsnahen Assistenzoder Stabsfunktionen der Fall. Vielmehr wird man im Rahmen einer Einschätzungsprärogative der Geschäftsführung bzw. des Vorstands die funktionale und gewichtende Betrachtungsweise zugrunde legen müssen, die auch in Bezug auf die übrige Bewertung der Führungsebenen eines Unternehmens zum Tragen kommt. Maßstab dabei können die Führungsspanne, Budgetverantwortung, Berichtslinien, Bedeutung der verantworteten Bereiche oder die Vergütung sein 7. Problematisch ist darüber hinaus, dass das Gesetz bei der Festsetzung der Frauenquote für die oberen beiden Führungsebenen eine unternehmensbezogene Betrachtung verfolgt. Es gibt weder eine Konzernklausel noch unternehmensübergreifende Pflichten 8. Auch bleibt die tatsächliche Praxis unberücksichtigt, in der – insbesondere in Matrix-Strukturen - unternehmensübergreifende Leitungsfunktionen und Hierarchieebenen bestehen. Folgt man dem Wortlaut, sind unternehmensübergreifende Hierarchieebenen nicht zu berücksichtigen. Das ist letztlich auch Folge des Umstands, dass es für die Geschäftsführung oder den Vorstand einer Gesellschaft im Zweifel nur selten möglich sein dürfte, die Einhaltung dieser Quote auch in den anderen Konzernunternehmen durchzusetzen. Hinzu kommt, dass bei mehreren Unternehmen eines Konzerns, die jeweils unter die Regelungen zur Frauenquote fallen, das Problem einer ggf. widersprechenden Festlegung der Führungsebenen bestünde. Ebenso wie bei der Geschlechterquote im Aufsichtsrat sieht das Gesetz keine Ausnahmeregelung vor. Allerdings führt das Verfehlen der Frauenquote nicht zu einer Sanktion. Eine Einstellung oder Beförderung von Arbeitnehmern ist also ebenso wirksam, wie die Anstellung bzw. Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern, Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern, selbst 7 8
Vgl. Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 294. Ebenso Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 902.
5
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
wenn damit die festgelegte Quote verfehlt wird. Umgekehrt rechtfertigt die Quote allerdings auch nicht, wegen des Geschlechts zu begünstigen. Das wäre nur in den Grenzen von § 5 AGG zulässig. Wichtig dürfte sein, in der Praxis bis zum 30.9.2015 differenzierte Lösungen zu finden, die den Besonderheiten in Aufsichtsrat, Geschäftsführung bzw. Vorstand und den beiden oberen Führungsebenen Rechnung tragen. Einerseits können dabei für die jeweiligen Funktionen und Ebenen unterschiedliche Zielgrößen bestimmt werden. Andererseits können die unterschiedlichen Bereiche allerdings auch zusammengerechnet werden, soweit es sich um eine Führungsebene handelt. Denkbar ist auch, dass für bestimmte Bereiche eines Unternehmens verschiedene Quoten bzw. Zeiträume, innerhalb derer die Quoten erreicht werden sollen, festgelegt werden.
c)
Handelsrechtliche Publikationspflichten
Die Sanktion des „leeren Stuhls“ bei der Geschlechterquote ist ergänzt worden durch die Verpflichtung, das Erreichen bzw. Verfehlen der Geschlechterquote im Aufsichtsrat für Geschäftsjahre mit einem Abschlussstichtag nach dem 31.12.2015 in der Erklärung zur Unternehmensführung zu behandeln. Obwohl das Gesetz keine Ausnahmen vorsehen soll, gehören hierzu auch die Gründe, falls die Quote nicht erreicht wird (§ 289 a Abs. 2 Nr. 4 HGB, HGBEG). Im Übrigen besteht die Verpflichtung, bei Geschäftsjahren mit einem Abschlussstichtag nach dem 30.9.2015 in einem gesonderten Abschnitt des Lageberichts der Gesellschaften, die der Mitbestimmung unterliegen, eine Erklärung zur Unternehmensführung mit den Zielgrößen für den Frauenanteil und den Fristen für deren Erreichung aufzunehmen. Wenn die Ziele nicht erreicht werden, gehören hierzu ebenfalls Angaben zu den Gründen. Gesellschaften, die nicht zur Offenlegung des Lageberichts verpflichtet sind, haben eine Erklärung mit diesen Festlegungen und auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen oder ihren Lagebericht offenzulegen (§ 289 a Abs. 1, 2, 4 HGB, HGBEG).
d)
Fazit
Es bleibt abzuwarten, wie die Praxis mit den Quoten umgehen wird. Gerade die Konzerne mit einer unternehmensübergreifenden Steuerung werden hier eine grundsätzliche Entscheidung zum Anwendungsbereich treffen müssen. Spannend wird es darüber hinaus bei solchen Unternehmen, die die Frauenquote im Vorstand derzeit nicht erfüllen. Denn in der Festsetzung einer solchen Quote, wenn diese aus politischen Gründen nicht – was zulässig wäre – 6
Gesetz zur Flexibilisierung der Elternzeit und zur Einführung von Elterngeld Plus
bei Null liegen soll, wird man die Ankündigung sehen müssen, den Vertrag, der als nächstes ausläuft, nicht mehr zu verlängern. Andernfalls müsste die Geschäftsführung oder der Vorstand erweitert werden, um die Quote zu erfüllen. Alternativ könnte die Quote „gerissen“ werden. Dies aber müsste mit Publizität offengelegt und begründet werden. (Ga)
2.
Gesetz zur Flexibilisierung der Elternzeit und zur Einführung von Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus
Im Herbst hatten wir über den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im BEEG 9 berichtet 10. Das Gesetz ist inzwischen verabschiedet 11 und gilt in Bezug auf die wesentlichen Veränderungen zur Elternzeit für Kinder, die nach dem 30.6.2015 geboren werden. Die vollständige Neufassung lässt sich der Bekanntmachung vom 27.1.2015 entnehmen 12. Zu erwarten ist, dass sich der Anteil der Väter, die Elternzeit Anspruch nehmen, weiter erhöht. Damit verbunden wird sich die betriebliche Praxis darauf einstellen müssen, dass durch beide Elternteile verstärkt Wünsche nach einer Teilzeit während der Elternzeit geltend gemacht werden, die als Folge der Veränderungen in §§ 15, 16 BEEG in Bezug auf die Dauer und möglicherweise auch die Lage der Arbeitszeit nur noch aus dringenden betrieblichen Gründen abgelehnt werden können. Die damit verbundene Flexibilisierung der Elternzeit wirkt bis zur Vollendung des achten Lebensjahres. Unter Berücksichtigung der letzten Veränderungen, die die Beratungen im Bundestag mit sich gebracht haben, sollen die Kernpunkte der gesetzlichen Neuregelung nachfolgend noch einmal zusammengefasst werden.
a)
Elterngeld, Elterngeld Plus und Partnerschaftsbonus
Die bisherigen Regelungen zum Elterngeld für die Dauer von 12 bzw. 14 Monaten bleiben bestehen. Allerdings ist durch Änderungen in § 4 BEEG die Möglichkeit geschaffen worden, dass die berechtigte Person statt für einen Monat Elterngeld jeweils zwei Monate lang ein Elterngeld Plus bezieht. Das Elterngeld Plus beträgt monatlich höchstens die Hälfte des Elterngeldes,
9 10 11 12
BT-Drucks. 18/2583, BR-Drucks. 355/14. B. Gaul, AktuellAR 2014, 315 ff. BGBl. I 2014, 2327 ff. BGBl. I 2015, 33 ff.
7
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
das der berechtigten Person zustünde, wenn sie während des Elterngeldbezugs keine Einnahmen i. S. des § 2 BEEG oder des § 3 BEEG hätte oder hat. Auf diese Weise können vor allem Eltern, die nach der Geburt des Kindes in Teilzeit arbeiten, länger vom Elterngeld profitieren. Der Mindestbetrag des Elterngeldes in Höhe von 300 € (§ 2 Abs. 4 BEEG) wird beim Elterngeld Plus halbiert (§ 4 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 BEEG). Die Regelungen über die Anrechnung des Einkommens während der Elternzeit werden für die Dauer des Elterngeld Plus indes nicht verändert. Auch das Elterngeld Plus wird also durch Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung reduziert, dafür aber doppelt so lange gewährt. Wie bisher setzt eine Verlängerung des Anspruchs auf Elterngeld von 12 auf 14 Monate voraus, dass beide Teile jedenfalls für mindestens zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vornehmen. In welchem Umfang dies geschieht, legt der Gesetzgeber (weiterhin) nicht fest. Über diese Partnermonate hinaus ist ein Partnerschaftsbonus eingeführt worden, der mit einem weiteren Anspruch auf vier Monate Elterngeld Plus für jedes Elternteil verknüpft ist. Voraussetzung ist, dass beide Elternteile in vier aufeinanderfolgenden Lebensmonaten gleichzeitig 1. nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sind und 2. die Voraussetzungen des § 1 BEEG erfüllen.
Dies soll Eltern veranlassen, das gesetzlich vorgegebene „Zeitarrangement“ auszuprobieren und in eine partnerschaftliche Aufgabenteilung hineinzuwachsen. Für diesen Zeitraum besteht grundsätzlich auch ein Teilzeitanspruch während der Elternzeit gemäß § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 BEEG. Ergänzend zu dieser Regelung in § 4 Abs. 4, 5 BEEG wird durch § 4 Abs. 6 BEEG die Möglichkeit geschaffen, dass auch Alleinerziehende unter bestimmten Voraussetzungen eine dem Partnerschaftsbonus entsprechende Verlängerung des Anspruchs auf Elterngeld Plus geltend machen können.
b)
Flexibilisierung der Elternzeit
Durch eine Änderung von § 15 Abs. 2 BEEG ist für beide Elternteile das Recht geschaffen worden, bei den nach dem 30.6.2015 geborenen Kindern einen Anteil der Elternzeit von bis zu 24 Monaten zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch zu nehmen. Die bisherige Regelung wird damit von 12 auf 24 Monate ausgedehnt. Außerdem wird darauf verzichtet, eine solche Übertragung von einer Zustimmung des Arbeitgebers abhängig zu machen.
8
Gesetz zur Flexibilisierung der Elternzeit und zur Einführung von Elterngeld Plus
Nicht erforderlich ist, die Überlegungen in Bezug auf eine spätere Inanspruchnahme in der Zeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres dem Arbeitgeber gegenüber anzukündigen. Es genügt, wenn die Elternzeit für den Zeitraum zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes spätestens 13 Wochen vor Beginn der Elternzeit schriftlich vom Arbeitgeber verlangt wird. Lediglich die Elternzeit, die bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres in Anspruch genommen wird, ist zukünftig an die kurze Erklärungsfrist von sieben Wochen geknüpft. Ergänzend hierzu soll in § 16 Abs. 1 S. 6 BEEG gewährleistet werden, dass jeder Elternteil seine Elternzeit auf drei Zeitabschnitte verteilen kann. Eine Zustimmung des Arbeitgebers ist grundsätzlich nur erforderlich, wenn die Elternzeit auf weitere Zeitabschnitte verteilt werden soll. Relevant wird dies insbesondere dann, wenn nach den ersten beiden Jahren der Elternzeit ein weiteres Jahr vor Vollendung des dritten Lebensjahres genommen werden soll. Hierfür ist eine Zustimmung des Arbeitgebers nicht (mehr) erforderlich. Eine Ausnahme von dem Erfordernis einer fehlenden Zustimmung bestimmt allerdings § 16 Abs. 1 S. 7 BEEG. Danach kann der Arbeitgeber die Inanspruchnahme eines dritten Abschnitts einer Elternzeit innerhalb von acht Wochen nach Zugang des Antrags aus dringenden betrieblichen Gründen ablehnen, wenn dieser Abschnitt im Zeitraum zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes liegen soll. Die vorstehenden Möglichkeiten einer Inanspruchnahme von Elternzeit gelten auch nach einem Arbeitgeberwechsel. Um den betroffenen Arbeitgebern eine gewisse Klarheit zu verschaffen, hat der vorangehende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Elternzeit zu bescheinigen. Diese Bescheinigung ist bei der Anmeldung von Elternzeit im Rahmen eines Anschlussarbeitsverhältnisses auf Verlangen vorzulegen. Dies vermeidet eine mehrfache Inanspruchnahme der Elternzeit, ohne dass damit allerdings eine Verbesserung der Planungssituation für den Arbeitgeber verknüpft ist. Eine Befugnis, nach der in Anspruch genommenen Elternzeit bereits im Bewerbungsgespräch zu fragen, wird durch § 16 Abs. 1 S. 8, 9 BEEG nicht begründet. Im Gegenteil steht zu besorgen, dass darin eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts zu sehen ist. Wie an anderer Stelle ausgeführt wird 13, gilt dies erst recht dann, wenn insoweit an einem tradierten Rollenverständnis von Männern und Frauen in Bezug auf die Übernahme familiärer Aufgaben angeknüpft wird 14.
13 Vgl. Boewer, AktuellAR 2015, 52 ff. 14 Vgl. BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, DB 2015, 506 Rz. 29.
9
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
c)
Flexibilisierung der Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit
Der Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung kann in jeder Phase der Elternzeit geltend gemacht werden. Betroffen hiervon sind also auch solche Zeiten, die zwischen der Vollendung des dritten Lebensjahres und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes liegen. § 7 S. 1 Nr. 5 BEEG stellt allerdings klar, dass die Geltendmachung des Anspruchs auf Teilzeit 13 Wochen vor Beginn der Teilzeittätigkeit schriftlich mitgeteilt werden muss. Die gesetzliche Neuregelung soll auch das Recht erleichtern, eine bestimmte Verteilung durchzusetzen. Dies stellt nicht nur § 15 Abs. 5 BEEG klar, wonach die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer eine Verringerung der Arbeitszeit und ihre Verteilung geltend machen kann. Über diesen Antrag sollen sich die Arbeitsvertragsparteien binnen einer Frist von vier Wochen einigen. In § 15 Abs. 6, 7 BEEG spricht der Gesetzgeber dann allerdings nur noch von der Möglichkeit, einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit durchzusetzen. Unklar ist, ob darin eine versehentliche Regelungslücke zu sehen ist oder ob der Gesetzgeber eigentlich die dort getroffenen Regelungen zum Anspruch auf Verringerung auch auf die begehrte Verteilung übertragen wollte. Dafür spricht, dass die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin als festgelegt gilt, wenn keine Einigung erzielt wurde und der Arbeitgeber nicht innerhalb von vier Wochen (bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres) oder von acht Wochen (zwischen dem dritten Geburtstag und der Vollendung des achten Lebensjahres) schriftlich abgelehnt hat. Dies vermeidet, dass der Arbeitnehmer trotz eines Schweigens des Arbeitgebers Klage vor den Gerichten für Arbeitssachen mit dem Ziel erheben muss, die Zustimmung des Arbeitgebers zu dem Antrag auf Teilzeitbeschäftigung zu erhalten. Eine solche Klage ist zukünftig nur dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber den Antrag auf Verringerung oder Verteilung der Arbeitszeit rechtzeitig und mit der im Gesetz vorgesehenen Begründung abgelehnt hat. Dagegen spricht, dass bei der Geltendmachung eines Anspruchs auf Absenkung der Arbeitszeit zwar Beginn und Umfang der verringerten Arbeitszeit genannt werden müssen. Die gewünschte Verteilung der verringerten Arbeitszeit „soll“ in dem Antrag nur genannt werden. Lehnt man einen Anspruch auf eine bestimmte Form der Verteilung aus § 15 Abs. 6, 7 BEEG ab, kann sich der betroffene Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin nur auf eine Einschränkung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts aus §§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB berufen. Denn dieses verpflichtet 10
Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
den Arbeitgeber, bei seiner Entscheidung über die Verteilung der Arbeitszeit auch die Arbeitnehmerinteressen angemessen zu berücksichtigen.
d)
Kündigungsschutz nach § 18 BEEG
Der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 S. 1 BEEG soll nach dem Willen der Bundesregierung beginnen 1. frühestens 8 Wochen vor Beginn einer Elternzeit bis zum vollendeten 3. Lebensjahr des Kindes und 2. frühestens 14 Wochen vor Beginn einer Elternzeit zwischen dem 3. Geburtstag und dem vollendeten 8. Lebensjahr des Kindes.
In der Praxis dürfte dies zur Folge haben, dass Arbeitnehmer Elternzeit zunehmend auch mit dem Ziel in Anspruch nehmen, Schutz vor einer bevorstehenden Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zu erhalten. Dies wird schon durch den Umstand erleichtert, dass die „Mitnahme“ einer für diese Zwecke nutzbaren „Restelternzeit“ ohne Zustimmung des Arbeitgebers erfolgen kann. Der gleiche Kündigungsschutz gilt nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BEEG weiterhin für Teilzeitbeschäftigte, die – auch ohne Elternzeit in Anspruch zu nehmen – einen Anspruch auf Elterngeld haben. Dieser Sonderkündigungsschutz besteht aber maximal bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes. (Ga)
3.
Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
Im Herbst hatten wir über den Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf berichtet 15, den die Bundesregierung am 16.10.2014 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hatte 16. Es ist inzwischen verabschiedet und am 1.1.2015 in Kraft getreten 17. Mit der Neuregelung sind Klarstellungen in Bezug auf bestehende Regelungen sowie eine Vereinfachung und daraus folgend eine Erleichterung der Inanspruchnahme, insbesondere der Familienpflegezeit, verbunden. Wegen der Einzelheiten sei auf die Ausführungen im Herbst hingewiesen 18. Der enorme Aufwand, der 15 16 17 18
B. Gaul, AktuellAR 2014, 318 ff. BR-Drucks. 463/14 = BT-Drucks. 18/3124; BT-Drucks. 18/3157. BGBl. I 2015, 2462 ff. Vgl. auch Oberthür, ArbRB 2015, 49 ff.; Thüsing/Pötters, BB 2015, 181 ff.; Müller, BB 2014, 3125 ff.
11
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
eine wirtschaftliche Unterstützung durch staatliche Darlehen erzeugt, dürfte in der praktischen Anwendung allerdings (weiterhin) zur Folge haben, dass in der Regel einzelfallbezogene Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen werden, die eigene Lösungen für die Fragen der Arbeitszeit, der Vergütung und der Rückkehr in die bisherige Tätigkeit vorsehen. Auf zwei Aspekte sei allerdings hingewiesen: Zum einen sieht § 4 Abs. 4 PflegeZG in seiner Neufassung vor, dass der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, welcher der oder dem Beschäftigten für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der vollständigen Freistellung von der Arbeitsleistung um ein Zwölftel kürzen kann. Dies entspricht § 17 BEEG. Hier wie dort stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche Kürzung mit den unionsrechtlichen Vorgaben zur Gewährleistung eines Mindesturlaubsanspruchs vereinbar ist 19. Schließlicht geht der EuGH davon aus, dass ein Anspruch auf den Mindesturlaub ohne Rücksicht darauf besteht, ob und ggf. in welchem Umfang während des Kalenderjahres tatsächliche Arbeitsleistung erbracht wurde. Dieser Grundsatz wird durch das Recht auf eine Zwölftelung aufgehoben, sofern davon auch der Mindesturlaub betroffen ist. Zum anderen hat der Gesetzgeber den Kündigungsschutz klargestellt. Bislang enthielt § 5 Abs. 1 PflegeZG, der auch für die Familienpflegezeit gilt (§ 2 Abs. 3 FPfZG), eine Regelung, nach der der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung einer durch einen Pflegefall oder seine Vorbereitung begründeten Fehlzeit nicht kündigen durfte, sofern keine Zustimmung der obersten Landesbehörde erteilt worden ist. Dem Wortlaut nach konnte diese Ankündigung viele Jahre vor der tatsächlichen Inanspruchnahme erfolgen und damit auch schon vor diesem Zeitpunkt einen mehrjährigen Sonderkündigungsschutz auslösen. Diese Ungewissheit ist beendet. Mit der Neuregelung wird klargestellt, dass der Sonderkündigungsschutz auch bei langfristiger Ankündigung höchstens zwölf Wochen vor dem angekündigten Beginn der Freistellungsphase beginnt. Abschließend sieht §§ 7 Abs. 3 PflegeZG, 2 Abs. 3 FPfZG nunmehr vor, dass die nach PflegeZG oder FPfZG geförderte Freistellung auch zugunsten der Stiefeltern erfolgen kann. Diese Personengruppe war– möglicherweise den vereinfachenden Darstellungen deutscher Märchen folgend – bislang aus dem begünstigten Personenkreis einer Pflege ausgeschlossen gewesen. Ergänzend hierzu werden jetzt auch die Partner einer „lebenspartnerschafts-
19 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2014, 318 ff.
12
Betriebssicherheitsverordnung
ähnlichen Gemeinschaft“ sowie die Schwägerinnen und Schwäger erfasst. (Ga)
4.
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln - Betriebssicherheitsverordnung
Bereits im Herbst hatten wir auf die beabsichtigte Neufassung der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (BetrSichVO) berichtet 20. Unter Berücksichtigung kleinerer Veränderungen, die im Wesentlichen auf Vorschläge des Bundesrats zurückzuführen sind 21, ist die BetrSichVO inzwischen verabschiedet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden 22. Sie tritt am 1.6.2015 in Kraft 23. Für die betriebliche Praxis hat die BetrSichVO ganz erhebliche Bedeutung. Sie konkretisiert nicht nur die im Bereich des Arbeitsschutzes geltenden Vorgaben. Vielmehr schafft sie detailreiche und kaum erfüllbare Vorgaben in Bezug auf den Umgang mit Arbeitsmitteln, die vielfach auch mit Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verknüpft werden. Es ist erstaunlich, dass die Interessenvertreter der Arbeitgeberseite das Gesetzgebungsverfahren insoweit nahezu unkommentiert gelassen haben. Wichtig ist, dass die betriebliche Praxis sich auf die daraus folgenden Anforderungen einstellt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Gefährdungsanalyse und die daran geknüpfte Arbeitsunterweisung. Hier müssen die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Umsetzung jedenfalls in den Bereichen, in denen Arbeitsunfälle eintreten können, möglichst uneingeschränkt erfüllt werden. Soweit dies geschieht, ist auch für eine entsprechende Dokumentation Sorge zu tragen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass im Schadensfall die notwendige Exkulpation durch die Verantwortlichen nicht erfolgen kann. Entsprechendes gilt für die betriebliche Organisation zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben. § 4 Abs. 6 BetrSichVO verpflichtet den Arbeitgeber, die Belange des Arbeitsschutzes in Bezug auf die Verwendung von Arbeits20 21 22 23
B. Gaul, AktuellAR 2014, 323 ff . BR-Drucks. 400/1/14. BGBl. I 2015, 49 ff. Hierzu vgl. auch Wilrich, DB 2015, 981 ff.
13
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
mitteln angemessen in seine betrieblich Organisation einzubinden und hierfür die erforderlichen personellen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Auch insoweit ist der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beteiligen, wie der im Herbst behandelte Beschluss des BAG vom 18.3.2014 24 deutlich macht. Geschieht dies nicht, ist die mit der Organisation des Arbeitsschutzes in der Regel beabsichtigte Delegation von Handlungspflichten durch die Geschäftsführung bzw. den Vorstand auf die nachgeordneten Leitungsebenen unwirksam. Wir hatten darüber berichtet 25. (Ga)
5.
Verordnungen zur erleichterten Umsetzung des MiLoG
Mit den (ersten) drei Verordnungen zu §§ 16, 17 MiLoG versucht die Bundesregierung, den enormen administrativen Aufwand bei der Umsetzung der Aufzeichnungs- und Meldepflichten einzuschränken. Dabei handelt es sich um folgende Regelungen: • Verordnung zur Abwandlung der Pflicht zur Arbeitsaufzeichnung nach dem MiLoG und dem AEntG (Mindestlohnaufzeichnungsvorordnung MiLoAufzV) vom 26.11.2014, die Arbeitnehmer in ausschließlich mobilen Tätigkeiten betrifft. Sie ist am 1.1.2015 in Kraft getreten 26 • Verordnung über Meldepflichten nach dem MiLoG, dem AEntG und dem AÜG, die notwendige Klarstellungen für die gegenüber der Zollverwaltung bestehenden Meldepflichten betrifft. Mit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2015 ist die AEntG-Verordnung vom 10.9.2010 außer Kraft getreten 27. • Verordnung zu den Dokumentationspflichten nach den §§ 16 und 17 des MiLoG in Bezug auf bestimmte Arbeitnehmergruppen, durch die Arbeitnehmer mit einem verstetigten regelmäßigen Monatsentgelt von mehr als 2.958 € (brutto) aus den Melde- und Aufzeichnungspflichten der §§ 16, 17 MiLoG im Wesentlichen ausgegrenzt werden. Auch diese Verordnung ist am 1.1.2015 in Kraft getreten.
24 25 26 27
14
1 ABR 73/12, NZA 2014, 855 Rz. 22 ff. B. Gaul, AktuellAR 2014, 491 ff. BGBl. I 2014, 1824. BGBl. I 2014, 1348 ff.
Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit
Auf weitere Einzelheiten zu diesen Verordnungen wird im Rahmen weitergehender Ausführungen zur praktischen Umsetzung des MiLoG eingegangen 28. (Ga)
6.
Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit
Am 22.5.2015 hat der Bundestag das Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit verabschiedet, ohne dass es inhaltliche Änderungen gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung 29 gegeben hat. Im Mittelpunkt der gesetzlichen Neuregelung steht die Einfügung eines § 4 a TVG, der Fälle von Tarifkollisionen regelt. Auf diese Weise sollen die Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen eines Tarifvertrags gesichert werden (§ 4 a Abs. 1 TVG). Bedauerlicherweise ist darauf verzichtet worden, ergänzende Regelungen zur Einschränkung für den Bereich des Arbeitskampfs vorzulegen. Die Wirkungsweise der im Gesetzentwurf zur Auflösung einer Tarifkollision enthaltenen Vorgaben und das Fehlen arbeitskampfrechtlicher Vorgaben haben allerdings zur Folge, dass das Gesetz zu Recht erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist 30. Denn im Ergebnis wird das Recht einer Minderheitsgewerkschaft, durch Tarifvertrag Arbeitsbedingungen zu gestalten, rechtlich entwertet, falls das Ergebnis ein Tarifvertrag wäre, der sich mit dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft überschneiden würde. Diese Regelungen sind mit Blick auf die Zielsetzung in § 4 a Abs. 1 TVG weder erforderlich noch angemessen. Dies gilt erst recht, wenn man sich vor Augen führt, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage von Bündnis 90/DIE GRÜNEN erkennbar gemacht hat, dass es kein belastbares Material zu den Auswirkungen branchenbezogener Arbeitskampfmaßnahmen gibt 31. Die Gründe, die dort zur Rechtfertigung des hier in Rede stehenden Gesetzes genannt werden, beschränken sich weitgehend auf Allgemeinplätze oder unbegründete Thesen zu den Ursachen und Wirkungen des Arbeitskampfes.
28 B. Gaul, AktuellAR 2015, 104 ff., 123 f. 29 BR-Drucks. 635/14; BT-Drucks. 18/4062. 30 Vgl. hierzu nur Richardi, NZA 2014, 1233 ff.; Litschen, NZA-RR 2015, 57 ff.; Ballauf, AiB 2015, 22 ff.; Greiner, RdA 2015, 36 ff.; Scholz/Lingemann/Ruttloff, NZA 2015 Beilage Heft 1; Stellungnahme des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit vom 24.4.2015; Däubler, BT-Ausschussdrucks. 18(11)345 v. 18.4.2015 31 Vgl. BT-Drucks. 18/4156.
15
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
a)
Auflösung einer Tarifkollision
Nach § 4 a Abs. 2 TVG kann der Arbeitgeber nach § 3 TVG unmittelbar und zwingend an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Soweit sich aber die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sollen im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar sein, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. Da das Gesetz allein am Geltungsbereich und nicht – wie beim Tarifvorrang nach § 77 BetrVG – am Gegenstand der konkurrierenden Tarifverträge anknüpfen will, reicht es, wenn sich in einem Betrieb der räumliche, sachliche, fachliche oder (!) persönliche Geltungsbereich von Tarifverträgen verschiedener Gewerkschaften nur in einem einzigen Teil überschneiden. Das gegenteilige Beispiel in der Gesetzesbegründung übersieht die Wirkungsweise der eigenen Regelung und steht im Widerspruch zu ergänzenden Feststellungen der Begründung. Denn der Vorrang des Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft soll auch dann gelten, wenn sich die Regelungsgegenstände der Tarifverträge nicht decken, sofern es nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien der Mehrheitsgewerkschaft entspreche, eine Ergänzung ihrer Regelungen durch Vereinbarungen mit konkurrierenden Gewerkschaften zuzulassen. Dies ist unverhältnismäßig in Bezug auf die daraus resultierende Folge für Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaft. Denn damit würde ein Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft, der für Arbeitnehmer eines Betriebs gilt, jeden anderen Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft, der für diese Arbeitnehmer oder einen Teil dieser Arbeitnehmer gelten soll, verdrängen. Dies würde selbst dann gelten, wenn ein völlig anderer Regelungsgegenstand in Rede stünde. Der generelle Vorrang aller Tarifverträge der Mehrheitsgewerkschaft erfasst wegen der fehlenden Berücksichtigung des Regelungsgegenstands auch Sachfragen, die die Mehrheitsgewerkschaft noch nicht durch Tarifvertrag geregelt hat. Nach der Gesetzesbegründung soll es für diesen Vorrang nicht erforderlich sein, dass auf Seiten der Mehrheitsgewerkschaft überhaupt ein Regelungswille besteht oder eine Regelungsüblichkeit gegeben ist. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft soll nur dann nicht verdrängt werden, wenn beide Parteien des Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft – was kaum zu erwarten ist – ausdrücklich ergänzende Regelungen durch andere Gewerkschaften zulassen. Damit steht die unmittelbare und zwingende Wirkung eines eigenen Tarifvertrags der Minderheitsgewerkschaft in
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Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit
der Disposition des Arbeitgebers bzw. Arbeitgeberverbands und der konkurrierenden Mehrheitsgewerkschaft. Das ist mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren, zumal die Idee des Gesetzgebers, diesen Verdrängungsprozess durch die Bildung von Tarifgemeinschaften zu verhindern, für die Minderheitsgewerkschaft nur im Einvernehmen mit der Mehrheitsgewerkschaft durchsetzbar ist. Mit den Regelungen in § 4 a Abs. 2 TVG erfasst der Gesetzgeber auch die gewillkürte Tarifpluralität. Hierzu kommt es dann, wenn der Arbeitgeber ganz bewusst mit verschiedenen Gewerkschaften Tarifverträge abschließt, die einen überschneidenden Geltungsbereich haben. Rechtsprechung und Literatur haben solche Fälle bislang zugelassen 32. Unklar ist, ob § 4 a Abs. 2 TVG auch nachwirkende Tarifverträge erfasst. Dagegen spricht zwar zunächst einmal, dass das Vorliegen kollidierender Tarifverträge nur daran geknüpft wird, dass sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden. Gegen eine Einbeziehung der nachwirkenden Tarifverträge spricht allerdings bereits der Umstand, dass § 4 a Abs. 2 TVG offenbar nur solche Tarifverträge erfassen soll, deren Geltung durch § 3 TVG bestimmt wird. Dies ist nach einer Beendigung des Tarifvertrags und dem Eintritt der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG nicht mehr der Fall. Gegen die Einbindung nachwirkender Tarifverträge spricht auch der Umstand, dass sonst durch § 4 a Abs. 4 TVG ein Widerspruch bewirkt werden würde. § 4 a Abs. 4 TVG will der Minderheitsgewerkschaft durch das Recht auf „Nachzeichnung“ des kollidierenden Tarifvertrags die Möglichkeit geben, dem eigenen (nachgezeichneten) Tarifvertrag unmittelbare und zwingende Wirkung zu geben. Wenn zu den kollidierenden Tarifverträgen nach § 4 a Abs. 2 TVG auch noch nachwirkende Tarifverträge gehörten, könnte die Minderheitsgewerkschaft ihrer „Kopie“ des (nachwirkenden) Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft eine stärkere Wirkung zumessen, als dies nach § 4 Abs. 5 TVG für den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft als Folge der Nachwirkung der Fall wäre. Ungeachtet dessen wird die Frage einer Einbindung noch nachwirkender Tarifverträge nur dann relevant, wenn es nur noch einen einzigen Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gibt, der sich - wenn auch mit anderem Gegenstand - im Geltungsbereich der Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaft überschneidet. Solange es noch einen einzigen (anderen) Tarifvertrag gibt, der nach § 3 TVG gilt, bewirkt dieser bei einem Überschneiden der Geltungsbereiche den Vorrang nach § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG. 32 Vgl. BAG v. 7.7.2014 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068 ff.; ErfK/Franzen, TVG § 4 Rz. 71; HWK/Henssler, TVG § 4 Rz. 57; Löwisch, DB 2015, 1102, 1103.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
b)
Kennzeichnung der Mehrheitsgewerkschaft
Bei der Kennzeichnung der Mehrheitsgewerkschaft wird auf den Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb abgestellt. Sollte darüber Streit bestehen, soll nach § 58 ArbGG über die Zahl der Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb der Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden können. Mit dieser Kollisionsnorm unterstellt der Gesetzgeber, dass Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften für einen Betrieb bereits bestehen. Der Fall, dass eine (neue) Gewerkschaft erst einen Tarifvertrag abschließen will, wird damit nicht erfasst. Da eine Tarifkollision erst nach Abschluss des (neuen) Tarifvertrags entstehen kann, kann damit auch die Frage seiner Durchsetzbarkeit zum Zeitpunkt etwaiger Verhandlungen über diesen (neuen) Tarifvertrag noch gar nicht abschließend bewertet werden. Das gilt auch bei Arbeitskämpfen mit Gewerkschaften, die in der Vergangenheit bereits im Unternehmen vertreten waren und/oder Tarifverträge mit Wirkung für ein Unternehmen abgeschlossen haben, und dürfte zu ganz erheblichen Problemen in Bezug auf die Bewertung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen führen, falls der Vorrang einer Mehrheitsgewerkschaft nicht bereits auf der Grundlage bestehender Tarifverträge entschieden werden kann. Denn ein Vorrang des Tarifvertrags einer anderen Gewerkschaft kann auch im einstweiligen Verfügungsverfahren nur angenommen werden, wenn durch den Arbeitgeber glaubhaft gemacht werden kann, dass in der Zukunft – also bei Abschluss des neuen Tarifvertrags - weiterhin eine andere Gewerkschaft die Mehrheit der Arbeitnehmer vertreten wird. Da öffentliche Urkunden einen solchen zukunftsbezogenen Beweis ebenso wenig führen können wie den Beweis darüber, dass eine andere Gewerkschaft weniger Mitglieder hat, stellt sich die Frage, wie das Arbeitsgericht solche hypothetischen Mitgliederzahlen feststellen will. Schließlich bestätigt die öffentliche Urkunde nur, dass eine Erklärung bestimmten Inhalts abgegeben wurde 33.
c)
Bedeutung des Betriebsbegriffs
Bei der Auflösung einer Tarifpluralität wird an den Betrieb angeknüpft, ohne diesen allerdings zu kennzeichnen. Dies dürfte insbesondere im Bereich der Luftfahrtunternehmen von Bedeutung sein, für die Arbeitnehmervertreter nach § 117 Abs. 2 BetrVG durch Tarifvertrag für die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer bestellt werden. Hier dürfte in der Zukunft die
33 Eingehend Tiedemann, ArbRB 2015, 124 ff.
18
Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit
Frage entstehen, ob durch Tarifvertrag jeweils auch Betriebsstrukturen i. S. des § 4 a Abs. 2 TVG geschaffen werden oder ob bei der Kennzeichnung des Betriebs an der Steuerung in Bezug auf die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten angeknüpft werden muss. Die letztgenannte Betrachtungsweise erscheint vorzugswürdig und würde dann aber eine Kollision der heute bestehenden Tarifverträge von Flug- und Bodenpersonal auslösen. Denn dann gäbe es im Zweifel nur einen Betrieb, in dem Flug- und Bodenpersonal übergreifend zum Einsatz käme. In jedem Fall dürfte insoweit tarifvertraglicher Gestaltungsspielraum bestehen. Denn nach § 4 a Abs. 2 S. 3, 4 TVG gelten als Betriebe auch ein Betrieb nach § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG errichteter Betrieb. Dabei ist abweichend von der generellen Regelung in § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG der Zeitpunkt des Entstehens des Betriebs maßgeblich, wenn der Betrieb nach Abschluss des letzten kollidierenden Tarifvertrags entstanden ist. Mit der vorstehenden Regelung schafft das Gesetz für den Arbeitgeber und die Mehrheitsgewerkschaft die Möglichkeit, die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen durch Tarifvertrag so festzulegen, dass in Bezug auf die Kennzeichnung der Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaft klare Ergebnisse erzielt werden. Dies gilt selbst dann, wenn zu einem früheren Zeitpunkt entsprechende Vereinbarungen zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen nach §§ 3 Abs. 1, 117 Abs. 2 BetrVG zwischen Arbeitgeber und Minderheitsgewerkschaft geschlossen wurden. Solche Tarifverträge sind gemäß § 4 a Abs. 3 TVG zwar ausnahmsweise wirksam, solange mit der Mehrheitsgewerkschaft zu diesen Fragen keine eigene tarifvertragliche Regelung getroffen wurde. Mit Abschluss eines Tarifvertrags zwischen Arbeitgeber und Mehrheitsgewerkschaft, der eine hiervon abweichende Regelung trifft, verliert der Tarifvertrag mit der Minderheitsgewerkschaft allerdings seine Geltungskraft. Soweit § 4 a TVG hinsichtlich der Kennzeichnung der Mehrheitsgewerkschaft auch den gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (§ 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG) einbezieht, scheint übersehen worden zu sein, dass im gemeinsamen Betrieb eine getrennte Tarifbindung besteht. Denn die Frage der Geltung eines Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 1 TVG ist schon als Ergebnis der Koalitionsfreiheit an den Abschluss dieses Tarifvertrags durch den Arbeitgeber bzw. seine eigene Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband geknüpft. Wenn der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen trotz dieser Unterscheidung hinsichtlich der Tarifbindung bei der Kennzeichnung der Mehrheitsgewerkschaft übergreifend einbezogen werden soll, kann dies zur Folge haben, dass Arbeitnehmer eines Unternehmens, die ihrerseits nicht an den Tarifvertrag 19
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
der Mehrheitsgewerkschaft geknüpft sind, durch ihre Mitgliedschaft in dieser Gewerkschaft den Vorrang dieses Tarifvertrags bei einem weiteren Arbeitgeber des gemeinsamen Betriebs bewirken können. Das überzeugt nicht, jedenfalls dann nicht, wenn die Kollision zweier Tarifverträge am Geltungsbereich, nicht aber an ihrem am Regelungsgegenstand festgemacht wird.
d)
Verbleibende Rechte der Minderheitsgewerkschaft
Nach § 4 a Abs. 4 TVG kann eine Gewerkschaft vom Arbeitgeber oder der Vereinigung der Arbeitgeber die Nachzeichnung eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags verlangen, soweit sich die Geltungsbereiche der Tarifverträge überschneiden. Der Anspruch auf Nachzeichnung beinhaltet den Abschluss eines mit dem kollidierenden Tarifvertrag inhaltsgleichen Tarifvertrags. Die Rechtsnormen eines insoweit nachgezeichneten Tarifvertrags gelten unmittelbar und zwingend, soweit der Tarifvertrag der nachzeichnenden Gewerkschaft gemäß § 4 a Abs. 1 S. 2 TVG nicht zur Anwendung kommt. Bei dieser Regelung handelt es sich letztlich nur um ein Recht auf „Kopie“ des Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft. Eine inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit der Minderheitsgewerkschaft besteht nicht. Dies würde wegen der Einbeziehung der gewillkürten Tarifpluralität in § 4 a Abs. 2 TVG selbst dann gelten, wenn entsprechende Abweichungen mit Zustimmung des Arbeitgebers vereinbart würden. Losgelöst von den Bedenken in Bezug auf den Umfang der damit verbundenen Einschränkung der Koalitionsausübungsfreiheit lässt § 4 a Abs. 4 TVG den Fall unberücksichtigt, dass eine Gewerkschaft noch gar keinen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Denn das Gesetz begründet ein Recht zur Nachzeichnung nur dann, wenn bereits eine Tarifpluralität vorliegt. Trotz berechtigter Kritik ist der Minderheitsgewerkschaft ein Recht auf Nachzeichnung nicht auch in solchen Fällen eingeräumt worden, in denen noch kein eigener Tarifvertrag besteht. Damit dürfte das Recht auf Nachzeichnung in der Praxis kaum Bedeutung entfalten. Denn selbst wenn man Arbeitskampfmaßnahmen der Minderheitsgewerkschaft trotz des bereits bestehenden Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft zuließe, was nach der Konzeption des Gesetzes zweifelhaft erscheint, dürfte es für die Minderheitsgewerkschaft schwierig sein, ihre Mitglieder zu motivieren, wenn als Ergebnis nur die Kopie des schon vorhandenen Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft lockt.
20
Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit
Die für eine Minderheitsgewerkschaft verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten werden auch durch § 4 a Abs. 5 TVG kaum verbessert 34. Danach soll ein Arbeitgeber oder eine Vereinigung von Arbeitgebern zwar verpflichtet werden, rechtzeitig und in geeigneter Weise bekannt zu geben, wenn Verhandlungen mit einer Gewerkschaft über den Abschluss eines Tarifvertrags aufgenommen werden. Darüber hinaus soll eine andere Gewerkschaft, zu deren satzungsgemäßen Aufgaben der Abschluss eines Tarifvertrags gehört, das Recht haben, dem Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen. Ein solches Vortragsrecht ist aber völlig unzureichend, um von einer Ausübung der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsausübungsfreiheit sprechen zu können. Es ist eine Gnade, kein Recht, das tatsächlich auf die Gestaltung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausgerichtet ist. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass Vorgaben in Bezug auf den Zeitpunkt, die Dauer und die Vertreter des Arbeitgebers in solchen Gesprächen nicht gemacht werden.
e)
Umgang mit Altvereinbarungen
Gemäß § 13 Abs. 3 TVG kommt § 4 a TVG nicht auf Tarifverträge zur Anwendung, die am Tag des Inkrafttretens der gesetzlichen Neuregelung bereits gelten. Minderheitsgewerkschaften, die - wie die GDL – derzeit noch in Tarifvertragsverhandlungen stehen, werden dies zum Anlass nehmen, möglichst noch bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zu einem Tarifabschluss zu kommen. Auch dies erklärt, warum die GDL derzeit mit aller Kraft versucht, die Deutsche Bahn zu einem Tarifabschluss zu bringen.
f)
Arbeitsgerichtliches Verfahren zur Feststellung des im Betrieb anwendbaren Tarifvertrags
Gemäß §§ 2 a Abs. 1 Nr. 6, 99 ArbGG hat jede Partei eines kollidierenden Tarifvertrags die Möglichkeit, eine arbeitsgerichtliche Entscheidung über den nach § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag zu beantragen. Der rechtskräftige Beschluss über den nach § 4 Abs. 2 S. 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag wirkt sodann für und gegen jedermann.
34 Vgl. hierzu auch Hromadka, NZA 2014, 1105, 1109; Hufen, NZA 2014, 1237, 1240.
21
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
g)
Fehlen arbeitskampfrechtlicher Vorgaben
Die aktuelle Diskussion zur Tarifpluralität hatte zwar ihren Ursprung in der Änderung der Rechtsprechung des BAG durch Urteil vom 7.7.2010 35. Unlösbare Probleme sind durch die Anwendung mehrerer Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften im Betrieb allerdings bis heute nicht entstanden. Die Problematik liegt losgelöst von dieser Rechtsprechung darin, dass mehr und mehr durch Berufsgruppen- oder Spartengewerkschaften Partikularinteressen verfolgt werden, die schlussendlich auch durch Arbeitskampfmaßnahmen durchgesetzt werden sollen. Da die von solchen Gewerkschaften vertretenen Arbeitnehmer häufig in Schlüsselpositionen eingesetzt werden, sind die Gewerkschaften in der Lage, mit geringem (eigenen) Aufwand eine erhebliche Belastung nicht nur auf Arbeitgeberseite auszulösen. Weil Fluglotsen, Lokomotivführer oder Piloten Funktionen innehaben, bei denen Störungen mit einer erheblichen Belastung der Allgemeinheit verbunden sind, können entsprechende Arbeitskampfmaßnahmen auch und insbesondere Belastungen Dritter verursachen, die schnell die Grenze der Verhältnismäßigkeit erreichen. Gleiches gilt für ver.di, wenn die KiTa-Mitarbeiter zum Arbeitskampf aufgefordert werden. Hier stehen Partikularinteressen im Vordergrund, die Solidarfunktion des Tarifvertrags fehlt. Trotz dieser offenkundigen Belastungen wird die Rechtswidrigkeit eines Arbeitskampfs im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens aber nur außerordentlich selten mit einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründet. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nur eine Glaubhaftmachung durch die betroffenen Unternehmen und/oder Arbeitgeberverbände erfolgen kann. Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber aber trotz dieser erkennbaren Problematik auf jedwede Vorgabe verzichtet, die hier Schranken mit dem Ziel einer Gewährleistung von verhältnismäßigen Arbeitskampfmaßnahmen schaffen könnte. Er beschränkt sich auf die Feststellung, dass die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen im Einzelfall "im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit" zu entscheiden sei. Der Arbeitskampf sei ein Mittel zur Sicherung der Tarifautonomie. Der Arbeitskampf diene aber nicht dieser Sicherung, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden solle, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde, weil die abschließende Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb haben würde. Insofern müsste die ein-
35 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068 ff.
22
Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit
zelfallbezogene Prüfung der Verhältnismäßigkeit immer auch die Strukturen des Arbeitgebers und die Reichweite von Tarifverträgen beachten. Hintergrund dieser Zurückhaltung scheint der Umstand zu sein, dass der DGB zwar Regelungen zur Sicherung der Tarifeinheit fordert, aber im Bundeskongress vom 11. bis 16.5.2014 vehement „jegliche Eingriffe“ in die bestehenden Regelungen abgelehnt hatte, die das Streikrecht oder die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie beeinträchtigen. Damit überlässt es der Gesetzgeber allerdings weiterhin den Arbeitsgerichten, die grundrechtlich geschützte Rechtsposition der von Arbeitskampfmaßnahmen betroffenen Arbeitgeber und Dritte herzustellen. Das genügt, wie die aktuelle Entwicklung zeigt, nicht 36. Zwar scheint die Bundesregierung zu glauben, dass Arbeitskampfmaßnahmen einer Minderheitsgewerkschaft, deren Tarifvertrag nach § 4 a Abs. 2 TVG keine unmittelbare und zwingende Wirkung erlangen kann, per se unverhältnismäßig sind. Schließlich sind sie nicht geeignet, den Abschluss eines Tarifvertrags zur Gestaltung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durchzusetzen. Da die hierfür im Gesetz vorgesehenen Regelungen indes in einer unverhältnismäßigen Weise die Rechtsposition von Minderheitsgewerkschaft beschränken und in Bezug auf den zukunftsbezogenen Nachweis der Mitgliederzahlen Nachweisprobleme begründen, dürfte mit einem solchen Gesetz im Bereich des Arbeitskampfs nicht oder nur auf Zeit für Ruhe gesorgt werden können. Das aber ist außerordentlich bedauerlich und führt zu der Frage, warum nicht von Beginn an eine umfassende Regelung auch im Tarif- und Arbeitskampfrecht getroffen werden kann. Geeignete Regelungen im Bereich des Arbeitskampfrechts könnten beispielsweise gesetzliche Schranken für die Dauer eines Warnstreiks, die Pflicht zur Urabstimmung, Regelungen zu Tarifgemeinschaften oder ein obligatorisches Schlichtungsverfahren sein. Diese sollten allerdings nicht auf den Bereich der Daseinsvorsorge beschränkt werden. Zum einen dürften insoweit Kennzeichnungsprobleme bestehen. Zum anderen gibt es auch außerhalb der Daseinsvorsorge Fallgestaltungen, in denen durch den streikbedingten Ausfall einzelner Berufsgruppen ein erhebliches Schädigungspotenzial des Arbeitgebers und/oder Dritter gegeben ist (z. B. Betriebsfeuerwehren, IT-Center).
h)
Fazit
Leider hat sich die Hoffnung zerschlagen, dass der Gesetzentwurf überarbeitet wird. Der Bundesrat hat am 6.2.2015 bereits beschlossen, keine Einwen-
36 Vgl. Bonanni/Otto, DB 2014, 1683, 1684.
23
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
dungen zu erheben 37. Offenkundig war es vor allem die persönliche Betroffenheit durch die Streiks von Piloten und Lokführern, die schlussendlich den Willen des Parlaments gestärkt hat, mit dem Gesetz zur Tarifeinheit den Versuch zu machen, jedenfalls mittelbar auch das Arbeitskampfrecht einzuschränken. Schade, dass den Befürwortern dabei der Mut fehlte, dieses berechtigte Ziel offen, klar und verfassungsgemäß zu verfolgen. Diese Aufgabe wird damit (erneut) den Gerichten zugewiesen, die fehlendes Handeln des Gesetzgebers ersetzen und Fehler beseitigen müssen. (Ga)
7.
Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern
Durch Verordnung vom 6.11.2014 38 ist die Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung) geändert worden. Die Neuregelung wird am 1.7.2015 in Kraft treten. Sie steuert die Zuwanderung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bestimmt, unter welchen Voraussetzungen sie und die bereits in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer zum Arbeitsmarkt zugelassen werden können. Wenn in der Praxis der Einsatz ausländischer Arbeitnehmer, die nicht das unionsrechtliche Privileg der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit nutzen können, vorbereitet wird, sind die Anforderungen dieser Verordnung rechtzeitig einzubinden. (Ga)
8.
Gesetzliche Entwicklungen im Bereich Arbeitnehmerüberlassung und (Schein-)Werkvertrag
Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, nicht nur Scheinwerkverträge zu bekämpfen. In Bezug auf den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung war angekündigt worden, eine zeitliche Begrenzung von 18 Monaten einzuführen. Diese sollte nur durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags verändert werden können. Ergänzend hierzu sollte der Equal-Pay-Grundsatz für Leiharbeitnehmer verbindlich werden, wenn diese mehr als neun Monate beim gleichen Arbeitgeber zum Einsatz kommen. Trotz dieser Ankündigungen gibt es bislang noch keinen Gesetzentwurf, mit dem diese Überlegungen umgesetzt werden könnten. Hintergrund dürfte vor allem die Diskussion über die unionsrechtliche Zulässigkeit solcher Maßnahmen sein. Diese Diskussion ist zwar mit dem Urteil des EuGH vom 37 BR-Drucks. 635/14. 38 BGBl. I 2014, 1683 ff.
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Gesetzliche Entwicklungen im Bereich Arbeitnehmerüberlassung
17.3.2015 39, über das wir an anderer Stelle berichten 40, jedenfalls in Bezug auf die Fragen zum Geltungsbereich der Richtlinie und die durch Art. 4 der Richtlinie begründeten Grenzen einer Einschränkung der Leiharbeit nicht abschließend beantwortet. Führt man sich allerdings die Feststellungen des Generalanwalts vom 20.11.2014 41 vor Augen, dürfte der Weg frei sein, die Möglichkeit einer Überlassung von Arbeitnehmern auf einen bestimmten Zeitraum zu begrenzen. Insofern ist die Höchstüberlassungsdauer im AÜG keine „vorübergehende“ Idee 42. Zu erwarten ist deshalb, dass das BMAS im September einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der im Koalitionsvertrag festgehaltenen Regelungen vorlegen wird. Dabei dürfte die Bundesregierung zum Teil auch auf Überlegungen zurückgreifen, die der Bundesrat in den am 20.9.2013 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und zur Verhinderung der Umgehung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen übernommen hatte 43. Darin hatte der Bundesrat eine Kennzeichnungspflicht für die Arbeitnehmerüberlassung vorgesehen, deren Nichtbeachtung zu einem Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer führen sollte. Ergänzend hierzu waren die Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus §§ 80 Abs. 2, 92 Abs. 1 BetrVG in klarstellender Weise ergänzt worden. Darüber hinaus sah der Entwurf zusätzliche Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Bereich des Arbeitsschutzes und beim erstmaligen Einsatz von Fremdpersonal durch Erweiterungen in §§ 87 Abs. 1 Nr. 7, 99 a BetrVG vor. Am 4.3.2015 hat das Land Niedersachsen den Bundesrat aufgefordert, die Bundesregierung aufzufordern, an diesen Überlegungen anknüpfend einen Gesetzentwurf zur Änderung des AÜG und gegen den Missbrauch von Werkverträgen vorzulegen 44. Vor diesem Hintergrund wird man folgende Regelungen erwarten können: • Festlegung einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten. Abweichende Regelungen durch Tarifvertrag oder auf der Grundlage eines Tarifvertrags. Aus unionsrechtlicher Sicht dürfte es erforderlich sein, einen Rahmen für tarifvertragliche Regelungen festzuschreiben. Darüber hinaus sind Übergangsregelungen erforderlich, 39 40 41 42 43 44
C-533/13, NZA 2015, 423 - AKT. B. Gaul, AktuellAR 2015, 71 ff. C-533/13, NZA 2015, 423 - AKT. A. A. Happ/van der Most, BB 2015, 565 ff. BT-Drucks. 18/14. BR-Drucks. 87/15.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
die heute bereits bestehende Überlassungstatbestände erfassen. Dabei könnte unter Berücksichtigung der Feststellungen des BAG im Urteil vom 23.7.2014 45 eine Übergangszeit von 12 Monaten bestimmt werden. • Bei der Höchstüberlassungsdauer wird man in jedem Fall von einer arbeitnehmerbezogenen Betrachtungsweise ausgehen können. Losgelöst von tariflichen Öffnungsklauseln darf ein Leiharbeitnehmer dann nicht mehr als 18 Monate dem gleichen Entleiher zur Verfügung gestellt werden. Unklar ist, ob daneben auch eine arbeitsplatzbezogene Höchstgrenze eingeführt wird. Dies stünde der unternehmerischen Entscheidung, langfristig Arbeitsplätze durch Leiharbeitnehmer zu besetzen, entgegen und dürfte mit Art. 4 Leiharbeits-Richtlinie nicht vereinbar sein. • Kennzeichnungspflicht für die Arbeitnehmerüberlassung: Mit dem Ziel einer Bekämpfung von Scheinwerkverträgen ist die Überlassung von Arbeitnehmern als Arbeitnehmerüberlassung zu kennzeichnen. Geschieht dies nicht, weil der Einsatz z. B. als Werk- oder Dienstvertrag gekennzeichnet wird, hat dies eine Anwendbarkeit von §§ 9, 10 AÜG zur Folge. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis kommt es damit kraft Gesetzes zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher. Wichtig dürfte allerdings sein, dem Leiharbeitnehmer ein Widerspruchsrecht zuzuerkennen. • Pflicht zum Equal-Pay nach Vollendung des 9. Monats der Arbeitnehmerüberlassung: Hier ist es für die Praxis überaus wichtig, die Bestandteile des Arbeitsentgelts in der gesetzlichen Neuregelung festzulegen. Dies gilt insbesondere für Sachleistungen (z. B. ÖPNV-Ticket, Dienstwagen), Jahressonderzahlungen mit unterschiedlicher Zweckbestimmung, betriebliche Altersversorgung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Jubiläumszahlungen. Andernfalls bestehen arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Risiken, die insbesondere den Verleiher treffen. • Stärkung der Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats in Bezug auf den Einsatz von Fremdpersonal durch (klarstellende) Ergänzungen in §§ 80 Abs. 2, 92 BetrVG: Auf diese Weise soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, den geplanten Einsatz von Fremdpersonal im Hinblick auf das Vorliegen etwaiger Beteili-
45 7 AZR 853/12, NJW 2014, 3806 Rz. 30 ff.
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Gesetzliche Entwicklungen im Bereich Arbeitnehmerüberlassung
gungsrechte zu überprüfen. Darüber hinaus soll darüber mit Blick auf die künftige Personalplanung beraten werden.
Ob die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzentwurfs auch eine Vermutungsregelung schaffen wird, um den Einsatz von Fremdpersonal auf der Grundlage von Werk- oder Dienstverträgen auf der einen Seite von der Arbeitnehmerüberlassung auf der anderen Seite abzugrenzen, ist nicht erkennbar. Eine entsprechende Regelung war in der vergangenen Legislaturperiode bereits in einem SPD-Gesetzentwurf enthalten 46. Wir hatten darüber berichtet 47. Gegen diese Regelung spricht, dass schlussendlich die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen im Bereich des Fremdpersonaleinsatzes mit entsprechenden Vermutungsregelungen nicht erfasst werden kann. Vor diesem Hintergrund ist auch die mit solchen Vermutungsregelungen verbundene Neuverteilung der Darlegungs- und Beweislast abzulehnen 48. Offen ist derzeit auch, ob mit der gesetzlichen Neuregelung erweitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Bereich von §§ 87, 99 BetrVG verbunden sein werden. Dass Sonderregelungen für Konzerne oder den Bereich der Personalgestellung geschaffen werden, ist an sich bereits wegen unionsrechtlicher Bedenken nicht zu erwarten. Denn die Richtlinie erlaubt keine Sonderbehandlung für bestimmte Arbeitgeber. Dies schließt private wie auch öffentliche Unternehmen gleichermaßen ein. Ebenso wenig sieht die Richtlinie vor, dass die Überlassung von Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf unionsrechtliche Schranken erfolgen kann, wenn sie sich auf einen bestimmten Tarifvertrag (hier: TVöD) stützt. Soweit eine entsprechende Sonderbehandlung der Unternehmen im Anwendungsbereich des TVöD damit begründet wird, dass die hiervon betroffenen Arbeitnehmer typischerweise besser gestellt sind als Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb, könnte dies zwar ein Grund sein, sie vom Equal Pay auszunehmen. Es bleibt aber das Erfordernis einer Begrenzung der Überlassungsdauer. Das bleibt relevant und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Vertragsarbeitgeber selbst den Einsatz des Arbeitnehmers nicht steuert, weil dieser in eine fremde Betriebsorganisation eingegliedert wird. Nach dem hier vertretenen Verständnis der Richtlinie soll auch dieser Zustand nicht unbegrenzt andauern. Zu erwarten ist, dass losgelöst von den gesetzgeberischen Entwicklungen verschärfte Kontrollen in Bezug auf den Missbrauch von Werkverträgen erfolgen werden. Das BMAS hat die Zollämter im März dieses Jahres aufge46 Vgl. BT-Drucks. 17/12378. 47 B. Gaul, AktuellAR 2013, 331 ff. 48 Vgl. eingehend zu solchen Vermutungstatbeständen Brors/Schüren, NZA 2014, 569, 572; Francken, NZA 2014, 1064, 1065; Ulrici, NZA 2015, 456 ff.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
fordert, in entsprechender Weise tätig zu werden. Auch der Entschließungsantrag zu verstärkten Anstrengungen im Kampf gegen den Missbrauch von Werkverträgen des Landes Niedersachsen vom 4.3.2015 enthält eine entsprechende Aufforderung 49. (Ga)
9.
Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte
a)
Ausgangssituation
Im vergangenen Jahr hatten wir intensiv über die Diskussion zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Syndikusanwälte berichtet 50. Anlass hierfür boten vor allem die Entscheidungen des BSG vom 3.4.2014 51, die vorangehende Feststellungen des BSG zu den Konsequenzen einer Änderung der Tätigkeit im Urteil vom 31.10.2012 52 erheblich verschärft hatten. Im Ergebnis war nach den Urteilen vom 3.4.2014 53 eine weitere Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 SGB VI für die Syndikusanwälte im Hinblick auf die Einkünfte aus dieser Tätigkeit ausgeschlossen. Lediglich ältere Arbeitnehmer sollten durch Vertrauensschutzregelungen von dieser Änderung ausgenommen werden. In der Zwischenzeit ist dann aber die Frage entstanden, ob die Rechtsprechungsänderung durch gesetzgeberische Maßnahmen wieder rückgängig gemacht werden soll. Dabei war zunächst einmal die Frage zu klären, ob entsprechende Änderungen durch Anpassung im Sozialversicherungsrecht oder durch eine berufsrechtliche Regelung erfolgen sollten. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz jetzt eine Lösung vorgeschlagen, mit der eine berufsrechtliche Regelung für die Tätigkeit angestellter Rechtsanwälte geschaffen wird. Konsequenz ist, dass Syndikusanwälte unter den Vorgaben der gesetzlichen Neuregelung wieder von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht mit der Folge befreit werden können, dass ihre (weitere) Einbindung in das anwaltliche Versorgungswerk erfolgen kann 54.
49 BR-Drucks. 87/15. 50 B. Gaul, AktuellAR 2014, 249 ff.; B. Gaul/Rindone, 2014, 509 ff. 51 B 5 RE 13/14 R, NJW 2014, 2743; BSG v. 3.4.2014 – B 5 RE 9/14 R n. v.; BSG v. 3.4.2014 – B 5 RE 3/14 R, AuR 2014, 476. 52 B 12 R 5/10 R, NJW 2013, 1628 ff. 53 BSG v. 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R, NJW 2014, 2743 Rz. 10. 54 Grundlage des Beitrags ist der Referentenentwurf v. 26.3.2015; Eingehend hierzu: Steinmeyer, Gutachten zum Befreiungsrecht für Syndikusanwälte.
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Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte
b)
Aufgabe der Doppelberufstheorie
Mit der gesetzlichen Neuregelung wird die Doppelberufstheorie aufgegeben. Damit kann der Rechtsanwalt seinen Beruf nicht nur als Angestellter solcher Arbeitgeber ausüben, die als Rechtsanwälte oder rechtsanwaltliche Berufsausübungsgesellschaften tätig sind (§ 46 Abs. 1 BRAO). Der Beruf als Rechtsanwalt kann auch als Angestellter anderer Personen oder Gesellschaften ausgeübt werden, sofern die betroffenen Personen im Rahmen ihres Angestelltenverhältnisses für ihre Arbeitgeber anwaltlich tätig sind (Syndikusrechtsanwälte). Eine anwaltliche Tätigkeit liegt nach dieser Begriffsbestimmung in § 46 Abs. 2, 3 BRAO vor, wenn das Angestelltenverhältnis durch fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübende Tätigkeiten sowie folgende Merkmale geprägt ist: 1. Die Prüfung von Rechtsfragen, einschließlich der Aufklärung des Sachverhalts, sowie das Erarbeiten und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten, 2. die Erteilung von Rechtsrat, 3. die Vertretungsbefugnis nach außen und 4. die Ausrichtung der Tätigkeit auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, insbesondere durch das selbständige Führen von Verhandlungen oder auf die Verwirklichung von Rechten.
Problematisch an den vorstehenden Kriterien ist das Erfordernis einer "Vertretung nach außen", jedenfalls dann, wenn es – was der Wortlaut des Entwurfs nahelegt – kumulativ neben den übrigen Voraussetzungen erfüllt werden muss. Dieses Tätigkeitsmerkmal ist für eine Syndikustätigkeit weder typisch noch mit Blick auf den Zweck der hier in Rede stehenden Regelung erforderlich und sollte gestrichen werden. Hilfreich ist insoweit die vorgesehene Einschränkung, nach der sich die vorstehend genannten Befugnisse nicht zwingend auf den eigenen Arbeitgeber beziehen müssen. Vielmehr werden durch § 46 Abs. 5 Ziff. 1 BRAO auch Rechtsangelegenheiten innerhalb verbundener Unternehmen i. S. d. § 15 AktG gleichgesetzt. Dies ermöglicht, aus einer Konzernrechts- oder einer Konzernpersonalabteilung heraus Dienstleistungen auch für verbundene Unternehmen auszuüben, ohne dass dies Zweifel an der Kennzeichnung als Syndikusanwalt begründen kann. Wichtig ist allerdings, dass bei der Kennzeichnung einer „prägenden“ Tätigkeit auch die Funktion Vorgesetzter berücksichtigt wird. Diese können selbst diese Kriterien kaum zu 50 % und mehr erfüllen. Vergleichbar einem Partner einer Sozietät, der mehrere Rechtsanwälte führt, wird man das Vorliegen der 29
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
vorgenannten Kriterien deshalb auch dann als erfüllt ansehen müssen, wenn die entsprechende Arbeit nachgeordneter Syndikusrechtsanwälte gesteuert und überwacht wird. Klarstellend wird in § 46 Abs. 4 BRAO bestimmt, dass keine fachlich unabhängige Tätigkeit gegeben ist, wenn sich der Betroffene an Anweisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Auch wenn das arbeitgeberseitige Direktionsrecht damit nicht ausgeschlossen wird, darf die anwaltliche Unabhängigkeit damit nicht beeinträchtigt werden. Diese fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung des Syndikusrechtsanwalts ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten. Dies erstaunt, bestehen doch vergleichbare Weisungsrechte durchaus auch in dem Verhältnis zwischen Mandant und dem selbständigen Rechtsanwalt. Warum der Syndikusrechtsanwalt eine freiere Form der Berufsausübung gewährleisten muss, ist nicht erkennbar.
c)
Zulassung als Syndikusrechtsanwalt
Der Syndikusrechtsanwalt bedarf zur Ausübung seiner Tätigkeit einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 46 Abs. 2 S. 2 BRAO). Einzelheiten dieser Zulassung werden in § 46 a BRAO geregelt. Über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt soll die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer entscheiden. Problematisch daran ist allerdings, dass der Träger der Rentenversicherung hierbei angehört werden soll. Eine Frist für seine Stellungnahme sieht das Gesetz nicht vor. Ebenso wenig enthält das Gesetz eine Beschränkung auf bestimmte Einwände, die durch die Rentenversicherung im Hinblick auf die beantragte Zulassung erhoben werden können. Auch ist keine Bindung der Rentenversicherung an die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer vorgesehen. Wichtig ist deshalb, dass der Gesetzgeber durch ergänzende Vorgaben sicherstellt, dass hier keine unterschiedliche Interpretation der gesetzlichen Regelungen – ggf. auch noch nach regionalen Gesichtspunkten variierend – erfolgt. Im Rahmen des Zulassungsantrags muss verständlicherweise ein Nachweis dafür geführt werden, dass die anwaltliche Unabhängigkeit gewährleistet ist. Nach dem derzeitigen Gesetzentwurf soll dies dadurch erfolgen, dass dem Antrag auf Zulassung eine Ausfertigung oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift des Arbeitsvertrags oder der Arbeitsverträge des Syndikusrechtsanwalts beigefügt werden muss. Darüber hinaus kann die Rechtsanwaltskammer die Vorlage weiterer Nachweise verlangen. Losgelöst von diesem überflüssigen Formalismus einer öffentlich beglaubigten Abschrift erscheint diese Vorgabe für die inhaltliche Ausgestaltung der 30
Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte
Antragsunterlagen bereits aus datenschutzrechtlichen Gründen außerordentlich problematisch. Denn für den Nachweis der fachlichen Unabhängigkeit kommt es nur darauf an, dass zwischen dem Syndikusrechtsanwalt und seinem Arbeitgeber eine Vereinbarung getroffen wurde, die eine unabhängige Ausübung der in § 46 Abs. 3 BRAO genannten Tätigkeit zulässt. Welche Arbeitsbedingungen im Übrigen vereinbart werden, spielt grundsätzlich keine Rolle. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die vereinbarte Arbeitszeit und die Arbeitsvergütung. Entsprechende Vorgaben gelten nach § 46 b BRAO dann, wenn als Folge einer wesentlichen Änderung der Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts bei der Rechtsanwaltskammer beantragt werden muss, dass die Zulassung unter den in § 46 a BRAO genannten Voraussetzungen auf die weiteren Anstellungsverhältnisse oder auf die geänderte Tätigkeit erstreckt wird. Auch hier soll nach dem derzeit vorliegenden Entwurf eine Ausfertigung oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift des geänderten Arbeitsvertrags dem Antrag beigefügt werden. Bedauerlicherweise enthält das Gesetz keine Klarstellung, wann von einer solchen wesentlichen Änderung auszugehen ist. Dies kann sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Auch kann die Veränderung durch die Zuordnung zu einer anderen Organisationsstruktur oder die Ausübung einer höherwertigeren Tätigkeit ausgelöst werden. Dass man – wie zum Teil verlangt wird – eine erneute Zulassung nur bei einem Arbeitgeberwechsel für erforderlich hält, scheint indes keine angemessene Lösung zu sein. Denn das hätte zur Folge, dass die Zulassung auch dann fortbestehen würde, wenn die Tätigkeit beim gleichen Arbeitgeber die fachlichen Voraussetzungen einer Qualifikation als Syndikusrechtsanwalt nicht mehr erfüllt.
d)
Haftpflichtversicherung
Durch § 46 a Abs. 4 BRAO wird der Syndikusrechtsanwalt der Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung in Bezug auf Vermögensschäden hinsichtlich seiner Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt unterworfen. Diese Versicherung, deren Kosten auch durch den Arbeitgeber getragen werden können, muss den Anforderungen aus § 51 BRAO genügen. Gemäß § 51 BRAO muss jeder Rechtsanwalt zur Deckung der sich aus seiner anwaltlichen Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung aufrechterhalten, deren Mindestversicherungssumme 250.000 € für jeden Schadensfall beträgt. Auf diese Weise soll nicht nur das Recht suchende Publikum geschützt werden, falls ein
31
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Rechtsanwalt im Haftungsfall in Anspruch genommen wird. Auch der Rechtsanwalt selbst wird vor einem – unter Umständen sogar existenzgefährdenden – Vermögensverlust geschützt und damit auch die anwaltliche Unabhängigkeit gesichert. Dies gilt nach den Überlegungen des Gesetzgebers auch für den Syndikusrechtsanwalt, selbst wenn dieser für die Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses die Grundsätze zur Haftungsminderung bei betrieblicher Tätigkeit geltend machen kann. Denn der Syndikusrechtsanwalt könne – ungeachtet seiner beruflichen Stellung als Arbeitnehmer – aufgrund der eigenverantwortlichen Stellung und der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens sowohl Ansprüchen seines Arbeitgebers als auch Ansprüchen Dritter ausgesetzt sein 55. Für die Praxis dürfte die Umsetzung dieser Vorgabe nicht einfach werden, wenn tatsächlich eine namensbezogene Einbindung der einzelnen Syndikusrechtsanwälte erfolgen muss. Hilfreich wäre, wenn man darauf verzichtete und die Einbindung in bestehende Haftpflichtversicherungen – ggf. auch D&O-Versicherungen – ausreichen lässt.
e)
Berechtigung zur Ausübung anderer Tätigkeiten
Ein Syndikusrechtsanwalt ist nicht verpflichtet, zugleich auch als Rechtsanwalt im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit oder als Angestellter eines Rechtsanwalts oder einer rechtsanwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft tätig zu werden. Wenn beide Tätigkeiten ausgeübt werden, bedarf dies allerdings im Zweifel einer doppelten Zulassung. Darüber hinaus ist dafür Sorge zu tragen, dass die berufsrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere die vorstehend bereits genannte Versicherung für Haftpflichtgefahren beide Tätigkeiten einbezieht. In ihrer Abgrenzung zu anderen Tätigkeiten ist die Arbeit als Syndikusrechtsanwalt aber mit einer entsprechenden Berufsbezeichnung verbunden. Dies schließt zwar die Ergänzung um Fachanwaltsbezeichnungen nicht aus, könnte aber der bisherigen Übung entgegenstehen, nach der auch Syndici als „Rechtsanwälte“ auftreten. Für eine Beibehaltung dieser Möglichkeit spräche der Umstand, dass Syndikusrechtsanwälte nach der Neuregelung nur eine „Erscheinungsform“ des Rechtsanwalts sind.
f)
Rechtstellung gegenüber dem Arbeitgeber
Grundsätzlich umfasst die Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts die Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers. Allerdings 55 Referentenentwurf S. 37.
32
Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte
soll dem Syndikusrechtsanwalt eine Verteidigung in Straf- und Bußgeldverfahren, die gegen seinen Arbeitgeber oder Mitarbeiter des Unternehmens in Unternehmensangelegenheiten geführt werden, untersagt werden. In diesen Fällen ist auch eine Tätigkeit als Rechtsanwalt unzulässig (§ 46 c Abs. 2 S. 2 BRAO). Losgelöst davon dürfen Syndikusrechtsanwälte ihren Arbeitgeber dort nicht vertreten, wo vor den ordentlichen Gerichten und in der Arbeitsgerichtsbarkeit ein Anwaltszwang gegeben ist (§ 46 c Abs. 2 S. 1 BRAO). Dies soll ein Ungleichgewicht zwischen den Prozessparteien verhindern. Denn ein solches träte nach Auffassung des Gesetzgebers ein, wenn eine Einzelperson oder kleine und mittlere Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilung einen Rechtsanwalt bezahlen müssten, für den zudem noch die Mindestgebührenregelungen des RVG (Unterschreitungsverbot) gelten würden, während große Unternehmen sich durch den eigenen Syndikus vertreten lassen und so ihr Kostenrisiko verhindern könnten 56.
g)
Wegfall strafprozessualer Privilegien
Durch Änderungen in der Strafprozessordnung wird bewirkt, dass in Bezug auf Syndikusrechtsanwälte kein Beschlagnahmeverbot gilt. Darüber hinaus können sich die Syndikusrechtsanwälte nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, soweit es um ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt geht. Damit kann der Syndikusrechtsanwalt gehalten sein, auch über seine rechtsanwaltliche Tätigkeit im Anstellungsverhältnis als Zeuge in Strafverfahren auszusagen 57.
h)
Sozialversicherungsrechtliche Übergangsregelung
Gemäß § 231 Abs. 4 b SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt, die auf der Grundlage der gesetzlichen Neuregelung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem Berufsständischen Versorgungswerk bestand. Sie wirkt allerdings grundsätzlich erst ab dem 1.4.2014. Eine Befreiung für davor liegende Zeiten kann auf Antrag nur erfolgen, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden und der Antrag auf
56 Referentenentwurf S. 41. 57 Vgl. BMJV, Eckpunktepapier zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte.
33
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
rückwirkende Befreiung bis zum ersten Tag des siebten, auf die Verkündung der gesetzlichen Neuregelung folgenden, Kalendermonats gestellt wird. Ausgenommen von dieser Möglichkeit einer rückwirkenden Befreiung sind nach dem aktuellen Entwurf nur Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt aufgrund einer vor dem 3.4.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Bei dieser Übergangsregelung können die aktuellen Problemfälle weitgehend abgearbeitet werden. Allerdings sollte das Wort „Pflichtmitgliedschaft“ durch „Mitgliedschaft“ ersetzt werden. Bedauerlicherweise löst der Gesetzgeber damit indes nicht solche Fallgestaltungen, in denen Syndikusrechtsanwälte bereits heute eine wirksame (tätigkeitsunabhängige) Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten haben. Solche Bescheide sind in der Vergangenheit ausgestellt worden und nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen weiterhin wirksam. Darüber hinaus bleibt in der gesetzlichen Neuregelung die Übergangsregelung unbeachtet, die seitens der gesetzlichen Rentenversicherung mit Blick auf Syndici nach Vollendung des 58. Lebensjahres in der gemeinsamen Erklärung vom 12.12.2014 verkündet wurde. Es bleibt zu hoffen, dass hier der Gesetzgeber noch eine Ergänzung vornimmt, damit in solchen Fällen keine zusätzlichen – und nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen auch überflüssige – Befreiungsanträge mehr gestellt werden müssen.
i)
Fazit
Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber die völlig überflüssige Änderung der Rechtsprechung durch das BSG rückgängig gemacht hat. Wünschenswert ist allerdings, dass die derzeit im Gesetzentwurf noch offenen Fragen im weiteren Verfahren gelöst und die Neuregelung eine möglichst zweifelsfreie Handhabe der Rentenversicherungspflicht für Syndikusanwälte möglich macht. (Ga)
10. Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld Durch die zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld vom 13.11.2014 58 ist die Möglichkeit, bei einem vorübergehenden Arbeitsausfall Kurzarbeitergeld weiterhin für die Dauer von bis zu 12 Monaten in Anspruch nehmen zu können, bis zum
58 BGBl. I 2014, 1749.
34
Gesetzentwürfe zur Änderung der betrieblichen Altersversorgung
31.12.2015 verlängert worden. Auch bei einer längeren Phase der fehlenden Auslastung von Arbeitnehmern ist es damit möglich, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Wichtig allerdings ist, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Einführung und Ausgestaltung von Kurzarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) beachtet werden. Wir hatten über die Anforderungen an wirksame Feststellungen durch eine Betriebsvereinbarung an anderer Stelle berichtet 59. Grundlage für die Berechnung des Kurzarbeitergeldes ist die Verordnung über die pauschalierten Nettoentgelte, die am 1.1.2015 für das Jahr 2015 in Kraft getreten ist 60. (Ga)
11.
Gesetzentwürfe zur Änderung der betrieblichen Altersversorgung
a)
Einführung einer tarifvertraglichen Beitragszusage ohne arbeitgeberseitige Ausfallhaftung
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann ein, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Konsequenz ist, dass der Arbeitgeber – außerhalb der Störfälle durch Insolvenz – verpflichtet ist, für die Erfüllung einer Versorgungszusage auch dann einzustehen, wenn sie im Wege einer Direktzusage, einer Pensionskasse, eines Pensionsfonds oder einer Unterstützungskasse geleistet werden soll. Die Bundesregierung beabsichtigt, durch die Einführung einer reinen Beitragszusage hiervon abzuweichen, sofern diese Form der betrieblichen Altersversorgung durch eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien gemäß § 4 TVG durchgeführt wird 61. Entsprechende Überlegungen sind in einem Entwurf eines § 17 b BetrAVG enthalten. Auf diese Weise sollen branchenspezifische Lösungen gefunden werden, die durch individualvertragliche Regelung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch in Arbeitsverhältnissen ohne Tarifbindung übernommen werden können. Diese arbeitsvertragliche Bezugnahme kann auch auf branchenfremde Tarifverträge erfolgen. Ausgeschlossen wird lediglich, entsprechende Regelungen ausschließlich durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung zu treffen.
59 B. Gaul, AktuellAR 2015, 92 f. 60 BGBl I 2014, 2198 ff. 61 Eingehend hierzu Hanau/Arteaga, DB 2015, 615 ff.
35
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Voraussetzung für eine Anwendbarkeit des darin liegenden Privilegs ist, dass die gemeinsame Einrichtung als Pensionskasse oder Pensionsfonds organisiert wird. Die Direktversicherung ist damit als mittelbarer Versorgungsweg für diese Sonderform der Beitragszusage ausgeschlossen. Bei einer entsprechenden Beitragszusage gehen die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers sinngemäß auf die gemeinsame Einrichtung über. Die gemeinsame Einrichtung muss dem Versorgungsberechtigten mindestens eine Leistung garantieren, die der Beitragszusage mit Mindestleistung entspricht. Dabei sind die auf den Beiträgen beruhenden Anwartschaften – abweichend von § 1 b BetrAVG – sofort unverfallbar. Darüber hinaus kann durch den Tarifvertrag eine von § 16 BetrAVG abweichende Regelung getroffen werden. Darin dürfte auch die Befugnis liegen, auf eine Anpassung der Betriebsrenten an die Kaufkraftentwicklung in Gänze zu verzichten. Wenn die gemeinsame Einrichtung insolvent wird oder ihrer Versorgungsverpflichtung nicht (mehr) nachkommt, hat der Versorgungsberechtigte nach Maßgabe des Gesetzentwurfs einen Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung. Der Anspruch ist begrenzt auf den Leistungsumfang einer Leistungszusage mit Mindestleistung. Um diese Verpflichtungen des PSV zu finanzieren, ist die gemeinsame Einrichtung verpflichtet, Beiträge zu entrichten. Diese werden durch das Gesetz unmittelbar in Höhe eines Prozentsatzes vorgegeben. Im Übrigen wird auf § 7 bis 11 BetrAVG verwiesen. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist zwar in einzelnen Punkten präzisierungsbedürftig, insgesamt aber zu begrüßen 62. Es erleichtert die Hinwendung zur betrieblichen Altersversorgung insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen, wenn damit der Grundsatz „pay and forget“ verbunden ist. Zu erwarten ist, dass die Bundesregierung die Erleichterungen in Bezug auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen in § 5 TVG nutzen wird, die tarifvertragliche Beitragszusage hier auch für Unternehmen ohne eine eigene Tarifbindung durchzusetzen. Dies wird deshalb zu Recht auch als ein wesentliches Ziel durch die Bundesregierung genannt. Allerdings sollte man auch in den größeren Unternehmen prüfen, ob und inwieweit dieses Modell nicht nutzbar gemacht werden kann. Dies gilt auch dort, wo bereits tarifvertragliche Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung geschaffen wurden. Hier sollte überlegt werden, bestehende Versorgungszusagen an die Neuregelung durch § 17 b BetrAVG anzupassen. Dies schließt dann ggf. auch einen Wechsel des Versorgungsträgers ein.
62 Vgl. Hanau/Arteaga, DB 2015, 615 ff., 620 f.
36
Gesetzentwürfe zur Änderung der betrieblichen Altersversorgung
b)
Absenkung der Unverfallbarkeitsfristen und Verschärfung der Anpassungspflichten
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-MobilitätsRichtlinie verfolgt die Bundesregierung nicht nur das Ziel, die Richtlinie 2014/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen (EU-Mobilitäts-Richtlinie) umzusetzen. Wir hatten an anderer Stelle bereits darüber berichtet 63. Denn diese Richtlinie gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 5 ausdrücklich nicht für den Erwerb und die Wahrung von Zusatzrentenansprüchen der Arbeitnehmer, die innerhalb eines einzigen Mitgliedstaates zu- und abwandern. Hiervon abweichend beabsichtigt das BMAS allerdings, wesentliche Veränderungen in Bezug auf die Unverfallbarkeit und die Anpassung von Versorgungsanwartschaften auch auf Arbeitnehmer auszudehnen, die von einem Arbeitgeberwechsel innerhalb von Deutschland betroffen sind. Zunächst einmal sollen die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen in § 1 b BetrAVG erheblich abgesenkt werden. Nach der Neuregelung bleibt die Anwartschaft erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 21. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens drei Jahre bestanden hat. Diese Neuregelung soll für Zusagen zur Anwendung kommen, die nach dem 31.12.2017 erfolgen. Bei Zusagen, die vor dem 1.1.2018 erfolgt sind, bleibt die Anwartschaft auch erhalten, wenn die Zusage ab dem 1.1.2018 drei Jahre bestanden hat und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 21. Lebensjahr vollendet ist (§ 33 f Abs. 3 BetrAVG). Durch die Einfügung eines § 2 a BetrAVG soll – ergänzend zu § 16 BetrAVG – eine Verpflichtung geschaffen werden, Versorgungsanwartschaften nach einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon vor Eintritt des Versorgungsfalls anzupassen. Die entsprechende Regelung im Referentenentwurf lautet wie folgt: §2a Berechnung und Wahrung des Teilanspruchs (1) Bei der Berechnung des Teilanspruchs eines mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmers nach § 2 sind Veränderungen der Versorgungszusage und der Bemessungsgrundlagen, die
63 B. Gaul, AktuellAR 2014, 32 ff.
37
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers eintreten, zu berücksichtigen. Dies gilt nicht, wenn die Anwartschaft 1.
als nominales Anrecht festgelegt ist,
2.
eine Verzinsung enthält und die Zinsen auch dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer zugutekommen oder
3.
über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt wird und die Erträge auch dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer zugutekommen.
(2) Die Verpflichtung nach Abs. 1 S. 1 gilt als erfüllt, wenn die Anpassung des Teilanspruchs nicht geringer ist, als der Anstieg 1.
der Anwartschaften oder der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens,
2.
der laufenden Leistungen an die Versorgungsempfänger des Arbeitgebers oder
3.
des Verbraucherpreisindexes für Deutschland.
(3) Ist bei der Berechnung des Teilanspruchs eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen, so kann bei einer unmittelbaren oder über eine Unterstützungskasse durchgeführten Versorgungszusage das bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen allgemein zulässige Verfahren zugrundgelegt werden, es sei denn, der ausgeschiedene Arbeitnehmer weist die bei der gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitpunkt des Ausscheidens erreichten Entgeltpunkte nach. Bei einer über eine Pensionskasse oder einen Pensionsfond durchgeführten Versorgungszusage ist der aufsichtsbehördlich genehmigte Geschäftsplan, der Pensionsplan oder die sonstigen Geschäftsunterlagen zugrunde zu legen. (4) Versorgungsanwartschaften, die der Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden erwirbt, dürfen nicht zu einer Kürzung des Teilanspruchs führen.
Obwohl auch diese Anpassungsverpflichtung erst für Beschäftigungszeiten ab dem 1.1.2018 gelten soll (§ 30 g Abs. 1 BetrAVG), dürfte damit ein erheblicher wirtschaftlicher und administrativer Aufwand für die Arbeitgeberseite verbunden sein. Ebenso wenig wie die Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen war eine Aufnahme dieser Verpflichtung in das Gesetz nicht erforderlich, soweit Arbeitnehmer betroffen sind, die innerhalb Deutschlands den Arbeitgeber wechseln.
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Gesetz zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit
Die mit den vorstehenden Veränderungen in Bezug auf die Unverfallbarkeitsfristen und die mit der Anpassung von Versorgungsanwartschaften verbundenen Mehrkosten werden eine Anhebung der Rückstellungen zur Folge haben. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass die insoweit maßgeblichen Vorschriften in §§ 4 d, 6 a EStG angepasst werden. Ergänzend zu diesen Veränderungen soll § 4 a BetrAVG angepasst werden. Darin sind – wie heute auch – umfangreiche Auskunftspflichten des Arbeitgebers oder Versorgungsträgers vorgesehen, die gegenüber dem Arbeitnehmer oder ausgeschiedenen Arbeitnehmer zu erfüllen sind. Lediglich die Änderungen in Bezug auf die Abfindbarkeit von Kleinstanwartschaften, wie sie derzeit in § 3 Abs. 2 BetrAVG vorgesehen ist, soll nach dem Gesetzentwurf auf Arbeitnehmer beschränkt werden, die innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union abwandern. Nur bei diesem Personenkreis soll die Abfindung von Kleinstanwartschaften an eine Zustimmung des Arbeitnehmers geknüpft werden. Zu erwarten ist, dass das weitere Gesetzgebungsverfahren noch eine erhebliche Diskussion auslösen wird. Denn die damit für die Arbeitgeberseite verbundenen Belastungen sind erheblich und durch das Unionsrecht nicht vorgegeben. Allerdings ist dem BMAS zuzugestehen, dass die Einführung von Sonderregelungen für Arbeitnehmer, die innerhalb mehrerer Mitgliedstaaten wechseln, mit Zweifeln oder Fragen verbunden ist, sofern darin eine Begünstigung gegenüber den innerhalb von Deutschland von einem Arbeitgeberwechsel betroffenen Arbeitnehmern zu sehen ist. (Ga)
12. Gesetz zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit Das Bundesfamilienministerium hat angekündigt, den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, durch das eine Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt für Männer und Frauen erleichtert werden soll. Zur Begründung beruft sich das Bundesfamilienministerium auf eine seit einigen Jahren im Umlauf befindliche Statistik, nach der 22 % der Frauen eine geringere Vergütung als Männer erhalten. Diese Statistik ist für eine solche Rechtfertigung allerdings ungeeignet. Denn sie berücksichtigt nicht, dass hier unterschiedliche Berufsgruppen und Branchen in eine Durchschnittsbetrachtung gebracht werden. So werden Einzelhandel und Reinigungsgewerbe mit der Metall- und Elektroindustrie „in einen Topf geworfen“. Darüber hinaus berücksichtigt die Statistik nicht, dass Frauen vielfach in Teilzeit tätig sind. Das daraus folgende Entgelt wird aber ohne eine Umrechnung auf Vollzeitbeschäftigte in den Durchschnitt einbezogen. 39
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Angesichts der bereits im Unionsrecht, dem Grundgesetz, der Betriebsverfassung und einfachgesetzlichen Regelungen bestehenden Vorgaben zur Gewährleistung der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen erscheint es zweifelhaft, dass zu diesem Zweck weitere gesetzliche Vorgaben erforderlich sind. Dabei soll allerdings nicht bestritten werden, dass es nach wie vor Einzelfälle gibt, in denen das Verbot einer Differenzierung wegen des Geschlechts unbeachtet bleibt. Beispielhaft sei hier nur auf die BirkenstockFälle verwiesen, die am 14.8.2014 64 entschieden wurden. Dort war eine langjährige und klare Diskriminierung von Frauen in Bezug auf das Arbeitsentgelt erfolgt. Solche Einzelfälle dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Regel bei gleicher Arbeit im gleichen Unternehmen keinerlei Differenzierungen zwischen Männern und Frauen gemacht werden. Die Differenzierungen ergeben sich faktisch daraus, dass die stärkere Einbindung der Frauen in die familiären Pflichten nicht ausreichend bei der beruflichen Entwicklung berücksichtigt und gefördert wird. Ungeachtet dessen ist zu erwarten, dass ein Gesetzentwurf kommen wird. Denkbar ist, dass sich das Familienministerium dabei an dem Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes für Frauen und Männer (Entgeltgleichheitsgesetz) orientiert, das die SPD-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode in den Bundestag eingebracht hatte 65. Wir hatten darüber bei früherer Gelegenheit berichtet 66. (Ga)
13. Gesetzesinitiative zur sachgrundlosen Befristung? Auch in diesem Jahr hat sich die Bundesarbeitsministerin erneut dafür ausgesprochen, das Privileg einer sachgrundlosen Befristung in § 14 Abs. 2 TzBfG abzuschaffen. An diesem Ziel müsse festgehalten werden, auch wenn dies nicht im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden konnte 67. Ein konkreter Gesetzentwurf ist aber im Ministerium offenbar nicht geplant und dürfte auch – berechtigterweise – am Widerstand des Koalitionspartners scheitern. (Ga)
64 5 Sa 372/13 n. v.; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 13.8.2014 – 4 Sa 519/13, NZARR 2015, 236. 65 BT-Drucks. 17/9781. 66 B. Gaul, AktuellAR 2012, 320, 395 ff. 67 AuR 2015, 57.
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Neue Entwicklungen im Unternehmensstrafrecht
14. Neue Entwicklungen im Unternehmensstrafrecht Grundsätzlich richten sich strafrechtliche Vorschriften an natürliche Personen. Dies gilt nach § 130 OWiG auch dann, wenn der Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen oder deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Das Unternehmen selbst wird nur durch Geldbußen nach § 30 OWiG getroffen, wenn vertretungsberechtigte Organe oder leitende Mitarbeiter eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert wurde oder werden sollte. Darüber hinaus gehende Maßnahmen richten sich im Zweifel nur gegen das Vermögen der Gesellschaft oder ihre Befugnis, das (erlaubnispflichtige) Gewerbe zu betreiben. Bereits im Jahre 2013 hatte das Land NRW deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden vorgelegt. Bislang ist der Gesetzentwurf allerdings nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden. Hintergrund dürften vor allem die verfassungsrechtlichen Bedenken sein, die sich gegen die darin liegende Verbandsschuld richten. Denn im Wesentlichen sah der Gesetzentwurf vor, dass bei einer strafrechtlich relevanten Verhaltensweise von Unternehmensvertretern auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens selbst entstehen kann. Problematisch ist insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine solche Zurechnung erfolgen darf. Dies gilt nicht nur für die Kennzeichnung der vertretungsberechtigten Personen, sondern auch für das im Strafrecht an sich erforderliche Verschulden. Dieses kann bei einer Gesellschaft selbst nicht vorhanden sein, muss also im Wege einer Zurechnung des Handelns natürlicher Personen unterstellt werden. Wir werden über den weiteren Fortgang berichten. (Ga)
15. Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption Mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption will das Bundesjustizministerium mehrere EU-Richtlinien sowie Strafrechtsübereinkommen umsetzen. Bestandteil dieser Änderungen sind auch Änderungen von § 299 StGB. Mit einem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen sollen darüber hinaus Besonderheiten dieser Branche berücksichtigt werden.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Nach der geplanten Neuregelung von § 299 StGB soll mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge oder seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze. In gleicher Weise wird bestraft, wer solche Angebote, Versprechungen oder tatsächliche Leistungen gegenüber einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens vornimmt. Strafantragsberechtigt sind dabei neben dem Verletzten auch die in § 8 Abs. 3 Nrn. 2, 4 UWG bezeichneten Verbände und Kammern. Die Neuregelung hat zur Folge, dass Schmiergeldzahlungen auch außerhalb einer konkreten Wettbewerbssituation erfasst werden, wenn damit eine Verletzung vertraglicher Pflichten eines Angestellten oder Beauftragten verbunden ist. Dabei muss es sich um Pflichten handeln, die sich auf den Bezug von Waren oder Dienstleistungen bestehen. § 299 StGB dient insoweit auch dem Schutz der Interessen des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten und Beauftragten im Bereich des Austauschs von Waren und Dienstleistungen. Neben einer Strafbarkeit nach § 299 StGB kann immer auch eine Strafbarkeit wegen Untreue gegeben sein. (Ga)
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B. 1.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Überprüfung der EU-Arbeitszeitrichtlinie
Anfang Dezember hat die EU-Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ArbeitszeitRichtlinie) eingeleitet. Zweck der damit verbundenen Konsultation ist es, im Rahmen der laufenden Überprüfung und Folgenabschätzung in Bezug auf die Arbeitszeit-Richtlinie und im Hinblick auf mögliche Änderungen an der Richtlinie Meinungen und Beiträge der Öffentlichkeit einzuholen. Diese erste Konsultation ist am 15.3.2015 abgeschlossen worden. Viele Stellungnahmen betreffen die Möglichkeit, von der Arbeitszeit-Richtlinie abweichende Regelungen zu vereinbaren. Dabei geht es nicht nur um bestimmte Personengruppen, die ausgegrenzt werden sollen. Es geht insgesamt um die Möglichkeit, durch eine „Opt-in/Opt-out-Regelung“ ohne Rücksicht auf eine bestimmte Kennzeichnung von Arbeitnehmern Voraussetzungen dafür zu schaffen, im Bereich der Arbeitszeit eine stärkere Flexibilisierung durchzusetzen. Dies dürfte nicht nur den veränderten Arbeitsprozessen in einer globalisierten Welt Rechnung tragen. Eine solche Gestaltungsmöglichkeit dürfte auch der Erwartung vieler Arbeitnehmer entsprechen, die – auch unter Ausnutzung moderner Techniken – flexibler über Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit und die Verteilung auf die Wochentage entscheiden wollen. Wir werden über den weiteren Fortgang und etwaige Vorschläge der Kommission berichten. (Ga)
2.
Unionsrechtliche Schranken eines Mindestlohns für Werkverträge
Gemäß Art. 101 AEUV sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und deshalb verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken.
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
In seinem Urteil vom 4.12.2014 1 hat der EuGH daran anknüpfend deutlich gemacht, dass auch mit Verbandstarifverträgen zwar zwangsläufig gewisse, den Wettbewerb beschränkende Wirkungen verbunden seien, die Erreichung der mit derartigen Verträgen angestrebten sozialpolitischen Ziele jedoch ernsthaft gefährdet wäre, wenn die Sozialpartner bei der gemeinsamen Suche nach Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen Art. 101 Abs. 1 AEUV unterlägen. Voraussetzung hierfür sei allerdings, dass es sich um Kollektivverhandlungen handelt, die Arbeitsverhältnisse erfassen sollen. Würden entsprechende Vereinbarungen über Mindestarbeitsbedingungen allerdings durch Vereinigungen abgeschlossen, die selbständige Dienstleistungserbringer vertreten, fielen diese wiederum in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die Wirksamkeit entsprechender Schranken durch die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen hängt damit davon ab, ob die hiervon betroffenen Personen als „Arbeitnehmer“ gekennzeichnet werden können. Bei der insoweit erforderlichen Kennzeichnung des Dienstleistungserbringers als unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer einerseits und dem Begriff des Arbeitnehmers andererseits sind – so der EuGH – objektive Kriterien zu verwenden, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Betroffenen kennzeichnen. Dabei sei als wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses anzunehmen, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringe, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalte 2. Wichtig dabei ist, dass die Einstufung als „selbständiger Leistungserbringer“ nach dem Recht eines Mitgliedsstaats nicht ausschließt, dass eine Person als „Arbeitnehmer“ i. S. d. Unionsrechts zu qualifizieren ist, wenn die Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein tatsächliches Arbeitsverhältnis verschleiert. Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ i. S. d. Unionsrechts wird deshalb nicht dadurch berührt, dass eine Person aus steuerlichen, administrativen oder verwaltungstechnischen Gründen nach innerstaatlichem Recht als selbständiger Dienstleistungserbringer beschäftigt wird, sofern sie nach Weisung ihres Arbeitgebers handelt, insbesondere was ihre Freiheit bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt ihrer Arbeit angeht 3, wenn sie nicht an den geschäftlichen Risiken dieses Arbeitgebers beteiligt ist 4 und wenn sie während der Dauer dieses Arbeits-
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C-413/12, NZA 2015, 55 Rz. 21 ff. – FNV Künsten Informatie en Media. EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, NZA 2015, 55 Rz. 33 ff. – FNV Kunsten Informatie en Media. So bereits EuGH v. 31.1.2004 – C-256/01, NZA 2004, 201 Rz. 72 – Allonby. Vgl. bereits EuGH v. 14.12.1989 – C-3/87 n. v. (Rz. 36) – Agegate.
Aktueller Stand der Diskussion zur Datenschutz-Grundverordnung
verhältnisses in das Unternehmen des Auftraggebers eingegliedert ist und mit ihm eine wirtschaftliche Einheit bilde 5. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist es mit Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht vereinbar, wenn Mindestarbeitsbedingungen auf der Ebene eines Mitgliedsstaats für Unternehmen bzw. Selbständige festgelegt werden, die im Rahmen einer freien unternehmerischen Tätigkeit im Markt auftreten. Wenn es sich bei den „Selbständigen“ allerdings nur um „Scheinselbständige“ handelt, können durch Gesetz oder Tarifvertrag Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden, ohne dass die Schranken des Art. 101 Abs. 1 AEUV beachtet werden müssen. Denn diese „Scheinselbständigen“ befinden sich nach der insoweit überzeugenden Auffassung des EuGH in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer, was eine Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV entgegensteht 6. (Ga)
3.
Aktueller Stand der Diskussion zur DatenschutzGrundverordnung
Nach wie vor gibt es keine Einigung über die DatenschutzGrundverordnung. Daran hat sich auch nach der Tagung des Justizministerrats am 4.12.2014 nichts geändert. Zwar konnte eine weitere Einigung in Bezug auf die allgemeine Ausrichtung der Datenverarbeitung im öffentlichen Bereich erreicht werden. Diese könnte sogar zur Folge haben, dass die strengeren Vorschriften des deutschen Datenschutzrechts angepasst werden müssen. Die Artikel über „Verarbeitung personenbezogener Daten für Gesundheit“ waren indes noch nicht Teil dieser Erörterung. Hierzu gibt es - wie auch mit Blick auf sonstige für das Arbeitsrecht bedeutsame Regelungen – weiterhin Diskussionsbedarf, der nach aktueller Erkenntnis auch bis zum Sommer 2015 nicht abgeschlossen werden kann 7. (Ga)
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Vgl. bereits EuGH v. 16.9.1999 – C-22/98 n. v. (Rz. 26) – Becu. EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, NZA 2015, 55 Rz. 41 f. – FNV Kunsten Informatie en Media. Vgl. EU-Agenda, ZESAR 2015, 49 f.; DAV, EiÜ 1/2013.
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C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.
Bedeutung der Form der Mitteilung einer Behinderung im Bewerbungsverfahren
In der Vergangenheit hatte sich das BAG immer wieder mit der Frage zu beschäftigen, ob und inwieweit den Arbeitgeber Entschädigungspflichten auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 AGG treffen können, wenn sich ein schwerbehinderter Mensch erfolglos bei ihm beworben hatte. In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber im SGB IX Verfahrens- und Fördervorschriften geschaffen1, die darauf angelegt sind, die Beschäftigung dieses Personenkreises zu unterstützen. So sind nach der Verfahrensvorschrift des § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Nach einer entsprechenden Information der Agentur für Arbeit schlägt diese oder ein Integrationsfachdienst den Arbeitgebern geeignete schwerbehinderte Menschen vor (§ 81 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Über entsprechende Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber im Sinne einer Fördervorschrift die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat (Personalrat) unmittelbar nach Eingang zu unterrichten (§ 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX), um dadurch das in § 95 vorgesehene Förderungspotential der Schwerbehindertenvertretung zu aktivieren. Diese hat nach § 95 Abs. 3 S. 3 SGB IX u.a. beim Vorliegen von Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit nach § 81 Abs. 1 SGB IX oder von Bewerbungen schwerbehinderter Menschen das Recht auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen und Teilnahme an Vorstellungsgesprächen. Besondere Pflichten in diesem Sinne treffen öffentliche Arbeitgeber: Sie haben schwerbehinderte Menschen, die sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben haben oder von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden sind, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
1
Vgl. zu dieser Differenzierung BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, DB 2014, 2660 Rz. 46.
47
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Nach der Rechtsprechung des BAG2 kann grundsätzlich aus der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG abgeleitet werden. Damit kann auf geeignete Weise vom Arbeitgeber der Anschein erweckt werden, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein und sogar möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen3. Soweit es um die Verfahrensvorschrift aus § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX geht, begründet ein dem Arbeitgeber zurechenbarer Pflichtverstoß auch ohne Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i. S. v. § 22 AGG dafür, dass eine ihm zuteil gewordene benachteiligende Behandlung auf dem Merkmal der Behinderung beruht. Das BAG4 begründet diese rechtliche Konsequenz damit, dass der Arbeitgeber durch die bloße Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit bereits den Anschein erweckt, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen und auch möglichen Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsverwaltung keinerlei Interesse zu haben. Damit deutet der Verstoß gegen die Verfahrenspflichten nach § 81 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB IX für sich betrachtet bereits darauf hin, dass das Merkmal der Behinderung zumindest Teil des Motivbündels des Arbeitgebers war, soweit die Bewerbung von Schwerbehinderten erfolglos war (§ 22 AGG). Anders verhält es sich, wenn den Arbeitgeber Förderpflichten für schwerbehinderte Menschen treffen. In diesem Fall kann eine Benachteiligung nicht wegen einer Behinderung angenommen werden, wenn dem Arbeitgeber die Behinderung nicht bekannt ist. Ohne Information über die Behinderung kann deshalb die Indizwirkung des § 22 AGG nicht ausgelöst werden5. Diese Kenntnis ist auch der Pflicht geschuldet, in unionsrechtskonformen Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB6 der in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG vorgesehenen Gewährleistung angemessener Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen nachzukommen, um ihnen den Zugang zur Beschäftigung zu ermöglichen, soweit die entsprechenden Maßnahmen den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belasten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich für die
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48
BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, ZTR 2014, 731 Rz. 45; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 180/12, NZA 2013, 840 Rz. 37; BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 29. BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, AP Nr. 9 zu § 15 AGG Rz. 47. BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, AP Nr. 9 zu § 15 AGG Rz. 47. BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 29; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 759/13, ZTR 2015, 216 Rz. 37. BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 662/13, NZA 2014, 924 Rz. 42.
Form der Mitteilung einer Behinderung im Bewerbungsverfahren
Anwendung des AGG der Behindertenbegriff nicht aus § 2 Abs. 1 SGB IX, sondern aus Art. 1 Unterabs. 2 des „Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. 12. 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" (UN-BRK) erschließt7. Insofern können im Rahmen des AGG auch Verpflichtungen aus § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX von Bedeutung sein. Wegen dieser Förderpflichten ist der Arbeitgeber nach Ansicht des BAG berechtigt, im Bewerbergespräch die „Art der Einschränkungen“ sich aus einer in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Behinderung des Bewerbers zu erfragen8. Ist die Kenntnis der Schwerbehinderung der Auslöser für die im Gesetz vorgesehenen Förderpflichten des Arbeitgebers, so stellt sich die Frage, auf welche Weise diese Kenntniserlangung erfolgt und wie der schwerbehinderte Mensch den erforderlichen Nachweis seiner Schwerbehinderung führt. Bereits bei früherer Gelegenheit hat der 8. Senat des BAG9 dazu ausgeführt, dass der Bewerber den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderteneigenschaft zu informieren hat, soweit dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachweislich schon bekannt ist (etwa Innenbewerbung) oder – etwa bei einem Vorstellungsgespräch – eine körperliche Behinderung offensichtlich bekannt wird, weil etwa der Bewerber einen Rollstuhl benutzen muss. Dabei geht das BAG10 davon aus, dass die Information über die Behinderung regelmäßig im Bewerbungsschreiben unter Angabe des Grades der Behinderung, gegebenenfalls einer Gleichstellung, zu erfolgen hat, was sich aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB ergibt. Alternativ will das BAG auch die Information im Lebenslauf zulassen, allerdings unter der Voraussetzung, dass dies an einer hervorgehobenen Stelle oder deutlich dadurch geschieht, dass dieser Gesichtspunkt durch eine besondere Überschrift hervorgehoben wird. Unauffällige oder eingestreute Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten oder eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises, sind danach keine ordnungsgemäße Information des Bewerbers und müssen daher vom einstellenden Arbeitgeber nicht zur Kenntnis genommen werden.
Vgl. Gesetz v. 21.12.2008 zum UN-BRK BGBl. II S. 1419. Grds. dazu EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11 und C-337/11, NZA 2013, 553 – HK Danmark; anschließend BAG v. 19.12.2013 - 6 AZR 190/12, BB 2014, 115. 8 BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, ZTR 2014, 731 Rz. 53. 9 v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 30. 10 v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 30. 7
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
In einer weiteren Entscheidung vom 18.9.2014 war der 8. Senat des BAG11 erneut mit der Frage befasst, in welcher Form bei einer Außenbewerbung die Mitteilung der Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren vorzunehmen ist und wie die Beweisführung dieser Angabe auszusehen hat. Der mit einem GdB von 50 % schwerbehinderte Kläger bewarb sich am 16.6.2010 bei der beklagten Universität als Projektkoordinator. Weder im Bewerbungsschreiben selbst noch im Lebenslauf wies der Kläger auf seine Schwerbehinderung hin. Der Bewerbung war ein Anlagenkonvolut von 34 Seiten beigefügt. Auf Seite 29 befand sich eine Ablichtung seines Schwerbehindertenausweises. Die den Vorgang bearbeitende Sachbearbeiterin entdeckte diesen Hinweis, unterrichtete die Schwerbehindertenvertretung, den Personalrat (Betriebsrat) und lud den Kläger zum Vorstellungsgespräch am 28. 6. 2010 ein. Der Kläger erhielt unter dem 17.8.2010 eine Absage. Am 25.7.2010 bewarb sich der Kläger erneut bei der beklagten Universität um die Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am staatswissenschaftlichen Seminar. Auch bei dieser Bewerbung befand sich eine Kopie des Schwerbehindertenausweises auf Blatt 24 der beigefügten Anlagen, ohne dass die Schwerbehinderung zum Gegenstand des Bewerbungsschreiben selbst oder des Lebenslaufs gemacht worden war. Auf telefonische Nachfrage wurde ihm am 24.1.2011 mitgeteilt, dass er bei der bereits im August 2010 getroffenen Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden habe. Die Absage veranlasste den Kläger, gegen die Körperschaft des öffentlichen Rechts im Klagewege einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 10.757,16 € zu verfolgen. Dabei berief sich der Kläger vor allem auf eine Verletzung der Förderpflichten aus § 82 S. 2 SGB IX, während sich die beklagte Universität damit verteidigte, mangels Erwähnung der Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben keine Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt zu haben. Das LAG Köln12 hat der Klage in Höhe von 5.378,58 € entsprochen, während das BAG13 die Klage des Klägers abgewiesen hat. In dieser Entscheidung hält das BAG an seiner bisherigen Auffassung fest, dass ein Bewerber seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch unter Angabe des GdB dem angestrebten Arbeitgeber alternativ im Bewerbungsschreiben oder im Lebenslauf an hervorgehobener Stelle mitzuteilen hat und „eingestreute“ oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc. keine ordnungsgemäße Information
11 8 AZR 759/13, ZTR 2015, 216. 12 v. 24.10.2012 – 9 Sa 214/12 n. v. 13 BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 759/13, ZTR 2015, 216.
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Form der Mitteilung einer Behinderung im Bewerbungsverfahren
des angestrebten Vertragspartners darstellen. Im Streitfall bestand jedoch die Besonderheit, dass der beklagten Universität durch die vorangegangene Bewerbung, die nur einen Monat zurücklag, die Schwerbehinderung des Klägers bekannt war. Der 8. Senat des BAG korrigiert und ergänzt seine frühere Entscheidung14 dahingehend, dass bei einer Außenbewerbung der Beschäftigtenstatus i. S. von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG immer nur für die Zeit der jeweiligen Bewerbung erworben wird und daher die Eigenschaft als behinderter oder schwerbehinderter Mensch bei jeder Bewerbung aufs Neue klar und eindeutig mitzuteilen ist. Es läge nämlich in der Entscheidung des Bewerbers, ob er bei der konkreten Bewerbung seine Behinderung oder Schwerbehinderung vom Arbeitgeber berücksichtigt wissen will. Angesichts dessen können ordnungsgemäße Mitteilungen der Schwerbehinderung bei früheren Bewerbungen nicht die fehlerhafte oder fehlende Mitteilung bei weiteren Bewerbungen ersetzen. Dabei lässt sich das BAG von der Erwägung leiten, dass weder eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung bei der Bewerbung besteht, noch der Arbeitgeber ohne Bezug zu konkreten Anforderungen der auszuübenden Tätigkeit ein entsprechendes Fragerecht hat15 und ihm das Recht verwehrt ist, sensible Daten, wie die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, nach Abschluss einer Bewerbung zu speichern. Überdies könne der Arbeitgeber nicht wissen, ob eine anlässlich einer früheren Bewerbung mitgeteilte Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch noch bei der erneuten Bewerbung vorliegt. Bezüglich des Nachweises einer Schwerbehinderung genügte nach Auffassung des BAG die Kopie der Ausweisvorderseite des Schwerbehindertenausweises, um die Anwendungspflicht der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen auszulösen. Wegen der nicht ordnungsgemäßen Information der Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben selbst oder im Lebenslauf vermochte sich der Kläger auf die Kopie des Schwerbehindertenausweises allerdings nicht zu berufen, so dass die Entschädigungsklage abgewiesen worden ist. Für die betriebliche Praxis erweist sich diese Entscheidung des BAG als erfreulich, weil damit klargestellt wird, dass die Kenntnis von der Schwerbehinderung einer früheren Bewerbung künftig keine Nachwirkung erzeugt, es sei denn, der schwerbehinderte Mensch beruft sich erneut bei einer weiteren Bewerbung im Bewerbungsschreiben selbst oder im Lebenslauf auf diese Eigenschaft. (Boe)
14 v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258. 15 BAG 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, ZTR 2014, 731 Rz. 53.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
2.
Statistik als Indiz einer Benachteiligung von Bewerbern
Die Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbieten jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und legen das Recht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen Bereichen, einschließlich Beschäftigung, Arbeit und Entgelt, fest. Der Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen dient die Richtlinie 2006/54/EG, wonach durch Art. 14 vorgegeben wird, dass es im öffentlichen und privaten Sektor keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei den Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, geben darf. Nach Art. 2 a dieser Richtlinie betrifft die „unmittelbare Diskriminierung“ eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Art. 2b dieser Richtlinie beschreibt den Ausdruck der „mittelbaren Diskriminierung“ als eine Situation, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Diese unionsrechtlichen Vorgaben hat der deutsche Gesetzgeber durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14.8.200616 unter Übernahme der vorstehenden Begriffsbestimmungen und des Anwendungsbereichs (§§ 3 Abs. 1 und 2 ,2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) umgesetzt. Die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen war immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung des BAG17, soweit es um den Zugang zur Beschäftigung geht. Dabei können sich Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf eine unmittelbare und mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts ergeben. Eine unmittelbare Benachtei-
16 BGBl. I S. 1897 i. d. F. v. 3.4.2013, BGBl. I S. 610. 17 BAG v. 22.7.2010 – 8 AZR 1012/08, NZA 2011, 93; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 483/09, NZA 2011, 689; vgl. auch EuGH v. 19.4.2012 – C-415/10, NZA 2012, 493 – Meister.
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Statistik als Indiz einer Benachteiligung von Bewerbern
ligung einer Frau wegen ihres Geschlechts ist dabei nicht nur auf die Fälle einer ungünstigeren Behandlung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft begrenzt. Vielmehr stellt § 3 Abs. 1 S. 2 AGG klar, dass sich der Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 S. 1 AGG nicht auf diese Merkmale verengen lässt18 und lediglich biologische Tatsachen betrifft, die bei Männern und Frauen nicht in gleicher Weise vorliegen können. Der Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung wegen des Geschlechts kann möglicherweise auch in einer arbeitgeberseitigen Äußerung liegen, die dem anderen Geschlecht gegenüber nicht gemacht worden wäre, wenn ausschließlich Arbeitnehmer eines der beiden Geschlechter davon betroffen sind19. Dabei ist eine verbotene „unmittelbare“ Benachteiligung stets vor einer „mittelbaren“ Diskriminierung vorrangig zu prüfen20. Soweit es um die Beurteilung einer „mittelbaren“ Diskriminierung i. S. d. § 3 Abs. 2 AGG geht, können sich auch aus Statistiken grundsätzlich Indizien für eine Geschlechterdiskriminierung ergeben, was der EuGH21 bejaht hat, wenn sich aus den verfügbaren statistischen Daten herleiten lässt, dass ein wesentlich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer die durch diese Regelung aufgestellten Voraussetzungen erfüllen kann. Keineswegs bedarf es aber für die Annahme einer mittelbaren Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 2 AGG stets eines statistischen Nachweises, wonach Personen, bei denen eines der Merkmale des § 1 AGG vorliegt, im Verhältnis zu Personen, bei denen dies nicht der Fall ist, zahlenmäßig wesentlich stärker von einer Vorschrift benachteiligt werden, wenn das Kriterium dazu typischerweise geeignet ist22. Anknüpfungspunkt für die Anwendung des AGG mit Blick auf jede Art von Diskriminierung bildet dabei § 22 AGG, welcher die Darlegungs- und Beweislast für eine vermutete Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG aufgeführten Grundes erleichtert. Danach trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat, wenn die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 18 BT-Drucks. 16/1780 S. 32. 19 Vgl. etwa BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 483/09, NZA 2011, 689 Rz. 25, 36. 20 EuGH v. 20.10.2011 – C-123/10, NZA 2011, 1412 Rz. 55 – Brachner; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, BB 2015, 506 Rz. 18. 21 v. 6.12.2007 – C-300/06, NZA 2008, 31 Rz. 41 – Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Frauen; vgl. auch BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 483/09, NZA 2011, 689 Rz. 29. 22 BAG v. 22.4.2010 – 6 AZR 966/08, NZA 2010, 947 Rz. 20; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, BB 2015, 506 Rz. 38.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
AGG genannter Grund „Bestandteil eines Motivbündels“ ist, das die Entscheidung beeinflusst hat, ohne dass dieser Grund ausschließliches oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden gewesen ist23. In der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 18.9.201424 war im Zusammenhang mit einer Entschädigungsklage auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 AGG darüber zu befinden, ob eine Bewerberin wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden war. Die verheiratete Klägerin und Mutter eines Kindes, das zur Zeit der Bewerbung sieben Jahre alt war, hatte sich bei der Beklagten, einem Radiosender, auf eine Vollzeitstelle als Buchhalterin beworben. Sie erhielt eine Absage, der die Beklagte zu ihrer Entlastung die eingereichten Bewerbungsunterlagen beigefügte. Auf dem Lebenslauf fand die Klägerin neben ihrer Textzeile „verheiratet, ein Kind“ den handschriftlich hinzugefügten Vermerk „7 Jahre alt!“. Die so entstehende Wortfolge „ein Kind 7 Jahre alt!“ war durchgängig unterstrichen worden. Wegen dieses Vermerks sah sich die Klägerin diskriminiert und beanspruchte nach rechtzeitiger Geltendmachung und Klageerhebung (§§ 15 Abs. 4 AGG, 61b Abs. 1 ArbGG) eine Entschädigung von zunächst 3.000 €, welchen Betrag sie im Verlaufe des Prozesses auf 6.081 € erweiterte. Der Arbeitgeber verteidigte sich mit dem Hinweis, diese Notiz sei als Hilfestellung erfolgt, weil man so habe feststellen können, dass das Kind der Klägerin bereits in der Schule und damit eine Vollzeitbeschäftigung möglich sei. Das LAG Hamm25 hat der Klage in Höhe von 3.000 € entsprochen und dies damit begründet, die Beklagte habe die Klägerin bei der Ablehnung ihrer Bewerbung wegen des handschriftlichen Zusatzes mittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Diese Bewertung hat das LAG auf die statistischen Daten des Mikrozensus 2010 des Statistischen Bundesamtes gestützt, wonach Ehefrauen mit Kindern zu 60 %, verheiratete Väter mit Kindern zu 85 % berufstätig waren und nur 25 % der erwerbstätigen, verheirateten Mütter in Vollzeit arbeiteten im Gegensatz zur 95 % der verheirateten Väter. Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen, weil die vom LAG nutzbar gemachte Statistik für die Beurteilung der Fallkonstellation nicht aussagekräftig war. Statistiken der „ausgeübten Tätigkeit“ haben in der Tat keinen Aussagewert
23 Ständige Rspr. Vgl. nur BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 563/12, NZA 2014, 82 Rz. 64; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, BB 2015, 506 Rz. 22. 24 8 AZR 753/13, BB 2015, 506. 25 v. 6.6.2013 – 11 Sa 335/13, NZA-RR 2013, 570 Rz. 32.
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Statistik als Indiz einer Benachteiligung von Bewerbern
für die Frage des Erfolges oder Misserfolges von Bewerbungen. Hier war dem LAG ein Denkfehler unterlaufen. Das BAG konstatiert zunächst, dass bei der vorrangig zu prüfenden unmittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts im Streitfall nicht davon auszugehen war, dass die Klägerin wegen ihrer „Mutterschaft“ ungünstiger behandelt worden wäre. Zwar seien Schwangerschaft und Mutterschaft untrennbar mit dem Geschlecht verbunden und jede deswegen erfolgende Schlechterstellung von Frauen eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Diese beiden Aspekte waren jedoch im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, weil unter „Mutterschaft“ nur der besondere Schutz der Frau im Zusammenhang mit einer kurz bevorstehenden oder gerade erfolgten Entbindung zu verstehen ist26. Indessen kann nach Auffassung des BAG eine arbeitgeberseitige Äußerung, die dem anderen Geschlecht gegenüber nicht gemacht worden wäre, ein Grund im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 AGG darstellen, wenn ausschließlich Arbeitnehmer eines der beiden Geschlechter davon betroffen sind. Diese Sichtweise kann auch auf Äußerungen zutreffen, die von tradierten Rollenmustern ausgehen und der Annahme entsprechen, eines der beiden Geschlechter sei hauptsächlich für die Kinderbetreuung zuständig und daher als Arbeitskraft weniger flexibel und nur mit Einschränkungen verfügbar. Der Boden der denkbaren Neutralität des handschriftlichen Vermerks „ein Kind 7 Jahre alt!“ wird jedenfalls dann verlassen, wenn ein derartiger Vermerk nur auf Lebensläufen weiblicher Elternteile vom Arbeitgeber gemacht wird, weil wegen der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen der Eindruck entstehen muss, gerade bei Frauen bestünde die Problematik der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit. Hierin kann ein Einstellungshindernis für Frauen und Mütter liegen, das sich als unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auswirkt. Diesem Gesichtspunkt hatte das LAG durch weitere Aufklärung nachzugehen. Soweit es um eine denkbare „mittelbare“ Diskriminierung wegen des Geschlechts geht, besteht auch eine Indizwirkung von Statistiken27, um eine Diskriminierungsvermutung zu belegen. Für die erste Stufe der Darlegungsund Beweislast aus § 22 AGG reichen nämlich Hilfstatsachen aus, die eine Benachteiligung als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Diese muss der Arbeitgeber auf der zweiten Stufe durch einen Vollbeweis widerlegen. Wie das BAG jedoch zu Recht betont, muss eine entsprechende Statistik in Relation zu der benachteiligenden Maßnahme – hier Bewerbung – die er26 BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, BB 2015, 506 Rz. 26. 27 BAG v. 22.7.2010 – 8 AZR 1012/08, NZA 2011, 93 Rz. 38.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
forderliche Aussagequalität aufweisen und darf sich nicht allein darauf beschränken, dass generell Frauen mit Kindern im Verhältnis zu Männern mit Kindern im Berufsleben unterrepräsentiert sind. Das hat keinen Aussagewert für die Bewerbung. Die Entscheidung des BAG sollte für die Praxis eine Sensibilisierung im Umgang mit Bewerbungen und geschlechtsspezifischen Äußerungen hervorrufen, die auch ohne eine dahinter stehende Absicht den Eindruck entstehen lassen können, ein für Frauen typisches Merkmal könnte Bestandteil einer benachteiligenden Behandlung sein. Unentschieden hat das BAG gelassen, ob § 61 b ArbGG nach Ablauf der Klageerhebungsfrist eine Erhöhung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG im späteren Verlauf des Prozesses zulässt. Hierfür könnte sprechen, dass der Gesetzgeber durchaus gestattet, die Angemessenheit der Entschädigung dem Gericht zu überlassen, wobei es genügt, dass der Kläger einen Mindestbetrag nennt, der vom Gericht überschritten werden kann. (Boe)
3.
Neue Rechtsprechung zur Befristung
In mehreren neuen Entscheidungen hat der für das Befristungsrecht zuständige 7. Senat des BAG28 Fragen der Zulässigkeit der Befristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG behandelt, die sich mit dem vorübergehenden betrieblichen Bedarf an der Arbeitsleistung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG), den in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG), dem Sachgrund einer auf einem gerichtlichen Vergleich beruhenden Befristung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG) sowie der gedanklichen Vertretung befassen (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG).
a)
Befristung eines Arbeitsvertrags wegen Projektarbeit
In § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG wird die Befristung eines Arbeitsvertrages für sachlich gerechtfertigt angesehen, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Bereits in früheren Entscheidungen hat das BAG29 diesen Sachgrund der Befristung von der regelmäßig gegebenen Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs eines Unternehmens abgegrenzt, weil eine derartige Unsicherheit zum 28 BAG v. 24.9.2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 30; BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR 17/13 n. v.; BAG v. 12.11.2014 – 7 AZR 891/12, NZA 2015, 379; BAG 14.1.2015 – 7 AZR 2/14 n. v.; BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR 113/13, BB 2015, 1081. 29 BAG 17.3.2010 - 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633; BAG v. 11.9.2013 – 7 AZR 107/12, NZA 2014, 150; BAG v. 24.9.2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301.
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Neue Rechtsprechung zur Befristung
allgemeinen unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers gehört. Der Sachgrund des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG setzt vielmehr voraus, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit erwarten kann, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht30. Diese Prognose – genauer die tatsächlichen Grundlagen hierfür – hat der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Abschlusses des befristeten Arbeitsvertrags zu erstellen. Sie ist nach gefestigter Spruchpraxis des BAG31 Teil des Sachgrundes für die Befristung, wobei die konkreten Umstände in der Entfristungsklage (§ 17 TzBfG) von vornherein Gegenstand der Vortrags- und Beweislast des Arbeitgebers sind. Wenn auch für die Wirksamkeit einer Befristung grundsätzlich die Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend sind, können nach Ansicht des BAG auch spätere Entwicklungen herangezogen werden, die indiziell dafür sprechen, dass entweder die Befristung bei Vertragsschluss in Wahrheit nicht vorlag, sondern lediglich vorgeschoben ist oder aber die Prognose bestätigen. Gegen die Prognose sprechende Umstände verschärfen die Darlegungslast des Arbeitgebers. Er muss begründet darlegen, dass zumindest im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die nachfolgende Entwicklung mit seiner Prognose in keinem Zusammenhang steht oder die anderslaufende Entwicklung für ihn nicht absehbar war32. Auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH vom 26.1.201233 wird vom BAG die Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 1, 2, 3 TzBfG nicht nur auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrundes oder die sachgrundlose Befristung beschränkt, sondern zusätzlich aus unionsrechtlichen Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, namentlich der Gesamtdauer und der Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge, geprüft, ob der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift. Diese zusätzliche Prüfung wird im deutschen Recht nach den Grundsätzen
30 BAG v. 11.9.2013 – 7 AZR 107/12, NZA 2014, 150 Rz. 24; BAG v. 24.9.2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301 Rz. 16 f. 31 BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. 17; BAG v. 11.9.2013 – 7 AZR 107/12, NZA 2014, 150 Rz. 27; BAG v. 24.9.2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301 Rz. 18. 32 BAG v. 7.5.2008 – 7 AZR 146/07, NJW-Spezial 2008, 595 Rz. 24; BAG v. 24.9.2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301 Rz. 19. 33 C-586/10, NZA 2012, 135 – Kücük.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorgenommen34. Die Besonderheit dieser Rechtsmissbrauchskontrolle besteht darin, dass eine rechtsmissbräuchliche Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverträgen nicht mehr allein dadurch legitimiert wird, dass die letzte Befristung rechtlich nicht zu beanstanden ist, etwa bei einer Sachgrundbefristung ein ausreichender Sachgrund besteht. Da die Missbrauchskontrolle eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls verlangt, wird vergangenheitsbezogen anhand der Gesamtdauer der befristeten Verträge, der Anzahl der Vertragsverlängerungen sowie des Umstandes, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Arbeitsaufgaben beschäftigt worden ist, ob und in welcher Zahl und Dauer Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen vorgelegen haben, geprüft, ob der Arbeitgeber trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Beschäftigung auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen durfte. Dabei hat das BAG als grobe Orientierungshilfe zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen auf die gesetzlichen Vorgaben von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG zurückgegriffen. Werden die in dieser Vorschrift bezeichneten Befristungsgrenzen alternativ oder kumulativ um ein Mehrfaches überschritten, Bestehen Anhaltspunkte für einen Missbrauch, den der Arbeitgeber nur durch besondere Umstände entkräften kann35. Bei einer Dauer von insgesamt sieben Jahren und neun Monaten bei vier befristeten Arbeitsverhältnissen hat das BAG noch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch gesehen. Bei einer Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und einer Anzahl von 13 Befristungen sowie einer gleich bleibenden Beschäftigung zur Deckung eines ständigen Vertretungsbedarfs hat das BAG ein Indiz für einen rechtsmissbräuchlichen Rückgriff auf befristete Verträge gesehen 36. Bei 16 befristeten Arbeitsverträgen bei mehrfacher Unterbrechung von zwei Jahren und elf Monaten verbunden mit einem Aufgabenwechsel bei einer Gesamtdauer von 13,5 Jahren hat das BAG37 einen Rechtsmissbrauch wiederum verneint. In einer Entscheidung vom 24.9.2014 hatte der 7. Senat des BAG38 zu prüfen, ob ein vorübergehender, projektbedingter personeller Mehrbedarf durch 34 Grundlegend BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 38; BAG v. 13.2.2013 – 7 AZR 225/11, NZA 2013, 777 Rz. 36; BAG v. 19.2.2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408 Rz. 35. 35 Zusammenfassend BAG v. 14.1.2015 – 7 AZR 2/14 n. v. (Rz. 44). 36 Vgl. dazu BAG v. 19.2.2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408 Rz. 39; BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 49. 37 BAG v. 14.1.2015 – 7 AZR 2/14 n. v. (Rz. 47). 38 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301.
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Neue Rechtsprechung zur Befristung
den Sachgrund des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG gedeckt war. Die Klägerin war für die Dauer von ca. elf Jahren auf der Grundlage von drei befristeten und aufeinanderfolgenden Arbeitsverträgen bei der Beklagten (Universität) in Befristungsblöcken von zweimal drei Jahren und einmal fünf Jahren beschäftigt. Dabei ging es um zwei unterschiedliche Forschungsprojekte, wobei das auf fünf Jahre angelegte Forschungsprojekt zum Teil fremdfinanziert wurde. Die letzte Befristung war von der Klägerin rechtzeitig mit einer Entfristungsklage (§ 17 TzBfG) angegriffen worden. Dabei berief sich die Klägerin darauf, dass Forschungsprojekte zu den Kernaufgaben der Beklagten gehörten und darüber hinaus von einer rechtsmissbräuchlichen Handhabung wegen der Dauer des Arbeitsverhältnisses auszugehen sei. Die Klage der Klägerin war in allen Instanzen erfolglos. Das BAG geht zunächst davon aus, dass im Streitfall der Sachgrund des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG gegeben war, weil jedenfalls die Befristung des letzten befristeten Arbeitsvertrags auf dem Sachgrund des vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung beruhte. Es ging vorliegend um einen vorübergehenden projektbedingten personellen Mehrbedarf, wobei es sich nicht um eine Daueraufgabe des Arbeitgebers, sondern um eine abgrenzbare Zusatzaufgabe handelte. Dafür sprach auch in entscheidendem Maße, dass der Arbeitgeber für die Durchführung der im Projekt verfolgten Tätigkeiten Drittmittel erhalten hatte und deshalb bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des letzten befristeten Arbeitsvertrages mit der Klägerin feststand, dass nach Durchführung der projektbezogenen Arbeiten der dafür notwendige Personalaufwand entfiel. Die entsprechende Prognose des Arbeitgebers wurde auch durch die Beendigung der Projektierung bestätigt. Das BAG stellt nochmals – wie bereits in seiner früheren Spruchpraxis – klar, dass es für den Sachgrund der Befristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG nicht darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer nach Fristablauf auf einem freien Arbeitsplatz außerhalb des Projekts befristet oder unbefristet weiterbeschäftigt werden könnte. Ebenso wenig ist erforderlich, dass der befristete Vertrag für die gesamte Laufzeit des Projekts geschlossen worden ist. Befristungsdauer und Projektlaufzeit bedürfen keiner Synchronisierung. Dieser Befristungsgrund kann allenfalls dann infrage gestellt werden, wenn die Vertragslaufzeit derart hinter der voraussichtlichen Dauer der Projektlaufzeit zurückbleibt, dass ein sinnvoller, diesem Sachgrund entsprechender Arbeitsbeitrag des Arbeitnehmers nicht mehr möglich erscheint. Stellt bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags der vorübergehende Bedarf an der Arbeitsleistung den entscheidenden Anlass für die Befristung mit der Folge dar, dass der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil der Arbeitszeit für das vorgesehene Projekt einsetzen wird, entfällt der Befristungsgrund 59
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
nach Auffassung des BAG auch nicht dadurch, wenn bereits bei Vertragsabschluss feststeht oder absehbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht ausschließlich projektbezogen tätig sein wird. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze ließ sich der letzte befristete Arbeitsvertrag der Klägerin ausreichend mit dem Sachgrund aus § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG begründen, ohne dass es darauf ankam, dass die Klägerin während der Laufzeit des projektbezogenen letzten Arbeitsvertrags gelegentlich zu administrativen Aufgabenwahrnehmungen herangezogen worden war. Das BAG verneint auch die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Befristung nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. Zwar überschritt die Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge über elf Jahre die Höchstdauer von zwei Jahren (§ 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG) um ein Mehrfaches. Da die Klägerin jedoch an unterschiedlichen Projekten mitgearbeitet hatte, war ein Rechtsmissbrauch nicht indiziert. Auch diese Entscheidung des BAG räumt der betrieblichen Praxis ausreichende Möglichkeiten ein, das Institut der Befristung bei Projektarbeiten zu nutzen, wenn dabei neben betrieblichen Daueraufgaben des Arbeitgebers „abgrenzbare und zeitlich begrenzte Zusatzaufgaben abgewickelt“ werden und der Arbeitgeber unter dieser Prämisse für die Dauer derartiger Projektierungen wegen des vorübergehenden Mehrbedarfs an Mitarbeitern auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift.
b)
Befristung eines Arbeitsvertrags nach Überschreiten der Altersgrenze
Wir hatten bereits bei früherer Gelegenheit die Frage der Befristung eines Arbeitsvertrags nach Überschreiten der Altersgrenze thematisiert39 und in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 20.11.201240 verwiesen, das allein den Bezug von gesetzlicher Altersrente als Sachgrund auch für die wiederholte Befristung des Arbeitsverhältnisses mit einem Rentner auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG befürwortet hat. Der Fall betraf einen Arbeitnehmer, der nach Vollendung seines 65. Lebensjahres und Bezug der gesetzlichen Altersrente insgesamt vier befristete Arbeitsverträge mit dem Arbeitgeber abgeschlossen und den letzten befristeten Vertrag mit einer Entfristungsklage angegriffen hatte. Das LAG hatte seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen 39 B. Gaul/AktuellAR 2013, 532 ff.; Boewer/AktuellAR 2014, 344 ff. 40 12 Sa 1330/12 n. v.
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Neue Rechtsprechung zur Befristung
damit begründet, dass ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Sachgrund der Befristung bestünde, wenn ein Arbeitnehmer nach Bezug der gesetzlichen Regelaltersrente befristete Arbeitsverträge abschließe, und auch eine Altersdiskriminierung ausscheide, weil § 10 S. 3 Nr. 5 AGG als Rechtfertigungsgrund für eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu dem Zeitpunkt zuließe, zu dem der Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen könne. Wir haben diese Rechtsprechung als unzutreffend kritisiert, weil sie darauf hinausliefe, dass mit altersrentenberechtigten Arbeitnehmern beliebig viele Zeitverträge mit Sachgrund abgeschlossen werden könnten, was einer sachgrundlosen Befristung gleichkäme. Auch im Hinblick auf eine denkbare Benachteiligung wegen des Alters war die Entscheidung des LAG nicht unbedenklich, wie wir bereits näher begründet haben41. Die Entscheidung des LAG ist durch Urteil des 7. Senats des BAG vom 11.2.201542 aufgehoben und der Rechtsstreit an das LAG zur Aufklärung weiterer Tatsachen zurückverwiesen worden. Das BAG lässt in dieser Entscheidung den Bezug von gesetzlicher Altersrente allein nicht als Sachgrund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG genügen. Ein Sachgrund für eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des Renteneintrittsalters des Arbeitnehmers kann bestehen, wenn der Arbeitnehmer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Einarbeitung einer Nachwuchskraft dienen soll. Zur Abklärung der Frage, ob die Befristung im Streitfall tatsächlich einer konkreten Nachwuchsplanung der Beklagten diente, hat das BAG den Rechtsstreit zurückverwiesen. In diesem Zusammenhang sei nochmals an die Ergänzung von § 41 SGB VI durch das Gesetz über Leistungsverbesserung in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23.6.201443 erinnert44, wonach ab 1.7.2014 die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben können, wenn eine Vereinbarung (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag)45 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor41 42 43 44 45
Boewer/AktuellAR 2014, 344 ff. 7 AZR 17/13 n. v. BGBl. I 2014, 787. Vgl. bereits Boewer/AktuellAR 2014, 344 ff. Vgl. dazu auch BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12 – NZA 2013, 916 zur Betriebsvereinbarungsoffenheit bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen bezüglich einer Rentenaltersgrenze.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sieht. Voraussetzung für den Anwendungsbereich dieser Regelung ist zunächst die wirksam vereinbarte Befristung zum Zeitpunkt des Eintritts der Regelaltersgrenze. Des Weiteren wird lediglich die sich nahtlos an den Eintritt der Regelaltersgrenze anschließende befristete Weiterbeschäftigung geregelt, wobei mit der Verlängerungsvereinbarung selbst keine Vertragsänderung verbunden werden darf und dem Schriftformerfordernis aus § 14 Abs. 4 TzBfG Wirksamkeitsvoraussetzung beizumessen ist46. Da § 41 SGB S. 3 SGB VI eine Sonderregelung zu § 14 TzBfG darstellt, die überflüssig wäre, wenn es eines Sachgrundes für die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bedürfte, ist die darin vorgesehene Befristungsmöglichkeit sachgrundlos möglich. Nicht ausgeräumt sind damit allerdings rechtliche Bedenken, die durch das Verbot der Altersdiskriminierung veranlasst sind oder im Zusammenhang mit einer Rechtsmissbrauchskontrolle befristeter Arbeitsverträge stehen (Befristungsmarathon).
c)
Befristung aufgrund gerichtlichen Vergleichs
Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für eine Befristung eines Arbeitsvertrages vor, wenn diese auf einem gerichtlichen Vergleich beruht. Bereits in einer Entscheidung vom 26.4.2006 hat der 7. Senat des BAG47 ausgeführt, dass der Sachgrund des gerichtlichen Vergleichs neben der Mitwirkung des Gerichts am Zustandekommen des befristeten Arbeitsverhältnisses das Bestehen eines offenen Streits der Parteien über die Rechtslage hinsichtlich des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses voraussetzt. Dabei soll das Merkmal des offenen Streits die missbräuchliche Ausnutzung des durch § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG eröffneten Sachgrunds verhindern und vor allem gewährleisten, dass der gerichtliche Vergleich nicht nur zu einer Protokollierung einer von den Arbeitsvertragsparteien vor Rechtshängigkeit getroffenen Vereinbarung, durch die ein befristeter Arbeitsvertrag verlängert wird, benutzt wird. Diese Entscheidung betraf einen zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht abgeschlossenen und zu richterlichem Protokoll genommenen Vergleich (§§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 Abs. 1, 492 Abs. 3, 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Nur diese Art des gerichtlichen Vergleichs war am 1.1.2001 bei Inkrafttreten des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21.12.200048 in der ZPO vorgesehen.
46 Vgl. dazu auch Bader, NZA 2014, 749; Kleinebrink, DB 2014, 1490. 47 7 AZR 366/05 n. v. (Rz. 28). Bestätigt durch BAG v. 14.1.2015 – 7 AZR 2/14 n. v. (Rz. 25). 48 BGBl. I 2000, 1966.
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Neue Rechtsprechung zur Befristung
Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.200149, das am 1.1. 2002 in Kraft getretenen ist, hat der Gesetzgeber in § 278 Abs. 6 S. 1 ZPO die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichsschlusses eröffnet, der dadurch zustande kommt, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen (§ 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 2 ZPO) und das Gericht durch Beschluss das Zustandekommen des Vergleichs feststellt. Mit dem am 1.9.2004 in Kraft getretenen Ersten Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24.8.200450 erlaubt der Gesetzgeber darüber hinaus einen gerichtlichen Vergleich auch dadurch, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten (§ 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 1 ZPO) und das Gericht durch Beschluss das Zustandekommen des Vergleichs feststellt. Nach Inkrafttreten dieser weiteren Möglichkeiten eines Prozessvergleichs stellte sich die Frage, ob auch mit diesen Vergleichsalternativen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG erfüllt werden. Für den gerichtlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 2 ZPO auf Vorschlag des Gerichts hat der 6. Senat des BAG51 einen Sachgrund i. S. v. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG anerkannt und die erforderliche Schriftform (§ 14 Abs. 4 TzBfG) als gewahrt angesehen. An dieser Rechtsprechung hat der 7. Senat des BAG in der Entscheidung vom 14.1.201552 ausdrücklich festgehalten. Nehmen die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts, der eine Befristungsabrede beinhaltet, durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht an und stellt das Gericht durch Beschluss das Zustandekommen des Vergleichs fest (§ 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 2, S. 2 ZPO), liegt in der Mitwirkung des Gerichts am Zustandekommen des Vergleichs der Sachgrund für die Befristung. Dies gilt auch dann, wenn sich das Gericht einen von den Parteien vorgelegten Einigungsentwurf als seinen Vorschlag zu Eigen macht und diesen den Parteien unterbreitet53. Demgegenüber hat der 7. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 15.2.201254 einem nach § 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 1 ZPO auf Vorschlag der Parteien vom Gericht festgestellten Vergleich die Anerkennung eines Sachgrundes nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG versagt, weil es an der erforderlichen
BGBl. I 2001, 1887. BGBl. I 2004, 2198. v. 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466 Rz. 19. 7 AZR 2/14 n. v. (Rz. 24, 28). BAG 15.2.2012 – 7 AZR 734/10, NZA 2012, 919 Rz. 25; BAG v. 14.1.2015 – 7 AZR 2/14 n. v. (Rz. 28). 54 7 AZR 734/10, NZA 2012, 919 Rz. 25. 49 50 51 52 53
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Mitwirkung des Gerichts fehlt55. Diese Bewertung wird in der Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 14.1.201556 bestätigt und erneut damit begründet, dass die Mitwirkung des Gerichts ein Garant dafür ist, dass auch unter Berücksichtigung der Prozessaussichten in dem beigelegten Rechtsstreit die Schutzinteressen des Arbeitnehmers beachtet werden57 und damit die Gewähr besteht, dass die Befristung nicht deshalb gewählt worden ist, um dem Arbeitnehmer grundlos den gesetzlichen Bestandsschutz zu nehmen58. Diese Differenzierung ist nach Ansicht des BAG auch unionsrechtlich geboten, weil nach § 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG der Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge vermieden werden soll, was durch das Erfordernis der verantwortlichen Mitwirkung des Gerichts an dem Vergleichsschluss geschieht59. Ungeachtet der erforderlichen Mitwirkung des Gerichts am Zustandekommen eines befristeten Arbeitsvertrags durch einen Prozessvergleich, setzt der Sachgrund des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG zur Vermeidung einer missbräuchlichen Nutzung dieser Vorschrift voraus, dass ein offener Streit der Parteien über den Bestand oder die Fortführung des Arbeitsverhältnisses besteht. Dies kann auch bei der Streitbeilegung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch einen Folgevertrag der Fall sein. Vergleiche, die im Zusammenhang mit anderen Streitigkeiten stehen und eine Befristung des Arbeitsverhältnisses beinhalten, sind vom Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG ausgeschlossen60. Ein offener Streit zwischen den Parteien setzt voraus, dass sie unterschiedliche Rechtsstandpunkte darüber eingenommen haben, ob bzw. wie lange zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht und der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber nachdrücklich seine Position vertritt, der darauf ablehnend reagiert. Wie das BAG in der Entscheidung vom 12.11.201461 betont, dürfen die Gerichte sich auch bei der Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschrän-
55 A. A. aber LAG Niedersachsen v. 5.11.2013 – 1 Sa 489/13 n. v. (Rz. 51). 56 7 AZR 2/14 n. v. (Rz. 27). 57 Dazu BT-Drucks. 14/4374 S. 19: „Die Mitwirkung des Gerichts an dem Vergleich bietet hinreichende Gewähr für die Wahrung der Schutzinteressen des Arbeitnehmers.“ 58 BAG v. 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466 Rz. 55; BAG v. 15.2.2012 – 7 AZR 734/10, NZA 2012, 919 Rz. 13. 59 BAG v. 12.11.2014 – 7 AZR 891/12, NZA 2015, 379 Rz. 19. 60 BAG v. 12.11.2014 – 7 AZR 891/12, NZA 2015, 379 Rz. 17. 61 7 AZR 891/12, NZA 2015, 379 Rz. 27.
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Neue Rechtsprechung zur Befristung
ken. Vielmehr ist aus unionsrechtlichen Gründen62 unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und dabei unter Beachtung der Gesamtdauer und der Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge eine Rechtsmissbrauchskontrolle nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen, um zu vermeiden, dass der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift. Es soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift63. Die Fallkonstellation betraf einen Wachmann, der für die Dauer von elf Jahren aufgrund von sechs aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen an unterschiedlichen Standorten von der Beklagten beschäftigt worden war, wobei die letzten vier befristeten Verträge auf vor dem Arbeitsgericht abgeschlossenen und protokollierten gerichtlichen Vergleichen beruhten. In diesem Zusammenhang stellt das BAG klar, dass eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung nicht ausschließlich davon abhängt, welcher Sachgrund für die zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Befristungsabrede vorliegt. Eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung ist allerdings dann auszuschließen, wenn die Befristungsabrede ausschließlich auf dem Wunsch des Arbeitnehmers beruht. Im Falle einer vergleichsweisen Regelung zur Beendigung einer prozessualen Auseinandersetzung steht nicht ein entsprechender Wunsch des Arbeitnehmers im Vordergrund, sondern typischerweise das Prozessrisiko der Abweisung seiner Klage über den Bestand oder Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses. Das BAG schließt in diesem Zusammenhang aus, dass allein die Mitwirkung des Gerichts an dem Abschluss eines Vergleichs nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG eine Rechtsmissbrauchskontrolle erübrigt, weil das Gericht im Falle einer missbräuchlichen Befristungskette keine Vergleichsbefristung vorschlagen oder bei einem entsprechenden Vorschlag der Parteien entsprechende Bedenken äußern wird. Das Letztentscheidungsrecht über den Vergleichsschluss liegt ausschließlich bei den Parteien. Diese bestimmen, ob und in welcher Weise sie den Inhalt einer vergleichsweisen Regelung akzeptieren und damit auch das Risiko einer unzulässigen Befristungskette in Kauf nehmen. Im Streitfall hatten die Parteien sechs aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge mit einer Gesamtdauer von ca. elf Jahren abgeschlossen und damit die Dauer einer sachgrundlos zulässigen Befristung nach § 14 Abs. 2
62 EuGH v. 26.1.2012 - C-586/10, NZA 2012, 135 – Kücük. 63 BAG v. 13.2.2013 – 7 AZR 225/11, NZA 2013, 777 Rz. 37.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
S. 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten, worin das BAG ein gewichtiges Indiz für einen Rechtsmissbrauch gesehen hat. Verstärkt wird nach Ansicht des BAG dieses Indiz durch den Umstand, dass die letzten vier Befristungen auf gerichtlichen Vergleichen beruhten. Hierin muss kein Widerspruch zur jeweiligen Mitwirkung des Gerichts zu sehen sein, weil einiges dafür spricht, dass die streitenden Parteien in erster Linie das wechselseitige Prozessrisiko ausräumen wollten. Die beiden neuen und weiterführenden Entscheidungen des BAG64 sind zu begrüßen und lösen eine Reihe von Streitfragen, die den Sachgrund des gerichtlichen Vergleichs nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG betreffen.
d)
Befristeter Arbeitsvertrag wegen des Sachgrundes der gedanklichen Vertretung
In einer weiteren Entscheidung vom 11.2.2015 hat der 7. Senat des BAG65 erneut den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG behandelt und unter Darstellung der Alternativen der Vertretungsbefristung vor allem den Vertretungszusammenhang der sogenannten gedanklichen Vertretung näher beleuchtet und bei dieser Gelegenheit eine frühere Entscheidung vom 12.1.201166 klargestellt, wonach eine gedankliche Vertretung voraussetzen sollte, dass dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer ohne tatsächliche Neuverteilung der Arbeitsaufgaben Tätigkeiten zugewiesen wurden, die auch dem vertretenen Mitarbeiter tatsächlich und rechtlich hätten übertragen werden können. Ausgangspunkt für die Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG bildet die Erwägung, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnet. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis67. Diese der Vermeidung einer Doppelbesetzung eines Arbeitsplatzes dienende Bewertung setzt notwendigerweise voraus, dass der Arbeitgeber mit einer Rückkehr des vertretenen Arbeitnehmers rechnen muss, so dass eine derartige Prognose einen Teil des Sachgrundes der Vertretung abbildet. Überdies muss stets ein Kausalzusammenhang zwischen dem zeit64 BAG v. 12.11.2014 – 7 AZR 891/12, NZA 2015, 379; BAG v. 14.1.2015 – 7 AZR 2/14, n. v. 65 7 AZR 113/13, BB 2015, 216 Rz. 21. 66 BAG v. 12.1.2011 – 7 AZR 194/09, NZA 2011, 507 Rz. 15. 67 BAG v. 16.1.2013 – 7 AZR 661/11, NZA 2013, 614 Rz. 13.
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weiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft bestehen, wobei sich im Rahmen einer Entfristungsklage die Darlegungslast des Arbeitgebers nach der Form der Vertretung richtet68. Es muss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist. Bezüglich der Form der Vertretung hat das BAG die Alternativen der unmittelbaren Vertretung, der mittelbaren Vertretung sowie der gedanklichen Vertretung für den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG zugelassen. Von einer unmittelbaren Vertretung ist die Rede, wenn der befristet zur Vertretung eingestellte Mitarbeiter die vorübergehend ausfallende Stammkraft unmittelbar vertritt und die von ihr bislang ausgeübten Tätigkeiten verrichtet. Von einer mittelbaren Vertretung ist auszugehen, wenn die Tätigkeit des zeitweise verhinderten Mitarbeiters nicht von dem Vertreter, sondern von einem anderen Arbeitnehmer (oder mehreren anderen Arbeitnehmern) übernommen wird, und der Vertreter dessen Tätigkeit wahrnimmt. Insofern hat der Arbeitgeber im Falle einer Entfristungsklage die gesamte Vertretungskette zur Begründung des Kausalzusammenhangs darzulegen, was auch die jeweilige Rückkehr der Arbeitnehmer auf ihre bisherigen Arbeitsplätze einschließt. Eine gedankliche Vertretung im Sinne eines Vertretungszusammenhangs liegt vor, wenn dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer Aufgaben übertragen werden, die der vertretene Mitarbeiter nie ausgeübt hat, der Arbeitgeber aber rechtlich kraft Direktionsrechts (§ 106 GewO) und tatsächlich (fachlich) in der Lage wäre, dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen. Allerdings ist zur Gewährleistung des Kausalzusammenhangs zwischen der zeitweiligen Arbeitsverhinderung der Stammkraft und der Einstellung des Vertreters nach außen – vor allem durch einen entsprechenden Hinweis im Arbeitsvertrag – erkennbar zu machen, welcher konkrete Arbeitnehmer vertreten werden soll69. In diesem Zusammenhang bereinigt der 7. Senat des BAG in der Entscheidung vom 11.2.201570 die in der Entscheidung vom 12.1.201171 zum Teil offenbar missverstandene gebrauchte Formulierung, nach der eine gedankliche 68 BAG v. 10.10.2012 – 7 AZR 462/11, NZA-RR 2013, 185 Rz. 16; BAG v. 6.11.2013 – 7 AZR 96/12, NZA 2014, 430 Rz. 21. 69 BAG v. 15.2.2006 – 7 AZR 232/05, NZA 2006, 781 Rz. 17; BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 17; BAG v. 11.2.20157 – 7 AZR 113/13, BB 2015, 216 Rz. 19 f. 70 7 AZR 113/13, BB 2015, 216 Rz. 20. 71 BAG v. 12.1.2011 – 7 AZR 194/09, NZA 2011, 507.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Vertretung nur dann in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber keine Umverteilung der bisherigen Aufgaben der abwesenden Stammkraft vorgenommen hat. Das BAG verdeutlicht nunmehr, dass diese Formulierung lediglich der Abgrenzung zu den Fällen der mittelbaren Vertretung dienen sollte, es aber für die gedankliche Vertretung nicht darauf ankommt, ob und gegebenenfalls wie die bisherigen Aufgaben der vorübergehend abwesenden Stammkraft wahrgenommen werden. Allerdings wird der Arbeitgeber im Falle der gedanklichen Zuordnung gehindert, die Befristung des Arbeitsvertrages mit einem anderen Arbeitnehmer, der die bisherigen Aufgaben der Stammkraft erledigen soll, gleichzeitig neben der gedanklichen Vertretung auf den Sachgrund der unmittelbaren Vertretung zu stützen72. Eine derartige Möglichkeit liefe auf eine Doppelvertretung der abwesenden Stammkraft hinaus. Im Streitfall ist das Verfahren an das LAG zurückverwiesen worden, weil dieses wegen der im Streitfall vorgenommenen Verteilung der von dem Vertretenen bislang wahrgenommenen Aufgaben auf andere Arbeitnehmer73 den Sachgrund der gedanklichen Vertretung verneint hatte. Angesichts dessen bedurfte es noch der Prüfung, ob die Stammkraft nicht nur rechtlich, sondern nach einer etwaigen Einarbeitung auch fachlich auf dem Arbeitsplatz der Vertretungskraft hätte eingesetzt werden können. Die Entscheidung des BAG vom 11.2.2015 erweist sich neben ihrer Klarstellung auch deshalb als hilfreich, weil sie nochmals eine Zusammenfassung der zulässigen Vertretungsvarianten thematisiert, die der betrieblichen Praxis die erforderliche Sicherheit für die Vereinbarung der Sachgrundbefristung der Vertretung vermittelt. (Boe)
4.
Geltung einer Gesamtzusage für Neueinstellungen
Im Herbst hatten wir bereits über das Urteil des BAG vom 20.8.201474 berichtet. Darin hatte der 10. Senat deutlich gemacht, dass arbeitsvertragliche Regelungen im Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle weder generell überraschend (§ 305 c Abs. 1 BGB) noch intransparent (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) sind, wenn der Arbeitgeber englische Begriffe oder eine deutschenglische Kunstsprache („Denglisch“) verwendet. Dies gelte jedenfalls in einem international tätigen IT-Unternehmen, sofern im Wege der Auslegung der jeweils in Rede stehenden Regelungen der Inhalt hinreichend klar erkennbar werde. 72 BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR – 113/13, BB 2015, 216 Rz. 21. 73 So noch BAG v. 12.1.2011 – 7 AZR 194/09, NZA 2011, 507 Rz. 23. 74 10 AZR 453/13, DB 2014, 2900 Rz. 19 ff.
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Geltung einer Gesamtzusage für Neueinstellungen
In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber eine Gesamtzusage vorgenommen, durch die der Arbeitnehmer in den Genuss einer „Krankheitspolicy“ kommen sollten. Ausweislich der Intranetveröffentlichung war der „Scope“ dieser Zusage allerdings wie folgt bestimmt: Mitarbeiter auf der deutschen Payrole mit HP Standard Terms & Conditions
Mit zutreffender Begründung ist das BAG davon ausgegangen, dass nach der arbeitgeberseitigen Regelung nur solche Arbeitnehmer in den Geltungsbereich der Zusage fallen sollten, die den Standardarbeitsvertrag des Arbeitgebers hatten. Die Klägerin, die gemäß § 613 a Abs. 1 BGB mit ihrem alten Arbeitsvertrag des früheren Betriebsinhabers übernommen worden war, konnte deshalb Leistungen der „Krankheitspolicy“ nicht in Anspruch nehmen. Über diese Feststellungen hinaus hat das BAG indes klargestellt, dass eine entsprechende Gesamtzusage bereits dadurch entstehe, dass der Arbeitgeber – mündlich, schriftlich oder durch Verlautbarung im Intranet – gegenüber allen Arbeitnehmern oder einem nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form erklärt, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme des in der Erklärung enthaltenen Antrags i. S. d. § 145 BGB werde dabei nicht erwartet. Ihrer bedürfe es nicht. Das in der Zusage liegende Angebot werde gemäß § 151 BGB angenommen und insofern ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass diese Rechtsfolge bereits dann eintritt, wenn diese Erklärungen gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart werden, die den einzelnen Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis des einzelnen Arbeitnehmers kommt es nicht an. Die Arbeitnehmer erwerben unter diesen Voraussetzungen einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen schon dadurch, dass sie die betreffenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Von einer solchen Zusage, die vorbehaltlos angenommen worden sei, könne sich der Arbeitgeber dann nur noch durch Änderungsvertrag oder Änderungskündigung lösen75. Erhebliche Bedeutung hat der Umstand, dass eine solche Gesamtzusage - so das BAG – nicht auf die im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Erklärung beschäftigten Arbeitnehmer beschränkt ist. Sie werde regelmäßig auch gegenüber nachträglich in den Betrieb eintretenden Mitarbeitern abgegeben und diesen bekannt. Auch sie könnten deshalb das in ihr liegende Vertragsange75 BAG v. 20.8.2014 – 10 AZR 453/13, DB 2014, 2900 Rz. 14.
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bot gemäß § 151 BGB annehmen. Gemäß § 151 S. 2 BGB bestimme sich der Zeitpunkt, in welchem der Antrag erlösche, nach dem aus dem Antrag oder den Umständen zu entnehmenden Willen des Antragenden. Gehe es nicht um eine einmalige Leistung an bestimmte Arbeitnehmer, sondern erkläre sich der Arbeitgeber zu einer Regelung im Sinne einer auf Dauer angelegten Handhabung bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen bereit, spreche das für eine Fortgeltung des Antrags bis zu einer gegenteiligen Erklärung. Wegen der Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber jedem Arbeitnehmer, der die Anspruchsvoraussetzungen erfülle, sei auf die Erteilung der Gesamtzusage und nicht auf den Beginn des einzelnen Arbeitsverhältnisses abzustellen. Die Zusage habe für alle Arbeitnehmer den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeutung, sofern es nicht zwischenzeitlich zu einer Veränderung des Inhalts der Zusage durch den Arbeitgeber gekommen oder diese für die Zukunft aufgehoben worden seien76. Für die betriebliche Praxis hat dies zum einen zur Folge, dass bei Neueinstellungen geprüft werden muss, ob bestehende Gesamtzusagen – gleiches gilt für betriebliche Übungen – auch für diesen Personenkreis gelten sollen. Soll dies nicht erfolgen, muss dies – vorsorglich im Arbeitsvertrag – gegenüber diesem Personenkreis klargestellt werden. Darüber hinaus muss darauf geachtet werden, dass Verlautbarungen im Intranet eigenständige Zusagen sein können. Entscheidend ist insoweit der Empfängerhorizont. Wenn durch entsprechende Verlautbarungen nur über Regelungen informiert werden soll, die auf kollektivrechtlicher Ebene bestehen (z. B. Betriebsvereinbarung Weihnachtsgeld, Sozialplan, Versorgungsordnung), muss sicherstellt werden, dass der (bloße) Informationscharakter erkennbar wird. Gleichzeitig muss hinreichend deutlich gemacht werden, dass die kollektivrechtliche Regelung weiterhin (alleinige) Grundlage etwaiger Ansprüche ist und wegen der weiteren Vorgaben zum Geltungsbereich und den ergänzenden Anspruchsvoraussetzungen auf die entsprechende Regelung Bezug genommen wird. Andernfalls besteht die Gefahr, dass mit dem Intranet ein einzelvertraglicher Anspruch begründet wird, der weitergehender ist als die kollektivrechtliche Regelung und nur noch mit den Mitteln des Individualarbeitsrechts – also nicht durch Änderung oder Beendigung der Betriebsvereinbarung – angepasst werden kann. (Ga)
76 BAG v. 20.8.2014 – 10 AZR 453/13, DB 2014, 2900 Rz. 15; BAG v. 23.9.2009 – 5 AZR 628/08 n. v. (Rz. 22 f., 28).
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Keine Klarstellung durch den EuGH zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung
5.
Keine Klarstellung durch den EuGH zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung
a)
Ausgangssituation
Gemäß Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19.11.2008 über Leiharbeit (Leiharbeits-Richtlinie) gilt die Richtlinie für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten. In entsprechender Weise wird das Kriterium eines „vorübergehenden“ Arbeitseinsatzes im Rahmen der Begriffsbestimmungen zum Leiharbeitsunternehmen, zum Leiharbeitnehmer, zum entleihenden Unternehmen und zum Tatbestand der Überlassung in Art. 3 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie verwendet. Darüber, wie ein „vorübergehender“ Arbeitseinsatz zu kennzeichnen ist und wie Arbeitnehmerüberlassungstatbestände zu behandeln sind, die ohne eine durch Zeit oder Zweck begründete Befristung erfolgen, definiert die Richtlinie nicht. Auch die Erwägungsgründe der Richtlinie sind hierzu nur bedingt aussagefähig. Sie zeigen nur, dass dem Ziel einer Flexibilisierung Rechnung getragen werden soll. Gleichzeitig soll das Ziel einer Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt und die Verwirklichung von Arbeitnehmerschutz verfolgt werden. Dem entspricht auch Art. 5 Abs. 5 Leiharbeits-Richtlinie. Danach ergreifen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um eine rechtsmissbräuchliche Anwendung der Regelungen zur Einschränkung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und um insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Dies zeigt jedenfalls die Überlegung, eine unbefristete Kettenüberlassung von Leiharbeitnehmern auszuschließen. Dass Regelungen zur Leiharbeit nicht nur die Arbeitnehmerinteressen im Auge behalten dürfen, macht indes Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie deutlich. Danach sind Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und evtl. Missbrauch zu verhüten.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
b)
Klarstellungen durch die Schlussanträge des Generalanwalts
In seinen Schlussanträgen vom 20.11.201477, über die wir im Frühjahr 2014 berichtet hatten78, hatte der Generalanwalt erste Klarstellungen zur Diskussion über die Bedeutung der Feststellungen zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung und den Möglichkeiten getroffen, auf nationaler Ebene durch Gesetz oder Vereinbarung der Sozialpartner Einschränkungen in Bezug auf die Leiharbeit vorzunehmen. Nach seinen Feststellungen handelt es sich bei Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie um eine materielle Regelung, die Einschränkungen in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeit ausschließt, wenn diese Schranken nicht durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Diese Vorgabe richte sich an Legislative, Exekutive und Judikative in den Mitgliedsstaaten und ergänze die in Art. 4 Abs. 2 bis 5 Leiharbeits-Richtlinie getroffenen Regelungen zur Überprüfung dieses Verbots einer ungerechtfertigten Einschränkung der Leiharbeit. Folgerichtig verbiete Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie die Beibehaltung oder die Einführung von Verboten oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses, darunter vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und evtl. Missbrauch zu verhüten, gerechtfertigt seien79. Hiervon ausgehend hat der Generalanwalt es für erforderlich gehalten, den dem Vorabentscheidungsersuchen des finnischen Gerichts zugrunde liegenden Tarifvertrag an den Grenzen von Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie zu messen. Mit diesem Tarifvertrag wurden die Unternehmen verpflichtet, den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben zu beschränken, die wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können. Daran anknüpfend wurde der Einsatz von Leiharbeitnehmern im Tarifvertrag als „unlauter“ gekennzeichnet, wenn die von einem Leiharbeit in Anspruch nehmenden Unternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmer während eines längeren Zeitraums normale Arbeiten des Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern und unter derselben Leitung ausführten. 77 78 79
72
C-533/13 n. v. (Rz. 20 ff.) – AKT. B. Gaul, AktuellAR 2014, 19 ff. Schlussanträge des Generalanwalts v. 20.11.2014 – C-533/13 n. v. (Rz. 20 ff., 28 ff., 93) – AKT.
Keine Klarstellung durch den EuGH zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung
Bei seiner Auseinandersetzung mit diesen Regelungen hat der EuGH zunächst einmal deutlich gemacht, dass Art. 3 Leiharbeits-Richtlinie erkennen lasse, dass die Leiharbeit Arbeitsverhältnisse „vorübergehender Art“ impliziere. Daraus lasse sich folgern, dass diese Arbeitsform nicht die für alle Verhältnisse passende sei, insbesondere nicht bei dauerhaftem Bedarf an Arbeitskräften80. Dabei geht der Generalanwalt indes nicht von einer festen Zeitgrenze aus. Vielmehr gebe es einen „bedeutenden Wertungsspielraum“, innerhalb dessen die Mitgliedsstaaten schon sehen könnten, dass der Einsatz von Leiharbeit zulässig sei. Erforderlich sei aber, dass auch insoweit die Schranken des Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie beachtet werden. Hiervon ausgehend hält es der Generalanwalt des EuGH für zulässig, wenn die Leiharbeit auf „den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben, … die wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen [von den entleihenden Unternehmen] eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können“, beschränkt werde. In gleicher Weise sei es statthaft, Leiharbeit auszuschließen, wenn sie „über einen längeren Zeitraum“ erfolge. Denn in beiden Schranken werde ein berechtigtes Ziel, nämlich diese Arbeitsform betreffende Missbräuche zu verhüten, erkennbar81. Damit gibt der Generalanwalt indes nicht jede Form der Einschränkung frei. Vielmehr stellt er in der Begründung seiner Schlussanträge ausdrücklich klar, dass bei Fehlen anderweitiger Rechtfertigungsgründe der Erlass von Maßnahmen mit dem Ziel, Missbräuche beim Abschluss von Leiharbeitsverträgen zu verhindern, nicht einen quasigenerellen Ausschluss dieser Arbeitsform, etwa den Ausschluss von Leiharbeit in einem ganzen Wirtschaftszweig oder die Festlegung einer Quote für solche Art Verträge, rechtfertigen könne. Eine Maßnahme, die die missbräuchliche Ausübung eines Rechts verhindern solle, dürfe nicht einer Versagung des fraglichen Rechts gleichkommen82. Von diesen Ausführungen des Generalanwalts ausgehend, würde man annehmen müssen, dass die Leiharbeits-Richtlinie nicht auf vorübergehende Formen der Arbeitnehmerüberlassung begrenzt ist83. Sie erfasst auch solche
80 81 82 83
Schlussanträge des Generalanwalts v. 20.11.2014 – C-533/13 n. v. (Rz. 112) – AKT. Schlussanträge des Generalanwalts v. 20.11.2014 – C-533/13 n. v. (Rz. 113 ff., 119 f.) – AKT. Schlussanträge des Generalanwalts v. 20.11.2014 – C-533/13 n. v. (Rz. 122) – AKT. Vgl. Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 486 ff.; Hamann, RdA 2011, 321, 325 f.; Lembke, NZA 2011, 319, 320 (325 f.); Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634.
73
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Überlassungsformen, die – mangels zeitlicher oder zweckbedingter Beschränkungen – auf Dauer erfolgen sollen. Einer Einschränkung mit dem Ziel, in Übereinstimmung mit der Begriffsbestimmung in Art. 2, 3 Leiharbeits-Richtlinie nur eine „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern zuzulassen, muss nach den Vorgaben des Generalanwalts indes Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie Rechnung tragen. Ist dies nicht der Fall, muss dies auch durch die Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung entsprechender Vorgaben beachtet werden.
c)
Fehlende Klarstellung durch den EuGH
Bedauerlicherweise hat der EuGH in seinem Urteil vom 17.3.201584 diese klarstellenden Hinweise des Generalanwalts nicht aufgegriffen. Im Gegenteil: Seine Ausführungen zur Bedeutung von Art. 4 Abs. 1 LeiharbeitsRichtlinie erscheinen nicht überzeugend und lassen Rechtsprechung, Gesetzgebung und Praxis in den Mitgliedsstaaten in Ungewissheit zurück. Hintergrund dieser Kennzeichnung der vorstehend genannten Entscheidung des EuGH ist der Umstand, dass der EuGH Art. 4 Abs. 1 LeiharbeitsRichtlinie nicht als eine Schranke kennzeichnet, die auch an den Gesetzgeber, die Sozialpartner und/oder die Gerichte in den Mitgliedsstaaten gerichtet sei. Vielmehr geht er davon aus, das Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie nur an die zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaates gerichtet ist, in dem ihnen auferlegt werde, ihre nationalen Regelungen zu überprüfen, damit sie sicher stellten, dass die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien, und die Kommission über die Ergebnisse dieser Überprüfung informiert werde. Solche Verpflichtungen könnten von den nationalen Gerichten nicht erfüllt werden. Von diesem Verständnis ausgehend nimmt der EuGH im Urteil vom 17.3.201585 an, dass Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie nur den Rahmen festlege, in dem sich die Regelungstätigkeit der Mitgliedsstaaten in Bezug auf Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit abspielen dürfte, ohne dass damit der Erlass einer bestimmten Regelung vorgeschrieben werde. Ob die Regelungstätigkeit der Mitgliedsstaaten diese Schranke im konkreten Einzelfall einhalte, könne indes nur durch die Verwaltung überprüft werden. Diese Aufgabe könne von den nationalen Gerichten nicht übernommen werden. Sie seien deshalb auch nicht verpflichtet, alle Be-
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C-533/13, NZA 2015, 423 Rz. 21 ff. – AKT. C-533/13, NZA 2015, 423 Rz. 28 ff., 31 f. – AKT.
Neue Risiken für den Scheinwerkvertrag
stimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses i. S. von Art. 4 Abs. 1 LeiharbeitsRichtlinie gerechtfertigt seien.
d)
Fazit
Im Ergebnis bewirkt die Entscheidung des EuGH, dass Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-Richtlinie zwar als materiell-rechtliche Schranke für etwaige Einschränkungen der Leiharbeit verstanden werden kann. Daraus folgt auch für den deutschen Gesetzgeber, dass die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Schranken der Leiharbeit nur zulässig sind, wenn sie durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. In der Praxis wird man allerdings das Ergebnis der gesetzgeberischen Tätigkeit ohne Rücksicht darauf hinnehmen müssen, ob die vorstehend genannten Schranken eingehalten werden. Insbesondere ist es nach den Feststellungen des EuGH ausgeschlossen, eine gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung mit dem Ziel im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung anzugreifen, dass unionsrechtliche Schranken missachtet werden. Denn diese Überprüfung soll – so der EuGH – nur durch die Verwaltung erfolgen können, was dann zur Folge hat, dass auch unionsrechtswidrige Schranken der Leiharbeit durch die Arbeitsgerichtsbarkeit zur Anwendung gebracht werden müssen. Dies überzeugt nicht und sollte ein Arbeitsgericht veranlassen, bei entsprechenden Bedenken erneut den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen. (Ga).
6.
Neue Risiken für den Scheinwerkvertrag
Rechtsprechung und Literatur beschäftigen sich weiterhin intensiv mit der Abgrenzung der selbständigen von der unselbständigen Beschäftigung. Im Mittelpunkt steht dabei die Abgrenzung des Dienst- bzw. Werkvertrags einerseits und der Arbeitnehmerüberlassung andererseits86. Ziel des Einsatzes von Dienst- und Werkverträgen ist es im Regelfall, die für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung geltenden Schranken zu vermeiden. Im Wesentlichen geht es dabei um Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats87 und die durch Tarifvertrag und Equal-Pay-Gebot begründeten Anforderungen in Bezug auf die Höhe und Zusammensetzung der Vergütung des insoweit eingesetzten Fremdpersonals.
86 Vgl. nur ArbG Stuttgart v. 5.11.2014 – 11 Ca 8426/13 n. v. (Rz. 37); Heise/Friedl, NZA 2015, 129 ff. 87 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 24 ff., 260 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 3.12.201488 macht indes deutlich, dass bei der praktischen Umsetzung eines durch Werk- oder Dienstvertrag begründeten Fremdpersonaleinsatzes sehr genau die Grenze zur Arbeitnehmerüberlassung gewahrt werden muss. Diese gilt selbst dann, wenn für den Fall der Arbeitnehmerüberlassung die hierfür erforderliche Erlaubnis auf Seiten des Werkvertragnehmers gegeben wäre. Denn das LAG Baden-Württemberg geht davon aus, dass es den beteiligten Unternehmen verwehrt ist, sich auf diese Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu berufen, falls die Einsatzform als Scheinwerkvertrag zu kennzeichnen ist. Konsequenz dieser Annahme ist, dass die durch den Werkvertragnehmer beim Werkvertraggeber eingesetzten Arbeitnehmer gemäß §§ 9, 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Werkvertraggeber als Entleiher geltend machen können89. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger, ein Entwicklungsingenieur, auf der Grundlage der mit unterschiedlichen Arbeitgebern bestehenden Arbeitsverträge seit dem 20.5.2011 als sog. „Fremdarbeitskraft“ bei der D AG eingesetzt worden. In den Arbeitsverträgen war ausdrücklich die Möglichkeit der Arbeitnehmerüberlassung vorgesehen. In diesem Zusammenhang wurde hinsichtlich der Vergütung auf die jeweils gültigen Tarifverträge der Zeitarbeit verwiesen. Jeder der Arbeitgeber war im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Nach Auffassung der Vertragsarbeitgeberin war der Einsatz bei der Beklagten indes nicht im Wege der Arbeitnehmerüberlassung erfolgt. Vielmehr sei Grundlage dieses Einsatzes ein Werkvertrag gewesen, im Rahmen dessen die jeweilige Tätigkeit des Klägers durch den Vertragsarbeitgeber gesteuert worden sei. Daran habe sich auch dadurch nichts geändert, dass der Kläger über mehrere Jahre hinweg räumlich auf dem Gelände des Auftraggebers eingesetzt worden sei. Die Beklagte habe deshalb auch keinen Einfluss auf die Personalauswahl durch den Vertragsarbeitgeber gehabt. Lediglich die speziellen Fachkenntnisse der eingesetzten Mitarbeiter hätten die längeren Einsatzdauern ohne Wechsel bedingt. Dass ein Urlaubskalender in Abstimmung mit der Beklagten geführt worden sei, könne nicht als Ausdruck von Weisungen verstanden werden. Die Erbringung von Werkleistungen durch Ingenieure sei geprägt von der Einhaltung bestimmter Termine. Hinzukomme, dass die im Werk des Auftraggebers vorgegebenen Betriebsruhen einen Einsatz des Fremdpersonals in dieser Zeit nicht erlaubt hätten. Externe 88 4 Sa 41/14, BB 2015, 315. 89 Vgl. hierzu auch Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449 ff.; Baeck/Winzer, NZA 2015, 269 ff.; Hennecke/Tuengerthal, BB 2015, 1269 ff.; Ulrici, BB 2015, 1209 ff.
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Neue Risiken für den Scheinwerkvertrag
Dienstleister hätten in diesen Zeiten keinen Zugang, so dass schon deshalb eine Abstimmung des Urlaubs hätte erfolgen müssen. Nach den Feststellungen des LAG Baden-Württemberg im Urteil vom 3.12.201490 war der Einsatz des Klägers nicht auf der Grundlage eines Werkvertrags durchgeführt worden. Vielmehr war – was im Einzelnen dargelegt wurde – von einem Einsatz im Wege der Arbeitnehmerüberlassung auszugehen. Für die hier in Rede stehende Frage soll offen bleiben, ob der darin liegenden Kennzeichnung der Einsatzform mit Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls zugestimmt werden muss. Wichtiger für sonstige Fallgestaltungen ist der Umstand, dass das LAG Baden-Württemberg der Beklagten verwehrt, sich zur Vermeidung der aus §§ 9, 10 AÜG resultierenden Rechtsfolgen auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis der jeweiligen Vertragsarbeitgeber zu berufen. Nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg geht die gesetzliche Grundkonzeption des AÜG von einer „offenen Arbeitnehmerüberlassung“ aus. Wenn das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung allerdings durch die beteiligten Unternehmen „verschleiert“ werde, sei es ihnen unter Berücksichtigung von § 242 BGB verwehrt, sich zur Vermeidung der daraus resultierenden Konsequenzen auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu berufen. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn sowohl dem Verleiher als auch dem Entleiher positiv bekannt sei, dass der Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert werde und dort dem Weisungsrecht des Entleihers unterliegen solle. Denn in einer solchen Fallgestaltung stelle sich das Berufen auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis als ein treuwidriges und widersprüchliches Verhalten dar. Dies habe zur Folge, dass von dem Fehlen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ausgegangen werden müsse, was zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Entleiher führe (§§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Die Feststellungen des LAG Baden-Württemberg überzeugen nicht. Dies gilt auch dann, wenn allen Beteiligten das Risiko bekannt ist, dass die praktische Umsetzung des Fremdpersonaleinsatzes nicht als Werk- oder Dienstvertrag gekennzeichnet werden kann. Denn die in §§ 9, 10 AÜG vorgesehene Rechtsfolge eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher ist nach der klaren Festlegung des Gesetzgebers an das Fehlen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis geknüpft. Wenn der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) genutzt werden soll, um diese klare Festlegung
90 4 Sa 41/14, BB 2015, 315 Rz. 71 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
durch den Gesetzgeber aufzuheben, ist dies angesichts derart klarer Vorgaben als ein Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip anzusehen. Dies gilt umso mehr, als keinerlei Anhaltspunkte erkennbar sind, um von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen. Dagegen spricht bereits, dass sich der Gesetzgeber in §§ 11, 12 AÜG eingehend mit den formalen Erfordernissen für die Ausgestaltung eines Arbeitnehmerüberlassungsverhältnisses auseinandergesetzt hat, ohne dass die dort getroffenen Vorgaben mit der Sanktion eines Arbeitgeberwechsels gemäß §§ 9, 10 AÜG verknüpft werden. Ungeachtet dessen steht allerdings zu erwarten, dass die Idee des LAG Baden-Württemberg durch den Gesetzgeber aufgegriffen und durch eine entsprechende Änderung des AÜG umgesetzt wird. Wie an anderer Stelle aufgezeigt wurde, ist zu erwarten, dass eine Kennzeichnungspflicht für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung eingeführt wird. Dies wäre – insoweit der Rechtsfolge des LAG Baden-Württemberg entsprechend – für den Fall einer Missachtung dieser Kennzeichnungspflicht damit verbunden, dass andere Formen des Fremdpersonaleinsatzes, die tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung zu kennzeichnen sind, kraft Gesetzes die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zur Folge haben91. Dies wäre das Ende der sogenannten „Vorratserlaubnis“. (Ga)
7.
Verwirkung eines Schmerzensgeldanspruchs wegen Mobbings
Bereits in der Entscheidung vom 28.10.2010 hat der 8. Senat des BAG92 die Feststellung getroffen, dass „Mobbing“ kein Rechtsbegriff und damit auch keine mit einer Rechtsnorm vergleichbare selbständige Anspruchsgrundlage für Ansprüche eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber oder gegen Vorgesetzte bzw. Arbeitskollegen sein kann. Macht ein Arbeitnehmer konkrete Ansprüche aufgrund von Mobbing geltend, muss jeweils geprüft werden, ob der in Anspruch Genommene in den vom Kläger genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten, ein absolutes Recht des Arbeitnehmers i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB, ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB verletzt oder eine sittenwidrige Schädigung i. S. d. § 826 BGB begangen hat. In diesem Zusammenhang können Fälle auftreten, in welchen die einzelnen, vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder seines Arbeitgebers für sich allein betrach-
91 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 24 ff. 92 8 AZR 546/09, NZA-RR 2011, 378 Rz. 17. Ebenso Brandenburgisches OLG v. 24.2.2015 – 2 U 73/13 n. v. (Rz. 20).
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Verwirkung eines Schmerzensgeldanspruchs wegen Mobbings
tet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil erst deren Zusammenfassung aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechts des Arbeitnehmers führt93. Letzteres ist insbesondere in Anlehnung an den Begriff der „Belästigung“ in § 3 Abs. 3 AGG dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird, was ein fortdauerndes Verhalten voraussetzt. Mit dieser Definition des Begriffs “Belästigung” hat nämlich der Gesetzgeber letztlich auch den Begriff des “Mobbing” umschrieben, soweit dieses seine Ursachen in der Rasse, der ethnischen Herkunft, dem Geschlecht, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, im Alter oder der sexuellen Identität (§ 1 AGG) des Belästigten hat94. Damit sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen, weshalb auch zurückliegende Handlungen und Verhaltensweisen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden dürfen95. Ein Arbeitnehmer hat aus § 241 Abs. 2 BGB einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber darauf, dass er vor Gesundheitsgefahren, auch psychischer Art, und vor Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht geschützt wird. Der Arbeitgeber haftet dabei nach § 278 BGB auch für Schäden, die einer seiner Arbeitnehmer dadurch erleidet, dass ihn sein Vorgesetzter schuldhaft in seinen Rechten verletzt96. Die Beweis- und Darlegungslast für das Vorliegen von Mobbinghandlungen, aus denen er Entschädigungs-, Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche herleitet, trägt der Arbeitnehmer selbst97. Unterlassungsansprüche oder Schmerzensgeld- bzw. Entschädigungsansprüche kann ein Arbeitnehmer auch gegen einen Vorgesetzten oder einen Arbeitskollegen verfolgen, wenn letztere ein absolutes Recht des Arbeitnehmers i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB, die Gesundheit (§§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB), ein 93 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 Rz. 60; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 Rz. 56. 94 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 Rz. 58. 95 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 Rz. 59; BAG v. 24.4.2008 – 8 AZR 347/07, NZA 2009, 38 Rz. 29. 96 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 Rz. 79. 97 BAG v. 24.4.2008 – 8 AZR 347/07, NZA 2009, 38 Rz. 34; BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 813/12, NZA 2014, 564 Rz. 11.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB verletzen oder ihn sittenwidrig i. S. d. § 826 BGB schädigen. Mit einer derartigen Fallkonstellation war der 8. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 11.12.201498 befasst. Der Kläger machte gegen seinen früheren Vorgesetzten einen Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung der Gesundheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Höhe von mindestens 10.000 € geltend. Das Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin war am 28.2.2010 beendet worden. Mit einer am 28.12.2010 bei dem Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Klage verlangte der Kläger von seinem früheren Vorgesetzten Schmerzensgeld und stützte sich dabei auf Vorfälle in den Jahren 2006-2008, die zu seiner Isolierung und Herabwürdigung geführt hätten. Das LAG Nürnberg hat durch Urteil vom 25.7.201399 die Klage wegen Verwirkung des geltend gemachten Anspruchs abgewiesen, weil der Kläger mit der Geltendmachung seines Schmerzensgeldanspruchs annähernd zwei Jahre nach der von ihm behaupteten letzten Verletzungshandlung im Jahre 2008 zugewartet habe und der beklagte Vorgesetzte nicht mehr habe damit rechnen müssen, mit Schmerzensgeldansprüchen konfrontiert zu werden. Dieser Bewertung ist das BAG nicht gefolgt und hat unter Aufhebung der Entscheidung den Rechtsstreit an das LAG zur Aufklärung der bestrittenen Mobbingvorfälle zurückverwiesen. Der Tatbestand der Verwirkung setzt voraus, dass neben das Zeitmoment das Umstandsmoment tritt. Es müssen besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen100. Diese Sichtweise knüpft an den Gedanken an, dass die Verwirkung dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen soll und ihr Zweck nicht darin besteht, Schuldner, denen gegenüber die Gläubiger längere Zeit ihre Rechte nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Es müssen besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen101. Im Streitfall hat das BAG diese Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen. Ein bloßes Zuwarten für sich betrachtet kann die Verwirkung nicht auslösen. 98 8 AZR 838/13 n. v. 99 5 Sa 525/11, ZTR 2013, 689 Rz. 26. 100 So bereits BAG v. 25.4.2001 – 5 AZR 497/99, NZA 2001, 966 Rz. 26. 101 BAG v. 17.2.1988 – 5 AZR 638/86, NZA 1988, 427 Rz. 19 f.; BAG v. 27.1.2000 – 8 AZR 106/99, ZInsO 2000, 411 Rz. 43.
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Zulässigkeit und prozessuale Verwertbarkeit einer heimlichen Videoüberwachung
Ein Unterlassen kann nur dann ein Umstandsmoment begründen, wenn aufgrund zusätzlicher besonderer Umstände eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung besteht. Dabei darf weder auf eventuelle Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Anspruchsgegners abgestellt noch die gesetzliche Verjährung unterlaufen werden. Allerdings ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass tarifvertragliche Ausschlussfristen auch Ansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfassen, während eine vertragliche Ausschlussfrist vorsätzliche Vertragsverstöße und eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung nicht erfasst. Dies folgt aus § 202 Abs. 1 BGB, wonach die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann. Da eine vertragliche Ausschlussklausel hinsichtlich der Art der von ihr betroffenen Ansprüche ohne weiteres teilbar ist, wird im Rahmen der AGB-Kontrolle angenommen, dass die Parteien die Ausschlussfrist auch ohne den unwirksamen Teil vereinbart hätten102. Zu beachten ist des Weiteren, dass die Haftung für fremdes vorsätzliches Handeln nach § 278 S. 2 BGB in Verbindung mit § 276 Abs. 3 BGB ausgeschlossen werden darf. Demgemäß können auch Ansprüche aufgrund vorsätzlichen Handelns von Erfüllungsgehilfen (§ 278 S. 1 BGB) einer individualrechtlich vereinbarten umfassenden Ausschlussklausel unterfallen103, was auch auf Arbeitskollegen des gemobbten Arbeitnehmers zutrifft. (Boe)
8.
Zulässigkeit und prozessuale Verwertbarkeit einer heimlichen Videoüberwachung von Mitarbeitern
Das BAG104 hat bereits im Jahr 2003 der Frage nachgehen müssen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine heimliche Videoüberwachung, die einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstellt, vom Arbeitgeber veranlasst werden darf und zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Grundsätzlich unterliegen Informationen und Beweismittel, die der Arbeitgeber mittels einer heimlich durchgeführten Videoüberwachung gewonnen hat, einem prozessualen Verwendungs- und Verwertungsverbot, es sei denn, dass der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht und weniger einschneidende Mit-
102 So i. E. BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1013/12, NZA-RR 2014, 177. 103 BAG v. 30.8.2008 – 8 AZR 886/07, NZA 2009, 864 Rz. 21; BAG v. 20.6.2013 – 8 AZR 280/12, NZA 2013, 1265 Rz. 11. 104 v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193 Rz. 25.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
tel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, so dass die verdeckte Videoüberwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt gesehen nicht unverhältnismäßig ist105. Das kann auch der Fall sein, wenn sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage i. S. v. § 227 BGB befindet106. Ungeachtet des Umstandes, dass die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein – ausdrückliches – prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot vorschreibt, hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist107. Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen108. Nach dem Schutzzweck des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts hindert damit ein Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot auch die Verwertung des Beweismittels im Zivilprozess. Gemäß dem zum 1.9.2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG109 dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 S. 2 dieser Vorschrift dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Damit werden die Anfor-
105 Vgl. auch BAG v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243 Rz. 50. 106 BGH v. 12.1.2005 – XII ZR 227/03, NJW 2005, 497 Rz. 26. 107 BVerfG v. 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753; BGH v. 15.5.2013 – XII ZB 107/08, NJW 2013, 2668 Rz. 18. 108 BAG v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187 Rz. 15. 109 Eingeführt durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften v. 14.8.2009 (BGBl. I S. 2814).
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Zulässigkeit und prozessuale Verwertbarkeit einer heimlichen Videoüberwachung
derungen an eine zulässige Datenverarbeitung und der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild konkretisiert110. Unabhängig davon muss jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verhältnismäßig sein. Es darf kein anderes, gleich wirksames, das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung stehen111. Die Problematik einer heimlichen Videoüberwachung und Observation durch eine vom Arbeitgeber beauftragte Detektei war Gegenstand der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 19.2.2015112. Die Klägerin hatte den Arbeitgeber wegen heimlicher Videoaufnahmen und einer Observation durch eine Detektei auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 10.500 € in Anspruch genommen, die ihr jedenfalls in Höhe von 1.000 € zugesprochen worden ist. Die Klägerin war als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig und legte in der Zeit vom 27.12.2011 bis zum 28.2.2012 insgesamt sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die von zwei unterschiedlichen Ärzten ausgestellt waren. Der Arbeitgeber bezweifelte den ihm zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte an vier Tagen und umfasste Videoaufnahmen, die unter anderem den Besuch der Klägerin in einem Waschsalon betrafen. Die Klägerin hielt die Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und beanspruchte die Zahlung eines Schmerzensgeldes, das sie in Höhe von 10.500 € für angemessen hielt, weil sie erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten habe. Das LAG Hamm113 hat der Klage unter Abweisung im Übrigen in Höhe von 1.000 € stattgegeben. Die Revisionen beider Parteien blieben vor dem BAG ohne Erfolg. Das BAG schließt sich der Bewertung des LAG Hamm an, dass die von der Beklagten veranlasste Observation einschließlich der heimlichen Videoaufnahmen rechtswidrig waren. Der Arbeitgeber habe keinen berechtigten Anlass zur Überwachung der Klägerin gehabt, weil der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttert gewesen sei. Für eine Unrichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen spreche weder, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch dass eine Änderung des Krankheitsbildes bei der Klägerin eingetreten sei. Auch die Höhe der zugesprochenen Entschädigung durch das LAG sei nicht zu beanstanden.
110 111 112 113
BAG v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243 Rz. 44 f. BGH v. 15.5.2013 – XII ZB 107/08, NJW 2013, 2668 Rz. 20. 8 AZR 1007/13 n. v. V. 11.7.2013 – 11 Sa 312/13, ArbR 2014, 114.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin geforderte Entschädigung bildet § 823 BGB i. V. mit Art. 1, Art. 2 GG. Dabei wird der Anspruch auf Zubilligung einer Geldentschädigung wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts als ein Recht angesehen, das auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückzuführen ist. Die Zubilligung einer Geldentschädigung bei einer schweren Persönlichkeitsverletzung wird aus der Erwägung abgeleitet, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde, wenn man Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen sanktionslos zuließe114. Ausgangspunkt für den rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin bildet hierbei § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG. Daher handelt ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Dies gilt gleichermaßen für heimlich hergestellte Abbildungen, wie das BAG in der Entscheidung vom 19.2.2015 konstatiert115. Eine derartige rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann daher einen Geldentschädigungsanspruch begründen. Für die Höhe der Geldentschädigung kann maßgebend sein, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin außerhalb ihrer Intimsphäre als unantastbarem Kernbereich privater Lebensführung im öffentlichen Raum stattgefunden hat116 und in einem solchen Fall die Zubilligung einer Geldentschädigung geringer ausfallen kann. Bei alledem ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Persönlichkeitsrecht im Arbeitsverhältnis – von einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensführung abgesehen – nicht schrankenlos gewährleistet wird und daher aufgrund überwiegender schutzwürdiger Belange des Arbeitgebers, die im Rahmen einer Güterabwägung festzustellen sind, eine offene Videoüberwachung erlaubt sein kann. In einem Betrieb mit Betriebsrat bedarf diese der Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wobei allerdings der Verstoß gegen die Mitbestimmung allein kein eigenständiges Beweisverwertungsverbot rechtfertigt, wenn die Beweisverwertung nach allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt ist117. Außerdem hat das BAG118 aufgrund des in § 6 b Abs. 5 BDSG ausdrücklich normierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gefordert, dass bei einer Videoüberwachung in öffentlich zugängli-
114 115 116 117 118
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Vgl. dazu BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, NJW 2005, 215 Rz. 13 m. w. N. 8 AZR 1007/13 n. v. Vgl. dazu auch BGH v. 15.5.2013 –XII ZB 107/08, NJW 2013, 2668 Rz. 26. BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193 Rz. 38. BAG v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, DB 2008, 2144 Rz. 35.
Fotos oder Videoaufnahmen eines Arbeitnehmers im Internet
chen Räumen die dadurch gewonnenen Daten unverzüglich zu löschen sind, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr benötigt werden. (Boe)
9.
Fortbestehende Berechtigung einer Veröffentlichung von Fotos oder Videoaufnahmen eines Arbeitnehmers im Internet / Intranet nach Vertragsende
Soweit ersichtlich erstmalig war der 8. Senat des BAG119 mit dem Problem befasst, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer sein Einverständnis widerrufen kann, wenn er auf der Homepage seines Arbeitgebers in einem Werbefilm auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Person zu erkennen ist und nach diesem Widerruf einen Unterlassungsanspruch weiterer Veröffentlichung und einen „Schmerzensgeldanspruch“ geltend macht. Der Kläger war seit dem Sommer 2007 Arbeitnehmer der Beklagten und hatte dieser gegenüber im Herbst 2008 schriftlich seine Einwilligung erteilt, dass sie von ihm als Teil der Belegschaft Filmaufnahmen machen und diese für ihre Öffentlichkeitsarbeit verwenden und ausstrahlen durfte. Die Beklagte ließ einen Werbefilm herstellen, in dem zumindest einmal die Person des Klägers für zwei Sekunden erkennbar abgebildet wird. Das Video konnte von der Internet-Homepage der Beklagten abgerufen werden. Nach seinem Ausscheiden im September 2011 verlangte der Kläger zehn Monate später von der Beklagten, das Video aus dem Netz zu nehmen, welchem Verlangen die Beklagte – wenn auch unter dem Vorbehalt seiner weiteren Verwendung – Ende Januar 2012 nachkam. Der Kläger beanspruchte im Klagewege die Unterlassung weiterer Veröffentlichung und außerdem die Zahlung von „Schmerzensgeld“. Das LAG Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 8.5.2013120 sowohl die auf § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 1004 BGB gestützte Unterlassungsklage als auch die Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung für die Veröffentlichung der betreffenden Filmaufnahmen erteilt habe und diese Einwilligung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gegenstandslos geworden sei. Der Kläger habe seine Einwilligung auch nicht wirksam widerrufen. Sein Vorbringen ließe nicht erkennen, aus welchen Gründen ihm ein weiteres Festhalten an der zunächst erteilten Einwilligung in die Veröffentlichung 119 V. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13 n. v. 120 8 Sa 30/13 n. v. (Rz. 36 f.).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
nicht mehr zumutbar sei. Ebenso wenig könne der Kläger gegen die Beklagte auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG wegen schuldhafter und rechtswidriger Verletzung von Persönlichkeitsrechten eine Entschädigung (Schmerzensgeld) durchsetzen. Das BAG121 hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zunächst geht das BAG davon aus, dass die Einwilligung nach § 22 Abs. 1 S. 1 KUG im Arbeitsverhältnis der Schriftform bedarf. Nach dieser Vorschrift dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung dürfen jedoch nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG Bilder verbreitet und zur Schau gestellt werden, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder einer sonstigen Örtlichkeit erscheinen122. Die Einwilligungsbedürftigkeit resultiert daraus, dass das Recht am eigenen Bild als Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Arbeitnehmer vor jeder Anfertigung und Verbreitung einer bildlichen Darstellung seiner Person schützen soll, soweit er damit nicht einverstanden ist. Da die Veröffentlichung des Arbeitgebers den Kläger als konkrete Person abbildete, war seine Einwilligung erforderlich, die jedoch nach dem Wortlaut des § 22 KUG nicht formbedürftig ist. Da § 22 KUG als spezialgesetzliche Norm die Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) verdrängt (§ 4 BDSG), so dass sich das Erfordernis der Schriftform nicht aus § 3 Abs. 3 BDSG i. V. m. § 4a Abs. 1 S. 3 BDSG ergibt, leitet das BAG das Schriftformerfordernis der Einwilligung aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 S. 1 KUG ab. Wegen der Bedeutung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung will das BAG das Schriftformerfordernis für die Einwilligung des Arbeitnehmers zur Veröffentlichung seines Bildes daraus herleiten, dass sie unabhängig von den jeweiligen Verpflichtungen aus dem eingegangenen Arbeitsverhältnis erfolgt und für das Arbeitsverhältnis keine Folgen hat. Diese Sichtweise weicht von der Rechtsprechung des BGH123 ab und ist auf die spezifische Situation der Abhängigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis zugeschnitten. Die Argumentation des BAG überzeugt nicht ganz, weil es im Hinblick auf die Abhängigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsver121 V. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13 n. v. 122 Vgl. die zum abgestuften Schutzkonzept entwickelte Rechtsprechung des BGH: BGH v. 28.5.2013 – VI ZR 125/12, NJW 2013, 2890 Rz. 10 f.; BGH v. 8.4.2014 – VI ZR 197/13, VersR 2014, 890 Rz. 8 f.; BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 9/14, NJW 2015, 1450 Rz. 5. 123 Vgl. nur BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 9/14, MDR 2015, 392 Rz. 8 zur konkludenten Einwilligung einer Hostess in die Veröffentlichung eines Bildnisses in einem Eventportal.
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Fotos oder Videoaufnahmen eines Arbeitnehmers im Internet
hältnis eher gleichgültig ist, ob er eine Einwilligung mündlich oder schriftlich erteilt. Bedeutsamer erscheint dabei der Gedanke der sogenannten Warnfunktion für das Schriftformerfordernis, weil damit dem Arbeitnehmer stärker bewusst gemacht wird, welcher Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht durch die Herstellung und Publikation eines Bildes vorgenommen wird. Es wäre zudem erwägenswert, das Recht am eigenen Bild als Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes einer identifizierbaren Person in entsprechender Anwendung von § 4 a BDSG zu schützen, weil diese Vorschrift im Ergebnis bereits ausdrückt, was das BAG aus einer verfassungskonformen Interpretation des § 22 KUG herleitet. Da der Kläger in freier Entscheidung und dazu auch schriftlich seine Einwilligung zur Veröffentlichung seines Bildes in der Videodatei erteilt hatte, stellte sich die Frage, ob diese Einwilligung automatisch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet, oder ein besonderer Erklärungsakt in Gestalt eines Widerrufs notwendig ist, der begründungslos möglich ist oder einer Begründung bedarf. Ebenso wie das LAG Rheinland-Pfalz geht das BAG davon aus, dass die ohne Einschränkungen vom Kläger gegebene schriftliche Zustimmung nicht automatisch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses erloschen ist. Vielmehr bedurfte es eines späteren Widerspruchs des Klägers, der jedoch voraussetzt, dass diese gegenläufige Ausübung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf einem plausiblen Grund basiert. Diese Lösung entwickelt das BAG mangels einer ausdrücklichen Regelung im KUG aus § 241 Abs. 2 BGB, wonach das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten kann. Bei der Bestimmung der Rücksichtnahmepflicht bedarf es nach Ansicht des BAG einer Interessenabwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers einerseits und dem Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung andererseits. Bei dieser Abwägung differenziert das BAG danach, ob das Veröffentlichungsinteresse des Arbeitgebers für Werbezwecke an der konkreten Person in ihrer Identität im Sinne einer persönlichkeitsrelevanten Verwertung im Vordergrund steht, oder ob es um eine allgemeine Werbung und Darstellung des Unternehmens geht, ohne dass damit eine besondere Hervorhebung des Arbeitnehmers als Person verbunden ist. Ist letzteres der Fall, so kann der Arbeitnehmer die einmal wirksam erteilte Einwilligung nicht allein aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rückgängig machen oder widerrufen. Das BAG verlangt vielmehr, dass der aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedene Arbeitnehmer einen Grund angeben muss, der plausibel erklärt, weshalb er sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung nunmehr als verletzt ansieht. 87
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Da der Kläger seinen Widerruf nicht in diesem Sinne ausreichend begründet hatte, war mangels Verletzung seines Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf weitere Veröffentlichung des Werbefilms im Internet im Sinne eines Unterlassungsanspruchs (Wiederholungsgefahr) ebenso wenig durchsetzbar wie die Zahlung einer Entschädigung als Ersatz des immateriellen Schadens („Schmerzensgeld“) auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Dies gilt unabhängig davon, dass nach ständiger Spruchpraxis des BAG nur eine schwere Persönlichkeitsverletzung einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens begründen kann124. (Boe)
124 BAG v. 20.6.2013 – 8 AZR 482/12, NZA 2014, 21 Rz. 59; BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13 n. v. (Rz. 6).
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D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.
Befugnis des Arbeitgebers zur Änderung der Arbeitszeitlage nach Geltendmachung eines Anspruchs auf Teilzeitbeschäftigung
Beschäftigt ein Arbeitgeber – unabhängig von der Anzahl der Personen in Berufsbildung – in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer, dann kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, vom Arbeitgeber verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird (§ 8 Abs. 1, 7 TzBfG). Mit dem Verringerungsverlangen soll der Arbeitnehmer auch die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben (§ 8 Abs. 2 S. 2 TzBfG). Haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die gewünschte Verringerung der Arbeitszeit verständigt und in diesem Zusammenhang Einvernehmen über die festzulegende Verteilung der Arbeitszeit erzielt (§ 8 Abs. 3 TzBfG), kann der Arbeitgeber die festgelegte Verteilung der Arbeitszeit wieder ändern, wenn das betriebliche Interesse daran das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung erheblich überwiegt und der Arbeitgeber die Änderung spätestens einen Monat vorher angekündigt hat (§ 8 Abs. 5 S. 4 TzBfG). Die Anwendung dieser Änderungsbefugnis bezüglich der Lage der Arbeitszeit setzt daher voraus, dass die zu ändernde Verteilung der Arbeitszeit infolge eines Verlangens des Arbeitnehmers nach § 8 TzBfG mit vertragsändernder Wirkung festgelegt wurde. In der Entscheidung des 10. Senats des BAG vom 10.12.2014 1 ging es um einen Streit der Arbeitsvertragsparteien über die Zahlung von Nachtzuschlägen unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Der Kläger war bei der Beklagten, die Luftfracht befördert, seit September 1987 in der Betriebsstätte am Flughafen Frankfurt am Main beschäftigt. Seit dem Jahre 2000 arbeitete der Kläger auf eigenen Wunsch ausschließlich in der Nachtschicht, wofür ihm eine Nachtschichtzulage gezahlt wurde. Im Februar 2002 bat der Kläger darum, seine Arbeitszeit ab dem 1.6.2002 von 40 auf 32 Wochenstunden zu verringern und die Arbeitszeit von montags bis donnerstags auf acht bis zehn Stunden in der Nacht von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr zu verteilen. Da sich die Beklagte weigerte, dem Anliegen des Klägers nachzukommen, wurde vom Kläger ein Klageverfahren zur Durchsetzung der von ihm gewünschten Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit eingeleitet. Die Parteien schlossen vor dem Arbeitsgericht daraufhin einen Vergleich, wonach
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10 AZR 63/14, BB 2015, 574.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
die Arbeitszeit des Klägers ab 1.1.2003 auf 32 Wochenstunden verringert wurde. Des Weiteren einigten sich die Parteien darüber, dass der Kläger im Dauernachtdienst verbleibt und sich verpflichtet, im Rahmen des Schichtdienstes auf Anforderung der Beklagten seine Arbeitskraft in der jeweils geltenden Schichteinteilung zur Verfügung zu stellen. Ab Juli 2010 wurden die bisher in Nachtschicht abgewickelten Arbeiten zum Flughafen Köln/Bonn verlagert, so dass die Nachtschicht bei der Beklagten komplett entfiel und der Kläger nicht mehr in Nachtschicht eingesetzt werden konnte. Bis Ende 2010 zahlte die Beklagte dem Kläger weiterhin den Nachtschichtzuschlag als Ausgleichszahlung, stellte sodann diese Zahlung ein und beschäftigte ihn ab Januar 2012 nur noch von montags bis freitags von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr ohne Schichtzulage. Der Kläger verlangte von der Beklagten wegen Annahmeverzugs (§ 615 BGB) 14.921,61 € brutto, weil sich die Beklagte in dem Prozessvergleich verpflichtet habe, ihn dauerhaft in Nachtschicht einzusetzen. Das BAG hat in Übereinstimmung mit dem LAG Frankfurt 2 die Zahlungsklage des Klägers abgewiesen. Dabei ist das BAG davon ausgegangen, dass dem Kläger kein vertraglicher Anspruch auf einen Arbeitseinsatz in der Dauernachtschicht zustand, weshalb die Beklagte in Ausübung ihres Direktionsrechts (§ 106 GewO, § 315 BGB) berechtigt war, ihn auch außerhalb der Nachtschicht beschäftigen zu dürfen. Aus dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrag ergab sich unmittelbar keine Festlegung eines dauerhaften Nachtschichteinsatzes des Klägers. Das BAG verneint auch eine entsprechende Konkretisierung des Arbeitsvertrags durch die langjährige Beschäftigung in der Dauernachtschicht. Wie bereits in früheren Entscheidungen des BAG 3 zum Ausdruck gebracht worden ist, kann allein die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine konkludente Vertragsänderung bewirken, weil die Nichtausübung des Direktionsrechts keinen Erklärungswert hat und der Arbeitnehmer allein daraus nicht das Vertrauen schöpfen kann, nicht mehr in anderer Weise eingesetzt zu werden. Zweifelhaft konnte allerdings sein, ob sich die Parteien im Rahmen der vergleichsweisen Regelung auf einen Dauernachtschichteinsatz des Klägers im Sinne einer Vertragsänderung verständigt haben. Das BAG schlussfolgert durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu Recht, dass die Parteien mit der 2 3
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v. 15.11.2013 – 14 Sa 1619/12 n. v. BAG v. 13.3.2007 – 9 AZR 433/06 n. v. (Rz. 31); BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 19.
Befugnis des Arbeitgebers zur Änderung der Arbeitszeitlage
Formulierung des Verbleibens im Dauernachtdienst an die bisherige Lage anknüpfen und nichts verändern wollten. Die Parteien haben damit lediglich die Fortführung bereits bestehender Rechtspflichten zum Ausdruck gebracht. Überdies hatte sich die Beklagte zuvor geweigert, dem Wunsch des Klägers zu entsprechen, auf der Grundlage von § 8 Abs. 2 S. 2 TzBfG eine bestimmte Verteilung der Arbeitszeit vorzunehmen. Dem Kläger blieb es bei einer vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits vorbehalten, von diesem Wunsch wieder Abstand zu nehmen. Angesichts dessen war die Beklagte nach Ansicht des BAG befugt, den Kläger nach Wegfall der Nachtschicht durch Verlagerung der Aktivitäten an einen anderen Ort außerhalb der Dauernachtschicht kraft des ihr zustehenden Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO zu beschäftigen. Diese Vorschrift wurde mangels Festlegung der Nachtschicht nach § 8 Abs. 3 S. 2 TzBfG auch nicht durch die speziellere Regelung des § 8 Abs. 5 S. 4 TzBfG verdrängt, weil diese Vorschrift nur dann eingreifen kann, wenn die zu ändernde Verteilung der Arbeitszeit zuvor einvernehmlich gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 TzBfG oder durch Fiktion nach § 8 Abs. 5 S. 3 TzBfG auf Verlangen des Arbeitnehmers mit vertragsändernder Wirkung festgelegt wurde 4. Offengelassen hat das BAG die Frage, ob § 8 Abs. 5 S. 4 TzBfG auch dann anwendbar ist, wenn die Parteien die Lage der Arbeitszeit in einem gerichtlichen Vergleich vereinbart haben. Da die Leistungsbestimmung nach § 106 S. 1 GewO einer Ausübungskontrolle nach billigem Ermessen unterliegt, bedarf es einer Abwägung der wechselseitigen Interessen, wobei alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. Dabei kommt einer unternehmerischen Entscheidung besonderes Gewicht zu 5. Mangels weiterer besonderer Anhaltspunkte ging es im Streitfall nur darum, dass dem betrieblichen Interesse der Beklagten, keine Nachtschicht aufrechterhalten zu müssen, für die es keinerlei betriebliches Bedürfnis gab, Vorrang vor dem Interesse des Klägers gebührte, weiterhin in den Genuss der Nachtschichtzuschläge zu kommen. Die Entscheidung des BAG bestätigt die bisherige Rechtsprechung, wonach auch eine über viele Jahre hinweg unterbliebene Ausübung des Direktionsrechts bezüglich der dem Arbeitgeber zustehenden Leistungsbestimmung nach Art, Ort und Zeit der Tätigkeit keine konkludente Vertragsänderungswirkung auslöst, ohne dass weitere vertrauensbildende Umstände für den Arbeitnehmer hinzutreten, zukünftig keine Veränderungen seiner bisherigen
4 5
BAG v. 17.7.2007 – 9 AZR 819/06, NZA 2008, 118 Rz. 16, 26. BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 41.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitsbedingungen mehr hinnehmen zu müssen. Des Weiteren hält das BAG daran fest, dass ohne einvernehmliche Änderung der Arbeitszeitlage nach § 8 Abs. 3 S. 2 TzBfG oder infolge der Fiktion nach § 8 Abs. 5 S. 3 TzBfG die Organisation der Arbeitszeit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO - gegebenenfalls unter mitbestimmungsrechtlicher Mitwirkung des Betriebsrats – vorbehalten bleibt. (Boe)
2.
Einführung von Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung
Obwohl durch Betriebsvereinbarung an sich nicht in arbeitsvertraglich begründete Ansprüche eingegriffen werden kann, gehen Rechtsprechung 6 und Literatur 7 ganz überwiegend davon aus, dass Arbeitgeber und Betriebsrat durch Betriebsvereinbarung Kurzarbeit einführen können. Unerheblich ist dabei, ob der betroffene Arbeitnehmer in der entsprechenden Zeit nach §§ 95 ff. SGB III einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hat. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des LAG Hamm im Urteil vom 19.11.2014 8 setzt die Wirksamkeit der Anordnung von Kurzarbeit auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung voraus, dass darin Beginn und Dauer der Kurzarbeit, Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die Auswahl der von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer oder die betroffenen Abteilungen sowie die Zeiträume, in denen die Arbeit ausfallen soll, festgelegt werden. Unzureichend ist, wenn die Betriebsparteien lediglich folgende Vereinbarung treffen: Heute, am 13.6.2013 wurde zwischen unserem Betriebsrat und der Geschäftsleitung vereinbart, dass aufgrund der schlechten Auftragslage ab dem Monat Juni 2013 Kurzarbeit durchzuführen ist.
Alle weiteren Einzelheiten hatten Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen einer Regelungsabrede abgestimmt. Mit einer solchen Regelungsabrede wird zwar das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gewahrt. Es fehlt aber an einer Rechtsnorm, die mit der ausreichenden Bestimmtheit den mit der Einführung von Kurzarbeit verbundenen Eingriff in den Arbeitsvertrag rechtfertigt.
6 7 8
92
Vgl. BAG v. 14.2.1991 – 2 AZR 415/90 NZA 1991, 607; BAG v. 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, NZA 2009, 689 Rz. 39. Vgl. Fitting, § 87 Rz. 150. 4 Sa 1108/14, NZA-RR 2015, 194 Rz. 26.
Befristung einer Verringerung der Arbeitszeit
Ob die fehlende Rechtfertigung der Anordnung von Kurzarbeit Annahmeverzugsansprüche des Arbeitnehmers zur Folge hat, hängt indes davon ab, ob dieser tatsächlich oder jedenfalls wörtlich seine Arbeitsleistung angeboten hat. Das folgt aus §§ 294, 295 S. 1 BGB. Lediglich nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung ist ein Angebot der Arbeitsleistung entbehrlich 9. (Ga)
3.
Befristung einer Verringerung der Arbeitszeit
Unabhängig davon, dass der Arbeitnehmer in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmern nach mehr als einem sechsmonatigen Arbeitsverhältnis gemäß § 8 TzBfG gegen seinen Arbeitgeber einen Rechtsanspruch darauf hat, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert und entsprechend seinen Wünschen verteilt wird, soweit diesem Begehren betriebliche Gründe 10 nicht entgegenstehen oder tarifvertraglich geregelte Ablehnungsgründe vorliegen, kommt es in der Betriebspraxis nicht selten unabhängig von dieser gesetzlichen Regelung zu einer Vereinbarung einer vorübergehenden oder befristeten Teilzeitbeschäftigung. Einen derartigen Anspruch auf eine oft erwünschte lediglich vorübergehende Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit sieht das TzBfG nicht vor. Der auf eine unbefristete Verringerung der Arbeitszeit gerichtete gesetzliche Anspruch nach § 8 TzBfG kann nach § 22 Abs. 1 TzBfG durch die Arbeitsvertragsparteien, die Betriebsparteien und die Tarifvertragsparteien nicht zeitlich beschränkt werden 11. Soweit ein gesetzlicher Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nicht besteht, können die Arbeitsvertragsparteien gleichwohl in wirksamer Weise eine Verringerung der Arbeitszeit vereinbaren und diese zugleich zeitlich befristen. Ebenso unbedenklich ist es, zugunsten des Arbeitnehmers zusätzlich zum gesetzlichen Anspruch die Möglichkeit vorzusehen, die Arbeitszeit für eine begrenzte Dauer zu reduzieren 12. Neben einer vertraglichen Regelung kommt insoweit auch ein kollektiver Normenvertrag in Gestalt einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrags in Betracht. Ungeachtet dieser alternativen normativen oder vertraglichen Vorgaben einer Arbeitszeitverringerung bedarf es bei einem entsprechenden Wunsch des 9
BAG v. 10.10.2006 – 1 AZR 811/05, NZA 2007, 637 Rz. 35; LAG Hamm v. 19.11.2014 – 4 Sa 1108/14, NZA-RR 2015, 194 Rz. 27. 10 Zur dreistufigen Prüfung der betrieblichen Gründe: BAG v. 24.6.2008 – 9 AZR 313/07, NZA 2008, 1309 Rz. 24. 11 BAG v. 24.6.2008 – 9 AZR 313/07, NZA 2008, 1309 Rz. 41. 12 BAG v. 10.12.2014 – 7 AZR 1009/12 n. v. (Rz. 34).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitnehmers der Prüfung, welche Alternativregelung er in Anspruch nehmen will. Denn davon hängt es ab, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und ob dem Arbeitgeber nur auf der Grundlage von § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG ein Ablehnungsrecht zusteht. Mit einer derartigen Abgrenzungsfrage war der 7. Senat des BAG 13 in der Entscheidung vom 10.12.2014 befasst. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2002 als Mitarbeiterin im Vertriebsaußendienst beschäftigt. Bis zur Geburt ihrer Tochter war sie in Vollzeit tätig. Nach der Elternzeit vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien auf Wunsch der Klägerin im Rahmen eines Pilotprojekts, das am 1.2.2010 Gegenstand einer Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV Teilzeit 2010) für den Vertriebsaußendienst geworden war, dass die Klägerin für die Zeit vom 27.6.2008 bis zum 30.4.2010 mit einer Arbeitszeit von 25 Wochenstunden beschäftigt wird. Mit Schreiben vom 7.5.2010 bot die Beklagte der Klägerin an, die Teilzeittätigkeit bis zum 26.6.2011 zu verlängern, was die Klägerin akzeptierte. Am 14.4.2011 wurde die Gesamtbetriebsvereinbarung Teilzeit 2011 für den Vertriebsaußendienst abgeschlossen, wonach die mögliche Teilzeitbeschäftigung auf 36 Monate begrenzt wurde. Mit Schreiben vom 23.5.2011 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf diese GBV 2011, ihre bisherige Teilzeittätigkeit über den 26.6.2011 hinaus unbefristet fortzusetzen. Nachdem die Beklagte diesen Antrag abgelehnt hatte, beantragte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 28.6.2011 die Verringerung ihrer Arbeitszeit nach § 8 TzBfG. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, worauf die Klägerin klageweise die u.a. die Feststellung begehrte, dass ihre Arbeitszeit 25 Wochenstunden, verteilt auf die Wochentage Montag bis Freitag, beträgt. Das LAG Hamburg 14 hat der Klage mit der Begründung entsprochen, der gesetzliche Anspruch aus § 8 TzBfG sei auf eine unbefristete Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit gerichtet. Einzelvertragliche Abreden im Rahmen eines vom Arbeitgeber vorformulierten Vertrages, die diesen Anspruch einschränken, indem sie der Arbeitnehmerin lediglich eine befristete Arbeitszeitreduzierung zugestehen, seien unwirksam. Sie benachteiligten die Klägerin unangemessen nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie von einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in § 8 TzBfG abwichen. Das BAG hat den Rechtsstreit auf die Revision der Beklagten zurückverwiesen. Zunächst geht das BAG in Übereinstimmung mit dem LAG davon aus, dass die Befristungsabrede bezüglich der Arbeitszeitreduzierung der uneinge13 14
94
7 AZR 1009/12 n. v. V. 13.9.2012 – 7 Sa 8/12 n. v. (Rz. 51).
Befristung einer Verringerung der Arbeitszeit
schränkten Inhaltskontrolle unterliegt. § 307 BGB war unabhängig davon, ob es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 BGB handelt, gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB anwendbar, weil die Vertragsabsprache von der Beklagten vorformuliert und nicht ausgehandelt war 15. Die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB war auch nicht durch § 307 Abs. 3 BGB ausgeschlossen bzw. auf einen Verstoß gegen das Transparenzgebot beschränkt. Es wird nicht der Umfang der von der Klägerin zu erbringenden Arbeitsleistung als Hauptleistungspflicht, sondern deren zeitliche Einschränkung durch Befristung der Inhaltskontrolle unterworfen 16. Anders als die Vorinstanz geht das BAG nicht davon aus, dass aufgrund der Tatsachen feststünde, dass die Befristungsabrede bezüglich der Arbeitszeitverringerung die Klägerin unangemessen benachteilige, weil die Befristung von einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in § 8 TzBfG abweiche (§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Das BAG weist darauf hin, dass zwar der gesetzliche Anspruch auf unbefristete Verringerung der Arbeitszeit nach § 22 Abs. 1 TzBfG der Vertragsdisposition entzogen ist, es jedoch sowohl den Arbeitsvertragsparteien als auch den Betriebsvereinbarungsparteien oder Tarifvertragsparteien unbenommen bleibt, zugunsten des Arbeitnehmers zusätzlich zum gesetzlichen Anspruch die Möglichkeit einer Arbeitszeitverringerung für eine begrenzte Dauer vorzusehen. Das BAG geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Betriebsparteien mit der GBV Teilzeit 2010 davon Gebrauch gemacht haben. Die Kernfrage war damit, ob die Klägerin die Fortsetzung der Verringerung ihrer Arbeitszeit ausschließlich auf der Grundlage von § 8 Abs. 2 TzBfG über den 30.4.2010 hinaus beansprucht hat und auch die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlagen, was das LAG ungeprüft gelassen hat. Einer weiteren Sachaufklärung durch das LAG hätte es allerdings nicht bedurft, wenn die Befristung der Arbeitszeitverringerung aus anderen Gründen unwirksam gewesen wäre. Das BAG prüft deshalb in Anwendung von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, ob die Klägerin im Hinblick auf die Befristungsabrede entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wurde, wenn ihr kein Anspruch auf eine unbefristete Verringerung der Arbeitszeit nach § 8 TzBfG zugestanden hätte. Unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vor-
15 16
Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 7 AZR 394/10, NZA 2012, 674 Rz. 17. BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40 Rz. 30.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
teile ausgeglichen wird 17. Dabei setzt die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Da es im Streitfall nur um die Befristung einzelner Vertragsbedingungen geht, nicht aber um eine Befristungskontrolle eines Arbeitsvertrags insgesamt, gelten dafür nach Ansicht des BAG andere Maßstäbe als für die Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 1 TzBfG. Dies schließt allerdings nicht aus, Umstände, die die Befristung eines Arbeitsvertrags insgesamt rechtfertigen können, bei der Inhaltskontrolle bewertend nutzbar zu machen. Das BAG hat einen derartigen Auslegungsmodus bei der Inhaltskontrolle einer erheblichen Aufstockung der Arbeitszeit, die nur befristet vorgesehen war, herangezogen und geprüft, ob für die Befristung des gesamten Arbeitsvertrags mit dem erhöhten Arbeitszeitvolumen ein Sachgrund vorläge 18. Diese Bewertung resultiert aus der Erwägung, dass der unbefristete Arbeitsvertrag den Prototyp im Arbeitsverhältnis darstellen soll und der befristete Vertrag die Ausnahme ist, auch wenn es um die befristete Aufstockung der Arbeitszeit geht. Das dahinter stehende sozialpolitische Interesse sei darauf gerichtet, durch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer eine längerfristige Lebensplanung zu ermöglichen, für die die Höhe des erzielten Arbeitseinkommens von wesentlicher Bedeutung ist. Diesen Denkansatz will das BAG auf die befristete Verringerung der Arbeitszeit jedoch nicht übertragen, weil durch die Befristung das dauerhafte wirtschaftliche Auskommen des Arbeitnehmers nicht gefährdet, sondern gesichert wird. Denn mit Ablauf der Befristung erhöhen sich Arbeitszeit und Vergütung ohne weiteres. Mit der Befristung der Teilzeittätigkeit ist auch der Vorteil für den Arbeitnehmer verbunden, der bei einer unbefristeten Verkürzung der Arbeitszeit nach § 8 TzBfG nun gemäß § 9 TzBfG einen Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit hat, wenn ein entsprechender freier Arbeitsplatz vorhanden ist und dem Verlängerungsbegehren keine dringenden betrieblichen Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen. Im Lichte dieser Erwägungen bedarf daher die Befristung einer Arbeitszeitverringerung keines Sachgrundes, da Arbeitnehmer dadurch nicht unangemessen beeinträchtigt werden. Diese Aussagen des BAG verdeutlichen der betrieblichen Praxis, dass bei einer befristeten Verringerung der Arbeitszeit im Vorfeld der Vertragsregelung abgeklärt werden muss, ob diese Absprache auf der Grundlage von § 8 17 18
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Vgl. nur BAG v. 15.12.2011 – 7 AZR 394/10, NZA 2012, 674 Rz. 21; BAG v. 10.12.2014 – 7 AZR 1009/12 n. v. (Rz. 46). BAG v. 15.12.2011 – 7 AZR 394/10, NZA 2012, 674 Rz. 42.
Kein Vergütungsanspruch
TzBfG vorgenommen wird. Einigen sich die Arbeitsvertragsparteien unabhängig vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auf eine zeitlich begrenzte Verkürzung der Arbeitszeit, bedarf die Befristungsabrede keines Sachgrundes und ist damit problemlos möglich. Die Entscheidung des BAG kann dazu beitragen, dass Arbeitgeber eher geneigt sind, dem Wunsch eines Arbeitnehmers nach vorübergehender Verkürzung seine Arbeitszeit zu entsprechen. (Boe)
4.
Kein Vergütungsanspruch bei wirksam angeordneter und in Anspruch genommener Arbeitspause
In zwei Urteilen vom 25.2.2015 19 hat das BAG deutlich gemacht, dass bei einer wirksam angeordneten und durch den Arbeitnehmer auch in Anspruch genommenen Arbeitspause keine Vergütungsansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs entstehen können. Voraussetzung hierfür wäre ein dagegen gerichteter, vorheriger Protest des Arbeitnehmers, der erkennen lasse, dass er – unter Beachtung der in § 4 ArbZG getroffenen Vorgaben – an dem betreffenden Arbeitstag eine Ruhepause zu einem anderen Zeitpunkt oder mit geringerer Dauer in Anspruch nehmen wolle. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger durch die Beklagte als Flugsicherheitskraft in einem Flughafen eingesetzt. Als Konkretisierung der tarifvertraglichen Regelungen über die unregelmäßige Verteilung der Arbeitszeit beschloss eine Einigungsstelle im Betrieb der Beklagten eine Betriebsvereinbarung „Dienst- und Pausenregelung“ (BV 2011), in der u. a. bestimmt wurde: § 9 Pausen (1) Dem Mitarbeiter werden die gesetzlichen Ruhepausen (§ 4 ArbZG) in einem Zeitkorridor zwischen Beginn der zweiten Arbeitsstunde (frühester Beginn der Ruhepause) und Ende der 7. Arbeitsstunde (spätestes Ende der Ruhepause) durchgehend gewährt. Die Lage der Ruhepause/n wird dem Mitarbeiter bei Beginn der Schicht mitgeteilt. (2) Es können pro Schicht zusätzlich unbezahlte Ruhepausen von maximal 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 Stunden angeordnet werden, wenn innerhalb eines Kalenderjahres im Durchschnitt unbezahlte Pausen an nicht mehr als zehn Arbeitstagen monatlich gegenüber dem Mitarbeiter angeordnet werden.
19
1 AZR 642/13 n. v.; BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 886/12 n. v.
97
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Der Kläger wurde nach Maßgabe dieser Betriebsvereinbarung eingesetzt, ohne dass es im Rahmen der einzelnen Schichten zu diesbezüglichen Auseinandersetzungen gekommen war. Mit seiner Klage machte er dann allerdings geltend, dass die Beklagte für die Zeiten pausenbedingte Arbeitsunterbrechungen in Annahmeverzug geraten sei. Ihre diesbezüglichen Anordnungen seien unwirksam. Das BAG hat die Klage abgewiesen. Dabei hat es zunächst einmal deutlich gemacht, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG beteiligen musste, um die entsprechende Pausenregelung festzusetzen. Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat, seien die auf dieser Grundlage durch den Arbeitgeber kraft einseitiger Anordnung (§ 106 S. 1 GewO) oder unmittelbar durch die Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen verbindlich. Für die Betriebsvereinbarung folge dies unmittelbar aus der normativen Wirkung dieser Vereinbarung 20. In der weiteren Begründung macht das BAG deutlich, dass der Begriff der Pause in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht nur Zeiten erfasse, in denen gemäß § 4 ArbZG Arbeitsunterbrechungen zu erfolgen haben. Pausen seien vielmehr im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten, noch sich dafür bereit zu halten habe und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen könne. Diese Zeiten würden nicht zur Arbeitszeit gehören (§ 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG) und müssten auch nicht nach § 611 Abs. 1 BGB vergütet werden 21. Über § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG können damit auch längere Arbeitsunterbrechungen festgelegt werden, die über den aus § 4 ArbZG resultierenden Zeitraum hinausgehen. Dies folgt aus dem Umstand, dass mit dem Betriebsrat auch Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit bestimmt werden können. Hierzu gehört nämlich auch die Frage, ob die Arbeit an einem Arbeitstag zusammenhängend oder in mehreren Teilabschnitten, die durch größere Pausenzeiten unterbrochen werden, geleistet wird. Arbeitgeber und Betriebsrat obliegt es hierbei, die Interessen der Arbeitnehmer an einer sinnvollen, insbesondere zusammenhängenden Gestaltung der arbeitsfreien Zeit mit denen des Arbeitgebers, die Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen mit Unterbrechungen festzulegen, zu einem Ausgleich zu bringen 22.
20 21 22
98
BAG v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 n. v. (Rz. 20). BAG v. 20.4.2011 – 5 AZR 200/10, NZA 2011, 917 Rz. 21; BAG v. 18.11.2009 – 5 AZR 774/08, ZTR 2010, 139 Rz. 13. BAG v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 n. v. (Rz. 22).
Kein Vergütungsanspruch
Nach Auffassung des BAG lag in der durch Spruch der Einigungsstelle beschlossenen Betriebsvereinbarung eine wirksame Umsetzung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Zwar sei es unzulässig, dem Arbeitgeber durch Spruch der Einigungsstelle das alleinige Gestaltungsrecht über einen mitbestimmungspflichtigen Sachverhalt zu eröffnen 23. Zulässig sei es aber gewesen, dem Arbeitgeber zu gestatten, unter Berücksichtigung der durch die Betriebsvereinbarung festgelegten Schranken die Pausenzeiten des Klägers mit der Folge festzulegen, dass in dieser Zeit kein Vergütungsanspruch entstand. Nach den Feststellungen des BAG gilt dies selbst dann, wenn der Arbeitgeber bei seinen Anordnungen die Vorgaben der BV 2011 nicht beachtet hätte und damit eine betriebsverfassungswidrige Anordnung vorgelegen hat. Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führe die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer zwar zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasteten. Das solle – so das BAG – verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweiche. Dem Arbeitgeber dürfe aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen. Wichtig für die betriebliche Praxis ist allerdings, dass Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer nur solche sind, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats führe – so das BAG im Urteil vom 25.2.2015 24 – nicht dazu, dass sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden hätten 25. Dies gelte nicht nur, wenn eine Beteiligung des Betriebsrats gänzlich unterbleibe, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber gegen die nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG zwingenden Vorgaben aus einer Betriebsvereinbarung verstoße 26.
23
24 25 26
BAG v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 n. v. (Rz. 31); BAG v. 3.6.2003 – 1 AZR 349/02, NZA 2003, 1155 Rz. 53; BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 31/87 (B), NZA 1990, 399 Rz. 50 ff. 1 AZR 642/13 n. v. (Rz. 47). Ebenso BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 109/13 n. v. (Rz. 17); BAG v. 11.1.2011 – 1 AZR 310/09 n. v. (Rz. 33). BAG v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 n. v. (Rz. 47).
99
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Hiervon ausgehend waren auch Ansprüche aus § 615 S. 1 BGB ausgeschlossen. Denn hierfür fehlte es ohne Rücksicht auf den Umstand einer etwaigen Missachtung der betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben an dem erforderlichen Angebot der Arbeitsleistung für die genommenen Pausen 27. Nach den Feststellungen des BAG kommt der Arbeitgeber in Verzug, wenn der die ihm angebotene Leistung nicht annehme. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis müsse der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung aber grundsätzlich tatsächlich anbieten (§ 294 BGB). Nur unter der Voraussetzung des § 295 BGB genüge ein wörtliches Angebot. Ein solches Angebot hatte im vorliegenden Fall nicht vorgelegen. Denn hierfür hätte der Kläger gegen die angeordneten Arbeitsunterbrechungen zumindest protestieren und damit seiner Arbeitsleistung für die Zeit der genommenen Pausen wörtlich anbieten müssen. Abweichend hiervon hatte der Kläger aber die von der Beklagten festgelegten Pausen genommen, ohne deutlich zu machen, dass er die Arbeitsunterbrechungen zu einem anderen als von der Beklagten bestimmten Zeitpunkt einlegen und/oder keine Zusatzpause nehmen wollte. Dass er am Arbeitsplatz erschienen war, genügte nicht. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie macht noch einmal deutlich, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nicht nur dazu dienen, dem Betriebsrat Einwirkungsmöglichkeiten in Bezug auf die arbeitgeberseitige Gestaltung der Arbeit zu eröffnen. Wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat einigen, können sie durch eine Betriebsvereinbarung auch Rechte und Pflichten bestimmen, die dann hiervon abweichende Gestaltungsoptionen des Arbeitgebers ebenso wie des Arbeitnehmers ausschließen. Dies dient einer kollektiven Interessenvertretung, die nicht jedes Einzelinteresse durchsetzen kann. (Ga)
5.
Gleichbehandlungsanspruch bei Entgelterhöhung trotz verschiedener Arbeitsvertragsmuster
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln 28. Wird der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, muss
27 BAG v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 n. v. (Rz. 40 ff.). 28 So BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 18; BAG v. 21.9.2011 – 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31 Rz. 18.
100
Gleichbehandlungsanspruch bei Entgelterhöhung
der Arbeitgeber die von ihm gesetzte Regel korrigieren. Der benachteiligte Arbeitnehmer hat Anspruch auf die vorenthaltene Leistung 29. Diese Vorgaben sind auch im Bereich der Arbeitsentgeltgestaltung zu berücksichtigen. Hier besteht eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung auch bei individuellen Entgeltvereinbarungen, falls Arbeitsentgelte durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben werden und der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die hiervon betroffenen Arbeitnehmer in einer „vergleichbaren Lage“ befinden 30. Diese Rahmenbedingungen für einen Anspruch auf Gleichbehandlung hat das BAG im Urteil vom 3.9.2014 31 angenommen. In dem zugrundeliegenden Fall war der Arbeitgeber im Jahre 2006 in die OT-Mitgliedschaft des Arbeitgeberverbandes gewechselt. 96 % der Belegschaft hatten im Anschluss daran einer Vereinbarung zugestimmt, durch die ohne Lohnausgleich eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden auf 40 Stunden bewirkt wurde. Im März 2008 schloss die Beklagte sodann mit dem Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung zur Bestimmung und Behandlung des Entgelts und des Entgeltgruppenplans“ (BV Entgelt), in der eine tätigkeitsbezogene Eingruppierung der Mitarbeiter in verschiedene Entgeltgruppen vorgesehen war. Grundlage war ein Basisentgelt, das durch den Arbeitgeber bestimmt wurde. Für Arbeitnehmer, die vor dem Wechsel in die OTMitgliedschaft bereits angestellt waren, wurde allerdings eine Besitzstandsregelung getroffen. Basisentgelt für diese Mitarbeiter war danach das individuelle Tarifentgelt zum 1.5.2006, solange dieses höher war als das in der BV-Entgelt vorgesehene Basisentgelt. Im Anschluss daran bot die Beklagte allen Arbeitnehmern den Abschluss eines neuen Formulararbeitsvertrags an, der keine Bezugnahme auf Tarifverträge mehr enthielt, eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden festschrieb und eine Vergütung nach der BV-Entgelt nebst einem 13. Bruttomonatsentgelt vorsah. Darüber hinaus waren im Standardarbeitsvertrag 2008 weitere Verschlechterungen im Vergleich zu den bis dahin geltenden Regelungen des Tarifvertrags für den Groß- und Außenhandel vorgesehen.
29 BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 18; BAG v. 13.4.2011 – 10 AZR 88/10, NZA 2011, 1047 Rz. 14. 30 So BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 19; BAG v. 25.1.2012 – 4 AZR 147/10, NZA-RR 2012, 530 Rz. 57. 31 5 AZR 6/13, DB 2015, 194.
101
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Der Kläger, der zuvor auch einer Anhebung der Wochenarbeitszeit nicht zugestimmt hatte, nahm das Angebot nicht an. Arbeitnehmer, die in den Standardarbeitsvertrag 2008 gewechselt waren, erhielten Entgelterhöhungen zum 1.6.2008 (2,6 %), zum 1.7.2009 (2,2, %), zum 1.9.2010 (1,6 %) und zum 1.7.2011 (3,3 %). Nachdem der Kläger zunächst einmal erfolglos Entgelterhöhungen für die Zeit bis zum Februar 2009 geltend gemacht hatte, erhob er nunmehr Klage auf Gewährung entsprechender Entgelterhöhungen, zuletzt für den Zeitraum Februar 2010 bis Dezember 2011. Zur Begründung machte er geltend, dass ein sachlicher Grund, ihn von dieser Entgelterhöhung auszunehmen, nicht bestehe. Die Beklagte lehnte dies ab. Nach ihrer Auffassung fand der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits als Folge der unterschiedlichen Arbeitsvertragsmodelle keine Anwendung. Jedenfalls aber sei die Schlechterstellung des Klägers sachlich gerechtfertigt, um die Nachteile der Arbeitnehmer auszugleichen, die in den Standardarbeitsvertrag 2008 gewechselt waren. Zunächst einmal hat der 5. Senat des BAG angenommen, dass sich der Kläger und die Arbeitnehmer mit Standardarbeitsvertrag 2008 in einer „vergleichbaren Lage“ befänden. Hierfür sei nicht erforderlich, dass die Arbeitsbedingungen des Gleichbehandlung fordernden Arbeitnehmers mit denjenigen der Begünstigten in Gänze identisch seien. Die Geltung verschiedener Arbeitsvertragsmodelle könne allenfalls dann eine im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes vergleichbare Lage ausschließen, wenn das eine Vertragsmodell gekennzeichnet sei durch die dynamische Bezugnahme auf ein Tarifwerk und damit auf arbeitsvertraglicher Ebene kollektive, der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers entzogene Regelungswerke in ihrer jeweiligen Fassung zur Anwendung kämen, während das andere Arbeitsvertragsmodell der unbeschränkten Gestaltungsmacht des Arbeitgebers entspringe und den Arbeitnehmern gestellt werde. Diese Voraussetzungen einer solchen Unterschiedlichkeit hat der 5. Senat des BAG abgelehnt. Mit den streitgegenständlichen Entgelterhöhungen habe die Beklagte die statische Vergütungsabrede im Standardarbeitsvertrag 2008 freiwillig dynamisiert. Insoweit befinde sich der Kläger mit den begünstigten Arbeitnehmern „in vergleichbarer Lage“, weil auch sein Arbeitsvertrag eine statisch gewordene Vergütungsabrede enthalte. Davon war auszugehen, weil die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahme als Gleichstellungsabrede nach dem Wechsel in die OTMitgliedschaft nur noch den damals geltenden Tarifvertrag zum Inhalt des Arbeitsvertrags machte. Damit war der Kläger, wie die Arbeitnehmer mit Standardarbeitsvertrag 2008, auf den Gestaltungswillen der Beklagten angewiesen, soweit Entgelterhöhungen in Rede standen.
102
Gleichbehandlungsanspruch bei Entgelterhöhung
Voraussetzung für die Wirksamkeit der durch die Beklagte vorgenommenen Ungleichbehandlung war damit, dass hierfür ein sachlicher Grund gegeben war. Dieser liege nach Auffassung des BAG vor, wenn die Differenzierung einem Ausgleich unterschiedlicher Arbeitsbedingungen zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern diene, solange ein solcher Ausgleich herbeigeführt werde und keine Überkompensation eintrete 32. In überzeugender Weise hat das BAG deutlich gemacht, dass eine Überkompensation nicht bereits dann vorliege, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt der Stundenlohn der begünstigten Arbeitnehmer höher sei, als der Stundenlohn der von der Leistung ausgenommenen Arbeitnehmer. Dies ließe unberücksichtigt, dass die vermeintlich begünstigten Arbeitnehmer im Vorfeld der zuletzt vorgenommenen Anhebung ihrer Vergütung anderweitige Nachteile akzeptiert haben. Hierzu gehört insbesondere eine faktische Lohnkürzung, die mit einer Erhöhung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich bewirkt werden kann. Eine Überkompensation trete deshalb erst dann und mit dem Zeitpunkt ein, zu dem die finanziellen Nachteile, die die begünstigten Arbeitnehmer bis zu einer Entgelterhöhung erlitten hätten oder danach noch erleiden würden, vollständig ausgeglichen seien 33. Die Feststellung einer solchen Überkompensation muss nach den Vorgaben des BAG im Rahmen eines Gesamtvergleichs vorgenommen werden. Dabei lehnt es das BAG indes ab, abstrakt auf die verschiedenen Arbeitsvertragsmodelle abzustellen und zu versuchen, deren unterschiedliche Arbeitsbedingungen irgendwie finanziell zu bewerten. Vergleichbar mit dem Gesamtvergleich zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt im Bereich der Leiharbeit müsse ein Vergleich der Gesamtentgelte erfolgen. Dabei zähle zum Arbeitsentgelt jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt werde bzw. aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden müsse. Gegenüberzustellen sei das Arbeitsentgelt, das der Kläger im maßgeblichen Zeitraum aufgrund der für ihn geltenden arbeitsvertraglichen Regelungen tatsächlich verdient habe und dasjenige Arbeitsentgelt, das er erhalten hätte, wenn er zu den Konditionen der begünstigten Arbeitnehmer gearbeitet hätte. Wichtig für die praktische Umsetzung ist allerdings, dass es dem Kläger als Anspruchsberechtigtem obliegt, diese Voraussetzungen im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung darzulegen und ggf. zu beweisen. Die Beklagte trägt ih-
32 BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 25. 33 BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 26.
103
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
rer Darlegungslast Rechnung, wenn sie die für den begünstigten Personenkreis geltenden Arbeitsbedingungen offenlegt 34. Nur soweit eine Überkompensation gegeben ist, kann der benachteiligte Arbeitnehmer eine Entgelterhöhung verlangen. Bis zu diesem Zeitpunkt rechtfertigen die insgesamt schlechteren Arbeitsbedingungen des vermeintlich begünstigten Personenkreises als sachlicher Grund die streitgegenständliche Differenzierung 35. Dem ist zuzustimmen. (Ga)
6.
Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
Auf der Grundlage des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) ist das Mindestlohngesetz (MiLoG) zum 1.1.2015 36 in Kraft getreten 37. Wir hatten mehrfach über seine Entstehung berichtet 38. Nachfolgend sollen einzelne Fragen noch einmal unter Berücksichtigung der aktuellen Diskussion vertieft werden 39. Dabei werden Feststellungen des Bundesministeriums des Inneren zu den Auswirkungen des MiLoG in einem Schreiben an die Obersten Bundesbehörden vom 28.1.2015 ebenso berücksichtigt wie die Verordnungen zu §§ 16, 17 MiLoG, auf die an anderer Stelle bereits hingewiesen wurde 40.
a)
Persönlicher Geltungsbereich
Das MiLoG gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und Praktikanten i. S. d. § 26 BBiG gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer i. S. dieses Gesetzes. Zu den Praktikanten gehören nach § 22 MiLoG Personen, die sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb
34 35 36 37
BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 28 ff., 31. BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, DB 2015, 194 Rz. 30. BGBl. I 2014, 1348 ff. Hierzu auch Barczak, RdA 2014, 290 ff.; Bayreuther, NZA 2014, 865 ff.; Berndt, DStR 2014, 1878 ff.; ErfK/Franzen, MiLoG § 1, Rz. 1; Lakies, ArbRAktuell 2014, 527 ff.; Maschmann, NZA 2014, 929 ff.; Picker/Sausmikat, NZA 2014, 942 ff.; Spielberger/Schilling, NZA 2014, 414 ff. und NJW 2014, 2897 ff.; Grau/Sittard, ArbRB 2014, 336 ff.; Grimm/Linden, ArbRB 2014, 339 ff.; Bonanni/Hahne, ArbRB 2014, 343 ff.; Wortmann, ArbRB 2014, 346 ff.; Bonanni/Otto, ArbRB 2014, 349 ff.; Reufels/Blöchl, ArbRB 2014, 352 ff. 38 B. Gaul, AktuellAR 2013, 18 ff., 311; 2014, 14 ff., 285 ff. 39 Wegen des Verhältnisses von Mindestlohn und Tarifrecht vgl. Henssler, RdA 2015, 43 ff; vgl. auch Sittard/Rawe, ArbRB 2015, 80 ff; Forst/Degen, DB 2015, 863. 40 B. Gaul, AktuellAR 2015, 14 f.
104
Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterziehen, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt. Für diese Personen ist auch das NachwG geändert worden 41. Ausgenommen von der Anwendbarkeit des MiLoG werden allerdings Praktikantinnen und Praktikanten, die 1. ein Praktikum verpflichtend aufgrund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlichen geregelten Berufsakademie leisten, 2. ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten, 3. ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufsoder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht bereits zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Auszubildenden bestanden hat, oder 4. an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54 a SGB III oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 BBiG teilnehmen.
Ausgenommen vom Mindestlohn sind auch Teilnehmer eines dualen Studienganges. Sie sind – wie Dommermuth-Alhäuser/Heup 42 überzeugend herausgearbeitet haben – zur Berufsausbildung Beschäftigte oder Praktikanten i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 3 MiLoG 43. Auch Absolventen eines Studiums, die eine studienbegleitende oder –abschließende Arbeit mit Betriebsbezug schreiben, wird man unter § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG fassen können. Zwar besteht in der Regel keine Pflicht, die Arbeit betriebsbezogen zu schreiben. Wenn diese Wahl durch den Arbeitnehmer aber getroffen wurde, entspricht es im Zweifel hochschulrechtlichen Bestimmungen, dass sich der Betroffene in den Betrieb begibt und dort seine Recherche – ggf. durch eigene Mitarbeit – betreibt 44. Ungeachtet dessen werden Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ohne abgeschlossene Berufsausbildung ebenso wie ehrenamtlich Tätige
41 42 43 44
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, 292 f. NZA 2015, 402 ff. Vgl. auch Koch-Rust/Kolb/Rosentreter, NZA 2015, 402 ff. Krit. Bayreuther, NZA 2015, 385, 388.
105
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
und die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten vom Anwendungsbereich des MiLoG nicht erfasst. Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos i. S. d. § 18 SGB III waren, gilt der Mindestlohn nicht in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung. Dies bestimmt § 22 MiLoG.
b)
Ausnahmen für leitende Angestellte und AT-Angestellte?
Das Gesetz enthält keine Öffnungsklausel, nach der leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG oder AT-Angestellte nicht vom Anwendungsbereich erfasst würden. Daran ändert auch § 1 MiLoDokV nichts. Denn danach werden Arbeitnehmer, deren verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt 2.958 (brutto) überschreitet und für die der Arbeitgeber seine nach § 16 S. 2 ArbZG bestehende Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit und zur Aufbewahrung dieser Aufzeichnungen tatsächlich erfüllt, nur von den Dokumentationspflichten der §§ 16, 17 MiLoG weitgehend befreit. Im Übrigen gelten die im MiLoG vorgeschriebenen Pflichten damit auch für diesen Personenkreis. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes erscheint es allerdings geboten, in Bezug auf einzelne Vorschriften (teleologisch) eine einschränkende Auslegung vorzunehmen. So dürfte jedenfalls bei solchen Arbeitnehmern, die eine derart hohe Vergütung erhalten, dass schon denklogisch der Anspruch auf den Mindestlohn erfüllt wird, die Schranken der Arbeitszeitflexibilisierung aus § 2 Abs. 2 MiLoG entfallen. Es ist überflüssig, die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers zu dokumentieren, dessen Vergütung schon rein rechnerisch nicht unter 8,50 € pro Stunde liegen kann. Das ist bei einem monatlichen Gehalt von 6.222,- € bzw. einem Jahresgehalt von 74.664,- € sogar im Schaltjahr der Fall. Hier genügt es, wenn die Unterlagen für die Dauer der vereinbarten Arbeitszeit und die Höhe des gezahlten Arbeitsentgelts gemäß § 17 Abs. 2 MiLoG bereitgehalten werden. Da kein Arbeitnehmer 24 Stunden am Tag arbeiten kann und auch grundsätzlich nicht 365 (366) Tage im Jahr arbeitet, dürfte es allerdings geboten sein, die vorstehende Einschränkung des Geltungsbereichs schon bei einer niedrigeren Vergütung anzunehmen. Anknüpfungspunkt könnte dabei aus Gründen der äußersten Vorsorge eine durchschnittliche Arbeitsleistung von 12 Stunden an jedem Tag im Kalenderjahr sein. Unterstellt man, dass ein Arbeitnehmer in diesem Fall eine Vergütung von 37.332 € (366 Tage x 12 Stunden x 8,50 €) erhält, kann auch ohne weitergehende Aufzeichnungen nach § 17 Abs. 1 MiLoG davon ausgegangen werden, dass der gesetzliche Anspruch auf den Mindestlohn erfüllt wird. Schließlich läge in einer solchen Zeit schon eine erhebliche Überschreitung arbeitszeitrechtlicher Schranken. Denkbar ist auch, an die arbeitszeitrechtliche Höchstgrenze anzuknüpfen, 106
Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
was Arbeitnehmer ausgrenzen würde, die mehr als 1.767,- €/Monat erhalten. Das übersieht die Bundesregierung mit dem Betrag von 2.958 Euro (brutto), wie er als Ergebnis einer Arbeitszeit von 12 Stunden an 29 Tagen im Monat zur Grundlage von § 1 MiLoDokV gemacht wurde. Dass diese Form der teleologischen Einschränkung durchaus vertretbar ist, bestätigt § 21 Abs. 3 MiLoG. Danach „können“ Verstöße mit einem Bußgeld belegt werden. Die Prüfbehörden haben also im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens darüber zu entscheiden, ob sie Verstöße gegen das Gesetz, insbesondere gegen §§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 1 MiLoG, mit einem Bußgeld belegen. Selbst wenn man eine teleologische Einschränkung des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften ablehnen wollte, wäre die Belegung des Arbeitgebers mit einem Bußgeld jedenfalls dann ermessensfehlerhaft bzw. unverhältnismäßig, wenn ein Verstoß gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns schon durch die Gesamthöhe des Arbeitsentgelts ausgeschlossen ist. Anderenfalls würde der Verstoß gegen eine Pflicht bestraft, deren Zweck bereits erfüllt ist. Dies wäre ermessensfehlerhaft. Als Nachweis zur Erfüllung dieser Verpflichtungen sollten die Vereinbarungen zur Dauer der Arbeitszeit und Nachweise zu der dafür gezahlten Vergütung ausreichen.
c)
Bezugspunkt für den Mindestlohn: Arbeitsstunde
Nach § 1 Abs. 2 MiLoG hat jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts in Höhe von mindestens 8,50 € je Zeitstunde. Entsprechend den Feststellungen zur Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche im BAG-Urteil vom 19.11.2014 45 sind dabei auch Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft einzubeziehen 46. Zwar könne für solche Sonderformen der Arbeit eine gesonderte Vergütungsvereinbarung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden. Allerdings bleibt die Pflicht einer Zahlung des Mindestlohns als untere Grenze bestehen 47.
45 5 AZR 1101/12, BB 2015, 510 ff. 46 Vgl. Lambrich/Mitius, DB 2015, 126, 128; Sittard, RdA 2015, 99 ff. 47 Eingehend dazu: Kocher, AuR 2015, 173 ff.
107
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
d)
Zusammensetzung des Mindestlohns – Anrechnung verschiedener Vergütungsbestandteile
Leider hat der Gesetzeber darauf verzichtet klarzustellen, welche Entgeltbestandteile bei der Feststellung des Mindestlohns zu berücksichtigen sind 48. Sachleistungen, zu denen die private Dienstwagennutzung ebenso wie Personalrabatte oder ein ÖPNV-Ticket gehören, werden ganz überwiegend in die Berechnung des Mindestlohns selbst dann nicht eingebunden, wenn dem Arbeitnehmer diese Vorteile monatlich zufließen. Dies gilt ohne Rücksicht auf den Umstand, dass auf der Grundlage lohnsteuerrechtlicher Vorschriften eine Berechnung des Werts solcher Leistungen erfolgen könnte. Grundlage dieser berechtigten Ausgrenzung ist bereits der Umstand, dass § 1 MiLoG eine Bezahlung in Euro verlangt. Es genügt nicht, dass die Sachleistungen einen Vermögenswert haben, der auch versteuert werden muss. Unerheblich ist auch, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Anrechnung nach § 107 Abs. 2 GewO auf das Arbeitsentgelt erfolgen kann. Schon die Behandlung von Zulagen und Zuschlägen ist aber streitig. So sehen zahlreiche individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarungen Erschwerniszulagen wie etwa Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, Nachtzuschläge, Schmutz- oder Gefahrenzulagen vor. Darüber hinaus stehen übertarifliche Zulagen und Überstundenzuschläge in Rede. Problematisch ist auch die Behandlung von leistungs- oder erfolgsabhängigen Zahlungen, die monatlich, quartalsweise oder jährlich gewährt werden. Hierzu gehören z. B. Boni, Provisionen oder Tantiemen. Umstritten ist zudem die Behandlung sonstiger Zuwendungen, die kalenderjährlich gezahlt werden sollen. In Bezug auf Jahressonderzahlungen werden verschiedene Auffassungen vertreten: Während in der Literatur zum Teil die Ansicht vertreten wird, dass allein arbeitsleistungsbezogene Zuwendungen, die monatlich pro rata temporis verdient werden, zur Anrechnung kommen dürften, während Sonderleistungen mit anderer oder gemischter Zweckbestimmung generell keine Berücksichtigung fänden 49, nimmt ein anderer Teil der Literatur an, dass Jahressonderzahlungen, die einmal im Jahr zur Auszahlung kommen, ohne Rücksicht auf ihre Zweckbestimmung nicht geeignet seien, den Anspruch auf den Mindestlohn zu erfüllen 50. Nach wiederum anderer Ansicht können
48 Eingehend Bayreuther, NZA 2015, 385, 389 ff.; Lembke, NZA 2015, 70, 74 ff.; Waltermann, AuR 2015, 166, 171; Franzen NZA 2015, 338ff. 49 So Däubler, NJW 2014, 1924, 1927. 50 So Bayreuther, NZA 2014, 865, 868; Berndt, DStR 2014, 1878, 1880; Jöris/von Steinau-Steinrück, BB 2014, 2101, 2103 f.; Schweibert/Leßmann, DB 2014, 1866, 1869.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
jährliche Einmalzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld unabhängig von ihrer Zweckrichtung bei der Anrechnung berücksichtigt werden 51. Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH 52, geht der Gesetzgeber und der überwiegende Teil der Literatur davon aus, dass hinsichtlich Jahressonderzahlungen wie des 13. Monatsgehalts, Weihnachts- oder Urlaubsgelds eine Anrechnung auf den Mindestlohn zwar grundsätzlich in Betracht komme. Voraussetzung für die Anrechenbarkeit sei jedoch, dass der Arbeitnehmer den anteiligen Betrag jeweils zu dem für den Mindestlohn nach § 2 MiLoG maßgeblichen Fälligkeitsdatum tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt erhalte 53. Für die generelle Ausgrenzung kalenderjährlicher Zuwendungen spricht bereits, dass § 2 MiLoG die darin liegende Verzögerung der Auszahlung nicht erlaubt 54. Wenn solche Zahlungen berücksichtigt werden sollen, müsste also die Abrechnung dahin gehend umgestellt werden, dass diese Jahreszahlungen dann vorbehaltlos monatlich zu je 1/12 erfolgen. Geschieht dies nicht, kommt eine Anrechnung auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch nur im Monat der Fälligkeit und dem vorangehenden Monat in Betracht 55. Die wohl überwiegende Meinung zum MiLoG knüpft bei der Frage einer Anrechnung sonstiger Vergütungsbestandteile an den Ergebnissen der EuGH-Rechtsprechung zu den Auswirkungen der Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 16.12.1996 56 (Entsende-Richtlinie) an 57. So verfährt auch das Bundesministerium des Inneren in seinem Schreiben vom 28.1.2015. Diese Rechtsprechung sei maßgeblich, weil die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf eine entsprechende Anfrage des Bundesrats hin erklärt habe, dass die Frage der Auslegung des Begriffs des Mindestentgeltsatzes und damit die Frage der Berechnung von Mindestlöhnen bereits durch die 51 So ErfK/Franzen, § 1 MiLoG Rz. 15. 52 Vgl. EuGH v. 7.11.2013 – C-522/12, NZA 2013, 1359 Rz. 36 ff. – Isbir; EuGH v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573 Rz. 39 – Kommission/Deutschland. 53 Vgl. BT-Drucks. 18/1558 S. 67 f.; Bayreuther, NZA 2014, 865, 868; Berndt, DStR 2014, 1878, 1880; Jöris/von Steinau-Steinrück, BB 2014, 2101, 2103; Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897, 2899; einschränkend Sittard, NZA 2014, 951, 952. 54 Bayreuther, NZA 2014, 865, 868. 55 Vgl. auch ArbG Berlin v. 4.3.2015 – 54 Ca 14420/14 n. v., das Leistungen, die – wie das zusätzliche Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung – nicht auf den Mindestlohn anrechnen will, weil diese Zahlungen nicht dem Zweck einer unmittelbaren Vergütung der Arbeitsleistung dienten. 56 ABl.EG L 18 1997, 1 ff. 57 Vgl. EuGH v. 7.11.2013 – C-522/12, NZA 2013, 1359 Rz. 36 ff. – Isbir; EuGH v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573 Rz. 39 – Kommission/Deutschland.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Rechtsprechung des EuGH und des BAG mit Blick auf den Mindestentgeltsatz des AEntG geklärt sei. Da dessen europarechtlicher Hintergrund die Entsende-Richtlinie sei, seien die vom EuGH zur Entsende-Richtlinie aufgestellten Vorgaben zur Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen auf den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zu übertragen 58. Konsequenz sei, dass nur solche Zulagen/Zuschläge anrechenbar seien, die schlussendlich verstetigtes Arbeitsentgelt seien. Hierzu gehörte z. B. auch eine Zulage für die vorübergehende Übertragung höherwertiger Tätigkeiten. Umgekehrt könne keine Anrechnung erfolgen, wenn die Leistungen voraussetzten, dass der Arbeitnehmer zu besonderen (Tages-)Zeiten (z. B. Zuschläge für Sonnund Feiertagsarbeit, Nachtzuschläge, (Wechsel-)Schichtzulagen, regelmäßig Überstundenzuschläge) oder unter besonders unangenehmen, beschwerlichen, körperlich oder psychisch besonders belastenden oder gefährlichen Umständen arbeite (z. B. Schmutz- oder Gefahrenzulage) oder mehr Arbeit pro Zeiteinheit leiste (z. B. Akkordprämien) oder eine besondere Qualität der Arbeit erbringe (z. B. Qualitätsprämien) nicht berücksichtigungsfähig 59. Dies entspricht auch dem Schreiben des Bundeinnenministeriums vom 28.1.2015. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des EuGH wird eine Anrechnung nur dann für möglich gehalten, wenn sich nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändere 60. Hiervon ausgehend werden auch in der Literatur z. B. Überstundenzuschläge 61, Wechselschichtzuschläge 62, Akkordprämien 63, Qualitätsprämien 64, Gefahrenzulagen 65 Urlaubsgeld oder eine Jahressonderzahlung 66 in der Regel nicht berücksichtigt. Denn mit diesen Zahlungen werde keine „Normalleistung“, sondern eine zusätzliche und andere Leistung des Arbeitnehmers bezahlt. Funktionale Gleichwertigkeit einer Zahlung liege nur dann vor, wenn es um Zahlungen gehe, mit denen die „normale“ Arbeitsleistung 58 59 60 61 62 63 64 65 66
BT-Drucks. 18/1558 S. 67 f. BT-Drucks. 18/1558 Anlage 4 S. 84 f. Vgl. BT-Drucks. 18/1558 S. 67 f. So ErfK/Franzen, MiLoG § 1 Rz. 13; Brors, NZA 2014, 938, 940; Däubler, NJW 2014, 1924, 1927; Jöris/von Steinau-Steinrück, BB 2014, 2101, 2103. So Jöris/von Steinau-Steinrück, BB 2014, 2101, 2103, a. A. Schweibert/Leßmann, DB 2014, 1866, 1869 (in Bezug auf Nachtzuschläge). So Berndt, DStR 2014, 1878, 1880; Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897, 2899. So ErfK/Franzen, MiLoG § 1 Rz. 13; Berndt, DStR 2014, 1878, 1880; Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897, 2899. So Berndt, DStR 2014, 1878, 1880; a. A. Sittard, NZA 2014, 951, 952; Sittard/Sassen, ArbRB 2014, 142, 143. ArbG Berlin v. 4.3.2015 – 54 Ca 14420/14 n. v.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
des Arbeitnehmers vergütet werden solle. Hier sei dann auch eine Anrechenbarkeit anzunehmen. Eine Anrechenbarkeit sei hingegen abzulehnen, wenn mit der in Rede stehenden Leistung ein über die normale Arbeitsleistung hinausgehender Zweck honoriert werden soll 67. Etwas anderes könne aber dann gelten, wenn die Leistung des Arbeitnehmers gerade darin besteht, solche „besonderen“ Arbeiten auszuführen und deshalb nicht von einem darüber hinausgehenden Zweck, sondern von der „Normalleistung“ auszugehen sei 68. Die Frage der Anrechenbarkeit könne daher nicht pauschal für Zulagen einer bestimmten Art beantwortet werden, sondern bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls. Entscheidend sei, ob der Arbeitgeber eine Leistung vergütet, die der Arbeitnehmer „normalerweis“ erbringen muss oder ob die Zahlung für eine besondere Leistung erfolgt 69. Hiervon ausgehend könnten Nachtzuschläge bei Nachtwächtern ebenso zur Anrechnung kommen, wie Schmutzzulagen bei Kanalarbeitern. Auch Wegegeld soll zur Anrechnung kommen, wenn es sich nicht um Fahrtkosten- oder sonstigen Aufwendungsersatz handele, sondern die für den Weg erforderliche Zeit vergütet werde 70. Im Übrigen wird man Aufwendungsersatz ausgrenzen müssen 71 Für eine Anwendung der EuGH-Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung von § 1 MiLoG spricht zwar, dass das Gesetz nach § 20 MiLoG auch für Arbeitnehmer gilt, die grenzüberschreitend eingesetzt werden. Das entspricht dem Geltungsbereich der Entsenderichtlinie, die sich an Arbeitnehmer richtet, die in das Hoheitsgebiet eines anderen Landes innerhalb der EU überlassen werden. Dafür spricht auch, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort angenommen hat, dass schon die EuGH-Rechtsprechung zu einer Ausgrenzung der vorstehend genannten Zulage führe. Diese Rechtsauffassung ist aber falsch. Die bisherige EuGHRechtsprechung selbst bietet keine Grundlage, um in Bezug auf § 1 MiLoG festzustellen, was zur Anrechnung kommen soll 72. Denn auch Art. 3 Entsenderichtlinie garantiert Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nur dann und insoweit, als sie in einem Mitgliedsstaat durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifver67 68 69 70
Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897, 2899. Vgl. ErfK/Franzen, MiLoG § 1 Rz. 14. Vgl. Ulber, RdA 2014, 176, 177; Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897, 2899. Vgl. ErfK/Franzen, MiLoG § 1 Rz. 17; Jöris/von Steinau-Steinrück, BB 2014, 2101, 2103; Schweibert/Leßmann, DB 2014, 1866, 1869; BT-Drucks. 18/2010 S. 15; vgl. auch LArbG Berlin-Brandenburg v. 1.9.2011 – 25 SA 131/11, n.v. (Rz. 47). 71 Vgl. EuGH v. 12.2.2015 - C-396/13, NZA 2015, 345 Rz. 53 ff., 70 – Sähköalojen. 72 Eingehend auch Bayreuther, NZA 2015, 385, 389 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
träge festgelegt wurden. Die Entsenderichtlinie bestimmt also nicht, was verbindlich ist. Sie regelt die Rahmenbedingungen zur Durchsetzung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die nach den nationalen Bestimmungen eines Mitgliedsstaats auch bei grenzüberschreitender Tätigkeit verbindlich sein sollen. Dazu können neben der Arbeitszeit und den sonstigen Aspekten des Katalogs von Art. 3 Abs. 1 Entsenderichtlinie auch die Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze gehören. Was von dem Begriff der Mindestlohnsätze erfasst wird, muss aber – wie Art. 3 Abs. 1 S. 2 Entsenderichtlinie bestimmt – durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken desjenigen Mitgliedstaats festgelegt werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird. Das bestätigt der EuGH auch im Urteil vom 12.2.2015 73. Dass hierzu auch Zulagen und Zuschläge gehören können, bestätigt die Richtlinie selbst. Denn Entsendezulagen gelten schon nach den Feststellungen der Richtlinie selbst als Bestandteil des Mindestlohns im Sinne der Entsenderichtlinie, sofern sie nicht einem Ausgleich durch die Entsendung tatsächlich entstehender Mehrkosten dienen (Art. 3 Abs. 7 Entsenderichtlinie). Daraus folgt, dass es eine Frage des nationalen Rechts ist, welche Zahlungen von dem Begriff des Mindestlohns erfasst sind. Die Entsenderichtlinie und die daran anknüpfende Rechtsprechung des EuGH zur Durchsetzung dieser Vergütungsansprüche kommen erst dann zum Tragen, wenn klar ist, was auf nationaler Ebene durch den Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien als Mindestlohn oder Mindestarbeitsbedingungen bestimmt wurde 74. Folgerichtig können auch Ergebnisse in Bezug auf die Auslegung anderer Mindestvorschriften durch den EuGH oder die deutschen Arbeitsgerichte, nicht nutzbar gemacht werden. Sie betreffen andere Rechtsvorschriften, die bei ihrer Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen einen jeweils unterschiedlichen Zweck verfolgen, jedenfalls nach ihrem individuellen Zweck ausgelegt und angewendet werden müssen (z. B. Mindestlohn im Baugewerbe 75, Min-
73 C-396/13, NZA 2015, 345 Rz. 27 ff. – Sähköalojen. 74 Vgl. EuGH v. 7.11.2013 – C-522/12, NZA 2013, 1359 Rz. 36 ff. – Isbir; EuGH v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573 Rz. 39 – Kommission/Deutschland; BAG v. 16.4.2014 – 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277 Rz. 48. 75 Vgl. EuGH v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573 – Kommission/Deutschland.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
destlohntarifvertrag der Abfallwirtschaft 76, Mindestlohntarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks 77). Entscheidend ist, welchen Zweck § 1 MiLoG verfolgt, um zu bestimmen, was mit der gesetzlichen Vergütung in Höhe von 8,50 € abgegolten werden soll. Eine Anrechnung anderweitiger Vergütungsbestandteile auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch hängt deshalb davon ab, welchen Zweck diese Leistungen verfolgen. Wenn der Zweck der Leistungen gleich ist, wenn also eine „funktionale Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Leistungen“ vorliegt, kann eine Anrechnung vorgenommen werden 78. Auf diese Systematik hat das BAG mit Urteil vom 16.4.2014 79 völlig zutreffend hingewiesen. Hiervon ausgehend wird man annehmen müssen, dass alle monatlich gewährten arbeitsleistungsbezogenen Zuwendungen auf den Mindestlohn ohne Rücksicht darauf angerechnet werden können, ob sie auf individual- oder kollektivrechtlicher Grundlage gezahlt werden. Denn § 1 MiLoG verfolgt nur den Zweck, eine Mindestvergütung für jede Form von Arbeit zu sichern. Hierzu gehören auch Akkord und Prämie; sicherzustellen ist lediglich, dass diese Leistungen mindestens in Höhe von 8,50 € (brutto) pro Stunde bezahlt werden 80. Folgerichtig spricht auch § 1 MiLoDokV von der Berücksichtigung "sämtliche[r] verstetigte[n] monatlichen Zahlungen". Die gegenteilige Sichtweise hat auch in Wortlaut oder Gesamtsystematik des Gesetzes keinen Ausdruck gefunden. § 1 MiLoG verpflichtet zur Zahlung von „Mindestlohn“ als Vergütung für die Arbeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Auch § 24 MiLoG spricht abstrakt von dem „Entgelt“. Der „Lohn“ und das „Entgelt“ eines Arbeitnehmers kann aber, was auch §§ 107 f. GewO deutlich machen, aus mehreren Bestandteilen bestehen. Der arbeitsleistungsbezogene Bezug des Mindestlohns schließt vorliegend zwar aus, dass Vergütungsbestandteile, die die Betriebszugehörigkeit honorieren oder den Urlaub erleichtern sollen, einbezogen werden. Anrechenbarkeit ist auch bei vermögenswirksamen Leistungen, bei Personalrabatten oder
76 Hierzu vgl. BAG v. 16.4.2014 – 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277 Rz. 37 ff. (hier: Anrechnung von Spätschichtzulage, Nachtschichtzulage, vermögenswirksamen Leistungen). 77 Hierzu vgl. EuGH v. 7.11.2012 – C-522/12, NZA 2013, 1359 Rz. 45 – Isbir (hier: Anrechnung tarifliche Einmalzahlungen und vermögenswirksame Leistungen); BAG v. 18.4.2012 – 4 AZR 139/10, NZA 2013, 392 Rz. 31 ff. (hier: Anrechnung einer Erschwerniszulage). 78 Vgl. BT-Drucks. 18/1558 S. 67 f. 79 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277 Rz. 39 ff. 80 Vgl. BT-Drucks. 18/1558 S. 34.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
einer Werkmiet- oder Werkdienstwohnung nicht gegeben. Dass es sich um vermögenswirksame Leistungen und/oder gezahltes Entgelt handelt, genügt wegen der abweichenden Zweckbestimmung nicht. Es fehlt an der „funktionalen Gleichwertigkeit“. Das gleiche gilt für Trinkgeld, das in der Gastronomie durch Dritte gezahlt wird 81. Alle übrigen Zahlungen, die dem Arbeitnehmer innerhalb der gesetzlichen Fälligkeitsregelungen gezahlt werden, um im Synallagma einen Ausgleich für die geleistete Arbeit zu zahlen, können aber auf den Mindestlohn angerechnet werden. Das gilt nicht nur für Zulagen und Zuschläge, sondern auch für solche Leistungen, die leistungs- oder erfolgsabhängig innerhalb der gesetzlichen Fälligkeitszeiträume gewährt werden. Dass mit § 1 Abs. 1 MiLoG nur eine Normalleistung bezahlt werden soll, ist schon deshalb nicht überzeugend, weil eine „Normalleistung“ tätigkeits- und branchenübergreifend nicht definiert werden kann. Im Gegensatz zu tarifvertraglichen Regelungen, die auf der Grundlage von § 5 TVG oder den Vorgaben des AEntG Allgemeinverbindlichkeit erhalten können, verzichtet das Mindestlohngesetz deshalb auch darauf, eine tätigkeits- und/oder belastungsspezifische Festlegung des Arbeitsentgelts vorzunehmen. Auch wenn der Arbeitgeber wegen des hochwertigen Anforderungsprofils, der besonderen Schwierigkeiten und Belastungen einer Tätigkeit oder wegen des individuellen Erfolgs der Arbeit eines Arbeitnehmers eine höhere Vergütung verspricht, handelt es sich um den in § 1 MiLoG geregelten Ausgleich von Arbeit gegen Geld. Dieses Verhältnis besteht ohne Rücksicht darauf, ob die Zahlung als stundenbezogene Vergütung, Monatsentgelt oder stundenund/oder monatsbezogene Vergütung mit Zuschlägen oder Zulagen versprochen wird. Auch der Bonus steht in diesem unmittelbaren Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Hätte der Gesetzgeber Vergütungsbestandteile ausgrenzen wollen, die durch den Arbeitgeber bezahlt werden, weil eine Arbeit besonders schwierig ist oder unter erschwerten Belastungen geleistet wird, hätte dies – darauf hat das BAG in Bezug auf die vergleichbare Frage einer Anrechnung von Zulagen auf den Mindestlohn nach § 2 des Mindestlohntarifvertrags für die Branche Abfallwirtschaft vom 12.8.2009 im Urteil vom 16.4.2014 82 hingewiesen – im Gesetz zum Ausdruck gebracht werden müssen. § 1 MiLoG spricht aber nur von einer Vergütung der Arbeit pro Stunde. Wenn der Ge81 Vgl. Dommermuth-Althäuser/Heup, NZA 2015, 406 ff., die allerdings eine Teilanrechnung für zulässig halten, wenn der Mindestbetrag von 8,50 € (brutto) gewährleistet bleiben. 82 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277 Rz. 40, 42, 49 f.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
setzgeber solche erschwerten Arbeiten aber nicht mit einem höheren Mindestlohn versieht, sind sie Bestandteil der Arbeit, die durch den Mindestlohn vergütet wird. Auch solche Zahlungen, die einem höheren Arbeitswert oder erschwerten Bedingungen Rechnung tragen, werden deshalb von § 1 MiLoG erfasst. Anders ausgedrückt: Jede Art der Tätigkeit mit jeder Form der Belastung ist Arbeit i. S. d. § 1 MiLoG. Folgerichtig ist jede Vergütung, die dafür gezahlt wird, anzurechnen. Wenn der Gesetzgeber Zulagen und Zuschläge sowie leistungsbezogene Vergütungsbestandteile hätte ausgrenzen wollen, hätte er erkennbar machen müssen, dass die 8,50 € schon für eine einfache Tätigkeit ohne besondere Belastung innerhalb bestimmter Tageszeiten mit einem bestimmten Mindestniveau an Ausbildung gewährt werden müssen. Die darin liegende Ausgrenzung anderweitiger Tätigkeiten fehlt aber. Für dieses Verständnis des gesetzlichen Mindestlohns spricht auch der Zweck des Gesetzes. Ausweislich der Begründung soll der Mindestlohn Arbeitnehmer vor Niedrigstlöhnen schützen, die generell als unangemessen anzusehen sind. Es soll eine existenzsichernde Vergütung gewährleistet werden. Auf diese Weise soll ein Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den Unternehmen zu Lasten der Arbeitnehmer durch Vereinbarung immer niedrigerer Löhne verhindert werden. Zugleich sollen durch die Einführung des Mindestlohns negative Kostenwirkungen für die steuerfinanzierte Grundsicherung, Einnahmeausfälle für die Sozialversicherung und negative Folgen für die Alterssicherung der Arbeitnehmer vermieden werden 83. Keiner dieser Zweckbestimmungen verlangt, dass der Mindestlohn in Form eines Betrags geleistet wird, der ohne weitergehende Anknüpfungspunkte für die stundenbezogene Arbeit geleistet wird. Auch bei Zahlungen, die eine besondere Qualität oder Belastung bei der Arbeit honorieren, wird gewährleistet, dass der Arbeitnehmer eine Gegenleistung für seine Arbeit erhält, die die gesetzliche Lohnuntergrenze überschreitet. Da auch solche Zahlungen, die eine besondere Belastung des Arbeitnehmers vergüten oder an bestimmte Arbeitszeiten geknüpft sind der Sozialversicherungspflicht unterfallen, werden durch die Einbeziehung entsprechender Zulagen und Zuschläge auch eine Verbesserung der Einnahmesituation der Sozialversicherung und eine Vermeidung negativer Folgen für die steuerfinanzierte Grundsicherung und die Alterssicherung der betroffenen Arbeitnehmer erreicht 84.
83 Vgl. BT-Drucks. 18/1558 S. 27 f. 84 Vgl. Bayreuther, NZA 2014, 865, 869.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen 85 Einbindung stunden-, tagesoder monatsbezogener Zahlungen wird man allerdings dort machen müssen, wo der Gesetzgeber durch zwingendes Recht eine eigenständige Zahlungspflicht mit abweichender Zweckbestimmung geschaffen hat. Das ist durch § 6 Abs. 5 ArbZG der Fall. Denn dieser verpflichtet den Arbeitgeber, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren, falls keine tarifvertraglichen Regelungen bestehen. Solche Zahlungen können, weil sie einen eigenständigen Rechtsgrund und einen eigenständigen Regelungszweck haben, auf § 1 MiLoG nicht zur Anrechnung kommen.
e)
Mindestlohn bei Entgeltfortzahlungsansprüchen
In Übereinstimmung mit vergleichbaren Feststellungen des BAG zu den Mindestlohnvorschriften des pädagogischen Personals in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen im Urteil vom 13.5.2015 86 bestimmt sich die Höhe der Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Feiertagen nach den Regelungen der Mindestlohnansprüche. Entsprechendes gilt für die Dauer des Urlaubs. Dies ist Folge des Entgeltfortzahlungsprinzips. Der Arbeitnehmer soll so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn er ohne Eintritt der Fehlzeit tatsächliche Arbeitsleistung verrichtet hätte. Wichtig ist auch mit Blick auf die Gefahr eines Verstoßes gegen die Vorschriften des MiLoG, dass der Zahlungsanspruch seine Grundlage dann in den Regelungen des EFZG oder BUrlG findet. Das MiLoG bestimmt nur die Höhe dieser Leistung, die in Zeiten ohne Arbeit gewährt wird. Das MiLoG ist nur dann eigene Anspruchsgrundlage für die Zahlung, wenn eine Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt werden soll. Konsequenterweise liegt auch kein Verstoß gegen das MiLoG vor, wenn während eines Kündigungsschutzverfahrens keine Vergütung gezahlt wird, obwohl das Arbeitsverhältnis – weil der Klage stattgegeben wird – in dieser Zeit unwirksam war und Entgeltansprüche des Arbeitnehmers bestanden haben. Auch hier muss der Arbeitgeber nicht wegen „erbrachter Arbeitsleistung“ (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MiLoG), sondern wegen Annahmeverzugs (§ 615 S. 1 BGB) zahlen 87. Folgerichtig kann die fehlende Vergütung auch keine Ordnungswidrigkeit nach dem MiLoG oder einen Ausschluss von Vergabever-
85 Vgl. zu einer vergleichbaren Interpretation von § 2 Mindestlohntarifvertrag der Abfallwirtschaft BAG v. 16.4.2014 – 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277 Rz. 50 ff. 86 10 AZR 191/14 n. v. 87 Vgl. Grau/Sittard, ArbRB 2014, 375, 376.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
fahren zur Folge haben. Außerdem kann anderweitiger Verdienst nach § 615 S. 2 BGB angerechnet werden, ohne dass darin ein Eingriff in den Mindestlohnanspruch liegt 88.
f)
Fälligkeit des Mindestlohns/Arbeitszeitflexibilisierung
Nach § 2 Abs. 1 MiLoG ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer den Mindestlohn zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens aber am Ende des auf die Tätigkeit folgenden Monats zu zahlen. Fehlt eine dahingehende Vereinbarung, gilt § 614 BGB. Abweichend hiervon erlaubt § 2 Abs. 2 MiLoG, auf der Grundlage einer individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarung ein Arbeitszeitkonto zu bilden, im Rahmen dessen abweichend von den grundsätzlichen Fälligkeitsregelungen eine Auszahlung bzw. ein Ausgleich durch Freizeit erfolgen kann 89. Problematisch daran ist aber, dass der Ausgleich etwaiger Zeitguthaben innerhalb von zwölf Kalendermonaten nach der monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns erfolgen muss. Grundsätzlich muss also ein Ausgleich innerhalb eines rollierenden Zeitraums von zwölf Kalendermonaten erfolgen. Eine Bindung an das Kalenderjahr besteht nicht. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn der Anspruch auf den Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden nach § 1 Abs. 1 MiLoG nicht bereits durch Zahlung des verstetigten Arbeitsentgelts erfüllt ist. Hiervon ist bei einer Beschäftigung innerhalb der arbeitszeitrechtlich zulässigen Höchstdauer dann auszugehen, wenn monatlich mindestens 1.767 € (brutto) gezahlt werden. In diesem Fall können die geleisteten Stunden auch über den 12-Monats-Zeitraum hinaus gespeichert werden, ohne dass ein Ausgleich erfolgt. Denn das verstetigte Gehalt deckt bereits den Anspruch auf Mindestlohn, soweit die monatliche Arbeitszeit insgesamt 208 Stunden nicht übersteigt (4,33 x 48 Stunden/Woche). Bei einem monatlichen Gehaltsanspruch in Höhe von 6.222 € (jährlich: 74.664 €) würde der Anspruch auf Mindestlohn sogar dann verstetigt erfüllt, wenn arbeitszeitrechtliche Grenzen missachtet würden. Denn dieser Gehaltsanspruch unterstellt, dass sogar in einem Schaltjahr (= 366 Tage) 24 Stunden pro Tag gearbeitet werden. Unklar und problematisch ist darüber hinaus die Bestimmung, dass die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden monatlich jeweils 50 % der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen dürfen (§ 2 Abs. 2
88 Bayreuther, NZA 2015, 385, 391 f. 89 Eingehend hierzu Lambrich/Mitius, DB 2015, 126 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
S. 3 MiLoG). Will der Gesetzgeber damit aber (wirklich) erlauben, dass jeden Monat bis zu 50 % der vereinbarten Arbeitszeit als Zeitguthaben festgeschrieben werden? 90 Diese Interpretation, die der Wortlaut zuließe, könnte zur Folge haben, dass das Zeitguthaben am Ende eines Zwölf-MonatsZeitraums der Arbeitszeit eines halben Jahres entsprechen könnte. Dieser Spielraum könnte bei Teilzeitbeschäftigten ohne Überschreitung der Schranken des Arbeitszeitgesetzes ausgeschöpft werden. Bei Vollzeitbeschäftigten könnten, wenn man arbeitszeitrechtliche Schranken einmal unberücksichtigt lässt, bei einer monatlichen Arbeitszeit von 165 Stunden innerhalb von zwölf Monaten sogar bis zu 990 Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden, ohne dass bis dahin ein Ausgleich erfolgt. Eine solche Interpretation würde zwar den praktischen Bedürfnissen mehr als gerecht, wäre aber mit einer schwer vertretbaren Flexibilisierung der Arbeitszeit verbunden. Wenn entsprechende Veränderungen der Arbeitszeit nicht jeweils einvernehmlich vereinbart würden, sondern einseitig angeordnet werden sollen, stünde eine entsprechende Regelung auch im Widerspruch zu §§ 12 TzBfG, 307 Abs. 1 BGB. Üblich sind deshalb nur Volumina von bis zu 200 oder 300 Stunden, die in den Grenzen billigen Ermessens (§§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB) abgerufen werden. Naheliegender erscheint daher, dass der Gesetzgeber durch § 2 Abs. 2 S. 3 MiLoG gewährleisten wollte, dass etwaige Gutschriften auf dem Arbeitszeitkonto zu keiner Zeit ein Volumen in Höhe von 50 % der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit übersteigen 91. Dafür spricht, dass damit ein stärkerer Schutz des Arbeitnehmers bewirkt würde. Gleichzeitig wäre damit aber eine ganz erhebliche Einschränkung der aktuellen betrieblichen und tariflichen Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung verbunden. Denn die heute üblichen Regelungen, die Zeitguthaben in größerem Umfang erlauben, wären unzulässig. Dass der Gesetzgeber diese Einschränkung bewirken wollte, ist zwar nicht anzunehmen. Dies gilt umso mehr, als die hier in Rede stehende Regelung zur Arbeitszeitflexibilisierung von ihrem Geltungsbereich alle Arbeitnehmer erfasst. Auch solche Arbeitnehmer, deren Tätigkeit besonderen saisonalen Schwankungen unterworfen ist, würden erfasst. Für diese Regelung spricht aber, dass damit solche Arbeitnehmer geschützt werden, deren verstetigte Vergütung den Mindestlohn nicht erreicht. Denn sie erhalten ihre Vergütung tatsächlich erst dann, wenn auch das Guthaben ausgezahlt wird. Die darin 90 So Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897, 2900. 91 So Bayreuther, NZA 2014, 865, 870.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
liegende Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Absicherung mag vertretbar sein, wenn es maximal um die Hälfte der Arbeitszeit geht, die bei einschränkender Interpretation als Zeitguthaben aufgespart werden kann. Wenn es aber darum geht, dass bis zur Hälfte der jährlichen Arbeitsvergütung auf einem Arbeitszeitkonto „geparkt“ werden können, würde die damit verbundene Gegenleistung ggf. erst nach 12 Monaten ausgezahlt. Das hätte zur Folge, dass dem Arbeitnehmer in den ersten Monaten seiner Tätigkeit tatsächlich nur eine Vergütung in Höhe von 5,26 €, also zwei Drittel des Mindestlohnes, gezahlt würde. Die verbleibende Vergütung würde – ggf. sogar rollierend - erst nach Ablauf des 12-Monats-Zeitraums ausgezahlt 92. Schlussendlich bleibt abzuwarten, welche Interpretation durch die Gerichte erfolgt. Da § 3 MiLoG abweichende Regelungen auch in Bezug auf die Fälligkeit der Vergütung verbietet, können weitergehende Vereinbarungen zur Arbeitszeitflexibilisierung auch nicht durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag getroffen werden. Vertretbar dürfte allerdings sein, teleologisch jedenfalls dort eine Einschränkung der Anwendbarkeit von § 2 Abs. 2 S. 3 MiLoG vorzunehmen, wo der Arbeitnehmer verstetigt immer mehr erhält, als im Monat maximal dem Arbeitszeitkonto zugeführt werden darf. Denn hier ist die Mindestabsicherung gemäß § 1 Abs. 1, 2 MiLoG gewahrt. Ggf. müssten zwei Arbeitszeitkonten geführt werden, wobei eines zur Abwicklung des Mindestlohns dienen würde.
g)
Unabdingbarkeit des Mindestlohns
In § 3 MiLoG ist die Unabdingbarkeit des Mindestlohns geregelt. Zunächst wird in Satz 1 klargestellt, dass Vereinbarungen unwirksam sind, soweit sie eine Unterschreitung des Mindestlohnanspruchs oder eine Beschränkung der Geltendmachung vorsehen. Hierzu gehören auch Vereinbarungen über eine Fälligkeit oder den Wegfall etwaiger Vergütungsansprüche außerhalb der in § 2 MiLoG bestimmten Schranken 93. Mit Ausnahme der Einschränkungen in § 23 MiLoG ist der Mindestlohn damit nicht dispositiv 94. Ein Verzicht auf den entstandenen Anspruch auf Mindestlohn ist nur aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs möglich; eine Verwirkung ist ausgeschlossen. Beides entspricht § 3 S. 2, 3 MiLoG. Mit dieser Regelung werden nicht nur außergerichtliche Vereinbarungen untersagt, die eine geringere Vergütung oder eine spätere Fälligkeit zum Inhalt
92 Vgl. Bayreuther, NZA 2014, 86, 5870. 93 Vgl. Elking, AuA 2015, 169 ff. 94 ErfK/Franzen, MiLoG § 3 Rz. 1.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
haben. Ausgeschlossen werden auch Vereinbarungen, die die gesetzliche Verjährung in Bezug auf diese Ansprüche verkürzen. Ausschlussfristen müssen daher so ausgestaltet werden, dass sie Ansprüche auf den Mindestlohn nicht erfassen. Weil es keine Öffnungsklausel gibt, gilt dies für individualund kollektivrechtliche Regelungen gleichermaßen. Soweit heutige Vereinbarungen eine solche Einschränkung nicht enthalten, dürfte dies aber nicht zu ihrer generellen Unwirksamkeit führen. Denn der Gesetzgeber bestimmt ausdrücklich, dass die Regelung nur „soweit“ unwirksam ist, als sie zu einer Unterschreitung des Mindestlohns und zu einer Einschränkung seiner Geltendmachung führt. Im Übrigen bleiben sie wirksam („geltungserhaltende Reduktion“) 95. Das unterscheidet eine Unwirksamkeit nach § 3 MiLoG von einer Unwirksamkeit, die z. B. wegen einer unangemessen kurzen Frist in arbeitsvertraglichen Regelungen durch §§ 306, 307 BGB bestimmt wird. Nichtsdestotrotz empfiehlt es sich, die Ausschlussfristen insbesondere auf arbeitsvertraglicher Ebene anzupassen, wie dies mit Blick auf § 202 BGB und andere Schranken an anderer Stelle behandelt wurde 96.
h)
Haftung des Auftraggebers
Mit § 13 MiLoG wird die derzeit bereits in § 14 AEntG vorgesehene Haftung des Auftraggebers für Zahlungspflichten aus dem Mindestlohngesetz übernommen, soweit diese durch Auftragnehmer oder Nachunternehmer zu erfüllen sind. Die Haftung erstreckt sich auf den Nettobetrag und kommt auch im Insolvenzfall zum Tragen 97. Ohne eine Begrenzung auf Generalunternehmer ist der Begriff der Werkund Dienstverträge dabei weit zu verstehen und erfasst im Zweifel auch Werklieferungsverträge, Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge 98. Nicht auszuschließen ist, dass auch Handelsvertreter oder Vertragshändler von § 13 MiLoG erfasst werden. Der ursprüngliche Regierungsentwurf hatte abweichend zum AEntG noch einen Entfall der Haftung bei Unkenntnis der Nichtzahlung des Mindestlohns vorgesehen 99. Durch den Verzicht auf diese Einschränkung ist die Haf95 Ebenso Lembke, NZA 2015, 70, 73. 96 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, S.185 ff., 341 ff. 97 Eingehend Oltmanns/Fuhltrott, NZA 2015, 392 ff.; Hinrichs/Tacou, NZA-RR 2014, 569 ff.; Mauthner/Rid, AuA 2014, 518 ff. 98 Vgl. Schubert/Jerchel/Düwell, MiLoG Rz. 229; Koberski/Asshoff/Winkler, AEntG § 14 Rz. 212; Ulber, AEntG § 14 Rz. 10. 99 Vgl. Spielberger/Schilling, NZA 2014, 414, 417.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
tung jetzt aber verschuldensunabhängig ausgestaltet. Dabei haftet der Auftraggeber für die gesamte Nachunternehmerkette, sofern der Einsatz in Erfüllung des Hauptauftrags erfolgt 100. Dabei werden Arbeitnehmer ebenso wie Leiharbeitnehmer erfasst. Eine Begrenzung von § 13 MiLoG auf Generalunternehmer ist darin nicht zu sehen. Fehlendes Verschulden des Auftraggebers macht sich erst bei der Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit bemerkbar. Denn § 21 Abs. 2 MiLoG knüpft das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit daran, dass jemand „in erheblichem Umfang“ Werk- oder Dienstleistungen ausführen lässt, indem er als Unternehmer einen anderen Unternehmer beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser bei der Erfüllung des Auftrags die durch § 20 MiLoG bestimmten Vorgaben nicht erfüllt oder einen Nachunternehmer einsetzt, der diese Vorgaben nicht erfüllt. Hiervon ausgehend muss der Auftraggeber jedenfalls zur Vermeidung der Ordnungswidrigkeit dafür Sorge tragen, dass etwaige Nachunternehmer ihre Verpflichtungen in Bezug auf den Mindestlohn einhalten 101. Dies betrifft nicht nur die Auswahl etwaiger Auftragnehmer und die Vertragsgestaltung, sondern auch die weitere Zusammenarbeit. Sie muss durch das Verbot gekennzeichnet sein, weitere Nachunternehmer ohne vorherige Abstimmung mit dem Auftraggeber einzubinden. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass für den Auftraggeber die Möglichkeit der regelmäßigen und anlassbezogenen Überprüfung gegeben ist. Ggf. kann eine etwaige Einsichtnahme in Unterlagen durch Dritte erfolgen, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind 102. Erstattungsansprüche und/oder Vertragsstrafen für den Fall der Missachtung sind zwar sinnvoll, laufen aber leer, wenn der Auftragnehmer bzw. Nachunternehmer insolvent wird. Hier kann es sinnvoll sein, außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten vorzusehen.
i)
Aufzeichnungspflichten des Arbeitgebers
aa)
Ausgangssituation
Bei geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern i. S. d. § 8 Abs. 1 SGB IV und Arbeitnehmern, die in den in § 2 a SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt sind (Baugewerbe, Gaststätte 100 Vgl. BAG v. 28.3.2007 – 10 AZR 76/06, NZA 2007, 613 Rz. 11 ff.; Ulber, AEntG § 14 Rz. 9; Oltmann/Fuhltrott, NZA 2015, 392, 393; Bissels/Falter, DB 2015, 65, 66. 101 Berndt, DStR 2014, 1878, 1882. 102 Eingehend Bissels/Falter, BB 2015, 373 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
und Beherbergung, Personenbeförderungsgewerbe, Spedition, Transport und Logistik, Schausteller, Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, Messebau, Fleischwirtschaft), wird der Arbeitgeber durch § 17 MiLoG verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen. Die an einem Montag erbrachte Arbeitszeit muss somit am kommenden Montag aufgezeichnet werden; die Aufzeichnung ist mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren. Eine entsprechende Verpflichtung gilt für Entleiher, dem ein Verleiher in diesen Sektoren Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen hat. § 17 MiLoG entspricht damit § 19 Abs. 1 AEntG, der diese Pflichten zur Überwachung der Einhaltung der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge nach dem AEntG begründet. Im Zweifel wird man bei § 17 Abs. 1 MiLoG wohl eine betriebsbezogene Betrachtung vornehmen müssen, was z. B. auch Arbeitnehmer in den Verwaltungsbereichen einbeziehen würde. Würde man abweichend hiervon tätigkeitsbezogen vorgehen – was der Wortlaut nicht völlig ausschließt – würde § 17 Abs. 1 MiLoG die den in § 2 a SchwarzArbG genannten Tätigkeiten auch in solchen Betrieben erfassen, die überwiegend andere Zwecke (z. B. Metall, Chemie) verfolgen. Das dürfte nicht beabsichtigt sein. bb)
Umsetzungsmöglichkeiten
Die Verpflichtung aus § 17 Abs. 1 MiLoG stellt eine erhebliche Ausweitung von § 16 ArbZG dar, nach der die kalendertäglich über die Dauer von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit erfasst werden muss. Wichtig für die Betriebspraxis ist allerdings, dass das MiLoG keine Regelung dazu enthält, in welcher Form diese Aufzeichnungen erfolgen müssen. Es ist dem Arbeitgeber somit freigestellt, ob die Aufzeichnungen analog oder digital geführt werden. Sie müssen dem Zweck der Vorschrift entsprechend (nur) so erfolgen, dass es möglich ist, sie aufzubewahren und sie im Bedarfsfall durch die Zollämter, die gemäß § 14 MiLoG zur Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohns zuständig sind, überprüfen zu lassen. Das Speichern einer Datei, die dem Zollamt im Bedarfsfall zur Verfügung gestellt werden kann, stellt insoweit auch ein „Aufbewahren“ im Sinne des § 17 Abs. 1 MiLoG dar. Das Gesetz verlangt nicht, dass die Aufzeichnung durch den Arbeitgeber selbst erfolgen muss. Die Pflicht kann auf Führungskräfte oder den Arbeit-
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
nehmer selbst übertragen werden 103. Dies ist auch sachgerecht. Gerade bei einer flexiblen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses bzw. bei einer Leistungserbringung außerhalb des direkten Einflussbereichs des Arbeitgebers ist es diesem oftmals schon praktisch nicht möglich, den Arbeitsbeginn, das Arbeitsende sowie die Arbeitsdauer jedes Arbeitnehmers an jedem Arbeitstag selbst festzuhalten. Der Arbeitgeber kann die Aufzeichnung deshalb dem Arbeitnehmer überlassen und darf grundsätzlich auch auf die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben vertrauen. Dies gilt auch dann, wenn Arbeitnehmer betroffen sind, die in Vertrauensarbeitszeit tätig sind. Das entspricht der praktischen Handhabe von § 16 ArbZG. Das Risiko, dass die Arbeitszeiterfassung insoweit allerdings Lücken aufweist, trägt der Arbeitgeber. Das muss den Beteiligten bewusst sein, zumal die Einhaltung dieses Dokumentationserfordernisses in den Bußgeldvorschriften des § 21 MiLoG erfasst wird. Hiervon ausgehend obliegt es dem Arbeitgeber, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Aufzeichnungen jedenfalls stichprobenartig zu überprüfen. Darin dürfte die wichtigste Veränderung in Bezug auf die Vertrauensarbeitszeit zu sehen sein. Vertrauensarbeitszeit wird damit zwar nicht ausgeschlossen. Hat der Arbeitgeber bisher darauf vertraut, dass der Arbeitnehmer die vereinbarte Arbeitsleistung (ohne Aufzeichnung der Arbeitszeit) auch tatsächlich erbringt, kann dieses Vertrauen auch insoweit bestehen, als die individuelle Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer in einer überprüfbaren Weise aufgezeichnet wird. Allerdings verlangt die Schutzbedürftigkeit des Vertrauens, dass gelegentliche stichprobenartige Überprüfungen erfolgen. cc)
Besonderheiten durch Mindestlohn-Verordnungen
Durch mehrere Verordnungen hat das BMAS allerdings mit Wirkung zum 1.1.2015 Ausnahmen von den vorstehenden Grundsätzen festgeschrieben. Darauf wurde schon an anderer Stelle hingewiesen 104. • MiLoDokV: Die Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung erlaubt es dem Arbeitgeber, bei Arbeitnehmern, deren regelmäßiges verstetigtes Bruttomonatsentgelt 2.958 € überschreitet und für die der Arbeitgeber seine nach § 16 S. 2 ArbZG bestehenden Verpflichtungen zur Aufzeichnung der Arbeitszeit und zur Aufbewahrung dieser Aufzeichnungen tatsächlich erfüllt, von der Pflicht zur Abgabe einer schriftlichen Anmeldung nach § 16 Abs. 1, 3 MiLoG,
103 Vgl. OLG Jena v. 3.5.2005 – 1 Ss 115/05, NStZ-RR 2005, 278; Bonanni/Hahne, ArbRB 2014, 343, 345. 104 B. Gaul, AktuellAR 2015, 14 f.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
der Pflicht zur Abgabe einer Versicherung nach § 16 Abs. 2, 4 MiLoG sowie der Pflicht zum Erstellen und Bereithalten von Dokumenten nach § 17 Abs. 1, 2 MiLoG auszunehmen. • MiLoAufzV: Durch die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung werden Arbeitnehmer mit ausschließlich mobiler Tätigkeit, die keinen Vorgaben zur konkreten täglichen Arbeitszeit (Beginn und Ende) unterliegen und sich ihre tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen, von der Aufzeichnungspflicht aus §§ 17 Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 1 S. 1 MiLoG insoweit befreit, als dass es genügt, wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet wird. Hilfreich dabei ist, dass die Verordnung die Kriterien selbst weiter konkretisiert. Darauf sei wegen der Einzelheiten verwiesen. • MiLoMeldV: Die Mindestlohnmeldeverordnung vereinfacht und vereinheitlicht die Meldepflichten aus § 16 MiLoG, AÜG und AEntG. So reicht bei wechselnden Einsatzorten oder bei Schichtarbeit statt einer Einzelmeldung auch die Übermittlung der Einsatzplanung für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten. Änderungen müssen unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr gemeldet werden.
Zu hoffen bleibt, dass diese Verordnungen nur ein erster Schritt sind, den enormen Aufwand bei der Umsetzung des MiLoG zu reduzieren 105. Besser wäre es, §§ 16, 17 MiLoG grundlegend zu überarbeiten.
j)
Bereithaltungspflicht von Unterlagen zum Nachweis der Einhaltung des Mindestlohns
Soweit die vorstehenden Verordnungen keine Erleichterungen begründen, muss der Arbeitgeber in Branchen, für die die vorgenannte Dokumentationspflicht geschaffen wurde, nach § 17 Abs. 2 MiLoG zudem alle für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns erforderlichen Unterlagen im Inland in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmer bereithalten, jedoch maximal zwei Jahre lang. Diese Verpflichtung entspricht § 19 Abs. 2 AEntG, wird allerdings durch die vorstehend behandelten Verordnungen eingeschränkt. Mit „erforderlichen Unterlagen“ sind nicht lediglich die in § 17 Abs. 1 MiLoG genannten Aufzeichnungen gemeint, da diese für eine Überprüfung der Zahlung des Mindestlohns nicht ausreichen. Aus ihnen geht schon nicht 105 Hierzu eingehend Schmitz-Witte/Killian, NZA 2015, 415 ff.; Hantel, NZA 2015, 410 ff.
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Aktuelle Fragestellungen zum Mindestlohn
hervor, welche Vergütungsleistungen erbracht worden sind. Vielmehr sind aufgrund von § 17 Abs. 2 MiLoG neben den Aufzeichnungen gemäß § 17 Abs. 1 MiLoG auch Unterlagen (individual- und/oder kollektivrechtliche Vereinbarungen, Lohn-/Gehaltsabrechnung) in Bezug auf solche Zahlungen bereitzuhalten, die bei der Berechnung des Mindestlohns Berücksichtigung finden. Die Behörde muss anhand der Unterlagen in die Lage versetzt werden, den Umfang der geleisteten Arbeit und das dafür gezahlte Stundenentgelt nach Höhe und Fälligkeitszeitpunkt zu ermitteln. Besonderheiten gelten bei Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit flexibel gehandhabt wird. Um überprüfen zu können, dass auch bezüglich der auf einem Arbeitszeitkonto verbuchten geleisteten Arbeitszeit der Mindestlohn gesichert ist, müssen zusätzlich die individual- und/oder kollektivrechtliche Vereinbarung über die Arbeitszeitflexibilisierung und Nachweise zur Höhe des Guthabens / Saldos bereitgehalten werden. Wichtig ist, dass bei den Vereinbarungen zur Arbeitszeitflexibilisierung die Höchstgrenzen in Bezug auf den Umfang des Guthabens und die Dauer des Ausgleichszeitraums aus § 2 Abs. 2 S. 1 MiLoG beachtet werden. Auch hinsichtlich dieser Unterlagen ist sowohl eine analoge als auch eine digitale Vorhaltung ausreichend, um der Pflicht zur Bereithaltung zu genügen. Grundsätzlich genügt es, wenn die Unterlagen in der Verwaltung des Arbeitgebers vorliegen, typischerweise in der Personalabteilung. Auf besondere Anordnung hin kann die Prüfbehörde anordnen, sie am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten. Die Verfügbarkeit kann dann auch durch einen Ausdruck oder eine elektronische Übermittlung geschehen.
k)
Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge
Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern nicht ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. MiLoG genannten Zeitpunkt zahlen, können nach Maßgabe von § 19 MiLoG für eine angemessene Zeit bis zur nachgewiesenen Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit von der Teilnahme an einem Wettbewerb zur öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Voraussetzung ist, dass sie wegen eines Verstoßes mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500,- € belegt worden sind.
l)
Übergangsregelungen
Zwar gilt der Anspruch auf den Mindestlohn bereits ab dem 1.1.2015. § 24 MiLoG sieht jedoch bis zum 31.12.2017 hiervon abweichende Regelungen vor. So können abweichende Regelungen durch Tarifvertrag getroffen wer125
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
den, sofern es sich um Vereinbarungen repräsentativer Tarifvertragsparteien handelt und die Regelungen für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallende Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind und spätestens zum 1.1.2017 ein Entgelt von 8,50 € (brutto) je Zeitstunde vorgesehen ist. Davon sind also Tarifverträge betroffen, die nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich oder gemäß § 7 AEntG für zwingend erklärt worden sind und in den Anwendungsbereich des AEntG fallen 106. Unerheblich ist, ob sie vor oder nach dem 1.1.2015 abgeschlossen wurden 107. Losgelöst davon enthält das Gesetz Sonderregelungen für Zeitungszusteller (§ 24 Abs. 2 MiLoG). Nach Abs. 2 gelten auch Sonderregelungen für Zeitungszusteller/innen, wonach ab dem 1.1.2015 ein Anspruch auf 75 % des Mindestlohns besteht, also 6,83 € (brutto), und ab dem 1.1.2016 ein Anspruch i. H. v. 85 %, also 7,23 € (brutto). Hinsichtlich der geringfügigen Beschäftigung in Form der kurzfristigen Beschäftigung gilt ab dem 1.1.2015 zwar ebenfalls der Anspruch auf Mindestlohn. Jedoch sieht § 115 SGB IV bis zum 31.12.2018 die Möglichkeit vor, dass eine Einsatzdauer von bis zu drei Monaten bzw. 70 Arbeitstagen vereinbart werden kann. Auf diese Weise soll insbesondere etwaigen Problemen bei der Durchsetzung des Mindestlohns im Rahmen von Saisonarbeit Rechnung getragen werden 108. Damit diese Sonderregelung aber keine generelle Ausweitung der versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigung zur Folge hat, ist die Regelung auf vier Jahre befristet worden 109.
m)
Kontrolle von Verstößen gegen das MiLoG
Zu erwarten sind umfangreiche Kontrollen der Behörden in Bezug auf die Einhaltung des MiLoG 110. Dabei können vorsätzliche und fahrlässige Verstöße gegen das MiLoG nach § 21 MiLoG als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden 111. Im „Regelfall“ sind die Verstöße mit einer Geldbuße von bis 30.000 € verbunden. Bei einem Verstoß gegen die Zahlung bzw. einer verspäteten Zahlung des Mindestlohns oder bei einem erheblichen Einsatz vom
106 107 108 109 110
Vgl. Bayreuther NZA 2014, 865, 873. ErfK/Franzen, MiLoG § 24 Rz. 2. BT-Drucks. 18/2010 S. 28. BT-Drucks. 18/2010 S. 28. Zur behördlichen Aufsicht über die Gewährung der Mindestlöhne vgl. Aulmann, NZA 2015, 418 ff. 111 Eingehend Pötters/Krause, NZA 2015, 398, 400 f.
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Anspruch auf Vergütung / Annahmeverzug im Wiedereingliederungsverhältnis
Auftragsunternehmern und Nachunternehmern, bei denen der Auftraggeber Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von der Nichtzahlung oder nicht rechtzeitigen Zahlung des Mindestlohns hat, kann allerdings ein Bußgeld von bis zu 500.000 € fällig werden. Grundlage für eine Ahndung dieser Ordnungswidrigkeiten sind die allgemeinen Regelungen des OWiG 112. Auch der Betriebsrat kann Kontrollbefugnisse geltend machen 113. Schließlich fällt das MiLoG in den Anwendungsbereich von § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dabei können Erkenntnisse aus der Einsicht in die Lohn- und Gehaltslisten (§ 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG) helfen. Allerdings gibt es keine Möglichkeit für den Betriebsrat, selbst Zahlungsansprüche geltend zu machen. (Ga)
7.
Anspruch auf Vergütung / Annahmeverzug im Wiedereingliederungsverhältnis
Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (§ 275 SGB V) einholen (§ 74 SGB V). Dieses als stufenweise Wiedereingliederung bezeichnete Verfahren wird nach ständiger Rechtsprechung des BAG 114 nicht als Teil des Arbeitsverhältnisses angesehen, das durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet ist, sondern als ein Vertragsverhältnis eigener Art qualifiziert, das durch den Rehabilitationszweck gekennzeichnet wird. Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, der jedoch entfällt, wenn er krankheitsbedingt nicht seine volle, vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringen kann. Der Arbeitgeber ist auch nach § 266 BGB grundsätzlich nicht verpflichtet, bei Teilarbeitsunfähigkeit eine nur eingeschränkt angebotene Arbeitsleistung anzunehmen 115. Während der 112 Berndt, DStR 2014, 1878, 1885. 113 Eingehend Kleinebrink, DB 2015, 375 ff. 114 BAG v. 29.1.1992 – 5 AZR 37/91, NZA 1992, 643 Rz. 19; BAG v. 28.7.1999 – 4 AZR 192/98, NZA 1999, 1295 Rz. 15; BAG v. 24.9.2014 – 5 AZR 611/12, NZA 2014, 1407 Rz. 32. Vgl. dazu Marina Schmidt, NZA 2007, 893. 115 BAG v. 29.1.1992 – 5 AZR 37/91, NZA 1992, 643 Rz. 18; BAG v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05, NZA 2007, 91 Rz. 23.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
beruflichen Rehabilitation erhält der weiterhin arbeitsunfähige Arbeitnehmer die ihm sozialrechtlich zustehenden Leistungen. Arbeitsrechtlich bedarf die Maßnahme wegen der vom Arbeitsvertrag abweichenden Beschäftigung grundsätzlich der Zustimmung des Arbeitgebers, die regelmäßig in Gestalt einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ausdruck findet. Abgesehen davon, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX eine anderweitige Tätigkeit auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen kann 116, gilt für nicht behinderte Arbeitnehmer und den Arbeitgeber der Grundsatz der Freiwilligkeit. Keineswegs ist der Arbeitgeber verpflichtet, generell die Teilhabe eines Arbeitnehmers am Arbeitsleben zu fördern 117. Da es um einen Akt der Rehabilitation geht, kann der Arbeitnehmer die Maßnahme abbrechen, wenn etwa nachteilige gesundheitliche Folgen zu erkennen oder zu befürchten sind. Gleiches gilt für den Arbeitgeber, wenn ersichtlich wird, dass die Wiedereingliederung keinen Erfolg verspricht. Dies kann durch entsprechende Erklärungen beider Seiten geschehen. Es gibt für diesen Vertrag sui generis weder einen formellen noch materiellen Kündigungsschutz, so dass weder § 622 BGB noch § 314 BGB gelten. Es liegt gerade kein irgendwie geartetes Schuldverhältnis, sondern eine auf freiwilliger Basis beruhende Wiedereingliederungsmaßnahme vor. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, weil die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers andauert, während des Wiedereingliederungsverhältnisses weiterhin von den Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses gemäß § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB befreit. Daher besteht – mangels anderweitiger Vereinbarung - weder ein vertraglicher noch ein gesetzlicher Entgeltanspruch. Da der Arbeitnehmer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken (§ 297), wird er von seiner Hauptleistungspflicht nach § 275 BGB befreit und kann dem Arbeitgeber weder die Arbeitsleistung nach §§ 294, 295 BGB anbieten noch den Arbeitgeber in Annahmeverzug setzen. In einer Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 24.9.2014 118 ging es unter anderem um die Frage, ob die Klägerin eine aktive Tätigkeit ausschließlich auf der Grundlage eines Wiedereingliederungsverhältnisses zur Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit oder im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses 116 BAG v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05, NZA 2007, 91 Rz. 21 f. 117 BAG v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05, NZA 2007, 91 Rz. 33; BAG v. 24.9.2014 – 5 AZR 611/12, NZA 2014, 1407 Rz. 42 ff. 118 5 AZR 611/12, NZA 2014, 1407.
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Anspruch auf Vergütung / Annahmeverzug im Wiedereingliederungsverhältnis
als vertragsgemäße Leistung nach § 294 BGB tatsächlich dem Arbeitgeber gegenüber angeboten hat. Die Klägerin war bei der Beklagten, einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die ein konfessionelles Krankenhaus betreibt, als Krankenschwester beschäftigt. Nach einer knapp dreijährigen Elternzeit war sie arbeitsunfähig erkrankt. Sie bot mit anwaltlichem Schreiben eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung unter Hinweis auf einen Wiedereingliederungsplan an, wobei sie gleichzeitig mitteilte, aus religiösen Gründen während der Arbeitszeit ein Kopftuch tragen zu wollen. Die Beklagte lehnte die Arbeitsaufnahme ab und zahlte keine Arbeitsvergütung. Mit der Zahlungsklage forderte die Klägerin Arbeitsentgelt wegen Annahmeverzugs in Höhe von insgesamt 15.313,54.- € brutto. Das LAG hat die Klage abgewiesen, während das BAG den Rechtsstreit unter anderem deshalb an das LAG zurückverwiesen hat, weil nicht ausreichend geklärt war, ob die Klägerin lediglich ein Wiedereingliederungsverhältnis angeboten hatte. Da die Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach § 611 Abs. 1, § 615 S. 1 BGB die Forderung auf Zahlung der Vergütung begründet hatte, prüft das BAG zunächst, ob unbeschadet sonstiger Anspruchsvoraussetzungen ein Verzug der Beklagten schon deshalb nicht eintreten konnte, weil die Klägerin außerstande war, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Nach § 297 BGB kommt nämlich der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers ist – wie das BAG betont – eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Ist ein Arbeitnehmer objektiv aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die vereinbarte Leistung zu erbringen, so kann das fehlende Leistungsvermögen nicht allein durch den Willen des Arbeitnehmers ersetzt werden, trotz objektiver Leistungsunfähigkeit einen Arbeitsversuch zu unternehmen. Allerdings trägt bei einem Streit darüber, ob der Arbeitnehmer zur Leistung objektiv außerstande war, der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast 119. Diese Verteilung der Beweislast ergibt sich aus der Fassung des § 297 BGB 120. Gelingt dem Arbeitgeber im Prozess der Beweis, dass der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeitsleistung außerstande war, so kommt es nach § 297 BGB für die Ansprüche aus § 615 BGB nur auf die objektiven 119 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858 Rz. 17. 120 Ständige Rspr.: BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 251/10, NZA-RR 2012, 342 Rz. 17.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Umstände bei Nichtannahme der Leistung an. Da der Arbeitgeber über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, können an seinen Vortrag zum Leistungsunvermögen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann 121. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Trägt er dazu nichts vor, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Im Streitfall bestand nun die Besonderheit, dass die Klägerin selbst eine Wiedereingliederung auf der Grundlage eines Wiedereingliederungsplans gewünscht hatte und damit aus ihrem eigenen Vortrag ihre Leistungsunfähigkeit hervorging. Bei derartigem Befund fehlt es bereits an einem schlüssigen Vortrag für den Annahmeverzug des Arbeitgebers. Bei einer Wiedereingliederung im Sinne eines Wiedereingliederungsverhältnisses wird der Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit angenommen, was umso mehr gilt, wenn der Arbeitnehmer diese Wiedereingliederung auf der Grundlage eines Wiedereingliederungsplans vollziehen will. Daher oblag es nach Auffassung des BAG allein der Klägerin, die Indizwirkung des vom behandelnden Arzt erstellten Wiedereingliederungsplans zu erschüttern und ihre Leistungsfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum darzulegen. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss nämlich der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung tatsächlich, so wie sie vertragsgemäß zu bewirken ist, dem Arbeitgeber anbieten (§ 294 BGB). Ein wörtliches Angebot reicht nur dann aus (§ 295 BGB), wenn der Arbeitgeber zuvor erklärt hat, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annehmen zu wollen. Nur im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung geht das BAG davon aus, dass ein Angebot der Arbeitsleistung regelmäßig nach § 296 BGB entbehrlich ist 122. Hätte die Klägerin daher ihre Tätigkeit lediglich im Rahmen eines Wiedereingliederungsverhältnisses angeboten, das nicht der Erbringung der Arbeitsleistung, sondern einem Rehabilitationszweck dient, wäre dies kein Angebot im Sinne von § 611 BGB, so dass die Weigerung der Beklagten, die Klägerin zu beschäftigen, keinen Annahmeverzug nach § 615 S. 1 BGB auslösen konnte,
121 So bereits BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 562/02 n. v.; BAG v. 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, NZA 2008, 595 Rz. 24 f.; BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 251/10, NZA-RR 2012, 342 Rz. 17; BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076 Rz. 27. 122 BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076 Rz. 23; BAG v. 24.9.2014 – 5 AZR 611/12, NZA 2014, 1407 Rz. 22.
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Entgeltfortzahlung bei langjähriger Alkoholabhängigkeit
unabhängig davon, ob die Verweigerung der Beschäftigung auch auf das Kopftuch zurückgeführt werden durfte. Mit dieser Entscheidung hat das BAG nochmals die bereits zuvor entwickelten Grundsätze der rechtlichen Einordnung eines Wiedereingliederungsverhältnisses bestätigt. Da den Arbeitgeber Förderpflichten für schwerbehinderte Menschen treffen, die nicht nur auf der Grundlage von § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX, sondern auch in unionskonformer Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG relevant werden können 123 – was an anderer Stelle behandelt wurde 124, wird die betriebliche Praxis für diesen Personenkreis nur dann eine gewünschte Wiedereingliederung ablehnen dürfen, wenn sie sich von vornherein als aussichtslose Maßnahme und sinnlos erweist. (Boe)
8.
Entgeltfortzahlung bei langjähriger Alkoholabhängigkeit
Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er gemäß § 3 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Nach § 3 Abs. 3 EFZG entsteht dieser Anspruch nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Krankheit im medizinischen Sinne ist jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand. Von diesem medizinischen Begriff der Krankheit ist auch bei Anwendung des § 3 EFZG auszugehen. Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Arbeitnehmer dann, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außer Stand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbar naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern 125. Bereits in einer Grundsatzentscheidung vom 1.6.1983 126 hat das BAG Alkoholabhängigkeit als eine solche Krankheit im medizinischen Sinne angesehen. Sie liegt danach vor, 123 EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11 und C-337/11, NZA 2013, 553 – HK Danmark; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, BB 2014, 115 Rz. 53. 124 Vgl. Boewer, AktuellAR 2015, 47 ff. 125 Vgl. nur BAG v. 7.8.1991 – 5 AZR 410/90, NZA 1992, 69 Rz. 10; BAG v. 15.12.1999 – 10 AZR 638/98, NZA-RR 2000, 443 Rz. 60. 126 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420 Rz. 11; BAG v. 7.8.1991 – 5 AZR 410/90, NZA 1992, 69 Rz. 11; BAG v. 7.12.2005 – 5 AZR 228/05 n. v. (Rz. 35 ff.).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Dabei ist nicht erforderlich, dass es schon zu deutlichen körperlichen oder psychischen Symptomen einer Vergiftung gekommen ist. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußert sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle: Der Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht mehr verzichten.
Im Falle einer Alkoholabhängigkeit stellt sich im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle die Frage, ob den Arbeitnehmer an dieser Erkrankung (Alkoholismus) ein Verschulden trifft, das eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ausschließt. Der Begriff des Verschuldens wird nach ständiger Rechtsprechung des BAG 127 dahin umschrieben, ob ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen hat (Verschulden gegen sich selbst). Unter dieser Prämisse schließt der Gesetzgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus, weil es unbillig wäre, den Arbeitgeber mit einer Entgeltfortzahlung bei einem derartigen Eigenverschulden des Arbeitnehmers an der Entstehung der Erkrankung zu belasten. Maßgebend für die Beurteilung der Verschuldensfrage in Fällen der Alkoholabhängigkeit ist das Verhalten des Arbeitnehmers, das vor dem Eintritt des Alkoholismus liegt, weil es gerade symptomatisch für diese Art der Erkrankung ist, nach ihrem Eintritt körperlich und psychisch vom Alkohol abhängig zu sein 128. In diesem Zusammenhang hat das BAG 129 einen Erfahrungssatz verneint, dass Alkoholabhängigkeit und deren Folgen regelmäßig selbstverschuldet sind, weil nach medizinischen Erkenntnissen die Entstehung von Alkoholabhängigkeit von vielen Faktoren und deren Zusammenwirken abhängig ist, wobei soziologische, psychologische und physiologische Aspekte sowie die Persönlichkeit des Erkrankten und sein soziales Umfeld in Betracht kommen. Dabei hat der Arbeitgeber das Verschulden des Arbeitnehmers an der Entstehung seiner krankhaften Alkoholabhängigkeit darzulegen und zu bewei127 BAG v. 7.8.1991 – 5 AZR 410/90, NZA 1992, 69 Rz. 11; BAG v. 18.3.2015 – 10 AZR 99/14 n. v.; BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420 Rz. 16. 128 BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420 Rz. 13. 129 Grundsätzlich BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420 Rz. 16.
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Entgeltfortzahlung bei langjähriger Alkoholabhängigkeit
sen, wobei den Arbeitnehmer allerdings eine Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung treffen kann. Regelmäßig wird das Gericht selbst außerstande sein, die Entstehungsursachen der Alkoholabhängigkeit aus eigener Kenntnis beurteilen zu können, so dass die Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen erforderlich ist 130. In einer Entscheidung vom 18.3.2015 hatte nunmehr der 10. Senat des BAG 131 erneut in einem Fall langjähriger Alkoholabhängigkeit eines Arbeitnehmers darüber zu entscheiden, ob die Beklagte der Klägerin aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X) für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung in Höhe des gezahlten Krankengeldes schuldete. Der alkoholabhängige Arbeitnehmer wurde am 23.11.2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Die Beklagte war der Ansicht, dass ein Verschulden gegen sich selbst bei einem Rückfall nach mehrfachem stationären Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen sei. Arbeitsgericht und LAG haben der Klage nach Einholung eines sozialmedizinischen Sachverständigengutachtens stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Das BAG konstatiert zunächst, dass es sich bei einer Alkoholabhängigkeit um eine Krankheit handelt. Soweit es um das Verschulden im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geht, hält das BAG an der bisherigen Rechtsprechung fest. Danach ist eine Arbeitsunfähigkeit nur dann verschuldet, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. In diesem Zusammenhang geht das BAG davon aus, dass nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse im Falle einer Alkoholabhängigkeit nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden kann. Die Entstehung der Alkoholsucht sei vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingten. Dies gilt nach Ansicht des BAG im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % will jedoch das BAG nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausschließen. Bestreitet der Arbeitgeber bei derartiger Sachlage das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers, hat das Arbeitsgericht durch ein medizini-
130 So bereits BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420 Rz. 34 ff. 131 10 AZR 99/14 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
sches Sachverständigengutachten abzuklären, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Kommt das eingeholte sozialmedizinische Gutachten – wie im Streitfall – zu dem Ergebnis, dass ein Verschulden des Arbeitnehmers zu verneinen ist, geht dies zulasten des Arbeitgebers. Mit dieser Entscheidung bewegt sich das BAG auf der bisherigen Linie seiner Rechtsprechung, lässt jedoch bei der Rückfallproblematik für die Verschuldensfrage die Möglichkeit offen, durch ein Sachverständigengutachten das Eigenverschulden des Arbeitnehmers belegen zu können. (Boe)
9.
Anspruch auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen
In seinem Urteil vom 21.12015 132 hat sich der 10. Senat des BAG nicht nur mit den prozessualen Voraussetzungen einer erfolgreichen Durchsetzung eines arbeitgeberseitigen Anspruchs auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen befasst. Es hat ergänzend hierzu für die Betriebspraxis überaus wichtige Feststellungen auch zu den Anforderungen an die wirksame Ausgestaltung der zugrundeliegenden Vereinbarungen getroffen. Dabei geht es vor allem um die Voraussetzungen, die mit Blick auf die AGB-Kontrolle erfüllt werden müssen. Die hierzu in den Orientierungssätzen zu findenden Feststellungen lauten wie folgt: 1.
Verlangt der Arbeitgeber die Rückzahlung geleisteter Bruttovergütung, schließt dies die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ein. Insoweit hat er gegen den Arbeitnehmer aber nur einen Anspruch auf Abtretung des gegen den Sozialversicherungsträger bestehenden Erstattungsanspruchs.
2.
Ist zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Zahlung eines Vorschusses vereinbart, ergibt sich daraus regelmäßig zugleich die Verpflichtung des Vorschussempfängers, den Vorschuss wieder zurückzuzahlen, wenn und soweit die bevorschusste Forderung nicht entsteht. Anspruchsgrundlage für die Rückforderung ist die Vorschussvereinbarung selbst, nicht § 812 BGB.
3.
Nach §§ 65, 92 Abs. 4 HGB hat ein Versicherungsvertreter – abweichend von § 87 a Abs. 1 HGB – nicht bereits Anspruch auf Provisionen oder Superprovisionen, wenn der Versicherer das
132 10 AZR 84/14 n. v.
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Anspruch auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen
Geschäft ausführt, sondern erst, wenn der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich diese nach dem Vertragsverhältnis berechnen. Es begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken, wenn im Hinblick auf solche Provisionsansprüche arbeitsvertraglich eine Vorschussvereinbarung getroffen wird. Eine Abweichung von Rechtsvorschriften i. S. v. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB liegt nicht vor. 4.
Auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann in einem solchen Fall vereinbart werden, dass ein Stornokonto bei dem Arbeitgeber eingerichtet wird, auf das ein 10 %tiger Anteil der zu erwartenden und ins Verdienen zu bringenden Provision gebucht wird. Werden auf diesem Konto Bruttowerte gutgeschrieben, über die der Arbeitnehmer nicht verfügen kann und die diesem auch steuer- und sozialversicherungsrechtlich nicht zufließen, handelt es sich weder um die Erfüllung fälliger Vergütungsansprüche i. S. v. § 362 BGB noch um einen Vorschuss an den Arbeitnehmer.
5.
Eine Vertragsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nicht näher benannte Provisions- und Stornohaftungsbedingungen in Bezug nimmt und den Provisionsanspruch daran knüpft, dass der Arbeitnehmer diese Bedingungen „anerkennt und als vertragsgemäß akzeptiert“, hält einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 BGB nicht stand.
6.
Eine schlüssige Klage auf Rückforderung von Provisionsvorschüssen erfordert die Darlegung, für welchen Vertrag Superprovision/Provision in welcher Höhe als Vor-schuss gezahlt wurde, für welche Prämie der Provisionsanspruch entsteht, inwieweit es ganz oder teilweise nicht zur Prämienzahlung durch den Versicherungsnehmer gekommen ist und welche Auswirkungen dies nach welchen vertraglichen Vereinbarungen der Parteien auf den Provisionsanspruch des Vermittlers hat. Dies gilt auch hinsichtlich kleiner Rückforderungsbeträge (sog. Kleinstorni). Darüber hinaus hat der Arbeitgeber nach § 87a Abs. 3 HGB die ordnungsgemäße Nachbearbeitung des einzelnen notleidenden Versicherungsvertrags
Gerade weil es kaum gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung der Gewährung, Berechnung und Rückzahlung von Provisionsansprüchen gibt, ist es wichtig, die in der vorstehenden Entscheidung erkennbaren Gestaltungsgrenzen zu beachten. Dies gilt auch für vergleichbare Boni-Regelungen,
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
wenn diese ohne Rücksicht auf einen bereits eingetretenen Leistungserfolg mit einem Vorschuss verknüpft werden sollen. (Ga)
10. Urlaubsberechnung bei Wechsel von Vollzeit- in Teilzeitbeschäftigung Wechselt ein Arbeitnehmer von einer Vollzeittätigkeit in der Fünftagewoche in eine Teilzeittätigkeit mit weniger oder mehr Wochenarbeitstagen, entsprach es bisher der herrschenden Meinung im Schrifttum 133 und der Rechtsprechung des BAG 134, dass sich der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche verminderte oder erhöhte. Diese Verkürzung oder Verlängerung des Urlaubs in Relation zu den Wochenarbeitstagen war zum einen maßgebend, wenn sich im Verlauf eines Kalenderjahres die Verteilung der Arbeitszeit auf weniger oder auch auf mehr Arbeitstage einer Kalenderwoche veränderte, sollte aber auch für einen auf das folgende Urlaubsjahr übertragenen Resturlaub gelten, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des folgenden Jahres in Teilzeit beschäftigt wurde. Der Urlaub war dann jeweils unter Berücksichtigung der nunmehr für den Arbeitnehmer maßgeblichen Verteilung seiner Arbeitszeit neu zu berechnen. Diese Art der Berechnung des Urlaubs bei einem Wechsel der Wochenarbeitszeit ist auch Gegenstand von Tarifverträgen. So sieht § 26 Abs. 1 S. 4 TVöD ausdrücklich vor, dass sich bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als fünf Tage in der Woche der Urlaubsanspruch entsprechend erhöht oder vermindert. Mit Urteil vom 13.6.2013 hat der EuGH 135 auf Vorlage des ArbG Nienburg 136 entschieden, dass das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG und § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 81/97/EG, dahin auszulegen ist, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftig133 Vgl. nur Powietzka/Christ, NJW 2010, 3397; Fieberg, NZA 2010, 925; a.A. aber Schaub/Linck, ArbR-Hd. § 104 Rz. 48 unter Hinweis auf die Rspr. des EuGH v. 22.4.2010 – C-486/08, NZA 2010, 557 Rz. 27 ff. – Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols. 134 BAG v. 28.4.1998 – 9 AZR 314/97, NZA 1999, 156; BAG v. 5.9.2002 – 9 AZR 244/01, NZA 2003, 726; BAG v. 10.2.2004 – 9 AZR 116/03, NZA 2004, 986; vgl. auch LAG Frankfurt v. 30.10.2012 – 13 Sa 590/12, LAGE § 3 BUrlG Nr. 4. 135 C-415/12, NZA 2013, 775 Rz. 33 f. – Bianca Brandes. 136 v. 19.12.2013 – 2 Ca 257/12 Ö, ZTR 2014, 285.
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Urlaubsberechnung bei Wechsel von Vollzeit- in Teilzeitbeschäftigung
ter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht. Die Klägerin dieses Verfahrens hatte noch einen Resturlaubsanspruch von 29 Arbeitstagen, den sie während einer Vollzeitbeschäftigung von fünf Tagen in der Woche erworben hatte, der in das folgende Kalenderjahr übertragen worden war, in dem die Klägerin nur noch an drei Tagen in der Woche arbeitete. Der Arbeitgeber kürzte den übertragenen Urlaubsanspruch auf 17,4 Tage, abgerundet auf 17 Tage (29 Tage geteilt durch 5 Tage multipliziert mit 3 Tagen). Im Anschluss an diese Rechtsprechung des EuGH hatte nunmehr der 9. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 10.2.2015 137 Gelegenheit, seine bisherige Rechtsprechung unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Bewertungen zu überprüfen. Der Kläger, dessen Arbeitsverhältnis sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst richtet, wechselte ab dem 15.7.2010 in eine Teilzeittätigkeit und arbeitete nicht mehr an fünf, sondern nur noch an vier Tagen in der Woche. Während seiner Vollzeittätigkeit im Jahr 2010 hatte er keinen Urlaub erhalten. Die Parteien stritten nun auf der Grundlage von § 26 TVöD darüber, ob dem Kläger nach dem Wechsel in die Viertagewoche nur noch die erhaltenen 24 Urlaubstage (30 Urlaubstage geteilt durch 5 × 4) zustanden oder der Kläger 27 Urlaubstage (für das 1. Halbjahr 15 Urlaubstage und für das 2. Halbjahr 12 Urlaubstage) beanspruchen konnte, ihm also weitere drei Urlaubstage zu gewähren waren. Die darauf gerichtete Klage hat das LAG Frankfurt 138 abgewiesen, weil die im Tarifvertrag vorgesehene Berechnungsweise des Urlaubs sicherstelle, dass ein Arbeitnehmer unabhängig von der Verteilung seiner Arbeitszeit denselben Urlaubszeitraum im Sinne derselben Ruhezeit in Anspruch nehmen kann. Das BAG ist in der Entscheidung vom 10.2.2015 in Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung dieser Auffassung zu Recht nicht gefolgt und hat darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Tage des bezahlten Jahresurlaubs wegen des Übergangs in eir Teilzeitbeschäftigung nicht verhältnismäßig gekürzt werden darf, wenn ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vor seinem Wechsel in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen seinen Urlaub nicht genommen hat. Das Argument des LAG, der erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde bei einer solchen Kürzung nicht vermindert, weil er – in Urlaubswo137 9 AZR 53/14 (F) n. v. 138 V. 30.10.2012 – 13 Sa 590/12, LAGE § 3 BUrlG Nr. 4.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
chen ausgedrückt – unverändert bleibe, ist nach Ansicht des BAG auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH nicht haltbar. Angesichts dessen erweist sich auch die tarifvertragliche Regelung des § 26 Abs. 1 S. 4 TVöD wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht als rechtsunwirksam, so dass dem Kläger die von ihm begehrten Urlaubstage zustehen. Diese für den gesetzlichen Mindesturlaub relevante Rechtsprechung schließt allerdings nicht aus, dass sowohl die Tarifvertragsparteien als auch die Arbeitsvertragsparteien einen darüber hinausgehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nach der bisherigen Berechnungsmethode vereinbarungsgemäß abwickeln dürfen, was allerdings einer entsprechenden Urlaubsregelung bedarf. Solange der übergesetzliche Urlaub mangels anderweitiger Regelung das Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs teilt, gilt für diesen die gleiche Berechnungsmethode. (Boe)
11.
Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung
Es entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG 139, dass der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch auch dadurch erfüllen kann, dass er den Arbeitnehmer nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Anrechnung auf den Urlaubsanspruch freistellen darf. Der Arbeitgeber muss zwar bei der zeitlichen Festlegung gemäß § 7 Abs. 1 BUrlG die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers berücksichtigen, es sei denn, dass der Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen. Macht jedoch der Arbeitnehmer keine anderen Urlaubswünsche gegenüber dem Arbeitgeber geltend, ist die Festlegung des Urlaubs auf die Zeit der Kündigungsfrist ordnungsgemäß 140. In der Erhebung der Kündigungsschutzklage allein liegt kein entgegenstehender Urlaubswunsch des Arbeitnehmers. In diesem Zusammenhang hat der 9. Senat des BAG 141 dem Arbeitgeber erlaubt, den Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Dabei steht die Urlaubsgewährung unter der Rechtsbedingung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung liegt nach Ansicht des BAG zudem im Interesse des Arbeitgebers, um die
139 Vgl. BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05 n. v. (Rz. 11); BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473 Rz. 11. 140 BAG v. 22.9.1992 – 9 AZR 483/91, NZA 1993, 249 Rz. 17. 141 BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473 Rz. 14.
138
Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung
Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern 142. Der Urlaubserteilung steht dabei nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzrechtsstreit ungeklärt bleibt, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schuldet 143. Da nach bisheriger Rechtsprechung des BAG 144 der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers auf Befreiung von seinen arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten gerichtet war und dadurch erfüllt wurde, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Zwecke der Urlaubserteilung von der Arbeit durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung freistellte, ohne dass der Anspruch auf Arbeitsentgelt berührt wurde, hing es von der Entscheidung im Kündigungsschutzprozess ab, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabgeltung zu zahlen hatte. Diese Bewertung des Urlaubsanspruchs ist durch die Rechtsprechung des EuGH 145 überholt. Danach behandelt Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung den Anspruch auf Jahresurlaub und den auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch die Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs eine Vergütung erhalten, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. In Anbetracht dessen ist der gesetzliche Mindesturlaub als Einheitsanspruch anzusehen, der aus den Elementen der Befreiung von der Arbeitspflicht und dem Anspruch auf Arbeitsentgelt zusammengesetzt ist. In der Entscheidung vom 10.2.2015 war der 9. Senat des BAG 146 erneut mit der Frage befasst, ob der Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung unter Anrechnung der Urlaubsansprüche von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden kann und damit der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub erfüllt wird, wenn die außerordentliche Kündigung unwirksam ist 147. Dem Kläger war
142 BAG v. 9.11.1999 – 9 AZR 915/98 n. v. (Rz. 18) ; BAG v. 21.9.1999 – 9 AZR 705/98, DB 2000, 2611 Rz. 19. 143 BAG v. 17.1.1995 – 9 AZR 664/93, NZA 1995, 531 Rz. 12 ff. 144 Vgl. nur die Nachweise bei BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473 Rz. 15. 145 EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04 und C-257/04, C-131/04, C-257/04 NZA 2006, 481 – Robinson-Steele u. a.; EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06, C-350/06, C520/06, NZA 2009, 135 – Schultz-Hoff; EuGH v. 22.5.2014 – C-539/12, NZA 2014, 593 Rz. 17 f. – Lock. 146 9 AZR 455/13 n. v. 147 Vgl. zuvor BAG v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473 Rz. 14.
139
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
mit Schreiben vom 19.5.2011 fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2011 gekündigt worden. Im Kündigungsschreiben heißt es: Im Falle der Unwirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.
Im Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht am 17.6.2011 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem 30.6.2011 enden sollte, der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt blieb sowie alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, erledigt sein sollten. Anschließend beanspruchte der Kläger die Abgeltung von 15,5 Urlaubstagen. In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung geht nunmehr das BAG davon aus, dass die Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG neben der Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung auch die Zahlung der Vergütung voraussetzt 148. Deshalb gewährt ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt. Mit dieser Aussage des BAG wird darauf Bedacht genommen, dass der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des EuGH 149 durch die Zahlung des Urlaubsentgelts während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden soll, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch wird demgemäß vom Arbeitgeber nur dadurch erfüllt (§ 362 BGB), dass er neben der Arbeitsbefreiung für diesen Zeitraum das dem Arbeitnehmer zustehende Arbeitsentgelt bezahlt, was nach § 11 Abs. 2 BUrlG vor Antritt des Urlaubs zu geschehen hat 150. Die Beklagte hatte daher im Streitfall mit der Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben den Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsur-
148 Ebenso jetzt LAG Hamm v. 14.3.2013 – 16 Sa 763/12 n. v. (Rz. 28). 149 EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04 und C-257/04, C-131/04, C-257/04, NZA 2006, 481 - Robinson-Steele u. a.; EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06, C-350/06, C-520/06, NZA 2009, 135 – Schultz-Hoff; EuGH v. 22.5.2014 – C-539/12, NZA 2014, 59 Rz. 17 ff. – Lock. 150 So früher BAG v. 9.1.1979 – 6 AZR 647/77, DB 1979, 1138 Rz. 8.
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Urlaubsanspruch nach Arbeitgeberwechsel
laub mangels einer vorbehaltlosen Zusage von Urlaubsentgelt nicht erfüllt. Das BAG hat die Klage gleichwohl abgewiesen, weil die Parteien in dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich ihre Ansprüche abschließend geregelt haben. Da nach der neueren Rechtsprechung des BAG 151 der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ein reiner Geldanspruch und nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruchs ist, unterfällt der Anspruch auf Abgeltung nicht nur tariflichen Ausschlussfristen, vielmehr kann der Arbeitnehmer auch unionsrechtskonform über die ihm durch Art 7 EGRL 88/2003 verliehenen Rechte im Wege des Rechtsgeschäfts verfügen, sofern er die tatsächliche Möglichkeit hatte, die Ansprüche vor deren Untergang zu realisieren 152. Ausgleichsklauseln, die - wie die im Streitfall - ausdrücklich auch unbekannte Ansprüche erfassen sollen und auf diese Weise zu erkennen geben, dass die Parteien an die Möglichkeit des Bestehens ihnen nicht bewusster Ansprüche gedacht und auch sie in den gewollten Ausgleich einbezogen haben, sind regelmäßig als umfassender Anspruchsausschluss in Form eines konstitutiven negativen Schuldanerkenntnisses zu verstehen (§ 397 Abs. 2 BGB) 153. Dem steht nach Aufgabe der Surrogationstheorie auch § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG nicht entgegen, weil die Vereinbarung nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustande kommt 154. Ob angesichts dieser Rechtsprechungsänderung eine vorsorgliche Urlaubsgewährung für den Fall der Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung angezeigt ist, erscheint zweifelhaft, weil damit für den Arbeitgeber die gleichzeitige Zahlung des Urlaubsentgelts verbunden ist. (Boe)
12. Urlaubsanspruch nach Arbeitgeberwechsel Gemäß § 6 Abs. 1 BUrlG besteht der Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Zum Zwecke des Nachweises einer Urlaubserteilung durch den früheren Arbeitgeber verpflichtet § 6 Abs. 2 BUrlG jeden Arbeitgeber, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen. Mit dieser gesetzlichen 151 BAG v. 19.6.2012 – 9 AZR 652/10, NZA 2012, 1087 Rz. 15; BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 14. 152 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 Rz. 26 – KHS; BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 10. 153 BAG v. 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, NZA 2004, 440 Rz. 26; BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 225/08, NZA 2010, 883 Rz. 47. 154 BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 10.
141
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Regelung schließt der Gesetzgeber bei aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen in einem laufenden Kalenderjahr eine Verdopplung des auf das Kalenderjahr bezogenen Urlaubsanspruchs aus, wenn dieser bereits in einem früheren Arbeitsverhältnis tatsächlich gewährt oder abgegolten worden ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Arbeitnehmer in dem neuen Arbeitsverhältnis Anspruch auf eine höhere Anzahl von Urlaubstagen als im früheren Arbeitsverhältnis zusteht 155. Der Arbeitnehmer muss sich dann den ihm vom anderen Arbeitgeber bereits gewährten Urlaub auf seinen Urlaubsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber anrechnen lassen, so dass ihm nur die Urlaubsdifferenz zusteht. Eine derartige Situation kann auch dann eintreten, wenn ein Arbeitnehmer während eines Kündigungsrechtsstreits eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber aufnimmt und von diesem den Naturalurlaub oder eine Abgeltung erhalten hat. Ist die Kündigungsschutzklage erfolgreich, dann hat zu dem bisherigen Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortbestanden, weshalb auch in diesem Arbeitsverhältnis ein Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers entstanden ist 156. Bislang sind das BAG 157 und vorwiegend das Schrifttum 158 davon ausgegangen, dass § 6 Abs. 1 BUrlG als rechtshindernde Einwendung zu qualifizieren ist mit der Folge, dass der neue Arbeitgeber bei einem Arbeitsplatzwechsel des Arbeitnehmers im laufenden Kalenderjahr den Nachweis einer Urlaubserteilung bei dem früheren Arbeitgeber zu führen hatte. Allerdings wird in der Literatur 159 auch die Meinung vertreten, dass es sich bei § 6 Abs. 1 BUrlG um eine negative Anspruchsvoraussetzung handelt, die dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt, bei dem früheren Arbeitgeber im laufenden Kalenderjahr noch keinen Urlaub erhalten zu haben. In der Entscheidung vom 16.12.2014 musste der 9. Senat des BAG 160 zu diesem Streit Stellung nehmen. Die Parteien des Rechtsstreits stritten um die Zahlung einer Urlaubsabgeltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger war erst im April 2010 in die Dienste der Beklagten getreten und zum 31.5.2011 nach einer Arbeitsunfähigkeit vom 15.11.2010 bis 10.4.2011 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Mit Anwaltsschreiben vom 155 BAG v. 21.2.2012 – 9 AZR 487/10, NZA 2012, 793 Rz. 16. 156 Vgl. zu einem derartigen Fall: BAG v. 21.2.2012 – 9 AZR 487/10, NZA 2012, 793 Rz. 17 ff. 157 BAG v. 9.10.1969 – 5 AZR 501/68, DB 1970, 66 Rz. 16. 158 Vgl. die Nachweise bei Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, BUrlG § 6 Rz. 31; MüKoBGB/Müller-Glöge, BGB § 611 Rz. 936; ErfK/Gallner, BUrlG § 6 Rz. 6. 159 Bachmann in GK-BUrlG § 6 Rz. 19. 160 9 AZR 295/13, BB 2015, 890 Rz. 36 ff.
142
Urlaubsanspruch nach Arbeitgeberwechsel
14.10.2011 verlangte der Kläger für das Kalenderjahr 2010 eine Urlaubsabgeltung für nicht gewährten Naturalurlaub von 29 Arbeitstagen. Die Beklagte verteidigte sich damit, dass nach der arbeitsvertraglichen Regelung bei Eintritt oder Ausscheiden während eines Kalenderjahres nur eine anteilige Urlaubsgewährung vorgesehen war, darüber hinaus eine Ausschlussfrist bestand, wonach gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von mindestens drei Monaten seit Fälligkeit des Anspruches schriftlich geltend zu machen waren, die der Kläger nicht eingehalten habe. Außerdem berief sich die Beklagte darauf, dass der Kläger den Urlaub für das Kalenderjahr 2010 bereits von seinem früheren Arbeitgeber erhalten habe. Das LAG Berlin-Brandenburg 161 hat die Klage auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung abgewiesen, weil er die vertraglich vereinbarte Ausschlussfrist versäumt habe. Das BAG hat den Rechtsstreit an das LAG zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Zunächst geht das BAG davon aus, dass der Kläger im Kalenderjahr 2010 die sechsmonatige Wartezeit (§ 4 BUrlG) für die Entstehung eines vollen Jahresurlaubs bei der Beklagten im Oktober 2010 erfüllt hatte. Die zum Teil auch in Tarifverträgen vorgesehene Teilurlaubsregelung des Arbeitsvertrags entbehrt der Wirksamkeit, weil sie von den gesetzlichen Regelungen der §§ 4 und 5 BUrlG abweicht (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Dies gilt jedenfalls für den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung 162 gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen, welcher der arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Die Dispositionsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien betrifft nur den übergesetzlichen Urlaub, wovon nach Ansicht des BAG im Streitfall kein Gebrauch gemacht worden war, weil hierfür auf der Grundlage der Vertragsgestaltung keinerlei Anhaltspunkte bestanden. Damit teilte der von der Beklagten gewährte übergesetzliche Urlaub das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs. Da der Kläger in der Zeit von November 2010 bis zum 10.4.2011 arbeitsunfähig krank war, konnte er seinen Naturalurlaub weder im Kalenderjahr 2010 noch bis zum in § 7 Abs. 3 BUrlG vorgesehenen Übertragungszeitraum des 31.3.2011 antreten, so dass nach unterunionsrechtlichen Gesichts-
161 V. 18.1.2013 – 6 Sa 1894/12 n. v. 162 ABl. EU L 299 v. 18.11.2003 S. 9.
143
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
punkten der Urlaubsanspruch über den 31.3.2011 hinaus bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.5.2011 fortbestand 163. Im Gegensatz zur Auffassung des LAG geht das BAG von der Einhaltung der vertraglich geregelten Ausschlussfrist aus. Da nach der geänderten Rechtsprechung des BAG 164 der Urlaubsabgeltungsanspruch als ein reiner Geldanspruch anzusehen ist, der sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis unterscheidet, wird er von tariflichen Ausschlussfristen erfasst 165. Das BAG hat auch keine Bedenken, dasselbe für Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen anzunehmen 166. Da der Kläger seinen Anspruch binnen einer Frist von mindestens drei Monaten seit Fälligkeit dem anderen Teil gegenüber geltend zu machen hatte, handelt es sich nach Ansicht des BAG um eine Mindestfrist, nicht aber um eine Höchstfrist. Diese Formulierung ließ sich auch nicht in eine Höchstfrist uminterpretieren, wie das LAG angenommen hat. Die Vertragsklausel stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar, bei der es der Verwender – hier die Beklagte – in der Hand hat, eine klare Ausschlussfrist zu formulieren. Dabei bestimmt sich der Auslegungsmaßstab, an dem Allgemeine Geschäftsbedingungen zu messen sind, nicht nach den Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders 167. Deshalb kam es auch nicht darauf an, wie der Kläger die Formulierung der Ausschlussfrist verstanden hat. Da das LAG die Klage wegen der Versäumung der Ausschlussfrist abgewiesen hatte, musste das BAG 168 dem Einwand der Beklagten nachgehen, der dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von seinem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Das BAG geht unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung 169 nunmehr davon aus, dass der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 BUrlG eine negative Anspruchsvoraussetzung festlegt und kei163 Vgl. BAG v. 12.11.2013 – 9 AZR 646/12, NZA-RR 2014, 658 Rz. 12; BAG v. 5.8.2014 – 9 AZR 77/13, ZTR 2015, 28 Rz. 23 ff.; BAG v. 16.12.2014 – 9 AZR 295/13, BB 2015, 890 Rz. 25. 164 BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 14. 165 Vgl. BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 16; BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 475/10, NZA 2012, 166 Rz. 32 (Verfall nach § 45 Abs. 2 der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland). 166 BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680 Rz. 48; BAG v. 16.12.2014 – 9 AZR 295/13, BB 2015, 890 Rz. 28. 167 BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 Rz. 13; BAG v. 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004 Rz. 22; BAG v. 16.12.2014 – 9 AZR 295/13, BB 2015, 890 Rz. 33. 168 V. 16.12.2014 – 9 AZR 295/13, BB 2015, 890. 169 BAG v. 9.10.1969 – 5 AZR 501/68, DB 1970, 66 Rz. 14 ff.
144
Urlaubsanspruch nach Arbeitgeberwechsel
ne rechtshindernde Einwendung. Diese Bewertung entnimmt das BAG der regelmäßig vorliegenden Unkenntnis des neuen Arbeitgebers bei einem Arbeitgeberwechsel im laufenden Kalenderjahr sowie dem darauf basierenden Umstand, dass der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 2 BUrlG den früheren Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub erteilen zu müssen. Die Konsequenz dieser dogmatischen Einordnung hat Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer die Vortragslast dafür trägt, dass eine Anrechnung von erhaltenen oder abgegoltenen Urlaubsansprüchen bei einem früheren Arbeitgeber nicht in Betracht kommt. Es obliegt damit dem Arbeitnehmer zunächst vorzutragen, von dem bisherigen Arbeitgeber keinen Naturalurlaub oder eine Urlaubsabgeltung bekommen zu haben, wobei als Beweismittel vor allem die Urlaubsbescheinigung gemäß § 6 Abs. 2 BUrlG dient. Will der neue Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers bestreiten, muss er den Beweiswert der Urlaubsbescheinigung durch entsprechenden Sachvortrag erschüttern. Zur Aufklärung dieser Fragestellung hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Das Urteil des BAG überzeugt in allen Bereichen und erleichtert damit zumindest aus Arbeitgebersicht die Feststellung, ob und inwieweit Urlauboder Urlaubsabgeltungsansprüche bei einem Arbeitgeberwechsel im laufenden Kalenderjahr bereits vom früheren Arbeitgeber befriedigt worden sind. Weiterführend ist auch der Hinweis des BAG, dass Urlaubsabgeltungsansprüche als reine Zahlungsansprüche von vertraglichen Ausschlussfristen erfasst werden können. (Boe)
145
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Massenentlassung: Vorabentscheidungsersuchen wegen der Berücksichtigung befristeter Arbeitsverträge
In Übereinstimmung mit der Richtlinie 98/59/EG vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie) bestimmt § 17 KSchG, dass der Arbeitgeber bei dem Überschreiten bestimmter Schwellenwerte für Entlassungen Beteiligungsrechte des Betriebsrats erfüllen und die Arbeitsagentur unterrichten muss. Unter dem Begriff der Massenentlassung werden dabei solche Entlassungen einbezogen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, vornimmt und bei denen die Zahl der Entlassungen die in Art. 1 Abs. 1 Massenentlassungsrichtlinie genannten Schwellenwerte übersteigt. Von Bedeutung für den hier in Rede stehenden Aspekt ist, dass die Richtlinie gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a keine Anwendung findet auf Massenentlassungen im Rahmen von Arbeitsverträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit beschlossen werden; es sei denn, dass diese Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen. Hiervon ausgehend werden auch bei der Anwendung von § 17 KSchG bislang Arbeitsverhältnisse, die wegen einer Befristung beendet werden, auch dann nicht als Entlassung berücksichtigt, wenn der Zeitpunkt der Beendigung in den Zeitraum der Umsetzung einer sonstigen Restrukturierungsmaßnahme fällt. Der Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses wird insoweit also nicht als Entlassung i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG gekennzeichnet 1. Angesichts der klaren Regelung in Art. 1 Abs. 2 lit. a Massenentlassungsrichtlinie dürfte sich daran wohl nichts ändern. Denkbar ist aber, dass hinsichtlich des sonstigen Umgangs mit befristeten Arbeitsverhältnissen bei der Berechnung der Schwellenwerte für eine Massenentlassung zukünftig eine differenziertere Betrachtungsweise geboten ist. Anlass für diesen Hinweis ist ein Vorabentscheidungsersuchen des Jozgado de lo Social no 33 de Barcelona (Spanien), eingereicht am 12.9.2014. Damit werden dem EuGH folgende Fragen vorgelegt:
1
HWK/Molkenbur, KSchG § 17 Rz. 14; APS/Moll, KSchG § 17 Rz. 35.
147
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Sofern befristet beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge infolge des regulären Ablaufs der vereinbarten Vertragsdauer enden, nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/59 über Massenentlassungen nicht in deren Anwendungs- und Schutzbereich fallen (Vorlagefrage in der anhängigen Rechtssache C-392/13), entspricht es dann dem Zweck der Richtlinie, das – umgekehrt – diese Beendigungen bei der Bestimmung der Zahl der „in der Regel“ in der Betriebsstätte (oder in Spanien: im Unternehmen) beschäftigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, wenn es um die Berechnung der numerischen Schwelle der Massenentlassung (10 % oder 30 Arbeitnehmer) nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie geht?
2.
Das Gebot der „Gleichstellung“ von „Beendigungen des Arbeitsvertrags“ mit „Entlassungen“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 der Richtlinie 98/59 steht unter dem Vorbehalt „sofern die Zahl der Entlassungen mindestens 5 beträgt“. Ist dieser Vorbehalt in dem Sinne auszulegen, dass er sich auf die „Entlassungen“ bezieht, die vom Arbeitgeber nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zuvor vorgenommen oder veranlasst wurden, und nicht etwa auf die Anzahl der „gleichzustellenden Vertragsbeendigungen“, die mindestens vorhanden sein müssen, damit das Gleichstellungsgebot greift?
3.
Umfasst der Begriff „Beendigungen des Arbeitsvertrags, die auf Veranlassung des Arbeitgebers oder aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, erfolgen“, der im letzten Unterabsatz des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 definiert ist, auch eine zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer einvernehmlich erfolgte Vertragsbeendigung, die, obwohl sie auf Verlangen des Arbeitnehmers zustande kommt, eine Reaktion auf eine vorher vorgenommene Änderung von Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber infolge einer Unternehmenskrise darstellt und schließlich mit einer Summe entschädigt wird, deren Höhe der Entschädigung für eine unstatthafte Kündigung entspricht?
Hintergrund der ersten Frage des spanischen Arbeitsgerichts ist der Umstand, dass durch die Einbeziehung der befristet beschäftigten Arbeitnehmer in die Zahl der „in der Regel“ im Betrieb/Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer eine größere Zahl von Entlassungen vorliegen muss, um die Schwellenwerte einer Massenentlassung zu erreichen. Dies gilt selbst dann, wenn man – entsprechend § 21 Abs. 7 BEEG – befristet beschäftigte Arbeit148
Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Kündigung
nehmer generell unberücksichtigt lässt, wenn sie zum Zwecke der Vertretung eines vorübergehend ausgefallenen Arbeitnehmers auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt werden. Denn es verbleiben noch eine Reihe weiterer Arbeitnehmer, die einen befristeten Arbeitsvertrag haben, typischerweise allerdings bei der Zahl der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer Berücksichtigung finden. Ein Indiz, in welche Richtung der EuGH entscheiden könnte, ist nicht erkennbar. Der betrieblichen Praxis sei empfohlen, vorsorglich bei der Feststellung des Vorliegens einer Massenentlassung auch Berechnungen vorzunehmen, die befristet beschäftigte Arbeitnehmer bei der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer generell unberücksichtigt lassen. Werden bei dieser Vorgehensweise als Konsequenz der innerhalb des 30-TagesZeitraums geplanten Entlassungen die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschritten, empfiehlt es sich, eine Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 2 BetrVG und eine Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit gemäß § 17 Abs. 3 KSchG vorzunehmen. Dies vermeidet eine Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen, die eine Missachtung der Handlungsvorgaben aus § 17 KSchG zur Folge hätte. (Ga)
2.
Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Kündigung
Gerade bei Führungskräften werden häufig im Arbeitsvertrag vom Gesetz abweichende Kündigungsfristen vereinbart. In der Regel werden diese nicht mit einer Kündigung zum Monatsende, sondern mit einer Kündigung zum Quartalsende oder dem Halbjahres- oder Jahresende verknüpft. Während zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses keine Zweifel bestehen, dass darin eine Besserstellung des Arbeitnehmers zu sehen ist, kann sich das Ergebnis dieses Vergleichs mit zunehmender Betriebszugehörigkeitsdauer verändern. Da von den gesetzlichen Kündigungsfristen gemäß § 622 Abs. 4 BGB grundsätzlich nur durch Tarifvertrag oder durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag abgewichen werden kann, setzt die Wirksamkeit entsprechender Vereinbarungen voraus, dass darin auch zum Zeitpunkt einer späteren Kündigung noch eine den Arbeitnehmer begünstigende Regelung zu sehen ist. Einzelvertraglich darf nur unter den in § 622 Abs. 5 BGB genannten Voraussetzungen von der gesetzlichen Fristenregelung in § 622 Abs. 2 BGB abgewichen werden.
149
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
In Literatur und Rechtsprechung war bislang umstritten, wie der hierfür erforderliche Günstigkeitsvergleich durchgeführt werden soll. Ein Teil der Literatur hatte – an Überlegungen des BAG im Urteil vom 4.7.2001 2 anknüpfend – die Ansicht vertreten, dass sich die Günstigkeit danach bestimme, welche der Regelungen während der meisten Zeit des Kalenderjahres zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe 3. Ein anderer Teil der Literatur hatte darauf abgestellt, welche der Regelungen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu einer für den Arbeitnehmer günstigeren (späteren) Beendigung führe 4. Mit Urteil vom 29.1.2015 5 hat das BAG beide Auffassungen abgelehnt. Nach seiner Auffassung kommt es nicht darauf an, ob die vertragliche oder die gesetzliche Regelung im konkreten Fall einer streitgegenständlichen Kündigung zu einer späteren Vertragsbeendigung führe. Vielmehr sei die vertragliche Regelung abstrakt auf ihre Vereinbarkeit mit § 622 Abs. 5 BGB zu überprüfen. Dabei sind die einzelvertragliche Vereinbarung einer bestimmten Kündigungsfrist und eines bestimmten Kündigungstermins in der Regel als Einheit zu behandeln. Es kommt also zu einem Gesamtvergleich. Dabei ist die einzelvertragliche Abrede aus Sicht des BAG nur dann günstiger als die gesetzliche Vorgabe, wenn sie in jedem Fall (immer) zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Nach § 622 Abs. 5 S. 3 BGB müssten einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen „länger“ und nicht „meistens länger“ sein. In dem konkreten Fall hatte der Arbeitgeber am 19.12. mit der vertraglichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Halbjahresende zum 30.6. des Folgejahres gekündigt. Da das Arbeitsverhältnis allerdings mehr als zwanzig Jahre bestanden hatte, ist das BAG von einer Unwirksamkeit der einzelvertraglichen Regelung ausgegangen. Denn die Frist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats, wie sie durch § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB bestimmt wird, führte schon im konkreten Fall zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses (31.7.). Offen gelassen hat das BAG, ob eine einzelvertragliche Kündigungsfrist erst dann hinter die gesetzliche Regelung zurücktritt, wenn sie sich – als Folge einer längeren Betriebszugehörigkeit – unter Berücksichtigung weiterer Stufen des § 622 Abs. 2 BGB als ungünstiger erweise. Der 2.Senat des BAG scheint allerdings zu Recht dazu zu neigen, insoweit auf den zeitlichen Zu2 3 4 5
150
2 AZR 469/00, NZA 2002, 380 Rz. 20. So Diller, NZA 2000, 293, 296. So KDZ/Zwanziger, BGB § 622 Rz. 50. 2 AZR 280/14 n. v. (Rz. 15 ff.).
Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Kündigung
sammenhang der Kündigung abzustellen. Denn die zeitlich begrenzte Schutzfunktion einer Kündigungsfrist aktualisiere sich erst bei Ausspruch einer – wirksamen – Kündigung. Insofern wird man in der betrieblichen Praxis wohl immer dann einen erneuten Günstigkeitsvergleich vornehmen müssen, wenn das Arbeitsverhältnis eine weitere Stufe des § 622 Abs. 2 BGB erreicht. Dafür spricht aus Sicht des BAG, dass es sich bei den einzelnen Stufen des Gesetzes um jeweils selbständige Bestimmungen handeln dürfte. Für einen solchen Anwendungsvorrang streite auch, dass bei dem gesetzlich ausdrücklich normierten Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG – erst – auf den Zeitpunkt der Kollision mit der betreffenden Tarifnorm abzustellen sein solle 6. Nicht unerhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat auch der Umstand, dass das BAG in seinem Urteil vom 29.1.2015 7 als Folge der Anwendung einer falschen Kündigungsfrist nicht von der Unwirksamkeit der Kündigung ausgegangen ist. Insbesondere hat das BAG nicht angenommen, dass insoweit eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist vorliege, die mangels Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 626 Abs. 1 BGB) unwirksam sei. Vielmehr könne die Kündigung in eine Kündigung zum 31.7.2013 umgedeutet werden (§ 140 BGB). Etwas anderes will das BAG offenbar nur annehmen, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Arbeitgeber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich zu dem im Kündigungsschreiben genannten Termin gewollt hätte. Wenn der Arbeitgeber überzeugt sei, er habe mit zutreffender Frist gekündigt, hindere dies indes nicht die Annahme, er hätte bei Kenntnis der objektiven Fehlerhaftigkeit der seiner Kündigung beigelegten Frist das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen, sondern zum nächst zulässigen Termin beenden wollen 8. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Damit eine solche Auslegung auch nicht zu einem falschen Ergebnis führt, empfiehlt es sich in der betrieblichen Praxis allerdings gleichwohl, im Kündigungsschreiben nicht nur von einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu sprechen. Vielmehr sollte die Kündigung zu einem bestimmten Termin mit dem Zusatz verknüpft werden, dass hilfsweise zum nächst zulässigen Termin gekündigt werde. Diese Absicht sollte, auch um Zweifel an einer ordnungsgemäßen
6 7 8
BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 280/14 n. v. (Rz. 17); BAG v. 25.11.1970 – 4 AZR 534/69 n. v.; Persch, BB 2010, 181, 184 f. 2 AZR 280/14 n. v. (Rz. 23 ff.). Vgl. BAG v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, NZA 2010, 1409 Rz. 29.
151
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Betriebsratsanhörung auszuräumen, auch im Rahmen der Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG angekündigt werden. (Ga)
3.
Konsequenzen des fehlenden betrieblichen Eingliederungsmanagements für die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
In seinem Urteil vom 20.11.2014 9 hat sich der 2. Senat des BAG nicht nur mit den allgemeinen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung im Zusammenhang mit häufigen Kurzerkrankungen befasst. Im Mittelpunkt seiner Entscheidung stehen für die Betriebspraxis außerordentlich wichtige Feststellungen zu den prozessualen Folgen des Unterlassens eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX.
a)
Sachverhalt der Entscheidung des BAG
In dem zugrunde liegenden Fall ging es um die Kündigung des Klägers, der seit 1991 bei der Beklagten als Maschinenführer tätig war. Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses war er wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. So war er 2006 ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. 2008 war er an 69 Tagen, 2009 an 74 Tagen, 2010 an 62 Tagen und 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahre 2008 und 21 Fehltage im Jahre 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahre 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden, wegen dessen sich der Kläger am 28.3.2011 einer Operation unterzogen hatte. Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit. Insgesamt war der Kläger damit an 161 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür hatte die Beklagte an 803 Tagen Entgeltfortzahlung geleistet. Die Beklagte veranlasste im Jahr 2004, dass sich der Kläger beim arbeitsmedizinischen Dienst vorstellte. Weitere Begutachtungen folgten Ende 2009 / Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Außerdem wurde berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz
9
2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 15 ff.).
152
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
stehen könnten. Die Berufsgenossenschaft teilte der Beklagten im September 2010 mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen. Gerade weil diese Prognosen nicht erkennen ließen, dass sich krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten durch eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes vermeiden ließen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 29.11.2011 ordentlich zum 30.6.2012. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Er machte geltend, dass die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten – soweit nicht auf Arbeitsunfälle oder Hüftbeschwerden beruhend – im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen seien. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Denn mit dem Auftreten der Allergie sei angesichts der durch die Berufsgenossenschaft empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei erfolgreich therapiert und die Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Darüber hinaus sei die Kündigung unverhältnismäßig, denn die Beklagte habe kein bEM durchgeführt und könne sich deshalb nicht darauf berufen, dass keine alternativen Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten bestanden hätten. Dies belege auch eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe.
b)
Allgemeine Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung wegen Kurzerkrankungen
Der 2. Senat des BAG hat der Klage im Urteil vom 20.11.2014 10 stattgegeben. Ausgangspunkt war dabei zunächst einmal ein Hinweis auf die allgemeinen Voraussetzungen einer sozialen Rechtfertigung von krankheitsbedingten Kündigungen, die wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen ausgesprochen würden. Hier sei in einer ersten Stufe zunächst einmal eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Dazu müssten im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten ließen. Auf einer zweiten Stufe müssten die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der be-
10 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 15 ff.).
153
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
trieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigungen könnten sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen im Kalenderjahr überstiegen. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt seien, müsse im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung als dritte Stufe geprüft werden, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssten 11. In Bezug auf den hier in Rede stehenden Fall hat das BAG zunächst einmal angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die beiden ersten Stufen der Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung erfüllt waren. Bei der Darlegung der ersten Stufe dürfe sich der Arbeitgeber zunächst einmal darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Es obliege dann dem Arbeitnehmer, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb trotz dieser Fehlzeiten in der Vergangenheit im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen gewesen sei. Dieser prozessualen Mitwirkungspflicht genüge er, wenn er vortrage, dass die behandelnden Ärzte seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt hätten und diese von der Schweigepflicht entbinde 12. Den hierfür erforderlichen Vortrag hatte der Arbeitgeber geleistet. Denn die Beklagte hatte die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten – den Angaben des Klägers zufolge – auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten, stand der negativen Zukunftsprognose nach Auffassung des BAG nicht entgegen. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden seien, könnten sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauere. Dies gelte auch dann, wenn einzelne Erkrankungen – etwa Erkältungen – ausgeheilt seien. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stelle die generelle Anfälligkeit nicht in Frage. Anders verhalte es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhten. Sie ließen eine Prognose für die künftige Entwicklung ebenso wenig zu, wie Erkrankungen,
11 So bereits BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398 Rz. 15; BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, NZA 2008, 302 Rz. 15. 12 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 17); BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655 Rz. 24.
154
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (z. B. eine Operation) ergriffen worden seien 13.
c)
BEM als Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung
Berechtigterweise ist das BAG auf der Grundlage dieser negativen Zukunftsprognose davon ausgegangen, dass aus Sicht des Arbeitgebers zu befürchten war, dass angesichts dieser Fehlzeiten zukünftig weiterhin kalenderjährlich mindestens sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten waren. Nach Auffassung des BAG war die Kündigung jedoch nicht als „ultima ratio“ zu qualifizieren und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte habe – so das BAG – das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken 14. Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist – so das BAG – unverhältnismäßig und damit unwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Hiervon ausgehend sei eine Kündigung nicht durch Krankheit „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gebe. Mildere Mittel könnten insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus könne sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen 15. Trotz dieses materiell-rechtlichen Erfordernisses genügt der Arbeitgeber grundsätzlich seiner prozessualen Darlegungs- und Beweislast, wenn er behauptet, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst nach den Feststellungen des BAG den Vortrag, Möglichkeiten zu einer leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Es obliegt sodann dem Arbeitnehmer, substantiiert vorzutragen, in welcher Weise und an welcher Stelle er auch 13 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 17 ff.), 20; BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655 Rz. 26. 14 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 23 ff.). 15 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 24); BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12, NJW 2014, 2219 Rz. 29; BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041 Rz. 24.
155
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
unter Berücksichtigung der körperlichen Einschränkungen eine leidensgerechte Beschäftigung für möglich hält. Dieser Darlegungslast hatte der Kläger in dem der aktuellen Entscheidung zugrundeliegenden Fall an sich nicht Rechnung getragen. Unter Berücksichtigung früherer Feststellungen zur Bedeutung des bEM 16 hat der 2. Senat des BAG im Urteil vom 20.11.2014 17 allerdings deutlich gemacht, dass die Beklagte als Konsequenz des unterlassenen bEM eine deutlich weitergehende Darlegungslast traf. Ihr oblag es nämlich, substantiiert darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass keine Möglichkeiten bestanden hatten, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden. Ausgangspunkt war dabei die Erkenntnis, dass die Beklagte nach § 84 Abs. 2 SGB IX im Vorfeld der Kündigung verpflichtet gewesen war, ein bEM vorzunehmen. Denn der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dass es sich dabei um häufige Kurzerkrankungen handelte, stand dieser Verpflichtung nicht entgegen 18. Dennoch aber hatte der Arbeitgeber auf die Durchführung des bEM verzichtet. Denn auch die Einbeziehung des arbeitsmedizinischen Dienstes und des Betriebsarztes konnte ein „regelkonformes bEM“ nicht ersetzen.
d)
Allgemeine Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen bEM
Nach den Feststellungen des BAG ist die Durchführung eines bEM auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibe weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM sei ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle. Trotz des insoweit bestehenden Gestaltungsspielraums lassen sich aber aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Diese werden durch den 2. Senat des BAG so ausführlich dargestellt, dass der betrieblichen Praxis empfohlen ist, die eigene Handhabe daran ohne Einschränkung auszurichten:
16 Vgl. nur BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398 Rz. 17 ff. 17 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 27 ff.). 18 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 28, 42).
156
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
• Zunächst einmal ist es Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen 19. • Bei der Durchführung muss der Arbeitgeber eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, insbesondere den Betriebsrat, hinzuziehen, sofern der Arbeitnehmer hierzu sein Einverständnis erklärt 20. Insoweit übernimmt das BAG also die bisherigen Feststellungen des BVerwG, das dem Arbeitnehmer die Befugnis zugestanden hatte, die Teilnahme von Arbeitnehmervertretern an den Gesprächen im Rahmen des bEM abzulehnen. Nicht erforderlich ist hingegen die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands 21 • Vor der Aufnahme der Gespräche im Rahmen des bEM obliegt es dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer die Ziele dieses Verfahrens deutlich zu machen. Dabei genügt es nicht, auf die Vorschriften in § 84 Abs. 2 S. 1 AGB IX hinzuweisen. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Vielmehr verlangt das BAG, dass dem Arbeitnehmer gegenüber deutlich gemacht wird, dass es bei der Durchführung des Eingliederungsmanagements um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung gehe und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden solle, in das auch er Vorschläge einbringen könne 22. • Ergänzend hierzu ist ein Hinweis zu Art und Umfang der im Rahmen des Eingliederungsmanagements erhobenen Daten erforderlich. Dabei ist durch den Arbeitgeber klarzustellen, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitgeber müsse – so das BAG – mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten i. S. d. § 3 Abs. 9 BDSG – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht würden. Nur bei
19 BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, NZA 2011, 993 Rz. 23; BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, NZA 2012, 744 Rz. 9. 20 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 31); BVerwG v. 23.6.2010 – 6 P 8/09, NZA-RR 2010, 554 Rz. 55. 21 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 18.12.2014 – 5 Sa 518/14, NZA-RR 2015, 262. 22 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 32); BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, BB 2012, 2310 Rz. 19.
157
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
entsprechender Unterrichtung könne vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein 23.
Soweit die in der Praxis bestehenden Regelungen, insbesondere solche in Form einer Betriebsvereinbarung, diesen Vorgaben nicht umfassend Rechnung tragen, ist eine Anpassung vorzunehmen.
e)
Betriebsärztliche Untersuchung als bEM-Ersatz?
In überzeugender Weise geht der 2. Senat des BAG davon aus, dass die betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers keinen Ersatz für das nach § 84 Abs. 2 SGB IX erforderliche bEM darstellen. Der Betriebsarzt werde in § 84 Abs. 2 S. 2 SGB IX zwar als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen werde. Dies entspreche der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§§ 1 S. 2, 3 Abs. 1 S. 1 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstandes stehe einem bEM „als ganzem“ aber nicht gleich 24. Da die hier in Rede stehenden Gespräche ohnehin nicht den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX genügten, konnte das BAG auch offenlassen, ob der Arbeitgeber die Durchführung des bEM auch dem Betriebsarzt übertragen kann. Ebenso blieb offen, ob der Umstand, dass der Kläger im Anschluss an die letzte Untersuchung durch den Betriebsarzt erneut innerhalb von weiteren zwölf Monaten mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt war, die Obliegenheit für den Arbeitgeber begründete, ein erneutes bEM durchzuführen.
f)
Konsequenzen des fehlenden bEM für die prozessuale Darlegungs- und Beweislast
Obwohl das BAG den folgenden Ausführungen den Grundsatz voranstellt, dass die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung sei, haben die weitergehenden Ausführungen zum bEM als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Folge, dass in der Praxis eine Kündigung ohne bEM für den Fall einer prozessualen Auseinandersetzung kaum mit Erfolg begründet werden kann 25. Dabei hält der 2. Senat des BAG zwei Varianten für denkbar. Zunächst einmal sei möglich, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall dürfte dem Ar-
23 24 25
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BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 32); LPK/Düwell, SGB IX § 84 Rz. 62. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 35). Vgl. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 37 ff.).
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
beitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er auf das bEM verzichtet habe. Wolle sich der Arbeitgeber hierauf berufen, habe er aber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu müsse er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können; d. h. warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten 26. In der Praxis dürfte es außerordentlich schwer werden, die völlige Nutzlosigkeit eines bEM darzulegen. Vielmehr dürfte es – was der 2. Senat des BAG als weitere Variante für möglich hält – wahrscheinlicher sein, dass es jedenfalls denkbar erscheint, dass durch ein bEM ein positives Ergebnis erreicht worden wäre, dass also das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten Erfolg gehabt hätte. In diesem Fall müsse sich – so das BAG – der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt. Von dieser Variante ist das BAG in dem seiner Entscheidung vom 20.11.2014 27 zugrunde liegenden Fall ausgegangen. Denn dem Vorbringen der Beklagten sei nicht zu entnehmen gewesen, dass einem künftigen Auftreten erhebliche, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger während der prozessualen Auseinandersetzung im Rahmen einer Prozessbeschäftigung keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hatte. Denn diese hatte er damit begründet, selbst ein „effektiveres Gesundheitsmanagement“ betrieben zu haben. Auch die Feststellungen des arbeitsmedizinischen Dienstes bzw. des Betriebsarztes würden – so das BAG – eine solche Einflussnahme innerbetrieblicher Maßnahmen nicht vollständig ausschließen. Denn diese Untersuchungen seien nicht mit der Zielsetzung des § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt worden. Darüber hinaus hält es das BAG nicht für ausgeschlossen, dass bei der Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarf in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können. Insoweit müsse berücksichtigt wer26 27
BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/ n. v. (Rz. 39); BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12, NJW 2014, 2219 Rz. 34; BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, NZA 2011, 993 Rz. 25. 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 43 ff.).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
den, dass das bEM den Beteiligten jeden denkbaren Spielraum eröffne. Dabei sollte auch medizinischer Rehabilitationsbedarf frühzeitig, ggf. präventiv, erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kämen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, habe der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 S. 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirkten daraufhin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX erbracht würden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kämen dabei – neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung – insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i. S. d. § 26 SGB IX in Betracht. Zu diesen gehört auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“. Dass die Beklagte auch solche Möglichkeiten bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hatte, ließ sich dem Vortrag nicht entnehmen. Dass Maßnahmen der Rehabilitation die Einbindung des Arbeitnehmers bedingen, steht ihrer Berücksichtigung als milderes Mittel nach den Feststellungen des BAG nicht entgegen. Ggf. müsse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistungen setzen. Eine Kündigung könne er dann erst wirksam erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen sei 28. Für das BAG bedeuten die vorstehenden Feststellungen nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention – etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers – von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen seien. Es reiche aus, wenn er darlege, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange „lediglich“ die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar seien. Zumutbar wiederum sei nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert sei. Auch müsse deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides treffe auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienten, typischerweise zu. Solche 28
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BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 49); BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398 Rz. 29.
Neues zur außerordentlichen Verdachtskündigung
Maßnahmen müsse der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Habe er ein bEM unterlassen, müsse er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit darlegen und ggf. beweisen. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger – und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention – gelte dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit brauche der Arbeitgeber nicht darzutun 29.
g)
Fazit
Die Entscheidung stellt eine konsequente Umsetzung der aus § 84 Abs. 2 SGB IX folgenden Verpflichtungen in Bezug auf die Rechtfertigung krankheitsbedingter Kündigungen dar. Die betriebliche Praxis sollte sie zum Anlass nehmen, ohne Einschränkung das bEM durchzuführen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt krankheitsbedingte Kündigungen zu rechtfertigen. Vielmehr wird damit auch die Chance eröffnet, durch eine präventive Maßnahme zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeiten zu vermeiden. Wird dies leichtfertig außer Acht gelassen, kann nach den Feststellungen des BAG in der hier behandelten Entscheidung vom 20.11.2014 30 indes davon ausgegangen werden, dass eine erfolgreiche Durchführung des Kündigungsschutzverfahrens für den Arbeitgeber kaum denkbar ist. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass die Gründe für eine Rechtfertigung der Kündigung, die prozessual dargelegt und ggf. bewiesen werden müssen, bereits im Vorfeld Gegenstand der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG sein müssen. (Ga)
4.
Neues zur außerordentlichen Verdachtskündigung
In den beiden Urteilen vom 23.10.2014 31 und vom 12.2.1015 32 hat sich das BAG noch einmal mit verschiedenen Fragen zur außerordentlichen Verdachtskündigung befasst. Grundsätzlich erkennt das BAG danach die Möglichkeit an, die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ebenso wie die eines Berufsausbildungsverhältnisses nicht nur mit dem Vorwurf zu rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer bzw. Auszubildende tatsächlich in besonders schwerer Weise
29 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 n. v. (Rz. 50). 30 2 AZR 755/1 n. v. 31 2 AZR 644/13, NZA 2015, 761. 32 6 AZR 845/13 n. v.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
vertragliche Pflichten verletzt habe. In beiden Fällen kann die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB auch damit begründet werden, dass der durch Tatsachen begründete dringende Verdacht bestehe, dass eine schwerwiegende Pflichtverletzung gegeben sei. Voraussetzung ist freilich, dass der Arbeitgeber zur vollen Überzeugung des Gerichts die Tatsachen darlegen und ggf. beweisen kann, die Grundlage des Verdachts sind. Nach den Feststellungen des BAG im Urteil vom 23.10.2014 33 sind in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten Tatsachen von Bedeutung. Vielmehr seien auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken 34. Dies gelte zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorgelegen haben. Vor diesem Hintergrund ist der Arbeitgeber berechtigt, verdachtserhärtende Tatsachen in den Prozess einzuführen, die ihm erst nachträglich bekannt geworden sind. In gleicher Weise hat der Arbeitnehmer das Recht, Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen, die den durch den Arbeitgeber erhobenen Verdacht entkräften. Schließlich muss bei einer Verdachtskündigung– so das BAG – der Besonderheit Rechnung getragen werden, dass für sie nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zu Tage getreten seien, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber nur nachzuweisen, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestanden habe. Das würde aber der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht gerecht 35. Selbst Umstände, die auch objektiv erst nachträglich eingetreten seien, könnten für die gerichtliche Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ausnahmsweise von Bedeutung sein, falls sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt hätten, in einem neuen Licht erscheinen ließen. Dazu müssten zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen indes so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden könnten, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Bedeutung
33 2 AZR 644/13, NZA 2015, 761 Rz. 21 f. 34 BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 102/12, NZA 2013, 1416 Rz. 25. 35 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 206/11, NZA 2013, 137 Rz. 42; BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 587/08, NZA-RR 2011, 15 Rz. 28.
162
Neues zur außerordentlichen Verdachtskündigung
könnte dies – so das BAG – gerade für die Würdigung von verdachtsbegründenden Indiztatsachen sein 36. Ohne Rücksicht auf die vermeintliche Eindeutigkeit etwaiger Verdachtsmomente setzt die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung indes voraus, dass der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung hierzu angehört wurde. Datenschutzrechtliche Bedenken bestehen in Bezug auf diese Anhörung nicht, selbst wenn dabei keine schriftliche Dokumentation des Zwecks der damit verbundenen Datenerhebung erfolgt. Davon geht das BAG auch in seinem Urteil vom 12.2.2015 37 aus, mit dem es eine Verdachtskündigung grundsätzlich auch im Rahmen des Berufsausbildungsverhältnisses gebilligt hat. Ein Teil der Literatur hatte diese Möglichkeit wegen der besonderen Rechtsnatur und Zielsetzung des Beschäftigungsverhältnisses abgelehnt. Allerdings sei der engen Bindung der Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung im Einzelfall Rechnung zu tragen. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat es der 6. Senat des BAG indes nicht für erforderlich gehalten, dass dem Arbeitnehmer vor der Anhörung das Gesprächsthema mitgeteilt und er auf die mögliche Kontaktierung einer Vertrauensperson hingewiesen wird. Dieser Feststellungen im Rahmen der Pressemitteilung wird man allerdings keine verallgemeinernde Bedeutung zumessen können. Denn in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um den Vorwurf, dass ein Kassenfehlbestand in Höhe von 500 € festgestellt wurde, nachdem ein Auszubildender das in dem Nachttresor – Kassetten der auszubildenden Bank – befindliche Geld gezählt hatte. Der Kläger war im Rahmen eines Personalgesprächs, das ohne Hinweis auf diesen Gegenstand anberaumt worden war, auf den Fehlbetrag angesprochen worden und hatte – ohne dass die Beklagte zuvor eine bestimmte Differenz genannt hatte – von sich aus die 500 Euro als Summe genannt. Für das BAG genügte diese „Offenbarung von Täterwissen“, um mit großer Wahrscheinlichkeit von einer schwerwiegenden Pflichtverletzung durch ein Vermögensdelikt zu Lasten der Beklagten auszugehen. Auch die Anhörung war aus Sicht des BAG ordnungsgemäß durchgeführt worden. Durch die Anhörung soll der Ausbildende vor voreiligen Entscheidungen bewahrt und der Gefahr begegnet werden, dass ein Unschuldiger
36 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429 Rz. 22; BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 53. 37 6 AZR 845/13 n. v. (Rz. 36 ff., 41 ff., 68 ff.).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
von der Kündigung betroffen ist. Der Umfang der Nachforschungspflichten und damit auch der Ausgestaltung der Anhörung richtet sich – so das BAG – nach den Umständen des Einzelfalls. In allen Fällen müsse sich die Anhörung auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Auszubildende müsse die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten und den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Ausbildenden im Dunkeln liegende Geschehnisse beizutragen 38. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Anhörung muss der Ausbildende nach den Feststellungen des BAG indes auf die typischerweise bestehende Unerfahrenheit des Auszubildenden und die daraus resultierende Gefahr einer Überforderung Rücksicht nehmen. Dies betrifft auch die Situation eines solchen Gesprächs, wobei immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. In diesem Zusammenhang hat es das BAG vorliegend nicht für erforderlich gehalten, den Auszubildenden vor Durchführung der Anhörung über das beabsichtigte Gesprächsthema zu unterrichten. Ein solches Gebot folge auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Für eine Bekanntgabe des Gesprächsinhalts vor der Anhörung spreche zwar, dass dies dem Arbeitnehmer oder Auszubildenden eine inhaltliche und „mentale“ Vorbereitung auf das Gespräch ermögliche. Der Betroffene werde in die Lage versetzt, schon im Vorfeld zu entscheiden, ob er sich einlassen wolle oder nicht. Bei umfangreichen und komplexen Sachverhalten ermögliche die entsprechende Vorbereitung auch erst eine substantiierte Einlassung in der Anhörung. Außerdem könne der Arbeitnehmer oder Auszubildende die vorherige Unterrichtung zum Anlass nehmen, den Betriebsrat, die Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einen Rechtsanwalt mit dem Ziel einer Unterstützung anzusprechen 39. Das BAG hält dies schlussendlich aber nicht für ausreichend. Denn in den Fällen des begründeten Verdachts besteht nicht nur die Gefahr einer Verdunkelung der Tat, der nicht immer mit den Mitteln der Beweissicherung entgegnet werden könne. Hinzu komme, dass die vorangehende Unterrichtung dem Arbeitnehmer oder Auszubildenden die Möglichkeit nehme, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicher-
38 Vgl. BAG v 12.2.2015 – 6 AZR 845/13 n. v. (Rz. 56); BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 206/11, NZA 2013, 137 Rz. 33. 39 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 30.3.2012 – 10 Sa 2272/11 n. v. (Rz. 75); Eylert, NZA-RR 2014, 393, 402; Fischer, BB 2003, 522, 523; Lücke, BB 1998, 2259, 2261.
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Neues zur außerordentlichen Verdachtskündigung
weise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen 40. Diese Bewertung erscheint – soweit Verdunkelungsgefahr besteht – zwar gerechtfertigt. Allerdings ist dem Arbeitnehmer bzw. Auszubildenden dann nach einer Konfrontation mit den Verdachtsmomenten eine im Einzelfall angemessene Frist zur Bewertung und Stellungnahme einzuräumen, innerhalb derer er eine sachgerechte Auseinandersetzung mit und ggf. auch Recherche über den Sachverhalt vornehmen kann, damit die verdachtsbegründenden Momente ausgeräumt werden können. Auch das BAG lehnt eine Pflicht zur vorherigen Mitteilung des Gesprächsthemas nicht generell ab. So könne eine erkennbare Überforderung des Auszubildenden durch die Situation oder die Komplexität des Sachverhalts den Ausbilder verpflichten, die Anhörung abzubrechen und eine erneute Anhörung anzuberufen, wenn der Auszubildende grundsätzlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verdachtsmomenten bereit ist. Dafür müsse auch eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Vorbereitungszeit von angemessener Dauer eingeräumt werden 41. Das Erfordernis einer Unterbrechung sei auch geboten, wenn der Auszubildende die Beratung mit einer Vertrauensperson verlange. Der Ausbildende sei indes nicht verpflichtet, ihn auf die Möglichkeit der Kontaktierung eines Rechtsanwalts hinzuweisen 42. Für die Richtigkeit dieser Feststellungen im konkret zur Entscheidung anstehenden Fall sprach der Umstand, dass eine Antwort auf die Frage des Arbeitgebers nach den denkbaren Ursachen eines Kassenfehlbestands ohne weitere Vorbereitung möglich war. Jedenfalls kann eine Antwort auf die Frage, wie es zu einem Fehlbestand kommen konnte, auch dann ohne weiteres gegeben werden, wenn das Gespräch – wie hier – mehr als einen Monat später durchgeführt wird. Etwas anderes wird man in solchen Fällen annehmen müssen, die behauptete Pflichtverletzungen betreffen, die schon einen längeren Zeitraum zurückliegen. Das gleiche gilt dann, wenn komplexe Sachverhalte in Rede stehen. Hier kann der Zweck einer Anhörung nur erfüllt werden, wenn dem Arbeitnehmer durch eine entsprechende Ankündigung des Gesprächsthemas die 40 So BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13 n. v. (Rz. 61 f.); Lembke, RdA 2013, 82, 88; Dzida/NZA 2013, 412, 415; abl. Lange/Vogel, DB 2010, 1066, 1069. 41 So BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13 n. v. (Rz. 62); GK-KR/Fischermeier, BGB § 626 Rz. 230. 42 So BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13 n. v. (Rz. 62); Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2205; Lembke, RdA 2013, 82, 89.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Möglichkeit verschafft wird, sich auch inhaltlich vorzubereiten. Eine nur spontane Möglichkeit der Äußerung zu entsprechenden Vorwürfen wäre mit der Gefahr verbunden, dass auch entlastende Tatsachen keine Berücksichtigung finden und „Unschuldige“ Opfer einer außerordentlichen Kündigung werden. (Ga)
5.
Konkurrenztätigkeit nach außerordentlicher Kündigung
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer frei, seine Kenntnisse und Fähigkeiten auch im Rahmen einer Konkurrenztätigkeit zum früheren Arbeitgeber zu entfalten. Eine Schranke bilden allein die Vorgaben zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 17 UWG) und das Verbot einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB). Will der Arbeitgeber dies verhindern, muss unter Berücksichtigung der in §§ 74 ff. HGB getroffenen Vorgaben ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beendet werden sollte und diese Kündigung unwirksam ist. Denn das fortbestehende Arbeitsverhältnis hat neben sonstigen Rechten und Pflichten zur Folge, dass auch keine Konkurrenztätigkeit zum Arbeitgeber entfaltet werden darf. Andernfalls verletzt der Arbeitnehmer seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB. Darauf hat das BAG im Urteil vom 23.10.2014 43 hingewiesen. Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses sei einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt. § 60 HGB, der dies für Handlungsgehilfen bestimmt, normiert insoweit einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber – so das BAG – solle vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer dürfe im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten. Hierzu gehöre nicht nur eine Konkurrenztätigkeit im eigenen Namen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers verpflichte den Arbeitnehmer analog § 60 HGB auch, keinen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unterstützen 44. Während die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit (z. B. durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden) damit wäh-
43 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429 Rz. 27 ff. 44 So bereits BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 1008/08, DB 2010, 1709 Rz. 22.
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Konkurrenztätigkeit nach außerordentlicher Kündigung
rend des bestehenden Arbeitsverhältnisses verboten ist, sind Vorbereitungshandlungen während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses zulässig. Diese Maßnahmen können der Gründung eines eigenen Unternehmens oder dem Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen dienen 45. Diese Grundsätze kommen auch bei einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung zum Tragen, wenn der Arbeitnehmer dagegen Kündigungsschutzklage erhebt. Stellt sich die Kündigung später als unwirksam heraus, folgt daraus auch, dass nach Ausspruch der Kündigung keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt werden durfte. Dies gilt nach Maßgabe des BAG unabhängig davon, ob eine Karenzentschädigung angeboten oder er vorläufig weiterbeschäftigt werde. Seine Obliegenheit aus § 615 S. 2 BGB, nicht böswillig anderweitigen Erwerb zu unterlassen, rechtfertige es nicht, eine Konkurrenztätigkeit im Geschäftsbereich des Arbeitgebers aufzunehmen 46. Verstößt der Arbeitnehmer gegen das vertragliche Konkurrenzverbot, kann dies – so das BAG – eine außerordentliche (fristlose) Kündigung durch den Arbeitgeber zur Folge haben. Denn dabei handele es sich in der Regel um eine erhebliche Pflichtverletzung 47. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer entsprechenden Kündigung ist allerdings, dass im Rahmen der nach § 626 Abs. 1 BGB gebotenen Interessenabwägung angenommen werden muss, dass dem Arbeitgeber eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts dieser Pflichtverletzung nicht zumutbar ist. Gegen eine Kündigung spricht nach Auffassung des 2. Senats des BAG, wenn die Wettbewerbstätigkeit erst durch die frühere – unwirksame – Kündigung ausgelöst wurde, wenn der Wettbewerb nicht auf eine dauerhafte Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber angelegt war und kein unmittelbarer Schaden, sondern allenfalls eine abstrakte Gefährdung der geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers gegeben ist. Diese Gesichtspunkte sind losgelöst von den Sozialdaten zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Im konkreten Fall genügten sie, um trotz mehrfacher Konkurrenztätigkeit im Anschluss an eine unwirksame außerordentliche Kündigung keine Berechtigung zur erneuten außerordentlichen Kündigung anzunehmen. (Ga)
45 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429 Rz. 28; BAG v. 26.6.2008 2 AZR 190/07, NZA 2008, 1415 Rz. 15. 46 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429 Rz. 29; BAG v. 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, NZA 1992, 212. 47 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, NZA 2014, 429 Rz. 27; BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 1008/08, DB 2010, 1709 Rz. 20.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
6.
Abmahnungserfordernis vor Kündigung trotz sexueller Belästigung
Gemäß § 3 Abs. 4 AGG liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Dabei wird auch eine einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweise erfasst. Im Gegensatz zu einer sonstigen Belästigung i. S. d. § 3 Abs. 3 AGG ist es nicht erforderlich, dass ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Ausreichend ist insoweit, wenn die Belästigung bewirkt wird. Dass „Bewirken“ einer sexuellen Belästigung setzt nicht voraus, dass vorsätzliches Verhalten gegeben ist. Ausreichend ist, dass die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar gewesen ist 48. Die Belästigung ist, wie andere Formen der Benachteiligung im Arbeitsverhältnis, verboten. Missachtet ein Arbeitnehmer das Verbot, so kann dies - abhängig von den Umständen des Einzelfalls – eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Darauf hat der 2. Senat des BAG im Urteil vom 20.11.2014 49 hingewiesen. Gleichzeitig hat das BAG indes deutlich gemacht, dass die Besonderheiten des Einzelfalls auch zur Folge haben können, dass vor Ausspruch einer Kündigung zunächst einmal eine vergebliche Abmahnung wegen eines gleichartigen Verhaltens ausgesprochen worden sein muss. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um die Kündigung des Klägers, der als Kfz-Mechaniker seit mehr als 15 Jahren bei der Beklagten beschäftigt war. Im Juli 2012 betrat er die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Dort traf er auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Diese unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger – während er sich Hände und Gesicht wusch – und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und
48 Vgl. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 17; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 Rz. 18. 49 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 15.
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Abmahnungserfordernis vor Kündigung trotz sexueller Belästigung
berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab, zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete zunächst weiter, schilderte den Vorfall indes später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat. Vier Tage später bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. In diesem Gespräch gestand er den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid, er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen. Die Beklagte kündigte allerdings noch am gleichen Tage das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Der Kläger selbst erhob nicht nur Kündigungsschutzklage. Er richtete im Anschluss an die Kündigung ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Unter Zahlung eines Schmerzensgeldes führte er darüber hinaus einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens verteidigte sich der Kläger u. a. damit, dass er – subjektiv unstreitig – den Eindruck gehabt habe, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. Die Beklagte hielt diese Form der Entschuldigung für unzureichend. Der Umstand, dass er durch seine Bemerkung und die anschließen de Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen habe, machten es ihr unzumutbar, das Arbeitsverhältnis nur einen einzigen weiteren Tag fortzusetzen. In Übereinstimmung mit dem LAG Düsseldorf hat das BAG in seinem Urteil vom 20.11.2014 50 zwar angenommen, dass in dem streitgegenständlichen Verhalten an sich ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 26 Abs. 1 BGB liegen könne. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls sei allerdings anzunehmen, dass die Beklagte eine vergleichbare Pflichtverletzung in der Zukunft auch durch eine Abmahnung verhindern könne, die als milderes Mittel gegenüber der Kündigung Vorrang besitze. Bereits die Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, stelle eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts dar, die als Belästigung i. S. d. § 3 Abs. 4 AGG qualifiziert werden müsse. Entsprechendes gelte für die anschließende Berührung, die als sexuell bestimmter Eingriff in die körperli-
50 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 14 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
che Intimsphäre von Frau M. bewertet werden müsse. Beide Verhaltensweisen waren objektiv unerwünscht. Dies war – so das BAG – für den Kläger auch erkennbar. Dabei spiele es keine Rolle, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben möge 51. Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen habe der Kläger daher die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt. Auch wenn darin an sich ein Grund für die außerordentliche Kündigung zu sehen sei, verlange § 626 Abs. 1 BGB aber, dass im Rahmen einer Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft werde, ob die Interessen des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen würden. Eine außerordentliche Kündigung komme – so das BAG – nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gebe, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten nicht zumutbar seien. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kämen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie seien dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet seien, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen 52. In seinen diesbezüglichen Feststellungen geht das BAG davon aus, dass das künftige Verhalten eines Arbeitnehmers grundsätzlich schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden könne, wenn die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers beruhe. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzten deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedürfe es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2, 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten stehe, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handele, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven
51 Vgl. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 18; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 Rz. 21 ff. 52 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 21; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, NZA 2011, 1342 Rz. 47.
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Abmahnungserfordernis vor Kündigung trotz sexueller Belästigung
Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen sei 53. Dies entspricht nach Auffassung des BAG auch den Regelungen in § 12 Abs. 3 AGG. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG geeignete, erforderliche und angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Welche Maßnahmen er insoweit als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen nur insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet i. S. der gesetzlichen Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, also eine Wiederholung verhindern 54. Ob und inwieweit im Einzelfall ein Vorrang der Abmahnung gegenüber der außerordentlichen Kündigung gegeben ist, ist im Wege der tatrichterlichen Beurteilung festzustellen. Hier hat es das BAG für rechtsfehlerfrei angesehen, dass das LAG Düsseldorf von dem Erfordernis einer Abmahnung ausgegangen ist. In Überstimmung mit dem LAG Düsseldorf hat der 2. Senat des BAG in seinem Urteil vom 20.11.2014 55 angenommen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung angenommen werden musste, dass der Kläger nicht unwillig gewesen sei, sein Verhalten zu ändern. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass er durch seine Bemerkung und das spätere Anfassen von Frau M. in doppelter Hinsicht eine sexuelle Belästigung vorgenommen habe. Vielmehr sei es nachvollziehbar anzunehmen, dass es sich um ein einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Dafür spreche, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt habe und der Kläger sein Fehlverhalten im Rahmen des Personalgesprächs ohne Zögern eingeräumt habe. Darüber hinaus habe er unmittelbar zum Ausdruck gebracht, dass ihm der Vorfall furchtbar leid tue und er sich schäme. Dass es sich hierbei nicht um vorgeschobene Erklärungen handele, könne man auch aus dem Umstand ziehen, dass der Kläger im Anschluss daran ein Entschuldigungsschreiben verfasst und einen Täter-Opfer-Ausgleich unter Zahlung von Schmerzensgeld vorgenommen habe. Auch wenn es sich insoweit um ein „Nachtatverhalten“ 53 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 22; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, NZA 2015, 353 Rz. 47. 54 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 23; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 Rz. 28. 55 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 28 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
handele, stütze dieses Verhalten die Prognose, dass eine Wiederholung auch durch eine Abmahnung verhindert werden könne. Vom Grundsatz ist dieser Einschätzung trotz der Schwere der hier in Rede stehenden Pflichtverletzung zuzustimmen. Es spricht viel für die tatrichterliche Annahme, dass der Kläger durch eine Abmahnung daran gehindert worden wäre, in der Zukunft erneut in vergleichbarer Weise seine Verhaltenspflichten zu missachten. Dennoch aber erstaunt es sehr, dass das BAG die Pflichtverletzung zugleich nicht als so schwer qualifiziert, das auch ohne eine einschlägige Abmahnung bereits die erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben nicht zumutbar ist. Wenn man sich vor Augen führt, welche Anstrengungen allerorts unternommen werden, um derartige Belästigungen sexueller Natur zu verhindern, ist es jedenfalls für die Betriebspraxis doch überraschend, dass die sexuelle Belästigung damit ohne die Gefahr einer Kündigung erfolgen kann. Denn wenn die außerordentliche Kündigung an dem Erfordernis einer Abmahnung scheitert, gilt dies auch für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Schließlich kann auch diese Kündigung nur dann ausgesprochen werden, wenn es kein anderes (milderes) Mittel gibt, eine erneute Störung des Vertragsverhältnisses in vergleichbarer Weise zu verhindern 56. Für die betriebliche Praxis ist dieses Ergebnis ernüchternd. Es hat nämlich zur Folge, dass auch bei vermeintlich schweren Pflichtverletzungen regelmäßig zunächst einmal eine Abmahnung erfolgen muss, bevor überhaupt an den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung gedacht werden kann. Wenn dies bei einer sexuellen Belästigung gilt, wird man entsprechendes auch für Vermögensdelikte annehmen müssen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um erstmalige, kurzfristige und spontane Pflichtverletzungen handelt, die – wie hier – als „Augenblicksversagen“ qualifiziert werden müssen. Wenn der Arbeitgeber gleichwohl nicht bereit ist, auch solche Pflichtverletzungen hinzunehmen und das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, kann zwar gleichwohl eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt werden. In diesen Fällen muss dann aber die Bereitschaft bestehen, einer vergleichsweisen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzustimmen. Die These, dass der Arbeitgeber das Vertrauen in solche Arbeitnehmer verloren hat, rechtfertigt jedenfalls nicht eine entsprechende Kündigung. (Ga)
56 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 36; BAG v. 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, NZA 2013, 319 Rz. 38.
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Betriebsbedingte Kündigung wegen Aufgabenverlagerung auf die Geschäftsführung
7.
Betriebsbedingte Kündigung wegen Aufgabenverlagerung auf die Geschäftsführung
Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers jedenfalls mit Ablauf der Kündigungsfrist entgegenstehen. Wie das BAG mit Urteil vom 31.7.2014 57 deutlich gemacht hat, liegen dringende betriebliche Erfordernisse i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führe. Diese Prognose müsse schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein. Insofern sei ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, dass einer Weiterbeschäftigung entgegenstehe, gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr gefordert sei. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu beschäftigen. Unerheblich für die Wirksamkeit einer Kündigung ist, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrundeliegende unternehmerische (Organisations-)Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre 58. In diesem Sinne sei die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei. Dabei spreche für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen geworden sei und nicht auf Rechtsmissbrauch beruhe 59. In dem der Entscheidung des BAG zugrundeliegenden Fall hatte die Beklagte am 9.1.2012 – schriftlich niedergelegt – beschlossen, dem Kläger die Prokura zu entziehen und die von ihm bis dahin ausgeübten Aufgaben auf einen Geschäftsführer zu übertragen, der zum gleichen Zeitpunkt neu bestellt wurde und vor Ort tätig sein sollte. Alle Mitarbeiter, die bis zu diesem Zeitpunkt an den Kläger berichtet hatten, berichteten nunmehr an den neuen
57 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 31. 58 So BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 31; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139 Rz. 20. 59 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 31; BAG v. 29.3.2007 – 2 AZR 31/06, NZA 2007, 855 Rz. 24.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Geschäftsführer. Noch im Kündigungsschreiben vom 10.1.2012 wurde der Kläger durch die Beklagte von seinen Arbeitspflichten freigestellt. Für den 2. Senat des BAG rechtfertigte diese Entscheidung die betriebsbedingte Kündigung des Klägers. Die Kündigungsschutzklage wurde deshalb abgewiesen. Zwar sei – so das BAG – der bloße Kündigungswille des Arbeitgebers kein Grund, der eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen könne. Dafür bedürfe es eines Grundes außerhalb der Kündigung selbst, also eines Grundes, der dem Kündigungsentschluss seinerseits zugrunde liege. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müsse damit die unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen solle, tatsächlich bereits getroffen worden sein. Der Arbeitgeber müsse schon zu diesem Zeitpunkt endgültig und vorbehaltlos zur Vornahme einer Maßnahme entschlossen gewesen sein, die – wenn sie tatsächlich durchgeführt werde – bis zum Ablauf der Kündigungsfrist den Arbeitsplatzverlust zur Folge habe 60. Eine solche Entscheidung des Arbeitgebers unterliegt keinem besonderen Formzwang. Auch bei einem mehrköpfigen Entscheidungsgremium, das letztlich nur gemeinsam entscheiden könnte, bedürfe es dazu – so das BAG – in der Regel keines förmlichen Beschlusses. Es genüge, dass ein einzelnes Gremiumsmitglied den betreffenden Entschluss vorbehaltlos gefasst habe und – etwa aufgrund von Erfahrungswerten – fest damit zu rechnen sei, dass sich die übrigen Mitglieder dieser Entscheidung anschließen würden 61. Ist das Vorliegen einer solchen Entscheidung umstritten, genügt es zunächst einmal, wenn der Arbeitgeber – zumindest konkludent – behauptet, er habe seine entsprechende Entscheidung schon vor Zugang der Kündigung getroffen. Bestreitet der Arbeitnehmer dies mit – in der Regel zunächst ausreichendem – Nichtwissen, obliegt es dem Arbeitgeber, nähere tatsächliche Einzelheiten darzulegen, aus denen unmittelbar oder mittelbar geschlossen werden kann, er habe die entsprechende Absicht bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig gehabt. Das stellt das BAG im Urteil vom 31.7.2014 62 klar. Gehe es dabei um den inneren Zustand einer einzelnen Person, werde sich das Gericht die Überzeugung von der Wahrheit der Behauptung – wie stets – nach § 286 ZPO bilden müssen. Habe sich die innere Tatsache nicht in irgendeiner Weise nach außen manifestiert, komme es auf die genaue Darle60 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 34; BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, NZA 2014, 1069 Rz. 16, 18. 61 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 35; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266 Rz. 38. 62 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 36.
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Betriebsbedingte Kündigung wegen Aufgabenverlagerung auf die Geschäftsführung
gung des inneren Willensbildungsprozesses der betreffenden Person, die Schlüssigkeit ihrer Angaben und ggf. ihre Glaubwürdigkeit an. Diese Voraussetzungen waren für das BAG vorliegend erfüllt. Die Beklagte hatte ihre Organisationsentscheidung noch vor Zugang der Kündigung schriftlich dokumentiert. Mit der sofortigen Freistellung des Klägers hatte sie sodann einen Teil ihres Konzepts bereits mit Zugang der Kündigung umgesetzt. Dass die Aufgaben des Klägers nicht entfielen, stand seiner Kündigung nicht entgegen. Das dringende betriebliche Erfordernis einer Kündigung des Klägers ergab sich allerdings daraus, dass diese Aufgaben nicht einem anderen Arbeitnehmer, sondern dem neuen Geschäftsführer übertragen wurden. Auf diese Weise wurde eine regelmäßig unwirksame „Austauschkündigung“ vermieden, die dann vorgelegen hätte, wenn die Aufgaben eines Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitnehmer in gleicher Funktion übertragen worden wäre. Hier war die Übertragung auf einen „Nicht“-Arbeitnehmer erfolgt. Damit verringerte sich der Bedarf an der Beschäftigung von Arbeitnehmern und der Arbeitsplatz des Klägers war entfallen 63. Aus Sicht des BAG war eine solche Entscheidung des Arbeitgebers rechtlich nicht zu beanstanden. Die dem Arbeitnehmer durch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl biete keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen. Dem Arbeitgeber sei es kündigungsschutzrechtlich nicht verwehrt, Tätigkeiten, die bisher von Arbeitnehmern geleistet worden seien, künftig (echten) freien Mitarbeitern oder Mitgliedern seiner Vertretungsorgane, die keine Arbeitnehmer seien, zu übertragen 64. Im Gegensatz zu der Übertragung von Aufgaben auf andere Arbeitnehmer obliegt es dem Arbeitgeber bei einer solchen Fallgestaltung nicht, das Fehlen einer überobligationsmäßigen Mehrbelastung bei der Person darzulegen, die die Aufgaben übernimmt, die bislang durch den von einer betriebsbedingten Kündigung betroffenen Arbeitnehmer verrichtet wurden. Es genügte, dass entsprechend verfahren wurde und keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen erkennbar sind. Auch hiervon ist das BAG ausgegangen. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. (Ga)
63 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 41. 64 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 42; BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878 Rz. 14, 30; BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027 Rz. 28 f.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
8.
Betriebsbedingte Kündigung bei OutsourcingMaßnahme
In seinem Urteil vom 20.11.2014 65 hat das BAG nicht nur bestätigt, dass die Fremdvergabe unternehmensinterner Dienstleistungen an ein Drittunternehmen zu einer Verringerung des Arbeitskräftebedarfs und damit zu einem dringenden betrieblichen Erfordernis für eine ordentliche Kündigung i. S. des § 1 Abs. 2 KSchG führen kann. Von erheblicher Bedeutung für die Betriebspraxis ist, dass sich der 2. Senat des BAG in dieser Entscheidung auch mit den weitergehenden Voraussetzungen in Bezug auf die Vorbereitung und Umsetzung einer entsprechenden Entscheidung befasst hat. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger als Hausmeister bei der Beklagten beschäftigt. Sie betrieb mehrere Pflegeheime, Kindergärten, Kinderund Jugendheime, ein Wohnheim und eine Schule. Im März 2011 holte die Beklagte bei verschiedenen Drittfirmen Angebote über eine selbständige Erledigung der Hausmeisterdienste im Seniorenheim T ein, für das der Kläger eingestellt worden war. Mit Schreiben vom 29.6.2011 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31.12.2011. Erst im September 2011 vergab sie allerdings die Tätigkeit zu einem festen Bruttopreis an einen der ursprünglichen Anbieter. Reparaturen und sonstige Arbeiten sollten ggf. nach besonderer Vereinbarung vergütet werden. Losgelöst von seiner Kritik an der Sozialauswahl machte der Kläger geltend, dass der Entschluss der Beklagten zur Fremdvergabe der Dienstleistungen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht getroffen, jedenfalls aber nicht die notwendige Konkretisierung erhalten habe. Insbesondere hätte sie zu diesem Zeitpunkt noch kein Konzept entwickelt, wie die betrieblichen Abläufe zukünftig gestaltet werden sollten. Soweit sich die Beklagte bei ihrer Entscheidung auf Kostendruck berufe, sei dies unbeachtlich, weil die Umsetzung der Entscheidung nicht mit Einsparungen verknüpft sei. Zunächst einmal hat das BAG deutlich gemacht, dass es für die kündigungsschutzrechtliche Rechtfertigung der streitgegenständlichen Entscheidung nicht darauf ankomme, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische (Organisations-)Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ wäre oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre. Eine unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation des Betriebs sei bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür hinzu-
65 2 AZR 512/132 n. v. (Rz. 15 ff.).
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Betriebsbedingte Kündigung bei Outsourcing-Maßnahme
nehmen. Dies gelte selbst dann, wenn die Organisationsentscheidung – anders als von der Beklagten erwartet – nicht mit einer Ersparnis von Kosten verbunden gewesen sein sollte. Es gehöre zur unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers, das Unternehmen aufzugeben, darüber zu entscheiden, welche Größenordnung es haben solle, und festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollten. Dabei sei der Arbeitgeber – bis zur Grenze der Willkür – nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingende notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen 66. Es sei nicht Sache der Gerichte, ihm eine bessere oder richtigere betriebliche Organisation vorzuschreiben. Insofern komme es auch bei der Fremdvergabe grundsätzlich nicht darauf an, ob durch die Beauftragung des Dritten tatsächlich Kosten eingespart würden 67. Dieser grundsätzlichen Bewertung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Wichtig ist, dies auch bei Verhandlungen mit dem Betriebsrat über interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Outsourcing-Maßnahmen zu berücksichtigen. Hier führen Vorhalte des Betriebsrats häufig dazu, dass entsprechende Maßnahmen des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmervertretern mit Kosteneinsparungen gerechtfertigt werden. Der Umfang dieser Kosteneinsparungen ist allerdings unmittelbarer Bezugspunkt für die Kennzeichnung des Sozialplanvolumens. Zu prüfen ist deshalb stets, ob es nicht - losgelöst von Kosteneinsparungen – sonstige Überlegungen sind, die das Outsourcing-Vorhaben rechtfertigen. Hierzu gehört beispielsweise eine Konzentration auf das Kerngeschäft, die Vermeidung notwendiger Investitionen, das Fehlen von Know-How oder die Verschaffung zusätzlicher Flexibilität bei der Abwicklung entsprechender Arbeiten. Mit einer Kündigung wegen entsprechender Outsourcing-Vorhaben muss nicht gewartet werden, bis die Fremdvergabe tatsächlich erfolgt ist. Es genügt, dass sich eine solche Maßnahme „konkret und greifbar“ abzeichnet. Hierfür muss – so das BAG – zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, vorhanden und abschließen gebildet worden sein 68. Hierzu gehört auch die Darlegung, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die unternehmerische Entscheidung durch den Arbeitgeber be-
66 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 15 f., 27 f.); BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 2014, 139 Rz. 20 f.; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 380/12 n. v. (Rz. 20 f.). 67 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 28); BAG von 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362 Rz. 23. 68 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 16); BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 34.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
reits getroffen worden ist. Geht es dabei um den inneren Zustand einer einzelnen Person, die als Geschäftsführer zuständig ist, wird sich – so das BAG – das Gericht die Überzeugung von der Wahrheit der Behauptung nach § 286 ZPO bilden müssen. Soweit sich die innere Tatsache nach außen manifestiert habe, wird es ggf. Beweise über die Indiztatsachen erheben und diese würdigen müssen. Fehle es an einer entsprechenden Offenbarung der unternehmerischen Entscheidung, werde es auf die genaue Darlegung des inneren Willensbildungsprozesses der betreffenden Person, die Schlüssigkeit ihrer Angaben und ihre Glaubwürdigkeit ankommen 69. Diese Voraussetzungen hat das BAG vorliegend als gegeben angesehen. Denn die Beklagte hatte vorgetragen, dass ihr Geschäftsführer nach Einholung dreier Angebote in der 24. Kalenderwoche – also in der Zeit zwischen dem 13.6. und 19.6.2011 – entschieden habe, die bisher dem Kläger übertragenen Hausmeisterdienste ab dem 1.1.2012 durch einen externen Dienstleister erledigen zu lassen. Diesen Entschluss habe er am 20.6.2011 dem Personalleiter und der Heimleiterin des Seniorenheims in einer Dienstberatung mitgeteilt. Am Folgetag habe er die Vorsitzende des Betriebsrats von der Entscheidung unterrichtet und dabei eines der Angebote vorgelegt. Auch wenn die Beklagte damit nicht angeben konnte, an welchem genauen Tag ihr Geschäftsführer die Entscheidung zur Fremdvergabe der Hausmeisterdienste getroffen hatte, schloss dies die Möglichkeit nicht aus, dass ein entsprechender Wille bereits vor Zugang der Kündigung gefasst worden war. Da die unternehmerische Entscheidung keinem Formzwang unterliege, widerspreche auch das Fehlen einer Verschriftung dieser Annahme nicht 70. Ob auch die Gesellschafterversammlung intern einer solchen Beschlussfassung zugestimmt hat oder hätte zustimmen müssen, spielt für das BAG zu Recht keine Rolle 71. Erhebliche Bedeutung für die Betriebspraxis hat auch der Umstand, dass es für das BAG unschädlich war, dass die Vereinbarungen mit dem Dienstleister zur Übernahme der Hausmeistertätigkeit zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht abgeschlossen worden waren. Es sei – so das BAG – nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber vor Zugang der Kündigung mit der Verwirklichung seiner Entscheidung bereits begonnen habe. Das betreffe
69 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 17); BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 36. 70 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 21); BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 35. 71 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 22); BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99, NZA 2001, 949 Rz. 20.
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Gewichtung der Kriterien einer Sozialauswahl
nicht nur deren unmittelbare Umsetzung. Auch vorbereitende Maßnahmen, etwa den Vertragsschluss mit dem Drittunternehmen, müsse er noch nicht ergriffen haben. Es genüge, dass er berechtigterweise annehmen durfte, die laufende Kündigungsfrist biete hierfür ausreichend Zeit 72. Hiervon war der 2. Senat des BAG ausgegangen. Denn die Beklagte hatte bereits im März 2011 Angebote von Dienstleistern angefordert. Auch wenn diese zunächst einmal nur der Markterkundung gedient haben mögen, konnte die Beklagte doch aufgrund des Ergebnisses dieser Anfragen hinreichend sicher annehmen, dass sie im Anschluss an den Zugang einer etwaigen Kündigung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einen geeigneten Dienstleister finden werde. Dies gelte selbst dann, wenn eine entsprechende Vereinbarung – wie dies vorliegend der Fall war – gegenüber dem ursprünglichen Angebot Modifikationen enthalte. Damit führt der im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren häufig erhobene Vorwurf, der Arbeitgeber habe noch nicht alle Vereinbarungen über die Verlagerung eines Betriebs, die Schließung eines Betriebs oder Betriebsteils oder die Fremdvergabe einer Dienstleistung getroffen, als solches noch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Vielmehr kann gleichwohl von einer betrieblichen Rechtfertigung ausgegangen werden, wenn die Entscheidung zur Umsetzung dieser Maßnahme zum Zeitpunkt der Kündigung bereits getroffen war und tatsächliche Anhaltspunkte bestanden, dass die notwendigen Maßnahmen zum Wegfall der unternehmensinternen Beschäftigungsmöglichkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist getroffen und tatsächlich umgesetzt werden können. Darlegungs- und beweispflichtig hierfür ist der Arbeitgeber, wenn arbeitnehmerseitig die unternehmerische Entscheidung und ihre weitere Konkretisierung mit Nichtwissen bestritten werden. (Ga)
9.
Gewichtung der Kriterien einer Sozialauswahl
Im Zusammenhang mit einer prozessualen Auseinandersetzung über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung hat der 2. Senat des BAG im Urteil vom 29.1.2015 73 grundlegende Feststellungen zu der Gewichtung der Kriterien einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG getroffen, die auch bei Beendigungskündigungen zu berücksichtigen sind. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber, bei der Auswahlentscheidung vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die 72 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 n. v. (Rz. 24). 73 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 10 ff.
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Schwerbehinderung des Arbeitnehmers „ausreichend“ zu berücksichtigen. In welchem Verhältnis diese Sozialdaten zueinanderstehen, lässt der Gesetzgeber nicht erkennen. Zu Recht stellt das BAG indes klar, dass keinem Kriterium eine Priorität gegenüber dem anderen zukomme. Vielmehr seien stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren „Sozialdaten“ zu berücksichtigen und abzuwägen. Wichtig allerdings ist, dass der Arbeitgeber dabei nicht die „bestmögliche“ Sozialauswahl vorgenommen haben muss. Ebenso wenig ist für das BAG maßgeblich, ob das Arbeitsgericht dieselbe Auswahl getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich die sozialen Erwägungen hätte anstellen und die sozialen Grunddaten hätte gewichten müssen. Der dem Arbeitgeber einzuräumende Wertungsspielraum habe zur Folge, dass nur „deutliche schutzwürdigere“ Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen könnten 74. Diese Grundsätze zur gleichwertigen Gewichtung der Sozialdaten gelten bei Beendigungs- und Änderungskündigung gleichermaßen. Allerdings ist die Sozialauswahl bei der Änderungskündigung nicht allein daran auszurichten, welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern durch den Verlust des Arbeitsplatzes am wenigsten hart getroffen würde. Da es – so das BAG – bei der ordentlichen Änderungskündigung – unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer sie unter Vorbehalt angenommen hat oder nicht – um die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebots gehe, sei darauf Bedacht zu nehmen, wie sich die vorgeschlagene Vertragsänderung auf den sozialen Status vergleichbarer Arbeitnehmer auswirke. Es sei zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderung einem vergleichbaren Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie eher zumutbar gewesen wäre 75. Diese Voraussetzungen waren in dem der Entscheidung des BAG vom 29.1.2015 76 zugrunde liegenden Fall nicht erfüllt. Denn der Arbeitgeber hatte die Kündigung des Klägers damit begründet, dass eine vergleichbare Arbeitnehmerin um eineinhalb Jahre älter sei und eine drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit habe. Dieses Überwiegen in Bezug auf zwei der vier Sozialdaten rechtfertige einen Vorrang der Arbeitnehmerin auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau und den beiden minderjährigen Kindern besitze. Die Arbeitnehmerin hatte keinerlei Unterhaltspflichten, die im Rahmen der Sozialaus-
74 BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 11; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040 Rz. 19. 75 BAG v. 29.1.2015 – 2 ARZ 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 12. 76 2 ARZ 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 15.
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Gewichtung der Kriterien einer Sozialauswahl
wahl hätten Berücksichtigung finden können. Eine Schwerbehinderung lag bei beiden Personen nicht vor. Mit überzeugender Begründung hat das BAG diese Begründung der Sozialauswahl abgelehnt. Nach seinen Feststellungen kommt es nicht darauf an, wie viele der vier gesetzlichen Kriterien zu Gunsten des einen und wie viele zu Gunsten eines anderen Arbeitnehmers zu bewerten seien, wenn nicht zugleich auch das Maß des jeweiligen Unterschieds berücksichtigt würde. Nur weil die vergleichbare Arbeitnehmerin mit zwei Kriterien, der Kläger aber mit lediglich einem Kriterium im Vorteil liege, sei deshalb nichts über die zu treffende Auswahl gesagt. Vielmehr verlange die Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien, dass die mit ihnen verbundenen Daten der betroffenen Arbeitnehmer in ein Verhältnis zueinander gesetzt würden. Dabei liege es auf der Hand, dass ein Kriterium relativ umso stärker ins Gewicht falle, je größer der dadurch aufgezeigte Unterschied zu Gunsten des einen Mitarbeiters ausfalle. Andernfalls würde die Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien in der sozialen Wirklichkeit gerade verfehlt 77. Die daran anknüpfenden Feststellungen des BAG zeigen allerdings nicht nur, wie eine solche Gewichtung der unterschiedlichen Sozialdaten zueinander erfolgen kann. Sie machen auch deutlich, dass Unterschiede in Bezug auf ein einzelnes Kriterium nicht sofort ein solches Gewicht haben, dass es Unterschiede in Bezug auf andere Kriterien aufwiegen kann. So geht das BAG davon aus, dass der Altersunterschied zwischen dem Kläger (40 Jahre) und der vergleichbaren Arbeitnehmerin (42 Jahre) zum Zeitpunkt der Kündigung geringfügig war. Beide befanden sich – so das BAG – in einem Alter, in dem von ähnlich guten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt auszugehen war 78. Trotz der Unterschiede in Bezug auf das Lebensalter konnte dem Vorrang der vergleichbaren Arbeitnehmerin in Bezug auf dieses Kriterium also kein besonderes Gewicht zuerkannt werden. Soweit die Unterschiede im Rahmen der Sozialauswahl auch durch die Betriebszugehörigkeit begründet worden waren, hat das BAG zwar deutlich gemacht, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit ein Sozialdatum von „erheblichem Gewicht“ sei. Dennoch aber hat es der 2. Senat des BAG im Urteil vom 29.1.2015 79 für berechtigt gehalten, die „nur“ um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit der vergleichbaren Arbeitnehmerin nicht als be-
77 BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 23. 78 BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 19; BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 476/10 n. v. (Rz. 50). 79 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 20.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
trächtlich anzusehen. Denn in der Gesamtschau von absoluter Differenz und prozentualem Verhältnis der beiden Daten 80 lasse sich angesichts einer Beschäftigungsdauer von immerhin sechs Jahren auf Seiten des Klägers nicht sagen, dass die vergleichbare Arbeitnehmerin mit ihrer Beschäftigungszeit von neun Jahren von der Änderung der Arbeitsbedingungen erheblich härter getroffen worden wäre. Denkbar wäre allenfalls, dass bei einer kürzeren Betriebszugehörigkeit des Klägers ein dreijähriger „Beschäftigungsvorsprung“ stärker ins Gewicht gefallen wäre 81. Sowohl die Feststellungen zum Lebensalter als auch zur Betriebszugehörigkeit machen deutlich, dass auch mehrere Jahre Unterschied nicht zwingend eine deutlich stärkere Schutzbedürftigkeit einzelner Arbeitnehmer zur Folge haben. In Bezug auf das Lebensalter rechtfertigt dies, auch Arbeitnehmer einer zu definierenden Altersgruppe in Bezug auf das Kriterium des Alters gleich zu gewichten. Innerhalb dieser Altersgruppe führt also ein höheres Lebensalter nicht zu einer stärkeren Gewichtung des Kriteriums. Bei der Betriebszugehörigkeit wird man aus den Feststellungen des BAG folgern dürfen, dass das Gewicht einer gleichbleibenden Differenz bei der Gewichtung dieses Kriteriums abnimmt, wenn eine längere Betriebszugehörigkeit gegeben ist. Umgekehrt steigt die Bedeutung der Differenz in Bezug auf die Betriebszugehörigkeit, wenn eine kürzere Dauer der Beschäftigung vorliegt. Konsequenz ist, dass das Gewicht der Betriebszugehörigkeit mit zunehmender Dauer der Beschäftigung im Rahmen einer Gesamtabwägung abgesenkt werden darf. Dass der 2. Senat des BAG die beiden Unterhaltspflichten des Klägers mit besonderem Gewicht versehen hat, überzeugt, denn den Kläger trafen tatsächlich drei „volle“ Unterhaltspflichten. Diese bestanden gegenüber den minderjährigen Kindern (§§ 1601 ff. BGB) und der unterhaltsberechtigten Ehefrau (§§ 1360 ff. BGB), die lediglich ein monatliches Einkommen in Höhe von 600 € (brutto) bezog. Dass insoweit ein Fall des „Doppelverdienstes“ vorlag, konnte keine andere Bewertung rechtfertigen. Zum einen erlaubt ein erhöhtes Einkommen des Ehepartners oder des Partners einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nur eine geringere Gewichtung der Unterhaltspflicht, nicht aber, diese in Gänze unberücksichtigt zu lassen. Darin läge nicht nur eine Missachtung der durch Art. 6 Abs. 1 GG begründeten Wertentscheidung, sondern in der Regel auch eine mittelbare Diskriminierung von Frauen.
80 Hierzu vgl. auch LAG Hamm v. 21.10.2008 – 9 Sa 966/08 n. v. 81 Vgl. auch BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 476/10 n. v. (Rz. 52).
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Sozialauswahl in Altersgruppen gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG
Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass die vorstehenden Überlegungen auch bei der Ausgestaltung von Punkteschemata Berücksichtigung finden. Sie zeigen, dass die „klassischen“ Modelle, bei der für jedes Lebensjahr ein Punkt vergeben wird, den gesetzlichen Beurteilungsspielraum nicht ausreichend ausschöpfen. Sie führen dazu, dass jüngere Arbeitnehmer überproportional von Kündigungen betroffen sind. Vielmehr empfiehlt es sich, hier eine Gewichtung nach Altersgruppen vorzunehmen, die – altersunabhängig – jede Gruppe mit einem bestimmten Punktwert versieht. In Bezug auf die Betriebszugehörigkeit dürfte es zulässig sein, auf eine Anhebung der Punkte für die Jahre der Betriebszugehörigkeit auch dann zu verzichten, wenn langjährig beschäftigte Arbeitnehmer in Rede stehen. Im Gegenteil: Die Überlegungen des BAG erlauben, bei zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit eine geringere Gewichtung durch eine Absenkung des Punktwerts vorzunehmen. Wenn arbeitgeberseitig auf der Grundlage solcher Überlegungen Punkteschemata zur Anwendung kommen, die bislang nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Überprüfung gewesen sind, muss das Ergebnis nur einer „ausreichenden“ Gewichtung der vier Sozialdaten Rechnung tragen. Dies zeigt, dass hier eine Überprüfung nur auf Ermessensfehler erfolgt. Eine solche Überprüfung findet zwar grundsätzlich auch dann statt, wenn im Einzelfall Punkteschemata zur Anwendung kommen, die durch das BAG bereits überprüft und nicht beanstandet worden sind. Nach den Feststellungen des BAG kann die Anwendung eines solchen Schemas allerdings ein „Indiz“ dafür sein, dass die vorgenommene Auswahl – noch – ausreichend ist 82. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. (Ga)
10. Sozialauswahl in Altersgruppen gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG Gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Im Zusammenhang mit dem Urteil des BAG vom 29.1.2015 83 zur Sozialauswahl bei Änderungskündigungen hatten wir uns
82 BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 24; LAG Hamm v. 21.10.2008 – 9 Sa 966/08 n. v. (Rz. 72). 83 29.1.2015 – 2 AZR 184/14 n. v.; BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
damit an anderer Stelle befasst 84. Gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 sind in die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG indes Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Mit der damit begründeten Ausnahme zur „normalen Sozialauswahl“ hatten wir uns in den vergangenen Jahren immer wieder befasst 85. In seinem Urteil vom 26.3.2015 86 hat der 2. Senat des BAG noch einmal deutlich gemacht, dass die mit § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG eröffnete Möglichkeit der Durchführung einer Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen zwar unionsrechtlich im Grundsatz zulässig ist. Die hierfür nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG auch unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben geschaffenen Voraussetzungen machen es allerdings überaus schwer, von diesem Privileg tatsächlich mit Erfolg in der Betriebspraxis Gebrauch zu machen. In dem zugrunde liegenden Fall beschäftigte die Beklagte 798 Arbeitnehmer. Aufgrund eines erheblichen Auftragsrückgangs vereinbarte sie mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, der den „Abbau von 140 direkten und 82 indirekten Vollzeitarbeitsplätzen“ vorsah. Nach einem am selben Tag abgeschlossenen „Sozialplan“ waren innerhalb der Gruppen vergleichbare Arbeitnehmer einer Altersgruppe „bis 29 Jahre“ und sieben weitere Altersgruppen in Fünf-Jahres-Schritten zu bilden. Ergänzend hierzu wurde ein Punkteschema für die Gewichtung der gesetzlichen Auswahlkriterien aufgestellt. Die endgültige Sozialauswahl sollte allerdings unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfolgen. Für den Bereich Produktion und die dortigen „direkten“ Vollzeitarbeitsplätze wurde die Sozialauswahl innerhalb der Gruppe aller 368 – teilweise in Teilzeit beschäftigten - mechanischen Helferinnen und Helfer durchgeführt. Im Ergebnis wurden 156 Arbeitnehmer auf eine Namensliste gesetzt, die als Bestandteil des Interessenausgleichs vereinbart wurde. Diesen Arbeitnehmern, zu denen auch die Klägerin gehörte, sollte betriebsbedingt gekündigt werden. Die Klägerin hat mit ihrer Klage die fehlende soziale Rechtfertigung geltend gemacht. Nach ihrer Auffassung hätte im Sozialplan festgelegt werden müssen, in welchem Verhältnis zueinander in den einzelnen Altersgruppen Kündigungen erfolgen sollten. Das Ergebnis sei auch nicht nachvollziehbar. So
84 B. Gaul, AktuellAR 2015, 181 ff. 85 B. Gaul, AktuellAR 2012, 424 ff.; 2013, 489 ff.; 2014, 111 ff. 86 2 AZR 478/13 n. v.
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seien in ihrer Altersgruppe – unstreitig – zwei Arbeitnehmerinnen weiterbeschäftigt worden, die 10 bzw. 20 Punkte weniger aufgewiesen hätten als sie. Auch in anderen Altersgruppen seien zahlreiche ihr gegenüber sozial deutlich stärkere Mitarbeiter von einer Kündigung verschont geblieben. Mit überzeugender Begründung hat das BAG der Klage stattgegeben. Die betriebsbedingte Kündigung war unwirksam. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG gestatte in Abweichung von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG die Vornahme einer Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen, wenn dies zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur der Belegschaft im berechtigten betrieblichen Interesse liege. Das setze voraus, dass die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung und die daraus abgeleiteten Kündigungsentscheidungen zur Sicherung der bestehenden Personalstruktur tatsächlich geeignet seien 87. Hiervon ausgehend obliegt es dem Arbeitgeber darzulegen und ggf. auch zu beweisen, welche Auswirkungen und Nachteile sich bei einer Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG für den Betrieb und die darin verrichteten Tätigkeiten ergeben. Nur dann sind betriebliche Interessen anzunehmen. Etwas anderes gilt nach den Feststellungen des BAG nur dann, wenn – was hier der Fall war – die Anzahl der Entlassungen innerhalb der Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreiche. Hier könne – allerdings widerlegbar – ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur zunächst unterstellt werden 88. Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit einer Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ist freilich, dass sich die tatsächliche Verteilung der bislang Beschäftigten auf die gebildeten Altersgruppen in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu kündigenden Arbeitsverhältnisse (prozentual) wiederspiegelt. Wenn ein bestimmter Prozentsatz der Mitarbeiter einer Vergleichsgruppe gekündigt werden soll, muss dieser Prozentsatz also in jeder einzelnen Altersgruppe in gleicher Weise zur Umsetzung kommen. Zu Recht verlangt das BAG daher, dass innerhalb des zur Sozialauswahl anstehenden Personenkreises – also innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe – nach sachlichen Kriterien Altersgruppen gebildet werden (Schritt 1), dass die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die
87 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13 n. v. (Rz. 13); BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 49. 88 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13 n. v. (Rz. 14); BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, DB 2014, 781 Rz. 33; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86 Rz. 28.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Altersgruppen festgestellt wird (Schritt 2) und dass die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt wird (Schritt 3) 89. Wenn eine Altersgruppe hiervon abweichend überproportional von betriebsbedingten Kündigungen betroffen ist, wird die bestehende Altersstruktur nicht „gesichert“, sondern verändert. Für die Wirksamkeit der Kündigungen hat dies nach den Feststellungen des BAG ganz erhebliche Konsequenzen. Denn der 2. Senat des BAG nimmt im Urteil vom 26.3.2015 90 an, dass nicht nur die Kündigungen unwirksam sind, die unter Beibehaltung des Altersgruppensystems über den eigentlich auf die Altersgruppe entfallenden Anteil hinausgehen 91. Vielmehr sei die gesamte Sozialauswahl nach Altersgruppen hinfällig und die fragliche Kündigung ohne Rückgriff auf das Privileg in § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG an den allgemeinen Grundsätzen des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zu messen. Eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit kann sich dann allenfalls durch ein Punkteschema nach § 1 Abs. 4 KSchG oder eine Namensliste im Interessenausgleich gemäß § 1 Abs. 5 KSchG ergeben. Mit dieser Vorgehensweise ist zwar keine automatische Unwirksamkeit der Kündigung verbunden. Die soziale Rechtfertigung in Bezug auf die Sozialauswahl wird allerdings nicht mehr auf die Altersgruppe, sondern auf die Gesamtvergleichsgruppe bezogen. Hiervon ausgehend ist das BAG im vorliegenden Fall von dem Fehlen einer sozialen Rechtfertigung ausgegangen. Denn die Beklagte hatte die Zahl der Kündigungen in den einzelnen Altersgruppen nicht an einem einheitlichen Prozentsatz ausgerichtet. Vielmehr waren in den einzelnen Altersgruppen zwischen 37,29 % (Altersgruppe 35 bis 39 Jahre) und 58,33 % (60 bis 64 Jahre) für eine betriebsbedingte Kündigung vorgesehen. Die Feststellung dieses Fehlers konnte auch nicht durch die namentliche Benennung der betroffenen Arbeitnehmer im Rahmen des Interessenausgleichs geheilt werden. Zwar hat diese Einbindung zur Folge, dass die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Der Beurteilungs- und Abwägungsspielraum, der mit einer normalen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG verbunden sei und zur Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit führe, könne allerdings nicht auf die Überprü-
89 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13 n. v. (Rz. 15); BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11 n. v. (Rz. 49). 90 2 AZR 478/13 n. v. (Rz. 16). 91 A. A. Krieger/Reineke, DB 2013, 1916, 1911.
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Subjektive Determination der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG
fung einer Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen übertragen werden, soweit es dabei nur um die Feststellung einer prozentual gleichbleibenden Einbeziehung aller Altersgruppen in die Betriebsänderung gehe. Denn bei dieser Frage handele es sich um eine schlichte „Arithmetik“, die auch bei einer Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG einer vollen Überprüfung des Arbeitsgerichts zugänglich sei. Die eingeschränkte Überprüfbarkeit bei einer Namensliste bezieht sich damit nur auf die Frage, wie und warum Altersgruppen gebildet werden und wie innerhalb der Altersgruppen die sozialen Kriterien gewichtet werden. Hiervon ausgehend war nach den Feststellungen des BAG auch von einer groben Fehlerhaftigkeit auszugehen. Denn nach den Leitlinien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG war es nicht zu rechtfertigen, Arbeitnehmer von einer Kündigung auszunehmen, die 10, 20 oder mehr Punkte weniger besaßen und deshalb auch entsprechend weniger schutzwürdig waren. Die Bevorzugung dieser im Verhältnis zur Klägerin „augenfällig sozial stärkeren Arbeitnehmer“ sei – so das BAG – „unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen“. Für betriebliche Praxis bedeutet dies, dass von einer Sozialauswahl nach Altersgruppen im Rahmen von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG im Zweifel nur Gebrauch gemacht werden soll, wenn die Darlegung der betrieblichen Interessen für die jeweils in Rede stehende Vergleichsgruppe problemlos erfolgen kann. Betrifft die Betriebsänderung auch andere Vergleichsgruppen, sollte insoweit im Zweifel auf die Bildung von Altersgruppen verzichtet und die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG vorgenommen werden. Der dort eröffnete Spielraum eröffnet die Möglichkeit, das Lebensalter auch in größeren Schritten zu gewichten. Auf der Grundlage einer typisierten Betrachtungsweise kann dies zur Folge haben, dass Arbeitnehmer einer Altersgruppe für das Lebensalter die gleiche Punktzahl erhalten 92. Auch ohne die Darlegung berechtigter betrieblicher Interessen kann dann unter Berücksichtigung der übrigen Sozialdaten sogar eine Verbesserung der Altersstruktur bewirkt werden. (Ga)
11.
Subjektive Determination der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG
Gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG muss der Arbeitgeber vor jeder Kündigung den Betriebsrat hören und ihm die Gründe für die Kündigung mitteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. 92 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 81 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Entsprechendes gilt dann, wenn die Kündigung vor Ablauf der in § 102 Abs. 2 S. 1, 3 BetrVG bestimmten Frist für die Stellungnahme des Betriebsrats erklärt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gilt für die Mitteilung der Kündigungsgründe der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“ 93. Darauf hat das BAG in seinem Urteil vom 23.10.2014 94 noch einmal hingewiesen. Danach muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dies sei nicht der Fall, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt übermittelt habe. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehöre darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm – dem Arbeitgeber – bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasteten und deshalb gegen eine Kündigung sprächen 95. Die subjektive Determination des Inhalts der Anhörung hat allerdings Grenzen. So kann der Arbeitgeber selbst dann nicht auf die Mitteilung persönlicher Umstände des Arbeitnehmers verzichten, wenn sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss im Zusammenhang mit einer verhaltensbedingten Kündigung keine Bedeutung haben. Nach Sinn und Zweck der Anhörung dürfe – so das BAG – der Arbeitgeber dem Betriebsrat keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten, die sich bei objektiver Betrachtung entscheidend zu seinen Gunsten auswirkten und deshalb schon für die Stellungnahme des Betriebsrats bedeutsam sein könnten. Das Unterlassen der Mitteilung von Sozialdaten stehe der Wirksamkeit einer Kündigung nur dann nicht entgegen, wenn es den Arbeitgeber auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankomme und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kenne; er könne dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen 96. Darüber hinaus bedürfe es einer näheren Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung nicht. Die
93 Vgl. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86 Rz. 41. 94 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476 Rz. 14. 95 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476 Rz. 14; BAG v. 3.11.2011 – 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607 Rz. 38. 96 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476 Rz. 15; BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 280/04, NZA 2006, 431 Rz. 14.
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Unwirksamkeit eines kompensationslosen Klageverzichts in Aufhebungsvertrag
Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziere eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers 97. Hiervon ausgehend war die der Entscheidung des BAG vom 23.10.2014 98 zugrundeliegende Anhörung des Betriebsrats nicht fehlerhaft. Zwar hatte der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine Kündigungsfrist mitgeteilt, bei der er eine fehlerhafte Dauer der Betriebszugehörigkeit zugrunde gelegt hatte. Statt angegebener sieben Monate Kündigungsfrist war tatsächlich nur eine Kündigungsfrist von fünf Monaten maßgeblich. Darüber hinaus hatte er dem Betriebsrat nicht mitgeteilt, dass die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis außerordentliche, hilfsweise ordentlich gekündigt werden sollte, zugleich eine beurlaubte Beamtin gewesen war. Auch dieser Gesichtspunkt spielte für das BAG keine so entscheidende Rolle, dass die fehlende Mitteilung zu einer Verletzung von § 102 Abs. 1 BetrVG geführt hatte. Abschließend hat das BAG in dieser Entscheidung deutlich gemacht, dass nicht jede Ergänzung der Anhörung des Betriebsrats zur Folge habe, dass die in § 102 Abs. 2 S. 1, 3 BetrVG genannte Frist zur Stellungnahme des Betriebsrats erneut zu laufen beginne. Vielmehr muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls geklärt werden, ob der Arbeitgeber seinerseits die Frist neu beginnen lassen wolle. Regelmäßig sei hiervon jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn die Umstände, die im Anschluss an die erstmalige Unterrichtung dem Betriebsrat mitgeteilt würden, auch unter Berücksichtigung der subjektiven Determination keine wesentliche Bedeutung hätten. Diesem Gesichtspunkt ist zuzustimmen. Dennoch aber empfiehlt es sich in der betrieblichen Praxis, vorsorglich von einem erneuten Fristbeginn auszugehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einhaltung der Zwei-WochenFrist des § 626 Abs. 2 BGB damit nicht gefährdet wird. (Ga)
12. Unwirksamkeit eines kompensationslosen Klageverzichts in Aufhebungsvertrag oder Ausgleichsquittung In einer Vielzahl von Entscheidungen hat sich das BAG mit der AGBKontrolle von Arbeitsverträgen befasst. Ausgangspunkt ist dabei die in der Regel zutreffende Annahme, dass solche Vereinbarungen für eine Vielzahl von Fällen vorbereitet wurden und deshalb als Allgemeine Geschäftsbedin-
97 BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476 Rz. 15; BAG v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243 Rz. 27. 98 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476 Rz. 17 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gungen zu behandeln sind. Das führt zur uneingeschränkten Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB. Wenn vorformulierte Vertragsbedingungen nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, gelangen jedenfalls die in §§ 305 c Abs. 2, 306 bis 309 BGB getroffenen Regelungen zur Anwendung, soweit der Arbeitnehmer aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Dies resultiert aus den Besonderheiten für Verbraucherverträge in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Die beiden Urteile des BAG vom 25.9.2014 99 und vom 12.3.2015 100 machen für die betriebliche Praxis noch einmal deutlich, dass die gleichen Grundsätze gelten, wenn Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in Rede stehen. In beiden Entscheidungen ging es um einen Klageverzicht, der in einer vorformulierten Ausgleichsquittung bzw. einem vorformulierten Aufhebungsvertrag enthalten war. Die entsprechenden Klauseln sollten den Arbeitnehmer verpflichten, keine Klage gegen eine Kündigung bzw. den streitgegenständlichen Aufhebungsvertrag zu erheben und eine etwaig bereits erhobene Klage zurückzunehmen. In beiden Urteilen hat das BAG die Unwirksamkeit des formularmäßigen Klageverzichts angenommen. Zunächst einmal hat der 2. Senat des BAG deutlich gemacht, dass die Zusicherung, keine Kündigungsschutzklage zu erheben, eine der AGB-Kontrolle zugängliche Vertragsbedingung i. S. d. § 305 Abs. 1 BGB ist. Losgelöst davon, ob die Inhaltskontrolle darüber nach § 307 Abs. 3 BGB eröffnet ist, setzt die wirksame Vereinbarung eines entsprechenden Verzichts voraus, dass es sich nicht um eine überraschende Klausel i. S. d. § 305 c Abs. 1 BGB handelt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die AGB-Kontrolle nicht nur wegen des Umstands greift, dass ein Verbrauchervertrag vorliegt. Gemäß § 305 c Abs. 1 BGB werden Klauseln nicht Vertragsinhalt, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Hiervon ist das BAG mit Blick auf den Klageverzicht in der Ausgleichsquittung ausgegangen. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer diese Ausgleichsquittung unmittelbar nach Übergabe der Kündigung mit der Bitte um Unterzeichnung übergeben. Unter der Überschrift „Arbeitspapiere“ hatte die Ausgleichsquittung folgenden Wortlaut:
99 2 AZR 788/13, NZA 2015, 350 Rz. 20 ff. 100 6 AZR 82/14 n. v.
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Unwirksamkeit eines kompensationslosen Klageverzichts in Aufhebungsvertrag
Sehr geehrter Herr …, anbei überreichen wir Ihnen die unten aufgeführten Arbeitspapiere mit der Bitte, uns den Empfang durch Ihre Unterschrift und Rückgabe dieses Schreibens zu bestätigen. Hiermit bestätige ich, folgende Papiere ordnungsgemäß von der Firma F zurückerhalten zu haben: X Lohnsteuerkarte plus Lohnsteuerbescheinigung Sozialversicherungsabmeldung Lohnzettel Lohnrestzahlung (Scheck) Urlaubsnachweis Kurzauswertung Entfernungs-KM … Ich (Arbeitnehmer) bestätige, dass ich weitergehende Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung nicht mehr gegen die Firma F habe. Eine Kündigungsschutzklage werde ich nicht erheben; eine bereits erhobene Kündigungsschutzklage werde ich unverzüglich zurücknehmen. Die vorstehende Ausgleichsquittung habe ich sorgfältig gelesen und zur Kenntnis genommen. Magdeburg, 26.4.2011 …………………………………………… Unterschrift des ausgeschiedenen Mitarbeiters
Nach Auffassung des BAG war die hier im vorletzten Absatz enthaltene Klausel bereits dem äußeren Erscheinungsbild nach so ungewöhnlich, dass der Kläger mit ihr nicht zu rechnen brauchte. Die Überschrift „Arbeitspapiere“ lasse nicht erkennen, dass der Arbeitnehmer mit der Unterzeichnung des Schreibens auf sein Recht verzichten solle, Kündigungsschutzklage zu erheben. Der Passus zum Klageverzicht sei weder in einem eigenen Abschnitt enthalten, noch sonst vom übrigen Text deutlich abgesetzt. Er sei weder durch Schriftart, Schriftgröße oder Fettdruck noch durch Unterstreichung hervorgehoben. Vielmehr seien allein die Überschrift und die Liste der ausgehändigten Arbeitspapiere fettgedruckt. Das verstärke den Eindruck, der Mitarbeiter solle mit seiner Unterschrift lediglich deren Empfang bestätigen. Auch unmittelbar vor der Unterschriftszeile werde nur der Ausdruck „Aus191
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gleichsquittung“ verwendet. Nur deren sorgfältige Kenntnisnahme solle der Arbeitnehmer bestätigen. Nach Auffassung des BAG ist der kompensationslose Klageverzicht auch unangemessen und deshalb unwirksam (§§ 307 Abs. 1 S. 1, 306 Abs. 1 BGB). Eine solche Inhaltskontrolle werde auch nicht durch § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ausgeschlossen. Dies gelte selbst dann, wenn man den Klageverzicht als die Hauptabrede eines eigenständigen Klageverzichts- und Abwicklungsvertrages qualifizieren würde. Denn – so das BAG – auch Hauptabreden seien nicht etwa generell von der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1, 2 BGB ausgeschlossen. Sie seien dieser Kontrolle gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nur dann entzogen, wenn sie – wie regelmäßig – keine von den Rechtsvorschriften abweichenden oder diese ergänzende Regelungen enthielten. Eine solche Abweichung läge indes dann vor, wenn innerhalb der Drei-Wochen-Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage durch Vereinbarung auf das Recht zur Klage verzichtet werden solle. Denn damit werde von der gesetzlichen Regelungen in §§ 4 S. 1, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG abgewichen, wonach dem Arbeitnehmer drei Wochen für die Überlegung zur Verfügung stehen, ob er Kündigungsschutzklage erheben wolle 101. Entsprechendes gilt für einen Klageverzicht im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Denn hier wird auf die fristungebundene Befugnis verzichtet, die Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags im Streitfall auch gerichtlich feststellen zu lassen 102. Unangemessen und deshalb gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist eine Vertragsklausel, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Ausgangspunkt der entsprechenden Bewertung ist dabei ein genereller und typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab, der Gegenstand, Zweck und Eigenart des jeweiligen Geschäfts innerhalb der beteiligten Verkehrskreise berücksichtigen muss 103. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BAG im Urteil vom 25.9.2014104 angenommen, dass in einem formularmäßigen, ohne Gegenleistung erklärten Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage eine unange101 BAG v. 25.9.2014 – 2 AZR 788/13, NZA 2015, 350 Rz. 19 ff. 102 Vgl. BAG v. 12.3.2015 – 6 AZR 82/14 n. v. 103 BAG v. 25.9.2014 – 2 AZR 788/13, NZA 2015, 350 Rz. 23; BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219 Rz. 33. 104 2 AZR 788/13, NZA 2015, 350 Rz. 24.
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Unwirksamkeit eines kompensationslosen Klageverzichts in Aufhebungsvertrag
messene Benachteiligung i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu sehen sei. Der Arbeitgeber verfolge damit das Ziel, seine Rechtsposition ohne Rücksicht auf die Interessen des Arbeitnehmers zu verbessern, indem er diesem die Möglichkeit entziehe, die Rechtswirksamkeit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberkündigung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dieser Verzicht wirke allein zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber müsse bei einem innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG erklärten Klageverzicht den Ablauf der Klagefrist nicht mehr abwarten, sondern könne bereits zuvor davon ausgehen, dass seine Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beendet habe bzw. beenden werde. Er könnte Dispositionen treffen, ohne die Feststellung einer Unwirksamkeit der Kündigung am Ende eines möglicherweise langjährigen Prozesses fürchten zu müssen. Ein formularmäßiger Klageverzicht ohne jede arbeitgeberseitige Kompensation – etwa in Bezug auf den Beendigungszeitpunkt, die Beendigungsart, die Zahlung einer Entlassungsentschädigung oder den Verzicht auf eigene Ersatzansprüche – sei daher in der Regel unzulässig 105. In überzeugender Weise hat das BAG diese Grundsätze im Urteil vom 12.3.2015 106 auf eine Klageverzichtsklausel in einem Aufhebungsvertrag übertragen. In dem seiner Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der Kläger seit 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Am 28.12.2012 schlossen die Parteien einen schriftlichen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung am gleichen Tage endete. Zuvor hatte die Beklagte dem Kläger mit einer außerordentlichen Kündigung und Strafanzeige gedroht, weil er aus ihrem Lagerbestand zwei Fertigsuppen ohne Bezahlung entnommen und verzehrt habe. Der von der Beklagten vorbereitete Aufhebungsvertrag enthielt dabei einen Klageverzicht. Als der Kläger den am 28.12.2012 unterzeichneten Aufhebungsvertrag noch am gleichen Tag wegen widerrechtlicher Drohung anfocht und im Klagewege die Feststellung begehrte, dass das Arbeitsverhältnis als Konsequenz der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags fortbestehe, musste deshalb zunächst einmal geklärt werden, ob mit dem Klageverzicht diese Möglichkeit ausgeschlossen war. Nach Auffassung des 6. Senats des BAG benachteiligt ein solcher Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft
105 BAG v. 25.9.2014 – 2 AZR 788/13, NZA 2015, 350 Rz. 24; BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219 Rz. 38. 106 6 AZR 82/14 n. v.
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in Erwägung ziehen durfte. Auch darin läge eine Regelung, die in nicht ausreichender Weise die Interessen eines Arbeitnehmers Rücksicht nehme. Dagegen sprach, dass die Androhung einer außerordentlichen Kündigung nach einem langjährigen, unbelasteten Bestand des Arbeitsverhältnisses erfolgt war und der Aufhebungsvertrag keinerlei Zugeständnisse in Bezug auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthielt. Er beendete – wie die außerordentliche fristlose Kündigung – das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Für die Betriebspraxis folgt aus diesen Entscheidungen nicht, dass Klageverzichtsklauseln generell unwirksam sind. Wenn eine Vereinbarung nicht gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt, ist – so das BAG - auch eine Vereinbarung wirksam, eine bestimmte Klage nicht zu erheben. Eine gleichwohl erhobene Klage ist unzulässig 107. Wichtig ist allerdings, dass entsprechende Regelungen in den vom Arbeitgeber vorbereiteten Vereinbarungen klar erkennbar sind, damit sie ihre Wirkung nicht zur Überraschung des Arbeitnehmers entfalten. Darüber hinaus sollte mit Blick auf die Anregungen des BAG eine Kompensation für den Klageverzicht erfolgen. Dies kann insbesondere in einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der Zahlung einer Abfindung oder dem Verzicht auf Schadensersatzansprüche liegen. Denkbar ist auch, dass sich die Parteien auf ein wohlwollendes Zeugnis verständigen, dass dem Arbeitnehmer ohne eine weitere Auseinandersetzung die Suche nach einer Anschlussbeschäftigung erleichtert. (Ga)
13. Weiterbeschäftigung im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens ohne vereinbarte Prozessbeschäftigung Nach einer Grundsatzentscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.2.1985 108 hat der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der Regelung der § 102 Abs. 5 BetrVG, § 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet zunächst die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schützenswertes 107 BAG v. 12.3.2015 – 6 AZR 82/14 n. v. (Rz. 19). 108 GS 1/84, NZA 1985, 702.
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Weiterbeschäftigung im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens
Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht, überwiegt daher das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung regelmäßig das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch kann zusätzlich im Klagewege geltend gemacht werden, um dadurch in den Genuss eines Vollstreckungstitels zu gelangen. Ist die Wirksamkeit einer Kündigung nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zu beurteilen, so darf einer Beschäftigungsklage nur stattgegeben werden, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf eine entsprechende Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hin festgestellt hat oder gleichzeitig feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist 109. Im Kündigungsschutzprozess wird der arbeitsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch regelmäßig als unechter Hilfsantrag mit der Feststellungsklage nach § 4 S. 1 KSchG verbunden. Die Klage auf Beschäftigung ist eine Klage auf zukünftige Leistung 110. Diese Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats des BAG vom 27.2.1985 über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers hat der 2. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 13.6.1985 111 auf die Klage nach § 17 TzBfG übertragen, wenn um die Wirksamkeit einer Befristung oder auflösenden Bedingung des Arbeitsverhältnisses gestritten wird. Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer neben der Kündigungsschutzklage oder einer Entfristungsklage die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu den bisherigen Arbeitsbedingungen klageweise geltend macht, um im Falle des Obsiegens sofort die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung nutzen zu können (§ 888 ZPO), erwirbt er mit der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung oder Befristung den durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch. Mit einer derartigen Weiterbeschäftigung soll das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers befriedigt werden, ohne dass
109 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702 Rz. 101. 110 BAG v. 29.10.1997 – 5 AZR 573/96, NZA 1998, 329 Rz. 16. 111 2 AZR 410/84, NZA 1986, 562.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
dadurch ein vertragliches oder gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien begründet wird. Um eine derartige Problematik ging es in der Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 22.7.2014 112. Der Kläger war aufgrund 23 befristeter Arbeitsverträge seit dem 1.4.1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er erhob wegen eines bis zum 30.6.2010 befristeten Arbeitsvertrags eine Befristungskontrollklage. Seine Weiterbeschäftigung begehrte er mit der Klage nicht. Das LAG gab der Klage statt, die dem beklagten Land am 31.12.2009 zugestellt wurde. Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 8.1.2010 seine Weiterbeschäftigung über den 30.6.2010 hinaus. Darauf antwortete das beklagte Land unter dem 20.1.2010 wie folgt: Insofern stellen wir ausdrücklich klar, dass die Weiterbeschäftigung Ihres Mandanten über den 30.06.2010 hinaus ausschließlich und nur aufgrund des nach der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes bestehenden allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruches erfolgt. Mit der Weiterbeschäftigung über den 30.06.2010 hinaus wird somit kein eigenständiges Arbeitsverhältnis begründet oder das bis zum 30.06.2010 befristete Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt.
Der Kläger wurde über den 30.6.2010 hinaus wie bisher beschäftigt. Das BAG hob mit Urteil vom 24.8.2011 113 die Entscheidung des LAG auf und wies die Klage ab. Am gleichen Tage teilte das beklagte Land dem Kläger mit, dass die Voraussetzungen für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch entfallen seien und damit die Arbeitsleistung des Klägers nicht mehr entgegengenommen werde. Nunmehr erhob der Kläger eine weitere Klage auf Feststellung, dass er sich über den 30.6.2010 hinaus in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten befand. Dabei berief er sich zunächst darauf, dass gemäß § 15 Abs. 5 TzBfG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden sei, jedenfalls aber mangels Wahrung der nach § 14 Abs. 4 TzBfG erforderlichen Schriftform die Weiterbeschäftigung zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis geführt habe. Während das LAG Niedersachsen 114 der Klage entsprochen hat, ist sie vom BAG 115 mit der Begründung abgewiesen worden, dass die Parteien keinen Vertrag über die Neubegründung oder Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses
112 113 114 115
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9 AZR 1066 60/12, NZA 2014, 1330. 7 AZR 228/10, NZA 2012, 385. v. 23.10.2012 – 11 Sa 302/12 n. v. v. 22.7.2014 – 9 AZR 1066/12, NZA 2014, 1330 Rz. 16 ff.
Weiterbeschäftigung im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens
über den 30.6.2010 hinaus abgeschlossen haben. Das BAG geht dabei überzeugend davon aus, dass das beklagte Land mit seinem Schreiben vom 20.1.2010 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die Weiterbeschäftigung allein auf der im Wege der Rechtsfortbildung vom Großen Senat des BAG entwickelten Rechtspflicht eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs beruhe und mit der Weiterbeschäftigung kein eigenständiges Arbeitsverhältnis begründet oder das bis zum 30.6.2010 befristete Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt werde. Das BAG betont, dass es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankam, dass der Kläger seinen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht zusammen mit seinem Befristungskontrollantrag gemäß § 17 S. 1 TzBfG gerichtlich geltend gemacht hatte und damit das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung verurteilt worden war. Denn eine entsprechende Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers besteht auch ohne ein entsprechendes Weiterbeschäftigungsurteil. Anders ist indes zu entscheiden und von einem konkludenten Vertragsabschluss zwischen den Arbeitsvertragsparteien auszugehen, wenn das Arbeitsgericht der Befristungskontrollklage und dem klageweise geltend gemachten Antrag auf Weiterbeschäftigung entsprochen hat und der Arbeitgeber nach Abänderung des Urteils des ArbG und Abweisung der Klage durch das LAG, d. h. trotz Wegfalls der Beschäftigungsverpflichtung, den Arbeitnehmer weiterhin wie bisher beschäftigt und vergütet 116. Eine weitere Abgrenzung bei einer Weiterbeschäftigung nach Ausspruch einer Kündigung ist auch dann geboten, wenn der Arbeitgeber einen gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist, jedoch bereits vor der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts auffordert, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über die Kündigungsschutzklage oder Entfristungsklage fortzusetzen. In diesem Fall geht der Wille der Parteien regelmäßig dahin, das Arbeitsverhältnis auf der Grundlage eines neuen zweckbefristeten Arbeitsvertrags für die Dauer des Rechtsstreits fortzusetzen 117. Der Kläger vermochte sich im Streitfall nach Auffassung des BAG auch nicht zur Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien auf § 15 Abs. 5 TzBfG zu berufen. Nach dieser Vorschrift ist vorgesehen, dass in diesem Falle das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist, oder nach der Zweckerreichung mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird, als auf unbestimmte Zeit verlängert gilt, wenn der Arbeitgeber nicht unverzüglich widerspricht oder dem Arbeitnehmer die Zweckerreichung nicht unverzüglich mitteilt. Mit dieser Regelung bringt der 116 BAG v. 8.4.2014 – 9 AZR 856/11 n. v. (Rz. 28). 117 BAG v. 19.1.2005 – 7 AZR 113/04 n. v. (Rz. 25).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Fortsetzung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer mit Wissen des Arbeitgebers nach eingetretener Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig als Ausdruck einer konkludenten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses anzusehen ist 118. Wie bereits in früheren Entscheidungen 119 zum Ausdruck gebracht, geht das BAG 120 davon aus, dass ein Widerspruch im Sinne von § 15 Abs. 5 TzBfG als rechtsgeschäftliche empfangsbedürftige Willenserklärung bereits kurz vor Zweckerreichung oder Bedingungseintritt ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten erhoben werden kann, unabhängig davon, dass eine entsprechende arbeitsvertragliche Regelung gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG nicht den Eintritt der Fiktion abbedingen kann. Zur Vermeidung einer Umgehung des § 22 Abs. 1 TzBfG, wonach von § 15 TzBfG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf, muss stets ein zeitlicher Zusammenhang mit dem vereinbarten Ende der Vertragslaufzeit und dem Widerspruch des Arbeitgebers bestehen. Einen solchen Zusammenhang nimmt das BAG auch dann an, wenn der Widerspruch zu einem Zeitpunkt erklärt wird, in dem bereits ein Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Befristung anhängig ist und der Arbeitgeber sich gegen die Klage verteidigt. Da das beklagte Land mit Schreiben vom 20.1.2010 während des Befristungsrechtsstreits von seinem Widerspruchsrecht nach § 15 Abs. 5 TzBfG Gebrauch gemacht hatte, konnte diese Vorschrift dem Kläger nicht zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis verhelfen. Für die Praxis wird mit dieser Entscheidung des BAG nochmals verdeutlicht, dass das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers während des Kündigungsrechtsstreits oder während eines Streits über die Befristung des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an ein der Feststellungsklage entsprechendes Urteil des ArbG oder LAG nur die tatsächliche Beschäftigung (ideelles Beschäftigungsinteresse), nicht aber den Fortbestand des wirksam gekündigten Arbeitsverhältnisses, zur Folge hat. Grundsätzlich kommt auch kein faktisches Arbeitsverhältnis zustande, weil dieses einen Beschäftigungswillen des Arbeitgebers voraussetzt, der gerade bei einer aufgezwungenen Beschäftigung nicht vorliegt 121. Der Leistungsaustausch dieser tatsächlichen Beschäftigung vollzieht sich nach den Grundsätzen der unge-
118 BAG v. 29.6.2011 – 7 AZR 6/10, NZA 2011, 1346 Rz. 28. 119 Vgl. BAG v. 5.5.2004 – 7 AZR 629/03, NZA 2004, 1346 Rz. 37; BAG v. 11.7.2007 – 7 AZR 501/06 n. v. (Rz. 24); BAG v. 22.7.2014 – 9 AZR 1066/12, NZA 2014, 1330 Rz. 25. 120 BAG v. 22.7.2014 – 9 AZR 1066/12, NZA 2014, 1330 Rz. 25. 121 Vgl. BAG v. 24.9.2003 – 5 AZR 500/02, NZA 2004.
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Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung
rechtfertigten Bereicherung, wobei sich der Wert der Arbeitsleistung nach der üblichen Vergütung richtet 122. (Boe)
14. Vergütung wegen Annahmeverzugs nach Unwirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Nach § 91 Abs. 4 SGB IX soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zustimmungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Zugangs der arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei dem schwerbehinderten Menschen 123. Die gesetzliche Regel, dass die Zustimmung zu erteilen ist, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist Ausdruck des Umstands, dass der öffentlichrechtliche Sonderkündigungsschutz nicht darauf zielt, den schwerbehinderten Menschen gegenüber nichtbehinderten Menschen besserzustellen, sondern allein bezweckt, diesen vor spezifisch behinderungsbedingten Gefahren zu bewahren. Ein Zusammenhang im Sinne des § 91 Abs. 4 SGB IX ist nur dann gegeben, wenn sich das zur Begründung der Kündigung herangezogene Verhalten zwanglos aus der, der Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigung ergibt und der Zusammenhang nicht nur ein entfernter ist 124. Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung, so dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit – ihre Wirksamkeit behält, solange sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist 125. Daher kann der Arbeitgeber berechtigterweise auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst erklären, wobei ohne rechtliche Auswirkung bleibt, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist 126. Mit § 88 Abs. 4 SGB IX will der Gesetzgeber verhindern, dass der Arbeit122 123 124 125 126
BAG v. 1.3.1990 – 6 AZR 649/88, NZA 1990, 696 Rz. 18. BVerwG v. 12.7.2012 – 5 C 16/11, NZA 2013, 97 Rz. 33. BVerwG v. 12.7.2012 – 5 C 16/11, NZA 2013, 97 Rz. 27. BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 991/11, NZA 2013, 1373 Rz. 22. BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 991/11, NZA 2013, 1373 Rz. 23.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
geber bei einer einmal erteilten Zustimmung des Integrationsamts erst mit der Kündigung zuwarten muss, bis ein verwaltungsrechtliches Widerspruchs- und Anfechtungsverfahren abgeschlossen ist. Wird allerdings der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts rechtskräftig aufgehoben, wird eine zunächst aufgrund der erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers rückwirkend unwirksam 127. Ist zwischenzeitlich die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers bereits rechtskräftig abgewiesen worden, ist auf seinen Antrag das Kündigungsschutzverfahren in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen 128. Die dafür notwendige Restitutionsklage ist vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils (§ 586 Abs. 1 und 2 ZPO). In der Entscheidung des BAG vom 24.9.2014 musste der 5. Senat des BAG 129 nach erfolgreicher Durchführung einer derartigen Restitutionsklage gegen eine zuvor vom Arbeitgeber mit Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochenen ordentlichen Kündigung über anschließend vom Arbeitnehmer geltend gemachte Zahlungsansprüche unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 S. 1 BGB) befinden. Der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger war nach Zustimmung des Integrationsamts mit Schreiben vom 30.4.2004 krankheitsbedingt ordentlich zum 31.8.2004 gekündigt worden. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wurde der Zustimmungsbescheid rechtskräftig aufgehoben. Auf die entsprechende Restitutionsklage stellte das LAG Hessen durch rechtskräftiges Urteil vom 30.4.2009 die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Nach Aufnahme seiner Tätigkeit bei der Beklagten am 18.5.2009 verlangte der Kläger mit einer bei dem ArbG am 2.9.2009 anhängig gemachten Klage aus Annahmeverzug von der Beklagten ein Betrag in Höhe von 206.528 € brutto nebst Zinsen abzüglich auf Dritte übergegangener Ansprüche für den Zeitraum September 2004 bis Februar 2009. Er berief sich darauf, zwar am 31.8.2004 aus dem Krankengeldbezug ausgesteuert worden, aber für den allgemeinen Arbeitsmarkt seit 1.9.2004 arbeitsfähig gewesen zu sein, wenn ihm die Beklagte einen leidensgerechten Arbeitsplatz zugewiesen hätte. Bezüglich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit sei er jedenfalls für drei Stunden pro Tag arbeitsfähig gewesen. Die Beklagte verteidigte sich unter anderem
127 BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 991/11, NZA 2013, 1373 Rz. 22. 128 BAG v. 29.9.2011 – 2 AZR 674/10 n. v. (Rz. 20 ff.); Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 179 Rz. 49. 129 5 AZR 593/12, NZA 2015, 35.
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damit, die Zahlungsansprüche seien insgesamt nach den tarifvertraglichen Ausschlussfristen verfallen und außerdem für die Jahre 2004 und 2005 verjährt. Des Weiteren sei der Kläger im Streitzeitraum durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen. Das Hessische LAG 130 hat der Zahlungsklage teilweise entsprochen. Das BAG hat die Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit u. a. deshalb zurückverwiesen, weil geklärt werden müsse, ob der Kläger während der Dauer des Annahmeverzugs der Beklagten überhaupt leistungsfähig gewesen sei (§ 297 BGB). Unabhängig von prozessualen Fragen, die mit der Frage des Bestimmtheitsgebots einer Zahlungsklage (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) im Zusammenhang standen und hier nicht weiter thematisiert werden sollen, ging es zunächst darum, ob die Bestandsschutzklage eine zweistufige Verfallfrist auch für die Dauer einer Restitutionsklage wahrt, und ob durch die Bestandsschutzklage auch der Eintritt der Verjährung einer Forderung verhindert wird. Zunächst hält das BAG daran fest, dass tarifvertragliche Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen (zweistufige Ausschlussfristen), verfassungskonform dahingehend auszulegen sind, dass die vom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht werden 131. Begründungsansatz bildet dabei die Erwägung, dass die Beschreitung des Rechtswegs nicht dadurch faktisch vereitelt werden darf, dass das Kostenrisiko zu dem angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht. Das durch § 4 Abs. 1 KSchG und § 42 Abs. 3 S. 1 GKG 2004 auf den EinviertelJahresbetrag des Arbeitseinkommens begrenzte Kostenrisiko der Kündigungsschutzklage würde nämlich überproportional erhöht, wenn der Arbeitnehmer zur Vermeidung der 2. Stufe der Ausschlussfrist zusätzlich trotz ungewissen Ausgangs der Kündigungsschutzklage seine Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug verfolgen müsste 132. Im Streitfall stellte sich allerdings die Frage, ob die fristwahrende Wirkung der Kündigungsschutzklage mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung des LAG im Jahre 2006 entfallen war. Dies wird vom BAG mit überzeugenden Gründen verneint. Zwar endet die Rechtshängigkeit mit der in § 705 ZPO geregelten formellen Rechtskraft der Entscheidung, jedoch wird diese rückwirkend mit der Wiederaufnahme des Verfahrens in Gestalt einer Restitutionsklage beseitigt und das Verfahren in die Lage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurückversetzt. Mit
130 V. 15.3.2012 – 9 Sa 1910/10, ArbR 2012, 492. 131 BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 13; im Anschluss an BVerfG v. 1.12.2010 – 1 BvR 1682/07, NZA 2011, 354 Rz. 21 ff. 132 BVerfG v. 1.12.2010 – 1 BvR 1682/07, NZA 2011, 354 Rz. 26.
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der rückwirkenden Rechtshängigkeit der ursprünglichen Kündigungsschutzklage kann erst die Rechtskraft der daraufhin ergehenden Entscheidung das Kündigungsschutzverfahren endgültig beenden. Zweifelhaft konnte indes sein, ob etwaige zugunsten des Klägers in den Jahren 2004 und 2005 fällig gewordene Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug verjährt waren (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Da § 615 S. 1 BGB keinen eigenständigen Anspruch gewährt, sondern lediglich den ursprünglichen Erfüllungsanspruch aufrechterhält, richtet sich dieser bezüglich seiner Fälligkeit nach dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung bei tatsächlicher Beschäftigung in den einzelnen Abrechnungsperioden fällig geworden wäre 133. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem erstens der Anspruch entstanden ist und zweitens der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Damit begann die Verjährungsfrist für die Vergütungsansprüche des Klägers, soweit sie im Kalenderjahr 2004 fällig geworden sind, am 31.12.2004, und soweit sie im Jahre 2005 fällig geworden sind, mit dem 31.12.2005 zu laufen, wovon gleichzeitig auch die Nebenleistungen (Zinsen) betroffen waren (§ 217 BGB). Demgemäß war unter Berücksichtigung der Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB) der Ablauf der Frist mit dem 31.12.2007 bzw. 31.12.2008 eingetreten. Da der Kläger auch über die Kenntnis sämtlicher Tatsachen verfügte, die den Anspruch auf Zahlung der Vergütung begründeten, ist das BAG davon ausgegangen, dass die für die Jahre 2004 und 2005 erhobenen Zahlungsansprüche gegenüber der Beklagten verjährt waren. Das BAG stellt zu Recht klar, dass die Verjährung nicht nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage gehemmt werden konnte. Diese Vorschrift sieht vor, dass die Verjährung durch die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs gehemmt wird. Bereits der unmissverständliche Wortlaut der Vorschrift verdeutlicht, dass der Streitgegenstand auch einer entsprechenden Feststellungsklage der Zahlungsanspruch des Klägers sein muss (§ 194 Abs. 1 BGB), d. h. der konkrete Anspruch, um den es bei der Verjährung geht. Die Kündigungsschutzklage hat einen völlig anderen Streitgegenstand (§ 4 S. 1 KSchG), weil sie auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, nicht jedoch auf Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers gerichtet ist. Das BAG hat auch zu Recht
133 BAG v. 12.12.2006 – 1 AZR 96/06, NZA 2007, 453 Rz. 33; BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 910/06, NZA-RR 2008, 399 Rz. 13; BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, 971 Rz. 31.
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davon abgesehen, über eine analoge Anwendung der §§ 203 ff BGB dieses Ergebnis zu revidieren. Das BAG schließt auch eine Anwendung von § 206 BGB aus, weil der Kläger nicht durch höhere Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist an der Rechtsverfolgung gehindert war. Trotz rechtskräftiger Abweisung der Kündigungsschutzklage war dem Kläger durchaus zumutbar und möglich, vor Ablauf der Verjährungsfrist Klage auf Zahlung der Annahmeverzugsvergütung zu erheben, weil er das verwaltungsgerichtliche Verfahren gerade mit dem Ziel fortgeführt hat, die Rechtskraftwirkung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung durch eine Restitutionsklage beseitigen zu lassen. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG war dadurch veranlasst, dass bezüglich der nicht verjährten Zahlungsansprüche geklärt werden musste, ob die Beklagte möglicherweise wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Klägers (§ 297 BGB) überhaupt in Verzug geraten konnte. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der nunmehr für den Annahmeverzug allein zuständige 5. Senat des BAG in einer Grundsatzentscheidung vom 19.5.2010 134 abweichend von seiner früheren Rechtsprechung 135 für den Annahmeverzug des Arbeitgebers das Angebot einer „leidensgerechten Arbeit“ nicht mehr für ausreichend erachtet hat, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung des Direktionsrechts diese zu der i. S. v. § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. So hatte auch der 9. Senat des BAG 136 noch die Ansicht vertreten, dass eine den Annahmeverzug ausschließende Unmöglichkeit nicht schon deshalb anzunehmen ist, weil der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person nur einen Teil, nicht aber alle Arbeiten verrichten kann, die zum Spektrum der vertraglich vereinbarten Tätigkeit gehören. Andernfalls bliebe außer Acht, dass der Arbeitgeber gemäß § 106 S. 1 GewO sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben und dabei auch die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen habe. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob schwerbehinderte Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 und 5 SGB IX Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung und Ausstattung ihres Arbeitsplatzes haben und die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers aus § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX begründen kann, die auf Ersatz der entgangenen Vergütung gerichtet sind.
134 5 AZR 162/09, NZA 2010, 1119. 135 BAG v. 8.11.2006 – 5 AZR 51/06, AP Nr. 120 zu § 615 BGB; BAG v. 27.8.2008 – 5 AZR 16/08, NZA 2008, 1410. 136 V. 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, NZA 2006, 442 Rz. 14.
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Derartige Ansprüche waren jedoch nicht Gegenstand des von den Parteien geführten Rechtsstreits. Diese Entscheidung des BAG vom 24.9.2014 137 verdient deswegen besondere Beachtung, weil bislang ungeklärt war, ob möglicherweise die für zweistufige Ausschlussfristen fristwahrende Wirkung einer Bestandsschutzklage für vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängige Ansprüche mit der formellen Rechtskraft des Urteils auch dann endet und den Beginn der 2. Stufe (klageweise Geltendmachung) einer Ausschlussfrist auslöst, wenn die formelle Rechtskraft infolge einer Restitutionsklage beseitigt wird. Bedeutsam ist auch, dass wegen der unterschiedlichen Streitgegenstände allein durch die Erhebung der Bestandsschutzklage die Verjährung der davon abhängigen Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug wegen der unterschiedlichen Streitgegenstände nicht gehemmt wird. (Boe).
15. Rechtsweg bei der Abberufung und Kündigung eines Geschäftsführers Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a und b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis sowie über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmerbegriff wird in § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG umschrieben: Arbeitnehmer i. S. d. ArbGG sind Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach Satz 3 dieser Vorschrift gelten in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit nicht als Arbeitnehmer Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrag allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Diese Fiktionswirkung kann nur dadurch überwunden werden, dass zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans gemäß § 2 Abs. 4 ArbGG ausdrücklich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit vereinbart worden ist. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person ist nach der gesetzlichen Fiktion aus § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht gegeben. Die
137 5 AZR 593/12, NZA 2015, 35. Vgl. aber auch BAG v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, NZA 2014, 719 Rz. 16: Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.
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Fiktion der Norm gilt auch für das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis. Sie greift unabhängig davon ein, ob dieses Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Auch wenn der Organstellung ein Arbeitsverhältnis zugrunde liegt und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Organstellung besteht 138. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person selbst dann keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen, wenn die der Organstellung zugrunde liegende Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist 139. Für sämtliche Ansprüche der Klagepartei aus dem der Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Vertrag ist deshalb der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Demzufolge ist für die Klage des GmbHGeschäftsführers gegen die Kündigung seines Anstellungsvertrags durch die GmbH der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen verschlossen. 140 Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs richtet sich zunächst nach den tatsächlichen Umständen, die zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit einer Klage vorliegen 141. Jedoch sind später eintretende Umstände, welche die zunächst bestehende Unzulässigkeit des Rechtswegs beseitigen, bei der Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit zu berücksichtigen, sofern ein Verweisungsbeschluss in die Rechtswegzuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist 142. Soweit ein Organmitglied einer juristischen Person auf der Grundlage eines Dienstvertrages, der eine Geschäftsbesorgung zum Inhalt hat, beschäftigt wird, ist bei Streitigkeiten, die sich nach Abberufung von der Organstellung auf die Kündigung des Dienstvertrages beziehen, ebenfalls die Rechtswegzuständigkeit zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte kann allerdings dann in Betracht kommen, wenn die Klagepartei Ansprüche aus einem auch während der Zeit als Geschäftsführer nicht aufgehobenen Arbeitsverhältnis nach 138 BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, NZA 2011, 874 Rz. 11. 139 BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NZA 2003, 1108 Rz. 11 ff.; BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 19. 140 Vgl zur Problematik Stagat NZA 2015, 193ff. 141 MüKoZPO/Zimmermann, GVG § 17 a Rz. 8; Wieczorek/Schütze/Schreiber, GVG § 17 Rz. 4; Zöller/Lückemann, ZPO, § 17 GVG Rz. 2. 142 BGH v. 18.5.1995 – I ZB 22/94, NJW 1995, 2295 Rz. 23; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rz. 21; Thomas/Putzo/Hüßtege, GVG § 17 Rz. 3; vgl. dazu auch Kissel, NJW 1991, 945, 948.
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Abberufung als Organmitglied verfolgt. Nach der Rechtsprechung des BAG 143 liegt der Berufung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer einer GmbH eine vertragliche Abrede zugrunde, die regelmäßig als ein Geschäftsführer-Dienstvertrag zu qualifizieren ist und mit der das Arbeitsverhältnis grundsätzlich aufgehoben wird, wenn sie der Schriftform genügt (§ 623 BGB). Abgesehen davon, dass das bisherige Arbeitsverhältnis auch ruhend gestellt werden kann, scheitert die Aufhebung des Arbeitsvertrages an dem Schriftformmangel aus § 623 BGB, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer formlosen Abrede zum Geschäftsführer der GmbH bestellt wird 144. Problematisch sind in der Praxis vor allem diejenigen Fälle, bei denen nach Abberufung von der Organstellung zweifelhaft ist, ob dieser ein Arbeitsvertrag oder Dienstvertrag zugrunde gelegen hat. Der rechtliche Charakter eines Anstellungsverhältnisses eines Organvertreters ändert sich nicht allein dadurch, dass der Organvertreter abberufen wird. Durch den Abberufungsakt wird das Anstellungsverhältnis nicht zum Arbeitsverhältnis 145. Es kann aber durchaus sein, dass ein Arbeitnehmer durch Beschluss der Gesellschafterversammlung zum Geschäftsführer bestellt wird, ohne dass der bisherige Arbeitsvertrag eine Änderung erfährt. Wird der Geschäftsführer durch Beschluss der Gesellschafterversammlung abberufen und sein Anstellungsverhältnis gekündigt, so kann er nach Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG die Kündigung vor dem ArbG klageweise angreifen, weil es um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit geht 146, wobei die Klageerhebungsfrist aus § 4 S. 1 KSchG einzuhalten ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG mussten die Voraussetzungen für das Eingreifen der Fiktionswirkung aus § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG im Zeitpunkt der Zustellung der Klage vorliegen. War der Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt noch nicht von seiner Organstellung abberufen, blieb für seine Klage gegen die Kündigung des der Organstellung zugrunde liegenden Vertrags, auch wenn es sich um einen Arbeitsvertrag handelte, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten verschlossen, so dass ausschließlich die ordentliche Gerichtsbarkeit rechtswegzuständig war 147. Angesichts dessen lag es in der Hand des Unternehmensträgers, ob er nach der Kündigung eines der Organstellung zugrunde liegenden Arbeitsvertrags die Rechtswegzuständigkeit
143 BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095 Rz. 10; BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08, NZA 2009, 669 Rz. 8. 144 BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, NZA 2011, 874 Rz. 12. 145 BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137 Rz. 16. 146 BAG v. 4.2.2013 – 10 AZB 78/12, NZA 2013, 397 Rz. 11. 147 BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, NZA 2015, 60 Rz. 15.
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der Arbeitsgerichte allein dadurch ausschließen konnte, dass er die Organstellung erst nach Zustellung der Klage beendete. Diese Rechtsprechung, wonach es für das Eingreifen der Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG ausschließlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Klageerhebung ankommt, hat der 10. Senat des BAG 148 in einer Entscheidung vom 22.10.2014 aufgegeben. Das BAG geht nunmehr davon aus, dass das ausschließliche Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung die Möglichkeit einer Manipulation eröffnete, weil es die Gesellschafter nach einer Kündigung in der Hand hätten, durch ein Hinausschieben der Abberufungsentscheidung eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch in den Fällen auszuschließen, in denen unzweifelhaft ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Damit kann die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG auch dann entfallen, wenn ein zum Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem ArbG noch nicht abberufener Geschäftsführer vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit von den Gesellschaftern abberufen wird. Die Abberufung von der Organstellung wird mit Zugang der Erklärung an den Geschäftsführer wirksam. Die Anmeldung im Handelsregister wirkt gemäß § 15 HGB nur deklaratorisch. Diese Rechtsprechung hat der 10. Senat des BAG in einer weiteren Entscheidung vom 3.12.2014 149 auch für den Fall einer Amtsniederlegung eines Geschäftsführers bestätigt. Der Fall betraf einen Kläger, der zunächst auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags von der Beklagten beschäftigt wurde und ohne Änderung dieses Arbeitsvertrags am 18.1.2011 zum Geschäftsführer bestellt wurde. Mit Schreiben vom 25.2.2014 kündigte die Beklagte aufgrund Gesellschafterbeschlusses den Arbeitsvertrag des Klägers zum 31.8.2014, ohne dass seine Abberufung als Geschäftsführer erfolgte. Mit der am 20.3.2014 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und am 3.4.2014 zugestellten Klage hat der Kläger unter anderem die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 25.2.2014 nicht zum 31.8.2014 aufgelöst wird. Nachdem die Beklagte die Rechtswegzuständigkeit gerügt hatte, legte der Kläger sein Amt gegenüber der Gesellschafterin mit Erklärungen vom 20.6.2014 und 27.8.2014 nieder. ArbG und LAG haben den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt. Die Rechtsbeschwerde des Klägers war erfolgreich. Das BAG geht unter Anwendung von § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG davon aus, dass eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte zu verneinen ist, wenn ein GmbH148 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 19; bestätigend BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 1 Rz. 21. 149 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rz. 21.
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Geschäftsführer zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit einer vor dem Arbeitsgericht erhobenen Klage noch nicht abberufen gewesen ist oder sein Amt niedergelegt hat. Wegen der Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG ist es dabei gleichgültig, ob der Organstellung ein Dienstvertrag oder ein Arbeitsvertrag zugrunde liegt. Hat der Geschäftsführer einer GmbH sein Amt wirksam niedergelegt, wofür der Zugang der Amtsniederlegungserklärung gegenüber einem der Gesellschafter genügt, ohne dass es auf die Eintragung ins Handelsregister ankommt, endet damit die Fiktion des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG. Dann richtet sich die Rechtswegzuständigkeit bei Rechtsstreitigkeiten zwischen diesem und der Gesellschaft nach allgemeinen Grundsätzen 150. Dadurch war im Streitfall der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet, soweit sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage gegen die Wirksamkeit der Kündigung des Anstellungsvertrages zur Wehr gesetzt hat. Wird vorab – wie vorliegend – gemäß § 17 a Abs. 3 GVG über die Rechtswegzuständigkeit entschieden, sind nach Ansicht des BAG spätere zuständigkeitsbegründende Veränderungen auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 17 a Abs. 4 GVG zu beachten. Da der Kläger vor der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde sein Geschäftsführeramt niedergelegt hatte, ging es nach Beendigung der Fiktionswirkung aus § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG um die Beendigung des ursprünglich vereinbarten Arbeitsverhältnisses, das aus Anlass der Geschäftsführerbestellung keine Änderung erfahren hatte. Für die Praxis hat diese Rechtsprechungsänderung des BAG vor allem dann eine besondere Bedeutung, wenn der Organstellung als Geschäftsführer einer GmbH ein Arbeitsverhältnis zugrunde liegt, weil damit die Möglichkeit entfällt, bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Abberufung von der Organstellung auf einen Zeitpunkt nach Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage zu verschieben, um allein dadurch in die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu gelangen. Hierbei ist außerdem zu berücksichtigen, dass nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG die Vorschriften des Ersten Abschnitts dieses Gesetzes nicht in Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, gelten. Da für die Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzustellen ist, erscheint es weiterhin aus der Sicht des Unternehmens ratsam, die Beendigung der Organstellung erst nach Zugang der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu beenden. Allerdings bleibt abzuwarten, ob das BAG den Manipulationsgesichtspunkt auch auf § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG 150 BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, , NZA 2015, 180 Rz. 22.
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Rechtsweg bei der Abberufung und Kündigung eines Geschäftsführers
überträgt. Kann das Unternehmen damit rechnen, dass noch während der Laufzeit des Arbeitsvertrags ein rechtskräftiger Abschluss des Streits über die Rechtswegzuständigkeit zu erwarten ist, lässt sich die Abberufung von der Organstellung bis zu diesem Zeitpunkt verschieben. Da jedoch auch der Geschäftsführer jederzeit sein Amt als Organ problemlos niederlegen darf, kann er auch von seiner Seite die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte erreichen, wenn es um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geht. Bei Vertretern einer juristischen Person und damit bei dem Geschäftsführer einer GmbH ist stets zwischen der Organstellung und dem ihr zugrunde liegenden Vertragsverhältnis zu differenzieren. Endet die Organstellung, so besteht das Anstellungsverhältnis bis zu seinem Ablauf oder seiner Kündigung fort. Grundsätzlich führt der Verlust der Organstellung nicht automatisch zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses, so dass die Behandlung der Organstellung und des Anstellungsverhältnisses ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben. Dies folgt auch aus § 38 Abs. 1 GmbHG, wonach die Bestellung der Geschäftsführer zu jeder Zeit widerruflich ist, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen. Die freie Widerruflichkeit der Organstellung als einseitiges Gestaltungsrecht der Gesellschaft führt nicht gleichzeitig zur Beendigung oder Kündigung des Anstellungsverhältnisses, weil Organverhältnis und Anstellungsverhältnis völlig getrennt voneinander zu beurteilen sind. Daraus ergibt sich naturgemäß für die Praxis die Frage, was nach Abberufung eines Geschäftsführers von seiner Organstellung mit dem Anstellungsvertrag und einer daraus möglicherweise resultierenden Beschäftigungspflicht wird. Erfolgt die Abberufung des Geschäftsführers als Organ durch die Gesellschaft, bleibt diese zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet, was alternativ aus § 615 S. 1 BGB 151 oder aus § 326 Abs. 2 BGB zu entnehmen ist, wenn man davon ausgeht, dass der Geschäftsführer nach seiner Abberufung nicht mehr in der Lage ist, die damit verbundenen Aufgaben zu erfüllen (§ 275 Abs. 1 BGB). So hat der BGH in einer Entscheidung vom 11.10.2010 (Bundeskunsthalle) 152 verdeutlicht, dass der GmbH-Geschäftsführer nach dem Verlust seiner Organstellung – soweit der Anstellungsvertrag nichts anderes beinhaltet – keinen Anspruch auf Beschäftigung in einer seiner früheren Tätigkeit vergleichbaren leitenden Funktion hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich nach Ansicht des BGH allein daraus, dass der Anstellungsvertrag 151 So BGH v. 1.10.2010 – II ZR 266/08, DB 2011, 49 Rz. 10. 152 II ZR 266/08, DB 2011, 49 Rz. 9; vgl. dazu auch Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
regelmäßig nur die Beschäftigung als Geschäftsführer zum Inhalt hat und damit eine Tätigkeit unterhalb der Organebene typischerweise nicht vereinbart ist. Liegt der Organstellung des Geschäftsführers der frühere Arbeitsvertrag zugrunde, so stellt sich mit Wegfall der Organstellung die Frage, ob die darin ursprünglich vorgesehene Aufgabenstellung der früheren Angestelltenposition wieder auflebt, ungeachtet der sich aus § 38 Abs. 1 GmbHG in Verbindung mit § 615 S. 1, 326 Abs. 2 BGB ergebenden Verpflichtung der Gesellschaft, die bisherigen Bezüge bis zum Ablauf des Arbeitsvertrages fortzahlen zu müssen. Jedenfalls kann durch die wiedererlangte Arbeitgeberstellung des Unternehmensträgers daran gedacht werden, dem abberufenen Geschäftsführer während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses eine anderweitige zumutbare Tätigkeit anzubieten, um damit die Rechtsfolgen des § 615 S. 2 BGB auszulösen. Die nicht vertragsgemäße Arbeit ist nicht ohne weiteres mit unzumutbarer Arbeit gleichzusetzen, so dass der Anspruch auf eine bestimmte Beschäftigung als solcher nicht die Zumutbarkeit jedweder anderen Tätigkeit ausschließt 153. Schwieriger ist die rechtliche Situation zu beurteilen, wenn der Geschäftsführer selbst im Interesse des Zugangs zur Arbeitsgerichtsbarkeit sein Amt aufgibt und damit die Fortführung der Leistungserbringung als Geschäftsführer unmöglich macht (§ 275 Abs. 1 BGB), weil damit auch sein Vergütungsanspruch nach § 326 Abs. 1 BGB entfiele. Ginge man allerdings davon aus, dass auch in diesem Fall der frühere Arbeitsvertrag wieder auflebt, kann der Arbeitnehmer seine frühere vertraglich vereinbarte Tätigkeit anbieten. Soweit ersichtlich, sind diese Fragen höchstrichterlich noch nicht geklärt, was möglicherweise dadurch veranlasst ist, dass mit dem Verlust der Organstellung häufig eine Freistellung des Dienstnehmers unter Fortzahlung der Bezüge verbunden wird. (Boe)
153 BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rz. 20.
210
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Darlegungs- und Beweislast bei der Leistungsbeurteilung im Zeugnis
Arbeitnehmer haben gem. § 109 I GewO bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis. Arbeitgeber nutzen dazu meist ein im Arbeitsleben übliches Beurteilungssystem, das auf einer den Schulnoten vergleichbaren Skala von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ reicht. „Gut“ ist ein Arbeitnehmer demnach nur dann, wenn er „stets“, „immer“ oder „durchgehend“ zur vollen Zufriedenheit des Arbeitgebers gearbeitet hat 1. Mit „Zufriedenheit“ ist abweichend vom üblichen Sprachgebrauch nicht die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers gemeint, sondern vielmehr eine auf die Arbeitsaufgabe abgestellte Beurteilung, die sich an den objektiven Anforderungen orientiert, die üblicherweise an einen Arbeitnehmer mit vergleichbarer Aufgabe gestellt werden 2. Handelt ein Arbeitnehmer „stets zur vollsten Zufriedenheit“, so übersteigen seine Leistungen die Erwartungen des Arbeitgebers sowohl aufgrund der Quantität als auch der qualitativ hochwertigen Arbeit und sind daher mit der Höchstnote „sehr gut“ zu bewerten. 3 Problematisch ist die Frage der Darlegungs- und Beweislast, wenn die Zeugnisnote von der Selbstbeurteilung des Arbeitnehmers abweicht. Zunächst prägte der 5. Senat des BAG die Ansicht, als Aussteller des Zeugnisses müsse der Arbeitgeber die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung vortragen und ggf. beweisen 4. Dies wurde am 14.10.2003 5 durch den inzwischen für Zeugnisstreitigkeiten zuständigen 9. Senat modifiziert, nach der der Arbeitnehmer, der „eine überdurchschnittliche Beurteilung“ erstrebe, die hierfür erforderlichen Tatsachen beibringen müsse. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis (bereits) „eine gut durchschnittliche Leistung“ bescheinigt habe, habe der Arbeitnehmer die Tatsa-
1 2 3 4 5
Vgl. ErfK/Müller-Glöge, § 109 GewO Rz. 32 f.; Schaub/Linck, ArbR-HdB, § 147 Rz. 23; Schleßmann, 194 ff.; Huber/Müller, 69 ff. Vgl. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 10. Vgl. Ecklebe, DB 2015, 923, 925. Vgl. BAG v. 23.6.1960 – 5 AZR 560/58, NJW 1960, 1973 Rz. 38 ff. 9 AZR 12/03, NJW 2004, 2770.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
chen vorzutragen und zu beweisen, die eine bessere Schlussbeurteilung rechtfertigen sollen 6. Vergibt der Arbeitgeber eine unterdurchschnittliche Note („ausreichend“ oder „mangelhaft“), muss er dies nach der bisherigen Rechtsprechung 7 darlegen und beweisen. Durchschnittlich war nach Auffassung des BAG die Note „befriedigend“ als mittlere Note auf der Zufriedenheitsskala 8. An dieser Rechtsprechung hält das BAG fest. In dem seinem Urteil vom 18.11.2014 9 zugrunde liegenden Streitfall klagte eine Arzthelferin, die nach Beendigung ihrer Tätigkeit ein Zeugnis mit der Note „befriedigend“ („zu unserer vollen Zufriedenheit“) erhalten hatte. Sie forderte eine bessere Bewertung ihrer Leistungen mit der Note „gut“ („stets zu unserer vollen Zufriedenheit“). Eine Leistungsbeurteilung als „befriedigend“ sei heutzutage unterdurchschnittlich und daher durch den Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Das Arbeitsgericht Berlin und LAG Berlin-Brandenburg gaben der Klägerin Recht und entschieden auf Grundlage einer wissenschaftlichen Studie des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg aus dem Jahr 2011 10, nach der der faktische Durchschnitt bei Zeugnissen heute die Zeugnisnote „gut“ sei. Die Studie ergab, dass von 802 herangezogenen Zeugnissen 86,6 % im Bereich „gut“ oder „sehr gut“ lagen. Die Note „befriedigend“ liegt demnach unter dem faktischen Durchschnitt 11. Das BAG hat dieser Bewertung durch die Vorinstanzen in seinem Urteil vom 18.11.2014 12 widersprochen und seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Das LAG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer, der eine überdurchschnittliche Beurteilung im Zeugnis erstrebe, entsprechende Leistungen vortragen und ggf. beweisen müsse 13. Es habe jedoch den Begriff „überdurchschnittliche Beurteilung“ verkannt und sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Klägerin mit der Forderung nach einer „guten“ Beurteilung lediglich dem Durchschnitt entsprechen wolle. Entgegen dieser Annahme liege aber eine überdurchschnittliche Leistung vor, wenn sie der Schulnote „gut“ oder „sehr gut“ entsprechen, so dass die Klä-
6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. BAG v. 14.10.2003 – 9 AZR 12/03, NJW 2004, 2770 Rz. 42. BAG v. 14.10.2003 – 9 AZR 12/03, NJW 2004, 2770. Vgl. BAG v. 14.10.2003 – 9 AZR 12/03, NJW 2004, 2770 Rz. 29. 9 AZR 584/13, NZA 2015 Rz. 8. Sende/Galais/Dahl, Personalwirtschaft 7/2011, 35. Vgl. Düwell/Dahl, NZA 2011, 958. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435. Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 21.3.2013 – 18 Sa 2133/12 Rz. 38 ff.
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Darlegungs- und Beweislast bei der Leistungsbeurteilung im Zeugnis
gerin die Darlegungs- und Beweislast zu tragen habe. Für deren Verteilung komme es nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an 14. Denn ein vom Arbeitgeber gemäß § 109 I 3 GewO auszustellendes qualifiziertes Zeugnis müsse nach ständiger Rechtsprechung 15 in erster Linie wahr sein, um das „Interesse der einstellenden Arbeitgeber an einer möglichst wahrheitsgemäßen Unterrichtung über die fachlichen und persönlichen Qualifikationen“ 16 des Bewerbers zu schützen. Bei der Wahrheitspflicht handele es sich um den bestimmenden Grundsatz des Zeugnisrechts 17. Auch der Wohlwollensgrundsatz, wonach das Fortkommen des Arbeitnehmers durch den Zeugnisinhalt nicht unnötig erschwert werden darf, finde aufgrund der schutzwürdigen Interessen des künftigen Arbeitgebers seine Grenzen in der Wahrheitspflicht. Ein Zeugnis müsse daher auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein 18. Dies entspricht auch Bewertungen in der Literatur. So sei die bessere Leistungsbewertung bei 86,6 % der Arbeitszeugnisse nicht auf eine gestiegene Leistungsfähigkeit zurückzuführen, die eine Anpassung der Notenskala an die heutigen Verhältnisse notwendig erscheinen ließe. 19 Vielmehr scheuten Arbeitgeber die Kosten und Mühen eines Zeugnisrechtsstreits, weshalb eine Neigung zu „Gefälligkeitszeugnissen“ bestehe 20. § 109 Abs. 1 S. 3 GewO begründet keinen Anspruch auf ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Zeugnis, sondern auf eine leistungsgerechte Beurteilung der erbrachten Arbeit. Die Tendenz zur Erteilung von „Gefälligkeitszeugnissen“ kann keine Rechtspflicht eines Arbeitgebers begründen, der neuen Entwicklung Rechnung zu tragen zu müssen und trotz einer nur durchschnittlichen Leistung des Arbeitnehmers diesem eine gute Leistung zu bescheinigen. Kann der Arbeitnehmer allerdings beweisen, dass er dem Anforderungsprofil überdurchschnittlich oft entsprochen hat und daher überdurchschnittliche
14 BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 8. 15 Vgl. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 19; 11.12.2012 – 9 AZR 227/11, NJW 2013, 811 Rz. 21. 16 BT-Drucks. 14/8796 S. 25. 17 Vgl. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 19; Müller, AiB 2012, 387, 388; ErfK/Müller-Glöge, § 109 GewO Rz. 22 ff. 18 Vgl. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 19; 11.12.2012 – 9 AZR 227/11, NJW 2013, 811 Rz. 21. 19 Vgl. Düwell/Dahl, NZA 2011, 958, 959. 20 Vgl. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 20; Düwell/Dahl, NZA 2011, 958, 959; Sende/Galais/Dahl, Personalwirtschaft 7/2011, 35.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Leistung erbracht hat, so muss der Arbeitgeber Tatsachen vorbringen, die dem entgegenstehen 21. Die in der Praxis zu gut verstandene Wohlwollenspflicht führt letztendlich zu falschen Leistungsbeurteilungen, die der Wahrheitspflicht widersprechen. Eine Rechtspflicht, sich einer gesetzeswidrigen Übung anzuschließen, existiert selbstverständlich nicht 22. (Kr)
2.
Wirksamkeit eines Abwerbeverbots bei Beendigung einer Kooperation im Vertrieb
Grundsätzlich findet aus einer Vereinbarung, durch die sich ein Unternehmen gegenüber einem anderen Unternehmen verpflichtet, einen Arbeitnehmer, der bei dem anderen Unternehmen angestellt ist oder angestellt war, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen einzustellen, keine Klage statt. Dies erfasst auch Vertragsstrafenversprechen, die der Sicherung einer solchen Vereinbarung dienen 23. Dies folgt aus §§ 75 f HGB, 110 S. 2 GewO. Bislang war umstritten, ob die vorstehend genannten Vorschriften nicht nur einer Klagbarkeit von Einstellungsverboten, sondern auch von Vereinbarungen zwischen Unternehmern entgegenstehen, nach denen keine Arbeitskräfte des Vertragspartners abgeworben werden dürfen. Ein Teil der Literatur hatte mit Blick auf § 75 f HGB generell auch Abwerbeverboten die Durchsetzbarkeit versagt 24. Ein anderer Teil der Literatur hatte Abwerbeverbote jedenfalls dann zugelassen und aus dem Anwendungsbereich von § 75 f HGB herausgenommen, wenn sie nur die gezielte Abwerbung auf Initiative des Arbeitgebers verbieten 25. Eine andere Ansicht wiederum hatte Abwerbeverbote mit Vertragsstrafen in bestimmten Fällen für durchsetzbar gehalten. Dabei ging es um Sachverhalte, in denen ein Verstoß gegen Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vorliegt, oder in denen zwischen den Beteiligten Unternehmen ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht 26.
21 Vgl. BAG v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435 Rz. 9, 13, 18. 22 Vgl. Sende/Galais/Dahl, Personalwirtschaft 7/2011, 35. 23 BGH v. 30.4.2014 – I ZR 245/12, NZA 2015, 111 Rz. 13; BGH v. 13.10.1972 – I ZR 88/71, BB 1973, 427, Rz. 12. 24 So Schloßer, BB 2003, 1382, 1383; Schlegelberger/Schröder, HGB § 75 f. Rz. 2 a. 25 So Heimann/Henssler, HGB § 75 f. Rz. 4; HWK/Diller, HGB § 75 f. Rz. 5. 26 So Weiland, BB 1976, 1179, 1180; Röhricht/von Westphalen/Haas/ Wagner, HGB § 75 f. Rz. 7.
214
Wirksamkeit eines Abwerbeverbots bei Beendigung einer Kooperation im Vertrieb
In seinem Urteil vom 30.4.2014 27 hat der BGH auch die zwischen Unternehmen vereinbarten Abwerbeverbote zwar im Grundsatz in den Anwendungsbereich von §§ 75 f HGB, 110 S. 2 GewO aufgenommen. Zur Begründung hat er dabei vor allem auch auf den Zweck der Vorschriften hingewiesen. Durch die §§ 74 ff. HGB solle den Interessen des Arbeitnehmers an seinem beruflichen Fortkommen nach dem Ende des Anstellungsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Unternehmers, sich durch Wettbewerbsverbote vor einer Abwanderung seines Personals zu Konkurrenzunternehmen zu schützen, grundsätzlich der Vorrang eingeräumt werden. Der Arbeitgeber, der ein Abwandern seiner Mitarbeiter verhindern wolle, solle mit ihnen ein Wettbewerbsverbot vereinbaren und dafür eine Karenzentschädigung zahlen. Eine Behinderung der Abwanderung der Mitarbeiter ohne Entschädigungszahlungen an die Betroffenen durch Arbeitgeberabsprachen soll demgegenüber verhindert werden. § 75 f HGB komme in diesem Zusammenhang deshalb die Funktion zu, eine Umgehung dieser Zielsetzung zu verhindern. Dies rechtfertige, auch die Vereinbarung eines Abwerbeverbots zwischen Unternehmern im Allgemeinen dem Anwendungsbereich von § 75 f HGB zu unterstellen. Mit überzeugender Begründung nimmt der BGH hiervon allerdings Ausnahmen an. Dabei nennt er nicht nur Fälle, in denen das Verhalten des anwerbenden Arbeitgebers eine unlautere geschäftliche Handlung darstelle, deren Verbot nach den Vorschriften des UWG beansprucht werden könne. Aus dem Anwendungsbereich von § 75 f HGB seien – so der BGH – auch solche Vereinbarungen auszugrenzen, bei denen das Abwerbeverbot nicht Hauptzweck sei, sondern bei denen es nur eine Nebenbestimmung darstelle, die einem besonderen Vertrauensverhältnis der Parteien oder einer besonderen Schutzbedürftigkeit einer der beiden vertragsschließenden Seiten Rechnung trage. Hierzu gehörten etwa Abwerbeverbote, die bei Risikoprüfungen vor dem Kauf von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen vereinbart würden (sog. Due-Dilligence-Prüfungen). Eine vergleichbare Situation könne bei einer Abspaltung von Unternehmensteilen oder Konzerngesellschaften oder bei Kooperationsvereinbarungen zwischen selbständigen Unternehmen bestehen. Von diesen Grundsätzen ausgehend, hat der BGH das streitgegenständliche Abwerbeverbot grundsätzlich anerkannt. Die im Nutzfahrzeuggeschäft tätigen Parteien des Rechtsstreits gehörten ursprünglich zu derselben Firmengruppe, bis ein Drittunternehmen 2004 die Geschäftsanteile an der Beklagten erwarb. Um den gemeinsamen Vertrieb ihrer Fahrzeuge fortzusetzen, 27 I ZR 245/12, NZA 2015, 111 Rz. 19 ff.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
schlossen die in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander ansässigen Parteien am 19.8.2005 einen Kooperationsvertrag, der folgende Klausel enthielt: Jede Partei verpflichtet sich, während sowie bis drei Jahre nach Beendigung dieses Vertrages keine Mitarbeiter der anderen Partei direkt oder indirekt anzuwerben. Für jeden Fall einer Zuwiderhandlung gegen die Bestimmung in Satz 1 zahlt die verstoßende Partei an die andere Partei eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei Bruttojahresgehältern (einschließlich Prämien, Tantiemen) des betreffenden Mitarbeiters, der unter Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß Satz 1 von der betreffenden Partei abgeworben wird, wobei zur Berechnung der Vertragsstrafe das Bruttojahresgehalt des betreffenden Mitarbeiters maßgeblich ist, das er im Jahr vor Verwirkung der Vertragsstrafe bezogen hat.
Der Kooperationsvertrag wurde durch die Beklagte zum 31.12.2006 gekündigt. Als dann im August 2009 zwei bei der Klägerin beschäftigte Vertriebsmitarbeiter ihr Arbeitsverhältnis kündigten, um zur Beklagten zu wechseln, erhob die Klägerin Klage mit dem Ziel, von der Beklagten eine Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 383.770,52 € zu erhalten. Der BGH hat die klageabweisende Entscheidung des Hanseatischen OLG Hamburg aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. In der Begründung seiner Entscheidung hat der BGH darauf verwiesen, dass § 75 f HGB der Durchsetzbarkeit der hier in Rede stehenden Vereinbarung nicht von vorne herein entgegenstehe, weil die Feststellungen des Berufungsgerichts die Annahme rechtfertigten, dass zwischen den Parteien ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden hatte. Denn auch nach Herauslösung der Beklagten aus der Firmengruppe der Klägerin vertrieben die Parteien ihre Produkte auf der Grundlage des Kooperationsvertrags zunächst gemeinsam, so dass beide Seiten die Einzelheiten des Mitarbeiterstamms des jeweils anderen Unternehmens kannten. Dem ist zuzustimmen. Denn gerade in einer solchen Konstellation werden wechselseitig nicht nur Betriebsund Geschäftsgeheimnisse bekannt. Vielmehr erkennt jedes Unternehmen in der Regel auch, welche Mitarbeiter des jeweils anderen Unternehmens in besonderer Weise für den Unternehmenserfolg maßgeblich sind. Das damit verbundene Vertrauen, das wechselseitig eingeräumt wird, rechtfertigt es, jedenfalls für eine begrenzte Zeitspanne ein durchsetzbares Abwerbeverbot zu vereinbaren. Wichtig ist allerdings, dass die Dauer eines solchen Verbots den Zeitraum von zwei Jahren nicht übersteigen darf. Der BGH zieht insoweit eine Paral216
Keine Beendigung von Vorruhestandsleistungen durch Wohnsitzwechsel ins Ausland
lele zur maximalen Dauer eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nach §§ 74 ff. HGB. Ist diese Zeitspanne überschritten, kann ohne Rücksicht auf die getroffene Vereinbarung ein Abwerben vorgenommen werden. Solche Vereinbarungen dürften zwar in der betrieblichen Praxis selten sein. Gerade im Zusammenhang mit der Einrichtung eines gemeinsamen Betriebs kann es allerdings Sinn machen, über den Abschluss eines solchen Abwerbeverbots nachzudenken. Dies gilt jedenfalls mit Blick auf die denkbare Situation, dass die an einem gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen nicht (mehr) in einer Konzernbindung stehen, wie dies hier der Fall war. (Ga)
3.
Keine Beendigung von Vorruhestandsleistungen durch Wohnsitzwechsel ins Ausland
Gerade bei Arbeitnehmern im rentennahen Alter stellt der Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung eine Alternative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung dar. Zwar ist auch der Vorruhestand mit einer solchen Vertragsbeendigung verbunden. Im Rahmen einer Vorruhestandsvereinbarung verpflichtet sich der Arbeitgeber allerdings, dem Arbeitnehmer – in der Regel unter Anrechnung von Arbeitslosengeld – ein Mindesteinkommen zu sichern bis er ein Alter erreicht, in dem Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden. Auf diese Weise soll eine Versorgungslücke vermieden werden, die durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgelöst wird 28. Nach den tatrichterlichen Feststellungen waren von dieser Zweckbestimmung auch die Parteien in dem der Entscheidung des BAG vom 23.9.201429 zugrundeliegenden Fall ausgegangen. Der Kläger war dort bis zum 30.9.2004 mit einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 6.263,33 € beschäftigt. Seit dem 20.3.1992 war er Inhaber eines Schwerbehindertenausweises. Der Grad der Behinderung betrug 80. Am 6.9.2004 schloss der Kläger mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Vorruhestandsvereinbarung, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.9.2004 vorsah. Gemäß Ziff. 2.1. des Vorruhestandsvertrags sollte der Kläger vom 1.10.2004 bis zum gesetzlichen Rentenbeginn ein monatliches Vorruhestandsgeld in Höhe von 4.800,- € (brutto) erhalten. Ergänzend hierzu war u. a. vereinbart worden: 28 Vgl. BAG v. 23.9.2014 – 9 AZR 827/12 n. v. (Rz. 24); BAG v. 15.2.2011 – 9 AZR 750/09, NZA 2011, 740 Rz. 34. 29 9 AZR 827/12 n. v.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
4. Grundlage und Erlöschen der Ansprüche 4.1. Die Ansprüche aus dieser Vorruhestandsvereinbarung erlöschen mit Beginn des Monats, für den Herr B eine gesetzliche Rente wegen Alters, Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung beanspruchen kann: Das ist nach Rechtslage zur Zeit des Abschlusses dieses Vertrages am 1.1.2011. Erforderliche Antragstellungen obliegen Herrn B. … 5. Mitwirkungspflichten 5.1. Herr B ist verpflichtet, Änderungen der ihn betreffenden Verhältnisse, die auf die Ansprüche auf Vorruhestandsgeld Auswirkungen haben können, der Bank unverzüglich mitzuteilen. Dazu gehört insbesondere die Aufnahme einer Tätigkeit, für die Herr B eine Vergütung für den Einsatz seiner Arbeitskraft erhält. Während der Dauer der Vorruhestandsvereinbarung erhaltene Bezüge sowie evtl. Leistungen aus den Sozialversicherungen werden auf das von der Bank zu zahlende Vorruhestandsgeld angerechnet. … 5.3. Herr B verpflichtet sich, einen Antrag auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder vergleichbarer Leistungen bei Vorliegen der Voraussetzungen zum frühest möglichen Zeitpunkt (auch bei Abschlägen), auch während der Laufzeit dieser Vereinbarung zu stellen.
Nach einer ersten Ankündigung im September 2004 zog der Kläger Ende 2004 nach Bolivien. Der Beklagten war dies bekannt. Entsprechend ihrer Erwartung bei Vertragsschluss stellte sie die Vorruhestandsleistungen mit Vollendung des 60. Lebensjahres dann aber ein. Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass der Antrag des Klägers auf Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises unter Bezug auf seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland durch Bescheid des Versorgungsamts im Jahre 2010 abgelehnt wurde. Die am 9.2.2011 beantragte Altersrente wegen Schwerbehinderung bewilligte ihm die Deutsche Rentenversicherung Bund mit derselben Begründung nicht. Mit der jetzt anhängigen Klage beantragte er deshalb festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm – entgegen der ursprünglichen Annahme – über den 31.12.2010 hinaus bis zum 31.12.2013 monatlich 4.800,(brutto) auf der Grundlage der Vorruhestandsvereinbarung zu zahlen. Ab 1.1.2014 konnte der Kläger die Regelaltersrente in Anspruch nehmen. Der 9. Senat des BAG hat den Antrag des Klägers für berechtigt gehalten. Voraussetzung für eine Beendigung der Zahlungspflicht der Beklagten am
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Keine Beendigung von Vorruhestandsleistungen durch Wohnsitzwechsel ins Ausland
31.12.2010 wäre gewesen, dass der Kläger ab 1.1.2011 hätte – ggf. vorzeitig – gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen können. Diese Voraussetzungen lagen indes nicht vor, so dass die auflösende Bedingung nicht eingetreten war. Zwar vollendete der am 12.12.1950 geborene Kläger im Dezember 2010 sein 60. Lebensjahr. Voraussetzung für einen Anspruch auf vorzeitige Altersrente für schwerbehinderte Menschen war nach § 236 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI aber die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch i. S. d. § 2 Abs. 2 SGB IX zum Zeitpunkt des möglichen Rentenbeginns. Ausweislich des Wortlauts der Norm sind schwerbehindert allerdings nur solche Personen, die ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i. S. d. § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Hieran fehlte es, weil der Kläger seit 2004 in Bolivien lebte. Dass die Parteien ausweislich der Vorruhestandsvereinbarung von einem Rentenbeginn am 1.1.2011 ausgegangen waren, stand der Zahlungspflicht der Beklagten aus Sicht des BAG nicht entgegen. Denn der Zweck der Vorruhestandsvereinbarung sei darauf gerichtet, eine Versorgungslücke nicht nur bis zu einem hypothetischen, sondern bis zu einem tatsächlichen Rentenbeginn auszugleichen. Erst zu diesem Zeitpunkt sollte die auflösende Bedingung zur Folge haben, dass die monatlichen Zahlungspflichten beendet wurden. Richtigerweise lehnt es das BAG auch ab, ein treuwidriges Verhalten des Klägers anzunehmen. Weder der Wegzug aus Deutschland im Jahre 2004 noch die unterbliebene Rückkehr Ende 2010 stellten ein treuwidriges Verhalten des Klägers i. S. d. §§ 162 Abs. 1, 242 BGB dar. § 162 Abs. 1 BGB sei zwar Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten dürfe. Wann die Beeinflussung des Geschehensablaufs treuwidrig sei, lasse sich aber nicht abstrakt bestimmen, sondern nur im Einzelfall beurteilen. Maßgeblich sei, welches Verhalten von einem loyalen Vertragspartner erwartet werden könne 30. Aus Sicht des BAG fehlten aber Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Ende 2004 nach Bolivien zog, um den Erwerb von Rentenansprüchen und damit das Erlöschen des Anspruchs auf Vorruhestandsgeld mit Ablauf des 31.12.2010 zu verhindern. Dies sei schon wegen der großen zeitlichen Differenz fernliegend. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, dass der Kläger eine 30 BAG v. 23.9.2014 – 9 AZR 827/12 n. v. (Rz. 32).
219
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
bereits geplante Rückkehr nur deshalb unterlassen habe, weil er sich seinen Anspruch auf Vorruhestandsgeld erhalten und die Zahlungspflicht der Beklagten verlängern wollte. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger lediglich von seiner Freiheit Gebrauch gemacht habe, seinen Wohnsitz nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nach Bolivien zu verlegen. Ob die Parteien hätten vereinbaren können, dass ein Umzug ins Ausland verboten ist, lässt das BAG insoweit ausdrücklich offen 31. Auch wenn das Ergebnis für den Arbeitgeber überraschend sein mag, überzeugen die Feststellungen des BAG. Wichtig ist, daraus für die Ausgestaltung entsprechender Vorruhestandsvereinbarungen die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Die einfachste Möglichkeit ist, dass eine Beendigung der Vorruhestandsleistungen nicht von einer auflösenden Bedingung abhängig gemacht wird, sondern hierfür ein fester Zeitpunkt vereinbart wird. Entsprechendes würde dann gelten, wenn Abfindungsleistungen in einem Sozialplan für rentennahe Jahrgänge in ihrer Höhe mit dem Zeitpunkt verknüpft werden, zu dem gesetzliche Altersrente in Anspruch genommen werden kann. Auch hier könnte statt einer abstrakten Beschreibung auf einen festen Zeitpunkt bzw. ein bestimmtes Lebensalter abgestellt werden. Wenn zur Gewährleistung der notwendigen Flexibilität angesichts der unterschiedlichen Formen der Altersrente ein bestimmtes Lebensalter vermieden werden soll, ist es geboten, eine Beendigung arbeitgeberseitiger Leistungen nicht an den tatsächlichen Bezug der jeweiligen Altersrente zu knüpfen. Vielmehr sollte auf die bloße Berechtigung abgestellt werden, wobei tatbestandliche Voraussetzungen bereits in der Vorruhestandsvereinbarung bzw. dem Sozialplan unterstellt werden können. Hierzu gehören z. B. der notwendige Antrag oder das Fehlen von Hinzuverdienst. Wenn man dabei trotz der Möglichkeit einer Diskriminierung wegen Schwerbehinderung die Altersrente wegen Schwerbehinderung einbeziehen wollte, könnte insoweit ergänzend unterstellt werden, dass der Wohnsitz des Arbeitnehmers in Deutschland liegt und eine fortbestehende Anerkennung als Schwerbehinderter möglich wäre. Vergleichbare Probleme könnten dann entstehen, wenn bei Vorruhestandsoder Sozialplanleistungen eine Anrechnung von Arbeitslosengeld vorgesehen ist. Denn wenn diese Anrechnung nur erfolgen soll, falls entsprechende Leistungen tatsächlich bezogen werden, kann der Arbeitnehmer eine entsprechende Kürzung der Zahlungspflichten des Arbeitgebers bereits dadurch vermeiden, dass keine Anträge gestellt, in leistungsschädlicher Höhe Einnahmen durch Arbeit erzielt werden oder gegenüber der Arbeitsagentur nicht die nach dem Gesetz erforderliche Verfügbarkeit signalisiert wird. Insoweit 31 BAG v. 23.9.2014 – 9 AZR 827/12 n. v. (Rz. 36).
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Kein Berechnungsdurchgriff bei der Anpassung von Betriebsrenten
ist es deutlich einfacher, entsprechende Leistungen des Arbeitgebers pauschal um den Betrag zu kürzen, der beim Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen für einen Bezug von Arbeitslosengeld in dem jeweiligen Lebensalter des Arbeitnehmers bezogen werden kann. Ob der Arbeitnehmer diese Leistungen tatsächlich in Anspruch nimmt, spielt dann keine Rolle. Bei der hierfür notwendigen Berechnung kann auf Internetrechner und ein bestimmtes – selbstdefiniertes – Bruttoentgelt abgestellt werden. (Ga)
4.
Kein Berechnungsdurchgriff bei der Anpassung von Betriebsrenten aufgrund konzerninterner Verrechnungspreisabrede
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir auf die allgemeinen Grundsätze zur Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hingewiesen. Hierzu gehörte auch die Änderung der Rechtsprechung, soweit sie im Zusammenhang mit der Betriebsrentenanpassung den Berechnungsdurchgriff im Konzern betrifft 32. Konsequenz dieser Änderung ist, dass sogar beim Bestehen eines Beherrschungsvertrags nicht mehr zwingend auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens abgestellt werden kann 33. Mit Urteil vom 21.4.2015 34 hat der 3. Senat des BAG deutlich gemacht, dass ein Berechnungsdurchgriff losgelöst von einer bestehenden Konzernbindung auch nicht dadurch gerechtfertigt wird, dass der versorgungspflichtige Arbeitgeber bei der Berechnung seiner Leistungen innerhalb des Konzerns an Verrechnungspreisabreden gebunden ist, die durch die Konzernobergesellschaft bestimmt werden. In dem zugrundeliegenden Fall bezog der Kläger seit dem 1.8.2008 von der Beklagten eine Betriebsrente. Die Beklagte war in einen Konzern eingebunden und erbrachte Dienstleistungen sowohl für externe Kunden als auch für andere Konzerngesellschaften. Darüber hinaus nahm sie Verwaltungsaufgaben für die Konzernobergesellschaft wahr. Zwischen der Beklagten und einer Schwestergesellschaft mit Sitz in den Niederlanden bestand ein sog. „Intercompany Trailing Agreement“ (im folgenden AGITA), das eine Formel zur Berechnung der Vergütung für die konzerninternen Leistungen enthielt. Gemäß § 16 Abs. 1, 2 BetrAVG verlangte der Kläger von der Beklagten zum 1.1.2011 eine Anpassung seiner Betriebsrente. Er war der Auffassung, die
32 B. Gaul, AktuellAR 2014, 448 ff. 33 Vgl. BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 739/13 n. v. 34 3 AZR 729/13 n. v.
221
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
wirtschaftliche Lage der Beklagten stehe einer Anpassung nicht entgegen. Durch im AGITA vereinbarte Berechnungsformel komme es zu einer konzerninternen Vorteilsverlagerung von der Beklagten auf die Muttergesellschaft. Deshalb sei die in den handelsrechtlichen Jahresabschlüssen der Beklagten ausgewiesene Ertragssituation für ihre wirtschaftliche Lage nicht aussagekräftig. Vielmehr müsse sich die Beklagte die günstige wirtschaftliche Lage ihrer Muttergesellschaft bzw. der Konzernobergesellschaft im Wege des Berechnungsdurchgriffs zurechnen lassen. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Beklagte aufgrund der im AGITA vereinbarten Berechnungsformel für die Vergütung der konzerninternen Leistungen von vorneherein stets nur den im AGITA festgelegten und begrenzten Gewinn erzielen könne. Hierdurch würden Betriebsrentenanpassungen auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat das BAG die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung durfte die Beklagte zum Anpassungsstichtag davon ausgehen, dass ihre wirtschaftliche Lage eine Anpassung der Betriebsrenten nicht zuließ, da sie bis zum nächsten Anpassungsstichtag keine angemessene Eigenkapitalverzinsung erwirtschaften würde. Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG komme es auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Versorgungsschuldners und nicht auf eine fiktive wirtschaftliche Lage an, die bestanden hätte, wenn unternehmerische Entscheidungen anders getroffen worden wären. Vor diesem Hintergrund sei es ohne Bedeutung, wie sich die wirtschaftliche Lage der Beklagten dargestellt hätte, wenn im AGITA eine andere Verrechnungspreisabrede vereinbart worden wäre. Auch die Voraussetzungen für einen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage einer anderen Konzerngesellschaft hätten zum Anpassungsstichtag nicht vorgelegen. Denn hierfür wäre es erforderlich gewesen, dass die andere Konzerngesellschaft in vorsätzlicher (sittenwidriger) Weise auf die unternehmerische Tätigkeit des Versorgungsschuldners Einfluss genommen hätte, um damit eine Schädigung auszulösen (§ 826 BGB). Wir hatten auf diese Erfordernisse an anderer Stelle hingewiesen 35. Dafür bestanden im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte. Da auch keine Schadensersatzansprüche gegen die Konzernobergesellschaft wegen vorsätzlich sittenwidriger Weisungen in Rede standen, musste die Klage abgewiesen werden. Für die betriebliche Praxis bestätigt das Urteil vom 21.4.2015 36 noch einmal, dass bei der Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 Abs. 1 BetrAVG mit wenigen Ausnahmen ausschließlich auf die wirtschaftliche Lage des Versor35 B. Gaul, AktuellAR 2014, 448 ff. 36 8 AZR 729/13 n. v.
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Kein Berechnungsdurchgriff bei der Anpassung von Betriebsrenten
gungsschuldners abgestellt werden darf. Ein Rückgriff auf die wirtschaftliche Lage einer Mutter- oder Konzernobergesellschaft kommt nur unter den in § 826 BGB genannten Voraussetzungen in Betracht. Diese sind bei einer normalen Einflussnahme von Gesellschaftern auf die Belange einer Gesellschaft in der Regel nicht gegeben. In gleicher Weise bleibt deshalb auch ein Berechnungsdurchgriff bei der Festsetzung des Sozialplanvolumens für etwaige Betriebsänderungen ausgeschlossen 37. (Ga)
37 Vgl. B. Gaul/Schmidt, DB 2014, 302 ff.
223
G. Tarifrecht 1.
Fragerecht des Arbeitgebers nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gewerkschaft
Die Konkurrenz der verschiedenen Gewerkschaften, insbesondere der Berufsgruppengewerkschaften zu den branchenbezogenen Arbeitnehmervereinigungen, löst nicht nur Probleme aus bei der Ausgestaltung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln und der Klärung des Anwendungsbereichs der in §§ 77, 87 BetrVG enthaltenen Tarifvorbehalte. Wenn diese Problematik nicht durch das Tarifeinheitsgesetz beseitigt wird 1 und in einem Betrieb deshalb weiterhin mehrere Tarifverträge zum gleichen Regelungsgegenstand Geltung beanspruchen, muss der Arbeitgeber entscheiden, welche Arbeitsbedingungen in Bezug auf die einzelnen Arbeitnehmer zur Anwendung kommen. Lässt man arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln einmal außer Acht, hängt dies davon ab, in welcher Gewerkschaft der jeweilige Arbeitnehmer Mitglied ist. Da diese Mitgliedschaft der Gewerkschaft durch den Arbeitnehmer allerdings im Regelfall nicht bekannt ist, stellt sich die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber berechtigt ist, nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gewerkschaft zu fragen. Mit diesem Problem hatte sich das BAG im Urteil vom 18.11.2014 2 zu befassen. In dem zugrundeliegenden Fall gehörte die beklagte Arbeitgeberin dem Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e. V. (KAV Bayern) an. Dieser schloss 2006 mit ver.di und der GDL jeweils gleichlautend einen „Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern“. Nach einer Kündigung dieses Tarifvertrags und zunächst gemeinsam geführten Verhandlungen erzielte ver.di mit dem KAV Bayern am 20.8.2010 eine Einigung. Die GDL übernahm diese Einigung nicht, erklärte die Verhandlungen für gescheitert und kündigte die Durchführung einer Urabstimmung über Streikmaßnahmen an. Diese Ankündigung nahm die Beklagte zum Anlass, sich an „die Tarifbeschäftigten des Unternehmensbereichs Verkehr“ mit einem Schreiben zu wenden. In diesem Schreiben erläuterte die Beklagte zunächst einmal die Situation der Tarifvertragsverhandlungen im Anschluss an die Einigung mit ver.di und das Scheitern der parallelen Verhandlungen mit der GDL. Sie wies darauf hin, dass das unterschiedliche Vorgehen der Gewerkschaft zur Folge habe, dass nur die Mitglieder von ver.di entsprechende Leistungen nach Maßgabe der 1 2
Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2015, 15 ff. 1 AZR 257/13, NZA 2015, 306.
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Tarifrecht
neuen Vereinbarung erhalten würden. Im Anschluss daran führte sie auszugsweise wie folgt aus: Damit die SM GmbH ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen auf die Umsetzung des mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrages nachkommen kann und – wie auch in der Vergangenheit – die nicht organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls an der Umsetzung teilhaben, sind wir auf ihre Mitwirkung angewiesen. Dies ist in Ihrem eigenen Interesse, da wir ohne Beantwortung und Rückmeldung der als Anlage beigefügten Frage davon ausgehen müssen, dass Sie keinen Anspruch auf die Umsetzung des Tarifergebnisses aus der Einigung vom 20.8.2010 haben. Ihre Antwort wird ausschließlich für die Prüfung eines Anspruches auf die Tarifeinigung mit der Gewerkschaft ver.di verwendet. Bitte senden oder faxen Sie uns Ihre Antwort unterschrieben bis spätestens 10. September 2010 im beigefügten Rückantwortkuvert an Herrn D. P-SC-S1. Sollten Sie an einer zeitgerechten Rückmeldung gehindert sein, holen Sie diese schnellstmöglich nach. Solange keine Rückmeldung erfolgt, kann die Tarifeinigung für Sie in der Entgeltabrechnung nicht umgesetzt werden. … Rückantwort Name:
………………..
Vorname:
………………..
Personalnummer:
…………………
Hiermit erkläre ich, dass ich Mitglied der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL bin (bitte ankreuzen). Ja Nein
□ □
M., den …………………. ……………………….. Unterschrift
Die GDL nahm dieses Schreiben zum Anlass, beim Arbeitsgericht Klage auf Unterlassung solcher Fragen an die Tarifbeschäftigten zu erheben. Sie sah darin einen verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie.
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Fragerecht des Arbeitgebers nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gewerkschaft
Auch wenn das BAG den Antrag aufgrund seiner globalen – anlassunabhängigen – Gestaltung schlussendlich als unbegründet qualifiziert hat, ist der Vorwurf eines unzulässigen Eingriffs in die Tarifautonomie durch entsprechende Fragestellungen während eines Arbeitskampfes in den Gründen des Urteils vom 18.11.2014 3 schlussendlich doch zu Recht bestätigt worden. Der Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG umfasse – so das BAG – insbesondere die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke stehe. Dazu versuchten die Koalitionen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in gemeinsamen Verhandlungen zu einem Interessenausgleich zu gelangen und die jeweils andere Seite zur Übernahme der selbst für richtig gefundenen Position ganz oder in Teilen zu bewegen. Die hierfür erforderliche Verhandlungsstärke einer Arbeitnehmerkoalition hänge aber von der Zahl ihrer Mitglieder ab. Diese sicherten nicht nur deren finanziellen Bestand, sondern seien auch Garanten ihrer Durchsetzungsfähigkeit in den Vertragsverhandlungen mit dem sozialen Gegenspieler. Der Organisationsgrad einer Gewerkschaft wie die Verteilung ihrer Mitglieder in den Betrieben des jeweiligen Tarifgebiets seien bestimmend für die Wahl der Mittel, die eine Arbeitnehmerkoalition einsetzen könne, um in Tarifverhandlungen mit der Arbeitgeberseite zum Abschluss zu gelangen. Ein solches Mittel sei auch der Arbeitskampf. Welches Arbeitskampfmittel die Arbeitnehmerorganisation in welchem Umfang einsetze und welches Kampfgebiet sie hierfür wähle, gäben vor allem der Organisationsgrad und die betriebliche Zuordnung ihrer Mitglieder vor. Seien der Arbeitgeberseite diese Daten bekannt, könne sie sowohl ihre Verhandlungsposition als auch im Falle eines Arbeitskampfs ihre Arbeitskampfmittel hierauf einstellen. Die Ungewissheit des sozialen Gegenspielers über die tatsächliche Durchsetzungskraft der Arbeitnehmerkoalition in einer konkreten Verhandlungssituation sei demnach grundlegend dafür, dessen Verhandlungsbereitschaft zu fördern und zu einem angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Im Hinblick darauf schütze Art. 9 Abs. 3 GG eine Gewerkschaft auch darin, diese Angaben der Arbeitgeberseite in einer konkreten Verhandlungssituation vorzuenthalten, um sich nicht selbst zu schwächen. Dieser Bewertung ist trotz der außerordentlichen Probleme, die die Tarifpluralität im Bereich des Arbeitskampfes zur Folge hat, zuzustimmen. Damit war die Befragungsaktion der Beklagten nicht nur eine gegen die koalitionsspezifische Betätigungsfreiheit der Klägerin gerichtete Maßnahme. Sie war auch mit einem Eingriff in die Tarifautonomie verbunden, der nicht durch andere – höherwertigere – Rechte von Verfassungsrang gerechtfertigt wer3
1 AZR 257/13, NZA 2015, 306 Rz. 28 ff.
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Tarifrecht
den konnte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die entsprechende Frage – so das BAG – während des Arbeitskampfes gestellt wird 4. Losgelöst davon hat das BAG in seiner Entscheidung darauf verwiesen, dass die Beklagte eine Anpassung der Arbeitsbedingungen im Anschluss an den Tarifabschluss mit ver.di auch in Bezug auf die GDL-Mitglieder bereits als Folge der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel hätte vornehmen müssen. Denn die konkret verwendeten Bezugnahmeklauseln verpflichteten sie, den Tarifvertrag zur Anwendung zu bringen, an den sie ihrerseits – ohne Rücksicht auf eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft der Arbeitnehmer – kraft Gesetzes gebunden war. Soweit die Beklagte zu ihrer Verteidigung geltend gemacht hatte, dass die Kenntnis um die Gewerkschaftsmitgliedschaft auch eine selektive Aussperrung ermöglichen solle, hat dies das BAG generell abgelehnt. Eine selektive Aussperrung, die gezielt nur die Mitglieder der streikenden Gewerkschaft erfasse, also schon Nichtorganisierte hiervon ausnehme, stelle eine unzulässige Einschränkung der positiven Koalitionsbetätigungsfreiheit der kampfführenden Gewerkschaft dar. Dies gelte losgelöst von dem Umstand, dass Entscheidungen über solche Aussperrungen und den Abschluss etwaiger Notdienstvereinbarungen ohnehin nicht durch den Arbeitgeber, sondern durch den KAV Bayern als kampfführenden Arbeitgeberverband zu treffen gewesen wären. Hiervon ausgehend wird man in der betrieblichen Praxis hinnehmen müssen, dass eine Kenntnis über die Mitgliedschaft der Arbeitnehmer in den verschiedenen Gewerkschaften jedenfalls während des Arbeitskampfes nicht im Fragewege geklärt werden darf. Daran dürfte sich auch durch das Tarifeinheitsgesetz nichts ändern. Denn die Möglichkeit der Gewerkschaften, den Umfang ihrer Vertretung in den betroffenen Betrieben durch eine öffentliche Urkunde nachzuweisen, ist gerade nicht mit einer namensbezogenen Darlegung der Gewerkschaftsmitgliedschaft verbunden. Vielmehr soll insbesondere durch notarielle Urkunde der Nachweis erbracht werden, dass eine bestimmte Zahl an Mitgliedern dieser Gewerkschaft in dem streitgegenständlichen Betrieb beschäftigt ist. Wir hatten auf die damit verbundenen Probleme an anderer Stelle hingewiesen 5. (Ga)
4 5
BAG v. 18.11.2014 – 1 AZR 257/13, NZA 2015, 306 Rz. 28 ff., 38. B. Gaul, AktuellAR 2015, 15 ff., 18 ff.
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Anrechnung übertariflicher Zulage bei Anhebung des Tarifentgelts
2.
Anrechnung übertariflicher Zulage bei Anhebung des Tarifentgelts
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG 6 beantwortet sich die Frage, ob eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich auf eine übertarifliche Vergütung angerechnet werden kann, nach der zugrunde liegenden Vergütungsabrede. Haben die Arbeitsvertragsparteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, gilt diese. Anderenfalls ist aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht. Die Anrechnung ist grundsätzlich unabhängig von einem ausdrücklich geregelten Vorbehalt möglich, sofern dem Arbeitnehmer die Zulage nicht vertraglich als ein selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist 7. Auch die tatsächliche Weiterzahlung einer Zulage nach einer Tariflohnerhöhung begründet für sich allein betrachtet noch nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers, auch in Zukunft die Zulage auf den jeweiligen Tariflohn als selbständigen Lohnbestandteil aufzustocken und von der Anrechnung abzusehen. Davon ist auch dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber die freiwillige Zulage vorbehaltlos über einen längeren Zeitraum auf die jeweilige Tariflohnerhöhung nicht verrechnet hat 8. Die Begründung für diese Bewertung liegt darin, dass die neben dem Tarifentgelt gewährte übertarifliche Zulage künftigen Tariflohnerhöhungen bereits vorgreift. Da der Arbeitgeber - für den Arbeitnehmer erkennbar - nicht abschätzen kann, ob er bei künftigen Tariflohnerhöhungen eine bisher gewährte zusätzliche Zulage unverändert wirtschaftlich verkraften kann, entspricht es nach der Sichtweise des BAG 9 regelmäßig dem Parteiwillen, dass der Arbeitgeber die Verrechnung vornehmen darf, soweit sich dadurch die Gesamtvergütung nicht verringert. Dieser Vertragsinhalt ist weder ungewöhnlich (§ 305 c Abs. 1 BGB) noch eine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung (§ 307 Abs. 3 BGB), weil sie sich auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bezieht und demgemäß nur am Transparenzgebot (§ 307 Abs. 3 S. 2 BGB i. V. m. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) zu messen ist. Das Transparenzgebot wird allein deswegen gewahrt, weil für den Arbeitnehmer ohne weiteres ersichtlich ist, dass der übertarifliche Lohnbestandteil nur so lange erhal-
6 7 8 9
BAG v. 1.3.2006 – 5 AZR 540/05, NZA 2006, 688 Rz. 13; BAG v. 27.8.2008 – 5 AZR 821/07 n. v. (Rz. 13). BAG v. 27.8.2008 – 5 AZR 821/07 n. v. (Rz. 13). BAG v. 31.10.1995 – 1 AZR 276/95, NZA 1996, 613 Rz. 20; BAG v. 27.8.2008 – 5 AZR 821/07 n. v. (Rz. 13). BAG v. 21.1.2003 – 1 AZR 125/02 n. v.
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Tarifrecht
ten bleibt, bis eine Tariflohnerhöhung eintritt 10. Damit wird auch der Anlass der Anrechnung, nämlich die Tarifanhebung, für den Arbeitnehmer ausreichend transparent. Zudem stellen Anrechnungsvorbehalte durch ihren jahrzehntelangen Gebrauch in der betrieblichen Praxis eine Besonderheit des Arbeitsrechts dar, die gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB angemessen zu berücksichtigen ist 11. Die Anrechnung unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Gleiches gilt, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird 12. Rechnet der Arbeitgeber jedoch eine Tariferhöhung nur teilweise auf die freiwilligen übertariflichen Zulagen an, hat er den Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen, da in diesem Fall Raum für eine andere Verteilungsentscheidung verbleibt 13. Die vorstehende Problematik war Gegenstand einer Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 3.9.2014 14. Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass die Arbeitsvertragsparteien ein Entgelt vereinbart hatten, das sich aus einem Tarifentgelt und einer Zulage zusammensetzte, sich jedoch im Nachhinein herausstellte, dass dieses Tarifentgelt aus Rechtsgründen zu niedrig angesetzt worden war . Die Beklagte erhöhte daraufhin zwar den Tariflohn des Klägers, verrechnete dabei jedoch die übertarifliche Zulage. Mit seiner Klage verlangte der Kläger die bisherige Zulage über den angehobenen Tariflohn hinaus als selbstständigen (anrechnungsfesten) Vergütungsbestandteil. Während das Hessische LAG 15 der Zahlungsklage des Klägers entsprochen hat, weil die Beklagte bei der Anrechnung die Mitbestimmung des Betriebsrats verletzt habe, ist der Rechtsstreit vom BAG zurückverwiesen worden. Zunächst bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung zur individualrechtlichen Möglichkeit der Anrechnung von übertariflichen Lohnbestandteilen auf eine Tariflohnerhöhung. Dies gilt nach Ansicht des BAG jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber keinen eigenständigen und damit anrechnungs10 ErfK/Preis, §§ 305-310 BGB Rz. 65. 11 BAG v. 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746 Rz. 33; BAG v. 27.8.2008 – 5 AZR 821/07 n. v. (Rz. 25). 12 BAG v. 21.9.1999 – 1 ABR 208/95, NZA 2000, 898; BAG v. 21.1.2003 – 1 AZR 125/02 n. v. (Rz. 38). 13 BAG v. 21.1.2003 – 1 AZR 125/02 n. v. (Rz. 38). 14 5 AZR 109/13, DB 2015, 136. 15 V. 16.11.2012 – 8 Sa 619/12 n. v. (Rz. 42).
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Anrechnung übertariflicher Zulage bei Anhebung des Tarifentgelts
festen Vergütungsbestandteil zusagt. Dabei ist es für die Frage der Anrechnung gleichgültig, ob die Tarifanhebung aus einer normalen Tariflohnerhöhung oder einer höheren Eingruppierung des Arbeitnehmers resultiert, weil der Arbeitnehmer zu niedrig eingruppiert worden war. Ebenso wenig wird nach Ansicht des BAG ein übertariflicher Lohnbestandteil dadurch anrechnungsfest, dass der Arbeitgeber – wie im Streitfall – in der Gehaltsmitteilung das Gesamtentgelt in das Tarifentgelt und die übertarifliche Zulage aufgeschlüsselt hat. Bezüglich der individualrechtlichen Möglichkeit der Anrechnung bestanden auch im Hinblick auf eine AGB-Kontrolle mit Blick auf § 305 c BGB oder § 307 Abs. 1 BGB keine Bedenken 16. Im Gegensatz zur Auffassung des LAG war die Beklagte auch nicht wegen einer Verletzung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zur Zahlung der vom Kläger beanspruchten Zulage verpflichtet. Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur dann zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, wenn diese den Arbeitnehmer belasten. Keineswegs ergeben sich aus der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung Individualansprüche der betroffenen Arbeitnehmer, die zuvor nicht bestanden haben 17. Nach Ansicht des BAG scheitert die Anwendung von § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wonach der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen hat, im Streitfall bereits daran, dass sich dieses Mitbestimmungsrecht nur auf kollektive Regelungen bezieht, während die durch den Rechtsstreit ausgelöste Entscheidung der Beklagten die sonst in ihrem Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze nicht veränderte und nur die Vergütung des Klägers im Einzelfall betraf. Da im Streitfall nicht abzuschätzen war, ob dem Kläger möglicherweise aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ein Anspruch auf weitere Vergütung zustand, weil die Beklagte die Arbeitsentgelte mehrfach kollektiv durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben hatte, ist der Rechtsstreit zur weiteren Feststellungen an das LAG zurückverwiesen worden. Wenn auch die Anrechnung übertariflicher Lohnbestandteile unabhängig von einem ausdrücklich geregelten Vorbehalt möglich ist, sofern dem Arbeitnehmer die Zulage nicht vertraglich als ein selbständiger Entgeltbestand-
16 BAG v. 27.8.2008 – 5 AZR 821/07 n. v. (Rz. 27). 17 BAG v. 22.6.2010 – 1 AZR 853/08, NZA 2010, 1243 Rz. 42.
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Tarifrecht
teil zusteht, sollte zur Vermeidung von Missverständnissen die Anrechenbarkeit auf tarifliche Ansprüche jedweder Art vereinbart werden, wie der vorliegend entschiedene Rechtsstreit verdeutlicht. (Boe)
3.
Höchstdauer einer Kündigungsfrist zur Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband
Bereits in früheren Entscheidungen hatte der BGH deutlich gemacht, dass die Satzung einer Gewerkschaft den Austritt des Arbeitnehmers von der Einhaltung einer maßvollen Kündigungsfrist abhängig machen dürfe. Art. 9 Abs. 3 GG verbiete nicht etwa jegliche Kündigungsfrist. Denn das Mitglied eines Vereins werde in seinem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht nennenswert beeinträchtigt, wenn es seine Individualrechte nach einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum verwirklichen könne. Im Hinblick darauf, dass sich eine Gewerkschaft auf Veränderungen im Mitgliederbestand organisatorisch einstellen können müsse, hatte der BGH eine Kündigungsfrist von drei Monaten jedenfalls für zulässig gehalten 18. Betrage die Kündigungsfrist dagegen mehr als sechs Monate, so hindere sie das Mitglied in unangemessener Weise an der Verwirklichung seines Grundrechts auf individuelle Koalitionsfreiheit 19. In Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Literatur 20 hat der BGH in seinem Urteil vom 29.7.2014 21 diese Grundsätze auf die Kündigungsfristen für den Austritt aus dem Arbeitgeberverband übertragen. Einerseits schränke das Kündigungsrecht das einzelne Mitglied in der Wahrnehmung seiner in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgten Individualrechte ein, was umso schwerer wiege, je länger es an ihrer Verwirklichung gehindert werde. Art. 9 Abs. 3 GG schütze aber auch die Koalition in ihrem Bestand und in ihrer organisatorischen Ausgestaltung. Dies rechtfertige, sowohl aus organisatorischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht, die Beendigung der Mitgliedschaft an eine Frist von bis zu sechs Monaten zu knüpfen. Erst bei einer diese Zeitspanne überschreitenden Frist läge eine unangemessene Beeinträchtigung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte des Mitgliedsunternehmens vor. Überschreitet die in der Satzung eines Arbeitgeberverbands bestimmte Kündigungsfrist die im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG zulässige Dauer, bleibt sie 18 BGH v. 4.7.1977 – II ZR 30/76, BB 1977, 1449 Rz. 27. 19 BGH v. 22.9.1980 – II ZR 34/80, BB 1981, 239 Rz. 10. 20 Vgl. nur HWK/Henssler, TVG § 3 Rz. 11; Löwisch/Rieble, TVG § 3 Rz. 123; Däubler, NZA 1996, 225, 226; Bauer/Diller, DB 1993, 1085. 21 II ZR 243/13, NZA 2014, 1352 Rz. 26 ff.
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Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifsozialplan
– so der BGH – in dem mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbaren Umfang aufrechterhalten. Die gegenteilige Auffassung, die von einer vollständigen Streichung der Kündigungsfrist ausgegangen war 22, lehnt der BGH ab. Nach seiner Auffassung sind die Folgen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht anders zu beurteilen, als die einer Überschreitung der allgemein zulässigen Höchstfrist des § 39 Abs. 2 BGB. Auch in diesem Fall sei eine über das zulässige Maß hinausgehende Frist mit der Höchstfrist von zwei Jahren aufrecht zu erhalten 23. Das Ergebnis und seine Begründung überzeugen. In der betrieblichen Praxis wird man allerdings neben der Kündigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband stets auch die einvernehmliche Beendigung dieser Mitgliedschaft durch Vereinbarung zwischen dem Mitgliedsunternehmen und dem Arbeitgeberverband prüfen müssen. Sie kann – ggf. mit wirtschaftlichen Kompensationsleistungen – ohne Einhaltung der für eine Kündigung geltenden Frist wirksam werden. Wichtig ist allerdings, dass auf Seiten des Arbeitgeberverbands die hierfür erforderlichen Beschlüsse des Vorstands und eine wirksame Vertretung im Außenverhältnis gegeben sind. Andernfalls ist die Vereinbarung unwirksam und der Verbandsaustritt nicht erfolgt. (Ga)
4.
Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifsozialplan
Bereits in der Vergangenheit haben wir uns mehrfach mit der Frage befasst, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen durch Tarifvertrag Gewerkschaftsmitglieder begünstigt werden können. Ausgangspunkt waren dabei die Urteile des BAG vom 18.3.2009 24 und vom 5.9.2012 25, in denen die Wirksamkeit entsprechender Differenzierungsklauseln festgestellt worden war. Nach Auffassung des 4. Senats des BAG sei ein Verstoß gegen den Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) nur gegeben, wenn die tarifvertragliche Regelung zur Folge habe, dass bei einer Gleichbehandlung der nicht organisierten Arbeitnehmer mit den Gewerkschaftsmitgliedern die Verpflichtung des Arbeitgebers bestehe, durch eine erneute Begünstigung der Gewerkschaftsmitglieder den ursprünglich beabsichtigten
22 So AG Ettenheim v. 28.9.1984 – C 172/84, NJW 1985, 979 f.; Schöpflin in: Bamberger/Roth, BGB § 39 Rz. 4. 23 BGH v. 29.7.2014 – II ZR 243/13, NZA 2014, 1352 Rz. 32; Soergel/Hadding, BGB § 39 Rz. 4; ErfK/Franzen, TVG § 3 Rz. 9; Oetker, ZfA 1998, 41, 58 f. 24 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 ff. 25 4 AZR 696/10, DB 2013, 23 f.
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Tarifrecht
Vorteil wiederherzustellen (Spannensicherungsklausel). Dies hatte das BAG im Urteil vom 23.3.2011 26 klargestellt. Während sich in der Literatur weiterhin keine eindeutige Sichtweise durchgesetzt hat 27, führt das BAG mit seinem Urteil vom 15.4.2015 28 seine bisherige Rechtsprechung fort. Mit diesem Urteil bestätigt der 4. Senat die in einem Haustarifvertrag mit sozialplanähnlichem Inhalt getroffene Regelung, nach der Leistungen, die zur Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachteile an tarifgebundene Arbeitnehmer gezahlt werden, auf der Grundlage einer Stichtagsregelung nur an solche Gewerkschaftsmitglieder gewährt werden, die zum Zeitpunkt der tariflichen Einigung der Gewerkschaft bereits beigetreten waren. In seinen vorangehenden Entscheidungen hatte auch das LAG München die darin liegende Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern zugelassen 29. Wir hatten darüber berichtet 30. In dem der aktuellen Entscheidung zugrundeliegenden Fall beansprucht die Klägerin von den beiden Beklagten Leistungen nach einem Haustarifvertrag. Dieser war 2012 durch Nokia-Siemens-Network (heute: Nokia-Networks) abgeschlossen worden, als arbeitgeberseitig geplant war, den Betrieb in München zu schließen. In den daraufhin mit dem Betriebsrat und der zuständigen IG Metall geführten Verhandlungen konnte eine vollständige Schließung abgewendet werden. Im Rahmen eines Standorttarifvertrags schlossen die Beklagte zu 2) und die IG Metall am 4.4.2012 einen „Transfer- und Sozialtarifvertrag“ (TV). Dieser sah für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2) zum 30.4.2012 und gleichzeitiger Begründung eines Transferarbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 1) die Zahlung von Abfindungen bis zu 110.000 € durch die Beklagte zu 2) sowie Mindestbedingungen für das dann mit der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis vor. Zu diesen Bedingungen gehörte u. a. die Absicherung eines Monatsentgelts in Höhe von 70 % des bisherigen Bruttomonatseinkommens. Am gleichen Tage vereinbarten die Beklagte zu 2) und der Be-
26 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 ff. 27 Vgl. nur Bauer/Arnold, NZA 2009, 169 ff.; Deinert, RdA 2014, 129 ff.; Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1, 6; Giesen, RdA 2014, 78, 82 ff.; Greiner/Suhre, NJW 2010, 131, 133; Helm/Mücke, AuR 2014, 366 ff.; Jacobs, FS Bauer, 479 ff.; Kamanabrou, FS Kreutz, 197 ff.; Kocher, NZA 2009, 119 ff.; Leydecker, AuR 2009, 338 ff., ders., AuR 2012, 195, 200; Schmalz, AiB 2014, 72 f.; Sittard/Kunisch, ZTR 2015, 82. 28 4 AZR 796/13 n. v. 29 Vgl. LAG München v. 15.5.2014 – 2 Sa 785/13 n. v.; LAG München v. 30.4.2014 – 11 Sa 38/14 n. v.; LAG München v. 16.10.2013 – 11 Sa 384/13, LAGE Art. 9 GG Koalitionsfreiheit Nr. 2. 30 B. Gaul, AktuellAR 2014, 457 ff.
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Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifsozialplan
triebsrat einen „Interessenausgleich“, durch den die Regelungen des TV für alle betroffenen Beschäftigten abschließend übernommen wurden. Ein gesonderter Sozialplan wurde nicht vereinbart. Ergänzend hierzu schlossen die Beklagte zu 2) und die IG Metall einen weiteren, ergänzenden Tarifvertrag (ETV) ab, der nach seinem persönlichen Geltungsbereich allerdings nur für diejenigen Gewerkschaftsmitglieder galt, die bis einschließlich 23.3.2012, 12.00 Uhr, Mitglied der IG Metall geworden waren. Im Rahmen des ETV war ein Zuschlag zur Abfindung in Höhe von 10.000 € sowie eine um 10 % höhere Bemessungsgrundlage für das Monatsentgelt innerhalb der beE festgelegt worden. Die Klägerin selbst war am 23.3.2012 noch nicht Mitglied der IG Metall. Sie begründete ihre Mitgliedschaft erst im Juli 2012. Als ihr deshalb Leistungen nach Maßgabe des ETV verweigert wurden, erhob sie Klage auf eine entsprechende Gleichbehandlung. Ihre Klage gegen den früheren Arbeitgeber und die Transfergesellschaft ist vom BAG abgewiesen worden. Nach Auffassung des 4. Senats des BAG war die im ETV vereinbarte Stichtagsregelung (23.3.2012) wirksam. Entgegen der Auffassung der Klägerin handele es sich dabei nicht um eine sog. Differenzierungsklausel, die zwischen Gewerkschaftsmitgliedern einerseits sowie nicht oder anders tarifgebundenen Arbeitnehmern andererseits unterscheide. Vielmehr differenzierten der TV und der ETV in ihrem persönlichen Geltungsbereich zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedern der Gewerkschaft IG Metall und damit allein zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, also denjenigen Beschäftigten, denen ein Tarifvertrag ohnehin nur Ansprüche vermitteln könne. Insofern formuliere die Stichtagsregelung lediglich Anspruchsvoraussetzungen für tarifliche Leistungen. Eine solche Differenzierung sei wirksam. Denn den Tarifvertragsparteien komme aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie bei der Bestimmung von Umfang und Voraussetzungen von Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen anlässlich einer Betriebsstilllegung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die Stichtagsregelung orientiere sich insoweit am gegebenen Sachverhalt der beabsichtigten Betriebsänderung als einmaligem Vorgang sowie den damit verbundenen Leistungen unter Berücksichtigung des ausgehandelten Tarifvolumens. Darüber hinaus lehnt der 4. Senat des BAG auch einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit ab. Die tarifliche Regelungsbefugnis sei von verfassungs- und Gesetzes wegen auf die Mitglieder der tarifschließenden Verbände und vorliegend auf die IG Metall beschränkt. Die „Binnendifferenzierung“ zwischen Gewerkschaftsmitgliedern schränke weder die Handlungsoder die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers, noch die von sog. Außenseitern ein. Diesem Personenkreis bleibe es unbenommen, seine vertraglichen Be235
Tarifrecht
ziehungen frei zu gestalten. Von den Regelungen des ETV könne gegenüber sog. Außenseitern deshalb kein „höherer Druck“ ausgehen, als derjenige, der sich stets ergebe, wenn die individualvertraglichen Vereinbarungen hinter denjenigen Regelungen zurückblieben, die durch einen Tarifvertrag für die Mitglieder der Gewerkschaft geregelt würden. In beiden Begründungsansätzen kann das Urteil des BAG nicht überzeugen. Zunächst einmal wird man von einer unvollständigen Würdigung des Sachverhalts ausgehen müssen, wenn die hier in Rede stehende Differenzierung des Tarifvertrags allein als Unterscheidung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsmitgliedern verstanden wird. Denn ein Tarifvertrag, der Leistungen nur an Gewerkschaftsmitglieder gewährt sehen will, die zu einem bestimmten Stichtag bereits Mitglied der Gewerkschaft gewesen sind, benachteiligt selbstverständlich auch Außenseiter. Dass zu diesen Außenseitern auch Arbeitnehmer gehören, die zu einem früheren Zeitpunkt Mitglied der Gewerkschaft gewesen sind oder zu einem späteren Zeitpunkt noch Mitglied werden, spielt dabei keine Rolle. Am streitentscheidenden Stichtag ist allen Arbeitnehmern, die benachteiligt werden, gemein, dass sie von ihrem Recht auf negative Koalitionsfreiheit Gebrauch gemacht haben und nicht Mitglied der Gewerkschaft sind. Vor diesem Hintergrund hätte der 4. Senat des BAG auch deutlich stärker die Frage behandeln müssen, ob der Tarifvertrag nicht doch ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG darstellt. Die Annahme, dass mit der für Gewerkschaftsmitglieder vorgesehenen Begünstigung kein stärkerer Druck ausgeübt werde, als er bestünde, wenn arbeitsvertragliche Zusagen hinter Leistungen eines Tarifvertrags zurückblieben, lässt die verfassungsrechtliche Bedeutung der negativen Koalitionsfreiheit völlig unberücksichtigt. Denn schlussendlich wären mit dieser Überlegung sämtliche Formen einer Besserstellung wegen der Gewerkschaftsmitgliedschaft zulässig. Dass dies aber keinen Druck auf Nichtgewerkschaftsmitglieder ausüben soll, ihre Außenseiterrolle zu Gunsten der Gewerkschaft aufzugeben, überzeugt nicht. Dies gilt umso mehr, wenn es im Zusammenhang mit der Schließung eines Betriebsteils um die Absicherung von Leistungen geht, die nach dem Wegfall des Arbeitsverhältnisses die einzige Grundlage für die vorübergehende Aufrechterhaltung eines Teils des bisherigen Lebensstandards bieten können. Eine verfassungsrechtliche Legitimation der hier in Rede stehenden Differenzierung lässt sich auch nicht damit finden, dass ein vergangenheitsbezogener Stichtag gewählt wurde. Zwar kann man bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise geltend machen, dass der Tarifvertrag selbst keinen Druck auf Außenseiter ausüben kann, der Gewerkschaft beizutreten. Denn auch ein nach Abschluss des Tarifvertrags erklärter Beitritt zur Gewerkschaft würde 236
Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifsozialplan
die Leistungsansprüche nicht begründen. Er hätte frühestens am 4.4.2012 wirksam werden können, wohingegen der Stichtag auf den 23.3.2012 gesetzt worden war. Was bei dieser Betrachtungsweise allerdings unberücksichtigt bleibt, ist der Umstand, dass die Absicht einer Begünstigung der Gewerkschaftsmitglieder noch vor dem schlussendlich festgelegten Stichtag in den Verhandlungen zwischen IG Metall und Nokia-Siemens-Network erklärt und im Anschluss daran in die Belegschaft verlautbart worden ist. Arbeitgeber und Gewerkschaft haben insoweit gleichermaßen dafür Sorge getragen, dass der bevorstehende Abschluss des Tarifvertrags den Druck auf die Außenseiter erhöht, der Gewerkschaft beizutreten. Für die vom BAG vertretene Sichtweise spricht zwar, dass eine Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern als Konsequenz der Tarifautonomie schlussendlich nicht völlig auszuschließen ist. Andernfalls machte es für Arbeitnehmer keinen Sinn, als Mitglied einer Gewerkschaft für die Gestaltung von Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Das Ergebnis kann dann auch eine Besserstellung bewirken, die Außenseiter nicht erreicht haben. Wenn der 4. Senat des BAG eine solche Sichtweise für richtig hält, setzt dies allerdings eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Großen Senats des BAG in seiner Entscheidung vom 29.11.1967 31 voraus. In dem zugrunde liegenden Fall war durch Tarifvertrag vereinbart worden, dass die Mitglieder der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft einen doppelt so hohen Zuschlag zum Urlaubsgeld erhalten sollten, als dies bei den nicht organisierten Arbeitnehmern der Fall war. Da die Höhe des Zuschlags von der Jahresbruttolohnsumme abhängig war, konnte im Tarifvertrag kein fester Betrag genannt werden. Bereits in seinem Leitsatz hat der Große Senat des BAG klargestellt, dass in Tarifverträgen zwischen den bei der vertragsschließenden Gewerkschaft organisierten und anders oder nicht organisierten Arbeitnehmern nicht differenziert werden könne. In den Gründen seiner Entscheidung hat der Große Senat des BAG darauf verwiesen, dass man zwar nicht jeden Druck als Verletzung der positiven und negativen Koalitionsfreiheit ansehen dürfe. Es gebe im täglichen Leben in vielfältiger Beziehung einen sozialadäquaten Druck, dem man sich nicht entziehen könne. Gleichzeitig könne es aber auch einen sozialinadäquaten Druck geben, der rechtswidrig und zu missbilligen sei, auf den man dann auch ohne weiteres empfindlich reagieren dürfe.
31 GS 1/67, DB 1968, 1539 ff.
237
Tarifrecht
Da mit den Differenzierungsklauseln jedenfalls ein „leiser, milder Druck“ verbunden und bezweckt sei, der den Außenseiter zum Beitritt veranlassen solle, müsse geprüft werden, ob dieser mit der gewerkschaftlichen Ausgleichsforderung unstreitig in irgendeinem Umfang verbundene und bezweckte Druck zum Beitritt sozialinadäquat und daher eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit sei. Dabei komme es nicht auf die Intensität, also den Grad des Drucks an, sondern auf die Sozialadäquanz. Einen sozialinadäquaten Druck brauche niemand hinzunehmen, auch wenn die damit verbundene Belästigung verhältnismäßig gering sein sollte. Es gelte nichts anderes als sonst im Rechtsleben: Wie jemand im Gedränge des öffentlichen Verkehrs oder der öffentlichen Verkehrsmittel nach den Vorstellungen der Sozialadäquanz erhebliche Behinderungen der Wegefreiheit, erhebliches körperliches Geschiebe, Gedränge und Gedrücktwerden u. U. hinnehmen müsse, genauso wenig brauche er das aus sonstigem Anlass, z. B. dann, wenn sich ihm jemand auf einer verkehrsarmen Straße ohne vernünftigen Grund und ohne seine Billigung in den Weg stelle oder ihn körperlich bedränge. Wenn das sozialinadäquat sei, sei es rechtswidrig, und es dürfe sich jeder dagegen wehren. In dem dort zu entscheidenden Fall einer Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern beim Urlaubsgeld hatte der Große Senat des BAG im Beschluss vom 29.11.1967 32 einen sozial inadäquaten Druck angenommen. Es verletze – so der Große Senat – das Gerechtigkeitsempfinden gröblich, die Gewährung des Urlaubs, Urlaubsentgelts und zusätzlichen Urlaubsgeldes und ähnlicher tariflicher Leistungen von Fragen der Organisationszugehörigkeit abhängig zu machen. Deshalb übten derartige Differenzierungsklauseln einen sozialinadäquaten Druck aus, den Anders- und Nichtorganisierte ebenso wenig hinzunehmen brauchten, wie Organisierte es nicht hinzunehmen brauchten, wenn ein Arbeitgeber Nichtorganisierte generell besser bezahlen würde, als Organisierte. Die dort in Rede stehenden Differenzierungsklauseln seien daher gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nichtig. In seinen abschließenden Feststellungen hatte der Große Senat deutlich gemacht, dass Differenzierungsklauseln der dort streitigen Art nicht Gegenstand einer Tarifregelung sein könnten, weil damit die Tarifmacht überschritten würde. Dies gelte gleichermaßen für an die Mitgliedschaft anknüpfende Normen wie für Gestaltungen mittels des schuldrechtlichen oder satzungsrechtlichen Teils eines Tarifvertrags. Damit seien auch Absicherungen durch Spannensicherungsklauseln ausgeschlossen.
32 GS 1/67, DB 1968, 1539 Rz. 178 ff., 181 f.
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Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifsozialplan
Es bleibt abzuwarten, ob der 4. Senat des BAG in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 15.4.2015 33 erkennen lässt, warum eine Anrufung des Großen Senats unterbleiben konnte. Jedenfalls aber wäre es geboten gewesen, eine materiell-rechtliche Auseinandersetzung mit den vorstehenden Überlegungen vorzunehmen. Nicht überzeugen kann auch die abschließende Feststellung des BAG im Urteil vom 15.4.2015 34, nach der auch der „Interessenausgleich“ zwischen der Beklagten zu 2) und dem Betriebsrat nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 S. 1 BetrVG verstoße. Das BAG rechtfertigt dies mit der Annahme, dass die Betriebsparteien durch die Übernahme der Regelungen des TV, nicht aber des ETV, gerade davon abgesehen hätten, Bestimmungen mit einzubeziehen, die an eine Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt geknüpft sind. Die Entstehungsgeschichte dieses Interessenausgleichs hätte eigentlich zu einer gegenteiligen Bewertung führen müssen. Wie den Feststellungen des LAG München entnommen werden kann, haben Betriebsrat und IG Metall die Verhandlungen stets gemeinsam geführt. Das Ergebnis, das schlussendlich durch Tarifverträge vereinbart wurde, ist ein durch Betriebsrat und Gewerkschaft gleichermaßen erkämpftes Ergebnis. Wenn der Betriebsrat sodann nur auf den Tarifvertrag Bezug nimmt, der Leistungen ohne die Tatbestandsvoraussetzung einer vergangenheitsbezogenen Gewerkschaftsmitgliedschaft nennt, vermeidet dies zwar insoweit einen unmittelbaren Verstoß gegen § 75 BetrVG im Rahmen dieser Vereinbarung. Der Betriebsrat verstößt allerdings dadurch gegen § 75 BetrVG, dass er das wirtschaftliche Ergebnis weitergehender Leistungen des ETV nicht auch für Arbeitnehmer zugänglich macht, die am Stichtag nicht Mitglied der IG Metall gewesen sind. Dieses Unterlassen stellt eine Differenzierung dar, die die Gewerkschaftsmitgliedschaft zum Rechtfertigungsgrund nimmt. Obwohl der Betriebsrat aus § 112 BetrVG heraus die Pflicht hat, unter Berücksichtigung der in § 75 BetrVG geregelten Grundsätze von Recht und Billigkeit Ausgleichsregelungen für alle Arbeitnehmer zu treffen, hat er hingenommen, dass ein Teil der auf Arbeitgeberseite verfügbaren Leistungen nur Gewerkschaftsmitgliedern gewährt werden. Für ihn war dies sogar Anlass, auf eine eigenständige Regelung in Form eines Sozialplans zu verzichten. Dies benachteiligt die nicht organisierten Arbeitnehmer in Bezug auf die Abfindung durch den Verlust eines Pauschalbetrags in Höhe von 10.000 € und eine erhebliche Kürzung des Zuschlags zum Transferkurzarbeitergeld, das bei einem Wechsel in die 33 4 AZR 796/13 n. v. 34 4 AZR 796/13 n. v.
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Tarifrecht
beE gewährt wurde. Ausgehend davon, dass die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft keine stärkerBetroffenheit von den Folgen einer Betriebsänderung vermittelt, ist es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und § 75 BetrVG nicht vereinbar, diese Differenzierung durch eine entsprechende Konstruktion der singulären Bezugnahme auf den TV in das Betriebsverfassungsrecht zu übernehmen. Es wäre zu hoffen, dass gegen diese Entscheidung des BAG Verfassungsbeschwerde erhoben wird. Denn in diesen Feststellungen liegt nicht nur eine Aufgabe der Neutralität der Betriebsverfassung in Bezug auf die Tarifautonomie. Der Verzicht des Betriebsrats auf einen eigenen Sozialplan und die auf tarifvertraglicher Ebene vorgenommene Differenzierung nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft stellen darüber hinaus auch einen unzulässigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit dar, die nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG die Unwirksamkeit des entsprechenden Ausschlusstatbestandes zur Folge hat. (Ga)
5.
Günstigkeitsvergleich bei arbeitsvertraglicher Abweichung vom Tarifvertrag
Gemäß § 4 Abs. 4 TVG sind vom Tarifvertrag abweichende Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Diese Vorgabe gilt losgelöst von den sonstigen Schranken durch Tarifvorbehalte in §§ 77 Abs. 3, 87 BetrVG nicht nur für die Betriebsvereinbarung, sondern auch uns insbesondere für Regelungen, die auf individualrechtlicher Ebene getroffen werden. Unerheblich ist dabei, ob die individualvertragliche Regelung selbst zu abweichenden Arbeitsbedingungen führt oder ob diese Arbeitsbedingungen auf der Grundlage einer individualvertraglichen Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag zur Anwendung kommen sollen. Wie das BAG im Urteil vom 15.4.2015 35 noch einmal klargestellt hat, ist die Frage der Günstigkeit nach § 4 Abs. 3 TVG im Wege eines sog. Sachgruppenvergleichs vorzunehmen. Dieser kann allerdings nur dann zum Vorrang der arbeitsvertraglichen Regelung führen, wenn diese zweifelsfrei günstiger ist. Kann eine solche Feststellung nicht zweifelsfrei getroffen werden, bleibt es – so das BAG – bei der zwingenden Geltung der tariflichen Bestimmungen, an die beide Parteien unmittelbar und zwingend kraft Gesetzes gebunden sind. 35 4 AZR 587/13 n. v.
240
Günstigkeitsvergleich bei arbeitsvertraglicher Abweichung vom Tarifvertrag
In dem zugrundeliegenden Fall verwies der Arbeitsvertrag des Klägers auf Firmentarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung, die mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen waren. Am 25.6.2007 erfolgte sodann ein Betriebsübergang auf die Beklagte. Diese schloss noch am gleichen Tage mit der Gewerkschaft ver.di Haustarifverträge ab, die insbesondere hinsichtlich der Arbeitszeiten (Erhöhung der betrieblichen Arbeitszeit von 34 auf 38 Stunden) sowie der Zusammensetzung und Höhe der Vergütung von den bei dem bisherigen Betriebsinhaber geltenden Tarifverträgen abwichen. Der Kläger, der Mitglied der Gewerkschaft ver.di war, machte geltend, dass die Arbeitszeit- und Entgeltregelungen des beim bisherigen Betriebsinhaber auf der Grundlage der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel in ihrer am Tage des Betriebsübergangs geltenden Fassung weiterhin anwendbar seien. Diese Bestimmungen seien günstiger als die kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifverträge der Beklagten. Er machte deshalb die Beschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von 34 Stunden sowie – für mehrere Monate des Jahres 2011 – insbesondere die Vergütung von wöchentlich vier weiteren Stunden nebst Zuschlägen geltend. Der 4. Senat des BAG ist diesem Begehren des Klägers nicht gefolgt. Grundsätzlich war es zwar zutreffend, dass der Kläger von einer weiteren Geltung der beim früheren Betriebsinhaber geltenden Tarifverträge ausgegangen war. Dies folgt aus § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB. Die Beklagte war insoweit in den Arbeitsvertrag nebst Bezugnahmeklausel getreten. Zu berücksichtigen war aber, dass die bei der Beklagten abgeschlossenen Haustarifverträge kraft beiderseitiger Tarifbindung unmittelbare und zwingende Wirkung entfalteten (§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG). Von diesen Regelungen konnte deshalb gemäß § 4 Abs. 3 TVG durch Bezugnahme auf die Tarifverträge des bisherigen Betriebsinhabers nur abgewichen werden, wenn die früheren Tarifverträge für den Kläger ein tatsächlich günstigeres Ergebnis vermittelten. Hiervon ist das BAG indes nicht ausgegangen. Nach seinen Feststellungen können bei dem vorzunehmenden Sachgruppenvergleich Arbeitszeit und das regelmäßig geschuldete Arbeitsentgelt nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr bildeten sie eine einheitliche Sachgruppe. Ändere sich eine der zu vergleichenden Regelungen, sei für den betreffenden Zeitabschnitt ein erneuter Vergleich durchzuführen. Wenn danach - wie im Entscheidungsfall – im maßgebenden Zeitraum nach dem normativ geltenden Tarifvertrag sowohl die Arbeitszeit länger als auch das dem Arbeitnehmer hierfür zustehende Monatsentgelt höher sei, sei die einzelvertragliche Regelung nicht zweifelsfrei günstiger i. S. d. 4 Abs. 3 TVG. Sie könne deshalb nicht an die Stelle des Haustarifvertrags treten. 241
Tarifrecht
Ergebnis und Begründung der Entscheidung überzeugen. Auch wenn das BAG in anderen Fällen tarifvertragliche Regelungen zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen nicht in einen einheitlichen Vergleich einbindet, war die gleichzeitige Berücksichtigung von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt zutreffend. Denn beide Parameter kennzeichnen den Wert von Leistung und Gegenleistung und können nur gemeinsam im Günstigkeitsvergleich berücksichtigt werden. (Ga)
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H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Betriebsratsbeschluss: Beweiswert einer Sitzungsniederschrift
Verschiedene Entscheidungen des BAG in der letzten Zeit machen deutlich, dass vermehrt Diskussionen über die Wirksamkeit von Beschlussfassungen des Betriebsrats geführt werden 1. Gerade weil der Arbeitgeber außerhalb von § 102 BetrVG das volle Risiko solcher Fehler und der daraus folgenden Unwirksamkeit von Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden trägt, stellt sich die Frage, wie wechselseitig die Wirksamkeit einer solchen Beschlussfassung im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung dargelegt und ggf. auch bewiesen werden kann. Das BAG hatte im Beschluss vom 30.9.2014 2 erneut Anlass, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Denn der Arbeitgeber machte im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG geltend, dass die zuvor durch den Betriebsrat verweigerte Zustimmung unwirksam sei, weil es keine diesen Beschluss legitimierende (wirksame) Beschlussfassung des Betriebsrats gegeben habe. Konsequenz sei, dass nach § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG von der Fiktion einer Zustimmung auszugehen sei. Nach den Feststellungen des BAG hat der Betriebsrat in einem gerichtlichen Verfahren, durch das der Arbeitgeber zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens (§ 99 Abs. 4 BetrVG) angehalten werden soll, im Bestreitensfall die Voraussetzungen für eine wirksame Beschlussfassung über die Zustimmungsverweigerung gegenüber der beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme darzulegen. Diesen Anforderungen genüge der Betriebsrat zunächst, wenn er vortrage, dass in einer ordnungsgemäß einberufenen Betriebsratssitzung von den anwesenden Betriebsratsmitgliedern ein Beschluss über die Zustimmungsverweigerung zu dem Antrag des Arbeitgebers gefasst worden sei. Der Arbeitgeber kann diesen Vortrag des Betriebsrats nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen mit Nichtwissen bestreiten (§ 138 Abs. 4 ZPO). Die Einladung zu der Betriebsratssitzung und deren Ablauf sind regelmäßig nicht Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmung. Erst wenn der Betriebsrat die Einhaltung dieser Voraussetzungen für einen wirksamen Beschluss des Gremiums dargelegt hat, obliegt es dem Arbeitgeber, konkrete Tatsachen 1 2
Vgl. Boewer, AktuellAR 2014, 196 ff.; B. Gaul, AktuellAR 2015, 247 ff. 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 35 ff.
243
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
vorzutragen, die eine Unwirksamkeit der Beschlussfassung zur Folge haben sollen 3. Wenn im Anschluss daran noch von einem zulässigen Bestreiten des Arbeitgebers auszugehen ist, verpflichtet § 82 Abs. 1 ArbGG das Arbeitsgericht, die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats aufzuklären 4. Nach den Feststellungen des BAG entfällt die Beweisbedürftigkeit der zwischen den Betriebsparteien umstrittenen Beschlussfassung nicht bereits dann, wenn der Betriebsrat eine Sitzungsniederschrift über die Betriebsratssitzung vorlegt, aus der die Beschlussfassung ersichtlich ist. Deren Aufnahme in das Protokoll begründe nämlich keine gesetzliche Vermutung i. S. d. § 292 ZPO dafür, dass der dort wieder gegebene Beschluss von der Mehrheit der anwesenden Betriebsratsmitglieder gefasst worden sei. Eine solche Beweisregel könne auch § 34 BetrVG nicht entnommen werden. Sie würde auch zu unsachgemäßen Ergebnissen führen. Denn wenn schon aufgrund der Sitzungsniederschrift das Vorliegen einer dort wiedergegebenen Beschlussfassung des Betriebsrats vermutet würde, obläge es dem Arbeitgeber, den vollen Beweis für das Nichtvorliegen der vermuteten Tatsache als Hauptbeweis zu führen. Dazu müsste er deren Gegenteil behaupten und auch beweisen. Die Erschütterung der Beweiskraft der Sitzungsniederschrift wäre dazu allein nicht ausreichend. Das aber würde die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers überfordern, wenn man berücksichtigt, dass er regelmäßig keine Kenntnis vom Ablauf der Betriebsratssitzungen habe. Er könne deshalb allenfalls Umstände, die ernsthafte und begründete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Sitzungsniederschrift begründeten, vortragen 5. Ungeachtet dessen erkennt das BAG an, dass einer Sitzungsniederschrift ein besonderer Beweiswert zukomme. Eine Aufklärung über den Verlauf der Betriebsratssitzung und die Beschlussfassung sei regelmäßig entbehrlich, wenn der Betriebsrat ein den Anforderungen des § 34 BetrVG genügendes Protokoll der Betriebsratssitzung vorlege, aus dem die vom Arbeitgeber bestrittene Beschlussfassung ersichtlich sei. Denn die Sitzungsniederschrift könne als Privaturkunde zwar Beweis nur darüber führen, dass die Unterzeichner eine entsprechende Erklärung über eine am Sitzungstag erfolgte Beschlussfassung des Betriebsrats mit dem in der Niederschrift wiedergege3 4 5
BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 37; BAG v. 29.7.2009 – 7 ABR 95/07, NZA 2009, 1223 Rz. 19. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 38; BAG v. 30.9.2008 – 1 ABR 54/07, NZA 2009, 502 Rz. 11. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 38.
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Betriebsratsbeschluss: Beweiswert einer Sitzungsniederschrift
benen Wortlaut abgegeben haben. Ob die Beschlussfassung tatsächlich erfolgt ist und wie der Verlauf bis zur Beschlussfassung war, kann mit einer Privaturkunde (§ 416 ZPO) – anders als durch eine öffentliche Urkunde (§§ 417, 418 ZPO) – nicht bewiesen werden. Die Sitzungsniederschrift hat für den 1. Senat des BAG indes einen hohen Beweiswert. Eine ordnungsgemäße Niederschrift sei der gesetzlich vorgesehene und wichtigste Nachweis für die Tatsache einer Beschlussfassung durch den Betriebsrat. Auch wenn die Wirksamkeit eines Beschlusses nicht von der Niederschrift abhänge, besitze sie durch § 34 BetrVG eine besondere Dokumentationsfunktion. Sie soll den Beschlussinhalt sowie das Stimmenverhältnis enthalten. Daneben sind ihr eine von den Sitzungsteilnehmern unterzeichnete Anwesenheitsliste sowie schriftliche Einwendungen gegen den Inhalt der Niederschrift beizufügen. Diese Angaben – so das BAG – ermöglichen eine Beurteilung über das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses. Dies gelte auch für etwaige Ladungsmängel. Die vermeintlich übergangenen Betriebsratsmitglieder könnten insoweit schriftliche Einwendungen erheben. Durch die Dokumentation der gesetzlich normierten Angaben werde ein in der Folgezeit möglicherweise entstehender Streit um das Vorliegen und den Inhalt eines Betriebsratsbeschlusses weitgehend vermieden. Gleichzeitig werde etwaigen Beweisschwierigkeiten entgegengewirkt, die durch den Zeitablauf und die wechselnde personelle Zusammensetzung des Betriebsrats entstehen könnten 6. Aus diesen Feststellungen folgt, dass es im Regelfall keiner weitergehenden tatsächlichen Darlegungen oder einer darauf gerichteten Durchführung einer Beweisaufnahme bedarf, wenn aus der Sitzungsniederschrift die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats erkennbar werde. Vielmehr obliege es dann dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Niederschrift zu erschüttern oder unter Beweisantritt einen für die Führung des Gegenbeweises über das (Nicht)Vorliegen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses geeigneten Vortrag zu halten. Erst einem solchen Vortrag müsse das Arbeitsgericht nachgehen 7. Im vorliegenden Fall führten die entsprechenden Einwände des Arbeitgebers in Bezug auf die formelle Unwirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses nicht zum Erfolg. Der Betriebsratsvorsitzende hatte die elf Betriebsratsmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung eingeladen. Die beabsichtigten Umgruppierungen waren in der Einladung als Tagesordnungspunkt aufgeführt. Der 6 7
BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 39 ff. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 45; BAG v. 25.3.1992 – 7 ABR 65/90, NZA 1993, 134.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
in der Betriebsratssitzung beschlussfähige Betriebsrat hatte nach der vom Betriebsratsvorsitzenden und zwei weiteren Betriebsratsmitgliedern unterzeichneten Sitzungsniederschrift mit Stimmenmehrheit entschieden, den verfahrensgegenständlichen Umgruppierungen seine Zustimmung zu verweigern. Dass der Betriebsrat selbst bei seinen Beschlüssen zur Zustimmungsverweigerung nicht auch Beschlüsse über die nach § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG mitzuteilenden Zustimmungsverweigerungsgründe getroffen hatte, stand der Wirksamkeit dieser Erklärung nicht entgegen. Nach § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG vertrete der Betriebsratsvorsitzende oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Dabei werden die Erklärungen des Vorsitzenden nicht auf die bloße Verlautbarung der vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse beschränkt. Zu den Aufgaben des Betriebsratsvorsitzenden gehört nach den Feststellungen des BAG auch die Abfassung und Unterzeichnung von Schriftstücken, mit denen dem Arbeitgeber gemäß § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu personellen Einzelmaßnahmen i. S. d. §99 Abs. 1 BetrVG mitgeteilt werde. Nur die Willensbildung über die Zustimmung zur beantragten personellen Einzelmaßnahme bedürfe daher einer Entscheidung des Betriebsrats als Kollegialorgan. Die Übermittlung des gefassten Beschlusses und die Mitteilung der Zustimmungsverweigerungsgründe oblägen dann dem Vorsitzenden, der diese auf der Grundlage der vorangegangenen Willensbildung des Betriebsrats eigenständig formuliere 8. Hiervon ausgehend sei die Wirksamkeit einer vom Betriebsratsvorsitzenden mitgeteilten Zustimmungsverweigerung nicht davon abhängig, dass dieser die Motivation des Betriebsrats bei dessen Beschlussfassung in seiner Mitteilung zutreffend wiedergebe. Etwaige Fehler oder Ungenauigkeiten seien aus Gründen der Rechtssicherheit unbeachtlich. Der Betriebsrat sei an die von seinem Vorsitzenden übermittelten Zustimmungsverweigerungsgründe gebunden; allein durch den Inhalt seiner Erklärung werde das gerichtliche Prüfprogramm bestimmt. Eine Beschlussfassung des Betriebsrats über die Gründe, die bei den einzelnen personellen Maßnahmen zur Zustimmungsverweigerung geführt haben, war daher nicht geboten. Ebenso wenig konnten Überlegungen des Betriebsrats, die zur Zustimmungsverweigerung geführt haben, den Betriebsratsvorsitzenden bei der Abfassung der Erklärung binden 9.
8 9
BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 54; BAG v. 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, NZA 2004, 670 Rz. 90. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 54 f.
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Betriebsratsbeschluss wegen Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung?
Auch wenn diese inhaltliche Gestaltungsfreiheit des Betriebsratsvorsitzenden bei der Weitergabe der Beschlussfassungen des Betriebsrats erstaunen mag, ist dieser Bewertung schon aus Gründen der Rechtssicherheit zuzustimmen. Andernfalls bestünde auch für den Arbeitgeber ein erhebliches Risiko, dass Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden trotz wirksamer Beschlussfassung des Betriebsrats bereits deshalb unwirksam sind, weil die Gründe, die dem Betriebsrat zu seiner Entscheidung bewogen haben, sprachlich nicht ausreichend, unvollständig oder sogar fehlerhaft wiedergegeben worden sind. Folgt man der jetzt getroffenen Entscheidung des BAG, spielt dies für die Wirksamkeit der Erklärung des Betriebsrats keine Rolle. (Ga)
2.
Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschluss wegen Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung?
Leider geht das BAG nur im Zusammenhang mit der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG davon aus, dass interne Fehler bei der Beschlussfassung des Betriebsrats auf die Wirksamkeit seiner Beteiligung und seiner Erklärungen gegenüber dem Arbeitgeber keine Bedeutung haben. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt weiß oder wissen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat 10. Diese Sphärentheroie hatte der 2. Senat des BAG noch im Urteil vom 26.9.2013 11 bestätigt. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Beschlussfassung des Betriebsrats Grundlage sonstiger Erklärungen des Betriebsrats ist. Hierzu können Erklärungen im Rahmen von §§ 87, 99 BetrVG ebenso wie der Abschluss einer Betriebsvereinbarung gehören. In allen Fällen wird der Betriebsrat durch Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden nur vertreten, wenn diese im Rahmen der von dem Betriebsrat gefassten Beschlüsse erfolgen. Mit Blick auf den Beschluss vom 9.12.2014 12 hatten wir darauf an anderer Stelle verwiesen 13. Mit seinen Beschlüssen vom 22.1.2014 14 und vom 15.4.2014 15 hatte das BAG allerdings erste Schritte unternommen, die zur Folge haben, dass for-
10 Vgl. BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 732/11, NZA 2013, 665 Rz. 43; BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990 Rz. 21. 11 2 AZR 741/12, BB 2014, 755 Rz. 40. 12 1 ABR 19/13, NZA 2015, 368. 13 B. Gaul, AktuellAR 2015, 243 ff. 14 7 AS 6/13, DB 2014, 726 Rz. 8.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
male Fehler beim Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses nicht mehr automatisch zur Unwirksamkeit entsprechender Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden führen. So hatte das BAG in den vorgenannten Entscheidungen deutlich gemacht, dass zwar die Beachtung des § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG und die dort ausdrücklich angeordnete Ladung der Betriebsratsmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses sei. Dennoch aber sei es – insoweit abweichend von der früheren Rechtsprechung – möglich, durch einstimmige Beschlussfassung der anwesenden Betriebsratsmitglieder auch solche Tagesordnungspunkte aufzunehmen und abschließend zu behandeln, die im Rahmen der Einladung noch nicht genannt wurden. Dass die nicht teilnehmenden Betriebsratsmitglieder insoweit an einer Beratung und Einbindung in die Beschlussfassung gehindert sind, stehe der Wirksamkeit nicht entgegen 16. In seinem Beschluss vom 30.9.2014 17 hat das BAG klargestellt, dass auch die Missachtung des aus § 30 S. 4 BetrVG normierten Gebots der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen nicht zwingend zur Unwirksamkeit einer Beschlussfassung führe. An der dortigen Beschlussfassung des Betriebsrats zu einer durch den Arbeitgeber beantragten Zustimmung zu Umgruppierungen nach § 99 BetrVG hatten teilweise auch Ersatzmitglieder teilgenommen, die nicht zu den nachfolgenden Beschlussfassungen herangezogen wurden. Es fehlte insoweit an der Verhinderung des eigentlichen Betriebsratsmitglieds. In der Begründung seiner Entscheidung hat das BAG darauf verwiesen, dass nur Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses als wesentlich anzusehen seien, zu dessen Unwirksamkeit führten. Nicht jeder Verstoß gegen die formellen Anforderungen einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung bewirke deshalb die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses, sondern nur ein solcher, der so schwerwiegend sei, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden könne. Ob die Vernetzung der durch die Verfahrensvorschrift geschützten Interessen stärker zu gewichten sei, als das Interesse an der Aufrechterhaltung des Beschlusses, sei anhand des Regelungszwecks der Norm zu bestimmen 18.
15 16 17 18
1 ABR 2/13 (B), NZA 2014, 551. Eingehend Boewer, AktuellAR 2014, 196 ff. 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 50; BAG v. 15.4.2014 – 1 ABR 2/13 (B), NZA 2014, 551 Rz. 23 f.
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Betriebsratsbeschluss wegen Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung?
In diesem Zusammenhang geht der 1. Senat des BAG davon aus, dass die Beachtung des in § 30 Abs. 4 BetrVG normierten Gebots der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen grundsätzlich als wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses anzusehen sei. Die Vorschrift – so das BAG – solle die sachgemäße Behandlung der Tagesordnungspunkte in einer Betriebsratssitzung sicherstellen. Eine solche setze die Möglichkeit einer unbefangenen Aussprache unter den Betriebsratsmitgliedern und einer Beschlussfassung frei von Einflüssen Dritter voraus. Durch das Gebot einer Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen werde nicht nur die Amtsführung des Betriebsrats, sondern auch die der einzelnen Betriebsratsmitglieder geschützt. Allerdings könnten diese selbst darüber befinden, ob sie durch die Anwesenheit einer nicht teilnahmeberechtigten Person bei der Wahrnehmung ihres Mandats beeinträchtigt würden. Ein wesentlicher, zur Unwirksamkeit des gefassten Beschlusses führender Verstoß gegen § 30 S. 4 BetrVG liege daher allenfalls vor, wenn zumindest ein Betriebsratsmitglied vor der Behandlung eines Tagesordnungspunktes die Anwesenheit einer nicht teilnahmeberechtigten Person ausdrücklich beanstandet habe und diese gleichwohl anwesend bleibe 19. Da eine entsprechende Rüge der anwesenden Betriebsratsmitglieder in Bezug auf die Teilnahme der Ersatzmitglieder vor der Beschlussfassung nicht erfolgt war, musste von seiner formalen Wirksamkeit ausgegangen werden. Entscheidend war damit nur noch, ob der Betriebsrat die für § 99 BetrVG erforderlichen Feststellungen selbst getroffen und damit auch den Zustimmungsverweigerungsgrund konkretisiert hatte. Darauf wird an anderer Stelle eingegangen 20. Der Entscheidung ist zuzustimmen. Für die Praxis stellt sich die Frage, ob daraus weitergehende Argumente für die Wirksamkeit einer Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Tele- oder Videokonferenz getroffen werden können. Denn zum Teil wird die Unwirksamkeit einer solchen Beschlussfassung bereits mit der Begründung angenommen, dass diese Form der Zusammenkunft angesichts der Gefahren eines Mithörens durch Dritte einen Verstoß gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit darstelle 21.
19 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 51. 20 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 243 ff. 21 Vgl. GK/Raab, BetrVG § 33 Rz. 11; DKKW/Wedde, BetrVG § 33 Rz. 11; Fitting, § 33 Rz. 21 b.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Zunächst einmal wird man in der Durchführung einer Videokonferenz davon ausgehen können, dass kein Verstoß gegen § 33 Abs. 1, 2 BetrVG liegt. Danach werden die Beschlüsse des Betriebsrats, soweit sie das Gesetz nicht anders bestimmt, mit der Mehrheit der Stimmen der „anwesenden“ Mitglieder gefasst. Beschlussfähigkeit liegt dann vor, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung „teilnimmt“. Führt man sich vor Augen, dass im Rahmen einer Tele- oder Videopräsenz die einzelnen Teilnehmer erkennbar und eine direkte Einflussnahme auf die Willensbildung der übrigen Betriebsratsmitglieder möglich ist, dürfte es vertretbar sein, insoweit auch von einem „anwesenden“ Betriebsratsmitglied bzw. einer „Teilnahme“ auszugehen. Ein Anlass, dieserhalb auf Ersatzmitglieder zurückzugreifen, wäre damit nicht gegeben. Ungeachtet dessen wird man allerdings weiterhin mit dem Risiko leben müssen, dass insoweit auch eine andere Bewertung denkbar ist. Dies folgt bereits technisch aus dem Umstand, dass auch bei einer Video- oder Telepräsenz selten alle Betriebsratsmitglieder gleichermaßen auf dem Bildschirm erkennbar sind. Vielmehr bewirkt die sprachgesteuerte Aufnahmetechnik in der Regel, dass nur die Mitglieder gesehen werden, die aktive Redebeiträge leisten. Für eine vollständige Beratung und die Möglichkeit einer umfassenden Einflussnahme auf die Beschlussfassung dürfte es indes geboten sein, auch die Reaktion der übrigen Betriebsratsmitglieder auf solche Wortbeiträge zu sehen. Dass eine Video- oder Telepräsenz durch Dritte mitgehört werden kann, erscheint kein Ausschlusstatbestand. Solche – illegalen – Möglichkeiten bestehen technisch auch dann, wenn die Betriebsratssitzung in einem geschlossenen Raum durchgeführt wird. Losgelöst davon bietet der Beschluss vom 30.9.2014 22 jedenfalls die Möglichkeit, dass auch in einer Video- oder Telepräsenz Beratungen und Beschlussfassungen durchgeführt werden, sofern keiner der eingeladenen und teilnehmenden Betriebsratsmitglieder Einwände gegen diese Form der Zusammenkunft hat. Denn selbst wenn darin ein Verstoß gegen §§ 30 S. 4, 33 Abs. 1, 2 BetrVG zu sehen sein sollte, dürfte dieser nicht so schwerwiegend sein, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann. Wünschenswert wäre allerdings, dass der Gesetzgeber bei künftigen Änderungen des BetrVG eine § 108 Abs. 4 AktG entsprechende Regelung einfügt. Danach sind schriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse vorbehaltlich einer näheren Regelung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung des 22 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370.
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Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ohne vorangehenden Betriebsratsbeschluss
Aufsichtsrats zulässig, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht. (Ga)
3.
Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ohne vorangehenden Betriebsratsbeschluss
Bereits an anderer Stelle hatten wir darauf hingewiesen, dass der Vorsitzende den Betriebsrat nach § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG nur im Rahmen der durch den Betriebsrat gefassten Beschlüsse vertritt 23. Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkung. Allerdings können ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss abgeschlossene Vereinbarungen vom Betriebsrat durch eine spätere, ordnungsgemäße Beschlussfassung nach § 184 Abs. 1 BGB genehmigt werden. Anlass für diese Feststellungen des BAG im Beschluss vom 9.12.2014 24 war eine Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Nachwirkung einer gekündigten Betriebsvereinbarung zur Überwachung und Aufzeichnung durch optische, akustische und elektronische Geräte. Während der Arbeitgeber geltend machte, dass diese Betriebsvereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung bzw. den einer Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzenden Spruch der Einigungsstelle nachwirken würde, machte der Betriebsrat geltend, dass die Betriebsvereinbarung von Beginn an unwirksam gewesen sei. Denn es fehle an dem für ihren Abschluss erforderlichen Betriebsratsbeschluss. Damit könne aber auch keine Nachwirkung eintreten. Das BAG hat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen die durch den Betriebsrat geltend gemachte Rechtsfolge bestätigt. Nach der Konzeption des BetrVG handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bilde seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (§ 33 Abs. 1 BetrVG). Dieser sei aber nur beachtlich, wenn er ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Dazu müsse der Betriebsrat beschlussfähig i. S. d. § 33 BetrVG sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des BetrVG in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben 25. Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seitens des Vor23 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 243 ff. 24 1 ABR 19/13, NZA 2015, 368 Rz. 15 ff. 25 BAG v. 9.12.2014 – 1 ABR 19/13, NZA 2015, 368 Rz. 15; BAG v. 15.4.2014 – 1 ABR 2/13 (B), NZA 2014, 551 Rz. 20.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
sitzenden sei unwirksam und könne auch im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung keine Wirkung entfalten. Damit war die arbeitgeberseitig angenommene Nachwirkung der Betriebsvereinbarung abzulehnen. Denn auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen hatte der Betriebsrat vor der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung durch den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden keinen entsprechenden Zustimmungsbeschluss gefasst. Da eine solche Beschlussfassung durch den Betriebsrat auch nicht nachgeholt und die Erklärung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden damit genehmigt worden war, konnte dieser den Betriebsrat bei Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht wirksam vertreten. Dieser Mangel stand dann nicht nur der normativen Geltung, sondern auch ihrer Anwendung kraft Nachwirkung entgegen 26. Wenn in der betrieblichen Praxis Zweifel in Bezug auf eine solche Beschlussfassung bestehen, sollte der Arbeitgeber den Betriebsrat um Vorlage der Sitzungsniederschrift nach § 34 BetrVG bitten. Diese hat, wie an anderer Stelle ausgeführt wurde 27, einen hohen Beweiswert. Ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Sitzungsniederschrift dürfte aus §§ 2 Abs. 1 BetrVG, 242 BGB folgen. Denn ohne entsprechende Informationen des Betriebsrats, die dieser unschwer geben kann, besteht für den Arbeitgeber keine Möglichkeit, von sich aus die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses festzustellen. (Ga)
4.
Befragung sachkundiger Arbeitnehmer durch den Betriebsrat
Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat zur Durchführung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten; die Unterrichtung erstreckt sich auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. In diesem Zusammenhang sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG). Soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, hat der Arbeitgeber ihm auch sachkundige Arbeitnehmer als Auskunftspersonen zur Verfügung zu stellen. Dabei sind die Vorschläge des Betriebsrats zu berücksichtigen, soweit betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen (§ 80 Abs. 2 S. 3 BetrVG). 26 BAG v. 9.12.2014 – 1 ABR 19/13, NZA 2015, 368 Rz. 16. 27 B. Gaul, AktuellAR 2015, 247 ff.
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Befragung sachkundiger Arbeitnehmer durch den Betriebsrat
Im Urteil vom 20.1.2015 28 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass die sachkundigen Arbeitnehmer i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 3 BetrVG vom Betriebsrat in Abwesenheit des Arbeitgebers oder von ihm bestimmter Personen befragt werden können. Diese Befugnis des Betriebsrats lässt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut oder der Gesetzgebungsgeschichte heraus erkennen. Zu Recht schlussfolgert das BAG dies allerdings aus der Gesetzessystematik und dem Zweck der entsprechenden Regelung. Zunächst einmal verweist der 1. Senat des BAG darauf, dass der Begriff des „Zurverfügungstellen“ bereits im Zusammenhang mit dem in § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG geregelten Informationsanspruch des Betriebsrats verwandt werde. Danach seien dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgabe erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Dies umfasse die Pflicht des Arbeitgebers, dem Betriebsrat die Unterlagen jedenfalls in Kopie zu überlassen und diesem ohne unmittelbares Beobachten des Arbeitgebers eine Auswertung zu ermöglichen 29; der Arbeitgeber darf allerdings im gleichen Raum arbeiten. Es liege daher nahe, dem Merkmal des „Zurverfügungstellen“ in den aufeinanderfolgenden Sätzen 2 und 3 des § 80 Abs. 2 BetrVG ein identisches Begriffsverständnis beizulegen 30. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Informations-, Einsichtsund Auskunftsrechte aus § 80 Abs. 2 BetrVG es dem Betriebsrat ermöglichen sollten, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben i. S. d. BetrVG ergäben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden müsse. Die Regelungen schafften insofern die Grundlage für seine kollektive Willensbildung. Denn der Betriebsrat solle bei seiner Entschließung, ob und ggf. auf welche Weise er etwaige Beteiligungsrechte wahrnehmen wolle, über den dafür erforderlichen Kenntnisstand verfügen. Wenn die ihm durch eine bloße Unterrichtung des Arbeitgebers vermittelten Kenntnisse nicht genügten, sei der Arbeitgeber durch § 80 Abs. 2 S. 3 BetrVG gehalten, die ihm nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG obliegende Unterrichtungspflicht durch betriebsangehörige Arbeitnehmer zu erfüllen. Diese hätten dem Betriebsrat anstelle des Arbeitgebers das bei ihnen vorhandene und zur Durchführung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgabe erforderliche Wissen zu vermitteln 31.
28 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 12 ff.). 29 So bereits BAG v. 16.8.1995 – 7 ABR 63/94, NZA 1996, 330 Rz. 20; HWK/Schrader, BetrVG § 80 Rz. 73. 30 BAG v. 20.1.2015 – 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 15). 31 BAG v. 20.1.2015 – 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 18).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Das Recht des Betriebsrats, die Anwesenheit des Arbeitgebers oder weiterer Personen abzulehnen, ergibt sich sodann aus dem Grundsatz, dass die sachgerechte Wahrnehmung der jeweils vom Arbeitgeber und Betriebsrat vertretenen Interessen voraussetze, dass sich deren Meinungsbildung unabhängig voneinander vollziehe 32. Dieser Grundsatz komme z. Β. in § 30 S. 4 BetrVG zum Ausdruck. Das dort normierte Gebot der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen solle den anwesenden Betriebsratsmitgliedern eine Willensbildung frei von Einflüssen Dritter ermöglichen. Zu den ausgeschlossenen Personen gehöre auch der Arbeitgeber. In gleicher Weise könne der Betriebsrat ohne Hinzuziehung des Arbeitgebers Arbeitnehmer an deren Arbeitsplätzen aufsuchen und sich über deren Arbeitsbedingungen informieren. Auch das Gutachten eines Sachverständigen i. S. d. § 80 Abs. 3 BetrVG müsse dem Arbeitgeber nicht eröffnet werden. Insofern bestünden zwischen den Betriebspartnern gerade keine wechselseitigen Unterrichtungsansprüche über den Kenntnisstand der jeweils anderen Seite 33. Daran anknüpfend geht der 1. Senat des BAG davon aus, dass die Anwesenheit des Arbeitgebers oder von ihm bestimmter Personen bei der Befragung der sachkundigen Arbeitnehmer i. S. d. § 80 Abs. 3 S. 3 BetrVG einem voneinander unabhängigen Vollzug der Meinungsbildung der Betriebsparteien entgegenstünde. Der Arbeitgeber erhielte ansonsten Kenntnis, welches Wissen aus Sicht des Betriebsrats erforderlich sei, um sachgerecht über eine mögliche Aufgabenwahrnehmung zu befinden. Daneben wäre auch der unbefangene Meinungsaustausch unter den Betriebsratsmitgliedern bei der Befragung der sachkundigen Arbeitnehmer beeinträchtigt 34. Schützenswerte Belange des Arbeitgebers stünden dieser Sichtweise nicht entgegen. Denn dem arbeitgeberseitigen Interesse, die Befragung der sachkundigen Arbeitnehmer auf den mit dem Betriebsrat vereinbarten Sachverhalt zu beschränken, könne – so das BAG – durch die Ausübung des Weisungsrechts genügt werden. Die Wahrnehmung der Aufgaben einer Auskunftsperson i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 3 BetrVG gehöre regelmäßig zu den Aufgaben, die der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer gegenüber kraft seines Direktionsrechts (§ 106 S. 1 GewO) anordnen könnte. Bei der Übertragung einer solchen Tätigkeit könne der Arbeitgeber Gegenstand und Umfang der
32 BAG v. 20.1.2015 – 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 19); BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 21/97, NZA 1998, 385 ff. 33 BAG v. 20.1.2015 – 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 19); BAG v. 23.3.2010 – 1 ABR 81/08, NZA 2011, 811 Rz. 16. 34 BAG v. 20.1.2015 – 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 20).
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Anspruch des freigestellten Betriebsratsmitglieds
zu erteilenden Auskünfte bestimmen. Diese würden den Arbeitnehmer bei der Beantwortung der ihm vom Betriebsrat gestellten Fragen binden 35. Der Entscheidung ist zuzustimmen. Für die betriebliche Praxis stellt sich allerdings die Frage, ob es das abschließend genannte Direktionsrecht des Arbeitgebers auch rechtfertigt, den Inhalt der Antworten, die durch die sachkundige Person gegenüber dem Betriebsrat erteilt werden, dahingehend einzuschränken, dass bestimmte Überlegungen, Bedenken oder Tatsachen, die mit dem Fragenkomplex in Verbindung stehen, dem Betriebsrat nicht mitgeteilt werden dürfen. Führt man sich allein die Feststellungen des BAG vor Augen, dürfte eine solche Beschränkung durch den Arbeitgeber gegenüber den Auskunftspersonen festgelegt werden. Dennoch wird man solche Vorgaben als Arbeitgeber nur mit Zurückhaltung treffen. Das folgt bereits aus dem Zweck einer (ordnungsgemäßen) Information des Betriebsrats durch die sachverständigen Arbeitnehmer. Insofern wird man eine Beeinträchtigung der Befugnisse des Betriebsrats, ggf. sogar eine Behinderung der Betriebsratsarbeit sehen müssen, wenn durch entsprechende Vorgaben des Arbeitgebers ein unzutreffendes Bild vermittelt wird. Dies hätte Konsequenzen nach § 119 BetrVG zur Folge. (Ga)
5.
Anspruch des freigestellten Betriebsratsmitglieds auf behinderungsgerechte Beschäftigung?
Gemäß § 38 BetrVG sind von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung der versprochenen Dienste (§ 611 Abs. 1 BGB) befreit. Sie unterliegen nicht mehr dem Direktionsrecht des Arbeitgebers 36. Damit besteht – wie das BAG im Urteil vom 23.9.2014 37 deutlich gemacht hat – kein schützenswertes Interesse des Betriebsratsmitglieds, den Arbeitgeber gerichtlich zu verpflichten, sein Direktionsrecht in einer bestimmten Art und Weise auszuüben. Dies gilt auch dann, wenn für den Fall einer Beschäftigung eine Behinderung des Arbeitnehmers gemäß § 81 Abs. 4 SGB IX zu berücksichtigen wäre. Zu Recht hat das BAG deshalb auch eine Klage zurückgewiesen, durch die ein freigestelltes Betriebsratsmitglied eine Verurteilung des Arbeitgebers erreichen wollte, ihn mit bestimmten Tätigkeiten zu beschäftigen.
35 BAG v. 20.1.2015 – 1 ABR 25/13 n. v. (Rz. 21). 36 Richardi/Thüsing, BetrVG § 38 Rz. 48; Fitting, § 38 Rz. 77. 37 9 AZR 1100/12, NZA 2015, 179 Rz. 11.
255
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Ein entsprechender Anspruch des Betriebsratsmitglieds besteht auch nicht, wenn damit eine Beschäftigung für den Fall einer Beendigung der Freistellung begehrt wird. Eine solche Feststellung kann durch das Arbeitsgericht während der Dauer einer Freistellung nicht getroffen werden, weil damit Art und Umfang des Direktionsrechts und die daraus folgenden Gestaltungsmöglichkeiten im Anschluss an die Beendigung der Freistellung nicht berücksichtigt würden. Dies gilt nach den Feststellungen des BAG auch für die Frage, ob eine an sich mögliche Beschäftigung gemäß § 81 Abs. 4 S. 3 SGB IX nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre 38. (Ga)
6.
Einstellungen: Informationspflicht nach § 99 BetrVG bei Einbindung eines Recruitment Centers
Nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Eine Einstellung i. S. v. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Auf das Rechtsverhältnis, in dem die Personen zum Betriebsinhaber stehen, kommt es dabei nicht an 39. Eingegliedert ist dabei, wer eine ihrer Art nach weisungsgebundene Tätigkeit verrichtet, die der Arbeitgeber organisiert. Der Beschäftigte muss so in die betriebliche Arbeitsorganisation integriert sein, dass der Arbeitgeber das für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht innehat und die Entscheidung über den Einsatz nach Inhalt, Ort und Zeit trifft 40.
38 BAG v. 23.11.2014 – 9 AZR 1100/12, NZA 2015, 179 Rz. 14. 39 BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 1/09, NZA 2010, 1302 Rz.19; BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, DB 2014, 2295 Rz. 23. 40 BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, DB 2014, 2295 Rz. 21.
256
Informationspflicht nach § 99 BetrVG bei Einbindung eines Recruitment Centers
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen dient nach der ständigen Rechtsprechung des BAG 41 nicht der Vertragsinhaltskontrolle, sondern vornehmlich den kollektiven Interessen der Belegschaft. Der Arbeitgeber soll dem Betriebsrat die Informationen verschaffen, die er benötigt, um sein Recht zur Stellungnahme nach § 99 Abs. 2 BetrVG sachgerecht ausüben und kontrollieren zu können, ob aufgrund der mitgeteilten Tatsachen einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt 42. Des Weiteren soll der Betriebsrat bei seiner Beteiligung vor einer Einstellung die Möglichkeit haben, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als des vom Arbeitgeber ausgewählten Stellenbewerbers sprechen. Das gilt unabhängig davon, dass hierauf keine Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG gestützt werden kann 43. Der Arbeitgeber hat damit dem Betriebsrat die Namen und die Personalien sämtlicher Bewerber mitzuteilen, wobei sich die Informationen auch auf die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen der Bewerber für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz zu erstrecken haben. Da als Beteiligte i. S. d. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG sämtliche inner- und außerbetrieblichen Bewerber um den zu besetzenden Arbeitsplatz anzusehen sind, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat auch die Unterlagen der nicht berücksichtigten Bewerber vorzulegen 44. Damit ist allerdings kein gesetzliches Recht des Betriebsrats verbunden, an Bewerbungsgesprächen teilzunehmen oder bei der Personalauswahlentscheidung mitzubestimmen. Beauftragt hingegen der Arbeitgeber ein Personalberatungsunternehmen, in eigener Regie und nicht nach außen als Vertreter in seinem Auftrag geeignete Bewerber zu suchen und ihm geeignete Bewerber zur Einstellung auf einen bestimmten Arbeitsplatz vorzuschlagen, beschränkt sich die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach § 99 Abs. 1 BetrVG auf die Personen und deren Bewerbungsunterlagen, die ihm das Personalberatungsunternehmen empfohlen hat 45.
41 BAG v. 25.1.2005 – 1 ABR 61/03, NZA 2005, 1199; BAG v. 27.10.2010 – 7 ABR 86/09, NZA 2011, 418 Rz. 22. 42 BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 55/03, NZA 2005, 827 Rz. 29; BAG v. 27.10.2010 – 7 ABR 86/09, NZA 2011, 418 Rz. 21. 43 BAG v. 28.6.2005 – 1 ABR 26/04, NZA 2006, 111 Rz. 25; BAG v. 21.10.2014 – 1 ABR 10/13, NZA 2015, 311 Rz. 23, 30. 44 BAG v. 28.6.2005 – 1 ABR 26/04, NZA 2006, 111 Rz. 25. 45 BAG v. 18.12.1990 – 1 ABR 15/90, NZA 1991, 482.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
In einem Beschluss vom 21.10.2014 hatte der 1. Senat des BAG 46 der Frage nachzugehen, ob sich der Arbeitgeber im Hinblick auf die Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG wie bei der Einschaltung eines Personalberatungsunternehmens auf die zur Einstellung in Betracht kommenden Bewerber beschränken darf, wenn die Rekrutierung des gesamten Personals im Unternehmen durch einen bestimmten Betrieb für alle anderen Betriebe durchgeführt wird. Der Fall betrifft ein Textilhandelsunternehmen mit bundesweit 390 Filialen. Das Verkaufsgebiet ist in 15 Areas eingeteilt, für die jeweils ein Büro mit einem Recruitment Center zuständig ist. Eine Filiale in Flensburg mit 40 Arbeitnehmern, in welcher der im Beschlussverfahren beteiligte Betriebsrat besteht, wird von einem StoreManager geleitet, der alle personellen und sozialen Angelegenheiten selbstständig trifft. Ist ein vakanter Arbeitsplatz zu besetzen, bittet der StoreManager das Recruitment Center unter Mitteilung des Anforderungsprofils, einen geeigneten Bewerber zu beschaffen. Dabei prüft das RecruitmentCenter die entsprechende Qualifikation der Bewerber und leitet lediglich diejenigen Bewerbungen an den Store-Manager weiter, die für die Besetzung der Position geeignet sind. Nur über diese Bewerbungen informiert der Store-Manager seinen Betriebsrat. Der Betriebsrat war jedoch der Meinung, dass ihm künftig alle Bewerbungen, die beim Recruitment Center eingehen, nach § 99 Abs. 1 BetrVG zur Kenntnis gebracht werden müssten. Die Arbeitgeberin hat daraufhin beim Arbeitsgericht die Feststellung beantragt, dass nur hinsichtlich der Personen, deren Bewerbungen vom Recruitment Center weitergeleitet werden, eine Informationspflicht nach § 99 Abs. 1 BetrVG in der jeweiligen Filiale gegenüber dem Betriebsrat besteht. Der Feststellungsantrag des Arbeitgebers war in allen Instanzen erfolglos. Das BAG geht davon aus, dass sich das Recht des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG auf Auskunft und Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen auch auf solche Bewerbungen bezieht, die von einem unternehmensinternen Recruitment Center vorab aussortiert und nicht an die Betriebe weitergeleitet werden, deren Leiter im Ergebnis die Personalauswahlentscheidungen treffen. Dabei knüpft das BAG an die bisherigen Auslegungsergebnisse zu § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG an, die von der Rechtsprechung entwickelt worden sind, weil es nach dieser Vorschrift für den Betriebsrat nicht nur darum geht, Zustimmungsverweigerungsgründe aus § 99 Abs. 2 BetrVG sachgerecht kontrollieren und geltend machen zu können, sondern für ihn zusätzlich die Möglichkeit bestehen muss, Anregungen für die Auswahl der Bewerber geben zu dürfen und dabei Gesichtspunkte vorzutragen,
46 1 ABR 10/13, NZA 2015, 311.
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Informationspflicht nach § 99 BetrVG bei Einbindung eines Recruitment Centers
die aus seiner Perspektive einen anderen als den vom Arbeitgeber ausgewählten Bewerber geeigneter erscheinen lassen. Gehört auch dieser weitere Gesichtspunkt zum Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG, dann kann der Betriebsrat seine Möglichkeiten nur ausschöpfen, wenn ihm sämtliche Bewerbungen mitgeteilt werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese für die zu besetzende Position aus der Perspektive des Arbeitgebers offensichtlich oder objektiv ungeeignet sind. Das BAG weist darauf hin, dass Beteiligte im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG alle diejenigen Bewerber sind, die ihr Interesse an einem konkreten, zur Besetzung ausgeschriebenen Arbeitsplatz, bekundet haben. Mit dieser begrifflichen Kennzeichnung des Bewerbers verbindet das BAG den Grundsatz, dass dem Betriebsrat unter Auskunftserteilung über die Person der Beteiligten die erforderlichen Bewerbungsunterlagen auch derjenigen Personen vorgelegt werden müssen, die aus der Sicht des Arbeitgebers von vornherein für eine Einstellung mangels entsprechender Qualifikationen nicht in Betracht kommen oder Anzeichen dafür bestehen, dass überhaupt keine ernsthafte Bewerbung dieser Bewerber vorliegt. Nach Ansicht des BAG stehen dieser Vorlage- und Auskunftspflicht die organisatorischen Vorgaben bei der Arbeitgeberin durch die Einschaltung eines Recruitment Centers nicht entgegen. Anders als bei der Einschaltung eines Personalberatungsunternehmens, das nicht nach außen im Auftrag des Arbeitgebers, sondern als eigenständiger Unternehmensträger die Personalbeschaffung übernimmt, richtet sich die Vorlage- und Auskunftspflicht nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG an den Arbeitgeber, d. h. an den Unternehmensträger, und nicht etwa an den Leiter eines Betriebs oder einer Filiale. Daher ist auf den Streitfall bezogen nicht der Store-Manager zur Erfüllung der Pflichten aus § 99 Abs. 1 BetrVG, sondern der Arbeitgeber berufen, unabhängig davon, dass er dem Betriebsleiter die selbstständige Befugnis zur Einstellung übertragen hat. Deshalb spielt es auch keine Rolle, über welche Kenntnisse der jeweiligen Bewerbungen und Bewerbungsunterlagen der StoreManager verfügt. Es kommt ausschließlich auf die entsprechenden Kenntnisse des Arbeitgebers an. Für die betriebliche Praxis verdeutlicht das BAG damit, dass ein Unternehmensträger als Arbeitgeber mit mehreren Betrieben nicht allein dadurch die Auskunfts- und Vorlagepflichten gegenüber dem Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG relativieren kann, dass die Personalbeschaffung auf einen bestimmten Betrieb konzentriert wird und an die jeweiligen personalsuchenden Betriebe nur vorab bereits ausgewählte geeignete Bewerber weiterempfohlen werden, über die der Betriebsrat vor Ort unterrichtet wird. In ei-
259
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
nem Unternehmensverbund (Konzern) könnten allerdings die Aufgaben der Personalbeschaffung von einem anderen Unternehmensträger eigenständig wahrgenommen werden, so dass für das einstellende Unternehmen als Bewerber nur diejenigen i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG anzusehen sind, die das rekrutierende Unternehmen für ausreichend geeignet erachtet und zur Einstellung vorschlägt. (Boe)
7.
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung
Bereits mit Beschluss vom 10.7.2013 47 hatte der 7. Senat des BAG die Feststellung getroffen, dass § 1 Abs. 1 Abs. 2 AÜG den nicht nur vorübergehenden Einsatz eines Leiharbeitnehmers verbiete. Beabsichtige der Entleiher, einen Leiharbeitnehmer mehr als vorübergehend zu beschäftigen, könne der Betriebsrat des Entleiherbetriebs deshalb nach §§ 14 Abs. 3 S. 1 AÜG, 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung zur Übernahme verweigern. Wir hatten an anderer Stelle bereits darüber berichtet 48. Mit Beschluss vom 30.9.2014 49 hat der 1. Senat des BAG sich dieser Bewertung angeschlossen. Nach seiner Auffassung kommt das Verbot eines nicht nur vorübergehenden Einsatzes von Leiharbeitnehmern sogar dann zur Anwendung, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers vor dem 1.12.2011 begonnen wurde. Entscheidend für die Wirksamkeit einer Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats sei, dass das Verbot zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beim Arbeitsgericht Geltung beanspruche. In den Gründen seiner Entscheidung vertritt der 1. Senat des BAG dabei die These, dass mit der Interpretation von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG als Verbotsnorm die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung nicht überschritten würden. Auch bedürfe es keiner Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die richtige Anwendung des Unionsrechts sei bezüglich der Annahme, das Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG als eine die nichtvorübergehende Arbeitnehmerüberlassung ausschließende Norm laufe den Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG nicht zuwider, „derart offenkundig, dass für Zweifel kein Raum bleibt“.
47 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296 ff. 48 B. Gaul, AktuellAR 2013, 385, 599 ff.; 2014, 18 ff. 49 1 ABR 79/12, BB 2015, 379 Rz. 14.
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Zugang von Betriebsratsmitgliedern des Verleiherbetriebs zum Entleiherbetrieb
Führt man sich vor Augen, dass das BAG mehrere Seiten benötigt, um diese apodiktische Feststellung zu begründen, lässt dies schon erste Zweifel an der Richtigkeit dieser unionsrechtlichen Bewertung entstehen. Führt man sich darüber hinaus vor Augen, dass der EuGH – anders als der Generalanwalt in seiner Stellungnahme vom 20.11.2014 50 – in seinem Urteil vom 17.3.201551 keinerlei Klarstellungen in Bezug auf den persönlichen Geltungsbereich der Leiharbeits-Richtlinie und die dort vorgenommenen Feststellungen zur „vorübergehenden“ Überlassung von Personal getroffen hat 52, können diese Feststellungen des 1. Senat des BAG im Beschluss vom 30.9.2014 53 nicht überzeugen. Es wäre besser gewesen, hier den EuGH um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Angesichts der erkennbaren Zweifel hinsichtlich der Bedeutung unionsrechtlicher Vorgaben wird man sogar von einer Vorlagepflicht des BAG als letztinstanzliches Gericht ausgehen müssen. (Ga)
8.
Zugang von Betriebsratsmitgliedern des Verleiherbetriebs zum Entleiherbetrieb
§ 14 AÜG trifft nur unvollkommene Regelungen über die Befugnisse der Betriebsräte im Betrieb des Verleihers auf der einen und dem Betrieb des Entleihers auf der anderen Seite. Ausgangspunkt dabei ist die Feststellung, dass Leiharbeitnehmer auch während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebs des Verleihers bleiben. Der dort gebildete Betriebsrat übt deshalb auch in Bezug auf diese Arbeitnehmer die betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte aus. Während ihres Einsatzes im Betrieb des Entleihers sind die Leiharbeitnehmer berechtigt, die Sprechstunden des dort gebildeten Betriebsrats aufzusuchen und an den Betriebs- und Jugendversammlungen im Entleiherbetrieb teilzunehmen. Ergänzend hierzu gelten die §§ 81, 82 Abs. 1 sowie §§ 84 bis 86 BetrVG im Entleiherbetrieb auch in Bezug auf die dort tätigen Leiharbeitnehmer. Über die Beteiligung des Betriebsrats des Entleihers nach § 99 BetrVG hinaus trifft § 14 Abs. 2, 3 AÜG indes keine Feststellung. Es oblag der Rechtsprechung, Grundsätze über die Differenzierung hinsichtlich der Zuständigkeit der beiden Betriebsräte zu treffen.
50 51 52 53
Schlussanträge des Generalanwalts v. 20.11.2014 – C-533/13 n. v. (Rz. 112 ff.). C-533/13, NZA 2015, 423 - AKT. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 71 ff. 1 ABR 79/12, BB 2015, 379 Rz. 37 ff.
261
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Vereinfacht ausgedrückt, ist der Betriebsrat des Verleihers dafür zuständig die Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Ausgestaltung solcher Arbeitsbedingungen, die unabhängig von der Ausübung des Direktionsrechts festgelegt werden 54. Der Betriebsrat des Entleihers hingegen ist für die Wahrnehmung solcher Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte zuständig, die sich als Konsequenz der Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts ergeben 55. Schließlich ist die Arbeitnehmerüberlassung dadurch gekennzeichnet, dass der Leiharbeitnehmer dem Entleiher vorübergehend zur Arbeitsleistung überlassen wird. Dies bezieht die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts bei dieser Arbeitsleistung ein. Im Beschluss vom 15.10.2014 56 ging es nun um die Frage, ob der Betriebsrat des Verleihers gegenüber dem Entleiher einen Anspruch darauf hat, jederzeit und unabhängig von einem konkreten Anlass Zutritt zum Betrieb des Entleihers zu erhalten. Der Betriebsrat des Verleihers hatte einen solchen Anspruch mit der Begründung geltend gemacht, dass dies zur Wahrnehmung seiner gesetzlichen Überwachungsaufgaben erforderlich sei. Da die Leiharbeitnehmer darüber hinaus ein Beschwerderecht hätten, das auch ihre Tätigkeit beim Entleiher betreffe, müsse er auch in der Lage sein, als Betriebsrat des Verleihers die Berechtigung dieser Beschwerde zu beurteilen. Ohne Zutritt zum Einsatzbetrieb könne er sich aber kein eigenes Bild über die zur Beschwerde führenden Umstände machen. Mit überzeugender Begründung hat das BAG das Begehren abgelehnt.
a)
Zutrittsrecht als Bestandteil des Informationsanspruchs aus § 80 Abs. 2 BetrVG
Nach der Rechtsprechung des BAG besteht im Rahmen des allgemeinen Informationsrechts des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG ein Zugangsrecht des Betriebsrats zu den Arbeitsplätzen der Belegschaft. Die Vorschrift gewährt dem Betriebsrat insoweit ein umfassendes Informationsrecht gegenüber dem Arbeitgeber, damit er die ihm obliegenden betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben sachgerecht erfüllen kann 57.
54 Vgl. BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 27; BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, BB 2001, 2582 Rz. 24; HWK/Gotthardt, AÜG § 14 Rz. 5. 55 BAG v. BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 8, 27; BAG v. 17.6.2008 – 1 ABR 39/07, DB 2008, 2658 Rz. 18 f.; ErfK/Wank, AÜG § 14 Rz. 14. 56 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 ff. 57 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 25; BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 4/88, NZA 1989, 934.
262
Zugang von Betriebsratsmitgliedern des Verleiherbetriebs zum Entleiherbetrieb
Voraussetzung für eine erfolgreiche Geltendmachung dieses Anspruchs ist allerdings nicht nur, dass der Zugang zum Arbeitsplatz und seinem Umfeld auf die Erfüllung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben gerichtet ist. Hinzu kommt, dass dieser Anspruch nur gegenüber dem Arbeitgeber des Betriebsrats besteht, für den der Betriebsrat gebildet wurde. Nach Auffassung des BAG steht insbesondere der letztgenannte Gesichtspunkt einem Anspruch des Betriebsrats des Verleihers entgegen, gegenüber dem Entleiher aus § 80 Abs. 2 BetrVG heraus einen Anspruch auf Zugang zum Entleiherbetrieb durchzusetzen. In seiner Begründung verweist der 7. Senat des BAG darauf, dass die Zuordnung des Leiharbeitnehmers zum Entsendebetrieb des Vertragsarbeitgebers durch die Eingliederung in den Betrieb des Entleihers nicht beseitigt werde. Die Zuständigkeit des Betriebsrats des Verleiherbetriebs sei deshalb grundsätzlich begrenzt auf den Betrieb, für den er gebildet sei. Sie sei gerichtet auf die Mitwirkung an den Entscheidungen des Vertragsarbeitgebers in den die Leiharbeitnehmer betreffenden sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Dort, wo Beteiligungsrechte des Betriebsrats entweder an die Eingliederung in den Betrieb des Vertragsarbeitgebers anknüpften oder das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraussetzten, ergäben sich Zuständigkeiten für den im Betrieb des Vertragsarbeitgebers gebildeten Betriebsrat 58. Da die das Leiharbeitsverhältnis kennzeichnende Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen zwischen dem Verleiher als dem Vertragsarbeitgeber und dem Entleiher, der die wesentlichen Arbeitgeberbefugnisse in Bezug auf die Arbeitsleistung ausübe, nicht dazu führen dürfe, dass die Schutzfunktion der Betriebsverfassung außer Kraft gesetzt werde, würden – so das BAG – Leiharbeitnehmer vom Betriebsrat des Entleiherbetriebs repräsentiert, soweit es um die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten bei Entscheidungen gehe, die vom Inhaber des Entleiherbetriebs getroffen würden. Die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten in Bezug auf Leiharbeitnehmer richte sich daher nach dem Gegenstand des Mitbestimmungsrechts und der darauf bezogenen Entscheidungsmacht des jeweiligen Arbeitgebers 59. Diese aufgespaltene Zuständigkeit der beiden Betriebsräte hat auch Bedeutung für die Wahrnehmung der Informationsrechte aus § 80 Abs. 2 BetrVG 58 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 27; Thüsing/Thüsing, AÜG § 14 Rz. 21. 59 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 27; BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, BB 2001, 2582 Rz. 24.
263
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
und der damit einhergehenden Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Denn die Überwachung der Einhaltung der arbeitsplatzbezogenen Schutzvorschriften hinsichtlich der im Entleiherbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer betrifft den dort gebildeten Betriebsrat. Der Verleiher verfügt über keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung dieser Arbeitsplätze. Damit kann auch der Betriebsrat des Verleiherbetriebs, dessen Adressat für etwaige Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechte der Verleiher ist, im Entleiherbetrieb keine arbeitsplatzbezogenen Mitbestimmungsrechte ausüben. Ein Anspruch des Betriebsrats auf Zugang zu den Arbeitsplätzen im Entleiherbetrieb besteht deshalb nicht. Schließlich gibt es auch keinen Anlass für den Betriebsrat, sich ein eigenes Bild von den Arbeitsplätzen im Betrieb des Entleihers zu machen 60. Offen gelassen hat das BAG indes, ob diese strikte Trennung der Zuständigkeit dann geboten bleibt, wenn für den Einsatzbetrieb kein Betriebsrat gebildet wäre, der die arbeitsplatzbezogenen Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wahrzunehmen hätte, oder wenn ein solcher aufgrund der Betriebsgröße (§ 1 Abs. 1 BetrVG) überhaupt nicht gebildet werden könnte. Nicht zu entscheiden war auch darüber, ob die Besichtigung von Arbeitsplätzen im Entleiherbetrieb aus einem konkreten Anlass zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben oder Mitbestimmungsrechte durch den antragstellenden Betriebsrat erforderlich werden könnte, beispielsweise im Rahmen der personellen Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei der Eingruppierung von Leiharbeitnehmern oder zur sachgerechten Behandlung einer bestehenden Beschwerdestelle nach § 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG und ob der Entleiher in einem solchen Fall den Zutritt des Betriebsrats des Verleihers zu seinem Betrieb dulden muss 61.
b)
Zutrittsrecht zur Vermeidung einer Benachteiligung
Nach Auffassung des BAG im Beschluss vom 15.10.2014 62 folgt ein anlassunabhängiges Zutrittsrecht des Betriebsrats des Verleihers auch nicht aus § 78 S. 1 BetrVG. § 78 S. 1 BetrVG verbietet, Mitglieder des Betriebsrats in Ausübung ihrer Tätigkeit zu stören oder zu behindern. Das Verbot der Störung und der Behinderung richtet sich dabei zwar nicht nur gegen den Arbeitgeber und die
60 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 28; a. A. Thüsing/Thüsing, AÜG § 14 Rz. 25. 61 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 30. 62 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 31 ff.
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Mitbestimmungspflichtige Einstellung bei unternehmensübergreifender Matrixstruktur
für ihn handelnden Personen. Vielmehr besteht es gegenüber jedermann. Es richtet sich also auch gegen außerbetriebliche Personen und Stellen. Auch wenn damit Verleiher und Entleiher gleichermaßen zur Einhaltung dieser Vorgabe verpflichtet sind, lässt sich damit kein anlassunabhängiges Zutrittsrecht begründen. Denn dies setzte voraus, dass der Betriebsrat und seine Mitglieder ohne diesen Zutritt in der Ausübung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit gestört oder behindert würden. Wenn es aber in dem Betrieb des Entleihers keine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben gibt, die – anlassunabhängig – durch Zutritt wahrgenommen werden könnten, kann in der Verweigerung eines solchen Zutritts auch keine Störung oder Behinderung der Betriebsratsarbeit liegen 63. (Ga)
9.
Mitbestimmungspflichtige Einstellung bei unternehmensübergreifender Matrixstruktur
In seinem Beschluss vom 28.5.2014 64, gegen den Rechtsbeschwerde eingelegt wurde 65, hat das LAG Baden-Württemberg die für eine mitbestimmungspflichtige Einstellung nach § 99 BetrVG erforderliche Eingliederung eines Arbeitnehmers in einen Betrieb bereits dann angenommen, wenn der Mitarbeiter eines anderen Unternehmens auf der Grundlage einer organisatorischen Maßnahme zum Vorgesetzten von Mitarbeitern bestimmt werde, die in seinem Betrieb beschäftigt würden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn dem Vorgesetzten eine Arbeitsaufgabe im Konzern zugewiesen sei, die zumindest teilweise (auch) dem arbeitstechnischen Zweck, der in diesem Betrieb verfolgt werde, zu dienen bestimmt sei. In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Arbeitgeber gemeinsam mit weiteren Konzernunternehmen eine Matrixorganisation aufgebaut. Innerhalb dieser Matrixorganisation oblag es Herrn B, den Bereich Automotive auf- und auszubauen. Er trug dabei Personalverantwortung für 60 Arbeitnehmer, von denen 58 Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zur AIS standen, bei der er auch zunächst eingestellt war. Die beiden weiteren Arbeitnehmer waren bei der Beteiligten zu 2) in einem anderen Betrieb beschäftigt und führten dort insgesamt 17 weitere Arbeitnehmer. Herr B, der zu diesem Zweck auch einen Arbeitsvertrag mit der Beteiligten zu 2) unterschrieben hatte, führte dieses Team aus 19 Arbeitnehmern, in dem er Arbeitsschritte telefonisch, per Intranet oder E-Mail mit den einzelnen Arbeitnehmern abstimmte und die 63 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, BB 2015, 826 Rz. 32 f. 64 4 TaBV 7/13, BB 2014, 2298 ff. 65 1 ABR 40/14 n. v.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
unterschiedlichen Projektarbeiten plante. Er war in disziplinarischer Hinsicht unmittelbarer Vorgesetzter, veranlasste die gesamte Arbeitseinteilung und war für die Urlaubsgenehmigung sowie die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts verantwortlich. Die Betriebsstätte selbst suchte er in den vergangenen Monaten nur wenige Male auf. Er arbeitete fast ausschließlich an einem anderem Standort der AIS. In Übereinstimmung mit der Auffassung des Betriebsrats hat das LAG Baden-Württemberg in der Übernahme der Leitungsmacht für die 19 Arbeitnehmer des Betriebs der Beteiligten zu 2) eine mitbestimmungspflichtige Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG gesehen. Eine Einstellung setze eine betriebliche Eingliederung des einzustellenden Arbeitnehmers in den Betrieb voraus, für den der Betriebsrat zuständig sei. Maßgeblich dafür sei eine weisungsgebundene Tätigkeit, die der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs zu dienen bestimmt sei und daher vom Arbeitgeber organisiert werden müsse. Unerheblich ist, ob diese Arbeit stets auf dem Betriebsgelände verrichtet werde. Entscheidend ist, dass aus dem Betrieb heraus die Leitungsmacht in Bezug auf diese Tätigkeit des Arbeitnehmers ausgeübt werde. Eine bestimmte Mindestanwesenheitszeit sei hierfür nicht erforderlich 66. Das Vorliegen der für eine Einstellung erforderlichen Eingliederung hatte das LAG Baden-Württemberg sodann damit begründet, dass die Beteiligte zu 2) die Verwirklichung ihres arbeitstechnischen Zwecks so organisiert habe, dass sie für die virtuelle Organisationseinheit Herrn B als Vorgesetzten einsetze, dem das fachliche und das disziplinarische Weisungsrecht übertragen worden sei, jedenfalls in Bezug auf die zwei Arbeitnehmer, die sodann den Rest des Teams steuerten. Dies habe zur Folge, dass Herr B organisatorisch zur Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks in den Betrieb der Beteiligten zu 2) eingegliedert werde, was sodann auch Beteiligungsrechte aus § 99 BetrVG zur Folge habe. Diese Kennzeichnung einer mitbestimmungspflichtigen Einstellung kann nicht überzeugen. Denn schlussendlich lässt es das LAG BadenWürttemberg genügen, dass Herr B in seiner Funktion als Vorgesetzter eine Tätigkeit ausgeübt hat, die dem arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs zu dienen bestimmt war 67. Dass Herr B seinerseits allerdings weder fachliche noch zeitliche Weisungen durch einen Vorgesetzten bzw. ein Organmitglied der Beteiligten zu 2) erhalten hatte, spielte bei dieser Kenn-
66 LAG Baden-Württemberg v. 28.5.2014 – 4 TaBV 7/13, BB 2014, 2298 Rz. 48 ff., 50 f. 67 LAG Baden-Württemberg v. 28.5.2014 – 4 TaBV 7/13, BB 2014, 2298 Rz. 59.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
zeichnung des Begriffs der Einstellung keine Rolle. Dies aber widerspricht allgemeinen Grundsätzen, wonach eine Einstellung nach § 99 BetrVG an die Übernahme einer in fachlicher und zeitlicher Hinsicht weisungsgebundenen Tätigkeit geknüpft ist, die den arbeitstechnischen Zweck eines Betriebs fördert, ohne dass tatsächlich Weisungen erteilt werden müssen 68. Entgegen der Vorgehensweise des LAG Baden-Württemberg muss damit deutlich differenzierter geprüft werden, in welcher Weise im Rahmen einer Matrix durch den Vorgesetzten nicht nur Weisungen gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern in anderen Betrieben erteilt werden. Vielmehr ist darüber hinaus festzustellen, ob diese Vorgesetzten – ggf. als Konsequenz einer dottet line – ihrerseits fachlichen und/oder zeitlichen Weisungen in Bezug auf diese Tätigkeit aus dem anderen Betrieb ausgesetzt sind oder nach der Gesamtkonzeption sein können. Dies ist nicht der Fall, wenn in dem anderen Betrieb zwar Berichtspflichten bestehen, die inhaltliche und zeitliche Ausgestaltung der Arbeit allerdings durch Vorgesetzte bestimmt wird, die im Herkunftsbetrieb des Vorgesetzten oder in einer ganz anderen Einheit sitzen. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG im Rahmen der Rechtsbeschwerde diesen Sachverhalt sieht. Für die betriebliche Praxis haben solche Fallgestaltungen ganz erhebliche Bedeutung, denn mit der Anerkennung der hier erörterten Eingliederung wären nicht nur Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG verbunden. Vielmehr würde man diesen Betriebsrat auch bei sonstigen sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG) oder einer Kündigung (§ 102 BetrVG) zu beteiligen haben. Dies hätte zur Folge, dass bei entsprechenden Maßnahmen des Vertragsarbeitgebers jeweils mehrere Betriebsräte Beteiligungsrechte geltend machen könnten, deren Nichtbeachtung auch die Unwirksamkeit einzelner Handlungen des Arbeitgebers zur Folge haben kann. (Ga)
10. Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite a)
Ausgangssituation
Viele Unternehmen präsentieren sich heute in den Social Media. Oft ist der klassische Marketing-Etat gekürzt worden, um Präsenz auf Facebook, Twitter und anderen Medien zu zeigen. Auf diese Weise wird nicht nur eine schnellere Kommunikation aus dem Unternehmen heraus zu potenziellen 68 Vgl. BAG v. 15.4.2014 – 1 ABR 101/12, NZA 2014, 920 Rz. 15; Fitting, § 99 Rz. 34, 64; HWK/Ricken, BetrVG § 99 Rz. 9 f.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Kunden oder Meinungsmachern möglich gemacht. Ein ganz wesentlicher Bestandteil von Aktivitäten im Rahmen von Social Media ist, dass auf eine sehr unkomplizierte Weise ein Dialog zwischen dem Unternehmen auf der einen Seite und Kunden, potenziellen Kunden, Meinungsmachern und Kritikern auf der anderen Seite eröffnet wird. Da ein solches Engagement auch den Einsatz von Arbeitnehmern verlangt, die sich mit entsprechenden Verlautbarungen im Internet und in den Social Media beschäftigen, stellt sich die Frage, ob insoweit auch Beteiligungsrechte des Betriebsrats gegeben sind. Mit dem Beschluss des LAG Düsseldorf vom 12.1.2015 69 liegen nunmehr erstmalig Feststellungen eines Arbeitsgerichts vor, die sich sehr eingehend mit der Mitbestimmung des Betriebsrats beim Betrieb einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite befassen.
b)
Sachverhalt des LAG Düsseldorf
In dem der vorstehend genannten Entscheidung des LAG Düsseldorf zugrundeliegenden Fall betrieb die Arbeitgeberin fünf Transfusionszentren, in denen Blutspenden entgegengenommen, verarbeitet und veräußert wurden. Am 15.4.2013 eröffnete der Arbeitgeber bei Facebook verschiedene, u. a. die im Antrag genannte Seite. Im Rahmen dieses Auftritts wird es FacebookNutzern ermöglicht, Kommentare (sog. Postings) abzugeben, die dann auf einer virtuellen Pinnwand eingestellt werden und von allen FacebookNutzern angesehen bzw. weiter kommentiert werden können. Dazu gehört in der bekannten Weise auch die Kennzeichnung mit einem „Gefällt mir“, einem sog. „Like“. Die Mitarbeiter des Arbeitgebers wurden – ebenso wie potenzielle Spender – auf den Facebook-Auftritt hingewiesen. Besondere Handlungsvorgaben waren damit nicht verbunden. Allerdings verteilte die Arbeitgeberin einen allgemeinen Leitfaden zum Umgang mit Social Media, in dem es u. a. hieß: Jeder ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter des Roten Kreuzes verpflichtet sich den Rotkreuzgrundsätzen. Dein Ton sollte immer freundlich sein. Es gilt die allgemeine Netiquette.
Am 15.4.2013 stellte ein Blutspender einen kritischen Kommentar auf der Pinnwand der Facebook-Seite ein, der wie folgt lautete: Ich war am 14. April 2013 in N. mein kostbares abzapfen lassen. Gehe schon spenden seit ich 18 bin. Muss aber sagen die gestern die Nadel gesetzt hat, solle es noch lernen. Stechen kann die nicht. 69 9 TaBV 51/14 n. v.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
Am 16.4.2013 um 13.15 Uhr wurde dieser Kommentar seitens der Arbeitgeberin kommentiert. Unter dem 14.6.2013 ging ein weiterer Kommentar über einen Arzt ein, dem vorgeworfen wurde, er habe die Untersuchung vor der Blutabnahme nicht regelgerecht vorgenommen. Daraufhin sei eine ältere Spenderin beinahe kollabiert und habe per Infusion stabilisiert werden müssen. Die Facebook-Seite selbst wurde auf Seiten des Arbeitgebers durch eine Gruppe von etwa zehn Mitarbeitern betreut. Ihnen oblag es, Informationen einzustellen und Postings zu kommentieren. Hierzu konnten sich die Mitarbeiter auf die Seite aufschalten und diese als Administratoren bearbeiten. Wer von ihnen die Bearbeitung vorgenommen hatte, ließ sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des LAG Düsseldorf nicht mehr erkennen. Denn der Arbeitgeber hatte, nachdem anfangs individuelle Administratorenkennungen vergeben waren, im laufenden Verfahren allen Administratoren die gleiche Kennung zugewiesen, so dass eine Individualisierung ihrer Arbeit als Konsequenz eines Zugangs nicht mehr möglich war. Ungeachtet dessen machte der Betriebsrat geltend, dass in dem Betrieb der Facebook-Seite eine Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte zu sehen sei. Dies ergebe sich nicht nur aus der Möglichkeit, sich individuell unter Namensnennung zu einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu äußern. Die Mitbestimmungsberechtigung folge auch aus dem Umstand, dass Facebook die Möglichkeit eröffne, auch außerhalb der Einträge auf der Arbeitgeberseite Internetsuchen zu starten, aus denen heraus Aktivitäten von Arbeitnehmern - z. B. während etwaiger Krankheitszeiten – erkennbar würden. Losgelöst davon erfolge ein Mitbestimmungsrecht aus dem Umstand, dass die Administratoren und ihre Arbeit aufgezeichnet würden, was neben datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zur Folge habe. Der Betriebsrat beantragte deshalb, dem Arbeitgeber aufzugeben, einen weiteren Betrieb der Facebook-Seite zu unterlassen, sofern keine Zustimmung des Betriebsrats oder eine die Zustimmung des Betriebsrats ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle vorliege. Ob und in wieweit ein entsprechendes Begehren durch die Betriebsrat, den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat geltend gemacht wird, hängt von dem Umstand ab, welche Einheit durch diese Facebook-Seite repräsentiert werden soll. Wenn die Facebook-Seite durch den Arbeitgeber für eine Gesamtpräsentation genutzt werden soll, dürfte im Zweifel der Gesamtbetriebsrat zuständig sein. Im vorliegenden Fall ist das LAG Düsseldorf allerdings von
269
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
einer Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats ausgegangen, deren Rechtfertigung nachfolgend unterstellt werden soll.
c)
Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Wie das BAG in seinem Beschluss vom 10.12.2013 70 deutlich gemacht hat, ist von einem „Überwachen“ i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auszugeben, wenn Informationen über das Verhalten oder die Leistung eines Arbeitnehmers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet würden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Das setzt voraus, dass die Informationen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden könnten 71. Entgegen der von einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung besteht ein Mitbestimmungsrecht allerdings nicht, wenn verhaltens- oder leistungsrelevante Daten auf nichttechnischem Wege erhoben und im Rahmen eines automatisierten Datenverarbeitungsprozesses ausgewertet werden. Vielmehr muss die nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erforderliche Überwachung durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu muss diese Einrichtung – so das BAG – aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar, d. h. wenigstens in ihrem Kern, die Überwachung vornehmen, in dem sie selbst das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer kontrolliere. Voraussetzung für die Anerkennung eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist deshalb, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge verarbeite 72. Dabei genügt es indes, wenn jedenfalls ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung bewirkt wird 73. Wenn die Verarbeitung personen- oder leistungsbezogener Daten ausschließlich durch menschliches Handeln in Gang gesetzt wird, der Verwender einer
70 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 ff. 71 Vgl. auch BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556 Rz. 27; Stuck, AuA 2014, 434; Jacobi, ArbRB 2014, 107. 72 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20; BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, NZA 1995, 313 Rz. 18. 73 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20; BAG v. 15.12.1992 – 1 ABR 24/92, CR 1994, 111 Rz. 32.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
technischen Einrichtung also selbst über den Einsatz und den Umfang der dort verarbeiteten Daten entscheidet, liegt keine Überwachung i. S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG vor. Mit dieser Begründung hatte das BAG in seinem Urteil vom 10.12.2013 74 ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats abgelehnt, wenn der Arbeitgeber durch Verwendung des Routenplaners Google Maps die von Mitarbeitern angegebenen Fahrtstrecken überprüfen wollte. Denn hier stehe die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Nachprüfung ebenso wie die Entscheidung über den Einsatz von weiteren Aufklärungsmitteln alleine in der Entscheidungsbefugnis des Bearbeiters. Eine Automatik, nach der dem Arbeitnehmer allein beim Auftreten von Differenzen in Entfernungsangaben zwischen seiner Fahrtkostenabrechnung und der individuellen Routenplanrecherche eines Sachbearbeiters vorgegebene Maßnahmen drohten, gab es nicht. Mit überzeugender Begründung hat das LAG Düsseldorf im Beschluss vom 12.1.2015 75 diese Grundsätze auf den Fall übertragen, dass Mitbestimmungsrechte beim Betrieb einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite in Rede stehen. Damit aber war auch ein Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG abzulehnen. Denn es fehlte an einer automatisierten Erfassung der personen- oder leistungsbezogenen Daten, die durch Facebook bzw. Benutzung der Facebook-Seiten bewirkt wird. Dass durch Kommentare auf der Facebook-Seite mitarbeiterbezogene Leistungs- oder Verhaltensdaten aufgezeichnet werden, genügt nicht. Sinn und Zweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen 76. Denn die auf technischem Weg erfolgte Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über den Arbeitnehmer (die einer nichttechnischen Überwachung nicht zugänglich sind) birgt die Gefahr in sich, dass in dessen Persönlichkeitsbereich eingedrungen wird, und der Arbeitnehmer auf diese Weise zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht wird, der er sich nicht entziehen kann. Wie das BAG in seinem Beschluss vom 10.12.2013 77 deutlich gemacht hat, gelte dies umso mehr, als die Abläufe der technikgestützten Datenermittlung für den Arbeitnehmer vielfach nicht wahrnehmbar seien und es regelmäßig an einer Möglichkeit
74 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20. 75 9 TaBV 51/14 n. v. (Rz. 65 ff.). 76 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, , NZA 2014, 439 Rz. 27; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2014 Rz. 26 ff.; Jacobi, ArbRB 2014, 107, 108. 77 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 27.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
fehle, sich dieser zu entziehen. Die Einbindung in eine von ihm nicht beeinflussbare Überwachungstechnik könne auf diese Weise zu einer erhöhten Abhängigkeit führen und damit die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern 78. Hiervon ausgehend konnte allein der Umstand, dass einzelne Mitarbeiter auf der Facebook-Seite eine negative Bewertung erfahren hatten, kein Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen. Hier fehlte es an einer technischen Leistungs- oder Verhaltenskontrolle. Vielmehr hatten die Nutzer, die solche Kommentare verfassten, selbst durch Beobachtung oder eigene Behandlung diese Informationen erhalten und sodann auf der Facebook-Seite gepostet. Eine entsprechende Kommentierung wäre auch durch Brief oder E-Mail möglich gewesen. Auch der Umstand, dass innerhalb von Facebook bestimmte Suchfunktionen gegeben sind, löst nach Auffassung des LAG Düsseldorf keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG aus. Denn selbst wenn der Arbeitgeber über die eigene Facebook-Seite hinausgehend innerhalb von Facebook Daten suchen, sortieren und ggf. auch auswerten würde, fehle es an einer notwendigen Leistungs- oder Verhaltenskontrolle durch eine technische Einrichtung. Die Überprüfung der Mitarbeiter werde dann nämlich nicht automatisiert durch Facebook in Gang gesetzt, sondern ausschließlich durch menschliches Handeln. Denn der mit der Überprüfung befasste Mitarbeiter müsse eigenständig über den Einsatz der Suchmaschine entscheiden und dann gezielt gepostete Informationen von Dritten in einen Zusammenhang bringen. Entsprechendes gelte dann, wenn die durch Facebook angebotene Erstellung bestimmter Statistiken (z. B. Anzahl der „Likes“) genutzt werde 79. Mit überzeugender Begründung hat das LAG Düsseldorf auch ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in Bezug auf die Administratoren abgelehnt. Zwar sei dem Betriebsrat zuzugestehen, dass die Bearbeitung der Facebook-Seite durch die Administratoren automatisiert erfasst und insofern die Arbeitsleistung auch gespeichert werde. Voraussetzung für ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist allerdings, dass nachvollzogen werden könnte, welcher Mitarbeiter wann welche Nachricht und/oder welchen Kommentar auf der Facebook-Seite veröffentlicht hat. Diese Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der personenbezogenen Zuordnung leistungs- oder verhaltensbezogener Daten war nicht (mehr) gegeben, 78 Ebenso BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, NZA 1995, 313 Rz. 19; LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 TaBV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 67. 79 LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 Ta BV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 71 f.
272
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
nachdem der Arbeitgeber allen Administratoren die gleiche Kennung zugeordnet hatte 80.
d)
Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betrieb in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer, wie es durch den Arbeitgeber gemäß § 106 S. 2 GewO bestimmt werden kann. Kein Beteiligungsrecht besteht hingegen in Bezug auf solche leistungs- oder verhaltensbezogenen Maßnahmen des Arbeitgebers, durch die dieser sein Direktionsrecht gemäß § 106 S. 1 GewO verwirklicht 81. Entsprechende Maßnahmen waren in Bezug auf die hier in Rede stehende Facebook-Seite nicht gegeben. Soweit der Arbeitgeber den Administratoren Vorgaben in Bezug auf die Durchführung ihrer Arbeit erteilte, war dies der Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO zuzuordnen. Dies schließt ein Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aus. Soweit allen Mitarbeitern durch den Leitfaden zum Umgang mit Social Media Anregungen gemacht wurden, lag zwar keine Steuerung der Arbeitsleistung vor. Im Kern war insoweit aber ein Mitbestimmungsrecht nicht nur deshalb abzulehnen, weil es sich um abstrakt-generelle Lebensgrundsätze handelte. Entscheidend für das LAG Düsseldorf war schlussendlich, dass diese Vorgaben das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer betrafen, für das weder ein Bestimmungsrecht des Arbeitgebers noch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht 82.
e)
Unterlassungsanspruch wegen Missachtung des Datenschutzrechts
Grundsätzlich obliegt es dem Betriebsrat auch, die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften durch den Arbeitgeber zu überwachen. Diese Aufgabe bestimmt § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
80 LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 Ta BV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 74 ff.; Richardi, BetrVG § 87 Rz. 500; GK-BetrVG/Wiese § 87 Rz. 549. 81 BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 Rz. 45, BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, BB 2014, 1389 Rz. 23 ff.; Fitting, § 87 Rz. 62. 82 LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 Ta BV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 82 ff.; vgl. dazu auch BAG v. 17.1.2012 – 1 ABR 45/10, NZA 2012, 687 Rz. 31 f.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Dennoch konnte aus dieser Überwachungsvorgabe des Betriebsrats in Bezug auf den Datenschutz kein Anspruch auf Unterlassung des Betriebs der Facebook-Seite abgeleitet werden. Zum einen war es nicht der Arbeitgeber, der auf der Facebook-Seite personenbezogene Daten seiner Mitarbeiter erhob. Vielmehr sind solche Daten durch Dritte eingestellt bzw. kommentiert worden. Letztendlich kommt es aber auf diesen Umstand nicht an. Denn zu Recht geht das LAG Düsseldorf davon aus, dass aus dem Überwachungsrecht des Betriebsrats kein eigenständiger gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Maßnahme folge. Etwaige Rechtsverstöße des Arbeitgebers begründeten keine betriebsverfassungswidrige Lage im Verhältnis zum Betriebsrat. Er sei darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung gesetzlicher Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen. Ein eigenständiges Mitbestimmungsrecht wird durch diese Überwachungsvorgabe nicht geschaffen 83.
f)
Anspruch auf Unterlassung aus § 75 BetrVG
Auch die vom Betriebsrat geltend gemachte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer konnte die begehrte Unterlassung nicht begründen. Ein Anspruch aus § 75 BetrVG scheitere – so das LAG Düsseldorf – daran, dass weder der geforderte Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer vorliege noch eine etwaige Verletzung des Mitbestimmungsrechts einen Unterlassungsanspruch begründe. Zwar sei dem Betriebsrat zuzugestehen, dass auch bei dem Betrieb von Datenverarbeitungsanlagen die freie Entfaltung der Persönlichkeit betroffen sein könne. Allein die Möglichkeit, dass negative Kommentare von Blutspendern auf der Facebook-Seite eingestellt werden könnten, verletze aber das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter nicht. Denn in gleicher Weise sei es möglich, dass der konkrete Spender einen Brief schreibe und sich über Mitarbeiter beschwere. Durch die hypothetische Möglichkeit, dass Stellungnahmen beleidigenden Inhalt haben könnten, verletze der Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter nicht. Denn er beleidige die Mitarbeiter nicht, sondern stelle nur eine (zusätzliche) Kommunikationsmöglichkeit bereit. Zudem dürfe nicht übersehen werden, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit habe, derartige negative Kommentare wieder zu löschen und mit eigenen
83 BAG v. 17.5.2011 – 1 ABR 121/09, AiB 2012, 538 Rz. 17; BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 40/01, NZA 2008, 1248 Rz. 39; LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 Ta BV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 88 ff.
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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Gesundheitsschutz
Kommentaren zu versehen. Diese Möglichkeit wahre die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter. Ungeachtet dessen scheide ein Unterlassungsanspruch aus § 75 BetrVG von vornherein aus, weil diese Norm keinen solchen Anspruch begründe. Denn § 75 BetrVG schaffe kein Mitbestimmungsrecht, dessen Beachtung durch einen allgemeinen Unterlassungsanspruch geschützt wäre. Das gelte auch für die in § 75 Abs. 2 S. 2 BetrVG geregelte Schutzpflicht, die Arbeitgeber wie Betriebsrat dazu anhält, sich bei Verstößen gegen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit von Arbeitnehmern um Abhilfe zu bemühen. Ein eigenständiges Recht, persönlichkeitsverletztende Maßnahmen gegenüber den unmittelbar Betroffenen zukünftig zu unterlassen, wird damit nicht geschaffen 84.
g)
Fazit
Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Die Überlegungen des LAG Düsseldorf liegen in Gänze auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6 BetrVG. Insoweit wäre es zu wünschen, dass damit möglichst bald eine rechtskräftige Klarstellung zu der Frage geschaffen worden ist, ob und inwieweit der Betriebsrat beim Einsatz solcher Formen von Social Media Beteiligungsrechte geltend machen kann. Dass ein solcher Einsatz stets auch die datenschutzrechtlichen Vorgaben berücksichtigen muss, soll damit nicht in Frage gestellt werden. Dies gilt auch und insbesondere, wenn man sich den Umgang mit personenbezogenen Daten durch entsprechende Median vor Augen führt. Ein Anlass, über die allgemeine Überwachungspflicht des Betriebsrats aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hinaus ergänzende Beteiligungsrechte anzunehmen, wird damit indes nicht geschaffen. (Ga)
11.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Gesundheitsschutz
Mit Blick auf die Entscheidungen des BAG vom 11.2.2014 85 und vom 18.3.2014 86 hatten wir uns im Herbst eingehend mit dem Umfang der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG befasst. Da-
84 BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01, NZA 2003, 166 Rz. 45; LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 Ta BV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 94 ff., 96; GK-BetrVG/Kreutz, § 75 Rz. 92, 94; Fitting, § 75 Rz. 4. 85 1 ABR 72/12, NZA 2014, 989 Rz. 14. 86 1 ABR 73/12, NZA 2014, 855 ff.
275
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
nach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften 87. Daran hat der 1. Senat des BAG im Beschluss vom 30.9.2014 88 angeknüpft. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG habe der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht beziehe sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisierten. Es setze ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv bestehe und wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlange, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Der Betriebsrat habe daher nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht sowohl bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG als auch bei der Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG 89. §§ 5 und 12 ArbSchG sind – so das BAG – Rahmenvorschriften über den Gesundheitsschutz, die dem Arbeitgeber Handlungsspielräume bei der Umsetzung lassen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Konkretisierung, die durch §§ 3, 12 BetrSichVO ab 1.6.2015 bewirkt wird. Wir haben auf die damit verbundenen Änderungen an anderer Stelle hingewiesen 90. Denn auch unter Berücksichtigung der BetrSichVO bestehen bei der Gefährdungsbeurteilung Spielräume etwa bei den Festlegungen, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf welche Gefahrenursachen hin in welchem Zeitablauf untersucht werden sollen. Im Bereich der Unterweisung der Beschäftigten müssen insbesondere Art, Umfang und der konkrete Inhalt der Unterweisung festgelegt werden 91. In überzeugender Weise hat das BAG im Beschluss vom 30.9.2014 92 deutlich gemacht, dass der Mitbestimmung des Betriebsrats nicht entgegen stehe, dass der Arbeitgeber ein Fremdunternehmen mit der Durchführung der Gefährdungsanalyse und der Unterweisung der Beschäftigten beauftragt ha-
87 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, 491 ff. 88 1 ABR 106/12, NZA 2015, 314 Rz. 12 ff. 89 Ebenso bereits BAG v. 11.2.2014 – 1 ABR 72/12, NZA 2014 Rz. 14; BAG v. 8.11.2011 – 1 ABR 42/10, DB 2012, 1213 Rz. 16. 90 B. Gaul, AktuellAR 2015, 13 f. 91 So BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 106/12, NZA 2015, 314 Rz. 13. 92 1 ABR 106/12, NZA 2015, 314 Rz. 14 ff.
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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Gesundheitsschutz
be. In mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten könne sich der Arbeitgeber Dritten gegenüber grundsätzlich nicht in einer Weise binden, die die Mitregelungsbefugnis des Betriebsrats faktisch ausschließen würde. Vielmehr müsse der Arbeitgeber durch eine entsprechende Vertragsgestaltung sicherstellen, dass (zuvor) die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts gewährleistet sei 93. Insofern erlaubt zwar § 13 Abs. 2 ArbSchG dem Arbeitgeber, zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit zu beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach dem ArbSchG zu übernehmen. Hierzu kann auch die Gefährdungsanalyse oder die Unterweisung gemäß §§ 5, 12 ArbSchG gehören. Das aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG folgende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bleibt hiervon indes unberührt. Insofern muss der Arbeitgeber bei der Beauftragung eines Dritten sicherstellen, dass bei der Konkretisierung des nach dem Gesetz bestehenden Handlungsspielraums die Mitregelungsbefugnis des Betriebsrats beachtet wird. Eine etwaige Beauftragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG muss deshalb diesem Vorbehalt Rechnung tragen. Nur dann, wenn es sich um eine individuelle Einzelmaßnahme handelt, kann eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ausgeschlossen sein. Eine Gefährdungsanalyse oder die Unterweisung von Arbeitnehmern gemäß §§ 5, 12 ArbSchG stellen allerdings regelmäßig kollektive Sachverhalte dar, die bei eigener Wahrnehmung oder der Übertragung auf Dritte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beachten müssen 94. (Ga)
93 Ebenso BAG v. 18.4.2000 – 1 ABR 22/99, NZA 2000, 1176 Rz. 26. 94 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 17 ff., 19.
277
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
1.
Sozialplan: Ausschluss und Minderung von Abfindungsansprüchen bei rentennahen Jahrgängen
a)
Ausgangssituation
Ausgehend von der Begrenztheit des für den Ausgleich etwaiger Nachteile einer Betriebsänderung verfügbaren Sozialplanvolumens besteht in der betrieblichen Praxis nach wie vor das Interesse, bei rentennahen Jahrgängen eine Minderung bzw. einen Ausschluss von Ansprüchen auf eine Sozialplanabfindung zu vereinbaren. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die bevorstehende Möglichkeit der Inanspruchnahme von gesetzlicher Altersrente eine geringere Schutzbedürftigkeit bewirkt. Arbeitgeber und Betriebsrat nehmen dies gleichermaßen zum Anlass, daran entsprechende Kürzungs- bzw. Ausschlusstatbestände zu knüpfen. Dies hilft, das verbleibende Sozialplanvolumen an solche Arbeitnehmer zu gewähren, die wegen der fehlenden Rentennähe in jedem Fall gehalten sind, im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach einer Anschlussbeschäftigung zu suchen. Mit dem Urteil des EuGH vom 26.2.2015 1 und dem Urteil des BAG vom 9.12.2014 2 liegen höchstrichterliche Feststellungen vor, die - unter bestimmten Voraussetzungen – entsprechende Gestaltungsspielräume auch unter Berücksichtigung des Verbots einer Diskriminierung wegen des Alters rechtfertigen.
b)
Abfindungsausschluss bei Altersrente nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
In seinem Urteil vom 12.10.2010 3 hatte der EuGH noch deutlich gemacht, dass zwar ein vollständiger Ausschluss von Arbeitnehmern vom Bezug einer Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig sei, wenn der betroffene Arbeitnehmer im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich gesetzliche Altersrente beziehe. Gleichzeitig
1 2 3
C-515/13, NZA 2015, 473 ff. – Landin. 1 AZR 102/13, ZIP 2015, 492 ff. C-499/08, NZA 2010, 1341 – Andersen.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
hatte der EuGH indes auch deutlich gemacht, dass ein Ausschluss nicht gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer – obwohl die Möglichkeit bestehe – die gesetzliche Altersrente im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht in Anspruch nehmen wolle. Wenn hier ein Ausschluss allein mit der Möglichkeit einer Inanspruchnahme begründet werde, läge darin eine Diskriminierung wegen des Alters, die auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar sei. Wir hatten darüber bei früherer Gelegenheit berichtet 4. Mit seinem Urteil vom 26.2.2015 5 hat der EuGH jetzt klargestellt, dass eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters beim Ausschluss eines Abfindungsanspruchs wegen der Möglichkeit des Bezugs von gesetzlicher Altersrente nur gegeben ist, wenn dies eine vorzeitige – gekürzte – Altersrente betrifft. Knüpft der Ausschluss an die Möglichkeit, eine ungekürzte gesetzliche Altersrente in Anspruch zu nehmen, sei dies mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. In dem zugrunde liegenden Fall ging es erneut um eine gesetzliche Regelung in Dänemark. Danach hat der Arbeitgeber bei der Entlassung eines Angestellten, der im selben Betrieb 12, 15 oder 18 Jahre lang ununterbrochen beschäftigt war, einen Betrag in Höhe von einem, zwei bzw. drei Monatsgehältern zu zahlen. Dieser gesetzliche Abfindungsanspruch ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Angestellte bei seinem Ausscheiden eine Volksrente erhält bzw. erhalten kann. Hiervon war der Kläger im Ausgangsverfahren betroffen. Der Kläger wurde im Jahre 1999 als Ingenieur eingestellt. An seinem 65. Geburtstag beantragte er, dass ihm seine Volksrente erst zu einem späteren Zeitpunkt mit einem höheren Betrag ausgezahlt werden solle. Hintergrund war, dass er sein Arbeitsverhältnis fortsetzen wollte. Das Arbeitsverhältnis endete erst am 31.5.2012 als Folge einer Kündigung des Arbeitgebers, die am 30.11.2011 erklärt worden war. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt bereits 67 Jahre alt. Weil er in diesem Alter eine ungekürzte Volksrente in Anspruch nehmen konnte, weigerte sich der Arbeitgeber, ihm wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung auszuzahlen. Der Kläger, der im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Anschlussbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu Marktbedingungen aufgenommen hatte, sah darin eine Diskriminierung wegen seines Alters. Das Østre Landsret nahm diesen Einwand zum Anlass, den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen. In den Gründen seiner Entscheidung hat der EuGH zunächst ein4 5
B. Gaul, AktuellAR 2011, 239 ff. C-515/13, NZA 2015, 473 – Landin.
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Ausschluss und Minderung von Abfindungsansprüchen bei rentennahen Jahrgängen
mal deutlich gemacht, dass die gesetzliche Regelung, die zu einem Anspruchsausschluss geführt hatte, als Benachteiligung wegen des Alters zu qualifizieren sei. Nach seiner Auffassung war diese Benachteiligung allerdings durch Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Nach Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters keine Diskriminierung darstellt, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind 6. Dabei geht der EuGH von einem weiten Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten aus. Dieser betrifft nicht nur die Frage, welches konkrete Ziel sie im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfolgen wollen. Es betrifft auch die Festlegung der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen 7. In Bezug auf die streitgegenständliche Regelung hat der EuGH insoweit zunächst einmal anerkannt, dass das mit der Entlassungsabfindung verfolgte Ziel eines Schutzes von Arbeitnehmern mit längerer Betriebszugehörigkeit und der Hilfe bei ihrer beruflichen Wiedereingliederung in die Kategorie der rechtmäßigen Ziele aus den Bereichen der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarkts i. S. von Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG falle. Soweit dabei Arbeitnehmer, die eine Volksrente in Anspruch nehmen können, ausgeschlossen werden sollen, trage dies der Feststellung Rechnung, dass Personen, die eine solche Rente beziehen können, sich im Allgemeinen dafür entscheiden, aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden 8. Voraussetzung für die Wirksamkeit der entsprechenden Regelung ist allerdings, dass sie unter Berücksichtigung ihres Zwecks eine geeignete, erforderliche und angemessene Differenzierung wegen des Alters zur Folge hat. Hiervon ist der EuGH ausgegangen. Hinsichtlich der Angemessenheit hat er im Urteil vom 26.2.2015 9 deutlich gemacht, dass bei der Verfolgung beschäftigungspolitischer Ziele keine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer eintreten dürfe, denen aufgrund dieser Vorschrift die Abfindung vorenthalten werde, weil sie zum Bezug einer Volksrente berechtigt seien. Die Mitgliedstaaten hätten indes einen wei6 7 8 9
Vgl. EuGH v. 11.11.2014 C-530/13, ZESAR 2015, 180 Rz. 37 – Schmitzer. EuGH v. 26.2.2015 – C-515/13, NZA 2015, 473 Rz. 18 f. – Landin; EuGH v. 19.6.2014 – C-501/12, NZA 2014, 831 Rz. 46 – Specht. So bereits EuGH v. 12.10.2010 – C-499/08, NZA 2010, 1341 Rz. 27 ff. – Andersen. C-515/13, NZA 2015, 473 Rz. 25 ff. – Landin.
281
Betriebsänderung und Betriebsübergang
ten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik. Wenngleich der Ermessensspielraum nicht zu einer Aushöhlung des Verbots einer Diskriminierung wegen des Alters führen dürfe, sei es nicht unvernünftig, eine Entlassungsabfindung allein für Arbeitnehmer vorzusehen, die zum Zeitpunkt ihrer Entlassung keine Volksrente beziehen könnten. Die gelte jedenfalls im Hinblick auf das Ziel des Gesetzgebers, Arbeitnehmer stärker zu schützen, deren Übergang in eine andere Beschäftigung sich aufgrund der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit als schwierig darstelle. Eine Regelung, nach der Arbeitnehmer keine Abfindung erhalten, wenn sie Altersrente beziehen, erlaube es deshalb, Missbrauchsmöglichkeiten zu begrenzen. Die Erforderlichkeit der hier in Rede stehenden Differenzierung hat der EuGH zunächst einmal in Bezug auf solche Arbeitnehmer bestätigt, die tatsächlich Altersrente beziehen. Berechtigterweise hat er allerdings in den Mittelpunkt seiner Prüfung die Frage gestellt, ob die notwendige Erforderlichkeit auch dann gegeben ist, wenn Personen vom Bezug der Abfindung ausgeschlossen werden, die lediglich einen Anspruch auf eine solche Rente haben. Zu prüfen sei hier, ob ein solcher Ausschluss nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich sei 10. Auch diese Voraussetzung hat der EuGH indes angenommen. Ausgangspunkt war dabei der Hinweis der dänischen Regierung, nach der Arbeitnehmer im Allgemeinen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden würden, wenn sie eine Volksrente beziehen könnten. Diese Bewertung habe den Gesetzgeber veranlasst, auch solche Arbeitnehmer von dem Bezug einer Abfindung auszuschließen, die, obwohl sie die Bezugsvoraussetzungen erfüllen, auf die Inanspruchnahme der Volksrente vorübergehend verzichteten, um die berufliche Laufbahn weiter zu verfolgen. Da der insoweit betroffene Arbeitnehmerkreis die gesetzliche Altersrente zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Minderung in Anspruch nehmen könne, hält dies auch der EuGH für zulässig. Insbesondere läge darin keine übermäßige Beeinträchtigung des Personenkreises. Grundsätze, wie sie in der AndersenEntscheidung des EuGH vom 12.10.2010 11 entwickelt wurden, ließen sich deshalb nicht auf die in Rede stehende Differenzierung übertragen. Im Gegenteil: Ein Arbeitnehmer, der wie der Kläger über das Renteneintrittsalter hinaus weiterarbeite, könne damit seinen Rentenanspruch erhöhen. Hinzu komme, dass es sogar unter bestimmten Voraussetzungen möglich sei, Altersrente neben einer beruflichen Tätigkeit zu erhalten. 10 EuGH v. 26.2.2015 – C-515/13, NZA 2015, 473 Rz. 33 ff. – Landin. 11 C-499/08, NZA 2010, 1341 Rz. 27 ff.
282
Ausschluss und Minderung von Abfindungsansprüchen bei rentennahen Jahrgängen
Hiervon ausgehend erlaubt der EuGH, Arbeitnehmer vom Bezug einer Abfindung auszugrenzen, wenn diese unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ungekürzte Altersrente haben. Nicht erforderlich ist, dass diese Altersrente auch tatsächlich in Anspruch genommen wird.
c)
Abfindungsausschluss bei Altersrente nach Arbeitslosengeld
In seinem Urteil vom 9.12.2014 12 musste sich das BAG mit einem Sozialplan auseinandersetzen, der bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einer Betriebsverlagerung ältere Arbeitnehmer vom Bezug einer Abfindung ausnahm, wenn diese im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls nach Ablauf eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld, ungekürzte gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen konnten. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur nach Ablehnung einer Weiterbeschäftigung am anderen Standort in Betracht kam, hat das BAG diesen Ausschlusstatbestand für wirksam gehalten. In den Gründen seiner Entscheidung hatte das BAG zunächst einmal auf § 10 S. 3 Nr. 6 AGG hingewiesen. Danach können Arbeitgeber und Betriebsrat im Sozialplan eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vereinbaren, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind. Alternativ dazu sieht das Gesetz vor, dass Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen werden dürfen, wenn sie wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, ggf. nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind. Nach Auffassung des 1. Senats des BAG erlaubt § 10 S. 3 Nr. 6 2. Alt. AGG Arbeitgeber und Betriebsrat, Sozialplanleistungen entsprechend ihrem zukunftsgerichteten Entschädigungscharakter bei „rentennahen“ Arbeitnehmern stärker an den tatsächlich eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen auszurichten, die durch den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust und eine darauf zurückgehende Arbeitslosigkeit drohen. Durch diese Gestaltungsmöglichkeit könne das Anwachsen der Abfindungshöhe, das mit der Verwendung der Parameter Betriebszugehörigkeit und/oder Lebensalter bei der Bemessung der Abfindung zwangsläufig verbunden sei, bei abnehmender
12 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 13 ff.
283
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Schutzbedürftigkeit im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit zugunsten der jüngeren Arbeitnehmer begrenzt werden 13. Daran anknüpfend hält es das BAG zunächst einmal für zulässig, bei rentennahen Jahrgängen etwaige Ausgleichsleistungen an dem entgangenen Arbeitsentgelt von der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zur ursprünglich beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze festzumachen. Dabei dürften sozialversicherungsrechtliche Entgeltersatzleistungen, zu denen insbesondere das Arbeitslosengeld gehört, anspruchsmindernd berücksichtigt werden 14. Mit diesen Feststellungen liegt das BAG zunächst einmal auf der Linie der Vorgaben des EuGH in der Andersen-Entscheidung vom 12.10.2010 15. Denn der Arbeitnehmer darf nicht entschädigungslos gezwungen werden, zum Ausgleich etwaiger Nachteile als Folge einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch vorzeitig gesetzliche Altersrente in Anspruch zu nehmen, falls dies eine Minderung dieses Rentenanspruchs zur Folge hat. Weitergehend hält es der 1. Senat des BAG im Urteil vom 9.12.2014 16 indes für zulässig, ältere Arbeitnehmer von dem Abfindungsanspruch im Sozialplan auch dann vollständig auszunehmen, wenn sie erst nach Ablauf eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld einen Anspruch auf ungekürzte gesetzliche Altersrente haben. Voraussetzung hierfür ist freilich, dass die Arbeitnehmer zuvor die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung abgelehnt haben. Jedenfalls dann, wenn der ältere Arbeitnehmer die Nachteile einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kurz vor Erreichen der Regelaltersgrenze durch eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Standort hätte vermeiden können, sei es nicht unangemessen, einen Ausschluss von Abfindungsansprüchen dann anzunehmen, wenn der betroffene Arbeitnehmer aufgrund eigenverantwortlich getroffener Entscheidung im Anschluss an die Beendigung der Weiterbeschäftigung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide. Denn bei dieser Personengruppe könnten die Betriebspartner annehmen, dass die betroffenen Mitarbeiter nicht durch den Wegfall ihres Arbeitseinkommens faktisch gezwungen seien, eine vorgezogene – geminderte – Altersrente in Anspruch zu nehmen. Vielmehr dürfte im Rahmen einer typisierten Betrachtungsweise unterstellt werden, dass die entsprechenden Mitarbeiter beab-
13 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 22; BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 813/11, NZA 2013, 921 Rz. 24. 14 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 24. 15 C-499/08, NZA 2010, 1341 – Andersen. 16 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 34.
284
Zulässigkeit einer „Turboprämie“ bei Aufhebungsvertrag oder Klageverzicht
sichtigen, erst nach dem Bezug eines durch den Bezug von Arbeitslosengeld I vermittelten Ersatzeinkommens eine Regelaltersrente zu beziehen. Dass die betroffenen Arbeitnehmer auf diese Weise im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze eine Verschlechterung ihrer Einnahmesituation hinnehmen müssen, hält das BAG für statthaft. Dem ist in der hier in Rede stehenden Konstellation zuzustimmen. Wenn es allerdings keine Möglichkeit einer Anschlussbeschäftigung beim gleichen Arbeitgeber gibt, bleibt es bei der Notwendigkeit, einen Teil der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintretenden Nachteile bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze durch eine Abfindungsleistung auszugleichen. Wie auch bei jüngeren Arbeitnehmern, können auch bei älteren Arbeitnehmern dabei Entgeltersatzleistungen in Form von Arbeitslosengeld oder Transferkurzarbeitergeld Berücksichtigung finden. (Ga)
2.
Betriebsänderung: Zulässigkeit einer „Turboprämie“ bei Aufhebungsvertrag oder Klageverzicht
In der betrieblichen Praxis wird immer wieder darüber nachgedacht, wie die Risiken von Kündigungsschutzverfahren bei der Umsetzung einer Betriebsänderung vermieden werden können. Der Gesetzgeber hat diesen Überlegungen durch § 1 a KSchG Rechnung getragen. Danach kann der Arbeitgeber den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung mit der Zusage verknüpfen, dass der Arbeitnehmer einen Abfindungsanspruch erwirbt, wenn keine Klage auf Feststellung erhoben wird, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wird. In der Vergangenheit sind entsprechende Regelungen häufig in Sozialpläne eingebunden worden. Problematisch daran ist, dass sie Arbeitnehmern wegen der Erhebung einer Kündigungsschutzklage benachteiligen, obwohl sie von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Folge der Betriebsänderung in gleicher Weise wie Arbeitnehmer betroffen sind, die auf eine Klage verzichten. Dies steht im Widerspruch zum Zweck des Sozialplans, wie er durch § 112 Abs. 1 BetrVG bestimmt wird. Wie das BAG mit seinem Urteil vom 9.12.2014 17 deutlich gemacht hat, schließt diese Unvereinbarkeit entsprechender Zuschläge mit der Zweckbestimmung eines Sozialplans aber nicht aus, solche Zahlungen in einer gesonderten Betriebsvereinbarung festzuschreiben. Wenn sie dann auf Sachverhalte begrenzt werden, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne die einvernehmliche Beendigung von Arbeits-
17 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39 ff.
285
Betriebsänderung und Betriebsübergang
verhältnissen zur Folge haben, liegt darin die zulässige Vereinbarung einer „Turboprämie“. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall hatten Arbeitgeber und Betriebsrat am 9.6.2010 einen Interessenausgleich, einen Sozialplan und eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Im Sozialplan waren Abfindungen ohne Anwendung der in § 10 KSchG vorgesehenen Höchstgrenze für den Fall vorgesehen, dass das Arbeitsverhältnis aus den im Interessenausgleich beschriebenen Gründen durch Aufhebungsvertrag oder durch arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung nach Abschluss des Sozialplans beendet werden würde. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage stand diesem Anspruch nicht entgegen. Sie hatte nach den Regelungen des Sozialplans lediglich zur Folge, dass etwaige Ansprüche aus dem Sozialplan bis zum rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens ruhten. Darüber hinaus sollten evtl. gerichtlich zugesprochene Abfindungen auf Leistungen aus dem Sozialplan zur Anrechnung kommen. Im Rahmen der Betriebsvereinbarung hatten Arbeitgeber und Betriebsrat zusätzliche Leistungen vorgesehen, die den einvernehmlichen Personalabbau fördern sollten. Auszugsweise lauteten diese Regelungen wie folgt: I. Durch diese freiwillige Betriebsvereinbarung sagt die Gesellschaft zur Erlangung alsbaldiger Planungssicherheit denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die von den im Interessenausgleich vom 09.6.2010 aufgeführten Maßnahmen betroffen sind und die unter den Geltungsbereich des Sozialplans vom 9.6.2010 fallen, zusätzlich zu den Leistungen des Sozialplans vom 9.6.2010 nachfolgende weitere Leistungen zu: 1.
Mitarbeiter/-innen, die von den im Interessenausgleich vom 9.6.2010 beschriebenen Maßnahmen mittelbar oder unmittelbar betroffen sind, haben nach Erhalt einer betriebsbedingten Kündigung Anspruch auf eine Erhöhung der Gesamtabfindung nach dem Sozialplan vom 9.6.2010, sofern sie keine Kündigungsschutzklage erheben: a) in Höhe einer zusätzlichen Abfindung nach der folgenden Regelung: Bruttomonatsentgelt x 10 % x Beschäftigungsjahre … b) in Höhe eines zusätzlichen Bruttomonatsentgelts der zu diesem Zeitpunkt geltenden Entgelttabelle des Entgelttarifvertrags für die Beschäftigen in der obst- gemüse- und
286
Zulässigkeit einer „Turboprämie“ bei Aufhebungsvertrag oder Klageverzicht
kartoffelverarbeitenden Industrie NRW für den Fall, dass aufgrund des Umstandes, dass der/die Mitarbeiter/-in sich zum Stichtag 1.12.2010 nicht in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet und damit kein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzuwendung für die Beschäftigten in der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie NRW gegeben ist. c) Tariflich eingruppierte Mitarbeiter/-innen erhalten darüber hinaus eine weitere, zusätzliche Abfindung in Höhe 500,-EUR brutto für jeden angefangenen Monat ab Zugang des Kündigungsschreiben bzw. nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags bis zum Zeitpunkt der Abteilungsschließung bzw. falls eine Freistellung zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt, bis zu dem Freistellungszeitpunkt. Dies gilt auch für Zeiten, in denen bezahlter Urlaub genehmigt oder genommen wird, eine Arbeitsunfähigkeit welche durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde, jedoch nicht im Falle von arbeitsunfähigkeitsbedingtem Arbeitsunfall von mehr als drei Tagen, es sei denn, die Arbeitsunfähigkeit wird von einem Vertrauensarzt der Krankenkasse des Mitarbeiters / der Mitarbeiterin schriftlich bestätigt. d) AT-Mitarbeiter/-innen … e) Mitarbeiter/-innen mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als fünf Jahren erhalten eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 1.000,-- EUR und Mitarbeiter/-innen mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren erhalten eine zusätzliche Abfindung von 2.000,-- EUR. … 2.
Diese Ansprüche haben auch betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nach Abschluss dieser Vereinbarung eine Aufhebungsvereinbarung unterzeichnen und von den im Interessenausgleich beschriebenen Maßnahmen betroffen sind.
3.
Die zusätzliche Abfindung wird aus Anlass des Verlustes des Arbeitsplatzes zusammen mit der Abfindung aus dem Sozialplan bezahlt, wobei es sich um eine Bruttoabfindung handelt. …
5.
Im Übrigen gelten die Regelungen des Sozialplans entsprechend.
287
Betriebsänderung und Betriebsübergang
6.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass es sich bei vorstehenden Leistungen um freiwillige Leistungen der Gesellschaft handelt, die über die Sozialplanleistungen hinaus gewährt werden und das Volumen des Sozialplans nicht tangieren.
Die Klägerin hatte eine Änderungskündigung erhalten. Nachdem sie diese unter dem Vorbehalt einer sozialen Rechtfertigung angenommen hatte, erhob sie Klage beim ArbG Gelsenkirchen. Im Rahmen des Rechtsstreits verständigten sich die Parteien vergleichsweise auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 62.000,- €. Die Zahlung dieser Abfindung erfolge unter Anrechnung auf die Sozialplanabfindung des Sozialplans vom 9.6.2010. Im Anschluss an die Beendigung des Prozesses machte die Klägerin geltend, dass ihr auch noch eine weitere Zahlung in Höhe von 12.767,- € (brutto) zustehe. Grundlage sei die Betriebsvereinbarung, jedenfalls aber der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der es nicht rechtfertige, ihr keine entsprechende Zahlung zu gewähren. Mit überzeugender Begründung hat das BAG die Klage abgewiesen. Zunächst einmal hat das BAG abgelehnt, die Klägerin in den unmittelbaren Anwendungsbereich der Betriebsvereinbarung einzubeziehen. Ihrem Wortlaut nach erfasste die Betriebsvereinbarung nur eine Beendigung durch Aufhebungsvertrag oder betriebsbedingte Kündigung, die ohne Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führten. Diese Voraussetzung war bei der Klägerin, die ursprünglich nur eine Änderungskündigung erhalten hatte, nicht erfüllt. Auf der Grundlage einer dem Wortlaut, dem Gesamtzusammenhang und Zweck der Betriebsvereinbarung ausgerichteten Auslegung hat das BAG zu Recht auch eine Einbindung des Vergleichs als eine der berücksichtigungsfähigen Beendigungsformen abgelehnt. Dies folge nicht nur aus dem Wortlaut, sondern insbesondere aus dem Zweck der Betriebsvereinbarung. Die Betriebsparteien hatten mit der Zusicherung zusätzlicher Leistungen die „Erlangung alsbaldiger Planungssicherheit“ im Interesse des Arbeitgebers angestrebt. Mit der Erhöhung der Gesamtabfindung nach dem Sozialplan sollte ein Anreiz dafür geschaffen werden, dass die von den Rationalisierungsmaßnahmen betroffenen Arbeitnehmer keine gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigung anstrengen oder freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Auch wenn eine erst in dem Bestandsschutzprozess geschlossene Aufhebungsvereinbarung noch eine gewisse Planungssicherheit verschaffe, entstehe sie doch erst nach zusätzlichem Aufwand an Zeit, Personal und Kosten, der ohne Erhebung der 288
Zulässigkeit einer „Turboprämie“ bei Aufhebungsvertrag oder Klageverzicht
Klage unterblieben wäre und möglicherweise erst in einem Zeitpunkt, in dem die Klage die Umsetzung der Rationalisierungsmaßnahme bereits verzögert habe. Das bereits rechtfertige es, einen gerichtlichen Vergleich, wie er hier in Rede stand, nicht mit einer Aufhebungsvereinbarung gleichzusetzen. Mit überzeugender Begründung hat es das BAG aber auch abgelehnt, in der hier in Rede stehenden Differenzierung eine Missachtung des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 Abs. 1 BetrVG) zu sehen. Vielmehr sei es mit Blick auf den Zweck der vereinbarten Leistungen gerechtfertigt, die Klägerin auszuschließen. Leistungen in Sozialplänen, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienten, dürften – so das BAG – nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Eine solche Ungleichbehandlung sei nach Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich nicht gerechtfertigt 18. Allerdings ist es den Betriebsparteien nicht generell verboten, im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung Arbeitnehmern einen finanziellen Anreiz dafür zu verschaffen, dass eine Kündigung akzeptiert oder ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen wird 19. Jedenfalls dann, wenn die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen seien, könnten sie freiwillig eine kollektivrechtliche Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers zu einer alsbaldigen Planungssicherheit finanzielle Leistungen für den Fall vorsehe, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch mache oder freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis im Wege einer Aufhebungsvereinbarung ausscheide. Das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, dürfe dadurch aber nicht umgangen werden 20. Diese Voraussetzungen hat das BAG im vorliegenden Fall als gewahrt angesehen. Die durch die Betriebsänderung den betroffenen Arbeitnehmern entstandenen Nachteile waren durch den Sozialplan vom 9.6.2010 angemessen ausgeglichen. Gegenteiliges hatte auch die Klägerin nicht vorgetragen. Damit konnte durch die Betriebsvereinbarung eine ergänzende Regelung ge18 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39, BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, BB 2005, 1967 Rz. 21. 19 So bereits BAG v. 18.5.2010 – 1 AZR 187/09, NZA 2010, 1304 Rz. 14 ff.; BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, BB 2005, 1967 Rz. 23. 20 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39; BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, BB 2005, 1967 Rz. 23.
289
Betriebsänderung und Betriebsübergang
troffen werden, die durch eine Förderung der einvernehmlichen Vertragsbeendigung die störungsfreie Umsetzung der Betriebsänderung sicherte. Denn mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags und dem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage wurde für den Arbeitgeber sehr kurzfristig Planungssicherheit in Bezug auf die geplante Umsetzung der personellen Einzelmaßnahmen geschaffen. Dieser Zweck rechtfertigt es, den insoweit beteiligten Arbeitnehmern zusätzliche – auch betriebszugehörigkeitsbezogen gestaffelte – Leistungen zu zahlen. Abschließend hat das BAG auch einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB abgelehnt. Wenn der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung die freie Wahl habe, ob er sich für die ausgelobte Abfindung oder die Durchführung eines Klageverfahrens entscheide, liege in der damit verbunden Differenzierung bei der Auszahlung eines Zuschlags zur Abfindung keine Maßregelung i. S. d. § 612 a BGB. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Zuschlag verlangt hätte, dass sich der Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung bereit erklärt, auf eine Klage zu verzichten 21. Mit der hier in Rede stehenden Entscheidung des BAG wird der betrieblichen Praxis Rechtssicherheit für den Gestaltungsspielraum bei Vereinbarungen der Betriebsparteien im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung verschafft. Dies gilt auch für den Umfang, den entsprechende „Turboprämien“ haben können. Denn in dem hier in Rede stehenden Fall ging es um eine Zahlung, die etwa 20 % der Sozialplanabfindung ausmachte. Dies entspricht einem Wert, wie er üblicherweise nicht überschritten wird. (Ga)
3.
Betriebsänderung: Treueprämie zur Gewährleistung der Betriebsabwicklung
Im Zusammenhang mit der Umsetzung einer Betriebsänderung geht es häufig nicht nur um die Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan. Vielmehr steht neben einer möglichst störungsfreien Umsetzung etwaiger Personalanpassungsmaßnahmen 22 oft auch die Frage im Vordergrund, wie eine ordnungsgemäße Abwicklung des operativen Geschäfts trotz der durch die Betriebsänderung geschaffenen Unruhe und Unsicherheit gewährleistet werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Betriebsänderung mit einer Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen verknüpft wird.
21 22
290
BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, BB 2015, 756 Rz. 43 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 285 ff.
Treueprämie zur Gewährleistung der Betriebsabwicklung
Mit Urteil vom 9.12.2014 23 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass die betrieblichen Sozialpartner zu diesem Zweck außerhalb eines Sozialplans zusätzliche Leistungen vereinbaren können, deren Zahlung an die tatsächliche Arbeitsleistung bis zu einem bestimmten Stichtag geknüpft wird. Denkbar ist dabei, dass die Anreizwirkung durch einen kontinuierlichen Anstieg der pro Monat, Woche oder Kalendertag gewährten Zahlungen bis zum Ablauf der kritischen Zeitspanne erhöht wird. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber beschlossen, den Frischdienst zum 31.3.2012 zu schließen. Im Hinblick darauf vereinbarten die betrieblichen Sozialpartner am 18.7.2011 einen Sozialplan, der neben einem Anspruch auf Abfindungen für den Fall eines betriebsbedingten Arbeitsplatzverlustes auch eine Regelung zur Treueprämien enthielt. Diese Regelung lautete auszugsweise wie folgt: 1. I hat ein hohes Interesse an einer Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Frischdienst-Organisation bis zum 31. März 2012 und lobt daher eine Treueprämie für den Zeitraum vom 01. August 2011 bis zum 31. März 2012 aus, die nach folgenden Bestimmungen an die Mitarbeiter ausbezahlt wird. 2. Jeder Mitarbeiter erhält zwischen dem 01. August 2011 und dem 30.11.2011 eine Treueprämie in Höhe von brutto EUR 200,00 (in Worten: zweihundert EUR) für jeden Monat, in dem er in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis mit I steht. 3. Jeder Mitarbeiter erhält zwischen dem 01. Dezember 2011 und dem 31. März 2011 eine Treueprämie in Höhe von brutto EUR 300,00 (in Worten: dreihundert EUR) für jeden Monat, in dem er in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis mit I steht.
Der Kläger war weder von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen, noch wurde mit ihm ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen. Denn sein Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Befristung am 31.3.2012. Die Beklagte zahlte ihm deshalb keine Abfindung und berief sich auf die in § 1 Ziff. 2 des Sozialplans getroffenen Vereinbarung, nach der Mitarbeiter keinen Anspruch aus diesem Sozialplan haben, deren befristetes Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig auf Veranlassung der Firma I betriebsbedingt beendet wird. Dagegen wurden seitens des Klägers keine Einwände erhoben. Er war allerdings der Auffassung, dass er als Folge seiner ununterbrochenen Tätigkeit bis zum 31.3.2012 einen Anspruch auf die Treueprämie habe. Sein dahingehender
23
1 AZR 406/13 n. v. (Rz. 10 ff.).
291
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Ausschluss durch die Beklagte stelle eine ungerechtfertigte Benachteiligung dar. Das BAG hat der Klage mit überzeugender Begründung stattgegeben. Zur Begründung hat das BAG darauf verwiesen, dass der Kläger von der Stilllegung des Frischedienstes betroffen war. Die Beklagte hatte den Abschluss des befristeten Arbeitsverhältnisses gerade mit der beabsichtigten Stilllegung begründet. Dies rechtfertige aus Sicht des BAG zwar, ihn von Sozialplanleistungen auszunehmen. Die in § 1 Ziff. 2 des Sozialplans getroffene Regelung zum Ausschluss befristet beschäftigter Arbeitnehmer habe allerdings keine Auswirkung auf die ergänzend getroffenen Regelungen zur Treueprämie. Dies folge aus dem Zweck dieser Zahlung, die nicht mit Sozialplanleistungen i. S. d. § 112 Abs. 1 BetrVG gleichgesetzt werden könne. Da der Kläger im Übrigen die dort genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt habe, müsse auch die Zahlung bewirkt werden. Diese Auslegung des streitgegenständlichen Sozialplans erscheint gut vertretbar. Insbesondere trägt sie dem Grundgedanken des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Rechnung. Wichtig für die betriebliche Praxis ist allerdings, dass sich die dahingehenden Überlegungen verallgemeinern lassen. Sie sollten deshalb Anlass dafür sein, vergleichbare Regelungen für Zahlungen, die der Absicherung einer ordnungsgemäßen Betriebsabwicklung dienen, außerhalb eines Sozialplans zu vereinbaren. Wie das BAG in seinem Urteil vom 9.12.2014 24 deutlich gemacht hat, liegt der Zweck von Sozialplanleistungen darin, die durch eine Betriebsänderung entstehenden künftigen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern (vgl. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Einem solchen Nachteilsausgleich diene die streitgegenständliche Treueprämie nicht. Denn es sei nicht erkennbar, welche wirtschaftlichen Nachteile von der Betriebsänderung betroffene Arbeitnehmer dadurch erleiden sollten, dass sie möglichst nicht vor dem 31.3.2012 ausscheiden. Hinzu kommt, dass die Betriebsparteien in § 4 des Sozialplans ausdrücklich festgehalten hatten, dass mit der Treueprämie eine Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Frischdienst-Organisation bis zum 31.3.2012 bewirkt werden sollte. Betriebliche Interessen, die personelle Zusammensetzung der Belegschaft bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sichern, sind – so das BAG - grundsätzlich nicht geeignet, Differenzierungen bei der Höhe von Sozialplanabfindungen zu rechtfertigen. Ihnen könne aber durch andere – zusätzliche – 24 1 AZR 406/13 n. v. (Rz. 18).
292
Der Betriebsteil als Objekt einer Übertragung gemäß § 613 a BGB
Leistungen im Rahmen freiwilliger Betriebsvereinbarungen Rechnung getragen werden 25. Bei einem entsprechenden Regelungszweck wäre es mit § 75 Abs. 1 BetrVG und dem in § 4 Abs. 2 TzBfG geregelten Differenzierungsverbot unvereinbar, zwischen befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern zu unterscheiden. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund Fristablaufs am 31.3.2012 (oder zu einem früheren Zeitpunkt) endet, tragen bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen für die Zahlung der Treueprämie in gleiche Weise zu der allein im Interesse der Beklagten liegenden Aufrechterhaltung des Frischedienstes bei wie die anderen Arbeitnehmer. Zulässig ist es deshalb allein, sie dann von entsprechenden Zahlungen auszunehmen, wenn ihr Arbeitsverhältnis – wie das Arbeitsverhältnis unbefristet Beschäftigter – bereits vor dem 31.3.2012 geendet hat und sie deshalb nicht oder nur zeitweise für eine ordnungsgemäße Betriebsabwicklung Sorge getragen haben. In der betrieblichen Praxis vermitteln diese Feststellungen des BAG Rechtssicherheit. Soweit daran anknüpfend Zahlungsansprüche für die bis zu einem bestimmten Stichtag tätigen Arbeitnehmer vereinbart werden sollen, kann dies auch als Anwesenheitsprämie ausgestaltet werden. Damit würde ein Anspruch nur entstehen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich Arbeitsleistungen verrichtete. Soweit keine mutterschutzbedingten Fehlzeiten oder Abwesenheitszeiten zum Zwecke des Erholungsurlaubs in Rede stehen, haben Fehltage also eine entsprechende Anspruchsminderung zur Folge. Dies schließt auch krankheitsbedingte Fehltage ein, sofern die in § 4 a EFZG genannten Grenzen beachtet werden. (Ga)
4.
Der Betriebsteil als Objekt einer Übertragung gemäß § 613 a BGB
In der betrieblichen Praxis wird das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs häufig davon abhängig gemacht, ob ein potenzieller Erwerber die für eine bestimmte Tätigkeit wesentlichen Arbeitnehmer oder das dafür erforderliche Personal übernommen hat. Dieser Gesichtspunkt spielt für die Anwendbarkeit von § 613 a BGB zwar eine Rolle. Voraussetzung für das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ist aber, dass beim übertragenden Rechtsträger zunächst einmal eine wirtschaftliche Einheit besteht, die überhaupt Gegenstand eines Übertragungsvorgangs sein kann. Nur
25 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 406/13 n. v. (Rz. 21); BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232 Rz. 19; HWK/Hohenstatt/Willemsen, BetrVG §§ 112 Rz. 82 ff.
293
Betriebsänderung und Betriebsübergang
wenn diese Einheit zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Übertragungsvorgangs identifiziert ist, können daran anknüpfend die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen festgestellt werden. Denn die Übertragung dieser Einheit ist nicht nur daran geknüpft, dass das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal und/oder die wesentlichen Betriebsmittel für die in dieser Einheit ausgeübte Tätigkeit durch Rechtsgeschäft vom potenziellen Erwerber übernommen werden. Voraussetzung ist auch, dass dieser ohne wesentliche Unterbrechung und unter Wahrung der bisherigen Organisations- oder Funktionsstruktur die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortsetzt. Auf diese Bedeutung der beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Einheit hat das BAG zu Recht in seinem Urteil vom 21.8.2014 26 hingewiesen. Für eine Anwendbarkeit von § 613 a BGB müsse deshalb festgestellt werden, ob beim Veräußerer ein Betriebs- oder Betriebsteil i. S. einer wirtschaftlichen Einheit bestanden habe. Daran anknüpfend liege ein Betriebsoder Betriebsteilübergang nur vor, wenn ein anderer Rechtsträger diese Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt habe. Dabei müsse es um eine auf Dauer angelegte Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt sei. Um eine solche Einheit handele es sich indes bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck 27. In dem zugrundeliegenden Fall war die Klägerin bei der W im Verkaufsinnendienst beschäftigt. Mit zwei weiteren Mitarbeiterinnen betreute sie dort das sog. Streckengeschäft. Daneben gab es am gleichen Ort noch ein Ladengeschäft, das mit anderen Mitarbeitern betrieben wurde. Als die W in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, gliederte die W den Bereich des Streckengeschäfts aus dem Unternehmen aus und übertrug diesen Geschäftsbereich auf die B GmbH. Dies wurde auch den Kunden der W mitgeteilt. Bestellungen der Kunden wurden durch die B GmbH unter den bisher verwendeten Rufnummern entgegengenommen. Telefonanlage sowie Telefon- und Datenleitungen wurden von der B GmbH übernommen, die auch die Geschäftsbeziehungen zu den Lieferanten zur Erfüllung der gegenüber den Kunden bestehenden Verpflichtungen fortführte.
26 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 15 ff. 27 Ebenso EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 31 f. – Amatori; BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, NZA 2014, 1095 Rz. 17; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 39.
294
Der Betriebsteil als Objekt einer Übertragung gemäß § 613 a BGB
Die Klägerin und ihre beiden Kolleginnen wurden durch die B GmbH indes nicht übernommen. Weil die B GmbH eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mit einer Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeitszeiten verbinden wollte, lehnten die Klägerin und die beiden Kolleginnen einen Abschluss des Arbeitsverhältnisses ab. Als ihr Arbeitsverhältnis sodann durch die W gekündigt wurde, machten sie geltend, dass darin eine Kündigung wegen Betriebsübergangs läge, die nach § 613 a Abs. 4 S. 1 BGB zur Unwirksamkeit geführt habe. Entgegen der Annahme des LAG Hessen, das einen Betriebsteilübergang unterstellt hatte, hat der 8. Senat des BAG in den tatrichterlichen Feststellungen keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Betriebsteils gesehen, der durch die B GmbH kraft Rechtsgeschäfts hätte übernommen werden können. Der Umstand, dass die B GmbH die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortgeführt hatte, war zu Recht nicht genügend. Ebenso wenig war es ausreichend, dass mit der Telefonanlage und dem Eintritt in Kundenbzw. Lieferantenbeziehungen wesentliche materielle und immaterielle Betriebsmittel übertragen wurden. Nur wenn diese die wesentliche Grundlage einer Tätigkeit sind, die in einer organisatorisch abgrenzbaren Einheit des bisherigen Betriebsinhabers ausgeübt wird, kann daran anknüpfend eine Anwendbarkeit von § 613 a BGB festgestellt werden. Das LAG Hessen hatte hierzu nur festgestellt, dass das Streckengeschäft vom Ladengeschäft organisatorisch getrennt und mit anderen Arbeitnehmerinnen besetzt gewesen sei. Es habe auch mit der Annahme und Bearbeitung von Aufträgen einen selbständigen, vom Ladengeschäft unabhängigen Zweck erfüllt. Aus Sicht des BAG genügen diese Feststellungen nicht, um von der für § 613 a Abs. 1 BGB erforderlichen Teileinheit auszugehen. Aus Sicht des 8. Senats fehlten tragfähige Angaben zur Leitungsebene sowie zur Abgrenzung des „Streckengeschäfts“ vom sonstigen „Verkaufsinnendienst“ und von dem „Ladengeschäft“. Dem Berufungsurteil könne insoweit nur entnommen werden, dass „daneben … noch ein Ladengeschäft“ bestanden habe. Ob und inwieweit es personelle Überschneidungen gegeben habe, bleibe ebenso offen, wie es an klaren Feststellungen zur Leitung des angeblichen Betriebsteils „Streckengeschäft“ fehlte. Darüber hinaus hatte das LAG Hessen nicht ausreichend berücksichtigt, dass arbeitgeberseitig ein Übergang der Organisations- und Leitungsmacht bestritten worden sei 28.
28 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 468/13, NZA 2015, 167 Rz. 29.
295
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Nur bei einer Kennzeichnung des Streckengeschäfts als eigenständigen Betriebsteil hätte das LAG Hessen auch überprüfen können, ob die für die in diesem Betriebsteil ausgeübte Tätigkeit wesentlichen Ressourcen übernommen wurden. Hierfür aber wäre es – so das BAG – auch erforderlich gewesen, Feststellungen dazu zu treffen, was den „Kern“ des Streckengeschäfts als „Betriebsteil“ ausgemacht haben soll, welche Elemente also für die dort ausgeübte Tätigkeit prägend waren. Dazu kommt es nicht nur darauf an, den Übergang materieller Betriebsmittel wie Fahrzeuge oder Kommunikationsmittel festzustellen. Soweit immaterielle Betriebsmittel in Rede stehen, müsse auch geprüft werden, ob Lieferanten- und Geschäftsbeziehungen zu Kunden bereits beim potenziellen Erwerber vorhanden gewesen und nicht erst durch Übernahme aufgebaut werden mussten 29. Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie macht noch einmal deutlich, dass insbesondere im Dienstleistungsbereich vor einer Bewertung entsprechender Übertragungsvorgänge mithilfe von Organigrammen die Organisations- und Leitungsstruktur des bisherigen Betriebsinhabers festgestellt werden muss. Im Anschluss daran muss geprüft werden, ob und inwieweit Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel, die übernommen werden sollen, einer bestimmten Einheit dieser Organisationsstruktur zugeordnet sind. Ist dies der Fall, ist festzustellen, ob sie für die dort ausgeübte Tätigkeit wesentlich sind und im Anschluss an ihre Übernahme unter Aufrechterhaltung der bisherigen Organisations- oder Funktionsstruktur zu dem gleichen oder gleichartigen Zweck weiter genutzt werden sollen. Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, liegt ein Betriebsteilübergang vor. (Ga)
5.
Betriebsübergang: Bedeutung einer fehlenden Übernahme wesentlicher Betriebsmittel
Wenn die Anwendbarkeit von § 613 a BGB in Rede steht, verlangt dies nicht nur das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit, die Gegenstand eines Übertragungsvorgangs sein kann 30. Vielmehr muss unter Berücksichtigung des Einzelfalls geprüft werden, ob diese Einheit unter Wahrung ihrer Identität durch Rechtsgeschäft übertragen wird. Den dafür erforderlichen Kriterien kommt – so das BAG – nach der ausgeübten Tätigkeit und den Produktionsoder Betriebsmethoden ein unterschiedliches Gewicht zu. Komme es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, könne eine strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern trotz des Fehlens nennenswerter materieller 29 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 468/13, NZA 2015, 167 Rz. 28, 30. 30 B. Gaul, AktuellAR 2015, 293 ff.
296
Bedeutung einer fehlenden Übernahme wesentlicher Betriebsmittel
oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Wenn eine Einheit ohne nennenswerte Vermögenswerte funktioniere, könne die Wahrung ihrer Identität nach der Übernahme nicht von der Übernahme derartiger Vermögenswerte abhängen. Hier sei von einer Übernahme unter Wahrung der Identität auszugehen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführe, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernehme 31. Lediglich die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen (Funktionsnachfolge) oder die reine Auftragsnachfolge führe nicht zu einem Betriebsübergang 32. Komme es hingegen im Wesentlichen auf die Betriebsmittel wie etwa das Inventar an, könne ein Übergang der ihre Identität bewahrenden Einheit auch ohne Übernahme von Personal gegeben sein. Ohne Bedeutung sei dabei, ob das Eigentum an den eingesetzten Betriebsmitteln übertragen werde 33. Voraussetzung ist allerdings, dass die für die ausgeübte Tätigkeit wesentlichen Betriebsmittel aufgrund Rechtsgeschäfts durch den potenziellen Erwerber übernommen und unter Wahrung der bisherigen Organisationsoder Funktionsstruktur mit der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit weiter eingesetzt werden 34. Hiervon ausgehend hat das BAG im Urteil vom 18.9.2014 35 das Vorliegen eines Betriebsübergangs im Zusammenhang mit der Schließung einer Tankstelle und der Neueröffnung einer weiteren Tankstelle in unmittelbarer räumlicher Nähe zu Recht abgelehnt. In dem zugrunde liegenden Fall war die Klägerin seit 1994 bei dem Beklagten zu 2) in der von ihm betriebenen Tankstelle auf dem Gelände des Überseehafens (Tankstelle ÜH1) als Mitarbeiterin im Tankstellen-Shop beschäftigt. Der Umsatz dieser Tankstelle wurde ganz wesentlich durch Stammkunden erzielt, die durch Stationsverträge mit der Beklagten zu 2) verbunden waren. Darüber hinaus konnten Kunden der Mineralölgesellschaft T, die als Verpächter beteiligt war, mit bestimmten Kundenkarten ihre Geschäfte tätigen.
31 BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 18; BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 521/12 n. v. (Rz. 41). 32 EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, NZA 2011, 148 Rz. 36 – CLECE; BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 246 Rz. 30. 33 BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 18; BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 521/12 n. v. (Rz. 42). 34 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 15 ff.; HWK/Willemsen, BGB § 613 a Rz. 11 ff. 35 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 20 ff.
297
Betriebsänderung und Betriebsübergang
T kündigte das Pachtverhältnis mit dem Beklagten zu 2) zum 30.9.2011, der im Anschluss daran keine Tankstelle mehr betrieb. Die Tankstelle wurde umgebaut auf einen Automatenbetrieb, mit Hilfe dessen an gleicher Stelle weiterhin – allerdings ohne Personal – getankt werden konnte. T eröffnete parallel dazu mit dem Beklagten zu 1) eine neue Tankstelle, die nur 800 m entfernt im Überseehafen gelegen war. Das Verkaufskonzept war identisch. Die Lebensmittellieferanten des Shops waren die gleichen. Von den acht Vollzeitbeschäftigten des Beklagten zu 2) wurden drei bis vier Vollzeitbeschäftigte übernommen. Von den acht Aushilfen des Beklagten zu 2) wurden vier bis fünf Aushilfen übernommen, jeweils allerdings zu schlechteren Arbeitsbedingungen. Stammkunden des Beklagten zu 2) tankten im Wesentlichen bei dem Beklagten zu 1). Allerdings hatte dieser keine Stationsverträge abgeschlossen. Mit der Klage macht die Klägerin geltend, dass die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung gemäß § 613 a Abs. 4 S. 1 BGB unwirksam sei. Denn die Neueröffnung der Tankstelle durch den Beklagten zu 1) stelle einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang dar, der mit einem Übergang des Arbeitsverhältnisses verbunden sei. Die durch den Beklagten zu 2) ausgesprochene Kündigung sei deshalb unwirksam. Das BAG ist dieser Sichtweise nicht gefolgt. In den Gründen seiner Entscheidung hat es zwar zunächst einmal deutlich gemacht, dass eine Anwendbarkeit von § 613 a BGB nicht entgegenstand, dass rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2) nicht geschlossen worden waren. Eine Übertragung durch Rechtsgeschäft könne auch vorliegen, wenn Veräußerer und Erwerber nicht in unmittelbaren vertraglichen Beziehungen stünden. Die Übertragung könne auch unter Einschaltung eines Dritten, z. B. des Eigentümers, oder des Verpächters, erfolgen 36. Entscheidend für das BAG war schlussendlich, dass der Beklagte zu 1) keine wesentlichen Betriebsmittel des Beklagten zu 2) übernommen hatte. Vielmehr waren die wesentlichen Betriebsmittel des Beklagten zu 2) im Anschluss an den Umbau der Tankstelle weiter an Ort und Stelle verblieben und zum Betrieb der Automatentankstelle genutzt worden. Der Beklagte zu 1) hatte für die Neueröffnung seines Betriebs alle wesentlichen Betriebsmittel von Dritten erwerben und für den Aufbau der Tankstelle einbauen müssen. Hierzu gehörten vor allem spezielle Erdtanks, Zapfsäulen, Fahrbahn, Überdachung und Shop. Die Nichtübernahme dieser Betriebsmittel stelle ein 36 EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 39 – Abler; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 18.
298
Eintritt des Erwerbers in arbeitgeberseitige Ausgleichs- und Erstattungsansprüche
ganz wesentliches Indiz für das Fehlen eines Betriebsübergangs dar. Allerdings hat der 8. Senat des BAG offen gelassen, ob eine andere Bewertung dann gegeben sei, wenn die Nichtübernahme der Betriebsmittel durch den Umstand begründet sei, dass diese in die Jahre gekommen seien und ohnehin ein Austausch erfolgen müsse 37. Losgelöst davon hat das BAG trotz der betriebsmittelintensiven Tätigkeit der hier in Rede stehenden Einheit das Vorliegen eines Betriebsübergangs auch damit begründet, dass keine Übernahme der Hauptbelegschaft erfolgt sei. Hiervon müsse ausgegangen werden, wenn lediglich drei bis vier der Vollzeitbeschäftigten und vier bis fünf der Aushilfskräfte übernommen würden. Unerheblich sei dabei, dass die fehlende Übernahme der übrigen Arbeitnehmer möglicherweise dadurch begründet war, dass der Beklagte zu 1) allen Arbeitnehmern nur schlechtere Arbeitsbedingungen angeboten hatte 38. Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie macht noch einmal deutlich, dass auch die Fortführung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in unmittelbarer räumlicher Nähe nicht automatisch zur Anwendbarkeit von § 613 a BGB führt. Dies gilt selbst dann, wenn das äußere Erscheinungsbild – wie hier bei dem Betrieb einer Tankstelle der gleichen Mineralölgesellschaft – nahezu identisch ist. Voraussetzung für einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang ist, dass die für den Betrieb der bisherigen Einheit erforderlichen Ressourcen durch Rechtsgeschäft übernommen worden sind. Liegt eine betriebsmittelintensive Tätigkeit vor, ist es also erforderlich, dass die wesentlichen Betriebsmittel übernommen und durch den potenziellen Erwerber im Rahmen der eigenen Leitungsstruktur für eine Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit genutzt werden. (Ga)
6.
Betriebsübergang: Eintritt des Erwerbers in arbeitgeberseitige Ausgleichs- und Erstattungsansprüche
In seinem Urteil vom 21.8.2014 39 hat der 8. Senat des BAG nicht nur die materiell-rechtliche Feststellung getroffen, nach der sich ein Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers aus § 667 2. Alt. BGB analog i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB ergeben kann, wenn Beschäftigte in einem Krematorium Edelmetallrückstände aus der Krematoriumsasche an sich nehmen. Die Beschäftigen seien deshalb als Beauftragte verpflichtet, dem Arbeitgeber als Auf-
37 BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 26 f. 38 BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 28 f. 39 8 AZR 655/13, NZA 2015, 187 Rz. 15 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
traggeber alles, was aus der Geschäftsbesorgung erlangt wurde, herauszugeben oder jedenfalls zu ersetzen. Dieser Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§ 195 BGB). In Bezug auf die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs hat der 8. Senat des BAG darüber hinaus klargestellt, dass der Erwerber als Konsequenz des in § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB vorgesehenen Eintritts in das Arbeitsverhältnis in die Rechtsstellung als Gläubiger eintritt, wenn durch das Handeln des Arbeitnehmers im Vorfeld des Betriebsübergangs entsprechende Ausgleichsoder Erstattungsansprüche begründet wurden. Denn § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB erfasse nicht nur Ansprüche des Arbeitnehmers. Zu den Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis gehörten auch solche Rechtspositionen, die der Arbeitgeber als Gläubiger geltend machen könne. Denn das Gesetz erfasse alle Rechtspositionen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmten 40. Zu den Rechten und Pflichten i. S. d. § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB gehören in der Stellung des Arbeitgebers als Gläubiger deshalb auch etwaige Rückzahlungsansprüche wegen überzahlter Vergütung sowie Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung arbeitsrechtlicher Pflichten 41. Für aus entsprechender Anwendung auftragsrechtlicher Bestimmungen im Arbeitsverhältnis resultierende Schadenersatzansprüche gelte – so das BAG – nichts anderes. Auch hierbei handele es sich um Rechte und Pflichten „aus“ dem Arbeitsverhältnis, die so vom Veräußerer auf den Erwerber übergingen, wie sie „im Zeitpunkt des Übergangs“ bestünden 42. Dem ist zuzustimmen. (Ga)
7.
Betriebsübergang: Übernahme der Betriebsratskosten durch Erwerber
In seinem Urteil vom 20.8.2014 43 hat das BAG noch einmal seine bisherige Rechtsprechung zu den Konsequenzen eines Betriebsübergangs auf die Beteiligung in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren bestätigt. Danach richtet sich die Beteiligung gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG nach materiellem Recht, ohne dass es einer darauf gerichteten Handlung der Person oder Stelle oder 40 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 187 Rz. 28; BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, BB 2010, 2965 Rz. 50. 41 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 187 Rz. 30; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 13 Rz. 75. 42 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 94 Rz. 30. 43 7 ABR 60/12, ZTR 2015, 53 Rz. 17 ff.
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Betriebsübergang: Übernahme der Betriebsratskosten durch Erwerber
des Gerichts bedürfe 44. Für das Prozessrechtsverhältnis sei entscheidend, wer materiell-rechtlich berechtigt oder verpflichtet sei. Werde der „Arbeitgeber“ in Anspruch genommen, so sei das sowohl i. S. d. § 83 Abs. 3 ArbGG als auch i. S. d. BetrVG der Inhaber des Betriebs. Berühre der Verfahrensgegenstand dessen betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition – sei es als Verpflichteter, sei es als Rechtsinhaber – und gehe im Laufe eines Beschlussverfahrens der Betrieb auf einen Erwerber über, nehme dieser als neuer Inhaber auch ohne entsprechende Prozesserklärung der Verfahrensbeteiligten automatisch die verfahrensrechtliche Rechtsstellung des bisherigen Rechtsträgers ein. Anders als im Urteilsverfahren fänden die §§ 265, 325 ZPO keine, auch keine entsprechende, Anwendung 45. Diese Grundsätze hat der 7. Senat des BAG auf die Kostentragungspflicht nach § 40 Abs. 1 BetrVG übertragen. Danach hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Hierzu gehören auch die Honorarkosten für einen Rechtsanwalt, dessen Heranziehung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Betriebsrat in Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte für erforderlich halten durfte 46. Nach Auffassung des BAG geht die Kostentragungspflicht aus § 40 Abs. 1 BetrVG bei einem Betriebsübergang auf den Erwerber des Betriebs über. Dies ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus § 613 a Abs. 1 BGB. Darin seien nur die individualrechtlichen Folgen eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs geregelt. Über betriebsverfassungsrechtliche Pflichten treffe § 613 a BGB keine Aussage. Bei einem Betriebsübergang trete jedoch der neue Inhaber des Betriebs materiellrechtlich in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des bisherigen Betriebsinhabers ein. Der Betriebserwerber hafte daher grundsätzlich als Betriebsinhaber für noch nicht erfüllte Freistellungsansprüche des Betriebsrats 47. Eine Ausnahme gilt nach den Feststellungen des BAG nur für den Fall der Insolvenz. Hier hafte der Betriebserwerber nicht für Insolvenzforderungen, sondern nur für Masseverbindlichkeiten. Dies gelte auch für Verbindlichkei-
44 So bereits BAG v. 9.12.2008 – 1 ABR 75/07, NJW 2009, 872 Rz. 13. 45 Ebenso BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, NJW 2010, 2154 Rz. 15; BAG v. 9.12.2008 – 1 ABR 75/07, NJW 2009, 254 Rz. 13. 46 BAG v. 29.7.2009 – 7 ABR 95/07, NZA 2009, 1223 Rz. 16; HWK/Reichold, BetrVG § 40 Rz. 12 f. 47 BAG v. 20.8.2014 – 7 ABR 60/12, ZTR 2015, 53 Rz. 23; BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, NJW 2010, 2154 Rz. 15.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
ten, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstanden und vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen seien 48. Dass dieser Eintritt in die Pflicht zur Übernahme der Kosten eine finanzielle Belastung des Betriebserwerbers zur Folge haben könne, rechtfertige aus Sicht des BAG keine andere Bewertung. Es sei Sache des jeweiligen Inhabers eines Betriebs, sich vor dessen Erwerb Kenntnis auch von den bestehenden betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu verschaffen. Für Ansprüche aus § 40 Abs. 1 BetrVG gelte dies in gleicher Weise wie für die übrigen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten 49. Wichtig ist deshalb, diese Fragestellung bei der Vorbereitung von DD-Listen zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als eine gesamtschuldnerische Haftung unter Einbeziehung des bisherigen Betriebsinhabers durch das BAG angelehnt wird 50. (Ga)
8.
Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang
Mit seinem Urteil vom 9.12.2014 51 hatte das BAG Leitlinien für die Ablösung einer Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung durch eine neue Betriebsvereinbarung entwickelt, die auf den allgemeinen Grundsätzen zu § 613 a Abs. 1 S. 2, 3 BGB aufbauen. Die Praxis geht in der Regel einen anderen Weg und trennt die Anerkennung der nach der alten Betriebsvereinbarung bis zum Betriebsübergang erworbenen Anwartschaften von den Anwartschaften, die nach dem Betriebsübergang auf der Grundlage der neuen Betriebsvereinbarung erworben werden. Nachdem das LAG Düsseldorf in seinem Urteil vom 25.5.2014 52 diese "Doppeltopftheorie" übernommen hat, soll nachfolgend aufgezeigt werden, ob dieser Bewertung zu folgen ist oder ob an der bisherigen Annahme des BAG festgehalten werden muss.
a)
Ausgangssituation der arbeitsrechtlichen Bewertung
Soweit eine Änderung von Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Betriebsteilüber-
48 BAG v. 20.8.2014 – 7 ABR 60/12, ZTR 2015, 53 Rz. 23; BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, NJW 2010, 2154 Rz. 16 ff. 49 BAG v. 20.8.2014 – 7 ABR 60/12, ZTR 2015, 53 Rz. 26. 50 V. 20.8.2014 – 7 ABR 60/12, ZTR 2015, 53 Rz. 29. 51 3 AZR 323/13, DB 2015, 989. 52 6 Sa 1431/13 n. v.
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Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang
gang in Rede steht, wird man differenzieren müssen nach der Art und Weise ihrer Fortgeltung beim übernehmenden Rechtsträger. Wenn sie auch nach dem Übergang des Betriebs oder Betriebsteils als Betriebsvereinbarung fortgilt, gelten andere Grundsätze als bei einer Fortgeltung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB. Darüber hinaus ist zu differenzieren zwischen einer Ablösung durch eine neue Betriebsvereinbarung und einer Beendigung der bestehenden Regelung.
b)
Änderung einer kollektivrechtlich fortgeltenden Betriebsvereinbarung
aa)
Änderung durch Betriebsvereinbarung
Wenn eine Betriebsvereinbarung, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung wegen der Übertragung eines Betriebs unter Wahrung seiner Identität auf kollektivrechtlicher Ebene als Betriebsvereinbarung fort gilt 53, können Änderungen durch Neuabschluss einer Kollektivvereinbarung nach der Zeitkollisionsregel vorgenommen werden 54. Ob und inwieweit diese Änderungen zulässig sind, richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen zu abändernden Betriebsvereinbarungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Dies gilt auch dann, wenn der bisherige Betrieb des übertragenden Rechtsträgers im Anschluss an die Übertragung einzelner Teile als gemeinsamer Betrieb der am Übertragungsvorgang beteiligten Rechtsträger fortgeführt wird. Geht man insoweit von den Leitlinien aus, die die Rechtsprechung 55 in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum 56 entwickelt hat, gilt grundsätzlich: Je stärker der Besitzstand ist, den die Arbeitnehmer erworben haben, umso gewichtiger muss der Grund sein, der einen Eingriff gestattet. 57
Daraus folgt eine dreistufige Betrachtungsweise, die – vereinfacht – wie folgt zusammengefasst werden kann:
53 Vgl. B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 25 Rz. 5 ff., 208 ff., 213, 238 ff.; HWK/B. Gaul § 77 Rz. 69. 54 Vgl. BAG v. 13.1.2013 – 3 AZR 705/10, NZA-RR 2013, 376 Rz. 18; HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 54 ff. 55 BAG v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, DB 2015, 989 Rz. 21 ff., 37. 56 Vgl. nur Griebeling, BetrAV Rz. 840; Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG Anh. 41 Rz. 616 ff. 57 So BAG v. 18.4.1989 – 3 AZR 688/87, DB 1989, 2232.
303
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Stufe 1: In den zum Zeitpunkt der Neuregelung erdienten und nach § 2 BetrAVG zu errechnenden Teilbetrag darf nur in seltenen Ausnahmefällen eingegriffen werden. Ein solcher Eingriff setzt zwingende Gründe voraus. Sie liegen insbesondere bei einem Störfall der Geschäftsgrundlage wegen wirtschaftlicher Notlage des Unternehmens oder wegen einer wesentlichen Störung des Zwecks der Altersversorgung (z. B. planwidrige Überversorgung durch veränderte Rahmenbedingungen) vor 58. Stufe 2: Soll die Neuregelung die so genannte (zeitanteilig) erdiente Dynamik eines variablen, dienstzeitunabhängigen Berechnungsfaktors - im Regelfall geht es um eine Änderung des für die Berechnung der Altersversorgungsbezüge maßgeblichen ruhegehaltsfähigen Entgelts (endgehaltsabhängige Dynamik) – für die Arbeitnehmer nachteilig ändern, so bedarf es hierfür eines triftigen Grundes. Diese Voraussetzung ist allerdings nicht nur gegeben, wenn ohne den Eingriff eine langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens anzunehmen ist 59. Es genügt, dass – entsprechend § 16 BetrAVG – das Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, die Versorgungszuwächse aus Erträgen und Wertzuwächsen zu erwirtschaften oder eine angemessene Eigenkapitalverzinsung nicht mehr sichergestellt ist 60. Im Übrigen ist ein Eingriff in diese Dynamik auch aus einem dringenden betrieblichen Bedürfnis heraus gerechtfertigt, solange der Gesamtaufwand des Unternehmens für die betriebliche Altersversorgung nicht geschmälert wird 61. Stufe 3: Geht es nur um eine Neuregelung der dienstzeitabhängigen künftigen Zuwächse, genügt zu deren Rechtfertigung bereits ein sachlicher, also willkürfreier, nachvollziehbarer und anerkennenswerter Grund 62. So kann der übernehmende Rechtsträger eine Vereinheitlichung der Versorgungsregelungen anstreben 63. Denkbar ist auch, dass mit der Änderung in verhältnismäßiger Weise auf eine wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des übernehmenden Rechtsträgers oder eine Fehlentwicklung im betrieblichen Versorgungswerk reagiert werden soll 64. Dabei genügt es, wenn ein unabhängiger Sachverständiger den dringenden Sanierungsbedarf bestätigt 65. Schließ58 59 60 61 62
BAG v. 19.2.2008 – 3 AZR 290/06, DB 2008, 1387 Rz. 25 ff. BAG v. 21.8.2001 – 3 ABR 44/00, NZA 2002, 575; Höfer, BetrAVG Kap. 5 Rz. 312. Vgl. BAG v. 13.12.2005 – 3 AZR 217/05, NZA 2007, 39 Rz. 18 ff. Vgl. BAG v. 27.8.1996 – 3 AZR 466/95, DB 1997, 633 f. BAG v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, DB 2015, 989 Rz. 29; BAG v. 2.9.2014 – 3 AZR 951/12 n. v. (Rz. 51 f.). 63 BAG v. 15.5.2012 – 3 AZR 11/10, DB 2012, 1756 Rz. 25 f., 70. 64 Vgl. allgemein BAG v. 9.12.2014 – 3 AZR 323 n. v. (Rz. 30); BAG v. 21.8.2001 – 3 ABR 44/00, NZA 200, 575 f. 65 BAG v. 15.2.2011 – 3 AZR 365/09 n. v. (Rz. 72).
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Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang
lich kann kein Arbeitnehmer davon ausgehen, dass eine einmal vereinbarte Versorgungsordnung nicht an veränderte rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen angepasst wird 66. Bei dieser Fallgestaltung macht sich der Umstand, dass die dem Betrieb zugeordneten Arbeitsverhältnisse im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger übergegangen sind, nicht bemerkbar. Wichtig ist allein, dass bei einer Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die beabsichtigte Änderung auf die Gegebenheiten beim übernehmenden Rechtsträger abgestellt werden muss. Die Prognose muss also seine wirtschaftliche Entwicklung zum Inhalt haben. bb)
Ablösung durch Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung
Eine Ausnahme zu den voranstehend dargelegten Grundsätzen kommt nur dann zum Tragen, wenn neben der kollektivrechtlich fortgeltenden Betriebsvereinbarung des übertragenden Rechtsträgers beim übernehmenden Rechtsträger weitere Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bestehen, die im Rahmen der originären Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats abgeschlossen wurden und nach ihrem Geltungsbereich auch den übernommenen Betrieb erfassen sollen. In diesem Fall wird man von einem Vorrang der Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung ausgehen müssen 67, der allerdings unter Berücksichtigung der besonderen Vorgaben zur Auslegung und Anwendung von § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB zu lösen ist. Das Gleiche gilt dann, wenn frühere Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen des übertragenden Rechtsträgers als Betriebsvereinbarung fortgelten und insoweit beim übernehmenden Rechtsträger in Konkurrenz zu dort bestehenden Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen treten. cc)
Kündigung fortbestehender Betriebsvereinbarungen
Nach Maßgabe der durch das BAG schon in den Entscheidungen vom 11.5.1999 68 und 17.8.1999 69 entwickelten Grundsätze kann eine Änderung der kollektivrechtlich fortgeltenden Betriebsvereinbarung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung auch durch Kündigung des Arbeitgebers
66 BAG v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, DB 2015, 989 Rz. 30 ff. 67 HWK/Willemsen/Müller-Bonanni § 613 a Rz. 258; Rolfs in Bloymeyer/Rolfs/Otto Anh. 41 Rz. 321 a; HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 78. 68 3 AZR 21/98, DB 2000, 525 ff. 69 3 AZR 55/98, BB 2000, 777 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
durchgesetzt werden 70. Dabei trennt das BAG indes zwischen der Wirksamkeit der Kündigung, die keiner Gründe bedarf, und ihren Rechtsfolgen, die insbesondere mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes oder Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats eingeschränkt werden können 71. Voraussetzung ist, dass auch die einseitige Maßnahme des Arbeitgebers die voranstehend für einvernehmliche Änderungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung entwickelten Schranken berücksichtigt. Damit sind auch hier umso gewichtigere Eingriffsgründe erforderlich, desto weiter der Arbeitgeber mit der Kündigung in Besitzstände und Erwerbschancen eingreifen will 72. Liegen sachlich-proportionale Gründe i. S. d. Dreiteilung durch die Rechtsprechung vor, kann mit der Kündigung nicht nur eine Schließung des Versorgungswerks für neu eintretende Arbeitnehmer bewirkt werden. Sie kann Änderungen auch zum Nachteil der bereits Beschäftigen bewirken 73. Folgt man den Überlegungen des BAG, ist – soweit die Kündigung nicht aufgrund zwingender Gründe auch in den Besitzstand eingreifen soll – von einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der insoweit geänderten Betriebsvereinbarung als Anspruchsgrundlage späterer Versorgungsleistungen für die Arbeitnehmer, die bereits einen Vollanspruch erworben haben, auszugehen. Daraus folgt dreierlei: Zum einen sind individualrechtliche Vereinbarungen unbeachtlich, wenn sie ohne Zustimmung des Betriebsrats eine Verschlechterung begründen sollen (§ 77 Abs. 4 BetrVG) 74. Zum anderen aber sind Änderungen auch zukünftig mit den Mitteln des Kollektivarbeitsrechts möglich. Darüber hinaus ist bei Arbeitnehmern, die bis zum Wirksamwerden der Kündigung noch keinen Vollanspruch erworben haben, jedweder Anspruch auf Altersversorgung ausgeschlossen. Denn mit dem insoweit eingetretenen Wegfall der Betriebsvereinbarung als Anspruchsgrundlage, von dem wegen des Fehlens einer Nachwirkung im Regelfall auszugehen ist, können die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht mehr erfüllt werden 75.
70 71 72 73
HWK/Gaul, BetrVG § 77 Rz. 80. Vgl. BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 705/10, NZA-RR 2013, 376 Rz. 18. Vgl. BAG v. 9.12.2014 – 9 AZR 323/13, DB 2015, 989 Rz. 30, 37. BAG v. 9.12.2014 – 9 AZR 323/13, DB 2015, 989 Rz. 37; BAG v. 18.9.2001 – 3 AZR 728/00, NZA 2002, 1164 Rz. 43 ff. 74 Vgl. BAG v. 15.2.2011 – 3 AZR 54/09, NZA 2011, 928 Rz. 54. 75 BAG v. 9.12.2008 – 3 AZR 384/07, NZA 2009, 1341 Rz. 46.
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Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang
c)
Verwirkung des Widerspruchsrechts nach fehlerhafter Unterrichtung
Etwas anderes könnte indes dann gelten, wenn die Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgelten. Hierzu kann es z. B. dann kommen, wenn ein Betriebsteil übertragen und in einen anderen Betrieb ohne eine Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung integriert wird. Ob die Rechte und Pflichten der früheren Betriebsvereinbarung auch dann als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgelten oder ob – wofür die besseren Gründe sprechen - insoweit von einer Fortgeltung als Betriebsvereinbarung auszugehen ist, wenn nur ein Betriebsteil ausgegliedert wird, dieser Betriebsteil durch den Erwerber aber als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird, ist nach den Feststellungen des BAG im Urteil vom 10.12.2002 76 umstritten 77. aa)
Ablösung auf individualrechtlicher Ebene
Gilt die Betriebsvereinbarung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fort, behält die Betriebsvereinbarung allerdings ihre kollektivrechtliche Rechtsnatur. Darüber hinaus kommt der Inhaltsschutz durch die Jahresfrist des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB zum Tragen. Beide Aspekte schränken die Möglichkeit ein, auf individualrechtlicher Ebene Änderungen vorzunehmen: Zunächst einmal ist es nicht möglich, die als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Regelungen einer früheren Betriebsvereinbarung mit den Mitteln des Individualarbeitsrechts anzupassen, sofern dies innerhalb der 1-Jahres-Frist erfolgt und den Arbeitnehmer benachteiligt 78. Im Grunde perpetuiert § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB insoweit für die Dauer eines Jahres den durch § 77 BetrVG begründeten Vorrang der Betriebsvereinbarung, der nur im Rahmen einer für den Arbeitnehmer günstigeren Regelung (§ 77 BetrVG) bzw. nicht schlechteren Regelung (§ 613 a BGB) beseitigt wird. Eine Ablösung innerhalb der Jahresfrist kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Betriebsvereinbarung (z. B. wegen einer Kündigung oder einer Befristung) ohne den Betriebsübergang noch während der 1-Jahres-Frist außer Kraft getreten wäre. In diesem Fall entfällt die zwingende Wirkung nämlich von dem Tage an, an dem sie ohne den Übergang geendet hätte (§ 613 a Abs. 1 S. 4 1. Alt. BGB). 76 BAG v. 10.12.2002 – 3 AZR 92/02, DB 2004, 1566. 77 Eingehend B. Gaul, Festschrift Bauer S. 339 ff.; HKW/Willemsen/Müller-Bonanni BGB § 613 a Rz. 249 ff. 78 Kemper, BetrAV 1990, 7, 9 f.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Abweichend von der noch an anderer Stelle vertretenen Auffassung 79 können Änderungen nach Ablauf der Jahresfrist damit ohne Rücksicht auf die allgemeinen Schranken des Individualarbeitsrechts durchgesetzt werden. Andernfalls wäre der Arbeitgeber auf die Änderungsvereinbarung mit dem einzelnen Mitarbeiter oder die Änderungskündigung beschränkt, die möglicherweise sogar an den Vorgaben aus §§ 1, 2 KSchG zu messen wäre. Vielmehr sind die Regelungen, die nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB fortgelten, mit den Mechanismen änderbar, die auch für die Änderung einer nur noch nachwirkenden Betriebsvereinbarung gelten würden. Hiervon ausgehend ist jede Änderung wirksam, die in den Grenzen von §§ 138 BGB, 3 BetrAVG vereinbart wird. Ein sachlicher Grund oder eine soziale Rechtfertigung nach §§ 1, 2 KSchG sind nicht erforderlich 80. Kündigungen sind ohne Rücksicht auf ihre soziale Rechtfertigung nach §§ 1, 2 KSchG zulässig, wenn sie - falls die Regelung noch eine Betriebsvereinbarung wäre – den allgemeinen Vorgaben des § 77 BetrVG Rechnung tragen. Ungeachtet der Anforderungen aus § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB setzt die Wirksamkeit der individualrechtlichen Veränderung der als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Betriebsvereinbarung die Zustimmung des Betriebsrats voraus. Dieser hat ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, dessen Nichtbeachtung die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen zum Nachteil der Arbeitnehmer zur Folge hat (Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung) 81. bb)
Ablösung durch Betriebsvereinbarung
Umstritten sind die Rechtsfolgen dann, wenn auch beim übernehmenden Rechtsträger eine Regelung über die Gewährung von betrieblicher Altersversorgung in Form einer Betriebsvereinbarung, einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung besteht. Geht man allein vom Wortlaut des § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB aus, würde diese – sofern man von der Eingliederung des übertragenden Betriebsteils in den beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb ausgehen kann 82 – die bislang geltenden Regelungen ver-
79 B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 25 Rz. 60. 80 Vgl. B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 21 Rz. 17 ff. 81 BAG v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13, NZA 2015, 442 Rz. 47; BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 109/13 n. v. Rz. 17. 82 Vgl. zu der notwendigen Differenzierung zwischen den Formen eines Zusammenschlusses von Betrieben und Betriebsteilen B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebsund Unternehmensspaltung § 25 Rz. 158 ff.; BAG v. 30.9.2014 – 3 AZR 998/12 Rz. 54.
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Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang
drängen, ohne dass es auf ihre Günstigkeit ankäme. Diese Ablösung könnte, wie an anderer Stelle ausgeführt 83, auch während der 1-Jahres-Frist des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB erfolgen, falls die Betriebsvereinbarung erst zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen und/oder auf den Kreis der übernommenen Arbeitnehmer ausgeweitet wird 84. Allerdings muss dafür geklärt werden, welcher Betriebsrat die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer vertritt. Regelmäßig kommt insoweit auch das Übergangsmandat nach § 21 a BetrVG zum Tragen 85. Entsprechendes gilt dann, wenn die 1-JahresFrist abgelaufen ist. Durch eine solche Form der Ablösung nach dem Wirksamwerden des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs könnte eine Verschlechterung, aber auch eine Verbesserung, jeweils unter Einbeziehung der Betriebszugehörigkeit beim früheren Arbeitgeber, eintreten. Voraussetzung wäre allein, dass die Kollektivvereinbarung beim übernehmenden Rechtsträger – was im Wege der Auslegung festzustellen ist – auch für „übernommene“ oder „neu eintretende“ Arbeitnehmer gelten soll 86 und – was ebenfalls durch Auslegung festzustellen ist – auch die Betriebszugehörigkeit bis zum Wirksamwerden des Übergangs einbezieht. Denn zu dem begünstigten Personenkreis wird man ohne abweichende Regelung in der Betriebsvereinbarung im Zweifel auch die Mitarbeiter rechnen können, deren Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes (§ 613 a Abs. 1 S. 1 BGB) übergeht. Obgleich der Wortlaut des Gesetzes für die Annahme spricht, dass die in § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB bestimmte Ablösung ohne Einschränkung auch im Hinblick auf kollektivrechtliche Regelungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zur Anwendung kommt 87, ist wegen der Besonderheiten in diesem Bereich eine Einschränkung notwendig. Diese führt zwar nicht dazu, dass § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB – wie dies zum Teil vertreten wurde 88 – auf Regelungen zur Altersversorgung überhaupt keine Anwendung findet. Damit bliebe nicht nur der insoweit klare Wortlaut von § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB im Bereich der betrieblichen Altersversorgung in Gänze unberücksichtigt. Völlig unberücksichtigt bliebe auch, dies erscheint letztlich entscheidend, dass die beim übernehmenden Rechtsträger geltende Betriebsverein83 Vgl. B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 25 Rz. 136 ff. 84 Henssler, NZA 1994, 913, 920; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni § 613 a Rz. 265 b. 85 Vgl. B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 27 Rz. 34 ff.; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013, 1014. 86 Vgl. BAG v. 19.1.2010 – 3 AZR 19/08, DB 2010, 1131 Rz. 32. 87 LAG Düsseldorf v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 62). 88 So Kemper, BB 1990, 785 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
barung gemäß § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG unmittelbare und zwingende Geltung beansprucht. Auch bei der Anerkennung einer Anwendbarkeit von § 613 a Abs. 1 S. 2, 3 BGB wird allerdings die Frage unterschiedlich beantwortet, ob die Ablösung auch mit Wirkung für die Betriebszugehörigkeit beim übertragenden Rechtsträger erfolgt oder ob eine Zweiteilung vorzunehmen ist, nach der die neue Betriebsvereinbarung erst vom Tage des Übergangs des Arbeitsverhältnisses zur Anwendung kommt und die Höhe der bis zum Übergang beim übertragenden Rechtsträger erworbenen Anwartschaft allein nach Maßgabe der dort geltenden Versorgungsordnung bestimmt wird. Die letztgenannte Betrachtungsweise hätte zur Folge, dass die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf der Grundlage der bis dahin geltenden Regelungen erdiente Rentenanwartschaft mit ihrem Teilwert entsprechend § 2 BetrAVG erhalten bliebe 89. Die bisherige Versorgungsordnung bliebe auch insoweit maßgeblich, als im Rahmen einer Dynamisierung auf das zukünftige Arbeitseinkommen abgestellt wird. Die beim übernehmenden Rechtsträger geltende Betriebsvereinbarung wäre nur für die Berechnung von Versorgungsanwartschaften und Ansprüchen aus den künftigen Jahren der Betriebszugehörigkeit maßgeblich 90. Damit wäre ausgeschlossen, dass eine ungünstigere Versorgungsordnung des übernehmenden Rechtsträgers zu einer Verkürzung von Versorgungsanwartschaften führte, die – gleich ob verfallbar oder unverfallbar – auf der Grundlage der Versorgungsordnung des übertragenden Rechtsträgers erdient wurde 91. In seinem Urteil vom 25.2.2014 ist das LAG Düsseldorf von eben dieser „Doppeltopftheorie“ ausgegangen. Nach seinen Feststellungen werde eine gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB im veräußerten Betrieb geltende Betriebsvereinbarung über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zwar durch eine beim Erwerber geltenden Kollektivvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung verdrängt 92. Der bis zum Betriebsübergang erdiente Versorgungsbesitzstand sei aber aufrecht zu erhalten 93. Die damit verbundene Besitzstandswahrung führe nicht nur dann zu einem erhöhten Versor89 Vgl. BAG v. 9.12.2014 – 3 AZR 232/13, DB 2015, 989 Rz. 23; BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520 ff.; LAG Düsseldorf v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 43). 90 So BAG v. 27.6.1985 – 6 AZR 392/81, NZA 1986, 401 ff.; Moll, NJW 1993, 2016, 2020; LAG Düsseldorf v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 73). 91 BAG v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, DB 2015, 989 Rz. 37; HWK/B. Gaul § 77 Rz. 64; Falkenberg, BB 1987, 328 f. 92 LAG Düsseldorf v. 25.2.2015 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 62). 93 LAG Düsseldorf v. 25.2.2015 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 65).
310
Ablösung von Versorgungsordnungen beim Betriebsübergang
gungsanspruch, wenn die Ansprüche aus der Neuregelung hinter dem zurückblieben, was bis zum Betriebsübergang erdient worden sei. Vielmehr schulde der Erwerber die Versorgungsansprüche, die auf der Grundlage der bei ihm bereits geltenden Versorgungsordnung entstünden, neben den bereits beim Veräußerer entstandenen Ansprüchen 94. Dabei nimmt das LAG Düsseldorf zwar auf die Rechtsprechung zur Besitzstandswahrung aus Vertrauensgesichtspunkten Bezug. Nach seiner Auffassung stellt aber der bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag „bereits verdientes Arbeitsentgelt“ dar 95, dass nicht ohne weiteres wieder entzogen werden könne. Daher sei auch eine "Verrechnung" bereits erworbener Anwartschaften mit Ansprüchen, die durch weitere Arbeitsleistungen und/oder Betriebstreue erworben würden, unzulässig. Genau auf eine solche Verrechnung liefe es aber hinaus, wenn die beim Altarbeitgeber erworbenen Anwartschaften nicht zusätzlich zu den beim Betriebserwerber erworbenen Ansprüchen Berücksichtigung fänden 96. Auch wenn diese Bewertung die praktische Handhabe unterschiedlicher Versorgungswerke erleichtert, kann das Ergebnis aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht überzeugen. Vielmehr wird man § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB so verstehen müssen, dass er innerhalb des persönlichen, sachlichen und zeitlichen Geltungsbereichs zu einer vollständigen Abänderung oder Ablösung der bisherigen Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung führt, diese Ablösung aber den Schranken durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes genügen muss, die für den Abschluss abändernder Betriebsvereinbarung entwickelt wurden 97. Auf diese Grundsätze wurde bereits im Zusammenhang mit Änderungen im Anschluss an die kollektivrechtliche Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung hingewiesen. Von den daraus folgenden Leitlinien kann nur dann abgewichen werden, wenn im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses eine neue (vereinheitlichende) Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung beim übernehmenden Rechtsträger abgeschlossen wird. Etwas anderes gilt auch dann, wenn der Geltungsbereich der Versorgungsordnung des Erwerbers durch die Betriebsparteien ganz bewusst auf die Zeit des mit dem Erwerber bestehenden Arbeitsverhältnisses begrenzt wird. Das würde dann
94 LAG Düsseldorf v. 25.2.2015 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 67); abweichend zu BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520 ff. 95 Vgl. hierzu BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 Rz. 17; Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker, Teil 14 B, Rz. 501 96 LAG Düsseldorf v. 25.2.2015 – 6 Sa 1431/13 n. v. (Rz. 71). 97 BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 705/10, NZA-RR 2013, 376 Rz. 36.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
frühere Jahre der Betriebszugehörigkeit ausgrenzen und auf der Grundlage der beim Erwerber bestehenden Versorgungsordnung einen zeitanteiligen Fortbestand der daraus entstandenen Versorgungsanwartschaften zur Folge haben. Im Wesentlichen ist auch nach dieser Bewertung davon auszugehen, dass jedenfalls der bis zum Übergang erworbene Besitzstand im Zweifel erhalten bleibt. Entsprechend dem Ergebnis der Feststellungen des BAG im Urteil vom 24.7.2001 98 kann der Arbeitnehmer – ggf. unter Fortschreibung der Dynamik der alten Versorgungsordnung – also mindestens diese Anwartschaft im Versorgungsfall zur Grundlage seines Auszahlungsverlangens machen, auch wenn sich die Versorgungsansprüche gegenüber dem Erwerber gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB an sich allein nach der neuen Versorgungsordnung richten. Im Gegensatz zu abweichenden Ansicht des LAG Düsseldorf erlaubt die uneingeschränkte Anwendung der allgemeinen Grundsätze über die Wirksamkeit abändernder Betriebsvereinbarungen außerdem, durch Anwendung der Versorgungsordnung des übernehmenden Rechtsträgers unter den Voraussetzungen der 3-Stufen-Theorie ausnahmsweise auch in den Besitzstand oder die Dynamik einzugreifen, wie sie bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses entwickelt wurde. Bezogen auf die Situation beim übernehmenden Rechtsträger muss also eine wirtschaftliche Notlage oder eine planwidrige Überversorgung durch veränderte Rahmenbedingungen im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses gegeben sein. Wenn – ausgehend von der Situation beim übernehmenden Rechtsträger – triftige Gründe gegeben sind, kann in Bezug auf die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses erworbene Anwartschaft auch ein Eingriff in die Dynamik erfolgen. Eine Veränderung der Bedingungen für einen künftigen Zuwachs der Versorgungsanwartschaft wird man bereits durch den Umstand des Betriebsübergangs bzw. der Umwandlung als berechtigt ansehen müssen. Schließlich besteht jedenfalls ein Interesse an einer Vereinheitlichung, das auch außerhalb von § 613 a BGB zu Veränderungen in der 3. Stufe berechtigt 99.
d)
Rechtsfolgen für die gesetzliche Unverfallbarkeit
Hinsichtlich der gesetzlichen Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften ist auf der Grundlage der allgemeinen Feststellungen zur Anrechnung der Betriebszugehörigkeit auch dann auf die beim übertragenden Rechtsträ-
98 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520 ff.; BAG v. 30.9.2014 – 3 AZR 998/12 n. v. (Rz. 31 f.). 99 BAG v. 8.12.1981 – 3 ABR 53/80, AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung Bl. 5.
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Kein Übergang von Betriebsnormen gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB
ger bereits erwiesene Betriebszugehörigkeit abzustellen, wenn im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses eine beim übernehmenden Rechtsträger bereits geschaffene Versorgungsordnung zur Anwendung kommt 100.
e)
Fazit
Die häufig im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorgenommene Berechnung, nach der Versorgungsansprüche bis zum Übergang nach der alten Versorgungsordnung und die nach dem Übergang entstandenen Ansprüche nach der neuen Ordnung bestimmt werden ("Doppeltopftheorie"), wird § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB nicht gerecht. Dies gilt auch für die Feststellungen des LAG Düsseldorf im Urteil vom 25.2.2014 101. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit den früheren Überlegungen des BAG im Urteil vom 9.12.2014 102 grundsätzlich anzunehmen, dass die neue Betriebsvereinbarung unter Einbeziehung der beim früheren Betriebsinhaber verbrachten Betriebszugehörigkeit an die Stelle der alten Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung tritt. Eine abweichende Betrachtung entsprechend den Überlegungen des LAG Düsseldorf ist nur gerechtfertigt, wenn diese Vorgehensweise durch Änderung der beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat abgestimmt wird. Darauf wird man insbesondere beim Erwerber achten müssen. (Ga)
9.
Kein Übergang von Betriebsnormen gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB
Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag, der bis zum Übergang eines Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang kraft Gesetzes Geltung beansprucht, finden nach dem Übergang grundsätzlich als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses Anwendung und dürfen auf einzelvertraglicher Ebene binnen eines Jahres nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert werden (§ 613 a Abs. 1 S. 2 BGB). Dies gilt nur dann nicht, wenn die entsprechenden Fragen beim Erwerber mit Wirkung für das Arbeitsverhältnis durch einen anderen Tarifvertrag geregelt sind (§ 613 a Abs. 1 S. 3 BGB).
100 Ebenso Hambach, NZA 2000, 291 ff. 101 6 Sa 1431/13 n. v. 102 3 AZR 232/13, DB 2015, 989.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Im Anschluss an Feststellungen des BAG im Urteil vom 22.2.2012 103 hat das LAG Köln im Urteil vom 20.1.2014 104 klargestellt, dass diese gesetzliche Vorgabe auf Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen keine Anwendung finden. Sie gelten ohne Rücksicht auf die individuelle Tarifbindung einzelner Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend für alle Arbeitnehmer, die in den räumlichen, persönlichen und sachlichen Geltungsbereich fallen. Auch wenn der Übergang solcher Regelungen in das Arbeitsverhältnis naturwissenschaftlich nicht ausgeschlossen sei, könne nicht von ihrer Fortgeltung im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang ausgegangen werden. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um eine tarifvertragliche Regelung, die als Bestandteil eines TV ratio Versetzungs- und Auswahlverfahren im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung regelte. Dies schloss die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, Arbeitnehmer zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung einer konzerninternen Beschäftigungsgesellschaft zuzuweisen. Eine solche Verpflichtung – so das BAG – könne im Wege eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs nicht auf einen Erwerber übergehen. Damit werden sie auch nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem übernehmenden Rechtsträger. Sie enden für das vom Übergang betroffene Arbeitsverhältnis mit dem Wirksamwerden des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs. (Ga)
103 4 AZR 527/10 n. v. (Rz. 45). 104 2 Sa 618/13 n. v. (Rz. 19 ff.).
314
J.
1.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht Grenzwert der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei Altersteilzeit
Der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung setzt voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindert haben, aber weiterhin versicherungspflichtig i. S. d. SGB III beschäftigt sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ATG). Im Rahmen des Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen sowie zu Änderungen des Rechtspflegergesetzes, des Gerichts- und Notarkostengesetzes, des Altersteilzeitgesetzes und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom 10.12.2014 1 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vor dem 1.1.2013 mit der Altersteilzeit begonnen und bis zu diesem Zeitpunkt in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem SGB III gestanden haben, auch nach dem 31.12.2012 als versicherungspflichtig beschäftigt gelten, wenn sie die bis zum 31.12.2012 geltenden Voraussetzungen für das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung weiterhin erfüllen. Diese Klarstellung ist durch Einfügung von § 15 i ATG vorgenommen worden. Von dieser Klarstellung ausgehend liegt eine Altersteilzeit auch dann vor, wenn die monatliche Entgeltgrenze für die geringfügige Beschäftigung in Höhe von 450,- € unterschritten wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Altersteilzeit vor dem 1.1.2013 begonnen wurde und die Beschäftigung im Rahmen der Altersteilzeit jedenfalls die bis zum 31.12.2012 geltende Entgeltgrenze für die geringfügige Beschäftigung in Höhe von 400,- € nicht unterschreitet. Diese Klarstellung hätte eigentlich im Zusammenhang mit der gesetzlichen Änderung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung zum 1.1.2013 erfolgen müssen, trat jetzt aber erst zum 1.1.2015 in Kraft. Anzunehmen ist allerdings, dass die Sozialversicherungsträger entsprechend dieser Klarstellung auch für die Zeit ab dem 1.1.2013 verfahren. (Ga)
1
BGBl. I 2014, 2082 ff.
315
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
2.
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei unterlassener Pauschalbesteuerung?
Der Arbeitgeber eines geringfügig Beschäftigten kann gem. § 40 a Abs. 2 EStG die Lohnsteuer nach der individuellen Besteuerung nach Lohnsteuerkarte oder pauschaliert (2%) zahlen 2. Abweichend vom Regelfall der individuellen Besteuerung, in dem der Arbeitnehmer gem. § 38 II 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer 3 ist, ist dies im Fall der Pauschalbesteuerung der Arbeitgeber 4. Macht der Arbeitgeber von dieser Wahlmöglichkeit gemäß § 40 a Abs. 2 EStG keinen Gebrauch, so begründet dies laut BAG keinen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers 5. In dem seinem Urteil vom 13.11.2014 6 zugrundeliegenden Fall nahm eine geringfügig Beschäftigte ihren Arbeitgeber auf Schadenersatz in Anspruch, weil dieser sie nicht der Pauschalbesteuerung, sondern der individuellen Besteuerung nach Maßgabe ihrer Steuerklasse unterzogen hatte. Infolgedessen entstand ihr im Rahmen der gemeinsamen Veranlagung mit ihrem Ehegatten eine um 1.263,95 € höhere Steuer. Nach Auffassung der Klägerin müsse der Arbeitgeber sein Wahlrecht zwischen der individuellen Besteuerung und der Pauschalbesteuerung im Sinne der arbeitsvertraglichen Fürsorge ausüben. Dies gelte umso mehr, wenn man berücksichtige, dass die Möglichkeit bestünde, die Pauschalsteuer im Innenverhältnis auf die Arbeitnehmerin abzuwälzen. Jedenfalls habe der Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass nach Lohnsteuerkarte abgerechnet werde und dies für sie nachteiliger ausfalle. Das BAG wies die Klage mit der Begründung ab, dass sich der Arbeitgeber weder bei Ausübung seines Wahlrechtes nach § 40 a Abs. 2 EStG noch durch einen unterlassenen Hinweis gegenüber der Klägerin pflichtwidrig verhalten habe. 7 Eine Aufklärung- oder Hinweispflicht sei gesetzlich nicht geregelt 8. Überdies erfordere eine nicht gewählte und daher nicht zur Anwendung kommende Ausnahme von der Regelbesteuerungsart keinen Hin-
2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 19. Vgl. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 12. Vgl. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 13; BAG v. 17.3.2010 – 5 AZR 301/09, NZA 2010, 881 Rz. 17. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 17. 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166. Vgl. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 17, 24. Vgl. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 19.
316
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei unterlassener Pauschalbesteuerung?
weis 9. Das gelte auch dann, wenn die Pauschalbesteuerung für den Arbeitnehmer günstiger ausfalle, denn die individuell bestehenden steuerlichen Belange würden nicht das Arbeitsverhältnis betreffen10. Ein Arbeitnehmer, der eine Pauschalbesteuerung wünsche, müsse selbst die Gelegenheit nutzen, nachzufragen und gegebenenfalls eine entsprechende Vereinbarung zur Pauschalbesteuerung treffen 11. Grundsätzlich hat daher jede Vertragspartei selbst für die Wahrung ihrer Interessen zu sorgen 12. Geringfügig Beschäftigte sind gehalten, im eigenen Interesse zu prüfen, welche Besteuerungsart für sie vorteilhafter ist, um hierzu eine ausdrückliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber treffen zu können. (Kr)
9 10 11 12
BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 ff. Rz. 25. Vgl. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 27. Vgl. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 Rz. 27. BAG v. 13.11.2014 – 8 AZR 817/13, NZA 2015, 166 ff. – Rz. 22; BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 161/08.
317
Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen
Abberufung, Geschäftsführer 204 ff. Abfindung - ältere Arbeitnehmer 279 ff. - Altersdiskriminierung 279 ff. - Arbeitslosengeld 285 ff. - Betriebsrente 39 - Freiwilligenprogramm 285 ff. - Regelaltersgrenze 279 ff. - Turboprämie 285 ff. Abmahnung - Kündigung 168 ff. - milderes Mittel 170 f. Abwerbeverbot - Due Diligence 215 - gemeinsamer Betrieb 214 ff. - Kooperationsvereinbarung 214 ff. - Wettbewerbsverbot 214 ff. AGB-Kontrolle - Ausgleichsquittung 190 ff. - Denglisch 68 ff. - Gesamtzusage 68 ff. - Klageverzicht 189 ff. - Rückzahlungsklausel 134 f. - übertarifliche Zulage 229 ff. - Vorschuss 134 f. Aktiengesellschaft - Frauenquote 1 ff. - Geschlechterquote 1 ff. Alkoholabhängigkeit - Entgeltfortzahlung 131 ff. - Krankheit 131 f. Allgemeinverbindlichkeit, Betriebsrente 36 Ältere Arbeitnehmer
- Abfindung 279 ff. - befristeter Arbeitsvertrag 60 ff. - sachgrundlose Befristung 61 f. - Sozialplan 279 ff. Altergruppen, Sozialauswahl 183 ff. Altersdiskriminierung, Sozialplan 279 ff. Altersgrenze - befristeter Arbeitsvertrag 60 ff. - Hinausschieben 61 f. Altersrente wegen Schwerbehinderung - Anerkennung 218 ff. - Wohnsitz 217 Altersteilzeit - geringfügige Beschäftigung 315 - Versicherungspflicht 315 Änderungskündigung - Gesamtzusage 69 - Sozialauswahl 180 Angehörige, Pflege 11 f. Anhörung, Verdachtskündigung 163 ff. Annahmeverzug - Arbeitspause 97 ff. - Geschäftsführer 209 f. - Kündigung 199 ff. - MiLoG 116 - Wiedereingliederungsverhältnis 127 ff. - Zustimmung Integrationsamt 199 ff. Anrechnung, übertarifliche Zulage 229 ff. 319
Stichwortverzeichnis
Anspruch auf Teilzeit - Arbeitszeitlage 89 ff. - Befristung 93 ff. - Elternzeit 10 f. - spätere Änderung 89 ff. Anteilseignervertreter, Geschlechterquote 1 ff. Arbeitgeberwechsel, Erholungsurlaub 141 ff. Arbeitnehmer - Filmaufnahme 85 ff. - KUG 85 ff. - Videoaufnahme 85 ff. Arbeitnehmerfoto, Verwertbarkeit 85 ff. Arbeitnehmerüberlassung 24 ff. - Abgrenzungskriterien 27 - Arbeitsentgelt-Begriff 26 - Arbeitsspitzen 73 - Einschränkung 71 ff. - Equal Pay 26 - EuGH 74 f. - Generalanwalt 72 ff. - Höchstüberlassung 25 f. - Kennzeichnungspflicht 25 - Kettenüberlassung 26 - Kontrolle 28 - Konzern 27 - Mitbestimmung Betriebsrat 25 ff., 260 f. - Personalgestellung 27 - Quote 73 - Rechtsmissbrauch 75 ff. - Regelungsspielraum 74 - Scheinwerkvertrag 75 ff. - TVöD 27 - Vermutungsregel 27 - Vorratserlaubnis 75 ff. - vorrübergehende 71 ff., 260 f. - Zollämter 28
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Arbeitnehmervertreter, Geschlechterquote 1 ff. Arbeitsbereitschaft, MiLoG 107 Arbeitsentgelt, Arbeitnehmerüberlassung 26 Arbeitsgericht - Geschäftsführer 204 ff. - Zuständigkeit 204 ff. Arbeitskampf - Gewerkschaftszugehörigkeit 225 ff. - Tarifeinheit 22 ff. Arbeitslosengeld, Abfindung 283 ff. Arbeitspause - Annahmeverzug 97 ff. - Anordnung 97 ff. - Betriebsvereinbarung 97 ff. Arbeitsschutz - Arbeitsunterweisung 275 - Dienstleister 275 ff. - Fremdunternehmen 275 ff. - Gefährdungsanalyse 274 - Mitbestimmung Betriebsrat 13, 275 ff. - Organisation 13 f. Arbeitsunfähigkeit, krankheitsbedingte → Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Zweifel 81 ff. Arbeitsvertrag - Befristung → befristeter Arbeitsvertrag - Geschäftsführer 210 - Günstigkeitsvergleich 240 ff. Arbeitszeit - Aufzeichnungspflicht 121 ff. - befristete Verringerung 93 ff. - Befristung 93 ff. - EU-Arbeitszeitrichtlinie 43 - Lage 89 ff.
Stichwortverzeichnis
Arbeitsvertrag - MiLoG 107, 121 ff. - Mindestlohn-Verordnung 123 f. Arbeitszeitflexibilisierung, MiLoG 116 ff. Arbeitszeitkonto, MiLoG 116 ff. Arbeitszeitlage 89 ff. Arbeitszeitwechsel, Erholungsurlaub 135 ff. AT-Angestellte, MiLoG 106 f. Aufgabenverlagerung, Kündigung 173 ff. Aufhebungsvertrag, Klageverzicht 189 ff. Auftraggeberhaftung, MiLoG 120 f. Auftragsvergabe, MiLoG 125 AÜG-Änderung 24 ff. Ausgleichsanspruch, Betriebsübergang 299 f. Ausgleichsquittung, AGBKontrolle 190 ff. Ausländer, Beschäftigung 24 Ausschlussfrist - Erholungsurlaub 143 f. - MiLoG 119 f. - Mobbing 78 ff. - Urlaubsabgeltung 143 ff. - vorsätzliches Handeln 81 Außenseiter - Diskriminierung 231 ff. - Tarifsozialplan 231 ff. Außerordentliche Kündigung - Anhörung 163 ff. - Augenblicksversagen 171 - Auszubildender 161 ff. - Berufsausbildungsverhältnis 161 ff. - Erholungsurlaub 138 - Konkurrenztätigkeit 166 f. - Urlaubsgewährung 138 ff.
Außerordentliche Kündigung - Verdachtskündigung 161 ff. Auszubildender - außerordentliche Kündigung 161 ff. - Verdachtskündigung 161 ff.
Bachelorarbeit, MiLoG 105 Befristeter Arbeitsvertrag - ältere Arbeitnehmer 60 ff. - Altersgrenze 60 ff. - Entfristungsklage 197 f. - Formerfordernis 61 f. - gedankliche Vertretung 66 ff. - gerichtlicher Vergleich 62 ff. - Massenentlassung 147 ff. - Projektarbeit 56 ff. - Prozessbeschäftigung 196 - Rechtsmissbrauch 58 - Sachgrund 56 ff. - sachgrundlose → Sachgrundlose Befristung - Vergleich 62 ff. - Vertretung 66 ff. Begünstigung, Gewerkschaftsmitglied 231 ff. Behinderung → Schwerbehinderung BEM → betriebliches Eingliederungsmanagement Berechnungsdurchgriff - Betriebsrente 221 f. - Verrechnungspreisabrede 221 f. Bereitschaftsdienst, MiLoG 107 Berufsausbildungsverhältnis - außerordentliche Kündigung 161 ff. - Verdachtskündigung 161 ff. Beschäftigungsanspruch, Betriebsratsmitglied 243 f. Beschäftigungsverordnung 24 Betrieb, Tarifvertrag 18 ff. 321
Stichwortverzeichnis
Betriebliche Altersversorgung - 3-Stufen-Theorie 302 ff. - Abänderung 302 ff. - Abfindung 39 - Ablösung 307 - Allgemeinverbindlichkeit 36 - Änderung 302 ff. - Anpassungspflicht 37 ff. - Beitragszusage mit Mindestleistung 35 ff. - Berechnungsdurchgriff 221 f. - Betriebsübergang 300 ff. - Einrichtung Tarifvertragsparteien 35 ff. - Konzern 221 f. - Kündigung 305 f. - Rückstellungen 39 - sachliche Gründe 302 f. - Tarifvertrag 35 ff. - triftige Gründe 302 - Unverfallbarkeit 312 f. - Unverfallbarkeitsfrist 37 - Zeitkollisionsregel 303 ff. - zwingende Gründe 304 Betriebliches Eingliederungsmanagement - Bestandteile 156 ff. - Betriebsarzt 158 - Beweislast 158 ff. - Darlegungslast 158 ff. - Durchführung 156 ff. - Kündigung 152 ff. - Kurzerkrankungen 152 ff. - Rehabilitationsmaßnahme 159 ff. - Ultima ratio 155 f. - Verhältnismäßigkeit 155 f. - Voraussetzungen 156 ff. Betriebsänderung - Aufhebungsvertrag 285 ff. Betriebsänderung 322
Betriebsänderung - Betriebsabwicklungsprämie 290 ff. - Freiwilligenprogramm 285 ff. - Klageverzicht 285 ff. - Sozialplan 279 ff. - Treueprämie 290 ff. - Turboprämie 285 ff. - Vorruhestand 217 ff. Betriebsarzt, Betriebliches Eingliederungsmanagement 158 Betriebsbedingte Kündigung - Änderungskündigung 179 ff. - Aufgabenverlagerung 173 ff. - Betriebsratsanhörung 187 ff. - Betriebszugehörigkeit 181 f. - Fremdvergabe 176 ff. - Lebensalter 181 f. - Outsourcing 176 ff. - Prognose 177 ff. - Punkteschema 183 - Sozialauswahl 182 - überobligationsmäßige Mehrbelastung 175 - Umsetzung 177 ff. - Unterhaltspflicht 182 - unternehmerische Entscheidung 174 - wirtschaftliche Rechtfertigung 176 f. - Zeitpunkt 177 ff. Betriebsmittel - Betriebsübergang 296 ff. - wesentliche 296 ff. Betriebsnorm - Betriebsübergang 313 f. - Tarifvertrag 313 f. Betriebsrat - Beschluss 249 f. - Betriebsübergang 298 ff.
Stichwortverzeichnis
Betriebsrat - Gewerkschaftsmitgliedschaft 231 ff. - sachkundige Arbeitnehmer 252 ff. - Sitzungsniederschrift 243 ff. - Sozialplan 231 ff. - Vertretung 243 ff. Betriebsratsanhörung - Kündigung 187 ff. - subjektive Determination 187 ff. Betriebsratsbeschluss - Sitzungsniederschrift 243 ff. - Wirksamkeit 243 ff., 249 ff., 249 f. Betriebsratskosten, Betriebsübergang 300 ff. Betriebsratsmitglied - Beschäftigungsanspruch 253 f. - Schwerbehinderung 255 f. Betriebsratssitzung - Nichtöffentlichkeit 247 - Telepräsenz 249 ff. - Videokonferenz 249 ff. Betriebsratsvorsitzender - Vertretung 249 f. - Vertretungsbefugnis 243 ff. Betriebsrente → betriebliche Altersversorgung Betriebssicherheitsverordnung 13 f. Betriebsteil, Kennzeichnung 293 ff. Betriebsübergang - Abwerbeverbot 215 - Ausgleichsanspruch 299 f. - Betriebsnorm 313 f. - Betriebsratskosten 300 ff. - Betriebsvereinbarung 305 ff. - Betriebsteilübergang 293 ff. - Dienstleistung 293 ff. - Erstattungsanspruch 299 f. - Funktionsnachfolge 297
Betriebsübergang - Kennzeichnung 293 ff. - Kündigung Betriebsvereinbarung 303 f. - organisatorische Einheit 293 ff. - Schadensersatzanspruch 297 f. - Tankstelle 297 ff. - Tarifvertrag 313 f. - Unverfallbarkeit Betriebsrente 312 f. - Versorgungszusagen 300 ff. - wesentliche Betriebsmittel 296 ff. - wirtschaftliche Einheit 293 ff. - Zeitkollisionsregel 303 ff. Betriebsvereinbarung - Arbeitspause 97 ff. - Betriebsübergang 305 ff. - Kündigung 305 f. - Zeitkollisionsregel 303 ff. Betriebszugehörigkeit, Sozialauswahl 181 f. BetrSichVO, Mitbestimmung Betriebsrat 274 Beweislast - krankheitsbedingte Kündigung 158 ff. - Sitzungsniederschrift 243 ff. - Zeugnis 211 ff. Bewerber, Behinderung 47 ff. Bewerbungsverfahren - Diskriminierung Frauen 52 ff. - Diskriminierung Mütter 52 ff. - Entschädigung 56 Bonus → Sonderleistung Börsennotierte Gesellschaft - Frauenquote, 1 ff. - Geschlechterquote 1 ff. Bundesgleichstellungsgesetz 1
Cockpit, Tarifeinheit 22 323
Stichwortverzeichnis
Darlegungslast - krankheitsbedingte Kündigung 158 ff. - Sitzungsniederschrift 243 ff. - Zeugnis 211 ff. Datenschutz - Datenschutz-Grundverordnung 45 - Entschädigung 84 f. - Facebook-Seite 267 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 275 f. - Persönlichkeitsschutz 81 ff. - Unterlassungsanspruch Betriebsrat 267 ff. - Videoüberwachung 81 ff. Differenzierungsklausel, Tarifvertrag 231 ff., 235 ff. Direktionsrecht - Arbeitspause 97 ff. - Arbeitszeit 90 - sachkundige Arbeitnehmer 252 f. Diskriminierung - Alter 279 - Außenseiter 231 ff. - Behinderung 47 ff. - Belästigung 79 - Birkenstock 40 - Entgelt 39 f. - Förderpflichten 48 ff. - Frauen 39 f., 52 ff. - Geschlecht 39 f., 52 ff. - Koalitionsfreiheit 231 ff. - mittelbare 53 - nichtorganisierte Arbeitnehmer 231 ff. - Rollenverteilung 55 - Sozialplan 279 ff. - Statistik 52 ff. - unmittelbare 53 f. 324
Diskriminierung - Verfahrenspflichten 48 ff. Doppelberufstheorie 29 Doppelverdienst, Sozialauswahl 182 13. Monatseinkommen → Sonderleistung Drittelbeteiligungsgesetz, Frauenquote 1 ff. Duales Studium, MiLoG 105 Due Diligence, Abwerbeverbot 215
Eingliederungsmanagement → Betriebliches Eingliederungsmanagement Eingruppierung, Mitbestimmung Betriebsrat 243 ff. Einstellung - Kennzeichnung 265 f. - Konzernarbeitnehmer 265 f. - Leiharbeitnehmer 260 f. - Matrixstruktur 265 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 254 ff. Elterngeld Plus 7 ff. Elternzeit - Flexibilisierung 7 ff. - Inanspruchnahme 8 f. - Kündigungsschutz 11 - Teilzeitbeschäftigung 10 f. Entfristungsklage, Prozessbeschäftigung 197 f. Entgelterhöhung - Anrechnung 229 ff. - übertarifliche Zulage 229 ff. Entgeltfortzahlung 116 - Alkoholabhängigkeit 131 ff. - MiLoG 116 Entgeltgleichheitsgesetz 39 f. Equal Pay - Arbeitnehmerüberlassung 26
Stichwortverzeichnis
Equal Pay - Arbeitsentgelt-Begriff 26 Erholungsurlaub - Arbeitgeberwechsel 141 ff. - Arbeitszeitwechsel 135 ff. - Ausschlussfrist 143 f. - außerordentliche Kündigung 138 ff. - fristlose Kündigung 138 ff. - Wechsel in Teilzeit 135 ff. Erstattungsanspruch, Betriebsübergang 299 f. EU-Richtlinie - Arbeitszeitrichtlinien 43 - Entsenderichtlinie 109 - Leiharbeitsrichtlinie 24 ff., 71 ff.
Facebook-Seite - Datenschutz 267 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 267 ff. Familienpflegezeit 11 ff. Feiertagsvergütung, MiLoG 116 Fluglotsen, Tarifeinheit 22 Fragerecht, Gewerkschaftzugehörigkeit 225 ff. Frauenquote - Aufsichtsrat 1 ff. - Drittelbeteiligungsgesetz 1 ff. - Führungsebene 1 ff. - Geschäftsführung 1 ff. - Lagebericht 6 - Vorstand 1 ff. Freiwilligenprogramm 285 ff. Fremdvergabe, Kündigung 176 ff. Fristlose Kündigung → außerordentliche Kündigung
GDL, Tarifeinheit 22 Gedankliche Vertretung 66 ff.
Gefährdungsanalyse, Arbeitsschutz 274 Gemeinsamer Betrieb, Abwerbeverbot 214 ff. Gerichtlicher Vergleich, befristeter Arbeitsvertrag 62 ff. Geringfügig Beschäftigte - MiLoG 121 - Altersteilzeit 315 - Besteuerung 316 f. - Pauschalbesteuerung 316 f. Gesamtzusage - AGB-Kontrolle 68 ff. - Änderungskündigung 69 - Änderungsvertrag 69 - Beseitigung 69 - Entstehung 69 - Intranet 68 ff. - Neueinstellung 68 ff. Geschäftsführer - Abberufung 204 ff. - Annahmeverzug 209 f. - Arbeitsgericht 204 ff. - Arbeitsvertrag 210 - Kündigung 204 ff. - Rechtsweg 204 ff. - Frauenquote 1 ff. Geschlechterquote - Aufsichtsrat 1 ff. - Lagebericht 6 - Mitbestimmungsgesetz 1 ff. - Montanmitbestimmungsgesetz 1 ff. Gesundheitsschutz, Mitbestimmung Betriebsrat 275 ff. Gewerkschaft, Mehrheit 18 Gewerkschaftsmitglied - Begünstigung 231 ff. - Sozialplan 231 ff. - Tarifsozialplan 231 ff. 325
Stichwortverzeichnis
Gewerkschaftszugehörigkeit - Fragerecht 225 ff. - Tarifautonomie 225 ff. - Tarifeinheit 225 ff. Gleichbehandlung - Arbeitsvertragsmuster 100 ff. - Entgelterhöhung 100 ff. - Standardarbeitsvertrag 100 ff. - Überkompensation 103 f. GmbH - Geschlechterquote 1 ff. - Frauenquote 1 ff. Grobe Fehlerhaftigkeit, Sozialauswahl 186 f. Günstigkeitsvergleich - Arbeitsvertrag 240 ff. - Kündigungsfrist 149 ff. - Tarifvertrag 240 ff. - TVG 240 ff.
Haftpflichtversicherung, Syndikusrechtsanwalt 31 Heimliche Videoüberwachung 81 ff. Homepage, Arbeitnehmerfoto 85 ff.
Integrationsamt - Annahmeverzug 199 ff. - Zustimmung 199 ff. Intranet - Arbeitnehmerfoto 85 ff. - Gesamtzusage 68 ff. Jahressonderzahlung → Sonderleistung Jugendliche, MiLoG 105 f.
Klageverzicht - AGB-Kontrolle 189 ff. - Aufhebungsvertrag 189 ff. 326
Koalitionsfreiheit - Diskriminierung 231 ff. - Sozialplan 231 ff. - Tarifsozialplan 231 ff. Konkurrenztätigkeit, außerordentliche Kündigung 166 f. Konzern - Arbeitnehmerüberlassung 27 - Betriebsrente 221 f. - Betriebsrentenanpassung 221 f. - Einstellung 265 f. - Matrixstruktur 265 ff. - Syndikusrechtsanwalt 29 - Verrechnungspreisabrede 221 f. Kooperationsvereinbarung, Abwerbeverbot 214 ff. Korruption 42 Krankheit, Alkoholabhängigkeit 131 f. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit - betriebliches Eingliederungsmanagement 152 ff. - Kündigung 153 ff. - MiLoG 116 - Rehabilitationsmaßnahme 159 ff. - Videoüberwachung 81 ff. - vorgetäuschte 81 ff. - Wiedereingliederungsverhältnis 127 ff. Kündigung - Abmahnungserfordernis 168 ff. - Annahmeverzug 199 ff. - Aufgabenverlagerung 173 ff. - betriebliches Eingliederungsmanagement 152 ff. - Betriebsratsanhörung 187 ff. - Betriebsvereinbarung 305 f. - Darlegungs- und Beweislast 158 ff.
Stichwortverzeichnis
Kündigung - Eingliederungsmanagement 152 ff. - Elternzeit 11 - Familienpflegezeit 12 - Fremdvergabe 176 ff. - Geschäftsführer 204 ff. - Integrationsamt 199 ff. - Klageverzicht 189 ff. - Krankheit 152 ff. - krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit 152 ff. - Kündigungsfrist 149 ff. - Kurzerkrankungen 152 ff. - Matrixstruktur 265 - Mitbestimmung Betriebsrat 187 ff. - Outsourcing 176 ff. - Pflegezeit 12 - Prozessbeschäftigung 194 ff. - Schwerbehinderung 199 ff. - sexuelle Belästigung 168 ff. - überobligationsmäßige Mehrbelastung 175 - unternehmerische Entscheidung 174 - verhaltensbedingte 168 ff. - Versorgungszusage 303 f. - Weiterbeschäftigung 194 ff. Kündigungsfrist, Günstigkeitsvergleich 149 ff. Kündigungsschutz - Elternzeit 11 - Pflegezeit 12 Kündigungsschutzprozess, Weiterbeschäftigung 194 ff. Kurzarbeitergeld, Verordnung 35
Lagebericht - Frauenquote 6 - Geschlechterquote 6
Lebensalter, Sozialauswahl 181 Leiharbeit → Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeitnehmer - Einstellung 260 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 260 f. Leistungsbeurteilung, Zeugnis 211 ff. Leistungskontrolle, Mitbestimmung Betriebsrat 268 ff. Leitende Angestellte, MiLoG 106 f.
Massenentlassung - befristeter Arbeitsverträge 147 ff. - Entlassungsbegriff 147 ff. - Schwellenwerte 147 ff. Matrixstruktur - Einstellung 265 f. - Kündigung 265 - Mitbestimmung Betriebsrat 265 ff. - soziale Angelegenheiten 265 Mehrheitsgewerkschaft 18 MiLoAufzV 14, 123 MiLoDokV 14 MiLoG - Akkord 110 - Annahmeverzug 16 - Arbeitsbereitschaft 107 - Arbeitsunfähigkeit 116 - Arbeitszeit 107 - Arbeitszeitflexibilisierung 116 ff. - Arbeitszeitkonto 116 ff. - AT-Angestellte 106 f. - Aufbewahrungspflicht 124 f. - Auftraggeberhaftung 120 f. - Aufzeichnungspflichten 121 ff. 327
Stichwortverzeichnis
MiLoG - Ausschlussfrist 119 f. - Bachelorarbeit 105 - Bereithaltungspflicht 124 f. - Bereitschaftsdienst 107 - Bestandteile 107 ff. - Bonus 107 ff. - Dienstwagen 107 ff. - duales Studium 105 - Entgeltbegriff 107 ff. - Entgeltfortzahlung 116 - Entgeltgrenze 106 f. - EU-Entsenderichtlinie 109 - Fälligkeit 116 - Feiertag 116 - funktionale Gleichwertigkeit 110 f. - Geltungsbereich 104 ff. - Generalunternehmer 120 - geringfügig Beschäftigte 121 - Jahressonderzahlungen 107 ff. - Jugendliche 105 f. - Kontrolle 126 - leitende Angestellte 106 f. - MiLoAufzV 14, 123 - MiLoDokV 14 - MiLoMeldV 14, 124 - Mitbestimmung Betriebsrat 126 - Nachtschichtzulage 107 ff., 115 - öffentliche Aufträge 125 - ÖPNV-Ticket 107 ff. - Ordnungswidrigkeit 120 f., 126 f. - Praktikum 104 ff. - Sachleistungen 107 ff. - Schichtzulage 107 ff. - Übergangsregelungen 125 - Überstundenzuschlag 107 ff. - Unabdingbarkeit 119 f. - Urlaubsgeld 107 ff. - Vergabeverfahren 125 328
MiLoG - Verjährung 119 f. - Verordnungen 123 f. - Weihnachtsgeld 107 ff. MiLoMeldV 14, 124 Mindestlohn → MiLoG - Scheinwerkvertrag 44 f. - Werkvertrag 43 ff. Mindestlohn-Verordnungen 123 f. Mitbestimmung Betriebsrat - Arbeitnehmerüberlassung 25 ff., 260 ff. - Arbeitspause 97 ff. - Arbeitsschutz 275 ff. - Betriebsordnung 273 - BetrSichVO 274 - Datenschutz 273 f. - Dienstleister 275 ff. - Eingruppierung 243 ff. - Einstellung 254 ff., 260 f. - Entleiherbetrieb 261 f. - Facebook-Seite 267 ff. - Gefährdungsanalyse 274 - Gesundheitsschutz 13, 275 ff. - Kündigung 187 ff. - Leiharbeit 261 f. - Leiharbeitnehmer 260 f. - Leistungskontrolle 268 ff. - Matrixstruktur 265 ff. - MiLoG 126 - Ordnung im Betrieb 273 - Pausenzeiten 97 ff. - Persönlichkeitsrechtsverletzung 274 f. - Recruitment Center 256 ff. - Scheinwerkvertrag 25 ff. - Social Media 273 - soziale Angelegenheiten 265 - technische Einrichtung 268 ff. - Unterlassungsanspruch 274 f. - Unterweisung 275
Stichwortverzeichnis
Mitbestimmung Betriebsrat - Verhaltenskontrolle 268 ff. - Verleiherbetrieb 261 f. - Versetzung 243 ff. - Zutrittsrechte 260 ff., 264 MitbestG - Frauenquote 1 ff. - Geschlechterquote 1 ff. Mobbing - Ausschlussfrist 78 ff. - Belästigung 79 - Schmerzensgeld 78 ff. - Verwirkung 78 ff. Montan-MitbG - Frauenquote 1 ff. - Geschlechterquote 1 ff.
Neueinstellungen, Gesamtzusage 68 ff. Nichtöffentlichkeit - Betriebsratssitzung 247 ff. - sachkundige Arbeitnehmer 251 ff. - Telepräsenz 249 ff. - Videokonferenz 249 ff.
Öffentliche Aufträge, MiLoG 125 Organisatorische Einheit, Betriebsübergang 293 ff. Outsourcing, betriebsbedingte Kündigung 176 ff.
Pflege, Angehörige 11 f. Pflegezeitgesetz, Änderung 11 ff. Piloten, Tarifeinheit 22 Praktikum, MiLoG 104 f. Projektarbeit, befristeter Arbeitsvertrag 56 ff. Provision → Sonderleistung Prozessbeschäftigung 194 ff. - befristeter Arbeitsvertrag 196 - Kündigung 194 ff. Punkteschema, Sozialauswahl 183
Rechtsmissbrauch - Arbeitnehmerüberlassung 75 ff. - befristeter Arbeitsvertrag 58 Rechtsweg, Geschäftsführer 204 ff. Recruitment Center, Mitbestimmung Betriebsrat 256 ff. Regelaltersgrenze - Abfindung 279 ff. - befristeter Arbeitsvertrag 60 ff. - Sozialplan 279 ff. Rentennaher Jahrgang, Abfindung 279 ff. Rentenversicherung, Syndikusrechtsanwalt 28 ff., 33 f. Rückstellungen, Betriebsrente 39 Rückzahlungsklausel, Provision 134 f.
Sachgrund, befristeter Partnerschaftsbonus 7 f. Pauschalbesteuerung - geringfügige Beschäftigung 316 f. - Schadensersatzanspruch 316 f. - Wahlrecht Arbeitgeber 316 f. Pausenzeiten, Anordnung 97 ff. Personalgestellung, Arbeitnehmerüberlassung 27
Arbeitsvertrag 56 ff. Sachgrundlose Befristung 40 f. - älterer Arbeitnehmer 61 f. - Altersgrenze 61 f. - Formerfordernis 61 f. Sachkundige Arbeitnehmer - Betriebsrat 252 ff. - Direktionsrecht 252 f. - Nichtöffentlichkeit 251 ff. 329
Stichwortverzeichnis
Sachliche Gründe, Betriebsrente 302 f. Schadensersatzanspruch - Betriebsübergang 299 f. - Pauschalbesteuerung 316 f. Scheinwerkvertrag 24 ff., 75 ff. - Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis 75 ff. - Mindestlohn 44. f. - Mitbestimmung Betriebsrat 25 ff. Schmerzensgeld, Mobbing 78 ff. Schwerbehinderung - Betriebsratsmitglied 255 f. - Bewerbungsverfahren 47 ff. - Fördervorschriften 47 ff. - Kündigung 199 ff. - Mitteilung 47 ff. - Nachweis 51 - Verfahrenspflichten 47 ff. - Zustimmung Integrationsamt 199 ff. Sexuelle Belästigung, Kündigung 168 ff. Sitzungsniederschrift, Betriebsratsbeschluss 243 ff. Social Media, Mitbestimmung Betriebsrat 273 Sonderleistung - MiLoG 107 ff. - Rückzahlung 134 f. - Vorschuss 134 f. Sozialauswahl - Altersgruppen 183 ff. - Änderungskündigung 180 - ausreichende 183 - Betriebszugehörigkeit 181 f. - Doppelverdienst 182 - Gewichtung 179 ff. - grobe Fehlerhaftigkeit 186 f. - Lebensalter 181 330
Sozialauswahl - Punkteschema 183 - Unterhaltspflicht 182 Sozialplan - Abfindungen 279 ff., 285 ff. - ältere Arbeitnehmer 279 ff. - Altersdiskriminierung 279 ff. - Aufhebungsvertrag 285 ff. - Freiwilligenprogramm 285 ff. - Gewerkschaftsmitglied 231 ff. - Klageverzicht 285 ff. - Koalitionsfreiheit 231 ff. - Regelaltersgrenze 279 ff. - rentennahe Jahrgänge 279 ff. - Treueprämie 290 ff. - Turboprämie 285 ff. - Vorruhestand 217 ff. Sozialtarifvertrag → Tarifsozialplan Statistik, Diskriminierung 52 ff. Stiefmutter, Pflegezeit 12 Strafprozess - Syndikusrechtsanwalt 33 - Unternehmen 41 Subjektive Determination, Betriebsratsanhörung 187 ff. Syndikusrechtsanwalt 28 ff. - Doppelberufstheorie 29 - Haftpflichtversicherung 31 - Kennzeichnung 29 - Konzern 29 - Nebentätigkeit 32 - Rentenversicherung 28 ff., 33 f. - Strafprozess 33 - Übergangsregelung 33 f. - Vertretungsbefugnis 33 - Zulassung 30 f.
Tantieme → Sonderleistung Tarifautonomie - Arbeitskampf 225, 225 f. - Fragerecht Gewerkschaft 225 ff.
Stichwortverzeichnis
Tarifeinheit - GDL 22 - Gewerkschaftszugehörigkeit 225 ff. Tarifeinheitsgesetz 15 ff. - Arbeitskampf 22 ff. - Betrieb 18 ff. - Mehrheitsgewerkschaft 18 - Minderheitsgewerkschaft 18 - Nachzeichnungsrecht 17, 20 f. - Tarifkollision 16 Tarifentgeltanhebung - Anrechnung 229 ff. - übertarifliche Zulage 229 ff. Tarifpluralität → Tarifeinheit Tarifsozialplan - Außenseiter 231 ff. - Gewerkschaftsmitglied 231 ff. Tarifvertrag - Betrieb 18 ff. - Betriebsnorm 313 f. - Betriebsrente 35 ff. - Betriebsübergang 313 f. - Differenzierungsklausel 231 ff., 235 ff. - gemeinsame Einrichtung 35 ff. - Günstigkeitsvergleich 240 ff. - Nachzeichnung 17, 20 f. - Tarifeinheit 15 ff. - Tarifpluralität 15 ff. Technische Einrichtung, Mitbestimmung Betriebsrat 268 ff. Teilzeit, Anspruch → Anspruch auf Teilzeit Teilzeitbeschäftigung - Anspruch 89 ff. - Dauernachtschicht 90 - Elternzeit 10 f. Telepräsenz, Betriebsrat 249 ff.
Treueprämie - Betriebsänderung 290 ff. - Sozialplan 290 ff. Triftige Gründe, Betriebsrente 302 Turboprämie - Abfindungsvertrag 285 ff. - Betriebsänderung 285 ff. - Klageverzicht 285 ff. TVG, Günstigkeitsvergleich 241 ff. TVöD, Arbeitnehmerüberlassung 27
Übertarifliche Zulage - AGB-Kontrolle 229 ff. - Anrechnung 227 ff. Umwandlung → Betriebsübergang Unterhaltspflichten, Sozialauswahl 182 Unterlassungsanspruch Betriebsrat, Datenschutz 267 ff., 273 Unternehmensstrafrecht 41 Unterweisung, Arbeitsschutz 275 Untreue 42 Unverfallbarkeit, Betriebsrente 37 Urlaub → Erholungsurlaub Urlaubsabgeltung, Ausschlussfrist 143 ff. Urlaubsgeld → Sonderleistung
Verdachtskündigung - Anhörung 163 ff. - außerordentliche 161 ff. Vergabeverfahren, MiLoG 125 Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnung 168 ff. Verhaltenskontrolle, Mitbestimmung Betriebsrat 268 ff. Verjährung, MiLoG 119 f. Verleiherbetriebsrat, Zugangsrechte 261 f.
331
Stichwortverzeichnis
Vermutung, Arbeitnehmerüberlassung 27 Verrechnungspreisabrede, Betriebrentenanpassung 221 f. Versetzung, Mitbestimmung Betriebsrat 243 ff. Versicherungspflicht, Altersteilzeit 315 Versorgungsanwartschaft, Anpassung 37 f. Versorgungszusagen → betriebliche Altersversorgung Vertretung, befristeter Arbeitsvertrag 66 ff. Verwirkung, Mobbing 78 ff. Videokonferenz, Betriebsrat 249 ff. Videoüberwachung, heimliche 81 ff. Vorruhestand - Beendigung 217 ff. - Sozialplan 217 ff. - Wohnsitzwechsel 217 ff. Vorschuss, Provision 134 f. Vorstand, Frauenquote 1 ff. Vorteilsannahme 42 Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung 260 f. Wechsel in Teilzeit, Urlaub 135 ff. Weihnachtsgeld → Sonderleistung Weiterbeschäftigung - Kündigung 194 ff. - Kündigungsschutzprozess 194 ff.
332
Weiterbeschäftigungsanspruch 195 Werkvertrag - Abgrenzungskriterien 27 - Mindestlohn 43 ff. - Vermutungsregel 27 Wettbewerbsverbot, Abwerbeverbot 214 ff. Wiedereingliederungsverhältnis 12 7 ff. - Annahmeverzug 127 ff. - Arbeitspflicht 130 - Kennzeichnung 130 - Vergütung 127 - Zweck 130 Wirtschaftliche Einheit, Betriebsübergang 293 ff. Zeitarbeit → Arbeitnehmerüberlassung Zeitkollisionsregel, Betriebsvereinbarung 303 ff. Zeugnis - Beurteilung 211 - Beweislast 211 ff. - Darlegungslast 211 ff. - Leistungsbeurteilung 211 ff. - Üblichkeit 212 - Wahrheitspflicht 213 - Wohlwollenspflicht 213 f. Zulassung, Syndikusrechtsanwalt 30 f. Zuständigkeit, Arbeitsgericht 204 ff. Zwingende Gründe, Betriebsrente 304